Strafrechtliche Pflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft zur Verhinderung von Vorstandsstraftaten [1 ed.] 9783428548446, 9783428148448

Eine hochaktuelle Konstellation: Der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft (AG) weiß von bevorstehenden oder andauernden

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Strafrechtliche Pflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft zur Verhinderung von Vorstandsstraftaten [1 ed.]
 9783428548446, 9783428148448

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Schriften zum Strafrecht Band 295

Strafrechtliche Pflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft zur Verhinderung von Vorstandsstraftaten

Von

Max Schwerdtfeger

Duncker & Humblot · Berlin

MAX SCHWERDTFEGER

Strafrechtliche Pflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft zur Verhinderung von Vorstandsstraftaten

Schriften zum Strafrecht Band 295

Strafrechtliche Pflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft zur Verhinderung von Vorstandsstraftaten

Von

Max Schwerdtfeger

Duncker & Humblot · Berlin

Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-14844-8 (Print) ISBN 978-3-428-54844-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84844-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist als Dissertation an der Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft – im Juli 2015 zur Promotion angenommen worden. Am 08.10.2015 fand die mündliche Prüfung statt. Rechtsprechung und Literatur sind auf dem Stand der Einreichung der Dissertation (Mai 2013). Für Hilfe und Anregungen auf dem Weg zu dem heute vorliegenden Buch bin ich vielen Personen zum Dank verpflichtet. An erster Stelle danke ich Herrn Professor Dr. Frank Saliger herzlich für die Betreuung und Erstbegutachtung der Arbeit sowie den stets sehr förderlichen Meinungsaustausch. Das Zweitgutachten wurde von Herrn Professor Dr. Thomas Rönnau erstattet, dem ich hierfür danke. Den Anstoß zu meinem Dissertationsthema lieferte eine Diskussion zwischen Frau Rechtsanwältin Dr. Imme Roxin, Herrn Rechtsanwalt Michael Reinhart und Herrn Rechtsanwalt Alexander Schemmel auf dem Flur der Kanzlei Roxin Rechtsanwälte LLP in München im Jahr 2009. Für die Eindrücke des damaligen Praktikums danke ich herzlich, da sie meinen Werdegang bis heute prägen. Danken möchte ich ferner meinen Freunden und Kollegen Karsten Alex, PiaFranziska Graf, Katharina Jarasch, meiner Schwester Paula Schwerdtfeger und meinem Cousin Jakob Schwerdtfeger sowie meiner Freundin Maren Eschricht für Diskussionen, Meinungsaustausch und eine kritische Durchsicht meiner hier niedergelegten Überlegungen. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern, die mich während meiner gesamten Ausbildungszeit stets bedingungslos unterstützt haben. Düsseldorf, im Mai 2016

Max Schwerdtfeger

Inhaltsübersicht Kapitel 1 Einführung in die Thematik

27

A. Der Aufsichtsrat als Zielgruppe strafrechtlicher Ermittlungen, Gerichtsverfahren und wissenschaftlicher Abhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

B. Abgrenzung von möglichen anderen Konstellationen, Benennung und Kategorisierung denkbarer Vorstandsstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

C. Eigene Strafbarkeit des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

D. Beiträge der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

E. Diskussionsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

F. Zusammenfassung und Ausblick auf die Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

Kapitel 2 Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB als besondere Ausprägung der Beschützergarantenstellung für das Gesellschaftsvermögen – Untreue durch eine aktienrechtliche Pflichtverletzung bei Nichtverhinderung einer Vorstandsstraftat 56 A. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

B. Die Missbrauchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

D. Ergebnis für Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Kapitel 3 Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit: Konkretes Vorstandsdelikt i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB als Straftat des Aufsichtsrats

158

A. Grundlagen der Unterlassensstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 B. Der Aufsichtsrat als mittelbarer Täter durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 C. Der Aufsichtsrat als Überwachergarant des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

8

Inhaltsübersicht

D. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Kapitel 4 (Konkurrenz-)Verhältnis von Untreue und allgemeiner Unterlassensstrafbarkeit

251

A. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 B. Keine Überschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 C. Überschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 D. Kritikwürdige Aspekte einer Strafbarkeit gem. § 266 Abs. 1 StGB nach Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Kapitel 5 Zusammenfassung der Ergebnisse und Empfehlung an Aufsichtsräte

266

A. Der Aufsichtsrat als Täter einer Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 B. Der Aufsichtsrat ist einzig Beschützergarant der Gesellschaftsrechtsgüter . . . . . 267 C. Aufsichtsratsstrafbarkeit nach der allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit . . . . . . 268 D. Verhältnis der beiden Anknüpfungsalternativen zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 E. Beteiligungsform des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 F. Empfehlung an Aufsichtsräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung in die Thematik A. Der Aufsichtsrat als Zielgruppe strafrechtlicher Ermittlungen, Gerichtsverfahren und wissenschaftlicher Abhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Aktiengesellschaft und ihre Organe (Überblick) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Strafrechtliche Dimension der Aufsichtsratstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Abgrenzung von möglichen anderen Konstellationen, Benennung und Kategorisierung denkbarer Vorstandsstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgrenzung von möglichen anderen Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konkrete Straftat des Vorstands als Anknüpfungs- und Bezugspunkt . . . a) Untreue gem. § 266 StGB durch die unterlassene Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Untreue gem. § 266 StGB durch die unterlassene Einrichtung eines „Compliancesystems“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufklärungspflicht des Aufsichtsrats bei Verdacht der Begehung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zu Anstiftung und Beihilfe durch aktives Tun . . . . . . . . . . . II. Denkbare Straftaten des Vorstands und Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorstand als Anknüpfungs- und Bezugspunkt einer Aufsichtsratsstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mögliche Vorstandsstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kategorisierung von konkreten Vorstandsstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kategorie A: Straftaten, die keinen Gesellschafts/-Vermögensbezug aufweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kategorie B: Straftaten, die mittelbar zu Schäden der Gesellschaft und ihres Vermögens führen (können) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kategorie C: Straftaten, die sich unmittelbar gegen die Rechtsgüter der Gesellschaft richten bzw. zu unmittelbaren Schäden des Gesellschaftsvermögens führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unterkategorie I: Straftaten, die sich unmittelbar gegen die Rechtsgüter der Gesellschaft richten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterkategorie II: Straftaten, die unmittelbar zu Schäden des Gesellschaftsvermögens führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

27 27 28

31 31 31 31 32 32 32 33 33 33 34 35 36 36

37 37 39

10

Inhaltsverzeichnis (1) Rechtlicher Schutz des Gesellschaftsvermögens . . . . . . . . . . . 39 (2) Faktischer Schutz des Gesellschaftsvermögens . . . . . . . . . . . . 40 (3) Ergebnis für Unterkategorie II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

C. Eigene Strafbarkeit des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. Untreue, § 266 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Strafbarkeit nach konkretem Vorstandsdelikt in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 D. Beiträge der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Reichsgerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 II. BGH, Urteil vom 6.12.2001 – 1 StR 215/01 („SSV Reutlingen“) . . . . . . . . . 44 III. OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12 + 45/12 . . . . . 45 IV. Weitere Rechtsprechung, Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 E. Diskussionsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Der strafrechtliche Anknüpfungspunkt der Aufsichtsratsstrafbarkeit . . . . . . . 48 1. Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB des Aufsichtsrats als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Konkrete Vorstandsstraftat in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB als Anknüpfungspunkt einer Aufsichtsratsstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 II. Garantenstellung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Umfassende Garantenstellung (Beschützergarant für die Gesellschaft/ ihr Vermögen und Überwachergarant des Vorstands) . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Eingeschränkte Garantenstellung (Beschützergarant für Gesellschaft/ihr Vermögen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 III. Beteiligungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 IV. Klärungsbedürftige Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Strafrechtlicher Anknüpfungspunkt der Aufsichtsratsstrafbarkeit . . . . . . . 52 2. Genaue Analyse einer Untreuestrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3. Garantenstellung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4. Fehlende Ausführungen bzgl. konkreter Straftaten, die der Aufsichtsrat durch Unterlassen begehen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 5. Beteiligungsform des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 F. Zusammenfassung und Ausblick auf die Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Zusammenfassung der Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 II. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 III. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 IV. Einschränkung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

Inhaltsverzeichnis

11

Kapitel 2 Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB als besondere Ausprägung der Beschützergarantenstellung für das Gesellschaftsvermögen – Untreue durch eine aktienrechtliche Pflichtverletzung bei Nichtverhinderung einer Vorstandsstraftat 56 A. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.

56

Indizwirkung für eine Strafbarkeit nach § 266 StGB durch § 294 Abs. 1 AktG a. F.? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

II. Verfassungsmäßigkeit des § 266 StGB und Konsequenzen für die vorliegende Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

1. Kritik der Literatur an dem Tatbestand des § 266 StGB vor den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

2. Bundesverfassungsgerichtsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

a) BVerfG, Beschluss vom 10.03.2009 – 2 BvR 1980/07 . . . . . . . . . . . .

60

b) BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. . . . . . . . .

60

c) BVerfG, Beschluss vom 01.11.2012 – 2 BvR 1235/11 . . . . . . . . . . . .

62

3. Kurze Analyse der Beschlüsse sowie Folgen für die vorliegende Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

B. Die Missbrauchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

I.

Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsratsmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . .

65

1. Allgemeine Anforderungen für das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

a) Fremde Vermögensinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

b) Hauptpflicht des Geschäftsbesorgungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . .

67

c) Selbständigkeit, Verantwortung und Bewegungsfreiheit . . . . . . . . . . .

67

d) Weitere Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

2. Vorliegen der Anforderungen beim Aufsichtsrat der AG . . . . . . . . . . . . . .

68

a) Vorliegen der allg. Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

b) Konkretisierung der Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsratsmitglieds für die vorliegende Konstellation (Vermögensbetreuungspflicht auch im Rahmen der Überwachungsaufgabe) . . . . . . . . . . . . . .

71

aa) Leitungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

bb) Überwachungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

3. Konsequenz der Vermögensbetreuung: Beschränkung der möglichen Untreuestrafbarkeit auf Straftaten z. N. des Vermögens der AG . . . . . . . .

73

a) Inhalt des Vermögensschutzes: Die Beschützergarantenstellung für das Vermögen (der AG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

12

Inhaltsverzeichnis b) Andere Beschützergarantenstellungen im Rahmen von § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aktionäre/Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Allgemeinheit/Dritte („Normalbürger“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Überwachergarantenstellung i. R. d. Untreue gem. § 266 Abs. 1 2. Var. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Pflichtwidrige Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aktienrechtliche Pflicht zur Abwendung von Vorstandsstraftaten für den Aufsichtsrat und ihr Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kontrollpflicht des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflicht zur Abwendung von bevorstehenden Straftaten . . . . . . . . . . . . . aa) § 111 Abs. 1 AktG als rechtliche Grundlage der Pflicht . . . . . . . . (1) Der Wortlaut „Überwachung“ als Argument für eine Straftatverhinderungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Telos und Systematik als Argumente für eine Straftatverhinderungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einschränkung der Reichweite auf „betriebsbezogene“ Straftaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einschränkung der Reichweite durch den Wortlaut des § 111 Abs. 1 AktG: Sachlich-inhaltliche Bedeutung der „Geschäftsführung“ („Geschäftsführungsbezogenheit“ der Straftat) . . . . . . . (1) Keine umfassende Überwachungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Umfang der eingeschränkten Überwachungspflicht . . . . . . . . (3) Anpassung der h. M. an die vorliegende Konstellation . . . . . . (4) Umfang und Bedeutung der punktuell „weiten“ Interpretation des Geschäftsführungsbegriffs in § 111 Abs. 1 AktG . . . (5) Erfassung privater Straftaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) „Geschäftsführungsbezogenheit“ der Straftat . . . . . . . . . . . . . . dd) Teleologische Beschränkung auf Straftaten, die das Unternehmensinteresse berühren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Teleologische Beschränkung der Pflicht auf nur „schwerwiegende“ Straftaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Teleologischer Ausschluss der Pflicht bei Straftaten „zum Wohle“ der Aktiengesellschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Ausnahme bei Bagatellfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Zusammenfassend: „Geschäftsführungsbezogenheit“ der Straftat 3. Maßnahmen für die Durchsetzung der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75 75 77 77 78 78 79 79 80 81 81 82 83 83 84 86 86

86 87 87 88 89 90 92 92 93 95 95 97 97

Inhaltsverzeichnis a) Tatsächliche Verhinderungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesellschaftsrechtliche Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Instrumente mit einwirkendem Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einwirkungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand, § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einberufung einer Hauptversammlung, § 111 Abs. 3 AktG . . (3) Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG . . . . . . . . (a) Bevorstehende Straftat als Abberufungsgrund i. S. d. § 84 Abs. 3 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Ermessensreduzierung auf null: Pflicht für die Abberufung bei bevorstehenden Vorstandsstraftaten . . . . . . . . . . (4) Zeitweilige Suspendierung des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Zulässigkeit der zeitweiligen Suspendierung . . . . . . . . . . (b) Ausgestaltung und Rechtsfolge der zeitweiligen Suspendierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Weisungsrecht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand . . (a) Kein Weisungsrecht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Sonderweisungsrecht bei bevorstehenden Straftaten? . . . (c) Ablehnung eines Sonderweisungsrechts bei bevorstehenden Vorstandsstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Sonderweisungsrecht gegenüber Angestellten bei Vorstandsstraftaten im Zusammenhang mit der Vorstandsvergütung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG . . . . (a) Der Zustimmungsvorbehalt und seine tatbestandlichen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Ad-hoc Zustimmungsvorbehalte für Einzelmaßnahmen . (c) Rechtsfolge des Zustimmungsvorbehalts und der verweigerten Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Interorganklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonstige Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Strafprozessuale Maßnahme der Strafanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) (Strafrechtliche) Pflicht zur Strafanzeige grundsätzlich nur in Ausnahmefällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fehlende Berechtigung zur allgemeinen Erstattung von Strafanzeigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausnahme: Straftat nach § 138 StGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entfall der Anzeigepflicht bei Beteiligung an der Straftat . .

13 98 99 99 100 100 101 101 102 103 104 104 105 106 106 106 107

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Inhaltsverzeichnis (2) Garantenstellung und Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats bei relevanten Katalogtaten des § 138 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . (3) Ausnahmsweise: Berechtigung zur Strafanzeige in den Fällen des § 138 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis: Keine Pflicht zur Strafanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entschließungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswahlermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Möglichkeiten des Zurückgreifens auf mildere Maßnahmen . . . . bb) Keine Auswirkung der „Schwere der Tat“ auf das Ermessen . . . . cc) Taugliche Maßnahme(n) im konkreten Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswirkungen der Business-Judgement-Rule (§ 116 Satz 1 AktG i.V. m. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Konkrete Handlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Notwendige und mögliche Vorschläge zur Einschränkung der Reichweite der Pflicht aufgrund restriktiver Anwendung der Untreuestrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auswirkungen des „AUB-Beschlusses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhalt des „AUB-Beschlusses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgen der Übertragung des Inhalts des „AUB-Beschlusses“ auf die vorliegende Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) § 111 Abs. 1 AktG als vermögensschützende Norm . . . . . . . . (2) Position Brand/Petermanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Kritik und Ablehnung einer Übertragung der „AUBRechtsprechung“ im Sinne Brand/Petermanns . . . . . . . . . (aa) Aktive Beteiligung des Aufsichtsrats an Vorstandsstraftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Unterlassen der Abwendung der Vorstandsstraftat durch den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gravierende Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendung des Merkmals „gravierend“ auf Überwachungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhalt der „gravierenden“ Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Strafrechtsautonome Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zivilrechtsakzessorische Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Nicht starr indizienbasierte strafrechtsautonome Schweretheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vorliegen einer gravierenden Pflichtverletzung in der hier diskutierten Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 6. Keine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten Angestellter durch Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Einverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung und Ergebnis für die pflichtwidrige Handlung . . . . . III. Vermögensnachteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vermögensnachteil und schadensgleiche Vermögensgefährdung . . . . . . . 2. Vermögensnachteil durch Straftaten der Kategorie A (private Straftaten) 3. Vermögensnachteil durch Straftaten der Kategorie B (mittelbar schadende Straftaten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlage der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allenfalls schadensgleiche Vermögensgefährdung auch bei durchgesetztem Schadensersatzanspruch/beglichener Sanktion (ex-ante Beurteilung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Frage der objektiven Zurechnung oder eines allgemeinen Unmittelbarkeitserfordernisses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Streitstand bezüglich Einbeziehung mittelbarer Tatfolgen . . . . . . . . . aa) Standpunkt der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grundsätzlich schadensverneinende Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Differenzierende Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beschränkung der mittelbaren Folgen auf „materiell selfexecuting“ Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ermessensberücksichtigung bei der Figur des eigenverantwortlich dazwischentretenden Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zurechnung bei pflicht- oder sonst sachgemäßen Verhaltens des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Prognosebasierende Literaturansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) „Möglichkeit“ und „Gewissheit“ als leitende Vorgaben der Einbeziehung mittelbarer Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Subsumtion unter die Voraussetzungen der schadensgleichen Vermögensgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer tatbestandlichen Restriktion der Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Systematische Notwendigkeit einer tatbestandlichen Restriktion der Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusammenfassung der bisherigen Ausführungen und Auseinandersetzung mit den oben aufgeführten Meinungen . . . . . . . . . . . . ee) Folgen für Schadensersatz/Sanktion als Nachteil i. S. e. schadensgleichen Vermögensgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Derzeitige Sanktionsmöglichkeiten im deutschen und europäischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis (b) Schadensgleiche Vermögensgefährdung durch „materiell self-executing“-Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis für die Straftaten der Kategorie B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vermögensnachteil durch Straftaten der Kategorie C . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vermögensnachteil durch Straftaten der Unterkategorie I (Straftaten gegen die Gesellschaft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vermögensnachteil durch Straftaten der Unterkategorie II (unmittelbar schadende Straftaten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Straftaten mit rechtlichem Schutz des Gesellschaftsvermögens . . bb) Straftaten, die faktisch den Schutz des Gesellschaftsvermögens bewirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis für das Tatbestandsmerkmal des Vermögensnachteils . . . . . . . . IV. Kausalität und objektive Zurechnung bei Beschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bestrafung als Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis für die Treubruchsvariante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Ergebnis für Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Kapitel 3 Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit: Konkretes Vorstandsdelikt i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB als Straftat des Aufsichtsrats A. Grundlagen der Unterlassensstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dogmatische Grundlage der Garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formaler Ansatz (Rechtspflichtlehre) und Ablehnung desselbigen . . . . . 2. Materieller Ansatz (Zweiteilungslehre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgen der Zweiteilungslehre für die vorliegende Arbeit . . . . . . . . . . . . . . II. Strafbarkeit des Unterlassenden: Täter oder Teilnehmer? . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Denkbare Beteiligungsformen durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassen: Streitstand, Diskussion, Streitentscheidung und Folgen für die Arbeit . . . . . . . a) Pflichtdeliktstheorie (Prinzipielle Bejahung von Täterschaft) . . . . . . . b) Theorie der Einheitsbeihilfe (Grundsätzliche Annahme von Beihilfe) c) Tatherrschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unterscheidung nach Art der Pflichtenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Subjektive Theorie (Rechtsprechung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Diskussion, Streitentscheidung und praktischer Ansatz der Arbeit . . .

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B. Der Aufsichtsrat als mittelbarer Täter durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

Inhaltsverzeichnis Existenz und Anerkennung der Figur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlage, Entwicklung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendung auf Wirtschaftsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begehung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft nach der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Aufsichtsrat als mittelbarer Täter durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I.

C. Der Aufsichtsrat als Überwachergarant des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen einer Überwachergarantenstellung nach dem Herrschaftsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Gefahrenquelle“ im vorliegenden Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Exklusive rechtliche Befugnis zur Einwirkung auf die Gefahrenquelle . . II. Existenz und Begründung einer Überwachergarantenstellung des „Geschäftsherrn“ zur Abwendung von Straftaten Unternehmensangehöriger unter Beachtung des Herrschaftsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Streitstand in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Existenz und Begründung unter Beachtung des Herrschaftsprinzips . . . a) § 357 Abs. 1 3. Alt. StGB, § 130 OWiG, § 41 WStG etc. als Argumente für und wider die Geschäftsherrenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit und die Geschäftsherrenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Garantenstellung aus „Herrschaft über Untergebene“ oder aus „Haftung für den Gefahrenherd Betrieb“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Herrschaft über Untergebene aufgrund einer Befehlsgewalt“ . . bb) Verantwortung für die „Gefahrenquelle Betrieb“ . . . . . . . . . . . . . . (1) Erste Voraussetzung: Herrschaft über die Gefahrenquelle . . (2) Zweite Voraussetzung: Organisationsmacht im Betrieb . . . . . cc) „Kehrseitenargument“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Grundlage der Garantenstellung aufgrund des Herrschaftsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Folgen für aktuelle Fragen in Wissenschaft und Praxis . . . . . . . . III. Reichweite und notwendige Einschränkung der Überwachergarantenstellung des Geschäftsherrn („Betriebsbezogenheit“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschränkung auf extern wirkende Straftaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Betriebsangehörige als „Außenstehende“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unternehmenseigene Rechtsgüter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

172 172 172 174 175 175 176 177 178 178 179 180 180

180 181 183 183 184 186 186 187 188 188 190 191 192 193 193 193 194

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Inhaltsverzeichnis c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Betriebsbezogenheit“ der zu verhindernden strafbaren Handlung . . . . . a) Rückgriff auf die Inhaberpflichten des § 130 Abs. 1 OWiG . . . . . . . . . b) Handeln im eigenen oder im Betriebsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausnutzung der tatsächlichen oder rechtlichen Wirkungsmöglichkeiten des Betriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Innerer Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Begehungstäters oder mit der Art des Betriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Aufsichtsratsmitglied als Überwachergarant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herrschaft des Aufsichtsrats über den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sonderweisungsbefugnis des Aufsichtsrats bei bevorstehenden Straftaten des Vorstands? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG und Abberufungsrecht gem. § 84 Abs. 3 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Organstellung des Aufsichtsrats innerhalb der Aktiengesellschaft – Verhältnis zum Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick: Organisationsverfassung und Aufgaben der Organe innerhalb der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Herrschaftsstellung des Aufsichtsrats? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtswirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundsatz: Nichtverantwortung trotz faktisch gesteigerten Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Aufsichtsrat als „faktischer Geschäftsführer“? . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Organisationsverantwortung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

D. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen der Beschützergarantenstellung nach dem Herrschaftsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hilflosigkeit des Schutzobjektes („Grund des Erfolges“) . . . . . . . . . . . . . . 2. Herrschaftsähnliche Obhutsbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschützergarantenstellungen des Aufsichtsrats unter Zugrundelegung des Herrschaftsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant des Gesellschaftsvermögens . . . . 2. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant sonstiger Rechtsgüter der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant der Aktionäre? . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant der Unternehmensmitarbeiter? . .

194 194 195 195 195 196 198 198 199 199 199 200 200 201 202 203 203 203 204 204 204 205 205 206 206 207 207 207 209 210 211

Inhaltsverzeichnis

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5. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant der Gläubiger der Aktiengesellschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 6. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant der Allgemeinheit/Dritter („Normalbürger“)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschränkung auf Begehungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Denkbare Unterlassungskonstellationen des Vorstands . . . . . . . . . . . . b) Beschränkung der Verhinderungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats auf Begehungsstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Verhinderungsmöglichkeit des Taterfolgs des Vorstandsunterlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zu erstens: Unterlassungstat des Vorstands, die selbst zu einem Taterfolg führt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zu zweitens: Unterlassungstat des Vorstands, der Begehungstat eines Angestellten nicht verhindert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Risikoverringerung als Rettungsmaßnahme ausreichend? . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anstiftung/Beihilfe des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anstiftung eines Dritten durch den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beihilfe zu einer Dritttat durch den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Relevante Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tatverhinderungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beteiligungsform des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Straftaten der Kategorie A – Keine Pflicht zur Abwendung privater Vorstandsstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Straftaten der Kategorie B – Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats zur Abwendung mittelbar dem Gesellschaftsvermögen schadender Vorstandsstraftaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berücksichtigung nichttatbestandlicher Tatfolgen im Unterlassungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Behandlung mittelbarer Vermögensschäden bei der Untreue gem. § 266 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mittelbare Vermögensschädigungen als Teil der Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats zu Gunsten des Gesellschaftsvermögens? . . . a) Verstoß gegen den Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB? . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vermögensschädigung der eigenen Gesellschaft als „Erfolg“ i. S. d. § 13 Abs. 1 StGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vermögensschädigung der Bank als „Erfolg“ i. S. d. § 13 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213 214 214 215 215 215 216 216 216 217 217 218 218 218 218 219 219

220 221 222 222 223 223 224 224

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Inhaltsverzeichnis b) Restriktive Auslegung des „Rechtlichen-Einstehen-Müssens“ i. S. d. § 13 Abs. 1 2. Hs. StGB als Argument gegen eine Einbeziehung mittelbarer Vermögensschädigungen in die Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Notwendigkeit einer restriktiven Auslegung des § 13 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgen für die Reichweite des Vermögensschutzes – keine Einbeziehung mittelbarer Vermögensschädigungen . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Widerspruch zu Ausführungen im Zusammenhang mit der Untreue? 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Straftaten der Kategorie C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Straftaten der Unterkategorie I: Straftaten z. N. der Aktiengesellschaft, die Nichtvermögensrechtsgüter betreffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz des Geheimnisbereichs: § 17 UWG (Verrat von Geschäftsund Betriebsgeheimnissen) und § 404 AktG (Verletzung der Geheimhaltungspflicht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begehung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhinderungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Mögliche Beteiligungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Pflichtdeliktstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Subjektive Theorie der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz vor den Folgen unrichtiger Darstellung: § 400 AktG (Unrichtige Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begehung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhinderungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Mögliche Beteiligungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Pflichtdeliktstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Subjektive Theorie der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schutz des Interesses an der Nichtverfälschung von Abstimmungsergebnissen: § 402 AktG (Falsche Ausstellung von Berechtigungsscheinen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begehung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhinderungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Mögliche Beteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eigentumsschützende Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Diebstahl (§ 242 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterschlagung (§ 246 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Raub (§ 249 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sachbeschädigung (§ 303 StGB), Brandstiftung (§ 306 StGB) . . ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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228 228 229 229 229 230 230 230 231 231 231 231

232 232 232 232 233 233 233 234 235 235

Inhaltsverzeichnis e) Schutz der Ehre der Gesellschaft: Beleidigung, etc. (§§ 185 ff. StGB) aa) Begehung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhinderungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergebnis für Straftaten der Unterkategorie I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterkategorie II: Straftaten z. N. des Gesellschaftsvermögens . . . . . . . . a) Rechtlicher Schutz des Gesellschaftsvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erpressung (§ 253 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Betrug (§ 263 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Begehung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verhinderungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Mögliche Beteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Computerbetrug (§ 263a StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Untreue (§ 266 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue gem. § 266 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Heute befürwortende Stimmen einer Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Ablehnende Stimmen einer Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Reichweite von Vermögensbetreuungspflicht und Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Vermögens im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Unterlassungshandlung und Taterfolg . . . . . . . . . . . . (cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verhinderungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Geldtransfer innerhalb der Unternehmensgruppe . . . . . . (b) Verstoß gg. DCGK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Sponsoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Bildung „Schwarzer Kassen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Kick-Back-Zahlungen an den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . (f) Risikogeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Mögliche Beteiligungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Faktischer Schutz des Gesellschaftsvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 235 236 236 236 236 237 237 237 237 238 240 240 241 242 242 243 243

244 245 245 246 246 246 247 247 247 248 248 248 248 248 249 249 250

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Inhaltsverzeichnis Kapitel 4 (Konkurrenz-)Verhältnis von Untreue und allgemeiner Unterlassensstrafbarkeit

251

A. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 B. Keine Überschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausschließliche Untreuestrafbarkeit nach Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausschließliche Strafbarkeit nach dem konkreten Delikt i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nichtvermögensrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Versuchsstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Überschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffliche Klärung und Anknüpfungspunkt(e) für die Abgrenzung von außergesetzlicher Gesetzeseinheit zu Tateinheit nach § 52 Abs. 1 StGB . . . II. Überschneidung bei Eigentumsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall des Diebstahls gem. § 242 StGB . . . 2. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall der Unterschlagung gem. § 246 StGB 3. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall der Sachbeschädigung gem. § 303 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall der Brandstiftung gem. § 306 StGB III. Überschneidung bei rechtlichen Verletzungen des Gesellschaftsvermögens 1. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall des Betrugs gem. § 263 StGB . . . . . . 2. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall des Computerbetrugs gem. § 263a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall der Untreue gem. § 266 StGB . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Kritikwürdige Aspekte einer Strafbarkeit gem. § 266 Abs. 1 StGB nach Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unterschiedliche Strafrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Keine Prüfung spezieller Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Täterschaftliche Untreue des Aufsichtsrats bei Beihilfehandlung des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

253 253 253 253 254 254 255 256 257 257 257

258 259 259 259

260 261 261 262 262 263 264

E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

Inhaltsverzeichnis

23

Kapitel 5 Zusammenfassung der Ergebnisse und Empfehlung an Aufsichtsräte

266

A. Der Aufsichtsrat als Täter einer Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 B. Der Aufsichtsrat ist einzig Beschützergarant der Gesellschaftsrechtsgüter . . 267 C. Aufsichtsratsstrafbarkeit nach der allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit

268

D. Verhältnis der beiden Anknüpfungsalternativen zueinander . . . . . . . . . . . . . 269 E. Beteiligungsform des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 F. Empfehlung an Aufsichtsräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. Abs. a. F. AG AktG Alt. AO Art. BayObLG BB BetrVG BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BJagdG BKR BLJ BT-Drs. BVerfG BVerfGE bzgl. bzw. CCZ DB DCGK DDR ders. dies. DStR EUR f. ff. Fn.

anderer Auffassung am angegebenen Ort Absatz alte Fassung Aktiengesellschaft (=Die Aktiengesellschaft, Zeitschrift) Aktiengesetz Alternative Abgabenordnung Artikel Bayerisches Oberstes Landgericht Betriebs-Berater Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesjagdgesetz Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bucerius Law Journal Deutscher Bundestag Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich beziehungsweise Corporate Compliance Zeitschrift Der Betrieb Deutscher Corporate Governance Kodex Deutsche Demokratische Republik derselbe dieselben Das Deutsche Steuerrecht Euro folgende fortfolgende Fußnote

Abkürzungsverzeichnis GA gem. GenG GewO GG GmbH GmbHG GrS GVG HGB h. M. HRRS Hs. i. d. R. insb. InsO i. R. d. i. S. d. i. S. e. i. S. v. i.V. m. JA JR JURA JVA JZ KGaA LG MDR MitbestG m.w. N. NJW NJW-RR Nr. NStZ NStZ-RR NZG NZWiSt o. ä. OLG OwiG PartG

25

Goltdammer’s Archiv für Strafrecht gemäß Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Gewerbeordnung Grundgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Großer Senat Gerichtsverfassungsgesetz Handelsgesetzbuch herrschende Meinung HöchstRichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Halbsatz in der Regel insbesondere Insolvenzordnung im Rahmen der im Sinne des/der im Sinne einer im Sinne von in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Justizvollzugsanstalt JuristenZeitung Kommanditgesellschaft auf Aktien Landgericht Monatsschrift für Deutsches Recht Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht oder ähnlich Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Gesetz über die politischen Parteien

26 RG RGSt Rn. S. sog. StGB StPO StV SubvG TransPuG u. a. USA UWG Var. vgl. wistra WM z. B. ZGR ZHR Ziff. ZIP ZIS z. N. ZRP ZStR ZStW

Abkürzungsverzeichnis Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer Seite sogenannt Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafverteidiger Gesetz über die missbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen Transparenz- und Publizitätsgesetz unter anderem (= und andere) United States of America Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Variante vergleiche Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wertpapier-Mitteilungen zum Beispiel Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik zum Nachteil Zeitschrift für Rechtspolitik Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Kapitel 1

Einführung in die Thematik Der vorliegenden Arbeit liegt eine simple Grundkonstellation zugrunde, welche die Strafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern einer Aktiengesellschaft in einer besonderen Konstellation betrifft: Der Aufsichtsrat weiß von bevorstehenden oder andauernden Straftaten des Vorstands. Er schreitet nicht ein. Macht er sich hierbei durch das Unterlassen der Erfolgsabwendung strafbar und wenn ja, nach welcher Vorschrift? Diese Fragestellung gilt nach wie vor als weitgehend ungeklärt.1 Die Dissertationsschrift soll Licht in die bisher ungeklärten Bereiche bringen. Im Kapitel 1 wird dafür zunächst die Struktur der Aktiengesellschaft dargestellt und aufgezeigt, dass der Aufsichtsrat inzwischen des Öfteren Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen und wissenschaftlicher Abhandlungen ist, die seine Strafbarkeit betreffen, A. Sodann wird die zu klärende Situation herausgearbeitet, B. Nach einer kurzen Benennung der möglichen Aufsichtsratsstrafbarkeit (C.) werden Beiträge der Rechtsprechung (D.) und der Literatur (E.) analysiert. Ausgehend von dieser Analyse werden offene Rechtsprobleme in der vorliegenden Konstellation offenbar, E. IV. Diese zu klären, ebenso wie schon behandelte, aber gegebenenfalls nicht zufriedenstellend gelöste Probleme, ist Aufgabe der Arbeit.

A. Der Aufsichtsrat als Zielgruppe strafrechtlicher Ermittlungen, Gerichtsverfahren und wissenschaftlicher Abhandlungen I. Die Aktiengesellschaft und ihre Organe (Überblick) Der Aufsichtsrat ist Organ der Aktiengesellschaft. Die Aktiengesellschaft als solche findet ihren Ursprung im Beginn der Neuzeit.2 Das heutige Aktiengesetz 1 Krause, NStZ 2011, 57, 60, linke Spalte oben. Schilha, S. 150 spricht von „sehr spärlicher Rechtsprechung und wissenschaftlicher Literatur“ in Bezug auf eine mögliche Überwachergarantenstellung. Ferner Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 564 und aus aktienrechtlicher Sicht Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 15, Rn. 101 „Diskussion zu diesem Thema steht noch am Anfang“. Vgl. auch Momsen, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, S. 81 speziell zur Verhinderung der Tat durch eine Strafanzeige. 2 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 26, II. 1. a); Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 25, Rn. 26, beide mit Historie und Entwicklung der AG.

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Kap. 1: Einführung in die Thematik

(AktG) geht auf die Aktienrechtsreform von 1965 zurück3, wobei auch die Vorläufer wesentliche Teile des heutigen Gesetzes entsprechend regelten.4 Seit 1965 hat es im Aktiengesetz eine Vielzahl von zum Teil wesentlichen Änderungen gegeben, auf die hier aber mangels Relevanz nicht näher eingegangen wird.5 Die Anzahl der Aktiengesellschaften hat sich im Laufe der Jahre ebenfalls gewandelt. Gab es 1925 noch etwa 13.000 Aktiengesellschaften, so waren es 1983 nur noch 2.120.6 Inzwischen ist die Zahl der Aktiengesellschaften wieder stark gestiegen und betrug im Jahr 2011 etwa 12.500.7 Die Aktiengesellschaft ist eine juristische Person mit eigener Rechtspersönlichkeit (§ 1 Abs. 1 AktG). Sie bedarf, um intern einen Willen bilden zu können und zu der Verwirklichung desselbigen nach außen,8 bestimmter Organe.9 Dies sind nach dem Aktiengesetz der Vorstand (§§ 76 ff. AktG), der Aufsichtsrat (§§ 95 ff. AktG) und die Hauptversammlung (§§ 118 ff. AktG). Es wird an dieser Stelle nicht auf das Verhältnis der Organe zueinander eingegangen, da dies wesentlicher Bestandteil der Diskussion in Kapitel 3 C. IV. 1. c) ist. Allerdings lassen sich schon dem Gesetzestext unterschiedliche Aufgaben entnehmen. So liegt die Leitung und Geschäftsführung der Gesellschaft bei dem Vorstand (§§ 76 Abs. 1, 77 AktG). Der Aufsichtsrat ist das Kontrollorgan des Vorstands10 und hat die Geschäftsführung zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG). Die Hauptversammlung dient der Ausübung der Rechte der Aktionäre (§ 118 Abs. 1 AktG). Die vorliegende Arbeit widmet sich also der eigenen Strafbarkeit der Mitglieder des Kontrollorgans (Aufsichtsrat) bei strafbaren Handlungen der Mitglieder des von ihm zu überwachenden Leitungsorgans (Vorstand), die das Kontrollorgan trotz Kenntnis geschehen lässt.

II. Strafrechtliche Dimension der Aufsichtsratstätigkeit Nicht erst seit der Wirtschaftskrise, die im Jahr 2008 ihren Ausgang genommen hat und sich nach einer kurzen Erholungsphase als Banken- und Staatsfinanzenkrise weiter fortsetzt, steht der Aufsichtsrat im Blickpunkt strafrechtlicher Verfahren.11 Höchstrichterliche Urteile gegen Aufsichtsräte sind etwa in den 3

Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 25, Rn. 31. Vgl. zur Entwicklung K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 26, II. 2.; Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 25, Rn. 26 ff. 5 Vgl. dazu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 26, II. 2. f) ff.; Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 25, Rn. 33 ff. 6 Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 25, Rn. 24, allerdings mit KGaA. 7 Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 25, Rn. 24, allerdings mit KGaA. 8 Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 25, Rn. 10. 9 Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 25, Rn. 10. 10 Andere Angestellte sind vom Aufsichtsrat nicht zu überwachen (streitig, vgl. unten Kapitel 1. B. II. 1.). 4

A. Der Aufsichtsrat als Zielgruppe strafrechtlicher Ermittlungen

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strafrechtlichen Fällen „SSV Reutlingen“ 12 (2001), „Mannesmann/Vodafone“ 13 (2005), „1. FC Kaiserslautern“14 (2006) und „Volkert/Gebauer“15 (2009) sowie in der (zivilrechtlichen) „ARAG/Garmenbeck“-Entscheidung16 (1997) ergangen. Diese Fälle widmen sich allerdings Verfehlungen, die mit der vorliegenden Konstellation nicht in einem näheren Zusammenhang stehen,17 sondern beziehen sich auf Fälle aktiven Tuns des Aufsichtsrats etwa bei Fragen der Vorstandsvergütung,18 bei Scheingeschäften mit der Folge einer Steuerhinterziehung19 oder durch Zuwendungen an Betriebsträte.20 Auch aktuell21 laufen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften: Etwa gegen ein Aufsichtsratsmitglied der Hess AG (wegen Beihilfe zu Bilanzmanipulation, Kapitalanlagebetrug und Insolvenzverschleppung)22 und mehrere Aufsichtsratsmitglieder der Nordzucker AG (dazu sogleich unten Kapitel 1 D. III.). Außerdem hat der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft inzwischen seinen sicheren Platz in der strafrechtlichen Literatur gefunden.23 Neben einer Vielzahl von Aufsätzen24 und Festschriftbeiträgen25, die sich dem Aufsichtsrat als straf11 Anders noch die Einschätzung im Jahr 1997 von Poseck, S. 18 f. Vgl. aber schon im Jahr 2000 Kau/Kukat, BB 2000, 1045 später (2003) dann Lüderssen, FS-Lampe, S. 727 und im Jahr 2009 Brammsen, ZIP 2009, 1504 („Die Aufsichtsratsuntreue ist binnen weniger Jahre von einer kaum existenten zu einer praktisch wie rechtstheoretisch aktuellen Thematik geworden“). Aktuell Mittelsdorf, ZIS 2011,123 („zahllose Ermittlungsverfahren gegen Aufsichtsräte“) und Krause, NStZ 2012, 57. 12 BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187 = NJW 2002, 1585 („SSV Reutlingen“). 13 BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = BGHSt 50, 331 = NJW 2006, 522 („Mannesmann/Vodafone“). 14 BGH, Urteil vom 07. 11. 2006 – 5 StR 164/06 = NStZ-RR 2007, 345 („1. FC Kaiserslautern“). 15 BGH, Urteil vom 17.09.2009 – 5 Str 521/08 = BGHSt 54, 148 = NJW 2010, 92 („Volkert/Gebauer“). 16 BGH, Urteil vom 21.04.1997 – II ZR 175/95 = BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926 („ARAG/Garmenbeck“). 17 Vgl. zum Fall BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187 = NJW 2002, 1585 („SSV Reutlingen“) aber die Ausführungen unter Kapitel 1 D. II. 18 BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = BGHSt 50, 331 = NJW 2006, 522 („Mannesmann/Vodafone“). 19 BGH, Urteil vom 7. 11. 2006 – 5 StR 164/06 = NStZ-RR 2007, 345 („1. FC Kaiserslautern“). 20 BGH, Urteil vom 17.09.2009 – 5 Str 521/08 = BGHSt 54, 148 = NJW 2010, 92 („Volkert/Gebauer“). 21 Stand April 2013. 22 Http://www.suedkurier.de/region/schwarzwald-baar-heuberg/villingen-schwennin gen/Maulwurf-und-weitere-Entlassungen-bei-der-Hess-AG;art372541,5952934, abgerufen am 09.04.2013. 23 Auch hier anders noch im Jahr 1997 Poseck, S. 18 f. 24 Etwa: Krause, NStZ 2011, 57 („Strafrechtliche Haftung des Aufsichtsrates“); Brammsen, ZIP 2009, 1504 („Aufsichtsratsuntreue“); Beukelmann, NJW-Spezial 2009,

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Kap. 1: Einführung in die Thematik

rechtliches Subjekt widmen, sind auch eine Reihe von Dissertationen26 erschienen, die sich speziell mit dem Aufsichtsrat als potentiellem Straftäter beschäftigen. Es ist festzustellen, dass sich der Aufsichtsrat heute stärker einer strafrechtlichen Verantwortung gegenüber sieht als es früher der Fall war.27 Dies mag an gestiegenen Ansprüchen an die inhaltliche Arbeit im Gremium liegen. Teilweise lässt sich dies auf den (vermeintlichen) Wunsch der Bevölkerung nach einer verstärkten Bestrafung von verfehlten Wirtschaftsentscheidungen zurückführen. Außer Frage steht, dass die in jüngerer Zeit vermehrte tatsächliche Bestrafung von Aufsichtsräten für verschiedene Verfehlungen der Forderung nach Ausweitung bzw. Eingrenzung der Strafbarkeit durch die Literatur Vorschub geleistet hat. In fast allen Fällen ging (und geht) es sowohl in der Praxis wie auch in der wissenschaftlichen Diskussion um den Tatbestand der Untreue: § 266 StGB. Diese Norm ist der Dreh- und Angelpunkt der Sanktionierung von individuellen und kollektiven (Fehl-)Entscheidungen, die zu Schäden am Gesellschaftsvermögen geführt haben.28 Auch in der vorliegenden Arbeit wird die Untreue nach § 266 StGB einen wesentlichen Teil der Ausführungen darstellen. Es verwundert dabei eigentlich nicht, dass der Aufsichtsrat in den Fokus der Strafrechtler geraten ist. Dort wo Verantwortung übernommen wird – die auch finanziell ausgeglichen wird29 und darüber hinaus mit gesellschaftlicher Anerkennung verbunden ist –, ist der Ruf nach Konsequenzen im Fall des Versagens immer eine zwangsläufige Folge. Unter bestimmten Umständen reicht dann der „freiwillige“ Rücktritt als erste Konsequenz nach dem Einsehen des eigenen Scheiterns nicht aus. Zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen das Aufsichtsratsmitglied können die Folge sein. Das Strafrecht soll dem allgemeinen ultima-ratio-Gedanken30 folgend nur dann zum Tragen kommen, wenn der Vor152 („Strafbarkeit des Aufsichtsrats“); Rönnau/Hohn, NStZ 2004, 113 („Die Festsetzung (zu) hoher Vorstandsvergütungen durch den Aufsichtsrat – ein Fall für den Staatsanwalt?“). 25 Etwa Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 563 ff. („Rechtspflicht des Aufsichtsrats zur Verhinderung unternehmensbezogener strafbarer Handlungen und Ordnungswidrigkeiten“); Leipold, FS-Mehle, S. 347 („Strafrechtlicher Pflichtenkatalog des Aufsichtsrats“); Lüderssen, FS-Lampe, S. 727 („Gesellschaftsrechtliche Grenzen der strafrechtlichen Haftung des Aufsichtsrats“); Tiedemann, FS-Tröndle, S. 319 („Untreue bei Interessenskonflikten“). 26 Poseck („Die strafrechtliche Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft“); Schilha („Die Aufsichtsratstätigkeit in der Aktiengesellschaft im Spiegel strafrechtlicher Verantwortung“); Zech („Untreue durch Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft“). 27 Krause, NStZ 2011, 57. 28 Ähnlich Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 2. 29 Vgl. Übersicht über Höhe der Gehälter auf http://www.spiegel.de/wirtschaft/un ternehmen/0,1518,794112,00.html; „Kontrollieren und Kassieren“, abgerufen am 09.04. 2013. 30 Vgl. dazu etwa Krey/Esser, Rn. 1 ff.; Lahti, FS-Hassemer, S. 439 ff.; Wessels/Beulke, Rn. 9.

B. Abgrenzung von möglichen anderen Konstellationen

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wurf und die Verfehlung so schwer sind, dass die Allgemeinheit ein Interesse an der Bestrafung des Aufsichtsratsmitglieds hat. Dies wurde und wird nach und nach für verschiedene Verfehlungen bejaht.31 Ob das scharfe Schwert des Strafrechts auch in der Konstellation gezückt werden muss, wenn der Aufsichtsrat Straftaten des Vorstands trotz Kenntnis nicht verhindert, ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

B. Abgrenzung von möglichen anderen Konstellationen, Benennung und Kategorisierung denkbarer Vorstandsstraftaten Untersucht wird ausschließlich eine Unterlassensstrafbarkeit des Aufsichtsrats, wenn die Begehung einer Straftat durch den Vorstand bevorsteht oder andauert. Zunächst ist die Konstellation herauszuarbeiten, die den Weg zu der Unterlassensstrafbarkeit in dem Fall der Nichtverhinderung einer Straftat eröffnet. Es ist hierbei eine Abgrenzung zu anderen, doch ähnlichen Konstellationen und zu Strafbarkeiten durch aktives Tun notwendig, I. Danach werden mögliche Vorstandsstraftaten vorgestellt und kategorisiert, II.

I. Abgrenzung von möglichen anderen Konstellationen 1. Konkrete Straftat des Vorstands als Anknüpfungs- und Bezugspunkt Vorwurf ist in der vorliegenden Konstellation die Nichtabwendung einer konkreten Straftat, trotz des Wissens um ihre Begehung. Es gibt in der aktuellen Debatte um die Strafbarkeit des Aufsichtsrats drei ähnliche Konstellationen, die klar von der Vorliegenden abzugrenzen sind. Sie werden hier genannt, um Missverständnissen und Verwechslungen vorzubeugen. a) Untreue gem. § 266 StGB durch die unterlassene Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen Dies sind zunächst solche Fälle, in denen sich der Vorstand pflichtwidrig verhalten hat und Schadensersatzansprüche ausgelöst hat, die der Gesellschaft gegen ihn zustehen. Dieses pflichtwidrige Verhalten kann auch eine Straftat sein. Unterlässt der Aufsichtsrat, dem die Pflicht zukommt solche Ansprüche im Namen der Gesellschaft zu erheben, die Geltendmachung der Ansprüche, so steht der Vorwurf der Untreue gemäß § 266 StGB im Raum.32 Hier ist der Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit die unterlassene Geltendmachung der Schadensersatzansprüche. 31 32

Fn. 12–16. Vgl. nur Fischer, StGB, § 266 Rn. 106; Helmrich/Eidam, ZIP 2011, 257.

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Kap. 1: Einführung in die Thematik

Nicht aber die (eventuell) begangene Straftat des Vorstands. Der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit des Aufsichtsrats trifft ihn also hier nach der begangenen Straftat in Bezug auf finanzielle Folgen, in dem Sinne einer unterlassenen Vermögensmehrung des Gesellschaftsvermögens. b) Untreue gem. § 266 StGB durch die unterlassene Einrichtung eines „Compliancesystems“ Dann gibt es noch die Fälle, in denen der Aufsichtsrat es unterlässt ein Abwehrsystem (Compliancesystem) zu installieren, das helfen soll Straftaten aufzudecken bzw. zu verhindern. Auch hier soll sich der Aufsichtsrat, nach Meinung einiger Literaturstimmen, der Untreue strafbar machen können, wenn es zu Straftaten kommt.33 Bezugspunkt ist in diesem Fall aber nicht eine konkrete Straftat. Der Vorwurf zielt vielmehr auf die unterlassene abstrakte präventive Maßnahme der Installation eines Compliancesystems ab. c) Aufklärungspflicht des Aufsichtsrats bei Verdacht der Begehung von Straftaten Teilweise wird im Schrifttum diskutiert, ob den Aufsichtsrat eine Pflicht zur Aufklärung von Straftaten trifft, wenn er von Verdachtsmomenten Kenntnis erlangt, die auf das Vorliegen einer Straftat schließen lassen.34 In der vorliegenden Arbeit geht es aber nicht um die Aufklärung, sondern um die Verhinderung konkreter Straftaten. Während die Aufklärungspflicht die Ermittlung einer bereits begangenen Straftat beinhaltet, wird hier untersucht, welche Handlung (nach erfolgter Aufklärung, gegebenenfalls durch die „Compliance-Abteilung“ der Gesellschaft) von dem Aufsichtsrat erwartet wird, wenn deutlich ist, dass eine Straftat begangen werden wird. d) Zusammenfassung Anders als in den genannten drei ähnlichen Fragen, geht es demgegenüber in der hier untersuchten Konstellation nur um eine konkrete Straftat, die noch nicht vollendet ist, von deren Vorhaben aber der Aufsichtsrat vor der Begehung bereits Kenntnis erlangt hat. Untersucht wird daher eine präventive Pflicht des Aufsichtsrats für die Verhinderung der konkreten Straftat.

33 Mosiek, wistra 2003, 370, 374 f.; Preussner/Pananis, BKR 2004, 347, 354 f. Vgl. aber auch Helmrich, NZG 2011, 1252, 1255, der Zweifel hat, ob überhaupt ein Vermögensschaden vorliegt und Theile, wistra 2010, 457 der schon eine Pflichtverletzung verneint. Offengelassen von Ransiek, AG 2010, 147, 148. 34 Dafür etwa Tiedemann, FS-Tröndle, S. 319, 321; Hopt/Roth, in: GroßkommentarAktG, § 111, Rn. 240, beide m.w. N. zur Gegenmeinung.

B. Abgrenzung von möglichen anderen Konstellationen

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2. Abgrenzung zu Anstiftung und Beihilfe durch aktives Tun Ferner gibt es Konstellationen, in denen statt Unterlassen der Vorwurf aktiven Tuns in der Form von Anstiftung (§ 26 StGB) und Beihilfe (§ 27 StGB) im Raum steht.35 Auch dies ist nicht Gegenstand der Arbeit. Hat der Aufsichtsrat den Vorstand zu dem entsprechenden (strafbaren) Verhalten gedrängt, kommt wohl in der Regel eine Anstiftungsstrafbarkeit in Betracht. Hat der Aufsichtsrat durch eine Beratung (etc.) dem Vorstand sein Wohlwollen ausgesprochen, ist psychische Beihilfe36 denkbar. In beiden Konstellationen ist der Weg zu einer Unterlassensstrafbarkeit gesperrt. Diese Konstellationen sind nicht Gegenstand der Arbeit. Stattdessen wird hier lediglich folgendes Verhalten des Aufsichtsrats untersucht: Erstens, der Aufsichtsrat beanstandet das Vorhaben des Vorstands, leitet aber keine weiteren Maßnahmen ein. Zweitens, der Aufsichtsrat erfährt auf anderem Wege als von dem Vorstand (dies kann auch durch die „Compliance“-Abteilung erfolgen) direkt von dem geplanten (strafbaren) Verhalten, schreitet aber nicht ein. Nur hier stellt sich die Frage, ob der Aufsichtsrat eine strafrechtliche Pflicht zur Erfolgsabwendung verletzt hat, wenn es tatsächlich zu einer Straftat durch den Vorstand gekommen ist.

II. Denkbare Straftaten des Vorstands und Kategorisierung Anknüpfungs- und Bezugspunkt der möglichen Strafbarkeit des Aufsichtsrats ist eine konkrete Straftat, die der Vorstand (1.) begehen will. Hier kommt eine Vielzahl von Straftaten in Betracht, 2. Diese möglichen Straftaten gilt es, unter anderem aus Gründen der Übersichtlichkeit, zu kategorisieren, 3. 1. Vorstand als Anknüpfungs- und Bezugspunkt einer Aufsichtsratsstrafbarkeit Aufgabe des Aufsichtsrats ist die Überwachung der Geschäftsführung (§ 111 Abs. 1 AktG). Die Geschäftsführung obliegt, ebenso wie die Geschäftsleitung (§ 76 Abs. 1 AktG), dem Vorstand (§ 77 Abs. 1 AktG). Bezugspunkt der Überwachungstätigkeit ist daher die Vorstandstätigkeit. Dennoch ist umstritten, ob auch Angestellte der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats unterfallen, wenn diese sogenannte Führungsentscheidungen treffen. Unter Hinweis auf den Wortlaut des § 111 Abs. 1 AktG, der sich nicht auf den Vorstand beschränkt, wird die Überwa-

35 Auch kurz angesprochen bei Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 565 f.; Krause, NStZ 2011, 57, 61 und Poseck, S. 101. 36 Vgl. zur „psychischen“ Beihilfe Fischer, StGB, § 27, Rn. 9 ff.; Krey/Esser, Rn. 1072 ff.; Wessels/Beulke, Rn. 581.

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Kap. 1: Einführung in die Thematik

chungsaufgabe auch auf Angestellte erweitert.37 Hierbei besteht allerdings die Gefahr, dass sich der Vorstand entpflichtet fühlt, da er dann gegebenenfalls seiner eigenen Kontrollpflicht gegenüber Angestellten nur verhalten nachkommen könnte.38 Um die klare Hierarchie in der Gesellschaft zu wahren und dem gesetzgeberischen Willen Rechnung zu tragen, der im Vergleich zu der Rechtslage vor 1937 die Reichweite der Überwachung eingeschränkt hat,39 ist eine restriktive Handhabung der Vorschrift des § 111 Abs. 1 AktG geboten. Da die §§ 76 Abs. 1, 77 Abs. 1 AktG den Vorstand als Geschäftsführungs- und Leitungsorgan nennen, kann nach der gesetzgeberischen Wertung grundsätzlich keine Kontrollpflicht40 bezüglich nachgeordneter Angestellter durch den Aufsichtsrat bestehen. Es mag allerdings auch Sonderkonstellationen geben, in denen diese Pflicht auch in Bezug auf Angestellte bestehen kann.41 Jedenfalls bleibt in der vorliegenden Arbeit einzig der Vorstand Bezugspunkt einer möglichen Aufsichtsratsstrafbarkeit. Dies hängt, neben dem eben Ausgeführten, auch damit zusammen, dass sich alle rechtlichen Instrumente des Aufsichtsrats zur Einwirkung ausschließlich auf den Vorstand beziehen. Straftaten von Angestellten kann der Aufsichtsrat nicht verhindern42 [vgl. aber auch die Sonderkonstellation, bei der sich der Vorstand durch Unterlassen an einer Angestelltenstraftat strafbar macht, Kapitel 3 E. I. 1. a) bzw. c) bb)]. 2. Mögliche Vorstandsstraftaten Denkbar ist eine ganze Bandbreite verschiedener Straftaten des Vorstands. Dies betrifft zunächst Straftaten des Vorstands, die speziell das Gesellschaftsvermögen betreffen. Einerseits ist hier an unmittelbar schadende Straftaten, wie zum Beispiel eine Untreue des Vorstands zu Lasten der Gesellschaft oder Betrügereien, etwa bei Reisekostenabrechnungen, zu denken. Andererseits kommen auch 37 Hüffer, AktG, § 111, Rn. 3, m.w. N.; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 9. Die beide BGH, Urteil vom 12.07.1979 – III ZR 154/77 = BGHZ 75, 120 = NJW 1979, 1879 zitieren. Hier bemüht der BGH aber reichsgerichtliche Rechtsprechung, die sich auf die Vorgängervorschrift von § 111 Abs. 1 AktG bezieht. § 111 Abs. 1 AktG a. F. sprach aber von einer Überwachung „aller Zweige der Verwaltung“ (BGHZ 120, 133 = NJW 1979, 1879, 1881 f.). Die Aussage des BGH und der Verweis auf die alte Rechtsprechung ist daher inhaltlich falsch, da sie die Streichung der Passage „alle Zweige der Verwaltung“ in § 111 Abs. 1 AktG nicht berücksichtig. Insoweit vermag weder das BGH-Urteil, noch der Verweis auf das Urteil durch die Literatur zu überzeugen. 38 Lutter/Krieger, Rn. 69, m.w. N.; Michaelsen, S. 121. Ähnlich Habersack, in: MüKo-AktG § 111, Rn. 21, 25. 39 Vgl. dazu etwa Lutter/Krieger, Rn. 63; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 4. 40 Selbstverständlich darf der Aufsichtsrat Angestellte konsultieren, um seiner Überwachungsaufgabe bzgl. des Vorstands nachkommen zu können, vgl. Habersack, in: MüKo-AktG, § 111, Rn. 21, 68 f. 41 Beispiele bei Habersack, in: MüKo-AktG, § 111, Rn. 21. 42 Vgl. dazu unten Kapitel 2 C. II. 6.

B. Abgrenzung von möglichen anderen Konstellationen

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mittelbar schadende Straftaten in Betracht, wie beispielsweise Steuerhinterziehungen, die Strafzahlungen der Gesellschaft nach sich ziehen, oder Korruptionsdelikte, die Schadensersatzforderungen gegen die Gesellschaft zur Folge haben und dann so das Gesellschaftsvermögen mindern. Denkbar sind dabei auch Straftaten des Vorstands gegenüber Dritten. Möglich sind etwa Körperverletzungen bei einem geschäftlichen Treffen (Beispiel: Etwa aus Bosheit über eine Verweigerung eines Kredits will das Vorstandsmitglied A der B-AG den Bankier C mit einem Aktenordner schlagen. Aufsichtsratsmitglied D steht dazwischen und könnte eingreifen) oder im privaten Bereich (etwa auf einer privaten Feier). Aber auch Körperverletzungen und Tötungen, etwa als Folge fehlerhafter Produkte, kommen in Betracht. Ferner ist an geplante Betrügereien zu Lasten von Geschäftspartnern zu denken (zum Beispiel werden Geschäftsgebaren, die den Betrugstatbestand erfüllen, dem Aufsichtsrat auf einer Sitzung als zukünftige Geschäftspraxis erläutert). Auch im letzten Fall kann man an geplante Taten im privaten Bereich denken (Beispiel: Ein Vorstandsmitglied beschreibt auf einer privaten Feier ein betrügerisches Vorhaben bei einem Grundstücksverkauf). Weiterhin kommen Straftaten zu Lasten der Allgemeinheit, der Aktionäre oder der Gesellschaft als solcher in Betracht (im letzten Fall könnte es sich etwa um eine Beleidigung der eigenen Gesellschaft oder an Geheimnisverrat handeln). 3. Kategorisierung von konkreten Vorstandsstraftaten Die folgende Kategorisierung der eben angesprochenen Straftaten trägt zunächst zu einer besseren Übersicht bei, denn es muss verschiedentlich auf die zugrundeliegenden Vorstandsstraftaten Bezug genommen werden. Sind diese einmal kategorisiert, lässt sich leichter und vor allem klarer argumentieren, ohne dass jedes Mal erneut auf einzelne Straftaten gesondert Bezug genommen werden muss. Bisher wurde bei Abhandlungen zu dem vorliegenden Thema eine entsprechende Kategorisierung nicht vorgenommen.43 Das hat zur Folge, dass die Strafbarkeit des Aufsichtsrats bisher bloß abstrakt, aber nicht konkret thematisiert wird.44 Die folgende Kategorisierung soll die Grundlage einer konkreten Untersuchung der Aufsichtsratsstrafbarkeit bei Vorstandsstraftaten darstellen. Im Spannungsfeld von Vorstandshandeln und Aufsichtsratsveranwortlichkeit geht es oftmals um das Wohl der Gesellschaft, insbesondere um das Vermögen als Bezugspunkt des Handelns. Die Kategorisierung der denkbaren Vorstandsstraftaten erfolgt daher ebenfalls anhand der Gefährdung, bzw. Verletzung des Unternehmens und des Vermögens durch die Straftat. Hierbei ist aber nicht nur auf die rechtliche Gefährdung bzw. Verletzung der Gesellschaft/des Vermögens, sondern auch auf die faktische Wirkung abzustellen. Dies hat, wie sich an ver43 44

Vgl. zu den bisherigen Literaturauseinandersetzungen zum Thema Kapitel 1 E. Vgl. dazu näher unten Kapitel 1 E. IV. 4.

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Kap. 1: Einführung in die Thematik

schiedenen Stellen der Arbeit zeigen wird, inhaltliche Vorteile. Die Einteilung der Delikte in Kategorien soll allerdings keine Vorwegnahme der Diskussion sein, ob für das einzelne Delikt in der jeweiligen Kategorie eine Abwendungspflicht besteht, also eine Unterlassensstrafbarkeit des Aufsichtsrats möglich ist. Dies muss (prinzipiell) für jedes Delikt der jeweiligen Kategorie einzeln geprüft werden.45 Es werden vor diesem Hintergrund folgende Kategorien gebildet: a) Kategorie A: Straftaten, die keinen Gesellschafts/-Vermögensbezug aufweisen Der ersten Kategorie unterfallen alle Straftaten, die keinen Bezug zu der Gesellschaft und ihrem Vermögen aufweisen. Dies sind alle Straftaten, die das Vorstandsmitglied als „Privater“ begeht. Also etwa der Mord gemäß § 211 StGB an dem Ehegatten oder Lebenspartner. Oder etwa Betrügereien gemäß § 263 StGB im privaten Bereich, zum Beispiel bei dem oben angeführten Grundstücksverkauf. Diese Liste lässt sich beliebig erweitern, etwa um Brandstiftungsdelikte (§§ 306 ff. StGB) oder Verfehlungen des Vorstandsmitglieds aus dem Bundesjagdgesetz (§ 38 BJagdG). Prinzipiell kommen alle Straftaten des StGB sowie des Nebenstrafrechts in Betracht. Allen Straftaten dieser Kategorie ist gemein, dass sie keinen Bezug zu der Gesellschaft und ihrem Vermögen aufweisen. b) Kategorie B: Straftaten, die mittelbar zu Schäden der Gesellschaft und ihres Vermögens führen (können) In der zweiten Kategorie finden sich die Straftaten, die mittelbar, aber nicht unmittelbar zu Schäden der Gesellschaft und ihres Vermögens führen können, diese also nicht zwingende Folge der Tat sind. Dies umfasst etwa Körperverletzungsdelikte oder Tötungsdelikte des Vorstands, die dieser im Zusammenhang mit der Gesellschaftstätigkeit begeht und die eventuell Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft nach sich ziehen können. Das ist etwa bei fehlerhaften Produkten der Fall. Ob Schadensersatzansprüche auch bei der oben beschriebenen Körperverletzung des Bankiers entstehen, ist eine Frage des Zivilrechts. Weiterhin können dies Straftaten zu Lasten Dritter, wie etwa Betrügereien gemäß § 263 StGB sein, die der Vorstand in seiner Funktion als Vorstandsmitglied begeht und die im Fall einer Aufdeckung Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft zur Folge haben können. In diese Kategorie fällt auch eine aktive Bestechung eines Geschäftspartners durch den Vorstand gemäß § 299 Abs. 2 StGB. Die Bestechung selbst führt zu keinem unmittelbaren Nachteil der Gesellschaft, wenn hierdurch die vertragliche Gegen-

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Dies geschieht in Kapitel 3 E. (insb. IV.).

B. Abgrenzung von möglichen anderen Konstellationen

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leistung günstiger als unter normalen Umständen möglich erlangt wird. Die Gesellschaft hätte also zunächst einen Vermögensvorteil aus der aktiven Bestechung. Allerdings können einer Aufdeckung des Sachverhalts Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft oder Geldbußen folgen. Ferner erfasst die Kategorie B Steuerhinterziehungen gemäß § 370 AO durch den Vorstand. Diese führen zunächst dazu, dass das Vermögen bei der Gesellschaft verbleibt. Kommt es zu der Aufdeckung der Tat, hat dies zunächst die Pflicht zur Nachzahlung und evtl. auch eine Strafzahlung der Gesellschaft zur Folge.46 Die Straftaten dieser Kategorie haben also bei Begehung noch keinen Schaden der Gesellschaft verursacht. Dieser mag zwar bei Begehung „angelegt“ und deswegen mittelbare Folge der Straftat sein, doch ist sein Eintritt an Bedingungen geknüpft, die prinzipiell dem zufälligen Umstand der Aufklärung der Straftat und der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen bzw. der Verhängung von Sanktionen unterliegen. c) Kategorie C: Straftaten, die sich unmittelbar gegen die Rechtsgüter der Gesellschaft richten bzw. zu unmittelbaren Schäden des Gesellschaftsvermögens führen Die letzte Kategorie erfasst Straftaten, die unmittelbar mit Begehung zu einer rechtlichen und/oder faktischen Schädigung der Gesellschaft oder ihres Vermögens führen. Hierbei ist aus Gründen der Übersichtlichkeit zwischen Straftaten gegen die Rechtsgüter der Gesellschaft (Unterkategorie I) und speziell solchen gegen ihr Vermögen (Unterkategorie II) zu differenzieren. aa) Unterkategorie I: Straftaten, die sich unmittelbar gegen die Rechtsgüter der Gesellschaft richten Zunächst gibt es Straftaten, die sich gegen allgemeine Rechtsgüter der Gesellschaft richten, also nicht gegen das Gesellschaftsvermögen und Letzteres auch nicht (unmittelbar) tangieren. Dies ist etwa bei Straftaten der Fall, die den Schutz von Betriebsgeheimnissen bezwecken. Der allgemeinere § 17 UWG (Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen) schützt den Geheimnisbereich des Unternehmens vor einem unredlichen Eingriff.47 Der speziellere § 404 AktG (Verletzung der Geheimhaltungspflicht), der als taugliche Täter nur den Vorstand, den Aufsichtsrat und Abwickler benennt, schützt nach allgemeiner Meinung jedenfalls die Interessen der 46

Vgl. für Sanktionsnormen, die die AG adressieren unten, Kapitel 2 C. III. 3. d) ee)

(2). 47 BGH, Urteil vom 24.11.1959 – 1 StR 439/59 = BGHSt 13, 333 = NJW 1960, 207; Diemer, in: Erbs/Kohlhaas, UWG § 17, Rn. 2.

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Kap. 1: Einführung in die Thematik

Gesellschaft an der Bewahrung der Geheimnisse des Unternehmens.48 § 333 HGB (Verletzung der Geheimhaltungspflicht) gilt nur für Abschlussprüfer und ihre Gehilfen und kann deswegen unberücksichtigt bleiben. Auch andere nebenstrafrechtliche Vorschriften des Aktienrechts haben den Schutz der Gesellschaft im Blick: § 400 AktG (Unrichtige Darstellung)49, § 401 AktG (Pflichtverletzung bei Verlust, Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit)50 und § 402 AktG (Falsche Ausstellung von Berechtigungsnachweisen)51 schützen die Gesellschaft. Im Kernstrafrecht kommen insbesondere die Eigentumsdelikte in Betracht. Zwar betreffen diese in der Regel auch das Vermögen der Gesellschaft, wenn sie zu ihrem Nachteil begangen werden und der betroffene Gegenstand einen wirtschaftlichen Wert hat.52 Allerdings ist dies eine faktische Wirkung. Daher können die Eigentumsdelikte aber auch zu einem Vermögensnachteil i. S. d. Untreue gem. Kapitel 2 führen, vgl. Kapitel 2 C. III. 4. b) bb). Rechtlich gesehen betreffen sie zunächst bloß die Eigentumsstellung. Das Eigentum wird von §§ 242 ff.53 (Diebstahl), 24654 (Unterschlagung), 249 ff.55 (Raub), 303 ff.56 (Sachbeschädigung) und 30657 StGB (Brandstiftung) geschützt. Ferner kommen die Beleidigungsdelikte der §§ 185 ff. StGB in Betracht. Diese schützen nicht die Aktiengesellschaft als solche, aber die „Ehre“ des Beleidi48 Kiethe/Hohmann, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 404 AktG, Rn. 2; Schaal, in: MüKo-AktG, § 404, Rn. 3; m.w. N. zur Meinung, die zusätzlich die Interessen der Aktionäre geschützt sehen will. Da jedenfalls auch die Gesellschaft als solche geschützt ist, kann der Streit um die Einbeziehung der Aktionäre hier offenbleiben. 49 Kiethe/Hohmann, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 400 AktG, Rn. 2; Schaal, in: MüKo-AktG, § 400, Rn. 2 f. 50 Schaal, in: MüKo-AktG, § 401, Rn. 6 f. Etwa andere Akzentuierung, aber im Ergebnis gleich, bei Kiethe/Hohmann, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 401 AktG, Rn. 3 („Vermögensinteressen der Gesellschaft“). 51 Kiethe/Hohmann, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 402 AktG, Rn. 1; Schaal, in: MüKo-AktG, § 402, Rn. 4. 52 Dazu Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf-Heinrich, § 11, Rn. 5. 53 Fischer, StGB, § 242, Rn. 2; Kretschmer, in: AnwK-StGB, § 242, Rn. 3; Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 242, Rn. 3; Matt/Renzikowski/Schmidt, § 242, Rn. 1; Wittig, in: BK-StGB, § 242, Rn. 2. 54 Fischer, StGB, § 246, Rn. 2; Kretschmer, in: AnwK-StGB, § 246, Rn. 1; Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 246, Rn. 2; Matt/Renzikowski/Schmidt, § 246, Rn. 1; Wittig, in: BK-StGB, § 246, Rn. 1. 55 Hier wird gleichzeitig das Eigentum und die freie Willensbetätigung und -entschließung geschützt. Habetha, in: AnwK-StGB, § 249, Rn. 1; Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 249, Rn. 1; Matt/Renzikowski/Maier, § 249, Rn. 1; Wittig, in: BK-StGB, § 249, Rn. 1. 56 Matt/Renzikowski/Altenhain, § 303, Rn. 1; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 303, Rn. 1; Weidemann, in: BK-StGB, § 303, Rn. 3. 57 Fischer, StGB, § 306, Rn. 1; Wolters, in: S/S/W-StGB, § 306, Rn. 1. Anders etwa Matt/Renzikowski/Dietmeier, § 306, Rn. 1 und Norouzi, in: BK-StGB, § 306, Rn. 3 (Eigentum und abstrakte Gemeingefährlichkeit).

B. Abgrenzung von möglichen anderen Konstellationen

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gungsopfers. Fraglich und umstritten ist aber, ob „Personengemeinschaften“ 58, also auch Kapitalgesellschaften wie die hier betroffene Aktiengesellschaft, Opfer von Beleidigungsdelikten sein können.59 Die ablehnende Meinung versteht den Ehrbegriff personal im engen Sinne. Sie setzt ein Subjekt voraus, das sich selbst erfahren können muss und sich über die Anerkennung mit anderen Subjekten in ein Verhältnis setzen können soll.60 Dieser Ansatz wird allerdings zurecht von einem anderen Teil der Lehre und der Rechtsprechung als zu eng angesehen. Zum einen werden bei einer engen Interpretation des Ehrbegriffs der kommunikative und auch der soziale Aspekt ungenügend berücksichtigt.61 Zum anderen wird zusätzlich mit Strafbarkeitslücken argumentiert.62 Der Unterkategorie I unterfallen daher folgende Straftaten: § 17 UWG (Verletzung der Geheimhaltungspflicht), § 400 AktG (Unrichtige Darstellung), § 401 AktG (Pflichtverletzung bei Verlust, Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit), § 402 AktG (Falsche Ausstellung von Berechtigungsnachweisen), § 404 AktG (Verletzung der Geheimhaltungspflicht) sowie §§ 185 ff. StGB (Beleidigung) und §§ 242 ff. StGB (Diebstahl), § 246 StGB (Unterschlagung), §§ 249 ff. StGB (Raub), §§ 303 ff. StGB (Sachbeschädigung) und § 306 StGB (Brandstiftung). bb) Unterkategorie II: Straftaten, die unmittelbar zu Schäden des Gesellschaftsvermögens führen Dieser Kategorie unterfallen die Straftaten, die durch ihre Begehung das Vermögen der Gesellschaft rechtlich und faktisch unmittelbar mindern. (1) Rechtlicher Schutz des Gesellschaftsvermögens Dies sind zunächst alle Straftaten, die sich gegen das Unternehmen richten und bei denen (rechtlich) geschütztes Gut das Vermögen des Geschädigten ist. Dies ist bei § 253 StGB63 (Erpressung), § 263 StGB64 (Betrug), § 263a StGB65 (Computerbetrug) und § 266 StGB66 (Untreue) jeweils (zumindest auch) der Fall. 58 Dies umfasst zunächst rein begrifflich auch Kapitalgesellschaften, da mit „Personengemeinschaft“ nur die Möglichkeit der Beleidigung von Kollektiven gemeint ist, vgl. Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759. 59 Gute Streitübersicht bei Lenckner/Einsele, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 185 ff., Rn. 3. 60 Etwa Fischer, StGB, Vor § 185, Rn. 12a; Matt/Renzikowski/Gaede, Vor §§ 185 ff., Rn. 19; Zaczyk, in: NK-StGB, Vor §§ 185–200, Rn. 12, jeweils m.w. N. 61 BGH, Urteil vom 8.01.1954 – 1 StR 260/53 = BGHSt 6, 186 ff. = NJW 1954, 1412; Sinn, in: S/S/W-StGB, Vor §§ 185 ff., Rn. 14. 62 Lenckner/Einsele, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 185 ff., Rn. 3. 63 Die Erpressung schützt hinsichtlich des Erfolgsunrechts das Vermögen, bezüglich des Handlungsunrechts die Willensfreiheit, vgl. Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 253, Rn. 1; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 253, Rn. 2. 64 Jedenfalls ist das Vermögen geschütztes Rechtsgut des § 263 StGB, vgl. nur Satzger, in: S/S/W-StGB, § 263, Rn. 7; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 263, Rn. 10 ff. Ob da-

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Kap. 1: Einführung in die Thematik

Nicht ganz eindeutig ist dies bei § 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr). Wobei hier nur eine (passive) Bestechlichkeit im Sinne des § 299 Abs. 1 StGB in Frage kommt [vgl. für die (aktive) Bestechung Kapitel 1 B. II. 3. b)]. Teilweise wird § 299 StGB als Vermögensdelikt eingeordnet. Da § 299 StGB aber nicht den Nachweis eines konkreten Vermögensschadens voraussetzt, wird das Delikt von diesen Stimmen konsequenterweise als bloß abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt aufgefasst.67 Überwiegend wird der „freie Wettbewerb“ als von § 299 StGB geschütztes Gut angesehen, die Vermögensinteressen des Geschäftsherrn sind dabei (nur) mittelbar geschützt.68 Richtig ist zunächst, dass mangels der Notwendigkeit eines Vermögensschadens nicht von einem konkreten Vermögensdelikt ausgegangen wird.69 Da dann als rechtlich geschützt bloß das Vermögen in abstrakter Weise übrig bleibt (sei es mittelbar oder primär, siehe oben), kann es auch passive Bestechungsfälle geben, in denen eine Bevorzugung nicht zu einem Vermögensnachteil des Geschäftsherrn führt. Hier ist im Einzelfall, trotz Vorliegen einer Straftat nach § 299 Abs. 1 StGB zu prüfen, ob ein Schaden entstanden ist. Mangels rechtlichen Schutzes des (konkreten) Vermögens kann § 299 Abs. 1 StGB nur über die faktische Vermögensverletzung, dazu sogleich, einbezogen werden. (2) Faktischer Schutz des Gesellschaftsvermögens Über Straftaten hinaus, die bereits rechtlich das Vermögen schützen, gibt es auch Straftaten, die nicht das Vermögen der Aktiengesellschaft schützen wollen, deren Begehung aber regelmäßig faktisch das Vermögen der Aktiengesellschaft betrifft und mindert. Zunächst § 283 Abs. 2 StGB (Bankrott): Hier ist das geschützte Rechtsgut jedenfalls nicht das Unternehmensvermögen.70 Aber es liegt auf der Hand, dass

neben auch die „Dispositionsfreiheit“, „Treu und Glauben“ im Geschäftsverkehr, „fremdes Vertrauen“ oder das „Recht auf Wahrheit“ erfasst sind, ist zweifelhaft, aber umstritten (ein guter Überblick bei Kindhäuser, in: NK-StGB, § 263, Rn. 12 ff.). Da aber in jedem Fall mindestens auch das Vermögen als geschützt gilt, wird hier nicht weiter auf den Streit eingegangen. 65 Auch hier ist das Vermögen geschütztes Rechtsgut, vgl. Fischer, StGB, § 263a, Rn. 2 m.w. N. Ob daneben auch andere Rechtsgüter und Interessen geschützt sind (vgl. dazu Fischer, a. a. O.), kann wie bei § 263 StGB, vgl. Fn. 64 hier offenbleiben. 66 § 266 StGB schützt ausschließlich das Vermögen, vgl. Kapitel 2 C. I. 3. a). 67 Maurach/Schroeder/Maiwald, StGB-BT II, § 68, Rn. 2. 68 Etwa Fischer, StGB, § 299, Rn. 2; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 299, Rn. 1; Heine, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 298 ff., Rn. 2, jeweils m.w. N. Umfassend Dannecker, in: NK-StGB, § 299, Rn. 4 ff. 69 In diese Richtung tendiert aber Walter, wistra 2001, 321, 323 f., was sich aber wohl primär auf § 299 Abs. 2 StGB bezieht. 70 Beukelmann, in: BK-StGB, § 283, Rn. 1; Fischer, StGB, Vor § 283, Rn. 3.

C. Eigene Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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solche, wie in § 283 Abs. 1 StGB bezeichneten Handlungen, die eine Krise im Unternehmen herbeiführen können, regelmäßig das Gesellschaftsvermögen unmittelbar angreifen. Gleiches gilt für § 299 Abs. 1 StGB (Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr): Geschütztes Rechtsgut ist hier nach überwiegender Ansicht der freie Wettbewerb.71 Die Bevorzugung im geschäftlichen Verkehr setzt im Rahmen des § 299 Abs. 1 StGB keinen Vermögensnachteil voraus.72 Für § 299 Abs. 1 StGB ergibt sich, dass die Begehung der Tat das Vermögen der Gesellschaft faktisch mindern kann (auch wenn dies nicht immer der Fall ist). Ob die Tat tatsächlich zu einer Minderung des Gesellschaftsvermögens führt, muss jedoch im Einzelfall gesondert untersucht werden. (3) Ergebnis für Unterkategorie II Der Unterkategorie II unterfallen folgende Delikte: § 263 StGB (Betrug), § 263a StGB (Computerbetrug), § 266 StGB (Untreue), § 283 Abs. 2 StGB (Bankrott) und § 299 Abs. 1 StGB (Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr). d) Zusammenfassung Straftaten der Kategorie A sind alle privaten Straftaten des Vorstands, die nicht in einem Zusammenhang mit der Gesellschaft stehen. Straftaten der Kategorie B sind alle Straftaten, die mittelbar zu Schäden der Gesellschaft führen können. Straftaten der Kategorie C sind alle Straftaten, die die Gesellschaft selbst (Unterkategorie I: § 17 UWG, §§ 400, 401, 402, 404 AktG sowie §§ 185 ff. StGB und §§ 242 ff., 246, 249 ff., 303 ff., 306 StGB) oder das Gesellschaftsvermögen unmittelbar selbst treffen (§§ 263, 263a, 266, 283 Abs. 2, 299 Abs. 1, StGB).

C. Eigene Strafbarkeit des Aufsichtsrats Bisher wurden die denkbaren Straftaten des Vorstands vorgestellt und kategorisiert. Wie aber könnte sich der Aufsichtsrat strafbar machen, wenn er es unterlässt die Vorstandsstraftat abzuwenden? Hier gibt es prinzipiell zwei (verschiedene) Ansatzpunkte.

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Vgl. Kapitel 1 B. II. 3. c) bb) (1). Zutreffend Fischer, StGB, § 299, Rn. 21: „Auf einen weitergehenden Erfolg der Tat kommt es nicht an“. 72

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Kap. 1: Einführung in die Thematik

I. Untreue, § 266 StGB Hier kommt zunächst einmal eine eigene, täterschaftliche Untreue gemäß § 266 StGB in der Begehungsform des Unterlassens73 in Betracht. Vorwurf ist hier pflichtwidriges Verhalten im Sinne des Aktienrechts und ein daraus entstehender Nachteil für das betreute Gesellschaftsvermögen. Bezugspunkt dieses Ansatzes ist damit ein Verstoß gegen eine aktienrechtliche Verhaltenspflicht durch das Nichtverhindern der Straftat. Die konkret begangene Vorstandsstraftat wäre aber als solche nicht Anknüpfungspunkt der Pflichtwidrigkeit und damit der Aufsichtsratsstrafbarkeit im Rahmen dieses Delikts. Unabhängig von dem Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der Vorstandsstraftat bei dem Aufsichtsrat wäre dieser immer gemäß § 266 StGB zu bestrafen, sofern die dortigen Voraussetzungen erfüllt sind.74

II. Strafbarkeit nach konkretem Vorstandsdelikt in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB Weiterhin ließe sich auch die konkret begangene Straftat des Vorstands als Anknüpfungspunkt einer eigenen Strafbarkeit des Aufsichtsratsmitglieds wählen. Der Aufsichtsrat wäre Beteiligter an der Vorstandsstraftat. Hier käme dann eine Begehung des konkreten Delikts in Form von Unterlassen durch den Aufsichtsrat in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB in Betracht. Vorwurf wäre in diesem Fall die Nichtverhinderung eines bestimmten Taterfolgs, trotz Pflicht zum Einschreiten.75 Für die Untersuchung der Strafbarkeit nach dem konkreten Vorstandsdelikt in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB ist auch maßgeblich, ob der Aufsichtsrat nach der heute gängigen76 Einteilung Überwachergarant des Vorstands oder Beschützergarant für ein bestimmtes Rechtsgut, etwa das Gesellschaftsvermögen, ist. Stufte man den Aufsichtsrat als Überwachergaranten des Vorstands ein, so müsste jener, vorbehaltlich notwendiger Einschränkungen, prinzipiell alle Straftaten der „Gefahrenquelle“ Vorstand verhindern. Hierunter fallen dann sowohl Straftaten zu Lasten Dritter wie auch zu Lasten der Allgemeinheit, der Aktionäre oder 73 Vgl. zur Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue durch Unterlassen Kapitel 3. E. IV. 2. a) dd) (1). 74 Vgl. dazu Kapitel 2. 75 Vgl. dazu Kapitel 3. Im Rahmen der Geschäftsherrenhaftung weisen Stimmen zu recht daraufhin, dass § 13 Abs. 1 StGB auf die Verhinderung eines bestimmten Taterfolgs und nicht auf die Verhinderung einer bestimmten Tatbegehung abstellt (Insb. Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 990; Ransiek, AG 2010, 147, 150. Weniger eindringlich Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 54 f.). Ist also im Folgenden von der zu verhindernden konkret begangenen Straftat des Vorstands die Rede, zielt dies auf den durch die Straftat verursachten Taterfolg ab. Zu bestrafen wäre der Aufsichtsrat aber nach dem konkret begangenen Delikt i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB. 76 Vgl. zur Entwicklung und auch zur Kritik an der der Aufteilung in Beschützerund Überwachergarant Kapitel 3 A. I. 2.

D. Beiträge der Rechtsprechung

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der Gesellschaft und des Gesellschaftsvermögens. Sollte der Aufsichtsrat Beschützergarant sein, etwa für das Gesellschaftsvermögen, so beschränkt sich seine Pflicht darauf Straftaten abzuwenden, die sich gegen das zu schützende Rechtsgut, also zum Beispiel gegen das Gesellschaftsvermögen, richten. Plant der Vorstand Straftaten zu Lasten des Gesellschaftsvermögens, müsste der Aufsichtsrat dann gegebenenfalls eingreifen, um einen Schaden abzuwenden. Bei anderen Straftaten, die nicht das geschützte Rechtsgut beträfen, bliebe die Untätigkeit des Aufsichtsrats (strafrechtlich) folgenlos.

D. Beiträge der Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat sich zu der im Raum stehenden Frage bisher noch nicht unmittelbar geäußert.77 Zwar gibt es verschiedene Urteile, u. a. des Reichsgerichts78, des BGH79 und des OLG Karlsruhe80, die von einigen Literaturstimmen mit der hier behandelten Frage in Verbindung gebracht werden.81 Diese und weitere Urteile betreffen die hier behandelte Frage allerdings nicht. Auch ein neuerer Beschluss des OLG Braunschweig82 betrifft die vorliegende Frage nicht, obwohl die Ausführungen dies zunächst nahelegen.

I. Reichsgerichtliche Rechtsprechung Zwei Urteile des Reichsgerichts83 behandeln zwar die Strafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern im Fall des Unterlassens. Anknüpfungspunkt ist aber nicht die (mögliche) Strafbarkeit des Vorstands, sondern eine unterbliebene Aufklärung über Ungereimtheiten in Berichten gegenüber der Generalversammlung.84 77

Ebenso Cramer, FS-Stree/Wessels, 564. Vgl. zu möglichen Gründen Poseck, S. 21. RG, Urteil vom 05.04.1886 – Rep. 652/86 = RGSt 14, 80; RG, Urteil vom 04.10. 1894 – Rep. 3702/94 = RGSt 26, 136; RG, Urteil vom 19.10.1911 – I 628/11 = RGSt 45, 210. 79 BGH, Urteil vom 12.01.1956 – 3 StR 626/54 = BGHSt 9, 203 = NJW 1956, 1326; BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187 = NJW 2002, 1585 („SSV Reutlingen“). 80 OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.09.2008 – 4 U 26/06 = AG 2008, 900, 902. 81 Poseck, S. 110 und Schilha, S. 150 führen die Urteile RGSt 14, 80; 45, 210 an. Tiedemann führt in FS-Tröndle, S. 321 (Fn. 8) RGSt 26, 136 und BGH NJW 1956, 1326 sowie in seinem Lehrbuch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 183 BGH NJW 2002, 1585 („SSV Reutlingen“) an. Krause, NStZ 2011, 57, 60 und Weigend, in: LKStGB, § 13, Rn. 41, 55 führen ebenfalls BGH NJW 2002, 1585 („SSV Reutlingen“) an. 82 OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12 = NJW 2012, 3798. 83 RG, Urteil vom 05.04.1886 – Rep. 652/86 = RGSt 14, 80; RG, Urteil vom 19.10. 1911 – I 628/11 = RGSt 45, 210. 84 RG, Urteil vom 05.04.1886 – Rep. 652/86 = RGSt 14, 80, 81; RG, Urteil vom 19.10.1911 – I 628/11 = RGSt 45, 210, 212. 78

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Kap. 1: Einführung in die Thematik

Der Vorwurf ist somit in beiden Fällen eine eigene Verfehlung des Aufsichtsrats in der Begehungsform des Unterlassens. Aussagen des Gerichts zu einer Pflicht strafrechtlich relevantes Verhalten des Vorstands zu verhindern, finden sich demgegenüber nicht. Diese ist nicht Anknüpfungspunkt der Urteile. Im Übrigen behandeln die Urteile85 Spezialfälle, nämlich §§ 140, 147 GenG alte Fassung, sodass, selbst wenn es ein Urteil zu der in dieser Arbeit zu behandelnden Frage gegeben hätte, eine Verallgemeinerung nicht zwingende Folge wäre, da es sich um Sondergesetze handelte.86

II. BGH, Urteil vom 6.12.2001 – 1 StR 215/01 („SSV Reutlingen“) In dem Fall „SSV Reutlingen“ bezieht der BGH Stellung für eine Pflicht des Aufsichtsrats „fehlerhaftes oder gesellschaftsschädigendes Verhalten des Vorstands abzuwenden“.87 Aus diesen Ausführungen eine „allgemeine Pflicht des Aufsichtsrats zur Abwendung von Straftaten“ abzuleiten überzeugt aber nicht.88 Dies hängt zunächst damit zusammen, dass die Ausführungen nicht Grundlage der Begründung der Strafbarkeit waren, sondern lediglich obiter dictum erfolgten. In dem konkreten Fall hat der BGH einen Aufsichtsratsvorsitzenden wegen Untreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB und Anstiftung zur Untreue, §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 26 StGB verurteilt. Der Aufsichtsratsvorsitzende hatte hier selbst die Initiative ergriffen. Es liegt also keine Tatbegehung in Form von Unterlassen vor. Die Ausführungen zu einer Pflicht zur Abwendung von Straftaten sind allgemeiner Natur und stellen bloß ausformulierte Grundüberlegungen dar, was sich auch aus dem Umfang und der (fehlenden) Tiefe der Darstellung ergibt. Ferner lässt der BGH offen, ob es überhaupt eine rechtliche Möglichkeit für den Aufsichtsrat gibt das Vorstandshandeln konkret zu unterbinden (der BGH erörtert die Möglichkeit einer Strafanzeige).89 Die Frage wird also am Rande, ohne konkreten Bezug zu dem Fall, erörtert. Sie kann nicht als fester Standpunkt der Recht85 RG, Urteil vom 04.10.1894 – Rep. 3702/94 = RGSt 26, 136; RG, Urteil vom 19.10.1911 – I 628/11 = RGSt 45, 210. 86 Zutreffend Poseck, S. 110. 87 BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 201 = NJW 2002, 1585, 1588 („SSV Reutlingen“). Ähnlich auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.09.2008 – 4 U 26/06 = AG 2008, 900, 902 (zivilrechtliche Entscheidung). Das OLG bejaht hier eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. §§ 263 Abs. 1, 27 StGB durch psychische Beihilfe. Es findet also auch hier keine Untersuchung einer möglichen Unterlassensstrafbarkeit statt. 88 Stark in diese Richtung tendieren aber Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 183 und Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 55. 89 BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 201 = NJW 2002, 1585, 1588 („SSV Reutlingen“).

D. Beiträge der Rechtsprechung

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sprechung und auch nicht als richtungsweisendes Statement in dieser Frage gedeutet werden, auch wenn einige Autoren das Urteil als Beweis für das Bestehen einer Beschützergarantenstellung für das Vermögen der Gesellschaft90 und einer Überwachergarantenstellung sehen.91 Hierfür spricht auch, dass die Pflicht und ihr Umfang nicht genauer ausgeführt und insbesondere nicht hergeleitet und begründet werden. Gänzlich unklar ist, ob die Pflicht nur ggü. der Gesellschaft und/ oder dem Gesellschaftsvermögen oder auch zugunsten Dritter bestehen soll.92

III. OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12 + 45/12 Der stattgegebenen sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Landgericht Braunschweig liegt eine Anklage gegen zwei Aufsichtsratsmitglieder zugrunde.93 Diese bezieht sich sowohl auf eine Untreue in eigenen Vergütungsangelegenheiten (soweit aktives Tun) als auch auf eine Untreue (durch Unterlassen) bezüglich der übrigen Aufsichtsratsmitglieder. Irritierenderweise verlangt das OLG Braunschweig für die Abwendung der Unterlassungstaten durch die übrigen Aufsichtsratsmitglieder aber ein Einwirken auf den Vorstand mit Hilfe Zustimmungsvorbehalts gem. § 111 Abs. 4 AktG.94 Hierbei zitiert das OLG Braunschweig95 Brammsen96, der sich an der zitierten Stelle mit der Strafbarkeit des Aufsichtsrats bei Vorstandsstraftaten auseinandersetzt. Warum hier für die Verhinderung der Straftaten der übrigen Aufsichtsratsmitglieder eine Auseinandersetzung mit der Verhinderung von Vorstandsstraftaten geschieht, wird weder aus den Ausführungen noch aus dem Kontext ersichtlich.

IV. Weitere Rechtsprechung, Zusammenfassung Ein weiteres Urteil des BGH thematisiert eine Sondervorschrift für den Aufsichtsrat einer GmbH (§ 81a GmbHG, aufgehoben durch Gesetz vom 25.06.1969, 90 So Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 41, der auch ausdrücklich Bezug auf § 266 StGB nimmt. 91 So Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 183; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 55. 92 In diese Richtung ließe sich aber OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.09.2008 – 4 U 26/06 = AG 2008, 900, 902 interpretieren. 93 Vgl. Sachverhalt OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12 = NJW 2012, 3798. 94 OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12 = NJW 2012, 3798, 3800. 95 OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12 = NJW 2012, 3798, 3800. 96 Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510, dessen Positionen unter Kapitel 1 E. näher erläutert werden.

46

Kap. 1: Einführung in die Thematik

BGBl. I S. 645).97 Es behandelt auch keinen Fall des Unterlassens. Im Ergebnis bleibt jedenfalls unklar, ob und wenn ja, welche Risiken für den Aufsichtsrat als strafrechtliche Folgen eines Untätigbleibens erwachsen. Es lassen sich bloß aus thematisch ähnlich gelagerten Fällen (neben den oben genannten auch solche wie z. B. die „ARAG/Garmenbeck-“ 98 oder die „Lederspray-Entscheidung“ 99) Anhaltspunkte für eine mögliche (Grundsatz-)Entscheidung des BGH in einem solchen Fall heranziehen.

E. Diskussionsstand in der Literatur In der straf- und aktienrechtlichen Literatur wird die Thematik hingegen seit längerer Zeit100 immer wieder diskutiert. Es gibt allerdings auch Veröffentlichungen, die das Thema nicht ansprechen, obwohl der Titel dies nahelegen würde.101 Während einige Stimmen für eine Strafbarkeit des Aufsichtsrats plädieren,102 hegen andere Zweifel, ob eine Strafbarkeit überhaupt möglich ist.103 Insgesamt gilt die Problematik nach wie vor als „ungeklärt“.104 Der Stand der Debatte wirkt dabei recht unübersichtlich. Dies hat verschiedene Ursachen: Zum einen wählen die bisherigen Literaturstimmen in ihrer Auseinandersetzung nur einen der beiden möglichen Anknüpfungspunkte der Strafbarkeit, also entweder die Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB oder das konkrete Vorstandsdelikt in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB, Kapitel 1 C. Eine Diskussion, die beide mögliche Anknüpfungspunkte untersucht und sie gegenüberstellt, fin97

BGH, Urteil vom 12.01.1956 – 3 StR 626/54 = BGHSt 9, 203 = NJW 1956, 1326. BGH, Urteil vom 21.04.1997 – II ZR 175/95 = BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926 („ARAG/Garmenbeck“). 99 BGH, Urteil vom 06.07.1990 – 2 StR 549/89 = BGHSt 37, 106 = NJW 1990, 2560 („Lederspray“). 100 Erstmals 1989 Tiedemann, FS-Tröndle, S. 319 ff. 101 Von den jüngeren Veröffentlichungen: Leipold, FS-Mehle, S. 347 („Strafrechtlicher Pflichtenkatalog des Aufsichtsrats“); Seibt/Schwarz, AG 2010, 301 („Aktienrechtsuntreue“). 102 Besonders deutlich bei Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510 („Schreiten sie [Aufsichtsratsmitglieder] gegen das vermögensschädigende Verhalten der Vorstandsmitglieder nicht ein, sind sie Täter einer Untreue“); Mosiek, wistra 2003, 370, 374 f. („Aufsichtsratsmitglieder sind Täter einer Untreue, wenn sie gegenüber vermögensschädigenden Handlungen oder Unterlassungen des Vorstands nicht einschreiten“); Tiedemann, FS-Tröndle, S. 322 („Aufsichtsratsmitglieder sind Täter einer Untreue, wenn sie gegenüber vermögensschädigenden Akten des Vorstands nicht eingreifen“). 103 Insb. Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 583, 585; Lüderssen, FS-Lampe, S. 738 ff.; Poseck, S. 130; Schüppen, in: AnwHdb-Aktienrecht, § 24, Rn. 204 f. 104 Krause, NStZ 2011, 57, 60, linke Spalte oben. Schilha, S. 150 spricht von „sehr spärlicher Rechtsprechung und wissenschaftlicher Literatur“ in Bezug auf eine mögliche Überwachergarantenstellung. Vgl. auch Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 564 und aus aktienrechtlicher Sicht Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 15, Rn. 101 „Diskussion zu diesem Thema steht noch am Anfang“. 98

E. Diskussionsstand in der Literatur

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det sich bisher nicht.105 Ferner diskutieren die bisherigen Literaturstimmen vornehmlich die Existenz und Reichweite der Garantenstellung und weniger die konkrete Norm, nach der sich das Aufsichtsratsmitglied strafbar machen kann. Auch die Tiefe der Ausführungen differiert. Einige Autoren bejahen oder verneinen die Strafbarkeitsmöglichkeit,106 bzw. beschränken sich auf kurze Ausführungen.107 Andere hingegen setzen sich intensiver mit der Fragestellung auseinander.108 Nur vereinzelt kommt es zu breiteren Ausführungen.109 Auch in der aktienrechtlichen Literatur findet eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Pflicht des Aufsichtsrats zur Verhinderung von Vorstandsstraftaten“ statt,110 wobei nur vereinzelt eine strafrechtliche Folge des Unterlassens thematisiert wird.111 Insgesamt bleibt dabei vieles im Unklaren. Um einen Überblick zur Auseinandersetzung in der Literatur zu gewinnen, werden die verschiedenen Positionen anhand von bisherigen Beitragsschwerpunkten dargelegt. Dies betrifft die Frage des Anknüpfungspunktes der Strafbarkeit der Aufsichtsratsmitglieder (I.), die verschiedenen Positionen zu der Garantenstellung (II.) und die Frage nach der Beteiligung der Aufsichtsratsmitglieder

105 Bei Poseck, S. 84 und Schilha, S. 333 f. findet sich zwar auch eine Prüfung der Untreue. Dabei wird allerdings nicht die hier thematisierte Konstellation in den Mittelpunkt gerückt. Es fehlen auch Ausführungen für das Vorliegen eines Vermögensnachteils. 106 Beulke, FS-Geppert, S. 37 (Fn. 57); Dannecker, in: Michalski, Kommentar zum GmbHG, § 82, Rn. 66; Fischer, StGB, § 266, Rn. 106; Mosiek, wistra 2003, 370, 374 f.; Roxin, AT II, § 32, Rn. 77 (der allgemein von „Organen juristischer Personen“ spricht, die sich der Untreue durch Unterlassen strafbar machen können, wenn sie durch Untätigkeit Schäden bei der juristischen Person hervorrufen); Spring GA 2010, 222, 225 (Fn. 16); Volk, Vorstand und Aufsichtsrat, S. 16 f. (Volk untersucht allerdings eine Straftat des Vorstands nur zulasten Dritter und nicht in Bezug auf die Gesellschaft/das Gesellschaftsvermögen); Waßmer, in: Graf/Jäger/Wittig, § 266, Rn. 49. 107 Grützner/Behr, DB 2013, 561, 566; Joecks, in: MüKo-GmbHG, Vor § 82, Rn. 217; Schüppen, in: AnwHdb-Aktienrecht, § 24, Rn. 204 f.; Spindler, in: Spindler/ Stilz, § 116, Rn. 204 ff. 108 Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510; ders., Unterlassungstäterschaft in formalen Organisationen, S. 126 (Fn. 120); Brand/Petermann, WM 2012, 62; Krause, NStZ 2011, 57, 60; ders., in: Handbuch Managerhaftung, § 35, Rn. 31; Lüderssen, FS-Lampe, S. 738 ff.; Merz, in: Graf/Jäger/Wittig, § 13, Rn. 40, 42; Momsen, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, S. 81 f.; Ransiek, ZGR 1999, 613, 624 ff.; Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 140 ff.; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 41, 55; Wessing, S. 19, 31 ff.; Zech, S. 240, 265, 280. 109 Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 563; Poseck, S. 108–122 und 124–130; Schilha, S. 124–198 und 198–201; Tiedemann, FS-Tröndle, S. 319 ff.; ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 122, 183, 186a. 110 Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 111, Rn. 18; Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 234; Lutter/Krieger, Rn. 73. Weitere Nachweise in Kapitel 2 Fn. 196. Anders: Semler, Leitung und Überwachung, Rn. 188 ff. 111 Etwa bei Schüppen, in: AnwHdb-Aktienrecht, § 24, Rn. 204 f.; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 204 ff.

