Strafrechtliche Haftungsrisiken von Mitgliedern des Aufsichtsrats in Aktiengesellschaften bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands [1 ed.] 9783428553174, 9783428153176

Neben einer Einordnung des Begriffs Compliance stellt die Untersuchung mögliche Compliance-Pflichtverletzungen des Vorst

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Strafrechtliche Haftungsrisiken von Mitgliedern des Aufsichtsrats in Aktiengesellschaften bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands [1 ed.]
 9783428553174, 9783428153176

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Schriften zum Strafrecht Band 321

Strafrechtliche Haftungsrisiken von Mitgliedern des Aufsichtsrats in Aktiengesellschaften bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands

Von

Tobias Dössinger

Duncker & Humblot · Berlin

TOBIAS DÖSSINGER

Strafrechtliche Haftungsrisiken von Mitgliedern des Aufsichtsrats in Aktiengesellschaften bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands

Schriften zum Strafrecht Band 321

Strafrechtliche Haftungsrisiken von Mitgliedern des Aufsichtsrats in Aktiengesellschaften bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands

Von

Tobias Dössinger

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Augsburg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15317-6 (Print) ISBN 978-3-428-55317-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-85317-5 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für meine Mutter, meinen Vater und meinen Bruder

„Die Ziele der Menschen sind vielfältig, nicht alle miteinander vereinbar und stehen in ständiger Rivalität zueinander“. Isaiah Berlin

Vorwort Die Arbeit lag im Sommersemester 2017 der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg als Dissertation vor. Sie berücksichtigt die Rechtsprechung und Literatur bis April 2017. Zuallererst möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Johannes Kaspar, danken. Er hat mich zu diesem Thema nicht nur ermuntert, sondern auch durch viele Gespräche während meiner gesamten Promotionszeit stets vorbildlich unterstützt und begleitet. Auch danke ich Herrn Professor Dr. Michael Kort für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Ebenso möchte ich Herrn Rechtsanwalt Thilo Pfordte, LL.M., Herrn Rechtsanwalt Dr. Jens Bosbach, Herrn Rechtsanwalt Stefan von Moers und Herrn Rechtsanwalt Dr. Christian Sering vom Münchner Standort der Kanzlei Brehm & v. Moers dafür danken, dass ich das Promotionsvorhaben neben meiner Tätigkeit als Rechtsanwalt und Strafverteidiger im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts realisieren konnte. Ganz besonders gilt mein Dank Herrn Rechtsanwalt Thilo Pfordte, LL.M., der mich während der Referendarausbildung bis zum Abschluss meiner Doktorarbeit in vielfältiger Weise menschlich und fachlich sehr unterstützt und gefördert hat. Ich danke auch ganz besonders der Hanns-Seidel-Stiftung e. V., die mich bereits in der Zeit meines rechtswissenschaftlichen Studiums an der Universität Tübingen als Stipendiat unterstützt hat. Die vorliegende Arbeit wurde darüber hinaus in den Jahren 2014 und 2015 im Rahmen eines Promotionsstipendiums durch die Hanns-Seidel-Stiftung gefördert. Schließlich danke ich meinen Eltern, Julia und Ludwig Dössinger, sowie meinem Bruder, Bernd Dössinger, die nicht nur stets an das Gelingen der Arbeit geglaubt, sondern mich in der Zeit der Promotion vor allem auch mit jahrelanger Nachsicht uneingeschränkt und liebevoll unterstützt haben. Ohne deren Unterstützung wäre das Promotionsvorhaben in dieser Form für mich nicht zu realisieren gewesen. München, im Januar 2018

Tobias Dössinger

Inhaltsübersicht Teil 1 Einführung 

25

A. Problemstellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 C. Untersuchungsgegenstand und Gang der Arbeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Teil 2

Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit 

31

A. Stellung des Aufsichtsrats im Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der Aktiengesellschaft . . 45 C. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Teil 3

Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG 

126

A. Corporate Governance, Risikomanagement und Compliance in der AG  . . . . . 126 B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 D. Resümee, Fazit und Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Teil 4

Einfluss und Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht insbesondere im Bereich der Untreue 

298

A. Problemstellung und Entwicklung des Verhältnisses von Zivil- und Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 B. Die Strafrechtsordnung als sekundärer Teil der Gesamtrechtsordnung  . . . . . 300

10 Inhaltsübersicht

C. Akzessorietät versus Autonomie der strafrechtlichen Begriffsbildung  . . . . . . 306 D. Ergebnis und Auswirkungen der Asymmetrie für die weitere Unter­suchung . 318 Teil 5

Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands 

326

A. Strafrechtliche Haftungsrisiken bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 B. Zusammenfassung strafrechtliche Haftungsrisiken des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Teil 6

Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung seiner C ­ ompliance-Verantwortung 

479

A. Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung seiner Compliance-Verantwortung und Reduktion seiner strafrechtlichen Haftungsrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 B. Ergebnis bezüglich präventiver Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats . . 501 Teil 7

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse und Reformüberlegungen 

503

A. Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . 503 B. Abschließende Betrachtung und Reformüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561

Inhaltsverzeichnis Teil 1 Einführung 

25

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 C. Untersuchungsgegenstand und Gang der Arbeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Teil 2

Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit 

A. Stellung des Aufsichtsrats im Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Existenz des Aufsichtsrats in der Kapitalgesellschaft als Folge der Drittorganschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Stellung des Aufsichtsrats als Pflichtorgan in der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Überblick über die Stellung des Aufsichtsrats in anderen Kapital­ gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stellung des Aufsichtsrats als Organ der Kommanditgesellschaft auf Aktien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellung des Aufsichtsrats als Organ in der eingetragenen ­Genossenschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellung des Aufsichtsrats in der GmbH  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Pflichtaufsichtsrat in einer mitbestimmten GmbH . . . . . . . . . b) Der fakultativ eingerichtete Aufsichtsrat in einer GmbH . . . . . . . 4. Stellung des Aufsichtsrats in der Europäischen Gesellschaft  . . . . . . IV. Fazit und Bedeutung für die weitere Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats in einer Aktiengesellschaft . . 1. Überwachung der Geschäftsführung nach § 111 Abs. 1 AktG . . . . . . a) Gegenstand der Überwachung gemäß § 111 Abs. 1 AktG  . . . . . . b) Konkrete Ausformung des Überwachungsauftrags gemäß § 111 Abs. 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausformung des Überwachungsauftrags in zeitlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 31 31 32 34 34 36 39 39 41 42 44 45 46 47 49 51 51

12 Inhaltsverzeichnis

bb) Einschränkung der Überwachung in personeller Hinsicht  . . 53 (1) Vorstandstätigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (2) Hauptversammlungsbeschlüsse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (3) Leitende Angestellte der zweiten Hierarchieebene . . . . . 54 (a) Erstreckung des Überwachungsauftrags auf ­leitende Angestellte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (b) Fazit: Recht zur Überwachung von leitenden Angestellten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (c) Zugriffsmöglichkeiten auf leitende Angestellte de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (d) Sicherstellung des unmittelbaren Zugriffs auf leitende Angestellte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (4) Zwischenergebnis bezüglich der Ausformung in ­personeller Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 cc) Ausformung des Überwachungsauftrags in inhaltlicher Hinsicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (1) Konkretisierung der Überwachungspflicht durch § 90 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (a) Berichtspflichten nach § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4, S. 3 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (b) Initiativrechte des Aufsichtsrats nach § 90 Abs. 3 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (c) Externe Informationsquellen des Aufsichtsrats . . . . 72 (2) Intensität der Überwachung in Abhängigkeit von der Lage der AG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (3) Einfluss der Unternehmensgröße und Branche auf den Überwachungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 dd) Maßstäbe der geschuldeten Überwachung  . . . . . . . . . . . . . . 75 (1) Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung (Legalitäts­ kontrolle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (2) Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung . . . . . . . . . . . 79 (3) Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . 80 (4) Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . 82 ee) Zwischenergebnis bezüglich Inhalt und Umfang der Überwachungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 c) Beurteilungs- und Ermessensspielräume des Vorstands als Grenze der Überwachung durch den Aufsichtsrat  . . . . . . . . . . . . 85 aa) Handeln aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung . . 85 bb) Beurteilungsspielraum bei Ermittlung der angemessenen Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 cc) Ermessensspielraum des Vorstands bei Handeln zum Wohl der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (1) Konkretisierung durch die ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Inhaltsverzeichnis13

(2) Bedeutung der Rechtsprechung für das Ermessen des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (3) Ermessensleitende Gesichtspunkte und Grenzen des Ermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 dd) Schlussfolgerungen für die vom Aufsichtsrat geschuldete Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 d) Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Aufsichtsrats bei dessen Entscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 aa) Bei Überwachungsentscheidungen des Aufsichtsrats . . . . . . 95 (1) Kein Entschließungsermessen bei Überwachungs­ entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (2) Auswahlermessen bei Wahl der Mittel . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Bei unternehmerischen Entscheidungen des Aufsichtsrats . . 97 e) Zwischenergebnis bezüglich zivilrechtlicher Handlungs- und Ermessenspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Instrumente des Aufsichtsrats zur Erfüllung des Überwachungs­ auftrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Informationsrechte gemäß § 90 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Beratung des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 c) Beanstandung, Stellungnahme, Meinungs- und Bedenken­ äußerung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 d) Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern gemäß § 84 AktG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Bestellung gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 AktG  . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb) Widerruf der Bestellung gemäß § 84 Abs. 3 S. 1 AktG . . . . 105 e) Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand durch den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 f) Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 g) Recht auf Einsichtnahme und Prüfung gemäß § 111 Abs. 2 AktG . 109 h) Bestimmung von Zustimmungsvorbehalten gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 aa) Ausgangspunkt: Keine Übertragung von Geschäfts­ führungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Relativierung des Geschäftsführungsverbots durch § 111 Abs. 4 S. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (1) Pflicht zur Bestimmung von Zustimmungsvorbehalten für bestimmte Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (2) Ermessen bei Entscheidung über die Erteilung der Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 cc) Ermessensreduktion im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 dd) Praxisrelevante zustimmungsbedürftige Geschäftsvorfälle . . 116 i) Einberufung der Hauptversammlung nach § 111 Abs. 3 AktG . . . 116 j) Einwirkungsmöglichkeiten bei Feststellung des Jahres­ abschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

14 Inhaltsverzeichnis

II.

k) Leistungs- oder Unterlassungsklage zur Erzwingung pflichtgemäßen Verhaltens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l) Bildung von Ausschüssen zur Wahrnehmung von Kontrollaufgaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis bezüglich der Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis bezüglich des Überwachungsauftrags des Aufsichtsrats in der AG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120 121 122 123

C. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Teil 3

Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG 

126

A. Corporate Governance, Risikomanagement und Compliance in der AG  . 126 I. Begriff und Bedeutung der Corporate Governance in der AG  . . . . . . . 127 II. Risikomanagement in der AG im Rahmen der Corporate Governance . 128 1. Implementierung eines internen Überwachungssystems . . . . . . . . . . 129 2. Schaffung eines effektiven Frühwarnsystems durch den Vorstand . . 129 III. Corporate Compliance als Instrument zur Sicherstellung der Norm­ befolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 IV. Verhältnis Corporate Governance, Corporate Compliance und Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I. Gegenwärtiger Diskussionsstand in der Rechtswissenschaft  . . . . . . . . . 135 II. Gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Einführung eines ComplianceSystems in der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Begründung im Wege einer Gesamtanalogie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 a) Compliance-Pflichten nach dem Kreditwesengesetz . . . . . . . . . . . 138 b) Compliance-Pflichten nach dem Wertpapierhandelsgesetz . . . . . . 139 c) Sonstige spezialgesetzliche Vorschriften mit Compliance-Bezug . 140 d) Ergebnis und Stellungnahme zum Ansatz von U. H. Schneider  . 140 2. Pflicht des Vorstands zur Compliance aus §§ 130, 9, 30 OWiG . . . . 142 3. Pflicht des Vorstands zur Compliance aus § 91 Abs. 2 AktG . . . . . . 142 4. Pflicht des Vorstands zur Compliance aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Pflicht des Vorstands zur Leitung der Aktiengesellschaft . . . . . . . 147 aa) Legalitätspflicht des Vorstands als Ausfluss der Leitungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 bb) Organisationspflicht des Vorstands als Ausfluss der Leitungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (1) Anerkennung Organisationspflicht durch Deutschen Corporate Governance Kodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

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(2) Konkretisierung der Organisationspflicht durch § 91 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (3) Konkretisierung der Organisationspflicht durch die Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (a) Sachverhalt des „Siemens / Neubürger-Urteils“ . . . . 158 (b) Konkretisierung der Compliance-Pflicht des ­Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (4) Kategorisierung der Legalitäts- und Organisationspflichten des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (a) Handlungs-, Informations- und Organisationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (b) Pflichtenspektrum bei Verdachtsmomenten und Verstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (c) Begleitende Prüfungs- und Nachbesserungspflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (5) Folgen einer Verletzung der Legalitäts- und Organisa­ tionspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 cc) Zwischenergebnis zum Inhalt gesellschaftsrechtlicher Compliance-Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Relative Wirkung bei Verletzung der Legalitäts- und Organisa­ tionspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5. Schlussfolgerung bezüglich der gesellschaftsrechtlichen Compliance-Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 III. Im Außenverhältnis wirkende (Criminal-)Compliance-Pflichten des Vorstands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. „Criminal Compliance“ als Untergrenze der Aufsichts- und ­Kontrollpflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Zielrichtung von Criminal Compliance  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Adressaten von Criminal Compliance  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Rechtsgrundlage und Pflichtenrahmen einer Criminal ComplianceOrganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) §§ 130, 9, 30 OWiG als Grundlage der strafrechtlich gebotenen Compliance  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 aa) Regelungsgehalt und Bedeutung der §§ 130, 9, 30 OWiG für den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 bb) Gesetzlicher Pflichtenrahmen der §§ 130, 9, 30 OWiG und Sanktionsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 cc) Konkretisierung des Pflichtenrahmens durch Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (1) Pflicht zur Aufklärung und Untersuchung von Verstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (2) Pflicht zur Abstellung von Verstößen . . . . . . . . . . . . . . . 181 (3) Pflicht zur Sanktionierung von Verstößen . . . . . . . . . . . . 182

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dd) Zwischenergebnis und Verhältnis interne und externe Compliance-Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) § 831 BGB als im Außenverhältnis wirkende Pflichtenquelle . . . 188 c) Betriebliche Organisationspflicht als im Außenverhältnis wirkende Pflichtenquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Inhalt und Grenzen der deliktischen Unternehmenshaftung . 191 bb) „Non Compliance“ als betriebliche Gefahrenquelle? . . . . . . 193 d) Zwischenergebnis bezüglich deliktischer Unternehmenshaftung . 196 3. Ergebnis bezüglich externer Criminal Compliance-Pflicht des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 IV. Organisatorische Maßnahmen des Vorstands zur Durchführung der Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Erlass von internen Richtlinien und Verhaltenskodizes  . . . . . . . . . . 200 2. Schaffung klarer Zuständigkeiten innerhalb des Vorstands   . . . . . . . 202 3. Steuerung von Personalrisiken durch klare Zuständigkeiten auf personaler Ebene  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 4. Schaffung einer Compliance-Abteilung bei entsprechendem Risikoprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 V. Ergebnis bezüglich Compliance-Pflichten des Vorstands . . . . . . . . . . . . 207 C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 I. Zuständigkeit in der AG für die Überwachung der Einhaltung von Compliance  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Compliancebezogene Überwachungspflichten gegenüber dem Vorstand der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Pflicht zur Überwachung der Einführung eines geeigneten Compliance-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Überwachung der Compliance-Aktivitäten im normalen ­Geschäftsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Gesteigerte Überwachung bei erheblichen Compliance-Verstößen und Vorbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 aa) Besondere Überwachungspflichten des Aufsichtsrats bei erhöhter Risikolage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 bb) Pflicht zur Überwachung des konkreten Einzelsachverhalts . 214 cc) Umfang und Grenzen der Kontrolle von Aufklärungsmaßnahmen des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 c) Divergenzen in der Compliance-Überwachung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 d) Konsequenzen bei mangelhafter Überwachung  . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Pflicht zur Überwachung des Vorstands bezüglich dessen Compliance-Konformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 III. Handlungspflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Vertößen des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

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1. Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung bei Verdacht auf ComplianceVerstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Ausgangslage und Systematik der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Entscheidungen des Aufsichtsrats im Erkenntnisbereich  . . . 224 bb) Entscheidungen des Aufsichtsrats im Handlungsbereich  . . . 224 cc) Regel-Ausnahme-Verhältnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Compliance-relevante Schlussfolgerungen aus der ARAGRechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 aa) Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung bei Straftatbegehung des Vorstands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 bb) Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung bei Mängeln im Compliance-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 c) Kompetenzüberschneidungen bei Aufklärung von CompliancePflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 d) Handlungspflichten des Aufsichtsrats im Bereich der Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 aa) Kooperation mit dem Vorstand bei der Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 bb) Intensivierung der Überwachung bei Verdacht auf „Betroffenheit“ des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 cc) Pflicht zur Durchführung von „Internal Investigations“ und § 111 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 dd) Direkter Zugriff auf Unternehmensmitarbeiter  . . . . . . . . . . . 237 ee) Erstattung Strafanzeige durch den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . 239 ff) Beantragung von Akteneinsicht bei Parallelermittlungen der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Pflicht zur Reaktion gegenüber dem Vorstand bei Verdacht auf Compliance-Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 a) Pflicht zur bedingungslosen Geltendmachung von Schaden­ ersatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 aa) Ermessen des Aufsichtsrats bei der Anspruchsverfolgung  . . 245 (1) Keine schematische Einordnung der Kompetenz zur Anspruchsverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (2) Unternehmensbezogenheit der Entscheidung über die Anspruchsverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 bb) Konkrete Pflichten des Aufsichtsrats bei der Prüfung von Schadenersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (1) Sachverhaltsermittlung, Anspruchsgrundlage und Prozessrisikoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (2) Prüfung der Beitreibbarkeit der Schadensersatzforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (3) Feststellung der abwägungsrelevanten Umstände durch den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

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(a) Für eine Regelverfolgung von Non-Compliance sprechende Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (b) Gegen eine Regelverfolgung von Non-Compliance sprechende Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (4) Bewertung und Abwägung mit Blick auf das Unternehmensinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (a) Rechtliche Wertung des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG . . . . 257 (b) Reputationsschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (c) Kosten der Sachverhaltsaufklärung und Anspruchsverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (d) Risiko der Inanspruchnahme durch Dritte . . . . . . . . 262 (e) Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (aa) Reichweite der Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . 264 (bb) Durchsetzung und Wertung des § 396 Abs. 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (cc) Beschränkung der Verfolgungspflicht  . . . . . . . 267 (f) Schlussfolgerung: Verfolgungspflicht bei erheblicher Legalitätspflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (5) Zwischenergebnis bezüglich Legalitätspflicht . . . . . . . . . 271 cc) Ergebnis bezüglich Verfolgungspflicht bei ComplianceVerstößen des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 b) Pflicht zur Einleitung von Personalmaßnahmen gegenüber dem Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 aa) Vorliegen eines wichtigen Grundes bei Compliance-Verstoß des Vorstands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 bb) Handlungspflicht des Aufsichtsrats bei Compliance-Verstoß des Vorstands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 c) Pflicht zur Stellung von Strafanzeigen gegenüber dem Vorstand . 278 3. Schlussfolgerung bezüglich Handlungspflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . 280 IV. Handlungspflichten des Aufsichtsrats gegenüber Unternehmensmitarbeitern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 V. Sorgfaltspflichten des Aufsichtsrats in eigenen Angelegenheiten . . . . . . 284 1. Pflicht zur Sicherstellung der Ordnungsmäßigkeit der Aufsichtsratsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 2. Pflicht zur Überwachung der Ordnungsmäßigkeit der Aufsichtsratsarbeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 3. Fazit bezüglich der Sorgfaltspflichten in eigenen Angelegenheiten . 288 VI. Einfluss der Qualifikation des Aufsichtsrats auf den Sorgfaltsmaßstab . 288 D. Resümee, Fazit und Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . 291 I. Compliance als spezifischer Teil der Legalitäts- und Organisationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 II. Compliance-Pflichten des Vorstands de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292

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1. Pflicht zur Einführung eines geeigneten Compliance-Systems in der AG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2. Pflicht zur regelmäßigen Kontrolle des eingeführten Systems . . . . . 293 3. Pflicht zur regelmäßigen Berichterstattung an den Aufsichtsrat . . . . 293 III. Compliancebezogene Pflichten des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Pflicht zur Überwachung der Einführung eines tauglichen Compliance-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 2. Pflicht zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Fehlverhalten des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 IV. Sorgfaltspflichten des Aufsichtsrats in eigenen Angelegenheiten . . . . . . 296 Teil 4

Einfluss und Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht insbesondere im Bereich der Untreue 

298

A. Problemstellung und Entwicklung des Verhältnisses von Zivil- und Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 B. Die Strafrechtsordnung als sekundärer Teil der Gesamtrechtsordnung  . 300 C. Akzessorietät versus Autonomie der strafrechtlichen Begriffsbildung  . . 306 I. Einflussmöglichkeiten des Primärrechts auf das sekundäre Strafrecht  . 307 1. Primärrechtliche Rechtmäßigkeit als Untergrenze strafbaren ­Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 2. Kein strenges Akzessorietätsverhältnis des Primärrechts zum Sekundärrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 3. Asymmetrisches Akzessorietätsverhältnis des Primärrechts zum Sekundärrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 II. Strafrechtsautonome Auslegung des Untreuetatbestandes nach ­Schünemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 D. Ergebnis und Auswirkungen der Asymmetrie für die weitere ­Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Teil 5

Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands 

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A. Strafrechtliche Haftungsrisiken bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 I. Risiko der Aufsichtsratsuntreue bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 II. Nichtüberwachung der Einführung eines tauglichen ComplianceSystems durch den dafür zuständigen Vorstand als Anknüpfungspunkt für eine Untreuestrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

20 Inhaltsverzeichnis

1. Voraussetzungen für eine Untreuestrafbarkeit in objektiver Hinsicht . 329 a) Missbrauchs- oder Treubruchuntreue bei Nichtüberwachung . . . . 330 b) Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsrats im Bereich der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 c) Vermögensbetreuungspflichtverletzung des Aufsichtsrats durch Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 aa) Qualitative Anforderungen an das Pflichtverletzungsmerkmal auf Grundlage eines asymmetrischen Akzessorietätsverhältnisses  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 (1) Restriktion des Pflichtverletzungsmerkmals in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 (2) Restriktion des Pflichtverletzungsmerkmals in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 (3) Stellungnahme und Einordnung des Pflichtverletzungsmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 (a) Dogmatische Einordung des gravierenden Pflichtverletzungsmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 (b) Stellungnahme zum Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 bb) Schlussfolgerung für den Aufsichtsrat bei Überwachung des Compliance-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 (1) Pflichtverletzung bei gänzlicher Nichtüberwachung . . . . 355 (2) Pflichtverletzung bei evident unvertretbarer Über­ wachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 d) Strafrechtliche Handlungspflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats bei Nichteinführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 aa) Anwendbarkeit des § 13 Abs. 1 StGB im Rahmen des Untreuetatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 bb) Bedeutung der Anwendbarkeit des § 13 StGB im Rahmen des § 266 StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 cc) Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Vermögens der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 dd) Keine Beschützergarantenstellung zu Gunsten von Gläubigern und Aktionären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 ff) Inhalt der Garantenpflicht im Bereich der ComplianceÜberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 (1) Ausgangspunkt: Rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 (2) Reichweite im Bereich der Überwachung eines Compliance-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

Inhaltsverzeichnis21

gg) Ergebnis und Schlussfolgerung für den Aufsichtsrat  . . . . . . 385 e) Verursachung eines Vermögensnachteils infolge der Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 aa) Keine reale Vermögenseinbuße durch Nichtüberwachung  . . 387 bb) Schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung . . . . . . . . . 391 (1) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 (2) Vermögensgefährdung bei Nichtexistenz eines Compliance-Systems? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 (a) Meinungsspektrum zur Schadensrelevanz bei Auslösung von Schadenersatzansprüchen und Sanktionen zum Nachteil der AG  . . . . . . . . . . . . . . 394 (b) Stellungnahme und Bewertung des Strafbarkeits­ risikos  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 (3) Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 f) Kausalzusammenhang zwischen Nichtüberwachung und Vermögensnachteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 aa) An den Kausalitätsnachweis zu stellende Anforderungen  . . 400 bb) Anforderungen an „quasi-kausales“ Verhalten des Aufsichtsrats  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 cc) Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 g) Ergebnis bezüglich des Strafbarkeitsrisikos in objektiver Hinsicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 2. Voraussetzungen für eine Untreuestrafbarkeit in subjektiver Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 3. Ergebnis und Bewertung des Strafbarkeitsrisikos bei Nicht­ überwachung der Einführung eines Compliance-Systems  . . . . . . . . 410 III. Strafrechtliche Haftungsrisiken der Mitglieder des Aufsichtsrats bei unmittelbaren Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands . . . . . . . . 411 1. Strafrechtstheoretische Grundlagen zur Begründung einer Garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 a) Formelle Rechtspflichttheorie versus materielle Legitimationsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 aa) Keine Legitimation durch die formelle Rechtspflichttheorie  . 413 bb) Materielle Ansätze zur Legitimation der Garantenhaftung . . 416 b) Kombination formeller und materieller Aspekte unter besonderer Berücksichtigung des Herrschaftsprinzips nach Schünemann . 424 c) Potentielle Reichweite einer Überwachungsgarantenstellung der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 2. Überwachungsgarantenstellung des Aufsichtsrats zur Verhinderung von Straftaten des Vorstands gegenüber Dritten? . . . . . . . . . . . . . . . . 433 a) Bedeutung einer Aufsichtsgarantenstellung aus Sicht des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433

22 Inhaltsverzeichnis

b) Meinungsspektrum in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . 434 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 3. Schlussfolgerung für das Strafbarkeitsrisiko des Aufsichtsrats . . . . . 443 4. Strafbarkeitsrisiken des Aufsichtsrats bei Verdacht auf strafrechtswidriges Verhalten des Vorstands gegenüber der AG . . . . . . . . . . . . . 445 a) Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 b) Insbesondere: (Mit-)täterschaftliche Untreue durch Unterlassen  . 456 aa) Einfluss durch förmlichen Aufsichtsratsbeschluss  . . . . . . . . 459 bb) Einfluss durch ad hoc Zustimmungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . 459 cc) Einfluss durch Abberufung und Kündigung . . . . . . . . . . . . . 462 dd) Einfluss durch Erstattung Strafanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 c) Bewertung des Strafbarkeitsrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 5. Strafbarkeitsrisiken des Aufsichtsrats bei Verdacht auf strafrechtswidriges Verhalten des Vorstands gegenüber Dritten  . . . . . . . . . . . . 464 a) Untreuerisiko bei unterlassener Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . 465 aa) Schadensrelevanz der unterlassenen Aufklärung . . . . . . . . . . 467 (1) Keine reale Vermögenseinbuße infolge der Nichtaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 (2) Schadensgleiche Vermögensgefährdung infolge der Nichtaufklärung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 bb) Ergebnis und Bewertung des Untreuerisikos  . . . . . . . . . . . . 471 b) Untreuerisiko bei unterlassener Abstellung des Fehlverhaltens des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 c) Untreuerisiko bei unterlassener Verfolgung von Schadenersatz . . 473 6. Ergebnis Strafbarkeitsrisiko bei Verdacht auf Straftatbegehung gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 IV. Bewertung Strafbarkeitsrisiko bei Straftatbegehung durch Vorstand . . . 475 B. Zusammenfassung strafrechtliche Haftungsrisiken des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Teil 6

Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung seiner C ­ ompliance-Verantwortung 

479

A. Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung seiner Compliance-Verantwortung und Reduktion seiner strafrechtlichen Haftungsrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 I. Rechtsgrund für präventive Organisationsmaßnahmen des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 II. Ausschussbildung zur Überwachung im Bereich der Compliance . . . . . 482

Inhaltsverzeichnis23

1. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen der Ausschuss­ bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 2. Bildung eines ständigen Compliance-Ausschusses durch den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 3. Bildung anlassbezogener Sonder- oder Untersuchungsausschüsse . . 487 III. Schaffung von Compliance-Regelungen in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 IV. Regelung der Kommunikationswege durch Schaffung einer ­„Informationsordnung“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 1. Regelung des Informationsflusses zwischen Aufsichtsrat und Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 2. Regelung des Informationsflusses zwischen Aufsichtsrat und leitenden Angestellten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 3. Regelung des Informationsflusses innerhalb des Aufsichtsrats . . . . . 495 V. Sicherstellung der Compliance durch Schaffung von Zustimmungs­ vorbehalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 VI. Mitwirkung des Aufsichtsrats beim Aufbau eines Compliance-Systems? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 VII. Implementierung eines Compliance-Beauftragten im Aufsichtsrat . . . . . 498 VIII. Erteilung eines besonderen Prüfungsauftrages an den Abschlussprüfer . 500 B. Ergebnis bezüglich präventiver Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 Teil 7

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse und Reformüberlegungen 

A. Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . I. Überwachung der leitungsbezogenen Entscheidungen des Vorstands  . . II. Compliance als Teil der Legalitäts- und Organisationspflicht . . . . . . . . III. Akzessorisch ausgestaltete Compliance-Verantwortung in der AG . . . . 1. Compliance-Pflichten des Vorstands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Compliancebezogene Pflichten des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pflicht zur Überwachung der Einführung eines tauglichen Compliance-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflicht zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Fehl­ verhalten des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Asymmetrisches Akzessorietätsverhältnis des Primärrechts zum Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Strafrechtliche Haftungsrisiken des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Potentielles Risiko der Treubruchuntreue durch Unterlassen  . . .

503 503 503 504 505 505 507 507 508 509 510 510 510

24 Inhaltsverzeichnis

b) Einschränkung des objektiven Untreuetatbestands durch das Erfordernis der „gravierenden“ bzw. „evidenten“ Pflichtverletzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 c) Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats zu Gunsten des Vermögens der AG vor Schädigungen durch den Vorstand . . . . . 512 d) Keine Überwachungsgarantenstellung des Aufsichtsrats im Sinne einer „Aufsichtsgarantenstellung“ zum Schutz Dritter vor Schädigungen durch den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 2. Spezielle Erkenntnisse bei Compliance-Pflichtverletzungen durch den Vorstand  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 a) Kein Strafbarkeitsrisiko des Aufsichtsrats bei Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den dafür zuständigen Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 b) Strafbarkeitsrisiko des Aufsichtsrats bei unmittelbar strafrechtswidrigem Verhalten des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 aa) Straftatbegehung des Vorstands unmittelbar zum Nachteil der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 bb) Straftatbegehung des Vorstands zum Nachteil von externen Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 VI. Erhöhung der Überwachungseffizienz und Absenkung des Strafbarkeitsrisikos durch frühzeitige Einleitung von „präventiv-begleitenden“ Maßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 B. Abschließende Betrachtung und Reformüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . 517 I. Kein Bedarf zur Regelung einer inhaltlich bestimmten CompliancePflicht für die sektorunabhängige Aktiengesellschaft im Aktiengesetz . 518 II. Reformüberlegungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561

Teil 1

Einführung A. Problemstellung Das Thema Strafbarkeit von Aufsichtsräten wurde im Zusammenhang mit der sogenannten „Mannesmann-Entscheidung“ aus dem Jahr 2005 erstmals in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.1 Seit diesem Urteil ist eine zunehmende Bereitschaft der Ermittlungsbehörden zu beobachten, auch gegen Aufsichtsräte Ermittlungs- und Strafverfahren einzuleiten. Im Jahr 2013 betrieb die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren gegen den gesamten Aufsichtsrat der Porsche SE wegen des Verdachts der Beihilfe zur Marktmanipulation im Zusammenhang mit der geplanten Übernahme der VW AG.2 Die Staatsanwaltschaft München ermittelt derzeit gegen verantwortlich Handelnde der Hypo- und Vereinsbank AG wegen sogenannter Cum-ex-Trades-Geschäfte, weshalb der Aufsichtsrat nicht nur bereits eine, dem Vernehmen nach 50 Millionen Euro teure, interne Untersuchung zur Aufklärung der Vorwürfe hat durchführen lassen, sondern zudem ein Vorgehen gegen ehemalige Vorstandsmitglieder prüft.3 Auch das OLG Braunschweig hatte sich mit der Strafbarkeit von Aufsichtsräten auseinanderzusetzen und unter anderem die Frage zu beantworten, ob sich der Aufsichtsrat strafbar mache, wenn er Kenntnis von rechtswidrigen Handlungen innerhalb der AG erlangt und hiergegen im Rahmen seiner Handlungsmöglichkeiten nicht einschreitet.4

1  BGHSt

50, 331 ff. http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/staatsanwaltschaft-ermittelt-ge gen-porsche-aufsichtsraete-a-882644.html); http://juve.de/nachrichten/verfahren/2014/ 09/gescheiterte-vw-uebernahme-porsche-aufsichtsraete-wappnen-sich-mit-strafrecht lern. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.08.2014 Nr. 198, S. 22. Das Verfahren wurde im Jahr 2015 dann letztlich gegen sämtliche Aufsichtsräte eingestellt. Vgl. http://sueddeutsche.de/wirtschaft/ermittlungen/-wegen-marktmanipulation-pich-mussdoch-nicht-vor-gericht-1.2607858. 3  SZ vom 08.06.2015 abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/cumex-deals-dubiose-geschäfte-teure-folgen1.2509369. 4  OLG Braunschweig, Beschl. vom 14.06.2012  – Ws 44/12, Ws45/12 = BeckRS 2012, 15237; CCZ 2013, 123 ff. mit Anm. Kruchen. 2 

26

Teil 1: Einführung

Im Jahr 2015 hatte auch der BGH im Rahmen der strafrechtlichen Aufarbeitung der Nürburgring-Sanierung über die Strafbarkeit des Aufsichtsrats einer GmbH wegen Untreue zu befinden.5 Schließlich bleibt abzuwarten, ob im Zuge des „VW-Abgasskandals“ strafrechtliche Ermittlungen gegen Organmitglieder der VW-AG eingeleitet werden.6 Bereits die angeführten Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigen, dass die Aufsichtsratstätigkeit in der Strafrechtswirklichkeit angekommen ist und es sich bei der Thematik Strafbarkeit von Aufsichtsräten auch Jahre nach dem Mannesmann-Urteil nach wie vor um eine aktuelle Fragestellung handelt. Dies gilt erst recht mit Blick auf die stärker an Bedeutung gewinnende Compliance-Diskussion, deren haftungsrechtliche Auswirkungen weder auf Mitarbeiter- noch Organebene dogmatisch abschließend geklärt sind. Zahlreiche Unternehmen reagieren seit der strafrechtlichen Aufarbeitung des sog. „Siemens-Schmiergeldskandals“7 auf das Phänomen der Wirtschaftskriminalität mit der Implementierung von „Business Ethics Guidelines“, „Unternehmensrichtlinien“ oder „Code of Conduct Regelwerken“8 und schaffen sowohl auf Organ- als auch Mitarbeiterebene interne Regelungen. Aufgrund dieser aktuell zu beobachtenden Entwicklungen stellt sich die vor allem in der wirtschaftsstrafrechtlichen Praxis relevante Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sich neben den unmittelbar strafbar handelnden Mitarbeitern und dem die Straftatbegehung auf Mitarbeiterebene gegebenenfalls zulassenden Leitungsorgan insbesondere auch die Mitglieder des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan strafbar machen können, wenn sie Informationen erhalten, die darauf hindeuten, dass in der AG von Seiten des Vorstands keine organisatorischen Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten auf Mitarbeiterebene unternommen wurden, sodass es zu einer Straftatbegehung durch Mitarbeiter überhaupt erst hat kommen können.9 GleichermaBeschluss vom 26.11.2015 = WM 2016, 926 ff.; Brand, NZG 2016, 690. Allgemeine Zeitung vom 22.09.2015 Nr. 220, S. 1, 15, 22. Zur „Klageflut“ im Zusammenhang mit dem sog. „Abgasskandal“ siehe JUVE Rechtsmarkt 03/16, S. 32 ff. 7  Siehe in zivilrechtlicher Hinsicht das sog. „Neubürger“-Urteil des LG München I, NZG 2014, 345 f.; Fleischer, NZG 2014, 321. In strafrechtlicher Hinsicht siehe die den „Siemens-Komplex“ ebenfalls aufarbeitende Entscheidung des BGH vom 06.09.2016, wonach die allgemeine Erwägung der Einführung eines „Compliance-Systems“ nicht nachträglich die Kenntnis von schwarzen Kassen entfallen lässt. Siehe hierzu auch Lorenz, GWR 2017, 12. 8  Zu den unterschiedlichen Begriffen siehe Grützner/Jakob, Compliance von A–Z, CoC. 9  Zur Frage der Berücksichtigung von „ineffektiven Compliance-Strukturen“ im Rahmen der Strafzumessung siehe unter Bezugnahme auf das Urteil des LG Bochum vom 14.12.2015, Az. II 13 KLs – 48 Js 4/13–16/14 jüngst auch Basener/Dilling, CCZ 2017, 70 ff. 5  BGH,

6  Frankfurter



A. Problemstellung27

ßen fraglich ist, welche „strafrechtlichen Haftungsrisiken“10 die Aufsichtsratsmitglieder konkret treffen, wenn Vorstandsmitglieder in dem Verdacht stehen, direkt in den kriminellen Sachverhalt verwickelt zu sein. Aus Gründen der Rechtssicherheit besteht ein dringendes Bedürfnis, die Aufsichtsratstätigkeit in die Compliance-Diskussion, die regelmäßig unter den Schlagworten „Corporate Governance“, „Corporate Compliance“ oder „Criminal Compliance“11 geführt wird, miteinzubeziehen und zu klären, was unter Compliance zu verstehen ist, welches Organ in der AG für das Thema Compliance zuständig ist und welche haftungsrechtlichen Implikationen mit der Begründung von Compliance-Pflichten in der AG einhergehen. Eine Diskussion der strafrechtlichen Haftungsrisiken ist aus Sicht der Mitglieder des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands schließlich auch deshalb erforderlich, weil vor dem Hintergrund der sogenannten Finanzmarktkrise und einiger aufsehenerregender Banken- und Unternehmenskrisen12 der Eindruck entsteht, dass die Rufe nach einem harten Vorgehen gegen Verantwortliche von Wirtschaftsunternehmen zunehmend lauter werden. Schünemann sah sich im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Aufarbeitung des IKB Skandals zu der Aussage veranlasst, „die Strafverfolger müssten wenigstens versuchen, in dem in sich moralisch perversen Finanzsystem individuelle Schuld festzustellen“.13 Verschärft wird ein strafrechtliches Risiko der Aufsichtsratstätigkeit dadurch, dass Aufsichtsräte in der AG komplexe Aufgaben wahrzunehmen haben. Einerseits haben sie gemäß § 111 Abs. 1 AktG die Geschäftsführung zu überwachen. Andererseits werden ihnen durch das Aktiengesetz oder die Satzung partiell Geschäftsführungsaufgaben zugewiesen. Dies hat zur Folge, dass sich deren Pflichtenprogramm in gewissem Umfang an unternehmerischen Maßstäben ausrichtet und daher dem des Vorstands zumindest angenähert sein kann. 10  Der Begriff der „Haftung“ hat verschiedene Bedeutungen. Er kann zum einen so verwendet werden, dass damit das Unterworfensein eines Rechtssubjekts unter den Vollstreckungszugriff staatlicher Gewalt beschrieben wird. Haftung wird zum anderen aber auch in der Gestalt verwendet, dass sie eine Verpflichtung zum Schadenersatz beschreibt. Siehe zu dem Begriff auch Grützner/Jakob, Compliance von A–Z, Haftung. Im vorliegenden Kontext bezieht sich der Begriff der strafrechtlichen Haftung auf die Frage, ob sich die Mitglieder des Aufsichtsrats nach den Vorschriften des Strafgesetzbuches strafbar machen, wenn sie die ihnen im Verhältnis zum Vorstand obliegenden (Überwachungs-)Pflichten verletzen. 11  Zum Begriff der „Criminal Compliance“ siehe ausführlich Rotsch, ZIS 2010, 614 ff. 12  Siehe hierzu Fleischer, NJW 2009, 2337. 13  Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.09.2012 Nr. 225, S. 19; LK-Schünemann, § 266 Rn. 120. Zu Compliance, Finanzkrise, Recht und Ethik jüngst Wastl, BOARD, 2016, 187 ff.

28

Teil 1: Einführung

Das Risiko einer strafrechtlich relevanten (Fehl-)Entscheidung ist damit während der gesamten Aufsichtsratstätigkeit präsent. Dies gilt umso mehr, wenn man sich bewusst macht, dass sowohl das Aktienrecht als auch die zivil- und strafgerichtliche Rechtsprechung den Aufsichtsräten Ermessensspielräume zubilligen, was wiederum dazu führt, dass ein erhebliches Maß an Unsicherheit im Hinblick auf zu treffende Entscheidungen besteht.14 Daher, und wegen einer stetig zunehmenden Verfolgungspraxis der Staatsanwaltschaften,15 steht zu vermuten, dass ein potentielles Strafbarkeitsrisiko bei Ausübung der Aufsichtsratstätigkeit zukünftig noch weiter gesteigert werden könnte.

B. Ziel der Untersuchung Ziel dieser Arbeit ist es, unter Berücksichtigung der aktuellen ComplianceDiskussion aufzuzeigen, welches zivilrechtliche Pflichtenspektrum die Mitglieder des Aufsichtsrats de lege lata im Zusammenhang mit Compliance trifft, in welchem Verhältnis eine etwaige Compliance-Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats zu der des Vorstands steht und welche strafrechtlichen Haftungsrisiken die Mitglieder des Aufsichtsrats treffen, wenn sie gegen ihnen möglicherweise obliegende compliancebezogene Pflichten verstoßen. Andererseits möchte die Untersuchung auch einen Beitrag zu der aus Sicht des Aufsichtsrats noch am Anfang stehenden Compliance-Diskussion leisten, indem sie die ihm nach dem Aktienrecht zustehenden Handlungsmöglichkeiten unter präventiven Gesichtspunkten beleuchtet und der Frage nachgeht, durch welche Maßnahmen die Aufsichtsratsmitglieder im Verhältnis zum Vorstand ihre Überwachungseffizienz steigern und ein etwaiges strafrechtliches Haftungsrisiko, das sie im Rahmen der Compliance-Überwachung des Vorstands möglicherweise trifft, reduzieren können. 14  Siehe nur das Anfang 2014 vor dem OLG München durch einen Vergleich beendete Verfahren in der Sache Kirch gegen Deutsche Bank AG, indem sich die Deutsche Bank AG nach einem 12 jährigen Schadenersatzprozess zur Zahlung von mehr als 900 Millionen Euro an die Hinterbliebenen des im Jahr 2011 verstorbenen Leo Kirch verpflichtete, weil deren damaliger Vorstandsvorsitzender Rolf Breuer im Jahr 2002 in einem Interview die Kreditwürdigkeit des Medienunternehmers Leo Kirch anzweifelte, sodass dieser in der Folge für die Kirch Gruppe Insolvenz anmelden musste. Auch in diesem Fall musste sich der Aufsichtsrat der Deutschen Bank die Frage stellen, ob und in welchem Umfang er bei ihrem damaligen Vorstandsvorsitzenden bzw. dessen D&O Versicherung Regress nimmt, um eine eigene zivil- und möglicherweise sogar strafrechtliche Haftung ausschließen zu können. Siehe auch Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.02.2014 Nr. 44, S. 15. 15  Schemmel/Minkoff, Der Aufsichtsrat 2013, 95; Hüffer, FS Roth, 2011, 301, Fn. 12.



C. Untersuchungsgegenstand und Gang der Arbeit 29

C. Untersuchungsgegenstand und Gang der Arbeit Die Arbeit untersucht in einem ersten Schritt die zivilrechtliche Stellung des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft. Nach einer überblicksartigen Abgrenzung des AG-Aufsichtsrats zu den Aufsichtsräten anderer Kapitalgesellschaften, ist zunächst der Inhalt des aus § 111 Abs. 1 AktG folgenden gesetzlichen Überwachungsauftrags zu bestimmen. Sodann können die ihm zur Erfüllung dieses Auftrags durch das Aktienrecht eingeräumten Befugnisse in einem solchen Umfang untersucht werden, wie es für die im Anschluss daran zu diskutierende Frage nach der Compliance-Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats erforderlich ist. In dogmatischer Hinsicht ist im Rahmen der allgemeinen – vor die Klammer gezogenen – Ausführungen insbesondere zu klären, ob und in welchem Umfang sich der gesetzliche Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats auch auf leitende Mitarbeiter der zweiten Hierarchieebene erstreckt und welche Bedeutung Beurteilungs- und Ermessensspielräume des Vorstands und des Aufsichtsrats aus Sicht des Aufsichtsrats haftungsrechtlich zukommt. Ein erster Schwerpunkt der Arbeit besteht im Anschluss daran in der Untersuchung der Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats in der AG. Neben der inhaltlichen Einordnung des Begriffs Compliance ist insoweit als Vorfrage zu klären, ob den Vorstand einer Aktiengesellschaft de lege lata überhaupt eine Compliance-Pflicht trifft, woraus sich diese ableitet und wie weit eine solche gegebenenfalls reicht. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht die gesellschaftsrechtlich bislang nicht abschließend geklärte Frage, ob der Vorstand einer AG verpflichtet ist, ein inhaltlich bestimmtes ComplianceSystem einzuführen, das geeignet ist, eine Straftatbegehung auf Mitarbeiterebene zu verhindern. Ebenso ist in den Blick zu nehmen, welche Verhaltenspflichten den Vorstand unmittelbar gegenüber der AG treffen. Erst sodann lassen sich Rückschlüsse auf die Tätigkeit des Aufsichtsrats in der AG ziehen, weshalb in einem zweiten Schwerpunkt die im Rahmen dieser Arbeit interessierende Frage zu untersuchen ist, ob und inwieweit eine etwaige Compliance-Pflicht des Vorstands vom Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats erfasst ist und welche compliancebezogenen Handlungspflichten sich für die Mitglieder des Aufsichtsrats hieraus unter Berücksichtigung des aktienrechtlichen Kompetenzverhältnisses und der für den Aufsichtsrat zentralen sogenannten ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung, nach der der Aufsichtsrat im Regelfall gehalten ist, Pflichtverletzungen des Vorstands aufzuklären und im Wege des Schadenersatzes zu verfolgen16, im Einzelnen ergeben. 16  BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926 ff. Siehe zu dieser für den Aufsichtsrat bedeutenden Rechtsprechung auch Paefgen, WM 2016, 433 ff., 439 sowie ausführlich die Ausfürungen in Teil 3 C. III. 2. a).

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Teil 1: Einführung

Im strafrechtlichen Teil befasst sich die Arbeit zunächst mit dem Einfluss außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht im Allgemeinen und den Tatbestand der Untreue im Besonderen. Anknüpfend daran wird in einem dritten Schwerpunkt unter Berücksichtigung der im zivilrechtlichen Teil dieser Arbeit gefundenen Ergebnisse untersucht, welche kernstrafrechtlichen Haftungsrisiken die Mitglieder des Aufsichtsrats in der AG bei festgestellten Compliance-Pflichtverletzungen durch den Vorstand konkret treffen. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der Tatbestand der Untreue in der Begehungsform des Unterlassens. Dieser wird bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands aus Sicht des Aufsichtsrats in zwei Konstellationen beleuchtet. Zum einen wird untersucht, ob sich der Aufsichtsrat wegen Untreue durch Unterlassen zum Nachteil der AG strafbar macht, wenn er es unterlässt, den Vorstand dahingehend zu überwachen, dass dieser in der AG ein ComplianceSystem einführt. Zum anderen ist zu klären, welche Strafbarkeitsrisiken sich aus Sicht des Aufsichtsrats ergeben, wenn Anhaltspunkte dafür existieren, dass Vorstandsmitglieder unmittelbar in einen strafrechtlichen Sachverhalt verwickelt sind und der Aufsichtsrat untätig bleibt. Aus dem Blickwinkel des Aufsichtsrats ist in diesem Zusammenhang zu klären, welche „Qualität“ eine von ihm begangene außerstrafrechtliche (Überwachungs-)Pflichtverletzung erreichen muss, um für diesen zugleich einen strafrechtlichen Unrechtsgehalt zu entfalten. Einer vertieften Befassung bedarf zudem die Frage, ob sich aus Sicht des Aufsichtsrats unter Berücksichtigung seiner rechtlichen Stellung in der AG auch im Bereich der Compliance-Überwachung eine Beschützer- und / oder Überwachungsgarantenstellung begründen lässt, in welchem Verhältnis diese gegebenenfalls wirkt und welche Garantenpflichten aus einer etwaigen Garantenstellung für die Mitglieder des Aufsichtsrats im Einzelnen folgen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die in der strafrechtlichen Literatur und Rechtsprechung aus Sicht des Aufsichtsrats bislang kaum diskutierte Frage zu erörtern, ob die Mitglieder des Aufsichtsrats auch eine gegenüber außerhalb der AG stehenden Dritten wirkende Aufsichtsgarantenstellung zur Verhinderung von Straftaten des Vorstands gegenüber Dritten trifft. Schließlich ist in einem letzten Schritt zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen vom Aufsichtsrat nicht verhinderte Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands einen Vermögensnachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB begründen können. Nach Bewertung des strafrechtlichen Haftungsrisikos wird abschließend der Frage nachgegangen, inwieweit der Aufsichtsrat die ihm nach dem Aktienrecht im Verhältnis zum Vorstand zukommenden Befugnisse zur Steigerung seiner Überwachungseffizienz präventiv einsetzen und ein ihn gegebenenfalls treffendes Strafbarkeitsrisiko absenken kann.

Teil 2

Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit Bevor das Verhältnis des Gesellschaftsrechts zum Strafrecht betrachtet und vor diesem Hintergrund die strafrechtliche Verantwortung des Aufsichtsrats in einer Aktiengesellschaft bei „Compliance-Pflichtverletzungen des Vor­ stands“1 untersucht werden kann, ist zunächst die zivilrechtliche Stellung des Aufsichtsrats im Gesellschaftsrecht in den Blick zu nehmen.

A. Stellung des Aufsichtsrats im Gesellschaftsrecht Die Funktion des Aufsichtsrats findet sich in verschiedenen zivilrechtlichen Gesetzen und ist letztlich Ausfluss der drittorganschaftlichen Struktur sowie der dualistischen Verfassung von Kapitalgesellschaften. Um die Stellung des Aufsichtsrats sowie dessen Existenz in der AG einordnen zu können, ist seine Stellung im allgemeinen Gesellschaftsrecht zu betrachten.

I. Existenz des Aufsichtsrats in der Kapitalgesellschaft als Folge der Drittorganschaft Die Existenz des Aufsichtsrats ist im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen2 keine Selbstverständlichkeit, sondern Ausfluss des dualistischen Sys1  Sowohl der Begriff der Compliance als auch die mit ihm in Verbindung gebrachten Organpflichten werden in Teil 3 näher untersucht. Bei Betrachtung der zivilrechtlichen Grundlagen soll es daher für den Moment genügen, im Unternehmenskontext „Compliance“ zunächst allgemein als eine Pflicht zu verstehen, welche insbesondere die Organe der AG zu legalem Verhalten sowie zur Sicherstellung legalen Verhaltens auf Ebene der Mitarbeiter durch Vornahme bzw. Organisation geeigneter Maßnahmen verpflichtet. Zu dem Begriff auch Paefgen, WM 2016, 434 f. Ausgehend von einem solchen Begriffsverständnis könnte aus Sicht des Vorstands eine „Compliance-Pflichtverletzung“ vorliegen, wenn dieser sich entweder selbst nicht legal verhält oder er in der AG keine geeigneten organisatorischen Vorkehrungen zur Sicherstellung des Legalverhaltens auf Mitarbeiterebene trifft. Zu den Begriffen „Corporate Compliance“ sowie „Criminal Compliance“ siehe die Ausführungen in Teil 3 A. Zu den mit diesem Begriff in Zusammenhang gebrachten Pflichten des Vorstands siehe Teil 3 B. Zu den hieraus für den Aufsichtsrat folgenden „compliancebezogenen Pflichten“ siehe Teil 3 C. 2  Das angloamerikanische und das französische Recht kennen die Figur eines Aufsichtsrats als überwachendes Organ nicht. Diese Rechtsordnungen sind durch das

32

Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

tems.3 Danach erfolgt zwischen dem Vorstand als geschäftsführendem und dem Aufsichtsrat als überwachendem Organ hinsichtlich der jeweiligen Kompetenzen eine strenge Trennung.4 Demgegenüber eröffnet die europäische Societas Europaea (SE) eine Wahlfreiheit5 insoweit, als dass nach der Verbandsverfassung der SE neben der Hauptversammlung der Aktionäre als weitere Organe entweder ein Leitungsorgan und ein Aufsichtsorgan oder nur ein einheitliches Verwaltungsorgan6 für die Gesellschaft vorgesehen werden muss. Auch im GmbH-Recht ist die Einrichtung eines Aufsichtsrats nicht zwingend vorgesehen, sondern erfolgt fakultativ.7

II. Die Stellung des Aufsichtsrats als Pflichtorgan in der Aktiengesellschaft Das Aktiengesetz sieht neben der Hauptversammlung (§§ 118–149 AktG) und dem Vorstand (§§ 76–94) den Aufsichtsrat (§§ 95–116 AktG) als weiteres Organ der AG zwingend vor8, ohne dass zwischen den einzelnen Organen ein Hierarchieverhältnis bestünde.9 Die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder richtet sich nach der Vorschrift des § 101 Abs. 1 AktG und erfolgt durch Wahl, soweit die Betroffenen nicht in den Aufsichtsrat zu entsenden oder als Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach den in § 101 Abs. 1 AktG genannten Mitbestimmungsgesetzen zu wählen sind.10 Die Bestellung, die entweder in Form der Wahl oder durch einen Entsendungsakt erfolgt, führt in der Regel mit der Annahme zu einem sofortigen Eintritt in die Organstellung11 und damit in die organschaftlichen sog. monoistische System geprägt und sehen lediglich ein einheitliches Verwaltungsorgan vor, das für alle Entscheidungen in der Gesellschaft zuständig ist. Siehe auch Saenger, GesR § 15 Rn. 571; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 1, Rn. 1 m. w. N. zur Entstehungsgeschichte. 3  MüKoAktG/Habersack vor § 95 Rn. 1. 4  MüKoAktG/Habersack vor § 95 Rn. 1. 5  MüKoAktG/Oechsler SE-VO Art. 38 Rn. 3; Saenger, GesR § 15 Rn. 571. 6  Saenger, GesR § 19 Rn. 835. Diese Möglichkeit folgt aus Art. 38 SE-VO. 7  Windbichler, GesR § 22 Rn. 18. Die konkrete Ausgestaltung bestimmt sich maßgeblich nach dem Gesellschaftsvertrag. Eine gesetzliche Regelung findet sich nur in § 52 GmbHG, der ergänzend zum Gesellschaftsvertrag auf einige aktienrechtliche Vorschriften verweist. 8  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 1 Rn. 7; MüKoAktG/Habersack vor § 95 Rn. 1; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., Vorb. § 95 Rn. 1. 9  Priester, FS Hüffer 2010, 778; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., Vorb. § 95 Rn. 4. 10  Zum Wahlverfahren siehe KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., Vorb. § 101 Rn.  12 ff. 11  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 101 Rn. 5.



A. Stellung des Aufsichtsrats im Gesellschaftsrecht33

Rechte und Pflichten in einem solchen Umfang, wie sie durch das Gesetz, die Satzung und den Hauptversammlungsbeschluss begründet sind.12 Das zwischen dem Aufsichtsratsmitglied und der Gesellschaft dadurch entstehende Rechtsverhältnis wird in der Literatur zum Teil ausschließlich als korporationsrechtlich13 qualifiziert. Hüffer geht demgegenüber von einem „Verhältnis mit korporations- und schuldrechtlichem Inhalt“14 und damit von einer Doppelnatur aus. Letztlich wird auch ein neben der Organstellung existierendes gesetzliches Schuldverhältnis15 angenommen. Im Ergebnis kommt es auf eine begriffliche Einordnung nicht entscheidend an, da heute Einigkeit besteht, dass – entgegen der früheren herrschenden Meinung16 – durch die Bestellung zum Aufsichtsrat zwischen diesem und der Gesellschaft kein schuldrechtlicher, gegebenenfalls stillschweigend geschlossener, Anstellungsvertrag zustande kommt.17 Zum einen sieht das Aktiengesetz den Abschluss eines vertraglichen Anstellungsverhältnisses nicht vor18, zum anderen fehlt es an einem zuständigen Organ, das die Gesellschaft bei einem Vertragsschluss gegenüber den Aufsichtsratsmitgliedern vertreten könnte.19 Insbesondere hat der Vorstand keine Kompetenz zum Abschluss eines solchen Vertrages20 mit dem Aufsichtsrat. Mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen lässt sich festhalten, dass der Aufsichtsrat in der AG als Pflichtorgan anzusehen ist und ihm deshalb organschaftliche Rechte zukommen.

12  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 101 Rn. 5; MüKoAktG/Habersack § 101 Rn. 5; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 101 Rn. 92. 13  MüKoAktG/Habersack § 101 Rn. 67; Hopt/Roth, GroßkommAktG, §  101 Rn. 91. 14  Hüffer/Koch, AktG, § 101 Rn. 2. 15  So wohl KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 101 Rn. 5 ff.; Hoffmann-Becking, in: Münch. Hdb. GesR, IV, § 33 Rn. 10; Langenbucher, Aktien- u. Kapitalmarktrecht, 1. Teil, § 5 Rn. 18. 16  RGZ 123, 351, 354; 146, 145, 152; 152, 273, 278; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3, Aufl. § 101 Rn. 5, Fn. 20 m. w. N. Diese ging davon aus, dass ein von dem korpora­ tionsrechtlichen Verhältnis zu unterscheidendes vertragliches Anstellungsverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Aufsichtsratmitglied bestehen würde. 17  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 101 Rn. 5; MüKoAktG/Habersack § 101 Rn. 67; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 101 Rn. 92; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG § 101 Rn. 9. 18  Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 1. Teil, § 5 Rn. 18. 19  MüKoAktG/Habersack § 101 Rn. 67. 20  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 101 Rn. 92; Langenbucher, § 5 Rn. 18.

34

Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

III. Überblick über die Stellung des Aufsichtsrats in anderen Kapitalgesellschaften Bevor an diese allgemeinen Ausführungen anknüpfend die Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats, dessen Überwachungsauftrag nach § 111 Abs. 1 AktG sowie die ihm bei Ausübung der Vorstandskontrolle zukommenden Einwirkungsmöglichkeiten am Beispiel der Aktiengesellschaft untersucht werden, ist die Stellung des Aufsichtsrats in anderen Kapitalgesellschaften zu betrachten und von der Stellung eines Aufsichtsrats in der AG abzugrenzen. 1. Stellung des Aufsichtsrats als Organ der Kommanditgesellschaft auf Aktien Auch für die im Aktiengesetz in den Vorschriften der §§ 278 bis 290 AktG geregelte und ihrem Wesen nach als Kapitalgesellschaft21 ausgestaltete Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) ist ein Aufsichtsrat als notwendiges Organ22 vorgesehen, da nach § 278 Abs. 3 AktG für die KGaA die Vorschriften des Ersten Buchs über die Aktiengesellschaft sinngemäß gelten und gemäß §§ 95 ff. AktG für die AG ein Aufsichtsrat nach dem AktG zwingend ist.23 Dessen Stellung wird jedoch durch die zwei Arten von Gesellschaftern (Komplementäre und Kommanditaktionäre) beeinflusst.24 Aufgrund seiner aktienrechtlichen Stellung25 als notwendiges Organ der Gesellschaft26 hat er – unter Beachtung struktureller Unterschiede27 – grundsätzlich dieselben Aufgaben wie der Aufsichtsrat einer AG auszuüben. In der KGaA bedeutet dies die Überwachung der Komplementäre als Geschäftsleiter.28 Dem Aufsichtsrat einer KGaA kommt daher eine Überwachungskompetenz aus § 111 21  Drygala/Staake/Szalai,

KapGesR § 27 Rn. 1; Windbichler, GesR § 34 Rn. 1. vor § 95 Rn. 1. 23  Zum Ganzen siehe auch Hüffer/Koch, AktG § 278 Rn. 15, wonach sich die Existenz des Aufsichtsrats mittelbar aus diesem Normenkomplex entnehmen lässt. 24  Windbichler, GesR § 34 Rn. 8. Insoweit ist strittig, ob der Aufsichtsrat als Gesellschaftsorgan oder auch als Organ der Gesamtheit aller Kommanditaktionäre anzusehen ist. Siehe hierzu Schmidt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 287 Rn. 2. 25  Siehe §§ 278 Abs. 3, 95 ff., 287 AktG. 26  Schmidt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 287 Rn. 1. 27  Hervorzuheben ist insbesondere die fehlende Personal- und Geschäftsführungskompetenz des Aufsichtsrats einer KGaA. Siehe MüKoAktG/Perlitt, 3. Aufl., § 287 Rn. 43. 28  Hüffer/Koch AktG § 278 Rn. 15; Drygala/Staake/Szalai, KapGesR § 27 Rn. 25. 22  MüKoAktG/Habersack



A. Stellung des Aufsichtsrats im Gesellschaftsrecht35

Abs. 1 AktG, ein Prüfungsrecht gemäß § 111 Abs. 2 AktG sowie das Informationsrecht nach § 90 AktG zu.29 Dem Aufsichtsrat einer KGaA kommen trotz einzelner struktureller Gemeinsamkeiten mit dem Aufsichtsrat einer AG, insbesondere im Bereich der Überwachung gemäß § 111 Abs. 1 AktG, im Ergebnis jedoch deutlich weniger Befugnisse und Kompetenzen zu, als dem Aufsichtsrat in einer AG. Dies resultiert daraus, dass die konkrete Handhabung der ihm zustehenden Rechte letztlich von der starken Stellung der Komplementäre geprägt ist. Zum einen sind die Komplementäre als Geschäftsleiter der KGaA im Vergleich zum Vorstand der AG wegen der Selbstorganschaft naturgemäß einem weniger strengen Regime unterworfen30 als die im Rahmen der Drittorganschaft bestellten Vorstände einer AG, da sie bereits kraft Gesetzes aufgrund ihrer Organstellung einzelgeschäftsführungs- und vertretungsberechtigt31 sind. Ferner haften sie im Unterschied zum Vorstand einer AG auch persönlich und unbeschränkt, was eine geringere Kontrolldichte rechtfertigt.32 Die organschaftliche Stellung der Komplementäre ist somit unmittelbar Folge der unbeschränkten Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern. Deswegen erklärt sich, dass dem Aufsichtsrat einer KGaA gegenüber dem Komplementär als Geschäftsleiter auch keine Personalkompetenz im Sinne des § 84 AktG zukommt.33 Die strukturell schwächere Stellung des Aufsichtsrates einer KGaA im Vergleich zu einem Aufsichtsrat in einer AG zeigt sich aber auch im Fehlen jeder Geschäftsführungskompetenz. Der Aufsichtsrat einer KGaA ist insbesondere nicht befugt, gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG für bestimmte Arten von Geschäften Zustimmungsvorbehalte zu begründen.34 Die faktisch nicht exis29  Hüffer/Koch, AktG § 278 Rn. 15. Siehe hierzu aus Sicht eines AG-Aufsichtsrats ausführlich unten Teil 2 B. I. 1. b) cc). 30  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 287 Rn. 14. 31  Hüffer/Koch, AktG § 278 Rn. 14. 32  Die Komplementäre lassen sich deshalb auch als „geborene Leitungsorgane“ bezeichnen, sodass es, um Komplementär einer KGaA zu werden, keiner Anstellung mehr durch den Aufsichtsrat bedarf, vgl. Schmidt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 287 Rn. 14. 33  Im Unterschied zum Vorstand einer Aktiengesellschaft können Komplementäre einer KGaA folglich nicht durch den Aufsichtsrat abberufen werden, sondern verlieren ihre Organstellung erst mit dem Ausscheiden aus der Gesellschaft. Siehe Hüffer/ Koch, AktG § 278 Rn. 15; Schmidt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 287 Rn. 13. 34  Schmidt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 287 Rn. 15; Hüffer/Koch, AktG § 278 Rn. 15. Dem Aufsichtsrat einer KGaA ist verwehrt, einen Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG für sich zu begründen und Geschäftsführungsmaßnahmen der Komplementäre an seine Zustimmung zu binden, da außergewöhnliche Geschäfte – vorbehaltlich abweichender Satzungsregelungen – nach dem Recht der KGaA gemäß § 278 Abs. 2 AktG in Verbindung mit § 164 HGB bereits der Zustimmung der Kommanditaktionäre in Form eines Hauptversammlungsbeschlusses bedür-

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

tente Geschäftsführungskompetenz des Aufsichtsrats einer KGaA zeigt sich schließlich auch darin, dass dieser im Unterschied zu einem Aufsichtsrat in einer AG nicht befugt ist, für die Komplementäre eine Geschäftsordnung nach § 77 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 AktG zu erlassen.35 Möchte man vor diesem Hintergrund die Haftungsrisiken eines Aufsichtsrats der KGaA untersuchen, lässt sich bereits an dieser Stelle festhalten, dass die für den Aufsichtsrat einer AG geltenden zivil- und strafrechtlichen Maßstäbe nicht unreflektiert auf den Aufsichtsrat einer KGaA übertragen werden dürfen, da diesem aufgrund der starken Stellung der persönlich haftenden Komplementäre weder Personal- noch Geschäftsführungskompetenzen zukommen. 2. Stellung des Aufsichtsrats als Organ in der eingetragenen Genossenschaft Neben den im Aktiengesetz geregelten Gesellschaftsformen der AG und der KGaA ist die im Genossenschaftsgesetz (GenG) geregelte eingetragene Genossenschaft gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 GenG dann zur Bildung eines Aufsichtsrats verpflichtet, wenn keine Kleingenossenschaft im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 2 GenG vorliegt.36 Das Wesen der Genossenschaft37 ist in § 1 GenG legaldefiniert.38 Charakteristisch für die eG ist der von den Mitgliefen. Da das Aktienrecht eine solche Aktionärszuständigkeit nicht kennt, geht die herrschende Meindung zu Recht davon aus, dass die Vorschrift des § 111 Abs. 4 S. 2 AktG auf die KGaA nicht anwendbar ist. Zutreffend Kübler/Assmann, GesR § 17 IV, S. 258; Assmann/Sethe, GroßkommAktG, § 278 Rn. 39; Bachmann, Spindler/Stilz, AktG § 287 Rn. 10; Hüffer/Koch, AktG, § 287 Rn. 15; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 287 Rn. 17; Schmidt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 287 Rn. 15; MüKoAktG/ Perlitt, 3. Aufl., § 287 Rn. 43; Raiser/Vail, Kapitalgesellschaften, § 31 Rn. 10. 35  Hüffer/Koch, AktG § 278 Rn. 15; Schmidt, in: K.  Schmidt/Lutter, AktG, § 287 Rn. 15. 36  Für den Fall des Vorliegens einer sog. Kleingenossenschaft im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 2 GenG und des Verzichts auf einen Aufsichtsrat, wäre die Generalversammlung zugleich auch Überwachungsorgan, da diese dann gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 GenG die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats wahrnimmt; vgl. Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten, § 17 Rn. 1277. 37  Nach Langmüller/Weidmüller, GenG, § 1 Rn. 2 kann der Begriff der Genossenschaft ökonomisch, soziologisch oder rechtlich gesehen werden. Die eG kennt neben dem Aufsichtsrat als Überwachungsorgan als weitere Organe gem. § 24 GenG den Vorstand als Leitungsorgan und nach § 43 GenG die Generalversammlung als beschlussfassendes Organ. 38  Demnach handelt es sich um Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern.



A. Stellung des Aufsichtsrats im Gesellschaftsrecht37

dern verfolgte gemeinsame Zweck39, der sich in einer „starken personalen Bindung“40 der Anteilseigner gegenüber der Genossenschaft ausdrückt. Trotz dieser personalen Komponente ist die eG körperschaftlich strukturiert41 und stellt keine Gesellschaft im Sinne der §§ 705 ff. BGB dar, sondern einen wirtschaftlichen Verein nach § 22 BGB.42 Unabhängig von einer solchen körperschaftlichen Ausgestaltung und der damit verbundenen Nähe zu den Kapitalgesellschaften unterscheidet sich die eingetragene Genossenschaft nach dem GenG in einigen Punkten von den Kapitalgesellschaften in Gestalt der AG, KGaA oder der GmbH. Für die eG existiert nach dem GenG keine gesetzliche Vorgabe für ein „Gründungskapital in bestimmter Höhe“43, mit der Folge, dass die Kapitalausstattung der eingetragenen Genossenschaft in das „Ermessen der Mitglieder“ gestellt ist.44 Ein weiterer Unterschied zu anderen Kapitalgesellschaftsformen, insbesondere zur AG, besteht darin, dass bei der Genossenschaft die personale Bindung der Mitglieder im Vordergrund steht, während bei der AG die Kapitalbeteiligung wesentlich ist.45 Die eG unterscheidet sich aber auch von der KGaA, da Letztere eine persön39  Beuthien,

GenG, § 1 Rn. 6; Lang/Weidmüller, GenG, § 1 Rn. 10. GenR Rn. 86. Dies ist zugleich ein wesentlicher Unterschied zur AG, da hier die Kapitalbeteiligung der einzelnen Mitglieder im Vordergrund steht. 41  Langmüller/Weidmüller, GenG, § 1 Rn. 9; Beuthien, GenG, § 1 Rn. 2. 42  Dieser erlangt seine eigene Rechtspersönlichkeit abweichend von § 22 S. 1 BGB auch nicht „durch staatliche Verleihung“, sondern durch Eintragung in das Genossenschaftsregister, vgl. Glenk, GenR Rn. 77; Langmüller/Weidmüller, GenG, § 1 Rn. 16. Die eG hat daher gemäß § 17 Abs. 1 GenG als solche selbständig ihre Rechte und Pflichten, kann Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben sowie vor Gericht klagen und verklagt werden. 43  Glenk, GenR, Rn. 81. Anders bei der AG (hier beträgt gemäß § 7 AktG der Mindestnennbetrag des Grundkapitals 50.000,00 €) oder der GmbH (das Stammkapital muss hier gemäß § 5 Abs. 1 GmbHG mindestens 25.000,00 € betragen). 44  Glenk, GenR, Rn. 81. Damit verbunden ist jedoch in der Regel, dass der gemäß § 54 GenG zwingend erforderliche Beitritt zu einem Prüfungsverband von einer Kapitalausstattung abhängig gemacht wird, was zu einer „faktischen“ Kapitalisierung der eG führt. Denkbar ist aber auch, dass die Genossenschaft „freiwillig“ ein Mindestkapital festschreibt. Trotz fehlender Pflichtkapitalbindung ist die Haftung bei der eG gemäß § 2 GenG auch nur auf das Genossenschaftsvermögen beschränkt. Weitergehend Glenk, GenR, Rn. 85. 45  Langmüller/Weidmüller, GenG, § 1 Rn. 16; Glenk, GenR, Rn. 86. In der Regel besteht auch hinsichtlich Größenordnung und des finanziellen Aufwandes ein Unterschied zwischen eG und AG, da letztere als Gesellschaftsform häufig für größere Unternehmen herangezogen wird, sodass sie ihre Aufgaben oft nur mit einer großen Kapitalausstattung erreichen kann, was in der Regel nur über deren Börsenfähigkeit sichergestellt werden kann. Dies zeigt sich darin, dass sich das Interesse der Gründer einer AG regelmäßig auf Kapitalbeschaffung und Gewinnerzielung bezieht, während dieses bei der eG aufgrund des gemeinsam verfolgten Zwecks gerade in der Förderung wirtschaftlicher Interessen einzelner Mitglieder liegt. 40  Glenk,

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

liche Haftung der Komplementäre vorsieht und zwischen diesen und den Kommanditaktionären keine Gleichberechtigung besteht.46 Trotz dieser in kapitalgesellschaftsrechtlicher Hinsicht nicht zu übersehenden strukturellen Unterschiede der Gesellschaftsformen ist die Stellung des Aufsichtsrats in einer eG der eines Aufsichtsrats einer AG im Bereich der Überwachung stark angenähert.47 Unterschiede bestehen hingegen bei der Personalkompetenz, da der Aufsichtsrat einer eG – im Gegensatz zum Aufsichtsrat einer AG – grundsätzlich nicht befugt ist, den Vorstand selbst abzuberufen.48 Innerhalb der AG wird gemäß § 84 Abs. 1 AktG der Vorstand durch den Aufsichtsrat bestellt, während dessen Abberufung ebenfalls durch diesen nach § 84 Abs. 3 S. 1 AktG erfolgt, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Diese dem Aufsichtsrat einer AG nach dem AktG unmittelbar zukommende Personalkompetenz räumt das GenG dem Aufsichtsrat einer eG in dieser Form nicht ein, sondern ordnet an, dass der Vorstand gemäß § 24 Abs. 2 S. 1 GenG von der Generalversammlung49 gewählt und abberufen wird.50 Da der Aufsichtsrat einer eingetragenen Genossenschaft jedoch im Bereich der Überwachung nach der gesetzlichen Konzeption des GenG einem nahezu gleichen Pflichtenprogramm unterworfen ist wie der Aufsichtsrat einer AG, lassen sich die im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung für den Auf46  Demgegenüber sind in der Genossenschaft sämtliche Mitglieder gleichgestellt und gleichermaßen stimmberechtigt. Siehe Glenk, GenR, Rn. 87, 380. 47  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 17 Rn. 1258. 48  Für die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats sind die §§ 38 bis 41 sowie §§ 57 und 58 GenG maßgebend. Wesentliche Aufgabe des Aufsichtsrats in der eG ist gemäß § 38 Abs. 1 GenG  – analog zur AG und KGaA  – die Überwachung des Vorstands bei dessen Geschäftsführung. Im Unterschied zum AktG enthält das GenG aber keine weiteren über das gesamte GenG verteilten Regelungen, welche die Aufgaben und Befugnissen des Aufsichtsrats weiter regeln, sondern bestimmt in § 38 Abs. 1 S. 2 GenG lediglich, dass der Aufsichtsrat zum Zweck der Überwachung über Angelegenheiten der Genossenschaft vom Vorstand jederzeit Auskunft verlangen kann. Im Übrigen bestimmt § 38 Abs. 3 GenG, dass weitere Aufgaben des Aufsichtsrats durch die Satzung bestimmt werden. Diese Aufgaben können in verschiedenster Weise konkretisiert werden, vgl. hierzu weitergehend Glenk, GenR, Rn. 479; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 17 Rn. 1272. 49  Bei Genossenschaften mit mehr als 1500 Mitgliedern auch durch die sog. Vertretersammlung gemäß § 43a GenG, sofern eine entsprechende Satzungsregelung existiert. 50  § 24 Abs. 2 S. 2 GenG ermöglicht eine Satzungsregelung, die „eine andere Art der Bestellung und Abberufung bestimmen“ kann. Es ist daher denkbar und in der Praxis üblich, dem Aufsichtsrat in der Satzung der Genossenschaft die Befugnis zur Bestellung und Abberufung des Vorstandes zu übertragen und eine nach der gesetzlichen Konzeption zwar nicht vorgesehene, mit dem Aufsichtsrat einer AG aber vergleichbare Personalkompetenz zu begründen, vgl. auch Langmüller/Weidmüller, GenG, § 38 Rn. 30; Potthoff/Trescher, Das Aufsichtsratsmitglied, Rn. 61; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 17 Rn. 1272.



A. Stellung des Aufsichtsrats im Gesellschaftsrecht39

sichtrsrat der AG gefundenen zivil- und strafrechtlichen Erkenntnisse dem Grunde nach auch auf den Aufsichtsrat der eG übertragen.51 3. Stellung des Aufsichtsrats in der GmbH Da in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) unter bestimmten Voraussetzungen ein Aufsichtsrat entweder zwingend eingerichtet werden muss oder durch Satzung52 fakultativ eingerichtet werden kann, ist die Stellung eines Aufsichtsrats in der GmbH ebenfalls zu beleuchten und dessen strukturell stark eingeschränkte Stellung im Vergleich zu den Aufsichtsräten der bislang dargestellten Kapitalgesellschaften aufzuzeigen. Im Unterschied zur AG, KGaA und eG sieht das GmbHG für die GmbH in der Regel nur zwei Organe, die Gesellschafterversammlung gemäß § 48 GmbHG und die Geschäftsführung gemäß § 35 GmbHG, vor. Aus dem GmbHG lässt sich auch in Abgrenzung zum AktG, GenG und dem Recht der KGaA eine Pflicht zur Einrichtung eines Aufsichtsrates nicht entnehmen. a) Der Pflichtaufsichtsrat in einer mitbestimmten GmbH Eine Pflicht zur Bestellung eines Aufsichtsrats wird erst bei Erreichen einer bestimmten Mitarbeiterzahl spezialgesetzlich53 angeordnet. Selbst wenn aufgrund des Vorliegens der spezialgesetzlichen Vorschriften ein Pflichtaufsichtsrat in der GmbH zu errichten sein sollte, lässt sich dessen Stellung nicht mit der eines Aufsichtsrats in einer AG, eG oder auch KGaA vergleichen, da die Grundstruktur der GmbH – im Unterschied zur AG oder eG – nach dem GmbHG hierarchisch54 ausgestaltet ist. Oberstes Organ ist die Gesellschafterversammlung, deren Weisungen die Geschäftsführung unterworfen ist.55 An dieser im Vergleich zur AG oder eG konträren Ausgestaltung 51  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 17 Rn. 1258, wonach in § 38 GenG mit Überwachung „exakt“ das gleiche gemeint sei, wie bei der AG in § 111 Abs. 1 AktG. „Für die Überwachung“ gelten damit die selben Feststellungen, wie für den Aufsichtsrat einer AG. 52  Baumbach/Hueck, GmbHG, § 52 Rn. 1. 53  Ein Aufsichtsrat ist in der GmbH zu bilden nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 Hs. 1 DrittelbG), Mitbestimmungsgesetz von 1976 (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 6, 7 Abs. 1 MitbestG), Montan-Mitbestimmungsgesetz und Montan – Mitbestimmungsergänzungsgesetz (§ 1 Abs. 2 MontanMitbestG) sowie Investmentgesetz, sofern es sich um eine GmbH in Form einer Kapitalanlagegesellschaft handelt (§ 6 Abs. 2 S. 1 InvG). Siehe den Überblick bei Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 15 Rn. 1091 ff. 54  Priester, FS Hüffer 2010, 778; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 15 Rn. 1114. 55  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 15 Rn. 1114.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

des Machtverhältnisses ändert auch die pflichtmäßige Implikation eines Aufsichtsrates nichts, da die Gesellschafterversammlung gleichwohl das oberste Organ bleibt.56 Dies hat zur Folge, dass die Gesellschafter über die Grundsätze der Unternehmenspolitik sowie über außergewöhnliche Maßnahmen der Geschäftsführung bestimmen und sogar auf die laufende Geschäftsführung Einfluss nehmen können.57 Die starke Stellung der Gesellschafterversammlung spiegelt sich aber nicht nur im Verhältnis zur Geschäftsführung, sondern auch gegenüber dem Pflichtaufsichtsrat wider und wirkt sich auf die von ihm geschuldete Überwachung aus.58 Ihm ist nämlich – im Unterschied zum AktG und GenG – die Überwachung der Geschäftsführung nicht allein übertragen. Vielmehr ist neben dem Aufsichtsrat auch noch die Gesellschafterversammlung59 zur Überwachung der Geschäftsführung befugt. Zwar hat der Pflichtaufsichtsrat einer mitbestimmten GmbH dem Grunde nach die Geschäftsführung genauso zu überwachen, wie der Aufsichtsrat einer AG oder eG. Er kann sich hierzu auch der Informations- und Zustimmungsrechte, insbesondere des Instruments des Zustimmungsvorbehalts gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG, bedienen. Diese Rechte entfalten in der GmbH aber nicht die gleiche Wirkung wie in der AG oder eG, da sie stets durch die mächtige Stellung der Gesellschafter überlagert werden.60 Der Pflichtaufsichtsrat einer mitbestimmten GmbH hat das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung in Bezug auf Geschäfts56  Lutter/Krieger/Verse,

Rechte und Pflichten, § 15 Rn. 1114. Einzelanweisungen im Rahmen der laufenden Geschäftsführung darf die Geschäftsführung aber nicht gänzlich an die Gesellschafterversammlung gezogen werden. Siehe Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 15 Rn. 1114. 58  Auch dem Pflichtaufsichtsrat einer GmbH obliegt primär die Aufgabe, die Geschäftsführung zu überwachen und die Geschäftsführer zu bestellen und abzuberufen. Ferner kann der Aufsichtsrat entweder aufgrund satzungsmäßiger Vorgaben oder kraft eigenen Beschlusses bei einzelnen wichtigen Maßnahmen der Geschäftsführung im Wege eines Zustimmungsvorbehalts teilhaben. Siehe Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 15 Rn. 1116. 59  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 15 Rn. 1120, wobei die Überwachungskompetenzen beider Organe selbständig nebeneinander stehen und keines der beiden Organe das andere ersetzt oder dessen Kontrollaufgabe einschränkt. 60  Dies wird am Beispiel des § 111 Abs. 4 S. 2 AktG deutlich, der die vom Aufsichtsrat zu erbringende Überwachung durch einen Zustimmungsvorbehalt zwar auf den ersten Blick zu verstärken scheint. Verweigert der Pflichtaufsichtsrat die Zustimmung zu einem bestimmten Geschäft, kann diese Ablehnung von der Gesellschafterversammlung durch Beschluss mit einfacher Mehrheit beseitigt und die Geschäftsführung sogar ausdrücklich zur Durchführung der vom Aufsichtsrat missbilligten Maßnahme angewiesen werden. Die Entscheidungsbefugnis verbleibt damit in letzter Konsequenz bei den Gesellschaftern, wodurch die Stellung des Pflichtaufsichtsrats im Vergleich zur AG und eG nicht unerheblich geschwächt wird, vgl. Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten, § 15 Rn. 1120. 57  Bei



A. Stellung des Aufsichtsrats im Gesellschaftsrecht41

führungsaufgaben wenigstens insoweit zu akzeptieren, als dass gegenüber den Geschäftsführern „angewiesene“ Maßnahmen nicht seiner Überwachung unterliegen61. Aufgrund dieser Einschränkung verbleibt für eine „echte“ Überwachung durch den Pflichtaufsichtsrat einer GmbH62 nur dort Raum, wo die Geschäftsführung noch im Rahmen ihres eigenen Ermessens überhaupt Entscheidungen treffen darf und nicht durch einen Gesellschafterbeschluss gebunden ist. Dem Pflichtaufsichtsrat einer GmbH verbleibt damit nur das Recht, Fragen der Rechtmäßigkeit zu rügen und nach § 111 Abs. 3 AktG die Gesellschafterversammlung einzuberufen, wenn er es für erforderlich hält.63 Schließlich sind in der mitbestimmten GmbH die für eine effektive Überwachung zentralen Informationsrechte aus § 90 AktG in Bezug auf Pflichtaufsichtsräte auch stark eingeschränkt, da hier – im Unterschied zu dem Aufsichtsrat einer AG – keine „kontinuierliche Pflicht“64 der Geschäftsführung zur Berichterstattung besteht.65 b) Der fakultativ eingerichtete Aufsichtsrat in einer GmbH Letztlich ist auch der in der mitbestimmungsfreien GmbH durch Satzungsregelung fakultativ implementierbare Aufsichtsrat in seiner Stellung weder mit dem Pflichtaufsichtsrat einer mitbestimmten GmbH noch mit einem Aufsichtsrat nach dem AktG oder GenG vergleichbar, da dessen Rechte und Pflichten „nahezu beliebig gestaltet“66 werden können, während die Rechte und Pflichten eines jeden Pflichtaufsichtsrats nach dem AktG, GenG, DrittelbG, MitbestG, MontanMitbestG und MitbestG wenigstens im Kern gesetzlich festgelegt sind.67 Die in § 52 Abs. 1 GmbHG genannten Vorschriften des AktG bestimmen daher nur dann die Stellung des fakultativ eingerichteten GmbH-Aufsichtsrats, wenn die Satzung von der Möglichkeit der Ausgestaltung keinen Gebrauch gemacht hat. Sollte keine Satzungsregelung mit der 61  Lutter/Krieger/Verse,

Rechte und Pflichten, § 15 Rn. 1121. Rechte und Pflichten, § 15 Rn. 1118. 63  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 15 Rn. 1125. 64  Das gesetzliche Informationssystem des Aktienrechts findet über die Verweisungen der § 3 Abs. 2 Montan MitbestG, § 3 Abs. 1 S. 2 MitbestErgG i. V. m. § 3 Abs. 2 MontanMitbestG auf das AktG nur in den montanmitbestimmten Gesellschaften Anwendung, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 15 Rn. 1122. Zum Berichtssystem in der AG vgl. Teil 2 B. I. 1. b) cc). 65  Dem Aufsichtsrat verbleiben damit nur die in § 90 Abs. 3 AktG geregelten Rechte. Die Anwendbarkeit folgt für den mitbestimmten Aufsichtsrat aus einem Verweis der jeweiligen Spezialgesetze auf die Vorschrift des § 90 Abs. 3 AktG. Zur Frage der Informationsbeschaffung siehe insoweit zutreffend Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 15 Rn. 1123. 66  Baumbach/Hueck, GmbHG, § 52 Rn. 24. 67  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 16 Rn. 1182. 62  Lutter/Krieger/Verse,

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

Folge existieren, dass die Verweisung des § 52 Abs. 1 GmbHG zur Anwendung gelangt, gelten hinsichtlich der Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats die soeben zum Pflichtaufsichtsrat in einer mitbestimmten GmbH aufgezeigten Schwächen gleichermaßen.68 Damit verbleiben dem fakultativ eingerichteten Aufsichtsrat einer GmbH – vorbehaltlich anderweitiger Satzungsregelungen69 – nur geringe Einflussmöglichkeiten. Diese bestehen in Form einer Minimalüberwachung70 und sind weitestgehend deckungsgleich71 mit den gleichermaßen schwachen Befugnissen eines Pflichtaufsichtsrats in einer mitbestimmten GmbH. Die für Aufsichtsratsmitglieder einer AG geltende Pflichtenlage ist auf den Pflichtaufsichtsrat in einer mitbestimmten, beziehungsweise den fakultativ eingerichteten Aufsichtsrat in einer mitbestimmungsfreien GmbH nur stark begrenzt72 und auch nur in Bezug auf den absoluten Minimalbereich der von dem GmbH-rechtlichen Aufsichtsrat geschuldeten Überwachung zu übertragen. Deren Rechtstellung ist aufgrund der Besonderheiten des GmbH-Rechts, insbesondere wegen der hierarchischen Ausgestaltung und des starken Einflusses der Gesellschafterversammlung, schwächer ausgeprägt, als die eines Aufsichtsrats in der AG oder eG. 4. Stellung des Aufsichtsrats in der Europäischen Gesellschaft Im Unterschied zu den Gesellschaftsformen der GmbH und der KGaA verfügt die Europäische Gesellschaft, Societas Europaea (SE), zumindest dann über eine nahezu deckungsgleiche Organisationsstruktur wie eine AG, 68  Lutter/Krieger/Verse,

Rechte und Pflichten, § 16 Rn. 1182. dem Regelungssystem des GmbHG wäre es denkbar, den fakultativen Aufsichtsrat auch mit starken Befugnissen auszustatten. 70  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 16 Rn. 1205; Baumbach/Hueck, GmbHG, § 52 Rn. 100, wonach „funktionstypische Aufgabe jedes Aufsichtsrats die Überwachung der Geschäftsführertätigkeit, also Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Rechtmäßigkeit der Unternehmensleitung durch den Geschäftsführer“ ist. Eine Überwachung der Geschäftsführungsentscheidungen der Gesellschafterversammlung scheidet aber aus, da sich der Überwachungsauftrag nur auf die Ausführung getroffener Entscheidungen durch die Geschäftsführer bezieht, sodass die Formulierung des § 111 Abs. 1 AktG wegen der divergierenden Unternehmensverfassungen zwischen AG und GmbH „differenziert“ verstanden werden muss. 71  Unterschiede können sich im Bereich der Personalkompetenz (der fakultative Aufsichtsrat ist ohne Satzungsregelung nicht befugt zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung) und der Feststellung des Jahresabschlusses ergeben. Bezüglich weiterer Einzelheiten siehe die Ausführungen bei Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 16 Rn. 1204. 72  Nach Baumbach/Hueck, GmbHG, § 52 Rn. 5 ist „der GmbH-rechtliche AR in keiner Variante mit dem aktienrechtlichen gleichzusetzen“. 69  Nach



A. Stellung des Aufsichtsrats im Gesellschaftsrecht43

wenn diese dual ausgestaltet ist. Die SE lässt sich nach dem in Deutschland vorherrschenden Aufsichtsratsmodell der AG73, welches dualistisch geprägt ist, oder nach dem vorwiegend im Ausland praktizierten Verwaltungsratsmodell (monistisches Modell) ausgestalten.74 Das für die SE anwendbare Recht ergibt sich aus der Vorschrift des Art. 9 SE-VO, wonach neben der Verordnung selbst (Art. 9 Abs. 1 lit. a SE-VO) und der Satzung der SE (Art. 9 Abs. 1 lit. b SE-VO) auch nationales Recht (Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO) zur Anwendung gelangt. Soweit letzteres anwendbar ist, gilt zunächst das SEAG als nationales Ausführungsgesetz75, sodann das AktG als primäres nationales Recht und schließlich die sich im Rahmen der Vorgaben der SE-VO und des nationalen Aktienrechts haltende Satzung der SE.76 Mit Blick auf die hier interessierende Frage der strafrechtlichen Haftungsrisiken von Mitgliedern des Aufsichtsrats genügt es, an dieser Stelle festzuhalten, dass für die SE das allgemeine nationale Aktienrecht des Sitzstaates gilt, soweit es nicht durch die speziellen Regelungen der Satzung beziehungsweise durch die vorrangigen Bestimmungen des Ausführungsgesetzes und der SE-VO verdrängt wird.77 Es besteht daher bis auf wenige Ausnahmen78 eine „enge Verwandt­ schaft“79 des Aufsichtsorgans einer SE mit dem Aufsichtsrat einer AG. Dies hat zur Folge, dass das Aufgabenspektrum des in der dualistisch ausgestalteten SE existierenden Aufsichtsrats mit demjenigen des in der AG als Pflichtorgan vorgesehenen Aufsichtsrats vergleichbar ist, da in beiden Organen die „Kontrollfunktion gebündelt“80 wird. Aufgaben des Aufsichtsorgans in der SE sind wegen der Anwendung des nationalen Aktienrechts gerade auch die 73  MüKoAG/Oechsler SE-VO Art. 9 SE-VO Rn. 9, wonach das zweistufige System neben Deutschland auch in Österreich, Schweden, Finnland, Dänemark zwingend ist, während Frankreich, Italien, Portugal und Spanien eine Wahlmöglichkeit vorsehen. 74  Windbichler, GesR, § 35 Rn. 1. Art. 38 SE-VO eröffnet die Wahlmöglichkeit, durch Satzungsregelung neben einer Hauptversammlung der Aktionäre „entweder ein Aufsichtsorgan und ein Leitungsorgan (dualistisches System) oder ein Verwaltungsorgan (monoistisches System)“ zu bestimmen. 75  MüKoAG/Oechsler SE-VO Art. 9 SE-VO Rn. 2. 76  Weitergehend MüKoAG/Oechsler SE-VO Art. 9 SE-VO Rn. 1 u. 2; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 19, Rn. 1351 ff. 77  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 19, Rn. 1356. 78  Abweichungen zum AktG bestehen in der unternehmerischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der SE und in der Amtszeit (Art. 46 SE-VO). Wesentlicher Unterschied ist, dass das deutsche Mitbestimmungsgesetz auf die SE keine Anwendung findet. Siehe hierzu weitergehend die Ausführungen bei MüKoAG/Oechsler SE-VO Art. 9 SE-VO Rn. 12; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 19 Rn. 1353. 79  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 19 Rn. 1352. 80  MüKoAG/Oechsler SE-VO Art. 9 SE-VO Rn. 9; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 19 Rn. 1373. Vgl. auch Art. 39 Abs. 2 SE-VO u. Art. 40 Abs. 1 ­SE-VO.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Leitungsorgans, deren Kontrolle und Beratung sowie teilweise auch die echte Mitentscheidung.81

IV. Fazit und Bedeutung für die weitere Untersuchung Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass sämtliche nach deutschem Recht verfasste Kapitalgesellschaften die Figur des Aufsichtsrats kennen, diesen – mit Ausnahme der nicht mitbestimmten GmbH – durchgehend als Pflichtorgan vorsehen und ihm in der Regel Kontrollaufgaben zugewiesen sind. Auch wurde deutlich, dass die Befugnisse eines Aufsichtsrats von der Gesellschaftsform abhängen und dessen organschaftliche Stellung durch die für diese speziell geltenden Vorschriften geprägt wird. Die vom Aufsichtsrat geschuldete Überwachung ist daher vor dem Hintergrund der sich aus diesen Gesetzen ergebenden Besonderheiten zu sehen. Besonders deutlich zeigt sich die unterschiedliche Ausgestaltung der Aufsichtratstätigkeit in Bezug auf den Aufsichtsrat einer KGaA und einer GmbH im Vergleich zu dem einer AG, eG und dem einer SE. Die organschaftliche Stellung eines Aufsichtsrats in einer KGaA oder GmbH ist entweder aufgrund reduzierter Befugnisse oder infolge einer dominanten und ihre Befugnisse überlagernden Stellung anderer Gesellschaftsorgane geprägt und daher mit der eines Aufsichtsrats in einer AG, eG oder SE kaum vergleichbar. Die weitere zivil- und strafrechtliche Untersuchung orientiert sich mit Blick darauf, dass der Aufsichtsrat als Pflichtorgan in allen Aktiengesellschaften vorgesehen und dessen Stellung im AktG am umfassendsten ausgestaltet ist, ausschließlich an dieser Kapitalgesellschaftsform. In dieser kommt ihm auch die größte praktische Relevanz zu. Die nachfolgend gewonnenen Ergebnisse lassen sich vor dem Hintergrund der vorstehenden Untersuchungsergebnisse auf den Aufsichtsrat einer KGaA nur sehr begrenzt und auch stets nur unter Berücksichtigung der aufgezeigten strukturellen Unterschiede übertragen. Dies gilt erst recht, soweit es um die Begründung strafrechtlich relevanter Pflichten geht. Diese Einschränkung gilt gleichermaßen für den Pflichtaufsichtsrat einer mitbestimmten GmbH und noch mehr für den fakultativ eingerichteten Aufsichtsrat einer mitbestimmungsfreien GmbH, da deren Stellung aufgrund der parallelen Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung im Bereich der Überwachung im Ergebnis nur eine „Minimalüberwachung“ begründet. Im Falle eines fakultativ eingerichteten Aufsichtsrats ist ferner zu bedenken, dass dessen Stellung durch die Satzung nahezu beliebig ausgestaltet werden kann. Dieser Besonderheit wäre 81  Lutter/Krieger/Verse,

Rechte und Pflichten, § 19 Rn. 1351 u. 1373 ff.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG45

im Rahmen einer strafrechtlichen Pflichtendiskussion besonders Rechnung zu tragen. Der vorgenommene Vergleich der einzelnen Kapitalgesellschaftsformen hat aber auch gezeigt, dass die organschaftliche Stellung des Aufsichtsrats in einer eG, sieht man von der fehlenden Personalkompetenz gegenüber dem Vorstand ab82, und die eines Aufsichtsrats in einer dual verfassten SE durchaus mit derjenigen eines Aufsichtsrats in der AG vergleichbar sind. Die nachfolgenden in Bezug auf die Aktiengesellschaft gefundenen Erkenntnisse lassen sich daher auch auf die Mitglieder des Aufsichtsrats einer eG83 und SE übertragen.

B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der Aktiengesellschaft Zentral für die Bestimmung der strafrechtlichen Verantwortung von Aufsichtsratsmitgliedern ist das Zusammenwirken von Gesellschaftsrecht und Strafrecht. Bevor das strafrechtliche Pflichtenprogramm von Aufsichtsräten bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands untersucht werden kann, sind daher zunächst die sich aus dem Aktienrecht ergebenden Pflichten eines Aufsichtsrats „vor die Klammer zu ziehen“ und zu analysieren. Deshalb schafft Teil 2 der Untersuchung im Folgenden einerseits die allgemeine aktienrechtliche Basis zur Bestimmung der compliancespezifischen Pflichten des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit der Überwachung des Vorstands.84 Anderseits dient die nachfolgende Betrachtung der Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft zugleich als gesellschaftsrechtliches Fundament für die in Teil 5 der Arbeit im Mittelpunkt stehende Prüfung der strafrechtlichen Pflichten des Aufsichtsrats, indem die aus dem gesetzlichen Auftrag des § 111 Abs. 1 AktG folgende Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats sowie die ihm zur Erfüllung dieser Aufgabe zur Verfügung stehenden Instrumente beleuchtet werden.

82  Im Bereich der Geschäftsführungsaufgaben besteht bei Personalangelegenheiten nur eine Vergleichbarkeit, wenn die Satzung der eG  – wie in den Mustersatzungen üblich  – die Personalkompetenz gegenüber dem Vorstand von der Genossenschaftsversammlung wegverlagert und auf den Aufsichtsrat überträgt. Siehe hierzu oben Teil 2 A. III. 2. 83  Dies gilt bei der eG jedenfalls für den Bereich der Überwachungsaufgaben. Mit Blick auf die nach der gesetzlichen Ausgangslage nach dem GenG fehlende Personalkompetenz besteht eine Vergleichbarkeit nur, wenn dem Aufsichtsrat der eG nach der Satzung auch die Befugnis zur Bestellung und Abberufung des Vorstandes übertragen wurde. 84  Diese werden sodann in Teil 3 näher untersucht. Siehe unten Teil 3 C.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

I. Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats in einer Aktiengesellschaft Der Pflichtenkreis des Aufsichtsrats ist zivilrechtlich, wie die zahlreichen gesetzlichen Regelungen im Aktiengesetz85 zeigen, weit gespannt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, alle denkbaren Pflichtverstöße und die damit zusammenhängenden Risiken katalogartig darzustellen und in Gebotsoder Verbotsnormen einzuteilen.86 Dies liegt in der Natur des Zivilrechts. Während das Strafrecht ein bestimmtes Handeln mit Strafe bedroht, regelt das Zivilrecht die Rechtsbeziehungen von Rechtssubjekten untereinander und eröffnet bewusst87 Gestaltungs- und Handlungsspielräume. Demgegenüber muss sich eine Strafnorm stets an den Voraussetzungen des Art. 103 Abs. 2 GG messen lassen88, was dazu führt, dass im Zeitpunkt der Tat die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt gewesen sein muss. Im Zivilrecht besteht eine solche Restriktion nicht in dieser Intensität. Die bei der Pflichtenbestimmung für den Aufsichtsrat heranzuziehenden Tatbestände enthalten neben konkreten Regelungen somit auch weit gefasste und die Stellung des Aufsichtsrats nur in weiten Grenzen beschreibende Generalklauseln und Gesetzesbefehle. Für den Bereich der Überwachungsaufgaben ist daher erforderlich, das sich aus dem Aktiengesetz ergebende Pflichtenspektrum unter Einbeziehung der hierzu ergangenen Rechtsprechung zu konkretisieren. Im Anschluss daran wird der nach dem gesetzlichen Auftrag des § 111 Abs. 1 AktG vom Aufsichtsrat allgemein geschuldete Umfang der Überwachung mit Blick darauf untersucht, ob ihn auch eine Compliance-Verantwortung in der AG trifft und in welchem Verhältnis eine solche gegebenenfalls wirkt.89 85  §§ 33, 58 Abs. 2, 59 Abs. 3, 77 Abs. 2, 78 Abs. 3, 84, 87–90, 105 Abs. 2, 111, 112, 114, 115, 116, 124 Abs. 3, 170–172, 204 Abs. 1, 245 Nr. 5, 268 Abs. 2, 308 Abs. 3 S. 2, 314 AktG. 86  Peltzer u. a., Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer, § 15, Rn. 16. 87  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie § 5, S. 132, wonach das Gesetz bei Verwendung von „kalkulierten Unbestimmtheiten“ Elastizität gewinne. Siehe auch Hamm, NJW 2005, 1993. 88  § 1 StGB wiederholt einfachgesetzlich nochmals den Wortlaut des § 103 Abs. 2 GG. 89  Versteht man Compliance an dieser Stelle allgemein als Pflicht, welche insbesondere auch die Organe der AG zu legalem Verhalten sowie zur Sicherstellung legalen Verhaltens auf Ebene der Mitarbeiter durch Vornahme bzw. Organisation geeigneter Maßnahmen verpflichtet, stellt sich die Frage, welches Organ inwieweit für die Einhaltung der Compliance in der AG verantwortlich ist. Unterstellt man zudem, dass eine „Compliance-Pflichtverletzung“ des Vorstands als Leitungsorgan der AG vorliegt, wenn dieser sich entweder selbst nicht legal verhält oder er in der AG keine hinreichenden organisatorischen Vorkehrungen zur Sicherstellung des Legalverhaltens auf Mitarbeiterebene trifft, könnte sich die „Compliance-Verantwortung“ des Auf-



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG47

1. Überwachung der Geschäftsführung nach § 111 Abs. 1 AktG Der gesetzliche Auftrag des § 111 Abs. 1 AktG beschränkt sich auf die allgemeine Aussage, dass der Aufsichtsrat die Geschäftsführung zu überwachen hat. Hierbei handelt es sich – neben der Personalkompetenz90 – um eine der wichtigsten Aufgaben des Aufsichtsrats.91 Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats kann mit Blick auf die zahlreichen, den Aufsichtsrat adressierenden Vorschriften jedoch nicht isoliert92 nach § 111 Abs. 1 AktG betrachtet werden, sondern ist im Zusammenhang mit der gesamten Vorschrift des § 111 AktG und den dort geregelten Mitteln der Überwachung zu sehen. Ziel des § 111 AktG ist es primär, die Überwachungsaufgabe als Hauptaufgabe des Aufsichtsrats hervorzuheben und gleichzeitig seine Kompetenzen gegenüber dem Vorstand und der Hauptversammlung abzugrenzen.93 Neben dem Gesetzesbefehl in § 111 Abs. 1 AktG, die Geschäftsführung zu überwachen, nennt die Vorschrift in den Absätzen 2, 3 und 4 Mittel der Überwachung94, die den Aufsichtsrat zu einer in die Zukunft gerichteten und damit „präventiven Kontrolle“95 als Teil der allgemeinen Überwachungspflicht befähigen sollen. Die Vorschrift des § 111 AktG ist nach dem Willen des Gesetzgebers nicht abschließend formuliert.96 Nach dessen Auffassung sei es „weder möglich sichtsrats als Überwachungsorgan nach dem geseztlichen Auftrag aus § 111 Abs. 1 AktG, wonach der Aufsichtsrat die Geschäftsführung zu überwachen hat, als eine Pflicht zur Überwachung der Compliance-Konformität des Vorstands darstellen. Zu den Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands vgl. Teil 3 C. 90  Diese folgt aus §§ 84 ff. AktG, wonach der Aufsichtsrat für die Bestellung und Abberufung des Vorstandes zuständig ist. Siehe auch Hüffer, NZG 2007, 47. 91  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 150; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 61; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 1; Lang/Balzer, WM 2012, 1171, wonach die Überwachungspflicht als eine „zentrale Pflicht“ anzusehen ist. 92  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 151. 93  MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 1; Lang/Balzer, WM 2012, 1171. 94  So etwa in Abs. 2 das Recht Bücher und Schriften der Gesellschaft einsehen und prüfen zu können, in Abs. 2 S. 3 die Kompetenz zur Erteilung des Auftrages an den Abschlussprüfer, in Abs. 3 die Pflicht eine Hauptversammlung einzuberufen, wenn dies das Wohl der Gesellschaft erfordert, in Abs. IV S. 2 das Recht einen Zustimmungsvorbehalt zu begründen. 95  BGHZ 114, 127, 130 f. = AG 1991, 312 m. Anm. Lutter/Kremer; BGHZ 135, 244, 255; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 12; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 14; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 94. Siehe auch unten Teil 2 B. I. 1. b). 96  Begr. RegE Kropff, S. 154; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 1 m.  w. N. in Fn. 1.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

noch zweckmäßig, alle Aufgaben des Aufsichtsrats in einer Vorschrift zusammenzufassen“.97 Ob das Handeln beziehungsweise die Informationserlangung des Aufsichtsrats im konkreten Fall tatsächlich ausgereicht hat, um den abstrakt gehaltenen, gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, lässt sich für den in der zivilrechtlichen und, bei Hinzutreten weiterer Umstände, gegebenenfalls auch in der strafrechtlichen Haftung stehenden Aufsichtrat durch das Gesetz nicht abschließend und mit hinreichender Sicherheit beantworten. Daher ist es über den gesetzlichen Auftrag hinaus erforderlich, bei Ausfüllung der Generalklausel den nicht im positiven Recht abgebildeten, sondern durch die Rechtsprechung aufgestellten Pflichtenkatalog98 in die Pflichtenanalyse mit einzubeziehen. Erst danach lassen sich ein Mindestkern an geschuldeter Überwachung und ein Minimum an Rechtssicherheit gewinnen. Mit Blick auf diese insgesamt unscharfe Ausgangslage ist der in § 111 Abs. 1 AktG durch den Gesetzgeber nur allgemein formulierte, in seiner konkreten Bedeutung für den Aufsichtsrat aber elementare Überwachungsauftrag inhaltlich näher zu bestimmen, um sodann compliancerelevante Überwachungspflichten des Aufsichtsrats herausarbeiten zu können. Aufgrund der Breite an denkbaren Überwachungsfällen erscheint es sinnvoll, zwischen der nach zivilrechtlichen Maßstäben geschuldeten gesetzlichen Mindestüberwachung und einer freiwilligen, aufgrund von internen Vorschriften selbst geschaffenen, „Mehrleistung an Überwachung“99 zu unterscheiden. Gegenstand der nachfolgenden Betrachtung ist die sich aus dem Aktiengesetz ergebende gesetzliche Mindestüberwachung.100 Eine präzise Bestimmung des nach aktienrechtlichen Maßstäben geschuldeten Mindestmaßes der Überwachung ist insbesondere deshalb erforderlich, um für die Untersuchung der strafrechtlichen Haftungsrisiken der Aufsichtsratsmitglieder eine rechtliche Basis zu schaffen.101

97  Begr. RegE Kropff S. 154; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 1. Mit Blick auf dieses gesetzgeberische Ziel wurden in der Vorschrift des § 111 AktG „nur die bedeutsamsten Aufgaben geregelt“. Daher finden sich im AktG an zahlreichen Stellen weitere Regelungen, die den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats weiter bestimmen. 98  Peltzer u. a., Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer, § 15, Rn. 17. 99  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 155. 100  Auf die Möglichkeit der „Regelung“ der „Kontrollintensität“ durch den Aufsichtsrat wird in Teil 6 unter präventiven Gesichtspunkten separat eingegangen. Siehe Teil 6 A. III.–V. 101  Dies gilt v. a. mit Blick auf den im Rahmen dieser Arbeit im Mittelpunkt stehenden Tatbestand der Untreue, der über das Tatbestandsmerkmal der Vermögensbetreuungspflichtverletzung an außerstrafrechtliche Pflichten anknüpft. Zum Verhältnis zwischen Zivil- u. Strafrecht im Allgemeinen und im Bereich der Untreue im Besonderen vgl. Teil 4 u. Teil 5 A. II. 1. c).



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG49

a) Gegenstand der Überwachung gemäß § 111 Abs. 1 AktG Die nach dem Gesetz geschuldete Überwachungsaufgabe ist praktisch wie rechtlich bereits deshalb außerordentlich komplex, weil sich in der Aktiengesellschaft zwei Kollegialorgane gegenüberstehen, die nach dem Aktiengesetz jeweils mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet sind.102 Personaler Anknüpfungspunkt für die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats ist nach dem Wortlaut des § 111 Abs. 1 AktG die Geschäftsführung. Der Begriff der Geschäftsführung wird von § 111 Abs. 1 AktG aber nicht näher bestimmt, sondern letztlich vorausgesetzt.103 Daher ist in einem ersten Schritt zu klären, was unter dem Begriff der Geschäftsführung im Sinne von § 111 Abs. 1 AktG zu verstehen ist und welche Tiefe der Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats in diesem Zusammenhang konkret erreicht. Seit der Neufassung des Überwachungsauftrags durch das Aktiengesetz von 1937 ist der „Aufsichtsrat nicht mehr verpflichtet, die Geschäftsführung in allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen“104. Einem solch umfassenden Überwachungsauftrag könnte der Aufsichtsrat auch nicht gerecht werden.105 Unklar ist gleichwohl, auf welchen Teil der Geschäftsführung sich der Überwachungsauftrag des § 111 Abs. 1 AktG dann konkret erstreckt.106 Denkbar wäre, den im Handelsrecht in § 114 Abs. 1 HGB erwähnten Begriff der „Führung der Geschäfte“ zur Ausfüllung des Geschäftsführungsbegriffs in § 111 Abs. 1 AktG heranzuziehen. Dies würde zu einer Überspannung des Überwachungsauftrages aus § 111 Abs. 1 AktG und einer im Ergebnis unerfüllbaren Kontrollpflicht führen, da dieser Geschäftsführungsbegriff sämtliche tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen, gewöhnlichen und außergewöhnlichen Handlungen erfasst, die auf die Verwirklichung des Gesellschaftszwecks gerichtet sind.107 Zur Reduktion einer solch weitreichenden, nicht erfüllbaren und vom Gesetzgeber in dieser Weite auch nicht gewollten Überwachungspflicht108 ist es 102  Gegenstand, Ausfüllung, Formen, Qualität, Instrumente und Grenzen der Überwachung sind untrennbar miteinander verknüpft. Siehe Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 158. 103  Hüffer/Koch, AktG § 111, Rn. 3. 104  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 159; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 63. 105  Zutreffend Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 63. 106  § 77 Abs. 1 S. 1 AktG hilft bei der Eingrenzung nicht weiter, da die Vorschrift nur die Aussage enthält, dass bei einem aus mehreren Personen bestehenden Vorstand eine „gemeinschaftliche Geschäftsführung“ erfolgt. Inhalt und Umfang einer solchen wird nicht definiert. 107  Baumbach/Hopt, HGB, §  114 Rn.  1; Hopt/Roth, GroßkommAktG, §  111 Rn. 159.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

erforderlich, aus dem weiten Begriff der Geschäftsführung den in § 76 Abs. 1 AktG ausdrücklich dem Vorstand zugewiesenen Bereich der Leitung abzuspalten und die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats nur auf Leitungsmaßnahmen zu beschränken.109 Der in § 77 Abs. 1 S. 1 AktG und § 111 Abs. 1 AktG genannte Begriff der Geschäftsführung ist in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung daher zumindest für den Bereich der vom Aufsichtsrat geschuldeten Überwachung mit dem Begriff der Leitung der Gesellschaft gleichzusetzen.110 Nur durch eine solche Lesart kann dem gesetzgeberischen Willen (keine Totalüberwachung) und dem praktischen Bedürfnis nach einer effektiven Kontrolle, die im Rahmen der bestehenden Kapazitäten vom Aufsichtsrat auch tatsächlich geleistet werden kann und soll, Rechnung getragen werden. Eine so verstandene Gleichsetzung von Leitung und Geschäftsführung überzeugt im Ergebnis, weil die Leitungsmacht des Vorstands nach § 76 Abs. 1 AktG gerade zur Kompetenzabgrenzung gegenüber dem Überwachungsorgan Aufsichtsrat und der Hauptversammlung dient.111 Folglich ist es sachgerecht, wenn vom Aufsichtsrat nur der Teil überwacht wird, der ihm durch § 76 Abs. 1 AktG kompetenzmäßig entzogen ist.112 Sein Auftrag beschränkt sich nach § 111 Abs. 1 AktG deshalb nur auf solche Maß108  Dies zeigt auch der historische Vergleich der Vorschrift des § 111 Abs. 1 AktG mit seinen Vorgängerregelungen, da der Gegenstand der Überwachungstätigkeit in der Geschichte des deutschen Aktienrechts mehrmals gewechselt hat. Von 1870 bis 1884 und von 1900 bis 1936 war die Geschäftsführung in allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen. In den Jahren von 1885 bis 1899 war nur der Vorstand zu überwachen. Seit der Neufassung des Überwachungsauftrags durch das AktG von 1937 ist der Aufsichtsrat nicht mehr verpflichtet, die Geschäftsführung in allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen. Siehe hierzu die weiterführenden Hinweise bei Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 159. 109  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 63; Hopt/Roth, Großkomm­ AktG, § 111 Rn. 159; Reichert/Ott, NZG 2014, 244. 110  Zutreffend Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 160; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 63. 111  Fleischer, ZIP 2003, S. 1; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 160, der die Begriffe Leitung und Geschäftsführung im AktG als zumindest nicht „konsistent“ verwandt ansieht. 112  Hierbei handelt es sich gerade um den Bereich der Leitung. Zu den gesetzlich normierten Leitungsaufgaben in der AG zählen die Vorbereitung und Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 83 AktG, die Berichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat nach 90 AktG, die Buchführungspflicht und die Pflicht zur Einrichtung eines Überwachungssystems gemäß § 91 AktG. Der Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats erstreckt sich neben den im Aktiengesetz normierten auch auf sog. ungeschriebene Leitungsaufgaben. Hierzu zählen die Bereiche Unternehmensplanung, Festlegung der Unternehmenspolitik und Unternehmensstruktur, Kontrolle der an Mitarbeiter delegierten Geschäftsführung sowie die Überwachung der Geschäfts- und Ergebnisentwicklung einschließlich Personalentscheidungen auf der oberen Füh-



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG51

nahmen, die vom Vorstand im Rahmen der „Leitung“ der Gesellschaft zu entscheiden sind.113 Die Überwachung durch den Aufsichtsrat hat sich damit auch nur auf die Prüfung der zentralen Führungs- und Leitungsentscheidungen und auf grundsätzliche Fragen der künftigen Geschäftspolitik zu konzentrieren.114 Eine Kontrolle des laufenden Tagesgeschäfts115 oder eine Detailprüfung ist von ihm dagegen nicht zu besorgen. Einzelmaßnahmen sind von der Kontrolle ebenfalls ausgenommen.116 b) Konkrete Ausformung des Überwachungsauftrags gemäß § 111 Abs. 1 AktG Der „weitgefasste Wortlaut“117 des § 111 Abs. 1 AktG und die aus ihm in Bezug auf den Überwachungsgegenstand abgeleitete Pflicht, nur Leitungsmaßnahmen zu überwachen, lässt sich in zeitlicher, personeller und inhaltlicher Hinsicht weiter präzisieren.118 Zu klären ist, ob sich die Pflicht zur Überwachung von Leitungsmaßnahmen nur auf solche des Vorstands oder auch auf Maßnahmen von nachgeordneten Führungsebenen erstreckt. aa) Ausformung des Überwachungsauftrags in zeitlicher Hinsicht Die Überwachung der leitungsbezogenen Geschäftsführungsmaßnahmen umfasst neben der nachträglichen Kontrolle119 auch die Möglichkeit und unter Umständen sogar die Pflicht, die Geschäftsführung bei Entscheidungen über die künftige Unternehmenspolitik zu beraten.120 rungsebene. Zu weiteren Leitungsaufgaben siehe die Aufzählung bei Peltzer u. a., Die Haftung von Vorstand Aufsichtsrat Wirtschaftsprüfer, § 19, Rn. 5, Fn. 5. 113  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 160; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 63; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 20. 114  BGHZ 114, 127, 129; Vetter, in: Marsch-Barner / Schäfer, Hdb. AG, § 26 Rn. 3. 115  Vetter, in: Marsch-Barner / Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 26 Rn. 3; Hoffmann-Becking, in: Münch. Hdb. GesR, IV, § 29, 27; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 16; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 19; dezidiert OLG Stuttgart, ZIP 2012, 1965. 116  Vetter, in: Marsch-Barner / Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 26 Rn. 3. 117  Winter, FS Hüffer, 2010, S. 1108. 118  Ähnlich differenzierend Schilha, § 2, S. 44 ff. 119  Diese setzt ein, wenn die unternehmerische Entscheidung des Vorstands bereits umgesetzt wurde. Siehe Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 264. 120  Die präventive Überwachung erfolgt schon vor Entscheidung des Vorstands. MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 12 und 39; Hüffer/Koch, AktG, § 111, Rn. 5, 13; Leipold, FS Mehle 2009, 349.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

Die vergangenheitsbezogene repressive Kontrolle zeichnet sich primär durch Aufklärung des Sachverhalts, Beschaffung der relevanten Informationen, Ergreifen von personalpolitischen Maßnahmen gegenüber dem Vorstand und Verfolgung von Schadenersatzansprüchen aus.121 Die zukunftsbezogene präventive Kontrolle konzentriert sich auf die Beratung des Vorstands, die Meinungs- und Bedenkenäußerung und die Begründung von Zustimmungsvorbehalten.122 Die Unterscheidung zwischen präventiver und repressiver Kontrolle ist für die Beurteilung haftungsrechtlicher Fragen123 im Zusammenhang mit der Aufsichtsratstätigkeit von zentraler Bedeutung, da dem Aufsichtsrat nach Maßgabe der ARAG / Garmenbeck-Entscheidung124 in der Regel kein umfassendes unternehmerisches Ermessen zukommt.125 Ein Ermessen billigt der Bundesgerichtshof dem Aufsichtsrat nur für den Fall zu, dass er mit seiner Entscheidung oder Maßnahme selbst als Unternehmer tätig wird.126 Deshalb scheidet für den Bereich der repressiven Überwachung die Anwendung der sogenannten Business Judgement Rule gemäß §§ 93 Abs. 1 S. 2, 116 S. 1 AktG aus, da diese nach ihrem Wortlaut die Existenz eines Ermessensspielraums voraussetzt.127 Für den Bereich der präventiven Überwachung wird dem Aufsichtsrat hingegen für den Regelfall ein Handlungsermessen eingeräumt.128 121  Der repressive Charakter der vergangenheitsbezogenen Überwachung wird besonders deutlich, wenn der Aufsichtsrat gehalten ist, Vorstandsmitglieder abzuberufen oder ihnen gegenüber Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Siehe Winter, FS Hüffer 2010, 1109. 122  BGHZ 114, 127, 130; Hüffer/Koch, AktG, § 111, Rn. 4 ff; Winter, FS Hüffer 2010, 1109; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 288 ff. Diese drückt sich v. a. dadurch aus, dass der Aufsichtsrat verpflichtet ist, künftige Fehlentwicklungen zu verhindern, um Schaden von der AG abzuwenden. Kritisch zur Beratungskompetenz des Aufsichtsrats Claussen, ZHR 165, 2001, 405, 407. Zu den Instrumenten der Kontrolle siehe unten Teil 2 B. I. 2. u. Teil 6 A. II. 123  Hüffer, NZG 2007, 48; Leipold, FS Mehle, 2009, 348. 124  BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926; Henze, NJW 1998, 3309. Siehe unten Teil 3 C. III. 1. 125  Hüffer, NZG 2007, 48; MüKoAktG/Habersack § 111, Rn. 35 ff; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 441 f.; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rn. 47 f.; Arnold, in: Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 22 Rn. 53. Demgegenüber KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 15, die die Zuordnung einer bestimmten Überwachungstätigkeit in einen vergangenheits- und zukunftsbezogenen Bereich mit der Folge einer Ermessenseröffnung oder -einschränkung unter Verweis auf unsicherheitsbehaftete Einschätzungen auch für in der Vergangenheit liegender Umstände als „verfehlt“ ansehen. 126  BGHZ 135, 244; Hüffer, NZG 2007, 48; Leipold, FS Mehle, 2009, 348. 127  Hüffer, NZG 2007, S. 48. Zur sog. Business Judgement Rule siehe unten Teil 2 B. I. 1. c). 128  Hüffer, NZG 2007, 48; Leipold, FS Mehle, 2009, 348.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG53

Da sich der Aufsichtsrat aber grundsätzlich nicht auf ein unternehmerisches Ermessen berufen kann, wenn er zwingend gebotene repressive Kontrollmaßnahmen – wie die Geltendmachung von Schadenersatz oder die Abberufung eines Vorstandsmitglieds bei Vorliegen von gravierenden Pflichtverletzungen – nicht ergriffen hat129, kommt einer solchen Konstellation unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten jedenfalls Relevanz zu, wenn der Leitungsfehler des Vorstands zu einem Schaden der AG geführt hat. Den Mitgliedern des Aufsichtsrats könnte dann vorgeworfen werden, für diesen Schaden wegen ungenügender Überwachung selbst verantwortlich zu sein.130 Für die nachfolgende Pflichtendiskussion ist daher bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass der Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats nach überwiegender Meinung nicht nur vergangenheits- sondern auch zukunftsbezogen131 ausgerichtet ist. Bei Untersuchung des strafrechtlichen Pflichtenmaßstabs innerhalb der Untreue könnte dieser Differenzierung wegen einer damit möglicherweise einhergehenden Einschränkung des Ermessens für den Bereich der repressiven Überwachung sowie der Nichtanwendbarkeit der Business Judgement Rule gemäß §§ 93 Abs. 1 S. 2, 116 AktG eine entscheidende Bedeutung zukommen.132 Die Kontrolle vollzieht sich dann nach objektiven Gesichtspunkten und ist gerichtlich voll nachprüfbar.133 Demgegenüber kann der Aufsichtsrat im Rahmen der präventiven Überwachung auf die künftige Geschäftspolitik des Vorstands Einfluss nehmen.134 bb) Einschränkung der Überwachung in personeller Hinsicht Die in gegenständlicher Hinsicht bereits festgestellte Beschränkung des in § 111 Abs. 1 AktG nur allgemein formulierten Überwachungsauftrags auf den Bereich der Leitungsaufgaben korrespondiert mit einer personellen Einschränkung der Überwachung. 129  Hüffer, NZG 2007, 48; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 278. Einschränkungen des unternehmerischen Ermessen können sich aus Gesetz, Satzung oder den Vorgaben der Rechtsprechung ergeben. Siehe hierzu auch MüKoAktG/Habersack, § 116 Rn. 39a. 130  Hüffer, NZG 2007, 48. 131  BGHZ 114, 130; BGHZ 135, 255; Hüffer/Koch, AktG, § 111, Rn. 4 f.; Hopt/ Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 264, 288; Leipold, FS Mehle, 2009, 348; Winter, FS Hüffer 10, 1109. 132  Zu den Anforderungen an das Pflichtverletzungsmerkmal siehe Teil 5 A. II. 1. c) aa). 133  Siehe Leipold, FS Mehle, 2009, 348. 134  Leipold, FS Mehle, 2009, 349; Hüffer, NZG 2007, 48; Hüffer/Koch, AktG, § 111, Rn. 5.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

(1) Vorstandstätigkeit Einigkeit besteht darin, dass die leitungsbezogene Geschäftsführungstätigkeit des Vorstands zentraler Gegenstand der Überwachung durch den Aufsichtsrat ist.135 (2) Hauptversammlungsbeschlüsse Ebenso besteht Einigkeit darüber, dass dem Aufsichtsrat mit Blick auf die Hauptversammlung und deren Beschlüssen weder eine Pflicht noch ein Recht auf Überwachung zukommt.136 Ein solches Kontrollrecht wäre mit Blick auf die Vorschriften der §§ 101 Abs. 1, 120 AktG auch wenig sinnvoll, da die Mitglieder des Aufsichtsrats von der Hauptversammlung gewählt werden, soweit sie nicht in den Aufsichtsrat zu entsenden oder in diesen zu wählen sind und § 111 Abs. 4 S. 3 AktG der Hauptversammlung die Möglichkeit einräumt, bei Vorliegen einer Dreiviertelmehrheit einen ablehnenden Beschluss des Aufsichtsrats zu ersetzen. Würde man den ersetzenden Beschluss der Hauptversammlung wiederum einer Kontrolle durch den Aufsichtsrat unterwerfen, liefe die Vorschrift des § 111 Abs. 4 S. 3 AktG faktisch leer.137 Der Aufsichtsrat hat deshalb nur die Rechtmäßigkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse zu kontrollieren.138 Eine über dieses Kontrollminimum hinausgehende Prüfung, etwa ob eine Geschäftsführungsentscheidung der Hauptversammlung gemäß § 119 Abs. 2 AktG auch zweckmäßig war oder nicht, ist ihm richtigerweise nicht gestattet.139 (3) Leitende Angestellte der zweiten Hierarchieebene Die Frage, wie weit der gesetzliche Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats exakt reicht, ist umstritten. Fraglich ist, ob und in welchem Umfang der 135  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 248; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 68; Lutter, FS Hüffer 2010, 617; Hüffer/Koch, AktG, § 111, Rn. 4; Teil 2 B. I. 1. a). 136  So die herrschende Meinung. Siehe nur Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 260 m. w. N. in Fn. 982; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 27; Schilha, S. 47. 137  Semler, Leitung und Überwachung, Rn. 130; Schilha, S. 47. 138  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 261. 139  Eine Beschränkung der Überwachung ist auch systemkonform, da die Hauptversammlung sich nach § 111 Abs. 4 S. 3 bis 5 AktG über eine verweigerte Zustimmung des Aufsichtsrats hinwegsetzen kann. Insoweit wäre es systemwidrig, wenn der Aufsichtsrat Maßnahmen der Hauptversammlung kontrollieren könnte. Siehe Hopt/ Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 260.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG55

Aufsichtsrat die Geschäftsführung auch zu überwachen hat, wenn diese in einem bestimmten Bereich nicht vom Vorstand selbst, sondern von leitenden Angestellten aufgrund einer Delegation von Geschäftsführungsaufgaben wahrgenommen wird.140 Ein Teil des Schrifttums141 bezieht – ebenso wie die Rechtsprechung142 – nur die Tätigkeit des Vorstands in den Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats mit ein und lehnt eine Ausweitung der Überwachung auf leitende Angestellte ab. Begründet wird dies damit, dass andernfalls die „klare Ordnung der Zuständigkeiten verloren ginge“.143 Ferner würde eine Überwachung von leitenden Angestellten durch den Aufsichtsrat sowohl „gegen das ausdrückliche Verbot der Geschäftsführung in § 111 Abs. 4 S. 1 AktG“, als auch „gegen das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit des Vorstands gemäß § 76 Abs. AktG verstoßen“.144 Demgegenüber befürwortet ein zunehmender Teil in der Literatur die Einbeziehung von leitenden Angestellten in den Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats.145 Dies insbesondere, wenn sie eigene Geschäftsbereiche oder ganze Sparten selbständig leiten oder der Aufsichtsrat Anhaltspunkte dafür hat, dass sich der Vorstand in erheblicher Weise pflichtwidrig verhalten hat beziehungsweise dem Aufsichtsrat Informationen vorenthält.146 (a) Erstreckung des Überwachungsauftrags auf leitende Angestellte Der letztgenannten Ansicht ist zuzustimmen, da eine Beschränkung der Überwachung nur auf den Vorstand einer modernen Unternehmensorganisation147 nicht gerecht wird. Die vom Aufsichtsrat geschuldete Überwachung 140  Zum Streitstand Habersack, AG 2014, 6; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 26. 141  Hüffer/Koch, AktG, § 90 Rn. 11; MüKoAktG/Semler § 90, Rn. 38; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 68 f.; Lutter, FS Hüffer 2010, 617; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 26 Rn. 7; Arnold, ZGR 2014, 91; Winter, FS Hüffer, 2010, 1109; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 26, Fn. 79; Schwerdtfeger, S. 34. 142  OLG Köln AG 1978, 17, 21. 143  MüKoAktG/Semler § 90, Rn. 38; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3.  Aufl., § 111 Rn. 26; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 251. 144  So insbesondere Schilha, § 2, S. 46. 145  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 252; MüKoAktG/Habersack § 111, Rn. 68; ders., AG 2014, S. 6 f.; Drygala, in: Schmidt/Lutter, §109 AktG Rn. 11; Dreher, FS Goette, 2011, 48 ff.; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rn. 9. 146  Zutreffend Arnold, ZGR 2014, 92. 147  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 252; Pelz, CCZ 2013, 234, der zutreffend auf die Existenz von Produktions- oder Vertriebsgesellschaften in globalen Unternehmen hinweist.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

hat sich daher, wenn sie effektiv gehandhabt und der Realität gerecht werden soll, auch auf leitende Angestellte der zweiten Hierarchieebene zu erstrecken. Dies gilt, wie Pelz zutreffend feststellt, erst recht vor dem Hintergrund, dass die tatsächliche Unternehmenssteuerung in modernen Unternehmensstrukturen nicht mehr zwingend an den gesellschaftsrechtlichen Beteiligungsverhältnissen orientiert148 ist. Die Unternehmensführung erfolgt vielmehr zunehmend in neuen Formen, sodass unter der Konzernspitze etwa noch bestimmte Zentralbereiche stehen können oder die fachliche und tatsächliche Verantwortung an „Geschäftseinheiten (Business Units) oder Kompetenzzentren“149 orientiert ist. Zwar ist der Vorstand auch innerhalb solcher moderner Führungsstrukturen unbestritten das an der Spitze der AG stehende Leitungsorgan. Dessen diesbezügliche Leitungstätigkeit ist somit auch unproblematisch vom originären Überwachungsauftrag des § 111 Abs. 1 AktG erfasst. Den Vertretern der restriktiven Ansicht, die eine Überwachung nur im Verhältnis zum Vorstand für geboten hält, ist daher zuzugestehen, dass die im Aktiengesetz angelegte „klare Ordnung der Zuständigkeiten“150 im Regelfall einzuhalten ist, da sie eine wichtige Abgrenzungsfunktion beinhaltet und der Vorstand im Rahmen seiner Leitungsmacht aus § 76 Abs. 1 AktG vorrangig zur Kontrolle der ihm nachgeordneten Hierarchieebene berufen ist. Dies bedeutet hinsichtlich der Delegation von Aufgaben durch den Vorstand auf leitende Angestellte anderer Geschäftseinheiten oder Sparten, dass der Aufsichtsrat nach dem gesetzlichen Auftrag des § 111 Abs. 1 AktG in einem ersten Schritt nur zu überwachen hat, ob die vom Vorstand eingerichtete Unternehmensorganisation zweckmäßig151 und praxistauglich ausgestaltet wurde.152 Diese Form der Überwachung spielt sich ausschließlich im Verhältnis von Vorstand und Aufsichtsrat ab. Dem Aufsichtsrat obliegt es, zu kontrollieren, ob die durch Divisionalisierung beziehungsweise aufgrund einer vertikalen Organisation vom Vorstand geschaffenen Leitungsstellen mit qualifizierten Personen besetzt sind und ob eine hinreichende Überwachung dieser Personen durch den Vorstand sichergestellt ist.153 Ein Zugriff auf lei148  Pelz,

CCZ 2013, 236. CCZ 2013, 236; siehe auch Habersack, AG 2014, 6 f. 150  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 69. 151  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 26; BGHZ 75, 120, 133. 152  Henze, BB 2000, 209, 214; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 68 und 74; Schiessl, ZGR 1992, 64, 82; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 256. 153  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 256; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 26 m. w. N. in Fn. 82; Henze, BB 2000, 209, 214. Dies führt, wie auch die Vertreter der restriktiven Auffassung zugestehen, unweigerlich zu einer Befassung des Aufsichtsrats mit der Tätigkeit von Angestellten, vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 68. 149  Pelz,



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG57

tende Angestellte durch den Aufsichtsrat ist damit in der Regel nicht verbunden, da es die Aufgabe des Vorstands ist, die Tätigkeit der leitenden Angestellten zu überwachen.154 Allerdings darf das im Kern berechtigte und für eine Vielzahl von Fällen tragende Argument der Wahrung klarer Zuständigkeiten – entgegen der Auffassung von Lutter und Krieger – nicht zu einer schematischen und starren Handhabung des Kontrollauftrags mit der Folge führen, dass der Aufsichtsrat ausschließlich und völlig unabhängig vom Handeln der zweiten Hierarchieebene immer nur den Vorstand zu kontrollieren habe, weil die Tätigkeit von leitenden Angestellten für den Aufsichtsrat „kein selbständiges Überwachungs­ objekt“155 darstellen würde. Eine solche Sichtweise ergibt sich zum einen nicht aus dem Aktiengesetz156 und lässt zum anderen unberücksichtigt, dass in modernen Unternehmensstrukturen eine erhebliche Leitungsmacht bei Geschäftsbereichsleitern oder Bereichsvorständen konzentriert ist.157 Deren Kompetenzen sind sowohl im Hinblick auf Leitungsfragen als auch hinsichtlich der Organisation des Geschäftsbereichs weitreichend ausgestaltet. Auf eine solche Divisionalisierung durch Übertragung von Leitungsmacht auf leitende Angestellte158 ist im Rahmen der Überwachung effektiv zu reagieren. Andernfalls werden wichtige Teilaspekte der Leitung einer Kontrolle durch den Aufsichtsrat gänzlich entzogen, nur weil diese durch Leiter einzelner Geschäftsbereiche autonom wahrgenommen werden. Eine solche beliebige, weil vom Konzern- beziehungsweise Unternehmenszuschnitt abhängige Ausgestaltung der Kontrolle ist mit dem Ziel einer ökonomischen, wirksamen und an den Grundsätzen einer good corporate governance Praxis159 ausgerichteten Unternehmensführung nicht vereinbar.160 154  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 257. Dies wird auch von den Vertretern, die eine Beschränkung der Überwachung nur auf den Vorstand für erforderlich halten, konzediert. Siehe nur Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 68. 155  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 68, wonach „die Überwachung von leitenden Angestellten kein selbständiges Überwachungsobjekt“ darstelle, eine Befassung des Aufsichtsrat mit der Tätigkeit von leitenden Angestellten aber gleichwohl eine Rolle dafür spiele, ob der Vorstand seinen Leitungspflichten nachgekommen sei. Vgl. Schilha, § 2, S. 46. 156  So jedoch Schilha, § 2, S. 45, der aufgrund der Einbettung von § 111 Abs. 1 AktG de lege lata von einer nur schwer zu begründenden Ausweitung der Überwachung ausgeht. 157  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 26 wonach Leitern eigener Sparten typischerweise breite Freiräume unternehmerischer Eigenverantwortung eingeräumt werden. 158  Siehe hierzu ausführlich Schiessl, ZGR 1992, 64, 80 ff. 159  Zur Bedeutung von „Corporate Governance“ siehe Teil 3 A. I. und B. II. 4. a) bb) (1). 160  Zutreffend Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 252.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

Letztlich wird bei einer zu restriktiven Handhabung des Kontrollauftrages verkannt, dass im Verhältnis Vorstand und Geschäftsbereichsleiter womöglich keine für eine Kontrolle hinreichende Unabhängigkeit besteht. Würde man leitende Mitarbeiter, die unmittelbar an den Vorstand berichten, dem kontrollierenden Zugriff durch den Aufsichtsrat generell entziehen und diese ausschließlich der Kontrolle durch den Vorstand unterstellen161, entstünde im Ergebnis ein für die AG beziehungsweise dessen Aktionäre bedrohliches Kontrolldefizit. Eine solche Beschränkung des Überwachungsauftrags kann insbesondere nicht damit gerechtfertigt werden, dass sich der Vorstand bei einer Kontrolle des Aufsichtsrats nach „unten“ entpflichtet fühlen mag.162 Gegen eine ausschließliche Kontrolle durch den Vorstand spricht vielmehr das Risiko, dass dieser als operatives Organ – im Unterschied zum Aufsichtsrat – leitende Mitarbeiter einer ebenso operativ tätigen Einheit kontrollieren soll. Dass bei einer solchen Konstellation Interessenskonflikte beziehungsweise die Gefahr einer nicht ausreichenden Distanz des Vorstands gegenüber einem von ihm womöglich selbst gebildeten Geschäftsbereich ­ entstehen könnten, liegt auf der Hand. Dies gilt erst recht, wenn die organisatorisch verselbständigte Geschäftseinheit eine vom Gesamtvorstand vorgegebene und für die Vermögensinteressen der AG riskante Strategie zu risikoreich und den Interessen der Gesellschaft zuwiderlaufend umzusetzen versucht. Insoweit erscheint eine effektive Kontrolle durch den Vorstand nicht möglich, da dieser dann implizit seine eigene Strategie für verfehlt erklären müsste. Zur Vermeidung eines solchen, den Interessen der AG zuwiderlaufenden, Kontrolldefizits hat eine an der Unternehmensrealität orientierte Auslegung des Aktiengesetzes zu erfolgen. Die Erstreckung des Überwachungsauftrags auf leitende Angestellte unterhalb der Vorstandsebene wird bereits vom Wortlaut des § 111 Abs. 1 AktG gedeckt. Dieser spricht ganz allgemein von „Geschäftsführung“. Dies schließt die Überwachung von leitenden Mitarbeitern der zweiten Hierarchieebene, die vom Vorstand delegierte und leitungsbezogene Geschäftsführungsaufgaben wahrnehmen, nicht aus. Die Formulierung bringt nur zum Ausdruck, dass der Überwachungsgegenstand nicht personell, sondern fachlich zu verstehen ist.163 Die Einbeziehung von leitenden Angestellten unterhalb der Vorstands­ ebene steht auch im Einklang mit der Historie des § 111 Abs. 1 AktG, da dessen aktuelle Fassung ausweislich der erläuternden Bemerkungen zum 161  Siehe Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 69, die zur Lösung des Problems eine „Betonung der Lenkungs- und Kontrollpflichten“ des Vorstands fordern. 162  So aber Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 69. 163  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 255.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG59

AktG von 1937164 und zum AktG von 1965165 gerade nicht hinsichtlich ihres Überwachungsgegenstandes geändert werden sollte. Seit der Neufassung des Überwachungsauftrags durch das AktG von 1937 ist der „Aufsichtsrat nicht mehr verpflichtet, die Geschäftsführung in allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen“.166 Damit war keine Beschränkung nur auf die Kontrolle des Vorstands intendiert167, sondern lediglich eine Einschränkung des bis dahin geltenden und im Ergebnis nicht zu erfüllenden gesetzlichen Auftrags.168 Der historische Gesetzgeber verfolgte das Ziel, die bis zum Jahr 1936169 für den Aufsichtsrat verpflichtende und auf alle Zweige der Verwaltung bezogene Überwachung einzuschränken, da diese von ihm nicht zu leisten war. Der Überwachungsauftrag sollte nur in sachlicher Hinsicht konzentriert werden. Eine Konzentration der Überwachung in personeller Hinsicht nur auf den Vorstand lässt sich den Änderungen der Vorschrift nicht entnehmen. Für ein solches Verständnis des Überwachungsauftrags spricht auch das Europarecht, wenn in der Empfehlung der Kommission zu den Aufgaben von nichtgeschäftsführenden Direktoren / Aufsichtsratsmitgliedern / börsennotierten Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- / Aufsichtsrats vom 15.02.2005 die Kontrolle der „Wirksamkeit der internen Kontroll- und Risikomanagementsysteme“170 nunmehr zu den Aufgaben eines 164  Die erläuternden Bemerkungen des Reichsjustizministeriums hielten ausdrücklich fest, dass der Grundsatz, wonach dem Aufsichtsrat als Organ der Gesellschaft die allgemeine Aufsicht über die Exekutive zufällt, nicht geändert werden müsse. Siehe Erläuternde Bemerkungen des RJM, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff (Hrsg.), Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik, 1987, 912; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 254. 165  Die Änderung der Vorschrift des § 111 AktG durch das AktG von 1965 führte auch nicht zu einer Änderung des Überwachungsgegenstandes, sondern bezog sich ausweislich der Regierungsbegründung zu § 111 AktG nur auf die Absätze 3 und 4. Weiterführend mit weiteren Nachweisen Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 254. 166  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 159 und 254. 167  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 254, Fn. 937 m. w. N. 168  Der Gegenstand der Überwachungstätigkeit wechselte in der Geschichte des deutschen Aktienrechts mehrmals. Von 1870 bis 1884 und von 1900 bis 1936 war „die Geschäftsführung in allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen“. In den Jahren von 1885 bis 1899 war nur der Vorstand zu überwachen. Seit der Neufassung des Überwachungsauftrags durch das AktG von 1937 ist der „Aufsichtsrat nicht mehr verpflichtet, die Geschäftsführung in allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen“. Zu dem in seiner Formulierung wechselnden Wortlaut siehe Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 159 und 254. 169  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 159. 170  AblEU L 52/51, Anhang I, Ziff. 4.2.; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 253. Zu den Pflichten des Aufsichtsrat im Zusammenhang mit dem Risikomanagement siehe Teil 3 C. II.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

vom Aufsichtsrat einzusetzenden Prüfungsausschusses zählt. Da das interne Kontroll- und Risikomanagement in einer AG171 in der Praxis regelmäßig durch organisatorisch verselbständigte Einheiten (Revision, Controlling) erbracht wird, impliziert diese Empfehlung die Überwachung der (leitenden) Angestellten dieser Geschäftseinheiten. Die Empfehlungen der Kommission führen daher zu einer Konkretisierung der Sorgfaltspflicht172 der Aufsichtsratsmitglieder und sind deshalb bei der Präzisierung des Überwachungsauftrags zu berücksichtigen. Letztlich geht der dritte Zivilsenat des BGH in seiner Herstatt-Entscheidung auch davon aus, dass dem Aufsichtsrat ein „umfassendes Recht der Überwachung aller Zweige der Verwaltung“173 zukommt. Als Ergebnis lässt sich damit festhalten, dass der Aufsichtsrat jedenfalls berechtigt ist, das Handeln leitender Angestellter in seinen Überwachungsauftrag mit einzubeziehen. Andernfalls entstünde ein in modernen Unternehmensstrukturen nicht hinnehmbares Kontrolldefizit. (b) Fazit: Recht zur Überwachung von leitenden Angestellten Daher ist, möchte man für die AG schädliche Interessenskonflikte und Kontrolldefizite vermeiden, der gesetzliche Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats sowie dessen „Überwachungsobjekt“174 zusammen mit Schneider175 und Ulmer / Habersack176 auch auf die zweite Hierarchieebene auszudehnen.177 Dies gilt jedenfalls, wenn die Bedeutung und das Gewicht der konkreten Entscheidung für das Unternehmen eine erhebliche Relevanz auf171  Zur Bedeutung des Risikomanagements siehe ausführlich unten Teil 3 A. II. und B. II. 3. 172  Maul/Lanfermann, BB 2004, 1861, 1866 f.; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 253. Zu den Rechtswirkungen einer Empfehlung Oppermann/Classen/Nettesheim, EuropaR, 133. 173  BGHZ 75, 120, 133 („Herstatt“). Hinsichtlich des Umfanges der Überwachung stellt der BGH damit begrifflich sogar auf den Überwachungsgegenstand des § 246 HGB 1897 ab. 174  Anders Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 68. 175  Schneider, in: Scholz, KommGmbHG, § 52 Rn. 90 der auf eine Beteiligung leitender Mitarbeiter an der Vorbereitung und Durchführung grundlegender Entscheidungen abstellt. 176  Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rn. 50, die auf Bedeutung und Gewicht der Maßnahme abstellen. Jüngst Habersack, AG 2014 1 ff. 177  Habersack, AG 2014, 6 f.; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rn. 13; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 252; Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rn. 50; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 21.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG61

weisen oder sich für den Aufsichtsrat „Anzeichen von Fehlentwicklungen“178 in bestimmten Sparten ergeben. Darauf, ob die für die AG erhebliche Maßnahme vom Vorstand selbst oder von einem leitenden Angestellten verantwortet wird, kann es im Bereich der Überwachung unter dem Blickwinkel eines interessengerechten, ökonomischen und an einem „best practice“179 orientierten Unternehmensinteresses nicht ankommen. Um dieser Intention, die vor allem im Interesse der Aktionäre und mit Blick auf spektakuläre Unternehmenskrisen auch im Gesellschaftsinteresse geboten erscheint, Rechnung zu tragen, ist die Kontrollkompetenz des Aufsichtsrats gegenüber leitenden Angestellten richtigerweise als eine „situationsbedingte zusätzliche Überwachung neben der Kontrolle durch den Vorstand“180 zu verstehen. Der gesetzliche Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats erstreckt sich nach richtiger Auffassung daher primär auf die Leitungstätigkeit des Vorstands und sekundär, bei Vorliegen konkreter Anzeichen für Fehlentwicklungen in einzelnen Geschäftsbereichen, auch unmittelbar auf Leitungsmaßnahmen von Angestellten der zweiten Hierarchieebene.181 Eine solche Handhabung des Überwachungsauftrags trägt dem Bedürfnis nach einer wirksamen und unabhängigen Kontrolle einerseits und der im Aktiengesetz angelegten Zuständigkeitsverteilung andererseits Rechnung. (c) Zugriffsmöglichkeiten auf leitende Angestellte de lege lata Gleichwohl bleibt aber fraglich, ob der Aufsichtsrat zur Erfüllung der ihm obliegenden Überwachung – zu der nach hier vertretener Ansicht auch das Recht und bei Anzeichen von Fehlentwicklungen sogar die Pflicht zur Kont178  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 256. Dies wird auch von Vertretern der restriktiven Ansicht zuerkannt. Siehe MüKoAktG/Spindler § 90 Rn. 38, wonach unmittelbare Berichte im Verhältnis von Angestellten zum Aufsichtsrat „in Ausnahmefällen bei dringendem Verdacht auf gröbliche Pflichtverletzungen i. S.d. § 93 Abs. 3 AktG“ zulässig seien. 179  Zu den Leitmaximen des Aktienrechts umfassend Kuhner, ZGR 2004, 245, 252. Danach ist anstatt dem ausschließlich an den Interessen der Anteilseigner orientierten und im angloamerikanischen Raum vorherrschenden „shareholder value“-Ansatz im nationalen Recht vornehmlich das „Unternehmensinteresse“ als herrschende Leitmaxime zu Grunde zu legen. Dieses orientiert sich am Maßstab der Angemessenheit und integriert neben den Aktionärsinteressen auch die Belange der sog. „stakeholder“ (z. B. Mitarbeiter, Lieferanten, Gläubiger und weitere im gesamten Kontext der Gesellschaft stehenden Interessensgruppen). 180  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 256. 181  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 257 m. w. N.; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 26; BGHZ 75, 133.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

rolle von leitenden Angestellten gehört – de lege lata befugt ist, an Letztere unmittelbar heranzutreten, um von diesen Auskünfte zu verlangen. Dies ist nach der gesetzlichen Ausgangslage nicht gegeben, da das AktG – im Unterschied zum Verhältnis Vorstand und Aufsichtsrat – „keine generelle Berichterstattungspflicht von Angestellten gegenüber dem Aufsichtsrat“182 nach dem Vorbild der §§ 90, 170 und 314 AktG begründet. Dem Aufsichtsrat kommt damit rechtlich weder eine Weisungsbefugnis gegenüber Angestellten zur Auskunftserteilung zu, noch existiert eine originäre Berichtspflicht der Angestellten an den Aufsichtsrat.183 Eine allgemeine Informationsverpflichtung nachgeordneter Ebenen an den Aufsichtsrat184 lässt sich auf Basis des geltenden Rechts nicht begründen. Dem Aufsichtsrat kommt gegenüber Angestellten der AG kein generelles Recht zu, an diese heranzutreten und sich bei ihnen direkt zu informieren.185 Der Aufsichtsrat darf, wenn er die Auskunft eines leitenden Angestellten der zweiten Hierarchieebene verbindlich erlangen möchte, lediglich an den Vorstand herantreten und diesen auffordern, von dem betreffenden Mitarbeiter die verlangte Auskunft einzuholen.186 Diese sind sodann an den Aufsichtsrat weiterzuleiten.187 Demgegenüber ist der Aufsichtsrat nach der gesetzlichen Ausgangslage nur in Ausnahmefällen berechtigt, von den Angestellten der AG direkt und unmittelbar Auskunft zu verlangen.188 Ein solcher Ausnahmefall liegt nach überwiegender Auffassung lediglich dann vor, wenn der Aufsichtsrat Anhaltspunkte dafür hat, dass sich der Vorstand in erheblicher Weise pflichtwidrig verhalten hat, dem Aufsichtsrat Informationen vorenthält oder wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat nachhaltig gestört ist.189 182  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 26 m. w. N. in Fn. 83; HoffmannBecking, in: Münch. Hdb. GesR, § 29 Rn. 29; Lutter, AG 2006, 517, 520 f.; Schlitt, DB 2005, 2007, 2011; a. A. Martens, ZfA 1980, 634 f. für Bereichsleiter in divisionalisierten Gesellschaften. 183  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 258. Teilweise wird die Möglichkeit eines unmittelbaren Zugriffs auf Angestellte durch Mitglieder des Aufsichtsrats mit dem Argument abgelehnt, dass in einer direkten Befragung von Angestellten unter Umgehung des Vorstands ein offensichtliches Misstrauen zu Tage treten würde, das dem Ansehen des Vorstands schaden würde. Siehe hierzu Lutter, Information und Vertraulichkeit, 99, 115 ff.; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 258. In diese Richtung auch Schilha, § 2, S. 46. 184  Hüffer, NZG 2007, Fn. 22; MüKoAktG/Spindler § 90 Rn. 38. 185  Siehe MüKoAktG/Spindler § 90 Rn. 38. 186  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 258; MüKoAktG/Spindler § 90 Rn. 38; Winter, FS Hüffer 2010, 1105; Saage, DB 1973, 115, 117. 187  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 258. 188  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 26; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 258 m. w. N. in Fn. 973. 189  Arnold, ZGR 2014, 92.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG63

(d) Sicherstellung des unmittelbaren Zugriffs auf leitende Angestellte Die soeben skizzierte gesetzliche Ausgangslage ist für den Aufsichtsrat einer AG mit Blick auf sekundäre strafrechtliche Fragen190, bei denen häufig die Kenntnis des Aufsichtsrats eine wichtige Rolle spielt, nicht nur unbefriedigend, sondern auch risikobehaftet, da die Gefahr eines Informations- und Kontrollverlusts haftungsrechtliche Folgen sowohl im zivil- als auch im strafrechtlichen Bereich nach sich ziehen kann. Das Risiko wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass dem Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 1 AktG einerseits die Pflicht zur effektiven Überwachung der „Geschäftsführung“ auferlegt wird, was nach richtiger Ansicht das Recht zur Überwachung von leitenden Angestellten einschließt. Andererseits räumt das Aktiengesetz dem Aufsichtsrat  – im Unterschied zum Vorstand191 – gegenüber leitenden Angestellten aber gerade keine adäquaten Informationsbeschaffungsmöglichkeiten ein. Ihm ist für den Regelfall ein direkter und im Hinblick auf das Auskunftsverlangen rechtlich durchsetzbarer Zugriff auf leitende Mitarbeiter der zweiten Hierarchiestufe versagt. Eine direkte Zugriffsmöglichkeit auf leitende Angestellte wird dem Aufsichtsrat nur für den Ausnahmefall, wenn konkrete Verdachtsmomente für eine Fehlinformation durch den Vorstand im Raum stehen, zugestanden.192 Im Übrigen ist der Aufsichtsrat gehalten, Informationen von leitenden Angestellten über den Vorstand einzuholen.193 Das diesem Vorgang naturgemäß innewohnende Risiko eines gewollten oder ungewollten Informationsverlusts ist im Interesse des Aufsichtsrats durch interne Regelungen194 zu steuern, indem ihm über die gesetzliche Ausgangslage hinaus eine direkte Zugriffsmöglichkeit auch auf leitende Mitarbeiter eingeräumt wird. Dies kann auf zivilrechtlicher Ebene durch konsensuale Vereinbarung195 zwischen Vorstand und Aufsichtsrat erfolgen und gleichzeitig Teil einer vom Aufsichtsrat zu erlassenden „Informationsordnung“196 sein. Deren Zweck besteht dann darin, 190  Siehe

hierzu ausführlich die Ausführungen unten in Teil 5. bestehen gemäß § 90 AktG umfassende Berichts- und Informations-