48

Kap. 1: Einführung in die Thematik

(III.). Anhand der Darstellung werden die zentralen klärungsbedürftigen Fragen offenbar, die noch nicht hinreichend bzw. überhaupt nicht diskutiert worden sind (IV.).

I. Der strafrechtliche Anknüpfungspunkt der Aufsichtsratsstrafbarkeit Zunächst werden die Positionen zu dem strafrechtlichen Anknüpfungspunkt dargestellt. Wie oben bereits dargelegt, kommt entweder eine Strafbarkeit gemäß § 266 Abs. 1 StGB als eigene Untreue des Aufsichtsrats oder eine Strafbarkeit gemäß der konkreten Vorstandsstraftat in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB in Betracht. Eine wirkliche „Diskussion“ zu diesem Thema gibt es in der Literatur nicht. Es wird, wenn überhaupt, jeweils nur einer der beiden möglichen Anknüpfungspunkte genannt, aber in der Regel noch nicht einmal anhand seiner Voraussetzungen geprüft. Lediglich vereinzelt wird auf die mögliche andere Strafbarkeitsmöglichkeit hingewiesen, ohne diese aber näher auszuführen und das (Konkurrenz-)Verhältnis zueinander zu erörtern.112 1. Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB des Aufsichtsrats als Anknüpfungspunkt Eine mögliche Strafbarkeit des Aufsichtsrats wird teilweise unter dem ersten denkbaren Anknüpfungspunkt, der Strafbarkeit gemäß § 266 Abs. 1 StGB, diskutiert. Hierbei bejahen einige Autoren die mögliche Strafbarkeit pauschal.113 Teilweise wird differenziert.114 Oder es fehlt eine konkrete Aussage zu dem Umfang der möglichen Strafbarkeit.115 Keiner der Autoren prüft das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB Schritt für Schritt.116 So

112 Vgl. die Ausführungen bei Krause, NStZ 2011, 57, 61; Tiedemann, FS-Tröndle, S. 322. Lapidar Poseck, S. 130. 113 Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510; Mosiek, wistra 2003, 370, 374 f.; Tiedemann, FS-Tröndle, S. 322; ders., Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 122, 183, 186a. 114 Brand/Petermann, WM 2012, 62 wollen eine Untreue nur bei unmittelbar unternehmensschadenden Straftaten annehmen, da ansonsten keine Pflichtverletzung vorliege [vgl. die Kritik an diesem Standpunkt unten Kapitel 2 C. II. 5. a) bb) (2)]; Krause, NStZ 2011, 57, 61 will bei „Hinzutreten weiterer Voraussetzungen“ eine Untreue annehmen; Lüderssen, FS-Lampe, S. 738 ff. vertritt die Meinung, dass der Aufsichtsrat jedenfalls nicht Beschützer für Handlungen des Vorstands sein kann, die zu zivilrechtlichen Rückgriffsansprüchen führen, da der Rückgriff noch von Zwischenschritten abhängt. Ferner verneint er eine Überwachergarantenstellung. 115 Fischer, StGB, § 266, Rn. 106; Roxin, AT II, § 32, Rn. 77; Waßmer, in: Graf/Jäger/Wittig, § 266, Rn. 49; Zech, S. 240, 265, 280; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 41. 116 Lediglich bei Poseck, S. 84 und Schilha, S. 333 f. finden sich knappe Aussagen bzgl. einer möglichen Pflichtverletzung.

E. Diskussionsstand in der Literatur

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bleiben insbesondere Grundlage und Umfang der aktienrechtlichen Pflicht für die Verhinderung von Straftaten (unter dem Merkmal „Pflichtverletzung“, vgl. § 266 Abs. 1 StGB) unklar, wenn auch oftmals auf § 111 Abs. 1 AktG als Grundnorm für eine Pflicht zur Abwendung von Straftaten verwiesen wird.117 Ferner fehlt eine Untersuchung des Taterfolgs, also des „Vermögensnachteils“ im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB. Die genannten Stimmen untersuchen ferner nicht, ob der andere mögliche Strafbarkeitsanknüpfungspunkt der Aufsichtsratsstrafbarkeit (vgl. 2.) gleichzeitig in Betracht kommen könnte und in welchem (Konkurrenz-)Verhältnis die beiden möglichen Anknüpfungspunkte zueinander stehen.118 2. Konkrete Vorstandsstraftat in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB als Anknüpfungspunkt einer Aufsichtsratsstrafbarkeit Andere Stimmen sehen die konkrete Vorstandsstraftat in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB als tauglichen Anknüpfungspunkt der Aufsichtsratsstrafbarkeit.119 Hierbei finden sich meist Aussagen zu der Garantenstellung, auf die sogleich (II.) eingegangen wird. Einige Autoren behandeln auch die Reichweite einer möglichen Strafbarkeit vor dem Hintergrund der Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats.120 Es fehlt allerdings in allen Beiträgen eine Auseinandersetzung mit den konkreten Vorstandsstraftaten, die hier in Kapitel 1 B. II. 2. und 3. vorgestellt und kategorisiert worden sind, und ihrer Auswirkung auf die Aufsichtsratsstrafbarkeit. Die Strafbarkeitsmöglichkeit wird also nur abstrakt aufgrund der Reichweite der Garantenstellung diskutiert. Ferner wird nicht auf die andere Strafbarkeitsmöglichkeit (siehe oben 1.) eingegangen.121

II. Garantenstellung des Aufsichtsrats Eine maßgebliche Frage, die den Umfang der Strafbarkeit betrifft, stellt die Frage nach der Garantenstellung des Aufsichtsrats dar. Danach bemisst sich prinzipiell, ob er nur Straftaten zu Lasten seines Schutzobjektes (Beschützergarant) verhindern muss oder ob er (grundsätzlich) alle Taten verhindern muss, die sein

117 Etwa von Brand/Petermann, WM 2012, 62; Fischer, StGB, § 266, Rn. 106; Tiedemann, FS-Tröndle, S. 322; Waßmer, in: Graf/Jäger/Wittig, § 266, Rn. 49. 118 Bei Krause, NStZ 2011, 57, 61 und Tiedemann, FS-Tröndle, S. 322 aber wenigstens erwähnt. 119 Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 563; Merz, in: Graf/Jäger/Wittig, § 13, Rn. 40, 42; Poseck, S. 124–130; Ransiek, ZGR 1999, 613, 624 ff.; Schilha, S. 124–198; Schüppen, in: AnwHdb-Aktienrecht, § 24, Rn. 204 f.; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 204 ff.; Spring GA 2010, 222, 225 (Fn. 16). Wohl auch Grützner/Behr, DB 2013, 561, 566. 120 Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 563 ff.; Poseck, S. 124–130. 121 Lediglich Poseck, S. 130 weist auf § 266 Abs. 1 StGB hin, der nach seinem nicht weiter ausgeführten Hinweis die meisten Konstellationen abdecke.

50

Kap. 1: Einführung in die Thematik

zu überwachendes Subjekt begehen will (Überwachergarant).122 Eine Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats zugunsten der Allgemeinheit123, der Gläubiger der Gesellschaft124 und Dritter125 wird weit überwiegend abgelehnt.126 Ebenso einhellig wird eine Beschützergarantenstellung zugunsten des Gesellschaftsvermögens bejaht.127 1. Umfassende Garantenstellung (Beschützergarant für die Gesellschaft/ ihr Vermögen und Überwachergarant des Vorstands) Eine Vielzahl von Autoren geht von einer umfassenden Garantenstellung aus. Der Aufsichtsrat soll danach Beschützergarant der Gesellschaft und ihres Vermögens sein sowie gleichzeitig Überwachergarant des Vorstands.128 Schilha bejaht die Überwachergarantenstellung unter Hinweis auf eine personale Herrschaft des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand. Diese ergebe sich aus dem Zustimmungsvorbehalt aus § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG129 und einer aus § 84 Abs. 3 AktG abgeleiteten Sonderweisungsbefugnis.130 Der Aufsichtsrat habe im Ergebnis eine beherrschende Stellung gegenüber dem Vorstand.131 Eine Einschränkung der Reichweite der Überwachergarantenstellung wird dabei nur von Schilha und Ransiek vorgenommen. Hierbei gelangt Schilha zu dem Ergebnis, dass solche Straftaten vom Aufsichtsrat zu verhindern seien, die der Vorstand unter Einsetzung und Ausnutzung von tatsächlichen und rechtlichen Wirkungsmöglichkeiten, die ihm aus seiner Aufgabe und Stellung als Geschäftsführungsorgan gegeben sind, begeht.132 Ransiek will die Strafbarkeit des Aufsichtsrats beschränken, indem nur bei „eindeutig“ rechtswidrigem Handeln des Vorstands eine Verhinderungspflicht bestehen soll.133

122

Vgl. dazu bereits oben Kapitel 1 C. II. Schilha, S. 126 ff. 124 Schilha, S. 129 ff. 125 Grützner/Behr, DB 2013, 561, 566; Schilha, S. 129. 126 Vgl. auch Lüderssen, FS-Lampe, S. 738 ff.; Poseck, S. 109 f.; Volk, Vorstand und Aufsichtsrat, S. 16 f. 127 Vgl. Fn. 119 und zusätzlich etwa Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510; Roxin, AT II, § 32, Rn. 77. 128 Merz, in: Graf/Jäger/Wittig, § 13, Rn. 40, 42; Ransiek, ZGR 1999, 613, 624; Schilha, S. 149–198 (bzgl. Überwachergarantenstellung), 199 f. (bzgl. Beschützergarantenstellung); Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 204; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 122, 183, 186a; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 41, 55. Wohl auch Wißmann, in: MüKo-GmbHG, § 84, Rn. 82. 129 Schilha, S. 171 ff., 181 f. 130 Schilha, S. 177 ff., 181 f. Ebenso Ransiek, ZGR 1999, 613, 625. 131 Schilha, S. 181 f. 132 Schilha, S. 185 f. 133 Ransiek, ZGR 1999, 613, 626. 123

E. Diskussionsstand in der Literatur

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2. Eingeschränkte Garantenstellung (Beschützergarant für Gesellschaft/ihr Vermögen) Andere hingegen sehen den Aufsichtsrat lediglich als Beschützergaranten der Gesellschaft und ihres Vermögens, nicht aber als Überwachergaranten des Vorstands.134 Die Übernahme der Organstellung entfalte keine Schutzwirkung gegenüber Dritten bzw. der Allgemeinheit.135 Ferner fehle es an dem für die Geschäftsherrenhaftung notwendigen Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Aufsichtsrat und Vorstand.136 Daher sei der Aufsichtsrat kein Überwachergarant des Vorstands.137

III. Beteiligungsform Unklar ist auch die Form der Beteiligung des Aufsichtsrats an der Vorstandsstraftat. Hier gibt es in der bisherigen Literatur nur pauschale Beurteilungen. Der Aufsichtsrat ist in der vorliegenden Konstellation nach Meinung einiger Autoren lediglich Gehilfe138 nach anderer Auffassung immer Täter.139 Eine Differenzierung nehmen Poseck und Schilha vor. Nach ihrer Meinung liegt grundsätzlich täterschaftliches Verhalten vor, es sei denn, die besondere Deliktsstruktur lässt nur Beihilfe zu.140 Eine Analyse bei welchen Delikten dies der Fall sein kann, unterbleibt allerdings.

IV. Klärungsbedürftige Fragen In der Literatur gibt es, im Unterschied zu der Rechtsprechung, eine fortgeschrittene Auseinandersetzung mit dem Thema. Dennoch verbleiben zahlreiche klärungsbedürftige Fragen. Einige wichtige und zentrale Fragen sollen hier kurz genannt werden. 134 Joecks, in: MüKo-GmbHG, Vor § 82, Rn. 217; Krause, NStZ 2011, 57, 61 f.; Lüderssen, FS-Lampe, S. 738 ff. (der eine Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats zugunsten der Gesellschaft/des Gesellschaftsvermögens aber nicht explizit bejaht); Momsen, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, S. 81 f.; Poseck, S. 120, 124 ff.; Raum, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 55. Wohl auch Schüppen, in: AnwHdb-Aktienrecht, § 24, Rn. 204 f. Auch Beulke, FS-Geppert, S. 37 (Fn. 57) lehnt eine Überwachergarantenstellung des Aufsichtsrats ab. Im Grundsatz auch Grützner/Behr, DB 2013, 561, 566. 135 Poseck, S. 120. 136 Poseck, S. 120. 137 Poseck, S. 120 ff. 138 Schüppen, in: AnwHdb-Aktienrecht, § 24, Rn. 204; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 205; Raum, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 55. Momsen, in: Momsen/ Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, S. 81 f.: „Psychische Beihilfe“. 139 Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510; Mosiek, wistra 2003, 370, 374 f.; Tiedemann, FS-Tröndle, S. 322. 140 Poseck, S. 140 ff.; Schilha, S. 201 ff., 210.

52

Kap. 1: Einführung in die Thematik

1. Strafrechtlicher Anknüpfungspunkt der Aufsichtsratsstrafbarkeit Eine eingehende Analyse bezüglich des strafrechtlichen Anknüpfungspunktes der Aufsichtsratsstrafbarkeit fehlt. Es existiert bisher keine vollständige Prüfung der beiden Delikte (Untreue gemäß § 266 StGB oder das konkrete Vorstandsdelikt in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB). Ferner fehlt eine Antwort auf die Frage, ob eventuell beide Strafbarkeitsmöglichkeiten gleichzeitig vorliegen können und nach welcher der Aufsichtsrat dann zu bestrafen ist, also in welchem (Konkurrenz-)Verhältnis die beiden Normen zueinander stehen. Gibt es ein Nebeneinander der beiden Möglichkeiten oder verdrängt die eine Möglichkeit die andere? Hier fehlt jeder Ansatz einer Klärung des Problems. 2. Genaue Analyse einer Untreuestrafbarkeit Die Annahme bzw. Ablehnung einer Untreuestrafbarkeit beschränkt sich bis jetzt im Wesentlichen auf Feststellungen. Notwendig wäre eine Analyse nach den einzelnen Tatbestandsmerkmalen der Untreue gemäß § 266 StGB. Fraglich ist etwa, ob sich eine Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsrats nur auf die Leitungsaufgabe beschränkt oder ob auch die Überwachungsaufgabe von der Vermögensbetreuungspflicht umfasst ist. Weiterhin ist zu untersuchen ob und in welchem Umfang eine aktienrechtliche Pflicht des Aufsichtsrats zu der Verhinderung von Vorstandsstraftaten existiert und welche Verhinderungsmöglichkeiten dem Aufsichtsrat zu seiner Verfügung stehen. Gänzlich fehlt bis jetzt eine Untersuchung, bei welchen Vorstandsstraftaten das Nachteilsmerkmal der Untreue überhaupt erfüllt sein kann. 3. Garantenstellung des Aufsichtsrats Klarer erscheinen demgegenüber die Positionen zu der Garantenstellung des Aufsichtsrats. Während die Beschützergarantenstellung zugunsten der Gesellschaft und des Gesellschaftsvermögens einheitlich bejaht wird, ist streitig, ob der Aufsichtsrat auch gleichzeitig Überwachergarant des Vorstands ist. Zu letzterer Frage gibt es aber bisher nur von Poseck und Schilha weitergehende Untersuchungen.141 Diese decken aber nicht alle Fragen ab. Insbesondere fehlt eine Auseinandersetzung mit einer Beschützergarantenstellung zu Gunsten der übrigen Rechtsgüter der Gesellschaft.142

141

Siehe bereits Kapitel 1 E. II. Eingehend unten Kapitel 3 C. und D. Ad absurdum geführt in OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12 = NJW 2012, 3798, 3800: „Aufsichtsratsmitglieder haben eine Garantenstellung i. S. d. § 13 StGB“. Hier findet noch nicht einmal eine Konkretisierung des geschützten Rechtsguts statt. 142

F. Zusammenfassung und Ausblick auf die Arbeit

53

4. Fehlende Ausführungen bzgl. konkreter Straftaten, die der Aufsichtsrat durch Unterlassen begehen kann Die bisherigen Literaturstimmen, die eine Strafbarkeit nach dem konkreten Vorstandsdelikt in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB untersuchen, setzen sich in ihren Auseinandersetzungen nur abstrakt mit der Frage der Garantenstellung des Aufsichtsrats auseinander. Es fehlt dabei eine Analyse welche konkreten Delikte von dem Aufsichtsrat in dem Fall des Unterlassens in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB begangen werden können und ob der Aufsichtsrat dann Täter (Mit-/Nebentäter) oder Teilnehmer der Vorstandsstraftat ist.143 Dies verwundert, da eine Strafbarkeit immer nur aus einem speziellen Delikt erwachsen kann. § 13 Abs. 1 StGB begründet selbst keine Strafbarkeit, sondern regelt nur die Begehungsform des Unterlassens für die sog. „unechten“ Unterlassungsdelikte.144 Es ist daher zu klären, wann eine Strafbarkeit nach dem konkreten Vorstandsdelikt in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB für den Aufsichtsrat möglich ist und in welcher Beteiligungsform. 5. Beteiligungsform des Aufsichtsrats Ferner ist unklar, ob der Aufsichtsrat (Neben-/Mit-)Täter des Vorstands oder lediglich dessen Gehilfe ist. Dies müsste prinzipiell für jedes Delikt gesondert geprüft werden. Eine abstrakte Behandlung der Problematik, wie sie von einigen Autoren vorgenommen wird,145 ist aufgrund der konkreten Strafbarkeitsgefahr des Aufsichtsrats unzureichend.

F. Zusammenfassung und Ausblick auf die Arbeit I. Zusammenfassung der Einführung Das Aufsichtsratsmitglied steht als Teil eines im Wirtschaftsleben aktiven Organs auch in dem Fokus strafrechtlicher Überlegungen und Verurteilungen, A. Ob bei bestimmten Vorstandsstraftaten (B. II.) auch eine Strafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern in der Begehungsform des Unterlassens in Betracht kommt (C.), ist in der Rechtsprechung bis jetzt nicht, bzw. bloß äußerst rudimentär, thematisiert worden, D. Auch in der Literatur ergibt sich kein eindeutiges Bild, E. Die Diskussion bezieht sich im Wesentlichen auf die Existenz und Reichweite der Garantenstellung. Ungeklärt ist aber der konkrete Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit. Denkbar, aber im Detail nicht untersucht, ist die Einschlägigkeit der Untreue als täterschaftliches Delikt des Aufsichtsrats, wobei auch hier über die 143 Punktuell angerissen, allerdings sehr allgemein und in einem anderen Zusammenhang, Schilha, S. 201 ff. 144 Fischer, StGB, § 13, Rn. 2. 145 Poseck, S. 140 ff.; Schilha, S. 201 ff., 210.

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Kap. 1: Einführung in die Thematik

Reichweite der Straftatverhinderungspflicht zu diskutieren wäre. Unklar ist darüber hinaus auch, welche konkreten Delikte in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB begangen werden können, sofern eine allgemeine Unterlassensstrafbarkeit relevant wird. Gänzlich ungeklärt ist auch das Verhältnis einer Untreue gemäß § 266 StGB zu einer Strafbarkeit aus einem konkreten Vorstandsdelikt in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB. Insbesondere diese Punkte stehen im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen.

II. Ziel der Arbeit Ziel der Arbeit ist es den Weg der bisherigen Untersuchungen, die bloß abstrakte Strafbarkeitsrisiken aufgezeigt haben, zu verlassen und konkrete Delikte als Anknüpfungspunkt einer Strafbarkeit des Aufsichtsrats zu prüfen. Neben einer genauen Analyse von Einschlägigkeit und Reichweite des § 266 StGB sollen auch die konkreten Delikte des Vorstands in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB als mögliche Strafbarkeit des Aufsichtsrats untersucht werden, die bereits oben146 vorgestellt und kategorisiert worden sind. Hierfür spricht auch, dass § 13 Abs. 1 StGB keine eigene Strafbarkeit begründet, sondern bloß die Begehungsform des Unterlassens als solche benennt. Notwendig für die Bestrafung ist daher immer ein spezielles Delikt, das eine Strafe für ein bestimmtes Verhalten androht. Neben neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen soll die Arbeit so auch einen brauchbaren Beitrag für die Praxis liefern. Am Ende der Arbeit soll ein „Katalog“ stehen, der die Reichweite einer Strafbarkeit für das Unterlassen der Abwendung von Vorstandsstraftaten durch den Aufsichtsrat aufstellt und knapp Strafbarkeitsrisiken aufzeigen soll.

III. Vorgehensweise Da eine Analyse der sehr eingeschränkten „Fallfrage“ Ziel der Arbeit ist, wird eine Untersuchung einer Strafbarkeit des Aufsichtsrats so nah an dem konkreten Delikt wie möglich erfolgen. Nachdem in der Einführung die Problematik als solche aufgeworfen worden ist und Standpunkte in der Rechtsprechung und der Literatur näher untersucht worden sind, widmen sich die folgenden Kapitel der Strafbarkeit des Aufsichtsrats nach den beiden in Betracht kommenden Möglichkeiten (§ 266 StGB und das konkret begangene Vorstandsdelikt in Verbindung mit § 13 Abs. 1 StGB). Zunächst wird in Kapitel 2 die Einschlägigkeit und Reichweite der Untreue gemäß § 266 StGB für die vorliegende Konstellation analysiert. Eine solche Analyse ist notwendig, da die Untreue als zentrales Wirtschaftsstrafrechtsdelikt sehr weit gefasst ist und viele Konstellationen erfasst. Ferner würde im Fall der Ein146

Kapitel 1 B. II. 3.

F. Zusammenfassung und Ausblick auf die Arbeit

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schlägigkeit eine Bestrafung des Aufsichtsrats jedenfalls als Täter erfolgen (eine Vermögensbetreuungspflicht unterstellt, vgl. dazu Kapitel 2 C. V.). Anschließend wird, nach einem kurzen „allgemeinen“ Teil zu den Grundlagen der Unterlassensstrafbarkeit nach § 13 Abs. 1 StGB (Kapitel 3 A.), die Sonderkonstellation der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft für den Aufsichtsrat bei Nichtverhinderung von Vorstandsstraftaten erörtert (Kapitel 3 B.). Danach steht die Stellung des Aufsichtsrats als Überwachergarant des Vorstands im Mittelpunkt, die im Ergebnis abzulehnen ist, Kapitel 3 C. In Kapitel 3 D. werden die Beschützergarantenstellungen des Aufsichtsratsmitglieds untersucht. Kapitel 3 E. nimmt dann wieder Bezug auf die konkreten Vorstandsdelikte und untersucht inwieweit sich der Aufsichtsrat an ihnen (als Täter oder Teilnehmer) durch Unterlassen gemäß § 13 Abs. 1 StGB beteiligen kann. Daran anschließend wird in Kapitel 4 das (Konkurrenz-)Verhältnis der beiden Strafbarkeitsalternativen zueinander untersucht.

IV. Einschränkung der Untersuchung Die Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft. Es gibt auch bei der GmbH Aufsichtsräte. Für diese wird teilweise auf die Vorschriften des Aktienrechts verwiesen (§ 52 Abs. 1 GmbHG). Allerdings fehlt dem GmbH-Aufsichtsrat, anders als dem AktG-Aufsichtsrat, grundsätzlich etwa die Personalkompetenz über die Geschäftsführung, die bei den Gesellschaftern verbleibt.147 Ob die hier gefundenen Ergebnisse auch für diese Aufsichtsräte gelten können, wird in der vorliegenden Arbeit nicht untersucht. Die Arbeit verzichtet ferner auf eine Analyse und Diskussion (der inzwischen sehr weit ausdifferenzierten Diskussion) zu Fragen der Kausalität und objektiven Zurechnung bei Kollegialentscheidungen.148 Im Mittelpunkt der Arbeit soll einzig die oben konkret aufgeworfene Frage stehen: Der Aufsichtsrat weiß von bevorstehenden oder andauernden Straftaten des Vorstands. Er schreitet nicht ein. Macht er sich hierbei durch das Unterlassen der Erfolgsabwendung strafbar, und wenn ja, nach welcher Vorschrift?

147 148

Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 52, Rn. 22. Vgl. dazu etwa Poseck, S. 143 ff.; Schilha, S. 362 ff. sowie Kapitel 2 C. IV.

Kapitel 2

Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB als besondere Ausprägung der Beschützergarantenstellung für das Gesellschaftsvermögen – Untreue durch eine aktienrechtliche Pflichtverletzung bei Nichtverhinderung einer Vorstandsstraftat „Sofern nicht einer der klassischen alten Fälle der Untreue vorliegt, weiß kein Gericht und keine Anklagebehörde, ob § 266 StGB vorliegt oder nicht.“ 1

Dieses Zitat Hellmuth Mayers ist bereits oft bemüht worden,2 um ein Problem des Untreuetatbestands deutlich zu machen: Seine Beliebigkeit. Auch für die vorliegende Konstellation, die keinen der ganz „klassischen“ Fälle abdeckt, sondern einen gerichtlich bisher nicht entschiedenen Sonderfall der Organuntreue darstellt, passt das Zitat Mayers. Allerdings gilt in diesem Fall Entsprechendes auch für die Literatur. Weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur gibt es bis jetzt eine umfassende Analyse, ob sich ein Aufsichtsratsmitglied selbst der Untreue strafbar machen kann, wenn es Straftaten des Vorstands nicht verhindert. Wie bereits dargelegt, plädieren einige Stimmen für eine Strafbarkeit des Aufsichtsrats gem. § 266 StGB, wenn er es unterlässt Straftaten des Vorstands zu verhindern.3 Um der Stichhaltigkeit dieser Auffassung auf den Grund zu gehen, soll der Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB auf seine Einschlägigkeit hin untersucht werden, B. (Missbrauchsvariante) und C. (Treubruchsvariante). Vor der tatbestandlichen Untersuchung wird die vormalige Sondervorschrift des § 294 Abs. 1 AktG a. F. und die Verfassungsmäßigkeit des § 266 Abs. 1 StGB näher analysiert, A. Hieraus ergeben sich Leitlinien für die Anwendung des § 266 Abs. 1 StGB auf die hier untersuchte Konstellation, die in dem weiteren Verlauf (also bei B. und C.) zu berücksichtigen sind.

A. Vorüberlegungen Maßgeblich für die mögliche Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats ist der Tatbestand des § 266 StGB selbst. Welchen Implikationen die Auslegung des Tatbe1

H. Mayer, Materialien zur Strafrechtsreform, S. 337. Etwa von Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 3; Saliger, ZStW 112 (2000), 563, m.w. N. Ebenso von Beulke, FS-Eisenberg 2009, S. 245, 246 f. 3 Vgl. Kapitel 1 E. I. 1. 2

A. Vorüberlegungen

57

stands folgt, soll hier vor der tatbestandlichen Untersuchung selbst geprüft werden. Es wird dazu die Sondervorschrift des § 294 Abs. 1 AktG a. F. sowie die Verfassungsmäßigkeit des § 266 Abs. 1 StGB untersucht.

I. Indizwirkung für eine Strafbarkeit nach § 266 StGB durch § 294 Abs. 1 AktG a. F.? § 294 Abs. 1 AktG a. F. (bis 19654) lautete: „Wer als Mitglied des Vorstandes oder des Aufsichtsrates oder als Abwickler vorsätzlich zum Nachteil der Gesellschaft handelt, wird mit Gefängnis bestraft.“

Bis zu der Aktienrechtsreform des Jahres 1965 regelte der seit 19375 geltende § 294 Abs. 1 AktG die Organuntreue spezialgesetzlich. Die Norm wurde dann abgeschafft, da § 266 StGB nach Meinung des Gesetzgebers alle möglichen Strafbarkeitsvarianten des § 294 AktG a. F. erfasste.6 Es war nach seiner Meinung nicht notwendig die Organuntreue neben dem allgemeinen Untreuetatbestand im Aktienrecht spezialgesetzlich zu normieren. Würde der alte Tatbestand die oben dargestellte Konstellation erfassen, so ergäbe sich ein starkes Indiz für eine Untreuestrafbarkeit. Allerdings verbliebe es bei der Indizwirkung, die sich aus dem gesetzgeberischen Willen schließen lässt. Ob die Konstellation tatsächlich von § 266 StGB erfasst ist, ist eine Frage, die sich ausschließlich aus einer Analyse und Auslegung des Tatbestands des § 266 StGB in seiner heutigen Fassung ergibt. Dem Wortlaut nach führte bereits ein (bloßes) „Handeln“ (das auch Unterlassen erfasste7) zu dem „Nachteil der Gesellschaft“ zu einer Strafbarkeit nach § 294 Abs. 1 AktG a. F. Dieser sehr weite8 Tatbestand war durch das Erfordernis der „Pflichtwidrigkeit“ des Handelns einzuschränken.9 Für das Unterlassen war eine Garantenstellung erforderlich.10 Mit diesen beiden zusätzlichen Anforderungen liegt eine starke Ähnlichkeit zu § 266 StGB vor. Zwar gab es auch im Rahmen von § 294 Abs. 1 AktG a. F. Stimmen, die von einer „Pflicht zur Abwendung von Schäden“ ausgingen.11 Dies ist aber eine ebenso pauschale und allgemeine Formulierung, wie die in der Einführung zitierten Aussagen zu dem § 266 StGB 4

§ 29 Abs. 1 Einführungsgesetz zum Aktiengesetz vom 06.09.1965 (BGBl. I, S. 1185). Vgl. zur Entwicklung der speziell geregelten Organuntreue etwa Zech, S. 28 ff. 6 BT-Drs. 4/171, S. 260. 7 Baumbach/Hueck-AktG, § 294, 2) A. a). Eingehend Klug, in: GroßkommentarAktG, 2. Auflage, § 294, Anm. 39. 8 Zur Frage der Bestimmtheit der Norm etwa Klug, in: Großkommentar-AktG, 2. Auflage, § 294, Anm. 35. 9 RG, Urteil vom 10.05.1935 – 1 D 757/34 = RGSt 69, 203; Baumbach/HueckAktG, § 294, 2) A. b). Klug, in: Großkommentar-AktG, 2. Auflage, § 294, Anm. 42 sieht hierin allerdings bloß eine Ausprägung der Rechtswidrigkeit. 10 Klug, in: Großkommentar-AktG, 2. Auflage, § 294, Anm. 39. 11 Klug, in: Großkommentar-AktG, 2. Auflage, § 294, Anm. 39. 5

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

heute.12 Es wäre eine eingehende Untersuchung notwendig, um festzustellen, ob die oben beschriebene Konstellation zu einer Strafbarkeit nach § 294 Abs. 1 AktG a. F. geführt hätte. Diese erscheint hier aber nicht zielführend, da § 294 Abs. 1 AktG a. F. erstens ohnehin nur Indizwirkung für eine Strafbarkeit nach § 266 StGB hat und zweitens eine Pflichtwidrigkeit einer Handlung sich heute nur aus dem aktuellen Pflichtenkatalog des Aktienrechts für den Aufsichtsrat ergeben kann. Einerseits indiziert § 294 Abs. 1 AktG a. F. eine Strafbarkeit des Aufsichtsrats für die vorliegende Konstellation also nicht ohne weiteres. Andererseits steht die Norm dieser aber auch nicht entgegen.

II. Verfassungsmäßigkeit des § 266 StGB und Konsequenzen für die vorliegende Konstellation Seit jeher wird der Tatbestand der Untreue von verfassungsrechtlichen Bedenken begleitet. Mit drei Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts ist in jüngerer Zeit Bewegung in die Debatte gekommen, wie eine verfassungskonforme Auslegung der Untreue auszusehen hat. Diese Debatte hat auch Auswirkungen auf die vorliegende Arbeit, beispielsweise auf Fragen der Pflichtwidrigkeit13 und des Nachteils.14 1. Kritik der Literatur an dem Tatbestand des § 266 StGB vor den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts Nach einer Vielzahl von Literaturstimmen verstößt § 266 StGB gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG,15 bzw. ist nicht ohne Weiteres mit diesem zu vereinbaren.16 Die Kritik entzündet sich an der generalklauselartigen Fassung des Tatbestands. Insbesondere der sog. Treubruchstatbestand, der die Pflichtwidrigkeit der Handlung aus außerstrafrechtlicher Sicht bestimmt, steht dabei im Mittelpunkt der Kritik.17 Dierlamm kritisiert, dass es bereits an einem Tätigkeitswort fehle, 12

Vgl. Kapitel 1 E. I. 1. Vgl. Kapitel 2 C. II. (insb. 5.). 14 Vgl. Kapitel 2 C. III. (insb. 3.). 15 Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 3 m.w. N.; Labsch, Untreue, S. 177 ff.; Lesch, DRiZ 2004, 135. Weitere Nachweise bei Hoyer, in: SK-StGB, § 266 Rn. 6. 16 Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 12; Matt, NJW 2005, 389; Saliger, ZStW 112 (2000), 563: „Nahe an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit“; ähnlich, aber insg. vorsichtiger ders., in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 4: „Unterbestimmt“; Überblick bei Fischer, StGB, § 266, Rn. 5 m.w. N. 17 Etwa Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 3; Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 12 m.w. N., 140. 13

A. Vorüberlegungen

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das die Tat konkret umschreibe.18 So genüge jedes Tun oder Unterlassen, das gegen außerstrafrechtliche Regeln mit Vermögensrelevanz verstoße.19 Auch gebe es eine zu weite Auslegung der Tatbestandsmerkmale, sodass vom Tatbestand Konstellationen erfasst würden, denen es unter Berücksichtigung des subsidiären Charakters des Strafrechts an Strafwürdigkeit und Strafbedürfnis fehle.20 Konkret sind damit die Aspekte der sog. „Verschleifung“ 21 gemeint. Dies bezeichnet Tendenzen in der Rechtsprechung von dem Vorliegen eines Merkmals auf das gleichzeitige Vorliegen eines anderen Merkmals zu schließen, namentlich von dem Vorliegen der Pflichtwidrigkeit der Handlung auf einen Vermögensnachteil22 et vice versa.23 Ferner wird auf Fälle verwiesen, bei denen die Treupflichtverletzung auf Normen beruht, die selber generalklauselartig abgefasst sind.24 Gleiches gilt für die Art und Weise der Anwendung der schadensgleichen Vermögensgefährdung, die nach Meinung Dierlamms „fast inflationär“ angenommen wird.25 Vor dem Hintergrund dieser Konturenlosigkeit geht insbesondere Dierlamm von einer Verfassungswidrigkeit aus.26 Richtigerweise ist § 266 StGB bestimmt genug – wenn er korrekt (nämlich verfassungskonform) ausgelegt und angewandt wird.27 Dies aber gelingt den Gerichten nicht immer.28 2. Bundesverfassungsgerichtsbeschlüsse Daher sah sich das Bundesverfassungsgericht genötigt in (bisher) drei Beschlüssen (neue) Grenzen bei der Auslegung der Untreue zu ziehen. Während sich der erste Beschluss einzig auf die schadensgleiche Vermögensgefährdung bezog und diese grundsätzlich als verfassungskonform ansah, befasste sich der zweite Beschluss umfassender mit dem Tatbestand der Untreue im Gesamten. Im Mittelpunkt der für die Untreue relevanten Ausführungen standen Fragen der 18

Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 3. Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 3; Hamm, NJW 2005, 1993, 1994. 20 Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 3. 21 Vgl. dazu Saliger, ZStW 112 (2000), 593, 610 f. und ders., in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 8. 22 Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 6; Matt, NJW 2005, 389, 390; Saliger, ZStW 112 (2000), 593, 610 f. 23 Saliger, ZStW 112 (2000), 593, 610 f.; Matt, NJW 2005, 389, 390. 24 Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 6. 25 Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 6. 26 Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 3, 6 m.w. N. 27 So auch Fischer, StGB, § 266, Rn. 33 (zum Treubruchstatbestand); Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 1; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 4; ähnlich Matt, NJW 2005, 389, 390. 28 Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 4, 8 m.w. N. Allgemein zweifelnd Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 5. 19

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

Pflichtverletzung und des Vermögensnachteils. Der dritte Beschluss bestätigte im Wesentlichen die vorhergehenden Beschlüsse und präzisierte die vorherigen Aussagen insbesondere für den Vermögensnachteil. a) BVerfG, Beschluss vom 10.03.2009 – 2 BvR 1980/07 Der erste Beschluss bezog sich ausschließlich auf den Vermögensnachteil und hier im Besonderen auf die Figur der schadensgleichen Vermögensgefährdung. Das Tatbestandsmerkmal des Nachteils ist nach Meinung des Verfassungsgerichts „noch hinreichend bestimmt“.29 Grundsätzlich mit dem Bestimmtheitsgebot vereinbar sei ferner die Auslegung des Nachteilsbegriffs bezüglich einer schadensgleichen Vermögensgefährdung.30 Allerdings stehe Art 103 Abs. 2 GG einer zu weiten Auslegung des Nachteilsbegriffs in § 266 StGB entgegen.31 Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der fehlenden Versuchsstrafbarkeit in § 266 StGB, die nicht durch eine Einbeziehung von dem tatsächlichen Schaden vorgelagerten Gefährdungslagen umgangen werden dürfe.32 Mangels subjektiver Merkmale, die den objektiven Tatbestand einschränken, wie das etwa bei § 263 StGB („Bereicherungsabsicht“) der Fall ist, bewege sich die Anwendung des Nachteilsbegriffs auf schadensgleiche Vermögensgefährdungen nach Meinung des Gerichts an den äußersten zulässigen Grenzen der Auslegung.33 Die Konkretheit der Gefahr müsse daher sowohl in zeitlicher Hinsicht wie auch bezüglich der Möglichkeit der Schadensvermeidung durch das potentielle Opfer präzisiert werden.34 Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in dem ersten Beschluss eine restriktive Handhabung anmahnt, ergeben sich aus dem Beschluss keine grundlegenden Neuigkeiten, die es besonders zu beachten gilt.35 b) BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. Anders sieht es bei dem zweiten Beschluss des Verfassungsgerichts aus. Dieser hatte nicht nur das Tatbestandsmerkmal des Nachteils bzw. die schadensgleiche Vermögensgefährdung im Blick, sondern den Untreuetatbestand allgemein.36 Auch der gesamte Tatbestand der Untreue ist nach Meinung des Verfassungsge29 BVerfG, Beschluss vom 10.03.2009 – 2 BvR 1980/07 = NJW 2009, 2370, 2371, dazu Fischer, StV 2010, 95. 30 BVerfG, Beschluss vom 10.03.2009 – 2 BvR 1980/07 = NJW 2009, 2370, 2372. 31 BVerfG, a. a. O. 32 BVerfG, a. a. O. 33 BVerfG, a. a. O. 34 BVerfG, a. a. O. Vgl. näher dazu Kapitel 2 C. III. 1. 35 Ähnlich Saliger, ZIS 2011, 902. 36 Vgl. nur den ersten Leitsatz von BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170 = NJW 2010, 3209.

A. Vorüberlegungen

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richts mit den Maßstäben des Bestimmtheitsgebots noch zu vereinbaren.37 Zwar bestehen Bedenken bezüglich der ausreichenden Bestimmtheit (teilweise spricht der 2. Senat von einer „sehr weit gefassten und verhältnismäßig unscharfen Strafvorschrift“ 38 oder von einer sehr abstrakten Formulierung39), diesen könne aber durch eine restriktive und präzisierende Auslegung Rechnung getragen werden.40 Keine grundlegenden Neuigkeiten ergeben sich bei den Ausführungen zum Rechtsgut und zur Vermögensbetreuungspflicht.41 So geht das Gericht davon aus, dass § 266 StGB das Vermögen im Sinne der Gesamtheit der geldwerten Güter einer Person schütze.42 Bezüglich der Vermögensbetreuungspflicht macht das Gericht deutlich, dass den Täter eine inhaltlich besonders herausgehobene Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen treffen müsse, wobei eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen sei.43 Anders sieht es bei den Anmerkungen zur Pflichtverletzung und zum Vermögensnachteil aus.44 Zu der Pflichtverletzung: Nach Meinung des Verfassungsgerichts handelt es sich bei dem Merkmal der Pflichtverletzung um ein normatives Tatbestandsmerkmal.45 Aus verfassungsrechtlicher Sicht müsse dies so ausgelegt werden, dass nur Fälle „klaren und deutlichen (evidenten) pflichtwidrigen Handelns“ erfasst werden.46 Ziel solle es hierbei sein Wertungswidersprüche zu vermeiden und den Charakter des Untreuetatbestands als Vermögensdelikt zu bewahren.47 Dies solle explizit u. a. durch das von der Rechtsprechung erdachte Erfordernis der „gravierenden“ Pflichtverletzung gelingen, dem das Gericht tatbestandbegrenzende Funktion zuspricht.48 Zu dem Vermögensnachteil: Zunächst macht das Gericht deutlich, dass das Nachteilsmerkmal ein selbständiges Tatbestandsmerkmal neben der Pflichtwid37 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 200 = NJW 2010, 3209, 3212 (Rn. 85). 38 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 202 = NJW 2010, 3209, 3212 (Rn. 90). 39 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 203 = NJW 2010, 3209, 3213 (Rn. 92). 40 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 200 = NJW 2010, 3209, 3212 (Rn. 85). 41 Saliger, ZIS 2011, 902, 905. 42 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 200 f. = NJW 2010, 3209, 3212 (Rn. 86), m.w. N. zur h. M. und zu anderen Ansätzen. 43 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 208 f. = NJW 2010, 3209, 3214 f. (Rn. 109). 44 Eingehend Saliger, ZIS 2011, 902, 905 ff. 45 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 204 f. = NJW 2010, 3209, 3213 (Rn. 97). 46 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 210 f. = NJW 2010, 3209, 3215 (Rn. 111). 47 BVerfG, a. a. O. 48 BVerfG, a. a. O.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

rigkeit sei.49 Hierbei wird explizit auf die Gefahr des „Verschleifens“ der Eigenständigkeit des Vermögensnachteils mit der Pflichtwidrigkeit hingewiesen. Es seien daher eigenständige Feststellungen zu dem Vorliegen des Nachteils notwendig, wobei nur bei verbleibenden Unsicherheiten der (Mindest-)Schaden geschätzt werden dürfe.50 Normative Gesichtspunkte könnten dabei eine Rolle spielen, allerdings dürften sie wirtschaftliche Überlegungen nicht verdrängen.51 Im Rahmen der schadensgleichen Vermögensgefährdung solle der bilanzrechtsorientierte Ansatz Hefendehls52 helfen, einen Schaden zu prognostizieren, um die aus Sicht des Verfassungsgerichts bisher teilweise verfassungsrechtlich bedenkliche Rechtsprechung einzudämmen, die aus der Pflichtwidrigkeit der Handlung auf das Vorliegen eines Nachteils schließt, der im Detail nicht nachgewiesen ist und so zu einer „Verschleifung“ entgegen der gesetzgeberischen Intention führe.53 c) BVerfG, Beschluss vom 01.11.2012 – 2 BvR 1235/11 Mit dem dritten Beschluss bestätigt die erste Kammer des zweiten Senats die vorherigen Beschlüsse. Eine Präzisierung der vorherigen Aussagen findet für den Fall der Haushaltsuntreue statt, auf die hier nicht näher eingegangen wird, da sie für die vorliegende Untersuchung keine neuen Erkenntnisse liefert.54 3. Kurze Analyse der Beschlüsse sowie Folgen für die vorliegende Diskussion Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts geben Antworten zu wichtigen Fragen bezüglich der Untreue. Die sich in der Literatur entwickelte Debatte zu dem zweiten Beschluss bezieht sich zu einem großen Teil auf einen hier bis jetzt nicht angesprochenen Aspekt und betrifft die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht mit seinem zweiten Beschluss neue Ansätze betreffend den Bestimmtheitsgrundsatz allgemein begründet habe.55 Diese Frage spielt für die vorliegende Arbeit keine Rolle und bleibt daher hier unbehandelt. Bezüglich der Untreue selbst ist zunächst festzuhalten, dass, wie es oben bereits angedeutet 49

BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 211 = NJW 2010, 3209, 3215 (Rn. 113). 50 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 211 = NJW 2010, 3209, 3215 (Rn. 113). 51 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 212 = NJW 2010, 3209, 3215 (Rn. 115). 52 Hefendehl, S. 169 ff. 53 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 228 = NJW 2010, 3209, 3220 (Rn. 149). 54 Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 01.11.2012 – 2 BvR 1235/11 = NJW 2013, 365. 55 Dafür Saliger, NJW 2010, 3195, 3198; ders., ZIS 2011, 902 ff. m.w. N. A. A. etwa Schulz, FS-Roxin, S. 305. Guter Überblick bei Saliger, ZIS 2011, 902 ff.

B. Die Missbrauchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 1 StGB

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worden ist, der Tatbestand des § 266 StGB grundsätzlich nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstößt.56 Es sind aber vor dem Hintergrund der weiten Fassung restriktivierende Anstrengungen zu unternehmen, um eine Auslegung zu erreichen, die der Verfassung entspricht. Begrüßenswert sind daher alle Aspekte die das Verfassungsgericht nennt, die geeignet sind den Tatbestand der Untreue begrenzend zu behandeln. Hierbei können die Anmerkungen des Verfassungsgerichts aber nicht als abschließend gelten. Sie sind gewissermaßen nur Bestätigungen bisheriger Versuche für die Restriktion des Tatbestands. Auch andere Vorschläge gilt es zu berücksichtigen, um „restriktiv und präzisierend“ auszulegen, sofern die Vorschläge dazu geeignet sind. Hier sind im Nachgang zu den Beschlüssen viele Vorschläge ergangen.57 In der vorliegenden Untersuchung sind daher die verfassungsgerichtlichen Ausführungen ebenso wie die sich daran anschließenden der Literatur besonders zu berücksichtigen. Gleiches gilt für Rechtsprechung, die zeitlich nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts ergangen ist. Diese Berücksichtigung findet aber nicht abstrakt, also z. B. vorgelagert an dieser Stelle statt, sondern am jeweiligen Tatbestandsmerkmal, wenn die benannten Ausführungen sich auf dieses beziehen. Ziel ist es hierbei die Untreue in der vorliegenden Arbeit möglichst so zu untersuchen, wie es der verfassungsgerichtlichen Auffassung entspricht. Das heißt im Wesentlichen, dass vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsfrage der Tatbestand des § 266 StGB restriktiv und präzisierend ausgelegt werden muss.58

III. Ergebnis Aus § 294 Abs. 1 AktG a. F. lassen sich keine eindeutigen Schlüsse für oder gegen eine Aufsichtsratsstrafbarkeit aus § 266 Abs. 1 StGB ziehen, I. Der Tatbestand der Untreue ist verfassungsgemäß, II. 1. Allerdings ist er vor dem Hintergrund seiner weiten Fassung restriktiv auszulegen, II. 2., 3. Die Vorgaben des Verfassungsgerichts sind also bei der folgenden Untersuchung streng zu beachten.

B. Die Missbrauchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 1 StGB Eine Strafbarkeit des Aufsichtsratsmitglieds könnte sich aus dem Missbrauchstatbestand ergeben. Dieser regelt einen Spezialfall der Treubruchsvariante.59 Voraussetzung des Missbrauchstatbestands ist, dass der Täter die ihm durch Gesetz, 56

Vgl. Fn. 27. Vgl. etwa Rönnau, StV 2011, 753. 58 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 200 = NJW 2010, 3209, 3212 (Rn. 85). 59 Vgl. nur Fischer, StGB, § 266, Rn. 6a; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 7 m.w. N.; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 5. 57

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat,60 einen Nachteil zufügt, § 266 Abs. 1 Var. 1 StGB. Ob eine Verfügung i. S. d. § 266 Abs. 1 Var. 1 StGB überhaupt durch Unterlassen möglich ist, wird mit unterschiedlichen Akzenten überwiegend bejaht.61 Streitig ist dabei, ob bloß rechtsgeschäftliche62 oder auch schon bestimmte tatsächliche63 Unterlassungen der Missbrauchsvariante unterfallen können. Gegen Letzteres spricht aber, dass das bloße Unterlassen in diesen Fällen keinen rechtlichen Erklärungswert hat. Der Missbrauchstatbestand setzt, bei restriktiver Interpretation des Wortlauts, eine Verfügung oder Verpflichtung voraus, die Folge des Missbrauchs sein muss. Das bloße „Weiterlaufenlassen“ eines Vertrags etwa, also das Unterlassen einer Kündigung,64 hat aber keinen eigenen Verfügungs- oder Erklärungswert. Es kann in diesen Fällen nur der Treubruchstatbestand erfüllt sein, nicht aber der speziellere Missbrauchstatbestand.65 Notwendig für die Missbrauchsvariante ist jedenfalls eine Verfügungs- bzw. Verpflichtungsbefugnis des Aufsichtsrats. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 266 Abs. 1 Var. 1 StGB. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Vertretungsmacht der Gesellschaft nach außen grundsätzlich dem Vorstand obliegt (§ 78 Abs. 1 AktG) und nur in eng bezeichneten Ausnahmen der Aufsichtsrat nach außen für die Gesellschaft auftritt (§ 112 AktG).66 Diese Sonderfälle betreffen etwa den Abschluss eines Anstellungsvertrages und die Erhebung von Schadensersatzklagen.67 Sofern als unterlassene Maßnahme die Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG von seiner organschaftlichen Stellung in Be-

60 Dies fordert zu recht die h. M. in Rechtsprechung und Literatur. Aus der Rechtsprechung etwa BGH, Urteil vom 22.11.2005 – 1 StR 571/04 = NJW 2006, 453, 454 („Kinowelt“). Aus der Literatur etwa Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 11, 13 ff.; Fischer, StGB, § 266, Rn. 21. 61 Übersicht bei Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 103 ff.; Fischer, StGB, § 266, Rn. 32; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 22. 62 So etwa Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 103 ff.; Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 123; Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 16. 63 So etwa Fischer, StGB, § 266, Rn. 32; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 22; Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 53. Rechtsprechungsbeispiele etwa bei Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 15.1. 64 Missbrauchsvariante befürwortend etwa Fischer, StGB, § 266, Rn. 32; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 22 jeweils unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 15.03.1951 – IV ZR 9/50 = BGHZ 1, 294 = NJW 1951, 645. 65 Wie hier etwa Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 105; Zech, S. 49 ff. Kritisch Poseck, S. 75, der dies als „Ausweichen“ bezeichnet und insoweit kritisiert. Richtigerweise dagegen Zech, S. 50 (Posecks Ansatz ist Aufweichung der Missbrauchsvariante). 66 Vgl. dazu Poseck, S. 65 f.; Schilha, S. 223. 67 Poseck, S. 66.

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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tracht kommt,68 ließe sich eine solche Außenwirkung erwägen.69 Da dann jedoch eine tatsächliche und keine rechtsgeschäftliche Unterlassung vorliegen würde (parallel zu dem vorstehend genannten Beispiel des „Weiterlaufenlassens“ eines Vertrags), kommt nur die Treubruchsvariante in Betracht. Im Ergebnis wird der Missbrauchstatbestand nicht durch den Aufsichtsrat erfüllt, wenn er es unterlässt Straftaten des Vorstands abzuwenden.

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB Es könnte aber der allgemeinere Treubruchstatbestand, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB gegeben sein. Diesen erfüllt derjenige, der die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, § 266 Abs. 1, Var. 2 StGB.

I. Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsratsmitglieds Erstes Merkmal ist eine sog. Vermögensbetreuungspflicht des potentiellen Täters, also hier des Aufsichtsratsmitglieds. Dieses Merkmal ist zunächst konstitutiv für die Bestimmung des Täterkreises.70 Die Vermögensbetreuungspflicht kann aus einem rechtlichen oder faktischen Treueverhältnis begründet werden.71 Die Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft sind nach unbestrittener Ansicht vermögensbetreuungspflichtig gegenüber der AG.72 Auch wenn dieser Ansicht im Ergebnis zuzustimmen sein mag, greift es insbesondere bei der gebotenen Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu kurz, einzig aus der Organfunktion auf das Vorliegen der Vermögensbetreuungspflicht zu schließen.73 Vielmehr ist eine Subsumtion unter die allgemeinen Vorausset68

Vgl. dazu unten Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (3). Anders Mosiek, wistra 2003, 370, 375 (Fn. 74); Poseck, S. 66; Tiedemann, FSTröndle, S. 322. 70 Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 47; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 9. 71 Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 29. 72 Etwa BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 201 = NJW 2002, 1585, 1588 („SSV Reutlingen“); BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = BGHSt 50, 331, 335 ff. = NJW 2006, 522, 523 (Rn. 13) („Mannesmann/Vodafone“); Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 302; Fischer, StGB, § 266, Rn. 48; Saliger, in: S/S/ W-StGB, § 266, Rn. 15, 90; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 34.8. Eingehend Poseck, S. 80 ff.; Schilha, S. 231–264. Umfassende Nachweise bei Brand/Petermann, WM 2012, 62 (Fn. 2). 73 So aber etwa BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 200 f. = NJW 2002, 1585, 1588 („SSV Reutlingen“) und BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = BGHSt 50, 331, 225 f. = NJW 2006, 522, 523 (Rn. 13) („Mannes69

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

zungen notwendig. Hierfür werden die allgemeinen Anforderungen der Vermögensbetreuungspflicht kurz dargelegt (1.), die als Prämisse für die anschließende Subsumtion (2.) dient. Als letzter Punkt werden die Konsequenzen einer Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsrats für den Tatbestand der Untreue untersucht (3.). 1. Allgemeine Anforderungen für das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht Die Vermögensbetreuungspflicht ist konstitutiv für die Bestimmung des Täterkreises.74 Dieses Merkmal ist vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gebotenen restriktiven Auslegung75, insbesondere des Treubruchstatbestandes, eng zu interpretieren.76 Für die Restriktion des Merkmals ist seit dem Zeitpunkt des Bestehens der Untreue eine ausdifferenzierte Rechtsprechung entstanden. Die Rechtsprechung nimmt eine Würdigung der Gesamtumstände vor, um das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht festzustellen.77 In der Literatur wird dies teilweise kritisch gesehen, da aus der Gesamtbetrachtung eine „Unverbindlichkeit“ folge.78 Allerdings besteht in der gewissen Flexibilität der Rechtsprechung der Vorteil, unbedachte strafwürdige Fälle unter Umständen strafrechtlich sanktionieren zu können. Solange die Merkmale, trotz Gesamtbetrachtung, nicht willkürlich verwaschen werden, bestehen gegen eine etwas flexible Anwendung keine Einwände.79 Die Merkmale, auf die es im Einzelnen ankommt, sind:80 a) Fremde Vermögensinteressen Zunächst muss es sich um fremde Vermögensangelegenheiten handeln, die der Treupflichtige zu betreuen hat.81 Die Fremdheit richtet sich nach dem materiellen Zivilrecht.82 Die Verfolgung eigener Vermögensinteressen, bei der gegebenenmann/Vodafone“). Deshalb zu Recht kritisch gegenüber solchen Tendenzen Schilha, S. 231. 74 Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 47; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 9. 75 Vgl. oben Kapitel 2 A. II. 3. 76 Etwa Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 31; Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 31; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 29. 77 BGH, Urteil vom 11.12.1957 – 2 StR 481/57 = BGHSt 13, 315, 317 = NJW 1960, 53. 78 Etwa Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 24. Kritisch auch Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 44. 79 Ähnlich Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 11, der hierbei auf die Beachtung des Strafgrundes der Untreue abstellt. 80 Überblick bei Fischer, StGB, § 266, Rn. 35–38. 81 Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 32; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 30. 82 Fischer, StGB, § 266, Rn. 11, m.w. N.

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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falls Vermögensinteressen eines anderen tangiert werden, reicht nicht aus, um den Untreuevorwurf zu begründen.83 b) Hauptpflicht des Geschäftsbesorgungsverhältnisses Die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen muss die Hauptpflicht des Verhältnisses zwischen Treugeber und Treunehmer darstellen und darf nicht bloß Nebenpflicht sein.84 Sie muss daher typischer und wesentlicher Inhalt des [fremdnützig geprägten, dazu bereits a)] Geschäftsbesorgungsverhältnisses sein.85 c) Selbständigkeit, Verantwortung und Bewegungsfreiheit Die hauptpflichtige Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen durch den Treunehmer muss ferner selbstständig und verantwortlich erfolgen.86 Dieses Merkmal ist notwendig, um solche Fälle auszuscheiden, in denen der Treunehmer etwa auf Anweisung des Treugebers handelt oder im Rahmen einer vorher vereinbarten Maßgabe, die dem Treunehmer jegliche Möglichkeit einer anderen Entscheidung nimmt.87 In diesen Fällen läge dann keine dem Treunehmer zurechenbare Handlung vor, die strafrechtlich zu sanktionieren wäre. Vielmehr handelte es sich dann um eine Selbstschädigung.88 Problematisch und streitig ist, wo hier die Grenze zu ziehen ist.89 Hier stehen sich ein extensiver Ansatz90, der auch bei untergeordneten Tätigkeiten eine Vermögensbetreuungspflicht annimmt und 83 Kindhäuser, in: NK-StGB, § 266, Rn. 43 ff.; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 30. BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 208 f. = NJW 2010, 3209, 3214 f. (Rn. 109) nimmt in diesen Fällen wohl schon die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen an, will aber über das nächste Merkmal, den Hauptpflichtaspekt, die Einschränkung vornehmen. Dagegen dann aber BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 209 f. = NJW 2010, 3209, 3215 (Rn. 110). 84 RG, Urteil vom 14.12.1934 – 1 D 865/34 = RGSt 69, 58, 62; BGH, Urteil vom 08.05.1951 – 1 StR 171/51 = BGHSt 1, 186, 189; BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 208 f. = NJW 2010, 3209, 3214 f. (Rn. 109). Aus der Literatur etwa Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 35; Fischer, StGB, § 266, Rn. 36; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 11; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 31. 85 Etwa BGH, Urteil vom 5. 7. 1968 – 5 StR 262/68 = BGHSt 22, 190, 191 = NJW 1968, 1938. Vgl. auch Literaturnachweise aus Fn. 84. 86 Etwa BGH, Beschluss vom 3. 8. 2005 – 2 StR 202/05 = NStZ 2006, 38. Aus der Literatur: Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 42; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 11; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 32. 87 Ähnlich Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 42: „Detaillierte Weisungen“. 88 Ähnlich Kindhäuser, in: NK-StGB, § 266, Rn. 47. 89 Kindhäuser, in: NK-StGB, § 266, Rn. 47 sieht in dieser Streitigkeit die Wurzel der Unbestimmtheit des Untreuetatbestandes. 90 BGH, Beschluß vom 26.05.1983 – 4 StR 265/83 = NStZ 1983, 455. Weitere Nachweise bei Kindhäuser, in: NK-StGB, § 266, Rn. 51.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

so das Selbständigkeitserfordernis vernachlässigt, und eine restriktive Interpretation91 des Selbständigkeitserfordernisses, bei der solche untergeordneten Tätigkeiten eben nicht zu einer Vermögensbetreuungspflicht führen, gegenüber.92 Um insbesondere dem verfassungsrechtlichen Gebot nach restriktiver Tatbestandsauslegung gerecht zu werden,93 erscheint es überzeugend bei rein untergeordneten Tätigkeiten keine hauptpflichtige Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen anzunehmen und in diesen Fällen eine Vermögensbetreuungspflicht abzulehnen. d) Weitere Aspekte Weiterhin können andere Aspekte im Rahmen der Gesamtschau eine Rolle spielen.94 Hierbei kann das Merkmal der „Dauer“ der Vermögensbetreuung eine restriktivierende Rolle spielen. Das Merkmal der Größe bzw. Summe der betreuten Vermögenswerte kann hingegen (wenn die Größe/Summe besonders hoch ist) ein Indiz für das Vorliegen einer Betreuungspflicht sein. Wenn sie aber besonders niedrig ist, spricht dies eher gegen eine Pflicht. Dies ist aber nicht zwingend, sondern muss anhand des Einzelfalls bewertet werden.95 2. Vorliegen der Anforderungen beim Aufsichtsrat der AG Diese Merkmale müssen auch bei dem Aufsichtsratsmitglied vorliegen. Nach dem Wortlaut des § 266 Abs. 1 StGB kann sich die Vermögensbetreuungspflicht aus Gesetz, behördlichem Auftrag, Rechtsgeschäft oder einem Treueverhältnis ergeben. Nicht eindeutig ist, welche dieser Varianten für das Aufsichtsratsmitglied einschlägig ist. In der Rechtsprechung wird für den Umfang der Betreuungspflicht auf die aktienrechtlichen Normen Bezug genommen.96 Woraus sich die Pflicht begründet, bleibt unklar. In der Literatur wird dies ebenfalls oft nicht geklärt.97 Nur vereinzelt gibt es Hinweise auf den Ursprung der Vermögensbetreuungspflicht. Teilweise wird eine rechtsgeschäftliche Grundlage gesehen.98 Einige Au91 Kindhäuser, in: NK-StGB, § 266, Rn. 53, m.w. N. Favorisierend auch Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 44, m.w. N. 92 Kurze Streitübersicht bei Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 32. Ausführlich Kindhäuser, in: NK-StGB, § 266, Rn. 47 ff. 93 Vgl. Kapitel 2 A. II. 3. 94 So auch Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 43, m.w. N. 95 Vgl. dazu auch Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 43. 96 Deutlich: BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 200 f. = NJW 2002, 1585, 1588 („SSV Reutlingen“); BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/ 04 = BGHSt 50, 331, 335 f. = NJW 2006, 522, 523 („Mannesmann/Vodafone“). 97 Offen etwa bei: Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 302; Fischer, StGB, § 266, Rn. 48; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 266, Rn. 58; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 34.8. 98 Hoyer, in: SK-StGB, § 266 Rn. 39; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 41.

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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toren sehen eine gesetzliche Grundlage.99 Andere leiten die Betreuungspflicht aus „Funktion und Befugnis“ ab.100 Es spricht einiges dafür, den Ursprung der Vermögensbetreuungspflicht in einer Kombination aus Anstellungsvertrag und Gesetz [vgl. dazu sogleich unter a)] zu sehen, da in beiden Quellen Elemente der Pflicht niedergelegt sind (bzw. im Anstellungsvertrag niedergelegt sein können).101 Jedenfalls bestimmt das Gesetz den Umfang und die Grenzen der Vermögensbetreuungspflicht.102 Ob die Aufsichtsratstätigkeit aber die unter 1. dargelegten Anforderungen erfüllt, muss anhand einer Subsumtion unter die genannten Merkmale geklärt werden [a)].103 Nach der so festgestellten Vermögensbetreuungspflicht wird diese in einem zweiten Schritt näher für die vorliegende Konstellation konkretisiert und untersucht, ob nur für Leitungsaufgaben oder auch im Rahmen der Überwachungstätigkeit eine Vermögensbetreuungspflicht besteht, b). a) Vorliegen der allg. Anforderungen Der Aufsichtsrat müsste fremde Vermögensinteressen betreuen [vgl. 1. a)]. Die AG verfügt als juristische Person mit eigener Rechtspersönlichkeit (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AktG) über ein eigenes Vermögen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AktG). Das Vermögen der AG ist für den Aufsichtsrat somit fremd.104 Es müsste darüber hinaus von ihm auch „betreut“ werden. Eine genaue gesetzliche Anordnung, wie dies etwa bei Liquidatoren (etwa §§ 48, 49 Abs. 1 Satz 1 BGB)105 der Fall ist, existiert nicht. Vielmehr ergibt sich die Betreuungspflicht aus einer Gesamtbetrachtung des Aufgabenkreises des Aufsichtsratsmitglieds. Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen, § 111 Abs. 1 AktG. Er kann hierzu Bücher und Schriften der Gesellschaft, ebenso wie Wertpapier- und Warenbestände einsehen und prüfen, § 111 Abs. 2 AktG. Wenn das Wohl der Gesellschaft es erfordert (diese Pflicht ist nicht nur, aber gegebenenfalls auch auf Fragen der Geschäftsführung bezogen106), ist er verpflichtet, die Hauptversammlung einzuberufen, 99

Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 36; Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 60. Krause, NStZ 2011, 57, 58. Ders. aber auch, in: Handbuch Managerhaftung, § 35, Rn. 26: „Aus Gesetz oder dem Gesellschafts- oder Anstellungsvertrag“. 101 Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 15. Im Ergebnis auch Schilha, S. 247, der dies aber im Rahmen der Extraktion der einzelnen Pflichten feststellt und auch Bezug auf die Satzung der Gesellschaft und die Geschäftsordnung des Gremiums nimmt. 102 Vgl. auch Hüffer, AktG, § 111, Rn. 1, § 111 AktG als „zwingendes Recht“ und Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111, Rn. 5 „nicht satzungsdispositiv“. 103 Insoweit unzureichend BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 200 f. = NJW 2002, 1585, 1588 („SSV Reutlingen“). Hier wird einzig auf § 111 AktG und Literaturstimmen verwiesen. 104 Fischer, StGB, § 266, Rn. 13. 105 Weitere Beispiele für Vermögensbetreuungspflicht aus Gesetz bei Saliger, in: S/ S/W-StGB, § 266, Rn. 13. 106 Vgl. dazu Hüffer, AktG, § 111, Rn. 14. 100

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

§ 111 Abs. 3 Satz 1 AktG. Die Bezüge des Vorstands, die dieser aus Mitteln der AG bezieht, sind durch den Aufsichtsrat festzusetzen, § 87 AktG. Der Aufsichtsrat hat dabei wie ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter zu Handeln, §§ 116 i.V. m. 93 AktG.107 Bei Streitigkeiten zwischen der AG und dem Vorstand vertritt der Aufsichtsrat die Interessen der AG, § 112 AktG. Dies betrifft auch Schadensersatzklagen, die durch den Vorstand verursachte Schäden des Gesellschaftsvermögens ausgleichen sollen.108 Bereits aus diesen Normen ergibt sich, dass der Bezugspunkt der Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds alles ist, was sich auf das Vermögen der Gesellschaft bezieht.109 Die Betreuung von Vermögen der AG durch den Aufsichtsrat ist damit gegeben. Weiterhin müsste dies die Hauptpflicht des Aufsichtsrats sein, 1. b). Auch wenn die Aufsichtsratstätigkeit in der Regel nur eine Nebentätigkeit ist110, so ist, wie sich bereits aus den zitierten Normen und ihrem Inhalt ergibt, ihre Hauptpflicht die Betreuung des Vermögens der Gesellschaft, bzw. die Fürsorge gegenüber der Gesellschaft als solche.111 Schlussendlich ist eine selbstständige und verantwortliche Ausübung der Vermögensbetreuung mit Bewegungsfreiheit erforderlich [1. c)]. Soweit die Tätigkeit auf Leitungsaufgaben bezogen ist, obliegt dem Aufsichtsrat gestalterische Freiheit schon unter der Prämisse unternehmerischen Handelns.112 In dem Fall der Überwachung der Geschäftsführung (§ 111 Abs. 1 AktG) stehen dem Aufsichtsrat eine Vielzahl von Handlungsinstrumenten zur Verfügung.113 Auch hier obliegt dem Aufsichtsrat grundsätzlich eine Freiheit sowohl bzgl. des Einschreitens wie auch bzgl. der Wahl der Mittel.114 Weisungen des Vorstands, der Aktionäre oder der Hauptversammlung unterliegt der Aufsichtsrat nicht.115 Schilha behauptet zwar, dass dem Aufsichtsrat im Rahmen der kognitiven Kontrolltätigkeit keine echte Entscheidungswahlfreiheit gegeben sei,116 hierbei verkennt er jedoch, dass der Aufsichtsrat nur durch Gesetz beschränkt, nicht aber durch Weisungen Dritter in seinen Entscheidungen beeinflusst wird, sondern selbst entscheidet.117 Der 107 Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1507 f. sieht (ausschließlich) §§ 116, 93 AktG als positivrechtlichen Anknüpfungspunkt der Vermögensbetreuungspflicht. 108 Hüffer, AktG, § 111, Rn. 4a. 109 Poseck, S. 81. 110 Siehe etwa Nowak, S. 60 f. 111 Schilha, S. 234 für Vermögensbetreuung. 112 Schilha, S. 234. Vgl. insb. zu Vergütungsentscheidungen Rönnau/Hohn, NStZ 2004, 113, 114. 113 Vgl. dazu etwa Lutter/Krieger, Rn. 94–130; Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 567 ff. Siehe auch Kapitel 2 C. II. 3. 114 Ebenso Poseck, S. 80 f. 115 Poseck, S. 80, m.w. N. 116 Schilha, S. 234. 117 Semler, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 1, Rn. 68, m.w. N.

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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Aufsichtsrat ist sowohl im Rahmen der Leitungs- wie auch der Überwachungsaufgabe selbstständig. Der Aufsichtsrat ist also vermögensbetreuungspflichtig in dem Sinne der allgemeinen Anforderungen.118 b) Konkretisierung der Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsratsmitglieds für die vorliegende Konstellation (Vermögensbetreuungspflicht auch im Rahmen der Überwachungsaufgabe) Allerdings hat die grundsätzliche Vermögensbetreuungspflichtigkeit nicht zur Folge, dass der Treunehmer automatisch das Vermögen umfassend betreut.119 So ist beispielsweise der vermögensbetreuungspflichtige Vorstand der Aktiengesellschaft bei einer täterschaftlichen Untreue des Aufsichtsrats im Falle einer pflichtwidrigen Vergütung selbst bloß Teilnehmer, nicht aber Täter, da ihm insoweit keine Vermögensbetreuungspflicht obliegt.120 Daher muss auch für den Aufsichtsrat im Prinzip näher untersucht werden, ob die Pflichten der Leitungs- und Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats einen Vermögensbezug haben und für die Verhinderung von Straftaten relevant werden.121 Dies stellt noch keine Untersuchung dar, ob die im Rahmen der Pflichtwidrigkeit verletzte Norm selbst vermögensschützenden Charakter hat und welche Konsequenzen sich aus einem etwaigen Fehlen des vermögensschützenden Charakters ergeben können.122 aa) Leitungsaufgabe Zunächst kommen die sogenannten „Leitungsaufgaben“ des Aufsichtsrats in Betracht. Zwar obliegt die Leitung der Gesellschaft (allein) dem Vorstand, § 76 Abs. 1 AktG.123 Allerdings hat der Aufsichtsrat bei bestimmten Einzelentscheidungen selbst Leitungsaufgaben wahrzunehmen. Dies betrifft etwa die Festsetzung der Vergütung der Vorstandsmitglieder gem. § 87 AktG.124 Dies sind

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Vgl. bereits Fn. 72. Schilha, S. 236. Siehe auch Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 74. 120 BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = NJW 2006, 522, 530 (Rn. 80) („Mannesmann/Vodafone“), nicht abgedruckt in BGHSt 50, 331; dazu Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 296. Beachte aber auch die Sonderkonstellation im Fall OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12 = NJW 2012, 3798, das eine Vermögensbetreuungspflicht für eigene Vermögensangelegenheiten angenommen hat, wenn Höhe und Umfang der Vergütung sich aus der Satzung ergeben. 121 Ähnlich bereits Schilha, S. 235 ff. allgemein zu Pflichten des Aufsichtsrats. 122 Zu Konsequenzen des fehlenden Vermögensbezug BGH, Beschluss vom 13.09. 2010 – 1 StR 220/09 = BGHSt 55, 288, 299 ff. = NJW 2011, 88, 91 f. („Siemens/ AUB“). Vgl. zu den Konsequenzen für die vorliegende Konstellation Kapitel 2 C. II. 5. a). 123 Vgl. nur Lutter/Krieger, Rn. 62 und unten Kapitel 3 C. IV. 1. c). 124 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, 113, 114. 119

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

jedoch Geschäftsleitungstätigkeiten. Diese Ausprägung der Aufsichtsratstätigkeit spielt bei der Bewertung der Strafbarkeit des Aufsichtsrats in der vorliegenden Konstellation keine Rolle, da die Leitungsaufgabe keine Pflicht für die Verhinderung von Straftaten statuiert, vgl. Kapitel 2 C. II. 2. bb) Überwachungsaufgabe Einzig aus einem Verstoß gegen Pflichten der sogenannten „Überwachungsaufgabe“ kann sich hier ein Vorwurf der Untreue ergeben. Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats ist in § 111 Abs. 1 AktG niedergelegt.125 Die Fassung des § 111 Abs. 1 AktG ist sehr allgemein gehalten. Ob sie vermögensschützenden Charakter hat, ist heute noch nicht abschließend geklärt126 und muss durch Auslegung ermittelt werden. Der Wortlaut bezieht sich zunächst auf die Überwachung der Geschäftsführung und insoweit nicht unmittelbar auf das Gesellschaftsvermögen. Er hilft hier nicht weiter. Systematisch steht § 111 Abs. 1 AktG in unmittelbarer Nähe zu Bestimmungen, die konkreter ausführen welche Maßnahmen dem Aufsichtsrat in dem Zusammenhand mit der Überwachung zustehen (etwa § 111 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 AktG). Bezweckt § 111 Abs. 1 AktG also eine Hervorhebung der Überwachungsaufgabe,127 so lässt sich aus dem systematischen Verständnis der Norm auf einen Vermögensbezug schließen. Deutlich wird dieser, wenn der Sinn und Zweck der Überwachung nach § 111 Abs. 1 AktG untersucht wird: Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung auf Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit hin zu überwachen.128 Dabei hat der Aufsichtsrat den Vorstand auch in der Hinsicht zu überwachen, dass dieser für den Bestand des Unternehmens und für eine dauerhafte Rentabilität sorgt129 und dabei auch die Sicherung der Liquidität der Gesellschaft, ihre angemessene Finanzierung, ihre Ertragskraft und die Stellung am Markt als ständige und zentrale Aufgabe seiner Leitung vor Augen hat.130 In diesem Zusammenhang hat der Aufsichtsrat i. R. d. Überwachungsaufgabe auch dafür zu sorgen, dass der Vorteil des Unternehmens gewahrt und Schaden von ihm abgewandt wird.131

125 Vgl. Wortlaut der Norm und aus der Literatur dazu erläuternd etwa Hüffer, AktG, § 111, Rn. 1; Lutter/Krieger, Rn. 61 f. oder auch Schilha, S. 42 ff. 126 Brand/Petermann, WM 2012, 62. 127 So Hüffer, AktG, § 111, Rn. 1. 128 BGH, Urteil vom 25.03.1991 – II ZR 188/89 = NJW 1991, 1830, 1831; Hüffer, AktG, § 111, Rn. 6 (dieser: Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit und Zweckmäßigkeit im wirtschaftlichen Sinn); Lutter/Krieger, Rn. 61 f., m.w. N.; Spindler, in: Spindler/ Stilz, § 111, Rn. 14, m.w. N. 129 Hüffer, AktG, § 111, Rn. 6. 130 Lutter/Krieger, Rn. 83. 131 Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 146.

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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§ 111 Abs. 1 AktG hat also vermögensschützenden Charakter. Dies entspricht der Auffassung, die eine Vermögensbetreuungspflicht nicht nur im Rahmen von Leitungsaufgaben, sondern auch im Rahmen der Überwachungsaufgabe des § 111 Abs. 1 AktG annimmt, dabei aber auf eine nähere Begründung verzichtet.132 Ist der Aufsichtsrat also auch im Rahmen seiner Überwachungsaufgabe vermögensbetreuungspflichtig, so kann er Täter133 einer Treubruchsuntreue sein. 3. Konsequenz der Vermögensbetreuung: Beschränkung der möglichen Untreuestrafbarkeit auf Straftaten z. N. des Vermögens der AG Zu untersuchen ist die Konsequenz der Vermögensbetreuungspflicht. Das Tatbestandsmerkmal der Vermögensbetreuungspflicht legt einen starken Bezug zu dem Vermögen als Schutzgut nahe. Über § 266 Abs. 1 StGB kann nur ein Verhalten sanktioniert werden, das dem betreuten Vermögen zuwiderläuft. Es ist also zu prüfen, wessen Vermögen der Aufsichtsrat zu schützen hat. Hieraus ergibt sich dann eine Antwort auf die Frage, welche der Garantenstellungen, die oben bereits angesprochen worden sind,134 von § 266 Abs. 1 StGB erfasst sind. Die folgende Untersuchung sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob die hier abgelehnten Garantenstellungen außerhalb der Untreuestrafbarkeit (dazu Kapitel 3 C. und D.) bestehen können. Nachdem zunächst die verschiedenen Beschützergarantenstellungen untersucht worden sind [a) und b)], wird geprüft, ob auch eine mögliche Überwachergarantenstellung von § 266 Abs. 1 StGB erfasst sein kann [c)]. a) Inhalt des Vermögensschutzes: Die Beschützergarantenstellung für das Vermögen (der AG) Um die von § 266 StGB erfassten Garantenstellungen genau untersuchen zu können, ist zunächst das von § 266 StGB geschützte Rechtsgut zu klären. Der Wortlaut spricht von fremden „Vermögensinteressen“ und von dem „Nachteil“, der an dem fremden Vermögen eintreten muss. Dies lässt auf einen Schutz des Vermögens schließen. Umstritten ist der genaue Gehalt des geschützten Rechtsguts dennoch.135 Nicht geschützt werden die Befriedigungsinteressen 132 So etwa Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1505, 1508; Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 302; Fischer, StGB, § 266, Rn. 48, 105 f.; Matt/Renziskowski/Matt, § 266, Rn. 36 (Fn. 150); Rönnau/Hohn, NStZ 2004, 113, 114; Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 258; Tiedemann, FS-Tröndle, S. 322. Insbesondere Brand/Petermann, WM 2012, 62, 64 („unzweifelhaft vermögensschützend“). 133 Vgl. Kapitel 2 C. V. 134 Vgl. Kapitel 1 C. II. 135 Streitübersichten etwa bei: Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 1 ff.; Fischer, StGB, § 266, Rn. 2; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 1; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 2.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

des Gläubigers.136 Auch die persönlichen Interessen des Treugebers finden über die Untreue keinen Schutz.137 Die Untreue ist auch kein Vermögensverschiebungsdelikt, da weder objektiv noch subjektiv eine Vermögensverschiebung gefordert wird.138 Teilweise werden neben dem Vermögen auch die Redlichkeit im Rechtsverkehr und die Vertrauensbeziehung zwischen dem Täter und dem Verletztem als geschützt angesehen.139 Dies betrifft aber die Handlung und nicht den Verletzungserfolg, der in dem Vermögensnachteil zum Ausdruck kommt.140 Auch die Dispositionsfreiheit des Treugebers ist kein geschütztes Rechtsgut des § 266 StGB.141 Dies wird im Urteil „Siemens“ vom zweiten Strafsenat des BGH nicht so streng gesehen und die Dispositionsfreiheit wird in den Tatbestand der Untreue hineingelesen.142 Allerdings besteht so die Gefahr, dass bei dieser Betrachtung auch Fälle ohne Vermögensnachteil sanktionswürdig erscheinen, was sich mit dem Wortlaut der Untreue nicht deckt.143 Die Untreue ist also ein reines Vermögensdelikt.144 Geschützt wird einzig das Vermögen des Treugebers. Die Pflicht im Rahmen der Untreue fremdes Vermögen zu betreuen wird, sofern es um Unterlassen geht, als Beschützergarantenstellung zum Schutz des Vermögens betitelt.145 Jedenfalls sofern, wie im vorliegenden Fall,146 die Grundlage der Vermögensbetreuungspflicht das Gesetz oder ein Rechtsgeschäft ist.147 Sie wird auch als „gesteigerte Garantenpflicht“ 148 oder als „Garantenstellung sui generis“ 149 bezeichnet. Die Anforderungen an die Schutzstellung bzgl. des Vermögens im Rahmen der Untreue (also die Vermögensbetreuungspflicht) sind höher 136 BGH, Urteil vom 20. 7. 1999 – 1 StR 668/98 = NJW 2000, 154, 155 (allgemein in Bezug auf GmbH); Fischer, StGB, § 266, Rn. 2; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 1, m.w. N.; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 2. Vgl. auch b) cc). 137 Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 23. 138 Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 1. 139 Dunkel, GA 1977, 329, 334 f., m.w. N. 140 Rönnau, ZStW 119 (2007), 887, 890; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 2. 141 So schon BGH, Urteil vom 04.11.1997 – 1 StR 273/97 = NStZ 1998, 514, 515. Ebenso Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 3, vgl. aber Rn. 6; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 1, m.w. N. für beide Ansichten; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 2. 142 BGH, Urteil vom 29.08.2009 – 2 StR 587/07 = BGHSt 52, 323, 337 ff. (Rn. 45, 47) = NJW 2009, 89, 92 (Rn. 45, 47) („Siemens“). 143 Zu recht kritisch etwa Saliger/Gaede, HRRS 2008, 57, 70; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 2.1. Dazu auch Schlösser, HRRS 2009, 19, 24 f. 144 Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 1; Fischer, StGB, § 266, Rn. 2, m.w. N. 145 Etwa: Kindhäuser, in: NK-StGB, § 266, Rn. 36; Waßmer, in: Graf/Jäger/Wittig, § 266, Rn. 31. 146 Vgl. Kapitel 2 C. II. 2. b) aa). 147 Vgl. die Streitübersicht zur Frage beim „Treueverhältnis“ Fischer, StGB, § 266, Rn. 40. 148 Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 143 (aber nicht näher ausgeführt). 149 Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 11.

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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als für eine bloße Beschützergarantenstellung.150 § 13 Abs. 1 StGB muss daher für § 266 StGB nicht zur Anwendung kommen.151 Das geschützte Rechtsgut des § 266 StGB ist das Vermögen des Treugebers, in dem vorliegenden Fall also der Aktiengesellschaft. § 266 StGB sanktioniert grundsätzlich (qualifizierte) Verstöße des Aufsichtsrats gegen seine Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Vermögens der Aktiengesellschaft. Ob dies nur unmittelbare oder auch mittelbare Verletzungen betrifft, muss hier noch nicht geklärt werden und ist eine Frage des Nachteilmerkmals.152 b) Andere Beschützergarantenstellungen im Rahmen von § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB Klärungsbedürftig bleibt, ob auf dieser Grundlage auch andere Rechtsgutsinhaber den Schutz des § 266 StGB genießen. aa) Aktionäre/Gesellschafter Ob eine Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsrats auch zu Gunsten der Gesellschafter der AG (der Aktionäre) besteht, ist fraglich. Dies wird von vielen Stimmen bejaht.153 Hierbei meint sich ein Teil der Literatur auf das „Mannesmann“-Urteil des BGH stützen zu können.154 Das „Mannesmann“-Urteil des BGH erwähnt allerdings an keiner Stelle eine Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsrats (oder des Vorstands) zu Gunsten der Aktionäre. Es stellt lediglich eine Vermögensbetreuungspflicht zu Gunsten der AG fest.155 Der Verweis auf das BGH Urteil durch einige Literaturstimmen ist daher mehr als fragwürdig. Anders beurteilt die vorherige Instanz diese Frage: Das LG Düsseldorf nimmt explizit eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der AG und deren Aktionären an.156 Die Existenz dieser Vermögensbetreuungspflicht wird nicht näher erläutert. Auch in der Literatur findet sich keine Begründung für eine Pflicht des Aufsichtsrats gegenüber den Aktionären. 150

Näher ausgeführt in Kapitel 3 E. IV. 2. a) dd) (1). Siehe ebenfalls Kapitel 3 E. IV. 2. a) dd) (1) (c) (cc) bzw. (d). 152 Vgl. dazu Kapitel 2 C. III. 3. 153 LG Düsseldorf, Urteil vom 22.07.2004 – XIV 5/03 = NJW 2004, 3275 und 3282; Fischer, StGB, § 266, Rn. 48; Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 36; Perron, ZStR 2007, 180, 187 f.: „unzweifelhaft“; ders., in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 25; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 34.8. Einschränkend Schilha, S. 132. 154 Fischer, StGB, § 266, Rn. 48; Perron, ZStR 2007, 180, 187 f.; ders., in: Schönke/ Schröder, § 266, Rn. 25; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 34.8. 155 BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = BGHSt 50, 331, 335 f. = NJW 2006, 522, 523 („Mannesmann/Vodafone“). 156 LG Düsseldorf, Urteil vom 22.07.2004 – XIV 5/03 = NJW 2004, 3275 und 3282. 151

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

Diese Pflicht müsste sich, entsprechend den allgemeinen Anforderungen an die Vermögensbetreuungspflicht157, aus den Rechtsbeziehungen zwischen dem Aufsichtsrat und den Aktionären ergeben, die zunächst die Pflicht zu der Betreuung der Vermögensinteressen der Aktionäre statuieren müssten. Hierbei ist zunächst zu beachten, dass Rechtsbeziehungen zwischen der AG und den Aktionären (§§ 53a–75 AktG) und der AG und dem Aufsichtsrat (§§ 95–116 AktG) existieren. Direkte Verbindungen zwischen dem Aufsichtsrat und den Aktionären bestehen nur über den Umweg der Hauptversammlung in wenigen Fällen (Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder durch die Hauptversammlung, § 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG, Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung, § 119 Abs. 1 Nr. 3 AktG). Diese betreffen aber auch keine Vermögensbetreuungspflichten des Aufsichtsrats gegenüber den Aktionären, bzw. der Hauptversammlung. Es fehlt daher bezüglich der Aktionäre schon am ersten Merkmal, das für die Begründung einer Vermögensbetreuungspflicht wesentlich ist, nämlich an der Betreuungspflicht fremden Vermögens.158 Auch ein etwaiges Entsenderecht gem. § 101 Abs. 1 AktG ändert an der Beziehung zwischen bestelltem Aufsichtsrat und entsendendem Aktionär nichts. Dies entspricht der Konzeption der AG als Körperschaft in Abgrenzung zu Personengesellschaften. Bei Ersteren sind die Rechtssphären von Gesellschaft und Gesellschaftern konsequent voneinander getrennt.159 Die Verbindlichkeiten der (Körperschafts-)Gesellschaft werden etwa nur von dieser selbst getragen (§ 1 Abs. 1 AktG), nicht von den Gesellschaftern.160 Daraus folgt aber, dass Vermögensinteressen von Gesellschaft und Gesellschaftern differieren können.161 Wäre der Aufsichtsrat sowohl der AG als auch den Gesellschaftern vermögensbetreuungspflichtig, so könnten Konstellationen mit Interessenkonflikten bestehen. Hier ist zum Beispiel an eine besondere Situation aus dem Insolvenzrecht zu denken. Bei einem „Debt-Equity-Swap“ gem. § 225a Abs. 2 InsO kann eine Übertragung von Gesellschaftsanteilen an Gläubiger auch gegen den Willen der Gesellschafter stattfinden.162 Zwar zielt die Regelung auf die Gläubiger als Begünstigte ab, doch kann bei der Übertragung von Anteilen an sanierungswillige Personen die Gesellschaft gerettet werden. So könnte eine Übertragung der Anteile im Gläubiger- und Gesellschaftsinteresse liegen, aber nicht im Gesellschafterinteresse, die ihren Einfluss und ihren Eigentumsanteil an der Gesellschaft verlieren würden. Es sind also Konstellationen denkbar, in denen Gesellschafterund Gesellschaftsinteresse diametral gegenüber stehen. Da der Aufsichtsrat nur 157

Vgl. oben Kapitel 2 C. I. 1. Vgl. dazu oben Kapitel 2 C. I. 1. a). 159 Hüffer/Koch, Gesellschaftsrecht, S. 8 f. Vgl. aus strafrechtlicher Sicht Rönnau, FS-Amelung, S. 247, 253 ff. 160 Hüffer/Koch, Gesellschaftsrecht, S. 9. 161 Hieran zweifelt Schilha, S. 132. 162 Etwa Skauradszun, NZG 2012, 1244, 1246. 158

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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der Gesellschaft verpflichtet ist, nicht aber den Aktionären, spricht somit aus aktienrechtlicher Konzeption mehr gegen eine Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsrats gegenüber den Aktionären.163 Hierbei ist ferner zu beachten, dass die AG eine eigene Rechtspersönlichkeit hat und Träger eigenen Vermögens ist. Die Verbindung zwischen Aufsichtsrat und Aktionären besteht also über die zwischengeschaltete Gesellschaft. Jedes Handeln des Aufsichtsrats, das der Gesellschaft zugutekommt, wird im Ergebnis auch die Vermögenslage der Aktionäre verbessern. Rechtlich kann der Aufsichtsrat aber nur der AG und ihrem Vermögen zur Treue verpflichtet sein. Es besteht daher keine Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsrats gegenüber den Aktionären. bb) Gesellschaft Die Aktiengesellschaft ist auch Träger bestimmter Rechtsgüter, die nicht (unmittelbar) das Vermögen betreffen.164 Der Aufsichtsrat ist auch Beschützergarant bzgl. dieser Rechtsgüter der Gesellschaft.165 Die Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsrats bezieht sich jedoch ausschließlich auf das Vermögen der Gesellschaft. Für die nichtvermögensbezogenen Rechtsgüter der AG besteht keine Beschützergarantenstellung i. R. d. § 266 Abs. 1 StGB. cc) Gläubiger Fraglich ist, ob gegenüber den Gläubigern einer AG eine Vermögensbetreuungspflicht besteht. Die Rechtsprechung lehnt etwa bei einer GmbH eine Vermögensbetreuungspflicht des Geschäftsführers ab, da eine Verpflichtung nur gegenüber dem Gesellschaftsvermögen der eigenen GmbH bestehe.166 Diese Argumentation ließe sich auch auf den Aufsichtsrat übertragen. In der Literatur wird eine Betreuungspflicht des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft bezüglich des Vermögens der Gläubiger abgelehnt.167 Zwar werden die Gläubiger u. a. durch Kapitalerhaltungsvorschriften (etwa §§ 57, 62 Abs. 2, 71 AktG) geschützt.168 Doch ist der Aufsichtsrat primär der Gesellschaft verpflichtet, für die er tätig ist.169 Dies ergibt sich im Wesentlichen auch aus der eben aufgezeigten Vermögensbetreuungspflicht zu Gunsten der Gesellschaft.170 Eine Schutzpflicht gegenüber den 163 Bei Hüffer/Koch, Gesellschaftsrecht, S. 315 heißt es zwar, dass die Überwachungstätigkeit den Interessen der Aktionäre dient, doch kann sich dies nur auf die tatsächliche Wirkung und nicht auf eine rechtliche Verbindung beziehen. 164 Kapitel 1 B. II. 3. c) aa). 165 Kapitel 3 D. II. 2. 166 BGH, Urteil vom 20. 7. 1999 – 1 StR 668/98 = NJW 2000, 154, 155. 167 Schilha, S. 129 ff. 168 Vgl. dazu Schilha, S. 129. 169 Schilha, S. 130 spricht von „hierarchischer Rangfolge“. 170 Kapitel 2 C. I. 2.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

Gläubigern würde dieser unter Umständen sogar widersprechen.171 Es kann daher keine Vermögensbetreuungspflicht zu Gunsten der Gläubiger bestehen. dd) Allgemeinheit/Dritte („Normalbürger“) Auch kann über die Untreue kein Schutz der Allgemeinheit bzw. Gütern Dritter gewährt werden. Es fehlt bereits an einem Vermögensbezug. c) Überwachergarantenstellung i. R. d. Untreue gem. § 266 Abs. 1 2. Var. StGB Möglicherweise kann ein Verstoß gegen eine etwaig bestehende Überwachergarantenstellung des Aufsichtsrats über § 266 StGB sanktioniert werden.172 Inhalt der Überwachergarantenstellung ist die Überwachung einer Gefahrenquelle.173 Ein Bezug zu einem bestimmten Rechtsgut besteht nicht. Vielmehr zielt die Überwachergarantenstellung auf die zu überwachende Gefahrenquelle ab. Prinzipiell sind alle Straftaten dieser Gefahrenquelle zu verhindern. Sollte der Aufsichtsrat tatsächlich Überwachergarant des Vorstands sein, so müsste er grundsätzlich alle Straftaten des Vorstands verhindern. Dies könnte auch Straftaten betreffen, die zu Lasten des Gesellschaftsvermögens gehen und bezüglich derer die Vermögensbetreuungspflicht als qualifizierte Garantenstellung besteht. Allerdings sind mit der Überwachergarantenstellung auch solche Straftaten zu verhindern, die keinen Vermögensbezug zu der Aktiengesellschaft aufweisen. Diese können aber, da die Vermögensbetreuungspflicht den Kreis der Untreue auf vermögensschädigendes Verhalten zu Lasten des Treugebers (der Aktiengesellschaft) beschränkt, nicht über § 266 Abs. 1 StGB sanktioniert werden. Wollte man den Anwendungsbereich der Überwachergarantenstellung i. R. d. § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB daher auf Straftaten zu Lasten des Gesellschaftsvermögens beschränken, so liefe dies auf eine faktische Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Vermögens hinaus. Vom Sinngehalt her passt die Sanktionierung von Überwacherverschulden nicht zu der auf Rechtsgutsschutz – eben einzig das Vermögen des Treugebers – ausgelegten Untreue. Ferner müssen für die Überwachergarantenstellung weitere Voraussetzungen hinzutreten, um diese begründen zu können.174 Diese Anstrengungen zu unternehmen, um dann nur das sanktionieren zu können, was bereits über die – tatbestandlich angelegte – Beschützergarantenstellung abgedeckt ist, erscheint umständlich und nicht zielführend. Insoweit ist die Untreue ein spezielles Delikt, das – jedenfalls in der vorliegenden Konstellation – keinen Raum für eine grundsätzliche Sanktionierung von Über171 172 173 174

So auch Schilha, S. 131. So jedenfalls Tiedemann, FS-Tröndle, S. 322. Näher zur Überwachergarantenstellung Kapitel 3 C. Vgl. Kapitel 3 C. I., II. und III.

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wacherverschulden lässt.175 Unabhängig davon, ob der Aufsichtsrat überhaupt Überwachergarant des Vorstands ist,176 kann daher eine grundsätzliche Sanktionierung von Verfehlungen aus Überwacherverschulden nicht über § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB stattfinden.177 d) Konsequenzen Nur in Bezug auf das Gesellschaftsvermögen besteht eine (qualifizierte) Beschützergarantenstellung i. S. d. § 266 StGB, also eine Vermögensbetreuungspflicht. Eine Sanktionierung im Rahmen der Untreue ergibt sich nur für Straftaten, die das Vermögen der Gesellschaft verletzen. Hierbei kann an dieser Stelle offenbleiben, ob dies nur für unmittelbar gegen das Vermögen gerichtete Straftaten gilt, oder ob auch mittelbar verletzende Straftaten unter den Vermögensschutz des § 266 StGB fallen (dann würden faktisch auch solche Straftaten zu verhindern sein, die teilweise unter die anderen genannten Kategorien fallen können). Dies ist eine Frage des Vermögensnachteils.178

II. Pflichtwidrige Handlung Es müsste ferner eine pflichtwidrige Handlung seitens des Aufsichtsrats vorliegen (Pflichtverletzung, vgl. Wortlaut des § 266 Abs. 1 StGB). Dies setzt die Verletzung einer aktienrechtlichen Pflicht voraus. Hier müsste also eine aktienrechtliche Pflicht bestehen, welche die Verhinderung von Vorstandsstraftaten für den Aufsichtsrat statuiert. Das Unterlassen der Abwendung der konkreten Vorstandsstraftat wäre dann die pflichtwidrige Handlung. Die Prüfung der Pflichtwidrigkeit vollzieht sich in mehreren Schritten. Zunächst wird kurz auf allgemeine Anforderungen der Pflichtwidrigkeit eingegangen, 1. Sodann wird als zentraler Punkt die aktienrechtliche Pflicht des Aufsichtsrats Vorstandsstraftaten zu verhindern untersucht, 2. Diese Pflicht muss aber auch mit rechtlichen Mitteln durchsetzbar sein, 3. Ferner kann dem Aufsichtsrat ein Ermessen zustehen, 4. Weiterhin werden Restriktionserwägungen und ihre Auswirkungen analysiert, die derzeit für die Einschränkung des Untreuetatbestandes im Rahmen der Pflichtwidrigkeit diskutiert werden, 5. Schlussendlich wird untersucht, ob ein Einverständnis in die Tat des Aufsichtsrats die mögliche Pflichtwidrigkeit entfallen lassen kann, 7. Matt hat ein eigenständiges System für die Prüfung der Pflichtwidrigkeit der Untreuehandlung entwickelt, das viele der eben aufgeführten Punkte in ein in 175 Nimmt man eine allgemeine Überwachergarantenstellung des Aufsichtsrats an (dagegen Kapitel 3 C. III.), so würde eine Pflicht zur Verhinderung von untreuerelevanten Vorstandsstraftaten im Rahmen von § 266 StGB durchaus möglich sein. 176 Dazu Kapitel 3 C. III. 177 A. A. ohne Angabe von Gründen Tiedemann, FS-Tröndle, S. 322 der explizit eine Überwachergarantenstellung im Rahmen von § 266 StGB annimmt. 178 Vgl. dafür Kapitel 2 C. III.

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sich stimmiges System eingliedert.179 In der Praxis könnte auf Grundlage von Matts System der Tatbestand der Untreue in Zukunft so geprüft werden, dass eine „Verschleifung“ der Tatbestandsmerkmale vermieden wird. Das System verschiebt jedoch einige Gesichtspunkte, die hier bereits im Rahmen der Vermögensbetreuungspflicht behandelt worden sind, wie die Reichweite der Vermögensbetreuungspflicht, in die Pflichtwidrigkeit.180 Um in der vorliegenden Arbeit klar getrennt nach den Tatbestandsmerkmalen der Untreue zu prüfen, wird Matts System nicht angewandt. Da sich im Ergebnis alle von Matt vorgeschlagenen Prüfungspunkte auch in der vorliegenden Arbeit wiederfinden, wird kein Punkt unterschlagen. 1. Allgemeine Anforderungen Die Treubruchsvariante kann, anders als die Missbrauchsvariante,181 unstreitig sowohl durch aktives Tun als auch durch Unterlassen begangen werden.182 In der Treubruchsvariante werden in diesem Zusammenhang nicht nur rechtlich relevante Unterlassungen, sondern auch tatsächliche Unterlassungen sanktioniert.183 Streitig ist, ob bei Unterlassungen im Rahmen von § 266 StGB § 13 StGB anzuwenden ist. Im Ergebnis kann diese Frage offenbleiben.184 Die Pflichtwidrigkeit der Handlung ist nach h. M. normativ zu bestimmen.185 Insoweit ist der Rückgriff auf die Anforderungen des Zivil- bzw. im vorliegenden Fall des Aktienrechts zu nehmen.186 Nur wenn sich eine Pflichtwidrigkeit auf dieser Ebene eröffnet, kommt eine Untreuestrafbarkeit in Betracht. Anerkannt ist, dass ein pflichtwidriges Unterlassen auch dann vorliegen kann, wenn der Täter Vermögenswerte nicht vor Schäden schützt, die dem zu betreuenden Vermögen durch das Handeln anderer Personen drohen.187 In dieser Allgemeinheit lässt sich diese Aussage nicht auf

179 Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 55 ff. Speziell zur Treubruchsuntreue durch Unterlassen, Rn. 84 ff. 180 Siehe Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 55, 69, 74. 181 Vgl. oben, Kapitel 2 B. 182 Etwa Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 143; Fischer, StGB, § 266, Rn. 55; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 33; Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 106; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 36. Kindhäuser, in: NK-StGB, § 266, Rn. 64. 183 Etwa Kindhäuser, in: NK-StGB, § 266, Rn. 64; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 36. 184 Vgl. Kapitel 3 E. IV. 2. a) dd) (1) c) (cc) bzw. (d). 185 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 204 f. = NJW 2010, 3209, 3213 (Rn. 97), m.w. N.; Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 140, 142. 186 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 204 f. = NJW 2010, 3209, 3213 (Rn. 97). 187 BGH, Urteil vom 17.12.1953 – 4 StR 483/53 = BGHSt 5, 187, 190. Ferner etwa Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 143.

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die vorliegende Konstellation übertragen. Es ist vielmehr das Aktienrecht auf eine spezielle Verhinderungspflicht hin zu untersuchen. 2. Aktienrechtliche Pflicht zur Abwendung von Vorstandsstraftaten für den Aufsichtsrat und ihr Umfang Bei der folgenden Prüfung einer aktienrechtlichen Pflicht des Aufsichtsrats Straftaten des Vorstands zu verhindern steht § 111 Abs. 1 AktG („Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen.“) im Mittelpunkt. Es ist zunächst zwischen „Kontrollpflicht“ [a)] und „Straftatverhinderungspflicht“ [b)] zu differenzieren. a) Kontrollpflicht des Aufsichtsrats In der Literatur besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Aufsichtsrat die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften durch den Vorstand zu kontrollieren hat.188 Nicht ganz klar sind hierbei die Reichweite und der Umfang der Kontrollpflicht. Jedenfalls aktienrechtliche Vorschriften sowie solche, die die Unternehmenstätigkeit unmittelbar betreffen, sollen der Kontrolle unterliegen.189 Für Strafvorschriften wird teilweise aber argumentiert, dass eine umfassende Pflicht nicht bestehen könne, da der Aufsichtsrat keine Strafverfolgungsbehörde sei.190 Dem wird wiederum die Legalitätspflicht der Aufsichtsratstätigkeit entgegengehalten.191 Allerdings zielen diese Ausführungen auf eine Pflicht zur Überwachung der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften in dem Sinne einer Kontrollpflicht der (laufenden) Vorgänge im Unternehmen und für die Prüfung und Erforschung des Sachverhalts bei einem sich dann ergebenden „Anfangsverdacht“.192 Die Diskussion scheint also primär für vergangenes Verhalten (eben zur Strafverfolgung) zu gelten, das bei Kontrollen offenbar wird.193 Hier überzeugt es, auch aufgrund des beschränkten Prüfaufwands, dem Aufsichtsrat keine allumfassende Prüfpflicht für jeden einzelnen vergangenen Sachverhalt aufzuerlegen. Diese würde sonst die Anforderungen an die nebenberufliche Aufsichtsratstätigkeit überspannen.

188 Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 111, Rn. 18; Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 234; Hüffer, AktG, § 111, Rn. 6 spricht von selbstverständlicher Legalitätspflicht; Schilha, S. 57; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 15; Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 140 ff. 189 Etwa Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 140; Schilha, S. 58, m.w. N. 190 Etwa Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 141. 191 I. Erg. etwa Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 111, Rn. 18; Poseck, S. 30. 192 Eindeutig bei Winter, FS-Hüffer, S. 1109. 193 Vgl. Winter, FS-Hüffer, S. 1109.

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b) Pflicht zur Abwendung von bevorstehenden Straftaten Die vorliegende Konstellation betrifft aber kein abgeschlossenes Verhalten des Vorstands, sondern zukünftiges Verhalten. Es geht nicht um Strafverfolgung, sondern um präventives Verhalten für die Verhinderung der bevorstehenden konkreten Straftat, von welcher der Aufsichtsrat Kenntnis erlangt hat.194 In der Literatur wird bei den Ausführungen zu der vorliegenden Frage teilweise nicht eindeutig zwischen repressiver und präventiver Pflicht differenziert.195 Dies erleichtert eine Antwort auf die Frage nach der Existenz einer aktienrechtlichen Pflicht für die präventive Einwirkung auf den Vorstand bei bevorstehenden Straftaten nicht. Dennoch wird in der Literatur einhellig für eine Pflicht zur Abwendung strafbaren Verhaltens votiert.196 Ohne nähere Begründung ist auch das OLG Karlsruhe dieser Auffassung gefolgt.197 Die Grundlage dieser Pflicht wird weit überwiegend in § 111 Abs. 1 AktG gesehen.198 Nur vereinzelt wird auf §§ 116, 93 AktG verwiesen.199 Die Allgemeinheit dieser Aussagen ist jedoch problematisch. 194

Vgl. zur Abgrenzung von anderen Konstellationen auch Kapitel 1 B. I. 1. Etwa bei Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 16; Poseck, S. 29 ff.; nicht eindeutig ebenfalls Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 15, vgl. ders. aber in § 116, Rn. 205. 196 Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 111, Rn. 18 („Sobald Aufsichtsrat [. . .] systematischen Betrug des Vorstandes [. . .] erkennt, entsteht eine Garantenstellung, die [. . .] zum Handeln verpflichtet.“); Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 234 („alles im Rahmen des ihm rechtlich Möglichen unternehmen, um das Fehlverhalten [. . .], soweit möglich, noch zu verhindern [. . .]“); Lutter/Krieger, Rn. 73 („Stellt der Aufsichtsrat [. . .] Verstöße fest, so hat er korrigierend einzugreifen [. . .], denn der Aufsichtsrat hat [. . .] Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.“); Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 212 i.V. m. 214, 276 und 279; implizit auch Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 16 (allerdings unter der Überschrift „Vergangenheitsbezogene Kontrolle“: „Unterlassung rechtswidriger [. . .] Maßnahmen vom Vorstand verlangen“); Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 205 („aktienrechtliche Pflicht zur Abberufung des Vorstandes nach § 84 Abs. 3 [AktG] bei geplanten Straftaten [. . .]“); Tiedemann, FS-Tröndle, S. 322 („Aufsichtsrat [hat] die in § 111 AktG [. . .] gesetzlich umschriebene Aufgabe die Geschäftsführung zu überwachen – und damit auch bevorstehende und andauernde Straftaten der Geschäftsführung zu verhindern!“); Brand/Petermann, WM 2012, 62, 63 („Aufsichtsrat [ist] verpflichtet [. . .] hiergegen [Straftaten] einzuschreiten“); Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 15, Rn. 101. Sehr allgemein: Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510; Kau/Kukat, BB 2000, 1045, 1048. 197 OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.09.2008 – 4 U 26/06 = AG 2008, 900, 902 („[. . .] gehört es zu den wesentlichen Pflichten des Aufsichtsrats [. . .] Rechtsverstöße des Vorstands zu verhindenn. Dies ist Teil der Überwachungspflicht gemäß § 111 Abs. 1 AktG [. . .]. Bei drohenden Rechtsverstößen muss ein Aufsichtsratsvorsitzender einschreiten.“). 198 Deutlich bei OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.09.2008 – 4 U 26/06 = AG 2008, 900, 902; Brand/Petermann, WM 2012, 62, 63; Merz, in: Graf/Jäger/Wittig, § 13, Rn. 40; Tiedemann, FS-Tröndle, S. 322. Vgl. im Übrigen die Nachweise aus Fn. 196. 199 Krause, in: Handbuch Managerhaftung, § 35, Rn. 26. Ders. aber tendenziell anders in NStZ 2011, 57 ff., da er dort § 111 Abs. 1 AktG in den Mittelpunkt stellt, für die Untreue aber auch §§ 116, 93 AktG betont (S. 58). Vgl. auch Brand/Petermann, WM 195

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So stellt sich fast automatisch die Frage nach dem Umfang und der Reichweite der Pflicht,200 die im Folgenden untersucht werden. Um diese Frage zu beantworten, wird zunächst die genaue Grundlage der Pflicht für die Abwendung bevorstehender Straftaten herausgearbeitet, aa). Anschließend wird auf aktienrechtlicher, quasi „tatbestandlicher“, Ebene die Reichweite der Pflicht untersucht und eine sachlich-inhaltliche Einschränkung der Pflicht geprüft, bb)–gg).201 Ob diese Pflicht auch durchsetzbar ist, wird gesondert untersucht, 3. aa) § 111 Abs. 1 AktG als rechtliche Grundlage der Pflicht Der überwiegende Teil der Literatur und die Rechtsprechung schließen die aktienrechtliche Pflicht des Aufsichtsrats für die Verhinderung von Vorstandsstraftaten allgemein und unmittelbar aus § 111 Abs. 1 AktG.202 Dort heißt es: „Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen“. Diese Norm statuiert die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats. Der Wortlaut der Norm ist sehr allgemein gefasst. Allerdings werden die Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats in § 111 AktG nicht umfassend umschrieben.203 Wesentliche Befugnisse werden in der Norm nicht genannt.204 Sie bezweckt die Hervorhebung der Überwachungsfunktion.205 § 111 Abs. 1 AktG wird auch als Kompetenzzuweisungsnorm gesehen, die den Aufgabenbereich von Aufsichtsrat und Vorstand voneinander abgrenzt.206 Eine ausdrückliche Pflicht für die Verhinderung von Vorstandsstraftaten gibt es nicht. Ob aus § 111 Abs. 1 AktG eine solche Pflicht folgt, ist durch Auslegung zu erforschen. (1) Der Wortlaut „Überwachung“ als Argument für eine Straftatverhinderungspflicht Der Wortlaut spricht von der „Überwachung“. Im allgemeinen Wortverständnis bedeutet „Überwachung“ die „fortgesetzte Überprüfung von Personen, Sachen und Vorgängen zum Schutz Einzelner und der Allgemeinheit“ 207, bzw. „darauf

2012, 62, 63, die ebenfalls § 116, 93 AktG i.V. m. der Vorstandsstraftat als Grundlage der Verhinderungspflicht sehen, aber gleichzeitig § 111 Abs. 1 AktG ebenfalls betonen. 200 So bereits Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 570, der die Einschränkung der Reichweite aber ausschließlich über die Mittel zur Verhinderung der Straftat vornimmt. 201 Eine strafrechtliche Einschränkung der Pflicht wird unter Kapitel 2 C. II. 5. untersucht. 202 Vgl. Fn. 198. 203 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 16; Hüffer, AktG, § 111, Rn. 1. 204 Hüffer, AktG, § 111, Rn. 1. 205 Habersack, in: MüKo-AktG, § 111, Rn. 1; Hüffer, AktG, § 111, Rn. 1. 206 Etwa Habersack, in: MüKo-AktG, § 111, Rn. 1; Hüffer, AktG, § 111, Rn. 1. 207 Brockhaus, S. 497, Stichwort: Überwachung, 1).

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(zu) achten, dass in einem Bereich alles mit rechten Dingen zugeht“ 208, bzw. „jemanden durch ständiges Beobachten kontrollieren“.209 Dies suggeriert zunächst eine Pflicht der Überwachung im Sinne einer Kontrolle. Die Kontrollpflicht sagt aber noch nicht unmittelbar etwas über eine Pflicht zum Einschreiten, also für die Verhinderung, aus. Sinn- und zweckmäßig erscheint es aber naheliegend, dass der Kontrollpflichtige, wenn er denn Unregelmäßigkeiten feststellt, bzw. diese ihm zugetragen werden, nicht nur repressiv, sondern auch präventiv tätig werden muss, um Schäden zu verhindern. Ansonsten würde die Kontrolle in diesem Bereich ins Leere laufen. Der Wortlaut spricht eher für eine Straftatverhinderungspflicht.210 (2) Telos und Systematik als Argumente für eine Straftatverhinderungspflicht Im Aktienrecht ist als Ausfluss der Überwachungsaufgabe anerkannt, dass der Aufsichtsrat der „Legalität“ im Unternehmen verpflichtet ist.211 Dies folgt für den Aufsichtsrat zum einen aus § 111 Abs. 1 AktG, wenn es heißt, dass er auch die Rechtmäßigkeit der Vorstandshandlungen zu kontrollieren habe (was aber primär repressiv verstanden wird).212 Für den Vorstand wird die Legalitätspflicht demgegenüber aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG abgeleitet.213 Da § 93 Abs. 1 AktG über § 116 Satz 1 AktG auch für den Aufsichtsrat Geltung entfaltet, kann die Legalitätspflicht des Aufsichtsrats über § 111 Abs. 1 AktG hinaus auch mit §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 116 Satz 1 AktG begründet werden.214 Die Legalitätspflicht gilt als zentrale Aufgabe des Aufsichtsrats.215 Die Legalitätspflicht des Aufsichtsrats ergibt sich hierbei aus zwei Gründen: Erstens kann die Aktiengesellschaft als juristische Person selbst keinen Willen bilden und nicht handeln. An ihrer Stelle sind es die Organe, die diese Aufgaben

208

Duden, Band 9, S. 4041, Stichwort: überwachen, 2. Duden, Band 9, S. 4041, Stichwort: überwachen, 1. 210 Tiedemann, FS-Tröndle, S. 321 leitet die Straftatverhinderungspflicht unmittelbar aus dem Wortlaut ab. 211 Aus der Rechtsprechung: BGH, Beschluss vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09 = BGHSt 55, 288, 301 f. (Rn. 37) = NJW 2011, 88, 92 (Rn. 37) („Siemens/AUB“). Aus der Literatur etwa Hüffer, AktG, § 111, Rn. 6; Lutter/Krieger, Rn. 72; Michaelsen, S. 123 f.; Poseck, S. 29; Schilha, S. 57; Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 140. 212 Vgl. Kapitel 2 C. II. 2. a). 213 Vgl. nur Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 93, Rn. 14 ff. 214 So wohl BGH, Beschluss vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09 = BGHSt 55, 288, 301 f. (Rn. 37) = NJW 2011, 88, 92 (Rn. 37) („Siemens/AUB“). 215 Vgl. insb. Lutter/Krieger, Rn. 72; Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 140. 209

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übernehmen. Dem Aktiengesetz lassen sich dabei Anhaltspunkte entnehmen, die für ein rechtstreues Leitbild der Aktiengesellschaft sprechen. So kann eine Aktiengesellschaft gemäß § 396 Abs. 1 AktG gerichtlich aufgelöst werden, wenn die Aktiengesellschaft durch ihre Verwaltungsträger das Gemeinwohl gefährdet. Ferner haben der Vorstand gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG und der Aufsichtsrat gemäß §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG die „Sorgfalt eines gewissenhaften und ordentlichen Kaufmanns“ anzuwenden. Ordentlich und gewissenhaft handelt, wer die Gesetze befolgt. Die Aktiengesellschaft kann selbst nicht für die Legalität in der Gesellschaft sorgen. Vielmehr ist dies Aufgabe der Organe, die an ihrer Stelle handeln. Zweitens haben Legalitätsverstöße wirtschaftliche Folgen für die Aktiengesellschaft. Legalitätsverstöße lösen Schadensersatzansprüche und Bußgelder gegen die Gesellschaft selbst aus. So ergibt sich auch aus ökonomischen Gesichtspunkten eine Pflicht für die Legalität im Unternehmen.216 Die Legalitätspflicht wird einerseits repressiv verstanden. So gibt es eine Pflicht des Aufsichtsrats Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand bei dessen Fehlverhalten geltend zu machen und durchzusetzen.217 Ferner liegt ein wichtiger Grund für die Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG vor, falls der Vorstand Straftaten begangen hat.218 Wenn sie aber bereits repressiv interpretiert wird, liegt es nahe ihr auch eine präventive Seite zuzugestehen. Hat der Vorstand schon Sanktionen im Nachgang zu seinem rechtswidrigen (strafbaren) Verhalten durch den Aufsichtsrat zu erwarten, dann scheint es nur konsequent dem Aufsichtsrat auch im Vorfeld einer Straftat die Pflicht aufzuerlegen alles ihm Mögliche aber auch Notwendige zu tun, um die Schädigung zu verhindern.219 Dies kann man mit der h. M. aus § 111 Abs. 1 AktG ableiten. Allerdings korrespondieren mit dieser Pflicht auch andere Vorschriften, die in diesem Zusammengang als Ausfluss der Legalitätspflicht interpretiert werden können. So wird beispielsweise für eine Pflicht für die Abberufung des Vorstandsmitglieds gem. § 84 Abs. 3 AktG bei geplanten Straftaten votiert.220 Auch im Rahmen von Zustimmungsvorbehalten wird eine Pflicht für die Gebrauchmachung sogar im Einzelfall vertreten, wenn dies zur präventiven Verhinderung von Straftaten führe.221

216

Kordges, Legalitätspflicht, S. 97, 99. Vgl. etwa Habersack, in: MüKo-AktG, § 111, Rn. 32, 34; Spindler, in: Spindler/ Stilz, § 116, Rn. 47. 218 Etwa Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 84, Rn. 104; Hüffer, AktG, § 84, Rn. 28; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 84, Rn. 49a. Vgl. auch Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (3). 219 Sehr ähnlich Bürgers/Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, § 111, Rn. 4. 220 Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 205. Vgl. auch Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (3). 221 Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6). 217

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(3) Zusammenfassung Die Pflicht für die Verhinderung von Straftaten ergibt sich aus § 111 Abs. 1 AktG unmittelbar. Mittelbar stellen auch §§ 116, 93 AktG wichtige Normen in diesem Zusammenhang dar, da sie ein weiteres Argument für die Legalitätspflicht des Aufsichtsrats offenbaren, das den teleologischen Gehalt der Norm prägt. Allerdings ist § 111 Abs. 1 AktG insoweit spezieller als §§ 116, 93 AktG und spricht von der „Überwachung“, die, wie gezeigt, nicht nur repressiv, sondern auch präventiv zu verstehen ist. § 111 Abs. 1 AktG ist die aktienrechtliche Grundlage der Pflicht des Aufsichtsrats zur Verhinderung von Vorstandsstraftaten.222 bb) Einschränkung der Reichweite auf „betriebsbezogene“ Straftaten? Eine Einschränkung der tatbestandlichen Reichweite der Abwendungspflicht könnte unter Heranziehung der „Betriebsbezogenheit“ der Pflicht glücken. Dieser Begriff ist im Rahmen der Überwachergarantenstellung von Geschäftsherren entwickelt worden und soll eine notwendige Einschränkung der Garantenstellung auf bestimmte, betriebsnahe Straftaten gewährleisten.223 Allerdings ist der Inhalt der Betriebsbezogenheit streitig.224 Das Merkmal der Betriebsbezogenheit ist ferner als Einschränkung für eine ansonsten uferlose Garantenstellung entwickelt worden, die eine Pflicht für die Verhinderung von Straftaten nicht gesetzlich umschreibt.225 Im Gegensatz dazu liegt hier mit § 111 Abs. 1 AktG eine gesetzliche Umschreibung der Pflicht für die Verhinderung von Straftaten vor. Das Merkmal der Betriebsbezogenheit sollte daher nicht übertragen werden, da es für eine andere Konstellation entwickelt worden ist und sein Inhalt (noch) nicht geklärt ist. cc) Einschränkung der Reichweite durch den Wortlaut des § 111 Abs. 1 AktG: Sachlich-inhaltliche Bedeutung der „Geschäftsführung“ („Geschäftsführungsbezogenheit“ der Straftat) Der Wortlaut des § 111 Abs. 1 AktG spricht von der „Geschäftsführung“, die überwacht werden soll. Wie bereits oben herausgearbeitet wurde, ist der zu überwachende Personenkreis auf den Vorstand beschränkt.226 Dieser ist in personeller Hinsicht Bezugspunkt der Überwachungsaufgabe und zwar in Hinblick auf Funktion und Organ.227 Mit der wörtlichen Beschränkung auf die „Geschäftsführung“ 222 Siehe auch Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1506, der der Generalklausel der §§ 116, 93 AktG eine Begründung der Strafbarkeit abspricht. 223 Vgl. dazu eingehend Kapitel 3 C. III. 2. 224 Vgl. dazu Kapitel 3 C. III. 2. 225 Vgl. dazu Kapitel 3 C. III. 2. 226 Kapitel 1 B. II. 1. 227 Hüffer, AktG, § 111, Rn. 2, m.w. N.

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könnte aber auch gleichzeitig eine sachlich-inhaltliche Beschränkung des Kreises abzuwendender Straftaten einhergehen. So könnten Straftaten nicht erfasst sein, deren zugrundeliegende Handlung nicht in dem Zusammenhang mit der Geschäftsführung i. S. d. § 111 Abs. 1 AktG steht. Was Geschäftsführung in diesem Zusammengang bedeutet, ist wiederum durch Auslegung zu erforschen. Zunächst ist zu beachten, dass im Aktiengesetz an verschiedenen Stellen von der „Geschäftsführung“ die Rede ist (etwa in §§ 77, 93 Abs. 1, 111 Abs. 1, 4 Satz 1, 119 Abs. 2 AktG). Zweifelhaft erscheint, dass der begriffliche Inhalt hierbei identisch ist, da der Terminus jeweils in einem anderen Kontext verwendet wird.228 (1) Keine umfassende Überwachungspflicht Vom Wortlaut her naheliegend ist zunächst eine Verpflichtung des Aufsichtsrats die Geschäftsführung i. S. d. § 77 AktG zu überwachen.229 Geschäftsführung der Gesellschaft im Rahmen des § 77 AktG wird als jedwede tatsächliche und rechtliche Maßnahme des Vorstands für die Gesellschaft verstanden.230 Sie umfasst auch Einzelmaßnahmen, die der Vorstand intern oder gegenüber Dritten trifft.231 Eine solche umfassende Kontrollpflicht würde aber zu einer Überspannung der Anforderungen führen und dem Aufsichtsrat unerfüllbare Pflichten auferlegen.232 (2) Umfang der eingeschränkten Überwachungspflicht „Geschäftsführung“ i. S. d. § 111 Abs. 1 AktG wird daher allgemein als auf Leitungsmaßnahmen (i. S. v. § 76 Abs. 1 AktG) in der Gesellschaft beschränkt interpretiert.233 Aber auch gewichtige Einzelmaßnahmen müssen als „Geschäftsführung“ i. S. d. § 111 Abs. 1 AktG überwacht werden.234 Es wird vielfach auf § 90 AktG Bezug genommen,235 der eine Berichtspflicht des Vorstands an den Aufsichtsrat beschreibt. Der Begriff der Geschäftsführung wird im Rahmen von 228 Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 77, Rn. 3, Fn. 6; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 7. Hierzu Henze, BB 2000, 209. 229 Ähnlich Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 159. 230 Etwa Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 77, Rn. 3; Hüffer, AktG, § 77, Rn. 3; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 77, Rn. 4; Spindler, in: MüKo-AktG, § 77, Rn. 6. 231 Hüffer, AktG, § 77, Rn. 3. 232 Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 159. 233 Hüffer, AktG, § 111, Rn. 3; Lutter/Krieger, Rn. 63 ff.; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 8, m.w. N.; Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 35. 234 Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 8, m.w. N. Vgl. auch Henze, BB 2000, 209. 235 Etwa Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 13, m.w. N.; Lutter/Krieger, Rn. 64 f.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

§ 111 Abs. 1 AktG also sehr restriktiv ausgelegt.236 Die Erledigung des Tagesgeschäfts ist demnach allein vom Vorstand zu verantworten.237 Nur in Krisensituationen wird dem Aufsichtsrat eine erweiterte Prüfpflicht abverlangt.238 Dies ist insoweit überzeugend und richtig, als dass man damit eine Kompetenzabgrenzung der Organe zueinander gewinnen will.239 Eine umfassende und intensive Kontrolle des Aufsichtsrats hinsichtlich jeden Vorgangs würde einerseits den Geschäftsfluss verlangsamen, andererseits die Kompetenzen des Vorstands beschneiden. Dieses Ergebnis ist aber wiederum eine Folge der Beschreibung einer Überwachungspflicht im Sinne einer nachgelagerten Kontrollpflicht.240 Diese kann verletzt werden, wenn der Aufsichtsrat nicht entsprechend seiner Pflicht umfänglich kontrolliert. Die eingeschränkte Überwachungspflicht ist in diesem (Kontroll-)Zusammenhang konsequent und richtig. (3) Anpassung der h. M. an die vorliegende Konstellation Das Ergebnis hilft aber im Rahmen der vorliegenden Frage nicht weiter und erscheint für diese auch inhaltlich zweifelhaft. Sollte der Aufsichtsrat nur in diesem engen Feld berechtigt und verpflichtet sein gegen Straftaten des Vorstands einzugreifen, so wäre dies eine nicht nachvollziehbare sachlich-inhaltliche Verengung auf wenige Straftaten (etwa auf eine Untreue des Vorstands z. N. der Gesellschaft durch ein massives Risikogeschäft als Einzelmaßnahme, welche die AG in ihrer Existenz bedrohen würde). Der maßgebliche Unterschied besteht hier – wieder einmal – darin, dass der Aufsichtsrat vom bevorstehenden strafrechtlich relevanten Verhalten des Vorstands Kenntnis erhalten hat und sich die Frage nach einer präventiven Abwendungspflicht stellt. Dies kann auch Vorgänge außerhalb der eben skizzierten Überwachungspflicht betreffen. Dann ist die Straftatverhinderungspflicht aber keine Frage der Überwachungspflicht i. S. e. Kontrollpflicht, sondern i. S. e. Abwendungspflicht. Zunächst ist festzustellen, dass die beschränkte Überwachungspflicht nicht bedeutet, dass dem Aufsichtsrat kein weitergehendes Kontroll(Überwachungs-)recht zusteht.241 Es bestehen insofern keine „überwachungsfreien Räume“.242 Der Auf236

So auch Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 8. Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 13; Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 35. 238 Vgl. etwa Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 15, Rn. 3; Schilha, S. 72; Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 155. 239 Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 8. 240 Vgl. dazu oben Kapitel 2 C. II. 2. a). 241 Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 161; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 8. 242 Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 8. 237

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sichtsrat hat also auch in den anderen Bereichen das Recht einzugreifen. Werden dem Aufsichtsrat Missstände in Form bevorstehender Straftaten durch den Vorstand bekannt, so hat er zunächst insoweit ein Recht einzugreifen. Dieses Recht auch andere Kompetenzbereiche kontrollieren zu dürfen, verdichtet sich vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Legalitätspflicht243 zu einer Pflicht zum Tätig werden, wenn nur so die Legalität aufrechterhalten werden kann. Insoweit ist wieder auf (1) Bezug zu nehmen: Jede geplante rechtliche oder tatsächliche Maßnahme i. S. d. § 77 AktG des Vorstands, die eine Straftat darstellt und die dem Aufsichtsrat vor ihrer Durchführung bekannt wird, muss daher als „Geschäftsführung“ i. S. d. § 111 Abs. 1 AktG gelten. Diese (punktuell) weite Auslegung folgt aus der soeben skizzierten teleologischen Interpretation vor dem Hintergrund der Legalitätspflicht im Unternehmen und betrifft eine Sondersituation gegenüber der „normalen“ Geschäftsführungsüberwachung, nämlich die vorhandene Kenntnis der bevorstehenden Straftat. Dieses Ergebnis ist in jedem Fall auch zwingend für die allgemein bestehende Meinung im Aktienrecht, die für eine umfassende bzw. noch nicht näher konkretisierte Pflicht für die Verhinderung von Straftaten votiert.244 Würde sie diesen Punkt anders sehen, bliebe fast kein Raum für eine Pflicht Straftaten zu verhindern. Für die übrige (nachgelagerte) Kontrolle [vgl. (2)] verbleibt es bei der Aussage der h. M., die zurecht restriktiv gefasst ist. (4) Umfang und Bedeutung der punktuell „weiten“ Interpretation des Geschäftsführungsbegriffs in § 111 Abs. 1 AktG Somit muss konkretisiert werden, was unter der soeben befürworteten weiten Auslegung des Geschäftsführungsbegriffs des § 111 Abs. 1 AktG in dieser Konstellation zu verstehen ist. Hier ist zunächst einmal der Bezug auf die Literaturstimmen zu § 77 Abs. 1 AktG naheliegend, die jedes rechtliche und tatsächliche Verhalten des Vorstands (für die Gesellschaft245) erfasst sehen.246 Das umfasst jede Einzelmaßnahme, die der Vorstand intern und extern trifft.247 Und unabhängig davon, ob er im eigenen Namen oder im Namen der Gesellschaft handelt.248 Hierunter fällt dann etwa eine Produktionsumstellung249 oder eine Bilanzierungsmaßnahme250, der Einkauf von Rohstoffen251 oder die Aufnahme eines Kre243 244 245 246 247 248 249 250 251

Kapitel 2 C. II. 2. b) aa) (2). Vgl. Nachweise in Fn. 196. KK-AktG/Mertens/Cahn, § 77, Rn. 2. Vgl. nur Fn. 230. Etwa Hüffer, AktG, § 77, Rn. 3; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 77, Rn. 4. KK-AktG/Mertens/Cahn, § 77, Rn. 2. Spindler, in: MüKo-AktG, § 77, Rn. 6. Spindler, in: MüKo-AktG, § 77, Rn. 6. Spindler, in: MüKo-AktG, § 77, Rn. 6.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

dits.252 Ebenso das Führen von Handelsbüchern253, die Berichterstattung i. S. v. § 90 AktG.254 Auch erfasst ist die Abwehr von Anschuldigungen, die gegen den Vorstand persönlich im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit gegen die Gesellschaft vorgebracht werden.255 Als weitere gesellschaftsinterne Maßnahme kann man auch das Einreichen von Spesenabrechnungen, wie etwa Reisekosten und sonstige Auslagen ansehen, die der Vorstand von der Gesellschaft ersetzt haben will. „Geschäftsführung“ unter der punktuell weiten Auslegung für die vorliegende Konstellation ist daher jedes Verhalten des Vorstands, das dieser im Rahmen seiner Funktion oder als organschaftliches Mitglied im Rahmen seiner Tätigkeit vornimmt. Im Ergebnis unterfallen dem Geschäftsführungsbegriff daher jedenfalls alle Maßnahmen des Vorstands, die eine Straftat i. S. d. Kategorie B und C darstellen können,256 da diese ein Handeln des Vorstands (personaler Aspekt) im Rahmen der Geschäftsführungstätigkeit (sachlich-inhaltlicher Aspekt) voraussetzen. Damit sind zum einen intern wirkende Straftaten rechtlicher Natur (etwa ein Betrug gem. § 263 StGB im Rahmen von Spesenabrechnungen) und tatsächlicher Natur (etwa die falsche Ausstellung von Berechtigungsscheinen gem. § 402 AktG) erfasst, wie auch extern wirkende Straftaten rechtlicher (etwa ein Betrug gem. § 263 StGB z. N. Dritter) und tatsächlicher Natur (Kapitaldelikte z. N. Dritter, wie etwa Körperverletzung und Tötung als Folge fehlerhafter Produkte) erfasst. Ob auch Straftaten der Kategorie A (private Straftaten des Vorstands) erfasst sind, erscheint fraglich. Dies wird im folgenden Gliederungspunkt näher untersucht. (5) Erfassung privater Straftaten? Auf den ersten Blick erscheint es vor dem Wortlaut des § 111 Abs. 1 AktG (nochmals: „Geschäftsführung“) zweifelhaft die Pflicht zur Abwendung von bevorstehenden Straftaten in sachlicher-inhatlicher Hinsicht auf private Taten des Vorstands zu beziehen. Fraglich ist zwar bereits, wann die Straftat „privat“ und wann „beruflich“ ist. Die Abgrenzung wird in nicht wenigen Fällen schwierig sein.257 So stellt sich zum einen etwa bei obigem Beispiel258, in welchem der Vorstand im Rahmen eines Meetings einen Bankier tätlich angreift, bereits die Frage, ob dies nicht 252

Spindler, in: MüKo-AktG, § 77, Rn. 6. Hüffer, AktG, § 77, Rn. 3; KK-AktG/Mertens/Cahn, § 77, Rn. 2; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 77, Rn. 4. 254 KK-AktG/Mertens/Cahn, § 77, Rn. 2. 255 KK-AktG/Mertens/Cahn, § 77, Rn. 2, m.w. N. 256 Vgl. dazu Kapitel 1 B. II. 3. b), c). 257 Darauf weist auch Michaelsen, S. 124 hin. 258 Vgl. Kapitel 1 B. II. 2. 253

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doch eine „private“ Straftat ist, auch wenn sie im beruflichen Zusammenhang begangen wird (gegebenenfalls sind ja private Motive tatleitend). Diese Frage soll hier ausgeblendet werden, da aufgrund der Vielschichtigkeit der Einzelfälle eine pauschale Beurteilung nicht erfolgen kann. Namentlich Schilha lehnt eine Überwachungspflicht in Hinsicht auf private Straftaten ab, da dieser Handlungsbereich sachlich nicht Gegenstand des Überwachungsauftrags sei.259 Dennoch ist die überwiegende Meinung der Ansicht, dass eine Abberufung von Vorstandsmitgliedern nach § 84 Abs. 3 AktG auch wegen privater Straftaten erfolgen kann.260 Teilweise wird eine Differenzierung vorgenommen, ob von der privaten Straftat Rückschlüsse auf die Eignung als Vorstandsmitglied gezogen werden können oder ob ein Bezug zwischen Straftat und beruflicher Tätigkeit besteht.261 Private Straftaten können finanzielle Folgen für die Gesellschaft haben (Geschäftspartner beenden ihre geschäftliche Beziehung, Banken verweigern Kredite oder im Fall der börsennotierten AG bricht der Börsenkurs ein). Schlussendlich kann es auch zu „Rufschädigungen“ kommen.262 Das „Image“ der Gesellschaft ist kein greifbarer Posten. Denkbar ist es, dass bei der aktuell herrschenden Sensibilität der Öffentlichkeit auch bei Straftaten des Vorstands Rückschlüsse auf das Verhalten im Unternehmen gezogen werden könnten. Hier hat aber etwa der Fall Zumwinkel gezeigt, dass eine private Steuerhinterziehung (sogar in Millionenhöhe) eher keine Auswirkungen auf den Aktienkurs hat, wenn die Straftat in keinem Zusammenhang mit dem Unternehmen steht.263 Ferner sind die Folgen der privaten Straftat für das Unternehmen zunächst (rein) hypothetischer Natur sind. Die tatsächlichen Auswirkungen (insb. Einfluss auf den Börsenkurs und Geschäftsverbindungen) lassen sich in der Regel erst retrospektiv beurteilen. Auch wird sich die private Straftat durch die gesellschaftsrechtlich zur Verfügung stehenden Instrumente264 nicht verhindern lassen. Das abberufene Vorstandsmitglied kann im privaten Bereich frei agieren. Einzig eine Anzeige bei den zuständigen Behörden könnte die Straftat eventuell verhindern. Im Ergebnis ist für bevorstehende Straftaten Schilha beizupflichten: Private Straftaten des Vorstands hat der Aufsichtsrat nicht zu verhindern.265 Es besteht 259

Schilha, S. 60; ebenso Michaelsen, S. 124. BGH, Urteil vom 08.05.1967 – II ZR 126/65 = WM 1967, 679. Hefermehl/Spindler, in: MüKo-AktG, § 84, Rn. 98; Hüffer, AktG, § 84, Rn. 28; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 84, Rn. 49a. 261 Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 84, Rn. 105, m.w. N. 262 Dazu auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 84, Rn. 105, m.w. N. 263 http://de.reuters.com/article/marketsNews/idDEBUC44453720080214, abgerufen am 30.04.2013. 264 Vgl. dazu Kapitel 2 C. II. 3. a) und b). 265 Schilha, S. 60. 260

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

keine gesellschaftsrechtliche Pflicht diese Straftaten zu unterbinden. Anders mag sich die Situation aber im Nachgang der privat begangenen Tat darstellen. Hier gibt es über § 84 Abs. 3 AktG die Möglichkeit zur Abberufung. Ob daraus auch eine Pflicht zur Abberufung erwächst, braucht hier nicht diskutiert werden. Vorstandsstraftaten der Kategorie A266 lösen keine aktienrechtliche Pflicht zur Verhinderung durch den Aufsichtsrat aus. (6) „Geschäftsführungsbezogenheit“ der Straftat Der § 111 Abs. 1 AktG spricht von „Geschäftsführung“. Dies ist der naheliegende Anknüpfungspunkt für eine Einschränkung des Umfangs der Pflicht im Fall der Straftatverhinderungspflicht des Aufsichtsrats aus aktienrechtlicher Sicht. Geschäftsführungsbezogenheit umfasst nach der vorhergehenden Analyse alle Straftaten, die das Vorstandsmitglied in personaler und sachlich-inhaltlicher Hinsicht aufgrund seiner Organstellung begeht. Dies betrifft rechtliche, wie auch tatsächliche Zugriffsmöglichkeiten. Anders als bei der Betriebsbezogenheit, können auch Straftaten erfasst sein, die „bei Gelegenheit“ begangen werden. Maßgeblich ist, ob der Vorstand die Zugriffsmöglichkeit aufgrund seiner Organstellung innehat. So kann z. B. ein Diebstahl von betrieblichen Gegenständen erfasst sein, wenn die Möglichkeit für die Begehung der Straftat in dem Zusammenhang mit der rechtlichen und tatsächlichen Stellung als organschaftliches Mitglied des Vorstands einhergeht. Private Straftaten entbehren hingegen i. d. R. einer besonderen Zugriffsmöglichkeit aufgrund der Organstellung. Der Aufsichtsrat hat somit geschäftsführungsbezogene Straftaten zu verhindern. Erfasst werden tatbestandlich sowohl Begehungs- wie auch Unterlassungstaten des Vorstands. Ebenso hat die Beteiligungsform des Vorstands keine Auswirkungen auf die tatbestandliche Reichweite der Pflicht des Aufsichtsrats Straftaten des Vorstands zu verhindern. Bei Unterlassungstaten ist die Verhinderungsmöglichkeit der Tat durch den Aufsichtsrat allerdings problematisch.267 Ist der Vorstand bloß Teilnehmer einer Straftat, stellt sich die Frage nach den Auswirkungen auf die eigene Beteiligung des Aufsichtsrats.268 dd) Teleologische Beschränkung auf Straftaten, die das Unternehmensinteresse berühren? Im Schrifttum wird eine Beschränkung der Reichweite auf (ausschließlich) solche Straftaten befürwortet, die das „Unternehmensinteresse“ berühren.269 Nur 266

Kapitel 1 B. II. 3. a). Vgl. Kapitel 3 E. I. 1. 268 Kapitel 2 C. V. und Kapitel 3 E. I. 2. b). 269 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 15, Rn. 101; Schilha, S. 58 f., 60. Ähnlich die Stimmen in Fn. 274, die auf dieses Kriterium im Rahmen der Frage, wann 267

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wenn dieses tangiert werde, gebe es eine Pflicht die Straftat zu verhindern. Als Folge soll keine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten bestehen, die sich gegen Dritte oder die Allgemeinheit richten.270 Sind aber Strafen, Schäden, Sanktionen der Gesellschaft oder auch ideelle Nachteile Folge der Tat gegen Dritte, so soll das Unternehmensinteresse wiederum durch die Tat gegen Dritte oder die Allgemeinheit betroffen sein.271 Dieser Beschränkung auf das Unternehmensinteresse wird, namentlich von Michaelsen, das umfassende Legalitätsgebot entgegengehalten, das eine Verhinderung von jeder Straftat im und aus dem Unternehmen gebiete.272 Fraglich erscheint, ob das Kriterium des „Unternehmensinteresses“ überhaupt hilfreich ist eine Beschränkung auf bestimmte Straftaten vorzunehmen. Unklar ist, wann das Unternehmensinteresse nicht betroffen ist, wenn alle Straftaten erfasst sein sollen, die ideelle und materielle Nachteile für die Gesellschaft zur Folge haben können. Es blieben nur die privaten Straftaten, die aber bereits nach näherer Betrachtung des Wortlauts des § 111 Abs. 1 AktG ausscheiden.273 Der Vorschlag einer Beschränkung auf das „Unternehmensinteresse“ erscheint vielmehr als Versuch einer Einschränkung der Garantenstellung des Aufsichtsrats. Auf tatbestandlicher Seite der Pflicht ist das Kriterium des „Unternehmensinteresses“ jedenfalls nicht hilfreich eine Beschränkung auf bestimmte Straftaten zu erreichen. Der Ausschluss privater Straftaten gelingt bereits über die oben gewählte Argumentation. Alle anderen Straftaten berühren das Unternehmensinteresse im Sinne der Stimmen, die einen solchen Bezug fordern. Dann aber macht ein solches „Kriterium“ an dieser Stelle keinen Sinn und ist folglich abzulehnen. Ein Rückgriff auf das Legalitätsgebot für die Ablehnung der eingangs erwähnten Meinung ist nicht notwendig. ee) Teleologische Beschränkung der Pflicht auf nur „schwerwiegende“ Straftaten? Andere wollen die Pflicht nur auf „schwerwiegende“ Straftaten beschränkt wissen.274 Diese Beschränkung ist nicht immer klar von dem soeben diskutierten ein „schwerwiegender“ Verstoß vorliegt, rekurrieren. Vgl. auch Brand/Petermann, WM 2012, 62, 63, dort aber nicht näher ausgeführt. 270 So explizit Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 15, Rn. 101; Schilha, S. 58, 60. 271 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 15, Rn. 101; Schilha, S. 60 (der aber von Schadensersatzansprüchen als unmittelbaren Schäden spricht, die aber nur mittelbare Folgen darstellen, vgl. bereits oben Kapitel 1 B. II. 3. b) und unten Kapitel 2 C. III. 3.). 272 Michaelsen, S. 123 f. 273 Vgl. Kapitel 2 C. II. 2. b) cc) (5). 274 Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 302; Poseck, S. 30; Raiser, ZGR 1989, 44, 64 f.; Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 141 ff., aber

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

Kriterium des „Unternehmensinteresses“ getrennt. So wird teilweise eine schwerwiegende Straftat angenommen, wenn das „Unternehmensinteresse“ betroffen ist.275 Hier gelten die gleichen Einwände, die bereits unter dd) dargelegt worden sind. Ansonsten bleibt unklar, wann ein „schwerer“ Verstoß vorliegen soll. Raiser nennt beispielhaft unerlaubte Waffengeschäfte und Verstöße gegen atomrechtliche Vorschriften.276 Damit ist die Messlatte für die Annahme eines „schweren“ Verstoßes sehr hoch gelegt. Ob nur in diesen besonderen – und wohl relativ seltenen Fällen – eine Pflicht für die Abwendung einer Straftat besteht, erscheint mehr als zweifelhaft. Zum einen spricht gegen das Kriterium der Beschränkung auf „schwerwiegende“ Straftaten, dass es, ähnlich wie das „Unternehmensinteresse“ nicht greifbar ist, sondern beliebig erscheint.277 Wann eine Straftat „schwer“ wiegt, ist nicht nur eine Frage des persönlichen Empfindens, sondern evtl. auch eine Frage der Größe des Unternehmens oder seines Tätigkeitsgebietes. Ferner stellt sich die Frage, ob auf eine einzelne Tat abzustellen wäre oder auf einen Gesamtkomplex. Mag ein einzelner Betrug durch den Vorstand gegenüber Kunden der Gesellschaft „geringfügig“ erscheinen, so kann ein systematischer Betrug in seiner Vielzahl eine Gefährdung der Existenz, jedenfalls der Glaubwürdigkeit des Unternehmens darstellen. Weiterhin korrespondiert diese Einschränkung nicht mit dem umfassenden Legalitätsgebot, das in der Gesellschaft herrscht.278 Ferner wenden Lutter/Krieger sowie Leipold zu Recht ein, dass auch aus zunächst „geringfügig“ erscheinenden Straftaten große ideelle oder materielle Schäden resultieren können.279 Eine Beschränkung der Abwendungspflicht auf „schwerwiegende“ Straftaten kann daher nicht überzeugen. Auch „geringfügig“ erscheinende Taten sind vom Aufsichtsrat abzuwenden. Allerdings könnte bei kleineren Straftaten eine andere Eingriffsintensität geboten sein.280

unter dem Aspekt der Pflicht für Nachforschungen; Semler, Leitung und Überwachung, Rn. 187; Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), 1, 12. 275 Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 234; Poseck, S. 30, aber auch Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), 1, 12. Nur implizit Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 142. 276 Raiser, ZGR 1989, 44, 64. 277 Ähnlich Schilha, S. 59, der von einer „generalklauselartigen Weite“ spricht. 278 Kapitel 2 C. II. 2. b) aa) (2). 279 Leipold, FS-Mehle, S. 348 f.; Lutter/Krieger, Rn. 73. 280 Lutter/Krieger, Rn. 73; Schilha, S. 59. Vgl. dazu unten Kapitel 2 C. II. 4. b) bb).

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ff) Teleologischer Ausschluss der Pflicht bei Straftaten „zum Wohle“ der Aktiengesellschaft? Denkbar wäre es, ausgehend von der Verpflichtung des Aufsichtsrats im Unternehmensinteresse handeln zu müssen (etwa §§ 93 Abs. 1 Satz 2, 116 AktG), solche Straftaten des Vorstands auszunehmen, deren Begehung zum „Wohl“ der Gesellschaft erfolgt. Dies können Steuerhinterziehungen sein, aber auch Korruptionsstraftaten, um Aufträge für die Gesellschaft zu sichern.281 Denkbar sind des Weiteren Betrugsdelikte zu Lasten von Kunden, um Aufträge, oder zu Lasten von Banken, um Kapital zu gewinnen. Sind die zu erlangenden Vorteile exorbitant und die Gefahr der Aufdeckung der zugrundeliegenden Straftat gering, so ist zum einen die Verlockung zur Begehung der Straftat groß, zum anderen handeln die Akteure, „um das Vermögen der Gesellschaft zu mehren“, also im Gesellschafts-„Interesse“. Dieser Denkweise ist aber mit dem Legalitätsprinzip eine strenge Absage zu erteilen.282 Teilweise wird für einen Vorrang des Legalitätsprinzips vor dem Unternehmensinteresse auf § 396 Abs. 1 AktG verwiesen, nach dem eine Auflösung der Gesellschaft möglich ist, wenn gesetzeswidriges Verhalten der Verwaltungsträger das Allgemeinwohl gefährdet wird.283 Aber auch aus allgemeinen Erwägungen darf kein Ausschluss für Straftaten im Unternehmensinteresse bestehen. Werden die Straftaten doch einmal aufgedeckt und verfolgt, so können Strafzahlungen und gegebenenfalls Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft Tatfolge sein. Auch immaterielle Folgen, wie Rufschädigungen, können aus den zunächst vorteilhaften Straftaten resultieren. Die zunächst erlangten Vorteile werden damit obsolet. Straftaten, die im vermeintlichen „Unternehmensinteresse“ begangen werden, sind nicht von der Verhinderungspflicht ausgenommen. gg) Ausnahme bei Bagatellfällen Allerdings sind Fälle denkbar, in denen objektiv kein nennenswerter Schaden aus der Vorstandsstraftat folgt. Dies sind namentlich Fälle auf Bagatellebene. Hier ist der verursachte Schaden so gering – etwa bei einem Diebstahl eines Bleistifts –, dass eine Pflicht zum Einschreiten nicht geboten erscheint. Im Strafrecht ist die Behandlung von Bagatellen vornehmlich prozessual eingekleidet (§ 248a StGB284, §§ 153 f. StPO285). § 248a StGB findet insbesondere für Vermögensde281

Vgl. auch Schilha, S. 59. Vgl. aus der Rspr. BGH, Beschluss vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09 = BGHSt 55, 288, 301 f. (Rn. 37) = NJW 2011, 88, 92 (Rn. 37) („Siemens/AUB“). Ebenso Bayer, FS-K. Schmidt, S. 90 f.; Brand/Petermann, WM 2012, 62, 63; Drygala, in: Schmidt/ Lutter, AktG, § 111, Rn. 20; Ibold, S. 150; Schilha, S. 59, m.w. N. 283 Etwa Schilha, S. 59, m.w. N. (Fn. 143). 284 Vgl. dazu Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 248a, Rn. 1–3. 285 Vgl. dazu etwa Beukelmann, in: BK-StPO, § 153, Rn. 1 ff. 282

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

likte Anwendung, etwa über §§ 257 Abs. 4 Satz 2, 259 Abs. 2, 263 Abs. 4, 263a Abs. 2, 265a Abs. 3, 266 Abs. 2, 266b Abs. 2 StGB. Dieser Grundsatz, der eingeschränkten Verfolgung geringwertig verletzten Vermögens, ließe sich zu Gunsten des Aufsichtsrats auch auf die vorliegende Konstellation übertragen, und zwar bereits im Rahmen der Pflicht zum Einschreiten, sodass bereits die Pflichtverletzung bei Bagatellen entfiele. Zwar würde dies der Legalitätspflicht zuwider laufen.286 Andererseits sind der befürchtete Schaden und die daraus resultierende Folge für die Gesellschaft so gering, dass in diesen Fällen ein Absehen von einer Eingriffspflicht unter bestimmten Voraussetzungen vertretbar erscheint. Fraglich ist zunächst, wo man die Grenze zu der Bagatelle ziehen muss. Diese ließe sich einerseits anhand der Geringwertigkeit i. S. d. § 248a StGB bestimmen. Hier ist die Grenze der Geringwertigkeit aber nicht ganz geklärt, so wird teilweise für 25 EUR287, 30 EUR288 oder für 50 EUR289 plädiert. Andererseits könnte man auch auf den Einzelfall abstellen und so ohne starre Wertgrenzen Bagatellfälle im Unternehmen bestimmen. Bewertungskriterien könnten dabei finanzieller Verdienst des Vorstands, Umsatz des Unternehmens und die konkrete Straftat, bzw. das Tatopfer, sein. Hierbei läuft man aber erstens Gefahr faktisch doch das Kriterium der „schwerwiegenden“ Straftat zu installieren. Zweitens ist aufgrund der Legalitätspflicht die Bagatellgrenze niedrig anzusetzen und vor allem klar zu definieren. Insofern erscheint ein Rückgriff auf die Geringwertigkeit i. S. d. § 248a StGB naheliegend. Hier ist aufgrund der Wertentwicklung auf die Grenze von 50 EUR abzustellen.290 In diesen Fällen – etwa bei einer Fälschung der Reisekostenabrechnung, des Diebstahls geringwertiger Waren, etc. durch den Vorstand – muss der Aufsichtsrat in der Regel nicht eingreifen. Allerdings kann es Fälle geben, in denen trotz Geringwertigkeit ein Einschreiten geboten ist. So etwa bei Auslandskorruption gem. § 299 Abs. 3 StGB, wenn die Grenze von 50 EUR im jeweiligen Land nicht als sozialadäquat gilt. Oder wenn es zu einer Vielzahl von Bagatelltaten kommt, die dann in ihrer Gesamtheit über den nicht gefährdenden Rahmen hinausgehen. Insgesamt ist die Einschränkung auf Bagatellfälle restriktiv zu handhaben, da sie eine Ausnahme zur Legalitätspflicht in der Gesellschaft darstellt.

286 Deshalb in einer ähnlichen Konstellation sehr zurückhaltend Kocher, CCZ 2009, 215, 218. 287 BGH, Beschluss vom 09.07.2004 – 2 StR 176/04 = BeckRS 2004, 07428; Fischer, StGB, § 248a, Rn. 3a. 288 OLG Oldenburg. Beschluß vom 13.01.2005 – Ss 426/04 = NJW 2005, 1879, dazu Fischer, StGB, § 248a, Rn. 3a: „vertretbar“. 289 OLG Frankfurt, Beschluss vom 09.05.2008 – 1 Ss 67/08 = NJW 2008, 3233; Kretschmer, in: AnwK-StGB, § 248a, Rn. 3; Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 248a, Rn. 7; Wittig, in: BK-StGB, § 248a, Rn. 4. 290 Vgl. auch Nachweise in Fn. 289.

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hh) Zusammenfassend: „Geschäftsführungsbezogenheit“ der Straftat Es besteht eine aktienrechtliche Pflicht für die Verhinderung von bevorstehenden Vorstandsstraftaten für den Aufsichtsrat, die aus § 111 Abs. 1 AktG folgt, aa). Diese Pflicht umfasst grundsätzlich alle Straftaten, die der Vorstand (personaler Aspekt) im Rahmen seiner Tätigkeit als Vorstand (sachlich-inhaltlicher Aspekt) begeht, cc), sog. „Geschäftsführungsbezogenheit“. Ausgenommen sind lediglich private Straftaten des Vorstands, cc) (5), wobei eine ganz klare Abgrenzung im Einzelfall Schwierigkeiten begegnen mag. Die Pflicht ist dabei teleologisch weder auf Straftaten beschränkt, die das „Unternehmensinteresse“ [dd)] berühren oder „schwerwiegend“ [ee)] sind. Ein Ausschluss für Straftaten zum Wohle des Unternehmens besteht nicht, ff). Lediglich bei Bagatellstraftaten des Vorstands besteht keine Pflicht für die Verhinderung der Tat, gg). Tatbestandlich ergibt sich somit eine sehr weitgehende Pflicht, die aber mit dem Legalitätsgrundsatz in Unternehmen und der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats im Einklang steht. 3. Maßnahmen für die Durchsetzung der Pflicht Besteht also eine aktienrechtliche Pflicht für die Verhinderung von Straftaten, so muss diese Pflicht auch durchsetzbar sein.291 Andernfalls hätte der Aufsichtsrat keine Möglichkeit die Tat zu verhindern, die Pflicht würde ins Leere laufen und eine Sanktionierung des Unterlassens einer bestimmten Handlung wäre nicht möglich. Der Aufsichtsrat muss also auch Möglichkeiten haben die bevorstehende Straftat zu verhindern. Nur wenn er es unterlässt von möglichen Maßnahmen Gebrauch zu machen, kommt eine Pflichtwidrigkeit der (unterlassenen) Handlung in Betracht. Diese möglichen Verhinderungsmittel können sich aus dem Gesellschaftsrecht oder aus einer materiellen Pflicht für die Erstattung einer Strafanzeige ergeben. Wann der Aufsichtsrat auf welche Mittel zurückgreifen muss, ist eine Frage des Ermessens (4.) und eine Frage der konkreten Straftat (Kapitel 3 E. IV.), da nicht alle Mittel jede Straftat verhindern können. Zunächst wird herausgearbeitet, welche Mittel überhaupt zur Verfügung stehen. Dem Aufsichtsrat stehen verschiedene Arten von Mitteln und Möglichkeiten zur Einflussnahme auf den Vorstand zur Seite. Neben tatsächlichen Mitteln [a)] sind dies die rechtlichen Instrumente des Gesellschaftsrechts [b)] und die strafprozessuale Maßnahme der Strafanzeige gem. § 158 Abs. 1 Satz 1 StPO, c). In Literatur und Rechtsprechung findet man gelegentlich Aussagen, welche Mittel zur Verhinderung einer Straftat vom Aufsichtsrat genutzt werden sollten.292 Hierbei sprechen sich einige Stimmen für eine Abberufung des Vorstands-

291

Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 570; Poseck, S. 126. Sehr zurückhaltend Momsen, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, S. 81 f.: „[Es wird] den Mitgliedern des Aufsichtsrats aufgrund ihrer geringen recht292

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mitglieds gem. § 84 Abs. 3 AktG aus.293 Andere wollen einen Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG eingesetzt und genutzt sehen.294 Vereinzelt wird ein Weisungsrecht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand anerkannt, das dann in diesen Fällen genutzt werden soll.295 Thematisiert werden ferner Klagen mit präventivem Charakter.296 Auch wird die Möglichkeit der Strafanzeige erwogen.297 Ob diese Maßnahmen tatsächlich geeignet sind eine Straftat des Vorstands zu verhindern und ob der Aufsichtsrat verpflichtet ist von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, wird im Folgenden geklärt. Die Prüfung der Verhinderungsmittel vollzieht sich zweistufig. Zunächst werden die in Literatur und Rechtsprechung diskutierten Mittel an dieser Stelle abstrakt auf ihre grundsätzliche Tauglichkeit zur Straftatverhinderung untersucht. Eine konkrete Prüfung der Mittel in Bezug auf die zugrundeliegende Vorstandsstraftat findet aus Gründen der Übersichtlichkeit erst später statt.298 a) Tatsächliche Verhinderungsmittel Denkbar ist zunächst die tatsächliche Einwirkung durch den Aufsichtsrat auf den Vorstand. Dies umfasst Mittel nicht-rechtlicher Natur, wie etwa unverbindliche Gespräche oder Einflussnahme durch persönliche oder geschäftliche Nähe der Beteiligten. Das Hinweisen auf die bevorstehende Straftat wird in gesunden Gesellschaften wohl ausreichen, um den Vorstand von seinem Verhalten abzubringen. Der tatsächliche Herrschaftsbereich des Aufsichtsrats mag in der Praxis weitreichend und teilweise ausreichend sein.299 Ihm kommt aber keine rechtliche

lichen Einwirkungsmöglichkeiten oft unmöglich sein, Straftaten von Vorständen zu verhindern.“ 293 Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 574 ff. (allerdings beschränkt Cramer dies auf Straftaten mit einigem Gewicht und sieht wegen des Ermessens des Aufsichtsrats bloß einen engen Anwendungsbereich); Poseck, S. 127 f. (der ebenfalls eine Einschränkung im Rahmen des Ermessens sieht); Ransiek, ZGR 1999, 613, 625 (der sich aber als weniger einschneidende Maßnahme für ein Weisungsrecht ausspricht); Raum, in: Wabnitz/ Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 55; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 205. 294 OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.09.2008 – 4 U 26/06 = AG 2008, 900, 902; OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12 = NJW 2012, 3798, 3800; Brand/Petermann, WM 2012, 62, 63; Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 111, Rn. 18; Kau/Kukat, BB 2000, 1045, 1048. 295 Ransiek, ZGR 1999, 613, 625 f.; Schilha, S. 177 ff. 296 Raiser, ZGR 1989, 44, 63 ff. 297 BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 201 = NJW 2002, 1585, 1588 („SSV Reutlingen“); OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.09.2008 – 4 U 26/06 = AG 2008, 900, 902. 298 Kapitel 3 E. IV. 299 Vgl. zur Rechtswirklichkeit etwa Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 13, Rn. 12 und eingehend unten Kapitel 3 C. IV. 1. c) cc).

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Wirkung zu.300 Sträubt sich das Vorstandsmitglied trotz unförmlicher Ermahnung oder Einflussnahme durch den Aufsichtsrat von seinem Vorhaben Abstand zu nehmen, so muss der Aufsichtsrat dennoch wieder auf die rechtlichen Einflussnahmemittel zurückgreifen. Auch eine Warnung des von der Vorstandsstraftat Betroffenen durch den Aufsichtsrat wäre denkbar. Dann könnte dieser selbst Maßnahmen gegen die bevorstehende Rechtsgutsverletzung einleiten. Hiergegen spricht aber die umfassende Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats, die bei Verstößen sogar zu einer Strafbarkeit führen kann.301 b) Gesellschaftsrechtliche Mittel Als taugliche rechtliche Mittel kommen zunächst die Maßnahmerechte des Aufsichtsrats aus dem Gesellschaftsrecht in Betracht. Namentlich sind dies alle von Rechts wegen bestehenden Möglichkeiten des Aktienrechts, die dem Aufsichtsrat in Bezug auf den Vorstand gegeben sind. Diese lassen sich in Instrumente der bloßen Überwachung, Überwachungsinstrumente mit einwirkendem Charakter [aa)], Einwirkungsinstrumente [bb)] und sonstige Mittel [cc)] unterteilen.302 Bereits im vornherein sind die Mittel der bloßen Überwachung (Recht der Anforderung von Berichten, § 90 AktG, Einsichtsnahmerecht aus § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG303) untauglich eine bevorstehende Straftat zu verhindern, da mit ihnen lediglich Informationen eingeholt werden können.304 Ihnen fehlt eine Rechtsfolge, die eine verbindlich gestaltende Wirkung auf den Vorstand entfaltet. aa) Instrumente mit einwirkendem Charakter Anders kann dies bei den Maßnahmen mit einwirkendem Charakter aussehen. Darunter sind die Maßnahme der Beratung des Vorstands und die Maßnahme der Stellungnahme zu Berichten zu zählen.305 Dieses aus der Überwachungsaufgabe fließende Recht zur Kritik306 zielt funktional auf Verhaltenssteuerung ab.307 300

Vgl. auch Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 571 f. Vgl. näher zu der Verschwiegenheitspflicht unten Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6) (c) und Kapitel 2 C. II. 3. c) bb). 302 Die Kategorien werden in Anlehnung an Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 325 ff. gebildet. 303 Vgl. zu beidem Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 326 ff. 304 Implizit Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 570 f. 305 Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 333 ff. Vgl. dies., a. a. O. in Rn. 334 auch zu den verwendeten Begrifflichkeiten in diesem Zusammenhang. 306 So Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 572. 307 Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 333. 301

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Stellt der Aufsichtsrat die Rechtswidrigkeit einer bevorstehenden Vorstandsmaßnahme fest, so kann er zu dem Vorgang Stellung nehmen und auf die straf- und zivilrechtlichen Folgen der geplanten Maßnahme hinweisen.308 Darüber hinaus wird dem Aufsichtsrat auch ein formelles Recht zur Beanstandung zugesprochen.309 Teilweise wird eine Pflicht für die Abgabe einer Stellungnahme und einer Beanstandung bei rechtswidrigem oder nicht ordnungsgemäßen Verhalten des Vorstands anerkannt.310 Diese Maßnahmen haben allerdings keine rechtliche Verbindlichkeit für den Vorstand.311 Der Vorstand muss den Beanstandungen keine Folge leisten und sein Verhalten nicht ändern.312 Dennoch kann der Aufsichtsrat über Stellungnahmen und Beanstandungen großen Einfluss auf den Vorstand ausüben.313 Bereits die ausführliche Darlegung der rechtlichen und tatsächlichen Folgen eines strafrechtlich relevanten Verhaltens wird den Vorstand regelmäßig von seinem Vorhaben abbringen können.314 Insoweit stellt das Recht zur Stellungnahme und Beanstandung eine Maßnahme dar, mit deren Hilfe sich die Pflicht für die Straftatverhinderung durchsetzen lassen kann. Da ihr aber die rechtliche Verbindlichkeit fehlt, wirkt sie nur bei einem einsichtigen Vorstand. Plant dieser weiterhin das strafrechtlich relevante Verhalten vorzunehmen, bleibt das Recht zur Stellungnahme und Beanstandung ein stumpfes Schwert. Insofern ist das Recht zur Stellungnahme und Beanstandung nicht tauglich und damit nicht ausreichend eine Straftat zu verhindern.315 bb) Einwirkungsmittel Auf dritter Stufe stehen die sog. Einwirkungsmittel.316 Diese haben eine verbindliche Folge. Ob sie aber auch tauglich sind eine bevorstehende Straftat zu verhindern, muss im Einzelnen erörtert werden. (1) Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand, § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG Gem. § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG hat der Aufsichtsrat die Kompetenz eine Geschäftsordnung für den Vorstand zu erlassen, sofern die Satzung keine Regelung 308

Ähnlich bei Schilha, S. 74. Schilha, S. 75 m.w. N. 310 Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 198, 214, 276; Schilha, S. 74. 311 Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 572; Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 334 m.w. N.; Lutter/Krieger, Rn. 101; Schilha, S. 74. 312 Ähnlich Schilha, S. 74. 313 Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 335. 314 Ähnlich Schilha, S. 74 f. m.w. N. 315 Allgemeine Meinung, vgl. etwa Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 572 f.; Poseck, S. 129; Schilha, S. 170. 316 Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 336. 309

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trifft.317 Mit der Geschäftsordnung kann die Organisation und Kompetenzverteilung des Vorstands geregelt werden, nicht jedoch die inhaltliche Arbeit des Vorstands.318 Unabhängig von der Wichtigkeit einer funktionierenden und straff strukturierten Organisation des Geschäftsführungsorgans für die Vermeidung von Straftaten,319 kann in einer Geschäftsordnung nichts Konkretes für den Einzelfall niedergelegt werden, der die Situation einer bevorstehenden Straftat regelt.320 Der Erlass einer Geschäftsordnung wirkt ferner nur abstrakt. Eine Einflussnahme auf den Vorstand bei einer konkreten Geschäftsführungsmaßnahme wird dem Aufsichtsrat durch die Erlasskompetenz nicht zugebilligt. Der Erlass einer Geschäftsordnung gem. § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG ist nicht tauglich eine bevorstehende Straftat zu verhindern.321 (2) Einberufung einer Hauptversammlung, § 111 Abs. 3 AktG Denkbar wäre es, in der Einberufung der Hauptversammlung gem. § 111 Abs. 3 AktG eine taugliche Maßnahme zur Verhinderung der Straftat zu sehen. Der Aufsichtsrat hat nach dieser Vorschrift das Recht die Hauptversammlung einzuberufen, wenn das Wohl der Gesellschaft dies erfordert. Streitig ist bereits, ob auf einer durch den Aufsichtsrat einberufenen Hauptversammlung Geschäftsführungsfragen erörtert werden dürfen.322 Jedenfalls wären die so gefassten Stellungnahmen unverbindlich für den Vorstand.323 Es fehlt auch hier an der rechtsverbindlichen Einwirkungsmacht für Einzelfälle auf den Vorstand, die eine Straftat verhindern kann.324 (3) Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG Weiterhin kommt eine Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG in Betracht. Ist der Vorstand abberufen worden, so fehlt ihm die organschaftliche Stellung, die ihn zu Handlungen innerhalb der AG befähigt.325 Dies gilt ab Zu317

Vgl. etwa Lutter/Krieger, Rn. 447. Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 339 f. Vgl. auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, 77, Rn. 60 f. 319 Diesen Aspekt betonen etwa Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 573; Schilha, S. 170, m.w. N. 320 Ebenso Schilha, S. 170. 321 Ebenso Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 573; Poseck, S. 129 f.; Schilha, S. 170. 322 Dafür Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 44, m.w. N.; Lutter/Krieger, Rn. 123, m.w. N. Dagegen Hüffer, AktG, § 111, Rn. 14, m.w. N.; Spindler, in: Spindler/ Stilz, § 111, Rn. 58, m.w. N. 323 Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 576. 324 Ebenso, wenn auch teilweise mit anderer Akzentsetzung Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 576; Poseck, S. 130; Schilha, S. 170 f. 325 KK-AktG/Mertens/Cahn, § 84, Rn. 114. 318

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gang der Erklärung,326 da die Abberufung gem. § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG wirksam ist, bis die Unwirksamkeit festgestellt worden ist. Er kann dann keine Straftaten aus seinem Amt heraus begehen. Um ein extern rechtswirksames Handeln aufgrund § 15 Abs. 1 HGB i.V. m. § 81 Abs. 1 AktG zu verhindern, können Dritte gegebenenfalls nach erfolgter Abberufung über die Tatsache der Abberufung (aufgrund der Verschwiegenheitspflicht327 aber nicht über deren Inhalt) informiert werden. Die Abberufung ist daher ein taugliches Mittel für die Verhinderung von Straftaten des Vorstands.328 (a) Bevorstehende Straftat als Abberufungsgrund i. S. d. § 84 Abs. 3 AktG Die Abberufung ist gem. § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich. Beispielhaft sind in § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG mögliche wichtige Gründe genannt. Die geplante Begehung einer Straftat könnte eine grobe Pflichtverletzung i. S. d. § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG darstellen. In Literatur329 und Rechtsprechung330 ist anerkannt, dass bereits begangene Straftaten eine grobe Pflichtverletzung und damit einen Abberufungsgrund darstellen. Dies betrifft nicht nur geschäftlich begangene Taten, sondern auch solche im privaten Bereich.331 Teilweise wird auf die Schwere der Tat abgestellt, um weniger gewichtige Taten auszuschließen.332 Allerdings können auch aus zunächst gering erscheinenden Taten schwerwiegende Folgen für die Gesellschaft erwachsen.333 Eine Abberufung ist daher nicht bloß auf schwerwiegende Taten beschränkt. Die gerichtlichen Urteile und viele Beiträge in der Literatur beziehen sich allerdings auf Straftaten und Verdachtsfälle, die in der Vergangenheit liegen.334 Es liegt nahe, dass die Abberufung auch präventiv eingesetzt werden kann, wenn

326

KK-AktG/Mertens/Cahn, § 84, Rn. 111. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6) (c) und Kapitel 2 C. II. 3. c) bb). 328 Ebenso Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 575 („[. . .] sicherlich als wirksamste Sanktion zur Verhinderung strafbarer Handlungen [. . .] anzusehen.“); Poseck, S. 128. 329 Etwa Bürgers/Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, § 84, Rn. 29; Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 84, Rn. 104; Hüffer, AktG, § 84, Rn. 28; Kort, in: GroßkommentarAktG, § 84, Rn. 155 ff.; Lutter/Krieger, Rn. 165; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 84, Rn. 49a; Spindler, in: MüKo-AktG, § 84, Rn. 120. 330 OLG München, Urteil vom 07.02.2007 – 7 U 4952/06 = AG 2007, 361, 363 (Kick-Backs); OLG Stuttgart, Urteil vom 13.03.2002 – 20 U 59/01 = AG 2003, 211, 212. 331 Hüffer, AktG, § 84, Rn. 28 m.w. N. Einschränkend Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 84, Rn. 105 und Kort, in: Großkommentar-AktG, § 84, Rn. 156. 332 Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 575. Bagatellen will Schilha, S. 176 ausschließen. 333 Vgl. oben Kapitel 2 C. II. 2. b) ee). 334 Dies betonen auch Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 575; Schilha, S. 175. 327

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sich die Straftat so verhindern ließe.335 Durch die Abwendung der Straftat kann die Gesellschaft vor Schäden wirtschaftlicher und ideeller Natur bewahrt werden. Ist die Abberufung ein taugliches Mittel hierzu, so kann es keinen Zweifel geben, dass sie in den hier diskutierten Fällen genutzt werden darf. (b) Ermessensreduzierung auf null: Pflicht für die Abberufung bei bevorstehenden Vorstandsstraftaten Die Abberufung selbst steht dabei im Ermessen des Aufsichtsrats (vgl. Wortlaut des § 84 Abs. 3 AktG: „Kann“). Es stellt sich daher die Frage, ob und wann eine Pflicht für die Abberufung besteht. Es könnte eine Ermessensreduzierung auf null336 vorliegen, die eine Pflicht des Aufsichtsrats für die Abberufung begründet. Streitig sind bereits die zu berücksichtigen Interessen der Abwägungsentscheidung. Überwiegend wird vertreten, dass im Rahmen der Abwägung neben den Interessen der AG auch das Interesse des Vorstandsmitglieds Berücksichtigung finden müsse.337 Diese Sichtweise betont allerdings zu stark die Vorstandsinteressen. Die in § 84 Abs. 3 AktG genannten Abberufungsgründe zielen auf den Schutz der Gesellschaft ab. Gefährdet der Vorstand das Wohl der Gesellschaft durch sein Verhalten oder seine Persönlichkeit, so muss auf organschaftlicher Ebene das Interesse der AG im Vordergrund stehen.338 Das Interesse des Vorstandsmitglieds kann aber auf der dienstvertraglichen Ebene des Anstellungsvertrags eine Rolle spielen.339 Für die vorliegende Konstellation hat der Streit aber im Ergebnis keine Auswirkungen. Plant der Vorstand die Begehung einer Straftat, so überwiegt das Interesse der AG an der Einhaltung der Legalität in der Gesellschaft das Interesse des Vorstand an der Erhaltung seiner Organstellung bei Weitem. Lediglich gegenläufige Gesellschaftsinteressen könnten dann abgewogen werden. Eventuelle Vorteile für die Gesellschaft, die aus der Straftat resultieren dürfen hierbei keine Rolle spielen.340 Im Rahmen der zu berücksichtigenden Gesellschaftsinteressen gibt es aber Stimmen, die nur in bestimmten Situationen eine Pflicht zur Abberufung annehmen, nämlich nur „in besonders drastischen“ 341 oder „gravierenden“ Fällen342 335 Ebenso Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 575; Poseck, S. 119, 127; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 205. Zurückhaltender Schilha, S. 175. 336 Vgl. Zech, S. 241. 337 Etwa KG, Urteil vom 30.05.2007 – 23 U 102/06 = AG 2007, 745, 746 f. I. Erg. zustimmend, aber die Interessen der AG stärker berücksichtigend Hüffer, AktG, § 84, Rn. 26, m.w. N. zu allen Ansichten. 338 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 84, Rn. 101 ff. m.w. N.; ders., AG 2006, 429, 439 m.w. N. 339 Ebenso Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 84, Rn. 102. 340 Vgl. Kapitel 2 C. II. 2. b) ff). 341 Schilha, S. 177 i.V. m. S. 81 und 57 ff. 342 Zech, S. 240 f.

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oder falls sachfremde Erwägungen die entscheidende Rolle bei der Nichtabberufung darstellen.343 Hierbei wird auf die möglicherweise unentbehrliche Sachkunde des betroffenen Vorstandsmitglieds hingewiesen, die von herausragender Wichtigkeit für das Unternehmen sein kann.344 Schilha verneint daher die Tauglichkeit des Mittels der Abberufung, bis auf wenige Ausnahmefälle.345 Diese Sichtweise verdreht allerdings das Regel-Ausnahmeverhältnis. Aufgrund der Legalitätspflicht besteht bei bevorstehenden Straftaten regelmäßig die Pflicht der Verhinderung der Straftat (durch die Abberufung). Die Einhaltung von Gesetzesbestimmungen geht dem Gesellschaftsinteresse vor.346 Nur in besonderen Ausnahmesituationen könnte davon abgesehen werden, etwa wenn sich tatsächlich einmal die herausragende Wichtigkeit der betroffenen Vorstandsperson für das Unternehmen herausstellen sollte und die Straftat mit Sicherheit keine nachteiligen Folgen für das Unternehmen entfalten kann. Diese Prognose, insbesondere die Unentbehrlichkeit der Person für das Unternehmen, wird aber äußerst selten zu Gunsten der Nichtabberufung ausfallen. Daher ist der Aufsichtsrat zur Abberufung des Vorstands verpflichtet, wenn dieser die Straftat andernfalls begehen wird.347 (4) Zeitweilige Suspendierung des Vorstands Taugliches Mittel könnte ferner eine vorübergehende Suspendierung des Vorstands sein. Umstritten sind hierbei aber zum einen die Zulässigkeit von vorübergehenden Suspendierungen, wie auch die Anforderungen und schließlich die Rechtsfolgen der Suspendierung.348 (a) Zulässigkeit der zeitweiligen Suspendierung Die Suspendierung ist eine Weiterentwicklung des § 84 Abs. 3 AktG, der als milderes Mittel gegenüber der endgültigen Abberufung im Wege „eines Schlusses vom Größeren auf das Kleinere“ 349 von der überwiegenden Meinung als grundsätzlich zulässig erachtet wird.350 Die kritischen Stimmen sehen die Unab343

Poseck, S. 127 f. Deutlich bei Poseck, S. 38; Schilha, S. 81. Angedeutet auch bei Zech, S. 241. 345 Schilha, S. 177. 346 Vgl. nur Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 93, Rn. 36, m.w. N.; Hüffer, AktG, § 93, Rn. 4 f.; Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 93, Rn. 12, m.w. N. 347 Ähnlich Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 279. Eine Pflicht zur Abberufung sieht auch Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 205. 348 Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 84, Rn. 136; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 84, Rn. 59. Streitübersicht etwa bei Kort, in: Großkommentar-AktG, § 84, Rn. 233–235. 349 So Schilha, S. 82. 350 Etwa OLG München, Beschluss vom 17.09.1985 – 7 W 1933/85 = AG 1986, 234 f.; Lutter/Krieger, Rn. 378 ff.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 84, Rn. 136 ff. 344

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hängigkeit des Vorstands in Gefahr und weisen auf die fehlende gesetzliche Grundlage der Suspendierung hin.351 Dieser Meinung ist zuzugestehen, dass eine außergesetzliche Weiterentwicklung der Rechte des Aufsichtsrats zur Einflussnahme auf den Vorstand immer gleichbedeutend ist mit einer Verschiebung der Machtverhältnisse in der Gesellschaft. Die außergesetzlich gewährten weiteren Maßnahmen sind restriktiv auszugestalten, um die Kompetenzen der Organe nicht zu vermischen. Demnach kommt es für die Zulässigkeit der zeitweiligen Suspendierung entscheidend auf ihre inhaltliche Ausgestaltung und ihre Rechtsfolge an. (b) Ausgestaltung und Rechtsfolge der zeitweiligen Suspendierung Die gebotene restriktive Ausgestaltung spricht dann bei den Anforderungen an die Suspendierung für die Notwendigkeit des Vorliegens eines wichtigen Grundes i. S. d. § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG.352 Fraglich bleiben die Rechtsfolgen der Suspendierung. Hier wird überwiegend für ein vorübergehendes Verbot der Amtsausführung bei gleichzeitigem Fortbestehen des Amtsverhältnisses plädiert.353 Dann aber behält der Vorstand seine Vertretungsmacht nach außen.354 Wesensmerkmal der Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG ist jedoch die Beendigung der organschaftlichen Stellung. Daher ist es überzeugender für den Fall der Suspendierung eine befristete echte Abberufung anzunehmen.355 Nur so bleibt der Charakter des § 84 Abs. 3 AktG gewahrt. Der Einwand, dass die Suspendierung dann keine eigenständige Bedeutung habe356 untermauert vielmehr diese Ansicht, da sie sich nah am Gesetz bewegt.357 Die hier vertretene Ausgestaltung der Suspendierung ist damit im Ergebnis (nur) eine Spielart der Abberufung und wird im Folgenden nicht mehr als eigenständige Maßnahme benannt. Ob man in der Praxis auf die Suspendierung zurückgreifen sollte, ist ob der verschiedenen Ansichten zu den hier ausgeführten Punkten fraglich.358 Verschiedentlich wird von der Einwirkungsmaßnahme der Suspendierung in der Praxis abgeraten.359 351 Spindler, in: MüKo-AktG, § 84, Rn. 143. Zweifelnd auch Hüffer, AktG, § 84, Rn. 35. 352 Offengelassen in OLG München, Beschluss vom 17.09.1985 – 7 W 1933/85 = AG 1986, 234, 235. Wie hier Spindler, in: MüKo-AktG, § 84, Rn. 144 m.w. N. Lutter/ Krieger, Rn. 380. A. A. Kort, in: Großkommentar-AktG, § 84, Rn. 238. 353 Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 84, Rn. 139 m.w. N.; Kort, in: GroßkommentarAktG, § 84, Rn. 250; KK-AktG/Mertens/Cahn, § 84, Rn. 192. 354 Explizit betonend KK-AktG/Mertens/Cahn, § 84, Rn. 191, 192. 355 Spindler, in: MüKo-AktG, § 84, Rn. 144, 145. 356 Kort, in: Großkommentar-AktG, § 84, Rn. 236. 357 Ähnlich Spindler, in: MüKo-AktG, § 84, Rn. 143. 358 Vgl. auch Hinweis Schilhas, der sich für die Meinung entscheidet, dass dem Vorstand im Fall der Suspendierung nur die Amtsausführung verboten wird, ihm aber die

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(5) Weisungsrecht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand Eine Verhinderung der Straftat könnte mit Hilfe eines rechtsverbindlichen Weisungsrechts des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand möglich sein. Dann könnte der Aufsichtsrat bei Kenntnis des Vorhabens dem Vorstand die Weisung erteilen ein bestimmtes Vorhaben nicht durchzuführen, die Straftat also nicht zu begehen. (a) Kein Weisungsrecht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand Allerdings lehnt die weit überwiegende Mehrheit in Rechtsprechung und Literatur ein Weisungsrecht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand ab.360 Dies ergebe sich einerseits aus der funktionalen Aufgabenteilung in der AG, als dessen Folge der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten habe.361 Ferner gab es bis 1937 ein Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung gegenüber dem Vorstand, das dann durch das AktG (§ 70 AktG 1937) abgeschafft worden ist.362 Auch aus der Abschaffung des so gearteten Weisungsrechts wird eine Weisungsfreiheit geschlussfolgert.363 (b) Sonderweisungsrecht bei bevorstehenden Straftaten? Ransiek und Schilha sprechen sich demgegenüber für ein Sonderweisungsrecht des Aufsichtsrats bei geplanten Straftaten des Vorstands aus.364 In dieser Sonderkonstellation soll dem Aufsichtsrat ausnahmsweise das Recht zustehen, rechtsverbindliche Weisungen gegenüber dem Vorstand zu erteilen und diesen so von Vertretungsmacht verbleibt. Dann sei die Wirkungsintensität der Suspendierung gering, Schilha, S. 82. 359 Bürgers/Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, § 84, Rn. 36; Hüffer, AktG, § 84, Rn. 35. 360 Etwa BGH, Urteil vom 05.05.2008 – II ZR 108/07 = NJW-RR 2008, 1134, 1135; Brouwer, S. 37; Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 572; Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 76, Rn. 58; Fonk, NZG 2011, 321, 323; Hüffer, AktG, § 76, Rn. 4, 10 m.w. N.; Lutter, NZG 2010, 601, 603; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28, II., 1. a); Spindler, in: MüKoAktG, § 76, Rn. 22 m.w. N.; ders., in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 62. Für Pflichtverletzung des Aufsichtsrats bei der Erteilung von Weisungen Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 15, Rn. 104. A. A. aber Hoffmann, AG 2012, 478, 480 unter verwirrendem Hinweis auf BGH, Urteil vom 16.03.2009 – II ZR 280/07 = NZI 2009, 490, 491. Der BGH spricht dort von „Hinzuwirken“ und nennt als letzte Maßnahme die Abberufung des Vorstands. Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht auf eine Weisungspflicht schließen. 361 Vgl. Ausführungen bei Spindler, in: MüKo-AktG, § 76, Rn. 22. I. Erg. auch Altmeppen, FS-K. Schmidt, S. 25 f. 362 Umfassend zur Entwicklung diesbezüglich Altmeppen, FS-K. Schmidt, S. 25 ff. 363 Hüffer, AktG, § 76, Rn. 10. 364 Ransiek, ZGR 1999, 613, 625 f.; Schilha, S. 177 ff. Unentschlossen Lutter/Krieger, Rn. 101 („[. . .] von Sonderfällen abgesehen – [. . .] kein Weisungsrecht“).

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seinem Verhalten abzuhalten.365 Für die Begründung dieses Rechts bezieht sich Schilha zunächst auf § 32 MitbestG, der in der Tat ein Weisungsrecht für das Geschäftsführungsorgan einer mitbestimmten Gesellschaft aufstellt.366 Aus der Existenz dieses statuierten Weisungsrechts schließt er, dass in eng begrenzten Sonderfällen Weisungsrechte des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand bestehen können.367 Die rechtliche Grundlage für eine Sonderweisungsbefugnis bei bevorstehenden Straftaten sehen Schilha und Ransiek in § 84 Abs. 3 AktG.368 Unter Verweis auf die Suspendierungsmöglichkeit369 wollen beide mit einem „Erstrecht-Schluss“ auch die Legitimität von Weisungen einfordern.370 Wenn schon die Abberufung und die Suspendierung zulässig seien, dürfe der Aufsichtsrat als milderes Mittel auch Weisungen erteilen.371 Die unternehmerische Gestaltungsfreiheit und Unabhängigkeit werde dem Vorstand nur für rechtmäßige Maßnahmen eingeräumt.372 Insbesondere Schilha betont den Ausnahmecharakter einer solchen Regelung, der seiner Meinung nach keinen sonstigen gesellschaftsrechtlichen Bedenken begegne, da die Verhaltensanweisung nur interne Wirkung entfalte.373 Aus dem Weisungsrecht ergebe sich eine Weisungspflicht, wenn nur so der Vorstand von seinem Verhalten abzubringen sei.374 (c) Ablehnung eines Sonderweisungsrechts bei bevorstehenden Vorstandsstraftaten Die Annahme eines, wenn auch nur ausnahmsweise bestehenden, Sonderweisungsrechts bei bevorstehenden Straftaten begegnet gravierenden gesellschaftrechtlichen Bedenken und ist daher im Ergebnis abzulehnen. Zunächst stellt ein Weisungsrecht des Aufsichtsrats einen schwerwiegenden Eingriff in die Unabhängigkeit des Vorstands dar. Hierdurch gerät das bestehende und allgemein anerkannte375 Kompetenzgefüge in der Aktiengesellschaft ins Wanken. Die Unabhängigkeit des Vorstands ist Wesensmerkmal der AG und als solche ein wichtiges Gut für die Funktionsfähigkeit des Organs Vorstand. Jeder Eingriff in diese Struktur relativiert die Unabhängigkeit des Vorstands und verändert so die Kräf-

365 Deutlich betont Schilha, S. 178 unten den Ausnahmecharakter des von ihm und Ransiek entwickelten Weisungsrechts zur Verhinderung bevorstehender Straftaten. 366 Schilha, S. 177. 367 Schilha, S. 177, auch unter Bezugnahme auf Lutter/Krieger, Rn. 101. 368 Ransiek, ZGR 1999, 613, 625 f.; Schilha, S. 178. 369 Dazu soeben Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (4). 370 Ransiek, ZGR 1999, 613, 625; Schilha, S. 178. 371 Ransiek, ZGR 1999, 613, 625; Schilha, S. 178. 372 Schilha, S. 179. 373 Schilha, S. 179 f. 374 Ransiek, ZGR 1999, 613, 626; Schilha, S. 180 f. 375 Kapitel 3 C. IV. 1. c).

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teverhältnisse in der AG, die gesetzlich bestimmt sind. Auch die Weiterentwicklung des § 84 Abs. 3 AktG zu einem Weisungsrecht ist kritikwürdig. Schon die aus dem Abberufungsrecht geschlussfolgerte Suspendierung ist nicht fei von Vorbehalten, da bereits sie geeignet sein kann, die Unabhängigkeit des Vorstands zu untergraben.376 Dies spricht für eine enge Interpretation des § 84 Abs. 3 AktG, der als einzige Möglichkeit eben nur die Abberufung normiert.377 Ferner ist die Personalkompetenz des Aufsichtsrats ein starkes Recht, das ihm viel Macht und Einfluss auf den Vorstand überträgt. Um das Gleichgewicht der Kräfteverhältnisse in der AG zu wahren, erscheint es notwendig, die Machtbefugnisse eng zu interpretieren. Die teleologisch weite Interpretation des § 84 Abs. 3 AktG durch Schilha und Ransiek ist demnach nicht von Sinn und Zweck der Vorschrift gedeckt. Aus systematischen Erwägungen zeigt die gesetzliche Bestimmung des Weisungsrechts in § 32 MitbestG, dass ein Weisungsrecht einen absoluten Ausnahmecharakter im Aktienrecht darstellt. Die Vorschrift des § 32 MitbestG wird selbst stark kritisiert, ob ihres Eingriffs in die Grundordnung der AG.378 Auch aus historischer Sicht würde mit einer Sonderweisungsbefugnis die Aufhebung des Weisungsrechts der Gesellschafterversammlung durch § 70 AktG 1937 unterlaufen werden. Ein Weisungsrecht des Aufsichtsrats widerspricht dem Willen des Gesetzgebers und der Machtverteilung innerhalb der AG. Ein solcher systemwidriger Eingriff in die Organstruktur der AG bedürfte, wie § 32 MitbestG zeigt, einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung. An dieser fehlt es im Aktienrecht, sodass schlussendlich eine Weisungsbefugnis des Aufsichtsrats bei bevorstehenden Straftaten abzulehnen ist. (d) Sonderweisungsrecht gegenüber Angestellten bei Vorstandsstraftaten im Zusammenhang mit der Vorstandsvergütung? Für eine Sonderkonstellation ließe sich erwägen, ob dem Aufsichtsrat ausnahmsweise für die Verhinderung einer Vorstandsstraftat eine Weisungsbefugnis gegenüber Mitarbeitern gestattet sein kann. Grundsätzlich ist dies nicht gestattet, da der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung leitet, § 76 Abs. 1 AktG und der Aufsichtsrat von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist, § 111 Abs. 4 AktG.379 Die folgende Überlegung betrifft strafbares Verhalten des Vorstands im Zusammenhang mit seiner Vergütung, so etwa den Fall der Einreichung einer falschen Reisekostenabrechnung (§ 263 Abs. 1 StGB).380 In eigenen Vergütungsan-

376 377 378 379 380

Vgl. Ausführungen oben, Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (4). Spindler, in: MüKo-AktG, § 84, Rn. 143. Vgl. etwa Gach, in: MüKo-AktG, § 32 MitbestG, Rn. 2. Vgl. eingehend Kapitel 3 C. IV. 1. c). Vgl. bereits Kapitel 1 B. II. 2.

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gelegenheiten ist der Vorstand nicht vermögensbetreuungspflichtig.381 Es fehlt ihm insoweit die Vertretungsmacht382 und die Kompetenz ist durch das Aktiengesetz (als Leitungsaufgabe) an den Aufsichtsrat übertragen, vgl. § 87 Abs. 1, 2 AktG und § 112 AktG. Aufgrund dieser Aufgabenverschiebung könnte man für ein Weisungsrecht des Aufsichtsrats gegenüber den Mitarbeitern plädieren, die mit der Bearbeitung der Vorstandsvergütung betraut sind. Der Aufsichtsrat könnte dann bei bevorstehendem strafbarem Verhalten des Vorstands mit Hilfe einer Weisung an den entsprechenden Mitarbeiter eine Schädigung der Gesellschaft verhindern. Allerdings sieht sich auch diese Überlegung gesellschaftsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt und ist im Ergebnis abzulehnen: Zunächst einmal ist ein solches Weisungsrecht gesetzlich nicht vorgesehen. Es stellt, rein formal, einen Eingriff in die Machtstruktur383 der Aktiengesellschaft dar, da es dem Aufsichtsrat einen Einfluss auf Unternehmensmitarbeiter gewährt, der dem Vorstand vorbehalten ist. Außerdem ergibt sich aus § 87 AktG schon vom Wortlaut her bloß eine Kompetenz zur Festsetzung der Vergütung, nicht aber eine Einwirkungskompetenz bei missbräuchlichem Verhalten des Vorstands. Aus diesen beiden Gründen erwachsen sich Zweifel an der aktienrechtlichen Legitimität eines Weisungsrechts des Aufsichtsrats gegenüber Mitarbeitern bei Vorstandsstraftaten im Zusammenhang mit der Vorstandsvergütung. Das schlagende Argument gegen diesen Eingriff in die Machtstruktur der Aktiengesellschaft und die außergesetzliche Weiterentwicklung von Eingriffsrechten ergibt sich aus der Existenz des Zustimmungsvorbehalts gem. § 111 Abs. 4 AktG, der geeignet ist rechtliche Handlungen des Vorstands innerhalb der Gesellschaft unter Zustimmungsvorbehalt durch den Aufsichtsrat zu stellen.384 Mit Hilfe eines entsprechenden Zustimmungsvorbehalts, der die Vornahme von Auszahlungen, bzw. bereits die Bearbeitung von Rechnungen durch den Vorstand unter Zustimmung durch den Aufsichtsrat stellt, können Betrügereien zu Lasten der Gesellschaft verhindert werden. Es bedarf daher keines Sonderweisungsrechts des Aufsichtsrats gegenüber Mitarbeitern. (e) Ergebnis Es besteht weder ein Weisungsrecht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand noch gegenüber Mitarbeitern. Auch in Spezialkonstellationen, wie etwa bevorste381 BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = NJW 2006, 522, 530 (Rn. 80) („Mannesmann/Vodafone“), nicht abgedruckt in BGHSt 50, 331; Esser, in: AnwKStGB, § 266, Rn. 296; Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 74. 382 BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = NJW 2006, 522, 530 (Rn. 80) („Mannesmann/Vodafone“), nicht abgedruckt in BGHSt 50, 331. 383 Dazu eingehend unten Kapitel 3 C. IV. 1. c). 384 Vgl. dazu sogleich Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6) (c).

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henden Straftaten des Vorstands, darf die aktienrechtliche Struktur nicht (ohne Gesetz) durchbrochen werden. (6) Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG Zahlreiche Stimmen sehen in der Einrichtung und Ausübung eines Zustimmungsvorbehalts gem. § 111 Abs. 4 AktG eine potentiell taugliche Möglichkeit Straftaten des Vorstands zu verhindern.385 Die Zulässigkeit der Vornahme des Geschäfts durch den Vorstand steht dabei unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Aufsichtsrats. (a) Der Zustimmungsvorbehalt und seine tatbestandlichen Voraussetzungen Durch einen Zustimmungsvorbehalt wird dem Vorstand daher die Pflicht auferlegt, vor Durchführung des entsprechenden Geschäfts die Zustimmung des Aufsichtsrats einzuholen, § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. Wird diese verweigert, kann der Vorstand dann noch die Hauptversammlung anrufen, die mit dreiviertel Mehrheit einen positiven Beschluss zu seinen Gunsten herbeiführen kann, § 111 Abs. 4 Satz 3, 4 AktG. Als Folge des aufgestellten Zustimmungsvorbehalts kann der Aufsichtsrat die Zustimmung zu der rechtswidrigen Maßnahme des Vorstands (sprich: der Straftat) verweigern, die dann vom Vorstand nicht ausgeführt werden darf. Zustimmungsvorbehalte können durch die Satzung oder den Aufsichtsrat bestimmt werden, § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. Seit 2002 besteht durch das TransPuG386 eine Pflicht für die Festlegung von Zustimmungsvorbehalten. Nur aktives Handeln des Vorstands darf unter Zustimmungsvorbehalt gestellt werden, nicht aber Unterlassungen.387 Andernfalls wäre der Vorstand bei Verweigerung der Zustimmung zu einer Unterlassung verpflichtet die Handlung vorzunehmen, was de facto auf eine Weisungsbefugnis hinauslaufen würde.388 Dies wäre ein massiver Eingriff in die Kompetenzordnung des Aktienrechts.389

385 OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.09.2008 – 4 U 26/06 = AG 2008, 900, 902; Brand/Petermann, WM 2012, 62, 63; Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 111, Rn. 18; Kau/Kukat, BB 2000, 1045, 1048; Schilha, S. 171 ff. (dort erörtert unter dem Gesichtspunkt der Herrschaft über den Vorstand) und 188 („Vetorecht“). 386 TransPuG, BGBl. I, S. 2681. 387 Brouwer, S. 145 f.; Dietrich, DStR 2003, 1577 ff.; Habersack, in: MüKo-AktG, § 111, Rn. 112, m.w. N.; Hüffer, AktG, § 111, Rn. 17, m.w. N.; KK-AktG/Mertens/Cahn, § 111, Rn. 91; Schilha, S. 174 f. A. A. Lange, DStR 2003, 376, 377. 388 Brouwer, S. 143 f. Ähnlich Habersack, in: MüKo-AktG, § 111, Rn. 112. 389 Dietrich, DStR 2003, 1577, 1579; Hüffer, AktG, § 111, Rn. 17. Vgl. zur Kompetenzordnung Kapitel 3 C. IV. 1. c).