191  Insoweit

pflichten. 192  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 26; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 258 m. w. N. in Fn. 973. 193  Auf diese Problemlage weisen auch Börsig/Löbbe, FS Hoffmann-Becking, 2013, 136 unter Bezugnahme auf strukturelle Schwächen des dualistischen Systems hin. 194  Zu den internen Steuerungsmöglichkeiten einer Informationsordnung siehe Teil 6 A. IV. 195  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 182 und 259. 196  Allgmein zur Gebotenheit einer solchen Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 182. Hüffer, NZG 2007, 47, 51. Zu den Regelungsmöglichkeiten in einer Geschäftsordnung und der Bedeutung einer solchen für den Aufsichtsrat siehe Teil 6 A. III.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

sicherzustellen, dass es zwischen Aufsichtsrat und Vorstand beziehungsweise leitenden Angestellten, die unmittelbar an den Vorstand berichten, zu einem umfassenden und stetigen Informationsfluss kommt197. Das für den Aufsichtsrat erklärte Ziel liegt in der präventiven Steuerung von zivil- und strafrechtlichen Haftungsrisiken.198 Letztere können sich vor allem als Folge eines Informationsdefizits im Bereich der Überwachungsaufgaben ergeben. Die Möglichkeit einer einvernehmlichen Steuerung des Zugriffs auf leitende Mitarbeiter wird vom AktG entgegen der Auffassung von Schilha auch zugelassen und verstößt weder gegen das ausdrückliche Verbot der Geschäftsführung in § 111 Abs. 4 S. 1 AktG noch gegen das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit des Vorstands gemäß § 76 Abs. 1 AktG.199 Die unmittelbare Kontrolle von Angestellten obliegt zwar primär dem Vorstand und ist Teil seiner Leitungsmacht nach § 76 Abs. 1 AktG.200 Die sich aus ihr ableitende Kontrollmacht des Vorstands in Bezug auf die unmittelbar an ihn berichtenden Mitarbeiter der zweiten Hierarchiestufe ist in den Grenzen der §§ 76 Abs. 1, 111 Abs. 4 S. 1 AktG aber gleichwohl steuerbar und einer einvernehmlichen Disposition solange zugänglich, der Kernbereich der Leitungsmacht des Vorstands nicht zugunsten des Aufsichtsrats verschoben wird.201 Eine vor diesem Hintergrund zwischen Vorstand und Aufsichtsrat einvernehmlich getroffene und die Zugriffsrechte des Aufsichtsrats dahingehend erweiternde interne Regelung, die unmittelbare Kontrolle und den direkten Zugriff zugunsten des Aufsichtsrats auf leitende Mitarbeiter der zweiten Hierarchieebene zu erstrecken, ist nach dem AktG in einem solchen Umfang möglich, wie das in § 76 Abs. 1 AktG und § 111 Abs. 4 S. 1 AktG angelegte Prinzip der ausschließlichen Leitungsmacht des Vorstandes nicht berührt wird.202 Unzulässig wäre eine Regelung nur, wenn der Aufsichtsrat durch Übertragung von Kompetenzen oder durch eigenmächtige Begründung203 von solchen befugt würde, in die Geschäftsführung204 einzugreifen. Letzteres ist solange nicht der Fall, bis 197  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 184; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 253 f. 198  Zu den strafrechtlichen Risiken eines Kontrolldefizits infolge eines Informa­ tionsdefizits siehe die Ausführungen in Teil 5 A. II 1. c) bb)–cc). 199  Schilha, § 2, S. 46. 200  Hüffer/Koch, AktG, § 77 Rn. 18, wonach Unternehmensplanung, -koordination, -kontrolle und Besetzung zwingende Aufgabe des Gesamtorgans sind; auch Schilha, § 2, S. 45 f. 201  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 26 a. E.; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 259. 202  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 188. 203  Etwa durch Schaffung von Zustimmungsvorbehalten nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG. 204  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 88.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG65

„die Aufsichtsratstätigkeit in eine Beschäftigung mit Tagesfragen abzugleiten droht“.205 In diesen Grenzen ist im Verhältnis von Vorstand und Aufsichtsrat eine Übertragung der Kontrollbefugnis in Bezug auf leitende Mitarbeiter zulässig und verstößt nicht gegen das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit aus § 76 Abs. 1 AktG. Die Regelung des Kommunikationsflusses ist nach der gesetzgeberischen Intention letztlich auch gewünscht206 und schließt die Einbeziehung von leitenden Angestellten nicht aus.207 (4) Zwischenergebnis bezüglich der Ausformung in personeller Hinsicht Nach den bisherigen Erkenntnissen kann festgehalten werden, dass Aufsichtsräten jedenfalls ein Recht zur Kontrolle von leitenden Angestellten zusteht. Dieses verdichtet sich bei Vorliegen konkreter Anzeichen auch zu einer Kontrollpflicht. Die Auffassung, dass sich der gesetzliche Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats ausschließlich auf leitungsbezogene Vorstandsmaßnahmen bezöge, ist abzulehnen. Zur Sicherstellung einer effektiven, vom Gesetzgeber gewollten und zur Vermeidung von zivil- und strafrechtlich relevanten Informationsdefiziten208 dringend anzuratenden Informationsversorgung hat im Interesse des Aufsichtsrats eine konsensuale Erweiterung der unmittelbaren Zugriffsmöglichkeiten dahingehend zu erfolgen, dass der Aufsichtsrat mit Zustimmung des Vorstands wenigstens die Leiter der internen Revision und des Risikomanagements209 direkt um Auskünfte ersuchen darf und diese gegenüber dem Aufsichtsrat unmittelbar zur Auskunft ver205  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 88 Fn. 4. Zu den Grenzen der Informationspflichten des Aufsichtsrats auch Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 188. 206  Siehe Regierungsbegründung zum KonTraG = BTDrucks 13/9712, S. 15, die den Erlass einer „die Berichtspflichten im einzelnen regelnden Informationsordnung zur Durchsetzung und Verstetigung des Informationsflusses zwischen Vorstand und Aufsichtsrat für sinnvoll und geboten“ hält; vgl. auch Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. Rn. 182. 207  Siehe nur die Geschäftsordnung für den Compliance Ausschuss des Aufsichtsrats der Siemens AG, abrufbar unter http://www.siemens.com/investor/pool/en/investor_relations/downloadcenter/gocompliance_ausschuss.pdf). Diese erstreckt gemäß § 5 Nr. 2 den Zugriff des Aufsichtsrats auf leitende Mitarbeiter und berechtigt den Vorsitzenden des Compliance Ausschusses, „Auskünfte im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Compliance-Ausschusses vom Abschlussprüfer, dem Vorstand und den leitenden Angestellten der Gesellschaft, die dem Vorstand unmittelbar berichten, einzuholen“. 208  Zum zivilrechtlichen Haftungsrisiko des Aufsichtsrats siehe BGH WM 2010, 470; OLG Düsseldorf (IKB) = NJW 2010, 1537. Siehe auch Hüffer, NZG 2007, 48, wonach eine fehlende Information „in aller Regel keinen Entlastungsgrund“ darstellen kann. 209  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 259. Zum Risikomanagement siehe auch die Ausführungen unten in Teil 3 A. II. und B. II. 3.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

pflichtet sind. Die konkrete Umsetzung kann durch eine interne Regelung in einer vom Aufsichtsrat für den Vorstand zu erlassenden Informationsordnung210 als besonderem Teil der Geschäftsordnung erfolgen. cc) Ausformung des Überwachungsauftrags in inhaltlicher Hinsicht Bevor im abschließenden Teil dieser Arbeit ein Lösungsansatz diskutiert werden kann, wie der Aufsichtsrat eine „angemessene“ Informationsversorgung als Folge einer etwaigen Compliance-Verantwortung konkret sicherstellen kann, ist vorab zu klären, welches Informationsniveau der Aufsichtsrat erlangen muss, um eine adäquate Überwachung leisten zu können. Zunächst ist festzuhalten, dass die Herstellung eines „Informations­ni­ veaus“211, das dem eines Vorstands oder Geschäftsbereichsleiters entspräche, als zu weitreichend anzusehen ist und mit dem Charakter des Aufsichtsratsamtes, das nach der Vorstellung des Gesetzgebers als Nebenamt212 ausgestaltet ist, nicht mehr vereinbar wäre. Der Aufsichtsrat hat deshalb – wie Winter in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung zutreffend hervorhebt – nicht die gesamte Geschäftsführung in allen Einzelheiten des Tagesgeschäftes zu überwachen.213 Dennoch muss er aber zumindest ein Informationslevel erlangen, dass es ihm ermöglicht, die Geschäftsführung adäquat zu überwachen. Dies ist nur möglich, wenn der Aufsichtsrat durch die Information in die Lage versetzt wird, eine „eigene Beurteilung“214 vornehmen zu können. Die exakte Bestimmung eines haftungsrechtlich wirksamen „Informationsmaßstabs“ ist aber nicht unproblematisch, da sich der Umfang und die Dichte 210  MüKoAktG/Spindler § 90 Rn. 9. Zu den Möglichkeiten der Umsetzung in einer „Informationsordnung“ als Teil der Geschäftsordnung siehe ausführlich Teil 6 A. IV. 211  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 188; a.  A. OLG Zweibrücken, AG 1991, 70. 212  Winter, FS Hüffer 2010, 1111; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 132; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 116 Rn. 5. Der Aufsichtsrat verfügt im Unterschied zum Vorstand schon nicht über die erforderlichen sachlichen und personellen Ressourcen, um eine sämtliche Einzelheiten umfassende Überwachung sicherstellen zu können. 213  Winter, FS Hüffer 2010, 1108; OLG Köln, AG 1978, 21; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 262; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 19 f.; Spindler, in: Spindler/ Stilz, AktG § 111 Rn. 8; Hoffmann-Becking, in: Münch. Hdb. GesR, IV, § 29, 27; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 26 Rn. 3; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 63; Leipold, FS Mehle, 2009, 348; a. A. OLG Zweibrücken, AG 1991, 70. 214  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 172; Lutter, AG 1991, 249, 253 f.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG67

der notwendigen Information nicht einheitlich und allgemeinverbindlich in einem für sämtliche Aufsichtsräte geltenden Pflichtenkatalog215 abbilden lässt, sondern stets in Abhängigkeit zum Risiko der ausgeübten Geschäftstätigkeit, zur Größe und aktuellen Lage des Unternehmens sowie zur jeweiligen Branche steht. Verschärft wird dieses Risiko dadurch, dass der Aufsichtsrat mit Ausnahme der Personalkompetenz gegenüber dem Vorstand in der AG keine Leitungsfunktion216 wahrnimmt. Er erfährt deshalb von Entwicklungen im Unternehmen im Regelfall nicht durch eigene Wahrnehmung oder aufgrund automatischer Berichterstattung von operativ tätigen Einheiten, sondern ist auf sachgerechte Information über geschäftsführungsrelevante Vorgänge durch den Vorstand, oder bei Existenz einer internen Regelung durch leitende Angestellte angewiesen. Bei der Präzisierung des zur adäquaten Überwachung mindestens erforderlichen Informationsniveaus ist ferner zu berücksichtigten, dass die Informationsversorgung nicht nur dem Vorstand allein obliegt, sondern zugleich eine Pflicht des Aufsichtsrats ist.217 Der Aufsichtsrat kann sich daher auch nicht mit dem Argument verteidigen, er sei vom Vorstand nicht hinreichend unterrichtet worden.218 Die Pflicht zur Herstellung eines adäquaten Informationsniveaus folgt für den Aufsichtsrat aus seiner Organstellung219 und verpflichtet ihn, über die Berichterstattung des Vorstands hinaus durch geeignete Maßnahmen aktiv darauf hinzuwirken, dass er die Informationen erhält, die er für eine sinnvolle Überwachung der Geschäftsführung benötigt.220 Ihn trifft daher die organschaftliche Pflicht, alle ihm gesetzlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Information auszuschöpfen und den Vorstand unter Umständen zu weiterer Unterstützung aufzufordern.221 Aufgrund der aus der Organstellung folgenden Verantwortung des Aufsichtsrats für einen „überwa215  KK-AktG/Mertens/Cahn,

3. Aufl., § 111 Rn. 17. FS Hüffer 2010, 1113. 217  Winter, FS Hüffer 2010, 1114, wonach Aufsichtsräte bei inadäquater Information durch den Vorstand „selbst für eine angemessene Informationsversorgung“ zu sorgen haben. 218  Hüffer, NZG 2007, 48; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 17; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 85. 219  Hüffer, NZG 2007, 48, 51, der von einer „Pflicht zur Selbstinformation“ spricht. 220  Hüffer, NZG 2007, 48. Teilweise wird im Schrifttum auch von einer „Holschuld des Aufsichtsrats“ gesprochen. Siehe ausführlich Kropff, FS Raiser 2005, 225, 231 f. 221  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 172. Daher empfiehlt auch der Deutsche Corporate Governance Kodex in Ziff. 3. 4. Abs. 1, dass „die ausreichende Informationsversorgung des Aufsichtsrats gemeinsame Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat ist“. 216  Winter,

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

chungsadäquaten Informationsfluss“222 zu sorgen, ist zu klären, welches Minimum an Information konkret zu fordern ist und wie der Aufsichtsrat sich dieses verschaffen kann. Bei der Beantwortung dieser Frage ist wiederum zwischen dem im üblichen Geschäftsgang stets erforderlichen „normalen“ Informationsniveau und einem „gesteigerten“ Informationsniveau zu unterscheiden.223 Letzteres ist vor allem bei Risikogeschäften und existenzbedrohenden Entwicklungen bedeutsam. (1) Konkretisierung der Überwachungspflicht durch § 90 AktG Bei Bestimmung der vom Aufsichtsrat für eine ordnungsgemäße Überwachung geschuldeten Informationsversorgung wird nach überwiegender Auffassung224 auf die in § 90 AktG normierten Berichtspflichten des Vorstandes zurückgegriffen.225 Diese lassen sich auch als „Auslegungshilfe“226 bezeichnen. Der Rückgriff auf die Vorschrift des § 90 AktG mit dem Ziel der Präzisierung des allgemeinen Überwachungsauftrags gemäß § 111 Abs. 1 AktG erklärt sich daraus, dass eine Berichtspflicht des Vorstands  – wie sie vom Wortlaut des § 90 Abs. 1 AktG vorgesehen wird – praktisch nur nachvollziehbar ist, wenn mit ihr auch eine Überwachungspflicht des Aufsichtsrats einhergeht.227 Andernfalls wäre eine Berichterstattungspflicht wenig sinnvoll. 222  Hüffer, NZG 2007, 49; Börsig/Löbbe, FS Hoffmann-Becking 2013, 137 betonen ebenfalls die Verantwortung des Aufsichtsrats für eine „angemessene Informa­ tionsversorgung“. 223  In diese Richtung differenzierend auch Hüffer, NZG 2007, 49. 224  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 162 m. w. N. in Fn. 538; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 64; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 18. 225  Weitere im Aktiengesetz ausdrücklich geregelte Überwachungsgegenstände sind neben der Pflicht zur Prüfung des Jahresabschlusses, des Lageberichts und des Vorschlags für die Verwendung des Bilanzgewinns nach §§ 170, 171 Abs. 1 S. 1 AktG, die Pflicht zur Prüfung des Abhängigkeitsberichts gem. §§ 312, 314 Abs. 1 AktG, sowie die Pflicht zur Prüfung, ob der Vorstand geeignete Maßnahmen zur Erkennung von gefährdenden Entwicklungen gem. § 91 Abs. 2 AktG ergriffen hat. Zur Frage, ob und in welchem Umfang den Aufsichtsrat ggf. eine Pflicht zur Überwachung eines Compliance-Systems trifft siehe ausführlich Teil 3 C. II. 1. 226  So bezeichnet von Leipold, FS Mehle 2009, 348. 227  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 162. Das Aktiengesetz verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Information des Aufsichtsrats und Prüfung durch diesen auch an anderer Stelle. §§ 170 Abs. 1, 314 Abs. 1 AktG ordnen die Vorlage des Jahresabschlusses und Lageberichts sowie den Bericht über die Beziehungen zu verbundenen Unternehmen an. Sodann wird dem Aufsichtsrat in §§ 171 Abs. 1, 314 Abs. 2 AktG eine entsprechende Prüfpflicht auferlegt. Siehe Hoffmann-Becking, Münch. Hdb. GesR, IV, § 29, 27; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 64; KKAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 90 Rn. 4.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG69

Deshalb ist mit Hüffer davon auszugehen, dass das, „was § 90 AktG dem Vorstand als Informationsverpflichtung auferlegt, für den Aufsichtsrat nicht nur eine spiegelbildliche Berechtigung, sondern die Verpflichtung begründet, auf vollständige, zutreffende und rechtzeitige Erfüllung seines organschaftlichen Informationsanspruchs zu dringen“228. Die in § 90 AktG für den Vorstand statuierte Pflicht zur Berichterstattung steht damit zu der den Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 1 AktG treffenden Pflicht, die Leitungsmaßnahmen der Geschäftsführung zu überwachen, in einem inneren Zusammenhang und bildet die inhaltliche Grundlage für eine thematische Befassung mit den wesentlichen Leitungsaufgaben. § 90 Abs. 1 AktG ist daher bei der Auslegung des § 111 Abs. 1 AktG heranzuziehen. (a) Berichtspflichten nach § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4, S. 3 AktG Gegenstand der Berichtspflichten des Vorstands gemäß § 90 Abs. 1 AktG sind insbesondere die wesentlichen Leitungsmaßnahmen.229 Der Aufsichtsrat hat diese daher auch primär zu überwachen. Die in § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4, S. 3 AktG vorgenommene Aufzählung von Geschäftsvorgängen ist insoweit aber nicht abschließend230, sondern bildet bei vollständiger Unterrichtung durch den Vorstand nur die inhaltliche Grundlage für eine im üblichen Geschäftsgang als ausreichend231 anzusehende laufende Überwachung. Der Sinn der Vorstandsberichte gemäß § 90 AktG besteht darin, in einer elastischen, den jeweiligen Verhältnissen der Gesellschaft angepassten Form dem Aufsichtsrat alle wichtigen Themen zur Kenntnis zu bringen, um ihm eine Überwachung der Geschäftsführung zu ermöglichen.232 Das gesetzliche Berichtssystem verpflichtet den Vorstand nach § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AktG vorrangig dazu, dem Aufsichtsrat über die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung (Finanz-, Investitions- und Personalplanung) zu berichten.233 Diese Berichtspflicht begründet wegen ihrer strategischen Zielrichtung beim Aufsichtsrat 228  Hüffer,

NZG 2007, 49; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 162. GroßkommAktG, § 111 Rn. 163. 230  Hopt/Roth GroßkommAktG, § 111 Rn. 166, 171; MüKoAktG/Spindler § 90 Rn. 3. 231  So KK-AktG/Mertens/Cahn, § 111 Rn. 18, 20; OLG Brandenburg, AG 2009, 662, 664 f.; OLG Düsseldorf, AG 2008, 666 f.; Säcker/Rehm, DB 2008, 2814, 2819; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 162; Hoffmann-Becking, Münch. Hdb. GesR, IV, § 29, Rn. 27. 232  MüKoAktG/Spindler § 90 Rn. 8. 233  Der Aufsichtsrat soll in die Lage versetzt werden, einen Überblick über die strategische Ausrichtung der AG zu erlangen, indem der Vorstand verpflichtet ist, nicht nur über die aktuelle Lage, sondern auch über die kurz-, mittel- und langfristige 229  Hopt/Roth,

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

spiegelbildlich die Pflicht, sich mit zukünftigen Entwicklungen234 der AG auseinanderzusetzen. § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AktG erstreckt die Berichtspflicht zudem auf Fragen der (Eigenkapital-)Rentabilität, um dem Aufsichtsrat eine Informationsgrundlage für die von ihm nach § 171 Abs. 1 S. 1 AktG über den Jahresabschluss zu treffende Entscheidung zu geben.235 Gemäß § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AktG hat auch eine Unterrichtung über den Gang der Geschäfte, insbesondere den Umsatz und die Lage der Gesellschaft zu erfolgen. Schließlich legt § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AktG dem Vorstand die Pflicht auf, über Geschäfte, die für die Rentabilität oder Liquidität der AG von erheblicher Bedeutung sein können, Bericht zu erstatten. Aufgrund ihrer Erheblichkeit für die AG unterfallen diese direkt der Leitungskompetenz des Vorstands236 und damit zugleich dem Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats.237 Dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats ist gemäß § 90 Abs. 1 S. 3 AktG außerdem aus sonstigen wichtigen Anlässen zu berichten. Erfasst sind insbesondere „von außen“ auf die Aktiengesellschaft einwirkende Ereignisse, wie z. B. die Gefährdung größerer Außenstände, absehbare Liquiditätsprobleme oder auch drohende Rechtsstreitigkeiten und Verfahren238. Die sich aus § 90 Abs. 1 S. 3 AktG ergebende Informationsberechtigung des Aufsichtsratsvorsitzenden schlägt schließlich in eine Verpflichtung zur Nachfrage um, wenn sich für ihn Anhaltspunkte für das Vorliegen eines wichtigen Anlasses ergeben.239 Da die nach § 90 AktG zu erstattenden Berichte nur dann eine ausreichende Informationsbasis für den vom Aufsichtsrat zu erfüllenden Überwachungsauftrag darstellen können, wenn der Vorstand seiner Berichtspflicht nach § 90 AktG auch vollumfassend nachgekommen ist240, hat der AufsichtsPlanung zu berichten, vgl. Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 163; KK-AktG/ Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 18. 234  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 163; Forster, AG 1999, 193, 196. 235  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 164. 236  Hopt/Roth in GroßkommAktG, § 111 Rn. 164; vgl. weitergehend Hüffer, NZG 2007, 49. 237  Als Standardbeispiele sind der Erwerb oder die Veräußerung eines Betriebes ebenso wie die Übernahme eines wesentlichen Auftrags anzusehen. Siehe Hüffer, NZG 2007, 49, wonach eine erhebliche Bedeutung auch in der Vergabe von Großkrediten oder Anlagegeschäften gesehen werden kann; Hüffer/Koch, AktG, § 90 Rn. 7; Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90 Rn. 26. 238  Hüffer, NZG 2007, 49; Hüffer/Koch, AktG, § 90 Rn. 8; weitere Einzelbeispiele bei Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90 Rn. 33 ff. 239  Hüffer, NZG 2007, 49. 240  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 17; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 173, wonach der Vorstand dem Aufsichtsrat gegenüber zu „uneingeschränkter Offenheit“ verpflichtet ist; siehe hierzu auch BGHZ 20, 239, 246.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG71

rat sicherzustellen, dass der Vorstand über die in § 90 AktG aufgezählten Themen sorgfältig, gewissenhaft und in erforderlichem Umfang Bericht erstattet.241 Ihn trifft insoweit eine eigene Pflicht zur Prüfung, ob der Vorstand seiner Berichterstattungspflicht nachkommt.242 Dies impliziert, dass sich der Aufsichtsrat nicht ausschließlich auf die Berichte des Vorstands verlässt243, sondern selbst aktiv wird und in regelmäßigen Abständen auf diesen zugeht, um Erkundigungen über zentrale Unternehmensgegenstände (Organisation, Strategie, Planung, Risikogeschäfte) einzuholen.244 Ein solches proaktives Zugehen auf den Vorstand hat von Seiten des Aufsichtsrats erst recht zu erfolgen, wenn in der Vergangenheit bereits Nachlässigkeiten in der Berichterstattung zu beobachten waren. Entscheidend ist letztlich für den Aufsichtsrat, dass er durch die nach § 90 Abs. 1 AktG statuierten Berichtspflichten über die zentralen Leitungsaufgaben des Vorstands informiert wird und einen aussagekräftigen Einblick in die Zukunftsplanung und Entwicklungsstrategie des Unternehmens erhält, um sich ein eigenes Urteil bilden zu können.245 Erst dann wird er in die Lage versetzt, mit dem Vorstand bei Ausübung seines Überwachungsauftrags sachgerecht und kritisch über leitungsbezogene Themen zu diskutieren und diesen adäquat zu überwachen. (b) Initiativrechte des Aufsichtsrats nach § 90 Abs. 3 AktG § 90 Abs. 3 S. 1 AktG verleiht dem Aufsichtsrat das Recht, vom Vorstand „jederzeit“ einen Bericht zu verlangen über Angelegenheiten der Gesellschaft, über ihre rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen zu verbundenen Unternehmen sowie über geschäftliche Vorgänge bei diesen Unternehmen, die auf die Lage der Gesellschaft von erheblichem Einfluss sein können. Bei solchen Anforderungsberichten handelt es sich, trotz der im Gesetz gewählten Formulierung „kann … verlangen“, richtigerweise um ein pflichtgemäß auszuübendes Recht des Aufsichtsrats, das sich bei Vorliegen von zwingenden Gründen246 zu einer Pflicht verdichtet.247 Der Begriff „Angelegenheiten 241  Hopt/Roth,

GroßkommAktG, § 111 Rn. 173. in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90 Rn. 60. 243  Er darf dem Vorstand jedoch grundsätzlich vertrauen; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 173; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 20. 244  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 17; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 173; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 47; BGH AG 2007, 167, 168 f. 245  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 18; Götz, AG 1995, 337, 349; Henze, NJW 1998, 3309; Säcker/Rehm, DB 2008, 2814 f.; Lutter, AG 1991, 249 ff., 253 f. 246  Hüffer, NZG 2007, 49; Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90 Rn. 36. 247  Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90 Rn. 36. 242  Krieger/Sailer-Coceani,

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

der Gesellschaft“ ist vor dem Hintergrund, dass der Aufsichtsrat eine adäquate Überwachung schuldet, daher weit auszulegen.248 (c) Externe Informationsquellen des Aufsichtsrats Neben der Information durch den Vorstand sind für den Aufsichtsrat auch die Berichte des Abschlussprüfers eine wichtige Informationsquelle. Da sich die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats gemäß §§ 170 Abs. 1 S. 1, 171 Abs. 1 S. 1 AktG auch auf den Jahresabschluss, den Lagebericht sowie den Vorschlag für die Verwendung des Bilanzgewinns erstreckt, kommt dem Abschlussbericht des Wirtschaftsprüfers hier eine erhebliche Bedeutung zu. Der Aufsichtsrat darf sich, wenn eine anerkannte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft dem Jahresabschluss der AG einen positiven Prüfbescheid ausstellt, auf diesen dann grundsätzlich auch verlassen und ist nicht angehalten, eine darüber hinausgehende Prüfung durchzuführen.249 Ihn trifft aber stets die Pflicht, den ihm vom externen Abschlussprüfer überlassenen Bericht kritisch zu prüfen.250 Welche Überwachungspflichten den Aufsichtsrat in Bezug auf die Einrichtung eines Risikomanagementsystems251 beziehungsweise einer wirksamen Compliance-Struktur treffen und welche Funktion der Bericht des Abschlussprüfers einnimmt, wird in Teil 3 gesondert diskutiert. An dieser Stelle soll lediglich festgehalten werden, dass der Aufsichtsrat die Abschlussberichte des Wirtschaftsprüfers für sein Informationsbedürfnis nutzbar machen kann, indem er Prüfungsschwerpunkte setzt oder den Abschlussprüfer explizit beauftragt252, erkannte Schwachstellen der Rechnungslegung näher aufzuarbeiten.253 248  MüKoAktG/Spindler § 90 Rn. 33. Danach werden nicht nur die in § 90 Abs. 1 AktG genannten Punkte erfasst, sondern auch „organisatorische Vorgänge“ in der AG. 249  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 193; OLG Köln, AG 1978, 17. 250  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 192 m. w. N.; Hommelhoff, BB 1998, 2567, 2572. 251  Nach § 91 Abs. 2 AktG hat der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden; vgl. auch Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 26 Rn. 4; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 219 ff.; Teil 3 B. II. 3. 252  Zur Beauftragung von Externen siehe Schürrle/Olbers, CCZ 2010, 105. Nach § 111 Abs. 2 S. 2 AktG kann der Aufsichtsrat für bestimmte Aufgaben besondere Sachverständige beauftragen. Gemäß § 111 Abs. 2 S. 3 AktG erteilt er dem Abschlussprüfer den Prüfungsauftrag für den Jahres- und Konzernabschluss nach § 290 HGB. Zur alten Rechtslage vor der Einführung des Abs. 2 S. 3, wonach der Vorstand den Prüfauftrag an den Abschlussprüfer erteilte KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 69. Die Anforderungen des Prüfberichts sind in § 321 Abs. 1 bis 4 HGB



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG73

(2) Intensität der Überwachung in Abhängigkeit von der Lage der AG Die im normalen Geschäftsgang geschuldete Überwachung verdichtet sich zu einer gesteigerten Überwachungspflicht, wenn sich die Risikolage der AG verschlechtert. Den Aufsichtsrat trifft hier eine intensivierte Überwachungspflicht.254 Korrespondierend dazu verschärft sich dessen Informationspflicht.255 Nur bei hinreichender Information kann er die Krise überhaupt erkennen und adäquate Maßnahmen einleiten. Dies gilt auch bei außergewöhnlichen oder atypischen und für die AG besonders riskanten Geschäften.256 Der Aufsichtsrat ist gehalten, sich vom Vorstand über die Lage der AG intensiv und detailliert berichten zu lassen, wenn die tatsächliche von der geplanten Geschäftsentwicklung257 erheblich abweicht oder sich die Ertrags- und Finanzlage deutlich verschlechtert.258 Dies gilt erst recht, wenn sogar die Insolvenz der AG möglich erscheint.259 Der Aufsichtsrat hat mit Blick auf vergleichbare Unternehmen dann zu prüfen, worin die Ursachen für die festgestellten Defizite oder Risiken liegen und ob der Vorstand noch adäquat und nachvollziehbar handelt und in der Lage ist, die Probleme der AG zu lösen.260 Dies kann häufigere Aufsichtsratssitzungen erforderlich werden lassen. Lutter und Krieger verlangen in der Krise der Gesellschaft deshalb „ein Höchstmaß an Kontrolldichte und Kontrollintensität als Pflicht des Aufsichtsrats“.261 Dies geregelt. Die Regelungen zur Bestellung des Abschlussprüfers nach §§ 319 ff. HGB werden durch Ziff. 5.3.2 u. Ziff. 7.2.1. DCGK (2013) ergänzt. 253  Forster, AG 1999, 193, 196 f.; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 176. 254  So die herrschende Meinung. Siehe nur OLG Hamburg, DB 2001, 583, 584; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 310, 318; Hüffer/Koch, AktG, § 111, Rn. 7; Polley/Kroner, Der AR, 2012, 69; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 21; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 86 f.; Leipold, FS Mehle 2009, 349, 356. 255  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 180; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 18, 20, 22; Hüffer, NZG 2007, 49; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 88. 256  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 181. 257  Hierüber ist dem Aufsichtsrat gem. § 90 Abs. 1 S. Nr. 1 und Nr. 3, Abs. 2 AktG regelmäßig zu berichten; vgl. auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 88. 258  Siehe Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 180; Scheffler, AG 1995, 207, 211 f. 259  Leipold, FS Mehle, 2009, 356; LG München I, NZI 2007, 609 ff., 610. Zu den Handlungspflichten des Aufsichtsrats in der Insolvenz Polley/Kroner, Der AR, 70 f. 260  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 16, (6). Der Aufsichtsrat muss in der Krise für einen Vorstand sorgen, der zur Lösung der Krisensituation geeignet ist, siehe auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 89; Leipold, FS Mehle, 2009, 349. 261  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 88.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

ist auch sachgerecht und kann im Einzelfall bedeuten, dass der Aufsichtsrat auf den Vorstand einzuwirken und von diesem die Vorlage eines tragfähigen Sanierungskonzeptes262 zu fordern hat. Ferner ist vom Aufsichtsrat ein besonders hohes Maß an Aufmerksamkeit geboten, wenn Hinweise für ein Fehlverhalten von Vorstandsmitgliedern im Raum stehen.263 Eine solche Verdachtslage kann auch eigene Ermittlungen des Aufsichtsrats notwendig machen.264 Die vom Aufsichtsrat geschuldete Mindestüberwachung wandelt sich in Krisenzeiten ebenso wie bei außergewöhnlichen oder besonders risikoreichen Geschäften von einer „begleiten­ den“265 in eine „unterstützende“266 Überwachung. Den Aufsichtsrat treffen in dieser besonderen Situation gesteigerte Handlungspflichten.267 Die Aufgabe des Aufsichtsrats besteht auch darin, rechtzeitig zu erkennen, ob überhaupt eine Krisensituation vorliegt. Zur Vermeidung von Haftungsgefahren hat er für die AG erhebliche Risikofaktoren268 frühzeitig zu erkennen und sich bewusst zu machen, dass ihn bei Vorliegen einer Unternehmenskrise oder eines für die AG existentiellen Risikogeschäfts gesteigerte Kontroll- und Handlungspflichten treffen.

Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 91. GroßkommAktG, § 111 Rn. 180. 238; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 22. Hinweise auf ein Fehlverhalten können sich aus dem Geschäftsverlauf, der eigenen Berichterstattung des Vorstands sowie aus dem Bericht des Abschlussprüfers ergeben. 264  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 238; Leipold, FS Mehle 2009, 356. 265  Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 26 Rn. 14. 266  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 87; Leipold, FS Mehle, 2009, 349. Eine von Semler vorgeschlagene mehrfache Abstufung der Überwachungspflicht ist abzulehnen. Die Differenzierung in Überwachung bei normalem Geschäftsgang, Anzeichen von Ergebnisverschlechterungen und eingetretenem Krisenfall mit der Folge einer „gestaltenden“ Überwachung ist für den Aufsichtsrat in einer solchen Stringenz schon aufgrund mangelnder Einbindung in das operative Geschäft praktisch nicht umsetzbar und würde eine Kompetenzüberschreitung darstellen. Siehe Claussen/Semler, AG 1984, 21 f. Richtig ist daher eine Differenzierung zwischen Normalund Krisenlage der AG. Siehe nur KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 25; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 313 ff, 317. 267  OLG Brandenburg, AG 2009, 662. In einer besonders kritischen Lage der Gesellschaft soll der Aufsichtsrat ausnahmsweise sogar angehalten sein, zwingend erforderliche Geschäftsführungsmaßnahmen selbst zu veranlassen; vgl. Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 88; Schilha, § 2, S. 72 f. 268  Polley/Kroner, Der AR 2012, 69 mit Beispielen für „erste Warnzeichen“. Solche können sein verstärkte Abwanderung von Kunden und Leistungsträgern, steigende Reklamationen, Zunahme des Umlaufvermögens und gleichzeitige Abnahme der Liquiditätsreserven. 262  Weitergehend 263  Hopt/Roth,



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG75

(3) Einfluss der Unternehmensgröße und Branche auf den Überwachungsumfang Schließlich sind die Unternehmensgröße und die Geschäftstätigkeit für den Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats relevant. Art und Umfang der Überwachung hängen maßgeblich von Größe, Risikoprofil und spezifischen Besonderheiten des Unternehmens ab.269 Die Notwendigkeit, überwachungsrelevante Themen aufzugreifen, nimmt mit zunehmender Größe und steigendem Risikoprofil der AG zu.270 Für den Aufsichtsrat bedeutet dies, dass er auch über intensive Kenntnisse der spezifischen Gegebenheiten verfügen muss. dd) Maßstäbe der geschuldeten Überwachung Um den gesetzlichen Überwachungsauftrag weiter präzisieren und für den Aufsichtsrat auf eine konkrete Beurteilungsebene überführen zu können, ist im Folgenden der Frage nachzugehen, anhand welcher Parameter die Mitglieder des Aufsichtsrats die leitungsbezogenen Geschäftsführungsentscheidungen des Vorstands nachzuvollziehen haben. Ausgangspunkt ist die Vorschrift des § 93 AktG. Diese regelt generalklauselartig die wesentlichen Pflichten des Vorstands271 und bildet für diesen die zentrale Haftungsnorm.272 Über die Verweisungsnorm des § 116 S. 1 AktG findet sie auch auf die Mitglieder des Aufsichtsrats Anwendung. Die im Innenverhältnis wirkende Haftungsnorm verfolgt primär repressive Zwecke, da sie der Kompensation eingetretener Vermögensnachteile dient.273 Zugleich wirkt sie aber auch präventiv, indem sie Vorstand und Aufsichtsrat bei Ausübung ihrer Pflichten zu einer erhöhten Sorgfalt anhält, da diese bei Vorliegen einer Pflichtverletzung für Schäden persönlich haften.274 Voraussetzung für die Innenhaftung ist eine nachweisbare und schuldhafte Pflichtverletzung. In Betracht kommt die Verletzung von speziellen Pflichten, die sich für den Vorstand aus dem Anstellungsvertrag oder der Satzung 269  Winter,

FS Hüffer 2010, 1110. zutreffend Winter, FS Hüffer 2010, 1110. 271  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 301; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 72; Bosch/Lange, JZ 2009, 225. 272  Nach § 93 Abs. 2 S. 1 AktG sind die Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. 273  BGH WM 1983, 957 f.; Goette, FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 123, 124. 274  Nach Bosch/Lange, JZ 2009, 225 soll die Vorstandsinnenhaftung nach § 93 AktG auch indirekt den Gläubigerschutz verstärken. 270  Siehe

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

ergeben können. Auch die Verletzung einer spezialgesetzlich konkretisierten Pflicht, wie etwa die in § 76 Abs. 1 AktG normierte Pflicht zur eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft oder diejenige zur Errichtung eines Frühwarnsystems in § 91 Abs. 2 AktG, können eine Vorstandshaftung begründen.275 Im Übrigen ist das Vorstandshandeln an der Vorschrift des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG zu messen.276 Um diesem Maßstab gerecht zu werden, müssen die Vorstandsmitglieder im Rahmen der Leitung der AG ihr Handeln neben den grundlegenden und für alle kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaften geltenden Leitmaximen277 zudem an den Geboten der Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit ausrichten.278 Diese über § 93 Abs. 1 AktG den Vorstand unmittelbar treffenden Handlungsmaßstäbe werden vom Überwachungsauftrag des § 111 Abs. 1 AktG erfasst. Der Aufsichtsrat hat daher auch zu überwachen, ob der Vorstand bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anwendet und diese an den Grundsätzen der Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ausrichtet. (1) Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung (Legalitätskontrolle) Dass sich der Vorstand bei Leitung der Aktiengesellschaft legal zu verhalten und die ihm durch das Aktiengesetz, die Satzung der AG, die Geschäftsordnung279 sowie die durch andere Rechtsquellen unmittelbar auferlegten 275  Bosch/Lange,

JZ 2009, 225. Regelungsbereich der Vorschrift siehe Bosch/Lange, JZ 2009, 225. 277  Zu den allgemeinen Leitmaximen der Gewinnerzielung sowie der Beachtung des Gesellschafts- und Unternehmensinteresses als Grundlage für die wirtschaftliche Betätigung einer Kapitalgesellschaft siehe Kuhner, ZGR 2004, 246 ff.; Roth, ZGR 2012, 348; auch Schilha, § 2, S. 51 ff, 53, der zu Recht hervorhebt, dass sich der Aufsichtsrat im Ergebnis davon zu überzeugen hat, dass sich der Vorstand bei seinen geschäftsführenden Maßnahmen grundsätzlich von der Maxime einer angemessenen Gewinnerzielung leiten zu lassen hat. 278  So die ganz herrschende Meinung. Siehe BGHZ 114, 127, 129 f.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 71; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 14; Semler, Leitung und Überwachung, Rn. 183; Lutter, Information und Vertraulichkeit, 38, Rn. 114 ff.; Hoffmann-Becking, Münch. Hdb. GesR, IV, § 29, 31; Hopt/ Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 301 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 111, Rn. 6; Bosch/ Lange, JZ 2009, 225. 279  Zentral ist die Einhaltung der Vorschrift des § 93 Abs. 3 AktG und der Satzung. Die Satzung der AG muss nach § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG den Gegenstand des Unternehmens bestimmen und kann nach Abs. 5 S 2 ergänzende Bestimmungen enthalten, soweit das AktG keine abschließende Regelung enthält; vgl. Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 302 ff. 276  Zum



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG77

Pflichten280 zu befolgen hat, ist selbstverständlich und integraler Bestandteil der Leitungsaufgabe im Sinne des § 76 Abs. 1 AktG.281 Der Aufsichtsrat hat daher jedenfalls zu überwachen, ob der Vorstand bei Ausübung seiner Tätigkeit die unmittelbar mit der Tätigkeit des Unternehmens zusammenhängenden Normen einhält.282 Nach unbestrittener Auffassung gehören hierzu die mit der geschäftlichen Tätigkeit in unmittelbarem Zusammenhang stehenden kern- und nebenstrafrechtlichen Normen.283 Fraglich ist allerdings, ob und inwieweit der Aufsichtsrat darüber hinaus auch gehalten ist, die Einhaltung von solchen Vorschriften seiner Kontrolle zu unterwerfen, die in keinem direkten Zusammenhang mit der Tätigkeit der Gesellschaft stehen. Namentlich handelt es sich hierbei um Vorschriften des allgemeinen Strafrechts und um Gesetze, die öffentliche oder soziale Belange schützen. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass der Aufsichtsrat kein Superkontrollorgan in dem Sinne ist, dass er zur Sicherung von „Recht und Gesetz“ die Überwachung aller in Frage kommenden Gesetzesverletzungen zu leisten hat.284 Dies würde ihn zum einen überfordern, da er weder über die personellen Ressourcen zur Aufklärung aller denkbaren Verstöße noch über hinreichende Aufklärungs- und Handlungsmöglichkeiten in der AG verfügt. Zum anderen ist der Aufsichtsrat keine „Strafverfolgungsbehörde“ innerhalb der Gesellschaft. Er hat daher auch nicht für eine „lückenlose Gewährleistung der Legalität“285 einzustehen. Als Organ der AG hat er durch Überwachung nur die Legalität der Geschäftsführung und nicht die des Unternehmens insgesamt sicherzustellen.286 Auf Interessen von Dritten oder der Allgemeinheit kommt es grundsätzlich nicht an, da diese nicht vom Überwa280  Hierbei kann es sich um branchenabhängige gesellschaftsrechtliche oder allgemeingültige Pflichten handeln. Für Wirtschaftsunternehmen und deren Repräsentanten sind die Vorschriften des Kartell-, Wettbewerbs-, Steuer-, Umwelt-, Vergabe- und Strafrechts zu beachten. Ferner können sich spezielle Vorschriften aus dem WpHG und dem KWG ergeben. Siehe auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 72; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 302. Zur Legalitätspflicht des Vorstands siehe die Ausführungen in Teil 3 B. II. 4. a) aa). 281  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 72. 282  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 72; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 302. Zum Umfang der Überwachungspflicht siehe auch Schwerdtfeger, S.  86 ff. 283  Greeve, Strafrechtliche Beratung u. Compliance, Strafverteidigung im Rechtsstaat, S. 514. 284  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 303. Siehe zum Inhalt auch Schwerdtfeger, S. 92. 285  Schilha, § 2, S. 58, der zu Recht darauf hinweist, dass eine lückenlose Gewährleistung der Legalität den Aufsichtsrat in seinen Möglichkeiten überfordern und eine effektive Kontrolle damit „eher lähmen“ würde. 286  Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, S. 38 Rn. 115.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

chungsauftrag des Aufsichtsrats erfasst werden. Deshalb hat er ein ihm bekannt gewordenes rechtswidriges Verhalten des Vorstands, das in keinem direkten Zusammenhang mit der geschäftlichen Betätigung der Aktiengesellschaft steht und keine nachteiligen wirtschaftlichen Auswirkungen für diese haben kann, grundsätzlich auch nicht zu beanstanden.287 Vor diesem Hintergrund sind Verfehlungen des Vorstands, die ausschließlich den privaten Bereich betreffen, aus dem Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats regelmäßig auszuschließen.288 Die Tatsache, dass der Aufsichtsrat nicht alle Rechtsverstöße im Unternehmen zu überwachen hat, darf aber nicht zu dem gefährlichen Rückschluss führen, dass er sich mit bestimmten, ihm zur Kenntnis gelangten Rechtsverstößen, nur weil sie (vermeintlich) in keinem direkten Sachzusammenhang mit der geschäftlichen Betätigung der AG stehen, überhaupt nicht zu befassen hätte beziehungsweise solche ihm bekannten Umstände ignorieren dürfte. Er ist zwar bei Rechtsverstößen ohne direkten Zusammenhang mit der Unternehmung, wenn nur die Interessen der Allgemeinheit oder Dritter betroffen sind, nicht gehalten, gegen den Vorstand deswegen Personalmaßnahmen einzuleiten oder ihn gar anzuzeigen.289 Gleichwohl hat er sich aber die Frage zu stellen, ob aus diesem zunächst nicht für gesellschaftsrelevant erachteten Verhalten nicht doch – bei Hinzutreten weiterer Umstände – ein wirtschaftliches Risiko für die Gesellschaft erwachsen kann. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn der Vorstand duldet, dass Mitarbeiter der AG entgegen den Vorschriften des Umweltschutzrechts Abfälle rechtswidrig entsorgen oder aufgrund einer privat begangenen Steuerhinterziehung über Monate eine negative Berichterstattung, die auch auf das Unternehmen und dessen Reputation abstrahlt, stattfindet.290 Auf der ersten Betrachtungsebene scheint lediglich ein Verstoß gegen die Allgemeinheit schützende Umwelt- beziehungsweise Steuervorschriften vorzuliegen, denen keine Relevanz für die AG zukommt. Eine solche Sichtweise griffe jedoch zu kurz, da das Dulden einer rechtswidrigen Entsorgungspraxis ebenso wie das Tolerieren einer auf diese Richtung auch Schilha, § 2, S. 58, 60. Schilha, § 2, S. 60. 289  Eine Anzeigepflicht gegenüber den Strafverfolgungsbehörden besteht aber dann, wenn ein Fall des § 138 StGB vorliegt oder ein die Interessen der Gesellschaft tangierender Sachverhalt nur durch offizielle Ermittlungen der Staatsanwaltschaft aufgeklärt und so ein Schaden für die AG abgewendet werden kann; vgl. hierzu Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 72. Zu den Aufklärungs- und Handlungspflichten des Aufsichtsrats Teil 3 C. III. 2. b)–c). 290  Denkbar wäre, dass  – wie etwa im Fall Hoeneß  – eine private Verfehlung ein solches Ausmaß annimmt, dass auch die Gesellschaftsinteressen, insbesondere das Ansehen der AG, tangiert werden. Daher wird teilweise für den privaten Bereich eine Legalitätskontrolle angenommen. Siehe Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn. 36; Janzen, NZG 2003, 473; BGH WM 1967, 251; BGH NJW 1956, 1513. 287  In

288  Zutreffend



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG79

die AG abstrahlenden privaten Verfehlung sowohl das Risiko von Schadenersatzforderungen, die im Falle ihrer Durchsetzung zu einem materiellen Schaden führen können, als auch das eines Ansehensverlusts mit der Folge eines ideellen Schadens291 in sich trägt. Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben sich daher bei Kenntnis von Rechtsverletzungen durch den Vorstand oder leitenden Angestellten stets mit diesen zu befassen, deren Inhalt vor dem Hintergrund der Gesellschaftsinte­ ressen auf wirtschaftliche Relevanz zu prüfen und die ihnen zur Verfügung stehenden gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten zu ergreifen.292 (2) Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung Neben der Rechtmäßigkeit hat der Aufsichtsrat die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung zu überwachen. Unter ordnungsgemäßer Leitung der AG ist allgemein eine die Größe, Struktur und Eigenart der Gesellschaft berücksichtigende und an betriebswirtschaftlichen Maßstäben ausgerichtete Unternehmensorganisation zu verstehen.293 Diese Vorgabe begründet für den Vorstand konkret die Pflicht, sicherzustellen, dass im Unternehmen ein effektives Rechnungs- und Berichtswesen294 existiert. Ebenso hat er dafür Sorge zu tragen, dass in der AG eine angemessene Personalplanung stattfindet.295 Die von ihm angestrebten Maßnahmen sind von ihm im Wege einer kurz- und mittelfristigen Planung296 zu fixieren und dem Aufsichtsrat zu berichten. Der 291  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 303; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 72. 292  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 72, die die Aufgabe des Aufsichtsrats dahingehend umschreiben, dass dieser „mit eigenen Mitteln das Haus zu bestellen und für Legalität zu sorgen“ habe. Siehe auch Lutter, AG 2006, 517 ff. Richtigerweise ist hier auch kein Raum für eine Differenzierung in geringfügige oder schwerwiegende Verstöße, da auch geringfügig erscheinende Verstöße zu einem erheblichen ideellen und auch materiellen Schaden führen können. Hierzu auch Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 73. 293  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 74; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, S. 38 Rn. 117; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rn. 21. 294  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 79; Drygala, in: Schmidt/ Lutter, AktG, § 111 Rn. 21. 295  Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rn. 21. Da Kriterium der Personalplanung wird auch ausdrücklich in § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AktG erwähnt. 296  Ausführlich Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 75  ff.; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rn. 21; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 309, der das Kriterium der Ordnungsmäßigkeit für zweifelhaft erachtet und die Prüfung der sachgerechten Organisation, v. a. des Planungs- und Rechnungswesens sowie des Berichtwesens als eine Frage der Zweckmäßigkeit ansieht. Eine Pflicht zur Langzeitplanung über einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren besteht nur, wenn dies

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

Aufsichtsrat muss sich bei Überwachung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung durch den Vorstand davon überzeugen, dass der Vorstand die AG – trotz einer in der Praxis zulässigen Delegation von Geschäftsführungsaufgaben an leitende Mitarbeiter – tatsächlich noch selbst leiten und steuern kann.297 Ein zentraler Anhaltspunkt ist die vom Vorstand vorzunehmende und an den Aufsichtsrat nach § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AktG regelmäßig zu berichtende Unternehmensplanung.298 Der Aufsichtsrat hat sich, gegebenenfalls aktiv durch Rückfrage oder Anforderung eines Vorstandsberichts, zu vergewissern, ob eine angemessene, vorausschauende und den Interessen der AG Rechnung tragende Planung erfolgte. Bei der Präzisierung des zivilrechtlichen Pflichtenkatalogs kommt dem Thema Compliance aus Sicht des Aufsichtsrats eine zentrale Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang ist für dessen Mitglieder auch erheblich, ob und in welchem Umfang ihn Überwachungs- und Handlungspflichten bei der Implementierung von Compliance-Programmen in der AG treffen. Welchen Umfang diese Pflichtenstellung konkret erreicht, hängt maßgeblich von der im Vorfeld zu klärenden Frage ab, ob den Vorstand der AG überhaupt eine Pflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation trifft.299 Im Anschluss daran kann untersucht werden, welche Auswirkung eine etwaige Pflicht des Vorstands auf die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats hat. Dies wird für den zivilrechtlichen Bereich sogleich gesondert in Teil 3 und für den strafrechtlichen Komplex sodann umfassend in Teil 5300 untersucht werden. (3) Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung Eine wirtschaftliche Unternehmensführung ist elementare Voraussetzung für die Lebens- und Überlebensfähigkeit301 der AG. Bei Ausrichtung der Leitung an dem im nationalen Recht als Leitmaxime vorherrschenden Unternehmensinteresse302 wird der Vorstand zwar nicht ausschließlich auf das Ziel die besondere Struktur des Unternehmens nahe legt. Siehe insoweit Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 77. 297  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 74. 298  Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, S. 38 Rn. 50 ff.; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 74; Lutter, AG 1991, 249 ff. 299  Dies ist im Schrifttum umstritten und wird sogleich in Teil 3 diskutiert. Siehe hierzu ausführlich Teil 3 B I.–V. 300  Zur strafrechtlichen Dimension im Zusammenhang mit Compliance siehe unten Teil 5 A. 301  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 83. 302  Im Gegensatz zu diesem Ansatz steht der kapitalmarktorientierte Ansatz des „shareholder value“, nachdem nur das Interesse einer einzigen Gruppe, nämlich jenes



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG81

der Gewinnmaximierung verpflichtet.303 Ihm kommt bei Erfüllung der Gesellschaftsinteressen, welche sich neben den Aktionärsinteressen auch noch an den Interessen anderer Gruppen orientieren, ein weiter Entscheidungsspielraum zu.304 Gleichwohl darf das Interesse am Unternehmenserfolg im Sinne einer ökonomischen und an Steigerung der Kapital- und Ertragskraft orientierten Führung der AG im Verhältnis zu den anderen im Gesellschaftsund Unternehmensinteresse liegenden Zielen aber nicht unverhältnismäßig stark zurücktreten.305 Nur bei wirtschaftlicher Unternehmensführung kann die Wettbewerbsfähigkeit der AG gesichert werden. Dies darf vom Aufsichtsrat bei Ausübung der Überwachung nicht verkannt werden. Eine im Verhältnis zu den Gesellschafts- und Unternehmensinteressen stehende ertragsorientierte Ausrichtung der Gesellschaft dient letztlich den Interessen aller zu berücksichtigenden Gruppen. Der Vorstand hat deshalb bei Führung der AG unter dem Blickwinkel der Wirtschaftlichkeit nicht nur die Sicherung der Liquidität der Gesellschaft, deren ausreichende Finanzierung und deren Ertragskraft zu gewährleisten, sondern auch die Stellung der AG innerhalb des Marktes im Vergleich zu konkurrierenden Marktteilnehmern im Blick zu behalten.306 Für den Aufsichtsrat folgt hieraus die Pflicht, sich davon zu überzeugen, dass die Planungen des Vorstands  – die dem Aufsichtsrat über § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AktG zu berichten sind – in ökonomischer und finanzieller Hinsicht erfolgversprechend sind und im Einklang mit dem Unternehmensinteresse stehen.307 Der Aufsichtsrat hat kostenintensive Maßnahmen auch nicht isoliert zu betrachten, sondern stets in Relation zum Nutzen für die gesamte AG zu sehen.308 Dabei hat er anzuerkennen, dass unternehmerisches Handeln ohne Risiken nicht möglich ist und dem Vorstand bei Vornahme von unternehmerischen Entscheidungen weitreichende Beurteilungs- und Ermessensspielräume zukommen. der Aktionäre, im Mittelpunkt steht. Siehe hierzu weiterführend Kuhner, ZGR 2004, 250. 303  Kuhner, ZGR 2004, 250. Der DCGK empfiehlt in Ziff. 4.1.1., dass der Vorstand das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse, unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (stakeholder) mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung, leitet. 304  Etwa Arbeitnehmer, Gläubiger und Öffentlichkeit. Weitergehend Kuhner, ZGR 2004, 250. 305  Kuhner, ZGR 2004, 250. 306  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 83. 307  Um dies beurteilen zu können, empfiehlt sich ein Rückgriff auf bilanzielle Kennzahlen. Siehe Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 307 f. 308  Zutreffend Schilha, § 2, S. 62.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

(4) Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung Letztlich hat die Überwachung am Maßstab der Zweckmäßigkeit zu erfolgen. Der Aufsichtsrat hat insoweit zu prüfen, ob eine konkrete Maßnahme in einer bestimmten Situation für die AG vorteilhaft ist oder nicht.309 Dies erfordert eine abwägende und ergebnisorientierte Auseinandersetzung mit den vom Vorstand in der konkreten Situation verfolgten Zielen und der Geeignetheit der eingesetzten Mittel.310 In die Abwägung sind die Erfolgswahrscheinlichkeit genauso wie die mit der Maßnahme verbundenen Aufwendungen und Risiken einzustellen.311 Richtigerweise lassen sich Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit nicht trennscharf abgrenzen.312 In der Regel wird eine wirtschaftliche Maßnahme zweckmäßig sein313, sodass bei angenommener Wirtschaftlichkeit der Maßnahme regelmäßig von deren Zweckmäßigkeit ausgegangen werden darf. Umgekehrt kann eine wirtschaftliche Maßnahme unzweckmäßig314 oder eine unwirtschaftliche Entscheidung gleichwohl zweckmäßig und umgekehrt sein.315 Bedeutsam ist jedoch, dass der Aufsichtsrat seine eigene Zweckmäßigkeitsentscheidung nicht an die Stelle der vom Vorstand getroffenen Entscheidung setzt, sondern den Entscheidungs- und Beurteilungsspielraum des Vorstands316 im Rahmen der Zweckmäßigkeitsentscheidung respektiert. Ob letztendlich eine beanstandungswürdige, weil nicht mehr vertretbare Entscheidung des Vorstands vorliegt, lässt sich nur anhand einer „Gesamtschau“317, die sowohl die Kriterien der Wirtschaftlichkeit als auch Zweckmäßigkeit berücksichtigt, beurteilen.

309  Semler,

Leitung und Überwachung, Rn. 192. AktG, § 111 Rn. 6.; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 306. 311  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 306. 312  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 306, 308; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 84; auch Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rn. 6. 313  So etwa Schilha, § 2, 63, der davon ausgeht, dass die Frage der Wirtschaftlichkeit einer Maßnahme die Beurteilung ihrer Zweckmäßigkeit häufig „präjudizieren“ wird. 314  Aus Sicht einer Bank könnte zum Beispiel die Vergabe eines wirtschaftlich rentablen Kredits an einen ausländischen Staat zum Zwecke der Finanzierung von Kriegswaffen unzweckmäßig sein, wenn hierdurch ein Reputationsschaden, der in der Praxis zudem regelmäßig auch wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt, entsteht. 315  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 308, der z. B. eine unwirtschaftliche umweltschützende Maßnahme aus Gründen des „Unternehmensimages“ für zweckmäßig erachtet. 316  Auf diesen wird sogleich eingegangen. Siehe die Ausführungen in Teil 2 B. I. 1. c). 317  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 307. 310  Hüffer/Koch,



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG83

ee) Zwischenergebnis bezüglich Inhalt und Umfang der Überwachungspflicht Für den normalen Geschäftsgang lässt sich somit als „Kontrollminimum“ festhalten, dass der Aufsichtsrat nach der gesetzlichen Ausgangslage nicht die gesamte Geschäftsführung in allen Einzelheiten zu überwachen hat.318 Weder könnte er dies im Rahmen seiner personellen Ausstattung leisten, noch ist dies Sinn und Zweck des gesetzlichen Überwachungsauftrags. Der Aufsichtsrat genügt dem gesetzlichen Auftrag des § 111 Abs. 1 AktG im Regelfall, wenn er sich davon überzeugt, dass die Vorstandsmitglieder für ihre Aufgabe geeignet sind, der Vorstand ordnungsgemäß besetzt ist und sachgerecht zusammenarbeitet.319 Die vom Vorstand getroffenen leitungsbezogenen Entscheidungen hat er anhand des Maßstabs der Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit nachzuvollziehen. In inhaltlicher Hinsicht bedeutet dies, dass der Aufsichtsrat die Berichterstattung des Vorstands nach § 90 Abs. 1 AktG mindestens zur Kenntnis zu nehmen und sich auf dieser Informationsbasis mit den berichteten Geschäftsvorgängen und Unternehmensentwicklungen kritisch zu befassen320 hat. Dies schließt ein, dass der Aufsichtsrat den vom Vorstand nach § 90 Abs. 2 AktG in periodischen Abständen berichtsmäßig mitgeteilten Sachverhalt wenigstens stichprobenartig kontrolliert und sich somit vergewissert, ob der Vorstand seiner Berichterstattungspflicht nach § 90 AktG umfassend nachkommt.321 Sollten dem Aufsichtsrat Umstände bekannt werden, die auf eine Verletzung der Geschäftsführungspflicht des Vorstandes oder leitender Mitarbeiter hindeuten, hat er diesen Hinweisen nachzugehen.322 Der Aufsichtsrat hat ebenso die ihm durch das Aktiengesetz explizit auferlegten Überwachungspflichten323 zu erfüllen und den Vorstand ferner bei der Ausübung seiner Leitungsfunktion im Sinne einer in die Zukunft gerichteten präventiven Kontrolle zu begleiten. 318  OLG Köln, AG 1978, 17; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 16; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 262, 323; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn.  19 f.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 66; Hoffmann-Becking, Münch. Hdb. GesR, IV, § 29, 27; Vetter, in: Marsch-Barner / Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 26 Rn. 3. 319  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 16. 320  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 16; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 29; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 76 ff. 321  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 16. 322  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 16. 323  Insbesondere hat er die ihm nach §§ 170 Abs. 1 S. 1, 171 Abs. 1 S. 1 AktG und ggf. nach §§ 312 Abs. 1 S. 1, 314 Abs. 1 S. 1 AktG auferlegten Prüfungspflichten zu erfüllen.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

Im Krisenfall oder bei besonders risikoreichen Geschäften verschärft sich die Mindestkontrollpflicht und verlangt vom Aufsichtsrat anstelle einer begleitenden eine unterstützende Überwachung. Diese Grundsätze gelten auch für Aufsichtsräte kleinerer Gesellschaften.324 Nach den bisherigen Erkenntnissen lässt sich des Weiteren festhalten, dass dem Informationsfluss zwischen Aufsichtsrat und Vorstand, Aufsichtsrat und leitenden Angestellten sowie innerhalb des Aufsichtsrats eine erhebliche Bedeutung zukommt.325 Nur bei hinreichender Information vermag der Aufsichtsrat dem gesetzlichen Überwachungsauftrag nach § 111 Abs. 1 AktG ausreichend nachzukommen und wird somit in die Lage versetzt, potentiellen Haftungsrisiken, die sowohl den Vorstand als auch den Aufsichtsrat selbst treffen können, adäquat zu begegnen. Um das Risiko einer zivil- und strafrechtlichen Haftung im Vorfeld zu reduzieren, empfiehlt es sich auf zivilrechtlicher Ebene, über die gesetzlich geregelten Informationspflichten hinausgehend, detaillierte und in Abhängigkeit zu der konkreten Branche stehende Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand zu begründen. Der Zugriff ist nach hier vertretener Auffassung auf leitende Mitarbeiter der zweiten Hierarchieebene zu erstrecken. Ein solches Vorgehen greift auch nicht in die Leitungsmacht des Vorstands ein, sondern trägt einer praxisgerechten Handhabung des Überwachungsauftrags Rechnung, da der Aufsichtsrat nach dem gesetzlichen Auftrag des § 111 Abs. 1 AktG erst bei Vorliegen von konkreten Anzeichen für Fehlentwicklungen innerhalb der AG befugt ist, unmittelbar an leitende Angestellte heranzutreten. Für den normalen Geschäftsgang räumt ihm das geltende Recht gerade keine direkte Zugriffsmöglichkeit auf leitende Angestellte ein. Um verbleibende Haftungsrisiken infolge eines möglichen Informationsdefizits zu reduzieren, empfiehlt es sich über die gesetzliche Ausgangslage hinaus eine interne Regelung zu schaffen, die den grundsätzlichen Zugriff auf Mitarbeiter der zweiten Hierarchiestufe zulässt und klarstellt, dass der Aufsichtsrat ohne Vorliegen von Verdachtsmomenten zur Informationsgewinnung auf leitende Angestellte, die unmittelbar an den Vorstand berichten, zugreifen darf. Durch diese Form der Selbstregulierung lässt sich eine für den Aufsichtsrat anzustrebende Rechtssicherheit und Rechtsklarheit schaffen. Gleichzeitig könnte eine Konkretisierung des allgemeinen Überwachungsauftrags des § 111 Abs. 1 AktG erreicht werden.

324  Diese können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass von „ihnen keine vertieften Kenntnisse des Aktienrechts“ erwartet werden dürften. Siehe nur OLG Hamm, BeckRS 2008, 06654 in Bezug auf Mitglieder des Aufsichtsrats einer kleinen Regionalbrauerei. Danach könne von einem Aufsichtsrat erwartet werden, dass „er die Amtspflichten in seinen Grundzügen“ kenne. 325  Börsig/Löbbe, FS Hoffmann-Becking 2013, 137.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG85

c) Beurteilungs- und Ermessensspielräume des Vorstands als Grenze der Überwachung durch den Aufsichtsrat Die vom Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 1 AktG geschuldete Überwachung findet bei Vorliegen einer „unternehmerischen Entscheidung“ in den Beurteilungs- und Ermessensspielräumen des Vorstands ihre Grenze.326 Gesetzlicher Anknüpfungspunkt für ein dem Vorstand bei Leitung der Gesellschaft zukommendes Ermessen sind §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG. Danach hat der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu leiten. Bei der Bestimmung, ob aus Sicht des Aufsichtsrats eine zu beanstandende Pflichtverletzung des Vorstands vorliegt, kommt wiederum der in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG geregelten sogenannten business judgement rule erhebliche Bedeutung zu327, da sie dem handelnden Organmitglied bei unternehmerischen Entscheidungen einen weiten Beurteilungsspielraum zubilligt.328 Gleichzeitig schließt sie eine Pflichtverletzung aus, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Schließlich konkretisiert sie den allgemeinen Sorgfaltsmaßstab. aa) Handeln aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung Beurteilungs- und Ermessensspielräume kommen dem Vorstand nur bei unternehmerischen Entscheidungen zu, da nur diese durch Unsicherheiten und Risiken geprägt sind und daher erst nach Beurteilung der unternehmerischen Zweckmäßigkeit getroffen werden können.329 Sie sind vom Aufsichtsrat im Rahmen der Kontrolle auch zu respektieren.330 In den unternehmerischen Aufgabenbereich des Vorstands fallen sämtliche Maßnahmen, grundlegende Vorgänge und Projekte des laufenden Tagesgeschäfts, die zur erfolg§ 93 Rn. 35; Henze, BB 2001, 53, 57 ff. Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts vom 22.9.2005 (UMAG), BGBl I 2005, S. 2802, in das AktG aufgenommen und orientiert sich an dem US-amerikanischen Vorbild der sog. Business Judgement Rule, vgl. MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 35. In der Regelung des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG wurde letztlich die im nationalen Recht durch die Rechtsprechung herausgearbeitete Geschäftsherrenhaftung, insbesondere BGHZ 135, 253 (ARAG/Garmenbeck); BGHZ 136, 138 (Siemens/Nold); BGHZ 125, 246 (Deutsche Bank) sowie BGHZ 152, 286, kodifiziert. 328  Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 229; Lutter, ZIP 2007, 841 ff. 329  Zum Begriff siehe Begr. RegE UMAG BT-Drucks. 15/5092, S. 11; Bosch/ Lange, JZ 2009, 225, 230. Zum Ermessen MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 35, 40 und Rn. 50. 330  Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 10. 326  MüKoAktG/Spindler 327  Die

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

reichen Steuerung der Aktiengesellschaft notwendig sind.331 Der Vorstand übt unmittelbar „Unternehmerfunktion“332 aus, indem er die Unternehmenspolitik festlegt. Er hat strategische333, operative334, unternehmensorganisatorische335, selbstorganisatorische336 sowie interne, das Steuerungs- und Überwachungssystem337 der AG betreffende, Entscheidungen zu treffen. Da der Vorstand bei diesen zum Teil  äußerst komplexen und in hohem Maße von Eigenverantwortlichkeit geprägten Entscheidungen regelmäßig zwischen mehreren tatsächlich möglichen und rechtlich zulässigen Handlungsvarianten auswählen kann, kommt ihm bei Wahrnehmung dieser unternehmerischen Leitungsaufgaben ein „Leitungsermessen“338 zu. Dieses hat er am Maßstab des „Unternehmensinteresses“ auszurichten.339 Die Existenz eines solchen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessensspielraums340 ist im 331  Lohse, Unternehmerisches Ermessen, S. 90. Zu den betriebswirtschaftlichen Elementen der Unternehmensführung siehe Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 26. 332  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., Band 2/1, § 76 Rn. 4. 333  Der Vorstand hat mind. festzulegen, welche geschäftspolitischen Ziele die AG verfolgt und auf welchen Geschäftsfeldern sie aktiv ist; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 76 Rn. 4. 334  Der Vorstand hat sicherzustellen, dass das laufende Tagesgeschäft der AG effektiv bedient werden kann, indem er personelle Entscheidungen über die geeignete Besetzung von Führungspositionen trifft und dafür Sorge trägt, dass Konflikte zwischen den vom ihm gebildeten Geschäftsbereichen gelöst werden. Siehe Lohse, Unternehmerisches Ermessen, 92. 335  Das Unternehmen ist so zu organisieren, dass „die Entwicklung und die unternehmensinterne Umsetzung seiner Vorgaben unterstützt wird“. In diesem Zusammenhang hat der Vorstand vor allem die Aufbau- und Ablauforganisation in der AG durch ein funktionierendes Leitungs- und Führungsmodell festzulegen. Siehe Lohse, Unternehmerisches Ermessen, S. 92. 336  Dieser Teil der Leitungsaufgabe umfasst den Zuschnitt der Unternehmensbereiche, die Festlegung der konkreten Befugnisse der Bereichsleiter, die Einrichtung und Zuordnung von Stabsstellen sowie die Bildung und Besetzung von Vorstandsausschüssen. Hierzu zählt auch die Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat, vgl. Lohse, Unternehmerisches Ermessen, S. 93. 337  Lohse, Unternehmerisches Ermessen, S. 91 ff. Siehe auch unten Teil 3 A. II. und B. II. 338  Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 12; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 76 Rn. 9; die Existenz von Ermessenspielräumen ist nach allg. Meinung unstrittig. Auch die Rechtsprechung hat die Bedeutung von Ermessenspielräumen mehrfach hervorgehoben. Siehe nur BGHZ 125, 239, 246 = NJW 1994, 1410; BGHZ 136, 133, 138; BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926. 339  Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 10. Allgemein zur Bedeutung des Gesellschafts- und Unternehmensinteresses Kuhner, ZGR 2004, 246 ff.; Roth, ZGR 2012, 348. 340  In diese Richtung MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 50; Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 229. Zum sog. Geschäftsleiterermessen siehe BGHZ 135, 244, 253; 152, 280, 286.



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Ergebnis sachgerecht, da andernfalls die Gefahr bestünde, dass unternehmerische Risiken durch den Vorstand zur Vermeidung von persönlichen Haftungsrisiken überhaupt nicht eingegangen würden.341 Eine den Vorstand in haftungsrechtlicher Hinsicht privilegierende Anwendung der Business Judgement Rule scheidet aus, wenn es sich um eine rechtlich gebundene Entscheidung handelt.342 Der Vorstand kann dann gerade nicht zwischen mehreren tatsächlich möglichen und rechtlich zulässigen Handlungsvarianten wählen, sondern hat eine ihm durch Gesetz343, Satzung oder Beschluss der Hauptversammlung344 vorgegebene Entscheidung umsetzen.345 In diesen Konstellationen existiert weder ein Beurteilungsspielraum noch ein Leitungsermessen zugunsten des Vorstands.346 bb) Beurteilungsspielraum bei Ermittlung der angemessenen Information Der Vorstand hat, bevor er eine am Unternehmensinteresse ausgerichtete unernehmerische Entscheidung treffen und damit sein Leitungsermessen ausüben kann, in einem ersten Schritt eine hinreichende Tatsachengrundlage für seine Entscheidung zu schaffen.347 Erst dann wird er in die Lage versetzt, unbestimmte Rechtsbegriffe wie unternehmerische Entscheidung, Wohl der Gesellschaft, angemessene Information im Sinne des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG oder die Leitmaxime des Unternehmensinteresses zu konkretisieren.348 341  MüKoAktG/Spindler

11.

342  Bosch/Lange,

§ 93 Rn. 35, 50; Begr. RegE UMAG BT-Drs. 15/5092,

JZ 2009, 225, 230. bestehen im Zusammenhang mit der Bekanntmachung gem. § 97 Abs. 1 AktG, dem Antrag gem. § 98 AktG, der Anzeige gem. § 92 Abs. 1 AktG, dem Insolvenzantrag gem. § 15a InsO, der Einberufung der Hauptversammlung gem. § 121 AktG, der Aufstellung des Jahresabschlusses gem. §§ 242, 264 HGB. 344  Nach § 83 Abs. 2 AktG ist der Vorstand verpflichtet, die von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit beschlossenen Maßnahmen auszuführen. 345  Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 230; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 76 Rn. 9. 346  Dies ist v.a bei den gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten und der organschaftlichen Treuebindung der Fall. Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 230; vgl. zu den Pflichten ohne Handlungsermessen Goette, FS 50 Jahre BGH 2000, 123, 130 ff. 347  Allg. Meinung, siehe BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck); MüKoAktG/ Spindler § 93 Rn. 35 u. Rn. 50; Schneider, DB 2005, 707 f.; Semler, FS Ulmer 2003, S.  627, 632 f. 348  MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 46. Zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG siehe Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 229 f.; BegrRegE, BR-Drucks 3/05, S. 19. 343  Handlungspflichten

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

Auf die in diesem Zusammenhang diskutierte Frage, ob die vom Vorstand in tatsächlicher Hinsicht getroffenen Beurteilungen auch anhand der im Verwaltungsrecht für Beurteilungs- und Ermessensspielräume entwickelten Kriterien349 nachzuvollziehen sind, kommt es an dieser Stelle nicht entscheidend an. Insoweit besteht Einigkeit, dass dem Vorstand im Interesse unternehmerischen Handelns weitergehende Spielräume zukommen als einer Verwaltungsbehörde, die über Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden ist und daher bei Ausübung der ihr eingeräumten Spielräume den Grundrechtsschutz des Bürgers zu respektieren und gleichzeitig öffentliche Interessen zu berücksichtigen hat.350 Der Vorstand ist demgegenüber primär nur der Gesellschaft und dem „Unternehmensinteresse“ verpflichtet.351 Ihm kommt bei Ausfüllung der im Erkenntnisbereich liegenden tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen unbestimmten Rechtsbegriffs eine weitreichendere Einschätzungsprärogative zu352, die auch das Eingehen von risikoreichen Geschäften grundsätzlich umfasst.353 Dies hat der Aufsichtsrat in seiner Funktion als Kontrollorgan auch anzuerkennen. Ihm ist es mit Blick auf die dem Vorstand eingeräumte Leitungsmacht gemäß § 76 Abs. 1 AktG nicht gestattet, seine eigene tatsächliche Bewertung an die Stelle der vom Vorstand getroffenen Erwägungen zu setzen. Die vom Vorstand vorgenommene Bewertung ist aus Sicht des Aufsichtsrats somit nur einer begrenzten „gesellschaftsrechtlichen“ Prüfung354 zugänglich. 349  Für eine modifizierte Anwendung dieser Grundsätze wohl Semler, FS Ulmer 2003, 627, 633. Demgegenüber für eine von öffentlich rechtlichen Grundsätzen losgelöste gesellschaftsrechtliche Prüfung zutreffend Nirk, FS Boujong 1996, 393, 406 f.; Raiser, NJW 1996, 552, 553; Mutter, Unternehmerische Entscheidungen, 1994, 245. Ausführlich hierzu Lohse, Unternehmerisches Ermessen, 2005, 182 ff. 350  MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 35, 46. 351  MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 46, 69, der den Begriff des Unternehmensinte­ resses für „inhaltsleer“ erachtet, wohl aber von der Existenz eines Beurteilungsspielraums ausgeht. 352  In diese Richtung Hopt, ZGR 2002, 333, 360; Semler, FS Ulmer, 2003, S. 627, 633; Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 12; Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 228; Schilha, § 2, S.  67; a. A. Raiser, NJW 1996, 552, 553, der die Frage für vorrangig erachtet, wie weit die Aktionäre auf die Wahrnehmung ihrer Eigentumsrechte zugunsten der Unternehmensleitung „verzichtet“ haben, um das angestrebte Ziel der gewinnbringenden Vermögensmehrung zu erreichen. 353  Zutreffend Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 228, wonach unter dem Begriff Risiko die Möglichkeit ungünstiger künftiger Entwicklungen zu verstehen ist, die mit einer erheblichen, wenngleich nicht zwingend überwiegenden Wahrscheinlichkeit erwartet werden. 354  So auch Schilha, § 2, S. 68. Der Aufsichtsrat hat die vom Vorstand getroffene tatsächliche Bewertung als verbindlich hinzunhemen, vgl. Semler, FS Ulmer 2003, S. 634; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, § 6, S. 141; KK-AktG/Mertens/ Cahn, 3. Aufl., § 76 Rn. 22.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG89

Er ist deshalb auch nur verpflichtet, sicherzustellen, dass der vom Vorstand ausgefüllte unbestimmte Rechtsbegriff überhaupt einen Beurteilungsspielraum eröffnet, der Vorstand den zur Ausfüllung herangezogenen Sachverhalt zutreffend ermittelt hat, die konkrete Handhabung durch den Vorstand gesetzlich zulässig ist und allgemeinen Denkgesetzen nicht widerspricht.355 cc) Ermessensspielraum des Vorstands bei Handeln zum Wohl der Gesellschaft Nachdem durch den Vorstand die zur Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffs erforderlichen Sachverhaltsumstände sorgfältig ermittelt wurden und er über eine angemessene Informationsbasis verfügt, stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage, welche von mehreren möglichen Handlungsalternativen er konkret auszuwählen hat, um bei seiner Entscheidung dem Unternehmensinteresse beziehungsweise dem Wohl der Gesellschaft bestmöglich Rechnung zu tragen. Hierbei kommt ihm ein weitreichendes „unternehmerisches Handlungsermessen“356 zu. Ermessensausübung bedeutet in diesem Zusammenhang die sachgerechte Wahrnehmung aller in der Gesellschaft zusammentreffender Interessen.357 Aufgrund der unbegrenzten Anzahl von denkbaren Ermessensvorgängen und der Vielzahl von in einer AG zu berücksichtigenden Interessen ist eine schematische Darstellung von sämtlichen ermessensrelevanten Geschäftsvorfällen an dieser Stelle weder möglich noch sinnvoll. Die gleichwohl notwendige Konkretisierung und Präzisierung des zu Gunsten des Vorstands existierenden Ermessenspielraums kann daher nur insoweit erfolgen, als dass die äußersten Grenzen seines Leitungsermessens beleuchtet werden. Sind diese abgesteckt, können im Anschluss daran Schlussfolgerungen für die vom Aufsichtsrat geschuldete Überwachung gezogen werden. In einem letzten Schritt sind diese auf zivilrechtlicher Ebene gefundenen Ergebnisse in Teil 5 dahingehend zu untersuchen, ob ein Unterlassen der von den Mitgliedern des Aufsichtsrats gegebenenfalls geschuldeten Pflichten im Zusammenhang mit der Compliance-Überwachung des Vorstands auch strafrechtliche Relevanz entfaltet.