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Allerdings müssen sich die Zustimmungsvorbehalte gem. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG auf „bestimmte Arten von Geschäften“ beziehen. Dieses Erfordernis soll gewährleisten, dass sich der Aufsichtsrat durch eine Vielzahl von weitreichenden und allgemeinen Zustimmungsvorbehalten nicht doch zum „wahren“ Geschäftsführungsorgan der Gesellschaft aufschwingt.390 Zu klären bleibt, wie die Bestimmung „bestimmter Arten von Geschäften“ zu verstehen ist. Anerkannt ist zunächst, dass „Geschäft“ im Rahmen des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG weit zu verstehen ist. Erfasst sind Maßnahmen und Entscheidungen des Vorstands.391 Damit unterfallen Rechtsgeschäfte, aber auch interne Leitungsmaßnahmen dem § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG.392 Einschränkende Wirkung hat aber der Passus „bestimmte Arten“. Mit dieser Formulierung unvereinbar sind generalklauselartige Zustimmungsvorbehalte für „außergewöhnliche Geschäfte“ oder „wichtige Geschäfte“.393 Zulässig sind hingegen Vorbehalte etwa für „Grundstücksgeschäfte“, „Kreditaufnahmen“ etc.394 Unzulässig ist daher ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt für „rechtswidrige Geschäfte“ oder „rechtlich zweifelhafte Geschäfte“.395 Diese Generalklauseln sind zu unbestimmt.396 Ferner ist zweifelhaft, ob für „rechtswidrige Geschäfte“ eine Zustimmung des Aufsichtsrats überhaupt möglich wäre.397 Es besteht also keine Möglichkeit einen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt aufzustellen, der dem Aufsichtsrat in entsprechenden Situationen die Möglichkeit gibt, die konkrete Straftat zu verhindern. (b) Ad-hoc Zustimmungsvorbehalte für Einzelmaßnahmen Allerdings ließe sich über einen ad-hoc Zustimmungsvorbehalt für ein Einzelgeschäft, aufgestellt also für die konkrete Situation der bevorstehenden Straftat, eine Möglichkeit zur Einflussnahme auf den Vorstand schaffen. Ein solcher Beschluss verstößt eigentlich gegen den Wortlaut des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG, da

390 So auch Altmeppen, FS-K. Schmidt, S. 29. Ähnlich Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 15, Rn. 8; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 62. 391 Brouwer, S. 92 f.; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 56; KK-AktG/ Mertens/Cahn, § 111, Rn. 79. 392 Brouwer, S. 92 f.; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 56; Hüffer, AktG, § 111, Rn. 18; KK-AktG/Mertens/Cahn, § 111, Rn. 79; Spindler, in: Spindler/ Stilz, § 111, Rn. 65. 393 Vgl. nur Altmeppen, FS-K. Schmidt, S. 29 m.w. N.; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 55; Hüffer, AktG, § 111, Rn. 18; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 65 m.w. N. 394 Vgl. Beispiele bei Hüffer, AktG, § 111, Rn. 18; Lutter/Krieger, Rn. 109. 395 Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 574; Poseck, S. 128 f.; Schilha, S. 171. 396 Hüffer, § 111, Rn. 18; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 65. Offengelassen bei Altmeppen, FS-K. Schmidt, S. 29, alternativ schon keine „bestimmte Art“ von Geschäften. 397 Verneinend Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 574; Poseck, S. 128.

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ein Einzelgeschäft keine „bestimmte Art“ eines Geschäfts darstellt.398 In Rechtsprechung und Literatur ist jedoch überwiegend anerkannt, dass in bestimmten Situationen auch für einzelne Geschäfte ein Zustimmungsvorbehalt beschlossen werden kann.399 Dies soll insbesondere bei gesetzeswidrigen Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands gelten.400 Die Befürworter argumentieren mit der herausstehenden Bedeutung, die entsprechende Geschäfte für die Gesellschaft haben.401 Auch könne der Zustimmungsvorbehalt das einzige probate Mittel zur Verhinderung sein, wenn andere Mittel erfolglos eingesetzt worden sind.402 Brouwer sieht sogar im Wege eines „Erst-recht-Schlusses“ Einzelmaßnahmen stets als zulässig an.403 Es verbleiben dennoch Zweifel an der Zulässigkeit des Einzelzustimmungsvorbehalts, ob seines Verstoßes gegen den Wortlaut des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. (c) Rechtsfolge des Zustimmungsvorbehalts und der verweigerten Zustimmung Die Rechtsfolge der Verweigerung der Zustimmung entfaltet aber nur im Innenverhältnis zwischen Vorstand und Gesellschaft Wirkung404 (vgl. § 82 Abs. 2 AktG405). Der Vorstand handelt nach außen weiterhin rechtsverbindlich wirksam,406 wie auch § 82 Abs. 1 AktG zeigt. Straftaten, die ein Verhalten mit Außenwirkung erfordern, können auf diese Weise nicht verhindert werden, wenn der Vorstand sich auch nach verweigerter Zustimmung zum Handeln entschlossen zeigt, etwa, weil er keine Rechtswidrigkeit seines Handelns erkennt. Einzig eine mögliche Schadensersatzpflicht (§ 93 AktG) oder Abberufung (§ 84 Abs. 3 AktG) wegen pflichtwidrigen Verhaltens bleibt dann (repressive) Folge seines Handelns.407 398

Ebenso Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 15, Rn. 8. BGH, Urteil vom 15.11.1993 – II ZR 235/92 = BGHZ 124, 111, 126 f. = NJW 1994, 520, 524. Aus der Literatur Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 55; Fonk, ZGR 2006, 841, 851 f.; Hüffer, AktG, § 111, Rn. 18; Lutter/Krieger, Rn. 110; KKAktG/Mertens/Cahn, § 111, Rn. 83; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 65, jeweils m.w. N. A. A. Kort, in: Großkommentar-AktG, Vor § 76, Rn. 12. 400 BGH, Urteil vom 15.11.1993 – II ZR 235/92 = BGHZ 124, 111, 126 f. = NJW 1994, 520, 524. 401 Poseck, S. 41 f. 402 Poseck, S. 42. Im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 15.11.1993 – II ZR 235/92 = BGHZ 124, 111, 126 f. = NJW 1994, 520, 524. 403 Brouwer, S. 126 f. 404 Brouwer, S. 178 f.; Lutter/Krieger, Rn. 114; KK-AktG/Mertens/Cahn, § 111, Rn. 112, m.w. N. 405 Dazu Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 82, Rn. 34. 406 Brouwer, S. 178 f.; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 61; KK-AktG/ Mertens/Cahn, § 111, Rn. 112; Poseck, S. 42; Schilha, S. 88. 407 Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 61. Anders, ohne nähere Begründung, Poseck, S. 129. 399

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In Kombination mit der Verhängung eines Zustimmungsvorbehalts und einer anschließenden Verweigerung der Zustimmung könnte auch eine Anzeige an außenstehende Dritte seitens des Aufsichtsrats einhergehen, die über den Zustimmungsvorbehalt aufklären würde. Dann wären Dritte gewarnt. Allerdings stünde dieser kombinierten Maßnahme die umfassende Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats gem. § 116 Satz 2 AktG entgegen. Zwar gibt es in ganz engen Fällen Ausnahmen von der Pflicht zur Verschwiegenheit (unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit werden etwa die Verteidigung in einem Strafverfahren und die Begründung von Nichtigkeitsklagen gegen einen Aufsichtsratsbeschluss genannt408). Diese sind für die vorliegende Konstellation nicht einschlägig. Ferner erscheint eine Ausweitung der Ausnahmen nicht gerechtfertigt, da mit der Abberufung eine sehr effektive Maßnahme für drittschadende Straftaten zur Verfügung steht.409 Bei der Abberufung verbleibt der Sachverhalt auch gesellschaftsintern, sodass dort kein Konflikt mit der Verschwiegenheitspflicht auftritt. Damit wird offenbar, dass der Zustimmungsvorbehalt für ein Einzelgeschäft (ad-hoc Zustimmungsvorbehalt) oftmals kein effektives Mittel für die tatsächliche Verhinderung der Straftat sein kann.410 In diesen Fällen muss dann auf andere taugliche Einflussnahmemöglichkeiten zurückgegriffen werden. Lediglich für Straftaten, die eine gesellschaftsinterne Handlung voraussetzen und auch nur eine rein gesellschaftsinterne rechtliche Wirkung entfalten, kann der Zustimmungsvorbehalt für ein Einzelgeschäft und seine Ausübung ein wirksames Mittel zur Straftatverhinderung sein.411 (7) Interorganklagen Als weiteres Mittel könnte eine Interorganklage des Aufsichtsrats gegen den Vorstand in Betracht kommen. Mit einer präventiven Unterlassungsklage könnte der Aufsichtsrat das strafrechtlich relevante Vorhaben des Vorstands dann verhindern. Streitig ist allerdings, ob dem Aufsichtsrat überhaupt Interorganklagen (sei es als Leistungs- oder als Unterlassungsklage) gegen den Vorstand zustehen.412 Hierbei ist festzustellen, dass dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied regelmäßig die Prozessführungsbefugnis fehlt, wenn es selber gegen den Vorstand klagt.413 408

Vgl. Habersack, in: MüKo-AktG, § 116, Rn. 59. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (3). 410 Ganz ablehnend, wenn auch teilweise aus anderen Gründen Cramer, FS-Stree/ Wessels, S. 574; Poseck, S. 128 f. 411 Vgl. dazu näher Kapitel 3 E. IV. 412 Übersicht etwa bei Hüffer, AktG, § 90, Rn. 18; Schilha, S. 91 ff. 413 BGH, Urteil vom 28.11.1988 – II ZR 57/88 = BGHZ 106, 54, 59 = NJW 1989, 979, 981 („Adam Opel AG“); OLG Stuttgart, Urteil vom 30.05.2007 – 20 U 14/06 = AG 2007, 873, 875. Ablehnend auch Habersack, in: MüKo-AktG, § 111, Rn. 33. Anders etwa Raiser, ZGR 1989, 44, 69 f. 409

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Anders könnte der Fall liegen, wenn der Aufsichtsrat als Organ gegen den Vorstand vorgeht. Insoweit hat sich der BGH nicht festgelegt, sondern die Entscheidung bewusst offen gelassen.414 In der Literatur wird eine präventive Unterlassungsklage bei bevorstehenden schweren Rechtsbrüchen teilweise bejaht.415 Hierfür wird vorgebracht, dass der Aufsichtsrat nachträgliche Sanktionen, etwa in Form von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand, habe. Dann müsse er aber auch einen präventiven Unterlassungsanspruch haben, um die schädigende Maßnahme vor ihrer Begehung unterbinden zu können.416 Allerdings stellt eine präventive Unterlassungsklage wiederum einen Eingriff in die Leitungsrechte des Vorstands dar, der sich aus dem Aktienrecht nicht ergibt.417 Ferner wird mit Recht auf die fehlende Notwendigkeit einer Rechtsfortbildung in diesem Bereich hingewiesen, da die Personalkompetenz dem Aufsichtsrat bereits genügend Einfluss auf den Vorstand bei rechtswidrigem Verhalten gebe.418 Neben diesen rechtlichen Bedenken419 verbleiben auch praktische Zweifel an der Tauglichkeit dieser Maßnahme zur Verhinderung von bevorstehenden Straftaten. Zunächst ist aufgrund des schwelenden Meinungsstreits und der bisher fehlenden Rechtsprechung in diesem Bereich unklar, ob ein Gericht eine solche präventive Unterlassungsklage überhaupt anerkennen würde.420 Des Weiteren kann in der Praxis besondere Eile geboten sein, wenn die Maßnahme des Vorstands, die eine Straftat darstellt, unmittelbar bevorsteht. Hier könnte eine Klage zu viel Zeit in Anspruch nehmen, sodass eine Entscheidung nicht mehr rechtzeitig ergehen würde. Schlussendlich bleibt die Frage nach den Auswirkungen der Klage. Der Vorstand würde durch die Klage nach außen nicht in seiner Vertretungsmacht beschränkt werden (vgl. § 76 Abs. 1 AktG, § 77 Abs. 1 Satz 1 AktG). Er könnte entsprechende Straftaten also trotz erfolgreich geführter Klage begehen. Im Ergebnis ist die präventive Unterlassungsklage im Interorganstreitverfahren keine taugliche Maßnahme zur Verhinderung von Straftaten. cc) Sonstige Mittel Teilweise wird dem Aufsichtsratsmitglied der Rücktritt vom Amt des Aufsichtsrats empfohlen, um der Gefahr der Strafbarkeit zu entgehen.421 Von dieser 414 BGH, Urteil vom 28.11.1988 – II ZR 57/88 = BGHZ 106, 54, 59, 62 f. = NJW 1989, 979, 981 („Adam Opel AG“). 415 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 14, 104; Raiser, ZGR 1989, 44, 63 ff. 416 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 14, 104. 417 Schilha, S. 94 weist auf die rechtsdogmatisch schwierige Begründung einer Anspruchsgrundlage für eine solche Klage hin. 418 Hüffer, AktG, § 90, Rn. 18. 419 Ablehnend auch Habersack, in: MüKo-AktG, § 111, Rn. 33; Poseck, S. 47; Schilha, S. 94 f. 420 Ähnlich Hüffer, AktG, § 90, Rn. 18. 421 Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 577.

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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Möglichkeit ist aber abzuraten. Richtig ist, dass dem Aufsichtsratsmitglied dann die (aktienrechtliche) Möglichkeit fehlt die Straftat zu verhindern.422 Weiterhin ist er nach erfolgtem Rücktritt nicht mehr an die Legalitätspflicht in der AG gebunden. Doch wird der Rücktritt regelmäßig nach der Kenntniserlangung vom Vorhaben des Vorstands erklärt werden. Dann aber ist die Pflicht die Straftat zu verhindern bereits entstanden. Die Zeit zwischen Kenntniserlangung und Rücktritt, die ohne die Ergreifung verhindernder Maßnahmen verstrichen ist, kann den Vorwurf des Unterlassens der Tatverhinderung begründen. Der Rücktritt vom Amt ist folglich kein hilfreiches Mittel, um einem eigenen Strafbarkeitsvorwurf zu entgehen. Auch Maßnahmen im Rahmen der Feststellung des Jahresabschlusses (§ 172 AktG) und nachträgliche Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder (§§ 112, 93 Abs. 2 Satz 1 AktG) stellen aufgrund ihres rein repressiven Charakters keine Mittel zur präventiven Verhinderung einer Straftat dar. dd) Ergebnis Taugliche gesellschaftsrechtliche Maßnahmen zur Verhinderung der Vorstandsstraftat sind die Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG und für gesellschaftsinterne rechtliche Handlungen mit bloß gesellschaftsinterner Wirkung der Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG. c) Strafprozessuale Maßnahme der Strafanzeige Namentlich in der Rechtsprechung wird als taugliche Maßnahme die Erstattung einer Strafanzeige gem. § 158 Abs. 1 Satz 1 StPO erwogen.423 Auch in der Literatur gibt es Stimmen, die eine Pflicht zur Strafanzeige unter bestimmten Umständen als ultima ratio anerkennen wollen.424 Andere lehnen eine Pflicht zur Strafanzeige ab.425 Momsen sieht die Frage nach einer Handlungspflicht des Aufsichtsrats zur Erstattung einer Strafanzeige gegen den Vorstand als „ungeklärt“ an.426 Durch die Strafanzeige der bevorstehenden Tat ergeben sich verschiedene

422

Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 577. BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 201 = NJW 2002, 1585, 1588 („SSV Reutlingen“); OLG Karlsruhe, Urteil vom 04.09.2008 – 4 U 26/06 = AG 2008, 900, 902. 424 Lutter/Krieger, Rn. 72; Schilha, S. 189; Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 143. Siehe auch KK-AktG/Mertens/Cahn, § 116, Rn. 17. Zurückhaltend Fischer, StGB, § 266, Rn. 106 („ggf. auch Strafanzeige erstatten“). 425 Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 583. Kritisch bereits Tiedemann, FS-Tröndle, S. 321. Stark zweifelnd und im Ergebnis ablehnend Momsen, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, S. 81 (Fn. 236). 426 Momsen, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, S. 81. 423

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

Folgen. Zum einen können die Behörden entsprechende Maßnahmen ergreifen, um die Straftat zu verhindern. Zum anderen kann der Sachverhalt in die Öffentlichkeit gelangen. So wären mögliche Opfer der Straftat gewarnt (sofern sich die Tat gegen Personen außerhalb der Gesellschaft richtet). Die Strafanzeige kann insbesondere aus erstem Grund (Maßnahmen der Behörden) als effektive Maßnahme zur Verhinderung einer bevorstehenden Straftat angesehen werden. aa) (Strafrechtliche) Pflicht zur Strafanzeige grundsätzlich nur in Ausnahmefällen Zunächst würde eine umfassende Pflicht zur Strafanzeige wesentliche Gedanken der § 138 StGB, § 116 AO, § 6 SubvG konterkarieren. Die Normierung bestimmter Straftaten, die anzeigepflichtig sind, zeigt, dass die unterlassene Anzeige anderer Straftaten dem Gesetzgeber als nicht strafwürdig erscheint. Würde nun aber eine Pflicht zur Strafanzeige im Gesellschaftsrecht bestehen und könnte ihr Unterlassen zu einer Strafbarkeit des Aufsichtsrats (gem. § 266 StGB) führen, so wäre die gesetzgeberische Wertung der Straflosigkeit der unterbliebenen Strafanzeige außerhalb der genannten Vorschriften unterlaufen. Da es andere, nämlich gesellschaftsinterne Maßnahmen zur Straftatverhinderung gibt, ist die Statuierung einer allgemeinen Pflicht zur Strafanzeige nicht notwendig. bb) Fehlende Berechtigung zur allgemeinen Erstattung von Strafanzeigen Darüber hinaus ist fraglich, ob der Aufsichtsrat überhaupt berechtigt ist Strafanzeigen zu erstatten. Die Berechtigung für die Erstattung von Strafanzeigen könnte wegen der Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder gem. § 116 Satz 2 AktG zweifelhaft sein. Nur in wenigen Ausnahmefällen, wie etwa in den Fällen einer eigenen Strafbarkeit nach § 138 StGB, geht die Pflicht zur Strafanzeige der Verschwiegenheitspflicht vor.427 Ansonsten besteht eine weitreichende Verschwiegenheitspflicht.428 Diese würde außer acht gelassen werden, wenn das Aufsichtsratsmitglied Behörden oder Dritte außerhalb der Reichweite des § 138 StGB vor Straftaten des Vorstands warnen würde. So würden gesellschaftsinterne Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, was nicht nur ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht des § 116 Satz 2 AktG wäre, sondern sogar zu einer Strafbarkeit des Aufsichtsratsmitglieds nach § 17 UWG (Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen) bzw. § 404 AktG (Verletzung der Geheimhaltungspflicht) 427 Marsch-Barner, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 12, Rn. 17; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 95 („allgemeine Meinung“), m.w. N. 428 Vgl. nur Habersack, in: MüKo-AktG, § 116, Rn. 58 ff.; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116, Rn. 32 ff.; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 79 „strikte Pflicht zur Verschwiegenheit“.

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führen könnte.429 Von daher erscheint bereits in der Regel die Berechtigung zur Erstattung einer Strafanzeige durch den Aufsichtsrat zweifelhaft. Jedenfalls kann keine Pflicht zur Erstattung von Strafanzeigen bestehen, wenn für den Aufsichtsrat gleichzeitig die Gefahr einer Strafbarkeit durch Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht Folge wäre. cc) Ausnahme: Straftat nach § 138 StGB? Anders kann dies nur in den Fällen einer Katalogtat nach § 138 StGB sein, wenn es nämlich eine strafrechtlich fundierte Pflicht zur Strafanzeige gibt und das Unterlassen der Strafanzeige zu einer eigenen Strafbarkeit des Aufsichtsrats nach § 138 StGB führen würde. Dann geht die Anzeigepflicht auch der Verschwiegenheitspflicht vor.430 In diesen Fällen kann die strafprozessuale Maßnahme der Strafanzeige aus den oben genannten431 Gründen auch geeignet sein die Vorstandsstraftat zu verhindern. Die Strafanzeige ist zwar dann primär ein Mittel, um der aus § 138 StGB erwachsenden strafrechtlichen Pflicht nachzukommen. Da sie aber gleichzeitig die Tat verhindert, ist sie taugliches Verhinderungsmittel im Untreuekontext. Von den in § 138 Abs. 1, 2 StGB genannten Straftaten kommen im Fall der Vorstands-/Aufsichtsratsstrafbarkeit nur die Delikte der Brandstiftung gem. § 306 StGB (§ 138 Abs. 1 Nr. 8 StGB) sowie Raub gem. § 249 StGB und räuberische Erpressung gem. § 255 StGB (§ 138 Abs. 1 Nr. 7 StGB) in Betracht, da nur sie zu einer Schädigung des Gesellschaftsvermögens/ des Gesellschaftseigentums führen können [Kategorie C, vgl. Kapitel 1 B. II. 3. c) bb) (1)]. Die übrigen in § 138 StGB aufgeführten Straftaten sind allenfalls „private“ Straftaten des Vorstands i. S. d. Kategorie A432, die der Aufsichtsrat aus Untreuesicht nicht zu verhindern hat.433 (1) Entfall der Anzeigepflicht bei Beteiligung an der Straftat Allerdings entfällt nach h. M. die gem. § 138 StGB strafbewehrte Pflicht zur Strafanzeige, wenn der Anzeigende selbst an der Straftat beteiligt ist.434 Dies gilt 429

Dies mahnt bereits Tiedemann, FS-Tröndle, S. 321 an. Fn. 427. 431 Kapitel 2 C. II. 3. c). 432 Vgl. Kapitel 1 B. II. 3. a). 433 Es bestünde dann aber eine Gefahr einer Strafbarkeit nach § 138 StGB für den Aufsichtsrat, wie sie aber für jedermann besteht. 434 BGH, Urteil vom 27.01.1982 – 3 StR 437/81 = NStZ 1982, 244; Fischer, StGB, § 138, Rn. 18 m.w. N.; Heuchemer, in: BK-StGB, § 138, Rn. 19; Jeßberger, in: S/S/WStGB, § 138, Rn. 22; Schlieffen, in: AnwK-StGB, § 138, Rn. 10; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 138, Rn. 20/21. A. A. Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 138, Rn. 5 m.w. N. Einschränkend für Verdachtsfälle BGH, Urteil vom 19.05.2010 – 5 StR 464/09 = BGHSt 55, 148 = NJW 2010, 2291. 430

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

auch, wenn der Beteiligte eine Garantenstellung hinsichtlich der Verhinderung der Katalogtat hat und sich durch die Unterlassung der Verhinderung strafbar machen könnte.435 Hierfür wird zum einen der Wortlaut des § 138 StGB angeführt („erfährt“; der Beteiligte hingegen ist infolge Mitwirkung informiert436)437 und auch auf die Selbstbelastungsfreiheit hingewiesen.438 Eine Anzeigepflicht soll nur bei (völlig) fremden Taten bestehen.439 Zusammenfassend könnte man sagen, dass eine strafbewehrte Anzeigepflicht nach § 138 StGB nur dann bestehen muss, wenn der Anzeigende nicht auf anderem Wege über das Strafrecht zur Straftatverhinderung gezwungen wird. Diese Ansicht wird durch den ultima-ratio Gedanken des Strafrechts gestützt. Eine Notwendigkeit zur Bestrafung über § 138 StGB besteht nur dann, wenn sich der Unterlassende nicht auf anderem Weg für die Tat strafrechtlich verantworten muss. Dies ist der Fall, wenn die Tat für den Anzeigenden eine (völlig) fremde Tat ist. (2) Garantenstellung und Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats bei relevanten Katalogtaten des § 138 Abs. 1 StGB Richtet sich die Brandstiftung gem. § 306 StGB gegen Gesellschaftseigentum, ist der Aufsichtsrat als Beschützergarant des Gesellschaftseigentums zur Verhinderung verpflichtet.440 Eine Garantenstellung zur Verhinderung von Raub gem. § 249 StGB und räuberischer Erpressung gem. § 255 StGB existiert demgegenüber nicht.441 Allerdings kann ihre Nichtverhinderung zu einer Untreue gem. § 266 StGB führen [vgl. Kapitel 2 C. III. 4. b) aa), bb) i.V. m. Kapitel 3 E. IV. 1. d) cc) bzw. Kapitel 3 E. IV. 2. a) aa)]. Die Nichtanzeige des Raubs bzw. der räuberischen Erpressung kann zwar nicht zu einer Bestrafung des Aufsichtsrats gem. § 249 StGB bzw. § 255 StGB führen, doch aber zu einer Strafbarkeit gem. § 266 StGB. Damit stellen Raub und räuberische Erpressung de facto keine fremden Taten des Aufsichtsrats dar. Nach Sinn und Zweck besteht, wie soeben ausgeführt, nur dann eine Notwendigkeit einer Bestrafung aus § 138 StGB, wenn sich der Unterlassende für die Tat nicht auf anderem Weg für die Tat verantworten muss. Hier wäre eine Verantwortung für die Tat über die Untreue gem. § 266 StGB gegeben. Es erscheint insoweit naheliegend die h. M. teleologisch auch auf 435 BGH, Urteil vom 27.01.1982 – 3 StR 437/81 = NStZ 1982, 244. Vgl. aus der Literatur nur Fischer, StGB, § 138, Rn. 18 m.w. N.; Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, § 138, Rn. 20/21 m.w. N. 436 Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 138, Rn. 20/21. 437 Jeßberger, in: S/S/W-StGB, § 138, Rn. 22. 438 Jeßberger, in: S/S/W-StGB, § 138, Rn. 22; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 138, Rn. 20/21. 439 BGH, Urteil vom 27.01.1982 – 3 StR 437/81 = NStZ 1982, 244; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 138, Rn. 20/21. 440 Vgl. Kapitel 3 D. II. 2. und E. IV. 1. d) dd). 441 Vgl. Kapitel 3 E. IV. 1. d) cc) und 2. a) aa).

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diese Konstellation zu erweitern. Nach Sinn und Zweck soll § 138 StGB zur Anwendung kommen, wenn der Anzeigende keine andere strafrechtliche Verpflichtung zur Verhinderung der Tat hat.442 Im Fall des § 306 StGB ist der Aufsichtsrat über die Garantenstellung zur Verhinderung verpflichtet.443 Für den Raub und die räuberische Erpressung besteht über den Umweg des § 266 StGB für den Aufsichtsrat eine strafrechtliche Pflicht zur Verhinderung. Da hier also eine strafrechtliche Sanktionierung außerhalb von § 138 StGB im Fall des Untätigbleibens existiert, bedarf es des Rückgriffs auf § 138 StGB auch in den Fällen des Raubs und der räuberischen Erpressung nicht. Es besteht demzufolge weder für die Brandstiftung gem. § 306 StGB, noch für den Raub gem. § 249 StGB oder die räuberische Erpressung gem. § 255 StGB eine Pflicht des Aufsichtsrats zur Strafanzeige gem. § 158 Abs. 1 Satz 1 StPO, da die Taten für den Aufsichtsrat nicht „fremd“ sind. (3) Ausnahmsweise: Berechtigung zur Strafanzeige in den Fällen des § 138 StGB Eine Anzeigepflicht ist mangels Gefahr einer Strafbarkeit des Aufsichtsrats nach § 138 StGB nicht gegeben. Es besteht keine Notwendigkeit einer Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht. Man könnte allenfalls erwägen, ob die Verschwiegenheitspflicht im Fall des formellen Vorliegens einer Katalogtat des § 138 StGB insoweit eingeschränkt wird, als dass dem Aufsichtsrat eine Berechtigung zur Strafanzeige gem. § 158 Abs. 1 Satz 1 StPO gewährt würde. Selbst wenn man mit der Mindermeinung444 eine Pflicht zur Strafanzeige annehmen würde, bestünde eine primäre Pflicht zur Strafanzeige gegenüber aktienrechtlichen Verhinderungsmitteln nicht. Gem. § 139 Abs. 4 Satz 1 StGB bleibst straffrei, wer die Ausführung oder den Erfolg der Tat anders als durch Anzeige abwendet.445 Will der Aufsichtsrat eine gesellschaftsinterne Lösung (Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG oder Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG) finden, um den Sachverhalt aus der Öffentlichkeit zu halten, so stünde ihm diese Möglichkeit offen, wenn sie die Ausführung bzw. den Erfolg verhindert. Die Strafanzeige wäre bei Brandstiftung (§ 306 StGB), Raub (§ 249 StGB) und räuberischer Erpressung (§ 255 StGB) ein zusätzliches Verhinderungsmittel neben dem jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Verhinderungsmittel. Aufgrund der Schwere der Tat, die ja zu einer Berücksichtigung im Katalog des § 138 StGB geführt hat, ist eine Berechtigung zur Strafanzeige durch den Aufsichtsrat aufgrund der formellen Berücksichtigung in diesen Fällen in Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht zulässig. 442 443 444 445

So bereits eben ausgeführt Kapitel 2 C. II. 3. c) cc) (1). Kapitel 3 II. 2. Etwa Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 138, Rn. 5 m.w. N. Vgl. dazu näher Fischer, StGB, § 139, Rn. 11 ff.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

dd) Ergebnis: Keine Pflicht zur Strafanzeige Es besteht in keinem hier relevanten Fall eine Pflicht des Aufsichtsrats für die Erstattung einer Strafanzeige gegen den Vorstand. Grundsätzlich steht einer Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige die Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats aus § 116 Satz 2 AktG entgegen, aa). Nur ausnahmsweise, bei Raub (§ 249 StGB), räuberischer Erpressung (§ 255 StGB) und Brandstiftung (§ 306 StGB) besteht eine Berechtigung zur Erstattung einer Strafanzeige, cc) (3). Entgegen den Überlegungen in der Rechtsprechung und einiger Literaturstimmen446 stellt sich die Strafanzeige bei näherer Betrachtung folglich nicht als taugliche Verhinderungsmaßnahme bei Vorstandsstraftaten dar. Vielmehr ist dem Aufsichtsrat von dieser Maßnahme abzuraten, um eine eigene Strafbarkeit wegen eines Verstoßes gegen die Verschwiegenheitspflicht zu verhindern. d) Zusammenfassung Taugliche Mittel zur Verhinderung von Straftaten sind die Abberufung des Vorstands [§ 84 Abs. 3 AktG, vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (3)] und in wenigen Ausnahmefällen die Aufstellung und Durchführung von ad hoc-Zustimmungsvorbehalten für Einzelgeschäfte [§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG, vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6)]. Im Einzelfall kann aufgrund der Deliktsstruktur auch eine andere Maßnahme in Betracht kommen (etwa Berechtigung zur Strafanzeige447 oder eine Pflicht zur „Aufklärung“ des Tatopfers448).449 Auf diese Maßnahmen muss der Aufsichtsrat zurückgreifen, wenn er die Tat verhindern will. Bei welcher konkreten Straftat welche Maßnahme einzusetzen ist, wann also eine Möglichkeit zur Verhinderung der Vorstandsstraftat gegeben ist, wird in Kapitel 3 E. geklärt. 4. Ermessen Weiterhin bleibt im Rahmen des Ermessens zu klären, ob dem Aufsichtsrat ein Entschließungsermessen bezüglich des grundsätzlichen Tätigwerdens [a)] und ein Auswahlermessen bezüglich der zur Verfügung stehenden Mittel gegeben ist, b). Als Frage des Ermessens ist auch eine Auswirkung der Business-JudgementRule (§ 116 Satz 1 AktG i.V. m. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) zu berücksichtigen, c). Schlussendlich wird die konkrete Handlungspflicht dargelegt, d).

446 447 448 449

Vgl. Fn. 423 f. Soeben ausgeführt Kapitel 2 C. II. 3. c) cc) (3). Kapitel 3 E. IV. 2. a) bb). Vgl. näher dazu Kapitel 3 E. IV.

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a) Entschließungsermessen Das Entschließungsermessen betrifft die Pflicht bei geplanten Straftaten tätig zu werden, ohne bereits eine Aussage über das zu wählende Mittel zu treffen. Im Grunde korrespondiert die Frage des Entschließungsermessens mit der bereits oben umrissenen Pflicht, Straftaten zu verhindern,450 also einzuschreiten. Das Ermessen ist hier gewissermaßen auf null reduziert. b) Auswahlermessen Zu klären bleibt, wie der Aufsichtsrat auf die geplanten Verstöße zu reagieren hat. Taugliche Mittel für die Verhinderung der Straftat sind grundsätzlich451 die Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG452 und in wenigen Ausnahmefällen der Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG.453 Hierbei ist fraglich, ob der Aufsichtsrat sofort auf diese Maßnahmen zurückgreifen muss. Eventuell reichen auch weniger drastische Mittel zur Verhinderung der Tat aus. aa) Möglichkeiten des Zurückgreifens auf mildere Maßnahmen Namentlich Schenck will den Aufsichtsrat zunächst zu weniger einschneidenden Maßnahmen verpflichten und sieht ein Stufenverhältnis, das zuerst eine Pflicht zur Stellungnahme (die aber keine taugliche Verhinderungsmaßnahme ist) auferlegt454 und erst bei Untätig bleiben des Vorstands eine Pflicht zur Einwirkung455 mit der Abberufung als letztem Mittel vorsieht.456 Diese abgestufte Vorgehensweise ist für die Praxis sicher der gangbarste Weg, um im Sinne einer kooperativen Unternehmensführung Konflikte zwischen Aufsichtsrat und Vorstand zu vermeiden. Doch sind hierbei zwei Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen kann diese Vorgehensweise zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Gibt es Hinweise, dass die Begehung der Straftat unmittelbar bevorsteht, kann die Stellungnahme keine Verhinderung der Tat gewährleisten. Zum anderen kann es Fälle geben, in denen Hinweise auf eine sichere Tatbegehung, trotz ausstehender Stellungnahme, vorliegen. In diesen Fällen darf der Aufsichtsrat nicht zuerst eine Stellungnahme abgeben und auf die Befolgung seiner geäußerten Meinung hoffen. Vielmehr hat er im Zweifelsfall sofort auf das taugliche Verhinderungsmittel

450 451 452 453 454 455 456

Vgl. Kapitel 2 C. II. 2. Vgl. zu weiteren Maßnahmen im Einzelfall Kapitel 3 E. IV. Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (3). Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6). Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 198. Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 214. Schenck, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 7, Rn. 279.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

zurückzugreifen, also grundsätzlich auf die Abberufung oder den Zustimmungsvorbehalt.457 Nur diese Mittel können eine Verhinderung der Straftat mit Sicherheit gewährleisten. Lässt der Aufsichtsrat in der Hoffnung auf Umstimmung des Vorstands die Möglichkeit der Verhinderung verstreichen, handelt er pflichtwidrig. Er muss, um straflos zu bleiben, von den tauglichen Mitteln zur Verhinderung der Straftat Gebrauch machen.458 An dieser Prämisse hat sich die Auswahl der Mittel auszurichten. bb) Keine Auswirkung der „Schwere der Tat“ auf das Ermessen In der Literatur wird eine Auswirkung der Schwere der Straftat auf das Ermessen erwogen.459 Allerdings kann auch aus zunächst geringfügig erscheinenden Straftaten ein großer Schaden für die Gesellschaft resultieren. Ferner ist die Umschreibung „schwere Straftat“ zu unbestimmt, um eine konkrete Handlungsanweisung zuzulassen. Abgesehen von Bagatellfällen 460 findet keine Beschränkung der Pflicht und der Auswahl der Handlungsmöglichkeiten statt. cc) Taugliche Maßnahme(n) im konkreten Fall Offen ist bisher, wann eine Abberufung gemäß § 84 Abs. 3 AktG bzw. ein Zustimmungsvorbehalt gemäß § 111 Abs. 4 AktG eine konkrete Vorstandsstraftat verhindern kann. Die abstrakte Möglichkeit einer Abwehrmaßnahme sagt noch nichts über ihre praktische Anwendung im konkreten Fall aus. Wann und mit welchen Mitteln eine bestimmte Vorstandsstraftat verhindert werden kann, wird aus Gründen der Übersichtlichkeit in Kapitel 3 E. IV. dargestellt. c) Auswirkungen der Business-Judgement-Rule (§ 116 Satz 1 AktG i.V. m. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) Die sog. Business-Judgement-Rule findet auch auf den Aufsichtsrat Anwendung (§ 116 Satz 1 AktG i.V. m. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG).461 Nach ihr ist eine Pflichtverletzung zu verneinen, wenn das Aufsichtsratsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Vor diesem Hintergrund könnte man zunächst geneigt sein Straftaten, die dem Unternehmen einen finanziellen Gewinn bringen (etwa Korruptionsstraftaten, durch die lukrative Aufträge gewonnen werden können), vom Anwendungsbereich der 457 458 459 460 461

Siehe im Einzelnen Kapitel 3 E. IV. Vgl. auch Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 205. Lutter/Krieger, Rn. 73; Schilha, S. 59. Dazu Kapitel 2 C. II. 2. b) gg). Vgl. dazu etwa Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 37.

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Pflicht zur Verhinderung von Straftaten auszunehmen, da der finanzielle Gewinn dem Wohle der Gesellschaft dient. Dies würde aber der gesetzgeberischen Intention widersprechen, die solchen Erwägungen eher kritisch entgegensteht.462 Auch in der Literatur wird fast durchgängig vertreten, dass die Gesetzestreue dem Unternehmensinteresse vorgeht.463 Konsequenterweise geht auch die Rechtsprechung von dieser Prämisse aus.464 Ein Handeln zum Wohl der Gesellschaft liegt damit nur vor, wenn der Aufsichtsrat sich für das legale Handeln entscheidet. Andernfalls handelt er gegen das Wohl der Gesellschaft, weswegen die Business-Judgement-Rule nicht zugunsten des Aufsichtsrats greift. d) Konkrete Handlungspflicht Das Aufsichtsratsmitglied, welches Kenntnis von einer geplanten Straftat erlangt, ist also verpflichtet alles zu unternehmen, um die Abberufung des (oder der) betreffenden Vorstandsmitglied(-er)s, die Einrichtung und Durchführung eines Zustimmungsvorbehalts oder eine andere taugliche Verhinderungsmaßnahme durchzusetzen. Namentlich bedeutet dies: Die Herbeiführung einer Aufsichtsratssitzung, Weitergabe beurteilungsrelevanter Informationen an die anderen Mitglieder und letztendlich die Herbeiführung der Abstimmung und Stimmabgabe für die taugliche Verhinderungsmaßnahme.465 5. Notwendige und mögliche Vorschläge zur Einschränkung der Reichweite der Pflicht aufgrund restriktiver Anwendung der Untreuestrafbarkeit Als Ergebnis der bisherigen Ausführungen ergibt sich für den Aufsichtsrat die aktienrechtliche Pflicht gem. § 111 Abs. 1 AktG mittels einer Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG (in Ausnahmefällen auch mittels eines Zustimmungsvorbehalts gem. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG oder mit Hilfe anderer Maßnahmen) bevorstehende Vorstandsstraftaten zu verhindern, sofern sie geschäftsfüh462

Vgl. BT-Drs. 15/5092, S. 11. Vgl. nur Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 93, Rn. 36 ff. m.w. N.; Hüffer, AktG, § 93, Rn. 4 f.; Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 93, Rn. 12, m.w. N.; Nattkemper, S. 134 f. (für den Vorstand); Schilha, S. 59. Vgl. aber Nachweise zur Gegenauffassung im Ausland bei Fleischer, ZIP 2005, 141, 146. Weniger streng aber Matt/ Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 60. 464 BGH, Beschluss vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09 = BGHSt 55, 288, 301 (Rn. 37) = NJW 2011, 88, 92 (Rn. 37) („Siemens/AUB“). 465 Zu all diesen Mitwirkungspflichten vgl. Lutter/Krieger, Rn. 993 ff., dort auch Rspr. zu den betreffenden Punkten. Vgl. auch unten Kausalität und objektive Zurechnung, Kapitel 2 IV. Ferner aus der Rechtsprechung OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12 = NJW 2012, 3798, 3800. 463

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

rungsbezogenen Charakter aufweisen. Andernfalls handelt er pflichtwidrig i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB. Eventuell ist das Merkmal der Pflichtwidrigkeit aber weiter einzuschränken, sodass im Ergebnis das Unterlassen der Verhinderung bestimmter Vorstandsstraftaten keine untreuerelevante Pflichtverletzung durch den Aufsichtsrat darstellt. Dies könnte sich einerseits aus der „AUB-Rechtsprechung“ des BGH466 ergeben, die im Anschluss an die verfassungsgerichtlichen Urteile467 entwickelt worden ist, a). Andererseits könnte eine „gravierende“ Pflichtverletzung zu fordern sein, sodass im Ergebnis keine Pflichtwidrigkeit der unterlassenen Abberufung bzw. der unterlassenen Einrichtung/Gebrauchmachung des Zustimmungsvorbehalts vorliegt, wenn die Verhinderung von Straftaten keine gravierende Pflichtverletzung darstellt, b). a) Auswirkungen des „AUB-Beschlusses“ Der BGH hat mit dem „AUB-Beschluss“ 468, der als Folge der bereits oben zitierten und besprochenen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung469 ergangen ist, eine Einschränkung für die Pflichtwidrigkeit i. S.d Untreue bei organschaftlichem Verhalten im Zusammenhang mit der Vorstandstätigkeit in einer Aktiengesellschaft entwickelt. aa) Inhalt des „AUB-Beschlusses“ Demnach muss die unmittelbar verletzte Norm (im Fall des „AUB-Beschlusses“ beging der Vorstand einer Aktiengesellschaft eine Straftat nach § 119 BetrVG) selbst, zumindest mittelbar, vermögensschützenden Charakter haben.470 Hierdurch soll der Charakter des Untreuetatbestands als Vermögensdelikts bewahrt werden.471 Die Norm wird nicht dadurch vermögensschützend, dass ihre Verletzung zugleich eine Verletzung der aktienrechtlichen Vorschriften der §§ 93, 116 AktG (Sorgfalt des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters) darstellt.472 Diese sind generalklauselartig gefasst.473 Ein Abstellen nur auf sie 466 BGH, Beschluss vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09 = BGHSt 55, 288 = NJW 2011, 88 („Siemens/AUB“). 467 Vgl. Kapitel 2 A. II. 2. 468 BGH, Beschluss vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09 = BGHSt 55, 288 = NJW 2011, 88 („Siemens/AUB“). 469 Kapitel 2 A. II. 2. 470 BGH, Beschluss vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09 = BGHSt 55, 288, 299 ff. = NJW 2011, 88, 91 f. („Siemens/AUB“). Im entschiedenen Fall lag ein Verstoß gegen § 119 BetrVG vor, der gleichzeitig einen Verstoß gegen die §§ 93, 116 AktG darstellte. 471 BGH, Beschluss vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09 = BGHSt 55, 288, 300 (Rn. 35) = NJW 2011, 88, 91 (Rn. 35) („Siemens/AUB“). 472 BGH, a. a. O. 473 BGH, a. a. O.

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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würde die verfassungsgerichtlich gebotene Beschränkung der Anwendung des Untreuetatbestands auf evidente Fälle pflichtwidrigen Handelns missachten. Es fehle in diesen Fällen an der Pflichtverletzung i. S. d. Untreue.474 Diese Rechtsprechung ist in der Literatur überwiegend auf deutliche Zustimmung gestoßen.475 Matt fasst den Inhalt des „AUB-Beschlusses“ knapp und bündig zusammen: „[. . .] Alleine die Begehung von Straftaten [stellt] keine untreuerelevante Pflichtverletzung [dar], wenn die festgestellte Straftat [. . .] nicht ihrerseits eine Norm vermögensschützenden Charakters verletzt und insoweit ein inklusiver Zusammenhang zur Vermögensbetreuungspflicht – etwa von Gesellschaftsorganen – besteht.“ 476 bb) Folgen der Übertragung des Inhalts des „AUB-Beschlusses“ auf die vorliegende Konstellation Fraglich sind die Auswirkungen des Beschlusses für die hier thematisierte Konstellation und die Untreuestrafbarkeit. Es könnten bereits auf Ebene der Pflichtwidrigkeit alle Vorstandsstraftaten aus dem Anwendungsbereich der Aufsichtsratsuntreue fallen, die nicht das Gesellschaftsvermögen unmittelbar schützen. (1) § 111 Abs. 1 AktG als vermögensschützende Norm § 111 Abs. 1 AktG ist die Grundlage der Pflicht des Aufsichtsrats für die Verhinderung von Vorstandsstraftaten, vgl. Kapitel 2 C. II. b) aa). Die Norm hat vermögensschützenden Charakter.477 Die Straftat selbst ist nicht Anknüpfungspunkt der Pflichtverletzung. So betrachtet ergibt sich aus dem „AUB-Beschluss“ des BGH keine Einschränkung der Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats, da mit § 111 Abs. 1 AktG eine vermögensschützende Norm verletzt wird, die, im Sinne Matts, in einem inklusiven Zusammenhang zur Vermögensbetreuungspflicht steht. (2) Position Brand/Petermanns Brand/Petermann entdecken zwischen der Konstellation im „AUB-Beschluss“ und der Vorliegenden aber eine Parallele und wollen im Anschluss an den „AUBBeschluss“ eine Pflichtwidrigkeit des Aufsichtsratshandelns bei unterlassener Straftatverhinderung ablehnen, wenn die vom Vorstand verletzte Strafnorm selbst 474

BGH, a. a. O. Etwa Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 71; Rönnau, StV 2011, 753, 754; Saliger, ZIS 2011, 902, 908 f. Kritisch aber Brand, JR 2011, 400, 401 f. 476 Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 73. 477 Vgl. Kapitel 2 C. I. 2. b) bb). 475

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

keinen gesellschaftsvermögensschützenden Charakter hat.478 So würde es bei Betrügereien zu Lasten Dritter durch den Vorstand am vermögensschützenden Charakter des § 263 StGB zugunsten des Gesellschaftsvermögens fehlen, da die Norm (§ 263 StGB) nur das Vermögen der Dritten schützt. Auch etwaige Schadensersatzforderungen gegen die Gesellschaft als Folge der Straftat machten die Straftat nicht zu einer das Gesellschaftsvermögen gefährdenden Straftat.479 Im Ergebnis wären die Straftaten der Kategorie B480 aus dem Anwendungsbereich der Pflichtwidrigkeit der Untreue zu nehmen. Für diese Ansicht gehen Brand/Petermann unter Heranziehung der Rechtsprechung im „AUB-Beschluss“ davon aus, dass der Aufsichtsrat, sollte er gemeinsam mit dem Vorstand die Straftat aktiv begehen, in Bezug auf § 266 StGB straflos bliebe.481 Dann aber müsse konsequenterweise auch das Unterlassen der Verhinderung straflos bleiben, das dem Gesetzgeber grundsätzlich weniger strafwürdig erscheine.482 Ferner handele der Vorstand in diesen Fällen nicht untreuepflichtwidrig i. S. d. „AUB-Beschlusses“, sodass für den Aufsichtsrat nichts anderes gelten könne.483 (a) Kritik und Ablehnung einer Übertragung der „AUB-Rechtsprechung“ im Sinne Brand/Petermanns Zunächst ist die letzte Aussage in ihrer Absolutheit nicht richtig. Die Pflichtwidrigkeit bestimmt sich für jedes Organ aufgrund seines eigenen Pflichtenkreises individuell. Von der (möglicherweise) fehlenden Pflichtwidrigkeit der Vorstandshandlung auf die fehlende Pflichtwidrigkeit der Aufsichtsratshandlung zu schließen, kann daher schon vom Ansatz her nicht überzeugen. Festzuhalten ist, dass der Vorstand in der in Rede stehenden Konstellation, unabhängig von einer möglichen eigenen Untreuestrafbarkeit, eine eigene Straftat begeht (etwa eine Steuerhinterziehung, § 370 AO, eine Bestechung gem. § 299 StGB oder einen Betrug zu Lasten Dritter, § 263 StGB). (aa) Aktive Beteiligung des Aufsichtsrats an Vorstandsstraftat Wenn der Aufsichtsrat sich an der Vorstandsstraftat aktiv beteiligt, macht er sich jedenfalls nach der einschlägigen Norm selbst strafbar (sei es als Täter oder als Teilnehmer). Ob dann auch eine Untreue vorliegen kann, muss anhand des Pflichtenkreises des Aufsichtsrats untersucht werden. Hier geht die Rechtspre478 479 480 481 482 483

Brand/Petermann, WM 2012, 62, 66. Brand/Petermann, WM 2012, 62, 66. Kapitel 1 B. II. 3. b). Brand/Petermann, WM 2012, 62, 66. Brand/Petermann, WM 2012, 62, 66. Brand/Petermann, WM 2012, 62, 66.

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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chung unter Bezugnahme auf § 111 Abs. 1 AktG, der zweifelsohne vermögensschützenden Charakter hat,484 von einer Untreuestrafbarkeit aus, da der Aufsichtsrat den Vorstand nicht zu solchen Handlungen veranlassen darf, die er selbst (aus § 111 Abs. 1 AktG folgend) zu verhindern hat.485 Insoweit ist entgegen Brand/Petermann nicht zwingend, dass der Aufsichtsrat unter Beachtung der Rechtsprechung nach dem „AUB-Beschluss“ bei aktiver Beteiligung an der Vorstandsstraftat keine Untreue begeht. Der aktienrechtliche Verstoß ergibt sich insoweit nicht aus §§ 93, 116 AktG i.V. m. der Straftat, wie es Brand/Petermann suggerieren, sondern aus einem aktienrechtlichen Verstoß gegen den vermögensschützenden § 111 Abs. 1 AktG. (bb) Unterlassen der Abwendung der Vorstandsstraftat durch den Aufsichtsrat Auch im Fall des Unterlassens der Abwendung der Vorstandsstraftat ist eine Beteiligung des Aufsichtsrats an der Vorstandsstraftat denkbar.486 In diesem Fall ist für die Frage der Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats aber nicht die konkret begangene Straftat des Vorstands selbst Anknüpfungspunkt der Pflichtverletzung, es ist vielmehr die eigene aktienrechtliche Pflichtverletzung des Aufsichtsrats. Anders als für den Vorstand im Fall des „AUB-Beschlusses“ ergibt sich die Pflichtwidrigkeit für den Aufsichtsrat in der vorliegenden Konstellation nicht aus einem Verstoß gegen die §§ 93, 116 AktG, sondern aus unmittelbar § 111 Abs. 1 AktG.487 Maßgeblicher Vorwurf des BGH im „AUB-Beschluss“ war die Unbestimmtheit des § 93 AktG, der für den Vorstand (und über § 116 AktG auch für den Aufsichtsrat) die „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ fordert. Diese Generalklausel soll kein Einfallstor für eine konturenlose Untreuestrafbarkeit sein, die jeden Gesetzesverstoß zur pflichtwidrigen Handlung erheben würde.488 Anders sieht es aber in der vorliegenden Konstellation aus. Hier sind nicht die §§ 93, 116 AktG Anknüpfungspunkt für den aktienrechtlichen Verstoß, wie es Brand/Petermann nahelegen,489 sondern es ist § 111 Abs. 1 AktG, der eine klar umrissene Pflicht zur Verhinderung von Straftaten statuiert490 484

Eingehend dazu Kapitel 2 C. I. 2. b) bb). BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 201 f. = NJW 2002, 1585, 1588 („SSV Reutlingen“); OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12 = NJW 2012, 3798, 3799. 486 Siehe dazu Kapitel 3. 487 Vgl. Kapitel 2 C. II. 2. b) aa). 488 BGH, Beschluss vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09 = BGHSt 55, 288, 302 (Rn. 38) = NJW 2011, 88, 92 (Rn. 38) („Siemens/AUB“). 489 Dies ist bei Brand/Petermann, WM 2012, 62, 63 zumindest missverständlich dargelegt, wenn sie auf eine aktienrechtliche Pflichtwidrigkeit gem. §§ 93, 116 AktG hinweisen, sofern der Aufsichtsrat die Augen vor Vorstandsstraftaten verschließe. 490 Vgl. Kapitel 2 C. II. 2. b) aa). 485

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

und selbst vermögensschützenden Charakter hat.491 Welchen Inhalt die konkrete Vorstandsstraftat hat, spielt bei dieser statuierten Pflicht keine Rolle und ist für die Ausgestaltung der aktienrechtlichen Pflicht, die auf Legalität im Unternehmen abzielt, irrelevant. Wie oben gezeigt, gebietet die Legalitätspflicht ein Eingreifen unabhängig vom Charakter der bevorstehenden Straftat (es sei denn, es fehlt an einer Zugriffsmöglichkeit, wie bei privaten Straftaten492). Der vermögensschützende Charakter von § 111 Abs. 1 AktG selbst ist dabei (auch für Brand/Petermann493) unzweifelhaft.494 Ferner ist im Rahmen der hier untersuchten Untreuestrafbarkeit irrelevant, ob der Aufsichtsrat an der Vorstandsstraftat in irgendeiner Weise beteiligt ist. Dies spielt nur i. R. d. Untersuchung einer Strafbarkeit nach dem konkreten Vorstandsdelikt i.V. m. § 13 StGB eine Rolle. Der Untreuevorwurf ergibt sich aus § 111 Abs. 1 AktG unmittelbar. Der Aufsichtsrat missachtet insoweit keine Primärnorm (des StGBs oder des Nebenstrafrechts), die auf ihren Rechtsgutsschutz zugunsten des Gesellschaftsvermögens hin zu untersuchen und zu verneinen wäre. Dies aber ist der Ansatzpunkt der Kritik des BGH im „AUB-Beschluss“ bzgl. des primär verletzten § 119 BetrVG.495 Der Ansicht Brand/Petermanns, die im Anschluss an den „AUB-Beschlusses“ Vorstandsstraftaten, die nicht den Schutz des Gesellschaftsvermögens bezwecken, von der Pflichtwidrigkeit im Rahmen der Untreue ausnehmen wollen, ist daher eine Absage zu erteilen. cc) Ergebnis Die Rechtsprechung im „AUB-Beschluss“ hat keine einschränkenden Wirkungen auf die Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats in der vorliegenden Konstellation. Das im Aufsatz Brand/Petermanns vertretene Anliegen für bestimmte, primär drittschadende Delikte den Anwendungsbereich der Untreue zu verneinen,496 erscheint vielmehr eine Problematik des Nachteilsbegriffs zu sein.497 b) Gravierende Pflichtverletzung Das Merkmal der „gravierenden“ Pflichtverletzung soll die gebotene restriktive Anwendung der Untreue fördern498 und in gesellschaftsrechtlich gelagerten 491

Kapitel 2 C. I. 2. b). Dazu Kapitel 2 C. II. 2. b) cc) (5). 493 Brand/Petermann, WM 2012, 62, 64. 494 Kapitel 2 C. I. 2. b). 495 Vgl. dazu auch Rönnau, StV 2011, 753, 754. 496 Vgl. Brand/Petermann, WM 2012, 62, 64. 497 Vgl. dazu Kapitel 2 C. III. 3. Ähnliche Feststellung bei Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 73. 498 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 210 f. = NJW 2010, 3209, 3215 (112). 492

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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Fällen zur Anwendung kommen.499 In diesem Kontext ist allerdings noch vieles ungeklärt.500 Dies betrifft zum einen die Frage, was überhaupt eine gravierende Pflichtverletzung ist, bb). Ferner ist unklar nach welchen Kriterien sich die „gravierende“ Pflichtverletzung bestimmt, bb).501 Unter anderem, aber nicht nur deshalb hat sich in der Literatur Kritik am Erfordernis der „gravierenden“ Pflichtverletzung verlautbart.502 Zunächst stellt sich aber die Frage, ob das Merkmal in der vorliegenden Konstellation überhaupt Anwendung findet, aa). aa) Anwendung des Merkmals „gravierend“ auf Überwachungsaufgabe Zu klären ist zunächst, ob das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung auf die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats überhaupt anwendbar ist, oder ob insoweit eine einfache Pflichtverletzung bereits ausreichend ist. In der Rechtsprechung ist die Anwendung des Merkmals „gravierend“ nur in bestimmten Fällen höchstrichterlich anerkannt, nämlich bei den unternehmerisch risikohaften Entscheidungen bezüglich der Kreditvergabe503 und beim Sponsoring.504 Während für andere Felder (Vergabe von kompensationslosen Anerkennungsprämien) eine Anwendung explizit abgelehnt worden ist.505 Auch die Pflicht und die Maßnahmen des Aufsichtsrats zur Verhinderung der Vorstandsstraftat stellen keine „Risikoentscheidung“ dar. Außerdem fehlt es an einem weiten Ermessensspielraum des Aufsichtsrats,506 der nach jüngerer Rechtsprechung Voraussetzung der Anwendbarkeit des Merkmals gravierend sein soll.507 Insoweit erscheint es zweifelhaft, ob der BGH das Erfordernis einer gravierenden Pflichtverletzung für den vorliegenden Fall bejahen würde.508 Da allerdings das Bun499 Zum Sponsoring: BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 197 = NJW 2002, 1585, 1587 („SSV Reutlingen“). Zur Kreditvergabe: BGH, Urteil vom 15.11.2001 – 1 StR 185/01 = BGHSt 47, 148, 150 = NJW 2002, 1211, 1214. Ablehnend für Prämiengewährung in der Aktiengesellschaft: BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = BGHSt 50, 331, 343 ff. = NJW 2006, 522, 526 („Mannesmann/Vodafone“). Übersicht etwa bei Fischer, StGB, § 266, Rn. 61; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 40, 91 und Seibt/Schwarz, AG 2010, 301, 310 ff. 500 So auch Krause, NStZ 2011, 57, 59; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 40. 501 Umfassend dazu Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 41 f. 502 Etwa Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1507; Schünemann, NStZ 2005, 473 ff.; ders., in: LK-StGB, § 266, Rn. 95 ff. 503 BGH, Urteil vom 15.11.2001 – 1 StR 185/01 = BGHSt 47, 148, 150 = NJW 2002, 1211, 1214. 504 BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 197 = NJW 2002, 1585, 1587 („SSV Reutlingen“). 505 BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = BGHSt 50, 331, 343 ff. = NJW 2006, 522, 526 („Mannesmann/Vodafone“). 506 Vgl. Kapitel 2 C. II. 4. 507 Näher dazu Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 41. 508 So auch Krause, NStZ 2011, 57, 59.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

desverfassungsgericht in den oben dargelegten Beschlüssen eine restriktive Interpretation fordert und dabei expliziten Bezug auf das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung nimmt, das diesem Ziel dienen kann, sollte die Rechtsprechung den Anwendungsbereich für das Merkmal „gravierend“ (wieder) erweitern, um den Tatbestand der Untreue verfassungsrechtlich konform anzuwenden.509 Dies korrespondiert auch mit dem ultima ratio Gedanken des Strafrechts. Nur dort, wo die Pflichtverletzung so grob (= gravierend) ist, dass eine zivilrechtliche Sanktionierung nicht ausreicht, kann auf das Strafrecht zurückgegriffen werden.510 Dies sollte aber nicht nur für ausgewählte Bereiche bei aktienrechtlichen Fragen gelten. Insofern ist eine Prüfung der gravierenden Pflichtverletzung spätestens nach den verfassungsgerichtlichen Beschlüssen auch für die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats zu fordern. bb) Inhalt der „gravierenden“ Pflichtverletzung Unklar ist weiterhin der Bezugspunkt der gravierenden Pflichtverletzung. Dieser kann zum einen das Gewicht der verletzten Pflicht sein oder Art und Ausmaß ihrer Verletzung.511 Denkbar wäre es aber alternativ auf den Umfang des ausgelösten Schadens abzustellen. Die Rechtsprechung scheint auf Art und Ausmaß der verletzten Pflicht abzustellen.512 Dies erscheint überzeugend. Zum einen wird so das Merkmal der Pflichtwidrigkeit selbst und aus sich heraus eingeschränkt. Auch die Verletzung weniger „gewichtiger“ Pflichten kann einen großen Schaden verursachen. Zum anderen wird so den Verschleifungstendenzen513 eine klare Absage erteilt, sodass ein Rückschluss von dem Schaden auf die Pflichtverletzung auch vor dem Hintergrund eines gravierenden Schadens nicht möglich ist. Damit ist zunächst klar, dass jede, auch jede „kleine“ Pflicht gravierend verletzt werden kann. Die Pflicht muss also gravierend i. S. e. besonders groben oder gewichtigen Überschreitens der auferlegten Pflicht verletzt werden. Fraglich ist und bleibt, wann ein solches gravierendes Überschreiten vorliegt. Streitig sind hierbei die zugrundezulegenden Kriterien der Bewertung. Hierbei haben sich verschiedene Grundströmungen entwickelt.514

509 Dies fordert nun auch das OLG Hamm in seinem Urteil vom 21.08.2012 – III-4 RVs 42/12 = NStZ-RR 2012, 274. Anders aber OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12 = NJW 2012, 3798, 3800. 510 In diesem Zusammenhang betonen auch Krause, NStZ 2011, 57, 59 und Seibt/ Schwarz, AG 2010, 301, 313 den ultima ratio Gedanken. 511 Krause, NStZ 2011, 57, 59; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 40. 512 Etwa in BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 197 = NJW 2002, 1585, 1587 („SSV Reutlingen“). Aus der Literatur dazu Krause, NStZ 2011, 57, 59; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 40. 513 Dazu Kapitel 2 A. II. 1. 514 Umfassend dazu Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 41 f.

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(1) Strafrechtsautonome Bestimmung Auf der einen Seite wird auf eine strafrechtsautonome Bestimmung zurückgegriffen.515 Die Pflicht wird danach gravierend verletzt, wenn zusätzlich zur zivilrechtlichen Pflichtverletzung die Verletzung eigenständiger strafrechtlicher Kriterien hinzutritt. Dies können etwa fehlende Nähe zum Unternehmensgegenstand, Unangemessenheit hinsichtlich Ertrags- und Vermögenslage oder auch die Verfolgung rein persönlicher Präferenzen sein.516 Im vorliegenden Fall ließe sich nur anhand der Gegebenheiten des Einzelfalls eine gravierende Pflichtverletzung bejahen. Hierbei obliegt die Bewertung des Vorliegens der Kriterien einer gewissen Beliebigkeit oder gar Willkür.517 Dieser Ansatz kann daher nicht überzeugen. (2) Zivilrechtsakzessorische Bestimmung Auf der anderen Seite wird eine stark zivilrechtsakzessorische Untersuchung vorgenommen.518 Hierbei sei der weite Beurteilungs- und Ermessensspielraum der handelnden Akteure zu berücksichtigen, der aber nicht bei jeder Entscheidung im Unternehmen vorliege.519 Im vorliegenden Fall ergäbe sich daher immer eine gravierende Pflichtwidrigkeit des Aufsichtsrats.520 Dann aber hat die Beschränkung der Pflicht auf „gravierende“ Verstöße keine eigene Bedeutung.521 Es läge mithin eine überflüssiges Merkmal vor. Da das Bundesverfassungsgericht aber in der Beschränkung auf gravierende Pflichtverstöße explizit ein restriktivierendes Merkmal erkennt, kann diese Ansicht nicht überzeugen, da sie keine weitergehende Restriktion des Tatbestandes gewährleisten kann.522 (3) Nicht starr indizienbasierte strafrechtsautonome Schweretheorie Als drittes lässt sich eine Meinung finden, die auf Basis einer Gesamtwürdigung der Umstände eine gravierende Pflichtverletzung annimmt, wenn die getroffene Entscheidung evident unvertretbar und/oder willkürlich ist, weil sie auch 515 Etwa bei BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 197 = NJW 2002, 1585, 1587 („SSV Reutlingen“); Matt, NJW 2005, 389, 390. 516 Vgl. Leitsatz Nr. 2 bei BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187 = NJW 2002, 1585 („SSV Reutlingen“), auch mit weiteren Beispielen. 517 Vgl. ausführlich dazu Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 42. 518 BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = BGHSt 50, 331, 343 ff. = NJW 2006, 522, 526 („Mannesmann/Vodafone“). 519 BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = BGHSt 50, 331, 343 ff. = NJW 2006, 522, 526 („Mannesmann/Vodafone“). 520 Vgl. Kapitel 2 C. II. 4. c). 521 Dies sieht der 3. Senat in seinem Urteil auch selbst BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = BGHSt 50, 331, 343 ff. = NJW 2006, 522, 526 („Mannesmann/Vodafone“). 522 Ähnlich Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 82.

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unter Berücksichtigung des unternehmerischen Handlungsspielraums nicht als eine ex-ante im materiellen Unternehmensinteresse liegende Entscheidung angesehen werden kann, sog. nicht starr indizienbasierte strafrechtsautonome Schweretheorie.523 Hier wird mehr als nur eine zivilrechtliche Pflichtwidrigkeit gefordert, ohne dabei die (maßgeblichen) zivilrechtlichen Gesichtspunkte außer Acht zu lassen. Es gibt also eine „schmale Schutzzone“ 524 in der eine zivilrechtliche Haftung aber noch keine strafrechtliche Haftung vorliegen kann. Dies kommt dem restritivierenden Ansatz des Merkmals „gravierend“ i. S. d. Bundesverfassungsgerichts nahe. Bei der Bewertung der Vertretbarkeit der Entscheidung spielt insbesondere die „Business-Judgement-Rule“ des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Rolle, der aktienrechtlich bereits eine Einschränkung der Haftung auf unternehmerisch unvertretbare Entscheidungen vornimmt.525 Ob in diesem Sinne eine gravierenden Pflichtverletzung vorliegt, stellt sich nun unter cc) heraus. cc) Vorliegen einer gravierenden Pflichtverletzung in der hier diskutierten Konstellation Schlussendlich ist zu untersuchen, ob im vorliegenden Fall eine gravierende Pflichtverletzung gegeben ist. Wie oben dargestellt, müsste die Entscheidung des Aufsichtsrats aus ex-ante Sicht unter Berücksichtigung des unternehmerischen Handlungsspielraums evident unvertretbar und/oder willkürlich sein, wobei auch das materielle Unternehmensinteresse berücksichtigt werden muss. Zunächst liegt im Nichteinschreiten eine zivilrechtliche Pflichtverletzung vor, die auch einen Verstoß gegen die „Business-Judgement-Rule“ darstellt.526 Die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben stellt in der Gesellschaft eine besondere Anforderung dar, für die der Aufsichtsrat zu sorgen hat. Da die juristische Person die Legalität nicht selbst, sondern nur die für sie agierenden Organe gewährleisten können, sind diese verpflichtet, gegen bekannt gewordene bevorstehende Legalitätsverstöße vorzugehen. Eine Entscheidung des Aufsichtsrats gegen die Legalität und für das strafrechtlich relevante Verhalten des Vorstands (durch Nichteinschreiten) ist ein Handeln gegen das Unternehmensinteresse. Ein Handeln gegen die Legalitätspflicht ist vor diesem Hintergrund evident unvertretbar. Daher stellt das Nichteinschreiten gegen bevorstehende Vorstandsstraftaten durch den Aufsichtsrat eine „gravierende“ Pflichtverletzung dar.

523 Etwa Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 297; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 42, beide m.w. N. Ob auch BGH, Urteil vom 22.11.2005 – 1 StR 571/04 = NJW 2006, 453, 454 f. („Kinowelt“) diese Ansicht teilt, ist unklar, vgl. nur Saliger, in: S/S/ W-StGB, § 266, Rn. 41. 524 Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 297. 525 Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 91. 526 Kapitel 2 C. II. 4. c).

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c) Ergebnis Die Restriktionen der „AUB-Rechtsprechung“ haben keine Auswirkungen auf die vorliegende Konstellation, da § 111 Abs. 1 AktG vermögensbezogenen Charakter hat, a). Demgegenüber erscheint es aber – auch verfassungsrechtlich – geboten eine „gravierende“ Pflichtverletzung zu prüfen, b) aa). Das Nichteinschreiten ist aber wegen der Legalitätspflicht im Unternehmen stets eine evident unvertretbare Handlung, b) cc). 6. Keine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten Angestellter durch Aufsichtsrat Wie oben bereits dargelegt, bezieht sich die Überwachungsaufgabe nicht auf die Angestellten der Gesellschaft.527 Dies wird zwar teilweise anders gesehen.528 Doch auch diese Stimmen können nicht zu einer Pflicht des Aufsichtsrats zur Verhinderung von Straftaten durch Angestellten gelangen. Wie eben gezeigt, beziehen sich die tauglichen Instrumente zur Einwirkung sämtlich auf den Vorstand. Denkbar wäre allenfalls die Einrichtung und Ausübung eines Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG durch den Aufsichtsrat für die geplante Einzelmaßnahme des Angestellten. Würde der Aufsichtsrat die Zustimmung verweigern, müsste der Vorstand den Angestellten anweisen, die entsprechende Handlung nicht vorzunehmen. Allerdings ist die Berechtigung für Einzelmaßnahmen Zustimmungsvorbehalte einzurichten restriktiv zu handhaben.529 Ist bei Vorstandshandeln eine Anwendung des § 111 Abs. 4 AktG bei Einzelmaßnahmen wenigstens in bestimmten Fällen vertretbar,530 so ist bei der Vornahme der Maßnahme durch Angestellte eine Grenze der Überdehnung des Wortlauts des § 111 Abs. 4 AktG erreicht.531 Andernfalls würde das Gesamtgefüge der Funktionszuweisung in der Aktiengesellschaft gefährdet werden. Auch der Zustimmungsvorbehalt kann den Taterfolg nicht verhindern. Da ferner ein Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand abzulehnen ist,532 hat der Aufsichtsrat keine rechtliche Einflussmöglichkeit auf die dem Vorstand untergeordneten Ebenen.533 Daher kann er, rechtlich betrachtet, keine Straftaten von Angestellten verhindern.534 Fraglich 527

Vgl. Kapitel 1 B. II. 1. Vgl. ebenfalls oben Kapitel 1 B. II. 1. 529 Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6). 530 Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6). 531 Siehe auch Brouwer, S. 93 f. 532 Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (5). 533 Ebenso Krause, NStZ 2011, 57, 60. 534 A. A. ohne nähere Begründung und Untersuchung Merz, in: Graf/Jäger/Wittig, § 13, Rn. 40. Wie hier Poseck, S. 126 f. 528

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

ist allenfalls, ob eine Pflicht zur Einwirkung auf den Vorstand besteht, wenn dieser selbst eine Abwendung von Straftaten Untergebener unterlässt.535 7. Einverständnis Ein etwaiges Einverständnis könnte die Handlungsbefugnis des Aufsichtsrats erweitern und damit die Pflichtwidrigkeit der Handlung entfallen lassen.536 Im Fluss befindet sich die Diskussion zum Einverständnis bei der AG.537 Hier sind Möglichkeit und Umfang eines Einverständnisses derzeit nicht geklärt.538 Insbesondere im Fall der Publikums-AG ist ein Einverständnis der Aktionäre in vermögensschädigende Handlungen aber sehr unwahrscheinlich.539 Nur wenn wenige Aktionäre Anteile an der AG halten, bzw. ein Alleinaktionär alle Anteile an der AG hält, könnte es doch zu einer einverständlichen Handlung kommen.540 Allerdings liegt die Möglichkeit eines Einverständnisses auch hier eher fern. Notwendig wäre eine Vorlage des Aufsichtsrats an die Aktionäre mit dem Inhalt, dass man eine strafrechtlich relevante Handlung des Vorstands Geschehen lassen wolle und dafür einen einverständlichen Beschluss bräuchte, um selbst nicht pflichtwidrig zu handeln. Unabhängig davon verstieße die Möglichkeit eines Einverständnisses gegen die zivilrechtliche Trennung von Gesellschafts- und Aktionärsvermögen541 und würde die Machtverhältnisse in der Aktiengesellschaft außer Acht lassen.542 Ein Einverständnis der Aktionäre in vermögensschädigende Handlungen ist daher nicht möglich.543

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Vgl. dazu Kapitel 3 E. I. 1. a) und b) bb). Fischer, StGB, § 266, Rn. 90; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 45; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 20. 537 Offengelassen in BGH, Urteil vom 27.08.2010 – 2 StR 111/09 = BGHSt 55, 266, 280 (Rn. 37 f.) = NJW 2010, 3458, 3461 (Rn. 37 f.) („Trienekens“). Überblick etwa bei Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 300; Rönnau, FS-Amelung, S. 250 ff.; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 87. Umfassend Meister, BLJ 2012, 37, 41 ff. 538 Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 87. 539 Rönnau, FS-Amelung, S. 247. 540 Rönnau, FS-Amelung, S. 248. 541 Dazu bereits oben Kapitel 2 C. I. 3. b) aa). 542 Ausführlich Rönnau, FS-Amelung, S. 253 ff. 543 Brammsen/Apel, WM 2010, 781, 786 f.; Fischer, StGB, § 266, Rn. 102; Meister, BLJ 2012, 37, 44; Rönnau, FS-Amelung, S. 267. A. A. mit unterschiedlicher Akzentuierung etwa Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 300, m.w. N.; Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 99 ff.; Volk, FS-Hamm, S. 803, 812 f.; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 22.2. Offengelassen in BGH, Urteil vom 27.08.2010 – 2 StR 111/09 = BGHSt 55, 266, 280 (Rn. 37 f.) = NJW 2010, 3458, 3461 (Rn. 37 f.) („Trienekens“) und von Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 87. 536

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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8. Zusammenfassung und Ergebnis für die pflichtwidrige Handlung Es existiert eine aktienrechtliche Pflicht des Aufsichtsrats, Vorstandsstraftaten zu verhindern, die sich aus § 111 Abs. 1 AktG ergibt, Kapitel 2 C. II. 2. b) aa) und hh). Der Aufsichtsrat hat die Pflicht, gegen alle Straftaten des Vorstands (personaler Aspekt) einzuschreiten, die in sachlich-inhaltlicher Hinsicht geschäftsführungsbezogenen Charakter haben. Dies sind solche Taten, die der Vorstand aufgrund seiner Organstellung begeht und betrifft rechtliche, wie auch tatsächliche Zugriffsmöglichkeiten. Anders als bei der Betriebsbezogenheit, können auch Straftaten erfasst sein, die „bei Gelegenheit“ begangen werden. Dies sind dann im Ergebnis alle denkbaren Straftaten des Vorstands, abgesehen von privaten Straftaten, Kapitel 2 C. II. 2. b) 2. b) cc) (5). Bei Bagatellfällen ist eine strafrechtlich relevante Erheblichkeitsstufe in der Regel aber nicht erreicht, Kapitel 2 C. II 2. gg). Als taugliche Mittel stehen ihm hierbei grundsätzlich die Abberufung des Vorstandsmitglieds gem. § 84 Abs. 3 AktG [Kapitel 2 C. II 3. b) bb) (3)] und in bestimmten Ausnahmefällen die Einrichtung eines Zustimmungsvorbehalts mit anschließender Verweigerung der Zustimmung gem. § 111 Abs. 4 AktG [Kapitel 2 C. II 3. b) bb) (6)] zur Verfügung. Das Ermessen des Aufsichtsrats zum Einschreiten ist insoweit auf null reduziert, Kapitel 2 C. II 4. a). Bei der Wahl des Mittels hat der Aufsichtsrat das jeweils taugliche und effektivste Mittel zur Tatverhinderung zu wählen, Kapitel 2 C. II 4. b). Das unterbliebene Einschreiten stellt immer eine gravierende Pflichtverletzung dar, Kapitel 2 C. II 5. b). Das Unterlassen der tauglichen Maßnahme stellt für den Aufsichtsrat eine pflichtwidrige Handlung i. S. d. § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB dar.

III. Vermögensnachteil Die pflichtwidrige Handlung muss zu einem Taterfolg544 in Gestalt eines Vermögensnachteils bei dem betreuten Vermögen führen, § 266 Abs. 1 StGB. Ein Vermögensnachteil liegt vor, wenn der Gesamtwert des Vermögens nach wirtschaftlicher Betrachtung durch die Pflichtverletzung vermindert wird.545 Das Nachteilsmerkmal hat gegenüber der Pflichtwidrigkeit eigenständige Bedeutung und muss daher für sich betrachtet festgestellt werden.546 Durch dieses Vorgehen kann den Verschleifungstendenzen547 Einhalt geboten werden.548 544 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 207 = NJW 2010, 3209, 3214 (Rn. 104). Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 155; Matt/ Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 124; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 50. 545 Etwa BGH, Urteil vom 09.02.2006 – 5 StR 423/05 = NStZ 2006, 175. Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 155 ff.; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 54; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 39. 546 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 211 = NJW 2010, 3209, 3215 (Rn. 113). 547 Vgl. bereits oben Kapitel 2 A. II. 1.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

Es wird daher nun geprüft, ob aus der Pflichtverletzung, also der unterbliebenen Verhinderung einer Vorstandsstraftat, ein Vermögensnachteil für die Gesellschaft kausal folgen kann. Da der Pflichtverletzung die Begehung einer Straftat durch den Vorstand zugrundeliegt, kann dieser Nachteil nur aus der Vorstandsstraftat selbst resultieren. Es gilt also die Folgen der Vorstandsstraftat und ihre Auswirkungen auf das Gesellschaftsvermögen zu untersuchen. Dies macht die Bestimmung des Nachteils im Vergleich zu anderen Untreuekonstellationen einfacher, da hier eine kausale Verbindung besteht. Bei der Bestimmung des Nachteils spielt zunächst einmal die in der Einleitung vorgenommene Einteilung der Vorstandsstraftaten549 eine Rolle, nicht nur zur Übersichtlichkeit, wie sich sogleich zeigen wird. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist das Restriktionsgebot der Untreue auch bezüglich des Nachteilsbegriffs zu beachten.550 Bei der Bestimmung des benachteiligten Vermögens ist noch einmal Bezug auf die Vermögensbetreuungspflicht zu nehmen. Da der Aufsichtsrat nur das Vermögen der Aktiengesellschaft, nicht aber dasjenige der Aktionäre551, der Gläubiger552 und sonstiger Dritter553 zu betreuen hat, ist einzig ein Vermögensnachteil an dem Vermögen der Aktiengesellschaft relevant für die Untreuestrafbarkeit.554 1. Vermögensnachteil und schadensgleiche Vermögensgefährdung Ein Vermögensnachteil ist im Wege der Gesamtsaldierung zu ermitteln und liegt vor, wenn der Gesamtwert des Vermögens nach wirtschaftlicher Betrachtung durch die Pflichtverletzung vermindert wird.555 Die Gesamtsaldierung ist durch einen Vergleich der Vermögenslage vor und nach der Pflichtverletzung vorzunehmen.556 Ein Nachteil liegt dann vor, wenn sich eine negative Abweichung ergibt, die nicht durch einen kompensationsfähigen Vermögenszuwachs wirtschaftlich voll ausgeglichen wird.557 548 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 211 = NJW 2010, 3209, 3215 (Rn. 113). 549 Kapitel 1 B. II. 3. 550 Vgl. dazu Kapitel 2 A. II. 2. 551 Kapitel 2 C. I. 3. b) aa). 552 Kapitel 2 C. I. 3. b) cc). 553 Kapitel 2 C. I. 3. b) dd). 554 Allgemein Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 115: „Identität von betreutem und geschädigtem Vermögen“. 555 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 213 = NJW 2010, 3209, 3216 (Rn. 119). Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 175; Fischer, StGB, § 266, Rn. 115; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 54 und 55 f. zur Vorgehensweise; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 40. Anders noch RG, Urteil vom 28.07.1939 g. K. 1 D 551/39 = RGSt 73, 283, 285 (Soll/Ist-Vergleich). 556 BGH, Beschluss vom 17. 8. 2006 – 4 StR 117/06 = NStZ-RR 2006, 378 f.; Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 175; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 55; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 40.

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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Ein Vermögensschaden kann nach der Rechtsprechung und Lehre auch über die Figur der schadensgleichen Vermögensgefährdung angenommen werden.558 Dies betrifft Fälle, in denen die Tathandlung (Pflichtverletzung) noch nicht zu einem endgültigen Schaden geführt hat, das Vermögen aber durch die Tathandlung bereits gefährdet ist. Demnach liegt ein Vermögensschaden vor, wenn nach wirtschaftlicher Betrachtung bereits durch die Gefährdung eine gegenwärtige Minderung des Vermögenswertes eingetreten ist.559 Allerdings ist die schadensgleiche Vermögensgefährdung restriktiv einzusetzen, da sie keinen endgültig eingetretenen Schaden voraussetzt und sich daher in der Nähe der Versuchsstrafbarkeit bewegt, die bei der Untreue nicht besteht.560 Ob eine gegenwärtige Minderung eingetreten ist, wird bei der schadensgleichen Vermögensgefährdung anhand der Konkretheit der Gefahr entschieden (deshalb wird diese Fallgruppe in der Literatur teilweise als „konkrete Vermögensgefährdung“ bezeichnet561).562 Bloß abstrakte Vermögensgefahren reichen zur Annahme einer schadensgleichen Vermögensgefährdung nicht aus.563 Wann eine hinreichende Konkretisierung des Schadens vorliegt, lässt sich nicht pauschal sagen564 und ist Gegenstand zahlreicher (Einzelfall-)Urteile und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, die hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden sollen.565 Konkret ist die schadensgleiche Vermögensgefährdung nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung jedenfalls dann, wenn in zeitlicher Hinsicht „alsbald mit dem Eintritt eines entsprechenden endgültigen Schaden zu rechnen ist“.566 In sachlicher Hinsicht muss eine von dem Berechtigten nicht mehr zu kontrollierende und nur noch im Belieben des Täters stehende Möglich557 BGH, Beschluss vom 17. 8. 2006 – 4 StR 117/06 = NStZ-RR 2006, 378 f.; Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 175; Fischer, StGB, § 266, Rn. 115a; Saliger, in: S/S/WStGB, § 266, Rn. 55. 558 BVerfG, Beschluss vom 10.03.2009 – 2 BvR 1980/07 = NJW 2009, 2370, 2372, m.w. N. und etwa BGH, Beschluss vom 02.04.2008 – 5 StR 354/07 = BGHSt 52, 182, 188 (Rn. 26) = NJW 2008, 1827, 1829 (Rn. 26). Aus der Literatur Esser, in: AnwKStGB, § 266, Rn. 168; Fischer, StGB, § 266, Rn. 150; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 66 ff. auch mit Kritik; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 44, jeweils m.w. N. Kritik etwa bei Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 186, m.w. N. 559 BGH, Beschluss vom 02.04. 2008 – 5 StR 354/07 = BGHSt 52, 182, 188 (Rn. 26) = NJW 2008, 1827, 1829 (Rn. 26); Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 66. 560 Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 172; Fischer, StGB, § 266, Rn. 159; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 67; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 44. 561 Etwa Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 168. 562 BGH, Urteil vom 17.02.1999 – 5 StR 494/98 = NJW 1999, 1489, 1491 („Fall Diestel“); Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 66. 563 Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 66, mit Beispielen aus Rechtsprechung. 564 Ähnlich Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 169. 565 Vgl. dazu die Übersicht bei Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 68 ff. 566 BVerfG, Beschluss vom 10.03.2009 – 2 BvR 1980/07 = NJW 2009, 2370, 2372, m.w. N.; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 66. Kritisch Saliger, Parteiengesetz und Strafrecht, S. 130.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

keit des endgültigen Vermögensverlusts bestehen.567 Ferner müssen die schadensbegründenden Tatsachen feststehen.568 Entscheidend ist, dass der Tatbestand der Untreue im Versuch nicht strafbar ist (vgl. §§ 266, 23 Abs. 1, 12 Abs. 2 StGB). Dies setzt den Eintritt eines tatsächlichen Nachteils voraus.569 Kann dieser ausnahmsweise auch in einer schadensgleichen Vermögensgefährdung liegen, so muss die Annahme einer solchen restriktiv erfolgen. 2. Vermögensnachteil durch Straftaten der Kategorie A (private Straftaten) Private Straftaten des Vorstands570 müssen durch den Aufsichtsrat nicht verhindert werden.571 Insoweit wäre ein Schaden, der aus der Straftat für die Gesellschaft resultieren würde, irrelevant für eine Strafbarkeit des Aufsichtsrats, da bereits das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit nicht erfüllt wäre.572 Allerdings ist auch zweifelhaft, ob aus einer privaten Straftat (etwa aus einem Betrug bei Grundstücksgeschäften, § 263 StGB, oder einem Mord, § 211 StGB) ein Schaden kausal und zurechenbar für die Gesellschaft resultieren kann. Allenfalls Rufschädigungen oder negative Auswirkungen auf den Aktienkurs sind hier denkbar. 3. Vermögensnachteil durch Straftaten der Kategorie B (mittelbar schadende Straftaten) Die Straftaten der Kategorie B573 führen nicht schon mit ihrer Begehung zu einer Minderung des Gesellschaftsvermögens. Die Straftaten richten sich vielmehr gegen Dritte und/oder die Allgemeinheit. Ein Vergleich der Vermögenslage vor und nach der Pflichtverletzung ergibt daher zunächst keinen unmittelbaren Vermögensnachteil bei der Gesellschaft. Allerdings können den Straftaten der Kategorie B Schadensersatzansprüche und/oder Sanktionen gegen die Gesellschaft folgen. Dies setzt Aufdeckung der Tat, Geltendmachung und Durchsetzung von Schadensersatz/Verhängung der Sanktion voraus. In einer Vielzahl von 567 BVerfG, Beschluss vom 10.03.2009 – 2 BvR 1980/07 = NJW 2009, 2370, 2372, m.w. N.; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 66. 568 BVerfG, Beschluss vom 10.03.2009 – 2 BvR 1980/07 = NJW 2009, 2370, 2372, m.w. N. 569 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 205 = NJW 2010, 3209, 3213 (Rn. 98). 570 Kapitel 1 B. II. 3. a). 571 Kapitel 2 C. II. 2. b) cc) (5). 572 Andernfalls läge ein unzulässiger Rückschluss vom Nachteilsmerkmal auf das Pflichtwidrigkeitsmerkmal vor, vgl. Kapitel 2 A. II. 1. 573 Kapitel 1 B. II. 3. b).

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Fällen wird es nicht zu der Entdeckung der Tat kommen und die Straftat des Vorstands im Dunkeln bleiben, weswegen auch keine Schadensersatzansprüche/ Sanktionen gegen die Gesellschaft geltend gemacht werden können. Der mögliche Schadensersatzanspruch/die mögliche Sanktion gegen die Gesellschaft ist in der Kategorie B, wie oben ausgeführt, nur mittelbare Folge der Straftat gegen den Dritten/die Allgemeinheit. Ein Schaden für die Gesellschaft ist daher bei Vollendung der Tat durch den Vorstand zwar bereits angelegt, aber nur mittelbare und nicht zwingende Folge der Tat. Einige Stimmen nehmen in diesen Fällen ohne nähere Prüfung eine Untreue des Aufsichtsrats an, bejahen also implizit einen Schaden, wenn der Aufsichtsrat die mittelbar schadende Straftat des Vorstands nicht verhindert.574 Dieser pauschalen Bewertung liegt eine komplexe Problematik zu Grunde, die im Folgenden näher thematisiert werden soll. Hierzu wird zunächst die Grundlage der Problematik dargestellt, a). Sodann werden Vorfragen abgeklopft [b)] und der Streitstand dargelegt, c). Hierauf folgt eine eigene Stellungnahme zur Problematik, d). a) Grundlage der Problematik Fraglich ist, ob der Nachteilsbegriff und damit der Tatbestand der Untreue auch mittelbare Schädigungen erfasst. Dies betrifft sowohl den Fall, dass der Schadensersatzanspruch/die Sanktion bereits durchgesetzt worden ist, es also zu einer tatsächlichen Minderung des Gesellschaftsvermögens gekommen ist, als auch die Konstellation, dass es noch nicht zur Durchsetzung gekommen ist. Die Überlegung stützt sich auf verschiedene Aspekte des Tatbestands der Untreue, insbesondere auf einen Vergleich mit dem Betrug, § 263 StGB. Die Auslegung des Schadensbegriffs des Betrugs und Nachteilsbegriffs der Untreue sind nach allgemeiner Auffassung weitgehend identisch,575 jedenfalls ähnlich.576 Im Rahmen des objektiven Tatbestands des Betrugs gibt es zwar ein Unmittelbarkeitserfordernis, das aber nicht an dem Schaden, sondern an der Vermögensverfügung anknüpft.577 Eine Einschränkung der Reichweite, also ein Ausschluss bestimmter mittelbarer Folgen der Schädigung, findet ferner auf subjektiver Tatbestandsseite

574 Joecks, in: MüKo-GmbHG, Vor § 82, Rn. 217, der eine Interventionspflicht bei drohenden Sanktionen bejaht. Krause, NStZ 2011, 57, 61 bzgl. Schadensersatzansprüchen gg. die Gesellschaft. Wohl auch Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510. Nicht ganz eindeutig bei Momsen, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, S. 82 oben. 575 Etwa Fischer, StGB, § 266, Rn. 115; Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 39; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 24, 39. 576 Vgl. Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 116 f., 122; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 53; Matt/Renzikowski/Saliger, § 263, Rn. 182; Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 164. 577 Vgl. nur Beukelmann, in: BK-StGB, § 263, Rn. 32; Fischer, StGB, § 263, Rn. 76 ff.; Gaede, in: AnwK-StGB, § 263, Rn. 84; Matt/Renzikowski/Saliger, § 263, Rn. 117; Satzger, in: S/S/W-StGB, § 263, Rn. 121.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

i. R. d. Absichtsprüfung stoffgleicher Bereicherung statt.578 Der Schadensbegriff selbst wird nicht auf unmittelbare Folgen beschränkt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob auch der Nachteilsbegriff der Untreue eine dem Vermögensschaden des Betrugs entsprechende Reichweite hat und für sich betrachtet auch mittelbare Schädigungen erfasst. b) Vorfragen aa) Allenfalls schadensgleiche Vermögensgefährdung auch bei durchgesetztem Schadensersatzanspruch/beglichener Sanktion (ex-ante Beurteilung) Die mittelbaren Schäden können im Zeitpunkt der Beurteilung des Vorliegens einer Untreue gem. § 266 StGB bereits eingetreten sein (der Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft ist durchgesetzt/die Sanktion ist bereits verhängt worden) oder aber noch ausstehen. Fraglich ist insofern, ob dann bezüglich der tatsächlich eingetretenen mittelbaren Schäden ein endgültiger Nachteil i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB anzunehmen ist (ex-post Betrachtung zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung) oder ob es auch insoweit zu einer Berücksichtigung in Form der schadensgleichen Vermögensgefährdung kommt, die auf Grund ihrer Nähe zur Versuchsstrafbarkeit höhere Anforderungen mit sich bringt (ex-ante Betrachtung zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung). Letzteres wirkt auf den ersten Blick verwirrend. Ein endgültiger Schaden im Sinne einer nachteilig abweichenden Vermögenslage liegt eigentlich vor, allerdings nicht zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung. Dort war der Schaden nur angelegt und noch nicht endgültig eingetreten. Wollte man den tatsächlichen Zustand ex-post berücksichtigen, so hätte das zwei negative Folgen: Erstens wäre eine gewisse Beliebigkeit gegeben, da der tatsächliche Schaden jederzeit eintreten kann, es aber nicht muss. Die Differenzierung zwischen tatsächlichem Nachteil i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB und schadensgleicher Vermögensgefährdung wäre dann zufällig und könnte sich während eines strafrechtlichen Verfahrens gegen den Täter wandeln, etwa nach Verhängung einer Sanktion gegen die Gesellschaft in einem parallelen verwaltungsrechtlichen Verfahren. Dann läge zunächst eine schadensgleiche Vermögensgefährdung vor, die in einen tatsächlichen Schaden umschlagen würde.579 Zweitens könnte eine Kompensation des angelegten Schadens (der Aufsichtsrat kommt sofort nach Aufdeckung dem Schadensersatzverlangen eines Dritten 578 Vgl. nur Beukelmann, in: BK-StGB, § 263, Rn. 78; Fischer, StGB, § 263, Rn. 187; Gaede, in: AnwK-StGB, § 263, Rn. 164; Matt/Renzikowski/Saliger, § 263, Rn. 283; Satzger, in: S/S/W-StGB, § 263, Rn. 229. 579 Dies übersieht Burger, S. 192, der darauf abstellt, ob die Gesellschaft die Sanktion bereits beglichen hat und davon ausgehend in diesen Fällen einen Vermögensnachteil annimmt, in den anderen bloß eine schadensgleiche Vermögensgefährdung.

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mit privaten Mitteln nach) dazu führen, dass spiegelbildlich aus ex-post Betrachtung jeglicher Schaden, auch die schadensgleiche Vermögensgefährdung verneint werden würde. Dies würde den Täter aber dazu ermutigen wirtschaftlich kalkulierbare Straftaten nicht zu verhindern, da eine strafrechtliche Sanktionierung seines Verhaltens verhinderbar wäre. Maßgeblich ist daher die ex-ante Betrachtung. Kommt es nach der Pflichtverletzung zu tatsächlichen Schäden, so liegt dennoch allenfalls eine schadensgleichen Vermögensgefährdung vor.580 bb) Frage der objektiven Zurechnung oder eines allgemeinen Unmittelbarkeitserfordernisses? Streitig ist in der Literatur, ob das Unmittelbarkeitserfordernis als eine Ausprägung der allgemeinen Grundsätze der objektiven Zurechnung oder als tatbestandsimmanente Restriktion Eingang in den Tatbestand der Untreue findet.581 Die Frage des Anknüpfungspunktes der Diskussion hat aber keinen unmittelbaren Einfluss auf die hier geführte Debatte selbst, ob auch mittelbare Nachteile dem Nachteilsbegriff der Untreue unterfallen. Die folgende Diskussion lässt daher den Anknüpfungspunkt im Ergebnis dahinstehen und berücksichtigt Gesichtspunkte von beiden Anknüpfungspunkten, sofern sie der Diskussion hilfreich sind. c) Streitstand bezüglich Einbeziehung mittelbarer Tatfolgen aa) Standpunkt der Rechtsprechung In der Rechtsprechung wurde in den vergangenen Jahrzehnten in einigen Fällen das Auslösen von Schadensersatzansprüchen582 und Sanktionen583 als scha580 Explizit bejahend für mittelbare Schäden Bittmann, NStZ 2012, 57, 60 f.; Jäger, FS-Harro Otto, S. 601. Ferner für grundsätzliche ex-ante Betrachtung BGH, Beschluss vom 17.08.2006 – 4 StR 117/06 = NStZ-RR 2006, 378, 379; Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510 m.w. N.; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 55 m.w. N. A. A. für Sanktionen zu Lasten von Unternehmen Burger, S. 192 f.; Perron, FS-Heinz, S. 805. Ex-post Betrachtung mit korrigierendem Schritt nun vorschlagend Bittmann, NStZ 2013, 72. 581 Für die objektive Zurechnung etwa HWSt-Seier, 5. Teil, 2. Kapitel, Rn. 211 ff.; Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 215 f. Für eine eigenständige Berücksichtigung etwa Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 84. Streitübersicht bei Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 84. 582 Für die vorliegende Konstellation relevant: BGH, Urteil vom 23. 3. 2000 – 4 StR 19/00 = NStZ 2000, 375, 376 (schadensgleiche Vermögensgefährdung durch das Auslösen von möglichem Schadensersatzanspruch gegen Geschäftsherrn). 583 Für die vorliegende Konstellation relevant: OLG Hamm, Beschluss vom 15.07. 1981 – 5 Ws 29/81 = NJW 1982, 190, 192 (schadensgleiche Vermögensgefährdung durch Auslösen von möglichen verwaltungsrechtlichen Sanktionen). Etwa auch BGH, Urteil vom 03.08.1979 – 2 StR 305/79 (nachgezeichnet bei Holtz, MDR 1979, 985, 988: Gefahr der Vernichtung von Wein). Vgl. Rechtsprechungsnachweise bei Jäger, FSHarro Otto, S. 595 ff.; Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 45b; Saliger, in: S/S/ W-StGB, § 266, Rn. 75.

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densgleiche Vermögensgefährdung bejaht. Explizite Aussagen zu einem Unmittelbarkeitserfordernis finden sich aber vor allem in neueren Urteilen. Bereits früher hat das OLG Hamm einen Nachteil i. S. d. § 266 StGB für das Auslösen von verwaltungsrechtlichen Sanktionen angenommen, da dem § 266 StGB ein Unmittelbarkeitserfordernis fremd sei.584 Zur Begründung verwies es auf den Betrug gem. § 263 StGB, der im Rahmen des Schadens kein Unmittelbarkeitserfordernis kenne. Für die Annahme eines Nachteils i. S. d. § 266 StGB reiche der Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden aus. Demgegenüber hat der 5. Strafsenat des BGH in einem neueren Fall obiter dictum die Möglichkeit eines Nachteils bei möglichen Schadensersatzansprüchen nach Aufdeckung eines Betrugs verneint.585 Es fehle an der Unmittelbarkeit, da mit der Aufdeckung ein Zwischenschritt erforderlich sei.586 Die Nachteilsfeststellung habe auf Grundlage des Tatplans des Täters zu erfolgen.587 Eine nähere Begründung für das Unmittelbarkeitserfordernis und insbesondere eine Auseinandersetzung mit der entgegenstehenden Rechtsprechung wurden allerdings nicht vorgenommen. Auch vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die Ausführungen des 5. Strafsenats im BGH-Urteil von 2009 eine Wende in der Rechtsprechung in diesem Bereich einleiten sollten.588 Diese wird durch ein weiteres Urteil des BGH (jetzt des 1. Strafsenats) nämlich in Frage gestellt. Jedenfalls für den Fall einer „materiell self-executing“ Sanktion (bei der die Sanktion zwingend ist; im konkreten Fall § 23a Abs. 1 PartG a. F.) sei eine schadensgleiche Vermögensgefährdung zu bejahen.589 Die sich daran anschließenden Ausführungen legen zunächst eine Rückkehr zu der Rechtsprechung vor dem obiter dictum des 5. Strafsenats 2009 nahe.590 Seitdem mehren sich aber Urteile, die ein Unmittelbarkeitserfordernis doch wieder bejahen.591 Dennoch ist die Position der Rechtsprechung widersprüchlich und wird es wohl bis zu einer Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen gem. § 132 GVG auch vorerst bleiben. Die Position der Recht-

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OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.1981 – 5 Ws 29/81 = NJW 1982, 190, 192. BGH, Urteil vom 17.07.2009 – 5 StR 394/08 = NJW 2009, 3173, 3175, Rn. 33 („Berliner Stadtreinigungsbetriebe“) (nicht in BGHSt 54, 44 abgedruckt). 586 BGH, a. a. O. 587 BGH, a. a. O. 588 Zweifel ebenfalls bei Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 217 und Mosiek, HRRS 2009, 565, 566 f. 589 BGH, Beschluss vom 13.04.2011 – 1 StR 94/10 = BGHSt 56, 203, 219 ff. (Rn. 56 ff.) = NJW 2011, 1747, 1751 (Rn. 56 ff.) („Kölner Parteispendenaffäre“). 590 BGH, Beschluss vom 13.04.2011 – 1 StR 94/10 = BGHSt 56, 203, 219 ff. (Rn. 56 ff.) = NJW 2011, 1747, 1751 (Rn. 56 ff.) („Kölner Parteispendenaffäre“). Kritisch deshalb Brand, NJW 2011, 1751 f. 591 Etwa BGH, Urteil vom 07.09.2011 – 2 StR 600/10 = NJW 2011, 3528, 3529; BGH, Beschluss vom 27.03.2012 – 3 StR 447/11 = HRRS 2012 Nr. 781; OLG Celle, Beschluss vom 23.08.2012 – 1 Ws 248/12 = BeckRS 2012, 20313. 585

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sprechung bezüglich der Annahme eines Unmittelbarkeitserfordernisses ist daher unklar und hängt von dem entscheidenden Senat ab.592 bb) Grundsätzlich schadensverneinende Stimmen Unter Verweis auf den fehlenden Unmittelbarkeitszusammenhang wird im Schrifttum das Vorliegen einer schadensgleichen Vermögensgefährdung verneint, wenn weitere Zwischenschritte bis zu dem Eintritt des Schadens erforderlich sind.593 Der Unmittelbarkeitszusammenhang sei erforderlich, um verfassungsrechtlichen Implikationen gerecht zu werden.594 Weiterhin führe eine Einbeziehung mittelbarer Nachteile zu einer faktischen Versuchsstrafbarkeit der Untreue.595 Schlussendlich sei das Unmittelbarkeitserfordernis bei dem Betrug anerkannt und aufgrund der systematischen Nähe von Betrug und Untreue auch bei der Untreue zu berücksichtigen.596 Folgte man dieser Ansicht, so läge weder bei Sanktionen noch bei Schadensersatzansprüchen gegen die Gesellschaft ein Nachteil vor, da jedenfalls Zwischenschritte, wie die Aufdeckung der Tat, erforderlich wären.597 cc) Differenzierende Ansätze Weiterhin gibt es differenzierende Ansätze, die nur teilweise mittelbare Folgen vom Nachteilsbegriff des § 266 StGB erfasst sehen. (1) Beschränkung der mittelbaren Folgen auf „materiell self-executing“ Sanktionen Ein eher restriktiver Ansatz berücksichtigt mittelbare Schäden als Vermögensnachteil i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB, wenn sie „materiell self-executing“ 598 sind, wenn sich also die Sanktion gleichsam selbst vollstreckt599 oder die Sanktion 592 Ähnlich Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 168: „Die Entwicklung der in diesem Punkt uneinheitlichen Rechtsprechung ist schwer abzuschätzen.“ 593 Gerkau, S. 234 ff.; HWSt-Seier, 5. Teil, 2. Kapitel, Rn. 211 ff.; Theile, wistra 2010, 457, 462. Auch Mosiek, HRRS 2009, 565, 566 f. im Anschluss an BGH, Urteil vom 17.07.2009 – 5 StR 394/08 = NJW 2009, 3173, 3175, Rn. 33 („Berliner Stadtreinigungsbetriebe“) und unter Hinweis auf verfassungsrechtliche Implikationen; ders., HRRS 2012, 454, 456 ff. und wohl auch Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 168. 594 Mosiek, HRRS 2009, 565, 566 f. 595 Mosiek, HRRS 2009, 565, 566 f. 596 HWSt-Seier, 5. Teil, 2. Kapitel, Rn. 212. 597 Etwas anders gelagert, aber im Ergebnis gleich, ist die Position bei Jäger, FSHarro Otto, S. 601 ff., der nur gewollte/beabsichtigte Schädigungen als nachteilsrelevant ansieht. 598 Zu diesem Begriff Saliger, Parteiengesetz und Strafrecht, S. 130, m.w. N. 599 Saliger, Parteiengesetz und Strafrecht, S. 130, 392 ff.; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 75.

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materiell zwingend (etwa Ermessensreduzierung auf null) ist.600 Demgegenüber mangele es bei Sanktionen, die ein Entschließungs- und/oder Auswahlermessen voraussetzen601 oder bei vermögensminderndem Verhalten (Schadensersatzansprüchen), das eigenmächtige Handlungen des Opfers oder Dritter voraussetzt,602 an der notwendigen konkreten Unmittelbarkeit. Folgte man dieser Auffassung, so käme es für die Annahme eines mittelbaren Nachteils i. S. d. § 266 StGB durch Straftaten der Kategorie B auf die Ausgestaltung der Sanktion/des Schadensersatzanspruchs gegen die Aktiengesellschaft an. Hat die Sanktionsnorm einen „materiell self-executing“-Charakter, so käme eine schadensgleiche Vermögensgefährdung in Betracht. Bei Sanktionsnormen, die dem verhängenden Akteur einen Ermessensspielraum zugestehen, fehlt es nach dieser Meinung an der notwendigen Unmittelbarkeit. Ferner setzen etwa Betrugs(§ 263 StGB) und Bestechungstaten (§§ 299 ff. und §§ 331 ff. StGB) des Vorstands stets Aufdeckung und dann vor allem Geltendmachung des Anspruchs durch den Geschädigten voraus. In letzteren Fällen läge folglich keine unmittelbare Schädigung vor. (2) Ermessensberücksichtigung bei der Figur des eigenverantwortlich dazwischentretenden Dritten Über die objektive Zurechnung möchte Brand eine Differenzierung vornehmen.603 Es soll eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten vorliegen, wenn dieser Ermessen bezüglich der Geltendmachung der Schadensersatzansprüche/der Sanktion habe. In diesen Fällen soll die objektive Zurechnung fehlen und kein dem Täter zurechenbarer Nachteil vorliegen. Andererseits sei die objektive Zurechnung zu bejahen, wenn der Dritte kein Ermessen bezüglich der Geltendmachung habe. Dann liege ein dem Täter zurechenbarer Nachteil vor. Allerdings wird der Dritte zur Geltendmachung regelmäßig vom Täter herausgefordert, unabhängig davon, ob die Geltendmachung in seinem Ermessen liegt oder nicht. Insoweit wäre es im Rahmen der Figur des Dazwischentretens eines Dritten naheliegend in jedem Fall die objektive Zurechnung und damit einen Nachteil zu bejahen.604 Die von Brand vorgeschlagene Differenzierung trägt daher eher nicht. 600 Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 75, 71 m.w. N. I. Erg. gleich Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 198. Zustimmend etwa Kraatz, ZStW 123 (2011), 447, 482; Rönnau, StV 2011, 753, 761 f. 601 Matt, NJW 2005, 389, 391; Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 134; Saliger, Parteiengesetz und Strafrecht, S. 130, 392 ff.; ders., in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 75. 602 Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 134; Saliger, NStZ 2007, 545, 549; ders., FSSamson, S. 455, 482, m.w. N. 603 Brand, NJW 2011, 1751, 1752. 604 Vgl. dazu im Ergebnis Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 45b.

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(3) Zurechnung bei pflicht- oder sonst sachgemäßen Verhaltens des Dritten Perron schlägt vor, eine Zurechnung immer zu bejahen, wenn der Dritte sich pflicht- oder sachgemäß verhält.605 Dies läuft auf eine weitgehende Bejahung von mittelbaren Nachteilen hinaus und erfasst jede Geltendmachung von Schadensersatz und Sanktion.606 Nur wenn der Täter eine Situation schafft, die Dritte durch rechtswidriges Verhalten zur Schädigung der Gesellschaft ausnutzten, sei eine Zurechnung zu verneinen. Im Ergebnis führt Perrons Position zu einer sehr weiten Einbeziehung mittelbarer Folgen, die jeden Schadensersatz und jede Sanktion als Nachteil i. S. d. § 266 StGB erfasst. dd) Prognosebasierende Literaturansätze Burger, der zwischen bereits entrichteter Sanktion und noch ausstehender Sanktion differenziert,607 und Bittmann lehnen ein Unmittelbarkeitserfordernis ab.608 Allerdings schlagen beide eine Einschränkung aufgrund einer Prognose der zukünftigen Entwicklung vor.609 Burger möchte hierbei eine schadensgleiche Vermögensgefährdung annehmen, wenn, bei noch ausstehenden Sanktionen (sonst liegt für ihn bereits ein Vermögensnachteil i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB vor610) das Risiko der Tatentdeckung hoch und die Verhängung einer Sanktion daher ernstlich nahe liegend war.611 Dieses Risiko müsse dann durch das Gericht im Nachgang der Aufdeckung beurteilt werden. Allein aus generalpräventiven Gesichtspunkten müsste und würde das Gericht bei tatsächlich erfolgter Aufdeckung für ein hohes Risiko der Tataufklärung votieren. Dies liefe dann auf eine weitgehende Bejahung der schadensgleichen Vermögensgefährdung bei Sanktionen gegen die Gesellschaft hinaus. Bittmann hingegen möchte an die notwendigen Zwischenschritte anknüpfen.612 Je mehr zum Eintritt des entsprechenden Ereignisses notwendig seien, desto günstiger müsste sich dies für den Täter auswirken.613 Welche Auswirkungen dies konkret sein sollen und wie viele Zwischenschritte notwendig seien sollen, damit sie sich strafmindernd auswirken können, bleibt offen. 605 Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 45b. Vgl. aber auch ders., in: FS-Heinz, S. 805. 606 Vgl. dazu die Beispiele bei Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 45b. 607 Burger, S. 192 f. Vgl. Kritik oben Kapitel 2 C. III. 3. b) aa). 608 Bittmann, NStZ 2012, 57, 60, 61; Burger, S. 287. 609 Ähnlich wohl auch Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 184. 610 Burger, S. 192 f. 611 Burger, S. 222. 612 Bittmann, NStZ 2012, 57, 61. 613 Bittmann, NStZ 2012, 57, 61.

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Insgesamt sehen sich die prognosebasierten Restriktionsvorschläge dem Vorwurf ausgesetzt, dass mit großer Wahrscheinlichkeit eine Entscheidung zu Ungunsten des Täters vom Gericht gefällt würde, da es kaum denkbar ist, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte dem Täter ein wahrscheinliches Unerkannt-Bleiben attestieren würden. d) „Möglichkeit“ und „Gewissheit“ als leitende Vorgaben der Einbeziehung mittelbarer Folgen Auf Grundlage der neueren verfassungsrechtlichen Entwicklung mit ihren Restriktionsvorgaben soll eine eigene Analyse der Notwendigkeit eines Unmittelbarkeitszusammenhangs im Rahmen des Nachteilsbegriffs vorgenommen werden, bb) und dd). Zusätzlich werden systematische Gesichtspunkte berücksichtigt, cc). Ausgehend von dem gefundenen Ergebnis [dd)] findet dann eine Untersuchung statt, ob und wann mittelbare Folgen der Tat (Schadensersatzansprüche und Sanktionen) eine schadensgleiche Vermögensgefährdung darstellen können, ee). Zunächst wird eine Subsumtion unter die Voraussetzungen der schadensgleichen Vermögensgefährdung versucht, aa). Eingehend ist nochmals festzustellen, dass der Tatbestand der Untreue, anders als der Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB kein objektiv (Vermögensverfügung) oder subjektiv (stoffgleiche Bereicherung) normiertes oder allgemein anerkanntes Merkmal beinhaltet, das mittelbare Schadens-/Nachteilsfolgen als tatbestandslos entfallen ließe. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinen beiden Untreuebeschlüssen nicht explizit zur Frage der Notwendigkeit eines unmittelbaren Nachteils geäußert, auch wenn dies maßgeblich restriktivierende Wirkung gehabt hätte. Teile von Rechtsprechung und Literatur gehen auch nach den beiden Untreuebeschlüssen des Verfassungsgerichts von einer weiten Einbeziehung mittelbarer Folgen der Pflichtverletzung aus.614 Dies begegnet erheblichen Bedenken und ist im Ergebnis abzulehnen. aa) Subsumtion unter die Voraussetzungen der schadensgleichen Vermögensgefährdung Maßgeblich für die Annahme einer schadensgleichen Vermögensgefährdung ist die Konkretheit der Gefährdung. Hier spielen die oben dargelegten drei Aspekte eine Rolle, die in zeitlicher und sachlicher Hinsicht eine Abgrenzung zu der Versuchsstrafbarkeit gewährleisten sollen.615 Der endgültige Schaden müsste 614 BGH, Beschluss vom 13.04.2011 – 1 StR 94/10 = BGHSt 56, 203, 219 ff. (Rn. 56 ff.) = NJW 2011, 1747, 1751 (Rn. 56 ff.) („Kölner Parteispendenaffäre“). Sehr weit Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 45b. 615 Vgl. Kapitel 2 C. III. 1.

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in zeitlicher Hinsicht „alsbald“ nach der Pflichtverletzung eintreten.616 Unabhängig von der Frage wann genau ein „alsbaldiger“ Eintritt eines Schadens vorliegt, ist anzumerken, dass die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen und die Verhängung von Sanktionen Monate, oftmals aber Jahre in Anspruch nehmen werden. Ob dann ein „alsbaldiger“ Schaden vorliegt, erscheint eher zweifelhaft.617 In sachlicher Hinsicht müsste der endgültige Vermögensverlust im Belieben des Täters stehen.618 Die hier skizzierten mittelbaren Schäden kommen aber erst durch ein Verhalten Dritter zustande. Jedoch könnte man dieses Kriterium insoweit einschränken, als dass der Dritte zu dem vermögensmindernden Verhalten durch den Täter herausgefordert worden ist. Jedenfalls stehen die schadensbegründenden Tatsachen619 bereits im Zeitpunkt der Pflichtverletzung fest. Bei reiner Subsumtion unter die oben skizzierten und durch das Bundesverfassungsgericht vorgeschlagenen Kriterien der schadensgleichen Vermögensgefährdung verbleiben zwar Zweifel bezüglich ihres Vorliegens, doch kann unter sehr weiter Auslegung der Merkmale eine Subsumtion gelingen. bb) Verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer tatbestandlichen Restriktion der Untreue Zwar hat das Bundesverfassungsgericht keine explizite Stellung bezüglich der Einbeziehung mittelbarer Schäden bezogen, doch lässt sich die Notwendigkeit einer restriktiven Handhabung mittelbarer Schäden zwischen den Zeilen herauslesen. Wie oben dargelegt können diese nur über die Figur der schadensgleichen Vermögensgefährdung berücksichtigt werden.620 Diese bewegt sich grundsätzlich nahe an der Versuchsstrafbarkeit und ist daher restriktiv anzuwenden.621 Den mittelbaren Folgen wohnt aber ein Prognoseelement inne, das eine erhebliche Unsicherheit bezüglich eines tatsächlich eintretenden Nachteils beinhaltet. Ob es später zu einer Schädigung der Gesellschaft kommt und somit die Annahme einer schadensgleichen Vermögensgefährdung richtig war, oder ob der Schaden ausbleibt und daher eher ein Versuchscharakter vorliegt, lässt sich im Zeitpunkt der Pflichtverletzung, wenn überhaupt, nur äußerst selten mit Sicherheit prognostizieren. Da die Untreue aber ein Erfolgsunrecht voraussetzt,622 darf bei ungewisser Vorhersage eines späteren Nachteils keine Bestrafung des Handelnden 616

Vgl. Kapitel 2 C. III. 1. Bejahend BGH, Beschluss vom 13.04.2011 – 1 StR 94/10 = BGHSt 56, 203, 220 (Rn. 58) = NJW 2011, 1747, 1751 (Rn. 58) („Kölner Parteispendenaffäre“). 618 Vgl. Kapitel 2 C. III. 1. 619 Vgl. Kapitel 2 C. III. 1. 620 Vgl. Kapitel 2 C. III. 3. b) aa). 621 Vgl. oben Kapitel 2 C. III. 1. 622 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 205 f. = NJW 2010, 3209, 3213 f. (Rn. 100). 617

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erfolgen. Dies deckt sich mit der Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass nach dem Grundsatz in dubio pro reo freizusprechen sei, wenn der Eintritt eines Schadens möglich, aber ungewiss erscheine.623 Aus verfassungsrechtlicher Sicht scheint vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 2 GG eine äußerst restriktive Handhabung der Bejahung mittelbarer Schadensfolgen als schadensgleiche Vermögensgefährdung geboten, um eine faktische Versuchsstrafbarkeit auszuschließen.624 Die Einbeziehung mittelbarer Schäden in die schadensgleiche Vermögensgefährdung muss also die „Gewissheit“ des Eintritts des Schadens als leitendes Motiv zugrundelegen, um verfassungsrechtlichen Maßstäben zu genügen. cc) Systematische Notwendigkeit einer tatbestandlichen Restriktion der Untreue Ferner erscheint es zu kurz aus dem bloßen Fehlen eines Unmittelbarkeitserfordernisses des Schadensbegriffs des Betrugs auf ein gänzliches Fehlen eines Unmittelbarkeitserfordernisses bei der Untreue zu schließen.625 Eher der gegenteilige Schluss wäre naheliegend: Da es an restriktivierenden Merkmalen (anders als beim Betrug) bei der Untreue außerhalb des Nachteilsbegriffs fehlt, sollte eine Restriktion bei der Beurteilung des Nachteils vorgenommen werden. Dafür spricht auch die Interpretation des Betrugstatbestands, der nach der weit überwiegenden Meinung bloß unmittelbare Schädigungen erfasst.626 Nur weil die Restriktion hier an einer anderen Stelle, nämlich der Vermögensverfügung, vorgenommen wird, die dem Untreuetatbestand fremd ist, kann daraus nicht geschlossen werden, dass es daher überhaupt kein Unmittelbarkeitserfordernis beim Nachteilsbegriff geben könne. Vielmehr legt ein Vergleich der systematisch ähnlichen Delikte nahe, dass grundsätzlich auch im Rahmen der Untreue ein Unmittelbarkeitserfordernis von Schäden zu gelten hat. dd) Zusammenfassung der bisherigen Ausführungen und Auseinandersetzung mit den oben aufgeführten Meinungen Bei reiner Subsumtion unter die eben skizzierten Voraussetzungen der schadensgleichen Vermögensgefährdung kann eine Einbeziehung der mittelbaren Schäden unter Umständen gelingen, aa). Allerdings besteht aus verfassungsrechtlicher [bb)] und systematischer [bb)] Betrachtung die Notwendigkeit der restriktiven Handhabung von mittelbaren Schäden. 623 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 206 = NJW 2010, 3209, 3214. (Rn. 100). 624 Auch Mosiek, HRRS 2009, 565, 566 f. weist auf eine notwendige restriktive Handhabung aus verfassungsrechtlicher Sicht hin. 625 So aber OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.1981 – 5 Ws 29/81 = NJW 1982, 190, 192. 626 Kapitel 2 C. III. 3. a).

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Deshalb können die Rechtsprechungstendenzen, die für eine weite Berücksichtigung mittelbarer Folgen plädieren,627 nicht überzeugen. Sie missachten die notwendige restriktive Handhabung und führen zu einer faktischen Versuchsstrafbarkeit. Gleiches gilt für Perrons Ansatz, der auf ein sach- bzw. pflichtgemäßes Verhalten des Dritten abstellen will.628 Insoweit ist den prognosebasierenden Restriktionsvorschlägen629 zugute zu halten, dass sie sich mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Merkmal der Gewissheit des Schadens zumindest theoretisch auseinandersetzen. Aus den oben bereits dargelegten Gründen sind die rein prognosebasierenden Meinungen allerdings im Ergebnis abzulehnen. Vieles spricht daher für eine Ablehnung der Einbeziehung mittelbarer Folgen. Die absolute Zugrundelegung eines Unmittelbarkeitserfordernisses für nachteilige mittelbare Folgen der Pflichtverletzung im Rahmen der schadensgleichen Vermögensgefährdung630 kann aber unter Umständen strafwürdige Konstellationen aus dem Anwendungsbereich der Untreue herausnehmen, die auch bei restriktiver Handhabung mittelbarer Folgen die Kriterien der schadensgleichen Vermögensgefährdung erfüllen würden. Hierbei ist namentlich an die „materiell self-executing“ Normen zu denken. Zusammenfassend: Grundsätzlich führen mittelbare Folgen, die einen Schaden am Gesellschaftsvermögen hervorrufen zu keinem Nachteil i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB. Ob aufgrund des konkreten Schadensersatzanspruchs oder der Art der verhängten Sanktion in bestimmten Fällen etwas anderes gelten muss, weil die mittelbare Folge bereits eine konkrete Gefährdung darstellt, soll im Folgenden untersucht werden. Hierbei soll die vom Bundesverfassungsgericht aufgeworfene „Gewissheit“ in Abgrenzung zur bloßen „Möglichkeit“ leitenden Charakter haben. ee) Folgen für Schadensersatz/Sanktion als Nachteil i. S. e. schadensgleichen Vermögensgefährdung Da Schadensersatzansprüche und staatliche Sanktionen unterschiedliche Voraussetzungen haben und unterschiedlichen Implikationen folgen, ist notwendigerweise zwischen ihnen zu differenzieren. (1) Schadensersatzansprüche Die Geltendmachung und Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen steht grundsätzlich im Belieben des geschädigten Dritten. Zwar ist die Geltendmachung und Durchsetzung eine naheliegende Folge, doch kann der Geschädigte 627 628 629 630

Kapitel 2 C. III. 3. c) aa). Kapitel 2 C. III. 3. c) cc) (3). Kapitel 2 C. III. 3. c) dd). Dies fordern die in Kapitel 2 C. III. 3. c) bb) dargelegten Stimmen.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

aus den verschiedensten Gründen von der Geltendmachung und Durchsetzung des Anspruchs absehen, etwa um die psychische Belastung eines Prozesses zu vermeiden oder weil der erwartete Umfang des Anspruchs gering erscheinen mag. Eventuell ist der Anspruchsgegner zahlungsunfähig, sodass eine Zwangsvollstreckung keinen Erfolg haben würde. Der endgültige Vermögensverlust steht bei Schadensersatzansprüchen also nicht im Belieben des Täters.631 Im Gegenteil ist im Zeitpunkt der Pflichtverletzung völlig unklar, ob der Schadensersatzanspruch überhaupt jemals geltend gemacht und durchgesetzt wird. Im Ergebnis liegt im Zeitpunkt der Pflichtverletzung bei der Auslösung von Schadensersatzansprüchen schon keine ausreichende Konkretheit der Gefährdung vor. Ein Schadenseintritt ist folglich möglich, aber nicht gewiss. Die Berücksichtigung von Schadensersatzansprüchen würde im Ergebnis zu einer unzulässigen Untreueversuchsstrafbarkeit des Aufsichtsrats führen. (2) Sanktionen Anders könnte es aber bei staatlichen Sanktionen aussehen, die auf bestimmte Straftaten des Vorstands folgen können. Das Feld der möglichen staatlichen Sanktionen gegen Unternehmen als Folge von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten ist im deutschen Recht und auf europäischer Ebene derzeit überschaubar. (a) Derzeitige Sanktionsmöglichkeiten im deutschen und europäischen Recht De lege lata besteht im deutschen Recht, anders als in den USA und anderen europäischen Staaten,632 kein Unternehmensstrafrecht.633 Allerdings gibt es verschiedene Sanktionsmöglichkeiten, die Unternehmen direkt und unmittelbar treffen. Hierbei ist zunächst § 30 OWiG zu nennen, der die Verhängung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen zulässt, wenn bestimmte Unternehmensverantwortliche Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen haben.634 Ferner bestehen auf dem Gebiet des Umweltrechts und des Kapitalmarktrechts mögliche Maßnahmen gegen Unternehmen.635 Auch können über Instrumente des Wirtschaftsverwaltungsrechts Maßnahmen mit sanktionierendem Charakter, wie etwa eine Betriebsschließung vorgenommen werden.636 Schlussendlich können die vermö631 Das fordert aber das BVerfG für die Annahme einer schadensgleichen Vermögensgefährdung, vgl. Kapitel 2 C. III. 1. 632 Kurze Übersicht mit weiteren Nachweisen bei Heine, in: Schönke/Schröder, Vorbemerkungen zu den §§ 25 ff., Rn. 122; Jäger, FS-Imme Roxin, S. 43 (Fn. 1). 633 Etwa Jäger, FS-Imme Roxin, S. 43; Schüppen, in: AnwHdb-Aktienrecht, § 24, Rn. 180; Trüg, wistra 2010, 241, 242; Weber-Rey, AG 2012, 365, 366. 634 Vgl. dazu eingehend Kirch-Heim, S. 18 ff. 635 Trüg, wistra 2010, 241, 244 f. 636 Vgl. dazu etwa Kirch-Heim, S. 27 ff.; Trüg, wistra 2010, 241, 244.

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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gensabschöpfenden Maßnahmen der §§ 73 ff. StGB gegen Kollektive verhängt werden.637 Auf europäischer Ebene können sich aus Kartellrechtsverstößen Sanktionen gegen ein Unternehmen ergeben.638 Allerdings geben alle bestehenden Sanktionsnormen dem Gesetzesanwender einen Ermessensspielraum bezüglich des Einschreitens und bezüglich der Bestimmung der Höhe/Schwere der Sanktion. Damit ist der Eintritt eines Schadens als Folge der Sanktion im Zeitpunkt der Pflichtverletzung, ähnlich wie bei den Schadensersatzansprüchen, möglich, aber nicht gewiss. Nach der verfassungsrechtlichen Leitlinie ist daher auch bei der derzeitigen Ausgestaltung der staatlichen Sanktionen keine hinreichende Konkretheit i. S. d. notwendigen verfassungsrechtlichen Restriktion gegeben. Die derzeitig denkbaren staatlichen Sanktionen gegen Unternehmen können keine schadensgleiche Vermögensgefährdung i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB darstellen. (b) Schadensgleiche Vermögensgefährdung durch „materiell self-executing“-Normen Im Fluss befindet sich aber derzeit die Debatte nach schärferen Sanktionen gegen Unternehmen, bei Verstößen gegen Straf- und Ordnungsnormen.639 Unter Berufung auf rechtsdogmatische und rechtspolitische Zweifel,640 sowie prozessuale Schwierigkeiten641 lehnen einige Stimmen die Einführung eines Unternehmensstrafrechts in Deutschland ab.642 Demgegenüber plädieren andere für die Einführung eines Unternehmensstrafrechts.643 Denkbar, wenn auch eher unwahrscheinlich, ist, dass im Zuge einer gesetzlichen Gestaltung eines Unternehmensstrafrechts auch „materiell self-executing“-Normen implementiert werden könnten. Im Ausland, das teilweise ein Unternehmensstrafrecht kennt, könnten bereits „materiell self-executing“-Normen existieren, die eine deutsche Aktiengesellschaft (etwa bei Listung an einer ausländischen Börse) bestrafen könnten.644 637

Vgl. Kirch-Heim, S. 24 ff. Kirch-Heim, S. 34 ff. 639 Vgl. etwa Jäger, FS-Imme Roxin, S. 43 ff.; Leipold, ZRP 2013, 34 ff.; Weber-Rey, AG 2012, 365 (mit weiteren Nachweisen in Fn. 2). Umfassende Nachweise zu Fragen des Unternehmensstrafrechts finden sich bei Heine, in: Schönke/Schröder, Vorbemerkungen zu den §§ 25 ff., Rn. 118. 640 Vgl. etwa Schmitz, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., Vorbemerkung zu den §§ 324 ff., Rn. 129. 641 Trüg, wistra 2010, 241, 248. 642 Aktuell etwa Leipold, ZRP 2013, 34, 37; Trüg, wistra 2010, 241, 249 f. Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht Weber-Rey, AG 2012, 365, 370. 643 Aktuell etwa Jäger, FS-Imme Roxin, S. 51 ff.; Kirch-Heim, S. 232 ff. 644 Eine Prüfung des gesamten ausländischen Unternehmensstrafrechts würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Es wird insoweit auf die (knappen) Ausführungen bei Engelhart, S. 57 ff.; Hüffer, CCZ 2008, 18 f.; Leipold, ZRP 2013, 34, 35; Trüg, wistra 2010, 241, 242 (weitere Nachweise in Fn. 8 ff.) verwiesen. 638

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

Hier würde bei Aufdeckung der Straftat die Verhängung einer Sanktion zwingende Folge sein, die nicht im Ermessen des Gesetzesanwenders stünde. Fraglich ist, ob in diesem seltenen Fall eine ausreichende Konkretheit der Gefährdung des Gesellschaftsvermögens gegeben ist. Hierfür spricht, dass zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung die Verhängung der Sanktion bereits soweit angelegt ist, dass es nur noch des Zwischenschrittes der Aufklärung der Tat bedarf. Anders als bei den oben diskutierten Schadensersatzansprüchen und Sanktionsnormen, ist ein Schaden, auch wenn er mittelbar ist, nicht bloß möglich, sondern gewiss. Selbst bei restriktiver Einbeziehung der mittelbaren Folgen von Taten liegt hier eine hinreichende Konkretheit vor, die eine Bejahung einer schadensgleichen Vermögensgefährdung rechtfertigen würde. ff) Ergebnis Schadensersatzansprüche und staatliche Sanktionen gegen die Gesellschaft, die auf eine Vorstandsstraftat folgen können, stellen keinen Nachteil i. S. e. schadensgleichen Vermögensgefährdung dar, da andernfalls die systematisch und verfassungsrechtlich notwendige restriktive Einbeziehung mittelbarer Schäden zu einer faktischen Versuchsstrafbarkeit führen würde. Einzig bei „materiell self-executing“-Sanktionsnormen kann, aufgrund der Gewissheit des Schadenseintritts, eine schadensgleiche Vermögensgefährdung bejaht werden. Da derzeit aber keine „materiell self-executing“-Norm besteht, die eine Sanktionierung von Unternehmen bestimmt, fehlt in der Praxis die Möglichkeit der Herbeiführung einer schadensgleichen Vermögensgefährdung. e) Ergebnis für die Straftaten der Kategorie B Unter dem derzeit geltenden deutschen Recht können die Straftaten der Kategorie B, entgegen einzelnen Stimmen in der Literatur, keinen Nachteil i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB, auch nicht als schadensgleiche Vermögensgefährdung, hervorrufen. 4. Vermögensnachteil durch Straftaten der Kategorie C Die Straftaten der Kategorie C betreffen gegenüber den Kategorien A und B die Gesellschaft direkt und unmittelbar. Hier könnte bereits mit der Pflichtverletzung ein Schaden eingetreten sein. a) Vermögensnachteil durch Straftaten der Unterkategorie I (Straftaten gegen die Gesellschaft) Die Straftaten der Kategorie C, Unterkategorie I 645 bezwecken nicht den Schutz des Vermögens der Gesellschaft, sondern den Schutz anderer Gesell645

Kapitel 1 B. II. 3. c) aa).

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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schaftsgüter und führen, mit Ausnahme der Eigentumsdelikte [vgl. diesbezüglich Kapitel 2 C. III. 4. b) bb)], auch nicht faktisch zu einer Vermögensminderung. Mit Vollendung liegt daher regelmäßig (noch) kein Schaden am Gesellschaftsvermögen vor. Die Gesamtsaldierung vor und nach der Pflichtverletzung wird daher i. d. R. keine (wirtschaftlich) nachteilige Abweichung am Gesellschaftsvermögen ergeben. In vielen Fällen ist das spätere Eintreten eines Nachteils allerdings denkbar, etwa nach dem Verrat eines Geschäftsgeheimnisses. Anders als in den Fällen der eben diskutierten Kategorie B ist ein Schaden der Gesellschaft nicht von vornherein angelegt, sondern eine Folge, die nach Vollendung der Vorstandsstraftat bloß eintreten kann. Mögliche Schäden sind regelmäßig im Zeitpunkt der Pflichtverletzung (noch) nicht absehbar. Es fehlt bereits an dem zeitlichen Element und an dem Vorliegen der schadensbegründenden Tatsachen, sodass auch eine schadensgleiche Vermögensgefährdung nicht vorliegt. b) Vermögensnachteil durch Straftaten der Unterkategorie II (unmittelbar schadende Straftaten) Verhältnismäßig unproblematisch stellt sich die Bewertung der Straftaten der Kategorie C, Unterkategorie II (Straftaten, die unmittelbar das Gesellschaftsvermögen schädigen) dar: aa) Straftaten mit rechtlichem Schutz des Gesellschaftsvermögens Die Straftaten, die bereits rechtlich den Schutz des Gesellschaftsvermögens bewirken,646 führen im Zeitpunkt ihrer Vollendung zu einer Minderung des Gesellschaftsvermögens, da tatbestandsmäßig ein Schaden/Nachteil am Gesellschaftsvermögen Voraussetzung der jeweiligen Straftat ist. In dieser Höhe liegt dann auch ein Vermögensnachteil i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB vor. Hier wird es (i. d. R.) keine Kompensation geben, die den Nachteil ausgleichen könnte. Das Unterlassen des Aufsichtsrats führt dann (kausal und unmittelbar) zu einem Nachteil an dem Gesellschaftsvermögen. In diesen Fällen liegt ein zurechenbarer Vermögensnachteil i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB vor. Dies betrifft die Vorstandsstraftaten der Erpressung (§§ 253 ff. StGB), des Betrugs (§ 263 StGB), des Computerbetrugs (§ 263a StGB) und der Untreue (§ 266 StGB) zu Lasten der Aktiengesellschaft.647 bb) Straftaten, die faktisch den Schutz des Gesellschaftsvermögens bewirken Ähnlich ist die Beurteilung eines Vermögensnachteils i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB, wenn Straftaten vorliegen, die (bloß) faktisch den Schutz des Gesell646 647

Kapitel 1 B. II. 3. c) bb) (1). Siehe für die Verhinderungsmaßnahmen im Einzelfall Kapitel 3 E. IV. 2.

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

schaftsvermögens bewirken.648 Wie oben ausgeführt entsteht im Fall des §§ 283 Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB und des § 299 Abs. 1 StGB sowie bei den Eigentumsdelikten [vgl. dazu Kapitel 1 B. II. 3. c) aa)] oftmals auch ein Schaden am Gesellschaftsvermögen. Da dies aber keine tatbestandliche Voraussetzung der Delikte ist, müsste im Einzelfall durch das Gericht untersucht werden, ob auch tatsächlich ein Nachteil am Gesellschaftsvermögen entstanden ist. Hierbei darf nicht von der Pflichtwidrigkeit der unterlassenen Handlung des Aufsichtsrats auf das Vorliegen des Vermögensschadens geschlossen werden.649 Vielmehr müsste das Gericht, entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben, den Nachteil der Höhe nach beziffern und dessen Ermittlung in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise in den Urteilsgründen darlegen.650 Da der Nachteil dann aber kausal und unmittelbar aus der Pflichtverletzung folgt, kann auch in diesen Fällen ein Vermögensnachteil i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB vorliegen. Dies betrifft die Vorstandsstraftaten zu Lasten des Eigentums der Gesellschaft (Diebstahl, §§ 242 ff. StGB; Unterschlagung, § 246 StGB; Raub, §§ 249 ff. StGB; Sachbeschädigung, § 303 StGB und Brandstiftung, § 306 StGB) und Bankrott (§§ 283 Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und eine passive Bestechung (§ 299 Abs. 1 StGB) zu Lasten der Aktiengesellschaft.651 5. Ergebnis für das Tatbestandsmerkmal des Vermögensnachteils Bei Straftaten der Kategorie A wird es nicht zu einem Vermögensschaden kommen, 2. Straftaten der Kategorie B können bloß zu mittelbaren Schäden am Gesellschaftsvermögen führen. Da aber eine restriktive Einbeziehung mittelbarer Schäden systematisch und verfassungsrechtlich geboten ist, führen diese Taten nur zu einer schadensgleichen Vermögensgefährdung, wenn bei staatlichen Sanktionen die Sanktionsnorm „materiell self-executing“-Charakter hat. Derzeit existiert im deutschen Recht keine solche Norm für Unternehmenssanktionen. Da Schadensersatzansprüche und die derzeit geltenden Sanktionsnormen nicht die Voraussetzungen der restriktiven Einbeziehung von mittelbaren Schäden erfüllen, führen die Straftaten der Kategorie B nicht zu einem Vermögensnachteil i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB, 3. Ein Vermögensnachteil i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB liegt nur bei Straftaten der Kategorie C, Unterkategorie II vor, also bei Straftaten, die das Gesellschaftsvermögen rechtlich oder faktisch unmittelbar mindern, 4. b). Welche dieser Straftaten (und dann wie) zu verhindern sind, lässt sich Kapitel 3 E. IV. entnehmen. 648

Kapitel 1 B. II. 3. c) bb) (2). Kapitel 2 A. II. 1. 650 BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u. a. = BVerfGE 126, 170, 211 f. = NJW 2010, 3209, 3215 (Rn. 113 ff.). 651 Siehe für die Verhinderungsmaßnahmen im Einzelfall Kapitel 3 E. IV. 1. d) (bzgl. Eigentumsdelikte) und Kapitel 3 E. IV. 2. b) (bzgl. Bestechlichkeit und Bankrott). 649

C. Die Treubruchsvariante, § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB

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IV. Kausalität und objektive Zurechnung bei Beschlüssen Für die Verantwortlichkeit des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds spielen die Fragen der Kausalität und objektiven Zurechnung eine entscheidende Rolle. Nur dasjenige Aufsichtsratsmitglied kann strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, das kausal und objektiv zurechenbar die Straftat nicht verhindert hat. Hierbei ist zu beachten, dass nicht das einzelne Aufsichtsratsmitglied Entscheidungen trifft. Dies geschieht im Gesamtgremium oder im zuständigen Ausschuss. Wenn aber eine Mehrheitsentscheidung im Gremium getroffen wird, in der beispielsweise eine Abberufung des Vorstandsmitglieds gem. § 84 Abs. 3 AktG mit 5:1 Stimmen abgelehnt wird, könnten sich die ablehnend stimmenden Mitglieder jeweils darauf berufen, dass eine andere Stimmabgabe (Enthaltung oder Stimmabgabe für Abberufung) das Gesamtergebnis nicht beeinflusst hätte, sie also streng genommen nicht kausal gehandelt haben.652 Ein solches Ergebnis würde aber dem Rechtsgefühl eklatant widersprechen.653 Der BGH rechnet das Abstimmungsverhalten der einzelnen Gremiumsmitglieder den anderen zu.654 Dieser Ansatz ist in der Literatur kritisiert worden655 und ihm sind Alternativvorschläge gegenüber gestellt worden.656 Hier soll auf eine nähere Untersuchung dieser Problematik verzichtet werden. Im Ergebnis steht fest, dass das einzelne Aufsichtsratsmitglied kausal und zurechenbar für den strafrechtlichen Erfolg handelt, sofern es nicht für die zu treffende Maßnahme stimmt, die den Erfolg verhindern würde.657

V. Bestrafung als Täter Täter der Untreue ist derjenige, der vermögensbetreuungspflichtig ist.658 Dies folgt aus der Sonderdeliktsstellung der Untreue. Das Aufsichtsratsmitglied ist vermögensbetreuungspflichtig.659 Es handelt gegebenenfalls selbst dann täterschaftlich, wenn es sich im Rahmen einer Gremienentscheidung bloß enthält.660 652

Vgl. etwa Gercke, in: AnwK-StGB, § 13, Rn. 7; Poseck, S. 165 ff. Hilgendorf, NStZ 1994, 561, 562; Schilha, S. 382. 654 BGH, Urteil vom 06.07.1990 – 2 StR 549/89 = BGHSt 37, 106, 130 = NJW 1990, 2560, 2566 f. („Lederspray“). 655 Vgl. etwa Schilha, S. 384 f. 656 Übersicht bei Schilha, S. 383 ff. 657 Vgl. zu den Anforderungen an das Aufsichtsratsmitglied Kapitel 2 C. II. 4. d). 658 Aus der Rechtsprechung etwa BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 202 = NJW 2002, 1585, 1589 („SSV Reutlingen“). Aus der Literatur etwa Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 236; Fischer, StGB, § 266, Rn. 185; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 107; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 51. 659 Vgl. oben Kapitel 2 C. I. 2. a), b). 660 BGH, Urteil vom 21.12.2005 – 3 StR 470/04 = BGHSt 50, 331 = NJW 2006, 522, 527 (Rn. 45 f.) („Mannesmann/Vodafone“), nicht abgedruckt in BGHSt 50, 331. Kritisch Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 107, m.w. N. Vgl. dazu auch Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 245 ff. 653

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Kap. 2: Die Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB

Aufsichtsratsmitglieder sind daher regelmäßig Täter einer Untreue, wenn sie nicht gegen die beabsichtigte Vorstandsstraftat entsprechend vorgehen.661 Ist der Vorstand bloß Teilnehmer einer Straftat (etwa als Gehilfe eines Betrugs/ Diebstahls zu Lasten der Aktiengesellschaft), so ist aufgrund des Sonderdeliktscharakters der Untreue auch in diesen Fällen der Aufsichtsrat als Täter zu bestrafen.662 Die Untreue knüpft nämlich nicht an der Straftat des Vorstands an, sondern an der eigenen Pflichtverletzung des Aufsichtsrats. Vorstandsstrafbarkeit und Aufsichtsratsstrafbarkeit sind daher im Rahmen der Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats bei Vorstandsstraftaten nicht akzessorisch.663 Allerdings ist hier im Einzelfall zu untersuchen, ob dem Aufsichtsrat tatsächlich eine Verhinderungsmöglichkeit gegeben ist, die gleichzeitig auch die Haupttat verhindern kann, da allein diese zu einer Gesellschaftsschädigung führt.

VI. Ergebnis für die Treubruchsvariante Die Aufsichtsratsmitglieder sind vermögensbetreuungspflichtig gegenüber der Aktiengesellschaft, nicht aber gegenüber den Aktionären der AG, den Gläubigern der AG oder Dritten/der Allgemeinheit, vgl. I. Aufsichtsräte haben die Pflicht „geschäftsführungsbezogene“ Straftaten des Vorstands abzuwenden. Dies sind solche Taten, die der Vorstand in sachlich-inhaltlicher Verantwortung begeht, im Ergebnis alle Taten bis auf private Taten. Bagatellfälle scheiden aus. Dies alles folgt unmittelbar aus § 111 Abs. 1 AktG, vgl. II. 2. b) aa). Für die Verhinderung der Vorstandsstraftaten muss der Aufsichtsrat den Vorstand grundsätzlich entweder gem. § 84 Abs. 3 AktG von seinem Amt abberufen oder, sofern es sich um rechtliche, gesellschaftsintern wirkende Maßnahmen handelt, einen Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG einrichten und ausüben. Im Einzelfall kann auch eine andere Maßnahme geboten sein.664 Er handelt pflichtwidrig, wenn er von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch macht, II. 3. und 4. Ein untreuerelevanter Vermögensnachteil kann allerdings nur bei Straftaten der Kategorie C, Unterkategorie II entstehen, vgl. III. 4. b). Straftaten der Kategorie B schaden dem Gesellschaftsvermögen nur mittelbar. Da bei Schadensersatzansprüchen und den bestehenden Sanktionsmöglichkeiten nur die Möglichkeit eines Schadens 661 So bereits Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510; Mosiek, wistra 2003, 370, 374 f.; Tiedemann, FS-Tröndle, S. 322. Auf Grundlage der hier getätigten Ausführungen daher zweifelhaft: Schüppen, in: AnwHdb-Aktienrecht, § 24, Rn. 204. 662 Grundsätzlich für vergleichbare Konstellationen BGH, Urteil vom 12.01.1956 – 3 StR 626/54 = BGHSt 9, 203, 217 f. = NJW 1956, 1326; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 266, Rn. 127; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 107, m.w. N. 663 Anders aber bei der unmittelbaren Anknüpfung der Aufsichtsratsstrafbarkeit an die Vorstandsstrafbarkeit, Kapitel 3 E. I. 2. b). Kritische Würdigung unter Kapitel 4 D. II. 664 Vgl. Kapitel 3 E. IV.

D. Ergebnis für Kapitel 2

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besteht, liegt keine schadensgleiche Vermögensgefährdung vor, III. 3. Schlussendlich sind die Aufsichtsratsmitglieder bei Vorliegen der Voraussetzungen Täter einer Untreue, V. Aufsichtsratsmitglieder erfüllen die Tatbestandsvoraussetzungen der Treubruchsvariante, wenn sie den Vorstand nicht von Straftaten, die rechtlich oder faktisch unmittelbar zu Lasten des Gesellschaftsvermögens gehen, abhalten.

D. Ergebnis für Kapitel 2 Aufsichtsratsmitglieder sind Täter (C. V.) einer Untreue gem. § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB (Treubruchsvariante), wenn sie entgegen ihrer aktienrechtlichen Pflicht aus § 111 Abs. 1 AktG (C. II. 2.) nicht gegen bevorstehende Vorstandsstraftaten einschreiten. Hierfür stehen ihnen grundsätzlich die Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG abberufen [C. II. 3. b) bb) (3)] und in wenigen Ausnahmefällen die Einrichtung und Ausübung eines Zustimmungsvorbehalts gem. § 111 Abs. 4 AktG [C. II. 3. b) bb) (6)] zur Verfügung. Das Nachteilsmerkmal ist nur bei Straftaten der Kategorie C, Unterkategorie II erfüllt, C. III. 4. b). Eine Untreue des Aufsichtsrats liegt also nur dann vor, wenn folgende Vorstandsstraftaten zu Lasten der Gesellschaft zugrundeliegen: Erpressung gem. §§ 253 ff. StGB, Betrug gem. § 263 StGB, Computerbetrug gem. § 263a StGB und Untreue gem. § 266 StGB als rechtlich unmittelbar schadende Straftaten sowie folgende faktisch unmittelbar schadende Eigentumsdelikte: Diebstahl gem. §§ 242 ff. StGB, Unterschlagung gem. § 246 StGB, Raub gem. §§ 249 ff. StGB, Sachbeschädigung gem. § 303 StGB und Brandstiftung gem. § 306 StGB. Ferner die ebenfalls faktisch unmittelbar schadenden Straftaten des Bankrotts gem. §§ 283 Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB und der passiven Bestechung gem. § 299 Abs. 1 StGB.665

665

Vgl. zur jeweiligen Verhinderungsmaßnahme Kapitel 3 E. IV.

Kapitel 3

Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit: Konkretes Vorstandsdelikt i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB als Straftat des Aufsichtsrats Das zweite Kapitel hat gezeigt, dass sich der Aufsichtsrat als Täter einer Untreue gem. § 266 StGB strafbar machen kann. Nun folgt eine Untersuchung der „allgemeinen“ Unterlassensstrafbarkeit, wie sie bereits in der Einleitung beschrieben worden ist.1 Das Aufsichtsratsmitglied könnte sich als Beteiligter der Vorstandsstraftat strafbar machen. Anders als bei der Untreue geht es nun nicht um ein aktienrechtlich pflichtwidriges Verhalten des Aufsichtsrats, das zu Vermögensschäden führt, sondern um die konkrete durch das Vorstandsmitglied begangene Straftat, zu deren Abwendung der Aufsichtsrat verpflichtet ist, wenn er für das durch die Vorstandsstraftat betroffene Rechtsgut eine Garantenstellung innehat.2 Dreh- und Angelpunkt ist hierbei die Garantenstellung des Aufsichtsrats und ihre Reichweite. Sie bestimmt (zunächst abstrakt), ob eine Strafbarkeit des Aufsichtsrats möglich ist, wenn der Vorstand strafrechtlich relevantes Verhalten an den Tag legt. Die sich nun anschließende Prüfung einer Strafbarkeit des Aufsichtsrats gem. des konkreten Vorstandsdelikts i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB vollzieht sich gewissermaßen in drei Schritten. Zunächst werden in Schritt eins die Grundlagen der Unterlassensstrafbarkeit untersucht und dabei Kriterien für die nachfolgende Prüfung aufgestellt (dogmatische Grundlage der Unterlassensstrafbarkeit, A. I. und Bestimmung der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, A. II.). Der zweite Schritt widmet sich den potentiellen Anknüpfungspunkten einer allgemeinen Unterlassensstrafbarkeit. Hier wird zum einen die spezielle Fallgruppe der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft auf ihre Anwendbarkeit auf den Aufsichtsrat hin untersucht, B. Zum anderen wird eine abstrakte Untersuchung der beiden möglichen Anknüpfungspunkte der allgemeinen Unterlassensstrafbarkeit vorgenommen (Der Aufsichtsrat als Überwachergarant, C. und Beschützergarantenstellungen des Aufsichtsrats, D.). Schlussendlich findet als drittes eine Untersuchung der konkreten Strafbarkeit des Aufsichtsrats statt, E. Strukturelle Grundlage ist hierbei die in der Einführung vorgenommene Einteilung der Vorstandsstraftaten.3 So entsteht am Ende ein Ka1 2 3

Kapitel 1 C. II. Vgl. zu den unterschiedlichen Ansatzpunkten auch Kapitel 1 C. II. Kapitel 1 B. II. 3 .

A. Grundlagen der Unterlassensstrafbarkeit

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talog, der die Strafbarkeitsrisiken des Aufsichtsrats in dieser Konstellation aus der „allgemeinen“ Unterlassensstrafbarkeit nicht nur abstrakt, sondern konkret erfasst.

A. Grundlagen der Unterlassensstrafbarkeit In einem ersten Schritt werden nun zwei wichtige Vorfragen geklärt, die wesentlichen Einfluss auf die abstrakte und konkrete Untersuchung der Strafbarkeitsrisiken des Aufsichtsrats im Rahmen der „allgemeinen“ Unterlassensstrafbarkeit haben. Dies ist einmal die Frage nach der dogmatischen Grundlage der Garantenstellung. Die Antwort auf diese Frage hat, auch wenn sie im Folgenden nicht in der letzten Tiefe diskutiert werden kann, Einfluss auf die Prüfung der vorliegenden Konstellation, da sie das zugrundeliegende dogmatische Modell festzurrt und so den Rahmen und die Begründung für die notwendigen Voraussetzungen einer Garantenstellung liefert. Zweitens ist die Beteiligungsform des Aufsichtsrats zu klären. Es wird hierbei untersucht, welche Beteiligungsform für die vorliegende Konstellation überhaupt in Betracht kommt. Da die Unterlassensstrafbarkeit des Aufsichtsrats sich an eine aktiv begangene Tat einer anderen Person – des Vorstandsmitglieds – gewissermaßen anschließt, wird ferner erforscht, ob eine Antwort auf die Frage der Beteiligungsform des Aufsichtsratsmitglieds schon im Vorhinein möglich ist oder ob diese anhand der konkreten Handlung bzw. des konkreten Delikts zu bestimmen ist.

I. Dogmatische Grundlage der Garantenstellung Für unechte Unterlassensdelikte regelt § 13 Abs. 1 StGB die besonderen Anforderungen einer Unterlassensstrafbarkeit.4 Es muss insbesondere eine Garantenpflicht bestehen. Der Unterlassende muss „rechtlich dafür einzustehen haben, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt“, § 13 Abs. 1 StGB. Die Antwort auf die Frage, wann jemand für etwas rechtlich einzustehen hat – er also eine Garantenpflicht innehat – wird vom Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB aber nicht geliefert.5 Auch deshalb hat sich an der Fassung des § 13 Abs. 1 StGB verfassungsrechtliche Kritik entzündet, die eine Unbestimmtheit i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG annimmt.6 In Rechtsprechung und Wissenschaft ist umstritten, wie Garantenstel4 Überblick über die Anforderungen an den objektiven Tatbestand des unechten Unterlassensdelikts bei Krey/Esser, Rn. 1104; Wessels/Beulke, Rn. 706 ff. 5 Insb. Roxin, AT II, § 32, Rn. 2; Schilha, S. 107. Aber auch Fischer, StGB, § 13, Rn. 9, 10; Heuchemer, in: BK-StGB, § 13, Rn. 30. 6 Etwa Bung, ZStW 120 (2008), 526, 539 f., m.w. N. Sehr kritisch auch Baumann/ Weber/Mitsch-Mitsch, AT, § 15, Rn. 39 ff. Für Verfassungskonformität aber BVerfG, Beschluss vom 21.11.2002 – 2 BvR 2202/01 = NJW 2003, 1030; Roxin, AT II, § 31, Rn. 33; Wessels/Beulke, Rn. 716. Vgl. aber auch Krey/Esser, Rn. 1170; Kudlich, in: S/S/ W-StGB, § 13, Rn. 3; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 5/6.

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

lungen begründet und eingeteilt werden können, bzw. welche Anforderungen an sie zu stellen sind. Während insbesondere ältere Stimmen eine formale Herleitung anstreben,7 wird heute überwiegend eine Einteilung der Garantenstellung in „Beschützer-“ und „Überwachergarant“ vorgenommen.8 Roxin bezeichnet die hier aufgeworfene Problematik nach dem Ursprung bzw. der rechtlichen Grundlage der Garantenstellung als das „heute noch umstrittenste und dunkelste Kapitel in der Dogmatik des Allgemeinen Teils“.9 Die folgende kurze Auseinandersetzung wird die am nächsten liegende Lösung aufzeigen und zur Grundlage der folgenden Analyse der Strafbarkeit des Aufsichtsrats machen. Auf eine umfassende Analyse der Frage der Grundlage der Garantenstellung wird aus Platzgründen und aufgrund des praxisnahen Ansatzes der vorliegenden Arbeit verzichtet, da die praktischen Unterschiede der verschiedenen Ansätze eher gering erscheinen.10 1. Formaler Ansatz (Rechtspflichtlehre) und Ablehnung desselbigen Ein älterer Ansatz versucht die Garantenstellung direkt und unmittelbar aus Gesetz, Vertrag und vorgegangenem Tun (Ingerenz) sowie aus enger Lebens- und Gefahrgemeinschaft herzuleiten.11 Dieser Ansatz wird heute nur noch in Kombination mit dem sogleich dargestellten materiellen Ansatz vertreten.12 Kritikwürdig erscheint am formalistischen Begründungsansatz zunächst der dogmatische Bruch, wenn neben den streng formalen Grundlagen des Gesetzes und des Vertrags auch Ingerenz und eine enge Lebens- und Gefahrgemeinschaft Grundlage der Garantenstellung sein können, die eine faktische, aber keine rechtliche Grundlage haben.13 Ferner vermag der allgemeine Verweis auf „Gesetz und Vertrag“ nicht zu überzeugen, da er bloß die Quelle, aber nicht die (allgemeine) Grundlage einer Garantenstellung aufzeigen kann.14 Schlussendlich erscheint 7

Zunächst Feuerbach, Peinliches Recht, 14. Aufl. 1847, § 24 (S. 50). Die auf A. Kaufmann, S. 282 ff. zurückgeht. 9 Roxin, AT II, § 32, Rn. 2. Ähnlich Schünemann, FS-Amelung, S. 304: „Dogmatisches Chaos“. 10 Vgl. etwa eingehender zur Frage der Grundlage der Garantenstellungen etwa Coelln, S. 87 ff.; Roxin, AT II, § 32, Rn. 3 ff. 11 Zunächst Feuerbach, Peinliches Recht, § 24 (S. 50) (Gesetz oder Vertrag). Später dann auch Ingerenz und enge Lebens- und Gefahrgemeinschaft, aus der Rechtsprechung etwa RG, Urteil vom 10.09.1935 – 1 D 626/35 = RGSt 69, 321, 323; RG, Urteil vom 30.11.1939 – 5 D 735/39 = RGSt 73, 389. 12 Etwa Krey/Esser, Rn. 1128. Kritisch dazu Roxin, AT II, § 32, Rn. 22. Anders wohl BGH, Urteil vom 17.07.2009 – 5 StR 394/08 = BGHSt 54, 44, 48 (Rn. 23) = NJW 2009, 3173, 3174 (Rn. 23) („Berliner Stadtreinigungsbetriebe“), der den Ansatz einer Unterscheidung von Beschützer- und Überwachergarant in Frage stellt. Kritik an der Position des BGH bei Schwarz, wistra 2012, 13, 15. 13 Ähnlich Roxin, AT II, § 32, Rn. 16; Schilha, S. 110. 14 Vgl. eingehend Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 13, Rn. 31; Schilha, S. 110, m.w. N. 8

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fraglich, ob ein formaler Begründungsansatz der gesetzlich notwendigen Entsprechungsvoraussetzung von Tun und Unterlassen genügen kann.15 Im Ergebnis kann der rein formale Ansatz einer Begründung der Garantenstellung nicht überzeugen und ist daher abzulehnen.16 2. Materieller Ansatz (Zweiteilungslehre) Einen anderen Ansatz wählt die auf Armin Kaufmann zurückgehende Zweiteilungslehre.17 Diese hat in Kaufmanns Interpretation zunächst auch eine formale Ausgestaltung. Auf der einen Seite kann eine Garantenstellung aus einer „Schutzposition gegenüber einem Rechtsgut“ (Beschützergarant) erwachsen, andererseits auch aus einer „Verantwortung für eine bestimmte Gefahrenquelle“ (Überwachergarant). Diese funktionale Zweiteilung führt zunächst durch Bildung zweier Obergruppen zu einer gesteigerten Übersichtlichkeit. Über die inhaltliche Ausgestaltung, also warum eine entsprechende Garantenstellung gegeben ist, sagt sie aber selbst nichts aus.18 Der Unterlassende ist nicht deshalb handlungspflichtig, weil man ihn Beschützer oder Überwacher nennt, sondern er wird so bezeichnet, weil er für handlungspflichtig gehalten wird.19 Es ist daher notwendigerweise zu klären, warum er handlungspflichtig ist, um Begründung und Begrenzung von Garantenstellungen erklären zu können. Hierzu haben sich verschiedene Ansätze entwickelt, die hier nicht im Einzelnen dargestellt und thematisiert werden sollen.20 Ein einheitliches Prinzip für die Begründung von Garantenstellungen, das weitgehend akzeptiert wäre, ist bis heute nicht gefunden worden.21 Populäre Ansätze sind dabei das „Vertrauensprinzip“, das die Garantenstellungen aus dem Vertrauen (des Schutzobjektes) in das Tätigwerden des Unterlassenden begründet,22 die „Gefahrverursachungsmethode“, die die Garantenstellungen 15

Verneinend etwa Roxin, AT II, § 32, Rn. 10 ff.; Schilha, S. 111, m.w. N. Vgl. nur Roxin, AT II, § 32, Rn. 10 ff.; Wessels/Beulke, Rn. 716. A. A. offensichtlich BGH, Urteil vom 17.07.2009 – 5 StR 394/08 = BGHSt 54, 44, 48 (Rn. 23) = NJW 2009, 3173, 3174 (Rn. 23) („Berliner Stadtreinigungsbetriebe“). 17 A. Kaufmann, S. 282 ff. Dieser Ansatz entspricht heute h. M. Vgl. etwa Fischer, StGB, § 13, Rn. 9 ff. Heuchemer, in: BK-StGB, § 13, Rn. 34 ff. Aus der Rechtsprechung befürwortend etwa BGH, Urteil vom 06.11.2002 – 5 StR 281/01 = BGHSt 48, 77, 91 f. = NJW 2003, 522, 525 („Politbüro“). 18 Zu Recht kritisch diesbezüglich etwa Jakobs, AT, 29. Abschnitt, Rn. 27; Roxin, AT II, § 32, Rn. 22, m.w. N.; Schilha, S. 112 f.; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 23; Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 13, Rn. 32, m.w. N. 19 Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 13, Rn. 32, m.w. N. 20 Vgl. insoweit etwa Coelln, S. 87 ff.; Jakobs, AT, 29. Abschnitt, Rn. 28 (Fn. 53); Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 13, Rn. 13 ff.; Roxin, AT II, § 32, Rn. 6 ff., 17 ff.; Schilha, S. 113 ff.; Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 13, Rn. 33 ff. 21 Kühl, AT, § 18, Rn. 42. 22 Zunächst Wolff, S. 33 ff. Befürwortend wohl auch Otto, Grundkurs § 9, Rn. 28. 16

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als funktionales Äquivalent zur Kausalität beim positiven Tun sieht23 und „soziale und soziologisch fundierte“ Methoden, die, mit unterschiedlichen Akzenten,24 soziale und soziologische Grundlagen für die Begründung von Garantenstellungen suchen.25 Allerdings sehen sich diese Ansätze berechtigter Kritik ausgesetzt.26 Das Vertrauensprinzip ist zu unbestimmt und wirft mehr Fragen auf als es löst.27 Arzts Gefahrverursachungsmethode kann im Ergebnis keine Rechtssicherheit gewährleisten.28 Die sozialen und soziologischen Methoden sehen sich dem Vorwurf mangelnder Praktikabilität ausgesetzt.29 Am überzeugendsten erscheint es mit einem Ansatz der Lehre das sog. „Herrschaftsprinzip“ zugrunde zu legen und dies für die inhaltliche Begründung und Begrenzung der Garantenstellung heranzuziehen.30 Die Herrschaft über den Grund des Erfolgs ist dabei leitendes Kriterium. Da die Tatherrschaft bei den Begehungsdelikten die Person des Täters charakterisiert,31 bzw. auch nach der Rechtsprechung inzwischen eine gewichtige Rolle spielt,32 ist es nur konsequent und aufgrund der Gleichstellungsklausel des § 13 Abs.1 StGB zwingend, auch für die Unterlassungsdelikte das Herrschaftsprinzip zugrunde zu legen.33 Dies bedeutet aber nicht, dass die Tatherrschaft auch überzeugendes Kriterium für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Bereich des Unterlassens sein muss (vgl. dazu Kapitel 3 A. II. 2). Dem Begründungsansatz „Herrschaftsprinzip“ wird kritisch entgegengehalten, dass er wenig hilfreich, zu allgemein sei und daher jedes beliebige Ergebnis be23

Arzt, JA 1980, 553. Überblick bei Coelln, S. 99 ff. 25 Etwa Bärwinkel, S. 91 ff., 104 ff.; Brammsen, Entstehungsvoraussetzungen, S. 96 ff.; Philipps, S. 132. Auch Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 13, Rn. 15. 26 Vgl. eingehend Coelln, S. 95 f. (bzgl. Vertrauensprinzip), 97 ff. (bzgl. Gefahrverursachungsmethode) und 107 ff. (bzgl. der sozialen und soziologisch fundierten Methoden). 27 Coelln, S. 95 f. Im Ergebnis auch Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 15. 28 Coelln, S. 99. 29 Dazu Coelln, S. 108 ff.; Roxin, AT II, § 32, Rn. 31; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 128 ff. 30 Grundlegend: Schünemann, Grund und Grenzen, S. 235 f.; ders., in: LK-StGB, Band 1, § 13, Rn. 40 f.; ders., FS-Amelung, 2009, S. 303, 313 ff. Ihm folgend Kretschmer, JURA 2006, 898, 899; Roxin, AT II, § 32, Rn. 19, 31; Schilha, S. 117 ff., m.w. N. Wohl auch Beulke/Bachmann, JuS 1992, 737, 740. Im Grundsatz zustimmend, aber mit eigener Akzentuierung Coelln, S. 129 ff., 236. 31 So die h. L. Etwa Kudlich, in: BK-StGB, § 25, Rn. 13 ff.; Waßmer, in: AnwKStGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 21 f. 32 Zur aktuellen Tendenz etwa Fischer, StGB, Vor § 25, Rn. 4; Kudlich, in: BKStGB, § 25, Rn. 13 ff. 33 Roxin, AT II, § 32, Rn. 19; Schilha, S. 117 ff. Weitere Argumente bei Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 40 f. 24

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gründe.34 Dem ist zu entgegnen, dass die Begründung eines umfassenden Ansatzes fast immer Interpretationsspielraum gewährt. Die Ausgestaltung des Ansatzes ist die sich an die Begründung anschließende Hauptaufgabe.35 Die materielle Begründung der Zweiteilungslehre in Form des Herrschaftsprinzips gewährt daher zunächst einmal einen Ausgangspunkt, der dann weiter zu konkretisieren und einzugrenzen ist.36 Im Gegensatz zu den oben genannten anderen Ansätzen einer einheitlichen Begründung der Garantenstellungen gelingt dem Herrschaftsprinzip eine Begründung, die die strukturellen Gemeinsamkeiten von Begehungs- und Unterlassungsdelikt aufzeigt und zugrundelegt.37 Damit schafft es eine überzeugende (weil von § 13 Abs. 1 StGB über die Gleichstellungsklausel gesetzlich geforderte und daher vorzugswürdige) Ausgangsbasis für die Begründung und Herleitung von Garantenstellungen. Maßgeblich für die Begründung einer Garantenstellung ist nach dem hier favorisierten Herrschaftsprinzip in materieller Hinsicht die „Herrschaft über den Grund des Erfolgs“. Diese kann sich einerseits in einer „Obhutsbeziehung/Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutes“ (Beschützergarantenstellung, vgl. dazu näher D., I.) oder andererseits in einer „Sachherrschaft über den Gefahrenherd/Überwachungsherrschaft“ (Überwachergarantenstellung, vgl. dazu näher C., I.) äußern.38 3. Folgen der Zweiteilungslehre für die vorliegende Arbeit Entsprechend der, zunächst nur formalen, Einteilung in Überwacher- und Beschützergarant, wird im Folgenden zwischen diesen beiden Alternativen differenziert, die unter Berücksichtigung der materiellen Begründung des Herrschaftsprinzips zu prüfen sind. So wird unter C. untersucht, ob der Aufsichtsrat die Gefahrenquelle Vorstand zu überwachen hat und welche Konsequenzen dies für eine konkrete Strafbarkeit hätte. Anschließend wird unter D. die Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats für bestimmte Rechtsgüter erforscht und unter E. auf eine konkrete Basis am entsprechenden Delikt gestellt. Die materiellen Voraussetzungen der Überwacher- und Beschützergarantenstellung werden, ausgehend vom favorisierten Herrschaftsprinzip, am Anfang der jeweiligen Untersuchungen dargelegt und dann für die vorliegende Konstellation geprüft.

34 Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 15, mit Beispielen. Vgl. auch Coelln, S. 123 ff. und Matt/Renzikowski/Haas, § 13, Rn. 56. 35 Diese Ausgestaltung wird hier in Kapitel 3 C. und D. vorgenommen. 36 Schilha, S. 121 f. Ähnlich auch schon Schünemann, Grund und Grenzen, S. 236 („erster Schritt“) und 244. 37 So auch Coelln, S. 122 f. 38 Roxin, AT II, § 32, Rn. 19; Schilha, S. 117; Schünemann, in: LK-StGB, § 25, Rn. 40 f. Vgl. dazu näher Kapitel 3 C. I. und D. I.

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

II. Strafbarkeit des Unterlassenden: Täter oder Teilnehmer? Vorab sind aus zwei Gründen auch allgemeine Ausführungen hinsichtlich der Beteiligung des Unterlassenden notwendig. Erstens ist für bestimmte Beteiligungsformen umstritten, ob sie überhaupt durch Unterlassen begangen werden können, 1. Zweitens ist in der hier untersuchten Konstellation die Begehungsoder Unterlassungstat eines anderen (nämlich des Vorstandsmitglieds) Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit des Aufsichtsratsmitglieds. In dieser Konstellation ist umstritten, wie und anhand welcher Kriterien sich der durch Unterlassen Beteiligte strafbar machen kann, also ob Täterschaft oder Teilnahme in Betracht kommt, 2. 1. Denkbare Beteiligungsformen durch Unterlassen Im Strafgesetzbuch sind die Beteiligungsformen der Täterschaft (Unterformen: Alleintäterschaft, Nebentäterschaft39, § 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB; Mittäterschaft, § 25 Abs. 2 StGB und mittelbare Täterschaft, § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) und der Teilnahme (Anstiftung, § 26 StGB und Beihilfe, § 27 Abs. 1 StGB) vorgesehen. Jedenfalls durch Unterlassen begehbar sind die Allein- und Nebentäterschaft.40 Auch eine Beihilfe durch Unterlassen ist anerkanntermaßen41 möglich. Streitig ist hierbei nur der Anwendungsbereich in Abgrenzung zu der Unterlassungstäterschaft.42 Mittäterschaft ist ebenfalls möglich.43 Einzelheiten sind hier aber umstritten.44 Eine Mittäterschaft zwischen Begehungs- und Unterlassungstäter ist möglich, wobei eine Zurechnung der Tatbeiträge nicht notwendig ist.45 Der praktische Anwendungsbereich der Mittäterschaft im Bereich des Unterlassens ist daher sehr gering.46 Äußerst umstritten ist, ob mittelbare Täterschaft durch Unterlassen begehbar ist (vgl. zu diesem Streit Kapitel 3 B. I. 2.). Anstiftung zu der Haupttat durch Unterlassen ist hingegen aus dogmatischen Gründen nicht möglich.47 Teilweise wird für die Möglichkeit der Strafbarkeit eines Überwacherga39 Vgl. zur Nebentäterschaft etwa Fischer, StGB, § 25, Rn. 27; Murmann, in: S/S/WStGB, § 25, Rn. 3; Waßmer, in: AnwK-StGB, § 25, Rn. 5 f. 40 Vgl. nur Mosenheuer, S. 98, 142. 41 Mosenheuer, S. 152. 42 Mosenheuer, S. 156. Vgl. dazu Kapitel 3. A. II. 2. 43 Gercke, in: AnwK-StGB, § 13, Rn. 24; Roxin, AT II, § 31, Rn. 172 ff.; Wessels/ Beulke, Rn. 734. A. A. etwa Krey/Esser, Rn. 1186; Mosenheuer, S. 140. 44 Vgl. Mosenheuer, S. 135 ff.; Roxin, AT II, § 31, Rn. 171 ff. 45 Vgl. Mosenheuer, S. 135 f. und 139; Roxin, AT II, § 31, Rn. 174. 46 U. a. deshalb ablehnend Mosenheuer, S. 140. 47 Eingehend Mosenheuer, S. 145 ff. Ablehnend auch: Fischer, StGB, § 26, Rn. 6, m.w. N.; Gercke, in: AnwK-StGB, § 13, Rn. 26 (Fn. 194, m.w. N.); Krey/Esser, Rn. 1184; Wessels/Beulke, Rn. 568. Vorsichtiger und z. T. a. A. Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 13, Rn. 47; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 26, Rn. 3; Murmann, in: S/S/W-StGB, § 26, Rn. 3; Waßmer, in: AnwK-StGB, § 26, Rn. 13.

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ranten bei Nichtverhinderung einer Anstiftung durch einen zu Überwachenden votiert.48 Da Aufsichtsratsmitglieder nach hier vertretener Auffassung keine Überwachergaranten sein können,49 bleibt dieser Streit hier unentschieden. 2. Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassen: Streitstand, Diskussion, Streitentscheidung und Folgen für die Arbeit Anknüpfungspunkt der Unterlassungstat des Aufsichtsratsmitglieds ist die Straftat eines Vorstandsmitglieds.50 Ist der Unterlassende Garant für die Abwendung der in Rede stehenden Straftat, so führt sein Unterlassen zu einer Strafbarkeit. Unklar und umstritten ist in dieser Konstellation, wie und anhand welcher Kriterien sich der durch Unterlassen Beteiligte strafbar machen kann, ob er also Täter oder Gehilfe ist.51 Die Tragweite der Streitentscheidung darf dabei nicht unterschätzt werden. Es bestehen gewichtige Unterschiede zwischen der Bestrafung einer Person als Täter oder Gehilfe. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Strafe selbst, die bei dem Gehilfen gemäß § 27 Abs. 2 StGB i.V. m. § 49 Abs. 1 StGB zu mildern ist. Auch die Außenwirkung – die von einer Bestrafung als „Täter“ ausgeht – auf Dritte muss berücksichtigt werden. Ist der Unterlassende Täter, so wird ihm auch ein größerer Vorwurf anheimgestellt die Tat nicht unterbunden zu haben. a) Pflichtdeliktstheorie (Prinzipielle Bejahung von Täterschaft) Ein Teil der Literatur bejaht prinzipiell eine Täterschaft des Unterlassenden. Es fehle bei den Unterlassungsdelikten, da sie Pflichtdelikte seien, am Täterschaftskriterium der Tatherrschaft.52 Daher sei bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen stets Täterschaft gegeben.53 Eine Ausnahme gebe es nur, wenn die entsprechende Täterqualifikation fehle, etwa bei eigenhändigen Delikten54 und 48 Etwa Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 13, Rn. 47; Roxin, AT II, § 26, Rn. 87. Ebenso Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, § 26, Rn. 5, der von „Beschützergarant“ spricht, der einen anderen „beaufsichtigt“ und so die hier bezeichnete Überwachergarantenstellung meint. Gegen die Möglichkeit der Anstiftung durch Unterlassen in diesen Fällen Mosenheuer, S. 150 f. 49 Kapitel 3 C. IV. 50 Vgl. Kapitel 1 C. II. Der folgende Streit gilt nicht für den Anknüpfungspunkt der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft, der in Kapitel 3 B. untersucht wird. 51 Kurze Überblicke bei Fischer, StGB, § 13, Rn. 94 ff.; Waßmer, in: AnwK-StGB, § 25, Rn. 23 ff. Ausführlich Krey/Esser, Rn. 1176 ff.; Roxin, AT II, § 31, Rn. 125 ff. 52 Etwa Roxin, AT II, § 31, Rn. 140; Stratenwerth/Kuhlen, § 14, Rn. 13, m.w. N.; Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 13, Rn. 26. 53 Roxin, AT II, § 31, Rn. 140. 54 Beispiel nach Roxin, AT II, § 31 Rn. 140: Vater schreitet nicht gegen Inzesthandlungen der Kinder ein (§ 173 Abs. 2 Satz 2 StGB).

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höchstpersönlichen Pflichtdelikten.55 Auch komme eine Beihilfestrafbarkeit dann in Betracht, wenn der Begehungstäter selbst bloß eine Beihilfe leiste, da sich die Verhinderungspflicht dann auf die Beihilfe des Begehungstäters beschränke und der Unterlassende nicht stärker als der Begehungstäter bestraft werden könne.56 In diesem Fall sei der Unterlassende als Gehilfe zu bestrafen.57 Nach diesem Ansatz würde der Aufsichtsrat also in den meisten Fällen als Täter bestraft werden. Es wäre aber auf die jeweilige Deliktsstruktur abzustellen. Ausnahmen wären bei Delikten möglich, die aufgrund ihrer Struktur nur eine Beihilfe des Aufsichtsrats zulassen, etwa bei § 401 AktG (Pflichtverletzung bei Verlust, Überschuldung und Zahlungsfähigkeit), der als Sonderdeliktstatbestand nur den Vorstand als Täter anerkennt.58 Anhand der Deliktsstruktur ist nach diesem Ansatz objektiv und von vornherein erkennbar, ob eine Bestrafung des Unterlassenden als Täter oder als Teilnehmer erfolgen wird. b) Theorie der Einheitsbeihilfe (Grundsätzliche Annahme von Beihilfe) Eine diametral gegenüberstehende Ansicht nimmt grundsätzlich nur Beihilfe des Unterlassenden an.59 Der unterlassende Garant sei im Unterschied zum aktiven Handelnden nur Randfigur des Geschehens.60 Nur in Ausnahmesituationen, in denen der Unterlassende als beherrschende Figur betrachtet werden müsse, sei eine Täterschaft möglich.61 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Schwabs Lösung über die Entsprechungsklausel.62 Das delinquente Aufsichtsratsmitglied wäre nach dieser Ansicht i. d. R. als Gehilfe der Vorstandsstraftat zu bestrafen. c) Tatherrschaftslehre Andere stellen, entsprechend der h. M. bei Begehungsdelikten, auf die Tatherrschaftslehre ab.63 Habe der Täter die Tatherrschaft („das vom Vorsatz umfasste In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs“ 64) inne, so 55

Vgl. dazu und zu weiteren Ausnahmen Roxin, AT II, § 31, Rn. 143. Roxin, AT II, § 31, Rn. 143. 57 Roxin, AT II, § 31, Rn. 143. 58 Vgl. dazu Kiethe/Hohmann, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 401 AktG, Rn. 27 ff. 59 Gallas, JZ 1952, 371, 372 f.; Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 13, Rn. 43; Kühl, AT, § 20, Rn. 230. Mit etwas anderer Akzentsetzung im Grundsatz auch Mosenheuer, S. 196. 60 Gallas, JZ 1960, 649, 687. 61 Gallas, JZ 1960, 649, 687. 62 Schwab, S. 189 ff., 213. 63 Joecks, Studienkommentar StGB, § 13, Rn. 84; Wessels/Beulke, Rn. 734, m.w. N. I. Erg. auch Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, Vor § 13, Rn. 54. 64 Vgl. nur Wessels/Beulke, Rn. 512, m.w. N. 56

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sei er stets als Täter zu bestrafen. Habe der Unterlassende aber eine Erfolgsverhinderungsmöglichkeit, die Voraussetzung des objektiven Tatbestands des unechten Unterlassungsdeliktes sei,65 so hielte er strenggenommen immer den Geschehensablauf in der Hand, da er mit seinem Eingreifen die Tat verhindern könne und folglich stets als Täter zu bestrafen sei.66 Immer dann, wenn der Aufsichtsrat über eine Erfolgsverhinderungsmöglichkeit verfügt (etwa in Form der Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG oder des Zustimmungsvorbehalts gem. § 111 Abs. 4 AktG), wäre er als Unterlassungstäter der Vorstandsstraftat zu bestrafen. d) Unterscheidung nach Art der Pflichtenstellung Wiederum andere Stimmen stellen auf die Art der Pflichtenstellung ab. Ist der Unterlassende Beschützergarant, sei er als Täter zu bestrafen, da er die unmittelbare Verantwortung für das bedrohte Rechtsgut habe.67 Ist er aber Überwachergarant, sei der Unterlassende grundsätzlich nur Gehilfe, da er zwar unmittelbar für die Gefahrenquelle verantwortlich sei, aber nur mittelbar für das betroffene Rechtsgut.68 Für den Aufsichtsrat ergäbe sich die Gefahr einer täterschaftlichen Strafbarkeit grundsätzlich nur bei Beschützergarantenstellungen, nicht bei einer etwaigen Überwachergarantenstellung, die nur zu einer Sanktionierung als Gehilfe führen würde. e) Subjektive Theorie (Rechtsprechung) Insbesondere die Rechtsprechung stellt im Wesentlichen auf die subjektive Seite des Unterlassenden ab, auch wenn gelegentlich Bezug auf die Tatherrschaftslehre genommen wird.69 Nach der subjektiven Theorie ist der Wille des Unterlassenden entscheidend. Als Täter sei derjenige zu bestrafen, dessen innere Haltung zur Begehungstat eines anderen als Ausdruck eines sich die Tat des anderen zu eigen machenden Täterwillens aufzufassen sei.70 Gehilfe sei dieser, wenn er das Geschehen ohne innere Beteiligung und ohne Interesse am drohen65

Vgl. nur Krey/Esser, Rn. 1104; Wessels/Beulke, Rn. 708. Zu Recht kritisch deswegen: Hoffmann-Holland, ZStW 118 (2006), 620, 624 f. (mit zutreffender Kritik an differenzierenden Vorschlägen i. R. d. Tatherrschaftslehre); Krey/Esser, Rn. 1179; Roxin, AT II, § 31, Rn. 133. 67 Heine, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 ff., Rn. 104; Krey/Esser, Rn. 1181 f. mit Ausnahmen in Rn. 1183. Für Aufsichtsratsstrafbarkeit durch Unterlassen: Poseck, S. 141 f. 68 Krey/Esser, Rn. 1181 f. und in Rn. 1183 mit Ausnahmen. 69 Vgl. nur BGH, Urteil vom 19.12.1997 – 5 StR 569/96 = BGHSt 43, 381, 396 = NJW 1998, 1568, 1573. Aus der Literatur etwa Fischer, StGB, § 13, Rn. 96. Guter Überblick über die Rechtsprechung bei Roxin, AT II, § 31, Rn. 125 ff. 70 BGH, Urteil vom 19.12.1997 – 5 StR 569/96 = BGHSt 43, 381, 396 = NJW 1998, 1568, 1573. 66

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

den Erfolg i. S. e. bloßen Gehilfenwillens lediglich ablaufen ließe.71 Maßgeblich sei die innere Einstellung des Unterlassenden, die irgendwie zu Tage treten müsse. Im Fall der ersten Handlungsalternative (der Aufsichtsrat kritisiert den Vorstand, ergreift keine weiteren Maßnahmen, vgl. Kapitel 1 B. I. 2.) könnte, da die Tat vom Aufsichtsrat subjektiv abgelehnt wird, nur Beihilfe zur Vorstandsstraftat in Betracht kommen. Im Fall der zweiten Handlungsalternative (der Aufsichtsrat erlangt durch Dritte Kenntnis von der bevorstehenden Vorstandstat, bleibt untätig, ohne mit dem Vorstand in Kontakt zu treten, Kapitel 1 B. I. 2.) käme es auf das Verhalten des Aufsichtsrats an. Äußerte der Aufsichtsrat gegenüber Dritten seine Zustimmung zur Tat oder ließe sich diese Einstellung irgendwie anders beweisen, so ließe sich dies als Ausdruck eines sich die Tat des Vorstands zu eigen machenden Täterwillens auffassen. Äußerte der Aufsichtsrat dagegen gegenüber dem Dritten oder in einer anderen Form eine ablehnende Meinung bezüglich der bevorstehenden Vorstandsstraftat, so käme, da er das Geschehen der Vorstandsstraftat ohne Beteiligung und ohne Interesse am drohenden Erfolg ablaufen ließe, lediglich eine Strafbarkeit als Gehilfe in Betracht. Ließe sich die Einstellung des Aufsichtsrats zur Vorstandsstraftat nicht ermitteln, müsste nach den Grundsätzen der echten Wahlfeststellung in dubio pro reo ein Beihilfevorsatz angenommen werden.72 Für die subjektive Theorie ist also die nach außen getretene innere Einstellung des Unterlassenden entscheidend, um die Täterschaft zu begründen. f) Diskussion, Streitentscheidung und praktischer Ansatz der Arbeit Wie gezeigt, kommen die Meinungen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Zunächst ist festzustellen, dass die verschiedenen Meinungen unterschiedliche Abgrenzungskriterien festlegen. Während die Theorie der Einheitsbeihilfe [b)] und auch die Unterscheidung nach Art der Pflichtenstellung [d)] die Pflichtenstellung als solche interpretieren und objektive Schlüsse aus ihr ableiten, untersucht die Pflichtdeliktstheorie [a)] primär die Deliktsstruktur. Demgegenüber bezieht sich die Tatherrschaftslehre [c)] allein auf die Handlungsmöglichkeiten des Unterlassenden in der jeweiligen Situation. Wiederum anders stellt die subjektive Theorie [e)] allein auf die innere Einstellung des Unterlassenden ab. Es ist aufgrund der stark abweichenden Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme fast zwingend, dass die verschiedenen Meinungen in jedem (beliebigen) Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen werden. Die Streitentscheidung hat also wesentlichen Einfluss auf die weitere Arbeit und die 71 BGH, Urteil vom 19.12.1997 – 5 StR 569/96 = BGHSt 43, 381, 396 = NJW 1998, 1568, 1573. 72 BGH, Urteil vom 16.12.1969 – 1 StR 339/69 = BGHSt 23, 203 ff. = NJW 1970, 668 f. Vgl. zur echten Wahlfeststellung und dem in dubio pro reo-Grundsatz Wessels/ Beulke, Rn. 806.

A. Grundlagen der Unterlassensstrafbarkeit

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Analyse der konkreten Aufsichtsratsstrafbarkeit unter Kapitel 3 E. Um dem praxisnahen Ansatz der Arbeit gerecht zu werden, wird unter Kapitel 3 E. die Ansicht der Rechtsprechung – die subjektive Theorie – Anwendung finden. Zu klären bleibt, welche Ansicht die überzeugendste ist. Die Tatherrschaftslehre vermag bei Begehungsdelikten zu überzeugen.73 Da sie aber im Rahmen des Unterlassens bei überhaupt bestehender Verhinderungsmöglichkeit zwingend zu einer täterschaftlichen Bestrafung führt, kann sie, bei strenger Anwendung, niemals zu einer Gehilfenstrafbarkeit führen, da die Verhinderungsmöglichkeit bereits zum Tatbestand des Unterlassungsdelikts zählt.74 Die Tatherrschaftslehre ist daher für die Unterlassungsstraftaten unbrauchbar.75 Krey/Esser führen für die Unterscheidung nach Art der Pflichtenstellung die Rechtssicherheit ins Feld.76 Dies überzeugt aber nur bedingt. Die Abgrenzung von Beschützer- zu Überwachergarant ist oftmals nur schwer vorzunehmen.77 Diese Unsicherheiten und streitbaren Einzelfallentscheidungen nehmen diesem Lösungsansatz viel von der propagierten Rechtssicherheit. Im Gegenteil besteht ein großes Unsicherheitspotential, wie im Einzelfall der Garant eingestuft wird. Gegen die Einheitsbeihilfetheorie und ihre Spielarten spricht zunächst, dass sie zu einseitig an die Bedrohung und nicht an den betreffenden Erfolg anknüpft.78 Ferner kann sie zu sachwidrigen Ergebnissen führen.79 Aus Rechtssicherheitserwägungen erscheint demgegenüber die Pflichtdeliktstheorie begrüßenswert, da der Unterlassende prinzipiell mit einer Bestrafung als Täter rechnen muss.80 Anhand der Deliktsstruktur ist objektiv erkennbar, ob der Unterlassende Täter oder Teilnehmer der Tat ist. Ferner bleibt bei anderen Ansätzen fraglich, wie der Beihilfebeitrag im Rahmen des Unterlassens auszusehen hat.81 Hier gibt es eine klare Abgrenzung. Grundsätzlich liegt Täterschaft vor. Der Beihilfe kommt im Rahmen der Pflichtdeliktstheorie gewissermaßen eine Auffangfunktion zu, wenn der Garant aufgrund bestimmter Umstände kein Täter sein kann.82 Die innere Einstellung des Unterlassenden zur Tat spielt hingegen keine Rolle bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Sie kann aber 73 Vgl. nur Roxin, AT II, § 25, Rn. 22 ff.; Wessels/Beulke, Rn. 512 ff. Beide mit Nachweisen zur Adaption in der Rechtsprechung. Siehe auch Fischer, StGB, Vor § 25, Rn. 2 ff. 74 Vgl. oben Kapitel 3 A. II. 2. c). 75 Ebenso Krey/Esser, Rn. 1179, m.w. N.; Roxin, AT II, § 31, Rn. 133. 76 Krey/Esser, Rn. 1183. 77 Freund, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 13, Rn. 268; Gercke, in: AnwK-StGB, § 13, Rn. 10; Roxin, AT II, § 31, Rn. 160. 78 Roxin, AT II, § 31, Rn. 152. 79 Beispiel bei Krey/Esser, Rn. 1178, m.w. N. 80 Krey/Esser, Rn. 1177. 81 Eingehend Roxin, AT II, § 31, Rn. 141 ff. 82 Roxin, AT II, § 31, Rn. 142.

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

Auswirkungen auf den Vorsatz haben und ist bei der Strafzumessung gem. § 46 StGB zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung von rein objektiven Kriterien für die Bestimmung der Beteiligungsform kann auch (positive) Auswirkungen auf die Strafverfolgung haben, da für die Klärung eines Anfangsverdachts nicht auch die innere Einstellung des Handelnden ermittelt werden muss. Die Pflichtdeliktstheorie kann daher aus theoretischen und praktischen Erwägungen überzeugen. Der subjektive Ansatz der Rechtsprechung wird insbesondere von Roxin massiv kritisiert. Dieser wirft ihr vor, dass sie keine klare Abgrenzung schaffen kann, da die Begriffe der „inneren Billigung“ und des „Eigeninteresses“ zu abstufbar und beliebig seien.83 Ferner seien die Aspekte der inneren Einstellung und das Motiv für die Schuld und das Strafmaß relevant, taugten aber nicht für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme.84 Die Kriterien liefen auf eine beliebige Festsetzung hinaus und würden sich der objektiven gerichtlichen Feststellung entziehen.85 Diese Kritik ist allerdings nur bedingt berechtigt. Eine objektive Feststellung der Kriterien ist durchaus möglich, wenn, wie oben angerissen, im Fall der fehlenden Nachweisbarkeit streng nach dem Grundsatz in dubio pro reo gehandelt würde. Zugegebenermaßen ist das Lichtfeld für eine klare Täterschaft des Unterlassenden dabei durchaus schmal. Doch ist eine Abgrenzung möglich, auch wenn sie nicht so trennscharf erfolgt wie bei anderen Meinungen, insbesondere der Pflichtdeliktstheorie. Kritikwürdig erscheint in diesem Zusammenhang weniger der theoretische Unterbau der subjektiven Theorie als vielmehr ihre praktische Umsetzung. In verschiedenen Urteilen gelangten Gerichte unter Heranziehung fadenscheiniger Argumente zu der Annahme eines täterschaftlichen Verhaltens (Täterschaft aufgrund „Belustigung“ über die Begehungstat86) oder missachteten widersprüchliches Verhalten (Täterschaft aufgrund „lachenden Zusehens“, trotz Zuruf „er [Begehungstäter] solle aufhören“ 87). Hier hätte eine Gehilfenbestrafung nach dem Grundsatz in dubio pro reo erfolgen müssen. Dies ist allerdings ein Mangel, der nicht der subjektiven Theorie, sondern den umsetzenden Gerichten anzulasten ist. Der Vorwurf gegen die subjektive Theorie entzündet sich schon eher daran, dass in diesen Fällen (eine Garantenstellung des Unterlassenden unterstellt) eine täterschaftliche Bestrafung dem Rechtsempfinden näher liegt als eine bloße Gehilfenstrafbarkeit, sie also zu schwer nachvollziehbaren Ergebnissen führt. Hier kann die Pflichtdeliktstheorie überzeugen, die

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Roxin, AT II, § 31, Rn. 137. Roxin, AT II, § 31, Rn. 138. 85 Roxin, AT II, § 31, Rn. 139. Ähnlich Krey/Esser, Rn. 1180: „Gefahr willkürlicher Entscheidungen“ (die einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot unterstellen und keine Basis im geltenden Recht sehen). 86 BGH, Urteil vom 05.07.1966 – 5 StR 280/66 = NJW 1966, 1763. Nachgezeichnet und zu Recht kritisiert bei Roxin, AT II, § 31, Rn. 130, 139. 87 BGH, Urteil vom 23.10.1985 – 3 StR 300/85 = StV 1986, 59. Vgl. wiederum Roxin, AT II, § 31, Rn. 139. 84

B. Der Aufsichtsrat als mittelbarer Täter durch Unterlassen

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zur Begründung der Täterschaft objektive Kriterien aufstellt, die subjektive Einstellung aber im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigen kann. Daher erscheint die Pflichtdeliktstheorie am überzeugendsten. Um allerdings zu praxistauglichen Ergebnissen zu kommen, werden bei der Untersuchung einer Strafbarkeit nach dem konkreten Delikt i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB (Kapitel 3. E.) sowohl die vorzugswürdige Pflichtdeliktstheorie als auch die in der Praxis maßgebliche subjektive Theorie angewandt.

B. Der Aufsichtsrat als mittelbarer Täter durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft Zunächst gilt es die mögliche Strafbarkeit des Aufsichtsrats über die Figur der sog. mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft zu untersuchen. Diese Figur stellt einen Spezialfall der mittelbaren Täterschaft dar und ist in den letzten Jahrzehnten entwickelt worden. Eigentlich ist sie kein eigener Anknüpfungspunkt einer Unterlassungsstrafbarkeit, da sie selbst eine Beschützer- oder Überwachergarantenstellung des Unterlassenden erfordert.88 Allerdings haben sich spezielle Anforderungen und Streitigkeiten, etwa ihre Anwendbarkeit auf wirtschaftsstrafrechtliche Fälle,89 ergeben. Ferner wird sie von einigen Autoren als Alternative zu der unten diskutierten sog. „Geschäftsherrenhaftung“ 90 ins Feld geführt.91 Es erscheint daher geboten zunächst die Strafbarkeit des Aufsichtsrats nach dieser speziellen Fallgruppe zu klären, bevor eine Überwacher-, bzw. Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats erörtert wird. Weder in Literatur, noch in Rechtsprechung wird bisher eine Anwendbarkeit der Figur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft auf den Aufsichtsrat diskutiert. Der Aufsichtsrat wäre – bei Anwendbarkeit und Einschlägigkeit dieser Figur – stets als mittelbarer Täter (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) zu bestrafen. Die Existenz und insbesondere Einzelheiten der Figur der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft sind jedoch sehr umstritten. Dies gilt im speziellen für die Begehungsvariante des Unterlassens. Die folgende Untersuchung rückt also zunächst die Existenz und Anerkennung der zu prüfenden Figur in den Mittelpunkt, I. Sodann steht eine nähere Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen der Figur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft an, II. Abschließend findet eine Subsumtion unter die herausgearbeiteten Voraussetzungen statt, III. 88 Vgl. etwa BGH, Urteil vom 06.11.2002 – 5 StR 281/01 = BGHSt 48, 77, 91 f. = NJW 2003, 522, 525 f. („Politbüro“). 89 Vgl. dazu unten Kapitel 3 B. I. 1. b). 90 Vgl. dazu Kapitel 3 C. 91 Etwa von Murmann, in: S/S/W-StGB, § 25, Rn. 48; Stree/Bosch, in: Schönke/ Schröder, § 13, Rn. 53. Sehr ähnlich Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 102 f.

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

I. Existenz und Anerkennung der Figur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft Existenz und Anerkennung der Figur sind streitig. Um die einzelnen Streitpunkte systematisch und strukturiert abzuarbeiten, wird zu Beginn die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft als solche untersucht, 1. Hierbei steht die Grundlage der Figur [1. a)] und ihre Anwendung auf Wirtschaftsunternehmen [1. b)] im Mittelpunkt. In einem zweiten Schritt ist dann die Begehung der Figur durch Unterlassen zu untersuchen, 2. 1. Mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft Ziel der Figur der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft ist die Bestrafung des „Täters hinter dem Täter“ (auch „Schreibtischtäter“ 92 genannt).93 In arbeitsteilig organisierten Gebilden kann oftmals nur der Tatbeitrag des unmittelbar Handelnden eindeutig zugeordnet werden.94 Dies hat dann aber zur Folge, dass der Tatnachweis der Personen, die das kriminelle Geschehen aus dem Hintergrund steuern, nicht in Form der Täterschaft gelingen kann, obwohl sie das Zepter in der Hand halten und die Tat ohne ihren geltend gemachten Einfluss schlechterdings nicht vorstellbar wäre.95 Hier soll die Figur der mittelbaren Täterschaft durch Organisationsherrschaft eingreifen und Abhilfe schaffen, damit eine täterschaftliche Bestrafung gelingt und das Verhalten nicht bloß als Beihilfe bestraft wird. a) Grundlage, Entwicklung und Kritik Gemäß § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB wird als Täter bestraft, „wer die Tat durch einen anderen begeht“. Für diese Begehungsform96 hat zunächst Roxin die Fallgruppe der Organisationsherrschaft entwickelt.97 Neben der mittelbaren Täterschaft kraft Nötigung und Täuschung, sei auch eine dritte Form denkbar, nämlich die mittelbare Täterschaft durch Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate.98 Diese bezieht er namentlich auf Vorgänge während des Dritten Rei92

Krey/Esser, Rn. 931; Schlösser, JR 2006, 102; Waßmer, in: AnwK-StGB, § 25, Rn. 36. 93 Etwa Fischer, StGB, § 25, Rn. 7; Kudlich, in: BK-StGB, § 25, Rn. 31; Roxin, FSKrey, S. 449 (Sternchenfußnote); Wessels/Beulke, Rn. 541. 94 Raum, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 59. 95 Ähnlich Raum, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 59. 96 Vgl. allgemein zur mittelbaren Täterschaft etwa Fischer, StGB, § 25, Rn. 4 ff.; Krey/Esser, Rn. 873 ff.; Kudlich, in: BK-StGB, § 25, Rn. 19 ff.; Murmann, in: S/S/WStGB, § 25, Rn. 4 ff.; Waßmer, in: AnwK-StGB, § 25, Rn. 7 ff.; Wessels/Beulke, Rn. 535 ff. 97 Roxin, GA 1963, 193, 200; ders., AT II, § 25, Rn. 105. 98 Roxin, GA 1963, 193, 200; ders., AT II, § 25, Rn. 105.