355  Semler,

FS Ulmer 2003, S. 634; Schilha, § 2, S. 68. § 93 Rn. 50; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3.  Aufl., § 76 Rn. 9; Hüffer/Koch, AktG § 76 Rn. 28; Semler, FS Ulmer 2003, 634 f.; Henze, BB 2000, 209, 211; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 271, die von einem „eingeschränkten Ermessen“ des Vorstands ausgehen; a. A. Raiser, NJW 1996, 552, 553. 357  Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 28. 356  MüKoAktG/Spindler

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

(1) Konkretisierung durch die ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung Das unternehmerische Ermessen des Vorstands ist in der ARAG / Garmenbeck-Entscheidung358 des BGH aus dem Jahr 1997 näher umschrieben. Danach hat der Aufsichtsrat bei der eigenverantwortlichen Prüfung über das Bestehen von Schadenersatzansprüchen der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern zu berücksichtigen, dass dem Vorstand für die Leitung der Geschäfte der AG ein „weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muss, ohne den unternehmerisches Handeln schlechterdings nicht denkbar ist“.359 Nach Ansicht des BGH gehört hierzu „neben dem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken grundsätzlich auch die Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen, der jeder Unternehmensleiter, mag er auch noch so verantwortungsbewusst handeln, ausgesetzt ist“.360 Dies setze bei Wahrnehmung der Leitungsaufgabe auch ein „nötiges Gespür“ für eine erfolgreiche Führung des Unternehmens voraus. Sollte der Vorstand insoweit keine „glückliche Hand“ haben, könne der Aufsichtsrat auf dessen Ablösung hinwirken.361 Eine zum Schadenersatz verpflichtende Pflichtverletzung des Vorstands komme daher auch erst dann in Betracht, wenn „die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss“.362 Diese Rechtsprechung spiegelt sich in der Vorschrift des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG wider und trägt dem Umstand Rechnung, dass unternehmerische Entscheidungen mit Unsicherheiten, Risiken und prognostischen Elementen behaftet sind, ohne die der Vorstand keine wirtschaftliche Entscheidung treffen und die AG nicht effizient führen könnte.363 358  BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck) = BGHZ 135, 244 ff. In der Entscheidung geht es primär um die Frage, ob dem Aufsichtsrat bei Wahrnehmung von unternehmerischen Aufgaben im Verhältnis zum Vorstand bei Prüfung und Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zukommt. Sekundär enthält das Urteil aber auch Feststellungen zum Handlungsspielraum des Vorstandes. 359  BGHZ 135, 244, 253. 360  BGHZ 135, 244, 253. 361  Siehe hierzu auch Schilha, § 2, S. 65. 362  BGHZ 135, 253 f. Die Formel der „überspannten Risikobereitschaft“ findet sich bereits in BGH NJW 1980, 1628, 1629; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, § 6, 145. 363  MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 35.



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(2) Bedeutung der Rechtsprechung für das Ermessen des Vorstands Soweit sich die soeben dargestellte Rechtsprechung auf den Handlungsspielraum des Vorstands bezieht, ist bemerkenswert, dass der BGH maßgeblich auf die sorgfältige Ermittlung der entscheidungsrelevanten tatsächlichen Grundlagen, auf denen sich unternehmerisches Handeln bewegen muss, abstellt.364 Damit wird, wie Paefgen zutreffend feststellt, für Ermessensentscheidungen ein erhebliches Gewicht insbesondere auf das „Entscheidungsverfahren“, das zur „Rechtmäßigkeitsvoraussetzung“ erklärt wird, gelegt.365 Der Schaffung einer dezidierten Tatsachengrundlage kommt somit aus Sicht des Vorstands zentrale Bedeutung zu. Die Vorgabe spiegelt sich auch in der Regelung des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG wider, wenn dort verlangt wird, dass das Vorstandsmitglied auf Basis angemessener Information handeln muss, um sich erfolgreich auf die Business Judgement Rule berufen zu können.366 Der Aufsichtsrat hat dem Vorstand in tatsächlicher Hinsicht daher einen weiten Handlungsspielraum zu konzedieren und sich bei seiner Kontrolle auf die Frage zu beschränken, ob ein auf dieser tatsächlichen Grundlage stattfindendes unternehmerisches Handeln deutlich überschritten oder ein Risiko in unverantwortlicher Weise überspannt wurde. Um dies nachzuvollziehen, ist eine ex ante Sicht des handelnden Vorstandsmitglieds zugrunde zu legen.367 (3) Ermessensleitende Gesichtspunkte und Grenzen des Ermessens Zusätzlich zu den durch die Rechtsprechung vorgezeichneten und in der Business Judgement Rule zum Ausdruck kommenden Grenzen des Ermessens haben sich in der Literatur ermessensleitende Kriterien herausgebildet. Neben dem von der Rechtsprechung als Handlungsmaxime betonten „Unternehmensinteresse“368, welches sich vornehmlich in der Rentabilität 364  BGHZ 135, 253; BGHZ 136, 139; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, § 6, 145. 365  Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, § 6, S. 145. 366  Zu den Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 229. 367  Eine solche Sichtweise ist indirekt auch im ARAG/Garmenbeck-Urteil angelegt, da dort dem Vorstand das „Recht auf Fehlbeurteilung und Fehleinschätzung“ zugestanden wird, was vor dem Hintergrund einer reinen ex post Betrachtung nicht erklärlich wäre. So auch Druey, FS Goette 2001, 60. In diese Richtung grundsätzlich auch MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 53, der zwar auch auf die Sicht eines Vorstandsmitglieds zur damaligen Zeit abstellt, zusätzlich aber einen objektiven Maßstab für erforderlich hält. Vgl. zu den Kontrollmaßstäben kritisch Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, § 6, 134 ff. 368  BGHZ 135, 244, 253; BGHSt 47, 187, 195 (SSV Reutlingen).

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der AG369 widerspiegelt, sind auch Aktionärs- und Arbeitnehmerinteressen sowie soziale und politische Zielvorstellungen370 im Rahmen der Ermessensentscheidung des Vorstands berücksichtigungsfähig. Der Vorstand hat aber auch diese Entscheidungen stets mit der Sorgfalt eines pflichtbewussten Unternehmers zu treffen und vermögensrelevante Vorgänge vor dem Hintergrund seiner treuhänderischen Stellung gegenüber dem Gesellschaftsvermögen detailliert abzuwägen.371 Dies bedeutet, dass er sparsam zu wirtschaften und private Präferenzen grundsätzlich zurückzustellen hat, was die Verfolgung eigennütziger Zwecke ausschließt.372 Insoweit zieht ihm seine organschaftliche Treupflicht gegenüber der AG eine klare Grenze bei der Ausübung seines unternehmerisches Ermessens.373 Er darf mit Blick auf das Unternehmensinteresse daher keine „Misswirtschaft“ betreiben, die zu einer Verschwendung des Gesellschaftsvermögens führt.374 Vielmehr hat er sich um 369  Die Rentabilität ist nicht die einzige Handlungsvorgabe. Ihr kommt aber neben anderweitig zu berücksichtigenden Interessen der Arbeitnehmer, Aktionäre und Gläubiger eine herausgehobene Stellung zu, da der Bestand der AG und somit auch die Interessen der beteiligten Personengruppen letztlich nur gesichert werden können, wenn diese rentabel wirtschaftet. Letzteres ist insbesondere gegeben, wenn der Vorstand seine Geschäftsführung auf die Erzielung eines nachhaltigen und angemessenen, zur substanziellen Erhaltung von Kapital- und Ertragskraft ausreichenden Gewinns ausrichtet. Siehe KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 76 Rn. 21. 370  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 76 Rn. 31, 33 ff. Danach ist die Entscheidung, in welchem Umfang die AG am Sozialleben teilnimmt, der Geschäftspolitik und damit der Leitungsmacht des Vorstands zuzuordnen. Sie kann weder durch Satzung verkürzt noch vom Aufsichtsrat beanstandet werden, solange die soziale Entscheidung mit Blick auf das Unternehmensinteresse getroffen wurde und ihr eine gründliche Abwägung durch den Vorstand vorausging. Siehe auch BGHZ 23, 150, 157; BGHZ 69, 334, 339; BGHSt 47, 187, 196. 371  BGHZ 129, 30, 34. In die Abwägung können auch eigene moralische oder ethische Beweggründe einfließen, sodass es z. B. vertretbar sein kann, auf geschäftliche Beziehungen zu einem Land, dessen Strukturen von Unfreiheit, Rassismus oder religiöser und politischer Intoleranz geprägt sind, zu verzichten. Vgl. hierzu mit weiteren Beispielen KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 76 Rn. 34. Zustimmend auch Kort, GroßkommAktG, § 76 Rn. 39 f. Die treuhänderische Verantwortung gegenüber den Eigentumsrechten der Aktionäre betonen auch Raiser, NJW 1996, 552, 553; Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 228. Das Verhältnis zwischen Aktionären und Management wird in der ökonomischen Theorie auch als „Prinzipal-Agent-Verhältnis“ bezeichnet, vgl. Baums, ZIP 1995, 11. 372  BGHSt 47, 187, 195; Fleischer, AG 2001, 171 ff. Zulässig ist es jedoch, dass der Vorstand unter mehreren dem Unternehmenswohl gleichermaßen dienenden Maßnahmen die ihm persönlich am nächsten kommende auswählt. Vgl. auch KK-AktG/ Mertens/Cahn, 3. Aufl., Band 2/1, § 76 Rn. 34; MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 54 und Rn.  57 m. w. N. 373  Zur Ausformung der Treuepflicht des Vorstands Kindler, FS Goette 2011, 231, 235 f. 374  MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 60, der auf die strafbewehrten Pflichten des Vorstands im Rahmen des § 266 StGB bei Risikogeschäften und im Zusammenhang mit



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG93

eine langfristige Rentabilität der AG zu bemühen.375 Dies führt wiederum zu der schwierigen Aufgabe, dass der Vorstand risikobehaftete Geschäfte zwar vornehmen soll, gleichzeitig die Grenzen des erlaubten und tolerierten, weil im Unternehmensinteresse liegenden, Risikos aber erkennen muss. Nur durch Schaffung einer adäquaten Tatsachenbasis und anschließender Bewertung und Abwägung der erkannten Risiken kann er dieses Spannungsverhältnis ausgleichen.376 Eine intensive Auseinandersetzung hat zu erfolgen, wenn die Maßnahme zu einer existenziellen Gefährdung der Gesellschaft führen kann oder die AG sich in der Krise befindet.377 Der Vorstand darf hier nicht untätig bleiben, sondern hat sein unternehmerisches Ermessen unter Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zu betätigen.378 Eine Unterschreitung des Ermessens, die möglicherweise zur Nichtabwendung der Krise oder zur Nichtwahrnehmung eines für die AG rentablen Geschäftsabschlusses führen kann, stünde im Widerspruch zum Leitgedanken des Unternehmensinteresses und wäre vom Aufsichtsrat zu beanstanden. Letztlich lässt sich, wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, die Frage, wann eine Verletzung der Sorgfaltspflicht des Vorstandes infolge einer Über- oder Unterschreitung des Leitungsermessens im Einzelfall vorliegt, nicht abstrakt beantworten. dd) Schlussfolgerungen für die vom Aufsichtsrat geschuldete Überwachung Für den Aufsichtsrat kann mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen festgehalten werden, dass dessen Überwachungsauftrag in Bezug auf das Vorstandshandeln insbesondere durch die Existenz eines Ermessenspielraums zu Gunsten des Vorstands systemimmanent begrenzt wird, da sich die Kontrolle durch den Aufsichtsrat nur auf die Prüfung der Vertretbarkeit des Leitungshandelns beschränkt.379 Dem Vorstand verbleibt ein auf gesellschaftsrechtlicher Ebene nicht nachprüfbarer unternehmerischer Kernbereich, der der Spendenpraxis des Unternehmens hinweist. Vgl. hierzu BGHSt 47, 187 (SSV Reutlingen) = NJW 2002, 1585 ff.; Fischer, StGB, § 266 Rn. 63 ff.; 158 ff.; Beukelmann, NJW-Spezial 2012, 568; Gallandi, wistra 2009, 41, 44; Brammsen, wistra 2009, 85, 89. 375  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 76 Rn. 9. 376  In diese Richtung auch MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 50. 377  MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 50; Hasselbach, NZG 2012, 42 ff. 378  Zur Unterschreitung des Ermessens MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 52. 379  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 274; MüKoAktG/Spindler § 93 Rn. 51; BGHZ 135, 244, 253; Henze, NJW 1998, 3309, 3311; Lutter, FS Canaris 2007, 245, 246.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

insbesondere das Eingehen von Risiken ermöglicht. Nur wenn das Leitungshandeln aufgrund eines schwerwiegenden Leitungsfehlers, der sich selbst für einen Außenstehenden als evident unvertretbar darstellen muss, überschritten oder unterschritten ist, lässt sich eine aus Sicht des Aufsichtsrats zu beanstandende Sorgfaltspflichtverletzung bejahen.380 Dies setzt auch für den Aufsichtsrat eine umfassende Tatsachenbasis voraus. Er hat daher den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufgrund der Berichterstattung des Vorstands – gegebenenfalls auf Basis einer von ihm erlassenen Informationsordnung – oder im Extremfall durch eigene Ermittlungen festzustellen.381 Im Übrigen hat der Aufsichtsrat die vom Vorstand in Wahrnehmung des ihm zukommenden Leitungsermessens getroffenen Entscheidungen dahingehend zu überwachen, dass sich diese an den Grundsätzen der Recht- und Ordnungsmäßigkeit, der Zweckmäßigkeit und Wirtschafltlichkeit sowie dem „Unternehmensinteresse“ als übergeordnetem Leitgedanken382 für unternehmerisches Handeln orientieren und nicht in einer das Gesellschaftsvermögen schädigenden Art und Weise vollziehen. Sollten für den Aufsichtsrat vor diesem Hintergrund Umstände erkennbar werden, die die Gefahr einer den Interessen der AG zuwiderlaufenden Mittelverwendung durch den Vorstand in Form einer eigennützigen Interessenwahrnehmung oder einer existenzbedrohenden Geschäftspolitik nahelegen, hat der Aufsichtsrat unbedingt aktiv zu werden und dafür Sorge zu tragen, dass detailliert an ihn berichtet wird und in Zukunft sämtliche Vorstandsentscheidungen frei von eigennützigen Interessen oder existenbedrohenden Risiken getroffen werden.383 Eine verstärkte Kontrolltätigkeit des Aufsichtsrats ist vor allem auch bei Geschäften von grundlegender Bedeutung geboten.384 Die Prüfung der Vertretbarkeit des Vorstandshandelns kann aus Sicht des Aufsichtsrats durch Beratung mit dem Vorstand und in Form des Zustimmungsvorbehalts erfolgen. Von einer exzessiven Annahme der Unvertretbarkeit sollte der Aufsichtsrat aber Abstand nehmen, da andernfalls ein Eingriff in das Leitungsermessen des Vorstands als Teil  der Leitungsmacht aus § 76 Abs. 1 AktG vorliegt. Dies würde im Widerspruch zu der aktienrechtlichen Kompetenzverteilung stehen und eine eigene Pflichtverletzung des Aufsichtsrats begründen. § 93 Rn. 51; Hüffer/Koch, AktG § 93 Rn. 37 ff., 43. GroßkommAktG, § 111 Rn. 280. Siehe auch LG Bielefeld (Balsam/ Procedo), wonach der Aufsichtsrat bei nur „vagen Gerüchten“ über „ungewisse und unkorrekte“ Geschäfte der AG bereits eigene Prüfungen zu veranlassen hat, wenn der Inhalt des Gerüchts für die „Gesellschaft von existentieller Bedeutung“ ist. 382  LG Stuttgart, AG 2000, 237, 238; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 271. 383  Semler, FS Ulmer 2003, S. 637 f.; Schilha, § 2, S. 69. 384  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 271. 380  MüKoAktG/Spindler 381  Hopt/Roth,



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG95

d) Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Aufsichtsrats bei dessen Entscheidungen Von der soeben in Bezug auf den Vorstand diskutierten Frage zu unterscheiden ist, ob und inwieweit auch dem Aufsichtsrat Beurteilungs- und Ermessensspielräume zukommen, wenn dieser eine eigene Entscheidung trifft oder eine fremde Leitungsentscheidung, nämlich die des Vorstands oder leitender Mitarbeiter, im Rahmen seiner Kontrolle nachvollzieht. aa) Bei Überwachungsentscheidungen des Aufsichtsrats Für den Bereich der Überwachungsaufgaben ist mit Blick auf die Handlungsspielräume des Aufsichtsrats zu differenzieren.385 (1) Kein Entschließungsermessen bei Überwachungsentscheidungen Vollzieht der Aufsichtsrat eine durch den Vorstand oder einen leitenden Angestellten getroffene Leitungsentscheidung nach, indem er sie – unter Anerkennung des dem Leitungsorgan zukommenden unternehmerischen Emessens386 – am Maßstab der Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit sowie der Ordnungs- und Zweckmäßigkeit misst, liegt eine ausschließliche Überwachungsentscheidung des Aufsichtsrats vor.387 Diese beinhaltet keine eigene unternehmerische Komponente und ist – wie oben bereits ausgeführt – dem Bereich der vergangenheitsbezogenen Kontrolle zuzuordnen.388 Dem Aufsichtsrat kommt im Hinblick auf die Frage, ob er tätig wird daher auch kein eigener Beurteilungs- und Ermessensspielraum389 zu, da die Zielrichtung des Überwachungsauftrags nach § 111 Abs. 1 AktG primär darin besteht, den Vorstand390 durch Kontrolle zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten, um Schäden von der AG abzuwenden.391 Eine effektive Kontrolle ist aber nur 385  MüKoAktG/Habersack

§ 111 Rn. 29. 135, 244, 255. 387  Zur Einordnung einer Entscheidung in die Bereiche Leitung oder Überwachung siehe Lohse, Unternehmerisches Ermessen, S. 113 ff. 388  Zur Einordnung in vergangenheits- und zukunftsbezogen siehe oben Teil 2 B. I. 1. b) aa). 389  In diese Richtung Lohse, Unternehmerisches Ermessen, S. 134. Für eine Ermessenreduzierung auf Null hingegen Schwerdtfeger, S. 121. 390  Zur Überwachung von leitenden Angestellten siehe oben Teil 2 B. I. 1. b) bb) (3). 391  BGHZ 135, 253 f.; Raiser, NJW 1996, 554; Lohse, Unternehmerisches Ermessen, S.  134 f. 386  BGHZ

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

möglich, wenn der Aufsichtsrat diese regelmäßig auszüben hat und die Frage des Eingreifens nicht in sein Ermessen gestellt ist. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass das Aktiengesetz nur dem Vorstand beziehungsweise den leitenden Angestellten, die im Wege der Delegation Leitungsmacht vom Vorstand erlangen, eine unternehmerische Handlungsfreiheit als Folge ihrer unmittelbaren „Unternehmerstellung“ einräumt.392 Der Aufsichtsrat nimmt aufgrund seiner Stellung als Kontrollorgan demgegenüber noch keine „originäre“ unternehmerische Funktion für sich in Anspruch, da er gemäß § 76 Abs. 1 AktG gerade nicht zur Leitung der AG berufen ist. Die Wahrnehmung unternehmerischer Tätigkeit durch den Aufsichtsrat, die systematisch eine Durchbrechung der im Aktiengesetz angelegten Kompetenzverteilung393 zwischen Aufsichtsrat und Vorstand darstellt, bedarf deshalb der expliziten Übertragung, sodass der Aufsichtsrat unternehmerisches Ermessen für sich nur in Anspruch nehmen kann, wenn ihm durch Gesetz oder Satzung eine unternehmerische Aufgabe überantwortet wird.394 (2) Auswahlermessen bei Wahl der Mittel Steht fest, dass dem Aufsichtsrat auf der Entschlussebene bei der Frage, ob er im Einzelfall überwachend tätig wird, kein Ermessen zukommt, stellt sich in einem zweiten Schritt die Folgefrage, ob und inwieweit ihm wenigstens bei der Auswahl der ihm zur Verfügung stehenden Kontrollmittel395 ein Ermessen einzuräumen ist. 392  Zur

Unternehmerstellung des Vorstands siehe bereits oben Teil 2 B. I. 1. c). läge darin eine erhebliche Gefährdung des „Unternehmensinteresses“. Die Gefahr bestünde darin, dass der Vorstand bei nicht mehr vertretbaren Entscheidungen, die im Falle eines kausalen Vermögensschadens einen Schadenersatzanspruch der Gesellschaft gegenüber ihm begründen können, nicht zwingend mit der Aufklärung des tatsächlichen und zur Durchsetzung des Anspruchs notwendigen Sachverhalts rechnen müsste, weil der Aufsichtsrat schon von der tatsächlichen Aufklärung absehen könnte. Ein solches Aufklärungsrisiko wäre mit einer effektiven Kontrolle nicht vereinbar. Den Interessen der Gesellschaft wird nur dann Rechnung getragen, wenn eine Aufklärung streitiger Sachverhalte verlässlich stattfindet. 394  BGHZ 135, 254. Der Aufsichtsrat übt bei Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern ebenso wie bei Begründung und Ausübung von Zustimmungsvorbehalten unternehmerische Funktion aus. Zur Personalkompetenz siehe unten Teil 2 B. I. 2. d) und Teil 3 C. III. 2. b). Zur Bestimmung von Zustimmungsvorbehalten siehe Teil 2 B. I. 2. h) und Teil 6 A. V. 395  Hierbei handelt es sich um: Informationsrechte des Aufsichtsrats gem. § 90 AktG, Recht zur Beanstandung, Recht zur Stellungnahme und zur Bedenkenäußerung, Beratung des Vorstandes, Einsichtnahme- und Prüfungsrechte gem. § 111 Abs. 2 AktG, Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand gem. § 77 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 AktG, Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern gem. 84 AktG, Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern gem. § 112 393  Ferner



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG97

Richtigerweise ist dem Aufsichtsrat auf der zweiten Handlungsebene bei der Frage, welches Mittel der Überwachung er einsetzt, ein Auswahlermessen396 in der Gestalt einzuräumen, dass er aus den ihm zur Kontrolle durch das Aktiengesetz oder durch die Satzung eingeräumten Einwirkungsmöglichkeiten, das ihm zur Sicherstellung einer effektiven Kontrolle am besten geeignetste auswählen darf.397 Insoweit kommt ihm ein eigenständiger Ermessenspielraum zu.398 Dieser ist auf der Auswahlebene stets in Abhängigkeit von der Zielrichtung der konkreten Maßnahme mit Blick auf das Unternehmensinteresse differenziert auszuüben.399 Welchen Umfang ein solches „Auswahlermessen“ daher im Einzelfall erreicht, lässt sich nicht abstrakt beantworten, sondern hängt stets von der konkreten Maßnahme ab.400 bb) Bei unternehmerischen Entscheidungen des Aufsichtsrats Überträgt das Aktiengesetz oder die Satzung eine unternehmerische Aufgabe unmittelbar auf den Aufsichtsrat401, so gelten für diesen die gleichen S. 1 AktG, Erlass von Zustimmungsvorbehalten gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG, Einberufung der Hauptversammung gem. § 111 Abs. 3 AktG, Verweigerung der Zustimmung zum Jahresabschluss. Siehe zu diesen Einwirkungsmöglichkeiten sogleich ausführlich unten Teil 2 B. I. 2.; ebenso Lohse, Unternehmerisches Ermessen, 136. 396  Oder „Entscheidungsermessen“, vgl. KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 44. 397  In diese Richtung auch Lohse, Unternehmerisches Ermessen, 134; Schilha, § 2, S. 71. 398  Nach BGHZ 135, 244, 255 bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder jedoch nur „ausnahmsweise“; Lohse, Unternehmerisches Ermessen, 134. 399  Insoweit lässt sich zwischen repressiv und präventiv wirkenden Einwirkungsmöglichkeiten unterscheiden, denen bei Ausübung jeweils eine unterschiedliche Intensität und Zielrichtung zukommt, vgl. auch Lohse, Unternehmerisches Ermessen, S. 137. Dies hat der Aufsichtsrat bei Betätigung seines Auswahlermessens zu berücksichtigen. Mit Blick auf die ARAG/Garmenbeck Rspr. ist das Auswahlermessen des Aufsichtsrats insbesondere im Falle eines durchsetzbaren Schadenersatzanspruchs stark eingeschränkt, da der Aufsichtsrat hier nur dann „ausnahmsweise“ von der Geltendmachung absehen darf, wenn „gewichtige Interessen und Belange“ der Gesellschaft dies erfordern, vgl. BGHZ 135, 244, 255 (ARAG/Garmenbeck). 400  Dies ist für die Frage der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen und im Bereich der Begründung und Ausübung von Zustimmungsvorbehalten ebenso wie bei Ausübung der Personalkompetenz differenziert zu betrachten. Siehe auch Teil 2 B. I. 2. und Teil 6 A. II. 401  Zu nennen sind insbesondere die Personalkompetenz gegenüber dem Vorstand gem. § 84 AktG; die Kompetenz zur Festsetzung der Vorstandsbezüge gem. § 87 AktG sowie die Möglichkeit einen Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG zu begründen und durch Beschlussfassung an der Geschäftsführung teilzunehmen; aber auch die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung der Gesellschaft

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

Grundsätze wie für den Vorstand. Dem Aufsichtsrat steht somit bei Ausübung einer unternehmerischen Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht ein Beurteilungs- und im Hinblick auf die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten ein unternehmerischer Ermessensspielraum402 zu, der sich am Unternehmensinteresse als Leitmaxime zu orientieren hat.403 Dieser kann aber mit Blick auf die konkrete Maßnahme eingeschränkt sein und ist daher differenziert zu betrachten.404 Gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 2 AktG findet für den Aufsichtsrat die Business Judgement Rule sinngemäß Anwendung, wenn er ihm übertragene unternehmerische Aufgaben wahrnimmt. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zum Vorstand verwiesen werden. Die sinngemäße Anwendung der Business Judgement Rule als Konkretisierung der Sorgfaltspflicht führt inhaltlich zu einer Geltung des für Vorstände geltenden zivilrechtlichen Sorgfaltsmaßstabes auch für den Aufsichtsrat, sofern dieser unternehmerische Aufgaben wahrnimmt.405 e) Zwischenergebnis bezüglich zivilrechtlicher Handlungs- und Ermessenspielräume Den zivilrechtlichen Handlungs- und Ermessenspielräumen kommt erhebliche Bedeutung zu. Sie schützen den Vorstand vor einer ausufernden zivilrechtlichen Haftung, wenn sich infolge einer unternehmerischen Entscheidung ein unternehmerisches Risiko realisiert und der Vorstand die risikobehaftete Entscheidung auf Basis einer angemessenen Information mit der Zielrichtung zum Wohle der Gesellschaft zu handeln traf. Gleichzeitig begrenzen sie den Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats. Bei Ausfüllung der in der Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG kodifizierten unbestimmten Rechtsbegriffe kommt dem Vorstand ein Beurteilungs- und Ermesgegenüber Vorstandsmitgliedern gem. § 112 S. 1 AktG; vgl. auch die weitergehende Aufzählung bei Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 284. Nach BGHZ 135, 244, 255 (ARAG/Garmenbeck) kommt dem Aufsichtsrat letztlich überall dort eine unternehmerische Aufgabe zu, wo er die unternehmerische Tätigkeit des Vorstands im Sinne einer „präventiven Kontrolle“ begleitend mitgestaltet. Dies dürfte bei der Beratung des Vorstands und bei der Begründung von Zustimmungsvorbehalten gem. §§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG stets der Fall sein. Vgl. Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 284. 402  Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 276, 284. Zum Ermessen des Aufsichtsrats siehe auch ausführlich unten Teil 2 B. I. 2.; Teil 3 C. III. 2. a) aa); Teil 6 A. 403  Dies betont auch KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 46. 404  Zum Ermessen des Aufsichtsrats bei der Geltendmachung von Schadenersatz nach der sog. ARAG/Garmenbeck Rechtsprechung siehe sogleich Teil  3 C. III. 1. a) und C. III. 2. a). 405  Die Auswirkungen dieser Regelungstechnik auf die Bestimmung des für Aufsichtsräte geltenden strafrechtlichen Pflichtenmaßstabs werden in Teil 5 untersucht.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG99

sensspielraum zu.406 Ein solcher existiert nur dann nicht, wenn der Vorstand aufgrund gesetzlicher und satzungs- oder beschlussmäßiger Vorgaben eine Handlung verbindlich umzusetzen hat oder sein Handlungsermessen aufgrund seiner organschaflichen Treupflicht nur eine einzige vertretbare Entscheidung zulässt. Der Aufsichtsrat hat nur in diesem Fall eine umfassende Kontrolle durchzuführen. Im Übrigen ist der unternehmerische Spielraum von ihm zu akzeptieren und die Kontrolle auf eine Vertretbarkeitsprüfung zu beschränken. Im Bereich der Überwachungsaufgaben hat der Aufsichtsrat grundsätzlich kein Entschließungsermessen.407 Werden ihm überwachungsrelevante Umstände bekannt, muss er zwingend tätig werden, wenn er sich nicht selbst dem Risiko einer zivil- und strafrechtlichen Haftung aussetzen möchte. Bei der Wahl der ihm zur Verfügung stehenden Mittel ist ihm ein in Abhängigkeit zu dem konkreten Mittel stehendes Auswahlermessen einzuräumen.408 Er hat sich bei dessen Betätigung am Leitgedanken des Unternehmensinteresses zu orientieren. Soweit der Aufsichtsrat aufgrund einer expliziten Übertragung von unternehmerischer Handlungsmacht durch Gesetz oder Satzung auch Geschäftsführungsaufgaben409 wahrnimmt, gelten für ihn aber die gleichen Grundsätze wie für Vorstandsmitglieder, die aufgrund ihrer Leitungsmacht aus § 76 Abs. 1 AktG originär zur Geschäftsführung befugt sind. In diesem Bereich ist ihm daher nach der insoweit auch für ihn Anwendung findenden Business Judgement Rule ein umfassender Beurteilungs- und Handlungsspielraum einzuräumen. 2. Instrumente des Aufsichtsrats zur Erfüllung des Überwachungsauftrags Ein mögliches Risiko der Aufsichtsratstätigkeit in Bezug auf eine zivilund gegebenenfalls auch strafrechtliche Compliance-Verantwortung lässt sich nicht ohne die dem Aufsichtsrat zur Einwirkung auf den Vorstand durch das Aktiengesetz an die Hand gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten untersuchen. Diese werden daher in einem solchen Umfang betrachtet, wie dies mit Blick auf die anschließende Frage, ob der Aufsichtsrat verpflichtet ist, den Vorstand bezüglich Compliance-Pflichtverletzungen zu überwachen, erforderlich ist.

auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG § 93 Rn. 66 ff. § 116 Rn. 42. 408  Dieses divergiert und ist jeweils im Zusammenhang mit der konkreten Maßnahme zu sehen. Siehe hierzu sogleich Teil 2 B. I. 2 und Teil 6 A. 409  Zur Übertragung von Aufgaben durch Satzung MüKoAktG/Habersack, § 111 Rn. 16. 406  Siehe

407  MüKoAktG/Habersack,

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

a) Informationsrechte gemäß § 90 AktG Bedeutung und Umfang der dem Aufsichtsrat zukommenden Informationsrechte wurden bereits bei der inhaltlichen Konkretisierung der Überwachungspflicht untersucht. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass sich Informationsgewinnung und -verarbeitung durch den Aufsichtsrat faktisch nicht trennen lassen410. Dem Thema „Information“ kommt aus Sicht des Aufsichtsrats daher nicht nur bei der inhaltlichen Bestimmung seiner Überwachungspflicht aus § 111 Abs. 1 AktG eine zentrale Bedeutung zu. Sein Recht auf Information, welches er über die in § 90 AktG nicht abschließend geregelten Berichtspflichten hinaus durch Selbstregulierung im Wege einer Informationsordnung411 auch erweitern kann, stellt zugleich ein wichtiges Mittel der präventiven und repressiven Überwachung dar.412 Bei Beschaffung der überwachungsrelevanten Informationen kommt dem Aufsichtsrat grundsätzlich ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Dieser ist jedoch – wie bereits erörtert – stets in Abhängigkeit zu der konkreten Lage des Unternehmens zu betätigen413 und kann sich im Fall einer als existenziell erkannten Krise oder bei ausschließlich repressiven Maßnahmen auch in eine Handlungspflicht mit der Folge einer gesteigerten Informationsbeschaffung verdichten.414 b) Beratung des Vorstands Ein zentrales Instrument der zukunftsorientierten Überwachung ist die präventive Beratung des Vorstands in Angelegenheiten der künftigen Ge410  Roth, ZGR 2012, 349; Theisen, Information und Berichterstattung, 4. Aufl., S.  45 ff. 411  Auch die Bestimmung von „dauernden Tagesordnungspunkten“ kann unter Compliance-Aspekten ein wirksames Überwachungsmittel darstellen. Siehe hierzu Hüffer, NZG 2007, 52. 412  In diese Richtung explizit Börsig/Löbbe, FS Hoffmann-Becking 2013, S. 136 f. unter Betonung, dass der Aufsichtsrat die Sicherstellung einer angemessenen Informationsbasis als eigene Aufgabe zu begreifen habe. Ebenso Hüffer, NZG 2007, 51, der von einer „Pflicht zur Selbstinformation“ spricht; Roth, ZGR 2012, 349. Siehe auch oben Teil 2 B. I. 1. b) cc). 413  Insbesondere in Krisenlagen verdichtet sich das Informationsniveau mit der Folge, dass der Aufsichtsrat sich auf die für das Unternehmen existentiellen Bereiche (Sicherstellung des operativen Geschäfts, Kontrolle der strategischen Ausrichtung, ausreichender Mittelzufluss) zu konzentrieren hat. Siehe hierzu auch Hasselbach, NZG 2012, 41 f. 414  Siehe hierzu oben Teil 2 B. I. 1. b) cc) (1), (2). Zutreffend auch Habersack, AG 2014, 4.



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schäftspolitik und in übergeordneten Fragen der Unternehmensführung.415 Eine solche Befugnis lässt sich für den Aufsichtsrat aus der in § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 Hs. 2 AktG enthaltenen Möglichkeit, zu den Berichten des Vorstands Stellung nehmen zu können, explizit aus dem Gesetz ableiten, da das Recht der Stellungnahme zu den Berichten des Vorstands nach § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AktG auch die im Vorfeld stattfindende Beratung miteinschließt.416 Darüber hinaus ist die grundsätzliche Möglichkeit der Beratung aber auch auf Fragen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Geschäftspolitik zu erstrecken. Die Anordnung einer hierauf bezogenen Berichtspflicht nach § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AktG erscheint nur sinnvoll, wenn damit auch ein Recht zur Beratung in diesen Angelegenheiten einhergeht.417 Andernfalls bliebe es bei einer starren und einseitigen Berichterstattungspflicht des Vorstands, die der Aufsichtsrat hinzunehmen hätte, ohne bei Divergenzen durch Beratung korrigierend oder unterstüztend auf die unternehmerische Ausrichtung der AG Einfluss nehmen zu können. Dies stünde nicht nur im Widerspruch zum Interesse der Gesellschaft, das ein auf nachhaltige Rentabilität gerichtetes Handeln von Vorstand und Aufsichtsrat fordert, sondern widerspräche auch der Funktion des Aufsichtsrats als einem präventiv und repressiv tätigen Kontrollorgan. Die umfassende Beratung ist daher nach zutreffender Ansicht „das vorrangige Mittel der in die Zukunft gerichteten Kontrolle des Vorstands“.418 Aufgrund der präventiven Zielrichtung der Beratung kommt dem Aufsichtsrat auch ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum dahingehend zu, ob und in welchem Umfang er eine Beratung mit dem Vorstand für geboten hält.419 Der Aufsichtsrat entscheidet dabei über Art, Zeitpunkt und Intensität der Beratung420, wobei sein Beratungsauftrag die Grenze darin findet, dass dessen Amt als Nebenamt ausgestaltet ist.421 Auch verfügt der Aufsichtsrat nicht 415  Eindeutig BGHZ 114, 127, 129 f., wonach eine wirksame Kontrolle nur durch ständige Diskussion mit dem Vorstand und durch dessen laufende Beratung ausgeübt werden kann. 416  Hopt/Roth, GroßkommAktG § 111 Rn. 289; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 39. 417  So auch MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 39; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 94; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 289. 418  BGHZ 114, 127, 130; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 12. 419  Siehe auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 98. Nach Hopt/ Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 276 stellt bereits die Beratung ein „unternehmrisches Handeln“ dar und begründet deshalb einen eigenständigen Entscheidungsspielraum des Aufsichtsrats. 420  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 95. 421  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 40. Von den Aufsichtsratsmitgliedern kann daher nicht der gleiche Beratungseinsatz gefordert werden, wie von Vorstandsmitgliedern.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

über die gleichen personellen und sachlichen Ressourcen wie der Vorstand, sodass sein Wissen in der Regel hinter dem des Vorstands zurückstehen wird.422 Dies wirkt sich auf die Qualität und den Umfang der Beratung insoweit einschränkend aus, als dass der Aufsichtsrat auf Basis der ihm zugänglichen Informationen nur befähigt sein muss, die Plausibilität einer bestimmten Maßnahme nachvollziehen zu können.423 Letztlich bildet die Kompetenzzuordnung innerhalb des Aktiengesetzes eine Grenze des Beratungsrechts. Der Aufsichtsrat kann den Vorstand als Leitungsorgan nur effektiv überwachen, wenn er sich diesem gegenüber eine Distanz bewahrt.424 Die Beratungsfunktion des Aufsichtsrats darf deshalb nicht dahingehend missverstanden werden, dass der Aufsichtsrat im Wege der Beratung umfassend die Geschäftsführung mitgestalten dürfe.425 Die Beratung beschränkt sich daher im Ergebnis nur auf die Diskussion einer konkreten Fragestellung mit dem Vorstand und bildet damit die Basis für eine Stellungnahme durch den Aufsichtsrat. c) Beanstandung, Stellungnahme, Meinungs- und Bedenkenäußerung Ein häufiges und mit Blick auf seine Intensität relativ wenig einschneidendes, aber gleichwohl effektives Mittel der Überwachung ist die Beanstandung oder Billigung einer bestimmten Vorstandsmaßnahme im Wege der Stellungnahme, Meinungs- und Bedenkenäußerung. Solche Maßnahmen können sich insbesondere an eine vorangehende Beratung anschließen. Das Instrument der Meinungs- und Bedenkenäußerung weist zwar sowohl vergangenheitsals auch zukonftsorientierte Elemente auf426, ist aufgrund seiner primären Zielrichtung, die in der frühzeitigen Einflussnahme auf die Willensbildung des Vorstands besteht, letztlich aber als präventiv wirkende Maßnahme zu qualifizieren.427 Demgegenüber hat der Aufsichtsrat kraft seiner Kontrollfunktion durch Beanstandung und Stellungnahme repressiv einzuschreiten, wenn für ihn ein pflichtwidriges Verhalten des Vorstands erkennbar wird.428 422  KK-AktG/Mertens/Cahn,

3. Aufl., § 111 Rn. 40. Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 94. 424  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 40. 425  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 94, wonach vom Aufsichtsrat gerade nicht verlangt werden dürfe, dass dieser dem Vorstand „entscheidungsreife Alternativpläne“ vorzulegen habe. Ihm kommt im Verhältnis zum Vorstand auch keine „Oberleitungsfunktion“ zu, vgl. hierzu Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 285. 426  In diese Richtung auch Hüffer, NZG 2007, 52. 427  BGHZ 114, 127, 130 = NJW 1991, 1830; vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 111, Rn. 5; Winter, FS Hüffer 2010, 1109; Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 288 ff. 428  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 37. Ebenfalls für eine repressive Einordung MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 32. Ob und inwieweit der Aufsichtsrat 423  Lutter/Krieger/Verse,



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG103

Im Übrigen bleibt es aber dem Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Aufsichtsrats vorbehalten, ob er zu einem konkreten geschäftspolitischen Thema eine Stellungnahme oder Bedenkenäußerung abgibt.429 Entschließt sich der Aufsichtsrat zur Beanstandung, Stellungnahme oder Meinungs- und Bedenkenäußerung, hat der Vorstand sich hiermit auseinanderzusetzen.430 Er kann durch die Beanstandung, Stellungnahme oder Meinungs- und Bedenkenäußerung rechtlich jedoch nicht gebunden werden.431 Sollte der Vorstand einer Stellungnahme oder Meinungsäußerung des Aufsichtsrats nicht nachkommen, hat er ihm dies unter Angabe der maßgeblichen Gründe darzulegen.432 Schließlich räumt § 171 Abs. 2 S. 2 AktG dem Aufsichtsrat die Möglichkeit ein, die Weigerung des Vorstandes, sich zu einer Stellungnahme zu erklären oder ihr Folge zu leisten, in den Jahresbericht aufzunehmen.433 d) Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern gemäß § 84 AktG Ein zentrales Mittel der Kontrolle434 ist die Befugnis des Aufsichtsrats, Vorstandsmitglieder gemäß § 84 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, 2 AktG zu bestellen und deren Bestellung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zu widerrufen. Der Aufsichtsrat kann aufgrund dieser Personalkompetenz sowohl präventiv als auch repressiv erheblich auf die Unternehmenspolitk Einfluss nehmen, indem er durch Auswahl, Bestellung und Anstellung eines bestimmten Vorstandsmitglieds die zukünftige Entwicklung der AG steuert oder im Wege des Widerrufs der Bestellung ein Vorstandsmitglied aufgrund in der Vergangenheit liegender Fehlleistungen abberuft, um dadurch Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.435 Vor diesem Hintergrund wird die Personalkompeauch berechtigt ist, die Erfüllung der Vorstandspflichten im Klageweg durchzusetzen ist umstritten. Nach richtiger Auffassung ist dies abzulehnen, da mit Abberufung und Geltendmachung von Schadenersatz ausreichende Sanktionsmöglichkeiten existieren. Siehe hierzu unten Teil 2 B. I. 2. k). 429  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 98; Hüffer, NZG 2007, 52, der mit Blick auf die eigenverantwortliche operative Leitung der AG durch den Vorstand gem. §§ 76, 77 AktG sowie die fehlende Sachnähe des Aufsichtsrats zu Recht hervorhebt, dass sich Empfehlungen auf Sachverhalte mit klarer „Überwachungsrelevanz“ beschränken sollten. 430  Hüffer, NZG 2007, 52; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 37. 431  Hüffer, NZG 2007, 52. Es besteht keinesfalls ein Weisungsrecht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand, vgl. auch MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 32. 432  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 39; Hüffer, NZG 2007, 52. 433  MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 32. Siehe auch unten Teil 2 B. I. 2. j). 434  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 42. Bei der Personalkompetenz handelt es sich sowohl um ein Instrument der Kontrolle als auch der Geschäftsführung. 435  MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 32.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

tenz des Aufsichtsrats zu Recht als „eine der wichtigsten Aufgaben, die das Gesetz dem Aufsichtsrat zuweist“436, angesehen. aa) Bestellung gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 AktG Bei der arbeitsrechtlichen Behandlung von Vorstandsmitgliedern ist zwischen dem Akt der Bestellung – dieser begründet die körperschaftliche Organstellung und die hieraus resultierende Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht437 – und dem parallel hierzu stattfindenen Abschluss eines schuldrechtlichen Anstellungsvertrags, welcher die weiteren Modalitäten (Gehalt, Urlaub, Boni) regelt438, zu unterscheiden. Ausweislich des klaren Wortlauts des § 84 Abs. 1 S. 1 AktG „bestellt der Aufsichtsrat“ die Vorstandsmitglieder auf höchstens fünf Jahre. Diese dem Gesamtaufsichtsrat als Organ zustehende Kompetenz umfasst vor allem das Recht zur selbständigen Auswahl der Vorstandsmitglieder439 und ist zukunftsorientiert. Daher kommt dem Aufsichtsrat schon bei der Entschließung darüber, wen er zum Vorstandsmitglied bestellt, ein unternehmerisches Ermessen in Form einer weitreichenden „Auswahlfreiheit“440 zu. Diese ist weder auf einen Ausschuss delegierbar441 noch kann sie satzungsmäßig442 und erst recht nicht durch sonstige Vereinbarungen beschränkt werden.443 Der Aufsichtsrat muss sich bei der Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens aber am Unternehmensinteresse orientieren, sodass er die „bestmögliche Wahl“ für die AG zu treffen 436  BGH, WM 1993, 1330, 1336; Götz, AG 1995, 337, 348, der sogar von einer „Kardinalpflicht“ des Aufsichtsrats ausgeht. 437  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 7 Rn. 331. 438  MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 10. 439  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 7 Rn. 333. 440  MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 14; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 7 Rn. 333; Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn. 5. 441  Die Einrichtung eines Präsidial-, Personal- oder sonstigen Ausschusses, der sich mit der Bestellung der Vorstandsmitglieder beschlussmäßig befasst, scheitert gem. § 107 Abs. 3 S. 3 AktG, wonach die Aufgaben nach § 84 Abs. 1 S. 1 und 3, Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 AktG einem Ausschuss nicht an Stelle des Aufsichtsrats zur Beschlussfassung überwiesen werden dürfen. Zur Ausschussbildung unter Compliance-Gesichtspunkten siehe unten, Teil 6 A. II. 442  § 84 AktG stellt insoweit eine abschließende Regelung im Sinne des § 23 Abs. 5 AktG dar, vgl. MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 12; Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn. 5; zur Unzulässigkeit einer rechtlichen Vorabregelung Götz, AG 1995, S. 337, 348. 443  Eine gesetzliche Grenze der weitreichenden Auswahlfreiheit stellt die Vorschrift des § 76 Abs. 3 AktG dar. In zeitlicher Hinsicht ist § 84 Abs. 1 S. 1 AktG zu beachten. Bezüglich der Höhe der Vorstandsvergütung ist die Vorschrift des § 87 Abs. 1 S. 1 AktG zu beachten.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG105

hat.444 Dies verpflichtet den Aufsichtsrat mindestens zu einer sorgfältigen Analyse der unternehmerischen Bedürfnisse in der AG mit dem Ziel einer nachhaltigen, vielfältigen und langfristigen Personalplanung.445 bb) Widerruf der Bestellung gemäß § 84 Abs. 3 S. 1 AktG Erlangt der Aufsichtsrat Kenntnis von einem erheblichen Fehlverhalten eines Mitglieds des Vorstands, kann er gemäß § 84 Abs. 3 S. 1 AktG die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands „widerrufen“, wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt.446 Mit wirksamer Abberufung endet die Organstellung und die aus ihr resultierenden Rechte und Pflichten, insbesondere die Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht.447 Parallel dazu kann und muss der Aufsichtsrat, wenn er eine weitere Vergütung des Vorstandsmitglieds verhindern möchte, den schuldrechtlichen Anstellungsvertrag gemäß § 84 Abs. 3 S. 5 AktG nach den „allgemeinen Vorschriften“ kündigen.448 Der Widerruf führt – vorbehaltlich einer Koppelung des Anstellungsvertrags an das Bestehen einer wirksamen Bestellung – nicht automatisch zur Beendigung des schuldrechtlichen Anstellungsvertrags, sondern lässt diesen fortbestehen.449 Für den Aufsichtsrat ist daher zu beachten, dass ein den Widerruf der Bestellung rechtfertigender „wichtiger Grund“ im Sinne des § 84 Abs. 3 S. 1 und 2 AktG inhaltlich nicht zwingend auch identisch mit einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist.450 Demgegenüber ist der umgekehrte Fall  – Vorliegen eines wichtigen 444  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 7 Rn. 341. Zur freien Entschließung bei der Bestellung siehe auch MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 15 ff. 445  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 7 Rn. 341; vgl. auch Ziff. 5.1.2 DCGK, wonach der Aufsichtsrat bei Zusammensetzung des Vorstands auch auf Vielfalt (Diversity) achten und gemeinsam mit dem Vorstand für eine langfristige Nachfolgeplanung sorgen soll. 446  Wichtige Gründe können gem. § 84 Abs. 3 S. 2 AktG sein Korruptionsverstöße, mangelnde Qualifikation, unsorgfältige Geschäftsführung oder unüberbrückbare Differenzen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat bezüglich der Geschäftspolitik. Siehe auch MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 119; Bauer/von Medem, NZA 2014, 238 ff. 447  Hüffer/Koch, AktG § 84 Rn. 39; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 7 Rn. 362. 448  Neben der Kündigung kommen als Beendigungstatbestände auch Fristablauf, Eintritt einer auflösenden Bedingung sowie Abschluss eines Aufhebungsvertrags in Betracht, vgl. hierzu auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 7 Rn. 407. 449  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 7 Rn. 408  f. Die AG schuldet daher auch den Vergütungsanspruch aus dem Anstellungsvertrag, bis dieser wirksam beendet wurde. 450  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 7 Rn. 414 f. Ein wichtiger Grund für die Kündigung des Anstellungsvertrages liegt demnach dann vor, wenn der AG nach sorgfältiger Abwägung ihrer Interessen mit den Interessen des betroffenen Vor-

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB – für den Widerruf der Bestellung ausreichend.451 Hinsichtlich des dem Aufsichtsrat bei Ausübung der Personalkompetenz zukommenden Ermessens ist zu differenzieren. Auf der ersten Ebene hat der Aufsichtsrat zu beurteilen, welches Verhalten in tatsächlicher Hinsicht einen wichtigen Grund im Sinne des § 84 Abs. 3 S. 1 AktG beziehungsweise § 626 Abs. 1 BGB darstellt. Dies kann der Aufsichtsrat nur anhand einer am Einzelfall orientierten Abwägung der tatsächlichen Umstände beurteilen.452 Auf dieser Basis hat er die relevanten Umstände zu bewerten und eine Entscheidung über den Widerruf zu treffen. Entschließt sich der Aufsichtsrat aufgrund der erkannten Umstände auf einer zweiten Ebene, die Bestellung zu widerrufen und das Anstellungsverhältnis zu kündigen, kommt ihm bei der Frage, ob die von ihm in die Abwägung eingestellten Umstände die Annahme eines wichtigen Grundes tatsächlich tragen, kein eigenständiger – einer gerichtlichen Kontrolle entzogener – Beurteilungsspielraum zu.453 Hiervon zu unterscheiden ist wiederum auf einer dritten gedanklichen Ebene die Frage, ob der Aufsichtsrat bei Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ den Vorstand zwingend abberufen muss oder diesen gleichwohl im Amt belassen kann.454 Dies ist eine Frage des unternehmerischen Ermessens des Aufsichtsrats bei Ausübung seiner Personalkompetenz. Ein solches wird dem Aufsichtsrat nach dem Wortlaut des § 84 Abs. 3 S. 1 AktG auch eingeräumt und von der Rechtsprechung anerkannt.455 Der Aufsichtsrat hat sich bei Betätigung dieses Ermessens nur am Unternehmensinteresse zu orientieren, indem er die Vor- und Nachteile eines Widerrufs vor dem Hintergrund der in diesem Kontext auch für ihn Anwendung findenden Business Judgement Rule abwägt.

standsmitglieds eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zu seinem Ablauf nicht mehr zugemutet werden kann. 451  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 7 Rn. 414. 452  MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 116. 453  Dies ist auch sachgerecht, da der Vorstand die Möglichkeit haben muss, die rechtliche Würdigung des Aufsichtsrats gerichtlich nachprüfen zu lassen. Die gegenteilige Auffassung, welche verwaltungsrechtliche Grundsätze anwenden und dem Aufsichtsrat einen gerichtlich nicht nachprüfbaren Beurteilungsspielraum einräumen möchte, ist abzulehnen, da sie die prozessuale Überprüfung der Organrechte des Vorstands in unzulässiger Weise verkürzen würde, vgl. mit zutreffender Begründung MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 115; a. A.: Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 138 ff. 454  Für ein unternehmerisches Ermessen auch MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 115. 455  BGHZ 135, 244, 254 f.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG107

e) Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand durch den Aufsichtsrat Die soeben dargestellte Personalkompetenz des Aufsichtsrats wird dadurch flankiert, dass dieser auch durch abstrakt generelle Regelungen auf die Organisation des Vorstands Einfluss nehmen kann, indem er für diesen eine Geschäftsordnung erlässt oder deren Erlass durch den Vorstand einem Zustimmungsvorbehalt unterwirft.456 Ausgangspunkt ist die Regelung des § 77 Abs. 2 S. 1 AktG. Danach kann sich der Vorstand eine Geschäftsordnung geben, wenn nicht die Satzung den Erlass der Geschäftsordnung dem Aufsichtsrat übertragen hat oder der Aufsichtsrat eine Geschäftsordnung für den Vorstand erlässt. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich für den Aufsichtsrat somit eine Zuständigkeit zum Erlass einer Geschäftsordnung, wenn keine vorrangige Regelung in der Satzung existiert.457 In der Praxis wird eine Geschäftsordnung für den Vorstand in der Regel durch den Aufsichtsrat als das für die Bestellung der Vorstandsmitglieder nach § 84 AktG zuständige Organ erlassen.458 In inhaltlicher Hinsicht eröffnet sie dem Aufsichtsrat ein erhebliches organisatorisches Gestaltungspotential, da in ihr die Grundsätze über die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat detailliert geregelt werden können.459 Besonders hervorzuheben ist die Möglichkeit, die in § 90 AktG nicht abschließend normierten Berichtspflichten entsprechend den individuellen Bedürfnissen der AG präzisieren zu können.460 Daneben lässt sich das Instrument der Geschäftsordnung auch insoweit fruchtbar machen, als dass dort besonders risikoreiche und für die AG existenzielle Geschäfte explizit umschrieben, Berichtswege und Zu456  Lutter/Krieger/Verse,

Rechte und Pflichten, § 7 Rn. 447. § 77 Rn. 40. Demnach ist eine Satzungsregelung in der Praxis unzweckmäßig und daher auch sehr selten vorzufinden, da sich bei Satzungserlass z. B. kaum abschätzen lässt, wie die Geschäfte sachgerecht auf die Vorstandsmitglieder zu verteilen sind oder wie die Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat konkret ausgestaltet sein soll. Würde man diese Frage bereits verbindlich in der Satzung vorab regeln, zöge jede Änderung der internen Organisation letztlich eine aufwändige Satzungsänderung nach sich. 458  MüKoAktG/Spindler § 77 Rn. 40. Der Vorstand kann sich demgegenüber selbst nur dann eine Geschäftsordnung geben, wenn die Satzung dieses Recht nicht ausschließlich dem Aufsichtsrat vorbehalten hat (vgl. § 77 Abs. 2 S. 1 AktG) und der Aufsichtsrat auf den Erlass verzichtet, vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 7 Rn. 447. 459  Hüffer, NZG 2007, 52; vgl. auch die Mustergeschäftsordnung bei Happ, in: Happ (Hrsg.), AktR, 3. Aufl. (2007), Ziff. 8.01. Siehe auch die Ausführungen in Teil 6 A. III. 460  Zur Möglichkeiten einer sog. „Informationsordnung“ siehe ausführlich Teil 6 A. IV. 457  MüKoAktG/Spindler

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

ständigkeiten festgelegt oder zustimmungsbedürftige Geschäfte begründet und definiert werden können.461 Für die Vorstandsmitglieder sind die Vorschriften der Geschäftsordnung auch verpflichtend, sodass Pflichtverletzungen sowohl Schadenersatzansprüche der AG als auch einen wichtigen Grund für die vorzeitige Abberufung begründen können.462 f) Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Vorstand Ein bedeutendes Instrument zur Einwirkung auf den Vorstand ist ferner die Kompetenz des Aufsichtsrats zur Prüfung und Verfolgung von Schadenersatzansprüchen gegen amtierende oder ehemalige Vorstandsmitglieder wegen vorangegangener Pflichtverletzungen gemäß §§ 112 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG. Hierbei handelt es sich dem Grunde nach um eine repressive Maßnahme.463 Gesetzlicher Ausgangspunkt für die Zuständigkeit des Aufsichtsrats zur Prüfung und Verfolgung von Schadenersatzansprüchen gegenüber pflichtwidrig handelnden Vorstandsmitgliedern sind die §§ 112 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1AktG. Der Aufsichtsrat vertritt nach § 112 S. 1 AktG die Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern gerichtlich und außergerichtlich. Hierdurch wird dem Gesamtaufsichtsrat für sämtliche Rechtsgeschäfte mit Vorstandsmitgliedern und Rechtsstreitigkeiten jedweder Art Vertretungsmacht eingeräumt.464 Erfasst wird vor allem die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen gegen Mitglieder des Vorstands gemäß § 93 Abs. 2 S. 1 AktG, wenn diese ihre Pflichten verletzen und der AG dadurch ein Schaden entsteht. Diese vermeintlich klare Regelung stellt den Aufsichtsrat in der Praxis vor nicht unerhebliche haftungsrechtliche Probleme, da es sich sowohl in tatsächlicher465 als auch in rechtlicher466 Hinsicht um eine äußerst komplexe Entscheidung handelt. diese Richtung auch Hüffer, NZG 2007, 52. Regelungen kommt insoweit „normativer Charakter“ zu, vgl. auch Happ, in: Happ (Hrsg.), AktR, 3. Aufl. (2007), Ziff. 8.01, Rn. 3; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 77 Rn. 29; MüKoAktG/Spindler § 77 Rn. 57. 463  Dies ergibt sich aus der Intention des Schadenersatzrechts, die primär im Ausgleich von entstandenen Nachteilen besteht. Aspekte der Schadensverhütung und Prävention nehmen nur eine sekundäre Rolle ein. Die Geltendmachung von Schadenersatz entfaltet deshalb auch nur mittelbar eine präventive Wirkung unter dem Aspekt, dass in ihr die Drohung einer erneuten Inanspruchnahme liegt und sie auf das Ziel gerichtet ist, den Vorstand für die Zukunft zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Vgl. hierzu Palandt/Grüneberg, § vor § 249 Rn. 2; auch Götz, NJW 1997, 3277. Die Geltendmachung von Schadenersatz zielt daher auch auf die Sanktionierung des Vorstands ab, vgl. Goette, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 377, 386. 464  Hüffer/Koch, AktG, § 112, Rn. 3. 465  Insoweit stellt sich für den Aufsichtsrat das risikobehaftete Problem, den Sachverhalt so zu ermitteln, dass er ihn im Prozess darlegen und beweisen kann. 461  In

462  Den



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG109

Die in diesem Kontext für den Aufsichtsrat zentrale ARAG-GarmenbeckRechtsprechung wird aufgrund ihrer unter Compliance-Gesichtspunkten elementaren Bedeutung in Teil 3 im Zusammenhang mit den „compliancebezogenen“ Pflichten des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand näher untersucht467, sodass an dieser Stelle lediglich festgehalten werden soll, dass die Beantwortung der Frage, ob den Aufsichtsrat eine Pflicht zur Geltendmachung trifft oder ihm insoweit auch ein Ermessen zukommt, davon abhängt, wie man die gesetzliche Aufgabe des Aufsichtsrats gegenüber Mitgliedern des Vorstands Schadenersatzansprüche zu verfolgen rechtlich qualifiziert. Ordnet man sie trotz des repressiven Charakters als unternehmerische Entscheidung ein, käme dem Aufsichtsrat bei dieser Entscheidung ein Beurteilungs- und Ermessenspielraum, insbesondere die Business Judgement Rule aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, zu. Wertet man die Kompetenz des Aufsichtsrats zur Prüfung und Verfolgung von Schadenersatzansprüchen demgegenüber im Einklang mit der Rechtsprechung als reine Überwachungsaufgabe, schiede die Annahme eines eigenständigen Beurteilungs- und Ermessenspielraums zugunsten des Aufsichtrats – bis auf eng begrenzte Ausnahmen – aus.468 g) Recht auf Einsichtnahme und Prüfung gemäß § 111 Abs. 2 AktG Die Vorschrift des § 111 Abs. 2 S. 1 AktG gestattet dem Aufsichtsrat im Einzelfall, das heißt bei Vorliegen eines konkreten Anlasses469, ein Einsichtsund Prüfungsrecht in die Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände der AG, namentlich in die Gesellschaftskasse und die Bestände an Waren.470 Nach § 111 Abs. 2 S. 2 AktG kann er damit für bestimmte Aufgaben besondere Sachverständige, wie zum Beispiel sachverständige Dritte, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte, beauftragen. Die Vorschrift steht in einem 466  Auch die Beurteilung der rechtlichen Erfolgsaussichten in Form einer Prozessrisikoanalyse kann im Einzelfall eine zukunftsbezogene und komplex zu beurteilende Frage darstellen. 467  Zu den aus der ARAG-Rechtsprechung für den Aufsichtsrat folgenden Pflichten bei Compliance-Pflichtverletzungen durch den Vorstand siehe die Ausführungen in Teil 3 C. III. 468  Zu dem aus der Zuständigkeit zur selbständigen Prüfung und Verfolgung von Schadenersatz für den Aufsichtsrat in strafrechtlicher Hinsicht folgenden Haftungsrisiko siehe Teil 5. 469  KK-AktG/Mertens/Cahn, § 111 Rn. 52; Habersack, AG 2014, 6; Hüffer, NZG 2007, 53. 470  Gegenstände der Einsichtnahme können letztlich alle in körperlicher oder elektronischer Form verfügbaren Unterlagen der Gesellschaft (Verträge, Anlagen, Vorstandsprotokolle) sein, vgl. hierzu weitergehend KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 53.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

engen Zusammenhang mit den Informationsrechten des Aufsichtsrats471, da ihm hierdurch die Möglichkeit gegeben wird, einen ihm unklaren konkreten Sachverhalt weiter zu erhellen. Gleichwohl handelt es sich aber um ein eigenständiges Kontrollinstrument, da es in der Regel – über die Informationsbeschaffung hinaus – dazu eingesetzt wird, um in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten von Vorstandsmitgliedern aufzuklären.472 Das Ziel einer solchen Aufklärung besteht in der Vorbereitung einer Schadenersatzklage gegen Mitglieder des Vorstands.473 Ob und inwieweit dem Aufsichtsrat ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zukommt, ist differenziert zu betrachten. Dient die Einsichtnahme und Prüfung der Vorfrage, ob der AG gegen ein Vorstandsmitglied Ansprüche auf Schadenersatz zustehen, ist dieses Ermessen mit Blick auf die Rechtsprechung regelmäßig eingeschränkt.474 Der Aufsichtsrat hat auch eine auf § 111 Abs. 2 AktG gestützte intensivere Kontrolle durchzuführen, wenn ihm Anhaltspunkte für eine Unternehmenskrise oder ein kriminelles Verhalten des Vorstands bekannt werden475 oder er begründeten Anlass zu Zweifeln über die Richtigkeit beziehungsweise die Vollständigkeit der nach § 90 Abs. 1 S. 1 AktG übermittelten Vorstandsberichte hat.476 Im Übrigen verbleibt es bei einem Entscheidungsspielraum des Aufsichtsrats, ob er im Einzelfall, etwa bei Anzeichen für eine unvollständige Berichterstattung durch den Vorstand oder nach einer stichprobenartigen Kontrolle der übermittelten Vorstandsberichte, von seinem Einsichts- und Prüfungsrecht Gebrauch macht oder sogar einen Sachverständigen mit der Prüfung beauftragt.477 Bei der Auswahl des Sach471  Hüffer, 472  Für

NZG 2007, 53. eine Einordnung als repressives Kontrollmittel wohl auch Hüffer, NZG

2007, 53. 473  Hüffer, NZG 2007, 53. Der Aufsichtsrat darf das Einsichts- und Prüfungsrecht auch nicht zu einer generellen Kompetenz mit dem Ziel des Zugriffs auf sämtliche dem Vorstand zufließenden Daten ausbauen, vgl. hierzu KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 52. 474  Zu den Vorgaben der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung siehe die Ausführungen in Teil 3 C. III. 1. a); C. III. 2. a); C. III. 2. a) bb) (5). 475  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 52; Reichert/Ott, NZG 2014, 250. 476  Siehe hierzu bereits oben die Ausführungen in Teil 2 B. I. 1. b) cc) (1) (a) sowie B. I. 1. b) cc) (2); Reichert/Ott, NZG 2014, 250. 477  MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 76; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 62, die zu Recht darauf hinweisen, dass sich das Ermessen des Aufsichtsrats nicht an ein striktes „Erforderlichkeitskriterium“ binden lässt und dieser von der Einschaltung eines Sachverständigen nur „sehr zurückhaltend“ Gebrauch machen sollte, um die Autorität des Vorstands nicht zu beschädigen. In diese Richtung deutlich Lutter, Information und Vertraulichkeit, S. 112, Rn. 303, der bei der Einsetzung eines externen Sachverständigen von einem „schweren Eingriff“ in die Vertrauensbeziehung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat spricht.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG111

verständigen ist dem Aufsichtsrat ein weites „Bestellungsermessen“478 zuzubilligen. Die Bestellung eines Sachverständigen steht nur dem gesamten Aufsichtsrat als Organ zu und setzt einen entsprechenden Aufsichtsratbeschluss voraus.479 h) Bestimmung von Zustimmungsvorbehalten gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG Eine wesentliche Ausprägung der „leitungsbezogenen Verantwortung des Aufsichtsrats“480 stellt die Vorschrift des § 111 Abs. 4 S. 2 AktG dar. Danach hat entweder die Satzung oder der Aufsichtsrat festzulegen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden dürfen.481 Da der Vorstand eine unter Vorbehalt stehende Maßnahme solange nicht ergreifen darf, bis der Aufsichtsrat oder ein von ihm gebildeter Ausschuss482 die Zustimmung erteilt hat483, eröffnet diese Einwirkungsmöglichkeit dem Aufsichtsrat eine effektive und in die Zukunft gerichtete Überwachung des Vorstands im Sinne einer „begleitenden Teilhabe an der Leitungsaufgabe“.484 Sie ist daher als ein präventiv wirkendes Überwachungsinstrument zu qualifizieren.485 478  KK-AktG/Mertens/Cahn,

§ 111 Rn. 65; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 76. § 111 Rn. 62. Das einzelne Mitglied des Aufsichtsrats kann allerdings einen Beschlussantrag stellen. Zur Möglichkeit der Delegation auf einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats siehe Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 103, Rn. 286, der sogar die Delegation eines „ständigen Beauftragten“ in das Unternehmen für zulässig hält. Hierzu zu Recht kritisch KK-AktG/Mertens/ Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 58. 480  Hüffer, NZG 2007, 47 ff.; Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 260. 481  Zur historischen Entwicklung des § 111 Abs. 4 S. 2 AktG siehe Thiessen, AG 2013, 573, 574 ff.; Fleischer, BB 2013, 835 ff. In § 59 Abs. 3 AktG und § 204 Abs. 1 S. 2 AktG enhält das Gesetz ausdrücklich geregelte Zustimmungsvorbehalte. 482  § 107 Abs. 3 S. 2 AktG verbietet lediglich die Begründung eines Zustimmungsvorbehalts auf einen Ausschuss zu übertragen, nicht auch die Erteilung der Zustimmung. 483  Habersack, FS Hüffer 2010, 259. Es liegt insoweit eine Beschränkung der Befugnis zur Geschäftsführung im Innenverhältnis vor. Siehe nur Hüffer, NZG 2007, 47, 52. Die Vertretungsmacht des Vorstands im Außenverhältnis gemäß § 82 Abs. 1 AktG lässt § 111 Abs. 4 S. 2 AktG hingegen unberührt, vgl. hierzu Habersack, FS Hüffer 2010, 259; Hüffer, NZG 2007, 47, 52. Für die Zulässigkeit einer nachträglichen Zustimmung Seebach, AG 2013, 70, 76. 484  BGHZ 135, 244, 254 f.; Habersack, FS Hüffer 2010, 259. 485  BGHZ 135, 244, 254 f.; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 26 Rn. 37. Der Möglichkeit, die Zustimmung zu versagen kommt letztlich die Wirkung eines Vetorechts zu. Siehe Habersack, FS Hüffer 2010, 259; Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rn. 16; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 103; Hüffer, NZG 2007, 47, 52. 479  MüKoAktG/Habersack

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

Die konkrete Handhabung dieses Überwachungsinstruments bereitet dem in der Praxis handelnden Aufsichtsrat jedoch häufig nicht unerhebliche Probleme.486 Zum einen hat er sowohl bei der Frage für welche Geschäfte er einen Zustimmungsvorbehalt begründet als auch hinsichtlich der Ausübung in Form der Erteilung oder Versagung der Zustimmung grundlegende Entscheidungen zu treffen, die aufgrund ihrer Komplexität ein hohes Maß an Information voraussetzen. Zum anderen nimmt er durch seine Zustimmung oder Versagung in einem gewissen Maß an der Geschäftsführung teil.487 Er überwacht damit nicht nur eine fremde unternehmerische Entscheidung des Vorstands, sondern trifft diese durch Zustimmung oder Versagung letztlich selbst. Um in diesem Zusammenhang die zivil- und strafrechtlichen Haftungsrisiken erfassen zu können, ist zu klären, ob und inwieweit dem Aufsichtsrat bei seiner Entscheidung Beurteilungs- und Ermessensspielräume zukommen. Sodann lässt sich beurteilen, ob bei seiner Entscheidung die Business Judgement Rule gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG Anwendung findet. Dabei ist zwischen der abstrakten Begründung eines Katalogs mit zustimmungspflichtigen Geschäften und der sodann auf dieser Basis im Einzelfall erfolgenden konkreten Ausübung in Form der Zustimmung oder Versagung zu differenzieren. aa) Ausgangspunkt: Keine Übertragung von Geschäftsführungsmaßnahmen Entsprechend der im Aktiengesetz angelegten Kompetenzverteilung zwischen Vorstand als Leitungs- und Aufsichtsrat als Überwachungsorgan ordnet § 111 Abs. 4 S. 1 AktG an, dass Maßnahmen der Geschäftsführung nicht dem Aufsichtsrat übertragen werden dürfen.488 bb) Relativierung des Geschäftsführungsverbots durch § 111 Abs. 4 S. 2 AktG Von diesem Grundsatz macht § 111 Abs. 4 S. 2 AktG eine Ausnahme und bestimmt, dass die Satzung oder der Aufsichtsrat jedoch zu bestimmen hat, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen. Die Regelung entfaltet für den Aufsichtsrat eine kom486  Seebach, AG 2012, 70, 72, der zu Recht bezweifelt, ob die Gremienpraxis den komplexen Anforderungen, die ein Zustimmungsvorbehalt mit sich bringt, auch stets gerecht wird. 487  Habersack, FS Hüffer 2010, 259; Hüffer, NZG 2007, 47, 52. 488  Zur Intention des § 111 Abs. 4 S. 1 AktG siehe Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rn. 16.