B. Der Aufsichtsrat als mittelbarer Täter durch Unterlassen

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ches. Etwa im Rahmen der systematischen Vernichtung der Juden habe es ein Organisationsgefüge gegeben, das sicherstellte, dass Anordnungen im Ergebnis durchgeführt wurden.99 Der Anweisende konnte sich demnach verlassen, dass bei Weigerung eines Untergebenen mit Sicherheit ein anderer den Auftrag ausführen würde (sog. „Erfordernis der Fungibilität des Ausführenden“ 100).101 Zur Durchsetzung bedurfte es weder Nötigung noch Täuschung.102 Vielmehr sei der organisatorische Machtapparat, also das konstruierte Gebilde, dessen sich der Anweisende bediente, das Instrument, welches den verantwortlichen Willen des Ausführenden in Bezug auf den Befehl/die Weisung des Anweisenden obsolet machte.103 Diese Fallgruppe der mittelbaren Täterschaft ist von einem Großteil der Literatur positiv aufgenommen worden.104 Auch die Rechtsprechung hat die Figur der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft aufgegriffen.105 Die Rechtsprechung kann, soweit sie die Akzeptanz der Figur betrifft, heute als gefestigt angesehen werden.106 Kritiker nehmen in dieser Konstellation demgegenüber Mittäterschaft107 oder Anstiftung108 an und lehnen die Figur der mittelbaren Täterschaft durch Organisationsherrschaft ab.109 Es liege ein systematischer Bruch vor, da in dieser Fallgruppe der Vortäter vollverantwortlich handele. Von daher müsse mittelbare Täterschaft ausscheiden.110 Die Mittäterschaftslösung muss aber am fehlenden gemeinsamen Tatplan und der fehlenden Gleichrangigkeit der Handelnden scheitern.111 Die näherliegende112 Anstiftungslösung verkennt die gesteigerte Tat99

Roxin, GA 1963, 193, 200. Vgl. etwa Roxin, GA 1963, 193, 200; ders., AT II, § 25, Rn. 107. 101 Roxin, GA 1963, 193, 200. 102 Roxin, GA 1963, 193, 200. 103 Roxin, GA 1963, 193, 201. 104 Vgl. nur Fischer, StGB, § 25, Rn. 7 ff.; Waßmer, in: AnwK-StGB, § 25, Rn. 36 f., m.w. N.; Wessels/Beulke, Rn. 541, m.w. N. Umfassende Nachweise bei Roxin, AT II, § 25, Rn. 108 (Fn. 134). 105 BGH, Urteil vom 26.07.1994 – 5 StR 98/94 = BGHSt 40, 218, 232 ff. = NJW 1994, 2703, 2706; BGH, Urteil vom 06.11.2002 – 5 StR 281/01 = BGHSt 48, 77, 89 ff. = NJW 2003, 522, 525 f. („Politbüro“). 106 Ein guter Überblick über die Rechtsprechung zur mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsverschulden findet sich bei Joecks, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 25, Rn.137 ff. und Schild, in: NK-StGB, § 25, Rn. 38 ff. 107 So Baumann/Weber/Mitsch-Weber, AT, § 29, Rn. 146 f. 108 Etwa Rotsch, NStZ 2005, 13, 18. 109 Etwa Jakobs, AT, 21. Abschnitt, Rn. 103; Hoyer, in: SK-StGB, § 25, Rn. 92, m.w. N.; Krey/Esser, Rn. 936, 939 f. 110 Krey/Esser, Rn. 939 f. Weitere Kritikpunkte bei Rotsch, NStZ 2005, 13 ff. 111 So bereits Roxin, GA 1963, 193, 200 (Fn. 19); ders., FS-Krey, S. 449, 452 ff.; ders., GA 2012, 395, 404 f. Ferner Waßmer, in: AnwK-StGB, § 25, Rn. 37. 112 Roxin, FS-Krey, S. 449, 455. 100

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

macht des Handelnden im Rahmen der Organisationsherrschaft und würde den Anweisenden somit schwächer einstufen als er tatsächlich ist.113 Dies spricht wiederum für die systematische Konformität der Lösung über die mittelbare Täterschaft. Durch die Organisationsherrschaft übt der Anweisende nämlich eine Herrschaftsposition aus, die derjenigen des mittelbaren Täters entspricht. Der „Defekt“ des Vordermannes ist in seiner Austauschbarkeit begründet. b) Anwendung auf Wirtschaftsunternehmen Heftiger umstritten ist die Frage, ob die Fallgruppe der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft auch auf Wirtschaftsunternehmen anzuwenden ist. Dies wird insbesondere von der Rechtsprechung bejaht.114 Hierfür wird die oben skizzierte Figur der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft in der Rechtsprechung bewusst115 weit gefasst. Es reiche zur Annahme der mittelbaren Täterschaft aus, wenn der Anweisende in Kenntnis regelhafter Abläufe (der Rahmenbedingungen der Tat) die Bereitschaft des unmittelbar Handelnden zur Tat ausnutze und den Erfolg als Ergebnis seines Handelns wolle.116 Damit wird jedoch auf zwei gewichtige Kriterien verzichtet, die oben als maßgeblich für die Begründung der überlegenen Person des Handelnden skizziert worden sind: Erstens spielt die Fungibilität des unmittelbar Handelnden in der Definition des Rechtsprechung keine Rolle. Es können daher auch nicht austauschbare Personen taugliche Vortäter sein und der Anweisende folglich dennoch mittelbarer Täter.117 Zweitens ist die Befehlshierachie in einem Unternehmen weniger ausgeprägt als etwa in den staatlichen Machtapparaten der Unrechtsstaaten des Dritten Reiches und der DDR-Zeit.118 Die weite Definition der Rechtsprechung erfasst daher, insbesondere im Fall der Wirtschaftskriminalität, gerade solche Fälle, bei denen es an der Beherrschung des Geschehens i. S. e. Anordnungsmacht fehlt.119 Damit fehlt es dann aber an dem herrschaftsbegründenden Merkmal, das soeben als Abgrenzung zur Anstiftung bemüht worden ist. Anstelle von mittelbarer Tä113 Vgl. Roxin, FS-Krey, S. 449, 455 f.; ders., GA 2012, 395, 403 f.; Waßmer, in: AnwK-StGB, § 25, Rn. 37. 114 Etwa BGH, Urteil vom 13.05.2004 – 5 StR 73/03 = BGHSt 49, 147, 163 f. = NStZ 2004, 559, 561 (Rn. 18) („Bremer Vulkan“); Nack, GA 2006, 342 ff. Wohl auch Wessels/Beulke, Rn. 541 und Murmann, in: S/S/W-StGB, § 25, Rn. 28. 115 Vgl. die Anmerkungen des mitwirkenden Richters Nack, GA 2006, 342, 343 f. 116 BGH, Urteil vom 26.07.1994 – 5 StR 98/94 = BGHSt 40, 218, 236 f. = NJW 1994, 2703, 2706; BGH, Urteil vom 06.11.2002 – 5 StR 281/01 = BGHSt 48, 77, 91 f. = NJW 2003, 522, 525 f. („Politbüro“). Einschränkend aber BGH, Beschluss vom 02.11.2007 – 2 StR 384/07 = NStZ 2008, 90. 117 Kritisch etwa Roxin, AT II, § 25, Rn. 130. Bewusst für die Ausweitung plädierend Nack, GA 2006, 342, 343 f. 118 Mittelsdorf, ZIS 2011,123, 124. 119 Heine, in: Schönke/Schröder, § 25, Rn. 25b; Mittelsdorf, ZIS 2011, 123, 124. Differenzierend Kühl, AT, § 20, Rn. 73b, c.

B. Der Aufsichtsrat als mittelbarer Täter durch Unterlassen

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terschaft kommt in Fällen des aktiven Anweisens im Wirtschaftsunternehmen grundsätzlich Anstiftung gem. § 26 StGB des Anweisenden in Betracht.120 2. Begehung durch Unterlassen Ebenfalls umstritten ist, ob die Figur der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft auch durch Unterlassen begehbar ist. Dies wird von der Rechtsprechung121 und einigen Literaturstimmen 122 bejaht. Kritische Stimmen in der Literatur bemängeln, dass das maßgebliche Kriterium der mittelbaren Täterschaft ein aktiver Einfluss des Hintermannes auf den Vordermann sei (sog. „Anstoßen“), an dem es im Fall des Unterlassens regelmäßig fehle.123 Die befürwortende Gegenmeinung rückt hingegen das Kriterium des „Defekts“ des Vordermannes in den Mittelpunkt. Dieser bestehe unabhängig von aktivem Tun oder Unterlassen.124 Unabhängig von diesem Streit stellt sich die Frage, ob es der Konstruktion einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen überhaupt bedarf. Ist der Unterlassende Garant, dann ist er zum Einschreiten, also zur Erfolgsverhinderung, verpflichtet. Hierbei bedarf es aber nicht des Rückgriffs auf eine „mittelbare Täterschaft“, da dieser vielmehr unmittelbarer Unterlassungstäter ist.125 Eine mittelbare Täterschaft durch Unterlassen ist daher abzulehnen. 3. Ergebnis Die Figur der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft ist zu begrüßen und hat zurecht einen Platz in Rechtsprechung und Lehre gefunden, sofern sie sich auf extreme Fälle von organisiertem Unrecht bezieht, 1. a). Abzulehnen sind die systematisch fragwürdigen Erweiterungen durch die Rechtsprechung auf (grundsätzlich rechtmäßig handelnde) Wirtschaftsunternehmen [hier wäre eine bloße Anstifterstrafbarkeit überzeugend, 1. b)] und Unterlassungen (hier kann bereits die unmittelbare Täterschaft das Verhalten sanktionieren, 2.). Um aber dem praxisgerechten Ansatz der Arbeit gerecht zu werden, wird dennoch anhand der Rechtsprechungskriterien untersucht, ob der Aufsichtsrat in der 120 Fleischer, in: Handbuch Vorstandsrechts, § 15, Rn. 93; Mittelsdorf, ZIS 2011, 123, 125; Roxin, AT II, § 25, Rn. 130; Waßmer, in: AnwK-StGB, § 25, Rn. 39. Ablehnend auch Kudlich, in: BK-StGB, § 25, Rn. 34.1. 121 BGH, Urteil vom 06.11.2002 – 5 StR 281/01 = BGHSt 48, 77, 91 f. = NJW 2003, 522, 525 f. („Politbüro“). 122 Etwa Brammsen, NStZ 2000, 337; Frister, 27/47 f.; Wessels/Beulke, Rn. 734. 123 Knauer, NJW 2003, 3101; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 471 f. I. Erg. gleich Krey/Esser, Rn. 1185 (keine Erfolgsverursachung). 124 Wessels/Beulke, Rn. 734. 125 Gercke, in: AnwK-StGB, § 13, Rn. 24; Joecks, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 25, Rn. 179; Krey/Esser, Rn. 1185; Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 13, Rn. 46; Roxin, AT II, § 31, 175.

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

hier vorliegenden Konstellation nach der Figur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft im Sinne der Rechtsprechung zu bestrafen ist.

II. Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft nach der Rechtsprechung Nach der Definition der Rechtsprechung ist eine mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gegeben, wenn der Hintermann durch Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst.126 In der Konstellation des Unterlassens ist dabei ein „Weiterfunktionieren“ des Systems notwendig (da Charakteristikum des Unterlassens eben nicht das Auslösen, sondern das Untätig bleiben ist).127 Also ein Akzeptieren der strafrechtlich relevanten Handlungen, ohne gegen das kriminelle Verhalten vorzugehen.128 Dies setzt dreierlei voraus: Es muss erstens ein „Unrechtssystem“ vorliegen, das soweit etabliert ist, dass den Beteiligten eine Sicherheit gegeben ist ihr kriminelles Verhalten ohne Beanstandung auszuführen.129 Dieses Kriterium war auch im „Politbüro“-Fall gegeben.130 In anderen Fällen wird dieses Kriterium nicht (so stark) berücksichtigt.131 Wie viele Straftaten notwendig sind, um von einem Ausnutzen der Begebenheiten zu sprechen, ist damit unklar. Zweifelhaft erscheint es aber schon bei Vorliegen einer Tat oder sehr wenigen Taten in einem Unternehmen vom Vorliegen „ausnutzbarer Rahmenbedingungen“ zu sprechen, da in diesem Fall (noch) keine systemimmanente Gefahr besteht. Es müssten daher über einen längeren Zeitraum (zeitliches Element) eine Vielzahl von Straftaten (quantitatives Element) begangen worden sein, ohne dass es zu einer Beanstandung dieses Verhaltens gekommen ist, um von einem „Unrechtssystem“ sprechen zu können.

126 BGH, Urteil vom 26.07.1994 – 5 StR 98/94 = BGHSt 40, 218, 236 f. = NJW 1994, 2703, 2706; BGH, Urteil vom 06.11.2002 – 5 StR 281/01 = BGHSt 48, 77, 91 f. = NJW 2003, 522, 525 f. („Politbüro“). 127 So BGH, Urteil vom 06.11.2002 – 5 StR 281/01 = BGHSt 48, 77, 91 f. = NJW 2003, 522, 525 („Politbüro“). Vgl. auch Raum, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 65. 128 Raum, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 65. 129 Raum, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 65. Allerdings streitig, vgl. Roxin, AT II, § 25, Rn. 130 (Fn. 168, m.w. N.). 130 BGH, Urteil vom 06.11.2002 – 5 StR 281/01 = BGHSt 48, 77, 91 f. = NJW 2003, 522, 525 („Politbüro“). 131 BGH, Urteil vom 13.05.2004 – 5 StR 73/03 = BGHSt 49, 147, 163 f. = NStZ 2004, 559, 561 (Rn. 18) („Bremer Vulkan“); BGH, Beschluss vom 26.08.2003 – 5 StR 145/03 = BGHSt 48, 331,342 = NJW 2004, 375, 378.

B. Der Aufsichtsrat als mittelbarer Täter durch Unterlassen

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Im Fall des Unterlassens liegt, anders als im Fall des aktiven Tuns, kein Befehl, bzw. keine Weisung des potentiellen Täters vor. Dem potentiellen Täter gereicht aber zum Vorwurf, dass er die von einem anderen erteilte Weisung nicht aufhebt, sondern sie durch sein Nichtstun gewissermaßen aufrechterhält.132 Es muss also eine Weisung bestehen, auch wenn sie nicht vom potentiellen Täter initiiert worden ist (zweite Voraussetzung). Dies setzt (drittens) eine Weisungsmöglichkeit des potentiellen Täters voraus, der mit der neuerlichen Anordnung das strafbare Verhalten der Vordermänner abstellen können muss.

III. Der Aufsichtsrat als mittelbarer Täter durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft? In der Aktiengesellschaft müsste ein „Unrechtssystem“ bestehen. Es müssten also mehrere Straftaten in der Vergangenheit begangen worden sein, sodass der Vorstand von einer Akzeptanz dieses Verhaltens im Unternehmen ausgehen kann. Dies kann etwa bei systematischem Betrug zu Lasten Dritter, bei dem über Jahre hinweg geduldeten Betrug zu Lasten der eigenen AG133 oder auch bei systematischer Korruption gegeben sein. Liegt eine einzelne Tat des Vorstands vor, scheitert die Figur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft bereits an diesem Merkmal. Zweitens muss eine Weisung (eines Dritten) bestehen, durch die das unrechtmäßige Verhalten ursprünglich angeordnet worden ist. Allerdings hat weder der Aufsichtsrat, noch ein Aktionär oder die Hauptversammlung eine Möglichkeit Weisungen gegenüber dem Vorstand auszusprechen.134 Es besteht kein Weisungsverhältnis des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand. Zwar hat der Aufsichtsrat über den Zustimmungsvorbehalt (§ 111 Abs. 4 AktG) und die Abberufung (§ 84 Abs. 3 AktG) Möglichkeiten zur Einflussnahme auf den Vorstand, diese können aber nicht zur Anweisung eines aktiven Tuns eingesetzt werden.135 Sie dürfen nur für die Verhinderung von Maßnahmen gebraucht werden. Es besteht damit auch kein Hierarchieverhältnis des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand.136 Dies würde im Übrigen der Konzeption des Aktienrechts widersprechen.137 Damit mangelt es immer jedenfalls am zweiten Kriterium der mittelba132 Raum, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 65; BGH, Urteil vom 06.11.2002 – 5 StR 281/01 = BGHSt 48, 77, 91 f. = NJW 2003, 522, 525 („Politbüro“). 133 Vgl. dazu aus der Praxis (allerdings durch den Aufsichtsrat begangen) OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12 = NJW 2012, 3798. 134 Vgl. eingehend dazu oben, Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (5). 135 Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6) (a). 136 Vgl. dazu eingehend unten, Kapitel 3 C. IV. 1. c). 137 Vgl. dazu ebenfalls Kapitel 3 C. IV. 1. c).

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

ren Täterschaft durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft, der bestehenden Anweisung an den Vorstand Unrechtmäßiges zu tun. Die Entscheidung zur Begehung der kriminellen Handlung kann einzig der Vorstand selbst treffen. Jedoch fehlt es in diesem Fall am hierarchischen Verhältnis, das charakteristisch ist für die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft i. S. d. Rechtsprechung. Nach den Kriterien der Rechtsprechung kann das Aufsichtsratsmitglied nicht mittelbarer Täter durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft sein.

IV. Ergebnis Die Figur der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft ist zurecht durch einen Großteil der Literatur und die Rechtsprechung anerkannt, sofern sie sich auf organisiertes Unrecht von extremen Ausmaßen beschränkt. Ihre Erweiterung auf Wirtschaftsunternehmen und Fälle des Unterlassens ist abzulehnen. Dennoch kann der Aufsichtsrat selbst bei Annahme der Erweiterungen die Voraussetzungen mangels Weisungskompetenz nicht erfüllen. Der Aufsichtsrat kann nicht mittelbarer Täter durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft sein.

C. Der Aufsichtsrat als Überwachergarant des Vorstands Überwachergaranten sind für die Überwachung bestimmter Gefahrenquellen verantwortlich, haben also eine Sicherungspflicht inne.138 Sie haben nicht ein bestimmtes Rechtsgut zu verteidigen, wie es beim Beschützergaranten der Fall ist,139 sondern müssen prinzipiell alle aus der Gefahrenquelle resultierenden Rechtsgutsverletzungen verhindern.140 Als Überwachergarant des Vorstands müsste der Aufsichtsrat, vorbehaltlich einer notwendigen Einschränkung der Reichweite, grundsätzlich alle Straftaten der „Gefahrenquelle“ Vorstand verhindern, vgl. bereits Kapitel 1 C. II., Kapitel 3 A. I. 2. Ob der Aufsichtsrat Überwachergarant des Vorstands sein kann, ist in der Literatur umstritten141 und wird im Folgenden geklärt. Zunächst werden die Voraussetzungen der Überwachergarantenstellung auf Grundlage des zugrundeliegenden Herrschaftsprinzips dargelegt, 138 Fischer, StGB, § 13, Rn. 15; Gercke, in: AnwK-StGB, § 13, Rn. 16; Krey/Esser, Rn. 1127; Kühl, AT, § 18, Rn. 44. 139 Vgl. Kapitel 3 D. 140 Kühl, AT, § 18, Rn. 45. 141 Befürwortend: Merz, in: Graf/Jäger/Wittig, § 13, Rn. 40; Ransiek, ZGR 1999, 613, 624; Schilha, S. 149–198; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 204; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 183, 186a; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 55. Ablehnend: Beulke, FS-Geppert, S. 37 (Fn. 57); Joecks, in: MüKo-GmbHG, Vor § 82, Rn. 217; Krause, NStZ 2011, 57, 61 f.; Poseck, S. 120, 124 ff. Implizit Raum, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 55. Wohl auch Schüppen, in: AnwHdb-Aktienrecht, § 24, Rn. 204 f. Im Grundsatz Grützner/Behr, DB 2013, 561, 566. Siehe bereits Kapitel 1 E. II. und gleich folgend Kapitel 3 C. IV.

C. Der Aufsichtsrat als Überwachergarant des Vorstands

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I. Insbesondere Existenz und Begründung der „Geschäftsherrenhaftung“ sind Gegenstand eines intensiv geführten Streits, der im Folgenden näher beleuchtet werden muss, II. Ausgehend von den dabei gefundenen Voraussetzungen der Geschäftsherrenhaftung gilt es dann notwendige Einschränkungen der Reichweite des Strafbarkeit vorzunehmen, III. Abschließend gilt es zu untersuchen, ob der Aufsichtsrat im Verhältnis zum Vorstand tatsächlich über die notwendige exklusive rechtliche Befugnis verfügt, IV.

I. Voraussetzungen einer Überwachergarantenstellung nach dem Herrschaftsprinzip Für die Begründung einer Überwachergarantenstellung ist nach dem hier vertretenen Herrschaftsprinzip142 eine Herrschaft des Garanten notwendig. Diese bezieht sich aber, anders als bei der Beschützergarantenstellung,143 nicht auf das Tatopfer, sondern auf das „Tatwerkzeug“ 144, die sog. „Gefahrenquelle“.145 Notwendig ist eine „Sachherrschaft über den Gefahrenherd“.146 Der Unterlassende muss das Tatwerkzeug in exklusiver Form beherrschen wie sich selbst.147 Dies bedeutet, dass neben der faktischen Herrschaft im Rahmen der Sicherungsherrschaft auch eine rechtliche Befugnis zur Herrschaftsausübung bestehen muss, die den Unterlassenden zur Einwirkung auf den Gefahrenherd ausreichende Mittel in Form einer qualifizierten Rechtsmacht zur Verfügung stellt.148 Notwendig ist damit zweierlei: Erstens muss eine Gefahrenquelle bestehen, die dem Unterlassenden zuzuordnen ist und die es zu überwachen gilt. Zweitens muss der Unterlassende eine exklusive149 rechtliche Befugnis zur Herrschaftsausübung innehaben, die ihn in die Lage versetzt auf das Tatwerkzeug effektiv einzuwirken und wie sich selbst zu beherrschen. 142

Vgl. dazu oben Kapitel 3 A. I. 2. Dazu näher in Kapitel 3 D. 144 Der Begriff „Werkzeug“ soll hier nicht wie bei der mittelbaren Täterschaft verstanden werden, bei der sich ein Hintermann eines „Werkzeugs“ als Vortäter bedient. Vielmehr soll der Begriff „Tatwerkzeug“ in Abgrenzung zum Tatopfer verstanden werden. „Werkzeug“ des Täters kann ein gefährlicher Gegenstand oder eine handelnde Person sein. 145 Roxin, AT II, § 32, Rn. 19. 146 Roxin, AT II, § 32, Rn. 19. Teilweise wird von „Verantwortlichkeit für bestimmte Gefahrenquellen“ gesprochen (etwa Fischer, StGB, § 13, Rn. 15; Gercke, in: AnwKStGB, § 13, Rn. 10). 147 Freund, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 13, Rn. 109 ff.; Schilha, S. 120. 148 Jakobs, AT, 29. Abschnitt, Rn. 35; Schilha, S. 120, m.w. N. Ähnlich Böse, NStZ 2003, 636, 638. 149 Dies bedeutet nicht, dass er der Einzige mit rechtlicher Befugnis sein muss. Selbstverständlich trifft etwa beide Elternteile eine Pflicht Straftaten ihres Kindes zu verhindern. Jedoch darf es keine allgemeingültige rechtliche oder tatsächliche Befugnis sein, die der Unterlassende innehat. 143

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

1. „Gefahrenquelle“ im vorliegenden Fall Die Identifizierung der „Gefahrenquelle“ stellt im vorliegenden Fall kein Problem dar. Es ist der Vorstand, der als potentieller Straftäter aus dem Unternehmen heraus Straftaten begehen könnte. Als Organ der Aktiengesellschaft ist er auch dem Aufsichtsrat „zuzuordnen“. Zwischen Aufsichtsrat und Vorstand bestehen rechtliche Verbindungen,150 die eine konkrete Zuordnung offenbaren. Bereits § 111 Abs. 1 AktG spricht wörtlich von einer Überwachungspflicht, die sich, wie oben bereits ausgeführt, in personaler Hinsicht auf die Vorstandstätigkeit bezieht.151 Eine Zuordnung der „Gefahrenquelle Vorstand“ zum Aufsichtsrat besteht. Diese ist vom Aufsichtsrat zu überwachen. 2. Exklusive rechtliche Befugnis zur Einwirkung auf die Gefahrenquelle Problematischer erscheint das zweite Kriterium, die exklusive rechtliche Befugnis des Aufsichtsrats auf den Vorstand einzuwirken und mit rechtlichen Instrumenten effektiv eine Herrschaft auszuüben. Diese exklusive rechtliche Befugnis zur Einwirkung von Führungspersonen in wirtschaftlichen Unternehmen ist aktuell unter dem Schlagwort der „Geschäftsherrenhaftung“ Gegenstand einer breit geführten Diskussion in Literatur und Rechtsprechung.

II. Existenz und Begründung einer Überwachergarantenstellung des „Geschäftsherrn“ zur Abwendung von Straftaten Unternehmensangehöriger unter Beachtung des Herrschaftsprinzips Die sog. „Geschäftsherrenhaftung“ 152 beschreibt die Pflicht des Betriebsinhabers oder leitender Angestellter153 Straftaten von untergebenen Mitarbeitern zu verhindern.154 Der Begriff passt eigentlich nur für Betriebe oder kleinere Unternehmen, die hierarchisch strukturiert sind und in denen eine klassische Weisungsstruktur und -kultur herrscht.155 In der heutigen Zeit sind Unternehmen durch flache Hierarchien und eher durch Zusammenarbeit im konstruktiven Miteinander als durch von oben diktierte Handlungsanweisungen geprägt. Auch die schiere Größe mancher Unternehmen läuft der klassischen Betrachtungsweise eines Über-/Unterordnungsverhältnisses teilweise zuwider. Dieser tatsächliche Be150 151 152 153 154 155

Vgl. die Darstellung in Kapitel 2 C. I. 2. und Kapitel 2 C. II. 2. Kapitel 1 B. II. 1. Kritisch zu diesem Begriff Schilha, S. 151 (Fn. 276). Vgl. zur personalen Reichweite Kapitel 3 C. II. 2. c) bb) (2), dd). Roxin, AT II, § 32, Rn. 134. Schilha, S. 151 (Fn. 276); Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 53.

C. Der Aufsichtsrat als Überwachergarant des Vorstands

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fund spiegelt sich aber nicht in der rechtlichen Wirklichkeit wider, die dem Vorgesetzten (evtl. „Teamleiter“, o. ä.) u. a. ein Weisungsrecht gegenüber Untergebenen einräumt.156 Ausgehend von der rechtlich vorgeschriebenen Hierarchie überzeugt der Begriff der Geschäftsherrenhaftung dann im Ergebnis doch und wird hier für die Beschreibung einer Straftatverhinderungspflicht der Unternehmensleitung verstanden und gebraucht.157 Strittig ist die Geschäftsherrenhaftung nur, sofern es sich um personale Gefahrenquellen handelt, nicht aber bei sachlichen Gefahrenquellen.158 Da der Vorstand eine personale Gefahrenquelle darstellt, wird er eben hier relevant. 1. Streitstand in Literatur und Rechtsprechung In der Literatur ergibt sich ein relativ differenziertes Meinungsbild. Eine Vielzahl von Autoren lehnt eine Geschäftsherrenhaftung ab.159 Es wird stattdessen teilweise eine starke Nähe zur mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft betont.160 Bereits oben wurde dargelegt, dass die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft nicht für Wirtschafsunternehmen gelten kann.161 Selbst, wenn man die Grundsätze der Rechtsprechung zugrundelegen würde, die eine solche Geltung annimmt, würde der Aufsichtsrat nicht mittelbarer Täter kraft Organisationsherrschaft sein.162 Die Mehrheit nimmt demgegenüber eine Geschäftsherrenhaftung an,163 wobei sich die Begründung aber teilweise etwas unterscheidet.164 Einige Stimmen betonen die Herrschaft des Vorgesetzten über Untergebene und lassen Weisungsmöglichkeiten zur Begründung der Geschäftsherrenhaftung ausreichen.165 Andere lei156 Vgl. zu dem Verhältnis dieses Weisungsrechts zum Prinzip der Eigenverantwortlichkeit Kapitel 3 C. II. 2. b). 157 Im Ergebnis ebenfalls Schilha, S. 151 (Fn. 276). 158 Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 54, 56. Vgl. zum Problem der Trennung beider Gefahrenquellen Roxin, AT II, § 32, Rn. 137; Schall, FS-Rudolphi, S. 275 f. (Trennung nicht möglich) und Beulke, FS-Geppert, S. 35 (Trennung möglich). 159 Aus jüngerer Zeit etwa Beulke, FS-Geppert, S. 35, 39 (m.w. N. auf S. 25, Fn. 4); Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 87 f.; Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 13 Rn. 35a; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 56. Kritisch auch Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 53. 160 Etwa Murmann, in: S/S/W-StGB, § 25, Rn. 48; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 53. Sehr ähnlich Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 102 f. 161 Vgl. oben Kapitel 3 B. I. 1. b). 162 Vgl. oben Kapitel 3 B. III. 163 Vgl. nur Fischer, StGB, § 13, Rn. 67 ff.; Gercke, in: AnwK-StGB, § 13, Rn. 16; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 13, Rn. 14, m.w. N.; Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 54 f.; Roxin, AT II, § 32, Rn. 134 ff.; Schall, FS-Rudolphi, S. 278. 164 Vgl. Übersicht bei Beulke, FS-Geppert, S. 32 ff.; Schall, FS-Rudolphi, S. 269. 165 Bottke, Straftaten Untergebener, S. 24, 30 f.; Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 616 ff.; Schilha, S. 165, 167; Schwarz, wistra 2012, 13, 14. Wohl auch Mansdörfer/ Trüg, StV 2012, 432, 436. Eingehend Kapitel 3 C. II. 2. c) aa).

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

ten die Geschäftsherrenhaftung aus der Verantwortung für die „Gefahrenquelle Betrieb“ (i. S. e. Verkehrssicherungspflicht) ab, als dessen Teil auch die Mitarbeiter des Unternehmens eine (personale) Gefahrenquelle darstellen.166 Ihnen reicht die bloße Weisungsmöglichkeit nicht zur Begründung der Geschäftsherrenhaftung aus.167 Die Rechtsprechung hat sich nach einer langen Phase der Zurückhaltung168 in den letzten Jahren erstmals wieder zur Geschäftsherrenhaftung geäußert und diese im Grundsatz anerkannt und bejaht.169 Der Betriebsinhaber bzw. der Vorgesetzte170 hat danach aber nur die Straftaten nachgeordneter Mitarbeiter zu verhindern, die betriebsbezogenen Charakter haben und nicht nur bei Gelegenheit begangen werden.171 Namentlich für einen Fall des „Mobbings“ wurde die Betriebsbezogenheit verneint.172 Unklar bleibt aber, welchen Standpunkt die Rechtsprechung bezüglich der Grundlage der Geschäftsherrenhaftung einnimmt.173 Poguntke, Roxin und Schramm meinen aus den Ausführungen des BGH auf eine Befürwortung des Ansatzes „Gefahrenquelle Betrieb“ (Verkehrssicherungspflicht) schließen zu können.174 Bülte zieht aus den Ausführungen zur „Betriebsbezogenheit“ den entgegengesetzten Schluss und sieht in den Ausführungen des BGH eine implizite Befürwortung der Herleitung aus der Herrschaft über Untergebene.175 Mansdörfer/Trüg entnehmen dem Urteil eine Herleitung der Garantenstellung aus § 130 OWiG.176 Diese drei Ansätze sind jedoch allesamt spe166 Deutlich Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 989 f.; Mosbacher/Dierlamm, NStZ 2010, 268 f. Wohl auch Fischer, StGB, § 13, Rn. 67 ff. und Krause, in: Handbuch Managerhaftung, § 35, Rn. 11 (der aber sehr stark das Weisungsrecht des Geschäftsleiters betont). Eingehend Kapitel 3 C. II. 2. c) bb). 167 Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 989 f. 168 Vgl. bereits RG, Urteil vom 28.03.1924 – I 818/23 = RGSt 58, 130, 132. Übersicht über die Rechtsprechung des RG zur Garantenstellung im Betrieb bei Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 70 ff. 169 BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42 f. = NJW 2012, 1237 (Garantenpflicht des Betriebsinhabers). Bereits vorher schon BGH, Urteil vom 17.07.2009 – 5 StR 394/08 = BGHSt 54, 44, 47 ff. (Rn. 22 ff.) = NJW 2009, 3173, 3174 (Rn. 22 ff.) („Berliner Stadtreinigungsbetriebe“). 170 BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42 = NJW 2012, 1237 (Garantenpflicht des Betriebsinhabers). 171 BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42 = NJW 2012, 1237 (Garantenpflicht des Betriebsinhabers). 172 BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42, 46 f. = NJW 2012, 1237, 1238 (Garantenpflicht des Betriebsinhabers). 173 Deutlich erkennbar: BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42, 45 f. = NJW 2012, 1237, 1238 (Rn. 13 f.) (Garantenpflicht des Betriebsinhabers). Vgl. auch Schlösser, NZWiSt 2012, 281, 284. Zunächst auch Poguntke, CCZ 2012, 158, 159. 174 Poguntke, CCZ 2012, 158, 159; Roxin, JR 2012, 305, 306; Schramm, JZ 2012, 969. 175 Bülte, NZWiSt 2012, 176, 177 f. 176 Mansdörfer/Trüg, StV 2012, 432, 435.

C. Der Aufsichtsrat als Überwachergarant des Vorstands

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kulativ und können sich bloß indiziell aus den vom BGH zitierten Quellen entnehmen lassen. Eine ausdrückliche Befürwortung eines bestimmten Ansatzes nimmt der BGH nicht vor. Die Gegensätzlichkeit der Schlussfolgerungen aus den vom BGH zitierten Quellen zeigt vielmehr, dass der BGH sich diesbezüglich (noch) nicht positionieren möchte (oder kann). 2. Existenz und Begründung unter Beachtung des Herrschaftsprinzips So überzeugend das Ergebnis der Rechtsprechung erscheinen mag, nämlich die Anerkennung der Geschäftsherrenhaftung, so unzureichend ist die Begründung derselbigen. Der bloße Verweis auf bejahende Literaturstimmen 177 ersetzt ebenso keine Begründung, wie der Verweis auf verneinende Literaturstimmen 178 eine kritische Auseinandersetzung.179 Die (daher notwendige) folgende Auseinandersetzung mit der Diskussion um die Existenz und Begründung der Geschäftsherrenhaftung soll drei Punkte umfassen. Erstens wird der Frage auf den Grund gegangen, ob aus anderen, bereits existierenden Vorschriften, auf die Existenz einer Geschäftsherrenhaftung geschlossen werden kann oder ob diese sogar einer Existenz entgegenstehen, a). Zweitens wird untersucht, ob das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit einer Existenz der Geschäftsherrenhaftung entgegensteht, b). Drittens werden die gängigen Ansätze zur Begründung der Geschäftsherrenhaftung kritisch untersucht, c). a) § 357 Abs. 1 3. Alt. StGB, § 130 OWiG, § 41 WStG etc. als Argumente für und wider die Geschäftsherrenhaftung De lege lata existieren Gesetzte, die für Sondersituationen eine explizite strafbzw. ordnungswidrigkeitsrechtliche Haftung des Vorgesetzten bei Straftaten von Untergebenen normieren. Dies sind etwa § 357 Abs. 1 3. Alt. StGB, § 41 Abs. 1 WStG, § 108 Abs. 1 Satz 1 SeemannsG und § 130 Abs. 1 OWiG.180 Der Unterlassende wird nach diesen Normen als Täter bestraft, wenn er bei Straftaten von Untergebenen nicht einschreitet. Einige Autoren schließen aus der Existenz dieser Normen auf ein allgemeingültiges Prinzip einer Geschäftsherrenhaftung.181 Andere Stimmen entwickeln aus den Normen den Gegenschluss: Sie regelten Spezialfälle und könnten daher nur als Ausnahme von der grundsätzlichen Nichtstrafbarkeit des Vorgesetzten 177 So BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42, 45 f. = NJW 2012, 1237, 1238 (Rn. 13) (Garantenpflicht des Betriebsinhabers). 178 So BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42, 45 f. = NJW 2012, 1237, 1238 (Rn. 13) (Garantenpflicht des Betriebsinhabers). 179 Kritisch auch Mansdörfer/Trüg, StV 2012, 432, 435. 180 Weitere Sondernormen bei Schilha, S. 155. 181 Roxin, AT II, § 32, Rn. 140; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn.183, 185.

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

gelten.182 Eine Geschäftsherrenhaftung habe vielmehr gesetzgeberisch normiert zu sein.183 Gegen die Stimmen, die eine allgemeine Geschäftsherrenhaftung aus den eingangs zitierten Normen ableiten wollen, wird der Vorwurf einer täternachteiligen, und daher gem. Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB unzulässigen Analogie ins Feld geführt.184 Allerdings wird die Geschäftsherrenhaftung nicht aus diesen Normen abgeleitet, sondern begründet sich aus § 13 Abs. 1 StGB selbst. Daher kann der Vorwurf einer Analogie nicht überzeugen. Die Vorschriften werden nur bemüht, um die Existenz der Garantenstellung zu beweisen, nicht aber, um die zitierten Vorschriften selbst zu Lasten des Täters anzuwenden. Will man richtigerweise primär auf die gesetzgeberische Intention abstellen, so zeigt sich, dass der Gesetzgeber sich weder für noch gegen eine grundsätzliche Geschäftsherrenhaftung ausspricht.185 Damit lässt sich dann mit der Existenz bestimmter Spezialgesetzte weder für noch gegen eine grundsätzliche Geschäftsherrenhaftung argumentieren.186 Vielmehr zeigen die Regelungen bloß, dass dem Gesetzgeber die Thematik nicht gänzlich unbekannt ist. Ob eine Geschäftsherrenhaftung existiert oder nicht, ist eine Frage, die auf der Grundlage der § 13 Abs. 1 StGB selbst und eigenständig zu untersuchen ist.187 b) Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit und die Geschäftsherrenhaftung Der gewichtigste188 Einwand gegen die Existenz der Geschäftsherrenhaftung ist der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit (des Untergebenen). Die Kritiker werfen den Befürwortern der Geschäftsherrenhaftung einen Verstoß gegen den Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit vor.189 Grundsätzlich ist jede Person nur für ihr eigenes Verhalten verantwortlich. Bloß ausnahmsweise kann jemand für das Verhalten Dritter zur Verantwortung gezogen werden. Nämlich dann, wenn die Rechtsordnung die Verantwortung dem (außenstehenden) Unterlassenden überträgt oder ihm zusätzlich einräumt.190 Hierfür sei erforderlich, dass der Unterlassende von der Rechtsordnung mit einer Aufsichts- und Weisungsbefugnis 182

Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 13 Rn. 35a, m.w. N.; Stoffers, NJW 2009, 3176. Beulke, FS-Geppert, S. 41 (der aber nicht wegen § 357 StGB etc. die Garantenstellung verneint). 184 Beulke, FS-Geppert, S. 31; Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 87. Vgl. auch Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 62 ff. 185 Vgl. auch Ransiek, AG 2010, 147, 149. 186 So auch Beulke, FS-Geppert, S. 31; Ransiek, AG 2010, 147, 149; Schilha, S. 155 ff. 187 Beulke, FS-Geppert, S. 31; Schilha, S. 156. 188 Beulke, FS-Geppert, S. 32. 189 Etwa Beulke, FS-Geppert, S. 34 f.; Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 13 Rn. 35a, m.w. N.; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 56, m.w. N. 190 Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 13 Rn. 32. 183

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ausgestattet worden ist, mit deren Hilfe er die Herrschaft über den anderen ausüben könne.191 Dies ist etwa bei JVA-Bediensteten gegenüber den Gefangenen192, Eltern193 und Lehrern194 gegenüber Kindern und bei Klinikpersonal gegenüber Geisteskranken195 anerkanntermaßen der Fall. Fraglich ist, ob auch der Betriebsinhaber bzw. Vorgesetzte im Wirtschaftsunternehmen diesen Anforderungen gerecht wird. Gerade dies wird von einigen Stimmen in der Literatur bestritten, da die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis und der etwaige Informationsvorsprung des Vorgesetzten diesen Anforderungen nicht gerecht würden.196 Beulke sieht den Vorgesetzten nicht in einer Reihe mit den anerkannten Aufsichtsgaranten (vgl. soeben).197 Ferner widerspräche das moderne Rollenverständnis in der Arbeitswelt einer Geschäftsherrenhaftung.198 Diese Einwände können allerdings nicht überzeugen. Das moderne Rollenverständnis in der Arbeitswelt steht einer Geschäftsherrenhaftung nicht entgegen. Zwar wird die klassische Weisungsstruktur in vielen Unternehmen nicht mehr im Alltag praktiziert (vgl. bereits oben Kapitel 3 C. II.), doch erstens existieren de jure die rechtlichen Grundlagen zur Einflussnahme weiterhin und zweitens wird in Konfliktsituationen der Vorgesetzte sein Weisungsrecht regelmäßig de facto auch ausüben und durchsetzen können. Der Vergleich von Wirtschaftsunternehmen mit Gefängnissen, psychiatrischen Einrichtungen, Schulen und familiären Strukturen mag auf den ersten Blick tatsächlich gegen eine Gleichsetzung des Wirtschaftsunternehmens mit diesen sprechen. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass auch das Wirtschaftsunternehmen eine strukturelle Gliederung aufweist, wie sie in den vorgenannten Institutionen besteht. Verschiedene Abteilungen bearbeiten verschiedene Aufgaben. Delegiert und geleitet wird das Unternehmen von Personen, die den Überblick über die konkreten Vorgänge haben und aus dieser Stellung heraus organisatorische und informatorische Macht ausüben (können).199 Auch hat der Vorgesetzte als Leitungsperson, entsprechend einem Lehrer oder Gefängniswärter, eine organisatorische Macht und einen Einfluss auf den Geschäftsgang, etwa durch sein Weisungsrecht.200 Der Untergebene handelt 191 Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 13 Rn. 33; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 51. 192 Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 13 Rn. 35. 193 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.08.1986 – 5 Ss 296/86 – 232/86 I = NJW 1987, 201; Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 13 Rn. 33. 194 Vgl. Beulke, FS-Geppert, S. 32; Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 13 Rn. 33. 195 Roxin, AT II, § 32, Rn. 131, m.w. N.; Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 13 Rn. 33. Zivilrechtlich: BGH, Urteil vom 15.04.1958 – VI ZR 87/57 = NJW 1958, 1775. 196 Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 13 Rn. 35a; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 56. 197 Beulke, FS-Geppert, S. 32 f. 198 Beulke, FS-Geppert, S. 33. 199 Ebenso Mansdörfer/Trüg, StV 2012, 432, 436. Ähnlich Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 56. 200 Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 56. Ähnlich Schilha, S. 160.

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zwar voll eigenverantwortlich. Die Position des Vorgesetzten als Respektsperson und eben hierarchisch (wenn in einigen Unternehmen evtl. nicht mehr faktisch, so dann aber wenigstens noch rechtlich) über dem Untergebenen Stehenden, versetzen ihn in eine Position, die den oben zitierten anerkannten Aufsichtsstellungen entspricht. Weisungsrecht und Informationsvorsprung geben dem Vorgesetzten eine „Befehlsgewalt“, die ihm eine Herrschaftsstellung einräumt.201 Diese Herrschaftsstellung ist damit nicht zwingend die Grundlage der Geschäftsherrenhaftung [vgl. dazu sogleich Kapitel 3 C. II. 2. c)]. Sie zeigt aber, dass der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit hier durch die Rechtsordnung zugunsten des Vorgesetzten durchbrochen wird, der Mittel und Macht zum Tätig werden bewusst übertragen bekommen hat (etwa in § 106 GewO normiert).202 Der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit steht der Geschäftsherrenhaftung daher nicht entgegen, sondern die soeben dargelegte Durchbrechung des Grundsatzes spricht eher für eine Geschäftsherrenhaftung.203 c) Garantenstellung aus „Herrschaft über Untergebene“ oder aus „Haftung für den Gefahrenherd Betrieb“? Die bisherigen Überlegungen zeigen, dass einer Geschäftsherrenhaftung nichts Grundsätzliches im Wege steht. Sie liefern aber keine Begründung oder Grundlage für ihre Existenz. Für diese gibt es in der Literatur verschiedene Begründungsansätze. aa) „Herrschaft über Untergebene aufgrund einer Befehlsgewalt“ Teilweise wird die Geschäftsherrenhaftung allein aus der rechtlichen Befehlsgewalt des Vorgesetzten begründet, die eine Herrschaftsstellung des Vorgesetzten im Verhältnis zu seinen Untergebenen statuiere.204 Ansatzpunkt sind die Einflussmöglichkeiten auf die untergebenen Mitarbeiter, die dem Vorgesetzten zur Verfügung stehen. In der extremsten Auslegung dieser Meinung lässt es Schilha für die Begründung einer Überwachergarantenstellung i. S. d. Geschäftsherrenhaftung ausreichen, dass der Vorgesetzte ein arbeitsrechtlich fundiertes Weisungsrecht innehat.205 Die Herrschaft selbst ist hier also begründendes Element der 201

Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 56. Vgl. Schilha, S. 165. 203 Ebenfalls für eine Durchbrechung des Grundsatzes der Eigenverantwortlichkeit etwa Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 989 f.; Fischer, StGB, § 13, Rn. 68. 204 Deutlich Schilha, S. 165 ff.; Schwarz, wistra 2012, 13, 14. Wohl auch Mansdörfer/Trüg, StV 2012, 432, 436 und Schlösser, NZWiSt 2012, 281, 284. Ebenso Bottke, Straftaten Untergebener, S. 24, 30 f. 205 Schilha, S. 167 (mit aber teils irreführenden Zitaten in Fn. 381) und ähnlich Rogall, ZStW 98 (1986), 573, 616 ff. Entschieden dagegen Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 13, Rn. 38. 202

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Garantenstellung. Kritiker werfen dieser Meinung vor, dass allein die Verhinderungsmöglichkeit (die Weisung) keine Garantenstellung begründen könne, eben dieses aber Inhalt dieser Meinung sei.206 Nach dem Herrschaftsansatz kann jeder Mitarbeiter im Unternehmen, der ihm untergeordnete Mitarbeiter verantwortet, Überwachergarant sein, sofern er ein arbeitsrechtliches Direktionsrecht innehat. bb) Verantwortung für die „Gefahrenquelle Betrieb“ Überwiegend wird die Geschäftsherrenhaftung aus der Verantwortung des Betriebsinhabers für die „Gefahrenquelle Betrieb“ abgeleitet.207 Der Verantwortliche habe die Gefahrenquellen im eigenen Herrschaftsbereich zu überwachen. Ausgangspunkt dieses Begründungsansatzes ist die Verkehrssicherungspflicht des Betriebsinhabers, die ihn verpflichte den Gefahrenherd so unter Kontrolle zu halten, dass Außenstehende keinen Schaden nehmen.208 Die Verkehrsteilnehmer müssten sich darauf verlassen können, dass derjenige, der die Verfügungsgewalt in einem bestimmten gefährlichen Herrschaftsbereich oder in einem abgegrenzten Raum ausübte, welcher anderen offensteht oder aus dem auf andere eingewirkt wird, die Gefahren beherrschte, die sich aus diesem Bereich ergeben.209 Vielfach wird betont, dass der Preis der Herrschaft über die Gefahrenquelle gleichsam die Pflicht zu ihrer Beherrschung sei, da sich Außenstehende, die die Gefahrenquelle nicht beherrschen können und dürfen, darauf verlassen müssten, dass der Herrschaftsinhaber seiner Pflicht zur Kontrolle nachkomme.210 Gefahrenquellen können sachlicher Natur sein (bspw. mangelhafte Arzneimittel oder fehlerhafte Kraftfahrzeuge211) oder auch personaler Natur (Straftaten von Mitarbeitern, die einen schädigenden Erfolg verursachen). Teilweise wird dieser Ansatz auf sachliche Gefahrenquellen beschränkt, da einer Ausdehnung auf per-

206

Beulke, FS-Geppert, S. 32; Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 989. Etwa Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 990; Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 13, Rn. 38; Gercke, in: AnwK-StGB, § 13, Rn. 16; Krause, in: Handbuch Managerhaftung, § 35, Rn. 11; Warneke, NStZ 2010, 312, 314. Im Ergebnis auch Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 83; Roxin, AT II, § 32, Rn. 137. Wohl auch Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 56. 208 Für sachliche Gefahrenquellen BGH, Urteil vom 31.01.2002 – 4 StR 289/01 = BGHSt 47, 224, 229 = NStZ 2002, 421, 422 f. („Wuppertaler Schwebebahn“); Beulke, FS-Geppert, S. 34, m.w. N. Allgemein Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 990. 209 Otto, FS-Schroeder, S. 341. 210 Etwa Otto, FS-Schroeder 2006, S. 341, m.w. N.; Roxin, AT II, § 32, Rn. 110; Schall, FS-Rudolphi, S. 277, m.w. N. Vgl. bzgl. Compliance Officer Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29 und BGH, Urteil vom 17.07.2009 – 5 StR 394/08 = BGHSt 54, 44, 48 (Rn. 23) = NJW 2009, 3173, 3174 (Rn. 23) („Berliner Stadtreinigungsbetriebe“). 211 Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 13 Rn. 35a. 207

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sonale Gefahrenquellen der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit entgegenstehe.212 Diese Argumentation ist bereits oben widerlegt worden.213 Die dem Vorgesetzten zur Verfügung stehenden Mittel zur Einflussnahme durchbrechen den Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit im Unternehmen. Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um eine verpflichtende Überwachung der Gefahrenquellen im eigenen Herrschaftsbereich begründen zu können: Erstens muss der Betriebsinhaber, bzw. der Vorgesetzte, die Herrschaft über die Gefahrenquelle und zweitens die Organisationsmacht im Betrieb innehaben:214 (1) Erste Voraussetzung: Herrschaft über die Gefahrenquelle Damit beinhaltet diese Meinung das begründende Element der ersten Meinung, nämlich die „Herrschaft über die Gefahrenquelle“, die für Personen einzig in der rechtlichen Befugnis zur Einflussnahme, etwa in Form von Weisungen, bestehen kann. (2) Zweite Voraussetzung: Organisationsmacht im Betrieb Zusätzlich, also zweitens, muss der Unterlassende die „Organisationsmacht“ im Betrieb innehaben. Dieses Merkmal wirft einige Fragen auf. Zunächst ist zu überlegen, was genau unter einer „Organisationsmacht“ zu verstehen ist. Zu weit dürfte es führen die Kriterien der (abzulehnenden215) Rechtsprechung bzgl. der Organisationsherrschaft216 anzulegen, da dann kein eigenständiger Raum für die Geschäftsherrenhaftung verbleiben würde und die Geschäftsherrenhaftung inzwischen auch in der Rechtsprechung anerkannt ist.217 Die Voraussetzung „Organisationsmacht“ ist daher anders zu interpretieren und zwar als eigenständiges Kriterium neben der ersten Voraussetzung, der Herrschaft über die (personale) Gefahrenquelle.

212 Beulke, FS-Geppert, S. 34 f.; Rudolphi/Stein, in: SK-StGB, § 13 Rn. 35a, m.w. N.; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 56, m.w. N. 213 Kapitel 3 C. II. 2. b). 214 Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 990; Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 13, Rn. 38; Gercke, in: AnwK-StGB, § 13, Rn. 16; Krause, in: Handbuch Managerhaftung, § 35, Rn. 11; Warneke, NStZ 2010, 312, 314. Im Ergebnis auch Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 83; Roxin, AT II, § 32, Rn. 137. Wohl auch Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 56. 215 Vgl. dazu Kapitel 3 B. I. 1. b). 216 Vgl. dazu Kapitel 3 B. II. 217 Vielleicht deshalb sehen einige Stimmen eine starke Nähe der Geschäftsherrenhaftung zur mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft, etwa Murmann, in: S/S/W-StGB, § 25, Rn. 28; Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 102 f.; Stree/ Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 53.

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Sinn- und zweckmäßig soll das Kriterium der notwendigen „Organisationsmacht“ eine einschränkende Wirkung gegenüber der bloßen Weisungsmöglichkeit, also der ersten Voraussetzung, (1), haben, weil diese eben nicht ausreichend für eine Begründung der Geschäftsherrenhaftung sein soll.218 Ansonsten wären auch untere Hierarchieebenen potentielle Überwachergaranten, wenn sie die bloße Weisungsmöglichkeit gegenüber einer Person innehaben. Dies würde aber die strafrechtliche Verantwortung zu weit ausdehnen, da allein die Weisungsbefugnis als Begründungsvoraussetzung nicht ausreichen soll. Der Unterlassende muss also eine gesteigerte Verantwortung innehaben. Dies ist der Fall, wenn er organisatorischen Einfluss im Unternehmen ausüben kann, also etwa Betriebsabläufe festlegen kann oder untergebenen Personen einen neuen Arbeitsbereich zuordnen oder eine Suspendierung von der Arbeit aussprechen kann. Er müsste dafür Einflussnahmemöglichkeiten auf eine Mehrzahl von Personen haben, deren Tätigkeit er (gewissermaßen) steuern kann. Begrifflich wäre es hier vielleicht besser, auch in Abgrenzung zur sog. „Organisationsherrschaft“, nicht von „Organisationsmacht“, sondern von „Organisationsverantwortung“ zu sprechen. Diese Organisationsverantwortung obliegt nicht den unteren Hierarchieebenen, sondern der Leitungsebene. Eben diese sollen primärer Adressat der Geschäftsherrenhaftung sein.219 Das ist konsequent, da diese Hierarchieebene nicht nur Herrschaft durch Weisungen ausdrücken kann, sondern eben auch mit der Organisation des Betriebs betraut ist, die ebenfalls ein Herrschaftselement beinhaltet. Wie genau die Abgrenzung vorzunehmen ist, wann also jemand „Leitungsperson“ ist, lässt sich abstrakt nicht eindeutig sagen und hängt auch von der Unternehmensgröße und -struktur ab. Vorstände und Geschäftsführer (also exekutive Gesellschaftsorgane) erfüllen dieses Merkmal jedenfalls.220 Aber auch nachgelagerte Hierarchieebenen können Organisationsverantwortung tragen. So können Abteilungsleiter, die eine Personalverantwortung für z. B. mehr als 50 Mitarbeiter haben, durchaus das Kriterium der Organisationsverantwortung erfüllen, ohne Vorstand, bzw. Geschäftsführer zu sein. Fraglich erscheint aber das Vorliegen von

218

Vgl. oben in Fn. 167. Vgl. etwa Krause, in: Handbuch Managerhaftung, § 35, Rn. 11 („Geschäftsleiter“); Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 83 („Leitungsorgane“); Roxin, AT II, § 32, Rn. 137 („Leitungspersonen“). Im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 17.07.2009 – 5 StR 394/08 = BGHSt 54, 44, 48 f. (Rn. 23, 25) = NJW 2009, 3173, 3174 (Rn. 23, 25) („Berliner Stadtreinigungsbetriebe“), der die Pflicht primär der Unternehmensleitung auferlegt. Kritisch ggü. BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42, 45 f. = NJW 2012, 1237, 1238 (Rn. 13) (Garantenpflicht des Betriebsinhabers) daher Schlösser, NZWiSt 2012, 281, 285. 220 Zum gleichen Ergebnis gelangt Otto, FS-Schroeder, S. 343 ff., der dafür aber das Merkmal „Betriebsinhaber“ auslegt. Dies ist aber kein eigenständiges Merkmal der Geschäftsherrenhaftung, vgl. etwa BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42, 45 f. = NJW 2012, 1237, 1238 (Rn. 13) (Garantenpflicht des Betriebsinhabers). Die notwendige Begrenzung muss vielmehr definitionsimmanent sein, also aus den Voraussetzungsmerkmalen der Garantenstellung selbst erwachsen. 219

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Organisationsverantwortung bei einem Vorarbeiter einer „Kolonne“ im Straßenbau.221 Dieser übt nur über eine überschaubare Anzahl von untergeordneten Mitarbeitern Einfluss aus. Er hat keinen organisatorischen Einfluss, sondern einen solchen, der sich aus dem arbeitsrechtlichen Direktionsrecht ableitet. Es spricht unter Anlegung der hier aufgezeigten Maßstäbe mehr dafür, in einem solchen Fall eine Geschäftsherrenhaftung und damit eine Garantenstellung abzulehnen. Der BGH spricht sich in solchen Fällen für eine Übernahme der Garantenstellung des Vorgesetzten vom Betriebsinhaber „im Rahmen des Arbeitsverhältnisses“ aus.222 Es erscheint aber zweifelhaft, ob allein durch das Arbeitsverhältnis eine Übernahme der (weitreichenden und folgenschweren) Garantenstellung erfolgen kann. Dem Übernehmenden werden so die Folgen der Übernahme nicht hinreichend deutlich vor Augen geführt. Da er mangels Organisationsverantwortung nicht Adressat der Garantenstellung ist, überzeugt die (faktische) Begründung durch Übernahme im Rahmen des Arbeitsverhältnisses ohne weitere Voraussetzungen nicht. Ferner ist eine Übernahme nicht zwingend notwendig, um dem Vorgesetzten (dem Übernehmenden) seine besondere Stellung zu verdeutlichen. Es reichen gegebenenfalls arbeitsrechtliche Sanktionen aus, um ihn in die Pflicht zu nehmen [dazu auch unten dd)]. cc) „Kehrseitenargument“ Ein weiterer Ansatz, der neuerdings stärker betont wird, ist das hier so bezeichnete „Kehrseitenargument“. Als Kehrseite der Freiheit ein Unternehmen betreiben zu dürfen, müsse dem Betriebsinhaber die Pflicht aufgebürdet werden, durch Anweisungen und Kontrollen strafbare Handlungen der Mitarbeiter aus dem Unternehmen heraus zu verhindern.223 Bottke bezieht sich in seiner Begründung dieses Ansatzes auf Rawls Werk „Eine Theorie der Gerechtigkeit“.224 Konkrete Schlussfolgerungen lassen sich diesem Ansatz allerdings nicht entnehmen. Vielmehr dient er zur Erklärung der Existenz des Weisungsrechtes innerhalb eines Unternehmens. Sofern er als eigenständiges Argument für die Geschäftsherrenhaftung bemüht wird, vermag dieser Ansatz nicht zu überzeugen.

221 Vgl. aber BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42, 45 f. = NJW 2012, 1237, 1238 (Garantenpflicht des Betriebsinhabers), das sich nicht zur Grundlage der Garantenstellung äußert (vgl. oben Kapitel 3 C. II. 1.). Unklar ist die Mannstärke der „Kolonne“. Kritisch ggü. dem BGH auch Schlösser, NZWiSt 2012, 281, 285. 222 BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42, 45 = NJW 2012, 1237, 1238 (Rn. 12) (Garantenpflicht des Betriebsinhabers). 223 Zuerst wohl Bottke, Straftaten Untergebener, S. 25 f., 28. Ferner Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 56; Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 13, Rn. 53. Nicht zu verwechseln mit dem oben genannten Begründungsansatz für die „Gefahrenquelle Betrieb“. 224 Bottke, Straftaten Untergebener, S. 25 f.

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dd) Grundlage der Garantenstellung aufgrund des Herrschaftsprinzips Das „Kehrseitenargument“ kann nicht als eigenständige Begründung der Geschäftsherrenhaftung herhalten. Es würde auch keinen Bestand im hier vertretenen Herrschaftsprinzip haben, das die Grundlage der Garantenstellungen ist.225 Mit dem Herrschaftsprinzip vereinbar ist demgegenüber sowohl der Ansatz, der einzig die „Herrschaft über Untergebene“ in den Mittelpunkt stellt als auch der Ansatz, der sich der Geschäftsherrenhaftung von der Verkehrssicherungspflicht aus nähert. In beiden Fällen ist die rechtliche Befugnis zur Einwirkung auf andere Personen leitendes Begründungskriterium. Daher besteht auch kein Gegensatz zwischen den beiden Meinungen, wie es aber die Ausführungen einiger Autoren nahelegen.226 Vielmehr ist das Weisungsrecht auch bei der Begründung über die „Gefahrenquelle Betrieb“ konstituierendes Merkmal, auch sofern es sich, wie hier, um personale Gefahrenquellen handelt. Dieses Weisungs-, bzw. Einflussnahmerecht, ist, im Sinne der obigen Voraussetzungen der Überwachergarantenstellungen,227 eine exklusiv rechtliche Befugnis, da einzig übergeordnete Personen im Unternehmen diese Rechte ausüben dürfen, nicht aber Außenstehende. Zusätzlich verlangt die zweitgenannte Auffassung [bb)] eine Organisationsverantwortung zur Begründung der Geschäftsherrenhaftung. Damit bietet sie ein restriktivierendes Element, das nur bei Leitungspersonen zu einer Garantenstellung als Überwachergarant führt, während die erstgenannte Auffassung [aa)] auch bei einfachen Angestellten mit Weisungsrecht ggü. anderen Arbeitnehmern zu einer Garantenstellung gelangen kann. Diese extensive Auslegung verstößt zwar nicht per definitionem gegen den Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit,228 doch bürdet sie auch hierarchisch untergeordneten Arbeitnehmern mit Personalverantwortung (gegebenenfalls nur für eine einzige Person) eine strafrechtliche Pflicht auf. Hiergegen sprechen zwei Argumente: Erstens gerät sie mit dem ultima ratio-Gedanken des Strafrechts in Konflikt. Auf unteren Hierarchieebenen können arbeitsrechtliche Maßnahmen ausreichen, um die Angestellten zum Einsatz ihres Weisungsrechts zu bewegen. Erst auf höheren Hierarchieebenen entstehen zusätzliche Verhaltensdrücke, die einen Einsatz des Strafrechts rechtfertigen können, wie etwa eine gesteigerte Vorbildfunktion (die umso stärker anwächst, je mehr Kompetenzen und Verantwortung die jeweilige Person innehat) oder der Konkurrenzkampf um Aufstiegsmöglichkeiten (je höher die Hierarchieebene angesiedelt ist, desto weniger Aufstiegsmöglichkei-

225 226 227 228

Vgl. oben Kapitel 3 A. I. 2. Etwa Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 989 f. Vgl. oben Kapitel 3 C. I. So aber Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 989 f.

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ten verbleiben aufgrund der pyramidenähnlichen Struktur in den allermeisten Unternehmen). Zweitens ist die Begründung der Garantenstellung identisch mit der Erfolgsverhinderungsmöglichkeit, die ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal ist.229 Auch dies ist zwar nicht per se ein Ausschlusskriterium, das sich § 13 Abs. 1 StGB entnehmen lässt, doch sollte aufgrund der tendenziellen Unbestimmtheit der Norm230 eine restriktive Anwendung erfolgen, die allenfalls in besonderen Ausnahmefällen eine Identität von Verhinderungsmöglichkeit und garantenbegründendem Faktum zulassen kann. Daher erscheint es überzeugender die Geschäftsherrenhaftung mit der Verantwortung für die Gefahrenquelle Betrieb zu begründen und damit erstens die Herrschaft über die Gefahrenquelle vorauszusetzen (Herrschaftselement) und zweitens das Innehaben der Organisationsverantwortung im Betrieb zu verlangen (restriktivierendes Element mit gesteigerter Herrschaftskomponente), sodass ausschließlich Leitungspersonen Garant sein können. Eine Übertragung dieser Pflicht auf Untergebene kann nicht einfach „im Rahmen des Arbeitsverhältnisses“ geschehen,231 sondern es müsste mindestens ein entsprechender Passus im Arbeitsvertrag aufgenommen werden, um dem Arbeitnehmer seine gesteigerte Verantwortung vor Augen zu führen. ee) Folgen für aktuelle Fragen in Wissenschaft und Praxis Aus diesen Erkenntnissen lassen sich zwei wichtige Schlussfolgerungen für aktuell in Wissenschaft und Praxis diskutierte Fragen ziehen: Nach Auffassung der Rechtsprechung soll der Compliance Officer Überwachergarant sein, da er eine entsprechende Pflicht von der Unternehmensleitung übernommen habe.232 Da er aber nur dann eine Verhinderungspflicht innehaben kann, wenn er Herrschaft in Form von Weisungen und organisatorischen Maßnahmen ausüben kann, muss er mindestens ein Direktionsrecht gegenüber Straftätern im Unternehmen übertragen bekommen, um Garant sein zu können.233 Zweitens hat der BGH eine Überwachergarantenstellung des Vorarbeiters einer „Kolonne“ erwogen. Dieser ist keine „Leitungsperson“ im Betrieb, da er über 229 U. a. deshalb die unter aa) dargelegte Meinung ablehnend Beulke, FS-Geppert, S. 32; Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 989. 230 Vgl. Fn. 6. 231 So BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42, 45 = NJW 2012, 1237, 1238 (Rn. 12) (Garantenpflicht des Betriebsinhabers). 232 BGH, Urteil vom 17.07.2009 – 5 StR 394/08 = BGHSt 54, 44, 48 f. (Rn. 27) = NJW 2009, 3173, 3174 (Rn. 27) („Berliner Stadtreinigungsbetriebe“). Dagegen aber weite Teile des Schrifttums, vgl. nur Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 86 f., m.w. N. 233 Wie hier etwa Beulke, FS-Geppert, S. 37; Ransiek, AG 2010, 147, 150. A. A. Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 990.

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keine Organisationsverantwortung trägt. Folgerichtig kann er kein Überwachergarant nach der Geschäftsherrenhaftung sein. Allenfalls durch Übertragung der Pflicht kann er Garant werden, die jedoch nicht ohne weiteres angenommen werden sollte, vgl. bereits oben Kapitel 3 C. II. 2. c) bb (2).

III. Reichweite und notwendige Einschränkung der Überwachergarantenstellung des Geschäftsherrn („Betriebsbezogenheit“) Die sich zunächst in sachlicher Hinsicht uferlos darstellende Reichweite der Geschäftsherrenhaftung ist notwendigerweise einzuschränken. Neben der personellen Restriktion auf Leitungspersonen [vgl. oben Kapitel 3 C. II. 2. c) bb) (2)], ist auch eine sachliche Restriktion der Geschäftsherrenhaftung geboten. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit und des eingeschränkten Herrschaftsbereichs des Geschäftsherrens, 2. Ferner könnten ausschließlich extern wirkende Straftaten zu verhindern sein, 1. 1. Beschränkung auf extern wirkende Straftaten? Schall möchte bloß extern wirkende Straftaten der Verhinderungspflicht unterstellen.234 Straftaten, die Betriebsangehörige oder das Unternehmen selbst schädigten, richteten sich nicht gegen Außenstehende und nur diese hätten die unternehmensinterne Herrschaftssphäre zu respektieren.235 Es realisierte sich daher nicht die vom Garant zu überwachende Gefahr.236 a) Betriebsangehörige als „Außenstehende“ Betriebsangehörige, die sich strafbaren Handlungen von Mitarbeitern ausgesetzt sehen, haben allerdings nur eingeschränkte Möglichkeiten sich im Betrieb zur Wehr zu setzen.237 Mitarbeiter haben untereinander die unternehmensinterne Herrschaftssphäre zu respektieren. Sie sind auf das Einschreiten der Leitungspersonen angewiesen, die auch intern Herrschaft ausüben können und dürfen, im Unterschied zu gleichberechtigten Mitarbeitern.238 Daher unterfallen Straftaten zu Lasten von Mitarbeitern grundsätzlich der Geschäftsherrenhaftung. Eine Einschränkung dieser Reichweite erfolgt über die „Betriebsbezogenheit“ der Straftat, dazu sogleich Kapitel 3 C. III. 2. 234

Schall, FS-Rudolphi, S. 279 f. Schall, FS-Rudolphi, S. 279. 236 Schall, FS-Rudolphi, S. 280. 237 Explizit für den Fall des „Mobbings“ mit körperverletzenden Handlungen argumentiert Roxin, JR 2012, 305, 307 gegen Schall. 238 Roxin, JR 2012, 305, 307. 235

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b) Unternehmenseigene Rechtsgüter? Bezüglich unternehmenseigener Rechtsgüter gibt es eine erhöhte faktische Zugriffsmöglichkeit der Mitarbeiter. Diese haben die Rechtsgüter des Unternehmens zu respektieren. Die Gefahr, die von den Mitarbeitern ausgeht, wirkt aber in der Tat lediglich intern. Anders als Betriebsangehörige, die sich Straftaten anderer Betriebsangehöriger ausgesetzt sehen, gibt es keine Herrschaftssphäre, die respektiert werden müsste. Die Hilflosigkeit juristischer Personen, die ihre eigenen Rechtsgüter selbst nicht schützen können, führt zu einer Beschützergarantenstellung der Organe, vgl. unten Kapitel 3 D. II. 1., 2. Ein Schutz dieser Rechtsgüter ist also bereits gewährleistet. Bezüglich unternehmenseigener Rechtsgüter besteht keine Überwachergarantenstellung, da es tatsächlich an der Gefahrrealisierung fehlt und aufgrund der Beschützergarentenstellung keine Notwendigkeit einer Durchbrechung dieses Grundsatzes bedarf. c) Ergebnis Bezugspunkt der Geschäftsherrenhaftung sind daher primär extern wirkende Straftaten, sowie solche, die gleichrangige oder untergeordnete Betriebsangehörige verletzen können (vgl. aber auch die restriktivierende Wirkung der „Betriebsbezogenheit“, 2.). 2. „Betriebsbezogenheit“ der zu verhindernden strafbaren Handlung Nach allgemeiner Meinung ist die Geschäftsherrenhaftung auf „betriebsbezogene“ Straftaten zu beschränken.239 Dies lässt sich zunächst damit begründen, dass die Einflussnahmemöglichkeiten der Leitungspersonen auf die Mitarbeiter des Betriebs begrenzt sind. Weisungen und organisatorischen Einfluss kann er nur im Rahmen des betrieblichen Herrschaftsbereichs erteilen und ausüben. Etwa auf private Entscheidungen hat der Vorgesetzte keinen Einfluss und kann deswegen auch nicht für die eigenverantwortlichen Entscheidungen des Untergebenen in diesem Bereich zur Rechenschaft gezogen werden.240 Fraglich und umstritten ist aber, wie weit dieser Herrschaftsbereich reicht und wann die Eigenverantwortlichkeit des Untergebenen die Geschäftsherrenhaftung entfallen lassen muss. Hierzu haben sich in der Literatur verschiedene Ansätze 239 BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42 = NJW 2012, 1237 (Garantenpflicht des Betriebsinhabers). und schon OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.03. 1971 – 3 Ss 5/71 = GA 1971, 281, 283. Aus der Literatur vgl. nur Fischer, StGB, § 13, Rn. 69 f.; Gercke, in: AnwK-StGB, § 13, Rn. 16; Grützner, BB 2012, 151, 152; Kühl, AT, § 18, Rn. 118a; Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 46; Roxin, JR 2012, 305, 306 („zwingend“); Schwarz, wistra 2012, 13, 14. Vgl. auch Beulke, FS-Geppert, S. 34 („selbstverständliche Voraussetzung“). 240 Vgl. etwa Landscheidt, S. 115; Ransiek, AG 2010, 147, 151.

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gebildet, die teilweise ohne nähere Begründung Eingang in die Rechtsprechung gefunden haben. a) Rückgriff auf die Inhaberpflichten des § 130 Abs. 1 OWiG Ein älterer Ansatz versucht unter Rückgriff auf die Inhaberpflichten des § 130 Abs. 1 OWiG eine Begrenzung der Betriebsbezogenheit herzustellen.241 Allerdings ist im Rahmen von § 130 OWiG selbst umstritten, wann eine Betriebsbezogenheit vorliegt.242 Daher bietet dieser Ansatz keinen Konkretisierungsgewinn.243 b) Handeln im eigenen oder im Betriebsinteresse Andere Stimmen wollen differenzieren, ob der untergebene Mitarbeiter im eigenen Interesse oder im betrieblichen Interesse handelte.244 Nur im letzten Fall liege eine betriebsbezogene Straftat vor. Hier würde die Abgrenzung nicht selten zu Schwierigkeiten der Bewertung führen. Insbesondere bei mittelbar im eigenen Interesse liegenden Taten könnten Widersprüche auftreten. So liegt etwa der Betrug gegenüber Kunden im eigenen Interesse, wenn die gewonnenen Vertragsabschlüsse zu einer erhöhten Prämie des Mitarbeiters führen. Das Unternehmen profitiert dann aber trotzdem von der Straftat des Mitarbeiters. Ferner würden Taten nicht erfasst werden, die der Mitarbeiter unter Ausnutzung der typischen beruflichen Versuchungen begeht, etwa eigennützige Betrügereien des Croupiers.245 Diese Ansicht ist folglich zu eng.246 Sie kann ferner zu Unklarheiten führen, wenn mittelbare Interessen verfolgt werden. c) Ausnutzung der tatsächlichen oder rechtlichen Wirkungsmöglichkeiten des Betriebs In der Literatur wird eine Betriebsbezogenheit vielfach dann bejaht, wenn die Tat unter Ausnutzung der tatsächlichen oder rechtlichen Wirkungsmöglichkeiten begangen wird.247 So wären auch Taten erfasst, die nicht im Betriebsinteresse, aber unter Missbrauch der Beschäftigung im Betrieb begangen werden.248 Aus241

Thiemann, S. 20. Tendenziell auch Roxin, AT II, § 32, Rn. 141. Vgl. dazu nur Gürtler, in: Göhler, OWiG, § 130, Rn. 18. 243 Schall, FS-Rudolphi, S. 280. 244 Bottke, Straftaten Untergebener, S. 68 f.; Schünemann, wistra 1982, 41, 45. 245 Weitere Beispiele bei Schall, FS-Rudolphi, S. 282. 246 Otto, FS-Schroeder, S. 342; Schall, FS-Rudolphi, S. 282. 247 Grundlegend Schall, FS-Rudolphi, S. 282 f. Ihm folgend Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 56; Schilha, S. 185; Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 13, Rn. 53. Wohl auch Lackhoff/Schulze, CCZ 2010, 81, 83, die Schall und Rönnau/Schneider zitieren, aber deren Formel nicht eins zu eins zitieren. 248 Schall, FS-Rudolphi, S. 282. 242

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

genommen sein müssten jedoch Exzesstaten, wie z. B. ein Totschlag aus Eifersucht und sexuelle Übergriffe, die sich bloß zufällig im Betrieb ereignen.249 Otto sieht die Grenzen dieser Meinung als zu weit gezogen an.250 Problematisch kann in der Tat die Abgrenzung zwischen Exzess- und betriebsbezogener Tat sein. Hier muss auf eine genaue Beachtung der gewählten Terminologie geachtet werden. Es geht nicht um das Ausnutzen von tatsächlichen Gegebenheiten, sondern von tatsächlichen Wirkungsmöglichkeiten. Das bloße Ausnutzen von tatsächlichen Gegebenheiten liegt etwa bei einfachen sexuellen Übergriffen im Betrieb oder auch bei Mobbingfällen vor. Diesen Taten ist gemeinsam, dass Täter und Opfer aufgrund ihres gemeinsamen Arbeitgebers zueinanderfinden. Dies hängt aber mit den tatsächlichen Gegebenheiten zusammen, die ebenso an anderer Stelle, etwa im privaten Bereich oder im Sportverein, auftreten können. Demgegenüber kann eine Ausnutzung tatsächlicher Wirkungsmöglichkeiten dann bejaht werden, wenn der Täter spezifische betriebliche Umstände für seine Tat ausnutzt, wie etwa bestimmte Gegenstände (Schusswaffen, Chemikalien), ohne die er den Widerstand seines Opfers nicht brechen könnte und die er nur im Betrieb vorfindet oder, wenn entsprechende Straftaten bekanntermaßen im Betrieb geduldet werden. In diesen Fällen liegt jeweils eine betriebliche Besonderheit vor. Allerdings ist hier Vorsicht vor einer zu extensiven Auslegung geboten. Die entsprechenden Grenzfälle können insoweit tatsächlich nur unter Beachtung der besonderen Umstände des Einzelfalls hinreichend beurteilt werden. d) Innerer Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Begehungstäters oder mit der Art des Betriebs Andere Literaturstimmen und insbesondere der BGH versuchen die Betriebsbezogenheit durch einen inneren Zusammenhang der Tat mit der betrieblichen Tätigkeit des Begehungstäters oder mit der Art des Betriebs herzustellen.251 Diese Interpretation des Merkmals „Betriebsbezogenheit“ ist aber gegebenenfalls zu eng,252 zumindest sehr vage.253

249

Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53, 56; Schall, FS-Rudolphi, S. 283. Otto, FS-Schroeder, S. 342. 251 Insb. BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42, 45 f. = NJW 2012, 1237, 1238 (Rn. 13) (Garantenpflicht des Betriebsinhabers). Vorher bereits OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.03.1971 – 3 Ss 5/71 = GA 1971, 281, 283. Aus der Literatur Kühl, AT, § 18, Rn. 118a; Landscheidt, S. 115 f., 117. Wohl auch Warneke, NStZ 2010, 312, 315. Sehr ähnlich Otto, FS-Schroeder, S. 343. 252 Sehr kritisch daher Bülte, NZWiSt 2012, 176, 178 f.; Grützner, BB 2012, 151, 152 und insb. Kudlich, HRRS 2012, 177, 179 f.; Schall, FS-Rudolphi, S. 281. Poguntke, CCZ 2012, 158, 159 mahnt eine weite Auslegung an. Offengelassen bei Schlösser, NZWiSt 2012, 281, 285. 253 Jäger, JA 2012, 392, 394; Schramm, JZ 2012, 969, 970. 250

C. Der Aufsichtsrat als Überwachergarant des Vorstands

197

Eine Verneinung der Betriebsbezogenheit könnte sich etwa dann ergeben, wenn ein Produktionsmitarbeiter selbstständig Sondermüll auf einer Hausmülldeponie entsorgte, ohne entsprechende Befugnisse für die Müllentsorgung zu haben, da es an einem Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Begehungstäters fehlte, die bloß auf die Produktion beschränkt ist.254 Ferner stellt sich die Frage, ob der Betrug gegenüber einem Kunden eine betriebsbezogene Tat darstellt, wenn dies nach Art des Betriebs (etwa branchenspezifisch) unüblich ist, da die Tat nicht in einem inneren Zusammenhang mit der Art des Betriebs steht.255 Bei einer entsprechenden engen Auslegung liegt eine zu verhindernde Tat etwa nur dann vor, wenn Kursmanipulationen durch den Mitarbeiter einer Investmentbank unter Nutzung betrieblicher Ressourcen vorgenommen würden.256 Problematisch ist demnach die Beschränkung der Definition auf den konkreten Betrieb („inneren Zusammenhang mit der Art des Betriebs“ statt „eines Betriebs“) und die konkrete Tätigkeit des Täters. Poguntke spricht sich insoweit für eine weite Auslegung aus, argumentiert für die extensive Interpretation allerdings mit dem Unternehmensinteresse und der Ausnutzung der betrieblichen Infrastruktur.257 Hierbei vermengt er Gesichtspunkte der anderen Meinungen. Bülte möchte, um die von ihm erkannte Enge dieses Ansatzes258 zu erweitern, auch „mittelbar“ betriebsbezogene Straftaten berücksichtigen.259 Diese sollen berücksichtigungsfähig sein, wenn eine betriebsspezifische Pflicht verletzt wird.260 Eine Konkretisierung dieser Umschreibung will Bülte auf Grundlage des § 30 Abs. 1 OWiG vornehmen.261 Dies ist aber eine normative Kategorisierung des Merkmals Betriebsbezogenheit, was Bülte auch selbst erkennt,262 die diesen Ansatz einer gewissen Beliebigkeit aussetzt. Im Ergebnis bleibt auch hier vage, wann eine betriebsbezogene Pflicht verletzt wird. Eine wirkliche Erweiterung des hier diskutierten Ansatzes kann auch Bültes Ausdehnungsversuch nicht gewährleisten. Insgesamt bleibt der Ansatz, so wie er bisher in der Rechtsprechung und von Teilen der Literatur vertreten wird, zu eng, um betriebsspezifische Gefahren ausreichend im Rahmen der Geschäftsherrenhaftung berücksichtigen zu können.

254

Weitere Beispiele bei Schall, FS-Rudolphi, S. 281. Diese Frage werfen Poguntke, CCZ 2012, 158, 159 und Schall, FS-Rudolphi, S. 281 auf. 256 Beispiel von Poguntke, CCZ 2012, 158, 159. 257 Poguntke, CCZ 2012, 158, 159. Für eine weite Auslegung plädiert auch Grützner, BB 2012, 151, 152. 258 Bülte, NZWiSt 2012, 176, 178 f. 259 Bülte, NZWiSt 2012, 176, 179, linke Spalte. 260 Bülte, a. a. O. 261 Bülte, NZWiSt 2012, 176, 179 f. 262 Bülte, NZWiSt 2012, 176, 179, 180. 255

198

Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

e) Ergebnis Vorzugswürdig erscheint der Ansatz, der die Betriebsbezogenheit bei Ausnutzung der tatsächlichen und rechtlichen Wirkungsmöglichkeiten des Betriebs bejaht, c). Dieser Ansatz korrespondiert auch mit den Voraussetzungen der Begründung der Geschäftsherrenhaftung, nämlich der Herrschaft über die Gefahrenquelle und der Organisationsmacht des Vorgesetzten. Nutzt der Mitarbeiter tatsächliche und rechtliche Wirkungsmöglichkeiten aus, so liegen diese auch im Herrschaftsbereich des Geschäftsherrn. Dieser kann auf den Mitarbeiter einwirken und ihn so der tatsächlichen und rechtlichen Wirkungsmöglichkeiten berauben. Ausgeschlossen ist die Verantwortung für Exzesstaten, die nicht unter Ausnutzung der betrieblichen Wirkungsmöglichkeiten, sondern bloß zufällig an Ort und Stelle geschehen, unter Ausnutzung der Gegebenheiten [vgl. oben Kapitel 3 C. III. 2. c)].

IV. Das Aufsichtsratsmitglied als Überwachergarant Nachdem die Existenz und die Begründungsvoraussetzungen der Geschäftsherrenhaftung geklärt sind, stellt sich die Frage, ob der Aufsichtsrat überhaupt Überwachergarant i. S. d. Geschäftsherrenhaftung sein kann. Einige Stimmen in der Literatur bejahen dies,263 während andere eine Überwachergarantenstellung ablehnen.264 Die bejahenden Stimmen beschränken sich allerdings oftmals auf eine reine Feststellung einer Überwachergarantenstellung, ohne dass diese sauber hergeleitet und argumentativ begründet wird.265 Argumentationslinien finden sich bloß bei Ransiek266 und Schilha.267 Auch sofern eine Überwachergarantenstellung des Aufsichtsrats abgelehnt wird, verbleibt es meist bei einer feststellenden Bemerkung.268 Einzig Poseck setzt sich intensiver mit den Voraussetzungen

263 Merz, in: Graf/Jäger/Wittig, 13, Rn. 40; Ransiek, ZGR 1999, 613, 624; Schilha, S. 149–198; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 204; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 183, 186a; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 55. 264 Beulke, FS-Geppert, S. 37 (Fn. 57); Joecks, in: MüKo-GmbHG, Vor § 82, Rn. 217; Krause, NStZ 2011, 57, 61 f.; Momsen, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, S. 81; Poseck, S. 120, 124 ff. Implizit Raum, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 55. Wohl auch Schüppen, in: AnwHdb-Aktienrecht, § 24, Rn. 204 f. Im Grundsatz auch Grützner/Behr, DB 2013, 561, 566. 265 Insb. Merz, in: Graf/Jäger/Wittig, § 13, Rn. 40; Spindler, in: Spindler/Stilz, § 116, Rn. 204; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 183, 186a; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 55. Kritisch diesbezüglich Schilha, S. 150. 266 Ransiek, ZGR 1999, 613, 624. 267 Schilha, S. 149–198. 268 Beulke, FS-Geppert, S. 37 (Fn. 57); Joecks, in: MüKo-GmbHG, Vor § 82, Rn. 217; Krause, NStZ 2011, 57, 61. Implizit Raum, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 55. Wohl auch Schüppen, in: AnwHdb-Aktienrecht, § 24, Rn. 204 f.

C. Der Aufsichtsrat als Überwachergarant des Vorstands

199

der Geschäftsherrenhaftung auseinander, um diese dann für den Aufsichtsrat abzulehnen.269 Der Aufsichtsrat müsste, entsprechend des oben favorisierten Ansatzes der „Gefahrenquelle Betrieb“, erstens die Herrschaft über die Gefahrenquelle (den Vorstand) innehaben (Herrschaftselement) und zweitens die Organisationsverantwortung im Betrieb (also der Aktiengesellschaft) tragen (restriktivierendes Element mit gesteigerter Herrschaftskomponente), vgl. Kapitel 3 C. II. 2. c) bb). Jedenfalls wären nur betriebsbezogene Straftaten des Vorstands zu verhindern, also solche, die dieser unter Ausnutzung seiner tatsächlichen oder rechtlichen Wirkungsmöglichkeiten begeht, vgl. Kapitel 3 C. III. 2. c). 1. Herrschaft des Aufsichtsrats über den Vorstand Zunächst müsste der Aufsichtsrat die Herrschaft über den Vorstand haben. Ein wesentlicher Anhaltspunkt dafür wäre eine Weisungsbefugnis des Aufsichtsrats. a) Sonderweisungsbefugnis des Aufsichtsrats bei bevorstehenden Straftaten des Vorstands? Vereinzelt wird in der Literatur eine Sonderweisungsbefugnis des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand angenommen, wenn Straftaten durch diesen bevorstehen.270 Für diese Ansicht lassen sich dem Gesetz jedoch keine Anhaltspunkte entnehmen. Vielmehr spricht die Gesetzesgeschichte und der Sinn und Zweck der Norm (§ 84 Abs. 3 AktG, § 111 AktG) gegen ein wie auch immer geartetes Weisungsrecht.271 Eine Weisungsbefugnis, auch eine Sonderweisungsbefugnis des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand besteht nicht und wäre gesetzeswidrig.272 Die fehlende Weisungsmöglichkeit ist bereits ein starkes Argument gegen die Existenz einer Herrschaftsstellung des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand. b) Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG und Abberufungsrecht gem. § 84 Abs. 3 AktG Schilha stützt seine Argumentation für eine Herrschaftsposition darüberhinaus auf die Maßnahmen des Zustimmungsvorbehalts gem. § 111 Abs. 4 AktG und das Abberufungsrecht gem. § 84 Abs. 3 AktG.273 Insbesondere aus der Möglich-

269

Poseck, S. 120, 124 ff. Insb. Ransiek, ZGR 1999, 613, 625 f.; Schilha, S. 177 ff. Vgl. dazu bereits eingehend oben Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (5). 271 Vgl. umfassend Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (5). 272 Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (5). 273 Schilha, S. 171 ff., 181. 270

200

Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

keit des Zustimmungsvorbehalts soll für Begehungstaten des Vorstands eine Herrschaftsposition erwachsen, da der Aufsichtsrat mit dem Zustimmungsvorbehalt die Straftaten verhindern könne.274 Bereits oben wurde dargelegt, dass der Zustimmungsvorbehalt nur für bestimmte gesellschaftsinterne Straftaten eine echte Verhinderungsmöglichkeit darstellt.275 Gesellschaftsexterne Straftaten können trotz eines eingerichteten und ausgeübten Zustimmungsvorbehalts vom Vorstand begangen werden. Wie oben dargelegt, ist der Überwachergarant aber primär für extern wirkende Straftaten verantwortlich.276 Der Zustimmungsvorbehalt kann daher allenfalls eine eingeschränkte Herrschaftsposition begründen. Ferner beinhalten sowohl der Zustimmungsvorbehalt, wie auch das Abberufungsrecht bloß eine negative Gestaltungskompetenz. Der Aufsichtsrat kann mit diesen Maßnahmen bestimmte Vorgehensweisen des Vorstands erschweren und sogar verhindern. Positiv kann er mit Hilfe des Abberufungsrechts und des Zustimmungsvorbehalts jedoch keinen Einfluss nehmen.277 So erscheint es aber mehr als zweifelhaft aus der bloßen negativen Einflussnahmemöglichkeit (die im Fall des Zustimmungsvorbehalts auf wenige Fälle beschränkt ist) auf eine „Herrschaft“ des Aufsichtsrats zu schließen.278 c) Organstellung des Aufsichtsrats innerhalb der Aktiengesellschaft – Verhältnis zum Vorstand Die Annahme einer Herrschaftsposition des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand würde vor allem der heutigen aktienrechtlichen Konzeption widersprechen. Diese Konzeption ist dreigliedrig aufgebaut und kennt die Hauptversammlung, den Aufsichtsrat und den Vorstand als Organe der Aktiengesellschaft.279 aa) Überblick: Organisationsverfassung und Aufgaben der Organe innerhalb der AG Zur Leitung der Gesellschaft ist gem. § 76 Abs. 1 AktG einzig der Vorstand berufen. Er übt die Leitung unabhängig von Aufsichtsrat und Hauptversammlung aus.280 Die Hauptversammlung kann über Geschäftsführungsfragen nur auf Verlangen des Vorstands entscheiden, § 119 Abs. 2 AktG. Auch der Aufsichtsrat ist nicht zur Geschäftsleitung befugt, § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG. Einzig über Maß274

Schilha, S. 175. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6) (c). 276 Vgl. Kapitel 3 C. III. 1.b). 277 Dies erkennt auch Schilha, S. 171. 278 Ebenso Poseck, S. 118 f. 279 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 13, Rn. 7; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28, V. Ferner bereits Kapitel 1 A. I. 280 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 13, Rn. 10. 275

C. Der Aufsichtsrat als Überwachergarant des Vorstands

201

nahmen des Zustimmungsvorbehalts gem. § 111 Abs. 4 AktG kann er Einfluss nehmen.281 Das Leitungsorgan (Raiser/Veil sprechen vom „Führungsorgan“ 282) der Aktiengesellschaft ist daher allein der Vorstand.283 Die Aktionäre können ihre Rechte in der Hauptversammlung ausüben, § 118 Abs. 1 AktG. Der Einfluss auf das laufende Geschäft und die übrigen Organe ist eher gering.284 Wichtigste Maßnahme in diesem Zusammenhang ist die Befugnis zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG.285 Demgegenüber ist der Aufsichtsrat das Kontrollorgan des Vorstands.286 Geschäftsführungsaufgaben nimmt der Aufsichtsrat grundsätzlich nicht wahr, wie soeben dargelegt. Zentrale Aufgaben des Aufsichtsrats sind Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder gem. § 84 AktG, die Überwachung der Geschäftsführung, § 111 Abs. 1 AktG und die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung der Gesellschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern, § 112 AktG.287 bb) Herrschaftsstellung des Aufsichtsrats? Die drei Organe nehmen, wie eben gezeigt, unterschiedliche Aufgaben innerhalb der Aktiengesellschaft wahr. Alle drei Organe haben bestimmte Einflussnahmerechte, die sich auf verschiedene Bereiche konzentrieren. Die Hauptversammlung etwa bestimmt die Besetzung des Aufsichtsrats, der seinerseits den Vorstand beruft, der wiederum die Geschäftsführung zu verantworten hat, wovon die beiden anderen Organe weitestgehend ausgeschlossen sind. Es findet keine Machtkonzentration bei einem Organ statt. Vielmehr ist das aktienrechtliche Organisationsgefüge auf Gewaltenteilung angelegt.288 Raiser/Veil sprechen von einem „System der checks and balances, das keinem Organ den Vorrang oder das recht281

Vgl. dazu bereits oben Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6). Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 13, Rn. 10. 283 Vgl. etwa Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 76, Rn. 4, m.w. N.; Spindler, in: MüKoAktG, § 76, Rn. 1 ff.; Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 953. Hüffer, AktG, § 76, Rn. 2 spricht von Vorstand und Aufsichtsrat als Leitungsorganen, wobei er den Vorstand als Entscheidungs- und Handlungszentrum bezeichnet. 284 Vgl. Übersicht bei Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 16, Rn. 1 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28, IV., 1. 285 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 16, Rn. 3. 286 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 13, Rn. 11, § 15, Rn. 1 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28, III. 1. 287 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28, III. 1. 288 Insb. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 26, IV. 2. a), § 28, V. Vgl. auch Hopt/ Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 83; Ransiek, ZGR 1999, 613, 625; Spindler, in: MüKo-AktG, Vorbemerkung § 76, Rn. 38 f.; ders., in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 3. Nicht explizit KK-AktG/Hopt/Roth, Vorb. § 76, Rn. 1; Semler, in: Arbeitshandbuch Aufsichtsrat, § 1, Rn. 64 ff. Insb. für das Verhältnis der Aktionäre (Hauptversammlung) zum Vorstand Rönnau, FS-Amelung, S. 257 ff. 282

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

liche Übergewicht einräumt“.289 Allerdings gibt es Sonderregeln, wie etwa Entsenderechte für Großaktionäre, die Aufsichtsräte bestimmen dürfen oder Mitbestimmungsregeln, die den Einfluss der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat gewährleisten.290 Diese Sonderregeln können (und sollen) innerhalb des Aufsichtsrats zu bestimmten Machtverhältnissen führen. Dies wirkt sich zunächst auf das Machtverhältnis im Aufsichtsrat selbst aus. Hieraus können sich auch Wirkungen auf die Machtstruktur in der Binnenverfassung der betroffenen Gesellschaft ergeben. Das grundlegende Verhältnis der Organe zueinander, insbesondere zwischen Aufsichtsrat und Vorstand, wird hierdurch aber nicht tangiert. Auch diese Sonderregeln haben keinen unmittelbaren Einfluss auf das Verhältnis der drei Organe zueinander. Der rechtliche Befund zeigt, dass dem Gesetzgeber ein ausgewogenes Machtverhältnis der Organe zueinander vorschwebt. Dieses Ergebnis wird auch von Regelungen im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) gestützt. Dieser Kodex ist über § 161 Abs. 1 AktG von den Organen der Aktiengesellschaft verbindlich zu beachten.291 Unter Ziff. 3 DCGK ist das „Zusammenwirken“ von Vorstand und Aufsichtsrat näher erläutert. Zwar finden sich dort keine expliziten Aussagen zum Hierarchieverhältnis der beiden Organe zueinander, doch wird unter Ziff. 3.1 DCGK ein „enges Zusammenarbeiten“ empfohlen.292 Unter Ziff. 3.5 DCGK heißt es, dass gute Unternehmensführung eine „offene Diskussion“ zwischen Vorstand und Aufsichtsrat et vice versa erfordert.293 Diese Regeln wären zwecklos, wenn (rechtlich) ein strenges Hierarchieverhältnis in eine Richtung bestehen würde. cc) Rechtswirklichkeit In der Rechtwirklichkeit zeigt sich hingegen ein ambivalentes Bild. Die angesprochene Gewaltenteilung findet nicht (immer) in der Form statt, wie sie vom Gesetz angelegt ist. Es ist in der Praxis durchaus verbreitet, dass ein Organ ein anderes „faktisch“ beherrscht.294 Dies hängt einmal mit der Art und Weise zusammen, wie die zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel genutzt werden.295 Verwendet der Aufsichtsrat die ihm zur Verfügung stehenden Mittel der Personal289

Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 13, Rn. 11. Ähnlich Krause, NStZ 2011, 57, 60: „Machtbalance“. 290 Vgl. zu beidem etwa Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 974 ff. und 977 ff. 291 Vgl. zu einer möglichen Untreuestrafbarkeit wegen Verstößen gegen den DCGK Michaelsen, S. 367 ff. 292 Näher Werder, in: Ringleb (u. a.), DCGK, 3., Rn. 351 ff. 293 Vgl. dazu Werder, in: Ringleb (u. a.), DCGK, 3., Rn. 387. 294 Hopt/Roth, in: Großkommentar-AktG, § 111, Rn. 83; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 13, Rn. 12 f.; Spindler, in: MüKo-AktG, Vorbemerkung § 76, Rn. 38 f., m.w. N., 81 ff.; ders., in: Spindler/Stilz, § 111, Rn. 3. Vgl. auch Semler, FSLutter, S. 730. 295 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 13, Rn. 12.

C. Der Aufsichtsrat als Überwachergarant des Vorstands

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und Sachentscheidung effizient und straff, kann er das eigentliche Führungsorgan der AG sein.296 Beschränkt er sich hingegen auf die rückblickende Kontrolle des Vorstands, so kann dies zu einer Machtkonzentration beim Vorstand führen. Auch die Konzentration von Aktien in einer Person kann zu einer Machtkonzentration führen.297 (1) Grundsatz: Nichtverantwortung trotz faktisch gesteigerten Einflusses Diese Rechtswirklichkeit ändert nichts an der Gesetzeslage, die auf Gewaltenteilung angelegt ist. Mag der Aufsichtsrat im Einzelfall faktisch eine Herrschaftsposition gegenüber dem Vorstand innehaben, so kann und sollte er sie nutzen, um strafrechtlich relevantes Verhalten zu verhindern. Im Fall des Unterlassens dürfen ihm aber keine Konsequenzen drohen, da der Vorstand rechtlich nicht verpflichtet werden kann eine bestimmte Anordnung oder Empfehlung des Aufsichtsrats zu befolgen (vgl. oben, fehlende Weisungsmöglichkeit).298 Nur diese rechtliche Herrschaft könnte zur Geschäftsherrenhaftung führen.299 (2) Aufsichtsrat als „faktischer Geschäftsführer“? Nimmt der Aufsichtsrat einmal nicht nur eine faktische „Herrschaftsposition“ ein, sondern übernimmt er anstelle des Vorstands die Geschäftsführung, überschreitet also seine Kompetenzen und geriert sich als „faktischer Geschäftsführer“ der Gesellschaft, könnte er vielleicht ausnahmsweise doch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.300 Erkennt man mit der Rechtsprechung301 und einem Teil der Literatur302 die Figur der „faktischen Geschäftsführung“ an, würde der Aufsichtsrat rechtlich allerdings wie ein Vorstandsmitglied behandelt werden. Die Strafbarkeit bestimmt sich dann nicht mehr aus der Sicht des Aufsichtsrats, sondern aus der Warte des Vorstands. dd) Ergebnis Mit dem soeben festgestellten Befund unvereinbar ist eine „Herrschaftsstellung“ eines Aktiengesellschaftsorgans über ein anderes. Zwar mag die Rechts296

Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 13, Rn. 12. Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 13, Rn. 13. 298 Momsen, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, S. 81. 299 So bereits auch Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 570. 300 Vgl. dazu Schilha, S. 349 ff. 301 BGH, Urteil vom 28.06.1966 – 1 StR 414/65 = BGHSt 21, 101, 103 = NJW 1966, 2225. 302 Etwa Fischer, StGB, § 14, Rn. 18; Momsen, in: BK-StGB, § 14, Rn. 58 f. Ablehnend etwa Bosch, in: S/S/W-StGB, § 14, Rn. 21; Radtke, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 14, Rn. 123, m.w. N. 297

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

wirklichkeit anders aussehen und der Aufsichtsrat oder der Vorstand ein faktisch „herrschendes“ Organ sein. Für die Begründung der Geschäftsherrenhaftung können aber nur die rechtliche Konzeption (und daher die rechtlich angelegte Herrschaft) maßgebend sein, da bloß rechtliche Einflussnahmemöglichkeiten die Grundlage der Überwachergarantenstellung sein können.303 d) Ergebnis Der Aufsichtsrat hat gegenüber dem Vorstand keine (rechtliche) Herrschaftsposition inne. Weder existiert eine Weisungsbefugnis, noch lässt sich aus den rechtlichen existierenden Einflussnahmemöglichkeiten des Zustimmungsvorbehalts und der Abberufung eine Herrschaftsstellung herleiten. Im Übrigen würde diese der aktienrechtlichen Konzeption widersprechen. 2. Organisationsverantwortung des Aufsichtsrats Zweitens müsste der Aufsichtsrat auch eine Organisationsverantwortung gegenüber dem Vorstand haben.304 Er müsste also etwa Einfluss auf Betriebsabläufe haben und etwa die Vorstandssitzungen und die interne Organisation des Vorstands beeinflussen können. Der Aufsichtsrat hat allerdings nur wenig Einfluss auf die interne Organisation des Vorstands. Er kann den Vorstandsvorsitzenden benennen (§ 84 Abs. 2 AktG), der die Sitzungen einberuft, die Tagesordnung festlegt und leitet.305 Unter bestimmten Umständen kann der Aufsichtsrat die Geschäftsordnungserlasskompetenz für den Vorstand haben, § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG. Die Sitzungen selbst und die inhaltlich Organisation obliegen aber dem Vorstand selbst. Der Vorstand leitet die Gesellschaft unter eigener Verantwortung.306 Es fehlt daher auch an der Organisationsverantwortung des Aufsichtsrats über den Vorstand. 3. Ergebnis Der Aufsichtsrat hat weder die Herrschaft, noch die Organisationsverantwortung über den Vorstand. Er kann nicht Überwachergarant des Vorstands i. S. d. Geschäftsherrenhaftung sein.