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plexe Wirkung, da in ihr die gesetzliche Übertragung einer unternehmerischen Aufgabe liegt.489 Rechtstechnisch kann entweder die Satzung bereits einen Katalog von zustimmungspflichtigen Geschäften für den Aufsichtsrat verbindlich festsetzen490 oder der Aufsichtsrat bestimmt einen solchen Katalog in Abhängigkeit von den Bedürfnissen der AG selbst.491 Satzungsgeber und Aufsichtsrat sind zur Einrichtung von Zustimmungsvorbehalten jeweils unabhängig voneinander befugt.492 Legt ausschließlich der Aufsichtsrat – wie in der Praxis häufig – Zustimmungsvorbehalte für bestimmte Arten von Geschäften fest, befinden sich diese in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats493 oder in einer vom Aufsichtsrat für den Vorstand erlassenen Geschäftsordnung.494 (1) Pflicht zur Bestimmung von Zustimmungsvorbehalten für bestimmte Geschäfte § 111 Abs. 4 S. 2 AktG begründet nach seinem Wortlaut nur die Pflicht zur Festlegung von Zustimmungsvorbehalten für bestimmte Arten von Geschäften. Weitergehende inhaltliche Vorgaben werden dem Aufsichtsrat nicht gemacht. Dies führt zu der Frage, welche inhaltlichen Themenkomplexe der 489  In

diese Richtung ausdrücklich BGHZ 135, 244, 254 f. (ARAG/Garmenbeck). NZG 2007, 47, 52. Dies ist in der Praxis aber selten. In der Regel verbleibt die Kompetenz zum Erlass von Zustimmungsvorbehalten ausschließlich beim Aufsichtsrat, um ein flexibles und unbürokratisches Handeln zu gewährleisten. Gleichwohl finden sich aber satzungsmäßige Zustimmungsvorbehalte in den Satzungen der ThyssenKrupp AG (§ 7 Abs. 1), der Deutschen Bank AG (§ 13 Abs. 1), der VW AG (§ 9 Abs. 1) sowie der Continental AG (§ 14 Abs. 1). Siehe hierzu m. w. N. auch Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 263. 491  Dies dürfte in der Praxis der Regelfall sein, vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 105 Fn. 2. 492  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 105. Der Aufsichtsrat ist aber nicht befugt, die in der Satzung angeordneten Zustimmungsvorbehalte aufzuheben oder durch Erteilung einer „Generalzustimmung“ auszuhebeln. Ebensowenig darf er ein Unterlassen des Vorstands an seine Zustimmung binden, da dies der Anordnung eines bestimmten Geschäfts gleichkäme. Zutreffend Lieder, DB 2004, 2251, 2254. Umgekehrt kann die Satzung das Recht des Aufsichtsrats zur Anordnung von weiteren Zustimmungsvorbehalten nach einstimmiger Meinung weder ausschließen noch auf sonstige Art und Weise begrenzen, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 105 m. w. N. in Fn. 1; Habersack, FS Hüffer 2010, 262 f. 493  Siehe die Geschäftsordnungen des Aufsichtsrats der Siemens AG (http:// www.siemens.com/investor/pool/en/invester_relations/downloadcenter/governance_ge schäftsordnung_aufsichtsrat.pdf); Heidelberger Druckmaschinen AG (http://www. heidelberg.com/www/html/de/binaries/files/investor_relations/corporate_governance/ rules_of_procedure_ar_pdf),adidas AG (http://www.adidas-group.com/media/filer_ public/2013/08/06/go_ar_2013_de.pdf). 494  Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 263. 490  Hüffer,

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Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG seiner Zustimmung mindestens zu unterstellen hat beziehungsweise maximal unterstellen darf. Bereits der Wortlaut enthält eine Begrenzung auf „bestimmte“ Geschäfte. Die generalklauselartige Umschreibung von zustimmungspflichtigen Maßnahmen wird damit ausgeschlossen.495 Bei der Präzisierung des Begriffs „bestimmte Arten von Geschäften“ bildet ferner die in §§ 76 Abs. 1, 111 Abs. 4 S. 1 AktG festgelegte Leitungszuständigkeit und das hieraus folgende Ermessen des Vorstands eine klare Grenze, sodass die Ausdehnung von Zustimmungsvorbehalten auf Maßnahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs ebenso ausscheidet.496 Der Aufsichtsrat hat innerhalb dieses vom Gesetzgeber bewusst497 nicht näher definierten Bereichs nur die Pflicht, für bestimmte Geschäfte einen „angemessenen Kreis“ von Zustimmungungsvorbehalten festzulegen.498 Da diese Entscheidung über das „Ob“ der Festlegung keine prognostischen Elemente aufweist, ist sie nicht als unternehmerische Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zu qualifizieren. Der Aufsichtsrat hat daher auch kein Entschließungsermessen darüber, ob er ein Minimum an zustimmungsbedürftigen Geschäften bestimmt.499 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, welche Arten von Geschäftsvorfällen der Aufsichtsrat konkret auswählt und an seine Zustimmung bindet. In inhaltlicher Hinsicht besteht Einigkeit darin, dass nur Geschäfte von grundlegender Bedeutung500 einem Zustimmungsvorbehalt unterworfen werden können.501 Hiervon wird richtigerweise auch die Unternehmensplanung der 495  Ein Zustimmungsvorbehalt, der „sämtliche Maßnahmen von grundlegender Bedeutung“ erfassen würde, wäre daher zu unbestimmt, vgl. auch Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 264. 496  Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 264; Hüffer, NZG 2007, 47, 53. 497  Siehe Regierungsbegr., BT-Dr 14/8769, S. 17. 498  Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 265; Hüffer, NZG 2007, 47, 52. 499  Die Nichtbegründung eines Mindestkerns wäre eine Pflichtverletzung des Aufsichtsrats, vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 106; Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 26 Rn. 33; Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 265. 500  Siehe Hüffer, NZG 2007, 47, 53; Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 265. Nach der Regierungsbegründung zum TransPuG = BT-Dr 14/8769, S. 17 sollen „Entscheidungen oder Maßnahmen, die nach den Planungen oder Erwartungen die Ertragsaussichten der Gesellschaft oder ihre Risikoexposition grundlegend verändern und damit von existenzieller Bedeutung für das künftige Schicksal der Gesellschaft sind“ vom Votum des Vorstands und des Aufsichtsrats getragen sein. In diese Richtung geht auch Ziff. 3.3 des DCGK. Danach gehören Entscheidungen oder Maßnahmen, die die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage des Unternehmens grundlegend verändern zu den Geschäften von grundlegender Bedeutung. 501  Aus § 111 Abs. 4 S. 2 AktG kann keine Pflicht abgeleitet werden, sämtliche grundlegende Geschäfte einem Zustimmungsvorbehalt zu unterwerfen, da ansonsten



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AG erfasst, da sich in ihr das Schicksal des Unternehmens widerspiegelt und sie – wie die Berichtspflicht des § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG zeigt – auch Überwachungsgegenstand ist.502 Insofern bleibt festzuhalten, dass dem Aufsichtsrat zwar nicht bei der Entscheidung über die generelle Begründung eines Vorbehalts, wohl aber bei der unternehmensspezifischen Konkretisierung des grundlegenden Geschäfts ein Beurteilungsspielraum zukommt.503 (2) Ermessen bei Entscheidung über die Erteilung der Zustimmung Anders zu beurteilen ist die nach Begründung eines zustimmungspflichtigen Tatbestands vom Aufsichtsrat im konkreten Fall zu treffende Entscheidung über die Erteilung oder Versagung der Zustimmung. Hierbei muss der Aufsichtsrat auf Basis einer angemessenen Informationslage eine eigene risikobehaftete unternehmerische Entscheidung dahingehend treffen, ob er die vom Vorstand intendierte Geschäftsführungsmaßnahme mitträgt oder ihr aufgrund einer divergierenden eigenen unternehmerischen Vorstellung die Zustimmung verweigert. Auch besteht die Möglichkeit für einzelne Geschäftsführungsmaßnahmen, einen sogenannten „ad hoc“-Zustimmungsvorbehalt zu begründen.504 Diese Entscheidung unterliegt genauso wie die Erteilung oder Versagung der Zustimmung wegen des unternehmerischen Charakters in vollem Umfang der Business Judgement Rule gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG.505 ein Eingriff in das Ermessen des Aufsichtsrats vorläge, vgl. KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 105. 502  MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 112; Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 265. Zurückhaltend Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rn. 18, wonach Maßnahmen der Unternehmensplanung nur dann von einem Zustimmungsvorbehalt erfasst werden können, wenn sie nach ihrem „Konkretisierungsgrad“ bestimmten Geschäftsarten wenigstens vergleichbar sind. Gegen eine Erstreckung auf die Unternehmensplanung KK-AktG/ Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 86. 503  BGHZ 124, 111, 127; Hüffer, NZG 2007, 47, 53; Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 265 f.; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 108; für ein weitreichendes Ermessen auch Hopt/Roth, GroßkommAktG, § 111 Rn. 605 ff., 631. Denkbar wäre z. B. bedeutsame Anlage- und Risikogeschäfte unter einen Zustimmungsvorbehalt zu stellen. Im Einzelfall kann es auch geboten sein, Geschäfte mit einem bestimmten Geschäftspartner unter den Vorbehalt der Zustimmung zu stellen, wenn in der Vergangenheit kriminelle Vorfälle zu beobachten waren, vgl. hierzu auch Hüffer, NZG 2007, 47, 53 mit weiteren Beispielen. 504  Zu dieser Möglichkeit siehe BGHZ 124, 111, 127; Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 266. 505  Für eine Anwendung der Business Judgement Rule zu Recht auch MüKoAktG/ Habersack § 111 Rn. 127; Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 265; KK-AktG/Mertens/ Cahn, 3.  Aufl., § 111 Rn. 111; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 116.

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cc) Ermessensreduktion im Einzelfall Das dem Aufsichtsrat bei der Entscheidung über die Art des zustimmungspflichten Geschäfts generell oder auch ad hoc im Einzelfall zukommende Ermessen kann sich aber dann zu einer Pflicht verdichten, wenn eine gesetzeswidrige Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands nur noch durch Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts verhindern werden kann.506 dd) Praxisrelevante zustimmungsbedürftige Geschäftsvorfälle In jedem Fall empfiehlt es sich, grundlegende und für die AG existentielle Geschäfte, wie zum Beispiel den Erwerb oder die Veräußerung von Beteiligungen oder Unternehmensanteilen, die Gründung von Tochtergesellschaften, Zweigstellen oder Regionalniederlassungen ebenso wie möglicherweise risikobehaftete Grundstücks-, Spekulations- und Garantiegeschäfte einem Zustimmungsvorbehalt zu unterwerfen.507 Daneben können – je nach Zuschnitt der AG – insbesondere M&A-Transaktionen, das Kredit- und Finanzierungsgeschäft sowie die finanzielle Größenordnung einer Maßnahme an die Zustimmung durch den Aufsichtsrat gebunden werden.508 Letztlich lassen sich auch personelle Maßnahmen von grundlegender Bedeutung mit einem Zustimmungsvorbehalt versehen.509 i) Einberufung der Hauptversammlung nach § 111 Abs. 3 AktG Nach § 111 Abs. 3 S. 1 AktG hat der Aufsichtsrat die Pflicht und das Recht, eine Hauptversammlung einzuberufen, wenn das Wohl der Gesellschaft dies erfordert.510 Bei Ausfüllung dieses Begriffs kommt ihm in tat506  BGHZ 124, 111, 127; LG Bielefeld, ZIP 2000, 20, 25; Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 266 f.; Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rn. 17; ders., NZG 2007, 47, 53, der diesen Rechtsgedanken richtigerweise auf satzungswidrige und vom Aufsichtsrat als unvertretbar angesehene Maßnahmen ausdehnt. Ebenso Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten AR, § 3 Rn. 106, 108. 507  Siehe die Aufzählung bei Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 267 sowie die Musterkataloge bei Happ, in: Happ (Hrsg.), AktR, 3. Aufl. (2007), Ziff. 8.01; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 109. 508  Habersack, FS Hüffer 2010, 259, 267, der bei nicht absehbarer Größenordnung einer Transaktion deren Zustimmungspflichtigkeit daran koppelt, ob sie „über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgeht“. Daneben ist aber auch eine betragsmäßige Bindung möglich. 509  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 87. 510  Üblicherweise wird die Hauptversammlung durch den Vorstand gem. §§ 121 Abs. 1, 2 S. 1 AktG in den durch das Gesetz oder Satzung vorgesehenen Fällen sowie



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sächlicher Hinsicht auch ein Beurteilungsspielraum zu. Diesen hat er anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu betätigen. Kommt er zu dem Ergebnis, dass das Wohl der Gesellschaft die Einberufung der Hauptversammlung erfordert, hat er sie nach dem eindeutigen Wortlaut des § 111 Abs. 3 AktG auch einzuberufen. Ihm kommt insoweit kein Handlungsermessen zu. Allerdings kann er die Hauptversammlung nur zu einem Thema anrufen, das auch in ihre Zuständigkeit fällt, sodass er sich bei Beurteilung der Frage, ob das Gesellschaftswohl betroffen ist, inhaltlich an der Vorschrift des § 119 AktG zu orientieren hat. Der Aufsichtsrat kann somit nach § 111 Abs. 3 AktG nur Beschlüsse über Angelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung gemäß § 119 Abs. 1 AktG herbeiführen.511 Außer den im Gesetz oder in der Satzung ausdrücklich geregelten Fällen der Einberufung einer Hauptversammlung kann das Gesellschaftswohl die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung aber auch dann erfordern, wenn zentrale Geschäftsführungsmaßnahmen anstehen, die für die Entwicklung der AG einen so wesentlichen Einfluss haben, dass die Verwaltungsorgane schlechterdings nicht davon ausgehen können, diese Entscheidungen ohne Anhörung der Aktionäre treffen zu dürfen.512 Insoweit ist zu bedenken, dass der Vordann, wenn das Wohl der Gesellschaft es fordert einberufen. Die Befugnis des Aufsichtsrats steht aber selbständig neben der Kompetenz des Vorstands, vgl. KK-AktG/ Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 73. 511  Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 123. Bei der Annahme einer etwaigen Einberufungspflicht bzw. eines Rechts zur Einberufung ist aber Zurückhaltung geboten, da § 111 Abs. 3 AktG nicht das Ziel verfolgt, dem Aufsichtsrat entgegen Abs. 1 AktG ein Initiativrecht für Geschäftsführungsmaßnahmen zu eröffnen, zutreffend KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 74 mit weiteren Beispielen. Insoweit ist auch strittig, ob die Hauptversammlung überhaupt befugt ist, Geschäftsführungsfragen zu erörtern und zu diesem Zweck vom Aufsichtsrat einberufen werden darf. Vgl. zum Streitstand Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 123 Fn. 2; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 74 Fn. 271. Richtigerweise wird der Hauptversammlung mit Blick auf die Vorschrift des § 119 Abs. 2 AktG eine solche Möglichkeit aber einzuräumen sein, da sie auf Verlangen des Vorstands über Fragen der Geschäftsführung sogar entscheiden kann. Insofern wäre es nicht nachvollziehbar, ihr das Recht abzuerkennen, besonders wichtige, das Wohl der Gesellschaft betreffende, Fragen auch ohne entsprechendes Begehren des Vorstands erörtern und hierzu unverbindlich Stellung nehmen zu können, vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 123; a. A.: MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 89 ff. 512  BGHZ 83, 122, 131 f. (Holzmüller). In dem konkreten Fall ging es um die Ausgliederung wesentlicher Unternehmensbereiche auf Tochtergesellschaften. Eine solche ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit wurde vom BGH in seiner „Gelantine“-Entscheidung aber auch für den Fall einer Umstrukturierung des Beteiligungsbesitzes angenommen, vgl. BGH, BB 2004, 1182 ff. Insoweit trifft aber vorrangig den Vorstand gemäß § 121 Abs. 1, 2 AktG die Pflicht, eine Hauptversammlung einzuberufen. Kommt der Vorstand dieser nicht nach, hat der Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 3 AktG tätig zu werden.

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stand nach § 121 Abs. 1, 2 AktG vorrangig zum Tätigwerden berufen ist.513 Von praktischer Bedeutung ist für den Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 3 AktG die Möglichkeit, durch einen Beschluss der Hauptversammlung einzelnen Vorstandsmitgliedern das Vertrauen entziehen zu lassen und dadurch einen „wichtigen Grund“ im Sinne des § 84 Abs. 3 S. 2 AktG zu begründen.514 Im Übrigen hat der Aufsichtsrat sorgfältig abzuwägen, ob er die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung mit Blick auf etwaige negative Folgen, wie dem Bekanntwerden von gesellschaftsinternen Informationen, für geboten erachtet. j) Einwirkungsmöglichkeiten bei Feststellung des Jahresabschlusses Die Prüfung des Jahresabschlusses der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat ist in §§ 170, 171 AktG geregelt.515 § 170 Abs. 1 S. 1 AktG verpflichtet den Vorstand, Jahresabschluss und Lagebericht unverzüglich nach ihrer Aufstellung dem Aufsichtsrat vorzulegen. Die Vorlagepflicht wird durch § 170 Abs. 2 S. 1 AktG auch auf den Vorschlag des Vorstands für die Verwendung des Bilanzgewinns erweitert. Nach § 172 S. 1 AktG ist der Jahresabschluss – vorbehaltlich einer beschlussmäßigen Übertragung dieser Pflicht an die Hauptversammlung – festgestellt, wenn der Aufsichtsrat den Jahresabschluss billigt.516 Den Aufsichtsrat trifft nach § 171 Abs. 1 S. 1 AktG die Pflicht, den Jahresabschluss, den Lagebericht und den Vorschlag für die Verwendung des Bilanzgewinns zu prüfen.517 Der Aufsichtsrat ist hierzu nach dem eindeutigen Wortlaut verpflichtet. Die Prüfungspflicht umfasst für den Aufsichtsrat neben der Prüfung der Recht- und Ordnungsmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit des vorgelegten Jahresabschlusses.518 Nach Abschluss der Prüfung hat der Aufsichtsrat gemäß § 171 Abs. 2 S. 1 AktG über das Ergebnis der 513  Zutreffend

KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 76. Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 123; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 91; zustimmend auch KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 74. 515  Hierzu Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 26 Rn.  62 ff. 516  Zur Aufstellungspflicht siehe auch §§ 242, 264 HGB. 517  Ist der Jahresabschluss oder der Konzernabschluss durch einen Abschlussprüfer zu prüfen, hat dieser gemäß § 171 Abs. 1 S. 2 AktG auch an den Verhandlungen des Aufsichtsrats oder Prüfungsausschusses über diese Vorlagen teilzunehmen und über die wesentlichen Ergebnisse seiner Prüfung, insbesondere wesentliche Schwächen des internen Kontroll- und des Risikomanagements bezogen auf den Rechnungslegungsprozess, zu berichten. Zum Umfang des Prüfungsberichts durch den Abschlussprüfer § 321 HGB. 518  Hoffmann-Becking, Münch. Hdb. GesR, IV, § 44, 14; MüKoAktG/Hennrichs/ Pöschke § 171 Rn. 46 ff, 52 f.; Schilha, § 2, 90. 514  Lutter/Krieger/Verse,



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Prüfung schriftlich an die Hauptversammlung zu berichten.519 Hinsichtlich der Berichtspflicht handelt es sich für ihn um eine gebundene Entscheidung. Im Unterschied dazu stellt sich die am Schluss des Berichts vom Aufsichtsrat nach § 171 Abs. 2 S. 4 AktG anzugebende Erklärung, ob nach dem abschließenden Ergebnis seiner Prüfung Einwendungen zu erheben seien und ob er den vom Vorstand aufgestellten Jahresabschluss billige, als eine eigenverantwortliche unternehmerische Entscheidung dar, die in vollem Umfang dem Anwendungsbereich der Business Judgement Rule unterliegt.520 Versagt der Aufsichtsrat dem Jahresabschluss die Billigung, ist dieser von der Hauptversammlung gemäß § 173 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 AktG festzustellen.521 Die Prüfungspflicht des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Jahresabschluss sowie seine Kompetenz, diesen zu billigen oder Einwendungen gegen ihn zu erheben, eröffnen ihm zwar keine direkte Teilhabe an der Rechnungslegung als Teil der Geschäftsführung, da der Jahresabschluss auch im Falle einer Missbilligung durch den Aufsichtsrat gemäß § 173 Abs. 1 S. 1 AktG durch die Hauptversammlung festgestellt werden kann.522 Da dem Vorstand in der Regel daran gelegen sein wird, dass der von ihm aufgestellte Jahresabschluss auch im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat festgestellt wird, weil dieser sich nur schwerlich gegen dessen Willen gegenüber der Hauptversammlung durchsetzen lassen wird, kommt dem Aufsichtsrat mit der Kompetenz zur Prüfung und Billigung des Jahresabschlusses und der darauf bezogenen Berichtspflicht an die Hauptversammlung in „faktischer“ Hinsicht ein erhebliches Einwirkungsmittel zu.523

519  Er hat dabei die inhaltlichen Vorgaben des § 171 Abs. 2 S. 2 und 3 AktG zu beachten. Bei börsennotierten Unternehmen gehört hierzu die Stellungnahme zur Beurteilung des internen Überwachnungssystems gemäß § 91 Abs. 2 AktG, vgl. KKAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 49 sowie Claussen/Korth, FS Lutter, 2000, S.  327, 329 f. 520  Siehe KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 49. 521  Zu den Pflichten des Aufsichtsrats KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 49. 522  Zutreffend Schilha, § 2, S. 90. 523  Zutreffend Schilha, § 2, S. 90; Bea/Scheurer, DB 1994, S. 2148. Der Aufsichtsrat wirkt bei Feststellung des Jahresabschlusses nach § 58 Abs. 2 AktG an der Entscheidung mit, welcher Teil des Jahresüberschusses in andere Gewinnrücklagen gem. § 266 Abs. 3 A III. Nr. 4 HGB eingestellt wird, Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 122, Rn. 484 ff.

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

k) Leistungs- oder Unterlassungsklage zur Erzwingung pflichtgemäßen Verhaltens Umstritten ist, ob der Aufsichtsrat generell524 gegen Mitglieder des Vorstands im Wege einer Leistungsklage  – gerichtet auf die Vornahme einer bestimmten Geschäftsführungsmaßnahme – oder durch Unterlassungsklage – diese mit dem Ziel der Nichtvornahme einer als pflichtwidrig angesehenen Geschäftsführungsmaßnahme – vorgehen kann.525 Eine solche allgemeine Klagebefugnis des Aufsichtsrats ist abzulehnen. Sie ist zur effektiven Überwachung des Vorstands weder geboten noch lässt sie sich dogmatisch begründen. Möchte der Aufsichtsrat einzelne Vorstandsmitglieder auf Erfüllung ihrer Organpflichten in Anspruch nehmen, fehlt es regelmäßig nicht nur an der substantiierten Behauptung einer Verletzung von eigenen organschaftlichen Rechten des Aufsichtsrats526, sondern auch an einer präzisen – im Aktienrecht mit Ausnahme der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage nach §§ 245 Nr. 5, 249 Abs. 1, 250 Abs. 3 AktG nicht näher definierten – Umschreibung, welche Angelegenheiten im Einzelfall Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen den Organen sein können.527 524  Richtigerweise kommt dem Gesamtorgan Aufsichtsrat neben der im AktG insbesondere für Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen nach §§ 245 Nr. 5, 249 Abs. 1, 250 Abs. 3 AktG speziell geregelten Klagebefugnis eine allgemeine nur zu, wenn er solche Organpflichten des Vorstands durchsetzen möchte, die gerade dazu dienen, dass der Aufsichtsrat seine aus § 111 Abs. 1 AktG folgende Überwachungsaufgabe effektiv ausüben kann. In Betracht kommen namentlich Auskunftsansprüche aus §§ 90 Abs. 1 bis 3, 111 Abs. 2 und 170 AktG, vgl. zutreffend Schilha, § 2, 91 f., 93; Poseck, DB 1996, S. 2167, BGHZ 106, 54, 62 (Opel); a. A. Raiser, ZGR 1989, 43, 62 ff. Im Fall des § 90 Abs. 3 S. 2 AktG kann auch ein einziges Mitglied Bericht an den gesamten Aufsichtsrat verlangen. Dem Gesamtorgan kann auch eine Klagebefugnis zukommen, wenn es einen Angriff des Vorstands in seinen eigenen Kompetenzbereich, z. B. bei einem Vorstandshandeln entgegen § 111 Abs. 4 S. 2 AktG, abwehren möchte, vgl. BGHZ 106, 54, 61; Schilha, § 2, 93 f. Der BGH hat in der OpelEntscheidung klargestellt, dass zumindest einzelne Aufsichtsratsmitglieder nicht befugt sind, gegen – nach ihrer Darlegung rechtswidrige – Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstandes im Wege der Klage vorzugehen. Ob ein Klagerecht des Aufsichtsrats nach den Regeln der „actio pro socio“ begründet werden kann wurde ausdrücklich offen gelassen, vgl. BGHZ 106, 54 ff. Gegen eine Ausdehnung der Klagebefugnis einzelner Aufsichtsratsmitglieder nach den Regeln der „actio pro socio“ zutreffend KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 43; auch Vorb. § 76 Rn.  3 ff. 525  Gegen die Zulässigkeit einer solchen Klage zutreffend MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 33; Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rn. 7; Hoffmann-Becking, Münch. Hdb. GesR, IV, § 33, 88 ff., 95; für die Zulässigkeit Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rn. 16. 526  BGHZ 106, 54, 62. In diese Richtung zutreffend auch Schilha, § 2, 94. 527  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 43.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG121

Die generelle Möglichkeit der prozessualen Inanspruchnahme des Vorstands durch den Aufsichtsrat zur Erzwingung pflichtgemäßen oder auch zur Unterlassung pflichtwidrigen Verhaltens fügt sich letztlich nicht in das aktienrechtliche Kompetenzgefüge ein528. Die aus § 76 Abs. 1 AktG folgende Leitungsmacht des Vorstands wäre nachhaltig gefährdet, wenn man dem Aufsichtsrat – etwa im Wege der Unterlassungsklage und der mit ihr einhergehenden Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes – die Möglichkeit gäbe, mit einem nur glaubhaft gemachten Vortrag das rechtswidrig geglaubte Handeln des Vorstands im Wege einer einstweiligen Verfügung zu unterbinden.529 Insoweit belegt die Vorschrift des § 93 Abs. 2 AktG, dass nach dem geltenden Aktienrecht gegen rechtswidriges Vorstandshandeln nur nachträglich im Wege des Schadenersatzprozesses vorzugehen ist.530 Zur Sicherstellung der vom Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 1 AktG geschuldeten Überwachung bedarf es daher keiner Ausweitung seiner (intra-)prozessualen Befugnisse. Er kann seinem Überwachungsauftrag durch konsequente Anwendung der Personalkompetenz in Form der Abberufungsmöglichkeit gemäß § 84 Abs. 3 S. 1 AktG sowie durch Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern nach §§ 93 Abs. 2 S. 1, 112 S. 1 AktG effektiv nachkommen.531 Im Einzelfall kann er nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG einen ad hoc Zustimmungsvorbehalt begründen, dessen Einhaltung er im Streitfall mit der Behauptung eines möglichen Eingriffs in seinen eigenen Kompetenzbereich gerichtlich überprüfen lassen kann.532 Eine darüber hinausgehende Ausdehnung der Klagerechte des Aufsichtsrats ist somit nicht geboten. l) Bildung von Ausschüssen zur Wahrnehmung von Kontrollaufgaben In organisatorischer Hinsicht eröffnet die Vorschrift des § 107 Abs. 3 S. 1 AktG dem Aufsichtsrat die Möglichkeit, aus seiner Mitte einen oder mehrere Ausschüsse zu bestellen. Nach § 107 Abs. 3 S. 2 AktG kann er insbesondere einen Prüfungsausschuss bestellen, der sich mit der Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems sowie der Abschlussprüfung befasst.533 Die Bildung fachlich qualifizierter Ausschüsse in diese Richtung auch Schwerdtfeger, S. 114. 3. Aufl., § 111 Rn. 43 Fn. 147; Schilha, § 2, 95. 530  In diese Richtung auch KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 43. 531  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 43; Brücher, AG 1989, 190 f. 532  Für diese Lösung Schilha, § 2, 95. Siehe hierzu auch oben Teil 2 B. I. 2. h) bb) (1). 533  Zu den Einschränkungen, die einem Ausschuss nicht an Stelle des Aufsichtsrats zur Beschlussfassung übertragen werden können siehe § 107 Abs. 3 S. 3 AktG. 528  Zutreffend

529  KK-AktG/Mertens/Cahn,

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Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

stellt eine wirksame organisatorische Maßnahme zur Steigerung der Überwachungseffizienz dar und wird deshalb in Ziff. 5.3 des Deutschen Corporate Governance Kodex empfohlen.534 Die Ausschussbildung wird aus Sicht des Aufsichtsrats aber auch unter dem Blickwinkel seiner Compliance-Verantwortung relevant, da nach der Empfehlung Ziff. 5.3.2. des Deutschen Corporate Governance Kodex die Befassung mit dem Thema Compliance entweder durch einen Prüfungssausschuss (sog. Audit Committee) oder einen anderen damit betrauten Ausschuss erfolgen soll. Da es sich hierbei um eine Maßnahme der Selbstorganisation des Aufsichtsrats handelt, die bei der Compliance-Überwachung des Vorstands Relevanz erlangt, wird die rechtliche Bedeutung eines ComplianceAusschusses535 im Anschluss an die in Teil 3 und 5 zu diskutierende Frage, welche zivil- und strafrechtlichen Pflichten die Mitglieder des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands treffen, näher untersucht. 3. Ergebnis bezüglich der Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats Die vorstehende Betrachtung der Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats hat gezeigt, dass diesem zur Kontrolle des Vorstands ein breites zivilrechtliches Instrumentarium zur Verfügung steht. Gleichzeitig wurde deutlich, dass dem Aufsichtsrat bei Ausübung seiner aktienrechtlichen Kompetenzen unterschiedliche – jeweils in Abhängigkeit zu der konkreten Maßnahme und dem mit ihr verfolgten Ziel stehende – Beurteilungs- und Ermessenspielräume zukommen. Die Existenz solcher Spielräume hängt maßgeblich davon ab, ob und in welchem Umfang die zu treffende Entscheidung Zu den Begriffen Risikomanagement, Revision und Compliance siehe sogleich in Teil 3 A I.–III. 534  Hüffer, NZG 2007, 47, 51 f., der bezweifelt, ob man bei Fehlen einer „ausschussförmigen Risikokontrolle noch von einer ordnungsgemäßen Überwachung sprechen kann“; vgl. auch Ziff. 5.3.1. DCGK, wonach die Ausschussbildung in Abhängigkeit zu den spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens erfolgen soll und der Effizienzsteigerung dient. Der Aufsichtsrat sollte von dieser Organisationsmaßnahme zur Bewältigung der ihm obliegenden Überwachungsaufgabe auch Gebrauch machen, wenn er sich nicht sogleich dem Vorwurf der mangelnden Organisation aussetzen möchte, vgl. zutreffend Hüffer, NZG 2007, 47, 52. 535  Denkbar wäre die Bildung eines allgemeinen Compliance-Ausschusses oder speziellen „Antikorruptionsausschusses“ oder eines „Ausschusses für Integrität, Unternehmenskultur und Unternehmensreputation“, vgl. Plagemann, NZG 2013, 1293 ff.; Dreher, FS Goette, 2011, 43 ff. Auch die Einrichtung eines ad hoc Ausschusses ist möglich und kann im Einzelfall vor allem in einer Übernahmesituation erforderlich werden, vgl. hierzu die Praxisbeispiele bei Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114, 115 f.; Hüffer, NZG 2007, 47, 51.



B. Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats innerhalb der AG123

eine unternehmerische Komponente aufweist. Diese Einordnung ist für die zivilrechtliche Haftung elementar, da sie über die Anwendung der haftungsprivilegierenden Business Judgement Rule gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG entscheidet. Insoweit lässt sich festhalten, dass aus Sicht des Aufsichtsrats bei Ausübung seiner Personalkompetenz, vor allem bei Bestellung, Anstellung und Abberufung von Mitgliedern des Vorstands gemäß § 84 AktG, und der Festlegung von zustimmungspflichtigen Tatbeständen gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG eine unternehmerische Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG vorliegt. Dies führt auf zivilrechtlicher Ebene zu einer vollumfassenden Anwendung der Business Judgement Rule. Dem Aufsichtsrat ist bei seiner Entscheidung in diesem Bereich ein unternehmerisches Ermessen einzuräumen. Dieses hat er am Unternehmenswohl auszurichten. Seine in diesem Rahmen getroffene Entscheidung kann – analog zu den Entscheidungen des Vorstands – nur auf Vertretbarkeit hin überprüft werden. Demgegenüber trifft den Aufsichtsrat aus § 111 Abs. 1 AktG stets eine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts, zur adäquaten Informationsversorgung sowie zur Handlung, wenn mit Blick auf das Gesellschaftswohl nur eine einzige Handlungsvariante denkbar ist, weil nur diese dem Gesellschaftswohl dient. In diesem Fall verdichtet sich ein ihm zukommendes Ermessen zu einer Handlungspflicht. Hieraus kann, zum Beispiel bei Vorliegen einer als existenziell erkannten Krise oder bei dem Verdacht auf rechtswidriges oder kriminelles Verhalten des Vorstands, eine Pflicht zur Begründung oder Betätigung eines Zustimmungsvorbehalts, zur Geltendmachung von Schadenersatz oder zur Abberufung des Vorstands erwachsen. Die Anwendung der Business Judgement Rule scheidet insoweit aus. Die Auswirkungen von deren Anwendbarkeit beziehungsweise Nichtanwendbarkeit werden in Teil 5 unter strafrechtlichen Gesichtspunkten untersucht.

II. Ergebnis bezüglich des Überwachungsauftrags des Aufsichtsrats in der AG Nach dem Überwachungsauftrag des § 111 Abs. 1 AktG ist der Aufsichtsrat nicht verpflichtet, die Geschäftsführung in allen Einzelheiten zu überwachen. Im Regelfall genügen seine Mitglieder daher ihrer Überwachungspflicht, wenn sie sich davon überzeugen, dass der Vorstand für seine Aufgabe geeignet ist, er ordnungsgemäß besetzt ist und sachgerecht zusammenarbeitet. Die von ihm getroffenen „leitungsbezogenen Entscheidungen“ haben sie anhand des Maßstabs der Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit nachzuvollziehen. Durch die Existenz von Ermessensspielräumen wird der Überwachungsauftrag zu Gunsten des Vorstands

124

Teil 2: Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtsratstätigkeit

systemimmanent begrenzt. Die Kontrolle durch den Aufsichtsrat beschränkt sich im Ergebnis nur auf die Prüfung der Vertretbarkeit des Leitungshandelns. Im Krisenfall verschärft sich die nach dem gesetzlichen Auftrag geschuldete Mindestkontrolle zu einer Intensivkontrolle. Die Überwachungspflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats wandelt sich dann von einer nur begleitenden in eine unterstützende Überwachung. Den Mitgliedern des Aufsichtsrats kommt im Bereich der Überwachungsaufgaben kein Entschließungsermessen zu. Werden ihnen überwachungsrelevante Umstände bekannt, müssen sie tätig werden. Bei der Wahl der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel kommt ihnen ein in Abhängigkeit zu dem konkreten Mittel stehendes Auswahlermessen zu. Bei dessen Betätigung haben sie sich am Leitgedanken des Unternehmensinteresses zu orientieren. Der Informationsversorgung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand kommt sowohl im Rahmen der Normal- als auch Intensivüberwachung herausragende Bedeutung zu. Den Mitgliedern des Aufsichtsrats steht nach hier vertretener Auffassung im Einzelfall ein Recht zur Kontrolle von leitenden Angestellten der zweiten Hierarchieebene zu, wenn diese in der AG eigene Geschäftsbereiche oder Sparten selbständig leiten oder der Aufsichtsrat Anhaltspunkte dafür hat, dass sich der Vorstand in erheblicher Weise pflichtwidrig verhält beziehungsweise dem Aufsichtsrat Informationen vorenthält. Gegenüber leitenden Angestellten kommt dem Aufsichtsrat de lege lata rechtlich jedoch weder eine Weisungsbefugnis zur Auskunftserteilung zu, noch existiert eine originäre – der Regelung des § 90 AktG vergleichbare – Berichtspflicht der Angestellten an den Aufsichtsrat. Dieser darf, möchte er die Auskunft eines leitenden Angestellten der zweiten Hierarchieebene erlangen, nur an den Vorstand herantreten und diesen auffordern, von dem betreffenden Mitarbeiter die verlangte Auskunft einzuholen. Möchte der Aufsichtsrat ohne Vermittlung über den Vorstand direkt an leitende Mitarbeiter herantreten, kann dies durch interne Regelung in einer vom Aufsichtsrat für den Vorstand zu erlassenden Informationsordnung, die einen besonderen Teil der Geschäftsordnung darstellt, erfolgen.

C. Zusammenfassung der Ergebnisse Vor diesem Hintergrund lässt sich zusammenfassend festhalten, dass es sich bei dem gesetzlichen Überwachungsauftrag aus § 111 Abs. 1 AktG um eine komplexe Aufgabe handelt. Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben im Verhältnis zum Vorstand im Einzelfall nicht nur umfassende Überwachungspflichten wahrzunehmen, sondern ihnen kommen zur Erfüllung des gesetzlichen Überwachungsauftrags gegenüber dem Vorstand auch umfassende



C. Zusammenfassung der Ergebnisse125

rechtliche Einwirkungsbefugnisse zu. Besonders hervorzuheben ist, dass die Einlassung von Mitgliedern des Aufsichtsrats, von einem pflichtwidrigen Verhalten des Vorstands „nichts gewusst“ zu haben, aktienrechtlich unerheblich ist und regelmäßig nicht zu einer „Enthaftung“ des Aufsichtsrats führt. Vielmehr gehört es zu den ureigenen Aufgaben des Aufsichtsrats, sich als Überwachungsorgan die zur Überwachung erforderliche Information entweder im Wege der Regelberichterstattung oder – bei Informationsdefiziten – auch durch Befragung des Vorstands, leitender Angestellter auf Grundlage einer internen Regelung oder durch Anforderung von Zusatzberichten selbst zu verschaffen. Kommt es infolge eines vom Aufsichtsrat verschuldeten Informationsdefizits zu einer Verletzung der Überwachungspflicht, begründet dies eine zivilrechtlich relevante Pflichtverletzung gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG.

Teil 3

Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG Nachdem der inhaltliche Umfang des gesetzlichen Überwachungsauftrags des Aufsichtsrats, die Bedeutung von zivilrechtlichen Beurteilungs- und Ermessensspielräumen für seinen Kontrollauftrag sowie dessen konkrete Einwirkungsmöglichkeiten auf den Vorstand in der AG untersucht wurden, kann der Frage nachgegangen werden, welche zivilrechtlichen Pflichten die Mitglieder des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands treffen. Fraglich ist, ob sich für sie eine Pflicht zur Überwachung der durch den Vorstand eingerichteten Compliance-Struktur ableiten lässt und in welchem Verhältnis eine „Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats für Compliance“ zur Compliance-Verantwortung des Vorstands steht. Neben einer allgemeinen Einordnung des Begriffs Compliance ist als Vorfrage zu klären, ob und in welchem Umfang den Vorstand in der AG eine gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Implementierung eines Compliance-Programms trifft, woraus sich eine solche dogmatisch ableiten lassen könnte und welche konkreten Pflichten sich für den Vorstand gegebenenfalls ergeben. Erst sodann lassen sich Rückschlüsse auf die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands ziehen. Das aus einer Verletzung etwaiger Pflichten resultierende strafrechtliche Risiko wird sodann in Teil 5 untersucht.

A. Corporate Governance, Risikomanagement und Compliance in der AG Bevor die konkrete Compliance-Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats unter zivilrechtlichen und strafrechtlichen Parametern untersucht werden kann, ist vorab der Begriff „Compliance“ einzuordnen. Möchte man diesen transparent machen, erscheint es sinnvoll, ihn nicht isoliert, sondern als Teil der komplexen – von externen und internen Normen geprägten – Organisationsstruktur in der AG zu sehen. Hierzu bedarf es einer näheren Befassung mit den Begriffen „Corporate Governance“, „Risikomanagement“ und dessen Instrumenten, insbesondere des internen Überwachungs- und Frühwarnsystems, sowie des Controllings. Danach wird der Blick frei für eine Konturie-



A. Corporate Governance, Risikomanagement und Compliance127

rung des Begriffs „Corporate Compliance“. In einem letzten Schritt lässt sich aus diesem der für diese Arbeit interessierende Aspekt der „Criminal Compliance“ ableiten und in Beziehung zu der Tätigkeit des Aufsichtsrats setzen.

I. Begriff und Bedeutung der Corporate Governance in der AG Der Begriff Corporate Governance bedeutet wörtlich übersetzt „Betriebsorganisation“ und lässt sich als Gesamtheit der rechtlichen und faktischen Regeln zur Führung und Kontrolle von Großunternehmen beschreiben.1 Er umfasst die qualitativen Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensführung2 und wird auch als „Unternehmensverfassung“ bezeichnet.3 Aufgrund dieser Breite handelt es sich mit Blick auf die Haftungsbegründung um einen juristisch kaum fassbaren Begriff.4 Die Corporate Governance Grundsätze werden durch den Deutschen Corporate Governance Kodex näher beschrieben und über die Vorschrift des § 161 AktG im deutschen Aktienrecht erwähnt.5 Der Deutsche Corporate Governance Kodex enthält neben einer bloßen Wiedergabe von geltendem Gesetzesrecht auch Empfehlungen6 und Anregungen für die Leitung und Überwachung eines Unter1  Seibert, FS Hommelhoff 2012, 1111; Schmidt, GesR, § 26 II 3b, 767, der unter Corporate Governance die Summe der für eine verantwortliche, auf langfristige Wertschöpfung zielende Unternehmensführung, Unternehmenskontrolle und Transparenz geltenden Maximen versteht und den Schluss zieht, dass es sich um „vertrauensbildende Spielregeln“ handelt, ohne „echten Rechtsnormcharakter“ in Anspruch nehmen zu können. 2  Der Begriff des Corporate Governance findet seinen Ursprung in den angloamerikanischen Ländern und ist vor dem Hintergrund des sog. „Prinzipal-AgentKonflikts“ zu sehen. Letzterer besteht bei börsennotierten Kapitalgesellschaften darin, dass Aktionäre (Prinzipale) keine kapitalrelevanten Geschäftsführungsentscheidungen treffen, da diese durch einen angestellten Vorstand (Agent) getroffen werden. Dies begründet die Gefahr, dass der Agent (Vorstand), der in der Regel nicht unmittelbar am Kapital beteiligt ist, nicht hinreichend durch den Prinzipal (Aktionär) überwacht wird und der Agent deshalb beginnt, in seinem eigenen Interesse zu handeln. Dieser Konflikt legitimiert wiederum die Schaffung eines Ordnungsrahmens, vgl. hierzu Seibert, FS Hommelhoff 2012, 1111 f. Siehe auch Uhlenbruck, FS K. Schmidt 2009, 1603, 1606 f.; Bergmoser/Theusinger/Gushorst, BB-Special 2008 Heft 25, 1. 3  Siehe auch die weitergehenden Ausführungen bei Rotsch, FS Samson 2010, 142. 4  In diese Richtung auch Kort, FS K. Schmidt 2009, 945. 5  Zur haftungsrechtlichen Wirkung von Corporate Governance Grundsätzen in der Ausprägung des DCGK siehe Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, 275 ff. 6  Diesen kann die Gesellschaft gemäß § 161 Abs. 1 S. 1 AktG entweder durch Erklärung entsprechen oder nach Offenlegung der Gründe nicht entsprechen (sog. Negativerklärung).

128

Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

nehmens, sodass sich an dieser Stelle festhalten lässt, dass der Begriff der Corporate Governance den gesamten Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung des Unternehmens vorgibt7, während der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) nicht nur das für die AG geltende Gesetzesrecht wiederholt, sondern durch am Unternehmenswohl orientierte Empfehlungen und Anregungen auch zu einer Flexibilisierung und Selbstregulierung der Unternehmensverfassung beiträgt.8 Der Begriff der „Corporate Governance“ betrifft damit in rechtlicher Hinsicht alle von den Organen der Gesellschaft zu beachtenden Regelungen und umfasst zugleich die zur Einhaltung dieses Rechtsrahmens in organisatorischer Hinsicht notwendigen Instrumente.9

II. Risikomanagement in der AG im Rahmen der Corporate Governance Wesentlicher Aspekt einer in diesem Sinne verstandenen Corporate Governance Organisation ist die Schaffung eines Risikomanagements in der AG. Hierunter versteht man die Gesamtheit aller organisatorischen Regelungen und Maßnahmen zur Risikoerkennung und zum Umgang mit den Risiken unternehmerischer Betätigung.10 Instrumente des Risikomanagements sind neben einem internen Überwachungssystem das Controlling sowie ein Frühwarnsystem.11 Mit Blick auf diese Ausgangslage konkretisiert die Vorschrift des § 91 Abs. 2 AktG die allgemeine Sorgfaltspflicht des Vorstands aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG und verpflichtet ihn, geeignete Maßnahmen zu treffen und insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der AG gefährdende Entwicklungen frühzeitig erkannt werden können.12

7  Hauschka, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 1 Rn. 1; Rotsch, FS Samson 2010, 142. 8  Siehe die Präambel des Deutschen Corporate Governance Kodex. 9  Hauschka, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 1 Rn. 1; Rotsch, FS Samson 2010, 142. 10  Aus betriebswirtschaftlicher Sicht gehört hierzu auch die Risikoidentifikation, Risikoanalyse, Risikomessung, Risikobewertung, Risikobewältigung durch Versicherung, Diversifikation, Sicherungsgeschäfte und Strategieänderung sowie die nachträgliche Überprüfung der Risikobewältigung. Siehe Ballwieser, in: Hdb. Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 449 f. 11  Ballwieser, in: Hdb. Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 450. 12  Diese Vorschrift korrespondiert mit § 317 Abs. 4 HGB. Danach hat der Abschlussprüfer einer börsennotierten AG im Rahmen der Prüfung zu beurteilen, ob der Vorstand die ihm nach § 91 Abs. 2 AktG obliegenden Maßnahmen in einer geeigneten Weise getroffen hat und ob das danach einzurichtende Überwachungssystem seine Aufgaben erfüllen kann.



A. Corporate Governance, Risikomanagement und Compliance129

1. Implementierung eines internen Überwachungssystems Ein zentrales Instrument des Risikomanagements ist vor diesem gesetzlichen Hintergrund die Implementierung eines internen und an den spezifischen Bedürfnissen der AG ausgerichteten Überwachungssystems, das organisatorische Sicherungsmaßnahmen gegen Risiken13 enthält. In Betracht kommen interne Regelungen zur Vermeidung von Rechtsverstößen, Kontrollen sowie die Errichtung einer Revisionsabteilung, deren primäre Aufgabe in der Aufklärung von Schwachstellen im Unternehmen besteht, wozu insbesondere die Durchführung von internen Prüfungen mit oder ohne Anfangsverdacht gehört.14 Um eine bestmögliche Überwachung durch den Vorstand sicherzustellen, ist in der Praxis regelmäßig die Einführung einer Controlling­ abteilung veranlasst. Deren Aufgabe besteht in der Informationsversorgung der Geschäftsleitung, damit diese unternehmerische und risikobehaftete Entscheidungen treffen kann.15 2. Schaffung eines effektiven Frühwarnsystems durch den Vorstand Das vom Vorstand nach § 91 Abs. 2 AktG einzurichtende Überwachungssystem muss auch geeignet sein, den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh zu erkennen. Richtigerweise wird nach dem Wortlaut der Vorschrift, deren Entstehungsgeschichte und auch nach der Intention des Gesetzgebers – entgegen der betriebswirtschaftlichen Literatur16 – de lege lata nur die frühzeitige Erkennung von bestandsgefährdenden Risiken erfasst.17 13  Zu den unterschiedlichen Risikobegriffen Ballwieser, Hdb. Corporate Govern­ ance, S. 449. 14  Ballwieser, Hdb. Corporate Governance, 450 f.; Dreher, FS Hüffer 2010, 167 f., wonach die AG zur Einrichtung einer internen Revision verpflichtet ist und diese neben dem Risikocontrolling und der Compliance zentral für das interne Überwachungssystem ist. 15  Das Controlling ist vornehmlich betriebswirtschaftlich geprägt und hat zu leisten, dass ein bestimmter Prozess geplant, gesteuert und überwacht werden kann. Hierzu weitergehend Ballwieser, in: Hdb. Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 448, 451. 16  Aus § 91 Abs. 2 AktG leiten eine Pflicht zur Einführung eines umfassenden Risikomanagementsystems, das Maßnahmen der Risikovermeidung, Risikoverminderung, Risikoüberwälzung und Risikokompensation einschließt, ab Eggemann/Konradt, BB 2000, S. 503, 509; Lück, DB 1998, S. 8, 1925; Füser/Gleisner, DB 1999, 753; Pollanz, DB 1999, 393. 17  Zutreffend Kort, Großkomm AktG, § 91 Rn. 30; Dreher, FS Hüffer 2010, S. 161, 166; Pelz, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 6 Rn. 36; Fleischer, in:

130

Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Nach dem Wortlaut des § 91 Abs. 2 AktG müssen nur die den Fortbestand der Gesellschaft gefährdenden Entwicklungen früh erkannt werden. Die Regierungsbegründung zum Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich sieht bestandsgefährdende Entwicklungen nur in risikobehafteten Geschäften, Unrichtigkeiten der Rechnungslegung sowie Verstößen gegen gesetzliche Vorschriften, die sich auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft „wesentlich“18 auswirken. Auch der Regierungsbegründung zum Bilanzmodernisierungsgesetz, welche die mit § 91 Abs. 2 AktG korrespondierende Vorschrift des § 289 HGB um einen Absatz 5 ergänzte und damit für Kapitalgesellschaften die Pflicht zur Beschreibung von wesentlichen Merkmalen des internen Kontroll- und Risikomanagementsystems auch im Hinblick auf den Rechnungslegungsprozess begründet, lässt sich entnehmen, dass es den geschäftsführenden Organen überlassen bleiben soll, ein internes Kontrollsystem oder Risikomanagementsystem nach den vorhandenen Bedürfnissen unter Berücksichtigung der Unternehmensstrategie, des Geschäftsumfangs und anderer Wirtschaftlichkeits- und Effizienzgesichtspunkte einzurichten.19 Eine solche vom Gesetzgeber intendierte Flexibilität ist auch sachgerecht, da jede AG unterschiedlichen spezifischen Risiken ausgesetzt ist. Es wäre kontraproduktiv aus der nach dem Wortlaut explizit nur auf bestandsgefährdende Entwicklungen begrenzten Vorschrift des § 91 Abs. 2 AktG ein sämtliche Risiken erfassendes Pflichtenprogramm für den Vorstand abzuleiten. Dies würde einerseits zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Einschränkung der unternehmerischen Handlungsfreiheit des Vorstands führen und wäre andererseits in tatsächlicher Hinsicht kaum zu leisten.20 Ein vom Vorstand einzurichtendes Überwachungssystem muss entgegen der betriebswirtschaftich geprägten Auffassung nur in der Lage sein, bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig zu identifizieren. Spindler/Stilz, AktG, § 91 Rn. 32; ders., AG 2003, 291, 298. Zum Streitstand MüKoAktG/Spindler, § 91 Rn. 23. Auch die Rechtsprechung nimmt eine Verpflichtung des Vorstands nur für den Bestand der AG gefährdende Risiken an, vgl. OLG Celle WM 2008, 159 ff. Für eine an europarechtlichen Vorgaben orientierte Auslegung dagegen Spindler, FS Hüffer 2010, 985, 992. 18  Begr. RegE BT-Drucks. 13/9712, S. 15. Absatz 2 des § 91 AktG wurde durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 24.4.1998 eingefügt, vgl. Begr. RegE BT-Drucks. 13/9712, S. 4. 19  Begründung RegE BilMoG BT-Drucks. 16/10067, S. 76. Dort wird mit Blick auf die Vorschrift des § 289 Abs. 5 HGB explizit festgehalten, dass mit ihr „weder die Einrichtung noch die inhaltliche Ausgestaltung eines internen Kontrollsystems oder eines internen Risikomanagementsystems (…) verpflichtend vorgeschrieben werden soll“. Zur Intention des Gesetzgebers siehe auch Bihr/Kalinowsky, DStR 2008, 620. 20  Dies gilt erst recht für kleinere, nicht kapitalmarkorientierte, Aktiengesellschaften, vgl. zutreffend in diese Richtung auch Bihr/Kalinowsky, DStR 2008, 620, 621.



A. Corporate Governance, Risikomanagement und Compliance131

Hieran anknüpfend stellt sich die Frage, welche Funktion die „Corporate Compliance“21 in der AG einnimmt und in welchem Verhältnis diese zum Risikomanagement, respektive dem internen Überwachungssystem, steht und ob den Vorstand die Pflicht zur Einrichtung einer bestimmten, für alle Gesellschaften gleichermaßen geltenden Compliance-Organisation trifft.

III. Corporate Compliance als Instrument zur Sicherstellung der Normbefolgung Der Begriff Compliance ist weder im Aktienrecht noch im sonstigen deutschen Gesetzesrecht definiert.22 Es handelt sich auch um keinen klassisch juristischen Begriff. Das Wort „Compliance“ entstammt vielmehr – ebenso wie der Begriff „Corporate Governance“ – dem anglo-amerikanischen Rechtsraum und bedeutet in seiner wörtlichen Übersetzung so viel wie „Einhaltung, Erfüllung, Befolgung, Ordnungsmäßigkeit, Folgsamkeit“.23 Compliance umschreibt damit im Wortsinn nur ganz allgemein regelkonformes Verhalten.24 Im juristischen Schrifttum25 finden sich diverse Ansätze zur Präzisierung des weitreichenden Compliance-Begriffs. Dieser wird im juristischen Kontext26 – in Anlehnung an U. H. Schneider – überwiegend verstanden als „Gesamtheit aller Maßnahmen, um das rechtmäßige Verhalten aller Unternehmen, ihrer Organmitglieder, ihrer nahen Angehörigen und der Mit21  Diesen Begriff verwenden Kort, NZG 2008, 81; Fleischer, CCZ 2008, S. 1; Hauschka, AG 2004, 461; Reichert, ZIS 3/2011, 114. 22  Siehe Winter, FS Hüffer, 2010, S. 1104; Kremer/Klahold, ZGR 2010, S. 116. 23  In diese Richtung auch die Definition bei Hauschka, Corporate Compliance, Hdb. der Haftungsvermeidung im Unternehmen, § 1 Rn. 2 wonach Compliance die Einhaltung und Befolgung bestimmter Gebote ist; vgl. auch Hauschka, AG 2004, 462. 24  Zutreffend Rotsch, ZStW, 2013, 125, 481, 483, der Compliance als einen Relationsbegriff versteht und es in einem ersten Schritt für unerheblich erachtet, welche „Qualität“ die einzuhaltende Regel aufweist, solange nur die Einhaltung eines vereinbarten Verhaltens vom Konsens der Handelnden getragen wird. Insoweit sei unerheblich, ob es sich um formelle Gesetze, branchenspezifische Standards oder ethisch motivierte Absichtserklärungen handele. Anders Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 20, der unter dem Begriff „Hard Compliance“ moralisch, ethische und wirtschaftliche Aspekte gerade nicht dem Compliance zuordnet. 25  Aus der jüngeren juristischen Literatur siehe nur Bicker, AG 2014, 8 ff.; ders., AG 2012, 542 ff.; Kort, AG 2013, 582 ff.; ders., NZG 2008, 81 ff.; Karbaum, AG 2013, 863 ff.; Goette, ZHR 175, 2011, 388 ff.; Hemeling, ZHR 175, 2011, 368 ff.; Verse, ZHR 175, 2011, 401 ff.; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113 ff.; Bergmoser/Theusinger/Gushorst, BB-Special 2008, 1 ff.; Passarge, DStR 2010, 1675 ff.; Hauschka, Corporate Compliance, § 1 Rn. 2. 26  Der Begriff Compliance findet auch im Bereich der Medizin und Psychologie Anwendung und steht dort für „Therapietreue“ des Patienten, vgl. Rotsch, ZIS 10/2010, 614, Schneider/Gottschaldt, ZIS 2011, 573; Stober, NJW 2010, 1573.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

arbeiter im Blick auf alle gesetzlichen Gebote und Verbote zu gewährleisten“.27 Compliance verlangt somit in materieller Hinsicht von den Organen der AG und den dort beschäftigten Mitarbeitern mindestens die Einhaltung der für ihr Handeln verbindlich gesetzten Regeln.28 Als einzuhaltende Vorschriften kommen sowohl externe als auch interne Rechtsquellen in Betracht. Je nach Betätigungsfeld ergeben sich für die AG, deren Organe und Mitarbeiter die zu befolgenden Regelungen primär aus dem Gesetzesrecht. Neben Vorschriften des Aktienrechts können aber auch Normen des Umweltrechts, Kartellrechts, Steuerrechts, Sozialversicherungsrechts, Datenschutzrechts, Kapitalmarktrechts und Strafrechts Gegenstand von „Corporate Compliance“ sein.29 Dieses beschränkt sich auch nicht ausschließlich auf die Einhaltung von zwingendem Gesetzesrecht, sondern erfasst zugleich die Befolgung von betriebsinternen Regelungen der Satzung, Geschäftsordnung oder sonstigen – unterhalb des Gesetzesrechts stehenden – internen Regelwerken.30 In materieller Hinsicht beschreibt Corporate Compliance somit eine umfassende Legalitätspflicht.31 Neben dieser materiellen, weil auf Einhaltung aller für die AG und deren Organe relevanten Regeln bezogenen, Komponente weist der Begriff „Corporate Compliance“ zugleich eine in die Zukunft gerichtete präventive Dimension auf32, indem er organisatorische Maßnahmen verlangt, anhand derer die Leitungsorgane sicherzustellen haben, dass Verstöße gegen Gesetzesrecht und interne Regelungen in besonders compliancerelevanten Bereichen, wie dem Aktien-, Wertpapier-, Steuer-, Kartell- oder Strafrecht, durch Compliance-Programme verhindert werden.33 27  Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 646; vgl. auch Bock, ZIS 2009, 68; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173 f.; Reichert, ZIS 2011, 114; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 117 f. erstrecken die Definition auch auf die Einhaltung der geltenden rechtlichen unternehmens­ externen und unternehmensinternen Vorschriften und Regelwerke. 28  Siehe hierzu nur Goette, ZHR 175, 2011, 390; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 116. 29  Siehe die Aufzählung bei Minkoff, CCZ 2012, 50; U. H. Schneider, ZIP 2003, 646; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 116; Goette, ZHR, 2011, 390, Rotsch, FS Samson 2010, 141. 30  Goette, ZHR 175, 2011, 390; Stober, NJW 2010, 1573; Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 646, wonach auch Regelungen des „soft law“, „Corporate Governance Grundsätze“ sowie nationale und internationale „Rules of Conduct“ zu beachten sind. Zu internen Regelungsmöglichkeiten in der AG siehe unten Teil 3 B. IV. 1. Zur präventiven Wirkung interner Regelungen für den Aufsichtsrat siehe die Ausführungen in Teil 6 A. III. 31  Zutreffend Kort, FS Hopt, 2010, 983; Hüffer, FS Roth, 2011, 302; Bürkle, BB 2007, 1798. 32  Rotsch, ZStW 2013, 486; ders., ZIS 2010, S. 615 f.; ders., FS Samson 2010, 147. 33  Zu dieser vor allem im US-amerikanischen Recht verbreiteten Erweiterung des Corporate Compliance siehe Kremer/Klahold, ZGR 2010, S. 117; Kort, NZG 2008, 81; Reichert, ZIS 2011, 114; Hüffer, FS Roth, 2011, 302. Nach Pauthner-Seidel/Ste-



A. Corporate Governance, Risikomanagement und Compliance133

Compliance lässt sich in Übereinstimmung mit Klindt / Pelz / Theusinger daher als ein systematischer Ansatz bezeichnen, wonach „unternehmensinterne Prozesse und Vorgaben so aufzusetzen sind, dass die Einhaltung gültigen Rechts nicht mehr dem Zufall, dem individuellen Engagement oder dem partiellen Abteilungsinteresse zu verdanken, sondern Ausdruck einer die gesamten, internen und externen Begebenheiten berücksichtigenden Struktur“34 ist. Compliance geht damit über die rein materielle Maßgabe, Normen einzuhalten35 hinaus und fordert zugleich die Schaffung organisatorischer Regelungen und Verantwortlichkeiten36, die im Einklang mit dem Unternehmensinteresse gerade den Zweck verfolgen, von der AG Schäden, welche infolge gesetzes-, ordnungs- oder strafrechtswidrigen Verhaltens von Organmitgliedern und Mitarbeitern entstehen können, fernzuhalten.37 Eine solche Sichtweise legt auch der oben bereits angesprochene Deutsche Corporate Governance Kodex zugrunde und empfiehlt in Ziff. 4.1.3 für börsennotierte Aktiengesellschaften, dass der Vorstand für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hinzuwirken hat. Corporate Compliance umfasst daher neben der Legalitäts- auch eine Organisationspflicht38 und beschreibt ein Konzept zur Sicherstellung regelkonformen Verhaltens, das durch Instruktion, präventive Kontrolle und repressive Sanktionierung gekennzeichnet ist.39

phan, Hauschka, Corporate Compliance, § 27 Rn. 1, umfassen Compliance-Management-Systeme sämtliche unternehmensrelevante rechtliche, ethische und soziale Normen, welche sich aus internen oder externen Regelwerken ergeben und auch zwingenden oder freiwilligen Charakter haben können. Noch weitergehend die betriebswirtschaftliche Definition von Compliance bei Menzies, Sarbanes-Oxley und Corporate Compliance, 2006, S. 2. Siehe auch Kort, NZG 2008, 81, Fn. 3. 34  Klindt/Pelz/Theusinger, NJW 2010, 2385. 35  Dies wird von Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 646 auch als Binsenweisheit bezeichnet. 36  Diese lassen sich nach Funktionen und Bereichen untergliedern. Compliance kommt daher eine Schutz-, Beratungs-, Informations-, Überwachungs- und Marketingfunktion zu. Thematisch lässt sich Compliance in globale Regeln und Standards, Regeln und Standards zur Unternehmensführung, Regeln und Standards im Zusammenhang mit Börsen sowie in Bezug auf interne Kontroll- und Risikomanagementsysteme unterscheiden, vgl. Kort, NZG 2008, 81. 37  Winter, FS Hüffer, 2010, 1104, der von einer Deliktsverhinderungs- und Schadensabwehr- pflicht der Organmitglieder mit dem Ziel ausgeht, strafrechtliches Verhalten durch das Unternehmen und seine Mitarbeiter sowie Vermögensnachteile der Gesellschaft abzuwehren. 38  Kort, FS Hopt, 2010, 984; Winter, FS Hüffer, 2010, 1104; Bürkle, BB 2007, 1798. 39  In diese Richtung zutreffend Reichert, ZIS 2011, 114.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

IV. Verhältnis Corporate Governance, Corporate Compliance und Risikomanagement Bislang kann festgehalten werden, dass Coporate Compliance Bestandteil einer guten Corporate Governance Praxis40 ist und sowohl die Einhaltung des für die AG, deren Organe und Mitarbeiter geltenden gesetzlichen und untergesetzlichen Rechts als auch die Schaffung eines „ComplianceKonzepts“41, das organisatorische Maßnahmen zur Verhinderung von Fehlverhalten in der AG beinhaltet, umfasst. Interne Überwachung, Risikomanagement und Corporate Compliance lassen sich nicht isoliert betrachten42, sondern ergänzen sich. Das Erkennen und die Identifikation von (Compliance-)Risiken ist Voraussetzung für das Ergreifen und Umsetzen von Maßnahmen zur Vermeidung von regelwidrigem Verhalten. Insoweit beinhaltet Corporate Compliance neben der Pflicht zur Normeinhaltung als weiteres Element die Schaffung eines internen Ordnungssystems zur frühzeitigen Erkennung von für die AG relevanten Risiken. Corporate Compliance stellt daher zugleich ein spezifisches Instrument des internen Kontroll- und Risikomanagementsystems dar.43 Compliance lässt sich aber nicht nur auf diese Funktion reduzieren, sondern beinhaltet ferner eine repressive Komponente, die über die Ermittlung relevanter Risiken hinausreicht und von den zuständigen Organen auch die Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Fehlverhalten verlangt.44

40  Dieser Einordnung folgen auch Reichert, ZIS 2011, 114; U. H. Schneider, ZIP 2003, 646. 41  Dieses wird in der Literatur auch als „Compliance-Management-System“ bezeichnet, vgl. Schneider/Gottschaldt, ZIS 2011, 573. Zur Ausgestaltung eines solchen siehe Teil 3 B. IV. 42  Zutreffend Kort, NZG 2008, 81 f., der auf die enge Beziehung zwischen Compliance, Risikomanagement und Corporate Governance sowie den starken Einfluss betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse auf die gesellschaftsrechtliche Praxis hinweist. Ebenso Moosmayer, NJW 2012, 3016. Anders Dreher, FS Hüffer 2010, 176, der unter Hinweis auf die Wirksamkeit der jeweiligen Funktion für eine strenge Trennung plädiert; Weber-Rey, AG 2008, 345, 348. 43  Zutreffend Spindler, FS Hüffer, 2010, 997; ders., WM 2008, 905, 906 f.; Gebauer/Kleinert, Krieger/Schneider, Hdb. Managerhaftung, § 20, Rn. 86; Lösler, NZG 2005, 104 ff; ders., WM 2008, 1098, 1100; Früh, CCZ 2010, 122; wohl auch Rotsch, FS Samsung 2010, S. 142, 144, 147. Siehe auch das Positionspapier des Bundesverbands Deutscher Compliance Officer (BDCO), wonach in Ziff. 7 die Risikosteuerungsfunktion von Compliance betont wird. Hierzu Sünner, CCZ 2014, 92. In diese Richtung auch Liese, BB-Special 2008, Heft 25, 18, der auf die identische Zielrichtung von Compliance-Verfahren einerseits und Risikofrüherkennung andererseits hinweist; a. A. Weber-Rey, AG 2008, 345, 348; Dreher, FS Hüffer 2010, 176. 44  Insoweit zutreffend Dreher, FS Hüffer, 2010, 171; Kort, FS Roth 2011, 412.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand135

B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand der AG Vor diesem Hintergrund ist nun zu untersuchen, ob den Vorstand einer AG eine gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Implementierung eines inhaltlich detaillierten Corporate Compliance-Programms trifft, welches Teil des allgemeinen Risiko- und Überwachungssystems der AG ist und sich dadurch auszeichnet, dass neben der Pflicht zur Normbefolgung zugleich organisatorische Maßnahmen zur Sicherstellung der Regelbefolgung geschaffen werden. Sodann ist zu klären, welche organisatorischen Pflichten hieraus für das Leitungsorgan erwachsen. Im Anschluss daran wird die für den Aufsichtsrat zentrale Folgefrage relevant, welche Rückwirkung eine etwaige Vorstandspflicht auf dessen Überwachungs- und Kontrolltätigkeit haben kann und ob nach geltendem Recht auch eine gesellschaftsrechtliche Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats für Corporate Compliance in der AG existiert. In Teil 5 ist schließlich zu untersuchen, ob und unter welchen weiteren Voraussetzungen einer etwaigen zivilrechtlichen Compliance-Pflicht des Aufsichtsrats zugleich strafrechtliche Relevanz zukommt.

I. Gegenwärtiger Diskussionsstand in der Rechtswissenschaft Die Frage, ob den Vorstand eine Pflicht dahingehend trifft, ein umfassendes Compliance-Programm innerhalb der AG zu implementieren, das auch geeignet ist, durch organisatorische Regelungen auf gesetzlicher und untergesetzlicher Ebene Normverstöße zu vermeiden, Fehlverhalten frühzeitig aufzudecken und durch angemessene Reaktion zu sanktionieren, ist in der gesellschaftsrechtlichen Literatur umstritten. Die wohl überwiegende Meinung verneint eine Pflicht des Vorstands zur Schaffung von detaillierten organisatorischen Regelungen mit dem Argument, dass im deutschen Aktienrecht eine explizite Pflicht zur Einführung eines bestimmten ausdifferenzierten Compliance-Systems nicht existiere und es den Unternehmen überlassen sein müsse, wie sie die ihnen obliegende Pflicht zur Rechtstreue umsetzen.45 Demgegenüber wird eine grundsätzliche Vorstandspflicht zur Schaffung eines Compliance-Systems in der AG von einem beachtlichen Teil des 45  Kort, FS Hopt, 2010, 994; ders., NZG 2008, 84; ders., FS Roth, 2011, 408 f.; ders., Großkomm AktG, 4. Aufl., § 91 Rn. 65; Hauschka, ZIP 2004, 877, 878; Bürkle, BB 2005, 565, 568; ders., BB 2007, 1798; Fleischer, AG 2003, 291, 299 f.; ders., BB 2008, 1070, 1072; Preußner, NZG 2004, 58; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 120 f.; Paef­gen, WM 2016, 433, 437.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Schrifttums bejaht.46 Es divergieren jedoch die dogmatischen Begründungsansätze sowie die inhaltliche Reichweite einer etwaigen Pflicht. Während ein Teil der Literatur, insbesondere U. H. Schneider, eine allgemeine und umfassende Rechtspflicht des Vorstands zur Einführung von Compliance-Programmen für alle Aktiengesellschaften im Wege einer sektorspezifische Regelungen47 mit einbeziehender Gesamtanalogie bejaht und einen Katalog mit Mindestanforderungen an eine „ordnungsgemäße Compliance-Organisation“ aufstellt48, leitet ein anderer Teil eine Compliancepflicht ausschließlich aus der Leitungsfunktion des Vorstands nach § 76 Abs. 1 AktG und der mit ihr einhergehenden allgemeinen Sorgfaltspflicht gemäß § 93 Abs. 1 AktG ab.49 Vereinzelt wird eine Compliancepflicht des Vorstands direkt aus § 91 Abs. 2 AktG abgeleitet.50 Schließlich wird zur Begründung von Compliance-Systemen in der zivilrechtlichen Diskussion auch auf die Vorschriften des Ordnungswidrigkeitenrechts zurückgegriffen.51 In inhaltlicher Hinsicht reicht das Spektrum von einer weitgehenden Freiheit des Vorstands bei der Ausgestaltung von Compliance-Systemen52 über die Forderung, konkrete organisatorische Anforderungen ausgehend vom jeweiligen Gefahrenpotential der 46  Habersack, AG 2014, 1, 4; Reichert, FS Hoffmann-Becking, 2013, 945  f.; Schneider, ZIP 2003, 645, 649; ders., NZG 2009, 1321, 1323; Hüffer/U. H. Schneider, ZIP 2010, 55; Liese, BB-Special 2008, Heft 25, 18; Dreher, FS Hüffer, 2010, 171. 47  Siehe U. H. Schneider, ZIP 2003, 648 f. Den Gedanken einer Gesamtanalogie auch aufgreifend Lösler, WM 2007, 676, 681; Preußner, NZG 2004, 57, 60, ders., NZG 2004, 303, 305, Preußner/Zimmermann, AG 2002, 657, 659; VG Frankfurt a. M., WM 2004, 2157, 2160. 48  U. H. Schneider, ZIP 2003, 645, 649; Kort, NZG 2008, 83, der auf eine Ausstrahlungswirkung von sektorspezifischen Normen für die Auslegung aktienrechtlicher Vorschriften zwar hinweist, eine hieraus abgeleitete allgemeine Pflicht aber zu Recht ablehnt. 49  Habersack, AG 2014, 1, 4; Goette, ZHR, 2011, 392; Fleischer, BB 2008, 1072; Verse, ZHR 2011, 404; Passarge, DStR, 2010, 1667; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 120, die aus § 93 Abs. 1 AktG nur eine Pflicht zur Prüfung der Erforderlichkeit eines Compliance-Systems ableiten. 50  So etwa Spindler, WM 2008, 905, 906 f.; Dreher, FS Hüffer, 2010, 171, 176; Berg, AG 2007, 271, 274 ff; Schwintowski, NZG 2005, 200, 201 f. 51  Moosmayer, NJW 2012, 3014; Liese, BB-Special 2008, Heft 25, 18. In Bezug auf Criminal Compliance: Bock, wistra 2011, 205; ders., ZIS 2009, 68. Auf das komplexe Wechselspiel zwischen Zivil- und Strafrecht weist auch zutreffend Spindler, AG 2013, 903 hin. 52  Goette, ZHR 2011, 400, der bezüglich des „Ob“ von Compliance auf das Legalitätsprinzip und hinsichtlich des „Wie“ auf das unternehmerische Ermessen nach Maßgabe der Business Judgement Rule abstellt. In diese Richtung auch Schaefer/ Baumann, NJW 2011, 3601; Verse, ZHR 175 2011, 407; Dreher, FS Hüffer, 2010, 174; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2174; neuerdings U. H. Schneider, NZG 2009, 1321, 1325; Hüffer/U. H. Schneider, ZIP 2010, 55; Winter, FS Hüffer 2010, 1105; Fleischer, CCZ 2008, 1, 2; Pietzke, CCZ 2010, 45, 50.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand137

AG zu bestimmen53, bis hin zur Formulierung von organisatorischen Mindestanforderungen im Sinne einer „best practice“-Maßgabe.54

II. Gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Einführung eines Compliance-Systems in der AG Im Folgenden ist aufzuzeigen, dass den Vorstand einer AG aktienrechtlich nicht nur die Pflicht trifft, sich selbst (straf-)rechtskonform zu verhalten, sondern er zudem zur Schaffung eines Compliance-Systems verpflichtet ist, das aufgrund geeigneter organisatorischer Maßnahmen wenigstens dazu geeignet ist, die Beachtung des für die AG, ihrer Organmitglieder und Mitarbeiter geltenden Rechts sicherzustellen.55 Das von ihm einzurichtende Compliance-System muss dabei mindestens in der Lage sein, die aus der Verletzung von gesetzlichen und untergesetzlichen Normen resultierenden Risiken zu erkennen und ein geeignetes Verfahren zur Vermeidung, Aufklärung und Sanktionierung von Fehlverhalten beinhalten. Eine in diesem Sinne verstandene Compliance-Pflicht folgt für den Vorstand einer AG aktienrechtlich unmittelbar aus dessen Leitungsaufgabe und der bei Ausübung dieser Aufgabe zu beachtenden Sorgfaltspflicht nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG56. Integraler Bestandteil eines solchen Compliance-Systems ist insbesondere auch die sogenannte „Criminal Compliance“.57 1. Begründung im Wege einer Gesamtanalogie? Die Verpflichtung zur Einrichtung einer mit Mindestanforderungen versehenen Compliance-Organisation besteht zunächst nach Ansicht von U. H. Schneider nicht nur für den Sektor der Kreditinstitute und Wertpapier53  Für eine Pflicht zur Einrichtung einer „vertretbaren Form“ von Compliance Kort, FS Roth, 2011, 409, 411; ders., FS Hopt, 2010, 995, 1002; Fleischer, CCZ 2008, 1, 2. 54  Schneider, ZIP 2003, 649; Reichert, ZIS 2011, 116; Bergmoser/Theusinger/ Gushorst, BB-Special, 2008 Heft 25, 8 f.; Liese, BB-Special 2008 Heft 25, 21; Itzen, BB-Special 2008, Heft 25, 12; Passarge, DStR, 2010, 1667 f.; Hauschka, AG 2004, 461 f.; ders., AnwBl 2010, 629. 55  Für eine solche Organisation auch Kort, FS Hopt, 2010, 983 f. 56  Habersack, AG 2014, 1, 4; Kort, FS Hopt 2010, 983; Verse, ZHR 2011, 404; Goette, ZHR 175, 2011, 392; Fleischer, BB 2008, 1070, 1072; Passarge, DStR, 2010, 1667. 57  Dreher, FS Hüffer 2010, 174; Moosmayer, NJW 2012, 3013, der die Vermeidung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten als den „harten Kern“ der Compliance bezeichnet. Zum existenzbedrohenden Risiko von Kartellrechtsverstößen siehe Hauschka, BB 2004, 1178.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

dienstleistungsunternehmen58, sondern für alle Unternehmen.59 Eine detaillierte Organisationspflicht ergebe sich aus dem Gesellschaftsrecht, mittelbar aus § 130 OWiG und aus Spezialnormen, wie § 25 a KWG, § 33 WpHG, §52 b Abs. 2 BImSchG, § 53 KrW- / AbfG, Art. 11 der EG-Richtlinie zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zweck der Geldwäsche und § 14 Abs. 2 GwG.60 Der hinter diesen Einzelvorschriften stehende Rechtsgedanke ließe sich nach Auffassung Schneiders trotz des Fehlens einer sektorunabhängigen Regelung zur Einrichtung einer Compliance-Organisation verallgemeinern, sodass aus diesen Normen im Wege einer Analogie die Pflicht zur Einrichtung einer bestimmten Compliance-Organisation hergeleitet werden könne.61 a) Compliance-Pflichten nach dem Kreditwesengesetz Die Vorschrift des § 25a KWG ordnet für Geschäftsleiter eines Kreditinstituts an, dass diese für die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation des Instituts verantwortlich sind und hierbei die erforderlichen Maßnahmen für die Ausarbeitung der institutsinternen Vorgaben zu ergreifen haben. Nach § 25a Abs. 1 KWG setzt dies insbesondere ein angemessenes und wirksames Risikomanagement voraus. Gemäß § 25a Abs. 1 Nr. 3 KWG umfasst dieses die Einrichtung interner Kontrollverfahren mit einem internen Kontrollsystem und einer internen Revision. Das interne Kontrollsystem hat dabei nach § 25a Abs. 1 Nr. 3 KWG neben aufbau- und ablauforganisatorischen Regelungen mit klarer Abgrenzung der Verantwortungsbereiche (lit. a), Prozesse zur Identifizierung, Beurteilung, Steuerung sowie Überwachung und Kommunikation der Risiken (lit. b) auch eine Risikocontrolling-Funktion und eine „Compliance-Funktion“ (lit. c) zu umfassen. § 25c Abs. 4a Nr. 3 lit. a–g KWG konkretisiert für die Geschäftsleiter des Kreditinstituts die Anforderungen an die interne Ausgestaltung des Kontrollverfahrens und verlangt die klare Abgrenzbarkeit von Verantwortungsbereichen sowie eine grundsätzliche Trennung der Bereiche Markt und Marktfolge. 58  Für diese ergibt sich die Pflicht zur Einrichtung von compliancetauglichen Organisationsstrukturen unmittelbar aus §§ 25a, 25c KWG und § 33 WpHG. 59  Schneider, ZIP 2003, 648; wohl auch Preußner, NZG 2004, 57, 61; ders., NZG 2004, 303, 305; Eisele/Faust, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-HdB, 2011, § 109 Rn. 95. 60  Über die Aufzählung bei U. H. Schneider hinaus ließen sich die für den Versicherungssektor geltenden Vorschriften der §§ 64a, 80d VAG sowie die jüngst in das KWG eingefügte Strafvorschrift des § 54a KWG und § 12 WpDVerVO, § 9 Abs. 2 GWG, § 22 ZAG nennen. 61  So die Auffassung von Schneider, ZIP 2003, 649.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand139

Neben der Durchführung angemessener Stresstests hat das interne Kontrollsystem auch eine Compliance-Funktion zu umfassen. In angemessenen Abständen ist schließlich sowohl gegenüber der Geschäftsleitung als auch dem Verwaltungs- und Aufsichtsorgan zu berichten. b) Compliance-Pflichten nach dem Wertpapierhandelsgesetz Hieran anknüpfend regelt § 33 Abs. 1 S. 1 WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, dass die organisatorischen Pflichten nach § 25a Abs. 1, 2 und § 25e KWG einzuhalten sind. Nach § 33 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 WpHG ist es verpflichtet, insbesondere eine dauerhafte und wirksame ComplianceFunktion einzurichten, die ihre Aufgabe unabhängig wahrnehmen kann. § 33 Abs. 1 S. 2 Nr. 2–5 WpHG begründet noch weitergehende Organisa­ tionspflichten, wie die Pflicht zur Sicherstellung, dass die Geschäftsleitung und das Aufsichtsorgan in angemessenen Zeitabständen, zumindest einmal jährlich, Berichte der mit der Compliance-Funktion betrauten Mitarbeiter über die Angemessenheit und Wirksamkeit der Grundsätze, Mittel und Verfahren erhalten (Nr. 5). Die Vorschrift des § 12 WpDVerOV62 konkretisiert die in § 33 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und S. 3 WpHG niedergelegten Grundsätze dahingehend, dass die einzurichtenden Verfahren darauf gerichtet sein müssen, die Gefahr einer Verletzung des Wertpapierhandelsgesetzes und der in Verordnungen geregelten Verpflichtungen durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder seiner Mitarbeiter sowie die mit einer solchen Verletzung verbundenen Risiken aufzudecken. Die nach § 33 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 i. V. m. S. 3 WpHG einzurichtende Compliance-Funktion muss gemäß § 12 Abs. 3 WpDVerOV die Angemessenheit und Wirksamkeit der Grundsätze und Vorkehrungen sowie die zur Behebung von Defiziten getroffenen Maßnahmen überwachen und regelmäßig bewerten (Nr. 1) und die Mitarbeiter im Hinblick auf die Einhaltung der Bestimmungen unterstützen. Das Wertpapierhandelsunternehmen hat nach § 12 Abs. 4 WpDVerOV einen ComplianceBeauftragten zu benennen, der für die Compliance-Funktion sowie für die Berichte an die Geschäftsführung und an das Aufsichtsorgan nach § 33 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 WpHG verantwortlich ist. Er muss gemäß § 12 Abs. 3 S. 2 WpDVerOV berechtigt sein, geeignete und erforderliche vorläufige Maßnahmen zu treffen, um die konkrete Gefahr der Beeinträchtigung von Kundeninteressen bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen abzuwenden. 62  Wie die Compliance-Funktion auszugestalten ist, wird auch durch Rundschreiben der BaFin, insbesondere durch die MaRisk (Rundschreiben 15/2009 v. 14.8.2009) und die MaComp (Rundschreiben 4/2010 vom 14.6.2011) weiter konkretisiert. Zur kapitalmarktrechtlichen Compliance siehe Spindler, WM 2008, 907 f.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

c) Sonstige spezialgesetzliche Vorschriften mit Compliance-Bezug Neben diesen besonderen kapitalmarktrechtlichen Organisationspflichten finden sich auch im öffentlichen Recht gesteigerte Pflichten. Nach § 52b Abs. 2 BImSchG63 hat der Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage der zuständigen Behörde etwa mitzuteilen, auf welche Weise sichergestellt ist, dass die dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen und vor sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen dienenden Vorschriften und Anordnungen beim Betrieb beachtet werden. Für Sammler, Beförderer, Händler und Makler von Abfällen enthalten die § 47 ff. KrWG, insbesondere § 53 Abs. 2 KrWG, fachliche, personelle und organisatorische Anforderungen. Schließlich begründen Art. 11 der EGRichtlinie zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zweck der Geldwäsche64 sowie § 9 Abs. 1 und 2 GwG für Versicherungsunternehmen, Finanzdienstleistungsunternehmen und Kreditinstitute gesteigerte Pflichten zur Durchführung von Vorkehrungen gegen den Missbrauch zur Geldwäsche. d) Ergebnis und Stellungnahme zum Ansatz von U. H. Schneider Eine für alle Unternehmen Geltung beanspruchende Pflicht zur Einrichtung einer bestimmten Compliance-Organisation lässt sich – entgegen der Ansicht von U. H. Schneider – nicht im Wege einer Gesamtanalogie unter Berücksichtigung der eben dargestellten sektorspezifischen Spezialregelungen begründen.65 Diese Vorschriften sind entweder auf kapitalmarktorientierte Aktiengesellschaften im regulierten Finanzsektor66 zugeschnitten oder begründen in gefahrgeneigten Wirtschaftszweigen gesteigerte öffentlichrechtliche Pflichten.67 63  Bis zum 01.05.2013 galt die inhaltsgleiche Vorgängerregelung des § 52a Abs. 2 BImSchG. 64  Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.12.2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, AblEG 2001 L 344 v. 27.12.2001, S.  76 ff. 65  In diese Richtung auch zutreffend Fleischer, NZG 2014, 322; Kort, FS Hopt 2010, 995; ders., NZG 2008, 82; Kremer/Klahold, ZGR 1/2010, 119; Winter, FS Hüffer, 2010, 1105. 66  Siehe für den Kreditwesensektor §§ 25a, 25c KWG; für den Versicherungssektor §§ 64a, 80d VAG sowie für Wertpapierdienstleistungsunternehmen §§ 33 WpHG, 12 WpDVerOV. 67  Für Unternehmen, deren Betätigungsfeld vom Anwendungsbereich des ­BImSchG erfasst wird siehe § 52b BImSchG und im Bereich der Abfallwirtschaft § 53 Abs. 2 KrWG.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand141

Die Vorschriften weisen, wie Bürkle zutreffend feststellt, ersichtlich einen „fragmentarischen“68 branchen- beziehungsweise gefahrspezifischen Charakter auf und sind vor dem Hintergrund branchenabhängiger Risikostrukturen zu sehen. Sie lassen sich aufgrund des speziellen Zuschnitts nicht in das allgemeine Gesellschaftsrecht übertragen.69 Stattdessen begründen sie ausschließlich für Leitungsorgane von sektorspezifisch tätigen Unternehmen im Anwendungsbereich des BImSchG und des KrWG entweder zur Gefahrenabwehr gesteigerte öffentlich-rechtliche Pflichten oder aber zum Schutz des Vertrauens in den Kapitalmarkt70 nach den Vorschriften des KWG, VAG und des WpHG für Banken, Versicherungen oder Wertpapierdienstleistungsunternehmen weitergehende, den Besonderheiten des regulierten Finanzsektors Rechnung tragende, strenge kapitalmarktrechtliche Organisationspflichten. Sie finden ihre Rechtfertigung schließlich darin, dass das Vertrauen in einen funktionierenden und integren Finanzmarkt eine systemrelevante Rolle im Wirtschaftssystem einnimmt. Eine für Vorstände von sämtlichen Aktiengesellschaften verallgemeinerungsfähige Rechtspflicht zur Einführung eines bestimmten, an den strengen sektorspezifischen Vorgaben angelehnten, Compliance-Systems enthalten die sektorspezifischen Vorschriften nicht.71 Eine Übertragung spezialgesetzlich geregelter Pflichten auf sämtliche Aktiengesellschaften ist mit Blick auf die Vielzahl unternehmerischer Betätigungsformen im Ergebnis auch zu weitgehend. Die für Versicherungen, Banken und Wertpapierdienstleistungsunternehmen spezialgesetzlich normierten Organisationspflichten zeigen vielmehr, dass der Gesetzgeber im Vergleich zum allgemeinen für alle Aktiengesellschaften Anwendung findenden Aktienrecht ein differenziertes System schaffen und dem Vorstand einer nicht in diesen Spezialbereichen tätigen AG keine detaillierten, in dessen unternehmerisches Ermessen eingreifende Vorgaben hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung einer Compliance-Funktion machen wollte.72 Die Begründung einer detaillierten Compliancepflicht unter Rückgriff auf sektorspezifi68  Bürkle,

BB 2005, 565, 567. ZIP 2003, 649; demgegenüber Kort, in: Großkomm AktG, 4. Aufl.,

69  Schneider,

§ 91 Rn. 61. 70  Bottmann, in: Park, KapitalmarktstrafR, 3. Aufl., Kap. 2, Rn. 2; Spindler, WM 2008, 909. 71  Zutreffend Kort, FS Hopt, 2010, 995; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 119; Verse, ZHR 175, 2011, 403; Hüffer, FS Roth, 2011, 304. Eine solche stünde auch im Widerspruch zu der über Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten unternehmerischen Handlungsfreiheit. Siehe nur Kort, FS Hopt, 2010, 985; Spindler, WM 2008, 905, 909. 72  Den sektorspezifischen Organisationspflichten kann daher bei der Frage, ob den Vorstand einer AG eine Compliance-Pflicht trifft, nur bei Auslegung der aktien-

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

sche Regelungen hat daher letztlich wegen des Fehlens einer Regelungslücke auszuscheiden. 2. Pflicht des Vorstands zur Compliance aus §§ 130, 9, 30 OWiG Entgegen der Ansicht von Moosmayer folgt eine „umfassende Pflicht“ zur Einrichtung eines Compliance-Systems weder mittelbar73 noch unmittelbar74 aus den sektorübergreifenden Normen des Ordnungswidrigkeitenrechts. Die im Außenverhältnis wirkenden Vorschriften der §§ 130, 9, 30 OWiG adressieren zwar sämtliche Betriebs- und Unternehmensinhaber und damit auch Vorstände von Aktiengesellschaften, sie erfassen inhaltlich aber nur den spezifischen Teilaspekt der straf- beziehungsweise ordnungswidrigkeitsrechtlichen Aufsichtspflicht. Sie können daher nur für den Bereich der Criminal Compliance die inhaltliche Grundlage75 bilden und nur insoweit als normativer Anknüpfungspunkt zur Begründung von Compliance-Pflichten herangezogen werden. Demgegenüber reichen zivilrechtliche Aufsichts- und Kontrollpflichten über dasjenige, was durch § 130 OWiG gefordert wird, hinaus, da diese im Unterschied zu § 130 OWiG nicht nur auf die Aufsicht zur Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begrenzt, sondern insbesondere auch auf Prävention von Nachteilen und Schäden für das Unternehmen beziehungsweise Dritte bezogen sind.76 3. Pflicht des Vorstands zur Compliance aus § 91 Abs. 2 AktG Teilweise wird in der gesellschaftsrechtlichen Literatur die Pflicht des Vorstands zur Einrichtung eines mit bestimmten organisatorischen Regelungen versehenen Compliance-Systems unter Verweis auf § 91 Abs. 2 AktG angenommen.77 Der Vorstand ist danach verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu rechtlichen Vorschriften eine gewisse „Ausstrahlungswirkung“ zukommen, vgl. hierzu Kort, NZG 2008, S. 82. 73  Für eine mittelbare Wirkung insbesondere Schneider, ZIP 2003, 649. Siehe Teil 3 B. II. 1. 74  So aber jüngst Moosmayer, NJW 2012, 3013. 75  In diese Richtung zutreffend auch Pelz, in: Hauschka, Corporate Compliance, 2007, § 6 Rn. 33; Greeve, Strafrechtliche Beratung und Compliance, in Strafverteidigung im Rechtsstaat, DAV 25 Jahre, S. 513; Bock, ZIS 2009, 70 ff.; ders., wistra 2011, 205; auch Kort, NZG 2008, 82, ders., FS Hopt, 2010, 995. Siehe hierzu sogleich ausführlich unten Teil 3 B. III. 76  Pelz, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 6 Rn. 33. 77  Spindler, WM 2008, 906 f.; ders., FS Hüffer, 2010, 992; Dreher, FS Hüffer, 2010, 161, 168 ff.; 171; Berg, AG 2007, 271, 274 f.; Schwintowski, NZG 2005, 200, 201 f.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand143

treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.78 Hieraus folgert Dreher unter Bezugnahme auf die Begründung zum Regierungsentwurf des KontTraG, der Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften potentiell als bestandsgefährdende Entwicklungen im Sinne des § 91 Abs. 2 AktG einordnet79, sowie mit Verweis auf das Gemeinschaftsrecht, dass Compliance teilweise Element des von § 91 Abs. 2 AktG geforderten Risikofrüherkennungssystems sei und sich die Pflicht zur Einrichtung eines Compliance-Systems für alle Aktiengesellschaften in § 91 Abs. 2 AktG verorten ließe.80 Diesem Ansatz folgend fordert Spindler, ebenfalls mit Hinweis auf gemeinschaftsrechtliche Vorgaben81, ein „umfassendes internes Kontrollsystem“, das sich nicht nur auf „bestandsgefährdende Risiken“ beschränken dürfe, sondern eine „umfassende Prüfung“ der Risiken ermöglichen müsse.82 Der Argumentation von Dreher und Spindler kann vorliegend nicht gefolgt werden. Dass sich interne Überwachung, Risikomanagement und Corporate Compliance nicht isoliert betrachten lassen, sondern ergänzen, wurde im Rahmen dieser Arbeit bereits festgestellt.83 Insbesondere das Erkennen und die Identifikation von Compliance-Risiken ist logische Voraussetzung für das Ergreifen und Umsetzen von Maßnahmen zur Vermeidung von regelwidrigem Verhalten. Insoweit beinhaltet Corporate Compliance neben der Pflicht zur Normeinhaltung als weiteres Element auch die Schaffung eines internen Ordnungssystems zur frühzeitigen Erkennung von bestandsgefährdenden Risiken. Nur dieser Teilaspekt wird von § 91 Abs. 2 AktG in Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG speziell geregelt. Corporate Compliance stellt somit in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Dreher auch ein spezifisches Instrument des internen Kontroll- und Risikoma78  Insoweit weist § 91 Abs. 2 AktG eine Parallele zu § 130 OWiG auf, da beide Tatbestände die Vornahme von organisatorischen Maßnahmen fordern, vgl. Wirtz, WuW 2001, 354. 79  Vgl. BT-Drucks. 13/9712, S. 15. Siehe hierzu bereits oben Teil  2 B. I. 2. l) u. Teil 3 A. II. 80  Die Zuordnung der Compliance zu § 91 Abs. 2 AktG ergäbe sich unter gemeinschaftsrechtlichen Aspekten daraus, dass verschiedene gesetzliche oder untergesetz­ liche Regelwerke, wie etwa Art. 45 des Vorschlags für eine Rahmenrichtlinie Solvency II, die Compliance ausdrücklich dem internen Kontrollsystem zuordnen, vgl. Dreher, FS Hüffer, 2010, 169, 171. 81  Zur Begründung wird auf die Änderungen der Richtlinien 2006/43EG (PrüferRL) und 2006/46/EG (Änderungs-RL) Bezug genommen. Siehe vor allem Spindler, WM 2008, 906 f. 82  Spindler, WM 2008, 906 f.; ders., FS Hüffer, 2010, 992. 83  Siehe hierzu bereits oben Teil 3 A. IV.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

nagementsystems dar.84 Compliance lässt sich aber nicht nur auf diese Funktion reduzieren, sondern beinhaltet im Hinblick auf die Bereiche Instruktion und Repression einen eigenständigen organisatorischen Charakter, der über die risikobezogenen und bestandsgefährdenden Elemente hinausreicht.85 Dieser in organisatorischer Hinsicht überschießende Teil lässt sich nicht ausschließlich auf § 91 Abs. 2 AktG stützen, da die Vorschrift  – wie Verse zutreffend feststellt – auch im Kontext neuerer europäischer Entwicklungen letztlich nur einen Teilausschnitt der Legalitätskontrolle erfasst.86 § 91 Abs. 2 AktG beschränkt sich ausweislich des eindeutigen Wortlauts nur auf die Früherkennung von den Fortbestand der Gesellschaft gefährdenden Entwicklungen. Die von Spindler geforderte „umfassende Prüfung“ sämtlicher Risiken87 steht damit bereits im Widerspruch zum Wortlaut des § 91 Abs. 2 AktG, der die Einführung umfassender Risikomanagementsysteme gerade nicht verlangt.88 Die Vorschrift zielt lediglich auf die Identifizierung von bestandsgefährdenden Risiken ab und will in erster Linie vor dem Eintritt von Insolvenz­ risiken schützen.89 Diese können im Einzelfall zwar durch Gesetzes- und Normverletzungen herbeigeführt werden. Zwingend ist dieser Schluss jedoch nicht. Aus der in der Begründung zum Regierungsentwurf des KontTraG genannten potentiellen Gefahr einer Bestandsgefährdung infolge von Ge­ setzes- und Normverletzungen kann nicht gefolgert werden, dass eine solche im konkreten Fall auch tatsächlich stets eintritt. Gegen eine Einzelanalogie zu § 91 Abs. 2 AktG spricht vielmehr bereits, dass infolge von Gesetzes- und Normverletzungen zu leistende Zahlungen durch Gewinnabschöpfungen und Bußgelder bei Berücksichtigung aller zivil-, öffentlich- und strafrechtlichen Sanktionen häufig nicht das Tatbestandsmerkmal einer bestandsgefährdenden Entwicklung erfüllen werden.90 84  Zutreffend insoweit Spindler, FS Hüffer, 2010, 997; ders., WM 2008, 905, 906 f.; auch Gebauer/Kleinert, in: Krieger/Schneider, Hdb. Managerhaftung, § 20, Rn. 86; Lösler, NZG 2005, 104 ff.; ders., WM 2008, 1098, 1100; Früh, CCZ 2010, 122. Siehe auch Teil 3 A. III. 85  Zutreffend Verse, ZHR 175, 2011, 403  f. In diese Richtung auch Fleischer, CCZ 2008, 2; dies erkennt auch Dreher, FS Hüffer, 2010, 171, indem er feststellt, dass Compliance „nicht nur Teil des Risikomanagements ist, sondern auch eine selbständige Aufgabe“ beinhaltet. 86  Verse, ZHR 175, 2011, 403 f. In dieselbe Richtung zutreffend Hüffer, FS Roth, 2011, 304; Bunting, ZIP 2012, 1543. Siehe auch Kort, NZG 2008, 82. 87  So aber Spindler, WM 2008, 905, 907. 88  Für eine am Wortlaut orientierte Auslegung des § 91 Abs. 2 AktG Kremer/Klahold, ZGR 2010, S. 120. Siehe hierzu auch oben Teil 3 A. II. 2. 89  Kremer/Klahold, ZGR 2010, S. 120. Ebenso oben Teil 3 A. II. 2. 90  Zutreffend Fleischer, NZG 2014, 322. Dies zeigt exemplarisch das im Zuge des Siemens-Schmiergeldskandals gegen die Siemens AG verhängte Bußgeld. Gegen



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand145

Letztlich verlangt das europäische Recht – entgegen der Ansicht Spindlers – keine andere, an europarechtlichen Vorgaben orientierte Auslegung des § 91 Abs. 2 AktG.91 Weder die Prüfer-Richtlinie92 noch die Änderungsrichtlinie93 sehen eine explizite Erweiterung der Vorstandspflichten in Bezug auf das Risikomanagement vor. Die Richtlinie 2006 / 43 / EG (Prüfer-RL) dient der Anpassung der Anforderungen an die von Abschlussprüfern zu erbringende Qualität und Fachkunde sowie ihrer Unabhängigkeit.94 Sie sieht nur für „Unternehmen von öffentlichem Interesse“, wozu nach Art. 2 Nr. 13 kapitalmarktorientierte Unternehmen, Versicherungsunternehmen und Kreditinstitute zählen, einen Prüfungsausschuss und ein wirksames internes Kon­ trollsystem vor. Hierdurch sollen „finanzielle und betriebliche Risiken sowie das Risiko von Vorschriftenverstößen auf ein Mindestmaß begrenzt und die Qualität der Rechnungslegung verbessert“95 werden. Die Prüferrichtlinie enthält damit lediglich für den Bereich der Überwachung und nicht für alle Vorstände von Aktiengesellschaften, deren Betätigungsfeld nicht von öffentlichem Interesse ist, eine explizite Regelung. Eine sektorunabhängige Erweiterung des Risikomanagements auf sämtliche Risiken ist nicht intendiert. Nichts anderes folgt aus der Änderungsrichtlinie, wonach von der AG verlangt wird, dass im Lagebericht „eine Beschreibung der wichtigsten Merkmale des internen Kontroll- und Risikomanagementsystems der Gesellschaft im Hinblick auf den Rechnungslegungsprozess“96 abgegeben wird. Aus der hierdurch begründeten Publizitätspflicht lassen sich genauso wenig wie aus der im Rahmen der Prüferrichtlinie statuierten Überwachungspflicht über den Regelungsgehalt des § 91 Abs. 2 AktG hinausgehende konkrete Vorstandspflichten ableiten. Sowohl die Prüfer- als auch die Änderungsrichtlinie dienen der Konkretisierung der Überwachungspflichten des Aufsichtsdiese wurde durch das LG München I ein Bußgeld in Höhe von 201 Mio., durch die StA München I darüber hinaus ein solches in Höhe von 395 Mio. sowie auf Grund des Sentencing Memorandum des District of Columbia ein weiteres Bußgeld in Höhe von 450 Mio. USD verhängt. Die US-amerikanische Börsenaufsicht sprach darüber hinaus eine Gewinnabschöpfung in Höhe von 350 Mio. USD aus. Diese Zahlungen hatten auf den Fortbestand der Siemens AG zwar eine empfindliche, letztlich aber keine den Bestand der Gesellschaft gefährdende Auswirkung. 91  Spindler, FS Hüffer, 2010, 985 ff. 92  Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2006 = AblEG 2006 L 157 v. 09.06.2006, 87 ff. 93  Richtlinie 2006/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2006 = AblEG 2006 L 224 v. 16.8.2006, 1 ff. 94  Erwägungsgründe Nr. 4 ff. der Prüfer RL = AblEG 2006 L 157 v. 09.06.2006, 87 ff. 95  Erwägungsgrund Nr. 24 der Prüfer RL = AblEG 2006 L 157 v. 09.06.2006, 87 ff. 96  ABlEG L 224 v. 16.8.2006, 1 ff.; Spindler, FS Hüffer, 2010, 986.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

rats beziehungsweise des Abschlussprüfers in „Unternehmen von öffentlichem Interesse“, nicht aber der Erweiterung der Vorstandspflichten in allen Unternehmen. Dies belegt auch die Umsetzung der beiden Richtlinien in nationales Recht, da die nach § 91 Abs. 2 AktG existierenden Vorstandspflichten bezüglich des allgemeinen Risikomanagements ausweislich der Gesetzesbegründung zum BilMoG97, das beide Richtlinien durch Änderungen im HGB und im AktG in nationales Recht umsetzte98, explizit nicht geregelt werden sollten.99 Daher lässt sich – entgegen der Ansicht von Dreher und Spindler – eine Pflicht des Vorstands zur Einführung eines umfassenden und sämtliche Risiken umfassenden Compliance-Programms nicht aus § 91 Abs. 2 AktG ableiten. 4. Pflicht des Vorstands zur Compliance aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG Eine gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Einrichtung eines bestimmten Compliance-Systems könnte sich jedoch aus der Leitungsfunktion des Vorstands nach § 76 Abs. 1 AktG und der bei Ausübung dieser Aufgabe einhergehenden allgemeinen Sorgfaltspflicht nach § 93 Abs. 1 AktG ergeben.100 Gemäß § 76 Abs. 1 AktG hat der Vorstand unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten. Die Vorstandsmitglieder haben nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG bei ihrer Geschäftsführung auch die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Im Zusammenhang mit der begrifflichen Einordnung der Compliance wurde bereits festgestellt, dass diese inhaltlich neben der Pflicht zur Einhaltung des gel97  Siehe

Begründung zum RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 76. wurde bei § 289 HGB ein neuer Abs. 5, wonach kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften im Sinne des § 264d HGB „im Lagebericht die wesentlichen Merkmale des internen Kontroll- und des Risikomanagementsystems im Hinblick auf den Rechnungslegungsprozess zu beschreiben“ haben. Angepasst wurden ferner die aktienrechtlichen Vorschriften der §§ 107 Abs. 3 AktG betreffend die Überwachung durch den Aufsichtsrat und § 171 Abs. 1 S. 2 AktG bezüglich des Abschlussprüfers. 99  Nach der Begründung des RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 76 soll „weder die Einrichtung noch die inhaltliche Ausgestaltung eines internen Kontrollsystems oder eines internen Risikomanagementsystems verpflichtend vorgeschrieben werden“, sondern „den geschäftsführenden Organen überlassen bleiben, ein internes Kontrollsystem oder ein internes Risikomanagementsystem nach den vorhandenen Bedürfnissen (…) einzurichten“. 100  Aus der Leitungssorgfalt leiten eine grundsätzliche Compliance-Pflicht ab Kort, FS Hopt 2010, 983; Fleischer, NZG 2014, 322; ders., in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2014, § 91 Rn. 43; Habersack, AG 2014, 2; Reichert, NZG 2014, 242; Plagemann, NZG 2013, 1298; Hüffer, FS Roth, 2011, 299, 304; Lutter, FS Goette, 2011, 289, 291; Verse, ZHR 175, 2011, 404; Winter, FS Hüffer, 2010, 1103, 1104. 98  Eingefügt



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand147

tenden Rechts (sog. Legalitätspflicht) auch eine hierauf bezogene Organisationspflicht beinhaltet.101 Klärungsbedürftig ist daher im Folgenden, ob sich ein solches, dem Compliance-Begriff immanentes, Pflichtenspektrum für den Vorstand einer Aktiengesellschaft aktienrechtlich begründen lässt. Parallel dazu ist zu untersuchen, inwieweit eine etwaige Pflichtenlage intern auf gesellschaftsrechtlicher Ebene bereits konkretisiert wird. Sodann sind im Außenverhältnis wirkende Compliance-Pflichten des Vorstands, die als inhaltlicher Anknüpfungspunkt für eine Bestimmung der externen Compliance-Verantwortung dienen könnten, zu untersuchen. In einem letzten Schritt ist die Frage zu klären, in welchem Verhältnis interne und externe Compliance-Pflichten des Vorstands stehen und welche Rückschlüsse sich hieraus für die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats ziehen lassen. a) Pflicht des Vorstands zur Leitung der Aktiengesellschaft Die Vorschrift des § 76 Abs. 1 AktG begründet eine organschaftliche Pflicht des Vorstands zur Unternehmensleitung.102 Bezugspunkt des Leitungsauftrags ist das Unternehmen103, als dessen Rechtsträger die Aktiengesellschaft nach außen in Erscheinung tritt.104 In funktionaler Hinsicht dient der Leitungsbegriff primär zur Abgrenzung der Kompetenzen zwischen den Gesellschaftsorganen. Durch ihn wird die Leitung der AG dem Verantwortungsbereich des Vorstands zugeordnet, während die Hauptversammlung und der Aufsichtsrat gleichzeitig von der Leitungsverantwortung ausgeschlossen werden.105 Aus der Formulierung des § 76 Abs. 1 AktG, wonach „der Vorstand“ die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten hat, folgt im Verhältnis der einzelnen Vorstandsmitglieder, dass Leitungsaufgaben stets durch das Gesamtorgan und nicht von einzelnen Mitgliedern wahrzunehmen sind.106 Ein weiterer wichtiger Teilaspekt der 101  Zutreffend 102  Fleischer,

auch Hüffer, FS Roth, 2011, 302. Siehe bereits oben Teil 3 A. III. in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 10. Siehe hierzu auch oben Teil 2

B. I. 1. a). 103  Und nicht „die Gesellschaft“ als personaler Zusammenschluss der Gesellschafter, vgl. insoweit zutreffend Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 5. 104  So die ganz herrschende Meinung. Siehe Kort, GroßKomm AktG, § 76, Rn. 40; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 5. 105  Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 7. Das Leitungsmonopol des Vorstands spiegelt sich auch in den Vorschriften der §§ 111 Abs. 4 S. 1, 119 Abs. 2 AktG wider. 106  Leitung nach § 76 Abs. 1 AktG bedeutet damit stets „Gesamtleitung“, vgl. Fleischer, ZIP 2003, 1, 2; Hüffer/Koch, AktG, § 77 Rn. 18; Fleischer, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 76 Rn. 8.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Leitungsfunktion ist, dass Aufgaben aus diesem Bereich weder auf einzelne Vorstände, nachgeordnete Unternehmensebenen oder außenstehende Dritte übertragen werden dürfen, noch die Selbstbestimmung der Gesellschaft durch einen „übermäßigen Außeneinfluss“107 aus der Hand gegeben werden darf. Letztlich weist die Zuordnung der Leitung an den Vorstand diesem Unternehmerfunktion108 zu, sodass die Vorstandsmitglieder als gesetzliche Vertreter der AG die Funktion des Arbeitgebers109 ausüben. Sie nehmen daher trotz Fehlens der Kaufmannseigenschaft die Stellung des Prinzipals ein110 und vertreten in dieser Eigenschaft die Gesellschaft im Außenverhältnis. Welche inhaltlichen Anforderungen im Einzelnen zu den Leitungsaufgaben des Vorstands gehören, wird durch das Aktiengesetz nicht abschließend beantwortet.111 Der Leitungsbegriff lässt sich nicht präzise definieren112 und umfasst eine Vielzahl von Anwendungsfällen. Die Leitungsaufgabe lässt sich unter Berücksichtigung von betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen113 und auch unter Heranziehung von typologischen Gesichtspunkten114 näher eingrenzen. Sie umfasst danach primär die Verantwortungsbereiche Unternehmensplanung115, -koordination116 und -kon­ trolle117 sowie Führungspostenbesetzung.118 Dieser typologische Ansatz findet eine normative Stütze im Aktienrecht in der Vorschrift des § 90 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AktG. Danach hat der Vorstand dem Aufsichtsrat über die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung, die Rentabilität, den Gang der Ge107  Zum unveräußerlichen Kernbereich der Leitungsverantwortung und zum Verbot der Vorwegbindung des Vorstands vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 76 Rn. 9, Rn. 63 ff. 108  Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 11. 109  Kort, in: GroßKomm AktG, § 76, Rn. 192, 193. 110  Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 11. 111  Siehe hierzu bereits oben in Teil 2 B. I. 1. a) und B. I. 1. b) cc) (1) (a). 112  Dieser lässt sich nur typologisch umschreiben. Zutreffend Henze BB 2000, 209, 210. 113  Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 18. 114  Henze, BB 2000, 209, 210; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 18. 115  Diese umfasst die Zielsetzung der AG sowie die mittel- und langfristige Festlegung der Unternehmenspolitik, vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 18. 116  Dieser Bereich umfasst die Organisation und Koordination der mit Führungsaufgaben ausgestatten Unternehmensbereiche, vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 18. 117  Bei der Unternehmenskontrolle handelt es sich um einen elementaren Bereich der Leitung. Diese beinhaltet die laufende und nachträgliche Kontrolle der Durchführung und des Erfolges delegierter Geschäftsführungsaufgaben, Fleischer, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 76 Rn. 18. 118  Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 18.



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schäfte sowie über Geschäfte, die für die Rentabilität oder Liquidität von erheblicher Bedeutung sein können, zu berichten. Hieraus lässt sich mit Blick auf die inhaltliche Bestimmung des Leitungsbegriffs folgern, dass eine Aufgabe zumindest dann als Leitungsaufgabe zu qualifizieren ist, wenn es sich um Maßnahmen und Geschäfte handelt, die für die Gesellschaft von besonderer Bedeutung sind oder ein außergewöhnlich hohes Risiko in sich tragen.119 Parallel zu diesen ungeschriebenen Mindestzuständigkeiten existieren gesetzlich angeordnete und dem Vorstand direkt auferlegte Leitungsaufgaben.120 Von den nicht delegierbaren geschriebenen und ungeschriebenen Leitungsaufgaben sind bloße Vorbereitungs- und Ausführungsmaßnahmen, die zum Zweck einer effizienten Unternehmensführung an Stabsabteilungen oder Mitarbeiter übertragen werden können und müssen, abzugrenzen.121 Die den Vorstand treffende Verantwortung reduziert sich damit auf die Planung und Organisation der Unternehmenspolitik in ihren wesentlichen Grundzügen. aa) Legalitätspflicht des Vorstands als Ausfluss der Leitungsverantwortung Die Leitungsaufgabe des Vorstands umfasst nach ganz herrschender Meinung die Pflicht, gesetzeskonformes Verhalten der Gesellschaft gegenüber Dritten sicherzustellen.122 Diese Rechtspflicht, die sich in eine interne123 und externe124 Pflichtenbindung unterteilen lässt, wird auch als „Legalitätspflicht“ bezeichnet125 und 119  Zutreffend Henze, BB 2000, 209, 210; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 76 Rn. 5; zustimmend auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 76 Rn. 18. 120  Etwa Vorbereitung und Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen gem. § 83 AktG, Berichterstattung an den Aufsichtsrat gem. § 90 AktG, Pflicht zur Buchführung und Bestandssicherung gem. § 91 AktG, Pflicht zur Verlustanzeige und zur Stellung eines Insolvenzantrags gem. § 92 AktG, Einberufung der Hauptversammlung gem. § 121 Abs. 2 AktG, Aufstellung des Jahresabschlusses einschließlich Vorlage an den Aufsichtsrat gem. § 170 AktG. 121  Entscheidend für die Abgrenzung ist die Entscheidungsverantwortung, vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 76 Rn. 20. 122  BGH NZG 2013, 293; BGHZ 125, 366, 372; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 93 Rn. 21; Fleischer, CCZ 2008, 1, 1 f.; Bicker, AG 2012, 543; Arnold, ZGR 2014, 78 f. 123  Die interne Pflichtenbindung umfasst insbesondere organspezifische Rechtspflichten, die dem Vorstand direkt durch das Aktiengesetz auferlegt werden. Siehe auch die Aufzählung bei Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 93 Rn. 15 f. 124  Die externe Pflichtenbindung des Vorstands folgt aus den verstreuten Rechtsvorschriften außerhalb des Aktienrechts. Hierzu Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 93 Rn. 23. 125  Siehe nur Arnold, ZGR 2014, 78; Kort, FS Hopt 2010, 983; Hauschka, AG 2004, 465.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

stellt, wie Fleischer zutreffend hervorhebt, eine „Kardinalpflicht“ des Vorstands dar.126 Sie ist positivrechtlich in §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG angelegt und verlangt von diesem im Innenverhältnis gegenüber der AG, die im Aktiengesetz, der Satzung und der Geschäftsordnung niedergelegten Organpflichten zu erfüllen.127 Insbesondere hat sich der Vorstand selbst rechtskonform zu verhalten und eine Straftatbegehung im Innenverhältnis zum Nachteil der AG zu unterlassen.128 Daneben haben die Mitglieder des Vorstands auch diejenigen Rechtsvorschriften zu beachten, die das Unternehmen als Rechtssubjekt im Außenverhältnis treffen.129 Hierbei handelt es sich um die Vorschriften des Zivil-, Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts sowie des Öffentlichen Rechts.130 Aus dieser im Innen- und im Außenverhältnis bestehenden Legalitätspflicht131 folgt für den Vorstand einer AG, dass er Verstöße gegen Rechtsvorschriften, welche die AG als Rechtssubjekt im Innen- und Außenverhältnis treffen, weder intern anordnen oder billigen noch solche selbst begehen darf.132 Die Legalitätspflicht des Vorstands beschränkt sich damit nicht auf eigene Rechtstreue, sondern legt diesem auch die Pflicht auf, dafür Sorge zu tragen, dass sich die AG und ihm nachgeordnete Mitarbeiter rechtskonform verhalten.133 Der Vorstand hat dies durch Schaffung organisatorischer Maßnahmen sicherzustellen.134 Die aus der allgemeinen Leitungsverantwortung des Vorstands abgeleitete Legalitätspflicht findet im Aktiengesetz in der Vorschrift des § 396 AktG auch in systematischer Hinsicht eine Stütze. Danach kann insbesondere bei Vorliegen von erheblichen Gesetzesverstößen135 eine Aktiengesellschaft durch Urteil aufgelöst werden, wenn durch gesetzwidriges Verhalten ihrer Verwaltungsträger das Gemeinwohl gefährdet wird. 126  Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 93 Rn. 14; vgl. auch Reichert, ZIS 3/2011, 121. 127  Kort, FS Hopt 2010, 983 f.; Reichert, ZIS, 2011, 121. Zum Rechtsgrund der Legalitätspflicht Hellwig/Behme, FS Hommelhoff 2012, 344; Bayer, FS K. Schmidt 2009, 88 f. 128  Busekist/Keuten, CCZ 2016, 120; LG München, NZG 14, 346; Reichert/Ott, ZIP 09, 2173. 129  Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 23; Bayer, FS K. Schmidt, 2009, 88. Dieser Ansicht folgend LG München I, NZG 2014, 345. 130  Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 12 und Rn. 23. 131  Bicker, AG 2014, 8. Siehe in diese Richtung auch Hüffer, FS Roth 2011, 304. 132  Zutreffend Arnold, ZGR 2014, 78 f.; Bayer, FS K. Schmidt, 2009, 88. 133  Siehe zutreffend Arnold, ZGR 2014, 79. 134  Arnold, ZGR 2014, 79, der von einer „Legalitätskontrollpflicht“ spricht. Zutreffend auch Kort, FS Hopt 2010983 f.; Busekist/Keuten, CCZ 2016, 119, 120. 135  Bayer, FS K. Schmidt, 2009, 90. Zu § 396 AktG siehe Teil 3 C. III. 2. a) bb) (4) (e) (bb).



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand151

Der Vorschrift lässt sich über ihre konkrete Bedeutung hinaus der allgemeine Rechtssatz entnehmen, dass der „Gesetzestreue“ in der AG im Verhältnis zum Gesellschaftsinteresse und dem daran orientierten Handeln der Organe „eindeutiger Vorrang“136 zukommt. Ob es sich bei der verletzten Norm um eine straf- oder bußgeldrechtliche Bestimmung handelt, darf mit Blick auf die generelle Pflicht zur Beachtung gesetzmäßigen Verhaltens und unter Berücksichtigung des Umstands, dass es keine „Normen zweiter Klasse“137 gibt, keinen Unterschied machen. Hieraus resultiert für den Vorstand gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern die Pflicht, sich in geeigneter Weise von deren rechtmäßigem Verhalten zu überzeugen.138 Insoweit hat auch der BGH im Rahmen einer die Pflichten des Aufsichtsrats betreffenden Entscheidung folgerichtig festgestellt, dass der Aufsichtsrat seinerseits gegenüber dem Vorstand verpflichtet ist, eine gesetzeswidrige Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands durch Einführung eines Zustimmungsvorbehalts nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG zu verhindern.139 bb) Organisationspflicht des Vorstands als Ausfluss der Leitungsverantwortung Neben einer Pflicht des Vorstands zur Sicherstellung gesetzeskonformen Verhaltens der AG, trifft diesen gemäß § 76 Abs. 1 AktG im Innenverhältnis die Pflicht, die von ihm geleitete AG ordnungsgemäß zu organisieren.140 Eine unmittelbar aus § 76 Abs. 1 AktG folgende Organisationspflicht stellt einen wesentlichen Teil der Compliance dar und wird durch den Gesetzgeber explizit anerkannt, da dieser in der Begründung zum KonTraG ausdrücklich klarstellt, dass „zu der allgemeinen Leitungsaufgabe des Vorstands gemäß § 76 AktG auch die Organisation gehört“ und die Verletzung dieser „Organisationspflicht“141 zu einer Schadenersatzpflicht führen kann. Die 136  Bayer, FS K. Schmidt, 2009, 90; Fleischer, Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 32. Zur Bedeutung der Legalitätspflicht bei der Verfolgung von Schadenersatz Teil  3 C. III. 2. a) bb) (4) (e). 137  Bayer, FS K. Schmidt, 2009, 90. Zur Reichweite der Legalitätspflicht siehe Reichert, FS Hommelhoff, 2012, 920 f. Siehe hierzu auch Teil 3 C. III. 2. a) bb) (4) (e). 138  Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 12, 84 ff. 139  BGHZ 124, 111, 127. Zum Instrument des Zustimmungsvorbehalts siehe Teil 2 B. I. 2. h). 140  Arnold, ZGR 2014, 79; Kort, FS Hopt 2010, 983 f.; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173; Liese, BB-Special 2008, Heft 25, 18; Bürkle, BB 2005, 565, 567; LG München I, NZG 2014, 345 f.; BGHZ 125, 375 f. 141  BT-Drs. 13/9712, S. 15; BGHZ 125, 375; zutreffend auch Liese, BB-Special 2008, Heft 25, 18; Bürkle, BB 2005, 565, 567; Fleischer, NZG 2003, 449, 450; Bicker, AG 2012, 543.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Ableitung einer Organisationspflicht aus der Leitungsaufgabe ist sachgerecht, da dass Legalitätsprinzip ohne organisatorische Maßnahmen in einer Vielzahl von Fällen leer laufen könnte142 und dessen Einhaltung – wie zahlreiche zivil- und strafrechtliche Haftungsfälle143 in der jüngeren Vergangenheit belegt haben – in der Unternehmenspraxis nicht immer selbstverständlich ist. Geht man daher in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung davon aus, dass der Vorstand bei Leitung der Gesellschaft sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis an das Legalitätsprinzip gebunden ist144, er die ihm obliegende Leitungsaufgabe nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auszuführen und der Gesetzgeber in der Leitungsaufgabe die explizite Pflicht des Vorstands zur adäquaten Organisation angelegt hat, ergibt sich für den Vorstand aus dem Zusammenspiel zwischen der Leitungs- und Organisationspflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG gegenüber der AG die interne Pflicht, sich selbst rechtskonform zu verhalten und zugleich durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Regelbefolgung im Unternehmen, insbesondere die Einhaltung zwingender Normen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, gewährleistet wird und keine Gesetzesverletzungen erfolgen.145 Eine in diesem Sinne verstandene Pflicht, die sowohl eine Legalitätsals auch Organisationsebene beinhaltet, deckt sich mit dem Begriff Compliance und lässt sich daher als Compliance-Pflicht bezeichnen. (1) Anerkennung Organisationspflicht durch Deutschen Corporate Governance Kodex Die gesetzgeberische Wertung, dass zu der Leitungsaufgabe des Vorstands nach § 76 AktG sowohl eine Legalitäts- als auch Organisationspflicht gehört, greift der die gesetzliche Ausgangslage wiederholende Deutsche Corporate Governance Kodex146 in Nummer 4.1.3 auf, indem er die Compliance-Ver-

diese Richtung zutreffend Hauschka, AnwBl. 2010, 629. München I, NZG 2014, 345 ff. Neben dem sog. „Siemens-Skandal“ wurden in der Öffentlichkeit auch Korruptionsvorfälle bei MAN, Daimler und Ferrostaal bekannt, vgl. Kretschmer, FS Geppert 2011, 287. Zur Vorstandshaftung Meier-Greeve, BB 2009, 2555 ff. 144  Bicker, AG 2014, 8. Für eine weitreichende Absicherung der Legalitätspflicht im Außenverhältnis Hüffer, FS Roth 2011, 304. Zum Inhalt der dem Vorstand im Außenverhältnis obliegenden Compliance-Pflichten siehe sogleich unten Teil 3 B. III. 145  In diese Richtung zutreffend Kort, FS Hopt 2010, 983 f.; Bayer, FS K. Schmidt, 2009, 88; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 23; LG München  I, NZG 2014, 346. 146  Siehe nur v. Werder/Ringleb, in: Kommentar zum DCGK, 2014, 4.1.3, Rn. 575. 142  In

143  LG



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand153

antwortung des Vorstands börsennotierter Gesellschaften147 dahingehend beschreibt, dass dieser für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen hat148 und auf deren Beachtung durch Konzernunternehmen hinwirkt. Hieraus folgert Kort zutreffend, dass der Kodex dem Begriff Compliance eine „übergeordnete“ Funktion zuschreibt, da sowohl die Einhaltung externer als auch interner Vorgaben mit verbindlichem Charakter umfasst werden und sich die Leitungsaufgabe des Vorstands hierauf bezieht.149 Die in der Kodexregelung des Nr. 4.1.3 beschriebene Leitungsverantwortung des Vorstands umfasst somit eine Legalitäts- und Organisationspflicht.150 Dieses Pflichtenspektrum wird, wie der Klammerzusatz in Nr. 4.1.3 zeigt, durch den Kodex als Compliance bezeichnet und mit Blick auf den Wortlaut der Kodexregelung zugleich als eine Rechtspflicht des Vorstands angesehen.151 Die Anerkennung einer allgemeinen Rechtspflicht zur Compliance folgt – wie oben bereits ausgeführt – unmittelbar aus der Leitungsaufgabe des Vorstands und wird durch den Kodex wiederholt.152 Ziel einer funktionierenden und effektiven Compliance ist es, durch geeignete organisatorische Regelungen und Maßnahmen die Einhaltung des Legalitätsprinzips sicherzustellen.153 Dieser Organisationspflicht genügt der Vorstand einer AG nach dem Kodex, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet.154 Ein wichtiges Instrument zur Schadensprävention und Risikokontrolle stellen die in Nr. 4.1.3 des Kodex genannten unternehmensinternen Richtlinien dar, da sie geeignet sind, Mitarbeitern unternehmensspezifische Risiken zu verdeutlichen und bei präziser Formulierung den Verhaltensmaßstab für bestimmte Situationen vorgeben.155 147  Zum

Anwendungsbereich des DCGK siehe oben Teil 3 A. I. Passus folgt gesetzlich bereits aus §§ 76 Abs. 1, 91 Abs. 1 AktG. 149  Kort, NZG 2008, 83. 150  Zutreffend Kort, NZG 2008, 83; Bürkle, BB 2007, 1798. 151  Dies stellt zutreffend auch Kort, NZG 2008, 83 fest. 152  Dem Kodex lässt sich jedoch keine Detaillierung der Compliance-Pflicht entnehmen. Vgl. v. Werder/Ringleb, in: Kommentar zum DCGK, 2014, 4.1.3, Rn. 581. 153  Die besondere Bedeutung von Informationsregeln innerhalb des ComplianceSystems betont Kort, NZG 2008, 83. Zur Regelung des Kommunikationsflusses siehe Teil 6 A. IV. 154  Kort, NZG 2008, 83; Fleischer, AG 2003, 291  ff.; ders., CCZ 2008, 1 ff.; Bayer, FS K. Schmidt, 2009, 89; Bürkle, BB 2007, 1798. 155  Interne Richtlinien können in der Satzung der AG, in Anstellungsverträgen, der Geschäftsordnung oder in Stellenbeschreibungen, Arbeitsanweisungen und auch in einem Verhaltenskodex formuliert sein. Siehe hierzu Kort, NZG 2008, 83; Bürkle, BB 2007, 1798. 148  Dieser

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Um eine effektive Compliance-Organisation in der AG in inhaltlicher Hinsicht gewährleisten zu können, haben sich in Übereinstimmung mit Kort die „Compliance-Aktivitäten“ des Vorstands auf „die wesentlichen rechtlich und wirtschaftlich kritischen Bereiche des Unternehmens zu erstrecken“156. Dies leuchtet ein, da nur bei einer klaren Definition der compliancerelevanten Bereiche die für das Unternehmen konkret bestehenden Risiken identifiziert und durch Richtlinien gesteuert werden können. Aufgrund der in Abhängigkeit zum Betätigungsfeld der AG stehenden spezifischen Risiken und wegen des Umstands, dass der Vorstand bei Ausübung der Leitungsaufgabe im Bereich von unternehmerischen Entscheidungen nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG nur angemessene und verhältnismäßige Maßnahmen schuldet, bestimmen sich die konkreten Anforderungen an ein Compliance-System ausgehend von den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Unternehmens, sodass bei der Formulierung von internen Richtlinien oder auch bei sonstigen internen Compliance-Maßnahmen auf die Branche, Größe, Konzernstruktur und den Umfang der internationalen Aktivitäten abzustellen ist.157 Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex respektiert diesen auf Basis des Gesellschaftsrechts existierenden Spielraum und fordert „keine“ darüber hinaus gehenden „bestimmten“ Compliance-Pflichten.158 Als organisatorisches Minimum lässt sich daher zusammen mit Kort zumindest für börsennotierte und größere Gesellschaften fordern, dass diese im Vorstand eine klare Ressortzuständigkeit für den Bereich Compliance schaffen, einen adäquaten Informationsfluss zwischen Vorstand und operativen Einheiten159 herstellen und über ein Verfahren zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Fehlverhalten verfügen.160 Abschließend ist festzuhalten, dass der Deutsche Corporate Governance Kodex in Nr. 4.1.3 für Vorstände von börsennotierten Gesellschaften eine Compliance-Pflicht, bestehend aus einer Legalitäts- und Organisationspflicht, die sich aus der Leitungsaufgabe des Vorstands ableitet, in dem Umfang anerkennt, wie sie nach dem Aktienrecht besteht. Eine darüber hinausgehende Pflicht zur Einrichtung einer „bestimmten“ Compliance-Organisation enthält die Kodexregelung nicht. Daher kommt es auf die in der gesellschaftsrechtlichen Literatur kontrovers geführte Diskussion, ob und inwieweit die Be156  Solche sind das Wettbewerbs- und Kartellrecht, die Korruptionsbekämpfung sowie der Reputationsschutz; vgl. Kort, NZG 2008, 83. 157  Zutreffend Kort, NZG 2008, 83; ders., FS Roth 2011, 409. 158  v. Werder/Ringleb, in: Kommentar zum DCGK, 2014, 4.1.3, Rn. 581 ff. 159  Zur Figur des sog. „Compliance Officers“ siehe Moosmayer, AnwBl 2010, 634 ff. 160  Kort, NZG 2008, 83; ders., FS Roth 2011, 411 f.; ders., FS Hopt 2010, 984, 1002.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand155

stimmungen des Deutschen Corporate Governance Kodex auf die Auslegung des § 93 Abs. 1 AktG konkret einwirken können161, an dieser Stelle nicht entscheidend an, da diese Kodexempfehlung gerade keine bestimmte, über die gesetzliche Lage hinausgehende Vorgabe bezüglich der Einrichtung einer Compliance-Organisation enthält, sondern nur die unmittelbar aus dem Ak­ tiengesetz gemäß § 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG folgende Gesetzeslage wiedergibt.162 Die Formulierung in Ziffer 4.1.3 des Kodex beschränkt sich darauf, die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen sowie der unternehmensinternen Richtlinien zu fordern, ohne eine Empfehlung abzugeben.163 Dieser Aussagegehalt ist deckungsgleich mit der aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG folgenden Legalitäts- und Organisationspflicht des Vorstands und bestätigt die im Rahmen dieser Arbeit unmittelbar aus dem Aktienrecht gewonnen Erkenntnisse. (2) Konkretisierung der Organisationspflicht durch § 91 Abs. 2 AktG Auf die Vorschrift des § 91 Abs. 2 AktG wurde bereits eingegangen. Dabei konnte festgestellt werden, dass sie weder ein sämtliche Risiken umfassendes Risikomanagementsystem umfasst noch als Rechtsgrundlage zur Begründung einer bis ins Detail gehenden Compliance-Organisation durch den Vorstand herangezogen werden kann.164 Nach dem Wortlaut des § 91 Abs. 2 AktG müssen nur die den Fortbestand der Gesellschaft gefährdenden Entwicklungen früh erkannt werden. Solche bestandsgefährdenden Entwicklungen bestehen für risikobehaftete Geschäfte, Unrichtigkeiten der Rechnungslegung sowie bei Verstößen gegen gesetzliche Vorschriften, die sich auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft „wesentlich“ auswirken.165 161  Zum Streitstand Fleischer, Spindler/Stilz, § 93, Rn. 42 ff. Eine unmittelbare Wirkung der Regelungen des DCGK wäre aus dogmatischen Gründen aber auch abzulehnen, da dem Kodex als sog. „soft law“ keine Gesetzeskraft zukommt. Zutreffend Liese, BB-Special 2008, Heft 25, 20; Lutter, ZGR 2000, 1, 17 f. 162  Siehe v. Werder/Ringleb, DCGK, 2014, 4.1.3, Rn. 575, wonach die ausdrückliche Bezugnahme auf „unternehmensinterne Richtlinien“ der gesetzlichen Lage entspricht, da es eine gesellschaftsrechtlich selbstverständliche Pflicht des Vorstands sei, für die Einhaltung der von ihm erlassenen Richtlinien zu sorgen. In diese Richtung auch Hüffer, FS Roth 2011, 301. 163  v. Werder/Ringleb, DCGK, 2014, 4.1.3, Rn. 581; Liese, BB-Special 2008, Heft 25, 20. 164  Aus § 91 Abs. 2 AktG folgern demgegenüber eine Compliance-Pflicht Spindler, WM 2008, 906 f.; ders., FS Hüffer, 2010, 992; Dreher, FS Hüffer, 2010, 161, 168 ff.; 171; Berg, AG 2007, 271, 274 f.; Schwintowski, NZG 2005, 200 f.; vgl. dazu bereits oben Teil 3 B. II. 3. 165  Begr. RegE BT-Drucks. 13/9712, S. 15.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Dies ist jedenfalls bei Geschäftsvorgängen der Fall, die ein Insolvenzrisiko erheblich steigern oder ein solches erst begründen können.166 Richtigerweise ist dies aber auch für Risiken anzunehmen, die im Fall ihrer Realisierung einen erheblichen Haftungs- oder Reputationsschaden nach sich ziehen können. Diese Risiken können sich ebenfalls bestandsgefährdend auswirken und bestehen unabhängig von dem konkreten Unternehmensgegenstand. Insoweit trifft den Vorstand aus § 91 Abs. 2 AktG eine Pflicht zur Schaffung eines existenzielle Haftungs-, Insolvenz- und Reputationsrisiken frühzeitig erkennenden Systems. Die Erfüllung dieser Pflicht setzt voraus, dass der Vorstand in Ausübung seiner Organisationspflicht geeignete Maßnahmen zur Früherkennung schafft, überhaupt ein Risikoüberwachungssystem einrichtet, Vorsorge für ein Krisenmanagement betreibt und auch Maßnahmen zur adäquaten Risikonachsorge trifft.167 Unterlässt er die Einführung eines solchen gänzlich oder ist das von ihm entwickelte System mangelhaft und nicht in der Lage, bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, stellt dies im Ergebnis eine unzureichende Risikovorsorge dar168 und begründet haftungsrechtlich eine relevante Sorgfaltspflichtverletzung gemäß § 93 Abs. 2 S. 1 AktG. Hieraus folgt jedoch nicht, dass der Vorstand sämtliche risikobehafteten Entwicklungen oder alle denkbaren geschäftsüblichen Risiken durch ein extensiv ausgestaltetes Frühwarnsystem, das Teil eines allgemeinen Überwachungssystems ist, antizipieren muss.169 Er genügt seiner Sorgfaltspflicht, wenn er ein an die spezifischen Gegebenheiten der AG angepasstes System zur Informationsgewinnung, -verarbeitung und -mitteilung schafft, anhand dessen sich existenzbedrohende Risiken, wie ein extrem hoher Forderungsausfall, drohende Haftungsklagen mit der Folge eines Reputationsschadens oder existentiell wirkende kriminalitätsbezogene Risiken bestmöglich vorhersehen lassen.170 Insoweit ist aber zu bedenken, dass nicht alle aus strafbaren Handlungen resultierenden Risiken im Fall ihrer Realisierung zwingend eine existenzielle Gefährdung nach sich ziehen. Stets erforderlich dürfte der Aufbau einer internen Revision, konkrete Anweisungen an Mitarbeiter sowie ein detailliertes Berichtswesen sein.171 Letztlich ist das Risikofrüherkennungssystem auch zu dokumentieren.172 166  Spindler,

FS Hüffer 2010, 985, 989. Preußner, NZG 2004, 303, 305. 168  Siehe auch Begr. RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 76. Zu den zivil- und haftungsrechtlichen Folgen für den Vorstand Bihr/Kalinowsky, DStR 2008, 620, 625 f. 169  Zutreffend Kort, in: Großkomm AktG, § 91 Rn. 30 ff.; vgl. auch Koch, WM 2009, 1014. 170  Zu den möglichen Inhalten eines Risikofrüherkennungssystems siehe Bihr/Kalinowsky, DStR 2008, 622 u. 626. 171  Pelz, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 6 Rn. 36; Dreher, FS Hüffer 2010, 161, 167 f.; Fleischer, AG 2003, 291, 298; Bihr/Kalinowsky, DStR 2008, 620, 167  Zutreffend



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand157

Abschließend bleibt somit festzuhalten, dass § 91 Abs. 2 AktG zwar eine gesetzliche Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht des Vorstands aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG darstellt, letztlich aber nur einen Teilausschnitt der aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG folgenden Legalitätskontrolle173 abbildet. Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 AktG konkretisiert die allgemeine gesellschaftsrechtliche Pflicht des Vorstands einer AG deshalb nur dahingehend, dass dieser unter Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten der AG mindestens auch organisatorische Maßnahmen zur bestandssichernden Risikovorsorge zu treffen hat. Dies impliziert für den Vorstand wiederum die Pflicht, sich mit existenziellen Risiken für die AG auseinanderzusetzen und auf dieser Grundlage auch geeignete Organisationsmaßnahmen zur Vermeidung von existenziellen Haftungsrisiken zu ergreifen. (3) Konkretisierung der Organisationspflicht durch die Rechtsprechung Vor diesem Hintergrund hat die Rechsprechung die in der Literatur allgemein angenommene gesellschaftsinterne Organisationspflicht des Vorstands gegenüber der AG durch die explizite Anerkennung einer „CompliancePflicht“ präzisiert.174 Nach Ansicht des LG München I hat ein Vorstandsmitglied im Rahmen seiner Legalitätspflicht insbesondere dafür zu sorgen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverstöße175 erfolgen, wobei letztlich offen bleiben könne, ob die den Vorstand treffende Legalitäts- und Organisationspflicht unmittelbar aus § 91 Abs. 2 AktG oder aus der Leitungspflicht der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG herzuleiten sei.176 Hinsichtlich der Organisationspflicht führt das LG München aus, dass ein Vorstandsmitglied dieser bei „entsprechender Gefährdungslage“ nur genüge, wenn es eine auf „Schadensprävention und Risikokontrolle an622. Zur Konkretisierung des § 91 Abs. 2 AktG durch die Rechtsprechung siehe LG Berlin, AG 2002, 682. Das Risikomanagement müsse danach zweistufig aufgebaut sein. Die Früherkennung erfolge auf der ersten und die Überwachung der eingeleiteten Maßnahmen auf der zweiten Stufe. In diese Richtung auch VG Frankfurt a. M., WM 2004 Heft 44, 2157 ff. 172  LG München I, Urteil v. 05.04.2007, 5 HK O 15964/06 = CCZ 2008, 70. 173  Verse, ZHR 175, 2011, 403 f.; Hüffer, FS Roth, 2011, 304. 174  LG München I, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10 = NZG 2014, 345. Die Existenz einer nur gegenüber der AG bestehenden gesellschaftsinternen Organisationspflicht ist in der Rechtsprechung des BGH anerkannt, vgl. BGHZ 125, 375. 175  Nach Auffassung des LG München  I sind dies neben Vorschriften des Bilanzrechts die Bestimmungen des Straf- u. Ordnungswidrigkeitenrechts sowie ausländische Rechtsvorschriften. Siehe LG München I, NZG 2014, 346. 176  Siehe LG München  I, NZG 2014, 345. Gegen einen Rückgriff auf die Vorschrift des § 92 Abs. 2 AktG zutreffend Fleischer, NZG 2014, 322; Koch, WM 2009, 1014.

158

Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

gelegte Compliance-Organisation“ einrichtet.177 Für den Umfang der Organisationspflicht komme es auf Art, Größe und Organisation der AG, die zu beachtenden Vorschriften, deren geografische Präsenz sowie auf Verdachtsfälle aus der Vergangenheit an.178 Die Einhaltung des Legalitätsprinzips und demgemäß die Einrichtung eines funktionierenden Compliance-Systems sei Teil der vom Gesamtvorstand wahrzunehmenden Verantwortung.179 (a) Sachverhalt des „Siemens / Neubürger-Urteils“ In dem vom LG München I entschiedenen Fall ging es um eine vom Aufsichtsrat der Siemens AG betriebene Klage gegen ein ehemaliges Vorstandsmitglied180, das zugleich Leiter der Zentralabteilung „Corporate Finance“ war und seine Verpflichtung zur Verhinderung von Bestechungen in vorwerfbarer Weise verletzt habe, da es infolge einer mangelhaften Organisation des Compliance-Systems und wegen einer nur unzureichenden Aufsicht über die Einhaltung der Compliance-Regeln in der AG möglich war, dass sich ein System „schwarzer Kassen“ entwickelte, aus denen mit den dort gelagerten finanziellen Mitteln Korruptionszahlungen geleistet wurden.181 Die zivilrechtlich relevante Pflichtverletzung des betroffenen Vorstandsmitglieds sah das LG München I darin, dass dieses „nicht dafür gesorgt habe, dass die AG ein effizientes Compliance-System erhalte“, das auch tatsächlich angewandt und kontrolliert werde und der Beklagte trotz wiederholter Hinweise auf ernsthafte Verstöße gegen interne Compliance-Vorschriften keine beziehungsweise keine ausreichenden Maßnahmen „zur Aufklärung und Untersuchung der Verstöße, zur Abstellung von Verstößen und zur Bestrafung von betroffenen Mitarbeitern“182 ergriffen habe. (b) Konkretisierung der Compliance-Pflicht des Vorstands Die Rechtsprechung des LG München I bestätigt die hier vertretene Auffassung, dass den Vorstand einer AG die gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Einrichtung eines Compliance-Systems trifft. Ihr ist daher zuzustimmen. 177  LG

München I, NZG 2014, 346. München I, NZG 2014, 346. 179  LG München I, NZG 2014, 346. 180  Das Urteil des LG München I, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10 = NZG 2014, 345 wurde aufgrund des im Zuge der Berufungsinstanz geschlossenen Vergleichs jedoch nicht rechtskräftig. Siehe Wastl, BOARD, 2016, 187 ff. Zu dem Suizid des Berufungsbeklagten siehe Bund, DIE ZEIT Nr. 23/2015, 3. Juni 2015. 181  LG München I, NZG 2014, 346 f. 182  LG München I, NZG 2014, 346 f. 178  LG



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand159

Gleichzeitig konkretisiert das LG München die aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG folgende Compliance-Pflicht dahingehend, dass für den gesamten Vorstand der AG die Pflicht besteht, „eine klare Regelung zu schaffen, wer auf Ebene des Gesamtvorstands die Hauptverantwortung“ zur Einrichtung und zur Überprüfung der Effizienz des bestehenden Compliance-Systems hat.183 Eine wichtige Präzisierung der Compliance-Verantwortung erfolgt durch das LG München I auch insoweit, als dass für ein effizientes Compliance-System in der AG insbesondere die „tatsächliche Umsetzung“ der in der AG existierenden Compliance-Vorgaben verlangt wird.184 Dies impliziert, dass sich die Bemühungen des Vorstands nicht in dem Erlass von abstrakten Richtlinien erschöpfen dürfen, sondern diesen parallel dazu organisatorische Pflichten treffen und er geeignete Maßnahmen zu ergreifen hat, dass die Umsetzung der internen Vorgaben gewährleistet wird.185 Neben dem formalen Aspekt in Form der Schaffung von internen Zuständigkeitsregelungen und der Feststellung, dass ein wirksames ComplianceProgramm auch tatsächlich umsetzbar sein muss, leitet das LG München aus der Leitungsverantwortung des Vorstands auch ab, dass dieser aktiv darauf „hinwirken“ muss, dass sämtliche mit der Überwachung der Compliance betraute Personen „hinreichende Befugnisse“ haben, um aus erkannten Rechtsverstößen auch Konsequenzen ziehen zu können.186 Ebenso soll sich der Vorstand nicht darauf berufen können, dass er gegenüber den weitgehend autonom agierenden leitenden Angestellten keine Weisungsrechte habe.187 Das LG München I weist damit bei Begründung der Compliance-Pflicht dem Aspekt der Leitungskompetenz des Vorstands eine hohe Bedeutung zu, indem es der Compliance-Verantworung des Vorstands nicht nur die Schaffung adäquater Befugnisse an unterstellte Mitarbeiter auferlegt, sondern beim 183  LG

München I, NZG 2014, 347. zentraler Bedeutung sei nach Ansicht des LG München der Umgang mit Beraterverträgen. Eine „geeignete“ Compliance-Maßnahme könnte insoweit die „zentrale Erfassung sämtlicher Beraterverträge mit Dritten“ sein, vgl. LG München I, NZG 2014, 347. 185  In Betracht käme eine interne Regelung, dass operativ tätige Einheiten über die aktuellen Geschäftsabschlüsse und die Finanzierung und Buchhaltung regelmäßig und detailliert an den für die Compliance verantwortlichen Vorstand berichten müssen. Diese abstrakte Regelung ließe sich in organisatorischer Hinsicht durch eine interne Meldepflicht des Controllings an den Vorstand bei Anforderung von außergewöhnlich hohen Geldbeträgen oder durch eine interne Begründungspflicht zur Freigabe von auslandsbezogenen Projektgeldern absichern. 186  LG München I, NZG 2014, 347, wonach gerade die Häufung von strafrechtlich relevantem Fehlverhalten zeige, dass ein bereits eingeführtes Compliance-Systems nicht wirksam sei. 187  Siehe LG München I, NZG 2014, 347 f., wonach dieses Argument „das Fehlen eines funktionierenden Compliance-Systems“ gerade belegen würde. 184  Von

160

Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Fehlen solcher Befugnisse zugleich eine unmittelbare Handlungspflicht in Form der Ausübung eigener Leitungsmacht fordert. Dieser Wertung des LG München ist zuzustimmen, da sie sich im Einklang mit der Funktion des Leitungsbegriffs188 bewegt und Compliance somit als Teil des unveräußerlichen Kernbereichs der vom Gesamtvorstand wahrzunehmenden Leitungsmacht ansieht. Compliance wird dadurch – in Anerkennung eines gewissen Delegationsrahmens – zur „Chefsache“189 erklärt. Letztlich verlangt das LG München I, dass sich der für die Compliance zuständige Vorstand „umfassend zu den einzeln bekannt gewordenen Vorfällen fortlaufend zu informieren“ hat, woraus für das betroffene Vorstandsmitglied insbesondere die Verpflichtung folge, „sich in regelmäßigen Abständen darüber in Kenntnis setzen zu lassen, welche Ergebnisse interne Ermittlungen brachten, ob personelle Konsequenzen gezogen wurden und vor allem ob und wie ein dahinter stehendes System bekämpft wird“.190 Die vom LG München I zutreffend angenommene Informationspflicht des Vorstands in Bezug auf die Effizienz des Compliance-Systems bildet inhaltlich die Grundlage für eine adäquate Überwachung und konkretisiert dessen Compliance-Verantwortung dahingehend, dass der Vorstand entweder selbst ein dezidiertes Berichts- und Informationswesen zu nachgelagerten Unternehmenseinheiten schaffen oder – sofern es die Größe der AG zulässt – selbst aktiv zu compliance-relevanten Themen in regelmäßigen Abständen Sitzungen einberufen muss. In jedem Fall muss er bei Verdacht auf Non-Compliance aktiv werden und versuchen, den Sachverhalt aufzuklären. Hierzu hat er sich die relevanten Informationen zu verschaffen. (4) Kategorisierung der Legalitäts- und Organisationspflichten des Vorstands Versucht man vor diesem Hintergrund die unmittelbar aus den Vorgaben des Aktienrechts gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1, 91 Abs. 2 AktG folgenden Pflichten des Vorstands und die konkretisierenden Feststellungen des LG München  I in einen übergeordneten Kontext zu stellen, lassen sich für Vorstände von Aktiengesellschaften de lege lata folgende gegenüber der Gesellschaft bestehende Kernpflichten ableiten.191

Fleischer, Spindler/Stilz, § 76, Rn. 9. CCZ 2008, 3; Lösler, WM 2007, 676, 679; U. H. Schneider, ZIP 2003, 645, 647. 190  LG München I, NZG 2014, 348. 191  In diese Richtung auch Fleischer, AG 2014, 326. 188  Vgl.