303

Vgl. oben Kapitel 3 C. I. Kapitel 3 C. II. 2. c) bb) (2). 305 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28, II, 3. a); Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 1032. 306 Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 1030. 304

D. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant

205

V. Ergebnis Vorgesetzte in Wirtschaftsunternehmen sind über die Geschäftsherrenhaftung Überwachergaranten ihrer Mitarbeiter. Da aber nach richtiger Ansicht neben der Herrschaft über Untergebene auch eine Organisationsverantwortung der Vorgesetzten Voraussetzung ist [II. 1. c) bb) und dd)], können nur Leitungsorgane und in engen Ausnahmen Angehörige der Leitungsebene Adressat der Garantenstellung sein. Jedenfalls sind diese nur zur Abwendung von betriebsbezogenen Straftaten verpflichtet, III. 2. Diese Pflicht bezieht sich nach richtiger Auslegung auf solche Straftaten, die vom Mitarbeiter unter Ausnutzung der tatsächlichen oder rechtlichen Wirkungsmöglichkeiten des Betriebs begangen werden, III. 2. c) und e). Die Rechtsprechung scheint nach aktuellem Stand demgegenüber den personellen Anwendungsbereich tendenziell weit zu ziehen, indem eine Übertragung der Garantenstellung „im Rahmen des Arbeitsverhältnisses“ geschehen kann.307 Bei der Bestimmung der Betriebsbezogenheit greift die Rechtsprechung hingegen auf eine äußerst enge Definition zurück.308 Diese Diskussion ist für den Aufsichtsrat allerdings irrelevant, da er weder die Herrschaft über den Vorstand ausübt (IV. 1.), noch die Organisationsverantwortung innehat, IV. 2. Jedenfalls das Herrschaftskriterium wird auch von der Rechtsprechung als Voraussetzung anerkannt.309 Der Aufsichtsrat kann daher kein Überwachgarant des Vorstands i. S. d. Geschäftsherrenhaftung sein.

D. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant Beschützergaranten sind Personen, denen Obhutspflichten für bestimmte Rechtsgüter obliegen.310 Sie sind verpflichtet das geschützte Rechtsgut vor es verletzenden Gefahren zu verteidigen.311 Der Aufsichtsrat könnte entsprechend zum Schutz bestimmter Rechtsgüter verpflichtet sein. Verletzt er dann seine Schutzpflicht, indem er eine Vorstandsstraftat geschehen lässt, käme eine Unterlassensstrafbarkeit in Betracht. Im Folgenden sollen mögliche Beschützergarantenstellungen untersucht werden. Hierzu sind zunächst die Entstehungsgründe einer möglichen Beschützergarantenstellung aufzuzeigen, I. Anschließend werden mögliche Beschützergarantenstellungen des Aufsichtsrats abstrakt untersucht, II. In Betracht kommen – und im Schrifttum diskutiert – werden dabei Beschützerga307 BGH, Urteil vom 20.10.2011 – 4 StR 71/11 = BGHSt 57, 42, 45 = NJW 2012, 1237, 1238 (Rn. 12) (Garantenpflicht des Betriebsinhabers). Vgl. Kritik unter Kapitel 3 C. II. 2. c) bb) (2). 308 Vgl. Darstellung und Kritik unter Kapitel 3 C. III. 2. d). 309 Vgl. Kapitel 3 C. II. 2. c) bb). 310 Fischer, StGB, § 13, Rn. 14; Gercke, in: AnwK-StGB, § 13, Rn. 10; Krey/Esser, Rn. 1127. 311 Roxin, AT II, § 32, Rn. 6.

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

rantenstellungen des Aufsichtsrats zu Gunsten der Gesellschaft, des Gesellschaftsvermögens, der Aktionäre, der Arbeitnehmer, der Gläubiger und der Allgemeinheit/Dritten. Ob und wenn ja welche Deliktsstrafbarkeit aus den Garantenstellungen folgt, ist eine Frage der konkreten Delikte, vgl. E.

I. Voraussetzungen der Beschützergarantenstellung nach dem Herrschaftsprinzip Für die Begründung einer Beschützergarantenstellung ist eine Herrschaft des Garanten über den Grund des Erfolgs notwendig.312 Im Rahmen der Beschützergarantenstellung wird diese Herrschaft über den Grund des Erfolgs durch das Vorliegen zweier Voraussetzungen charakterisiert, nämlich durch die Hilflosigkeit des Schutzobjektes einerseits und die Obhutsbeziehung von Garant zum Schutzobjekt andererseits.313 1. Hilflosigkeit des Schutzobjektes („Grund des Erfolges“) Erstens darf das Schutzobjekt selbst nicht in der Lage sein, sein Rechtsgut vor drohenden Gefahren wirksam zu schützen (sog. „Grund des Erfolges“ 314).315 Dieses situative Element der Hilflosigkeit wird regelmäßig durch fehlende Verteidigungsmöglichkeiten des Schutzobjektes begründet. Diese Hilflosigkeit kann sich etwa aus einer körperlichen Unterlegenheit (Kinder, Säuglinge) oder aber auch aus der Unwissenheit vor einer drohenden Gefahr ergeben. Der Wissensvorsprung des potentiellen Garanten, der die drohende Gefahr kennt, macht ihn zu einer dem potentiellen Schutzobjekt überlegenen Person.316 Dieser letzte Fall wird in der vorliegenden Konstellation regelmäßig gegeben sein, da der Aufsichtsrat von der bevorstehenden kriminellen Handlung des Vorstands Kenntnis hat, das potentielle Opfer jedoch nicht. Für gesellschaftsinterne Vorgänge kann sich die Hilflosigkeit des Schutzobjektes (etwa der Gesellschaft oder des Gesellschaftsvermögens) ferner aus der fehlenden Handlungsmöglichkeit des Schutzobjektes ergeben (die Gesellschaft kann sich als juristische Person nicht selbst verteidigen).

312

Vgl. Kapitel 3 A. I. 2. Kretschmer, JURA 2006, 898, 899; Roxin, AT II, § 32, Rn. 19, 31; Schilha, S. 117–122; 123. 314 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 238 und 241 f. 315 Schilha, S. 123; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 241 f. Nicht ganz klar getrennt, aber doch ersichtlich bei Roxin, AT II, § 32, Rn. 19. 316 Böse, NStZ 2003, 636, 640 (für den Gewässerschutzbeauftragten). 313

D. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant

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2. Herrschaftsähnliche Obhutsbeziehung Damit die Annahme von Beschützergarantenstellungen nicht uferlos wird, muss noch eine zweite Voraussetzung erfüllt sein. Es muss zum Zeitpunkt der Hilflosigkeit des Opfers eine herrschaftsähnliche Obhutsbeziehung zwischen dem Garanten und dem Schutzobjekt bestehen, die der besonderen Schutzfunktion, also der Garantenstellung, ihre Grundlage liefert.317 Starke Anhaltspunkte für eine solche Obhutsbeziehung geben die rechtlichen (Gesetz318, Vertrag319) und gegebenenfalls faktischen (Lebens-/Gefahrgemeinschaft320) Beziehungen von Garant und Schutzobjekt zueinander. Notwendig ist aber eine Gesamtschau, um im Einzelfall eine Garantenstellung überzeugend zu begründen. Es kommt nämlich auf den Inhalt der rechtlichen und faktischen Beziehung an. Nur wenn dieser Inhalt eine Obhutsbeziehung materiell rechtlich oder faktisch eine Fürsorgepflicht erkennen lässt, kann erstere auch tatsächlich vorliegen. Neben der rechtlichen oder faktischen Beziehung zwischen Garant und Schutzobjekt, muss es ferner zu einer faktischen Übernahme der Beziehung durch den Garanten gekommen sein.321 Ein klassisches Beispiel ist hierbei der Babysitter, der nicht schon durch den Vertragsschluss mit den Eltern des Kindes Garant wird, sondern erst mit dem tatsächlichen Antritt seines Jobs. Nur das Aufsichtsratsmitglied, das seine organschaftliche Stellung auch tatsächlich angetreten hat, kann Garant sein. Ob der Aufsichtsrat eine Obhutsbeziehung zu den verschiedenen potentiellen Schutzobjekten innehat, wird im Folgenden untersucht.

II. Beschützergarantenstellungen des Aufsichtsrats unter Zugrundelegung des Herrschaftsprinzips 1. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant des Gesellschaftsvermögens Bezüglich des Gesellschaftsvermögens wird von einer Vielzahl von Autoren eine Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats angenommen.322 Oben wurde 317

Schilha, S. 123. Ebenfalls bei Roxin, AT II, § 32, Rn. 19. Etwa Ehegatten zueinander, vgl. § 1353 BGB i.V. m. Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. Krey/ Esser, Rn. 1131, die aber zu sehr auf die gesetzliche Grundlage Bezug nehmen, vgl. Kritik bei Roxin, AT II, § 32, Rn. 45). 319 Etwa Babysitter (Krey/Esser, Rn. 1141; Roxin, AT II, § 32, Rn. 53), wobei der Vertrag als solcher keine Garantenstellung begründet, vgl. Krey/Esser und Roxin, a. a. O. 320 Etwa Bergsteiger, vgl. Krey/Esser, Rn. 1156; Roxin, AT II, § 32, Rn. 54. 321 Krey/Esser, Rn. 1141; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 26, 28. 322 Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510; Krause, NStZ 2011, 57, 60 f.; Merz, in: Graf/ Jäger/Wittig, § 13, Rn. 42; Poseck, S. 124 f.; Raum, in: Wabnitz/Janovsky, 4. Kapitel, Rn. 55; Schilha, S. 199 ff. (mit Einschränkungen); Tiedemann, FS-Tröndle, S. 319, 322. I. Erg. auch Joecks, in: MüKo-GmbHG, Vor § 82, Rn. 217 und implizit Ransiek, ZGR 1999, 613, 624 f. Bejahend auch Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 41, der eine Strafbarkeit aber auf § 266 StGB zu beschränken scheint. 318

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

bereits dargelegt, dass und warum der Aufsichtsrat im Rahmen der Untreue vermögensbetreuungspflichtig ist.323 Die Vermögensbetreuungspflicht der Untreue wird von vielen Stimmen als (besondere Ausprägung der) Beschützergarantenstellung verstanden.324 Diese Aspekte sprechen schon für eine Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats für das Gesellschaftsvermögen. Die Hilflosigkeit der Gesellschaft ergibt sich aus der schlichten Unfähigkeit der juristischen Person gegen Gefahren für ihre Rechtsgüter selbst einzuschreiten. Juristische Personen sind auf die Hilfe von natürlichen Personen angewiesen, da sie sich nicht selbst verteidigen können.325 Allerdings kann nicht von der bloßen Organstellung auf eine Obhutspflicht geschlossen werden.326 Vielmehr ist die Obhutsbeziehung näher zu begründen, auch wenn diese dem Empfinden nach nahe liegt.327 Die Vorschriften, die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats statuieren, weisen fast ausnahmslos einen unmittelbaren oder mittelbaren Bezug zum Gesellschaftsvermögen auf. So hat der Aufsichtsrat zunächst über die Bezüge (§ 87 AktG) der und etwaige Kreditvergaben (§ 89 AktG) an Vorstandsmitglieder zu entscheiden. Bei einer unangemessenen Festsetzung sind die Aufsichtsräte zum Schadensersatz verpflichtet (§ 116 Satz 3 AktG).328 Auch bezieht sich der Inhalt der Berichte, die der Vorstand gegenüber dem Aufsichtsrat abzugeben hat, ausschließlich auf vermögensrelevante Vorgänge innerhalb der Gesellschaft (vgl. § 90 Abs. 1 AktG). Der Aufsichtsrat wird durch diese Berichte nicht nur über den Status und den Ausblick der Vermögensverhältnisse informiert, er muss ferner bei einem Missverhältnis Maßnahmen ergreifen.329 Im Rahmen der Überwachungsaufgabe des § 111 Abs. 1 AktG ist es anerkannt, dass sich die Überwachung der Geschäftsführung auch auf die Wirtschaftlichkeit der getroffenen Maßnahmen bezieht.330 Weiterhin hat der Aufsichtsrat ein Einsichtsrecht in Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände, namentlich die Gesellschaftskasse und die Bestände an Wertpapieren und Waren (§ 111 Abs. 2 AktG). Dieses Recht wird als „Pflichtrecht“ des Aufsichtsrats verstanden. Er muss also aktiv auf die Einsichtnahme hinwirken, um sich informieren zu kön-

323

Kapitel 2 C. I. 2., 3. a). Vgl. dazu Kapitel 2 C. I. 3. a). 325 Vgl. nur Roxin, AT II, § 32, Rn. 77; Poseck, S. 124; Schilha, S. 199, m.w. N. 326 So aber Roxin, AT II, § 32, Rn. 77. Ad absurdum geführt in OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12 = NJW 2012, 3798, 3800: „Aufsichtsratsmitglieder haben eine Garantenstellung i. S. d. § 13 StGB“. Hier findet noch nicht einmal eine Konkretisierung des geschützten Rechtsguts statt. 327 Vielleicht deshalb apodiktisch Tiedemann, FS-Tröndle, S. 319, 322. 328 Vgl. dazu Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116, Rn. 51 ff. 329 Hüffer, AktG, § 90, Rn. 1a; Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90, Rn. 72. 330 Vgl. nur Lutter/Krieger, Rn. 71, 83, m.w. N. Teilweise inhaltsgleich auch unter dem Stichwort „Zweckmäßigkeit“ oder „Ordnungsmäßigkeit“ thematisiert, etwa Hüffer, AktG, § 11, Rn. 6; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 21. 324

D. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant

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nen, damit er seiner Prüfpflicht nachkommen kann.331 Im Mittelpunkt der Aufgaben des Aufsichtsrats stehen also Rechte und Pflichten, die sich auf einen Schutz des Gesellschaftsvermögens beziehen. Eine Obhutspflicht des Aufsichtsrats bezüglich des Gesellschaftsvermögens kann daher durchaus als originäre Aufgabe seines Amtes verstanden werden. Es besteht eine Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats bezüglich des Gesellschaftsvermögens. 2. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant sonstiger Rechtsgüter der Gesellschaft In Betracht kommt ferner eine Beschützergarantenstellung gegenüber der Aktiengesellschaft als solcher, der das Aufsichtsratsmitglied angehört.332 Hierunter fallen dann alle Rechtsgüter der Gesellschaft, die nicht das Gesellschaftsvermögen im speziellen betreffen. Also etwa das Eigentum der Gesellschaft, das Interesse der Gesellschaft an einem Geheimnisschutz, das Interesse der Gesellschaft an ihrem Bestand und die „Ehre“ der Gesellschaft.333 Wie bereits dargelegt, kann sich die Aktiengesellschaft nicht selbst verteidigen und steht daher Angriffen auf ihre Rechtsgüter (zu denen auch ihr Vermögen zählt) hilflos gegenüber. Es müsste eine Obhutsbeziehung zwischen Aufsichtsrat und Gesellschaft (in Bezug auf Nichtvermögensrechtsgüter) bestehen. Auch hier würde es zu kurz greifen von der Hilflosigkeit automatisch auf das „EinstehenMüssen“ der Organe für die Gesellschaft zu schließen. Es ist vielmehr anhand der rechtlichen Beziehungen nach Anhaltspunkten für eine (materielle) Obhutsbeziehung zu suchen. Augenfällig ist zunächst, dass die meisten Normen, die sich mit den Rechten und Pflichten des Aufsichtsrats auseinandersetzen, sich auf vermögensrelevante Vorgänge beziehen.334 Allgemeinere Aussagen werden lediglich in §§ 116 Satz 1, 93 AktG (Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit des Aufsichtsratsmitglied), § 116 Satz 2 AktG (Verschwiegenheitspflicht), § 111 Abs. 3 AktG (Einberufung der Hauptversammlung zum Wohle der Gesellschaft) und in § 111 Abs. 1 AktG (Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats) getroffen. Letztere Vorschrift ist bereits oben näher analysiert worden.335 Anerkannt ist, dass der Aufsichtsrat die Geschäftsführung des Vorstands auf die Rechtmäßigkeit seiner Handlungen hin zu kontrollieren hat.336 Diese Handlungen können zudem 331

Hüffer, AktG, § 111, Rn. 11. Befürwortend, aber nicht näher ausgeführt Krause, NStZ 2011, 57, 60; Poseck, S. 124 ff. Wohl auch Ransiek, ZGR 1999, 613, 624. Eingeschränkt bei Schilha, S. 199 ff., der ferner nicht zwischen dem Rechtsgut des Gesellschaftsvermögens und sonstigen Rechtsgütern der Gesellschaft trennt. 333 Vgl. zu allem Kapitel 1 B. II. 3. c) aa). 334 Vgl. soeben Kapitel 3 D. II. 1. 335 Kapitel 2 C. II. 2. 336 Vgl. nur Lutter/Krieger, Rn. 71, 72, m.w. N. und oben Kapitel 2 C. II. 2. auch zu etwaigen Einschränkungen und ihren Auswirkungen. 332

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

nichtvermögensrelevante Auswirkungen haben, also etwa den Geheimnisbereich der Aktiengesellschaft verletzten, etc.337 Dies spricht für eine Obhutspflicht des Aufsichtsrats, die über einen Vermögensschutz hinausgeht. Auch aus § 116 Satz 1 AktG, der eine sinngemäße Anwendung338 des § 93 AktG statuiert, ergeben sich Anhaltspunkte für eine Obhutsbeziehung des Aufsichtsrats zur Gesellschaft. So ist im Zusammenhang mit dieser Norm etwa eine Treuepflicht des Aufsichtsrats gegenüber „seiner“ Aktiengesellschaft anerkannt.339 Ferner sind die Aufsichtsratsmitglieder über § 116 Satz 1 i.V. m. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG dem Wohl der Gesellschaft verpflichtet, also dem Unternehmensinteresse.340 Wenn es das „Wohl der Gesellschaft“ erfordert, kann der Aufsichtsrat gem. § 111 Abs. 3 AktG auch die Hauptversammlung einberufen.341 Der Aufsichtsrat hat als Organ der Gesellschaft also verschiedene Rechte und Pflichten, die sich auf den Schutz der Gesellschaft vor Gefahren und Angriffen beziehen. Dies kann Fälle betreffen, die nicht vermögensrelevanten Charakter haben. Das Aufsichtsratsmitglied ist daher auch Beschützergarant für Rechtsgüter der Gesellschaft, die nicht das Vermögen betreffen. Dies können namentlich u. a. das Gesellschaftseigentum, das Interesse der Gesellschaft an einem Geheimnisschutz, der Bestand der Gesellschaft und die „Ehre“ der Gesellschaft sein. 3. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant der Aktionäre? Ferner könnte der Aufsichtsrat Beschützergarant der Aktionäre sein. Bereits oben wurde im Rahmen der Untreue eine Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsrats gegenüber den Aktionären abgelehnt.342 Eine Hilflosigkeit der Aktionäre könnte sich aus einem Wissensvorsprung des Aufsichtsrats vor einer drohenden Gefahr ergeben. Ferner ist denkbar, dass die Aktionäre, die kein Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand haben und auch sonst nur beschränkte Einflussmöglichkeiten auf Geschäftsvorgänge ausüben können,343 einer drohenden Gefahr für ihr eingesetztes Kapital ohne Verteidigungsmöglichkeit gegen-

337 Insofern allgemeine Meinung, wenn auch die Grenzen streitig sind, vgl. nur Lutter/Krieger, Rn. 72 und oben Kapitel 2 C. II. 2. 338 Vgl. nur Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116, Rn. 1; Habersack, in: MüKoAktG, § 116, Rn. 1; Hüffer, AktG, § 116, Rn. 1, m.w. N. 339 Allerdings gibt es für diese auch Grenzen. Vgl. dazu Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 116, Rn. 20 ff.; Habersack, in: MüKo-AktG, § 116, Rn. 43 ff.; Hüffer, AktG, § 116, Rn. 4 f. 340 Vgl. dazu Lutter/Krieger, Rn. 893. 341 Streitig ist aber, ob dann auch über Geschäftsführungsfragen beraten werden darf. Dafür Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111, Rn. 44, m.w. N. Dagegen Habersack, in: MüKo-AktG, § 111, Rn. 90, m.w. N. 342 Kapitel 2 C. I. 3. b) aa). 343 Vgl. Kapitel 2 C. I. 3. b) aa).

D. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant

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überstehen.344 Es müsste eine Obhutsbeziehung zwischen Aufsichtsrat als Fürsorgepflichtigem und den Aktionären als Fürsorgeempfänger bestehen. Bereits im Rahmen der Untreue wurde eine Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsrats gegenüber den Aktionären abgelehnt, da die rechtlichen Beziehungen gerade keinen Vermögensschutz zugunsten der Aktionäre selbst statuieren.345 Die gesetzlichen Regelungen, die im Übrigen nur über den Umweg der Hauptversammlung bestehen, begründen keine Fürsorgepflichten des Aufsichtsrats gegenüber den Aktionären.346 Es besteht keine Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats gegenüber den Aktionären.347 4. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant der Unternehmensmitarbeiter? Auch bezüglich der Arbeitnehmer der Aktiengesellschaft könnte der Aufsichtsrat Beschützergarant sein. Auch hier ist eine Hilflosigkeit der Betroffenen denkbar, wenn sie einer Schikane durch andere Mitarbeiter ausgesetzt sind.348 Allerdings fehlt es an einer Obhutsbeziehung zwischen Aufsichtsrat und den Arbeitnehmern. Der Aufsichtsrat ist dem Wohl der Gesellschaft verpflichtet, nicht aber gegenüber den Arbeitnehmern. Das Wohl der Gesellschaft kann den Interessen der Arbeitnehmer vorgehen.349 Der Aufsichtsrat hat ferner keine Einflussnahmemöglichkeiten auf die Unternehmensmitarbeiter. Er ist daher kein Beschützergarant der Unternehmensmitarbeiter.350 5. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant der Gläubiger der Aktiengesellschaft? Denkbar ist eine Beschützergarantenstellung zu Gunsten der Gläubiger der Aktiengesellschaft. Auch bezüglich der Gläubiger kann sich eine Hilflosigkeit aus einem Wissensvorsprung des Aufsichtsrats von einer drohenden Gefahr ergeben. Da die Gläubiger vor allem repressive Mittel bei eingetretener Benachteiligung haben (etwa Anfechtungsrechte des Insolvenzverwalters gem. §§ 129 ff. InsO), aber keine präventiven Verhinderungsmöglichkeiten (i. d. R. fehlt ferner 344 Freilich ließe sich hier die Möglichkeit einer Strafanzeige anführen. Doch kann es Situationen geben, in denen faktisch eine Strafanzeige ausscheidet, um gewisse Vorgänge oder Informationen nicht der Öffentlichkeit preisgeben zu müssen. Ob dies tatsächlich zu einer echten Hilflosigkeit führt, ließe sich aber mit guten Argumenten anzweifeln. 345 Vgl. Kapitel 2 C. I. 3. b) aa). 346 Vgl. oben Kapitel 2 C. I. 3. b) aa). 347 Ebenso Volk, Vorstand und Aufsichtsrat, S. 13. Im Ergebnis ebenso Schilha, S. 132. 348 Oben bereits Kapitel 3 C. III. 1 a). 349 Schilha, S. 131. 350 Ebenso Schilha, S. 131.

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

die Kenntnis von benachteiligenden Handlungen des Vorstands), bestehen weitere Gefahren der Hilflosigkeit gegenüber Angriffen und Benachteiligungen des Vorstands. Es ist aber auch bezüglich der Gläubiger der Gesellschaft oben bereits eine Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats abgelehnt worden, da sich die Verpflichtung des Aufsichtsrats primär auf die Gesellschaft bezieht und nicht etwa auf (außenstehende) Gläubiger.351 Diese Ausführungen gelten entsprechend für eine Beschützergarantenstellung. Es könnte zu einem Widerspruch und zu Konflikten bei der gleichzeitigen Beschützerstellung von der Gesellschaft und ihren Gläubigern kommen. Dies würde der Konzeption und der Einrichtung der Institution Aufsichtsrat aber widersprechen, der dem Wohl der eigenen Gesellschaft verpflichtet ist.352 Ferner bestehen keine gesetzlichen Beziehungen zwischen Aufsichtsrat und Gläubigern, die eine Obhutsbeziehung statuieren könnten. Der Aufsichtsrat ist kein Beschützergarant der Gläubiger der Gesellschaft.353 6. Der Aufsichtsrat als Beschützergarant der Allgemeinheit/Dritter („Normalbürger“)? Ebenso kann die Allgemeinheit bzw. können außenstehende Dritte („Normalbürger“) drohenden Gefahren durch den Vorstand ausgesetzt sein. Auch hier kann sich eine Hilflosigkeit aufgrund eines Wissensvorsprungs ergeben. Wiederum fraglich erscheint die Obhutsbeziehung zwischen Aufsichtsrat und der Allgemeinheit bzw. Dritten („Normalbürgern“). Im Rahmen der Untreue wurde eine Vermögensbetreuungspflicht zu Gunsten der Allgemeinheit bzw. Dritten abgelehnt.354 Dort betraf die Frage allerdings ausschließlich einen vermögensbezogenen Schutz, wohingegen hier auch weitere Schutzgüter im Raum stehen (etwa Gefahr für die körperliche Unversehrtheit oder das Leben als Folge fehlerhafter Produkte etc.). Im Schrifttum ist es einzig Dannecker, der unter Bezug auf die Kontrolltätigkeit eine Garantenstellung gegenüber der Allgemeinheit annimmt.355 Ob er damit tatsächlich eine Beschützergarantenstellung oder nicht eher eine Überwachergarantenstellung rekurriert, bleibt allerdings unklar. Demgegenüber lehnt der weit überwiegende Teil des Schrifttums eine Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats zu Gunsten der Allgemeinheit bzw. außenstehenden Dritten ab.356 Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist die Verpflichtung des 351

Vgl. Kapitel 2 C. I. 3. b) cc). Kapitel 2 C. I. 3. b) cc). 353 Ebenso Schilha, S. 129 ff. 354 Kapitel 2 C. I. 3. b) dd). 355 Dannecker, in: Michalski, Kommentar zum GmbHG, § 82, Rn. 66. Missverständlich Ransiek, ZGR 1999, 613, 624 („Pflicht zugunsten Dritter“), der aber damit eher für eine Überwachergarantenstellung zu plädieren scheint. 356 Grützner/Behr, DB 2013, 561, 566; Joecks, in: MüKo-GmbHG, Vor § 82, Rn. 217; Krause, NStZ 2011, 57, 61; Lüderssen, FS-Lampe, S. 740; Poseck, S. 109 f.; Schilha, S. 126 ff., 129; Volk, Vorstand und Aufsichtsrat, S. 13. 352

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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Aufsichtsrats zum Wohl der eigenen Gesellschaft.357 Eine Pflicht zur Wahrung der Interessen der Allgemeinheit bzw. Dritter würde dazu im Widerspruch stehen. Eine besondere rechtliche oder faktische Beziehung zur Allgemeinheit bzw. Dritten besteht nicht. Eine Pflicht zur Strafanzeige besteht nur im allgemeinen Rahmen, wie etwa des § 138 StGB.358 Der Aufsichtsrat ist daher auch nicht Beschützergarant der Allgemeinheit bzw. von Dritten.

III. Zusammenfassung Nach dem Herrschaftsprinzip kommt eine Beschützergarantenstellung in Betracht, wenn zu einem hilflosen Objekt/zu einer hilflosen Person eine materielle herrschaftsähnliche Obhutsbeziehung besteht. Unter dieser Prämisse ist der Aufsichtsrat Beschützergarant bezüglich des Gesellschaftsvermögens (II. 1.) und der anderen Rechtsgüter der Gesellschaft (z. B. des Interesses der Gesellschaft an einem Geheimnisschutz, etc., II. 2.). Der Aufsichtsrat ist hingegen weder Beschützergarant der Aktionäre (II. 3.), noch der Arbeitnehmer (II. 4.), der Gläubiger (II. 5.) oder der Allgemeinheit/Dritten, II. 6. Das situative Merkmal der Hilflosigkeit mag bei letzteren durchaus vorliegen, doch fehlt es an der notwendigen Obhutsbeziehung des Aufsichtsrats zu den aufgezählten Rechtsträgern. Diese Obhutsbeziehung besteht einzig zur Gesellschaft und kann daher nur zu Beschützergarantenstellungen bezüglich ihrer Rechtsgüter entfalten, wobei das Gesellschaftsvermögen das zentrale Schutzgut der Gesellschaft darstellt.

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats Aufsichtsratsmitglieder sind also keine Überwachergaranten des Vorstands, sondern (nur) Beschützergaranten der Rechtsgüter der Gesellschaft, insbesondere des Gesellschaftsvermögens, Kapitel 3 D. II. 1., 2. Diese abstrakte Aussage reicht allerdings nicht aus, um eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage der Strafbarkeit des Aufsichtsrats zu geben.359 Es ist eine Untersuchung der in Betracht kommenden Delikte notwendig, um die Reichweite der abstrakt bestehenden Garantenstellung konkret zu bestimmen. Hierbei spielt auch die Frage der Beteiligung360 des Aufsichtsrats am entsprechenden Delikt und die Frage nach der notwendigerweise einzuleitenden tauglichen Verhinderungsmaßnahme bzgl. der konkreten Vorstandsstraftat eine Rolle. Diese Aspekte werden im Rahmen der nun folgenden Ausführungen untersucht. Hierbei wird aus Gründen der Über357

Krause, NStZ 2011, 57, 61; Poseck, S. 109. Vgl. auch § 111 Abs. 3 Satz 1 AktG. Schilha, S. 126 ff. Vgl. zur Unzulässigkeit einer allgemeinen Strafanzeigepflicht Kapitel 2 C. II. 3. c). 359 So bereits Kapitel 1 E. IV. 4. 360 Vgl. dazu Kapitel 3 A. II. 358

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

sichtlichkeit wieder Rückgriff auf die in der Einleitung aufgestellte Einteilung der in Betracht kommenden Delikte genommen.361 Nach einer kurzen, nochmals abstrakten, Untersuchung allgemein klärungsbedürftiger Fragen bezüglich der Reichweite der Verhinderungspflicht konkreter Delikte unter I., findet eine Analyse der konkreten Delikte anhand der in der Einleitung vorgenommenen Einteilung der Vorstandsdelikte statt, II.–IV. Am Ende steht ein Katalog, der die Strafbarkeitsrisiken des Aufsichtsrats konkret aufzeigt, die (mögliche) Beteiligungsform nennt und die zur Verhinderung des konkreten Delikts notwendige Maßnahme bestimmt. Es gilt zu beachten, dass die unter I. 1. und IV. vorzunehmende Analyse der konkreten Strafbarkeit auch Relevanz für die in Kapitel 2 dargelegte Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats hat. Dies betrifft zum einen die in I. 1. stattfindende Untersuchung einer möglichen Verhinderung von Unterlassungsdelikten des Vorstands durch den Aufsichtsrat. Zum anderen werden im Rahmen von Kapitel 3 E. IV. 1. d) (eigentumsverletzende Delikte) und Kapitel 3 E. IV. 2. (vermögensverletzende Delikte) auch diejenigen Delikte näher auf eine spezielle Verhinderungsmöglichkeit untersucht, die im Rahmen der Untreue nach Kapitel 2 zu einer Strafbarkeit nach § 266 Abs. 1 StGB führen können. Wie oben bereits erläutert, muss bei diesen Straftaten dem Aufsichtsrat eine Verhinderungsmöglichkeit im konkreten Fall zur Verfügung stehen.

I. Allgemeines Bevor die einzelnen Delikte konkret geprüft werden, wird zunächst geklärt, ob neben Begehungsdelikten auch Unterlassungsdelikte des Vorstands verhindert werden können, 1. Ferner werden die Auswirkungen einer Anstiftung/Beihilfe durch den Vorstand auf die Aufsichtsratsstrafbarkeit untersucht, 2. 1. Beschränkung auf Begehungsdelikte Begehungsdelikte kann der Aufsichtsrat grundsätzlich durch die tauglichen Verhinderungsmaßnahmen der Abberufung362 und des Zustimmungsvorbehalts363 verhindern, da sie ein aktives Tun des Vorstands unterbinden. Zu erörtern ist aber, ob neben Begehungsdelikten des Vorstands auch Unterlassungsdelikte vom Aufsichtsrat verhindert werden können und müssen. Es könnte bereits an der Kausalität einer unterlassenden Handlung für den tatbestandsmäßigen Erfolg fehlen.

361 362 363

Vgl. dazu Kapitel 1 B. II. 3. Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (3). Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6).

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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a) Denkbare Unterlassungskonstellationen des Vorstands Unterlassungsdelikte des Vorstands sind in zwei Konstellationen denkbar. Erstens kann der Vorstand ein Unterlassungsdelikt begehen, das selbst zu einem Taterfolg führt (ein Beispiel hierfür ist die Untreue durch Unterlassen/Unterlassen des Vorstands entgegen § 92 Abs. 1 AktG bei Verlusten die Hauptversammlung einzuberufen, § 401 AktG). Zweitens kann der Vorstand ein Unterlassungsdelikt begehen, bei dem er es unterlässt ein Begehungsdelikt eines Angestellten zu verhindern (Beispiel: Angestellter begeht Betrug zu Lasten Dritter, Vorstand schreitet nicht ein und macht sich über die Geschäftsherrenhaftung364 eines Betrugs zu Lasten Dritter durch Unterlassen strafbar). Hier stellt sich die Frage, ob sich auch der Aufsichtsrat durch Unterlassen strafbar macht. b) Beschränkung der Verhinderungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats auf Begehungsstraftaten Problematisch ist die Verhinderungsmöglichkeit der Tat durch den Aufsichtsrat. Taugliche Verhinderungsmaßnahmen des Aufsichtsrats sind die Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG365 und in besonderen Fällen der Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG.366 Diese können ein bestimmtes aktives Verhalten des Vorstands unterbinden, also die Unterlassung einer bestimmten (rechtswidrigen) Maßnahme herbeiführen. Sie können diesen aber nicht an einem Unterlassen hindern, ihn also nicht zu einem aktiven Verhalten anhalten. Die Abberufung verhindert die (Begehungs-)Tat, indem der Vorstand seiner organschaftlichen Stellung beraubt ist, die er zur Begehung der Tat benötigt. Der eingerichtete und ausgeübte Zustimmungsvorbehalt nimmt dem Vorstand die rechtliche Befugnis eine bestimmte Maßnahme umzusetzen. Unzulässig ist es allerdings ein Unterlassen unter Zustimmungsvorbehalt zu stellen.367 Dies würde nämlich einer faktischen Weisungsbefugnis gleichkommen, die gesellschaftsrechtlich abzulehnen ist.368 Nur aktive Maßnahmen dürfen unter Zustimmungsvorbehalt gestellt werden. c) Keine Verhinderungsmöglichkeit des Taterfolgs des Vorstandsunterlassens Die Anwendung einer tauglichen Verhinderungsmöglichkeit des Aufsichtsrats muss zur Verhinderung des Taterfolgs des Vorstandsdelikts führen (vgl. Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB). Ist ein Unterlassungsdelikt des Vorstands Bezugstat der potentiellen Aufsichtsratsstrafbarkeit, so kann nur ein aktives Handeln seitens 364 365 366 367 368

Vgl. dazu Kapitel 3 C. Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (3). Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6). Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6). Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6).

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

des Aufsichtsrats die Unterlassungstat und damit den Taterfolg des Vorstands verhindern. aa) Zu erstens: Unterlassungstat des Vorstands, die selbst zu einem Taterfolg führt In der ersten Konstellation führt ein Unterlassen des Vorstands zu einem Taterfolg. Dies ist im Beispielsfall369 ein Vermögensnachteil am Gesellschaftsvermögen. Verhindert werden könnte dieser Schaden durch eine aktive Handlung des Vorstands. Zu einem aktiven Verhalten kann der Aufsichtsrat den Vorstand aber weder durch eine Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG, noch durch einen Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG rechtsverbindlich anhalten. Einzig denkbar erscheint eine Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG und die Bestellung eines neuen Vorstands gem. § 84 Abs. 1 AktG, unter der Prämisse, dass Letzterer die aktive Handlung vornimmt. Allerdings darf der Aufsichtsrat auch diesen nicht Anweisen die Handlung vorzunehmen, da ihm auch insoweit eine Weisungsbefugnis fehlt. Dieses Unsicherheitspotential führt zu einem Fehlen der Kausalität der Maßnahme für die Erfolgsverhinderung, d). bb) Zu zweitens: Unterlassungstat des Vorstands, der Begehungstat eines Angestellten nicht verhindert In der zweiten Konstellation ist der Taterfolg der Unterlassungstat identisch mit dem Begehungserfolg einer Dritttat. Es fehlt dem Aufsichtsrat an der Befugnis auf den Angestellten direkt einzuwirken.370 Die Begehungstat des Angestellten kann er nicht verhindern. Die Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG hat keinen Einfluss auf die Begehungsmöglichkeiten des Angestellten. Lediglich die Abberufung des alten Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG und die Bestellung eines neuen Vorstands gem. § 84 Abs. 1 AktG könnte als Maßnahme in Betracht kommen. Allerdings fehlt ihr die Kausalität der Erfolgsverhinderung, d). d) Risikoverringerung als Rettungsmaßnahme ausreichend? Die Maßnahme der Abberufung des strafwilligen Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG bei gleichzeitiger Bestellung eines neuen Vorstands gem. § 84 Abs. 1 AktG kann die Tat nicht zwingend verhindern, da ein Unsicherheitspotential verbleibt, ob der neue Vorstand den drohenden Taterfolg tatsächlich abwenden wird. Fraglich ist, ob dieses Potential vom Aufsichtsrat ausgeschöpft werden muss, ob diese potentielle Verhinderungsmöglichkeit also ausreicht, um eine Strafbarkeit des Aufsichtsrats beim Unterlassen dieser Maßnahme zu begründen. 369 370

Kapitel 3 E. I. 1. a). Vgl. Kapitel 1 B. II. 1., Kapitel 2 C. II. 6.

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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Dies ließe sich mit der sog. „Risikoerhöhungslehre“ bejahen. Nach dieser ist die Kausalität im Bereich des Unterlassens bereits dann gegeben, wenn die gebotene Handlung die Gefahr des Eintritts des Erfolgs bereits mindert.371 Da der abzuberufende Vorstand die Tat (sicher) begehen wird, indem er die notwendige Handlung nicht vornehmen wird, der Neue die Tat aber (vielleicht) nicht begeht, da er die notwendige Handlungen eventuell vornehmen wird, mindert sich die Gefahr des Eintritts des Erfolgs bei Abberufung des Vorstands und Bestellung eines neuen Vorstands. Die weit überwiegende Auffassung lehnt Kausalität durch Risikoverringerung zu Recht ab und fordert zur Bejahung der Kausalität eine mit Sicherheit erfolgsverhindernde Maßnahme.372 Die Risikoerhöhungslehre verstößt für die Unterlassungsdelikte gegen den Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB, da sie sich zu sehr vom Erfordernis einer Erfolgsabwendung entfernt.373 Sie verstößt ferner gegen den Grundsatz in dubio pro reo, da sich der Unterlassende auch bei Nichtverhinderung des Taterfolgs trotz Vornahme der Maßnahme strafbar machen würde.374 Da die Abberufung des alten Vorstands und die Bestellung eines neuen Vorstands den Taterfolg aber nicht mit Sicherheit verhindert, sondern nur möglicherweise, fehlt es an der Kausalität dieser Maßnahme zur Erfolgsverhinderung. e) Ergebnis Mangels Kausalität der zur Verfügung stehenden Mittel für den Eintritt des zu verhindernden Taterfolgs, kann der Aufsichtsrat nicht für Unterlassungstaten des Vorstands verantwortlich gemacht werden.375 Dies betrifft zum einen Unterlassungstaten, die unmittelbar zu einem Taterfolg führen (etwa § 401 AktG), aber auch solche Unterlassungstaten, die einen Begehungserfolg eines Dritten zur Grundlage haben, Kapitel 3 E. I. 1. a).376 2. Anstiftung/Beihilfe des Vorstands Auch im Fall von Anstiftung und Beihilfe durch den Vorstand stellt sich die Frage, ob diese Tat überhaupt von der Beschützergarantenstellung erfasst ist.

371

Otto, Grundkurs, § 9, Rn. 101; Stratenwerth/Kuhlen, § 13, Rn. 54, m.w. N. BGH, Urteil vom 19.04.2000 – 3 StR 442/99 = NJW 2000, 2754, 2757; Stree/ Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, § 13, Rn. 63, m.w. N.; Wohlers/Gaede, in: NKStGB, § 13, Rn. 15, m.w. N. 373 Krey/Esser, Rn. 1125. 374 Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, § 13, Rn. 63 („Verdachtsstrafe“); Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 13, Rn. 15, m.w. N. 375 So auch Krause, NStZ 2011, 57, 60. 376 Für letzteren Fall ohne nähere Ausführungen a. A. Poseck, S. 126 f. 372

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

a) Anstiftung eines Dritten durch den Vorstand Im Fall geplanter Anstiftung gem. § 26 StGB durch den Vorstand kommt eine Bestrafung des Aufsichtsrats durch Unterlassen der Verhinderung der Anstiftung von vornherein nicht in Betracht.377 b) Beihilfe zu einer Dritttat durch den Vorstand Anders könnte dies bei einer Beihilfe des Vorstands gem. § 27 StGB zu einer Drittat aussehen. aa) Relevante Konstellation Hierbei ist aber zunächst zu beachten, dass Taterfolg der Beihilfe des Vorstands die Hilfeleistung zur Haupttat eines Dritten ist. Die Verhinderung der Dritttat selbst durch den Aufsichtsrat ist nicht Gegenstand der vorliegenden Diskussion. Zur Abwendung der Dritttat könnte er durch die Beschützergarantenstellung verpflichtet sein und hätte mit der Möglichkeit einer Strafanzeige auch ein taugliches Mittel, wenn es sich bei dem Dritten um eine gesellschaftsexterne Person handelt, da dann mangels gesellschaftsinternen Vorgangs keine Pflicht zur Verschwiegenheit besteht.378 Anders könnte der Fall liegen, wenn der Aufsichtsrat aus irgendwelchen Gründen keine Möglichkeit für die Verhinderung der Dritttat hat oder der Vorstand Hilfe zu einer Tat eines Mitarbeiters leistet. Im letzten Fall könnte die Verschwiegenheitspflicht einer Strafanzeige entgegenstehen.379 Die Hilfeleistung durch den Vorstand als solche verletzt die durch den Aufsichtsrat zu schützenden Rechtsgüter der Gesellschaft aber nicht. Dies ist allein die Dritttat, zu der vom Vorstand Hilfe geleistet wird. Wenn aber die Dritttat ohne die Hilfeleistung des Vorstands nicht vorgenommen werden kann, die Verhinderung der Hilfeleistung durch den Aufsichtsrat also die gesellschaftsschädigende Dritttat verhindern würde, dann lässt sich eine Abwendungspflicht der Vorstandsbeihilfe durch den Aufsichtsrat erwägen. Dies ist ein Fall der sogenannten „Kettenbeihilfe“. 380 bb) Tatverhinderungspflicht Beihilfe ist möglich, wenn dem Unterlassenden (dem Aufsichtsrat) die Nichtabwendung eines Beihilfeerfolgs vorgeworfen werden kann.381 Dies ist hier nicht 377 378 379 380 381

Vgl. oben Kapitel 3 A. II. 1. Dazu näher Kapitel 2 C. II. 3. c) bb). Siehe dazu Kapitel 2 C. II. 3. c). Zu diesem Begriff Schild, in: NK-StGB, § 27, Rn. 8. Mosenheuer, S. 153; Roxin, AT II, § 31, Rn. 144.

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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ganz unproblematisch. Da der Aufsichtsrat kein Überwachergarant des Vorstands ist, muss er die bloße Hilfeleistung des Vorstands zu einer Drittat grundsätzlich nicht verhindern. Über die Beschützergarantenstellung ist der Aufsichtsrat nur zum Eingreifen bei bevorstehenden Verletzungen der Gesellschaftsrechtsgüter verpflichtet. Diese verletzt aber die Beihilfetat des Vorstands nicht, sondern die Dritttat. Wenn die Dritttat aber eine gesellschaftsschädigende Wirkung hat, der Vorstand Hilfe leistet, ohne welche die Tat nicht möglich ist und der Aufsichtsrat diese Hilfeleistung verhindern kann, kann dem Aufsichtsrat die Nichtabwendung des Beihilfeerfolgs durchaus vorgeworfen werden, da die Verhinderung des Beihilfeerfolgs gleichzeitig die gesellschaftsschädigende Drittat verhindern würde.382 Denkbar ist in diesem Fall etwa ein Diebstahl von Gesellschaftseigentum durch Dritte, die vom Vorstand Zugang zu den Sachen, die besonders gesichert sind, erhalten. Mittels einer Abberufung des Vorstands könnte der Aufsichtsrat die Beihilfe und die Haupttat verhindern, wenn anschließend dem Vorstand die Sicherheitscodes oder Schlüssel genommen werden würden, die er an die Dritten weiterreichen wollte. Bei der Untersuchung des Einzelfalls in der Praxis ist präzise auf die Kausalität der Unterlassung des Aufsichtsrats und die tatsächliche Verhinderungsmöglichkeit der Beihilfehandlung des Vorstands durch den Aufsichtsrat zu achten. cc) Beteiligungsform des Aufsichtsrats Ferner ist zu beachten, dass in diesen Fällen sowohl nach der Pflichtdeliktstheorie wie auch nach der subjektiven Theorie bloß eine Gehilfenstrafbarkeit in Betracht kommt, da sich die Verhinderungspflicht auf die Verhinderung der Teilnahmehandlung beschränkt.383 Dies ist ein maßgeblicher Unterschied zur Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats nach Kapitel 2, die unabhängig von der Beteiligung des Vorstands in diesen Fällen zu einer Täterstrafbarkeit des Aufsichtsrats führt.384

II. Straftaten der Kategorie A – Keine Pflicht zur Abwendung privater Vorstandsstraftaten Die Straftaten der Kategorie A stellen private Straftaten des Vorstands dar.385 Sie haben keine Auswirkungen auf die Gesellschaft und ihr Vermögen. Even382 Nach der strengeren Rechtsprechung ist bereits Beihilfe gegeben, wenn der Gehilfe in der Lage gewesen ist die Tat zu erschweren (siehe etwa BGH, Beschluss vom 31.07.1992 – 4 StR 156/92 = NJW 1993, 76). Wie hier Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, § 27, Rn. 16. Problemübersicht mit anderen Meinungen bei Joecks, in: MüKoStGB, 2. Aufl., § 27, Rn. 103 f. 383 Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. a), e); Roxin, AT II, § 31, Rn. 144. 384 Kapitel 2 C. V. und Kapitel 4 D. III. 385 Vgl. Kapitel 1 B. II. 3. a).

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

tuelle Folgen, wie zum Beispiel Reputationsverluste des Unternehmens (Rufschädigungen) und Börsenkursverluste, die sich auf das Vermögen oder andere Rechtsgüter auswirken könnten, stellen entfernte Ursachen dar, die in einem kausalen, aber nicht in einem zurechenbaren Zusammenhang stehen. Es besteht über die Beschützergarantenstellungen zugunsten der Gesellschaft und ihrem Vermögen – ebenso wie im Rahmen der Untreue386 – keine Pflicht zur Abwendung privater Straftaten, also solcher der Kategorie A.

III. Straftaten der Kategorie B – Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats zur Abwendung mittelbar dem Gesellschaftsvermögen schadender Vorstandsstraftaten? Die Straftaten der Kategorie B wirken sich ebenfalls nicht unmittelbar auf das Gesellschaftsvermögen aus. Unmittelbar haben sie den Schutz anderer Rechtsgüter im Blick, etwa das Vermögen Dritter, vgl. Kapitel 1 B. II. 3. b). Allerdings kann es mittelbar zu Schädigungen des Gesellschaftsvermögens kommen, wenn die Straftat des Vorstands aufgedeckt wird und Schadensersatzansprüche durchgesetzt oder Sanktionen gegen das Unternehmen verhängt werden. Dann ist das Gesellschaftvermögen durch die Folgen der Straftat, die unmittelbar andere Schutzgüter im Blick hat, kausal und zurechenbar geschädigt. Es stellt sich die Frage, ob auch in einem solchen Fall eine Abwendungspflicht des unterlassenden Aufsichtsrats besteht, dessen zu schützendes Rechtsgut nur mittelbar geschädigt wird.387 Der Vorwurf würde lauten: Nichtabwendung unmittelbar drittschadender Straftaten des Vorstands, die mittelbar gesellschaftsschädigend wirken und aus letzterem Grund zu verhindern wären. Beispiel: Eine Täuschungshandlung des Vorstands gegenüber einer Bank, die einen Betrug gem. § 263 StGB durch eine Kreditvergabe an die Gesellschaft zur Folge hat, tangiert dann das Gesellschaftsvermögen, wenn es später zu Regressansprüchen der Bank gegen die Gesellschaft kommt. Geschützt wird durch § 263 StGB in diesem Fall nur das Bankvermögen, nicht das Gesellschaftsvermögen, das nur mittelbar betroffen ist. Obige Überlegung unterstellt, wäre der Aufsichtsrat bei vorheriger Kenntnis und Nichteinschreiten im konkreten Beispiel wegen Betrugs durch Unterlassen gegenüber einem Bankmitarbeiter und zu Lasten der Bank gem. §§ 263 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB zu bestrafen, wobei sich die Beschützergarantenstellung auf das eigene mittelbar verletzte Gesellschaftsvermögen und 386

Vgl. Kapitel 2 C. II. 2. b) cc) (5). Ablehnend bereits Poseck, S. 110 und Lüderssen, FS-Lampe, S. 740 f. Allerdings beziehen sich beide dabei auf den fehlenden Schutz „gesellschaftsexterner“ Rechtsgüter. Vorliegend soll es aber um die Frage der Reichweite des gesellschaftsinternen Schutzes gehen. 387

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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nicht auf das unmittelbar verletzte Bankvermögen beziehen würde. Der Aufsichtsrat wäre also strafrechtlich verpflichtet den drittschädigenden Betrug abzuwenden, ohne Beschützergarant des Bankvermögens oder Überwachergarant des Vorstands zu sein. De facto würde so eine Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Vermögens bestimmter Dritter geschaffen. De jure würde sie sich aber auf das eigene Gesellschaftsvermögen beziehen. Diese Annahme wirkt auf den ersten Blick abstrus und scheint jeder gängigen Interpretation der Garantendogmatik zu widersprechen. Allerdings gibt es in Rechtsprechung und Literatur Stimmen, die nichttatbestandliche Erfolge einer Tat im Bereich des Unterlassens in den Schutzbereich des § 13 Abs. 1 StGB einbeziehen, 1. Ferner plädieren Stimmen für eine Einbeziehung mittelbarer Tatfolgen im Zusammenhang der Untreue, 2. Es scheint daher geboten die hier aufgeworfene Frage etwas eingängiger zu behandeln, um zu zeigen, dass kein Raum für die Berücksichtigung mittelbarer Schäden im Rahmen der Garantenstellung besteht, 3. 1. Berücksichtigung nichttatbestandlicher Tatfolgen im Unterlassungsbereich Wörtlich setzt § 13 Abs. 1 StGB voraus, dass der Täter es unterlässt „einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört“. Rechtsprechung und Teile der Literatur legen den „Erfolg [. . .], der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört“ weit aus und lassen auch tatbestandsmäßiges Geschehen ausreichen.388 Auch abstrakte Gefährdungsdelikte sollen danach durch Unterlassen begangen werden können,389 also solche, die tatbestandsmäßig gerade keinen Erfolg voraussetzen. So reiche es aus, dass ein „hinter dem Tatbestand stehender Erfolg“ nicht verhindert werde.390 Allerdings bedeutet dies nicht, dass tatbestandsfremde Erfolge zu verhindern sind. Es muss, selbst bei der weiten Auslegung des „tatbestandlichen Erfolgs“, eine enge Beziehung zwischen Erfolg und tatbestandlichem Delikt bestehen. Auch nach der weiten Auslegung des „tatbestandlichen Erfolgs“ kann die Verletzung des eigenen Gesellschaftsvermögens kein abzuwendender Erfolg des drittschützenden Delikts sein, da sie kein hinter dem Tatbestand (des drittschädigenden Betrugs) stehender Erfolg ist, vgl. sogleich 3. a) aa).

388 BGH, Urteil vom 12.12.2000 – 1 StR 184/00 = BGHSt 46, 212, 222 = NJW 2001, 624, 627. Aus der Literatur Kühl, in: Lackner/Kühl, § 13, Rn. 6; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 3. Alle auch zur Gegenmeinung. 389 BGH, Urteil vom 12.12.2000 – 1 StR 184/00 = BGHSt 46, 212, 222 = NJW 2001, 624, 627. Aus der Literatur Kühl, in: Lackner/Kühl, § 13, Rn. 6; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 3. 390 Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 3.

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

2. Behandlung mittelbarer Vermögensschäden bei der Untreue gem. § 266 Abs. 1 StGB Im Rahmen der Untreue ist oben bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Vermögensbetreuungspflicht, die weithin als eine Beschützergarantenstellung zu Gunsten des zu betreuenden Vermögens aufgefasst wird, keine Einschränkung auf unmittelbare Schädigungen vorgenommen worden.391 Im Zusammenhang mit der Bestimmung des Vermögensnachteils wird allerdings der Streit geführt, ob und mit welcher Reichweite mittelbar vermögensschädigende Straftaten zur Annahme eines Vermögensnachteils führen können.392 Vorzugswürdig erscheint es nur solche Straftaten als nachteilig i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB anzusehen, die einen Schaden zum relevanten Beurteilungszeitpunkt (der vermögensschädigenden Handlung) mit „Gewissheit“ hervorrufen werden.393 Dies kann nur bei „materiell self-executing“-Normen394 der Fall sein, die auf dem Gebiet der möglichen Sanktionen gegen Unternehmen derzeit nicht existieren. Schadensersatzansprüche und andere Sanktionen mit Ermessensspielraum führen nicht mit Gewissheit zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung später zu Vermögensschäden und können daher kein Nachteil i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB sein. Mittelbare Folgen der Tat dürfen im Rahmen der Untreue nur berücksichtigt werden, wenn ihr Eintreten zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung, abgesehen von der Aufdeckung der Tat, bereits zwingend angelegt gewesen ist. Das besondere Delikt der Untreue setzt zusätzlich zum Vorliegen der Vermögensbetreuungspflicht auch einen Vermögensnachteil voraus. Die strukturellen Besonderheiten des Untreuetatbestands erfordern daher keine Einschränkung der Vermögensbetreuungspflicht auf unmittelbare Schädigungen, da diese Einschränkung an anderer Stelle ebenso effektiv gewährleistet werden kann. Eine Einschränkung auf ganz wenige mittelbare Tatfolgen erscheint (nicht nur) verfassungsrechtlich geboten. 3. Mittelbare Vermögensschädigungen als Teil der Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats zu Gunsten des Gesellschaftsvermögens? Ein struktureller Vergleich von Untreuedelikt und der allgemeinen Garantenstellung zu Gunsten des Vermögens zeigt, dass die Untreue die Reichweite des Vermögensschutzes anhand von zwei Merkmalen (Vermögensbetreuungspflicht und Vermögensnachteil) einschränkt. Die allgemeine Garantenstellung zu Gunsten des Vermögens kennt keine Voraussetzung, die dem Nachteilsbegriff ent-

391 392 393 394

Kapitel 2 C. I. 3. a). Vgl. Kapitel 2 C. III. 3. Vgl. Kapitel 2 C. III. 3. d) dd). Dazu Kapitel 2 C. III. 3. d) ee) (2) (b).

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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spricht. Setzte man die Reichweite von Vermögensbetreuungspflicht i. S. d. § 266 StGB und die Reichweite der Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Vermögens gleich, könnte man prinzipiell auch mittelbare Vermögensschädigungen unter die Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Gesellschaftsvermögens fassen. Diese Annahme begegnet allerdings grundlegenden Bedenken. a) Verstoß gegen den Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB? Die Pflicht zur Verhinderung mittelbarer Tatfolgen könnte bereits über den Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB hinausgehen. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation.395 Stellt die Einbeziehung mittelbarer Tatfolgen eine Überdehnung des Wortsinns des § 13 Abs. 1 StGB dar, läge eine Analogie zu Lasten des Täters vor, die gegen § 1 StGB und Art. 103 Abs. 2 GG verstößt (nulla poena sine lege stricta).396 Der hier maßgebliche Teil des § 13 Abs. 1 StGB lautet: „Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, [. . .].“ Zur Verdeutlichung der Problematik wird das obige Beispiel des Betrugs zu Lasten der Bank wieder aufgegriffen, vgl. Kapitel 3 E. III.: aa) Vermögensschädigung der eigenen Gesellschaft als „Erfolg“ i. S. d. § 13 Abs. 1 StGB? Kein abzuwendender Erfolg i. S. d. § 13 Abs. 1 StGB kann in dieser Konstellation die Schädigung der eigenen Gesellschaft sein. Für die Abwendung dieses Schadens hat der Aufsichtsrat zwar jedenfalls einzustehen (der zweite Halbsatz ist also tatbestandlich erfüllt). Der § 263 StGB schützt allerdings nur das Vermögen der Bank vor fremden Schädigungen, nicht aber das Vermögen der Gesellschaft des Aufsichtsrats. Nicht zum Tatbestand des § 263 StGB gehört daher der vom Aufsichtsrat abzuwendende Erfolg (Schädigungen der eigenen Gesellschaft), sofern er zu Lasten der Bank begangen wird. Der erste Halbsatz des § 13 Abs. 1 StGB ist nicht erfüllt, sodass eine Begründung der Strafbarkeit des Aufsichtsrats nicht gelingen kann, wenn man eine Schädigung des Gesellschaftsvermögens als abzuwendenden Erfolg in die Definition der Unterlassensstrafbarkeit des § 13 Abs. 1 StGB einsetzt. Insofern steht der Wortsinn, selbst bei der oben dargelegten weiten Auslegung des „tatbestandlichen Erfolgs“,397 entgegen. 395 Aus der Rechtsprechung etwa BVerfG, Beschluss vom 19.12.1994 – 2 BvR 1156/ 94 = NJW 1995, 2776, 2777 m.w. N. Fischer, StGB, § 1, Rn. 21; Gaede, in: AnwKStGB, § 1, Rn. 28. 396 Dazu Fischer, StGB, § 1, Rn. 21. Umfassend Gaede, in: AnwK-StGB, § 1, Rn. 27 ff. 397 Kapitel 3 E. III. 1.

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

bb) Vermögensschädigung der Bank als „Erfolg“ i. S. d. § 13 Abs. 1 StGB Nähert man sich der Strafbarkeitsbestimmung des § 13 Abs. 1 StGB anders, so kann eine Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats vom Wortlaut her doch gelingen. Nimmt man die Schädigung der Bank als abzuwendenden Erfolg, dann stellt man fest, dass gerade die Schädigung der Bank zum Tatbestand des § 263 StGB gehört. Der erste Halbsatz des § 13 Abs. 1 StGB ist damit erfüllt. Der Aufsichtsrat wäre allerdings nur dann strafbar, wenn auch der zweite Halbsatz erfüllt wäre. Der Aufsichtsrat wäre dann rechtlich verpflichtet, dass dieser Erfolg nicht eintritt. Direkt ist er nicht verpflichtet diesen Erfolg abzuwenden, da er weder Beschützergarant des Bankvermögens noch Überwachergarant des Vorstands ist (vgl. Kapitel 3 C. IV., D. II. 5., 6.). Wäre er verpflichtet neben unmittelbaren auch mittelbare Schädigungen des eigenen Gesellschaftsvermögens abzuwenden, dann könnte wegen der drohenden Schadensersatzpflicht eine rechtliche Pflicht zur Abwendung des Betrugs zu Lasten der Bank bestehen. Der Wortsinn stünde nicht entgegen, da es dann eine rechtliche Pflicht zur Abwendung der Bankschädigung gäbe, weil der Aufsichtsrat diesen Erfolg abzuwenden hätte, um die eigene Gesellschaft vor mittelbaren Schäden zu schützen. cc) Ergebnis Der Wortsinn des § 13 Abs. 1 StGB verbietet unter der weitestmöglichen Auslegung nicht eine Pflicht zur Abwendung von Straftaten zu statuieren, die unmittelbar andere Rechtsgüter verletzen, mittelbar aber das vom Unterlassenden zu beschützende Rechtsgut tangieren. Die Frage der Reichweite des Vermögensschutzes ist allerdings keine Frage des „tabestandlichen Erfolgs“. Vielmehr ist dies eine Frage der Auslegung und der Reichweite des „Rechtlichen-EinstehenMüssens“ i. S. d. § 13 Abs. 1 2. Hs. StGB, also der Garantenstellung zu Gunsten des (Gesellschafts-)Vermögens. b) Restriktive Auslegung des „Rechtlichen-Einstehen-Müssens“ i. S. d. § 13 Abs. 1 2. Hs. StGB als Argument gegen eine Einbeziehung mittelbarer Vermögensschädigungen in die Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Vermögens Einwände gegen eine weite Auslegung des „Rechtlichen-Einstehen-Müssens“ (im Folgenden wieder „Garantenstellung“) ergeben sich allerdings aus der Konzeption des § 13 Abs. 1 StGB, der, insbesondere hinsichtlich der Reichweite von Garantenstellungen, notwendigerweise restriktiv auszulegen ist.

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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aa) Notwendigkeit einer restriktiven Auslegung des § 13 Abs. 1 StGB Der § 13 Abs. 1 StGB verstößt zwar nach h. M. nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG, da die Voraussetzungen einer Unterlassungsstrafbarkeit bestimmt (genug) sind.398 Allerdings geht aus dem Gesetz nicht hervor, wann jemand für die Verhinderung eines bestimmten Erfolgs einzustehen hat. Es heißt dazu nur, dass dies der Fall ist, wenn der Unterlassende rechtlich dafür einzustehen hat. Unter welchen Voraussetzungen eine Garantenstellung gegeben ist, bleibt vom Gesetz unbeantwortet.399 Das Bundesverfassungsgericht sieht hierin keinen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, da die Voraussetzungen der Strafbarkeit wegen Unterlassens durch die Rechtsprechung hinreichend festgelegt seien und das Risiko einer Bestrafung für den Normadressaten vorhersehbar sei, da dies das Erfordernis normativ begründeter Pflichten und eine auf langjähriger Tradition beruhende, einheitliche und klare richterrechtliche Umschreibung möglicher Garantenstellungen gewährleisten würden.400 Über die Reichweite der Garantenstellungen geben die Ausführungen des Verfassungsgerichts aber keinen Aufschluss. Es ist zu konstatieren, dass die Umschreibung des „Rechtlichen-Einstehen-Müssens“ mangels einer präzisen Festlegung der Handlungspflichten, sehr vage ist und tendenziell unbestimmt erscheint.401 § 13 Abs. 1 StGB ist daher insbesondere bezüglich der Garantenstellungen restriktiv auszulegen.402 bb) Folgen für die Reichweite des Vermögensschutzes – keine Einbeziehung mittelbarer Vermögensschädigungen Ist das „Rechtliche-Einstehen-Müssen“ folglich restriktiv auszulegen, so bleibt zu klären, ob dies einer Einbeziehung mittelbarer Vermögensschädigungen in die Reichweite einer Garantenstellung zu Gunsten des Gesellschaftsvermögens entgegensteht. Hierfür sprechen zwei Gründe: Erstens ist zum Tatzeitpunkt ungewiss, ob der mittelbare Erfolg der Tat, also die Schädigung des Gesellschaftsvermögens tatsächlich eintreten wird, auch wenn die Schädigung bereits angelegt ist. Diese Ungewissheit ist es, die im Rahmen der Untreue das schlagende Argument gegen die weite Einbeziehung mittelbarer Schäden in das Nachteilsmerkmal ist.403 Auch für die Reichweite der Beschützergarantenstellung ist sie ein Argument gegen die Einbeziehung. Zwar mag 398

Vgl. bereits oben Kapitel 3 A. I. und Nachweise in Fn. 6. Kritisch daher Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 18. 400 BVerfG, Beschluss vom 21.11.2002 – 2 BvR 2202/01 = NJW 2003, 1030. 401 Roxin, AT II, § 31, Rn. 32 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, § 13, Rn. 13; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 19; Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 13, Rn. 3, 29. 402 Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 13, Rn. 3; Stratenwerth/Kuhlen, § 13, Rn. 13; Stree/ Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 6; Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 19; Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 13, Rn. 3, 29. 403 Vgl. Kapitel 2 C. III. 3. d) dd), ee). 399

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

das Vermögen durch die drittschädigende Tat gefährdet sein (der Ersatzanspruch ist bereits mit Begehung der Tat begründet), doch ob es (später) tatsächlich verletzt wird, lässt sich zum Zeitpunkt der drittschädigenden Tat noch nicht prognostizieren. Insofern stellt die (mögliche) Schädigung eine so entfernte Folge dar, dass sie bei restriktiver Auslegung des „Rechtlichen-Einstehen-Müssens“ folgerichtig nicht in den Bereich des schützenswerten Vermögens fällt. Dies ist im Rahmen der Garantenstellung bezüglich des Vermögens aber ebenfalls bei Straftaten der Fall, die eine „materiell self-executing“ Norm verletzen. Zwar ist der Schaden für die Gesellschaft dort mit Begehung der Straftat gewiss [daher kann auch ein Vermögensnachteil bei der Untreue bejaht werden, vgl. Kapitel 2 C. III. 3. d) dd), ee)], doch bleibt der notwendige Zwischenschritt der Aufklärung der Tat und Aussprache der Sanktion ausstehend. Dies genügt aber, um im Bereich der vorliegend diskutierten Reichweite der Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Vermögens eine solche Einbeziehung zu verneinen, da es zweitens gilt de facto-Garantenstellungen, die im Beispielsfall eine Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats zu Gunsten des Bankvermögens ist, möglichst zu verhindern. Aus Gründen der Klarheit sollte eine Restriktion auf unmittelbare Verletzungen des Schutzguts vorgenommen werden. De facto-Garantenstellungen würden hingegen zu einer Ausweitung der strafrechtlichen Pflicht führen, die zu faktischen Schutzstellungen führt, die gesetzlich nicht angelegt sind (wie im vorliegenden Fall der Aufsichtsrat nicht Beschützergarant Dritter ist, vgl. Kapitel 3 D. II. 6.). cc) Ergebnis § 13 Abs. 1 StGB und insbesondere das Merkmal des „Rechtlichen-EinstehenMüssens“ sind vor dem Hintergrund der tendenziellen Unbestimmtheit restriktiv auszulegen. Dies führt dazu, dass mittelbare Schädigungen des Vermögens nicht in die Reichweite des zu schützenden Rechtsguts „Vermögen“ einzubeziehen sind, weil der Schadenseintritt ungewiss ist und de facto-Garantenstellungen so vermieden werden können. c) Widerspruch zu Ausführungen im Zusammenhang mit der Untreue? Ein Vermögensnachteil i. S. d. § 266 StGB wurde oben bejaht, wenn eine „materiell self-excuting“ Norm verletzt wird. Hier, im Rahmen der Garantenstellung zu Gunsten des Gesellschaftsvermögens, wird nun eine Einbeziehung dieser mittelbaren Schäden verneint. Man könnte geneigt sein hierin einen Widerspruch zu sehen. Allerdings ist das eine Folge der unterschiedlichen Ansatzpunkte und Voraussetzungen der Strafbarkeitsalternativen, also der Untreue gem. § 266 StGB einerseits und des konkreten Delikts i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB andererseits. § 266 StGB hat mit dem Nachteilsmerkmal eine Voraussetzung, die einen konkreten Schaden erfordert. Dieses Merkmal fehlt im Rahmen der rechtlichen Einstands-

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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pflicht, der Garantenstellung. Es ist kein Korrektiv erkennbar, abgesehen von der Reichweite der Garantenstellung. Da die Notwendigkeit einer Vermeidung von de facto Garantenstellungen besteht, dürfen auch Verletzungen von „materiell selfexecuting“ Normen nicht in die Reichweite der Garantenstellung fallen. Nur unmittelbare Verletzungen sind durch die Reichweite der Garantenstellung abgedeckt und zu verhindern. Dies ist eine zwingende Folge der restriktiven Auslegungsprärogative des „Rechtlichen Einstehen-Müssens“, als Konsequenz der tendenziellen Unbestimmtheit des § 13 Abs. 1 StGB. 4. Ergebnis Als Folge der notwendigen restriktiven Auslegung der Garantenstellung, kann ihre Reichweite zum Schutz des (Gesellschafts-)Vermögens nur auf unmittelbar schadende Straftaten beschränkt sein. Mittelbar schadende Straftaten, also solche der Kategorie B, unterfallen daher nicht der Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats zu Gunsten des Gesellschaftsvermögens. Straftaten der Kategorie B hat der Aufsichtsrat daher nicht zu verhindern.

IV. Straftaten der Kategorie C Anders sieht es hingegen bei den Straftaten der Kategorie C aus. Diese führen mit Begehung, folglich unmittelbar, zu Verletzungen der Gesellschaftsrechtsgüter. Zu klären bleibt aber, welche Straftaten genau vom Aufsichtsrat wie zu verhindern sind und welche Beteiligungsfolgen die Nichtverhinderung hat. Hierfür wird im Folgenden, gewissermaßen als „Prüfungsmuster“ standardisiert bei jedem Delikt, das Begehen durch Unterlassen, die jeweils taugliche Verhinderungsmaßnahme und die Beteiligungsform geprüft. Taugliche Verhinderungsmaßnahmen im Bereich der Tatverhinderung sind, wie oben bereits herausgearbeitet, grundsätzlich ein Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG, falls es sich um eine rechtliche Handlung des Vorstands handelt, die allein Gesellschaftsinnenwirkung entfaltet404 und eine Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG in den übrigen Fällen.405 Die Beteiligungsfolgen richten sich nach der anzuwendenden Theorie bezüglich der Frage nach Täterschaft oder Beteiligung im Bereich des Unterlassens einer Dritttat.406 Um dem praxisnahen Ansatz dieser Arbeit gerecht zu werden, findet neben der favorisierten Pflichtdeliktstheorie auch die subjektive Theorie der Rechtsprechung Anwendung.407

404 405 406 407

Vgl. dazu oben Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6). Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (3). Vgl. dazu Kapitel 3 A. II. 2. Dazu bereits oben Kapitel 3 A. II. 2. f).

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

Es gilt zu beachten, dass die Aussagen zur Verhinderungsmöglichkeit der Tat ebenso für die Untreue nach Kapitel 2 gelten.408 Aus verschiedenen Gründen ist bei einigen Delikten die Strafbarkeitsmöglichkeit des Aufsichtsrats nach dem konkreten Delikt i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB zu verneinen. Soweit in diesen Fällen eine Untreustrafbarkeit nach Kapitel 2 möglich ist, wird die Verhinderungsmöglichkeit im konkreten Fall kurz dargelegt, um auch in diesen Fällen Kenntnis der konkreten Verhinderungsmöglichkeit zu erlangen. 1. Straftaten der Unterkategorie I: Straftaten z. N. der Aktiengesellschaft, die Nichtvermögensrechtsgüter betreffen Die Straftaten der Unterkategorie I verletzen Nichtvermögensrechtsgüter der Gesellschaft unmittelbar. Wie oben herausgearbeitet, besteht eine Garantenstellung zum Schutz dieser Rechtsgüter. Für die oben [Kapitel 1 B. II. 3. c) aa)] genannten Straftaten ist allerdings nun einzeln zu untersuchen, wie die Tat zu verhindern ist und welche Strafbarkeitsfolgen sich für den Aufsichtsrat ergeben können. Begeht der Vorstand das echte Unterlassungsdelikt des § 401 AktG (Pflichtverletzung bei Verlust, Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit), so scheidet, mangels Verhinderungsmöglichkeit, eine Aufsichtsratsstrafbarkeit aus, da Unterlassungsdelikte vom Aufsichtsrat nicht verhindert werden können.409 a) Schutz des Geheimnisbereichs: § 17 UWG (Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen) und § 404 AktG (Verletzung der Geheimhaltungspflicht) Durch § 17 UWG und den spezielleren § 404 AktG wird der Geheimnisbereich des Unternehmens vor einem unredlichen Eingriff geschützt.410 Der Aufsichtsrat ist Beschützergarant zur Abwendung entsprechender Verletzungen.411 aa) Begehung durch Unterlassen In Betracht kommen wird in den meisten Fällen ein Geheimnisverrat durch den Vorstand nach § 17 Abs. 1 UWG oder eine Offenbarung eines Geheimnisses

408 Dies betrifft die Straftaten, die rechtlich und faktisch zu Vermögensnachteilen führen können. Dies sind einerseits die Eigentumsdelikte, die sich sogleich in Kapitel 3 E. IV. 1. d) finden, und die Straftaten, die rechtlich und faktisch zu Vermögensnachteilen führen können, sogleich in Kapitel 3 E. IV. 2. 409 Siehe oben Kapitel 3 E. I. 1. 410 Vgl. Kapitel 1 B. II. 3. c) aa). 411 Kapitel 3 D. II. 2.

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

229

nach § 404 Abs. 1 Nr. 1 AktG an (unbefugte) Dritte. Eine Begehung durch Unterlassen (Dulden der Kenntnisnahme) ist als Tathandlung möglich.412 bb) Verhinderungsmöglichkeiten Tathandlung ist im Fall des § 17 UWG die unbefugte Mitteilung des Geheimnisses an einen Dritten, im Fall des § 404 Abs. 1 Nr. AktG das unbefugte Offenbaren des Geheimnisses. Dies sind tatsächliche Handlungen des Vorstands, der i. d. R. einen Unternehmensexternen mit Informationen versorgt. Ein eingerichteter und ausgeübter Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG kann die Weitergabe der Informationen nicht verhindern, da er nur geeignet ist rechtliche Handlungen im unternehmensinternen Bereich zu verhindern.413 Einzig eine Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG kann daher taugliches Mittel zur Verhinderung der Tat sein. Allerdings ist hier auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Eine Abberufung kann die Tat nur verhindern, wenn der Vorstand verkörperte Geheimnisse weitergeben möchte. Dann kann nach der Abberufung, die gleichzeitig eine Beendigung der organschaftlichen Stellung zur Folge hat, verhindert werden, dass der Vorstand in den Besitz des Geheimnisses gelangt oder, wenn er bereits im Besitz des Geheimnisses ist, eine Herausgabe gefordert werden, notfalls auch gerichtlich im Eilrechtsschutz. Problematisch wird es, wenn das Geheimnis nicht verkörpert ist und der Vorstand die Kenntnis des Geheimnisses in sich als Person trägt. In diesem Fall kann auch eine Abberufung die Tat nicht verhindern, da das Geheimnis nicht in die Verfügungsgewalt der Gesellschaftsphäre zurückgelangen kann. cc) Mögliche Beteiligungsform Auch der Aufsichtsrat kann prinzipiell Täter des § 17 Abs. 1 UWG sein.414 Im Fall des § 404 AktG ist er bereits im Wortlaut des § 404 Abs. 1 Nr. 1 AktG genannt. (1) Pflichtdeliktstheorie Maßgeblich ist nach der Pflichtdeliktstheorie die Struktur des Delikts.415 Die Deliktsstruktur lässt in beiden Fällen eine Täterschaft des Aufsichtsrats zu. Ver412 Für § 17 UWG: Jansen/Maluga, in: MüKo-StGB, 1. Auflage, § 17 UWG, Rn. 48; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 17, Rn. 19; Ohly, in: Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, § 17, Rn. 15. Für § 404 AktG: Schaal, in: MüKo-AktG, § 404, Rn. 31. 413 Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6). 414 Jansen/Maluga, in: MüKo-StGB, 1. Auflage § 17 UWG, Rn. 42; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 17, Rn. 14; Ohly, in: Piper/Ohly/Sosnitza, 5. UWG, § 17, Rn. 13. 415 Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. a).

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

hindert er die Tat nicht, wäre er nach der Pflichtdeliktstheorie als Täter eines Geheimnisverrats nach § 17 UWG bzw. als Täter einer Verletzung der Geheimhaltungspflicht gem. § 404 AktG zu bestrafen. (2) Subjektive Theorie der Rechtsprechung Nach der subjektiven Theorie der Rechtsprechung ist auf das konkrete Verhalten des Aufsichtsrats abzustellen.416 Da nach der Deliktsstruktur eine Täterschaft des Aufsichtsrats möglich ist, ist das konkrete Tatverhalten maßgeblich, um zu einer Täterschaft oder zu einer Beihilfe zu gelangen. b) Schutz vor den Folgen unrichtiger Darstellung: § 400 AktG (Unrichtige Darstellung) § 400 AktG schützt unter anderem auch die Gesellschaft vor den Folgen einer unrichtigen Darstellung i. S. d. § 400 AktG.417 § 400 Abs. 2 AktG zielt auf Vorgänge im Gründungsstadium ab, sodass nur § 400 Abs. 1 AktG in Betracht kommt. Der Aufsichtsrat ist diesbezüglich Beschützergarant.418 aa) Begehung durch Unterlassen Tathandlung ist sowohl in § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG, wie auch in § 400 Abs. 1 Nr. 2 AktG die unrichtige Wiedergabe oder Verschleierung, die in beiden Nummern identisch verstanden werden.419 Insbesondere in Fällen der gleichzeitigen Anwesenheit ist eine Begehung durch Unterlassen anerkannt.420 In Rechtsprechung und Literatur werden vielfach Fälle behandelt, in denen Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam, etwa in der Hauptverhandlung, anwesend sind und ein Organvertreter unrichtige Angaben macht, die von den anderen Organmitgliedern nicht korrigiert werden.421 Abgelehnt wird die Strafbarkeit für die Fälle, in denen der Pflichtige jede Äußerung unterlässt, da es dann an einem Täuschungsund Verschleierungseffekt fehle.422 Denkbar sind aber auch Fälle, in denen der Vorstand, etwa im Rahmen eines „Vortrags“ i. S. d. § 400 Abs. 1 AktG (der auch Referate o. ä. erfasst423) unrichtige Angaben machen will. Kennt der Aufsichtsrat 416

Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. e). Vgl. Kapitel 1 B. II. 3. c) aa). 418 Vgl. Kapitel 3 D. II. 2. 419 Schaal, in: MüKo-AktG, § 400, Rn. 70. 420 Kiethe/Hohmann, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 400 AktG, Rn. 83, m.w. N. 421 Etwa RG, Urteil vom 19.10.1911 – I 628/11 = RGSt 45, 210 (vgl. dazu bereits die Ausführungen in der Einführung Kapitel 1 D. I.). Schaal, in: MüKo-AktG, § 400, Rn. 38. 422 Schaal, in: MüKo-AktG, § 400, Rn. 39, m.w. N. 423 Kiethe/Hohmann, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 400 AktG, Rn. 49. 417

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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das Vorhaben des Vorstands (etwa durch vorherige Einsicht der dem Vortrag zugrundeliegenden Power-Pointpräsentation), so liegt eine beabsichtigte Täuschung des Vorstands vor. Auch in diesem Fall ist eine Begehung durch Unterlassen des Aufsichtsrats möglich. bb) Verhinderungsmöglichkeiten Im Fall der gleichzeitigen Anwesenheit kann der Taterfolg mittels einer Korrektur der Angaben durch das Aufsichtsratsmitglied verhindert werden. In diesem Sonderfall ist weder eine Abberufung noch ein Zustimmungsvorbehalt notwendig. Ist der Aufsichtsrat, wie etwa in dem Beispiel des Vortrags, nicht zum Tatzeitpunkt anwesend, so kommt, aufgrund der Untauglichkeit des Zustimmungsvorbehalts [wieder handelt es sich um eine tatsächliche Handlung des Vorstands, die nicht mithilfe eines Zustimmungsvorbehalts verhindert werden kann, vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6)] nur eine Abberufung des Vorstands in Betracht. Hier ist allerdings eine teleologische Reduktion des Tatbestands des § 400 AktG auf erhebliche Falschdarstellungen angebracht, um kleinere, nicht relevante Darstellungsfehler vom Tatbestand auszuschließen. Stellt er die Verhältnisse dagegen bewusst grob falsch dar, etwa um Kreditzusagen zu erhalten, so erscheint eine Abberufung als ultima-ratio eine verhältnismäßige Maßnahme. Es ist wiederum darauf hinzuweisen, dass eine Abberufung nur in den Fällen notwendig wird, in denen der Vorstand sich weigert von seinem geplanten Verhalten Abstand zu nehmen. cc) Mögliche Beteiligungsform Der Wortlaut des § 400 Abs. 1 AktG beschränkt den tauglichen Täterkreis auf Vorstände und Aufsichtsräte. Der Aufsichtsrat kann daher Täter der unrichtigen Darstellung sein. (1) Pflichtdeliktstheorie Nach der Pflichdeliktstheorie424 ist der Aufsichtsrat stets als Täter zu bestrafen. (2) Subjektive Theorie der Rechtsprechung Nach der subjektiven Theorie der Rechtsprechung425 ist wiederum das konkrete Tatverhalten zu untersuchen. Je nachdem kommt eine Bestrafung als Täter oder Gehilfe in Betracht. 424 425

Vgl. dazu Kapitel 3 A. II. 2. a). Vgl. dazu Kapitel 3 A. II. 2. e).

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

c) Schutz des Interesses an der Nichtverfälschung von Abstimmungsergebnissen: § 402 AktG (Falsche Ausstellung von Berechtigungsscheinen) § 402 AktG schützt das Interesse der Gesellschaft an der Nichtverfälschung von Abstimmungsergebnissen.426 Hierbei geht es um die Willensbildung innerhalb der Gesellschaft. Auch insoweit ist der Aufsichtsrat Beschützergarant der Gesellschaft.427 aa) Begehung durch Unterlassen § 402 AktG erfasst drei mögliche Tathandlungen. Durch § 402 Abs. 1 Alt. 1 AktG wird das falsche Ausstellen, durch § 402 Abs. 1 Alt. 2 AktG das Verfälschen von Berechtigungsscheinen und durch § 402 Abs. 2 AktG schlussendlich der Gebrauch falsch ausgestellter oder verfälschter Berechtigungsscheine bestraft. Eine Begehung durch Unterlassen des Aufsichtsrats ist denkbar, wenn der Vorstand nicht an der falschen Ausstellung oder der Verfälschung bzw. jeweils der Gebrauchmachung gehindert wird. bb) Verhinderungsmöglichkeiten Wiederum liegt eine tatsächliche Handlung des Vorstands vor, sodass der Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG keine taugliche Maßnahme zur Tatverhinderung sein kann. Die Maßnahme der Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG kann die Tat verhindern, wenn dem Vorstand so die Mittel zur Manipulation genommen würden oder die Tatmotive entfielen. Es ist insoweit auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen und zum Beispiel zu ermitteln, welche Motive für den Vorstand handlungsleitend sind, warum er also die falsche Ausstellung bzw. die Verfälschung oder jeweilige Gebrauchmachung vornehmen will. cc) Mögliche Beteiligungsformen § 402 AktG stellt ein Allgemeindelikt dar, das von jedermann begangen werden kann.428 Aufsichtsräte sind also taugliche Täter. Nach der Pflichtdeliktstheorie429 wäre das Aufsichtsratsmitglied stets als Täter zu bestrafen. Nach der subjektiven Theorie der Rechtsprechung430 wäre wiederum das konkrete Verhalten des Aufsichtsrats entscheidend, ob eine Bestrafung als Täter oder Gehilfe erfolgt. 426

Vgl. Kapitel 1 B. II. 3. c) aa). Vgl. Kapitel 3 D. II. 2. 428 Kiethe/Hohmann, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 402 AktG, Rn. 10; Schaal, in: MüKo-AktG, § 400, Rn. 7, 36. 429 Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. a). 430 Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. e). 427

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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d) Eigentumsschützende Delikte Bezüglich der Verhinderung von Eigentumsschädigungen besteht eine Garantenstellung des Aufsichtsrats.431 aa) Diebstahl (§ 242 StGB) Diebstahl durch Unterlassen ist möglich.432 Die Tat ließe sich durch eine Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG verhindern, wenn diesem so die tatsächlichen Zugriffsmöglichkeiten auf die Tatgegenstände entzogen würden. Streitig ist allerdings, ob der Unterlassende Täter sein kann. Da auch im Rahmen der Drittzueignung eine Aneignungshandlung des Täters Voraussetzung sei, könne nur der aktiv Handelnde Täter sein, sodass für den Unterlassenden nur eine Beihilfestrafbarkeit in Betracht komme.433 Die Zueignung ist allerdings ein subjektives Element.434 Das objektive Element der Wegnahme kann hingegen durch Unterlassen begangen werden.435 Richtigerweise ist daher Diebstahl in Täterschaft durch Unterlassen möglich.436 Nach der Pflichtdeliktstheorie 437 wäre der Aufsichtsrat dabei stets Täter. Nach der subjektiven Theorie der Rechtsprechung438 käme es auf die konkrete Handlung des Aufsichtsrats an. Zu beachten ist allerdings, dass der Vorstand die Sachherrschaft über die Sache für die Aktiengesellschaft ausübt.439 Mangels Bruch fremden Gewahrsams wird daher öfter eine Unterschlagung als ein Diebstahl in Betracht kommen.440 bb) Unterschlagung (§ 246 StGB) Unterschlagung durch Unterlassen ist nicht ohne weiteres möglich. Dies liegt an der nach h. M.441 notwendigen (objektiven) Manifestation des Zueignungswil431

Vgl. Kapitel 3 D. II. 2. OLG Köln, Urteil vom 16.01.1973 – Ss 222/72 = NJW 1973, 861. Aus der Literatur: Kindhäuser, in: NK-StGB, § 242, Rn. 132. 433 Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 242, Rn. 59. 434 Vgl. nur Kretschmer, in: AnwK-StGB, § 242, Rn. 43; Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 242, Rn. 37, 40. 435 Kindhäuser, in: NK-StGB, § 242, Rn. 132. 436 Duttge, in: Dölling/Duttge/Rössner, § 242 StGB, Rn. 50; Kindhäuser, in: NKStGB, § 242, Rn. 132. 437 Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. a). 438 Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. e). 439 Allgemein für juristische Personen: RG, Urteil vom 07.06.1926 – II 342/26 = RGSt 60, 271 f.; Fischer, StGB, § 242, Rn. 13; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 242, Rn. 34; Kretschmer, in: AnwK-StGB, § 242, Rn. 33. 440 Möglich sind aber Beihilfe bzw. Anstiftung zum Diebstahl und Diebstahl in mittelbarer Täterschaft. 441 Vgl. nur BGH, Urteil vom 06.09.2006 – 5 StR 156/06 = NStZ-RR 2006, 377, 378. Aus der Literatur, auch mit Nachweisen zur Gegenmeinung: Fischer, StGB, § 246, 432

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

lens.442 Notwendig ist, neben einer Garantenstellung, eine Pflicht zur Herausgabe des Gegenstands und eine hinreichende Dokumentation des Zueignungswillens.443 Eine drittzueignende Unterschlagung durch Unterlassen ist hierbei auch denkbar.444 Insgesamt hat die Konstruktion des Unterschlagungsdelikts aber zur Folge, dass die Möglichkeit einer Unterlassungsstrafbarkeit im Rahmen der Unterschlagung auf den Einzelfall abgewälzt wird. Hier sind einige Konstellationen durch die Rechtsprechung entschieden worden.445 Auf eine eingehende Analyse der Rechtsprechung wird daher an dieser Stelle verzichtet. Die Unterschlagung durch den Vorstand könnte der Aufsichtsrat nicht mit einem Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG verhindern, da die Aneignung eine tatsächliche und gesellschaftsexterne Maßnahme des Vorstands darstellt. Vielmehr ist eine Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG notwendig. Nach der Pflichtdeliktstheorie 446 wäre der Aufsichtsrat dabei stets als Täter zu bestrafen. Nach der subjektiven Theorie der Rechtsprechung447 käme es auf die konkrete Handlung des Aufsichtsrats an. cc) Raub (§ 249 StGB) Ob Raub durch Unterlassen begangen werden kann, ist strittig.448 Allerdings müsste jedenfalls eine Beschützergarantenstellung bezüglich der durch die Gewaltanwendung (oder Androhung) angegriffenen Person bestehen.449 Der Aufsichtsrat ist jedoch nicht Beschützergarant der Unternehmensmitarbeiter, anderer Vorstände oder dritten Personen.450 Ein aktiv begangener Raub des Vorstands z. N. des Unternehmens kann daher nicht durch den Aufsichtsrat in der Tatform des Unterlassens begangen werden. Allerdings kann der Raub zu einer Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats nach Kapitel 2 führen, wenn der geraubte Gegenstand einen wirtschaftlichen Wert hat. Es ist dort keine Garantenstellung zu Gunsten der vom Raub betroffenen Person notwendig. Vielmehr kommt es auf die faktische Auswirkung der Tat in Bezug auf das Gesellschaftsvermögen an.451 Führt die Tat zu einem Vermögensnachteil, Rn. 6 ff.; Kretschmer, in: AnwK-StGB, § 246, Rn. 6 ff.; Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 246, Rn. 9 ff.; Wittig, in: BK-StGB, § 246, Rn. 3 ff. 442 Hohmann, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 246, Rn. 25. 443 Hohmann, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 246, Rn. 25. Vgl. auch LG Potsdam, Beschluss vom 01.10.2007 – 24 Qs 28/07 = NStZ-RR 2008, 143. 444 Vgl. auch Fischer, StGB, § 246, Rn. 22. 445 Vgl. Übersicht bei Fischer, StGB, § 246, Rn. 7 ff. 446 Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. a). 447 Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. e). 448 Vgl. etwa Walter, NStZ 2005, 240; Wittig, in: BK-StGB, § 249, Rn. 5.1. 449 Kindhäuser, in: NK-StGB, Vor §§ 249 ff., Rn. 28, § 249, Rn. 24. 450 Vgl. Kapitel 3 D. II. 6. 451 Vgl. Kapitel 2 C. III. 4. b) bb).

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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so liegt eine Untreue nach Kapitel 2 vor, wenn dem Aufsichtsrat eine Verhinderungsmöglichkeit gegeben ist. Kann der Aufsichtsrat den Raub mit einer Abberufung gem. § 84 Abs. 3 StGB verhindern, etwa weil dem Vorstand so der Zugang zum Tatgegenstand genommen wird, hat er ein taugliches Verhinderungsmittel zur Verfügung, von dem er Gebrauch machen muss. Da es sich bei einem Raub um eine Katalogtat des § 138 Abs. 1 StGB handelt, ist dem Aufsichtsrat eine Strafanzeige gestattet, sodass hier ein weiteres Verhinderungsmittel zur Verfügung steht.452 dd) Sachbeschädigung (§ 303 StGB), Brandstiftung (§ 306 StGB) Sachbeschädigung und Brandstiftung sind durch Unterlassen begehbar. Fraglich ist aber, ob der Aufsichtsrat die Tat verhindern kann. Jedenfalls der Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG kann den Vorstand nicht an der Tatausführung hindern. Anders könnte es bei der Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG aussehen, wenn dem Vorstand so die Zugriffmöglichkeit auf die in Rede stehenden Gegenstände genommen wird. Dann wäre dem Vorstand die Tatmöglichkeit genommen und die Ausführung wäre verhindert. Es ist also auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Ferner besteht im Fall der Brandstiftung als Katalogtat des § 138 Abs. 1 StGB eine Berechtigung zu Erstattung einer Strafanzeige.453 Nach der Pflichtdeliktstheorie 454 wäre das Aufsichtsratsmitglied als Täter zu bestrafen. Nach der subjektiven Theorie der Rechtsprechung455 wäre wiederum das konkrete Verhalten des Aufsichtsrats maßgeblich dafür, ob eine Bestrafung als Täter oder Teilnehmer erfolgt. ee) Ergebnis Im Rahmen der eigentumsschützenden Delikte können nur Diebstahl (gem. § 242 StGB), Unterschlagung (§ 246 StGB), Sachbeschädigung (§ 303 StGB) und Brandstiftung (gem. § 306 StGB) vom Aufsichtsrat durch Unterlassen begangen und bestraft werden. e) Schutz der Ehre der Gesellschaft: Beleidigung, etc. (§§ 185 ff. StGB) Durch die Beleidigungsdelikte der §§ 185 ff. StGB wird die Ehre geschützt, deren Träger auch die Aktiengesellschaft sein kann.456 Auch bezüglich der Ehre der Gesellschaft ist der Aufsichtsrat Beschützergarant.457 452 453 454 455 456 457

Kapitel 2 C. II. 3. c) cc) (3). Kapitel 2 C. II. 3. c) cc) (3). Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. a). Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. e). Vgl. Kapitel 1 B. II. 3. c) aa). Vgl. Kapitel 3 D. II. 2.

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

aa) Begehung durch Unterlassen Strittig ist bereits, ob eine Begehung durch Unterlassen möglich ist, wenn ein Dritter eine Beleidigung ausspricht und der Garantenpflichtige diesen an der aktiven Vornahme der Beleidigung nicht hindert.458 Die fehlende eigene Missachtung, die nur durch aktives Tun zum Ausdruck kommen könne, hindere sogar eine Beihilfestrafbarkeit des Unterlassenden.459 Richtigerweise führt sie aber nur zu einem Entfallen der Tätereigenschaft, sodass eine Beihilfestrafbarkeit durch Unterlassen möglich bleibt.460 bb) Verhinderungsmöglichkeiten Sowohl der Zustimmungsvorbehalt wie auch die Abberufung können eine bevorstehende Beleidigung der Gesellschaft durch den Vorstand nicht verhindern. Durch die Abberufung würde der Vorstand lediglich nicht mehr als Organangehöriger handeln. Dies verhindert aber die Tat als solche nicht. Mangels Tatverhinderungsmöglichkeit besteht kein Strafbarkeitsrisiko des Aufsichtsrats bei bevorstehenden Beleidigungen der Gesellschaft durch Vorstandsmitglieder. f) Ergebnis für Straftaten der Unterkategorie I Eine Unterlassensstrafbarkeit des Aufsichtsrats im Rahmen von Schutzgütern der Gesellschaft kommt bei Straftaten des Vorstands gegen den Geheimnisschutz (§ 17 UWG bzw. § 404 AktG), gegen die Folgen einer unrichtigen Darstellung gem. § 400 AktG, gegen das Interesse der Gesellschaft an der Nichtverfälschung von Abstimmungsergebnissen gem. § 402 AktG und bei Straftaten gegen das Eigentum der Gesellschaft (§ 242 StGB, § 246 StGB bzw. §§ 303, 306 StGB) in Betracht. 2. Unterkategorie II: Straftaten z. N. des Gesellschaftsvermögens In der Praxis relevanter und konfliktträchtiger erscheinen die Delikte des Vorstands zu Lasten des Gesellschaftsvermögens. Diesbezüglich besteht eine Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats.461

458 Übersicht etwa bei Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, § 185, Rn. 12; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB, § 185, Rn. 17. 459 Zaczyk, in: NK-StGB, § 185, Rn. 4. 460 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, § 185, Rn. 12; Regge/Pegel, in: MüKoStGB, 2. Aufl., § 185, Rn. 26; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB, § 185, Rn. 17, m.w. N.; Sinn, in: S/S/W-StGB, § 185, Rn. 23. 461 Vgl. Kapitel 3 D. II. 1.

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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a) Rechtlicher Schutz des Gesellschaftsvermögens Zunächst werden die Straftaten untersucht, die einen rechtlichen Schutz des Vermögens gewährleisten: aa) Erpressung (§ 253 StGB) Wie oben beim Raub gem. § 249 StGB462, wäre auch bei der Erpressung eine Garantenstellung zu Gunsten der betroffenen Person notwendig.463 An dieser fehlt es im Verhältnis des Aufsichtsrats zu Mitarbeitern und Dritten.464 Eine Untreue nach Kapitel 2 ist im Fall der Erpressung allerdings möglich, da es insoweit nicht auf eine Garantenstellung des Aufsichtsrats zu Gunsten der Betroffenen Person ankommt. Vielmehr ist auf die Folge der Tat zu achten. Führt die Erpressung zu einem Vermögensnachteil, liegt eine Untreue nach Kapitel 2 vor.465 Notwendig ist aber auch eine Verhinderungsmöglichkeit der Tat durch den Aufsichtsrat. Wird durch eine Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG dem Vorstand die Tatmöglichkeit genommen, weil dem Vorstand so die Tatmotivation oder der Zugriff genommen wird, hat der Aufsichtsrat von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Als Katalogtat des § 138 Abs. 1 StGB ist dem Aufsichtsrat im Fall einer Erpressung die Erstattung einer Strafanzeige erlaubt.466 bb) Betrug (§ 263 StGB) Durch den Betrugstatbestand gem. § 263 StGB wird das Vermögen des Geschädigten geschützt.467 Bei einem Betrug des Vorstands zu Lasten der eigenen Gesellschaft wäre das Gesellschaftsvermögen als Schutzgut betroffen, deren Beschützergarant der Aufsichtsrat ist.468 (1) Begehung durch Unterlassen Die Tathandlung des § 263 StGB, die Täuschung, ist durch Unterlassen begehbar.469 Eine Garantenstellung bezüglich des Opfervermögens allein genügt 462

Vgl. Kapitel 3 E. IV. 1. d) cc). Sander, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 253, Rn. 7. 464 Kapitel 3 D. II. 6. 465 Vgl. Kapitel 2 C. III. 4. b) aa). 466 Kapitel 2 C. II. 3. c) cc) (3). 467 Vgl. Kapitel 1 B. II. 3. c) bb) (1). 468 Vgl. Kapitel 3 D.II. 1. 469 Vgl. nur Beukelmann, in: BK-StGB, § 263, Rn. 18 ff.; Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 263, Rn. 19; Fischer, StGB, § 263, Rn. 38; Gaede, in: AnwKStGB, § 263, Rn. 37; Matt/Renzikowski/Saliger, § 263, Rn. 64; Satzger, in: S/S/WStGB, § 263, Rn. 45. Teilweise a. A. Kargl, ZStW 119 (2007) 250, 287 f. 463

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

nicht.470 Aufgrund der Entsprechungsklausel des § 13 Abs. 1 Hs. 2 StGB (das Unterlassen muss einem Tun entsprechen) ist es erforderlich, dass eine Aufklärungspflicht des Unterlassenden besteht.471 Teilweise wird für die Anforderungen an die Aufklärungspflicht auf die Voraussetzungen einer Vermögensbetreuungspflicht gem. § 266 StGB zurückgegriffen.472 Allerdings wird dagegen zu recht eingewandt, dass Untreue und Betrug sich vom Schutzbereich und von der Typik her unterscheiden.473 Die also erforderliche Aufklärungspflicht setzt voraus, dass eine konkrete Rechtsbeziehung zwischen Unterlassendem und Tatopfer existiert, die auf Wahrheit im Umgang mit vermögensrelevanten Tatsachen und auf den Schutz des Opfers vor vermögensbezogenen Selbstschädigungen gerichtet ist.474 Notwendig sind dabei besondere vertrauensbegründende Umstände von Gewicht, die das Irrtumsrisiko auf den Unterlassenden verlagern und sein Handeln von rechts Wegen gebieten.475 Das Aufsichtsratsmitglied hat mit Antritt seiner Organstellung eine umfassende Vermögensschutzpflicht übernommen. Ist die Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Gesellschaftvermögens originäre Aufgabe des Aufsichtsrats,476 so lässt sich aus dieser Aufgabe auf eine Pflicht zur Aufklärung von (beabsichtigten) vermögensschädigenden Handlungen schließen. Hierfür spricht auch, dass die Gesellschaft als solche Betrügereien hilflos gegenübersteht.477 Der Aufsichtsrat ist gerade in die besondere Schutzstellung eingetreten, um Schädigungen solcher Art zu verhindern. Eine Begehung des Betrugs durch Unterlassen ist für den Aufsichtsrat möglich. (2) Verhinderungsmöglichkeiten Besteht eine Garantenstellung, und damit eine Pflicht zur Aufklärung, so hat der Garantenpflichtige das Tatopfer über die bevorstehende Vermögensverletzung 470

Fischer, StGB, § 263, Rn. 38; Gaede, in: Anwk-StGB, § 263, Rn. 38. Aus der Literatur etwa Beukelmann, in: BK-StGB, § 263, Rn. 18; Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 263, Rn. 19; Fischer, StGB, § 263, Rn. 38; Gaede, in: AnwK-StGB, § 263, Rn. 38; Matt/Renzikowski/Saliger, § 263, Rn. 64; Satzger, in: S/S/W-StGB, § 263, Rn. 48 ff. Aus der Rechtsprechung OLG Hamm, Urteil vom 08.02.2006 – 13 U 165/05 = BeckRS 2006, 03677 (Zivilrecht). 472 Hoyer, in: SK-StGB, § 263, Rn. 56; Samson/Horn, NJW 1970, 596. 473 Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 263, Rn. 19. Ablehnend auch Gaede, in: AnwK-StGB, § 263, Rn. 38, m.w. N. 474 Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 263, Rn. 19; Gaede, in: AnwKStGB, § 263, Rn. 38, m.w. N. Aus der Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 25.07.2000 – 1 StR 162/00 = NJW 2000, 3013; OLG Hamm, Urteil vom 08.02.2006 – 13 U 165/05 = BeckRS 2006, 03677 (Zivilrecht). 475 OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.08.2007 – Ss 18/2007 = NJW 2007, 2868, 2869. Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 263, Rn. 19; Gaede, in: AnwKStGB, § 263, Rn. 38. 476 Vgl. Kapitel 3 D. II. 1. 477 Vgl. Kapitel 3 D. II. 1. 471

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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aufzuklären.478 Die Aufklärung muss ihm möglich und zumutbar sein.479 Wen aber hat der Aufsichtsrat zu unterrichten? Geschädigter wäre die Aktiengesellschaft, die als juristische Person nicht „aufgeklärt“ werden kann. Vielmehr müsste das für sie handelnde Organ, also der Vorstand, aufgeklärt werden. Dieser, bzw. ein Mitglied, ist aber Begehungstäter des Betrugs, sodass von dieser Seite keine Hilfe, also keine Abwendung der Tat nach erfolgter Unterrichtung erwartet werden darf.480 Getäuschter ist der auszahlende Mitarbeiter, der die gefälschte Rechnung des Vorstands für die Gesellschaft bearbeitet. Im Rahmen dieses sog. „Dreiecksbetrugs“ 481 fungiert der Mitarbeiter als Scharnier zwischen Täter (Vorstand) und Geschädigtem (Aktiengesellschaft). Klärt der Aufsichtsrat den Mitarbeiter über die fehlerhafte Rechnung auf, so entfällt mangels Täuschung ein Betrug. Allerdings kann der Aufsichtsrat keine Weisung zur Nichtauszahlung erteilen.482 Weist der Vorstand den Mitarbeiter zur Auszahlung an, so hat dieser zwar ein Leistungsverweigerungsrecht, aber keine Leistungsverweigerungspflicht.483 Nimmt der Mitarbeiter die Auszahlung vor, kommt es zu einer Schädigung der Gesellschaft. Die bloße Aufklärung ist in diesem Fall also gegebenenfalls nicht ausreichend, um eine Schädigung zu verhindern. Möglicherweise hat der Aufsichtsrat also mehr zu unternehmen als nur eine Täuschung des Mitarbeiters zu unterbinden, um straflos zu bleiben. Hier käme die Maßnahme des Zustimmungsvorbehalts gem. § 111 Abs. 4 AktG in Betracht. Gegenstand des Betrugs durch den Vorstand zu Lasten des Gesellschaftsvermögens sind gesellschaftsinterne Handlungen rechtlicher Natur. Die unwahre Angabe von Reisekosten oder sonstigen Ansprüchen durch den Vorstand ist die Geltendmachung von (vermeintlichen) Ansprüchen. Hat der Aufsichtsrat Kenntnis von einer bevorstehenden Einreichung gefälschter Rechnungen, kann er die Einreichung der Rechnung unter Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG stellen.484 Eine Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG würde demgegenüber die Einreichung und den Betrug nicht verhindern können. Allerdings steht dieser Überlegung der Wortlaut des § 263 Abs. 1 StGB entgegen. Ein täuschungsbedingter Irrtum des Verfügenden muss kausal für eine Schädigung sein.485 An dieser Kausalität fehlt es, wenn der aufgeklärte Mitarbeiter sich nicht (mehr) irrt, da 478

Fischer, StGB, § 263, Rn. 38; Gaede, in: AnwK-StGB, § 263, Rn. 37 ff. Fischer, StGB, § 263, Rn. 38. 480 Im Übrigen können die Vorstandsmitglieder untereinander keine Weisungen erteilen, sodass die Inkenntnissetzung des gesamten Vorstands keine taugliche Verhinderungsmaßnahme ist. 481 Vgl. zum Dreiecksbetrug etwa Matt/Renzikowski/Saliger, § 263, Rn. 129 ff. Selbst nach der engsten Befugnistheorie ist der Mitarbeiter dem Geschädigten (der Aktiengesellschaft) zuzuordnen. 482 Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (5) (d). 483 Pielow, in: BK-GewO, § 106, Rn. 117. 484 Vgl. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6). 485 Matt/Renzikowski/Saliger, § 263, Rn. 105, 146. 479

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

die Verfügung dann nicht auf einem Irrtum des Mitarbeiters beruht, sondern auf anderen Umständen, nämlich der Weisung des Vorstands. Es besteht daher keine strafrechtliche Pflicht den Zustimmungsvorbehalt einzurichten und auszuüben, um einen Betrug zu verhindern, da bereits die Aufklärung den Betrug unterbinden kann. Da der Vorstand in diesen Fällen auch keine Untreue begeht (es fehlt an der Vermögensbetreuungspflicht in eigenen Vergütungsangelegenheiten486), liegt keine vollendete487 Straftat trotz Schädigung des Gesellschaftsvermögens vor. Notwendig ist daher alleine eine Aufklärung des auszahlenden Mitarbeiters durch den Aufsichtsrat. (3) Mögliche Beteiligungsformen Der Betrug kann von jedermann begangen werden. Da der Aufsichtsrat Garant zur Verhinderung des Betrugs ist, wäre er nach der Pflichdeliktstheorie stets als Täter,488 nach der subjektiven Theorie der Rechtsprechung, je nach konkretem Verhalten489, als Täter oder Gehilfe zu bestrafen. cc) Computerbetrug (§ 263a StGB) Auch durch den Computerbetrug gem. § 263a StGB wird das Vermögen der Gesellschaft geschützt.490 Das Delikt ist, in allen Tatbestandsvarianten491, durch Unterlassen begehbar.492 Bei Berücksichtigung der vorzugswürdigen täuschungsäquivalenten Auslegung des Tatbestands493 muss im Fall des Unterlassens, parallel zum Betrugstatbestand, eine Aufklärungspflicht bestehen.494 Wie oben dargelegt, besteht eine Aufklärungspflicht des Aufsichtsrats.495 Unterlassen als Tathandlung des § 263a StGB ist allerdings nur möglich, wenn ein Datenverarbeitungsvorgang abläuft.496 § 263a StGB kann durch Unterlassen in der Weise 486

Siehe Kapitel 2 C. I. 2. b). Es kommt lediglich eine Versuchsstrafbarkeit des Vorstands in Betracht. 488 Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. a). 489 Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. e). 490 Vgl. Kapitel 1 B. II. 3. c) bb) (1). 491 Fischer, StGB, § 263a, Rn. 5; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 263a, Rn. 9; Tiedemann/Valerius, in: LK-StGB, § 263a, Rn. 64. 492 Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, § 263a, Rn. 4; Fischer, StGB, § 263a, Rn. 8; Gaede, in: AnwK-StGB, § 263a, Rn. 6, 8, 11; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 263a, Rn. 9. 493 Vgl. etwa BGH, Beschluss vom 21.11.2001 – 2 StR 260/01 = BGHSt 47, 160, 162 f. = NJW 2002, 905, 906; Fischer, StGB, § 263a, Rn. 11; Gaede, in: AnwK-StGB, § 263a, Rn. 2, m.w. N. 494 Kindhäuser, in: NK-StGB, § 263a, Rn. 25. 495 Vgl. Kapitel 3 E. IV. 2. a) bb) (2). 496 Vgl. etwa Fischer, StGB, § 263a, Rn. 8; Hilgendorf, in: S/S/W-StGB, § 263a, Rn. 7; Tiedemann/Valerius, in: LK-StGB, § 263a, Rn. 64, m.w. N. 487

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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begangen werden, dass ein Garant die Verwendung unrichtiger Daten etc. durch einen anderen vorsätzlich duldet.497 Fraglich ist allerdings die Verhinderungshandlung, die der Aufsichtsrat ergreifen muss. Wurde beim Betrug eine Aufklärung des Mitarbeiters gefordert, so könnte, bei vorzugswürdiger betrugsäquivalenter, Auslegung hier eine ähnliche Handlung gefordert werden. Eine „Aufklärung“ scheidet aus, da kein menschlicher Erklärungsempfänger getäuscht wird und infolgedessen kein Irrtum entstehen kann, der durch eine Aufklärung verhindert werden könnte. Denkbar wäre eine Sperrung des Zugangs zur Software, die dem Vorstand für die schädigende Handlung zur Verfügung steht. Gegebenenfalls ließe sich die Software so umprogrammieren, dass eine Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 111 Abs. 4 AktG) zur Durchführung des Zahlungsvorgangs notwendig wird. Dann könnte der Aufsichtsrat die Tat durch Ausübung des Zustimmungsvorbehalts verhindern. Hier sind die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Gegebenheiten im jeweiligen Unternehmen zu beachten. Da der Aufsichtsrat Garant zur Verhinderung des Computerbetrugs ist, wäre er nach der Pflichdeliktstheorie stets als Täter,498 nach der subjektiven Theorie der Rechtsprechung, je nach konkretem Verhalten,499 als Täter oder Gehilfe zu bestrafen. dd) Untreue (§ 266 StGB) Die Untreue gem. § 266 StGB ist durch Unterlassen begehbar.500 Durch sie wird das Vermögen geschützt.501 Nun ist aber, anders als oben,502 nicht die eigene Pflichtverletzung des Aufsichtsrats (also der Verstoß gegen die Straftatverhinderungspflicht aus § 111 Abs. 1 AktG503) durch Nichtverhinderung irgendeiner Tat, sondern das Unterlassen der Abwendung einer Untreuehandlung des Vorstands Anknüpfungspunkt der Aufsichtsratsstrafbarkeit. Anders als in Kapitel 2 (dort ging es um ein eigenes aktienpflichtwidriges Verhalten des Aufsichtsrats, ohne dass zwangsläufig eine eigene Untreue des Vorstands vorliegt), soll hier die Beteiligung des Aufsichtsrats an einem Begehungsdelikt (hier: Der Untreue gem. § 266 StGB) des Vorstands untersucht werden. Die Pflichtverletzung des Aufsichtsrats ist die Nichtverhinderung der konkret pflichtverletzenden Handlung des Vorstands. Im Rahmen der Vorstandsuntreue sind vielfältige Konstellationen pflichtwidrigen Verhaltens denkbar. Für einige gängige und typische Fallgestaltungen504 sollen im Folgenden die Verhinderungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats 497

Tiedemann/Valerius, in: LK-StGB, § 263a, Rn. 64. Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. a). 499 Vgl. Kapitel 3 A. II. 2. e). 500 Vgl. Kapitel 2 C. II. 1. 501 Vgl. Kapitel 1 B. II. 3. c) bb) und II C. I. 3. a). 502 Vgl. Kapitel 2. 503 Vgl. Kapitel 2 C. II. 2. 504 Vgl. für weitere Fälle, in denen eine Vorstandsuntreue diskutiert wird, etwa Brammsen, wistra 2009, 85; Nattkemper, S. 1 ff. 498

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

und weitere Konsequenzen untersucht werden. Vorher ist aber zu untersuchen, ob § 13 StGB auf die Untreue Anwendung findet und welche Auswirkungen dies hat. Anders als bei den bisher diskutierten Delikten, ist die Anwendung des § 13 StGB auf die Untreue strittig. (1) Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue gem. § 266 Abs. 1 StGB Fraglich und umstritten ist die Anwendung des § 13 StGB auf die Untreue. Hier ist zwischen der Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB und der Anwendung des § 13 Abs. 2 StGB (gegebenenfalls analog) zu differenzieren. Da die fakultative Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB nur Auswirkungen auf die Strafzumessung hat, nicht aber auf die tatbestandlichen Voraussetzungen, wird der Streit um die Anwendung dieser Vorschrift hier nicht geführt.505 (a) Heute befürwortende Stimmen einer Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue Die frühere Rechtsprechung hat § 13 Abs. 1 StGB in Fällen des Unterlassens auf die Untreue nicht angewandt.506 Nach einem Beschluss des BayObLG, das § 13 Abs. 1 StGB anwandte und die tatbestandlichen Voraussetzungen durchprüfte,507 ließ der 2. Strafsenat des BGH eine Entscheidung über die Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue im konkreten Fall dahinstehen.508 19 Jahre später kam § 13 Abs. 1 StGB durch denselben Senat im Fall Siemens ohne nähere Begründung zur Anwendung auf die Untreue.509 Seitdem mehren sich Gerichtsentscheidungen, die § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue anwenden.510 Eine Begründung zur Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue liefert die Rechtsprechung nicht.511 505 Anwendung des § 13 Abs. 2 StGB befürwortend: BGH, Urteil vom 21.07.1989 – 2 StR 214/89 = BGHSt 36, 227, 228 = NJW 1990, 332, 333; Fischer, StGB, § 266, Rn. 32; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 266, Rn. 28. Ablehnend: Perron, in: Schönke/ Schröder, § 266, Rn. 53; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 33, m.w. N. 506 BGH, Urteil vom 11.11.1982 – 4 StR 406/82 = NJW 1983, 461; BGH, Urteil vom 22.01.1988 – 2 StR 133/87= wistra 1988, 227, 230. Auf diesen Umstand weist bereits Güntge, wistra 1996, 84, 86 hin. 507 BayObLG, Beschluss vom 18.02.1988 – RReg. 1 St 309/87 = BayObLGSt 1988, 16. 508 BGH, Urteil vom 21.07.1989 – 2 StR 214/89 = BGHSt 36, 227, 228 = NJW 1990, 332, 333. 509 BGH, Urteil vom 29.08.2009 – 2 StR 587/07 = BGHSt 52, 323, 334 (Rn. 38) = NJW 2009, 89, 91 (Rn. 38) („Siemens“). 510 OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12 = NJW 2012, 3798, 3800 und BGH, Urteil vom 10.07.2012 – VI ZR 341/10 = NJW 2012, 3439, 3441 (Rn. 18). 511 Kritisch diesbezüglich: Güntge, wistra 1996, 84, 87.

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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Im Schrifttum ist es vor allem Matt, der § 13 Abs. 1 StGB zur Anwendung auf die Untreue bringen will.512 Da die Reichweite von Vermögensbetreuungspflicht und Beschützergarantenstellung für das Vermögen nicht deckungsgleich sei, ist aus Matts Sicht eine Prüfung sowohl der Vermögensbetreuungspflicht, wie auch der Garantenstellung für das Gesellschaftsvermögen notwendig.513 (b) Ablehnende Stimmen einer Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue Die weit überwiegende Meinung in der Literatur wendet demgegenüber § 13 Abs. 1 StGB nicht auf § 266 StGB an und zitiert diesen folgerichtig auch nicht.514 Die Begründung variiert hierbei: Einige Stimmen erkennen in § 266 StGB ein echtes Unterlassungsdelikt, für das es keines Rückgriffs auf § 13 Abs. 1 StGB bedarf.515 Andere sehen § 266 StGB als unechtes Unterlassungsdelikt an.516 Allerdings lehnen auch diese Stimmen eine Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB ab, da § 266 StGB demgegenüber als Spezialregelung erscheine und die Treupflicht an Stelle der allgemeinen Voraussetzungen (Garantenstellung und Entsprechensklausel) trete.517 § 266 StGB stelle eine Sondernorm dar, die bereits tatbestandlich die Voraussetzungen des Unterlassens regele.518 (c) Stellungnahme Eine Notwendigkeit zur Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue besteht (aus praktischer Sicht) nur, wenn seine Voraussetzungen eine restriktivierende Wirkung auf die Anwendung der Untreue haben können. Mit anderen Worten: Es stellt sich die Frage, ob die Reichweite der Vermögensbetreuungspflicht und der anderen Voraussetzungen der Untreue in bestimmten Fällen weiter sein kann als diejenige der allgemeinen Garantenstellung aus § 13 Abs. 1 StGB. Dann 512 Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 84. Ohne nähere Begründung auch Gallandi, wistra 2001, 281, 282. 513 Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 84. 514 Vgl. etwa Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 124; Esser, in: AnwKStGB, § 266, Rn. 143; Güntge, wistra 1996, 84, 89; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 266, Rn. 2; Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 35; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 33; Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 53, 108; Seebode, JR 1989, 301, 302 f.; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 15; Zech, S. 55 f. 515 Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, Vor § 13, Rn. 136 f. 516 Deutlich: Kühl, in: Lackner/Kühl § 266, Rn. 2. 517 Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 124; Kühl, in: Lackner/Kühl § 266, Rn. 2; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 33. Für Treubruchsvariante bejahend Güntge, wistra 1996, 84, 88. 518 Dierlamm, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 266, Rn. 124; Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 35.

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

würde eine Notwendigkeit zur Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB bestehen, da dieser eine restriktivierende Wirkung entfalten würde. Andernfalls hätte § 13 Abs. 1 StGB im Rahmen des Unterlassens bei der Untreue bloß deklaratorische Wirkung, sodass seine Anwendung für die vorliegende Arbeit dahinstehen könnte.519 (aa) Reichweite von Vermögensbetreuungspflicht und Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Vermögens im Vergleich Zunächst stellt sich die Frage nach der Reichweite von Garantenstellung und Vermögensbetreuungspflicht. Auch die Rechtsprechung520 und Matt521 sehen eine (weitgehende) Identität zwischen Garantenpflicht und Vermögensbetreuungspflicht. Fraglich ist, ob die Garantenpflicht tatsächlich einmal enger sein kann als die Vermögensbetreuungspflicht. Hier fällt auf, dass die Anforderungen der Vermögensbetreuungspflicht in personeller Hinsicht deutlich enger sind als für die Beschützergarantenstellung.522 Nicht jede Garantenstellung i. S. d. § 13 Abs. 1 StGB begründet eine Vermögensbetreuungspflicht i. S. d. § 266 StGB.523 Insoweit ist die Vermögensbetreuungspflicht enger als die Garantenpflicht. In sachlicher Hinsicht fällt auf, dass die Garantenpflicht zu Gunsten des Vermögens auf unmittelbare Vermögensverletzungen beschränkt ist.524 Demgegenüber ist die Vermögensbetreuungspflicht nicht auf unmittelbare Vermögensverletzungen beschränkt.525 Hierbei ist zu beachten, dass die Beschränkung auf unmittelbare Vermögensverletzungen im Rahmen der Garantenpflicht die Funktion hat solche Delikte vom Schutzbereich auszuschließen, die nicht unmittelbar den Schutz des Vermögens im Blick haben, sondern Rechtsgüter anderer.526 Die Untreue hat als Delikt einzig das zu betreuende Vermögen im Blick. Die Funktion, die die Beschränkung der Garantenpflicht auf unmittelbare Vermögensverletzungen gewährleistet, also Vermeidung von de facto Garantenstellungen,527 ist der Untreue schon deliktsimmanent, da sie de jure nur Verletzungen des betreuten Vermögens sanktioniert. Insofern ist die Vermögensbetreuungspflicht spezieller als die Garantenpflicht zum Schutz des Vermögens. Dennoch können mittelbare Schädi519 Im Ergebnis so entschieden in BGH, Urteil vom 21.07.1989 – 2 StR 214/89 = BGHSt 36, 227, 228 = NJW 1990, 332, 333. Dem BGH folgend Lüderssen, FS-Lampe, S. 739. 520 BGH, Urteil vom 21.07.1989 – 2 StR 214/89 = BGHSt 36, 227, 228 = NJW 1990, 332, 333. 521 Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 53. 522 Vgl. Kapitel 2 C. I. 1. einerseits und Kapitel 3 D. I. andererseits. 523 Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 23a. 524 Vgl. Kapitel 3 E. III. 525 Vgl. Kapitel 2 C. I. 3. d). 526 Vgl. Kapitel 3 E. III. 3. b) bb). 527 Vgl. Kapitel 3 E. III. 3. b) bb).

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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gungen des Gesellschaftsvermögens in Ausnahmefällen zu einer Untreuestrafbarkeit führen.528 Dies ist kein Widerspruch, sondern hängt mit der besonderen Deliktsstruktur der Untreue zusammen.529 Das Nachteilsmerkmal, als „Taterfolg“ i. S. d. § 13 Abs. 1 StGB, stellt ein final filterndes Korrektiv dar, das eine differenzierte Betrachtung der Schädigung des Vermögens ermöglicht. Die Vermögensbetreuungspflicht ist in personeller und sachlicher Hinsicht enger als die Garantenstellung zum Schutz des Vermögens. Es ist folglich keine Konstellation denkbar, bei der die Prüfung der Garantenstellung aus § 13 Abs. 1 StGB zu einer Einschränkung der Vermögensbetreuungspflicht führt. (bb) Unterlassungshandlung und Taterfolg Allerdings könnte die Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB eine begrenzende Funktion im Rahmen der Unterlassungshandlung oder des Taterfolgs haben. Seebode sieht eine Einengung der Untreuetathandlung bei Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB, da in diesem Fall eine Äquivalenz der Begehungsformen des aktiven Tuns und des Unterlassens vorliegen muss, die die Untreue selbst nicht fordert.530 Allerdings sieht die h. M. bei Erfolgsdelikten, wie der Untreue, die Gleichwertigkeit der Handlung bereits mit der Garantenstellung begründet.531 Die Äquivalenzforderung des § 13 Abs. 1 StGB hat daher, entgegen Seebodes Befürchtung, keine Auswirkungen auf die Unterlassungshandlung der Untreue. Bezüglich des Taterfolgs beschränkt sich der Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB auf die Aussage, dass das Delikt überhaupt zu einem Taterfolg führen muss. Dies wird in bestimmten Fällen nicht so streng gehandhabt.532 Jedenfalls hat die Untreue mit dem Nachteilsmerkmal einen Taterfolg,533 sodass auch hier keine Restriktion durch § 13 Abs. 1 StGB erwartet werden kann. (cc) Ergebnis Es ist nach dem Dargelegten schwerlich eine Konstellation denkbar in der § 13 Abs. 1 StGB eine restritivierende Wirkung auf § 266 StGB entfalten kann. Möchte man ihn dennoch zitieren, so hat dies deklaratorische Wirkung. Schon der 2. Strafsenat stellte in seinem ersten Urteil zur Anwendung des § 13 StGB 528

Vgl. Kapitel 2 C. III. 3. d) ee) (2) (b). Vgl. bereits Kapitel 3 E. III. 3. c). 530 Seebode, JR 1989, 301, 302. 531 U. a. befürwortend Fischer, StGB, § 13, Rn. 47; Matt/Renzikwoski/Haas, § 13, Rn. 40, m.w. N.; Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 13, Rn. 19. Kritisch Freund, in: MüKo-StGB, 2. Aufl., § 13, Rn. 202 ff. 532 Vgl. Kapitel 3 E. III. 1. 533 Vgl. Kapitel 2 C. III. 529

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

auf die Untreue fest: „Denn selbst wenn § 13 Abs. 1 StGB nicht anwendbar sein sollte oder wegen der abschließenden Regelung eine Heranziehung nicht erforderlich ist, bleibt eine Untreue durch Unterlassen eine die Merkmale des unechten Unterlassungsdelikts aufweisende Tat.“ 534 Eine deklaratorische Hinzuziehung des § 13 Abs. 1 StGB könnte aus dogmatischen oder rechtstheoretischen Gründen geboten erscheinen, um das Vorliegen einer Unterlassung in Abgrenzung zu einem aktiven Tun deutlich zu machen oder um § 13 Abs. 2 StGB in jedem Fall zur Anwendung zu bringen. Da sich jedenfalls tatbestandlich keine Auswirkungen auf die Strafbarkeitsreichweite der Untreue feststellen lassen, soll an dieser Stelle keine Entscheidung über die Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue getroffen werden. (d) Ergebnis Ob § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue anzuwenden ist, kann in der vorliegenden Arbeit offenbleiben, da sich keine Auswirkungen auf tatbestandlicher Ebene ergeben. Das Delikt der Untreue ist insoweit enger und spezieller als die Anforderungen des § 13 Abs. 1 StGB. (2) Verhinderungsmöglichkeiten Hier werden typische und aktuelle Fälle der Vorstandsuntreue kurz angerissen und anschließend auf eine Verhinderungsmöglichkeit des Aufsichtsrats hin untersucht. (a) Geldtransfer innerhalb der Unternehmensgruppe Geldtransfers innerhalb einer Unternehmensgruppe können in ganz engen Ausnahmefällen (etwa bei Zahlungen, die mangels Sicherheiten und Illiquidität des Zielunternehmens in hohem Maße verlustgefährdet sind535) eine pflichtwidrige Maßnahme darstellen.536 Hier kann die Auszahlung von Mitteln, die eine rechtliche unternehmensinterne Maßnahme ist, unter Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG537 gestellt werden. Auch eine Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG kann die Straftat verhindern.

534 BGH, Urteil vom 21.07.1989 – 2 StR 214/89 = BGHSt 36, 227, 228 = NJW 1990, 332, 333. Dem BGH folgend Lüderssen, FS-Lampe, S. 739. 535 Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 61. 536 BGH, Urteil vom 22.11.2005 – 1 StR 571/04 = NJW 2006, 453, 454 f. („Kinowelt“). Aus der Literatur dazu etwa Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 298; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 61. 537 Vgl. dazu Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6).

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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(b) Verstoß gg. DCGK Ob Verstöße gegen die Empfehlungen des DCGK einen untreuerelevanten Verstoß darstellen können, ist noch nicht geklärt.538 Die verletzte Empfehlung müsste jedenfalls, um einen untreuerelevanten Verstoß darstellen zu können, entsprechend dem „AUB-Beschluss“ des BGH eine vermögensbezogene Pflicht sein.539 Je nach verletzter Pflicht käme dann eine Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG und bei rechtlichen Handlungen, die lediglich gesellschaftsinterne Wirkung entfalten würden, die Einrichtung und Ausübung eines Zustimmungsvorbehalts gem. § 111 Abs. 4 AktG in Betracht. (c) Sponsoring In den Fällen der Vergabe von Fördergeldern für Kunst, soziale Belange, Sport oder Wissenschaft ist i. d. R. keine Untreue gegeben.540 Nur in extremen Ausnahmefällen kann eine Untreue vorliegen.541 Es handelt sich bei der Sponsoringvergabe um eine rechtliche Handlung des Vorstands, die aber externe Wirkung entfaltet. Daher kann der Aufsichtsrat die Tat nicht mittels eines Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG,542 sondern nur mithilfe einer Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG verhindern.543 (d) Bildung „Schwarzer Kassen“ Bereits die Bildung „schwarzer Kassen“, also Abzweigungen des Gesellschaftsvermögens zur Durchführung rechtswidriger Maßnahmen, stellt unter Umständen eine Untreue des Vorstands dar.544 Die Abzweigung ist zwar eine unternehmensinterne, aber keine rechtliche, sondern eine tatsächliche Handlung. Daher kann ein Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG die Tat nicht verhindern. Nur die Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG ist eine taugliche Maßnahme zur Tatverhinderung. 538 Vgl. dazu etwa Michaelsen, S. 1 ff.; Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 299, m.w. N. 539 Vgl. dazu Kapitel 2 C. II. 5. a). 540 BGH, Urteil vom 06.12.2001 – 1 StR 215/01 = BGHSt 47, 187, 192 ff. = NJW 2002, 1585, 1586 („SSV Reutlingen“). Aus der Literatur etwa HWSt-Seier, 5. Teil, 2. Kapitel, Rn. 228; Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 87; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 89. 541 Vgl. dazu Fn. 540. 542 Vgl. dazu Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (6). 543 Vgl. zur Abberufung Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (3). 544 Vgl. BGH, Urteil vom 29.08.2009 – 2 StR 587/07 = BGHSt 52, 323 = NJW 2009, 89 („Siemens“); Fischer, StGB, § 266, Rn. 76 ff. Mit Kritik Saliger, in: S/S/WStGB, § 266, Rn. 76 f.

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

(e) Kick-Back-Zahlungen an den Vorstand Auch sog. Kick-Back-Zahlungen545 an den Vorstand, die im Ergebnis das Gesellschaftsvermögen belasten, stellen eine Untreue des Vorstands dar.546 Da es sich wiederum um eine zwar rechtliche, aber externe Handlung des Vorstands handelt (Abschluss entsprechender Verträge), kann die Tat nicht mittels eines Zustimmungsvorbehalts gem. § 111 Abs. 4 AktG, sondern nur mit einer Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG verhindert werden. (f) Risikogeschäfte Auch der Abschluss von Risikogeschäften kann in bestimmten Fällen eine Untreue gem. § 266 StGB darstellen.547 Der Aufsichtsrat kann diese nur mit einer Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG verhindern, da ein Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG die extern wirkende Tat nicht verhindern kann. (3) Mögliche Beteiligungsform Das Aufsichtsratsmitglied ist als vermögensbetreuungspflichtige Person stets als Täter zu bestrafen.548 ee) Ergebnis Im Rahmen des rechtlichen Schutzes des Gesellschaftsvermögens besteht die Möglichkeit einer Unterlassungsstrafbarkeit des Aufsichtsrats bei Straftaten des Vorstands gem. § 263 StGB (Betrug), § 263a StGB (Computerbetrug) und gem. § 266 StGB (Untreue). b) Faktischer Schutz des Gesellschaftsvermögens Straftaten, die einen faktischen Schutz des Gesellschaftsvermögens entfalten,549 führen in der Regel, anders als die Straftaten der Kategorie B, unmittelbar mit ihrer Begehung zu einem Schaden der Gesellschaft. Im Rahmen der Untreue ist ein Vermögensnachteil durch faktisch schadende Straftaten bejaht worden, 545 Der Vorstand erhält Schmiergeldzahlungen, die aber im Ergebnis nicht zu Lasten des Vertragspartners, sondern zu Lasten der eigenen Gesellschaft gehen. 546 Vgl. dazu näher: Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 196 ff.; Fischer, StGB, § 266, Rn. 56. 547 Fischer, StGB, § 266, Rn. 63 ff. 548 Vgl. Kapitel 2 C. V. 549 Vgl. Kapitel 1 B. II. 3. c) bb) (2).

E. Die konkrete Strafbarkeit des Aufsichtsrats

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wenn im konkreten Fall ein Nachteil feststellbar ist.550 Es ist also dort eine konkrete Untersuchung des Schadens notwendig. Im Rahmen der Unterlassensstrafbarkeit über das konkrete Delikt (also § 283 Abs. 2 bzw. § 299 Abs. 1 StGB) i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB kommt es, anders als bei § 266 StGB, zu keiner Schadensfeststellung, da diese weder Merkmal der in Rede stehenden Delikte ist, noch im Rahmen der Garantenstellung anerkannt ist. Zu klären bleibt, ob dennoch eine Beschützergarantenstellung zur Abwendung faktischer Vermögensschädigungen bestehen kann. Dem ist jedoch mit der oben dargelegten notwendigen restriktiven Handhabung der Garantenstellungen551 eine Absage zu erteilen. Eine grundsätzliche Garantenstellung zur Abwendung faktisch schadender Straftaten kann nicht bestehen, da auch Fälle denkbar sind, in denen kein Schaden eintritt.552 Dort würde eine Abwendungspflicht zu einer de facto-Garantenstellung führen, die bereits bei den mittelbar schadenden Straftaten der Kategorie B abgelehnt worden ist.553 Denkbar wäre es die Garantenstellung auf solche faktisch schadenden Straftaten zu beschränken, die tatsächlich zu einem Schaden am Gesellschaftsvermögen geführt haben. Die Schadensprüfung ist aber weder Merkmal der Delikte (§§ 283 Abs. 2, 299 Abs. 1 StGB), noch Voraussetzung der Garantenstellung. Aufgrund der restriktiven Auslegung der Garantenstellungen, kann keine Abwendungspflicht für faktisch schadende Straftaten bestehen. Der Aufsichtsrat kann sich in diesen Fällen also nicht nach dem konkreten Delikt i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB strafbar machen. Dass eine Strafbarkeit wegen Untreue gem. § 266 StGB möglich ist, folgt der besonderen Deliktsstruktur der Untreue, die eine konkrete Schadensprüfung im Rahmen des Nachteilsmerkmals beinhaltet. Die dort geforderte Verhinderungsmaßnahme kann dann aufgrund der tatsächlichen Handlung bzw. der externen Wirkung der Tat nur eine Abberufung gem. § 84 Abs. 3 AktG sein. c) Ergebnis Im Rahmen der Straftaten der Unterkategorie II kann sich der Aufsichtsrat nur durch Unterlassen bei Vorstandsstraftaten gem. § 263 StGB (Betrug), § 263a StGB (Computerbetrug) und gem. § 266 StGB (Untreue) strafbar machen. 3. Ergebnis Der Aufsichtsrat kann sich an Vorstandsstraftaten der Kategorie C durch Unterlassen beteiligen. Dies betrifft Straftaten des Vorstands gegen den Geheimnis550 551 552 553

Kapitel 2 C. III. 4. b) bb). Vgl. Kapitel 3 E. III. 3. b) aa), bb). Vgl. Kapitel 1 B. II. 3. c) bb) (2). Vgl. dazu Kapitel 3 E. III. 3. b).

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Kap. 3: Allgemeine Unterlassensstrafbarkeit

schutz (§ 17 UWG bzw. § 404 AktG), gegen die Folgen einer unrichtigen Darstellung gem. § 400 AktG, gegen das Interesse der Gesellschaft an der Nichtverfälschung von Abstimmungsergebnissen gem. § 402 AktG und Straftaten gegen das Eigentum der Gesellschaft (§ 242 StGB, § 246 StGB bzw. §§ 303, 306 StGB). Im Zusammenhang mit Taten gegen das Gesellschaftsvermögen kommen die Taten gem. § 263 StGB (Betrug), § 263a StGB (Computerbetrug) und gem. § 266 StGB (Untreue) in Betracht.

V. Ergebnis Bloß Begehungstaten des Vorstands kann und muss der Aufsichtsrat verhindern. Bei Unterlassungstaten fehlt es an einer tauglichen Verhinderungsmaßnahme, sodass selbst bei einer unterlassenen Abberufung und Neubestellung des Vorstands die Kausalität zur Tat fehlen würde. Ferner hat der Aufsichtsrat als Folge der Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Gesellschaftsvermögen sowie anderer Gesellschaftsrechtsgüter weder Straftaten der Kategorie A (private Straftaten des Vorstands) noch Straftaten der Kategorie B (mittelbar gesellschaftsschadende Straftaten) zu verhindern. Einzig bei Straftaten der Kategorie C kommt (teilweise) eine Unterlassensstrafbarkeit des Aufsichtsrats in Betracht, bei einigen Delikten jedoch nur bei Vorliegen bestimmter tatsächlicher Umstände. Namentlich bei Vorstandsstraftaten des § 17 UWG (Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen), § 404 AktG (Verletzung der Geheimhaltungspflicht), § 400 AktG (Unrichtige Darstellung), § 402 AktG (Falsche Ausstellung von Berechtigungsnachweisen), § 242 StGB (Diebstahl), § 246 StGB (Unterschlagung), § 303 StGB (Sachbeschädigung), § 306 StGB (Brandstiftung), § 263 StGB (Betrug), § 263a StGB (Computerbetrug) und § 266 StGB (Untreue) ist eine Strafbarkeit des Aufsichtsrats durch Unterlassen möglich. Diese Taten hat er grundsätzlich mittels Abberufung bzw. Zustimmungsvorbehalt zu verhindern, um seiner eigenen Strafbarkeit zu entgehen.

Kapitel 4

(Konkurrenz-)Verhältnis von Untreue und allgemeiner Unterlassensstrafbarkeit Die Untersuchungen in den Kapiteln II und III haben gezeigt, dass sich der Aufsichtsrat mit der Nichtverhinderung von Vorstandsstraftaten sowohl der Untreue als auch nach dem konkreten Vorstandsdelikt i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB strafbar machen kann. In beiden Fällen kommt eine Strafbarkeit des Aufsichtsrats ausschließlich in den Fällen in Betracht, in denen Gesellschaftsrechtsgüter durch die Vorstandsstraftat unmittelbar betroffen sind. In diesem Kapitel wird auf das Verhältnis der beiden Anknüpfungsalternativen zueinander eingegangen. Während über die Untreue, wie sie in Kapitel 2 untersucht worden ist, nur (rechtliche und faktische) Verletzungen des Gesellschaftsvermögens sanktioniert werden können,1 werden über die allgemeine Unterlassungsstrafbarkeit i. S. d. Kapitel 3 auch Verletzungen anderer Gesellschaftsrechtsgüter sanktioniert (Geheimnisschutz, etc.2). Da die allgemeine Unterlassungsstrafbarkeit i. S. d. Kapitel 3 aber auch Straftaten zu Lasten des Gesellschaftsvermögens betrifft,3 können beide Strafbarkeitsanküpfungspunkte gemeinsam vorliegen. Hier stellt sich die bereits in der Einleitung aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis der beiden Anknüpfungspunkte zueinander,4 ob etwa aufgrund des gemeinsamen Rechtsschutzgutes (das Gesellschaftsvermögen), eine Verdrängung eines Anknüpfungspunktes durch den anderen erfolgt, C. Poseck ist etwa der Meinung, dass „intern relevante Schädigungen mit Vermögensbezug bereits durch § 266 Abs. 1 StGB sanktioniert werden“ würden und die Beschützergarantenstellung zu Gunsten der Gesellschaft keine nennenswerte praktische Bedeutung habe.5 Nicht ausdrücklich, aber implizit, geht Poseck von einer Verdrängung der allgemeinen Unterlassensstrafbarkeit nach Kapitel 3 durch die Untreustrafbarkeit gem. Kapitel 2 aus. Auch Weigend scheint für eine vorrangige Strafbarkeit nach der Untreue gem. Kapite 2 zu plädieren, da er bei einer Nichtabwendung von Straftaten durch Aufsichtsräte von einer Strafbarkeit nach § 266 StGB ausgeht, die er im

1 2 3 4 5

Vgl. Kapitel 2 C. III. 4, D. Vgl. Kapitel 3 E. IV. 1. Vgl. Kapitel 2 C. III. 4, D. Vgl. Kapitel 1 E. IV. 1. Poseck, S. 130.

252

Kap. 4: Verhältnis von Untreue und allgemeiner Unterlassensstrafbarkeit

Zusammenhang mit einer Beschützergaranstenstellung diskutiert.6 Krause sieht bei einem Verstoß gegen die Garantenpflicht ebenfalls die Möglichkeit einer Strafbarkeit nach § 266 StGB, wenn „weitere Tatbestandsmerkmal hinzutreten“.7 Wie sich die beiden Anknüpfungspunkte dann zueinander verhalten sollen, bleibt unausgesprochen. Ob es tatsächlich zu einer Verdrängung kommen kann, wird unter C. geklärt. In einer Vielzahl von Fällen liegt allerdings nur einer der beiden Taten vor, sodass es zu keiner Überschneidung kommt, B. Eine kurze Übersicht zeigt zuvor die Ergebnisse der Kapitel 2 und III in Bezug auf die Vorstandsdelikte, die zu einer Strafbarkeit des Aufsichtsrats führen können, A.

A. Übersicht Die Untreue nach Kapitel 2 kommt nur bei rechtlichen und faktischen Verletzungen des Gesellschaftsvermögens in Betracht. Im Bereich der rechtlichen Verletzungen sind dies die Vorstandsstraftaten der Erpressung (§§ 253 ff. StGB), des Betrugs (§ 263 StGB), des Computerbetrugs (§ 263a StGB) und der Untreue (§ 266 StGB) zu Lasten der Aktiengesellschaft. Faktische Verletzungen liegen bei bestimmten Eigentumsdelikten, wie etwa dem Diebstahl gem. §§ 242 ff. StGB, der Unterschlagung gem. § 246 StGB, dem Raub gem. §§ 249 ff. StGB, der Sachbeschädigung gem. § 303 StGB und der Brandstiftung gem. § 306 StGB des Vorstands zu Lasten der Aktiengesellschaft vor, wenn durch die Tat gleichzeitig ein Vermögensnachteil eintritt. Ferner liegen faktische Verletzungen des Gesellschaftsvermögens bei einem Bankrott (§§ 283 Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und bei einer passiven Bestechung (§ 299 Abs. 1 StGB) des Vorstands vor, wenn auch hier durch die Tat ein Vermögensnachteil zu Lasten der Aktiengesellschaft gegeben ist. Demgegenüber ist der Anwendungsbereich der in Kapitel 3 dargelegten Aufsichtsratsstrafbarkeit weiter. Eine Strafbarkeit kommt bei Verletzungen des Geheimnisbereichs der Aktiengesellschaft (Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, § 17 UWG und Verletzung der Geheimhaltungspflicht, § 404 AktG), bei unrichtiger Darstellung (§ 400 AktG) und einer falschen Ausstellung von Berechtigungsnachweisen (§ 402 AktG) in Betracht. Ferner werden bestimmte Eigentumsdelikte (Diebstahl, §§ 242 ff. StGB; Unterschlagung, § 246 StGB; Sachbeschädigung, § 303 StGB und Brandstiftung, § 306 StGB) zu Lasten der Aktiengesellschaft erfasst. Auch bestimmte rechtliche Verletzungen des Gesellschaftsvermögens (Betrug, § 263 StGB; Computerbetrug, § 263a StGB und Untreue, § 266 StGB) unterfallen dem Anwendungsbereich der in Kapitel 3 dargelegten Strafbarkeit.

6 7

Weigend, in: LK-StGB, § 13, Rn. 41. Krause, NStZ 2011, 57, 61.

B. Keine Überschneidung

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B. Keine Überschneidung In vielen Fällen wird dennoch nur einer der beiden Anknüpfungspunkte der Aufsichtsratsstrafbarkeit vorliegen.

I. Ausschließliche Untreuestrafbarkeit nach Kapitel 2 Faktische Verletzungen des Gesellschaftsvermögens in den Fällen des Raubs (§§ 249 ff. StGB), des Bankrotts (§§ 283 Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) bzw. der passiven Bestechung (§ 299 Abs. 2 StGB) können nur über die Untreue nach Kapitel 2 sanktioniert werden.8 Auch eine Erpressung (§§ 253 ff. StGB) als rechtliche Verletzung des Gesellschaftsvermögens kann ausschließlich über die Untreuestrafbarkeit nach Kapitel 2 bestraft werden.9 Es fehlt in all diesen Fällen an einer Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats, die ihn zu einem Eingreifen nach der allgemeinen Unterlassensstrafbarkeit i. S. d. Kapitel 3 verpflichten würde.10

II. Ausschließliche Strafbarkeit nach dem konkreten Delikt i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB Demgegenüber gibt es Konstellationen in denen ausschließlich eine Strafbarkeit nach dem konkreten Delikt i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB i. S. d. Kapitel 3 gegeben ist. 1. Nichtvermögensrechtsgüter Dies sind zunächst einmal alle Straftaten, welche die Nichtvermögensrechtsgüter der Gesellschaft verletzen, also Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (§ 17 UWG), Verletzung der Geheimhaltungspflicht (§ 404 AktG), unrichtige Darstellung (§ 400 AktG) und falsche Ausstellung von Berechtigungsnachweisen (§ 402 AktG). Weiterhin liegt ausschließlich eine Strafbarkeit nach dem konkreten Delikt i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB i. S. d. Kapitel 3 vor, wenn Eigentumsverletzungen (Diebstahl, §§ 242 ff. StGB; Unterschlagung, § 246 StGB; Sachbeschädigung, § 303 StGB und Brandstiftung, § 306 StGB) gegeben sind, die nicht zu einer Minderung des Gesellschaftsvermögens führen. Dann scheidet eine Untreue mangels Vermögensnachteils aus, trotz des Vorliegens einer Eigentumsverletzung. Diese Konstellation wird vermutlich relativ selten zum Tragen kommen, da die sachlichen Gegenstände der AG meistens einen wirtschaftlichen Wert haben, die Taten daher zu einer Minderung des Gesellschaftvermögens führen, also 8 Vgl. Kapitel 2 C. III. 4. b) bb) und Kapitel 3 E. IV. 2. b) (bzw. für den Raub Kapitel 3 E. IV. 1. d) cc) ). 9 Vgl. Kapitel 2 C. III. 4. b) aa) und Kapitel 3 E. IV. 2. a) aa). 10 Vgl. Kapitel 3 jeweils a. a. O.

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Kap. 4: Verhältnis von Untreue und allgemeiner Unterlassensstrafbarkeit

ein Vermögensnachteil i. S. d. Untreue gem. § 266 StGB nach Kapitel 2 vorliegen wird. 2. Versuchsstrafbarkeit Ein weiterer Unterschied zwischen der Untreuestrafbarkeit nach Kapitel 2 und der allgemeinen Unterlassensstrafbarkeit nach Kapitel 3 liegt in der Strafbarkeit des Versuchs. Während die Untreue im Versuch nicht strafbar ist,11 hängt die Versuchsstrafbarkeit im Fall der Unterlassensstrafbarkeit nach Kapitel 3 vom jeweiligen Delikt ab. Bleibt beispielsweise ein Betrug des Vorstands zu Lasten der AG im Versuchsstadium stecken, so kann keine Untreue des Aufsichtsrats nach Kapitel 2 vorliegen, da kein Vermögensnachteil gegeben ist. Weder ist ein endgültiger Schaden eingetreten, noch wird eine schadensgleiche Vermögensgefährdung vorliegen, da es nach wirtschaftlicher Betrachtung noch nicht zu einer Gefährdung des Vermögens gekommen ist.12 Der Betrug selbst ist aber gem. § 263 Abs. 2 StGB im Versuch strafbar. Nach der Strafbarkeit gem. Kapitel 3 ist das konkret begangene Delikt, also der Betrug selbst, Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit. Nach der Strafbarkeitsalternative des Kapitel 3 wäre also eine Versuchsstrafbarkeit des Aufsichtsrats über §§ 263 Abs. 1, 2, 13 Abs. 1 StGB möglich. Über die Strafbarkeit nach Kapitel 3 sind, wie im soeben aufgeführten Beispiel des Betrugs, folgende Delikte im Versuch strafbar: Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (§ 17 Abs. 3 UWG), falsche Ausstellung von Berechtigungsnachweisen (§ 402 Abs. 3 AktG), Diebstahl (§ 242 Abs. 2 StGB), Unterschlagung (§ 246 Abs. 3 StGB), Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 3 StGB), Brandstiftung (§ 303 Abs. 1 StGB i.V. m. §§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB), Betrug (§ 263 Abs. 2 StGB) und Computerbetrug (§ 263a Abs. 2 StGB i.V. m. § 263 Abs. 2 StGB). Folgende Delikte sind hingegen nicht im Versuch strafbar und können daher auch nicht über die allgemeine Unterlassensstrafbarkeit gem. Kapitel 3 sanktioniert werden, wenn sie im Versuchsstadium stecken bleiben: Verletzung der Geheimhaltungspflicht (§ 404 AktG), unrichtige Darstellung (§ 400 AktG), Untreue (§ 266 StGB).

III. Ergebnis Wie soeben gezeigt, kommt es in einer Vielzahl von Konstellationen nicht zu Überschneidungen der beiden Strafbarkeitsalternativen. In wenigen Fällen liegt 11

Kapitel 2 C. III. 1. Vgl. zur schadensgleichen Vermögensgefährdung Kapitel 2 C. III. 1. Ggf. kann im Einzelfall unter Umständen eine schadensgleiche Vermögensgefährdung vorliegen. 12

C. Überschneidungen

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ausschließlich eine Untreuestrafbarkeit gem. Kapitel 2 vor, öfter ist ausschließlich eine allgemeine Unterlassensstrafbarkeit i. S. d. Kapitel 3 gegeben. Dies betrifft insbesondere die Versuchsstrafbarkeit. Nicht überzeugend ist daher die Aussage Posecks, der der allgemeinen Unterlassensstrafbarkeit i. S. d. Kapitel 3 ohne nähere Prüfung eine nennenswerte praktische Bedeutung abspricht.13 Selbst bei intern relevanten Schädigungen mit Vermögensbezug gibt es mit der Versuchsstrafbarkeit eine Konstellation, in der ausschließlich eine Strafbarkeit nach der allgemeinen Unterlassensstrafbarkeit i. S. d. Kapitel 3 in Betracht kommt. Ferner erfasst allein sie die nichtvermögensrelevanten Rechtsgutsverletzungen.

C. Überschneidungen Allerdings gibt es in einem engen, aber sehr praxisrelevanten Bereich Überschneidungen der Strafbarkeit. Liegen bestimmte vollendete Taten vor, die zu rechtlichen Verletzungen des Gesellschaftsvermögens führen (Betrug, § 263 StGB; Computerbetrug, § 263a StGB und Untreue, § 266 StGB14), ist sowohl eine Untreuestrafbarkeit nach Kapitel 2 gegeben wie auch eine allgemeine Unterlassensstrafbarkeit gem. Kapitel 3., vgl. III. Zu einer Überschneidung der beiden Anknüpfungspunkte kommt es auch, wenn bestimmte eigentumsverletzende Delikte (Diebstahl, §§ 242 ff. StGB; Unterschlagung, § 246 StGB; Sachbeschädigung, § 303 StGB und Brandstiftung, § 306 StGB15) zu einer faktischen Schädigung des Gesellschaftsvermögens führen und so einen untreuerelevanten Nachteil darstellen, vgl. II. Hier stellt sich im Besonderen die Frage nach dem Verhältnis der beiden Anknüpfungspunkte zueinander. Wie oben dargestellt scheinen einige Autoren von einem Vorrang der Untreue gem. Kapitel 2 auszugehen.16 Anhand des Konkurrenzverhältnisses der jeweils verwirklichten Delikte zueinander, also des Verhältnisses der Untreue gem. Kapitel 2 zum jeweils verwirklichten Vorstandsdelikt i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB gem. Kapitel 3, muss für das jeweilige Delikt eine Lösung gefunden werden. Eine pauschale Aussage, wie sie etwa von Poseck17 getroffen wird, ist insoweit nicht hilfreich, da sich das Konkurrenzverhältnis der beiden Anknüpfungspunkte eben einzig nach dem Verhältnis der beiden jeweils verwirklichten Delikte zueinander richtet.

13

Poseck, S. 130. Nicht aber eine Erpressung gem. §§ 253 ff. StGB, da diese nicht über die Strafbarkeitsmöglichkeit nach Kapitel 3 sanktioniert werden kann, vgl. Kapitel 3 E. IV. 2. a) aa) und Kapitel 4 A. I. 15 Nicht aber Raub gem. §§ 249 ff. StGB, da dieser nicht über die Strafbarkeitsmöglichkeit nach Kapitel 3 sanktioniert werden kann, vgl. Kapitel 3 E. IV. 1. d) cc) und Kapitel 4 A. I. 16 Kapitel 4. 17 Poseck, S. 130. 14

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Kap. 4: Verhältnis von Untreue und allgemeiner Unterlassensstrafbarkeit

Das Gesetz regelt mit §§ 52, 53 StGB die Fälle der Tateinheit und der Tatmehrheit. Nach § 52 Abs. 1 StGB ist Tateinheit gegeben, wenn dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze verletzt. Nach Rechtsprechung18 und Literatur19 kann im Fall des Unterlassens eine natürliche Handlungseinheit vorliegen, wenn die Erfüllung der unterschiedlichen Pflichten durch eine einzige Handlung möglich ist. Hier würde die taugliche Verhinderungsmaßnahme des Aufsichtsrats beide nebeneinanderstehenden Taten verhindern. Es kommt daher jedenfalls nicht Tatmehrheit gem. § 53 Abs. 1 StGB in Betracht. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob ein Fall der außergesetzlichen Gesetzeseinheit oder ein Fall der Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB gegeben ist.

I. Begriffliche Klärung und Anknüpfungspunkt(e) für die Abgrenzung von außergesetzlicher Gesetzeseinheit zu Tateinheit nach § 52 Abs. 1 StGB Führt, wie im vorliegenden Fall, eine Unterlassung zur Verwirklichung mehrerer Tatbestände, so kommen diese nicht zwingenderweise nebeneinander gem. § 52 Abs. 1 StGB zur Anwendung. Es könnte sich um einen Fall der außergesetzlichen Gesetzeseinheit handeln, der dann zur Verdrängung eines Tatbestandes führt, da die Bestrafung aus einem Tatbestand den Unrechts- und Schuldgehalt der zurücktretenden Tatbestände vollständig erfasst.20 Formen der Gesetzeseinheit sind die Spezialität, die Subsidiarität und die Konsumtion.21 Maßgebend für die Abgrenzung von außergesetzlicher Gesetzeseinheit und Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB sind die Rechtsgüter gegen die sich der Angriff richtet und die Tatbestände, die zu ihrem Schutz aufgestellt sind.22 Nach der Rechtsprechung muss hierbei die Verletzung des durch den einen Straftatbestand geschützten Rechtsguts eine – wenn nicht notwendige, so doch regelmäßige – Erscheinungsform des anderen Tatbestandes sein.23 Dies spricht im Umkehrschluss dafür, dass bei Verletzung unterschiedlicher Rechtsgüter primär, aber nicht immer zwingend, Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB in Betracht kommt.

18

BGH, Beschluss vom 30.05.1963 – 1 StR 6/63 = BGHSt 18, 379. Fischer, StGB, Vor § 52, Rn. 9, m.w. N.; Rackow, in: AnwK-StGB, § 52, Rn. 5. 20 Heintschel-Heinegg, in: BK-StGB, § 52, Rn. 7; Rackow, in: AnwK-StGB, § 52, Rn. 16. 21 Fischer, StGB, Vor § 52, Rn. 40 ff.; Heintschel-Heinegg, in: BK-StGB, § 52, Rn. 9 ff.; Rackow, in: AnwK-StGB, § 52, Rn. 16 ff. 22 BGH, Beschluss vom 20.10.1992 – GSSt 1/92 = BGHSt GrS 39, 100, 108 = NJW 1993, 1662, 1664; Rackow, in: AnwK-StGB, § 52, Rn. 16. Eschelbach, in: S/S/W-StGB, § 52, Rn. 7 sieht hingegen ausschließlich die verletzten Rechtsgüter als maßgeblich an. 23 BGH, Beschluss vom 20.10.1992 – GSSt 1/92 = BGHSt GrS 39, 100, 108 = NJW 1993, 1662, 1664, m.w. N. 19

C. Überschneidungen

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II. Überschneidung bei Eigentumsdelikten Haben die verletzten Gegenstände einen wirtschaftlichen Wert, so kommt bei bestimmten Delikten neben den durch Unterlassen begangenen Eigentumsdelikten [vgl. Kapitel 3 E. IV. 1. d)] auch eine Untreuestrafbarkeit nach Kapitel 2 in Betracht, da dann ein Vermögensnachteil unmittelbar durch die Tat entstanden ist. 1. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall des Diebstahls gem. § 242 StGB Nach der Rechtsprechung24 und der Literatur25 ist Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB zwischen Untreue (§ 266 StGB) und Diebstahl (§ 242 StGB) möglich. Da die Untreue das Rechtsgut Vermögen schützt,26 der Diebstahl aber das Eigentum,27 und damit zwei verschiedene Rechtsgüter durch dieselbe Handlung betroffen sind, erscheint es überzeugend in diesem Fall Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB anzunehmen. Damit stehen in diesem Fall die Untreue gem. Kapitel 2 und der Diebstahl i.V. m. § 13 Abs. 1 i. S. d. Kapitel 3 nebeneinander. 2. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall der Unterschlagung gem. § 246 StGB Die Unterschlagung schützt das Eigentum,28 die Untreue demgegenüber das Vermögen.29 Davon ausgehend könnten die beiden Delikte, genauso wie Diebstahl und Untreue nebeneinanderstehen. Allerdings enthält § 246 Abs. 1 StGB im letzten Halbsatz eine Subsidiaritätsklausel gegenüber anderen30 Delikten, die die Tat mit schwererer Strafe bedrohen. Unterschlagung wird als Grunddelikt mit drei Jahren Freiheitsstrafe im Höchstmaß bedroht, § 246 Abs. 1 StGB, die Untreue hingegen mit fünf Jahren Freiheitsstrafe im Höchstmaß, § 266 Abs. 1 StGB. Daher ist das Grunddelikt der Unterschlagung subsidiär gegenüber der Untreue.31 24 BGH, Urteil vom 03.12.1953 – 3 StR 335/53, zitiert nach Dallinger, MDR 1954, 398, 399. 25 Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 242, 75; Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 242, Rn. 63; Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, 55; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 109; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 53. 26 Kapitel 1 B. 3. c) aa). 27 Kapitel 1 B. 3. c) aa). 28 Kapitel 1 B. 3. c) aa). 29 Kapitel 1 B. 3. c) aa). 30 Streitig ist, ob diese Subsidiarität gegenüber allen Delikten oder nur solchen mit eigentums- bzw. vermögensverletzender Wirkung gilt. 31 Perron, in: Schönke/Schröder, § 266, Rn. 55.

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Kap. 4: Verhältnis von Untreue und allgemeiner Unterlassensstrafbarkeit

Fraglich ist die Behandlung des Konkurrenzverhältnisses bei einer veruntreuenden Unterschlagung gem. § 246 Abs. 2 StGB zur einfachen Untreue gem. § 266 Abs. 1 StGB. Beide Delikte sind im Höchstmaß mit fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht. Daher findet die Subsidiaritätsklausel keine Anwendung32 und es ist wieder nach Rechtsgut und Tatbestand zu differenzieren.33 Hier wird teilweise für Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB plädiert.34 Apfel geht von einer konkludenten Subsidiarität der veruntreuenden Unterschlagung aus, mit der Folge, dass diese im Wege der Gesetzeseinheit ausscheidet und nur eine Bestrafung nach § 266 Abs. 1 StGB möglich wäre.35 Der zweite Strafsenat des BGH scheint diese Ansicht zu präferieren.36 Für diese Ansicht spricht, dass der Unrechtsgehalt des „Anvertrauens“ regelmäßig in der umfassenderen Vermögensbetreuungspflicht enthalten ist.37 Damit tritt die Unterschlagung in jedem Fall hinter der Untreue zurück.38 3. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall der Sachbeschädigung gem. § 303 StGB Auch die Sachbeschädigung nach § 303 StGB schützt das Eigentum der Aktiengesellschaft,39 während die Untreue wiederum das Vermögen der Gesellschaft schützt.40 Ausgehend von den verschiedenen Rechtsgutsschutzrichtungen und den soeben getätigten Ausführungen bezüglich des Diebstahls, müsste daher konsequenterweise auch hier Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB angenommen werden. Samson/Günther41 und im Anschluss Saliger42 gehen ohne nähere Begründung von einer Gesetzeseinheit aus, als deren Folge die Sachbeschädigung von der Untreue verdrängt werde. Hiergegen spricht jedoch der unterschiedlich gelagerte Rechtsgutsschutz. Es erscheint in diesen Fällen, aus Klarstellungsgründen über die verletzten Rechtsgüter, vorzugswürdig Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB anzunehmen.43 32

Klarstellend Apfel, S. 132 ff. und Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 210. Vgl. oben Kapitel 4 C. I. 34 Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 242. 35 Apfel, S. 132 ff. 36 Vgl. BGH, Beschluss vom 26.06.2012 – 2 StR 137/12 = NJW 2012, 3046 (Rn. 8). 37 Apfel, S. 133. 38 Anders Hoyer, in: SK-StGB, § 266, Rn. 128, der bereits die Rechtswidrigkeit der veruntreuenden Unterschlagung in diesem Fall verneint. Anders auch Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 210, der die veruntreuende Unterschlagung als spezieller ansieht. 39 Kapitel 1 B. II. 3. c) aa). 40 Kapitel 1 B. II. 3. c) bb) (1). 41 Samson/Horn, in: SK-StGB, 7. Aufl., § 266 Rn. 56. 42 Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 109. 43 Ohne Begründung: Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 242 und für § 306 StGB bejahend Piel, NStZ 2006, 550, 555. 33

C. Überschneidungen

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4. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall der Brandstiftung gem. § 306 StGB Nach demselben Argumentationsmuster ergibt sich auch Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB zwischen der eigentumsschützenden Brandstiftung gem. § 306 StGB i.V. m. § 13 Abs. 1 StGB i. S. d. Kapitel 3 und der Untreue nach Kapitel 2. Auch hier werden zwei unterschiedliche Rechtsgüter geschützt. Zwischen Untreue gem. § 266 StGB und Brandstiftung gem. § 306 StGB ist Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB möglich.44

III. Überschneidung bei rechtlichen Verletzungen des Gesellschaftsvermögens Liegt eine Straftat vor, deren Rechtsgutsschutz auf das Vermögen der Gesellschaft abzielt, ist sowohl eine Untreue gem. Kapitel 2, als auch eine Straftat nach der allgemeinen Unterlassensstrafbarkeit i. S. d. Kapitel 3 gegeben. 1. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall des Betrugs gem. § 263 StGB Untreue gem. § 266 StGB und Betrug gem. § 263 StGB können nach der Rechtsprechung45 und der überwiegenden Ansicht in der Literatur46 in Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB begangen werden, wenn die Untreue mit den Mitteln des Betrugs begangen worden ist. Labsch hingegen zweifelt an einer tateinheitlichen Bewertung.47 Bereits tatbestandlich erschöpfe sich das durch die Untreue verwirklichte Unrecht im Betrug.48 Betrug und Untreue schützen beide das Rechtsgut Vermögen.49 Da aber nur eine Vermögensschädigung vorliege, könne nur eine Bestrafung nach Untreue gem. § 266 StGB oder Betrug gem. § 263 StGB in Betracht kommen.50 Hier sei der Betrug spezieller, weil die Untreue keine Schä44

So wohl auch Piel, NStZ 2006, 550, 555. Ferner scheint BGH, Urteil vom 04.07. 1989 – 1 StR 153/89 = BGHSt 36, 221 = NJW 1989, 2900 ebenfalls von einer tateinheitlichen Behandlung auszugehen. 45 BGH, Beschluss vom 05.03.2008 – 5 StR 36/08 = NStZ 2008, 340. 46 Befürwortend: Esser, in: AnwK-StGB, § 266, Rn. 243; Fischer, StGB, § 266, Rn. 195; Matt/Renzikowski/Matt, § 266, Rn. 167; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 109; Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 208; Wittig, in: BK-StGB, § 266, Rn. 54. 47 Labsch, StV 1984, 514, 515; ders., Untreue, S. 231 ff. 48 Labsch, StV 1984, 514, 515. 49 Vgl. dazu bereits Kapitel 1 B. II. 3. c) bb) (1). 50 Labsch, StV 1984, 514, 515.

260

Kap. 4: Verhältnis von Untreue und allgemeiner Unterlassensstrafbarkeit

digungs- oder Bereicherungsabsicht noch sonstige spezifische Angriffsmodalitäten auf das Rechtsgut voraussetze.51 Dem lässt sich entgegenhalten, dass Betrug und Untreue zwar dasselbe Rechtsgut schützen, doch aber unterschiedliche Angriffsrichtungen haben: Der Betrug ist ein Fremdschädigungs-, die Untreue hingegen ein Selbstschädigungsdelikt. So lässt sich für eine Idealkonkurrenz argumentieren, die zu einer tateinheitlichen Bestrafung gem. § 52 Abs. 1 StGB führen würde. Damit würde auch der Klarstellungsfunktion gedient, da so Fremd- und Selbstschädigung durch den Täter deutlich würden. Labschs Kritik ist für den vorliegenden Fall auch nur bedingt überzeugend. Richtig ist, dass die Untreue im Gegensatz zum Betrug keine weitgehende Einschränkung auf subjektiver Tatbestandsseite zur Verfügung stellt.52 Allerdings liegt auf objektiver Ebene ein unterschiedlicher Anknüpfungspunkt vor. Während die Untreue nach Kapitel 2 auf eine eigenständige aktienrechtliche Verfehlung abzielt, wird über die Strafbarkeit nach Kapitel 3 die Nichtverhinderung einer bestimmten Straftat sanktioniert. Es ist daher weder ein Fall der Spezialität, noch ein Fall der Subsidiarität gegeben. Betrug und Untreue fallen aber auch nicht regelmäßig und typischerweise zusammen. Vielmehr ist dies im vorliegenden Fall der besonderen Materie des Aktienrechts geschuldet. Daher liegt auch keine Konsumtion vor. Es erscheint insofern überzeugend, trotz desselben geschützten Rechtsguts (dem Gesellschaftsvermögen) hier keine Gesetzeseinheit, sondern mit der Rechtsprechung und herrschenden Literaturmeinung Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB anzunehmen. 2. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall des Computerbetrugs gem. § 263a StGB Im Ergebnis gleich zu behandeln ist das Verhältnis von Untreue gem. § 266 StGB zum Computerbetrug gem. § 263a StGB, da dieser (bloß) eine Auffangfunktion zum Betrug gem. § 263 StGB innehat. Schünemann plädiert für eine vorrangige Anwendung der Untreue, weil der Computerbetrug lückenschließende Funktion habe.53 Diese lückenschließende Funktion bezieht sich allerdings auf den Betrug gem. § 263 StGB und nicht auf das Vermögensstrafrecht allgemein.54 Daher kann es im Verhältnis Computerbetrug (§ 263a StGB) zur Untreue (§ 266 StGB) nicht zu einer Verdrängung kommen. Auch im Fall des Computerbetrugs gem. § 263a StGB liegt eine Untreue gem. § 266 StGB in Tateinheit vor.55

51

Labsch, StV 1984, 514, 515. Dazu bereits Kapitel 2 C. III. 3. a). 53 Schünemann, in: LK-StGB, § 266, Rn. 208. 54 Implizit etwa Kindhäuser, in: NK-StGB, § 263a, Rn. 2; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 263a, Rn. 2. 52

C. Überschneidungen

261

3. Verhältnis der Untreue gem. Kapitel 2 zur allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 im Fall der Untreue gem. § 266 StGB Ist die zu Grunde liegende Vorstandsstraftat eine Untreue, ist sowohl eine Untreue gem. § 266 StGB nach Kapitel 2 wie auch eine Untreue gem. § 266 StGB nach Kapitel 3 gegeben. Der Aufsichtsrat begeht zwei Pflichtverletzungen durch dieselbe Unterlassung. Diese führen zu einem Vermögensnachteil. In beiden Fällen ist das von der Untreue geschützte Rechtsgut das Gesellschaftsvermögen. Anders als beim Betrug liegt nun eine zweifache Selbstschädigung vor. Aufgrund der Identität des verletzten Rechtsguts und der Zielrichtung der Handlung erscheint es vorzugswürdig einen Fall der Gesetzeseinheit anzunehmen. Es stellt sich bloß die Frage, welcher Anknüpfungspunkt welchen verdrängt. Hier ist die Untreue nach Kapitel 2 spezieller als die Untreue nach Kapitel 3. Zwar werden im ersten Fall die Voraussetzungen der Vorstandsuntreue nicht tatbestandsimmanent durchgeprüft. Allerdings ist das Vorliegen einer Vorstandsstraftat Voraussetzung der Verletzung der Straftatverhinderungspflicht aus § 111 Abs. 1 AktG. Da die Untreue nach Kapitel 2 sich unmittelbar an den Aufsichtsrat wendet, erscheint sie spezieller als die Untreue nach Kapitel 3. Stellt die Vorstandsstraftat also eine Untreue gem. § 266 StGB dar, so kann der Aufsichtsrat nur wegen einer Untreue und zwar der nach Kapitel 2 bestraft werden.

IV. Ergebnis Kommt es zu Überschneidungen der beiden Anknüpfungspunkte, ist in einigen Fällen aufgrund des Rechtsgutsschutzes und der Tatbestandsstruktur Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB zwischen der Untreuestrafbarkeit nach Kapitel 2 und der allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 gegeben (Diebstahl, § 242 StGB; Sachbeschädigung, § 303 StGB; Brandstiftung, § 306 StGB, Betrug, § 263 StGB und Computerbetrug, § 263a StGB). In anderen Fällen liegt Gesetzeseinheit vor und es kommt zur Verdrängung der allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 durch die Untreuestrafbarkeit nach Kapitel 2 (Unterschlagung, § 246 StGB56 und Untreue, § 266 StGB). Anders als Poseck meint,57 kann auch bei gleichzeitigem Vorliegen beider Anknüpfungspunkte der Aufsichtsratsstrafbarkeit Tateinheit gegeben sein.

55 BGH, Beschluss vom 13.12.1989 – 2 StR 478/89 = wistra 1990, 190; Wohlers, in: MüKo-StGB, 1. Aufl., § 263a, Rn. 81. Zurückhaltend Gaede, in: AnwK-StGB, § 263a, Rn. 31. 56 Im Fall des § 246 Abs. 1 StGB liegt formelle Subsidiarität vor. Im Fall des § 246 Abs. 2 StGB liegt Subsidiarität i. S. d. Gesetzeseinheit vor. 57 Poseck, S. 130.

262

Kap. 4: Verhältnis von Untreue und allgemeiner Unterlassensstrafbarkeit

D. Kritikwürdige Aspekte einer Strafbarkeit gem. § 266 Abs. 1 StGB nach Kapitel 2 Es ist nach der soeben getätigten Analyse klar, dass in vielen Fällen eine Strafbarkeit des Aufsichtsrats wegen Untreue nach Kapitel 2 möglich ist. Hier soll kritisch auf Umstände einer Bestrafung des Aufsichtsrats wegen Untreue nach Kapitel 2 hingewiesen werden, die sich aus einem Vergleich mit der zugrundeliegenden Straftat des Vorstands ergeben.

I. Unterschiedliche Strafrahmen Zunächst ist zu beachten, dass in einigen Konstellationen ein unterschiedlicher Strafrahmen zwischen Aufsichtsratsstrafbarkeit wegen Untreue nach Kapitel 2 und der Vorstandsstraftat geben kann. In den Fällen des Raubs (§ 249 Abs. 1 StGB, Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) und der Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 StGB, Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren) ist die Strafandrohung der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB, Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) niedriger. Dies erscheint unproblematisch, weil über die Untreue primär die Auswirkung der Straftat auf das Gesellschaftsvermögen sanktioniert werden soll, nicht aber etwaiges anderes Unrecht der Vorstandsstraftat. In den Fällen der passiven Bestechung (§ 299 Abs. 1 StGB, Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) und der Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe) ist die Strafandrohung der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB, Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) jedoch höher. Hier stellt sich die Frage, ob die höhere Strafandrohung bei der Untreue der gesetzgeberischen Intention entspricht. § 13 Abs. 2 StGB, der eine fakultative Strafmilderung bei unechten Unterlassungsdelikten vorsieht, wurde eingeführt, weil dem Gesetzgeber das Unterlassen der Erfolgsabwendung unter gleichen Umständen weniger schwerwiegend erschien als die Herbeiführung dieses Erfolgs durch aktives Tun.58 Aus der soeben zitierten Gesetzesbegründung lässt sich durchaus (der grundsätzliche Schluss) entnehmen, dass der gleiche Erfolg im Unterlassen regelmäßig weniger schwer wiegt.59 Kritische Stimmen sehen darin einen Verstoß gegen die Entsprechungsklausel des § 13 Abs. 1 StGB.60 Diese ist vom gesetzgebenden Bundestag aber ausdrücklich so gewählt worden, um der fakultativen Milderung nach § 13 Abs. 2 StGB Raum zu geben (abge-

58

BT-Drs. V/4085, S. 8. Befürwortend, teilweise aber zurückhaltender: BGH, Urteil vom 21.07.1989 – 2 StR 214/89 = BGHSt 36, 227, 228 = NJW 1990, 332, 333. Fischer, StGB, § 13, Rn. 99, 100; Heuchemer, in: BK-StGB, § 13, Rn. 78; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13, Rn. 64; Wohlers/Gaede, in: NK-StGB, § 13, Rn. 65. 60 Etwa Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 13, Rn. 53. 59

D. Kritikwürdige Aspekte einer Strafbarkeit gem. § 266 Abs. 1 StGB

263

lehnt worden ist eine „Gleichwertigkeitsklausel“).61 Geht man nichtsdestoweniger von der gesetzgeberischen Prämisse aus, dass bei gleichem Erfolg das Unterlassen regelmäßig weniger schwer wiegt, so ließe sich eine teleologische Reduktion des Strafrahmens der Untreue auf die Höhe des vom Vorstand aktiv begangenen Delikts erwägen. Etwa im Fall einer Sachbeschädigung gem. § 303 StGB durch den Vorstand wäre der Strafrahmen der Untreue dann auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe zu reduzieren. Für eine teleologische Reduktion müsste allerdings eine „planwidrige Lücke“ 62 bestehen. Der Gesetzgeber müsste die vorliegende Konstellation unbewusst übersehen haben. Hieran bestehen Zweifel. Um weniger strafwürdige Konstellationen milder bestrafen zu können, ist vom Gesetzgeber gerade § 13 Abs. 2 StGB geschaffen worden. Dieser stellt eine abgeschlossene Regelung zur Handhabung weniger strafwürdig erscheinender Konstellationen im Unterlassungsstrafrecht dar. Selbst wenn man § 13 Abs. 2 StGB nicht auf die Untreue gem. § 266 StGB anwenden will, verbleibt es bei der nach der gesetzgeberischen Wertung abschließenden Regelung bezüglich der Rechtsfolgen von Unterlassungsstraftaten durch § 13 Abs. 2 StGB. Dem Gesetzgeber war bei Einführung des § 13 Abs. 2 StGB bekannt, dass es auch Delikte gibt, für die § 13 Abs. 2 StGB keine Anwendung findet, wie etwa echte Unterlassungsdelikte.63 Dass er dennoch keine Milderungsregel traf, lässt sich als Argument für eine abschließende Regelung durch § 13 Abs. 2 StGB erkennen. Auch in den Fällen einer geringeren Strafandrohung der aktiv begangenen Vorstandsstraftat verbleibt es bei der (dann) höheren Strafandrohung der Untreue. Das Gericht muss diesen Umständen allerdings bei der Strafzumessung Rechnung tragen.64

II. Keine Prüfung spezieller Tatbestandsvoraussetzungen Ferner ist zu beachten, dass im Rahmen der Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats nach Kapitel 2 keine Prüfung des Vorstandsdelikts im Hinblick auf seine Anwendbarkeit auf den Aufsichtsrat stattfindet. So richtet sich § 283 Abs. 2 StGB an den Schuldner als tauglichen Täter.65 Schuldner ist allerdings die AG und weder der Vorstand, noch der Aufsichtsrat. Die strafrechtliche Verantwortung des Vorstands ergibt sich aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Da der Aufsichtsrat nicht vertretungsberechtigtes Organ der AG ist, scheidet eine Strafbarkeit nach §§ 283

61

BT-Drs. V/4085, S. 8. Vgl. zu den Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion Wank, Auslegung, S. 89 f.; Zippelius, Methodenlehre, § 11, II. b). 63 BT-Drs. V/4085, S. 8. 64 So grundsätzlich für Fälle des Unterlassens Saliger, in: S/S/W-StGB, § 266, Rn. 33. 65 BT-Drs. V/4085, S. 8. 62

264

Kap. 4: Verhältnis von Untreue und allgemeiner Unterlassensstrafbarkeit

Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1, 13 Abs. 1 StGB für diesen (auch bei aktivem Verhalten) aus. Über den Umweg der Untreue ist in der vorliegenden Konstellation dann aber doch eine Strafbarkeit möglich. Ob dies der gesetzgeberischen Intention ohne weiteres entspricht, ist zweifelhaft, allerdings der Konstruktion der Untreue gem. § 266 StGB geschuldet.

III. Täterschaftliche Untreue des Aufsichtsrats bei Beihilfehandlung des Vorstands Begeht der Vorstand eine Beihilfe gem. § 27 StGB zu einer Dritttat, kann sich der Aufsichtsrat sowohl wegen einer Untreue gemäß Kapitel 3, als auch nach der allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 strafbar machen.66 Im Rahmen der allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 kann der Aufsichtsrat nur als Gehilfe durch Unterlassen bestraft werden, da die Anknüpfungstat der Aufsichtsratsstrafbarkeit die Behilfetat des Vorstands ist und der Aufsichtsrat nicht härter als der Begehungstäter bestraft werden kann.67 Hier besteht eine Konnexität. Über die Untreue nach Kapitel 2 wird der Aufsichtsrat in diesem Fall hingegen als Täter bestraft. Hier ließe sich kritisch einwenden, dass der Aufsichtsrat dann härter als der Begehungstäter, der bloß Gehilfe ist, bestraft werden würde. Allerdings gilt es zu beachten, dass im Fall der Untreue nach Kapitel 2 die Vorstandsstraftat und die Strafbarkeit des Aufsichtsrats nicht konnex zueinander sind. Die Strafbarkeit bestimmt sich für den Aufsichtsrat nach diesem Anknüpfungspunkt selbständig.

E. Ergebnis In vielen Fällen stellt sich die Frage nach einem Konkurrenzverhältnis von Untreuestrafbarkeit nach Kapitel 2 und allgemeiner Unterlassensstrafbarkeit nach Kapitel 3 nicht. Entweder liegt ausschließlich eine Strafbarkeit wegen Untreue nach Kapitel 2 vor (vgl. Kapitel 4 B. I.) oder es kommt ausschließlich eine Strafbarkeit aus der allgemeinen Unterlassensstrafbarkeit nach Kapitel 3 in Betracht, vgl. Kapitel 4 B. II. Nur bei bestimmten Vorstandsstraftaten, die das Eigentum der Gesellschaft verletzen und gleichzeitig einen Vermögensschaden verursachen (vgl. Kapitel 4 C. II.) und bei Straftaten, die sich gegen den rechtlichen Schutz des Gesellschaftsvermögens richten (vgl. Kapitel 4 C. III.), liegen beide Anknüpfungspunkte der Aufsichtsratsstrafbarkeit vor. Aufgrund des Rechtsgutsschutzes und der Tatbestandsstruktur ist dann in einigen Fällen Tateinheit gem. § 52

66 67

Kapitel 2 C. V.; Kapitel 3 E. I. 2. b). Kapitel 3 E. I. 2. b) cc).

E. Ergebnis

265

Abs. 1 StGB zwischen der Untreuestrafbarkeit nach Kapitel 2 und der allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 gegeben (Diebstahl, § 242 StGB; Sachbeschädigung, § 303 StGB; Brandstiftung, § 306 StGB, Betrug, § 263 StGB und Computerbetrug, § 263a StGB). In anderen Fällen liegt Gesetzeseinheit vor und es kommt zur Verdrängung der allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 durch die Untreuestrafbarkeit nach Kapitel 2 (Unterschlagung, § 246 StGB68 und Untreue, § 266 StGB).

68 Im Fall des § 246 Abs. 1 StGB liegt formelle Subsidiarität vor. Im Fall des § 246 Abs. 2 StGB liegt Subsidiarität i. S. d. Gesetzeseinheit vor.

Kapitel 5

Zusammenfassung der Ergebnisse und Empfehlung an Aufsichtsräte Aufsichtsratsmitglieder machen sich strafbar, wenn sie Vorstandsstraftaten nicht abwenden, die unmittelbar zu Lasten der Aktiengesellschaft gehen. Sie können dabei sowohl Täter einer Untreue als auch Beteiligte an der Vorstandsstraftat selbst durch Unterlassen sein.

A. Der Aufsichtsrat als Täter einer Untreue Das Aufsichtsratsmitglied ist Täter einer Untreue, wenn bestimmte Vorstandsstraftaten nicht von ihm verhindert werden. Sanktioniert werden kann das Verhalten des Aufsichtsrats nur über die Treubruchsuntreue.1 Aufsichtsratsmitglieder sind vermögensbetreuungspflichtig für das Gesellschaftsvermögen.2 Ihre Vermögensbetreuungspflicht bezieht sich sowohl auf die Leitungs- wie auch auf die Überwachungsaufgabe.3 Nicht vermögensbetreuungspflichtig ist dagegen der Aufsichtsrat gegenüber Aktionären, Gläubigern und Dritten/der Allgemeinheit.4 Verstöße gegen eine etwaige Überwachergarantenstellung können ebenfalls nicht über die Untreue sanktioniert werden.5 Es besteht eine aktienrechtliche Pflicht aus § 111 Abs. 1 AktG zur Verhinderung von Straftaten, die geschäftsführungsbezogenen Charakter haben.6 In personeller Hinsicht beschränkt sich die Pflicht zur Abwendung von Straftaten für den Aufsichtsrat auf den Vorstand.7 Sachlich-inhaltlich sind geschäftsführungsbezogene Straftaten solche, die der Vorstand aufgrund von Funktion und Organstellung begeht.8 Ausgeschlossen sind private Straftaten des Vorstands.9 Teleologisch sind ferner Bagatellen vom Tatbestand auszuschließen.10 Der Aufsichtsrat hat als 1

Kapitel 2 B., C. Kapitel 2 C. I. 2., 3. a). 3 Kapitel 2 C. I. 2. b). 4 Kapitel 2 C. I. 3. b). 5 Kapitel 2 C. I. 3. c). 6 Kapitel 2 C. II. 2. b). 7 Kapitel 1 B. II. 1. und Kapitel 2 C. III. 6. 8 Kapitel 2 C. II. 2. b) cc) (6), hh). 9 Kapitel 2 C. II. 2. b) cc) (5). 10 Kapitel 2 C. II. 2. b) gg). 2

B. Der Aufsichtsrat ist einzig Beschützergarant der Gesellschaftsrechtsgüter 267

taugliche Verhinderungsmittel grundsätzlich den Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG für rechtliche Handlungen des Vorstands mit gesellschaftsinterner Wirkung zur Hand und in anderen Fällen eine Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG.11 Im Einzelfall kann auch eine andere Handlung zu fordern sein.12 Das Nichteinschreiten stellt stets eine gravierende Pflichtverletzung dar.13 Eine Pflicht zur Strafanzeige existiert nicht. Vielmehr fehlt oftmals sogar schon die Berechtigung zur Erstattung von Strafanzeigen.14 Ein für den Untreuetatbestand erforderlicher Vermögensnachteil kann sich allerdings nur bei Straftaten ergeben, die unmittelbar zu Lasten des Gesellschaftsvermögens gehen.15 Mittelbar schadende Straftaten erfüllen die verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Bestimmung des Vermögensnachteils grundsätzlich nicht.16 Nur bei „materiell self-executing“ Normen kann ein mittelbarer Schaden zu einem Vermögensnachteil führen. Solche Normen existieren im Bereich des Unternehmensstrafrechts de lege lata nicht.17 Im Ergebnis kommt daher bei folgenden, durch aktives Tun18 begangenen Vorstandsstraftaten eine Untreue gem. § 266 Abs. 1 StGB nach Kapitel 2 in Betracht, wobei der Aufsichtsrat stets als Täter19 zu bestrafen ist: Erpressung gem. §§ 253 ff. StGB, Betrug gem. § 263 StGB, Computerbetrug gem. § 263a StGB und Untreue gem. § 266 StGB zu Lasten der Aktiengesellschaft. Faktische Verletzungen führen bei bestimmten Eigentumsdelikten (Diebstahl gem. §§ 242 ff. StGB, Unterschlagung gem. § 246 StGB, Raub gem. §§ 249 ff. StGB, Sachbeschädigung gem. § 303 StGB und Brandstiftung gem. § 306 StGB) des Vorstands zu Lasten der Aktiengesellschaft zur Aufsichtsratsstrafbarkeit, wenn durch die Tat gleichzeitig ein Vermögensnachteil eintritt. Gleiches gilt für den Bankrott gem. §§ 283 Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB und die passive Bestechung gem. § 299 Abs. 1 StGB.

B. Der Aufsichtsrat ist einzig Beschützergarant der Gesellschaftsrechtsgüter Der Aufsichtsrat ist Beschützergarant der Rechtsgüter der Aktiengesellschaft.20 Dies betrifft Nichtvermögensrechtsgüter (Eigentum, Geheimnisschutz, etc.) und 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (3), (6). Kapitel 3 E. IV. Kapitel 2 C. II. 5. b) cc). Kapitel 2 C. II. 3. c) bb). Kapitel 2 C. III. 4. b). Kapitel 2 C. III. 3. d) dd), ee). Kapitel 2 C. III. 3. d) ee) (2) (b). Kapitel 3 E. I. 1. Kapitel 2 C. V.

268 Kap. 5: Zusammenfassung der Ergebnisse und Empfehlung an Aufsichtsräte

Vermögensrechtsgüter.21 Die Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Vermögens beschränkt sich allerdings auf unmittelbar schadende Straftaten.22 Aufsichtsräte sind weder Beschützergaranten der Aktionäre23, der Gläubiger24 oder Dritter/der Allgemeinheit.25 Aufsichtsräte sind auch keine Überwachergaranten des Vorstands.26 Es fehlt an einer notwendigen Herrschaftsposition des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand.27

C. Aufsichtsratsstrafbarkeit nach der allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit Eine Strafbarkeit des Aufsichtsrats nach der allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit gem. Kapitel 3 kommt nur bei Straftaten der Kategorie C (unmittelbar gesellschaftsschädigende Straftaten) in Betracht.28 Die privaten Straftaten der Kategorie A können nicht zu einer Schädigung der Gesellschaft führen.29 Auch die (bloß) mittelbar schadenden Straftaten der Kategorie B hat der Aufsichtsrat im Rahmen der allgemeinen Unterlassensstrafbarkeit nicht zu verhindern, da das „Rechtliche-Einstehen-Müssen“ des § 13 Abs. 1 StGB restriktiv auszulegen ist und somit nur unmittelbar schadende Straftaten von der Beschützergarantenstellung erfasst werden.30 Nur unmittelbar gesellschaftsschädigende Straftaten hat der Aufsichtsrat über die Beschützergarantenstellung zu verhindern.31 Auch hier hat der Aufsichtsrat als taugliche Verhinderungsmittel grundsätzlich den Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 AktG für rechtliche Handlungen des Vorstands mit gesellschaftsinterner Wirkung und in anderen Fällen eine Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 3 AktG zur Hand.32 Eine Pflicht zur Strafanzeige existiert auch hier nicht. Die Beteiligungsform hängt von der anzuwenden Theorie zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Unterlassensbereich ab. Folgt man der vorzugswürdigen Pflichtdeliktstheorie 33, ist er in der Regel als Täter zu bestrafen. Nach 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33

Kapitel 3 D. II. 1., 2. Kapitel 3 D. II. 1., 2. Kapitel 3 E. III. Kapitel 3 D. II. 3. Kapitel 3 D. II. 5. Kapitel 3 D. II. 6. Kapitel 3 C. IV. Kapitel 3 C. IV. Kapitel 3 E. IV. Kapitel 3 E. II. Kapitel 3 E. III. Kapitel 3 E. IV. Kapitel 2 C. II. 3. b) bb) (3), (6). Kapitel 3 A. II. 2. a).

D. Verhältnis der beiden Anknüpfungsalternativen zueinander

269

der Rechtsprechung kommt es auf das Verhalten im Einzelfall an.34 Er kann dann Täter oder Gehilfe sein. Der Aufsichtsrat kann allerdings nicht mittelbarer Täter durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft sein.35 Zu verhindern hat der Aufsichtsrat also Vorstandsstraftaten zu Lasten der Gesellschaft.36 Im Rahmen der Nichtvermögensrechtsgüter sind dies: Verletzungen des Geheimnisbereichs der Aktiengesellschaft (Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gem. § 17 UWG und Verletzung der Geheimhaltungspflicht gem. § 404 AktG), unrichtige Darstellung gem. § 400 AktG, falsche Ausstellung von Berechtigungsnachweisen gem. § 402 AktG, bestimmte Eigentumsdelikte (Diebstahl gem. §§ 242 ff. StGB, Unterschlagung gem. § 246 StGB, Sachbeschädigung gem. § 303 StGB und Brandstiftung gem. § 306 StGB). Im Rahmen des Gesellschaftsvermögens sind dies: Betrug gem. § 263 StGB, Computerbetrug gem. § 263a StGB und Untreue gem. § 266 StGB.

D. Verhältnis der beiden Anknüpfungsalternativen zueinander In den meisten Fällen liegt entweder eine Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats nach Kapitel 2 oder eine allgemeine Unterlassensstrafbarkeit nach Kapitel 3 vor.37 Hier stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der beiden Anknüpfungspunkte der Aufsichtsratsstrafbarkeit nicht. Verletzt die zugrundeliegende Vorstandsstraftat aber das Gesellschaftsvermögen oder das Gesellschaftseigentum, so kann es bei einigen Delikten zu einem parallelen Vorliegen von Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats nach Kapitel 2 und allgemeiner Unterlassensstrafbarkeit nach Kapitel 3 kommen.38 Tateinheit gem. § 52 Abs. 1 StGB ist bei Diebstahl (§ 242 StGB), Betrug (§ 263 StGB), Computerbetrug (§ 263a StGB), Sachbeschädigung (§ 303 StGB) und Brandstiftung (§ 306 StGB) gegeben. Demgegenüber liegt bei Unterschlagung (§ 246 StGB) und Untreue (§ 266 StGB) Gesetzeseinheit vor und die Aufsichtsratsstrafbarkeit wegen Untreue gem. Kapitel 2 verdrängt die allgemeine Unterlassensstrafbarkeit des Aufsichtsrats gem. Kapitel 3.

34 35 36 37 38

Kapitel 3 A. II. 2. e). Kapitel 3 B. III. Kapitel 3 E. IV. Kapitel 4 B. Kapitel 4 C.

270 Kap. 5: Zusammenfassung der Ergebnisse und Empfehlung an Aufsichtsräte

E. Beteiligungsform des Aufsichtsrats Im Fall der Untreue nach Kapitel 2 ist das Aufsichtsratsmitglied stets als Täter zu bestrafen.39 Demgegenüber hängt die Beteiligungsform im Fall der allgemeinen Unterlassungsstrafbarkeit nach Kapitel 3 einerseits von der anzuwendenden Theorie,40 andererseits von der Beteiligungsform des Vorstands ab.41 Der Aufsichtsrat kann danach Täter oder Gehilfe der Vorstandsstraftat sein.42

F. Empfehlung an Aufsichtsräte Für die Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft besteht ein Strafbarkeitsrisiko, sofern sich eine bevorstehende oder andauernde Vorstandsstraftat unmittelbar gegen die AG richtet und sie trotz Kenntnis nicht beabsichtigen einzugreifen. Hierbei ist zu beachten, dass im Strafrecht, anders als im Zivilrecht, keine Versicherungsmöglichkeit gegen Fehlverhalten existiert. Weder einer Geldstrafe und erst recht keiner Freiheitsstrafe kann das Aufsichtsratsmitglied durch eine D&O Versicherung entgehen. Um straflos zu bleiben besteht als Ergebnis dieser Arbeit eine klare Handlungsmaxime zur Verhinderung der Vorstandsstraftat. Im Einzelnen bedeutet dies: Die Herbeiführung einer Aufsichtsratssitzung, die Weitergabe beurteilungsrelevanter Informationen an die anderen Mitglieder und letztendlich die Herbeiführung der Abstimmung und Stimmabgabe für die Durchführung der verhindernden Maßnahme.43 Die im Einzelfall gebotene Maßnahme hängt dabei von der zugrundeliegenden Straftat ab.44 Dies sind die Voraussetzungen, unter denen Aufsichtsratsmitglieder ihrer strafbewehrten Verantwortung zur Verhinderung der Vorstandsstraftat gerecht werden.

39 40 41 42 43 44

Kapitel 2 C. V. Kapitel 3 A. II. 2. Kapitel 3 E. I. 2. b). Kapitel 3 E. I. 2. b) bzw. IV. Kapitel 2 IV. Kapitel 3 E. IV.

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Stichwortverzeichnis Abberufung 101 AUB-Beschluss 124 Aufsichtsrat – Beschützergarant 205 – faktische Geschäftsführung 203 – Leitungsaufgabe 71 – mittelbarer Täter durch Unterlassen kraft Organisationsherrschaft 171 – Pflicht zur Verhinderung von Angestellten 133 – Überwachergarant 198 – Überwachungsaufgabe 71, 72 – Verhältnis zu Vorstand 200 – Vermögensbetreuungspflicht 65 Bagatellstraftaten 95 Beschützergarant – Aktionäre 75, 210 – Allgemeinheit 212 – Dritte 78 – Gesellschaft 77, 209 – Gläubiger 77, 211 – Mitarbeiter 211 – mittelbar schadende Straftaten 220 – Private Straftaten 219 – unmittelbar schadende Straftaten 227 – Vermögen 73, 207 – Voraussetzungen 206 Betriebsbezogenheit 86, 193 Business Judgement Rule 122 Einverständnis 134 Garantenstellung, Dogmatische Grundlage 159 Interorganklagen 113

Pflicht zur Strafanzeige 115 Pflichtwidrige Handlung, Gravierende Pflichtverletzung 128 Suspendierung 104 Überwachergarant 178 – Geschäftsherrenhaftung 180 – Untreue 78 – Voraussetzungen 179 Untreue – des Aufsichtsrats durch Nichtverhinderung von Vorstandsstraftaten 42, 56, 266 – Missbrauchsvariante 63 – Pflichtwidrige Handlung 79 – Treubruchsvariante 65 Vermögensnachteil 135 – Mittelbar schadende Straftaten 138 – Private Straftaten 138 – Unmittelbar schadende Straftaten 152 Vorstandsstraftaten – Abwendungsmöglichkeiten 97 – Betrug 237 – Computerbetrug 240 – Eigentumsschützende Delikte 233 – Erpressung 237 – Falsche Ausstellung von Berechtigungsscheinen 232 – Geheimnisverrat 228 – Geschäftsführungsbezogenheit 86 – Kategorisierung von 35 – Pflicht zur Abwendung von 81, 82 – Private Straftaten 90 – Schutz der Ehre 235

Stichwortverzeichnis – Schwerwiegend Straftaten 93 – Unrichtige Darstellung 230 – Untreue 241

– Sonderweisungsrecht bei Straftaten 106

Weisungsrecht 106 – Sonderweisungsrecht 199

Zustimmungsvorbehalt 110, 199

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– Ad-hoc Zustimmungsvorbehalt 111