189  Fleischer,



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand161

(a) Handlungs-, Informations- und Organisationspflichten Der Vorstand muss jedenfalls bei entsprechender Gefährdungslage eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichten und für eine „tatsächliche Umsetzung“ der Compliance-Vorgaben in der AG sorgen.192 Um diese unmittelbar aus dem Aktienrecht abgeleitete Organisationspflicht erfüllen zu können, hat der Vorstand zunächst durch eine unternehmensspezifische Risikoanalyse für die AG deren Risikolage zu identifizieren.193 Erst danach kann er die für sie erheblichen Risikofelder definieren. Fehlt eine solche Analyse und bleiben deshalb erkennbare Risiken bei der Ausgestaltung des Compliance-Systems außer Betracht, stellt dies eine Pflichtverletzung des Vorstands dar.194 Wird im Rahmen der vom Vorstand in Auftrag gegebenen Risikoanalyse eine Gefährdungslage  – zum Beispiel aufgrund eingetretener Rechtsverletzungen in der Vergangenheit  – für die AG ermittelt, hat der Vorstand konkrete Maßnahmen, wie den Erlass und die Bekanntmachung interner Compliance-Richtlinien195, zu ergreifen. Da der Vorstand für die „tatsächliche Umsetzung“ der Compliance zuständig ist, darf er sich nicht nur auf die abstrakte Formulierung von Richtlinien beschränken, sondern hat in der AG funktionsfähige Organisationsstrukturen zu schaffen, die neben einer klaren Zuständigkeitsverteilung eine adäquate Ausstattung der Stabsabteilungen mit Kompetenzen voraussetzen.196 In organisatorischer Hinsicht hat er für eine regelmäßige, detaillierte und anlassbezogene Compliance-Berichterstattung zu sorgen.197 (b) Pflichtenspektrum bei Verdachtsmomenten und Verstößen Bestehen Anhaltspunkte für Compliance-Verstöße198, folgt bereits aus der Legalitätspflicht des Vorstands gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG, dass 192  LG München I, NZG 2014, 345. Zur internen Organisationspflicht siehe BGHZ 125, 375 f. 193  Zutreffend Simon/Merkelbach, AG 2014, 321; Fleischer, AG 2014, 326. 194  Simon/Merkelbach, AG 2014, 321, die dem Vorstand daher die Durchführung eines sog. „Self-Assesments“ empfehlen. 195  Fleischer, AG 2014, 326. 196  LG München I, NZG 2014, 345; Fleischer, AG 2014, 326; Arnold, ZGR 2014, 79. In diese Richtung bereits Kort, FS Roth 2011, 411; ders., FS Hopt 2010, 986 ff., ders., NZG 2008, 83. 197  Fleischer, AG 2014, 326; Kort, FS Roth 2011, 412; Simon/Merkelbach, AG 2014, 321. 198  Solche können sich ergeben durch anonyme Mitteilung von gesetzeswidrigen Verhaltens durch Mitarbeiter, den Abschlussprüfer, Behörden, Kunden oder auch durch Konkurrenten.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

dieser die notwendigen Maßnahmen ergreifen muss, um das Risiko für die Gesellschaft zu analysieren, den Schaden zu begrenzen, zukünftige Verstöße zu verhindern und festgestellte Verstöße zu sanktionieren.199 Um diesem Pflichtenkreis hinreichend nachkommen zu können, hat der Vorstand auch in diesem Kontext eine ausreichende Informationsversorgung sicherzustellen. Mit Blick auf die präventive Dimension eines Compliance-Systems bedeutet dies, dass er durch Erlass entsprechender Richtlinien für eine funktionierende Kommunikation in der AG zu sorgen hat. Nur bei hinreichender Information und Kenntnis der geplanten Abläufe und Vorgänge wird der Vorstand in die Lage versetzt, eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einzurichten. Ergeben sich Verdachtsmomente, die auf Gesetzesverletzungen hindeuten, muss der Vorstand unverzüglich tätig werden und den Sachverhalt aufklären.200 Nach herrschender Meinung steht ihm ein Ermessen zu bei der Frage, wie er Compliance-Verstöße aufklärt.201 Bestätigt sich der Verdacht illegalen Verhaltens, ist der Vorstand im Rahmen seiner Handlungsmöglichkeiten202 wiederum zur Ahndung verpflichtet.203 Eine solche „Sanktionspflicht“ folgt faktisch bereits daraus, dass ein Compliance-Programm, das sowohl die Einhaltung materiell rechtlicher Vorgaben in der AG sicherstellen, als auch die hierfür notwendigen organisatorischen Anforderungen bereitstellen möchte, nur wirksam sein kann, wenn den Mitarbeitern auf sämtlichen Ebenen bewusst ist, dass in der AG die Compliance nachhaltig und konsequent durchgesetzt wird.204 Würde demgegenüber in der AG die Praxis vorherrschen, dass aufgeklärte Normverstöße reaktionslos hingenommen, geduldet oder im Extremfall ausdrücklich toleriert werden, hätte dies zur Folge, dass ein Compliance-System gegenüber Mitarbeitern und Kunden jedwede Effizienz und Durchsetzungskraft verlöre.205 Eine 199  Arnold, ZGR 2014, 81; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178 f.; Winter, FS Hüffer, 2010, 1107. 200  Siehe Fleischer, AG 2014, 326; Simon/Merkelbach, AG 2014, 319; Fett, CCZ 2014, 144; Arnold, ZGR 2014, 81; Winter, FS Hüffer, 2010, 1107. Zu Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung aus Sicht des Aufsichtsrats im Verhältnis zum Vorstand siehe Teil 3 C. III. 1. d). 201  Siehe nur Arnold, ZGR 2014, 83; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2176. 202  In Betracht kommen arbeitsrechtliche Maßnahmen, Geltendmachung von Schadenersatz aber auch die Initiierung von Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren, vgl. Reichert/Ott, ZIP 2009, 2177; Simon/Merkelbach, AG 2014, 320; Arnold, ZGR 2014, 83. 203  Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178; Simon/Merkelbach, AG 2014, 320. 204  Aus der gesellschaftsrechtlichen Literatur siehe Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178; Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 949 f.; ders., ZIS 2011, 119 f.; Arnold, ZGR 2014, 81; Hauschka/Greeve, BB 2007, 165, 170 f. Dies wird auch als „zero tolerance“Grundsatz bezeichnet, vgl. etwa Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178. 205  In diese Richtung auch Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 949; ders., ZIS 2011, 119; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178; Moosmayer, NJW 2012, 3014.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand163

Pflicht des Vorstands zur angemessenen und sichtbaren Ahndung206 von aufgeklärten Verstößen besteht aber nicht nur in faktischer, sondern auch in rechtlicher Hinsicht und folgt unmittelbar aus der Legalitätspflicht des Vorstands.207 Dieser Pflicht kann der Vorstand nur wirksam nachkommen, wenn er erkannte Verstöße gegen die Rechtsordnung mit den ihm rechtlich zur Verfügung stehenden Sanktionen ahndet und ihr auf diese Art und Weise zur Geltung verhilft.208 Andernfalls duldet er Verstöße gegen die Rechtsordnung. Dies stünde im Widerspruch zur Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, weshalb dem Vorstand bei Beurteilung der Frage, ob er einen aufgeklärten Verstoß gegen interne oder externe Normen mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln sanktioniert, auch kein Ermessen gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zukommen kann.209 (c) Begleitende Prüfungs- und Nachbesserungspflichten Schließlich verlangt die Organisationspflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG, dass sich die Bemühungen des Vorstands nicht in der einmaligen Einrichtung eines Compliance-Systems erschöpfen, sondern eine kontinuierliche Anpassung, Fortentwicklung, Überwachung und Kontrolle des Systems erfolgt.210 Diese Pflichtenlage greift auch das LG München I auf, indem es dem Vorstand die Pflicht auferlegt, sich umfassend zu bekannt gewordenen Vorfällen fortlaufend zu informieren und sich in regelmäßigen Abständen über das Ergebnis interner Ermittlungen in Kenntnis setzen zu lassen.211 Von zentraler Bedeutung ist die Pflicht zur Prüfung, ob die Verstöße auf struktu206  Reichert,

ZIS 2011, 119. verpflichtet ihn, die Rechtsordnung zu beachten und keine Verstöße gegen Rechtsvorschriften, welche die AG als Rechtssubjekt im Innen- und Außenverhältnis treffen, zu billigen, vgl. Habersack, AG 2014, 2; Reichert, ZIS 2011, 119 f.; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178. 208  Habersack, AG 2014, 5. Zutreffend unter Bezugnahme auf die strafrechtlichen Strafzwecktheorien, Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 950; ders., ZIS 2011, 119; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178, wonach der vom Vorstand zu verhängenden Sanktion schützende Wirkung im Sinne der negativen Spezialprävention zukommt, indem diese den Delinquenten davon abbringen soll, erneut gegen Ge- oder Verbote zu verstoßen, und gleichzeitig Opfer vor einer erneuten Zuwiderhandlung geschützt werden können. Die Sanktion entfaltet ferner generalpräventive Wirkung, indem sie die nicht an der Zuwiderhandlung beteiligten Mitarbeiter abschreckt (negative Generalprävention) und die sich rechtstreu verhaltenden Unternehmensangehörigen in ihrem regelkonformen Verhalten bestärkt (positive Generalprävention). 209  Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 950; ders., ZIS 2011, 119; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178; Schneider, ZIP 2003, 649 f.; Hauschka/Greeve, BB 2007, 171 f. 210  Zutreffend Fleischer, AG 2014, 326; Winter, FS Hüffer, 2011, 1106. 211  LG München I, NZG 2014, 348. Siehe auch Arnold, ZGR 2014, 80 f. 207  Diese

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

relle Mängel des Compliance-Systems schließen lassen212. Dies verpflichtet den Vorstand, sich mit dem Thema Compliance dauerhaft zu befassen. (5) Folgen einer Verletzung der Legalitäts- und Organisationspflicht Sowohl Legalitäts- als auch Organisationspflicht leiten sich aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG ab und verpflichten den Vorstand, sich gegenüber der AG selbst rechtmäßig zu verhalten und zugleich rechtmäßiges Verhalten der Gesellschaft, ihrer Organe und Mitarbeiter sicherzustellen. Dieses Pflichtenspektrum lässt sich auch als Compliance-Pflicht bezeichnen.213 Zur Erreichung dieses Auftrags hat der Vorstand in der AG organisatorische Maßnahmen zu ergreifen.214 Er hat ein Compliance-System, das mindestens Maßnahmen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Fehlverhalten beinhaltet, zu implementieren und dessen Wirksamkeit laufend zu überwachen. Nach den Vorgaben der Rechsprechung ist fortlaufend zu prüfen, ob das System noch geeignet ist, Verstöße gegen zwingendes Gesetzesrecht zu unterbinden.215 Verstößt der Vorstand gegen diese gegenüber der AG bestehende Pflicht, begründet dies im Innenverhältnis einen Pflichtverstoß gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AktG216 und unter den weiteren Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 AktG zugleich einen Schadenersatzanspruch der AG gegen das betroffene Vorstandsmitglied. Dieser ist vom Aufsichtsrat gemäß §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 AktG regelmäßig zu verfolgen.217 Als Schadenspositionen218 kommen neben dem im Bußgeld enthaltenen Ahndungsteil insbesondere die aufgrund der Nichteinführung oder infolge der Mangelhaftigkeit des existierenden Compliance-Systems zur internen Aufklärung der Rechtsverstöße notwendi212  Das LG München spricht insoweit von einer Pflicht zur Kenntniserlangung, ob und wie „ein dahinter stehendes System bekämpft“ wird. Siehe LG München I, NZG 2014, 348. 213  Arnold, ZGR 2014, 79; LG München I, NZG 2014, 348; Bürkle, CCZ 2015, 55 f. 214  LG München I, NZG 2014, 345 ff. 215  LG München I, NZG 2014, 348; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 93 Rn. 24 sowie die Kommentierung bei § 76 Rn. 46. Die Pflicht zur Gesetzestreue gilt auch, wenn der Gesetzesverstoß im Interesse der Gesellschaft erfolgt (sog. nützliche Pflichtverletzung), zutreffend Simon/Merkelbach, AG 2014, 318  f.; Bayer, FS K. Schmidt, 2009, 89 f.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 93 Rn. 24. 216  LG München I, NZG 2014, 348; Bicker, AG 2014, 8; ders., AG 2012, 543; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2174. 217  Siehe zu den Pflichten des Aufsichtsrats ausführlich unten Teil 3 C. III. 2. 218  Zur Schadensproblematik bei Compliancepflichtverletzungen Fleischer, NZG 2014, 326 f.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand165

gerweise aufgewendeten Rechtsanwaltskosten für die Durchführung interner Untersuchungen219 in Betracht. Der für einen Ersatzanspruch erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden lässt sich zivilrechtlich im Wege einer Beweiserleichterung nach Maßgabe des § 287 ZPO220, über die Anerkennung eines Anscheinsbeweises bei Organisationspflichtverletzungen221 oder durch Anwendung der Grundsätze der sekundären Darlegungs- und Beweislast nachweisen.222 Im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts sieht die Vorschrift des § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG sogar eine Kausalitätserleichterung vor, indem eine unterlassene Aufsichtsmaßnahme des Betriebsinhabers bereits ursächlich für die eingetretene Zuwiderhandlung ist, wenn sie durch gehörige Aufsicht „wesentlich erschwert worden wäre“.223 Mit Blick auf die zivilrechtlich bestehenden und von der Rechtsprechung in Bezug auf Compliance auch angewendeten Möglichkeiten der Erleichterung des Kausalitätsnachweises lässt sich festhalten, dass die Nichteinführung eines Compliance-Systems ebenso wie die mangelhafte Unterhaltung eines solchen für den Vorstand unmittelbar eine haftungsrelevante Pflichtverletzung begründen kann, die – wie die Rechtsprechung des LG München I zeigt – zugleich kausal für einen Schaden im Sinne des § 93 Abs. 2 AktG sein kann.224 Für den Aufsichtsrat folgt aus dieser Rechtsprechung, dass er die Haftungsrelevanz einer unterlas219  In dem vom LG München entschiedenen Fall beliefen sich die an eine USamerikanische Kanzlei zur Aufklärung gezahlten Honorarkosten auf 12,85 Mil. Euro, vgl. Fleischer, NZG 2014, 327. Zu sog. „internal investigations“ siehe ausführlich Teil 3 C. III. 1. 220  So explizit das LG München I, NZG 2014, 345 ff. unter Berufung auf BGHZ 152, 280, 287 und BGH NZG 2008, 314, 315. Siehe zur Frage der Kausalität die zutreffenden Anmerkungen bei Fleischer, AG 2014, 327 f. 221  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3.  Aufl., § 93, Rn. 142; dies., § 91, Rn. 39. Dies käme dann in Betracht, wenn ein Verstoß gegen ein Verhaltensgebot feststeht und ein für solche Verletzungen typischer Schaden eingetreten ist. Hierzu allgemein Fleischer, AG 2014, 328. 222  Rieder/Holzmann, AG 2011, 265, 273. Teilweise wird bei Compliance-Verstößen in der Literatur sogar eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast für möglich gehalten, vgl. Meier-Greeve, BB 2009, 2555, 2560. 223  Die Formulierung geht auf die Risikoerhöhungslehre zurück und basiert auf der gesetzgeberischen Wertung, dass der Täter sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Risikoverringerung nutzen muss, vgl. Fleischer, AG 2014, 328; Rogall, KK OWiG, 130, Rn. 100. In praktischer Hinsicht dient die Anerkennung der Risikoerhöhungslehre dazu, die mit der für ein Unterlassen erforderlichen hypothetischen (Quasi-)Kausalität einhergehenden Beweisschwierigkeiten zu ersetzen, Bock, Criminal Compliance, 340. 224  Eine Tendenz, die Anforderungen an den Kausalitätsnachweis bei Organisations- und Aufsichtspflichtverletzungen abzusenken sieht Fleischer, AG 2014, 328; ders., CCZ 2008, 3.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

senen oder mangelhaften Compliance durch den Vorstand zu erkennen hat und einen nach Maßgabe der Rechtsprechung des LG München I bestehenden Schadenersatzspruch der AG gegenüber dem pflichtwirig handelnden Vorstand nach §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG zu prüfen hat.225 cc) Zwischenergebnis zum Inhalt gesellschaftsrechtlicher Compliance-Pflichten Den Vorstand einer AG trifft auf gesellschaftsrechtlicher Ebene neben der Pflicht, sich selbst legal zu verhalten und die AG nicht zu schädigen, eine relative, weil nur im Innenverhältnis zur Gesellschaft bestehende Organisationspflicht zur Sicherstellung legalen Verhaltens in der AG. Diese leitet sich für Vorstände von sämtlichen Aktiengesellschaften aus einem Zusammenspiel der Leitungs- und Organisationspflicht aus § 76 Abs. 1 AktG und der bei Ausübung der Leitungsmacht nach § 93 Abs. 1 AktG zu beachtenden Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ab. Sie wird durch die Vorschrift des § 91 Abs. 2 AktG für den Bereich der bestandgsgefährdenden Risikokontrolle konkretisiert. b) Relative Wirkung bei Verletzung der Legalitäts- und Organisationspflicht Die Verletzung der aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1, 91 Abs. 2 AktG folgenden gesellschafsrechtlichen Compliance-Pflicht begründet nach der jüngsten Rechtsprechung des LG München I das Risiko von Schadenersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber dem handelnden oder zur Handlung berufenen Vorstandsmitglied, soweit hierdurch eine kausale Schädigung des Gesellschaftsvermögens bewirkt wird. Zentraler Unterschied zwischen einer Innen- und Außenhaftung des Vorstands ist, dass dieser bei einer Verletzung von Pflichten im Innenverhältnis nur gegenüber der Gesellschaft haftet und die Pflichtverletzung daher nur innerhalb dieser „geahndet“ werden kann.226 Demgegenüber führt eine Pflichtverletzung im Außenverhältnis, etwa weil ein Verstoß gegen Vorschriften des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts oder auch gegen die aus § 823 Abs. 1 abgeleiteten betriebliche Organisa­ tionspflichten vorliegt, zu einem unmittelbaren Sanktionsdurchgriff auf die AG beziehungsweise auf den handelnden oder im Falle eines Unterlassens 225  Zu dem haftungsrechtlichen Zusammenspiel der Rechtsprechung des LG München I mit der für den Aufsichtsrat bedeutsamen ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung siehe die Ausführungen in Teil 3 C. III. 2. a) bb). 226  Etwa durch Abberufung des Vorstands oder durch Geltendmachung von Schadenersatz.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand167

zur Handlung verpflichteten Vorstand.227 Bei einer Aufsichtsverletzung nach § 130 Abs. 1 OWiG kann über die Vorschrift des § 30 OWiG mittels einer Geldbuße auch direkt auf die AG zugegriffen werden. Diese Differenzierung wirkt sich auf die Reichweite von CompliancePflichten aus. Innerhalb der rechtswissenschaftlichen Literatur wird deshalb zu Recht darauf hingewiesen, dass die aus §§ 76 Abs. 1, 91 Abs. 2, 93 Abs. 1 S. 1 AktG folgenden Compliance-Pflichten des Vorstands nur im Verhältnis zur AG bestehen und aufgrund dieser Relativität im Außenverhältnis keine unmittelbare Wirkung entfalten.228 Aus ihnen lassen sich daher über den Einzelfall hinaus keine „ganz bestimmten“ für alle Aktiengesellschaften gleichermaßen Geltung entfaltende Compliance-Programme ableiten.229 Vor diesem Hintergrund ist anzuerkennen, dass eine aus den Vorschriften der §§ 76 Abs. 1, 91 Abs. 2, 93 Abs. 1 S. 1 AktG abgeleitete Compliance-Pflicht des Vorstands nicht originär darauf gerichtet ist, Verstöße gegen sämtliche in Betracht kommenden Rechtsvorschriften zu verhindern, sondern lediglich darauf abzielt, von der AG einen „Schaden“ fernzuhalten.230 In Übereinstimmung mit den Literaturstimmen231, die einer inhaltlich bestimmten Compliance-Pflicht für alle Aktiengesellschaften kritisch gegenüberstehen, ist daher festzuhalten, dass aus der gesellschaftsrechtlichen Pflicht zur Compliance nicht unmittelbar eine im Außenverhältnis wirkende Compliance-Pflicht mit der Folge eines straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Sanktionsdurchgriffs folgt. 5. Schlussfolgerung bezüglich der gesellschaftsrechtlichen Compliance-Pflicht Aus der allgemeinen Leitungsverantwortung des Vorstands nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG lässt sich de lege lata nur die grundsätzliche im Innenverhältnis wirkende Verpflichtung ableiten, eine zur Sicherstellung des Legalitätsprinzips geeignete Compliance-Organisation einzurichten. Der Inhalt einer solchen Pflicht wird weder durch das Aktiengesetz noch durch sektorspezifische Regelungen im Detail vorgegeben, sondern orientiert sich 227  Zutreffend Koch, WM 2009, 1016. Zur deliktischen Organhaftung MüKoBGB/ Wagner, § 823 Rn. 112 ff.; Kort, FS Hopt 2010, 1001. 228  So etwa Kort, FS Hopt 2010, 995; ders., FS Roth 2011, 408; Koch, WM 2009, 1015 f.; Hüffer, FS Roth 2011, 304; Moosmayer, NJW 2012, 3014. 229  Zutreffend Kort, FS Hopt 2010, 995. Insoweit ist auch zu sehen, dass die „Reichweite“ einer relativen Pflicht in Abhängigkeit zu der individuellen Situation der Gesellschaft steht. 230  In Bezug auf Konzernsachverhalte siehe Koch, WM 2009, 1015. 231  Kort, FS Hopt 2010, 995; Koch, WM 2009, 1015 f.; Moosmayer, NJW 2012, 3014.

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mit Blick auf das Betätigungsfeld, der branchenabhängigen Risikoorientierung und aufgrund divergierender Mitarbeiterzahlen an Größe, Komplexität und Risikoklasse des einzelnen Unternehmens.232 Es handelt sich aus Sicht des Vorstands um eine interne gesellschaftsrechtliche Pflicht, die flexibel und in Abhängigkeit zu den spezifischen Bedürfnissen der AG zu erfüllen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Vorstände von kleineren Aktiengesellschaften keine organisatorischen Vorkehrungen zur Einhaltung der Legalität in der AG treffen müssen, nur weil sich aus der Leitungsaufgabe und der mit ihr nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG einhergehenden Legalitäts- und Organisationspflicht keine detaillierten inhaltlichen Vorgaben ableiten lassen. Richtigerweise müssen kleinere Gesellschaften mit überschaubaren Strukturen nach geltender Rechtslage zwar keine bestimmten und ins Detail gehenden „institutionalisierten Compliance-Organisations­ strukturen“233 schaffen, sodass zur Sicherstellung der Normtreue ausreichend sein kann, wenn der Vorstand durch alternative und gleichermaßen geeignete Maßnahmen, wie etwa durch Anweisungen im Umgang mit Geschäftspartnern, konsequente Aufklärung, Verfolgung und Sanktionierung von Verdachtsfällen in der AG, durch Schaffung von internen Richtlinien sowie durch Dokumentation und Durchführung von Stichproben, organisatorisch tätig wird. Eine solche Pflicht zur Compliance besteht unabhängig von Risikostruktur und Größe der AG und ist Ausfluss der allgemeinen Leitungsaufgabe des Vorstands. Diese allgemeine Pflicht zur Compliance verdichtet sich nach der überwiegenden Meinung im Schrifttum und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung234 spätestens ab einer bestimmten Unternehmensgröße sowie bei Vorliegen einer „bestimmten Risikoklasse“235 zu einer Pflicht, eine „auf Schadensprävention und Risikokontrolle“ angelegte „Compliance-Organisation“236 232  Zutreffend Kort, FS Hopt, 2010, 994; ders., NZG 2008, 84; ders., FS Roth, 2011, 408 f.; ders., in: Großkomm AktG, 4. Aufl., § 91 Rn. 65; Plagemann, NZG 2013, 1298; Hüffer, FS Roth, 2011, 303 f.; LG München I, NZG 2014, 345 ff.; Bunting, ZIP 2012, 1544. 233  Zur sog. „Mittelstands-Compliance“ Bürkle, CCZ 2015, 54. Siehe auch Bicker, AG 2012, 544; Kort, FS Hopt 2010, 995; ders., NZG 2008, 84 ff.; ders., Großkomm AktG, § 91 Rn. 65 ff., § 76 Rn. 36; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2174; Hauschka, ZIP 2004, 877 ff.; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 120 f.; Fleischer, AG 2003, 299; Bürkle, BB 2005, 565, 568, 570. 234  LG München I, NZG 2014, 346. 235  Für eine Rechtspflicht zur Compliance bei entsprechendem Gefahrenpotential zutreffend Kort, FS Hopt 2010, 995; LG München I, NZG 2014, 345 f.; Plagemann, NZG 2013, 1298. 236  LG München I, NZG 2014, 348; Fett, CCZ 2014, 143 f.; Simon/Merkelbach, AG 2014, 320 f.; Bicker, AG 2012, 544; Kort, FS Hopt 2010, 995; Reichert/Ott, ZIP



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand169

einzurichten. Aus dem Aktienrecht und den Vorgaben der Rechtsprechung des LG München I lassen sich als integrale Elemente eines Compliance Systems drei Kernpflichten ableiten. Zunächst treffen den Vorstand im Vorfeld von Schadensfällen Handlungs-, Organisations- und Informationspflichten, die auf Implementierung eines an den spezifischen Bedürfnissen der AG ausgerichteten Compliance-Systems gerichtet sind und das Ziel der Haftungsvermeidung verfolgen. Bei Erkennen einer Verdachts- oder Gefährdungslage hat der Vorstand repressiv tätig zu werden und umgehend geeignete Maßnahmen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung zu ergreifen.237 Letztlich wird der Vorstand seiner Compliance-Verantwortung nur vollständig gerecht, wenn er ein von ihm eingerichtetes Compliance-System durch regelmäßige und anlassbezogene Systemprüfung kontinuierlich auf seine Wirksamkeit hin überwacht.

III. Im Außenverhältnis wirkende (Criminal-)Compliance-Pflichten des Vorstands Die vorstehend auf gesellschaftsrechtlicher Ebene herausgearbeitete Compliance-Pflicht ist im Folgenden unter Heranziehung des die Gesellschaft als Rechtssubjekt im Außenverhältnis adressierenden Regelungsgehalts der §§ 130, 9, 30 OWiG für den Bereich der Criminal-Compliance weiter zu konkretisieren. Aufgrund des allgemeinverbindlichen Charakters dieser bußgeldbewehrten Vorschriften könnten sich im Außenverhältnis wirkende organisatorische Mindestanforderungen für die AG und deren Vorstand ableiten lassen und zu dem gesellschaftsinternen Pflichtenspektrum in Beziehung treten. Nachdem die Compliance-Pflichten des Vorstands, die auf den Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats rückwirken könnten, im Innen- und Außenverhältnis vermessen sind, kann am Ende dieses Kapitels der Versuch unternommen werden, die Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats unter gesellschaftsrechtlichen Parametern zu bestimmen. Sodann sind in Teil 5 die den Aufsichtsrat treffenden Compliance-Pflichten noch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten zu untersuchen.

2009, 2174; Fleischer, CCZ 2008, 1, 3; ders., AG 2003, 299 f.; Liese, BB-Special 2008, Heft 25, 18 ff.; Dreher, FS Hüffer, 2010, 168 ff.; Winter, FS Hüffer, 2010, 1105. 237  Siehe nur Reichert, ZIP 2009, 2176 f.; Kort, FS Roth 2011, 412; ders., FS Hopt 2010, 984.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

1. „Criminal Compliance“ als Untergrenze der Aufsichts- und Kontrollpflicht Während sich Corporate Compliance auf sämtliche für die AG, deren Organe und Mitarbeiter geltenden externen und internen Regelungen bezieht, unterschiedlichste Rechtsbereiche umfasst und zur Gewährleistung von rechtmäßigem Verhalten der Unternehmensangehörigen nicht nur normative, sondern auch institutionelle und technische Maßnahmen beinhaltet238, erstreckt sich „Criminal Compliance“239 in materieller Hinsicht auf das spezifisch aus der Verletzung von straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Normen resultierende Risiko.240 Es handelt sich um eine spezielle Ausprägung des Corporate Compliance und ist aufgrund der ausschließlich kriminalitätsbezogenen Risikosteuerung auch Teil des Risikomanagements.241 a) Zielrichtung von Criminal Compliance Die Zielrichtung besteht in Abgrenzung zur Corporate Compliance materiell darin, gerade die Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Unternehmen zu verhindern.242 Diese Pflicht folgt im Innenverhältnis aus der Legalitätspflicht des Vorstands gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG. Im Kontext der Criminal Compliance bedeutet dies, schon im Vorfeld zivilrechtliche Maßnahmen zu ergreifen und organisatorische Rahmenbedingungen zu schaffen, die geeignet sind, den Anschein eines strafrechtswidrigen 238  Eine normative Maßnahme wäre die Schaffung interner Unternehmensrichtlinien. Eine institutionelle Maßnahme bestünde in der Einrichtung eines „ComplianceOffice“ bzw. der Bestellung eines „Compliance-Officers“. In technischer Hinsicht könnte eine Compliance-Maßnahme in der Einrichtung einer Meldestelle für „Whistleblower“ liegen. Rotsch, ZStW 2013, 125, 484. Zur unternehmensinternen Strafrechtsdurchsetzung Kölbel, MSchrKrim 2008, 31. 239  Zum Begriff siehe Rotsch, ZIS 2010, 614 ff.; ders., FS Samson 2010, 143; ders., ZStW 2013, 125, 481, 484; Kölbel, ZStW, 125, 499; Bock, Criminal Compliance, 19 ff., 22; ders., wistra 2011, 201 ff.; ders., ZIS 2009, 68 ff.; ders., HRRS, 2010, 316 ff. 240  Ebenso Bock, wistra 2011, 201. Zu den aus strafrechtlicher Sicht in Betracht kommenden Normen siehe auch die umfassende Darstellung bei Minkoff, CCZ 2012, 50. 241  In diese Richtung auch zutreffend Rotsch, ZStW 2013, 125 (3), 481, 487, Fn. 36; Bock, ZIS 2009, 76, wonach strafrechtliches Risikomanagement die Bereiche Risikoidentifikation, – Bewertung und Bewältigung erfasst und Teil der geschuldeten Aufsicht i. S.d § 130 OWiG ist. 242  Bock, wistra 2011, 201; Rotsch, ZStW 2013, 125 (3), 481, 487, der die Intention von Criminal Compliance-Maßnahmen richtigerweise nicht ausschließlich in seiner präventiven Dimension begreift, sondern auch deren repressiven und ökonomischen Gehalt erkennt.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand171

Verhaltens und damit eine potentielle Haftung im Außenverhältnis, etwa gemäß §§ 130, 9, 30 OWiG, zu vermeiden.243 Daher ist zu untersuchen, welche Außenhaftungsrisken die AG treffen und durch welche organisatorischen Maßnahmen diese steuerbar sind244. b) Adressaten von Criminal Compliance Die Ausgestaltung eines Criminal-Compliance-Systems hat daher auch sämtliche für die AG relevanten Tätergruppen zu berücksichtigten. Dies sind neben den in der AG beschäftigten Mitarbeitern auch deren Organe.245 Das Handeln dieser „potentiellen Tätergruppe“ lässt sich nach Zielrichtung und Schadenswirkung unterscheiden.246 Denkbar ist, dass in der AG beschäftigte Mitarbeiter durch ihr Handeln einen Schaden Dritter verursachen und hierdurch die AG indirekt schädigen.247 Daneben können sich in der AG Mitarbeiter befinden, die diese selbst schädigen, indem sie durch ihr Handeln auf Kosten der AG entweder sich selbst oder Dritten einen nicht gerechtfertigten Vorteil verschaffen wollen.248 Letztlich kommen auch außerhalb der AG stehende Dritte (Geschäftspartner) als mögliche Täter in Betracht. Deren kriminelles Handeln kann die AG gleichfalls schädigen beziehungsweise gefährden.249 Eine wirksame Criminal Compliance-Organisation hat neben den relevanten Tätergruppen letztlich auch den Staat, respektive die Strafverfolgungsbehörden in den Blick zu nehmen und das Spannungsfeld zwischen dem Unternehmensziel, nicht Objekt staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen zu werden, und dem staatlichen Straf- und Kontrollbedürfnis aufzugreifen.250

243  Ein Criminal Compliance System sollte daher in der Lage sein, bereits das Entstehen eines Anfangsverdachts zu vermeiden. Überzeugend Rotsch, ZStW 2013, 125 (3), 481, 489. 244  In diese Richtung auch Minkoff, CCZ 2012, 50. 245  Ebenso Rotsch, ZStW 2013, 481, 491. 246  Pauthner-Seidel/Stephan, in: Hauschka, Corporate Compliance, 2007, § 27 Rn. 21; Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 23 ff. 247  Diese aus dem Unternehmen heraus in der Regel zu Gunsten des Unternehmens und zu Lasten Unternehmensfremder begangenen Taten lassen sich als „Entlastungskriminalität“ bezeichnen, siehe Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 23. Das Schadensrisiko folgt für die AG neben dem Erlass von Bußgeldern vor allem aus einem drohenden Reputationsschaden. 248  Diese Form der Kriminalität wird auch als „Belastungskriminalität“ bezeichnet, vgl. Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 23. 249  Pauthner-Seidel/Stephan, in: Hauschka, Corporate Compliance, 2007, § 27 Rn. 21. 250  Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 22; ders., ZIS 2009, 68; Rotsch, ZStW 2013, 491.

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2. Rechtsgrundlage und Pflichtenrahmen einer Criminal Compliance-Organisation Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Vorstand parallel zu den aus dem Gesellschaftsrecht folgenden CompliancePflichten zugleich eine im Außenverhältnis wirkende „strafrechtliche Unternehmensaufsicht“251 schuldet. Ausgangspunkt für eine solche „externe“ Compliance-Pflicht, die über das Kriterium der Legalitätspflicht in Beziehung zu der internen Compliance-Pflicht des Vorstands stehen könnte, sind sämtliche die AG als juristische Person beziehungsweise deren Organe und Mitarbeiter adressierenden Normen, sofern diese mit Wirkung gegenüber Dritten organisatorische Anforderungen begründen.252 Neben den Vorschriften des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts kommen die Normen zum Schutz absoluter Rechte im Deliktsrecht, insbesondere die Vorschrift des § 831 BGB, sowie die von der Rechtsprechung zur Vermeidung von Drittschäden aus § 823 BGB entwickelten betrieblichen Organisationspflichten in Betracht. a) §§ 130, 9, 30 OWiG als Grundlage der strafrechtlich gebotenen Compliance Im Rahmen dieser Arbeit wurde bereits festgestellt, dass aus den Vorschriften der §§ 130, 9, 30 OWiG keine Pflicht zur Einrichtung eines umfassenden Compliance-Systems folgt, da die im Außenverhältnis wirkenden Vorschriften der §§ 130, 9, 30 OWiG inhaltlich lediglich den spezifischen Teilaspekt der straf- beziehungsweise ordnungswidrigkeitsrechtlichen Aufsichtspflicht erfassen und darüber hinaus – im Unterschied zur der jüngst in das KWG eingefügten Strafvorschrift des § 54a KWG – keine bußgeldbewehrten Vorgaben für die Implementierung eines allgemeinen oder spezifischen Risikokontrollsystems beinhalten.253 Folglich können sie auch nur für den Bereich der Criminal Compliance die inhaltliche Grundlage bilden.254 251  Bock, wistra 2011, 201. Siehe auch Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht, S.  57 ff. 252  Siehe auch Kort, FS Hopt 2010, 995; ders., WM 2009, 1016; Bunting, ZIP 2012, 1545 f. 253  Nach § 54a KWG macht sich der Geschäftsleiter eines Instituts strafbar, wenn er nicht dafür „Sorge trägt“, dass das Institut „über einen Prozess, ein Verfahren, eine Funktion oder ein Konzept“ zur Vermeidung von bestandsgefährdenden Risiken verfügt, vgl. Ahlbrecht, BKR 2014. 254  Zivilrechtliche Aufsichts- und Kontrollpflichten reichen über dasjenige, was durch § 130 OWiG gefordert wird hinaus, da diese nicht nur auf die Aufsicht zur Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begrenzt sind, sondern sich



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand173

Gleichwohl könnte das aus §§ 130, 9, 30 OWiG folgende Pflichtenspektrum aber zu der vom Vorstand im Innenverhältnis gegenüber der AG bestehenden Compliance-Pflicht insoweit in Beziehung treten, als dass sich aus diesem speziell für den Bereich der strafrechtlichen Unternehmensaufsicht ein inhaltliches Minimum an Compliance-Pflichten gewinnen ließe, welches der Vorstand bei Ausgestaltung des gegenüber der AG geschuldeten Compliance-Systems auch zu berücksichtigen hat, um eine Außenhaftung der AG zu vermeiden. Dieses im Außenverhältnis wirkende Pflichtenspektrum könnte den Vorstand nicht nur unmittelbar gegenüber Dritten verpflichten, sondern – aufgrund der aus der Leitungsaufgabe folgenden Legalitätspflicht – zugleich im Innenverhältnis binden und zur Veranlassung von geeigneten organisatorischen Maßnahmen verpflichten. Andernfalls begründet er das Risiko einer Außenhaftung der AG, etwa gemäß § 30 OWiG, die wiederum eine Innenhaftung gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG nach sich zöge. Den auf Sekundärebene zum Tragen kommenden Vorschriften der §§ 130, 9, 30 OWiG käme unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung somit eine die interne gesellschaftsrechtliche Compliance-Pflicht des Vorstands präzisierende Wirkung zu.255 Ein für Vorstände im Innen- und Außenverhältnis gleichermaßen Geltung beanspruchendes Pflichtenspektrum könnte ein Mindestmaß an Compliance-Anforderungen bilden256 und deren Sorgfaltspflichten konkretisieren. aa) Regelungsgehalt und Bedeutung der §§ 130, 9, 30 OWiG für den Vorstand Nach § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG handelt ordnungswidrig, wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhinauch auf die Prävention von Nachteilen und Schäden für das Unternehmen bzw. Dritte „insgesamt“ beziehen können. 255  Auf das „komplexe Wechselspiel zwischen Zivil- und Strafrecht“ weist auch Spindler, AG 2013, 903 hin. Zur wechselseitigen Argumentation zwischen Zivil- und Strafrecht im Bereich der konzernrechtlichen Compliance siehe J. Koch, WM 2009, 1013 ff.; Rieder/Jerg, CCZ 2010, 201; Bunting, ZIP 2012, 1542, 1542 ff. Umgekehrt können die gesellschaftsrechtlich begründeten internen Compliance-Pflichten auch das Maß strafrechtlich gebotener (externer) Compliance-Maßnahmen konkretisieren, vgl. Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 571. 256  Moosmayer, NJW 2012, 3014, der eine aus §§ 130, 9, 30 OWiG abgeleitete Compliance-Pflicht zutreffend als „harten Kern“ der Compliance bezeichnet.

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dert oder wesentlich erschwert worden wäre. Gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG gehören zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen. Die Regelung des § 130 OWiG wird durch die Vorschrift des § 30 OWiG ergänzt. Danach kann eine Geldbuße gegen die juristische Person oder die Personenvereinigung verhängt werden, wenn ein vertretungsberechtigtes Organ, ein leitender Mitarbeiter oder eine sonstige aufsichtspflichtige Person eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen und dabei betriebsbezogene Pflichten verletzt hat oder das Unternehmen bereichert worden ist beziehungsweise bereichert werden sollte. Eine Ordnungswidrigkeit, bei der betriebliche Pflichten verletzt wurden, kann insbesondere eine Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 OWiG sein257, sodass ein „Durchgriff“ auf das Unternehmen ermöglicht wird.258 Ist eine juristische Person oder Personenvereinigung „Betriebs- oder Unternehmensinhaber“ im Sinne des § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG und damit aufsichtspflichtig, erlangt die Vorschrift des § 9 OWiG Bedeutung, da diese den vertretungsberechtigten Organen, Gesellschaftern und gesetzlichen Vertretern die Unternehmens- und Betriebsinhaberschaft als besonderes persönliches Merkmal259 mit der Folge zurechnet, dass diese taugliche Täter des § 130 OWiG sind.260 Diese in § 9 OWiG geregelte Organ-, Vertreter- und Beauftragtenhaftung schließt für den Bereich der Sonder- und Pflichtdelikte eine Haftungslücke und verhindert die Straflosigkeit der handelnden natürlichen Person.261 Zugleich begründet sie die Voraussetzung für die Festsetzung ei257  Pelz, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 6 Rn. 2. Richtigerweise bezieht sich die Vorschrift des § 130 OWiG nicht nur auf Sonderdelikte, sondern auch auf die Verletzung sämtlicher betriebsbezogener Pflichten, wozu auch Allgemeindelikte wie Betrug und Untreue gehören, wenn sie nur im Zusammenhang mit der Führung eines Unternehmens stehen, vgl. Pelz, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 6 Rn. 3; Bock, ZIS 2009, 72; a. A. Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 84 ff.; Achenbach, HWSt, I/3, Rn. 45. 258  Hierin liegt die besondere Bedeutung des § 130 OWiG, vgl. Wittig, WStR, 3. Aufl. 2014, § 6, Rn. 129; Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 6; Wirtz, WuW 2001, 342 ff. Zum Verhältnis von § 130 OWiG zu § 30 OWiG siehe auch Blassl, CCZ 2016, 201, 205 ff. 259  Többens, NStZ 1999, 7. 260  Wittig, WStR, 3. Aufl. 2014, § 6, Rn. 129, 133; Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 23; ders., ZStW 1986, 576; Többens, NStZ 1999, 7, der die Vorschrift daher auch als „Tatbestandsergänzungsvorschrift“ bezeichnet. 261  Eine solche kann insbesondere dann entstehen, wenn das Unternehmen selbst Adressat des Straf- oder Bußgeldtatbestandes ist, sich aber als juristische Person oder Personenvereinigung nicht strafbar machen kann, während es bei den für das Unternehmen handelnden natürlichen Personen gerade an dem die Strafbarkeit begründenden besonderen persönlichen Merkmal der „Betriebsinhaberschaft“ fehlt, Wittig, WStR, 3. Aufl. 2014, § 6, Rn. 129, 77.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand175

ner Geldbuße gegen das Unternehmen im Sinne des § 30 OWiG262, da die hierfür erforderliche Anknüpfungstat, etwa die Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG, dadurch konstruiert werden kann, dass gemäß § 9 OWiG das Merkmal „Betriebsinhaber“ von der Unternehmensebene nach unten auf die Organ- oder Leitungsebene und das pflichtwidrige Verhalten von einer unteren Organisationsstufe hoch zur Führungsebene zugerechnet wird.263 bb) Gesetzlicher Pflichtenrahmen der §§ 130, 9, 30 OWiG und Sanktionsrisiko Für den Vorstand einer AG als dem vertretungsberechtigten Organ einer juristischen Person folgt die Aufsichtspflicht aus §§ 130 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG. Eine von ihm begangene Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 OWiG stellt daher eine taugliche Anknüpfungstat im Sinne des § 30 OWiG dar und begründet für die AG das Risiko einer Geldbuße von bis zu zehn Millionen Euro.264 Zugleich stellt die Verletzung einer Pflicht im Außenverhältnis eine im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft wirkende Pflichtverletzung dar und begründet das Risiko von erheblichen Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Vorstandsmitglied.265 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Verhaltensweisen der Vorstand einer AG im Außenverhältnis schuldet, um eine Innen- und Außenhaftung zu vermeiden. Zunächst ist festzuhalten, dass § 130 OWiG keine abschließende gesetzliche Konkretisierung der Aufsichtspflichtverletzung beinhaltet und in Absatz 1 Satz 1 vom Betriebsinhaber nur die Vornahme der erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen verlangt. Nach dem Wortlaut sind Zuwiderhandlungen durch 262  Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 9, Rn. 91. Zum Zusammenspiel der §§ 9, 130, 30 OWiG Többens, NStZ 1999, 7 f. Zur Verbandsgeldbuße siehe Eidam, wistra 2003, 447 ff. 263  Das Zusammenspiel der §§ 130, 9, 30 OWiG führt letztlich zu einer Vergrößerung des Anwendungsbereichs der Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG. Siehe hierzu Többens, NStZ 1999, 8. In dieselbe Richtung auch Wirtz, WuW 2001, 342, der von einem „konsistenten Ordnungswidrigkeitenrechtlichen System“ spricht. Siehe auch Rogall, ZStW 1986, 579 ff. 264  Zum Bußgeldrahmen bei einer vorsätzlichen bzw. fahrlässigen Straftat siehe § 30 Abs. 2 OWiG. Im Falle einer Ordnungswidrigkeit bestimmt sich das Höchstmaß der Geldbuße gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 OWiG nach dem für die Ordnungswidrigkeit angedrohten Höchstmaß der Geldbuße. Dieses kann bei einer Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG gemäß § 130 Abs. 3 S. 2 OWiG ebenfalls bis zu zehn Millionen Euro betragen. Würde man demgegenüber „nur“ den eigentlichen Täter bebußen, so könnte die Geldbuße gemäß § 17 OWiG nur nach dessen persönlichen wirtschaftlichen Verhältnissen festgesetzt werden. 265  Zu den Folgen von Non-Compliance siehe auch den Überblick bei Bock, ZIS 2009, 68 ff.

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gehörige Aufsicht zu verhindern. Gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG gehören hierzu die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen. Aus diesen gesetzgeberischen Wertungen lässt sich die vom Vorstand, der über die Zurechnungsnorm des § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG als Betriebsinhaber anzusehen ist, geschuldete Aufsichtspflicht insoweit konturieren, als dass nur tatsächlich oder rechtlich mögliche266, erforderliche und zumutbare Maßnahmen267 geschuldet werden.268 Unter dem Blickwinkel der Criminal Compliance sind primär solche Maßnahmen erforderlich, die aufgrund ihrer verhaltensbeeinflussenden Wirkung die Wahrscheinlichkeit dafür absenken, dass unternehmensbezogene Straftaten begangen werden.269 Konkrete Maßnahmen müssen so ausgestaltet sein, dass betriebsbezogene Pflichten, wozu auch die Beachtung allgemein strafrechtlicher Verbote gehören, wenn sie im Zusammenhang mit der Führung eines Unternehmens stehen270, voraussichtlich eingehalten werden.271 Der Aufsichtspflichtige darf zwischen mehreren gleich geeigneten Maßnahmen diejenige mit der geringsten Belastungswirkung ergreifen.272 Aus § 130 OWiG lässt sich nicht folgern, dass alles, was arbeitsrechtlich, organisatorisch oder technisch möglich ist, sanktionsrechtlich erzwungen werden darf.273 Da es weder eine Pflicht zur Verhinderung jeglicher Risiken gibt, noch eine solche überhaupt erfüllbar wäre, ist nur die Schaffung einer nicht mehr tolerierbaren Gefahr zu ahnden.274 Die aus § 130 Abs. 1 OWiG unter Criminal-Compliance-Gesichtspunkten abzuleitenden Organisationspflichten finden damit in der Zumutbarkeit von Aufsichtsvorkehrungen eine natürliche und  – wie der Wortlaut der Vorschrift mit der Formulierung „gehörige Aufsicht“ zum Ausdruck bringt  – auch rechtliche Grenze. Der Vorstand ist deshalb auch nicht verpflichtet, ein flächendeckendes Kontrollnetz 266  Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 38; Bock, ZIS 2009, 74. Rechtlich unzulässig wäre z. B. eine lückenlose Video- oder Telefonüberwachung. 267  Die Grenze der Zumutbarkeit folgt aus der Formulierung „gehörige Aufsicht“, vgl. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1999, 151; Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 38. 268  BGH, NStZ 1997, 544 ff.; Bock, ZIS 2009, 74. 269  Zutreffend Bock, ZIS 2009, 74; ders., HRRS 2010, 316 ff. zur Frage der strafrechtlich gebotenen Unternehmensaufsicht als Mittel der Absenkung des Schadenserwartungswertes. 270  Pelz, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 6 Rn. 3; Bock, ZIS 2009, 72; a. A. Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 84 ff.; ders., ZStW 1986, 604, 618. 271  BGHSt 25, 158 ff., 163; BGH NJW 1973, 1513 f.; Bock, ZIS 2009, 74. 272  Bock, ZIS 2009, 74; Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 38, 48. 273  Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 38. 274  Bock, ZIS 2009, 74, wonach der Vorstand erlaubte Risikosetzungen von unerlaubten abzugrenzen hat, indem er die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Aufwand der Aufsichtsmaßnahme und der Wahrscheinlichkeit einer Normverletzung abschätzt.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand177

aufzubauen.275 Er darf bei der Ausgestaltung der Aufsichtsmaßnahmen vielmehr darauf vertrauen, dass seine Mitarbeiter ihren Pflichten selbständig nachkommen.276 Mit Blick auf diese gesetzliche Ausgangslage und den fragmentarischen Charakter des Strafrechts277 ist daher in Übereinstimmung mit Bock zu akzeptieren, dass strafrechtlich nur ein Grundmaß an Organisationspflichten abgesichert werden kann und kein umfassender sämtliche denkbaren Risiken abdeckender Rechtsgüterschutz möglich ist.278 Andernfalls bestünde die Gefahr, dass Compliance-Systeme eine übermäßige interne Regulierung bewirken, mit der Folge, dass das Unternehmen wegen überzogener organisatorischer Anforderungen unverhältnismäßige, unwirtschaftliche und daher unzumutbare Vorkehrungen zu treffen hätte.279 cc) Konkretisierung des Pflichtenrahmens durch Literatur und Rechtsprechung Die aus den gesetzlichen Vorgaben des § 130 OWiG abgeleiteten allgemeinen Grundsätze könnten sich aber unter Berücksichtigung der rechtswissenschaftlichen Literatur und der Vorgaben der Rechtsprechung konkretisieren lassen und sich zu einer strafrechtlich relevanten „Mindest-Aufsichtspflicht“ im Sinne einer Criminal-Compliance-Pflicht verdichten. Die Literatur leitet aus dem in § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG enthaltenen Merkmal der „gehörigen Aufsicht“ Leitungs-, Koordinations-, Organisations- und Kontrollpflichten ab und konkretisiert dieses Pflichtenspektrum dahingehend, dass der Aufsichtspflichtige für eine sorgfältige Auswahl von Mitarbeitern und Aufsichtspersonen zu sorgen habe.280 Im Anschluss daran sei er verpflichtet, eine sachgerechte Organisation und Aufgabenverteilung vorzunehmen.281 Die Mitarbeiter seien sodann über ihre Aufgaben und Pflichten zu 275  Rogall,

in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 40; ders., ZStW 1986, 602 f. Vertrauensgrundsatz gilt jedoch nicht, wenn sich aufgrund von Ereignissen in der Vergangenheit, z. B. aufgetretener Non-Compliance Fälle, schon kein berechtigtes Vertrauen bilden durfte. Siehe hierzu auch Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 40. Zur „Aussortierung“ von Exzesstaten bei der Umgehung von Compliance Blassl, CCZ 2016, 201 ff. 277  Der Tatbestand des § 130 OWiG ist Teil des auch Ordnungswidrigkeiten umfassenden Wirtschaftsstrafrechts. Siehe nur Rogall, ZStW 98, 1986, 575; Bock, wistra 2011, 201. 278  Bock, ZIS 2009, 74; ders., wistra 2011, 205. 279  Bürkle, BB 2005, 566; Bock, ZIS 2009, 74, der die Zumutbarkeit im Wege eines strafrechtlichen Risikomanagements bestimmen möchte. Siehe auch Michalke, StV 2011, 245 ff. 280  Wirtz, WuW 2001, 343; Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 40. 281  Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 40. 276  Der

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

instruieren und aufzuklären.282 Letztlich bestünde die Pflicht, eine adäquate Überwachung und Kontrolle durchzuführen und bei festgestellten Verstößen eine angemessen Sanktion anzudrohen und zu verhängen.283 Anknüpfend an die im Schrifttum vorgenommene Kategorisierung ist bei der Deduktion von Aufsichtspflichten zu beachten, dass sich deren Umfang nicht abstrakt für alle denkbaren Fälle bestimmen lässt, sondern maßgeblich von individuellen Faktoren abhängt. Zentrale Bedeutung kommt der einzelfallbezogenen Rechtsprechung zu. Der Umfang von Aufsichtspflichten hängt danach von Art, Größe und Organisation des Betriebs, den unterschiedlichen Überwachungsmöglichkeiten, der für die Unternehmung einschlägigen Vorschriften sowie der Anfälligkeit des Betriebs für Verstöße gegen die ihn treffenden Bestimmungen ab, wobei vor allem solche Fehler erheblich sein können, die bereits in der Vergangenheit gemacht wurden.284 Die Rechtsprechung verlangt zur Vermeidung einer Haftung wegen einer Aufsichtspflichtverletzung, die Aufsicht grundsätzlich in der Form wahrzunehmen, dass die betriebsbezogenen Pflichten „voraussichtlich“ eingehalten werden285, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Aufsichtspflichtige nur geeignete286 und zumutbare Maßnahmen schuldet.287 Ferner darf er zwischen mehreren geeigneten Maßnahmen diejenige mit der geringsten Belastung wählen.288 Maßgeblich ist die Sorgfalt, die von einem ordentlichen Angehörigen des jeweiligen Tätigkeitsbereichs verlangt werden kann.289 Aus der Rechtsprechung lässt sich entnehmen, dass der Aufsichtspflichtige seiner aus § 130 OWiG folgenden Aufsichtspflicht jedenfalls dann nicht genügt, wenn er nur gelegentlich nach dem Rechten sieht.290 Er muss, um eine Haftung zu ver282  Rogall,

in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 40. Rogall, KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 40. Liese, BB-Special 2008, Heft 25, 20. 284  OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1999, 151; OLG Zweibrücken, NStZ-RR 1998, 311 f.; OLG Köln, wistra 1994, 315; Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 40. 285  BGH, NJW 1956, 1568; BGHSt 25, 158 ff., 163 = NJW 1973, 1511; OLG Stuttgart, NJW 1977, 1410; OLG Düsseldorf, wistra 1991, 38, 39; Többens, NStZ 1999, 4. 286  § 130 OWiG fordert mit Blick auf den Eignungsgrundsatz nur solche Maßnahmen, die eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bieten, dass betriebsbezogene Verstöße unterbleiben. Exzesstaten begründen mangels Steuerbarkeit bereits keine Aufsichtspflichtverletzung. Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 42. 287  Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 42, 49 f. 288  Liese, BB-Special 2008, Heft 25, 19. 289  OLG Düsseldorf, wistra 1991, 38, 39; OLG Düsseldorf, wistra 1991, 275. 290  BGH, NJW 1956, 1568. 283  Vgl.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand179

meiden, die ihm unterstellten Mitarbeiter sorgfältig auswählen, regelmäßig und fortlaufend über die einzuhaltenden gesetzlichen Vorschriften unterrichten, ihren Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich festlegen291 sowie Stichproben durchführen. Mit Blick auf die Vielzahl von Aufsichtspflichten, beschränkt sich die Untersuchung im Folgenden auf die für eine Criminal Compliance-Organisation relevanten Überwachungs- und Kontrollpflichten. (1) Pflicht zur Aufklärung und Untersuchung von Verstößen Ergeben sich Verdachtsmomente, die auf Gesetzesverletzungen von Mitarbeitern hindeuten, muss der Vorstand bereits aufgrund seiner internen gegenüber der Gesellschaft bestehenden Compliance-Pflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1, 91 Abs. 2 AktG unverzüglich tätig werden und den Sachverhalt lückenlos aufklären.292 Nach zutreffender Ansicht scheidet bei der Frage, ob der Sachverhalt aufgeklärt wird, ein Ermessensspielraum aus.293 In Konkretisierung dieser Pflichtenlage verlangt das LG München I folgerichtig, dass sich der für die Compliance zuständige Vorstand „umfassend und fortlaufend“ zu den einzeln bekannt gewordenen Vorfällen zu informieren und sich in regelmäßigen Abständen darüber in Kenntnis setzen zu lassen hat, welche konkreten Ergebnisse interne Ermittlungen brachten, ob personelle Konsequenzen gezogen wurden und ob und wie ein dahinter stehendes System bekämpft wird.294 Diese interne gesellschaftsrechtliche Pflicht deckt sich mit der aus § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG folgenden Pflicht zur Aufklärung und Untersuchung von Verstößen. Der Vorstand kann seiner aus § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG folgenden Aufsichtspflicht nur gerecht werden, wenn er bei Verdacht auf Gesetzes- oder Normverstöße eine adäquate Sachverhaltsaufklärung betreibt.295 Andernfalls begeht er eine Aufsichtspflichtverletzung, da er dann entgegen den Vorgaben der Rechtsprechung nicht sicherstellen kann, dass betriebsbezogene Pflichten voraussichtlich eingehalten werden. Nur eine lückenlose 291  OLG

Düsseldorf, NStZ-RR 1999, 151; LG München, NZG 2014, 345 ff. AG 2014, 326; Simon/Merkelbach, AG 2014, 319; Fett, CCZ 2014, 144; Arnold, ZGR 2014, 81; zu Methoden und Grenzen der Aufklärung Arnold, ZGR 2014, 83 f. 293  Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 948; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2176; dies., NZG 2014, 242. Für ein begrenztes Ermessen Golombek, WiJ 2012, 167; Arnold, ZGR 2014, 84. 294  LG München I, NZG 2014, 348. 295  Rogall, KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 59; Wagner, CCZ 2009, 13; Fleischer, CCZ 2008, 1 f.; Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 948; Grunewald, NZG 2013, 842 f. 292  Fleischer,

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Aufklärung von verdächtigen Sachverhalten bietet nachhaltige Sicherheit dafür, dass andauernde Rechtsverstöße abgestellt sowie künftige Wiederholungen mit der gebotenen Sicherheit unterbunden werden können.296 Die dem Vorstand auferlegte Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung ist zur Sicherstellung der Einhaltung betriebsbezogener Pflichten auch geeignet297 und zumutbar. Die Pflicht des Vorstands zur Aufklärung des Sachverhalts ist somit Teil der von ihm nach § 130 Abs. 1 OWiG im Rahmen der strafrechtlichen Unternehmensaufsicht geschuldeten „gehörigen Aufsicht“ und setzt bei jedem nicht ganz fernliegenden Verdacht eines Regelverstoßes ein.298 Um diese im Außenverhältnis wirkende Pflicht ordnungsgemäß zu erfüllen, sind aus Sicht des Vorstands organisatorische Maßnahmen veranlasst.299 Neben der Initiierung von Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den betreffenden Mitarbeiter infolge der Stellung von Strafanzeigen beziehungsweise Strafanträgen300 oder der Einrichtung eines – der amerikanischen Unternehmenspraxis entstammenden – unternehmensinternen Hinweisgebersystems301 kommt als Aufklärungsmethode auch die Durchführung interner Ermittlungen302 in Betracht. Dem Vorstand steht aufgrund des prognostischen Charakters der Entscheidung und aufgrund des Umstands, dass 296  Zutreffend

Rn. 7.

Reichert/Ott, ZIP 2009, 2176; Görling, in: Compliance, Kap. 6,

297  Die Aufklärung vergangener Zuwiderhandlungen dient stets auch der Verhinderung zukünftiger Zuwiderhandlungen, wenn die Gefahr besteht, dass dieselbe Zuwiderhandlung zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt, andere Mitarbeiter durch die Nichtaufklärung zur Begehung von Zuwiderhandlungen verleitet oder Organisationsmängel nur durch umfassende Sachverhaltsaufklärung sichtbar gemacht werden können, vgl. Reichert/Ott, ZIP 2009, 2176. 298  Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 948; Reichert, ZIS 2011, 117; Rönnau/ Schneider, ZIP 2010, 53, 59; Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 62. 299  Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 59; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2176. 300  Die Einschaltung der Ermittlungsbehörden zur Sachverhaltsaufklärung kann angezeigt sein, wenn wegen den nur diesen zur Verfügung stehenden hoheitlichen Aufklärungsbefugnissen eine umfassendere Aufklärung zu erwarten ist, vgl. Reichert/ Ott, ZIP 2009, 2177. 301  Dies wird auch als „Whistleblowing“ bezeichnet, wonach durch Unternehmensangehörige unternehmensinterne oder -externe Informationen über unternehmensbezogene Regelverstöße weitergegeben werden können. Siehe hierzu Rotsch, HWSt, IV/1, Rn. 53 ff. Zum Vorschlag in Nr. 4.1.3 S. 3 DCGK-E die Einrichtung eines Whistleblower-Systems zu empfehlen siehe die Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschusses, NZG 2017, 57 ff., 58. 302  Unter solchen auch als „internal investigations“ bezeichneten Ermittlungen versteht man anlassbezogene, durch Regelprüfungen nicht abgedeckte Sachverhaltsaufklärungen, Rotsch, HWSt, IV/1, Rn. 49. Zur „relativen“ Pflicht des Vorstands, „internal investigations“ durchzuführen Hart-Hönig, FS Schiller, 2014, 284; Fuhrmann, NZG 2016, 881 ff.; allgemein hierzu Leipold, FS Schiller, 2014, 418 ff; Leit-



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand181

es im Umgang mit Compliance-Fällen und der Aufklärung von Non-Compliance kein standardisiertes Verfahren gibt, insoweit jedoch ein Auswahlermessen zu.303 Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass den Vorstand bei Hinweisen auf gesetzeswidriges Verhalten in der AG die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts trifft. Diese leitet sich nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1, 91 Abs. 2 AktG i. V. m. § 130 OWiG sowohl aus dem Gesellschafts- als auch dem Ordnungswidrigkeitenrecht ab304 und wirkt im Innen- und Außenverhältnis.305 (2) Pflicht zur Abstellung von Verstößen Sollten nach einer durchgeführten Sachverhaltsaufklärung Gesetzes- oder Normverstöße tatsächlich festgestellt werden, ist der Vorstand wiederum aufgrund der ihn intern bindenden Legalitätspflicht nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG bereits gegenüber der AG verpflichtet, diese abzustellen306, indem er die zur Abstellung notwendigen Maßnahmen ergreift.307 Dieselbe Pflicht trifft ihn zur Vermeidung einer Haftung der AG im Außenverhältnis gemäß §§ 130, 9, 30 OWiG, da er nur durch Abstellen von erkannten Verstößen gewährleisten kann, dass betriebsbezogene Pflichten im Sinne des § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG eingehalten werden.308 Um bekannt gener, FS Schiller, 2014, 430 ff. Zu strafprozessualen Problemen privater Beweisbeschaffung siehe Kaspar, GA 2013, 206 ff. 303  Arnold, ZGR 2014, 83; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2176. Die Umsetzung der vom Vorstand ausgewählten Aufklärungsmaßnahmen erfolgt in der Praxis aufgrund vertikaler Delegation durch Fachabteilungen. Die Aufklärungsverantwortung des Vorstands wandelt sich dann in die Pflicht, die Aufklärung zu überwachen, vgl. Reichert/ Ott, NZG 2014, 243. 304  Zutreffend Reichert/Ott, ZIP 2009, 2176; Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 948; Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 59. 305  Es lässt sich daher auch von einem „Gleichlauf der Verhaltenspflichten im Außen- und Innenverhältnis“ sprechen, vgl. Kremer/Klahold, ZGR 2010, 141. 306  Hauschka/Greeve, BB 2007, 165, 170 f.; Reichert, ZIS 2011, 118; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2176; Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 949, wonach dem Vorstand bei Entscheidung über das Abstellen der Verstöße richtigerweise kein Entschließungsermessen zukommt. 307  Bei Entscheidung über die Auswahl der zum Abstellen in Betracht kommenden Mittel ist dem Vorstand ein unternehmerisches Ermessen einzuräumen, Reichert/Ott, ZIP 2009, 2177. 308  Stellt der Vorstand hingegen Verstöße auf Mitarbeiterebene intern nicht ab, sodass es zur Verwirklichung von Ordnungswidrigkeiten oder sogar Straftatbeständen gegenüber außerhalb der AG stehenden Dritten kommt, stellt sich dies aus Sicht des Vorstands als eine Verletzung einer betriebsbezogenen Pflicht im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG dar. Für die AG resultiert hieraus wiederum ein Außenhaftungsrisiko gemäß § 30 OWiG.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

wordenen Compliance-Fällen in der AG wirksam zu begegnen und eine Innen- und Außenhaftung zu vermeiden, hat der Vorstand daher dafür zu sorgen, dass die AG ein Compliance-System unterhält, das nicht nur tatsächlich angewandt wird, sondern bei Hinweisen auf Gesetzes- oder Normverstöße konkrete Maßnahmen „zur Aufklärung und Untersuchung der Verstöße, zur Abstellung von Verstößen und zur Bestrafung von betroffenen Mitarbeitern“309 enthält. Möchte der Vorstand dem gerecht werden und Zuwiderhandlungen gegen „betriebsbezogene Pflichten“ vorbeugen, hat er die in der AG existierenden Compliance-Strukturen in regelmäßigen Abständen einer systematischen und kritischen Kontrolle zu unterziehen, sowie die zur Aufklärung und Abstellung von Verstößen erforderlichen organisatorischen Strukturen und Kompetenzen zu schaffen.310 (3) Pflicht zur Sanktionierung von Verstößen Bestätigt sich auf Mitarbeiterebene der Verdacht illegalen Verhaltens, ist der Vorstand letztlich auch aufgrund seiner gegenüber der AG bestehenden Compliance-Pflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1, 91 Abs. 2 AktG regelmäßig zur angemessenen Ahndung verpflichtet.311 Diese im Innenverhältnis bestehende Pflicht zur Reaktion auf Fehlverhalten deckt sich mit der dem Betriebsinhaber gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG im Außenverhältnis auferlegten Pflicht zur Androhung und Verhängung betrieblicher Sanktionen. Würde in der AG eine betriebliche Praxis dahingehend herrschen, dass aufgeklärte Zuwiderhandlungen ohne spürbare Folgen für den Betroffenen blieben, käme dies nach zutreffender Ansicht einer „lex imperfecta“ gleich und hätte zur Folge, dass die nach § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG geschuldete Kontrolle „entwertet“ würde.312 Integraler Bestandteil der nach § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG geschuldeten „gehörigen Aufsicht“ ist daher neben der Aufklärung und Abstellung von Fehlverhalten auch die rechtlich 309  Zutreffend

LG München I, NZG 2014, 346 f. ZIP 2009, 2177; Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 948 f. 311  Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178; Habersack, AG 2014, 2, 5; Arnold, ZGR 2014, 83; Simon/Merkelbach, AG 2014, 320. Siehe unter Bezugnahme auf die Schadenabwendungspflicht des Vorstands Bunting, ZIP 2012, 1544. Siehe hierzu ausführlich Teil 3 B. II. 4. a) bb) (4) (b). 312  Zutreffend Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 62; Moosmayer, NJW 2012, 3014, wonach unter Verweis auf Ausführungen der Staatsanwaltschaft München der Begriff Compliance nicht nur die Verfolgung und Aufklärung begangener Straftaten, sondern auch „ein angemessenes und geeignetes Sanktionsinstrumentarium“ umfasse. 310  Reichert/Ott,



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand183

zulässige Androhung und Verhängung von betrieblichen Sanktionen.313 Der Vorstand kann zur Ahndung von Verstößen sowohl auf arbeitsrechtliche Sanktionen314 als auch auf zivil-315 und strafrechtliche316 Instrumentarien zurückgreifen. In der gesellschafts- und strafrechtlichen Literatur besteht Einvernehmen, dass der Vorstand die Compliance nach Maßgabe einer „zerotolerance“ Praxis durchzusetzen habe.317 Dieser für die Compliance-Praxis wichtige Grundsatz, wonach der Vorstand Rechtsverstöße stets sichtbar und ausnahmslos zu ahnden hat, darf jedoch wie Reichert318 zutreffend ausführt nicht dahingehend missverstanden werden, dass bei aufgeklärten Rechtsverstößen „stets die maximal mögliche Sanktion zu verhängen“319 sei oder sogar 313  Rogall, KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 62; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 128, 135; Liese, BB-Special 2008, Heft 25, 22; Moosmayer, NJW 2012, 3014; Achenbach, HWSt, I/3, Rn. 51; M/G-Momsen, I/C, 76 Rn. 29. 314  Arbeitsrechtliche Sanktionen können sein: Außerordentliche fristlose Kündigung gem. § 626 Abs. BGB, ordentliche fristgemäße Kündigung gemäß §§ 620 Abs. 2, 621 ff BGB, 1 Abs. 2 KSchG, Änderungskündigung gemäß §§ 626 Abs. 1 BGB, 2 KSchG, Veränderung der Arbeitsbedingungen durch Ausübung des Direk­ tionsrechts gemäß § 106 GewO, Abmahnung, Betriebsbuße oder Vertragsstrafe. Siehe nur Reichert, ZIS 2011, 119; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2179. Zur arbeitsrechtlichen Compliance, Mengel/Hagemeister, BB 2006, 2466 ff.; dies., BB 2007, 1392; Zimmer/ Stetter, BB 2006, 1445 ff.; Rieble, R.L.R 2009, 191 ff. 315  Denkbar sind Ersatzansprüche aus schuldhafter Verletzung von arbeits-, dienstund werkvertraglichen Pflichten sowie – bei Handeln von Organen – Ansprüche wegen der Verletzung von Organpflichten, vgl. hierzu Reichert, ZIS 2011, 119; Reichert/ Ott, ZIP 2009, 2179. 316  Insoweit kommt die Möglichkeit der Initiierung von Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren durch Stellung von Strafanzeigen bzw. Strafanträgen nach §§ 77 ff. StGB i. V. m. § 158 StPO in Betracht. Siehe hierzu Habersack, AG 2014, 5; Reichert/ Ott, ZIP 2009, 2179. 317  Siehe aus der gesellschaftsrechtlichen Literatur Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178; Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 949, 961; ders., ZIS 2011, 119 f.; Hauschka/ Greeve, BB 2007, 171 f.; Schneider, ZIP 2003, 649. Für eine konsequente Ahndung auch Kremer/Klahold, ZGR 2010, 128, 135; Liese, BB-Special 2008, Heft 25, 22; Moosmayer, NJW 2012, 3014; Rogall, KK OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 62. Aus der wirtschaftsstrafrechtlichen Literatur siehe Achenbach, HWSt, I/3, Rn. 51; M/G-Momsen, I/C, 76 Rn. 29; M/G-Grützner, IV, 315 Rn. 13 f.; Wittig, WStR, 2014, § 6, Rn. 141. 318  Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 949, 961; ders., ZIS 2011, 119 f.; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178. 319  In diese Richtung deuten die Ausführungen bei Hauschka/Greeve, BB 2007, 171 f., die davon ausgehen, dass – abgesehen von Bagatellfällen – Non-Compliance eine Reaktion „mit voller Konsequenz und Härte“ erfordere, was mit Blick auf arbeitsrechtliche Sanktionen auch dann gelten müsse, wenn absehbar sei, dass ein „anschließender Arbeitsgerichtsprozess nicht gewonnen werden“ könne, vgl. hierzu Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178; Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 950, 961; ders., ZIS 2011, 119 f.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

ein die Sanktion im Einzelfall regelnder „Sanktionskatalog“320 festgelegt werden müsse. Für diesen restriktiven Standpunkt spräche zwar, dass bei konsequenter Anwendung der härtesten Sanktion, etwa in Form der Kündigung und gleichzeitigen Erstattung einer Strafanzeige, ein größtmöglicher Abschreckungseffekt erzielt werden könnte mit der Folge, dass der CriminalCompliance auf diesem Wege die effektivste Wirkung zukäme.321 Gegen eine das Auswahlermessen des Vorstands einschränkende Sichtweise ist einzuwenden, dass die Entscheidung über die Auswahl der Sanktion  – ebenso wie deren Wirkungsweise auf das künftige Verhalten der Unternehmensangehörigen – stets eine mit Risiken behaftete und prognostische Elemente beinhaltende unternehmerische Entscheidung im Sinne der Business Judgement Rule gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG darstellt.322 Es existiert kein Erfahrungssatz dahingehend, dass die Verhängung der maximal möglichen Sanktion den maximal möglichen Abschreckungseffekt erzielt.323 Die bedingungslose Ahndung von Fehlverhalten in der AG durch Verhängung der härtesten Sanktion stünde nach zutreffender Auffassung explizit im Widerspruch zum Unternehmensinteresse und würde eine Pflichtverletzung des Vorstands gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AktG begründen, wenn hierdurch eine zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts erforderliche Kooperationsbereitschaft eines oder mehrere Mitarbeiter gefährdet wird.324 Ebenso wäre es mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht vereinbar, wenn keine am Einzelfall orientierte angemessene interne Ahndung erfolgt.325 Die pauschale Gleichbehandlung von Normverstößen könnte 320  Hiergegen Kremer/Klahold, in: Krieger/Schneider, Hdb. Managerhaftung, § 21 Rn. 68. 321  Siehe auch Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178; Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 950, 961. 322  Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 950, 961 f.; ders., ZIS 2011, 120; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2179, die zutreffend darauf hinweisen, dass aufgrund der Vielgestaltigkeit von Non-Compliance Fällen „Art und Umfang der Sanktionierung nicht abstrakt-generell bestimmbar“ sind. Zu Leitlinien der Ermessensausübung siehe Bürkle, BB 2005, 568 f. 323  Auf den nur „moderaten“ generalpräventiven Effekt der Strafandrohung weist am Beispiel des Wirtschaftsstrafrechts zutreffend Kaspar, Krakauer-Augsburger Rechtsstudien, 171 hin. 324  Reichert, ZIS 2011, 120; ders., FS Hoffmann-Becking 2013, 953; vgl. zu sog. Amnestieprogrammen im Rahmen von internen Aufklärungen Kahlenberg/Schwinn, CCZ 2012, 81 ff. 325  Einer Handhabung des „zero-tolerance“-Prinzips in der Form, dass bei aufgeklärten Rechtsverstößen „stets die maximal mögliche Sanktion zu verhängen“ sei, stünde auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen. Siehe zutreffend Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 943 ff., 951. Eine unverhältnismäßige Reaktion läge beispielsweise dann vor, wenn ein mit Vorsatz begangenes Verbrechen im Ergebnis genauso durch Kündigung und Strafanzeige sanktioniert würde, wie die Begehung



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auf Mitarbeiterebene als ungerecht und willkürlich wahrgenommen werden und zu einer mit dem Unternehmensinteresse nicht in Einklang zu bringenden „Störung des Betriebsfriedens“326 führen. Vor diesem Hintergrund kommt dem Vorstand nach zutreffender Auffassung bei Auswahl der zu verhängenden Sanktion ein Ermessen327 zu. Dieses aus § 93 Abs. 1 S. 2 AktG folgende und von § 130 Abs. 1 OWiG nicht ausgeschlossene328 Auswahlermessen kann sich bei Vorliegen von besonderen Umständen hinsichtlich der zu wählenden Sanktion auf Null reduzieren.329 Eine solche Ermessensreduktion ist in Übereinstimmung mit Reichert anzunehmen, wenn „im konkreten Fall nur eines der denkbaren Sanktionsmittel zur vollständigen Verwirklichung des Sanktionszwecks geeignet erscheint oder im Hinblick auf Art und Schwere der Zuwiderhandlung die Anwendung eines einzelnen Sanktionsmittels als nicht ausreichend erscheint, um den Sanktionszweck hinreichend zu verwirklichen“.330 Eine das Auswahlermessen des Vorstands beschränkende Pflicht zur Verhängung einer bestimmten Sanktion kann schließlich aus spezialgesetzlichen Vorgaben331 oder dem Unternehmensinteresse folgen. In der Praxis besonders bedeutsam ist die Frage, ob den Vorstand – beziehungsweise den Aufsichtsrat im Verhältnis zum Vorstand332 – die Pflicht zur Initiierung eines Strafverfahrens durch Stellung einer Strafanzeige trifft, wenn interne Untersuchungen auf Mitarbeiterebene den Verdacht auf strafeines leicht fahrlässigen Verstoßes gegen interne Richtlinien, zutreffend Reichert/Ott, ZIP 2009, 2179. 326  In diese Richtung auch Reichert/Ott, ZIP 2009, 2179; Hauschka/Greeve, BB 2007, 171 f. 327  Kremer/Klahold, ZGR 2010, 128, 135; dies., in: Krieger/Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2007, § 21 Rn. 67 ff.; Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 961; ders., ZIS 2011, 119 f.; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178 f., die von einem „Sanktionsauswahl­ ermessen“ sprechen. 328  Aus der in § 130 Abs. 1 OWiG im Tatbestandsmerkmal „gehörige Aufsicht“ enthaltenen Pflicht zur Ahndung von Fehlverhalten folgt weder, dass der Betriebsinhaber ein bestimmtes Sanktionsinstrument zu wählen hat, noch dass ihn eine absolute Pflicht zur Stellung einer Strafanzeige oder Strafantrags trifft, vgl. zutreffend Rönnau/F.Schneider, ZIP 2010, 53, 60; Bürkle, CCZ 2010, 4, 10; Reichert, ZIS 2011, 120. 329  Reichert, ZIS 2011, 122; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2179. 330  Reichert, ZIS 2011, 122. Zu möglichen Sanktionszwecken Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178. 331  Eine explizite Pflicht zur Stellung einer Strafanzeige folgt aus § 138 StGB oder § 13 GwG. 332  Die gleiche Frage stellt sich auch aus Sicht des Aufsichtsrats, wenn ein Fehlverhalten des Vorstands im Raum steht. Siehe hierzu die Ausführungen unten Teil  3 C. III. 2. c).

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rechtlich relevantes Fehlverhalten ergeben haben.333 Da eine über § 138 StGB hinausgehende generelle Pflicht zur Strafanzeige – wie der Umkehrschluss aus § 138 Abs. 1 StGB zeigt  – nicht existiert, trifft den Vorstand keine Rechtspflicht, intern aufgeklärte Straftaten stets anzuzeigen.334 Ihm kommt daher insoweit ein Ermessensspielraum zu335, der sich nur dann in eine Pflicht zur Initiierung eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens verdichtet, wenn die adäquate Aufklärung des Sachverhalts nur durch Einschaltung staatlicher Behörden sichergestellt werden kann oder andere Sanktionsinstrumente nicht zur Verfügung stehen, keine Aussicht auf Erfolg haben oder wegen Art, Umfang und Intensität der Tat sich nicht als angemessene Reaktion darstellen.336 Ob und in welchem Umfang den Aufsichtsrat einer AG im Verhältnis zum Vorstand eine identische Pflicht zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Fehlverhalten, welche auch die Initiierung eines Strafverfahrens beinhaltet, trifft, wird sogleich am Ende dieses Teils unter Berücksichtigung der für den Aufsichtsrat insoweit zentralen ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung näher untersucht.337 dd) Zwischenergebnis und Verhältnis interne und externe Compliance-Pflicht Die auf gesellschaftsrechtlicher Ebene existierende Compliance-Pflicht gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1, 91 Abs. 2 AktG lässt sich unter Heranziehung des die AG als Rechtssubjekt im Außenverhältnis338 adressierenden Regelungsgehalts der §§ 130, 9, 30 OWiG für den Bereich der CriminalCompliance konkretisieren. Der Vorstand einer AG schuldet danach parallel zu der aus dem Gesellschaftsrecht folgenden internen Compliance-Pflicht eine im Außenverhältnis wirkende „strafrechtliche Unternehmensaufsicht“.339 333  Reichert,

ZIS 2011, 120, 122. Reichert, ZIS 2011, 120, 122. 335  Zu den bei Ausübung dieses Ermessens vom Vorstand zu berücksichtigenden Kriterien siehe die weiterführenden Ausführungen von Reichert, ZIS 2011, 120 f. 336  Siehe Reichert, ZIS 2011, 122. 337  Zu den compliancebezogenen Pflichten des Aufsichtsrats siehe unten Teil 3 C. II. 338  Das Außenhaftungsrisiko besteht für die AG konkret darin, dass die vom Vorstand begangene Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 Abs. 1 OWiG als Anknüpfungspunkt zur Verhängung einer Geldbuße gegenüber der AG gemäß § 30 OWiG herangezogen werden kann. 339  Bock, wistra 2011, 201; Rogall, ZStW 98, 1986, 575. Nach ganz überwiegender Auffassung trifft die Geschäftsleitung im Wege der sog. Geschäftsherrenhaftung die strafrechtliche Pflicht, durch Anweisungen und Kontrollen strafbare Handlungen der Mitarbeiter aus dem Betrieb heraus zu verhindern. Hierzu weiterführend SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 35a; M/G-Grützner, Kap. 4 Rn. 43; Rotsch, HWSt, 1/IV, 334  Zutreffend



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Ausgangspunkt für eine solche externe Compliance-Pflicht, die über das Kriterium der Legalitätspflicht in Beziehung zu der internen CompliancePflicht des Vorstands steht, sind sämtliche den Vorstand, die AG als juristische Person sowie deren Organe adressierenden Normen, sofern diese mit Wirkung gegenüber Dritten organisatorische Mindestanforderungen begründen.340 Zwar lässt sich aus den Vorschriften der §§ 130, 9, 30 OWiG keine Pflicht zur Einrichtung eines umfassenden Compliance-Systems ableiten, da die im Außenverhältnis wirkenden Vorschriften der §§ 130, 9, 30 OWiG inhaltlich nur den spezifischen Teilaspekt der straf- bzw. ordnungswidrigkeitsrechtlichen Aufsichtspflicht erfassen und darüber hinaus keine detaillierten bußgeldbewehrten Vorgaben für die Implementierung eines spezifischen Risikokontrollsystems beinhalten. Gleichwohl ist aber festzustellen, dass die aus §§ 130, 9, 30 OWiG gewonnen Pflichten zu der vom Vorstand im Innenverhältnis gegenüber der AG bestehenden Compliance-Pflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1, 91 Abs. 2 AktG in einer wechselseitigen Beziehung stehen, da ein Verstoß gegen § 130 OWiG, wie jede im Außenverhältnis wirkende Pflichtverletzung, stets zu einer Pflichtverletzung nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG führt.341 Aus § 130 Abs. 1 OWiG lässt sich für den Bereich der strafrechtlichen Unternehmensaufsicht somit ein im Innen- und Außenverhältnis wirkendes Minimum an Compliance-Pflichten gewinnen, das der Vorstand selbst sowie bei Ausgestaltung der intern geschuldeten Compliance-Organisation gegenüber der AG zu berücksichtigen hat, um eine Innen- und Außenhaftung zu vermeiden. Das sich im Außenverhältnis aus §§ 130, 9, 30 OWiG ergebende Pflichtenspektrum ist letztlich deckungsgleich mit den im Innenverhältnis existierenden Compliance-Pflichten aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG und verpflichtet den Vorstand im Ergebnis lediglich zur Veranlassung von ge­ eigneten organisatorischen Maßnahmen, insbesondere zur Schaffung eines tauglichen Verfahrens zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Fehlverhalten.342 Verstößt der Vorstand hiergegen, begründet er das Risiko einer Außenhaftung der AG gemäß §§ 130, 9, 30 OWiG, die wiederum eine Innenhaftung Rn. 35, 45; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, AT, § 5 Rn. 289; Roxin, AT II, § 32 Rn. 137; Pietreck, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Betriebsinhabern, 160 ff. 340  In diese Richtung auch Koch, WM 2009, 1016. 341  Busekist/Hein, CCZ 2012, 44; Fleischer, CCZ 2008, 2; Meier-Greve, BB 2009, 2557, wonach der Vorstand die Erfüllung der sich aus § 130 OWiG ergebenden Pflichten auch der AG schuldet, sodass dieses Pflichtenspektrum auch auf § 93 AktG übertragen werden könne. 342  Kremer/Klahold, ZGR 2010, S. 141 sprechen daher zutreffend von einem „Gleichlauf zwischen den Verhaltenspflichten im Außen- und Innenverhältnis“.

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gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG nach sich ziehen kann. Dem normativen Gehalt der §§ 130, 9, 30 OWiG kommt unter Berücksichtigung der oben dargestellten Rechtsprechung somit eine die interne gesellschaftsrechtliche Compliance-Pflicht des Vorstands präzisierende Wirkung zu.343 b) § 831 BGB als im Außenverhältnis wirkende Pflichtenquelle Eine im Außenverhältnis wirkende und zu der internen Compliance-Pflicht des Vorstands in Beziehung stehende externe Compliance-Pflicht könnte sich auch aus der Vorschrift des § 831 BGB ergeben. Nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB ist der Geschäftsherr, der einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Vorschrift begründet aus Sicht des Geschäftsherrn einen eigenständigen Haftungstatbestand für eigenes vermutetes Auswahl- oder Überwachungsverschulden344 beim Einsatz von Hilfspersonen. Der Geschäftsherr haftet danach, wenn er eine Hilfsperson bestellt, diese einem Dritten in rechtswidriger Weise einen Schaden zufügt und in Ausführung der übertragenen Verrichtung handelt.345 Trotz dieser gegenüber Dritten bestehenden Außenhaftung ist die Norm des § 831 BGB346 im Ergebnis nicht geeignet, eine mit § 130 OWiG vergleichbare Aufsichtspflicht des Vorstands zu begründen. Die Ersatzpflicht tritt gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB gerade nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei Auswahl „der bestellten Person“ und, sofern er Vorrichtungen oder Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet, oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre. Der Vorstand kann sich nach dieser Regelung entlasten und die aus § 831 Abs. 1 S. 1, 2 BGB folgende Vermutung eines eigenen Auswahl- und Überwachungsverschuldens bereits erfolgreich widerlegen, wenn er darlegt, bei Auswahl und Leitung der bestellten Person sowie bei Beschaffung der 343  Zutreffend Spindler, AG 2013, 903; Kremer/Klahold, ZGR 2010, S. 141; Meier-Greve, BB 2009, 2557. Ebenso Bock, Criminal Compliance, 2011, S. 571, wonach gesellschaftsinterne Compliance-Pflichten auch das Maß strafrechtlich gebotener Compliance konkretisieren. 344  Jauernig/Teichmann, BGB, § 831 Rn. 1. 345  Haftungsgrund ist die Vermutung, dass die Schadenszufügung durch einen weisungsgebundenen Verrichtungsgehilfen darauf zurückzuführen ist, dass der Geschäftsherr keinen geeigneten Gehilfen für diese Aufgabe ausgewählt oder dessen Eignung fortlaufend überwacht hat. Siehe Palandt/Sprau, § 831 Rn. 1; Koch, WM 2009, 1017. 346  Die Compliancerelevanz sehen auch Kort, FS Hopt 2010, 995; Koch, WM 2009, 1017.



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erforderlichen Vorrichtungen und Gerätschaften die notwendige Sorgfalt beachtet zu haben.347 Aufgrund dieser Exkulpationsmöglichkeit reduziert sich die aus § 831 Abs. 1 BGB folgende organisatorische Pflicht des Geschäftsherrn zunächst darauf, nur eine zur Verrichtung geeignete Person auszuwählen.348 Der Geschäftsherr genügt dieser Vorgabe, wenn er sicherstellt, dass der von ihm konkret ausgewählte Gehilfe die zur Erfüllung der Tätigkeit erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt und von ihm eine gefahrlose Durchführung erwartet werden kann.349 Die Pflicht des Geschäftsherren erschöpft sich damit in der Prüfung der Fähigkeit, Eignung und Zuverlässigkeit des Gehilfen.350 Die Vorschrift des § 831 BGB begründet keine umfassenden Organisationspflichten, sondern beschränkt die Reichweite der Verhaltenspflicht auf die Auswahl eines zur Erfüllung tauglichen Gehilfen.351 Neben der Pflicht zur Auswahl eines fähigen, geeigneten und zuverlässigen Gehilfen, trifft den Geschäftsherren gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB zwar auch die Pflicht, den ausgewählten Gehilfen fortdauernd zu überwachen, wobei sich Art und Ausmaß der Überwachung nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Gefährlichkeit der konkreten Tätigkeit, der Persönlichkeit des Gehilfen und der bisherigen Bewährung richten.352 Eine weitreichende und über den konkreten Einzelfall hinausgehende Pflicht zur Aufsicht lässt sich aus der aus § 831 Abs. 1 BGB folgenden Überwachungspflicht jedoch nicht ableiten, da diese, ebenso wie die Pflicht zur Auswahl eines geeigneten Gehilfen, personen- und nicht unternehmensbezogen ist.353 Hierin besteht der wesentliche Unterschied zu § 130 OWiG, wonach zur Vermeidung einer Haftung wegen einer Aufsichtspflichtverletzung die Aufsicht so wahrzunehmen ist, dass betriebsbezogene – und nicht nur personenbezogene – Pflichten auf sämtlichen personellen Ebenen voraussichtlich eingehalten werden. Demgegenüber knüpft die aus § 831 BGB folgende Überwachungspflicht an die erfolgte Auswahl des Gehilfen an und verlangt, dass der Geschäftsherr für die Zukunft „fortgesetzt“ überprüft, ob der in der Vergangenheit eingestellte Mitarbeiter auch aktuell noch zu der Verrichtung 347  § 831 BGB begründet keine umfassende Verantwortlichkeit für das Fehlverhalten von Gehilfen, sondern orientiert sich am Verschuldensprinzip, siehe auch Koch, WM 2009, 1017. 348  Koch, WM 2009, 1017; Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001, 693. 349  Palandt/Sprau, § 831 Rn. 12. 350  BGH, NJW 2003, 288. 351  Ebenso Koch, WM 2009, 1017; MüKoBGB/Wagner, § 831 Rn. 30. 352  BGH VersR 1984, 67; Koch, WM 2009, 1017; Palandt/Sprau, § 831 Rn. 13. 353  Zutreffend Koch, WM 2009, 1017.

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befähigt ist.354 Im Rahmen des § 831 BGB geht es somit um die Überwachung des Gehilfen und nicht um Überwachung der Tätigkeit. Die Begründung einer unternehmensweiten und im Außenverhältnis wirkenden Compliance-Pflicht des Vorstands gemäß § 831 BGB scheitert in der Praxis aber nicht nur an der personalen Ausrichtung der Vorschrift, sondern zusätzlich daran, dass nach der Rechtsprechung bei einer komplexen Unternehmensorganisation die Auswahl- und Überwachungspflichten nicht vom Unternehmensinhaber persönlich wahrgenommen werden müssen.355 Diese dürfen in der AG auf Dritte, insbesondere höhere Angestellte oder Mitarbeiter der Personalabteilung, übertragen werden.356 Für die Entlastung des Geschäftsherren genügt dann regelmäßig bereits der Nachweis, dass der Angestellte sorgfältig ausgewählt, angeleitet und überwacht wurde.357 Eine darüber hinaus gehende Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn für die Auswahl und Überwachung der dem leitenden Angestellten nachgeordneten Mitarbeiter scheidet aus.358 Die aus § 831 Abs. 1 BGB folgenden Pflichten sind aufgrund ihrer personalen Ausrichtung und der auf das Verschuldensprinzip zurückgehenden Möglichkeit der Exkulpation insgesamt nicht geeignet, eine Organisationspflicht im Sinne einer komplexen Compliance-Pflicht des Vorstands zu begründen. Sie reichen nur bis auf die nächste zu kontrollierende Ebene und bewirken somit, dass die dort begangenen Rechtsverstöße verhindert werden müssen.359 Eine weitergehende, die AG auf sämtlichen personalen Ebenen erfassende Organisationspflicht lässt sich aus § 831 BGB – im Unterschied zu § 130 OWiG360 – demgegenüber nicht ableiten.

354  RGZ 53, 53 ff, 57. Zur personalen Ausrichtung des § 831 BGB Koch, WM 2009, 1017. 355  BGHZ 11, 151, 151 ff.; Palandt/Sprau, § 831 Rn. 11; Koch, WM 2009, 1017. 356  Palandt/Sprau, § 831 Rn. 11; Bunting, ZIP 2012, 1546; ders., ILF WP 132, 16. 357  Siehe RGZ 78, 107, 108 f.; 89, 136, 137; BGHZ 4, 1 f.; BGH NJW 1973, 1603 f. Zur Begrenzung der Reichweite des § 831 BGB durch die von der Rechtsprechung entwickelten Lehre vom dezentralisierten Entlastungsbeweis siehe auch Palandt/Sprau, § 831 Rn. 11. 358  MüKoBGB/Wagner, § 831 Rn. 42 ff. 359  Zutreffend Bunting, ZIP 2012, 1546; ders., ILF WP 132, 16 f. 360  Die Vorschrift des § 130 OWiG begründet zwar keine umfassende CompliancePflicht, sondern beschränkt sich inhaltlich – wie bereits ausgeführt – nur auf den Bereich der Criminal Compliance, sie umfasst insoweit aber sämtliche personale Ebenen. § 130 OWiG reicht damit in personaler und organisatorischer Hinsicht weiter als § 831 BGB.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand191

c) Betriebliche Organisationspflicht als im Außenverhältnis wirkende Pflichtenquelle Die sich aus der beschränkten Reichweite des § 831 BGB für Drittschäden ergebende Haftungslücke könnte durch die von der Rechtsprechung aus § 823 Abs. 1 BGB abgeleiteten und durch zahlreiche Entscheidungen richterrechtlich erweiterten allgemeinen betrieblichen Organisationspflichten geschlossen werden.361 Ausgangspunkt für eine Organisationspflicht, die darauf abzielt, geeignete Anordnungen zur Vermeidung von Drittschäden zu treffen, könnten die in der Rechtsprechung zur Zurechnung eines Unterlassens entwickelten Verkehrssicherungspflichten sein.362 Danach hat derjenige, der durch sein Tun eine Gefahrenquelle – gleich welcher Art – schafft oder unterhält, alle geeigneten und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die Gefahr nicht wirksam werden zu lassen.363 aa) Inhalt und Grenzen der deliktischen Unternehmenshaftung Nach ständiger Rechtsprechung umfasst die rechtlich erforderliche Verkehrssicherung solche Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren, wobei zu berücksichtigen ist, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann.364 Die haftungsrelevante Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht setzt wenigstens voraus, dass die durch den Betrieb eröffnete Gefahrenquelle die naheliegende Möglichkeit einer Rechtsverletzung schafft.365 Der aus dieser Rechtsprechung folgende Grundgedanke eines im Außenverhältnis wirken361  RGZ 53, 53 ff., 56, 58; RGZ 89, 136, 137 f.; BGHZ 4, 1, 2 f. = NJW 1952, 418; BGH NJW 1978, 1629; BGH NJW 2007, 762, 763; BGH NJW 2007, 1683, 1684; BGH NJW 2004, 1449, 1450; BGH NJW 2006, 2326 f. Siehe auch MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 78. 362  Zum Ursprung der betrieblichen Organisationspflichten siehe Koch, WM 2009, 1017. 363  Ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH NJW 1978, 1629; BGH NJW 2007, 762, 763; BGH NJW 2007, 1683, 1684; BGH NJW 2004, 1449, 1450; BGH NJW 2006, 2326 f. 364  Siehe nur BGH NJW 2007, 762, 763. Daher ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, praktisch nicht erreichbar ist. 365  Siehe BGH NJW 2007, 763, wobei selbst bei Eröffnung einer haftungsbegründenden Gefahr ausreichend ist, wenn solche Sicherungsvorkehrungen getroffen werden, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für genügend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren.

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den Verkehrsschutzes lässt sich für die deliktsrechtliche Unternehmenshaftung insoweit präzisieren, dass „innerbetriebliche Abläufe so zu organisieren sind, dass Schädigungen Dritter in dem gebotenen Umfang vermieden“366 werden. Eine in diesem Sinne verstandene Aufsichtspflicht geht über die Vorgaben des § 831 BGB hinaus und verlangt von der Unternehmensleitung neben einer sorgfältigen Auswahl, Instruierung und Überwachung der nachgeordneten Mitarbeiter insbesondere die Schaffung organisatorischer Regelungen, die geeignet sind, potentiellem Fehlverhalten von Gehilfen auf sämtlichen Hierarchieebenen entgegenzuwirken.367 Im Unterschied zu § 831 BGB sind die aus § 823 Abs. 1 BGB folgenden Organisationspflichten auch nicht mit haftungsbefreiender Wirkung delegierbar.368 Eine auf § 823 Abs. 1 BGB gestützte Compliance-Pflicht des Vorstands könnte im Außenverhältnis daher auch weiterreichen als die aus § 130 Abs. 1 OWiG folgende CriminalCompliance-Pflicht, da eine solche nicht zwingend auf die Verletzung betriebsbezogener Pflichten beschränkt wäre. Eine aus § 823 Abs. 1 BGB abgeleitete umfassende Compliance-Pflicht könnte insbesondere über kern- und nebenstrafrechtliche sowie branchenspezifische Schutzgesetze oder Normen, welche die AG als Arbeitgeber, Produzent oder Teilnehmer am Außenwirtschaftsverkehr treffen, hinausgehen und auch sonstige Delikte und Rechtsverletzungen der Gehilfen im Bereich Diebstahl, Beleidigung oder Körperverletzung erfassen.369

366  MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 78. Da die Organisationspflicht erst durch Delegation einer Verkehrspflicht entsteht, wird sie nicht als eigenständige Verkehrspflicht verstanden, sondern als akzessorische Pflicht zu einer originären Verkehrspflicht, vgl. Koch, WM 2009, 1018; Bunting, ZIP 2012, 1547; ders., ILF WP 132, 18; Schlechtriem, FS Heiermann 1995, 289. 367  Eine Verletzung dieser Organisationspflicht wird auch als Organisationsverschulden bezeichnet, MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 79; zutreffend Koch, WM 2009, 1017; Bunting, ZIP 2012, 1547; ders., ILF WP 132, 18. Die organisatorischen Pflichten treffen das Unternehmen bzw. den Unternehmensträger und sind nach der Rechtsprechung des BGH umso intensiver, je größer die Gefahren und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung sind, BGH NJW 2007, 763; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 78, 85. 368  Zwar ist die Übertragung einer Verkehrspflicht auf nachgeordnete Mitarbeiter möglich. Bei dem Delegierenden verbleibt dann aber eine Organisationspflicht, sicherzustellen, dass der Gehilfe die ihm übertragene Verkehrspflicht erfüllt. Siehe insoweit das Beispiel bei Bunting, ZIP 2012, 1547; ders., ILF WP 132, 18; BGHZ 133, 377 f. Daher ist die Betriebsorganisation und die Überwachung von Mitarbeitern, für die sich die AG unter Umständen nach § 831 BGB entlasten kann, einer Person zu übertragen, für welche die AG unbedingt gemäß § 31 BGB einzustehen hat. Hierzu und zur Ausdehnung des § 31 BGB auf „körperschaftliche Organisationspflichten“ siehe MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 79 f. 369  In diese Richtung auch Bunting, ZIP 2012, 1545 f.; ders., ILF WP 132, 12.



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bb) „Non Compliance“ als betriebliche Gefahrenquelle? Um aus den betrieblichen Organisationspflichten nach § 823 Abs. 1 BGB eine umfassende Compliance-Pflicht ableiten und die AG und deren Vorstand im Außenverhältnis haftbar machen zu können, müsste regelwidriges Verhalten von Mitarbeitern als beherrschbare Gefahrenquelle, welche die naheliegende Möglichkeit der Rechtsgutsverletzung eröffnet, qualifiziert werden können. In diesem Fall käme neben einer die AG als juristische Person unmittelbar treffenden Haftung zugleich eine persönliche Haftung des Vorstands im Außenverhältnis nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht.370 Für eine Einordnung von Non-Compliance in der AG als haftungsbegründende Gefahrenquelle ließe sich zum einen anführen, dass durch die in komplexen Unternehmensorganisationen regelmäßig vorherrschende Arbeitsteilung der Wirkungsbereich der AG im Außenverhältnis erweitert371 und der menschliche Risikofaktor dadurch gesteigert wird.372 Daher hat der Bundesgerichtshof in einer frühen Entscheidung aus dem Jahr 1953 den Geschäftsherrn nach § 823 Abs. 1 BGB auch als dazu verpflichtet angesehen, planmäßige Diebstähle durch Verrichtungsgehilfen auf der Baustelle durch organisatorische Maßnahmen zu unterbinden, wenn eine solche „Gefahr erkennbar“373 ist. Zum anderen könnte sich ein gesteigertes Gefahrenpotential des Unternehmens dadurch ergeben, dass sich durch eine vielschichtige Unternehmensorganisation, der keine adäquate interne Compliance-Organisation zur Vermeidung von Haftungsrisiken gegenübersteht, die Anzahl potentieller Opfer erhöht, während aufgrund einer zunehmenden Diversifizierung der Informationsfluss zwischen den jeweiligen Ebenen gleichzeitig erschwert 370  Die Ausweitung der deliktischen Unternehmenshaftung auf Leitungsorgane geht auf die sog. „Baustoff-Entscheidung“ des BGH aus dem Jahr 1989 zurück, BGHZ 109, 297, 303 = NJW 1990, 976 f.; vgl. zur deliktischen Organhaftung MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 112 ff.; Kort, FS Hopt 2010, 1001, der auf die Haftungsrelevanz bei Compliance-Verstößen hinweist. 371  Für eine eigenständige Verkehrspflicht, die sich nicht kraft Delegation, sondern nur aus der Arbeitsteilung selbst ableitet Matusche-Beckmann, Das Organisationsverschulden, 2001, S. 92  ff.; Soergel/Krause, BGB 13.  Aufl., 2005, § 831 Rn. 19; Schlechtriem, FS Heiermann, 1995, 289; wohl auch Koch, WM 2009, 1017. Für eine einzelfallbezogene Gefahrbestimmung zutreffend Bunting, ZIP 2012, 1545 f.; ders., ILF WP 132, 12; a. A.: Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001, 770. 372  Rogall, ZStW 98, 1986, 587; vgl. auch Bunting, ZIP 2012, 1547 f.; ders., ILF WP 132, 19. 373  BGHZ 11, 151, 152 ff. In diese Richtung auch BGHZ 109, 297, 303 = NJW 1990, 977 f., wonach eine Verkehrspflichtverletzung durch den GmbH-Geschäftsführer unter Verweis auf dessen „Zuständigkeit für die Organisation und Leitung des Unternehmens“ angenommen wurde, da ihn eine „Garantenstellung zum Schutz fremder Schutzgüter“ treffe. Zu Recht kritisch MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 112; Bunting, ZIP 2012, 1547; ders., ILF WP 132, 19.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

wird.374 Insoweit stellt letztlich jede Form der auf Arbeitsteilung beruhenden unternehmerischen Betätigung eine potentielle Gefahr für den Geschäftsverkehr dar. Aus dieser abstrakten Gefahr darf aber nicht auch reflexartig auf die „naheliegende Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung“375 geschlossen werden, da andernfalls bereits die unternehmerische Tätigkeit als solche – unabhängig von der Risikogeneigtheit der jeweiligen Branche – als Gefahr qualifiziert würde. Dies würde zu einer bedenklichen, weil nicht mehr überblickbaren Ausdehnung der Haftung des Unternehmens und seiner Leitungsorgane für sämtliche denkbaren Risiken führen. Wertet man bereits die Nichteinführung einer umfassenden ComplianceOrganisation als Gefahrenquelle und leitet demzufolge aus § 823 Abs. 1 BGB im Außenverhältnis wirkende Organisationspflichten der AG und ihrer Leitungsorgane ab376, verkennt dies auch die Schutzrichtung der Organisa­ tionspflichten. Diese besteht nicht in einem allumfassenden Schutz der Vermögensinteressen des Rechtsverkehrs377 vor der Realisierung sämtlicher Rechtsrisiken378, sondern  – wie die Rechtsprechung zu den Verkehrssicherungspflichten zeigt – primär in dem Schutz vor „sachlich-räumlichen Gefahren“379, die dadurch entstehen, dass das Unternehmen für Dritte willentlich einen Verkehr eröffnet380, auf einen bestehenden Verkehr einwirkt381 oder ein gefährliches Produkt in den Verkehr einbringt.382 Eine sämtliche Risiken umfassende Verkehrssicherungspflicht mit der Folge einer auf Verhinderung von Rechts- und Sachrisiken gerichteten Compliance-Pflicht stünde nicht im Einklang mit der Schutzrichtung der aus § 823 Abs. 1 BGB abgeleiteten betrieblichen Organisationspflichten. Dies schließt die Annahme einer auf die Verhinderung erheblicher Rechtsrisiken gerichteten Verkehrssicherungspflicht zwar nicht gänzlich aus, da auch Bunting, ZIP 2012, 1547 f.; ders., ILF WP 132, 19. NJW 2007, 763. 376  So aber Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 85. 377  BGH ZIP 2012, 1552 Rn. 17 ff., 25; vgl. auch MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 114. 378  In diese Richtung wohl Koch, WM 2009, 1018. 379  Koch, WM 2009, 1018. Zur Tendenz in der Rechtsprechung die deliktische Außenhaftung auch auf Organisationspflichten zu erweitern kritisch Goette, ZHR 175, 2011, 398. 380  Medicus/Petersen, BR, § 25 Rn. 648, der die Pflicht zur Sorge für die Gefahrlosigkeit im Falle der Verkehrseröffnung als Fall des Verbots des venire contra factum proprium ansieht. 381  Siehe insoweit die Beispiele bei Medicus/Petersen, BR, § 25 Rn. 649. 382  BGH NJW 1973, 615, 616 (Abgabe von Chemikalien); BGH NJW 1984, 233, 234; BGH WM 1995, 676, 677 (Befüllung von Öltanks); vgl. zur kaum überblickbaren Rechtsprechung Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Personen, 1997, 287 ff. 374  Siehe 375  BGH



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand195

sich Inhalt und Umfang von Verkehrssicherungspflichten nicht abstrakt generell bestimmen lassen, sondern von den Umständen des Einzelfalls abhängen. Die Erfassung von potentiellen Rechtsrisiken, wie zum Beispiel der Schädigung Dritter infolge einer fehlenden Compliance-Organisation, erscheint daher insoweit möglich, wie diese als Teil der „allgemeinen Unternehmensorganisationspflicht“ anzusehen ist.383 Dass der Gesetzgeber Dritte nicht nur vor Sachgefahren, sondern auch vor betrieblichen Gefahren, die aus einer mangelhaften Überwachung und Organisation herrühren können, schützen möchte, zeigt die Vorschrift des § 130 OWiG.384 Nach Vorstellung des Gesetzgebers ist der Betrieb oder das Unternehmen als Gefahrenquelle anzusehen, da davon auszugehen sei, dass die „Zusammenfassung von Personal und Produktionsmitteln nicht nur Sachgefahren hervorrufe, sondern auch kriminogene Wirkungen“385 entfalte. Der Unternehmer sei daher verpflichtet, den „spezifischen personellen Gefahren, die sich aus der Beschäftigung von Arbeitnehmern ergeben“386 durch geeignete Maßnahmen entgegenzutreten. Trotz dieser aus den Wertungen des Ordnungswidrigenkeitenrecht folgenden „drittbezogenen Schadensverhinderungspflicht“387 gegenüber betrieblichen Zuwiderhandlungen, ist bei der Begründung einer Außenhaftung, die auf die Verhinderung von Rechtsrisiken gerichtet ist, Zurückhaltung geboten, da abstrakte Rechtsrisiken, wie etwa das Fehlen einer Compliance-Organisation in der AG, nicht zwingend zu einer naheliegenden Möglichkeit der Rechtsgutsverletzung führen müssen. Das Fehlen eines Compliance-Systems wird zwar häufig das Risiko einer Schädigung des Wettbewerbs, des Kapitalmarkts oder einzelner Verkehrsteilnehmer erhöhen. Gleichwohl dürfte – zumindest im Regelfall – in einer solchen Konstellation der Zusammenhang zwischen dem durch die Nichteinführung einer Compliance-Organisation geschaffenen Rechtsrisiko und einer naheliegenden Rechtsgutsgefährdung von Dritten weitaus gelöster sein, als bei den einer Verkehrssicherungspflicht üblicherweise zugrundeliegenden Sachgefahren.388 Eine auf Verhinderung von Rechtsrisiken gerichtete Verkehrssicherungspflicht kann daher – ebenso wie eine mit ihr korrespondie383  Zutreffend Kort, FS Hopt, 2010, 1001; Koch, WM 2009, 1018; BGHZ 125, 375. In diese Richtung wohl auch Bunting, ZIP 2012, 1547 f.; ders., ILF WP 132, 19. 384  Rogall, ZStW 98, 1986, 587. Zur Bedeutung einer möglichen Ausstrahlungswirkung des § 130 OWiG siehe Koch, WM 2009, 1018; Kort, NZG 2008, 82; ders., FS Hopt, 2010, 995. 385  RegE OWiG, BT-Drucks. V/1269, S. 68 f.; BGHZ 125, 373; Rogall, ZStW 98, 1986, 587. 386  Rogall, ZStW 98, 1986, 587. 387  Rogall, ZStW 98, 1986, 587; Tiedemann, Gutachten zum 49. DJT, 1972, S. C 57. In diese Richtung zutreffend auch Kort, FS Hopt 2010, 1001, 1003. 388  In diese Richtung auch zutreffend Koch, WM 2009, 1018.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

rende Organisationspflicht389 – nur im Einzelfall und richtigerweise auch nur bei Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten, die auf eine naheliegende Schädigung von Verkehrsteilnehmern hindeuten390, angenommen werden. Eine allgemeine Pflicht des Geschäftsleiters zum Schutz von sämtlichen Vermögensinteressen gesellschaftsexterner Dritter ist daher abzulehnen.391 d) Zwischenergebnis bezüglich deliktischer Unternehmenshaftung Damit lässt sich als Zwischenergebnis festhalten, dass weder aus § 831 Abs. 1 BGB noch aus § 823 BGB eine inhaltlich bestimmte CompliancePflicht folgt. Gegen die Ableitung einer solchen auf Basis der richterrechtlich begründeten deliktischen Unternehmenshaftung spricht, dass die bislang entwickelten Organisationspflichten nicht hinreichend konturiert sind, um sie mit abschließender Sicherheit auf Rechtsgefahren im Bereich der Compliance zu übertragen und eine umfassende – im Außenverhältnis wirkende – Compliance-Pflicht abzuleiten.392 3. Ergebnis bezüglich externer Criminal Compliance-Pflicht des Vorstands Nach Auswertung der aus dem Ordnungswidrigkeiten-, Zivil- und Aktienrecht folgenden Pflichten trifft den Vorstand als Leitungsorgan der AG bei Verdacht auf kriminogene Vorgänge in der AG mindestens die Pflicht zur Aufklärung und Untersuchung des Sachverhalts. Eine solche CompliancePflicht besteht für den Vorstand nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG im Innen- und gemäß § 130 Abs. 1 OWiG inhaltsgleich im Außenverhältnis. Werden bei Aufklärung und Untersuchung des Sachverhalts Gesetzes- oder Normverstöße festgestellt, ist der Vorstand zur Vermeidung einer Innen- und Außenhaftung auch verpflichtet, die intern aufgeklärten Verstöße nachhaltig 389  Siehe hierzu BGHZ 125, 375 f., wonach eine „innergesellschaftliche Organisationspflicht“ des Geschäftsführers eine Verhaltenspflicht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB nur insoweit begründen kann, wie es um den Schutz der dort genannten Rechtsgüter geht, da andernfalls ein Verstoß gegen die relative Natur von gesellschaftsinternen Organisationspflichten vorläge. 390  Eine Verkehrssicherungspflicht könnte angenommen werden, wenn in der Vergangenheit bereits erhebliche Non-Compliance Fälle auftraten, sodass eine „erkennbare Gefahrenlage“ vorliegt. Insoweit zutreffend BGHZ 11, 151, 152 ff. Siehe auch Kort, FS Hopt 2010, 995. 391  So auch BGH ZIP 2012, 1552 Rn. 17 ff., 25; auch MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 114. 392  Zutreffend in diese Richtung Koch, WM 2009, 1018.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand197

abzustellen. Dies umfasst nach zutreffender und durch die Rechtsprechung des LG München I bestätigter Ansicht vor allem eine systematische Revision der bestehenden Compliance-Strukturen.393 Die Rechtspflicht zur Abstellung von Verstößen folgt im Innenverhältnis unmittelbar aus der Sorgfalts- und Legalitätspflicht des Vorstands nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG und existiert aufgrund ihrer Bußgeldbewehrung gemäß § 130 Abs. 1 OWiG in gleichem Umfang auch im Außenverhältnis. Letztlich ist der Vorstand verpflichtet, ihm zur Kenntnis gelangte Verstöße zu sanktionieren und die Compliance in der AG durchzusetzen. Eine solche Sanktionspflicht folgt sowohl aus der gesellschaftsrechtlichen Legalitätspflicht gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG als auch aus § 130 Abs. 1 OWiG und wirkt somit ebenfalls im Innen- und Außenverhältnis. Die gesellschaftsrechtliche Compliance-Pflicht des Vorstands aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG und die aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht speziell für den Bereich der Criminal Compliance folgende Pflichtentrias Aufklärung, Abstellung und Sanktionierung von Fehlverhalten decken sich im Bereich der Aufklärung und Vermeidung von kriminellem Verhalten in der AG und bilden den Kern einer effektiven Compliance. Es besteht sowohl die gesellschaftsrechtliche als auch ordnungswidrigkeitenrechtliche Pflicht, die Begehung von betriebsbezogenen Straftaten durch die AG, deren Organe sowie ihrer Mitarbeiter zu verhindern. Insoweit decken sich die Innen- und Außenpflichten des Vorstands und verpflichten ihn zur Schaffung eines spezifischen Compliance-Systems, das aufgrund organisatorischer Maßnahmen geeignet ist, wenigstens Straftaten auf allen personalen Ebenen aufzuklären, abzustellen und zu sanktionieren.394 Über dieses Pflichtenspektrum hinausgehende umfassende oder detaillierte Compliance-Pflichten lassen sich de lege lata für die sektorunabhängige AG weder im Innen- noch Außenverhältnis begründen. Eine umfassende, auf Verhinderung von sämtlichen Rechts- und Sachrisiken gerichtete Compliance-Pflicht lässt sich vor allem nicht aus § 831 BGB ableiten, da die aus dieser Norm folgenden Pflichten personenbezogen sind und deshalb nur bis auf die nächste zu kontrollierende Personalebene reichen, weshalb nur die dort begangenen Rechtsverstöße verhindert werden müssen. Auch die im Außenverhältnis wirkenden und von der Rechtsprechung aus § 823 Abs. 1 BGB abgeleiteten betrieblichen Organisationspflichten stellen wegen ihrer primär auf Verhinderung von Sachgefahren gerichteten Schutzrichtung nur in sehr begrenztem Umfang eine taugliche Grundlage für eine 393  Reichert/Ott,

ZIS 2009, 2177; LG München, NZG 2014, 347. schuldet der Vorstand de lege lata nicht die Einführung eines umfassenden sämtliche Risiken umfassenden Compliance-Management Systems, vgl. insoweit zutreffend Rotsch, HWSt, IV/1, Rn. 44; M/G-Momsen, I/C, 76 Rn. 27. 394  Demgegenüber

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

die AG und deren Leitungsorgane treffende Compliance-Pflicht dar. Die Begründung einer auf Verhinderung von Rechtsgefahren gerichteten Verkehrssicherungspflicht setzt eine für die AG erkennbare Gefahrenlage, die wiederum die naheliegende Wahrscheinlichkeit einer Rechtsgutsverletzung in sich trägt, voraus. Diese zur Begrenzung einer uferlosen Haftung erforderliche Restriktion führt im Ergebnis zu einer Beschränkung der aus § 823 Abs. 1 BGB folgenden Organisationspflichten auf erkennbare Rechtsgefahren. Die Begründung einer umfassenden Compliance-Pflicht scheidet daher aus. Eine über das Pflichtenspektrum des § 130 OWiG hinausreichende CompliancePflicht kann sich im Außenverhältnis gemäß § 823 Abs. 1 BGB nur im Einzelfall für erkennbar gefahrgeneigte Bereiche oder aufgrund gravierender Non-Compliance Fälle in der Vergangenheit ergeben. Bevor sogleich auf die Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats eingegangen wird, bleibt abschließend festzuhalten, dass sich die ComplianceVerantwortung des Vorstands in der AG nicht auf eine bestimmte Vorschrift reduzieren lässt, sondern sowohl aus dem Gesellschafts- als auch dem Ordnungswidrigkeitenrecht und im Einzelfall aus den allgemeinen betrieblichen Organisationspflichten nach § 823 Abs. 1 BGB folgt. Aus diesen Vorschriften und der hierzu ergangenen Rechtsprechung ergibt sich im Kern eine differenzierte Überwachungs-, Kontroll- und Organisationspflicht zur Verhinderung von (Straf-)Rechtsverstößen durch die AG, ihrer Organe und Mitarbeiter. Die Pflicht zur Einrichtung eines umfassenden Compliance-Systems lässt sich aus den in den Blick genommenen Vorschriften für die sektorunabhängige AG jedoch nicht ableiten. Die aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG folgenden Pflichten sowie der im Außenverhältnis auf sämtliche Aktiengesellschaften Anwendung findende Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG bilden aber zumindest für den Bereich der Criminal Compliance einen Mindestrahmen. Die Vorschriften begründen daher in ihrem Zusammenspiel für Vorstände aller Aktiengesellschaften die Pflicht zur Einrichtung eines auf Verhinderung von kriminalitätsbezogenen Risiken gerichteten Criminal Compliance-Systems.

IV. Organisatorische Maßnahmen des Vorstands zur Durchführung der Compliance Der Gesamtvorstand395 hat mit Blick auf das vorstehende Ergebnis zur Vermeidung einer die AG schädigenden Innen- und Außenhaftung gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG sowohl die 395  Zur Verantwortlichkeit des Gesamtvorstands für Compliance sowie zu den Möglichkeiten horizontaler und vertikaler Delegation siehe Goette, ZHR 175, 2011, 394 ff.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand199

präventive396 als auch repressive397 Dimension von Compliance im Blick zu behalten und zumindest organisatorische Maßnahmen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von strafrechtlich relevantem Fehlverhalten zu er­ greifen. Hierbei kommt ihm nach herrschender Auffassung kein Ermessensspielraum zu398, da die Frage, ob der Vorstand in der AG das Legalitätsprinzip durchsetzt, keine die Anwendung der Business Judgement Rule rechtfertigende unternehmerische Komponente399 beinhaltet. Sie stellt sich als gebundene Entscheidung dar. Wie der Gesamtvorstand die Pflicht zur Compliance in der AG organisatorisch umsetzt, stellt sich hingegen als unternehmerische Entscheidung dar und führt zu einer Anwendung der Business Judgement Rule nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG.400 Die Ausgestaltung der Compliance-­ Organisation bleibt somit dem unternehmerischen Ermessen des Vorstands vorbehalten.401 Vor diesem Hintergrund hat eine insbesondere von U.  H. Schneider vorgeschlagene und für alle Aktiengesellschaften Geltung beanspruchende Organisationsvorgabe im Sinne einer „best practice“ als zu weitgehend auszuscheiden.402 Richtigerweise können die an ein funktionierendes Compliance-System zu stellenden organisatorischen Anforderungen für jede AG nur individuell anhand des Einzelfalles bestimmt werden.403 Konkrete organisatorische Maßnahmen können – je nach Risikoklasse und Größe der AG – die Einrichtung einer förmlichen Compliance-Organisation, 396  Diese besteht insbesondere in der auf Vermeidung von kriminellem Verhalten gerichteten Antizipation von Strafbarkeitsrisiken in der AG, vgl. Rotsch, ZIS 2010, 615. Zur präventiven Wirkung von Compliance insgesamt siehe Kremer/Klahold, ZGR 2010, 127. 397  Diese besteht in der Aufklärung, Abstellung und Ahndung von strafrechtlich relevantem Fehlverhalten in der AG. Siehe auch Dreher, FS Goette 2011, 45. 398  Aus der gesellschaftsrechtlichen Literatur Goette ZHR 175, 2011, 394  f.; Meier-Greve, BB 2009, 2555, 2557; Reichert, ZIS 2011, 117; ders., FS HoffmannBecking 2013, 947 f.; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2176; Liese, BB-Special 2008, Heft 25, 18; Hüffer, FS Roth, 2011, 303 f.; Lutter, FS Goette, 2011, 291; Bayer, FS K. Schmidt, 2009 88 f.; Bicker, AG 2012, 543 f.; Fleischer, CCZ 2008, 2; ders., AG 2003, 292 ff. Aus der Rechtsprechung LG München, NZG 2014, 346; BGHZ 127, 336, 347; OLG Koblenz ZIP 1991, 871. 399  Siehe Hüffer, FS Roth, 2011, 304; Goette, ZHR 175, 2011, 392. 400  Goette, ZHR 175, 2011, 400; Reichert, ZIS 2011, 116; ders., FS HoffmannBecking 2013, 961; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2174; Kort, FS Hopt 2010, 996. 401  Reichert, ZIS 2011, 116; ders., FS Hoffmann-Becking 2013, 961; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2174; Fleischer, CCZ 2008, 3; Kort, FS Hopt, 2010, 996; ders., FS Roth 2011, 412. 402  So aber dezidiert Schneider, ZIP 2003, 645, 648 f., wonach für „alle Unternehmen“ eine „Verpflichtung zur Einrichtung einer Compliance-Organisation bestehe“ und diese gewisse „Mindestanforderungen“ erfüllen müsse. 403  Deutlich Winter, FS Hüffer, 2010, 1105; Goette, ZHR 175, 2011, 400; Fleischer, CCZ 2008, 2; Bürkle, BB 2005, 565, 567.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

etwa in Form einer Compliance- oder Revisionsabteilung404 oder die Bestellung eines sogenannten Compliance Officers405 sein. Die Umsetzung der die AG im Bereich der Criminal Compliance treffenden Organisationspflichten kann etwa durch Beauftragung einer externen Beratungsgesellschaft oder – bei kleineren und nicht erkennbar risikogeneigten Gesellschaften – durch konkrete Anweisungen im Umgang mit bestimmten Geschäftspartnern, mittels Schaffung von internen Richtlinien oder auch durch Dokumentation und Durchführung von Stichproben erfolgen. Trotz der einzelfallbezogenen und im Ermessen des Leitungsorgans stehenden Ausgestaltung der jeweiligen Compliance-Maßnahmen lassen sich nach Auswertung der gesellschafts- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Pflichten erste Grundpfeiler extrahieren, die in der Praxis als Fundament einer effektiven (Criminal-)Compliance Organisation dienen können.406 1. Erlass von internen Richtlinien und Verhaltenskodizes Bei Untersuchung der externen Compliance-Verantwortlichkeit des Vorstands wurde bereits festgestellt, dass die angemessene Instruktion und Aufklärung der Mitarbeiter Teil der aus § 130 Abs. 1 OWiG folgenden Überwachung ist.407 Möchte der Vorstand diese Pflicht im Rahmen eines Compliance-Systems präventiv erfüllen und die in der AG beschäftigten Mitarbeiter für rechtmäßiges Verhalten sensibilisieren, hat er durch Information und Anweisung eine Unternehmenskultur zu schaffen, die auf Verhinderung beziehungsweise Reduktion von kriminellem Verhalten abzielt.408 Dies setzt einerseits voraus, dass sämtliche personalen Ebenen erreicht werden. Andererseits lässt sich eine an ethischen, moralischen und rechtlichen Maßstäben orientierte Unternehmenskultur nur herstellen, wenn auf die in der AG im Umgang mit Kunden, Mitarbeitern und Geschäftspartnern vorherrschende Kultur direkt Einfluss genommen werden kann. Ein geeignetes, wenngleich nicht verpflichtendes Ins­ trument zur Aktivierung moralischer Ressourcen bilden interne Richtlinien.409 404  Gebauer/Niermann, 405  Zur

91 ff.

in: Hauschka, Corporate Compliance, § 48 Rn. 22 ff. Stellung und Funktion des Complianc Officers siehe Sünner, CCZ 2014,

406  Zum Inhalt der Compliance-Organisationspflicht siehe Reichert, ZIS 2011, 116; Hüchtebrock, FS Schiller, 2014, 320 ff.; Lampert, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 9 Rn. 1 ff. 407  Siehe Teil 3 B. III. 2. a) bb) u. cc) (1); Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 40. 408  Zutreffend auch Bock, ZIS 2009, 77. 409  Theile, Criminal Compliance, § 34, Rn. 1; Steuber, FS Hommelhoff 2012, 1171. Zur gesellschafts- und strafrechtlichen „Metaregulierung“ ausführlich Steinmann, ZIS 2011, 100 ff.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand201

Diese sind Ausdruck eines auf dem Gedanken der Selbstbindung beruhenden präventiven unternehmerischen Konzepts, das darauf abzielt, die Unternehmenstätigkeit nicht mehr nur an wirtschaftlichen, sondern auch an moralisch-ethischen Maßstäben zu orientieren.410 Neben dem klaren, ernsthaften und in der Praxis durch die Unternehmensleitung gelebten Bekenntnis zur Einhaltung der Gesetze sowie aufsichtsrechtlicher und branchenspezifischer Vorschriften und Regelungen kann ein solcher „Code of Conduct“ zugleich Werte, Leitmaximen und Orientierungen der Geschäftsleitung formulieren und Mitarbeiter dazu anhalten, sich mit den Unternehmenszielen zu identifizieren.411 Interne Richtlinien stellen insoweit zwar eine Form der „organisatorischen Prävention“ dar und können bei nachhaltiger Implementierung kriminalpräventiv wirken.412 Gleichwohl darf dies aber nicht darüber hinweg täuschen, dass durch die bloße Existenz von „wohlklingenden“ – in der Praxis jedoch nicht gelebten  – Verhaltenskodizes die Einhaltung der Strafrechtsordnung nicht garantiert wird.413 Umgekehrt ist bei der Implementierung von Unternehmensrichtlinien auch das Risiko zu sehen, dass diese oder sonstige interne Regelungen möglicherweise eine im Widerspruch zu ihrer präventiven Zielrichtung stehende strafbarkeitsbegründende Wirkung414 entfalten können, wenn in ihnen strengere Verhaltensvorgaben formuliert werden, als nach der gesetzlichen Ausgangslage gefordert.415 410  Theile,

ZIS 2008, 406; ders., Criminal Compliance, § 34, Rn. 2 ff. Bekenntnis zur Rechtstreue durch die Geschäftsleitung wird auch als „tone at the top“, „commitment to compliance“ oder „mission statement“ bezeichnet. Siehe hierzu Steuber, FS Hommelhoff 2012, 1170 f.; Reichert, ZIS 2011, 116; Bock, ZIS 2009, 77. 412  Zur präventiven Wirkung von Unternehmensrichtlinien unter empirischen Gesichtspunkten kritisch Theile, ZIS 2008, 411, 418; ders., Criminal Compliance, § 34, Rn. 45 ff. Nach einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers setzen ca. 82 % der über ein Compliance-Programm verfügenden deutschen Unternehmen „ethische Richtlinien“ als Mittel der Prävention ein. Siehe PwC, Wirtschaftskriminalität 2011, S. 54, abrufbar unter: https://www.pwc.de/de/risiko-manage ment/assets/wikri-studie-2011.pdf. 413  In diese Richtung auch zutreffend Rotsch, HWSt, IV/1, Rn. 45. 414  Strafbarkeitsbegründende Wirkungen können entstehen, wenn die AG im Sinne einer „best practice“ oder vor dem Hintergrund einer „zero tolerance policy“ an das Verhalten ihrer Mitarbeiter oder Organe besonders strenge Anforderungen stellt und damit durch „Definition“ von Sorgfaltsmaßstäben das Strafbarkeitsrisiko faktisch erhöht. Die Möglichkeit einer strafbarkeitskonstituierenden Wirkung von Unternehmensrichtlinien sehen auch Theile, ZIS 2008, 411; Heger, ZIS 2011, 406; Rotsch, ZIS 2010, 616; ders., HWSt, IV/1, Rn. 47, der zutreffend auf die Risiken einer „unternehmensinternen Parallelordnung“ hinweist. Siehe hierzu auch Pauthner-Seidel/Stephan, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 27 Rn. 54. 411  Das

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

2. Schaffung klarer Zuständigkeiten innerhalb des Vorstands Sowohl aus dem Aktien- als auch Ordnungswidrigkeitenrecht folgt, dass der Gesamtvorstand für die Compliance in der AG primär zuständig ist.416 In gesellschaftsrechtlicher Hinsicht folgt diese Zuständigkeit unmittelbar aus der Leitungsaufgabe und der hierbei zu beachtenden Sorgfalt gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG. Mit Blick auf die Rechtsprechung des LG München I trifft den Vorstand danach die gesellschaftsinterne Pflicht, „eine klare Regelung zu schaffen, wer auf Ebene des Gesamtvorstands die Hauptverantwortung zur Einrichtung und zur Überprüfung der Effizienz des bestehenden Compliance-Systems“417 hat. Im Außenverhältnis folgt eine solche Pflicht aus §§ 130 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG, wonach der Vorstand als Betriebsinhaber die erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen zur Verhinderung einer betrieblichen Zuwiderhandlung zu ergreifen hat. Bei einem mehrköpfigen Vorstand ist die interne Geschäftsverteilung maßgeblich.418 Dies führt dazu, dass die Zuständigkeit für die Compliance auch auf ein Vorstandsmitglied konzentriert werden kann. Für die übrigen Vorstandsmitglieder, die aufgrund einer internen Vereinbarung für den Bereich Compliance nicht zuständig sind, wandelt sich die Aufsichtspflicht in eine Pflicht zur Überwachung dahingehend, ob jedes Mitglied des Vorstands die ihm intern übertragenen Aufgaben wahrnimmt.419 Existiert innerhalb des Vorstands keine klare Regelung bezüglich der Zuständigkeit für Compliance, verbleibt es bei einer Gesamtverantwortung.420 3. Steuerung von Personalrisiken durch klare Zuständigkeiten auf personaler Ebene Die Mitglieder des Vorstands trifft aber nicht nur auf horizontaler Ebene eine organisatorische Pflicht zur Schaffung einer klaren Zuständigkeit für 415  Zum Risiko der strafbarkeitsbegründenen Wirkung von Compliance-Vorschriften im Zusammenhang mit Vermögensbetreuungspflichten siehe die ausführliche Darstellung bei Zimmermann, Strafbarkeitsrisiken durch Compliance, 98 ff.; Krause, StraFo 2011, 443; Michalke, StV 2011, 245 ff.; Schlösser/Dörfler, wistra 2007, 326 ff.; Mosiek, wistra 2003, 373. Zum Einfluss des Deutschen Corporate Governance Kodex siehe Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, 275 ff., 282, 314, 331; Kort, FS K. Schmidt 2009, 945 ff.; ders., NZG 2008, 81 ff. 416  Zur Verantwortung des Aufsichtsrats im Hinblick auf Compliance sogleich Teil 3 C. 417  LG München I, NZG 2014, 347. In diese Richtung bereits Kort, FS Roth 2011, 411; ders., FS Hopt 2010, 983 f.; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 125. 418  Wirtz, WuW 2001, 344 ff.; Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 68. 419  Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 68; BGHZ 133, 370, 377 ff. 420  LG München I, NZG 2014, 345; Kort, FS Hopt 2010, 987; Goette, ZHR 175, 2011, 394.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand203

Compliance. Vielmehr hat er auch auf vertikaler Ebene eindeutige Zuständigkeiten zu schaffen und sicherzustellen, dass die die AG – je nach Größe und Organisationsform – treffenden Pflichten in den jeweiligen Bereichen und Sparten vollständig aufgeteilt werden.421 Sie haben sodann zu organisieren, dass in der AG eine lückenlose, auf Vermeidung betriebsbezogener Pflichtverletzungen gerichtete, Kontrolle422 stattfindet. Da der Vorstand diese Kontrolle nicht selbst wahrnehmen kann, sind konkrete Verantwortliche zu benennen und in einem Organisationsplan darzustellen, sodass Zuwiderhandlungsgefahren auf allen Ebenen der Aufsicht unterliegen.423 Die Schaffung eines  – sämtliche betriebliche Pflichten auf Verantwortungsträger verteilenden  – Organisationsplans entbindet den Vorstand aber nicht von seiner aus § 130 Abs. 1 OWiG folgenden Aufsichtspflicht. Diese setzt sich gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG vielmehr in der laufenden Kontrolle fort und verlangt eine effektive von der Leitungsebene bis zur letzten zu kontrollierenden Einheit reichende „Überwachungskette“.424 Bei Aufteilung der die AG als juristische Person treffenden Pflichten auf verschiedene Verantwortliche sollte der Vorstand vor dem Hintergrund des erheblichen Schadenspotenzials von Korruptionsdelikten425 dem Aspekt der „Interessenseparation“ besondere Bedeutung beimessen und operativ tätige Abteilungen oder sogar einzelne Mitarbeiter nicht mit Verfügungs-, Verwaltungs- und Buchhaltungskompetenz ausstatten.426 Letztlich besteht auch die Möglichkeit, die Compliance im Wege der vertikalen Delegation an interne oder 421  Den Vorstand trifft als „Betriebsinhaber“ nach § 130 Abs. 1 OWiG die Pflicht, zur Durchführung aller erforderlichen Einzelmaßnahmen, vgl. auch Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 66; zutreffend Hüchtebrock, FS Schiller, 2014, 322; Kort, FS Hopt 2010, 988. 422  Rogall, in: KK OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 66; Achenbach, HWSt, I/3, Rn. 50. 423  In diesem können z. B. Kompetenzen, Verantwortlichkeiten und Weisungsbefugnisse festgelegt werden, vgl. Bock, ZIS 2009, 77; Rogall, in: KK OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 53, 67. 424  Bock, ZIS 2009, 78, der das notwendige Maß an Kontrollintensität aus dem betriebswirtschaftlichen Aufwand und dem Risiko von Rechtsgutsverletzungen errechnen will. Allgemein Rogall, in: KK zum OWiG, 3. Aufl., § 130, Rn. 58. Die Überwachung der Wirksamkeit eines „Compliance Management Systems“ verlangt auch der vom Institut der Wirtschaftsprüfer veröffentlichte IDW PS 980. Hierzu kritisch Kort, FS Roth 2011, 409. Siehe auch Hüchtebrock, FS Schiller, 2014, 323; Busekist/Hein, CCZ 2012, 41 ff.; Busekist/Schlitt, CCZ 2012, 86 ff. 425  Zur möglichen Dimension eines „Korruptionsskandals“ siehe nur LG München I, NZG 2014, 346. Zu den Haftungsrisiken von Non-Compliance allgemein Bock, ZIS 2009, 68 f. 426  Zu den Mindestanforderungen an die Compliance-Organisation siehe Kort, FS Roth 2011, 411 f.; Bock, ZIS 2009, 77; Goette, ZHR 175, 2011, 395. Zur Bekämpfung von Korruption mit den Mitteln des OWiG umfassend Kretschmer, FS Geppert 2011, 287 ff.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

externe Personen oder Abteilungen zu delegieren.427 Damit der Vorstand seiner aus der Delegation folgenden Überwachungspflicht wiederum effektiv nachkommen kann, ist parallel ein direkter Berichtsweg zum Vorstand zu schaffen.428 4. Schaffung einer Compliance-Abteilung bei entsprechendem Risikoprofil Die Aktiengesellschaft schuldet für den Normalfall weder im Innen- noch im Außenverhältnis eine förmliche Compliance-Organisation in Form einer eigenen Compliance-Abteilung. Eine solche ist nach der Rechtsprechung im Innenverhältnis gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG erst bei entsprechender Gefährdungslage erforderlich. Erst ab diesem Zeitpunkt hat der Vorstand eine auf „Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation“429 einzurichten. Damit korrespondierend verlangt die aus § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG folgende Organisationspflicht des Betriebsinhabers auch erst bei größeren Betrieben, die Einrichtung einer Revisionsabteilung, die personell so auszustatten ist, dass sie die Betriebszweige in regelmäßigen Abständen unangemeldet überprüfen kann.430 Die Intensität der laufenden Kontrolle steht dabei in Abhängigkeit zur „Gefahrengeneigtheit“ und darf sich nicht nur in gelegentlichen Überprüfungen erschöpfen.431 Vor diesem Hintergrund verdienen diejenigen Stimmen in der Literatur Zustimmung, die eine generelle Pflicht zur Einführung einer bestimmten Compliance-Organisation ablehnen und die Ausgestaltung der Compliance von den 427  Kort, FS Hopt, 2010, 988; Reichert, ZIS 2011, 116; Goette, ZHR 2011, 395; Bunting, ZIP 2012, 1543; Bürkle, BB 2005, 565. 428  Zur Ausgestaltung der Compliance-Kommunikation siehe Hüchtebrock, FS Schiller, 2014, 322 f.; Reichert, ZIS 2011, 116; Bürkle, BB 2005, 565; Meier-Greve, BB 2009, 2556; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 136. Denkbar wäre zum Beispiel die Bestimmung eines Compliance-Beauftragten. 429  LG München I, NZG 2014, 346. Danach kommt es für den Umfang der Organisationspflicht insbesondere auf Art, Größe, Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, geografische Präsenz sowie auf Verdachtsfälle aus der Vergangenheit an. 430  Rogall, KK zum OWiG § 130 Rn. 54, 58; BGH, wistra 1982, 34; OLG Köln, wistra 1994, 315; Wirtz WuW 2001, 343; vgl. zur Rolle der internen Revision im Zusammenhang mit der Sicherstellung von Compliance M/G-Jakob, II/B, 144 Rn. 8 ff. 431  Rogall, KK zum OWiG § 130 Rn. 58. In der Praxis delegiert entweder der Gesamtvorstand oder – bei Vorliegen einer internen Zuständigkeitsregelung – das für Compliance zuständige Vorstandsmitglied im Rahmen der vertikalen Delegation die Compliance-Aufgabe an die Compliance-Abteilung oder einen Compliance-Beauftragten, vgl. hierzu Kort, FS Hopt 2010, 988 ff.; Goette, ZHR 2011, 395; Bunting, ZIP 2012, 1543; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 125.



B. Grund, Inhalt und Grenzen einer Compliance-Pflicht für den Vorstand205

individuellen Verhältnissen des Unternehmens abhängig machen.432 Würde man für sämtliche Aktiengesellschaften, unabhängig von ihrer Gefahrgeneigtheit und Größe, eine institutionalisierte Form der Aufsicht verlangen, widerspräche dies auch dem Wortlaut des § 130 OWiG, da danach lediglich eine „gehörige Aufsicht“ geschuldet wird. Diese umfasst nur solche Aufsichtsmaßnahmen, die nach Lage der Dinge geeignet sind, betriebsbezogene Zuwiderhandlungen zu verhindern.433 Demgegenüber wird dem Betriebsinhaber nach § 130 Abs. 1 OWiG gerade nicht aufgegeben, seinen Betrieb in „bestimmter Weise“ zu organisieren.434 Für kleinere und nicht risikogeneigte Aktiengesellschaften ist es auch weder erforderlich noch zumutbar, stets eine mit hohen Personal- und Sachkosten verbundene institutionelle Compliance-Organisation zu implementieren. An der Erforderlichkeit für eine solche fehlt es insbesondere, wenn der Vorstand durch gleichermaßen geeignete organisatorische Maßnahmen potentielle Zuwiderhandlungsgefahren zuverlässig ausschließen kann.435 Da der Vorstand auf das rechtmäßige Verhalten der in der AG beschäftigten Mitarbeiter grundsätzlich vertrauen darf, sind Art und Umfang der Aufsichtsmaßnahmen nicht allein an dem Ziel auszurichten, durch exzessive Beaufsichtigung und Kontrolle jede Zuwiderhandlung gegen betriebliche Pflichten zu verhindern.436 Die Erforderlichkeit und Zumutbarkeit von Aufsichtsmaßnahmen hängt vielmehr von Größe und Wahrscheinlichkeit der Gefahr sowie der Dimension des drohenden Schadens ab.437 Schließlich ist auch nicht jede AG denselben Personal- und Sachgefahren ausgesetzt.438 432  Kort, FS Hopt 2010, 995; ders., NZG 2008, 83; Meier-Greve, BB 2009, 2557; Dreher, FS Hüffer 2010, 174, der zu Recht darauf hinweist, dass das Aktiengesetz keine generelle Pflicht kennt, auch Vorkehrungen gegen jeden noch so unbedeutenden Formalverstoß durch die Gesellschaft und deren Mitarbeiter zu treffen. 433  Rogall, KK zum OWiG § 130 Rn. 38. 434  Göhler, OWiG, § 130 Rn. 10; Rogall, KK zum OWiG § 130 Rn. 38. 435  In Betracht kommen etwa Anweisungen im Umgang mit ausländischen Geschäftspartnern, Schaffung von internen Richtlinien, regelmäßige Mitarbeiterschulungen, Dokumentation und Durchführung von Stichproben. Zum Grundsatz des mildesten Mittels siehe Rogall, KK zum OWiG § 130 Rn. 48. Siehe auch die Ausführungen oben Teil 3 B. III. 2. a) aa)–dd). 436  Zur Begrenzung der Kontrollanforderungen durch den Vertrauensgrundsatz siehe Rogall, KK zum OWiG § 130 Rn. 49. 437  Rogall, KK zum OWiG § 130 Rn. 48. Der Grad der Wahrscheinlichkeit ist anhand einer Risikoanalyse zu ermitteln, vgl. insoweit auch Baumert, CCZ 2013, 266. 438  Ein erhöhtes Risiko besteht regelmäßig im Vertrieb. Besonderes Augenmerk ist in diesem Bereich auf die Ausgestaltung von Beraterverträgen, den Umgang mit Spenden, Bewirtungen oder Sponsoring zu legen. Vgl. hierzu weiterführend das praxisrelevante Beispiel zur Prüfung von Beraterverträgen bei M/G-Jakob, II/B, 160 Rn.  85 ff.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Eine Pflicht zur Einführung einer Compliance-Abteilung, die ein bestimmtes Compliance-System umsetzt, ist in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht auch zu weitgehend, da es mit Blick auf das auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Unternehmensinteresse nicht zu rechtfertigen ist, in jeder AG eine kosten- und personalintensive Compliance-Abteilung einzuführen.439 Ob eine Compliance-Abteilung440 neben oder in Kooperation mit einer internen Revisionsabteilung in der AG implementiert wird, ist letztlich nach betriebswirtschaftlichen Kriterien zu ermitteln und steht im Ermessen des Vorstands.441 Die aus § 130 Abs. 1 OWiG und §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG folgende Pflicht zur Compliance ist nur zu „institutionalisieren“442, wenn aufgrund von Größe und Branche eine potentielle Gefahrneigung443 besteht oder in der Vergangenheit schadensträchtige straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Verstöße444 zum Nachteil der AG zu beobachten waren.

439  Compliance dient ausschließlich der Verfolgung des Unternehmensinteresses, vgl. Kort, FS Hopt, 2010, 985. Siehe auch Hauschka, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 1 Rn. 23. 440  Zentrale Aufgabe einer solchen ist neben der Identifizierung, Bewertung und Überwachung von aus der unternehmerischen Betätigung folgenden Rechtsrisiken auch die Vorabprüfung der Strafbarkeitsrisiken geplanter Projekte. Daneben kann der Vorstand seine aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG folgenden Compliance-Pflichten in Gestalt der Aufklärung, Abstellung und Sanktionierung von Fehlverhalten ebenso wie die aus der Arbeitsteilung folgenden Überwachungspflichten auf die Compliance-Abteilung delegieren und diese mit entsprechenden Befugnissen ausstatten. Hierzu und zu weiteren Funktionen Bock, ZIS 2009, 79 f.; Baumert, CCZ 2013, 267; Schemmel/Minkoff, CCZ 2012, 50. 441  Zur Einschränkung des unternehmerischen Ermessens Winter, FS Hüffer, 2010, 1106. 442  Bock, ZIS 2009, 79. Zur systematischen Steuerung der Compliance-Risiken siehe exemplarisch M/G-Gilch/Schautes, II/A, 134 ff., Rn. 32 ff. 443  Dies wird bei börsennotierten Aktiengesellschaften in der Regel anzunehmen sein, vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 72. Die Pflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation kann sich aber auch aus sektorspezifischen Regelungen wie z. B. §§ 25a Abs. 1 Nr. 3 c), 25 c Abs. 3, 4a, 54a KWG; § 33 Abs. 1 Nr. 1 WpHG; § 64a Abs. 1 VAG ergeben. In diese Richtung auch Winter, FS Hüffer, 2010, 1105. Siehe auch oben Teil 3 B. II. 444  Der die Begrenzung von Kontrollanforderungen rechtfertigende Vertrauensgrundsatz wird in diesem Fall erschüttert, sodass weitergehende Maßnahmen erforderlich werden. In diese Richtung auch Reichert, ZIS 2011, 116, der bei vergangenem Fehlverhalten ein „Mehr an Compliance-Anstrengungen“ fordert. Siehe hierzu auch Baumert, CCZ 2013, 266.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen207

V. Ergebnis bezüglich Compliance-Pflichten des Vorstands Nach der bisherigen Untersuchung lässt sich als Zwischenergebnis festhalten, dass Compliance im Kontext der Unternehmensorganisation eine zweifache Dimension entfaltet. Der Begriff Compliance umschreibt aus Sicht der AG, deren Organen sowie der in ihr beschäftigten Mitarbeiter einerseits die Pflicht, sich selbst legal zu verhalten. Aus Sicht des Vorstands bedeutet dies, dass er sich bei Ausübung der Leitungstätigkeit sowohl gegenüber der AG als auch gegenüber außerhalb der AG stehenden Dritten rechtskonform zu verhalten hat. Verstößt er gegen diese unmittelbar aus seiner Organstellung folgende Legalitätspflicht, liegt eine Compliance-Pflichtverletzung des Vorstands vor. Speziell aus Sicht des Vorstands bedeutet Compliance andererseits aber auch die Pflicht, eine individuelle Organisationstruktur in der AG zu schaffen, die mit geeigneten Mitteln insbesondere auf Mitarbeiterebene legales Verhalten sicherstellt. Diese Organisationspflicht ist ebenfalls Teil  der den Vorstand als Organ treffenden Leitungsmacht und folgt im Innenverhältnis aus §§ 76 Abs. 1 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG und im Außenverhältnis aus §§ 130 Abs. 1, 9, 30 OWiG. Verstößt der Vorstand gegen die Pflicht zur Schaffung eines an den individuellen Bedürfnissen orientierten ComplianceSystems und führt er ein solches in der AG nicht oder nur unzureichend ein, begründet dies ebenfalls eine Compliance-Pflichtverletzung des Vorstands.

C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands Die in Bezug auf die Aktiengesellschaft und den Vorstand festgestellten Compliance-Pflichten sind nun unter Berücksichtigung der in Teil 2 herausgearbeiteten Überwachungsmittel in Beziehung zu den Aufgaben des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan zu setzen. In diesem Zusammenhang ist aufzuzeigen, dass den Aufsichtsrat einerseits eine zu den Compliance-Pflichten des Vorstands akzessorisch ausgestaltete Compliance-Verantwortung trifft und sich diese darin widerspiegelt, dass er mindestens die Schaffung eines wirksamen Compliance-Systems durch den Vorstand, das auch geeignete organisatorische Vorkehrungen zur Aufklärung, Abstellung und Sanktionierung von kriminogenem Verhalten auf Mitarbeiter­ ebene umfasst, gemäß § 111 Abs. 1 AktG zu überwachen hat. Andererseits hat er den Vorstand nach § 111 Abs. 1 AktG auch insoweit zu überwachen, dass sich dieser als Organ selbst sowohl gegenüber der AG als auch gegenüber außenstehenden Dritten rechtskonform verhält.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

I. Zuständigkeit in der AG für die Überwachung der Einhaltung von Compliance Bevor auf die Compliance-Pflichten des Aufsichtsrats im Detail einge­ gangen werden kann, ist die grundsätzliche Aufgabenverteilung zwischen den Gesellschaftsorganen zu betrachten und mit Blick auf die Compliance abzugrenzen. Sodann wird die Sicht frei für eine differenzierte Betrachtung der dem Vorstand und Aufsichtsrat jeweils zukommenden CompliancePflichten. Es wurde bereits aufgezeigt, dass das deutsche Aktienrecht nach dem dualistischen System verfasst ist und dem Vorstand die Leitung der AG gemäß §§ 76 Abs. 1, 111 Abs. 4 S. 1 AktG alleine obliegt.445 Wesentlicher Bestandteil dieser Leitungsmacht ist die Pflicht des Vorstands, durch organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen, dass sich die AG und deren Mitarbeiter mindestens strafrechtskonform verhalten.446 Hieraus folgt auch die soeben festgestellte organisatorische Pflicht des Vorstands, in der AG ein effektives Compliance-System zu schaffen. Die Planung, Ausgestaltung, Implementierung und Überwachung eines an den individuellen Bedürfnissen der AG orientierten Compliance-Systems fällt als leitungsbezogene Geschäftsführungsaufgabe in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich des Vorstands.447 Insoweit trifft den Aufsichtsrat keine unmittelbare Verantwortlichkeit. Diese gesetzgeberische Wertung wiederholt auch der Deutsche Corporate Governance Kodex448 für börsennotierte Gesellschaften, indem er in Ziffer 4.1.3 empfiehlt, dass der Vorstand für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen hat und auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hinwirkt. Demgegenüber hat der Aufsichtsrat die leitungsbezogene Geschäftsführungstätigkeit des Vorstands gemäß § 111 Abs. 1 AktG zu überwachen.449 Vor diesem Hintergrund trifft den Aufsichtsrat einer AG eine zu den Compli445  Siehe hierzu oben Teil 2 A. I. u. B I. 1. b) sowie Teil 3 B. II. 4. a); Arnold, ZGR 2014, 85. 446  Siehe hierzu die Ausführungen zur Compliance-Pflicht des Vorstands in Teil 3 B. II. 4. 447  So die herrschende Meinung. Siehe nur Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 72; Arnold, ZGR 2014, 79; Habersack, AG 2014, 2; Reichert, NZG 2014, 241 f.; Kort, FS Hopt 2010, 998; Winter, FS Hüffer, 2010, 1107 f., 1112; Goette, ZHR 2011, 392; Hemeling, ZHR 2011, 370; Hüffer, FS Roth 2011, 304; Kremer/ Klahold, ZGR 2010, 123 f. 448  Zur Rechtsnatur des DCGK siehe oben Teil 3 A. I.; Kort, NZG 2008, 83. 449  Siehe hierzu bereits die Ausführungen in Teil 2 B. I.; Winter, FS Hüffer, 2010, 1108.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen209

ance-Pflichten des Vorstands „akzessorische“450 Zuständigkeit für Compliance in Form einer primär auf Kontrolle der Compliance-Aktivitäten des Vorstands bezogenen Überwachungspflicht. Dass der Aufsichtsrat für Compliance auch zuständig ist und die Compliance-Maßnahmen des Vorstands zu überwachen hat, bestätigt Ziffer 5.3.2 des Deutschen Corporate Governance Kodex. Danach soll der Aufsichtsrat einen Prüfungssausschuss einrichten, der sich unter anderem mit Fragen der Rechnungslegung, des Risikomanagements und der Compliance befasst.451 Welchen Umfang die vom Aufsichtsrat geschuldete Kontrolle im Zusammenhang mit Compliance erreicht, wird im Folgenden unter Einbeziehung der ihm zur Überwachung des Vorstands zur Verfügung stehenden Kontrollmöglichkeiten und unter Berücksichtigung der gesetzlichen Kompetenzverteilung untersucht.

II. Compliancebezogene Überwachungspflichten gegenüber dem Vorstand der AG Ausgehend von den in Teil 2 dargestellten Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand und der von ihm bei Ausübung der Kontrolle nach dem gesetzlichen Auftrag je nach Lage der AG geschuldeten gestuften Überwachungsintensität ergeben sich für den Aufsichtsrat hinsichtlich der Überwachung der vom Vorstand geschuldeten Compliance-Aktivitäten nach § 111 Abs. 1 AktG differenzierte compliancebezogene Pflichten. 1. Pflicht zur Überwachung der Einführung eines geeigneten Compliance-Systems Bei der Pflicht zur Einführung eines geeigneten Compliance-Systems handelt es sich um eine leitungsbezogene Geschäftsführungsaufgabe des Vorstands. Diese ist vom Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats daher gemäß § 111 Abs. 1 AktG unmittelbar umfasst.452 Die Mitglieder des Aufsichtsrats müssen somit mindestens prüfen, ob der Vorstand dieser Compliance-Pflicht nachkommt und im Rahmen seiner Zu450  Habersack, AG 2014, 2; Dreher, FS Goette 2011, 46. In diese Richtung auch Kort, FS Hopt, 2010, 997, der von einer „indirekten“ Pflicht des Aufsichtsrats für Compliance ausgeht. 451  Zutreffend Kort, NZG 2008, 84. Zur Ausschussbildung siehe Teil 2 B. I. 2. l) u. Teil 6 II. 452  So die herrschende Meinung in der gesellschaftsrechtlichen Literatur. Vgl. Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 111 Rn. 246; Kort, FS Hopt, 2010, 983, 997 f.; ders., in: Großkomm AktG § 76 Rn. 36; Habersack, AG 2014, 3; Reichert/Ott, NZG 2014, 244; Winter, FS Hüffer, 2010, 1108; Lutter, FS Hüffer, 2010, 619.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

ständigkeit ein an den individuellen Bedürfnissen der AG orientiertes Compliance-System geschaffen453 hat, dessen Einhaltung überwacht454 und regelmäßig anpasst. a) Überwachung der Compliance-Aktivitäten im normalen Geschäftsgang Da der Aufsichtsrat im normalen Geschäftsgang nicht die Einzelheiten des Tagesgeschäfts zu überwachen hat455, beschränkt sich die Überwachung der laufenden Compliance-Aktivität zunächst auf die Befassung mit der Berichterstattung über compliancerelevante Sachverhalte durch den Vorstand.456 Der Aufsichtsrat hat sich im normalen Geschäftsgang nicht mit jedem in der AG aufgetretenen Compliance-Fall „detailliert“ zu befassen457, sondern nur zu überwachen, dass der Vorstand in Abhängigkeit zu den konkreten Verhältnissen der AG überhaupt eine taugliche Compliance-Organisation schafft und die Compliance in der AG durch Aufklärung, Ahndung und Sanktionierung effektiv durchsetzt.458 Zentraler Prüfungsgegenstand ist die Frage, ob der Vorstand seine Pflicht zur Schaffung und Durchsetzung eines individuell tauglichen ComplianceSystems erfüllt.459 Der Aufsichtsrat wird seiner Überwachungsaufgabe in Bezug auf Compliance im normalen Geschäftsgang gerecht, wenn er sich vom Vorstand regelmäßig und nicht nur anlassbezogen berichtsmäßig über die Ausgestaltung des in der AG eingerichteten Compliance-Systems sowie 453  Ziel ist die Vermeidung von unternehmensbezogenen Straftaten, sodass die präventive Dimension der Compliance betroffen ist, die der Aufsichtsrat auch zu überwachen hat. 454  Der Vorstand muss Compliance-Verstöße aufklären, Missstände abstellen und Fehlverhalten von Unternehmensangehörigen angemessen sanktionieren. Dies hat der Aufsichtsrat zu überwachen. Zur repressiven Dimension von Compliance siehe Habersack, AG 2014, 5. 455  Siehe zur geschuldeten Überwachungsintensität des Aufsichtrats im „normalen Geschäftsgang“ die Ausführungen in Teil 2 B. I. 1. b) cc). Jüngst auch OLG Stuttgart, ZIP 2012, 1965. 456  Reichert/Ott, NZG 2014, 245. Zum Berichtswesen in der AG vgl. Teil 2 B. I. 1. b) cc) (1). 457  Zutreffend Reichert/Ott, NZG 2014, 245. In diese Richtung bereits Kort, FS Hopt, 2010, 997. Eine solche Kontrolldichte widerspräche nicht nur dem Kontrollauftrag des § 111 Abs. 1 AktG, sondern würde auch einen Eingriff in die Leitungskompetenz des Vorstands darstellen. 458  Habersack, AG 2014, 5; Reichert/Ott, NZG 2014, 245; Kort, FS Hopt, 2010, 997 f.; Schemmel/Minkoff, Der Aufsichtsrat 2013, 95. 459  Kort, FS Hopt, 2010, 997 f.; Habersack, AG 2014, 4. Zum möglichen Inhalt eines vom Vorstand einzurichtenden Compliance-Systems siehe oben Teil 3 B. IV.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen211

über compliance-relevante Sachverhalte und deren interne Aufarbeitung informieren lässt.460 Ergeben sich hieraus keine konkreten Anhaltspunkte, die den Verdacht auf eine unvollständige oder falsche Berichterstattung durch den Vorstand nahelegen, ist der Aufsichtsrat nicht gehalten, eigene über die Regelberichterstattung hinausgehende Nachforschungen durchzuführen.461 Er darf sich auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Vorstandsberichte einschließlich des Compliance-Berichts verlassen.462 Den Aufsichtsrat trifft gemäß § 111 Abs. 1 AktG die Pflicht, eine an den Grundsätzen der Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlich- und Zweckmäßigkeit orientierte Prüfung und Bewertung durchzuführen. Diese umfasst – wie Lutter zutreffend hervorhebt – neben der Frage nach der Existenz eines Compliance-Systems463 die Prüfung, welche Maßnahmen der Vorstand zur Sicherung der Legalität in der AG konkret getroffen hat464 und ob er das von ihm geschaffene System überwacht oder aufgrund vertikaler Delegation durch eine Fachabteilung überwachen lässt.465 Der Aufsichtsrat genügt seiner Überwachungspflicht, wenn er sich über die Einrichtung und Durchsetzung des Compliance-Systems vom Vorstand berichten lässt und an der Richtigkeit der Berichterstattung keine Zweifel bestehen.466 Ein nach 460  Zutreffend Winter, FS Hüffer, 2010, 1121; Habersack, AG 2014, 5; Arnold, ZGR 2014, 85 f.; Reichert/Ott, NZG 2014, 245, wonach der Bericht des Vorstands Angaben zur Anzahl der Verdachtsfälle, der Art der festgestellten Compliance-Verstöße sowie zum Umgang mit Non-Compliance Fällen enthalten sollte. Zur Berichtspflicht siehe Teil 2 B. I. 1. b) cc) (1) (a). 461  Anlassunabhängige Ermittlungen des Aufsichtsrats belasten die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Nachforschungen können notwendig sein, wenn die Berichte des Vorstands erkennbar unvollständig, unplausibel oder widersprüchlich sind, vgl. Winter, FS Hüffer, 2010, 1110 f., 1121. Siehe zur gestuften Überwachungspflicht die Ausführungen in Teil 2 B. I. 1. b); Cahn, WM 2013, 1299; Reichert/Ott, NZG 2014, 246. 462  Bestehen Anhaltspunkte für Fehlentwicklungen oder Hinweise, dass der Aufsichtsrat vom Vorstand falsch oder unvollständig informiert wird, ist er nach § 111 Abs. 2 AktG verpflichtet, Nachforschungen anzustellen, Winter, FS Hüffer, 2010, 1112; Habersack, AG 2014, 5. 463  Die wirksame Kontrolle der Existenz eines Compliance-Systems kann dadurch erreicht werden, dass sich der Aufsichtsrat das Vorstandskonzept schriftlich vorlegen lässt. 464  Zu fragen ist etwa, ob interne Richtlinien existieren, auf vertikaler und horizontaler Ebene klare Zuständigkeitsregelungen geschaffen wurden, in risikogeneigten Bereichen Aufgabenseparationen erfolgt sind oder – ab einer gewissen Größe und Risikoneigung – eine mit hinreichenden Befugnissen ausgestattete Compliance-Abteilung eingerichtet wurde. 465  Lutter, FS Hüffer, 2010, 619. 466  Winter, FS Hüffer, 2010, 1122; Habersack, AG 2014, 5.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

diesem Maßstab als untauglich erkanntes Compliance-System hat der Aufsichtsrat im Rahmen seines Rechts zur Meinungs- und Bedenkäußerung zu beanstanden.467 Hat er oder ein von ihm eingerichter Prüfungsausschuss468 an der vom Vorstand beabsichtigten Umsetzung der Compliance-Organisation Bedenken, kann gegebenenfalls auch ein förmlicher Meinungsäußerungsoder Empfehlungsbeschluss notwendig sein.469 Ferner ist der Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 1 AktG im normalen Geschäftsgang verpflichtet, den Vorstand bei der Ausgestaltung des Compliance-Systems im Sinne einer in die Zukunft gerichteten Beratung präventiv begleitend zu unterstützen.470 Da sich der aus § 111 Abs. 1 AktG folgende Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats nicht nur auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Vorstandshandelns beschränkt, sondern auch die Prüfung der Zweckmäßigkeit umfasst471, kommt im Einzelfall eine Mitwirkung bei Aufbau und Ausgestaltung der vom Vorstand vorgelegten Compliance-Organisation durch Beratung und Mitsprache in Betracht.472 Neben einer konzeptionellen Beratung473 wäre unter präventiven Gesichtspunkten als intensivste Maßnahme denkbar, dass der Aufsichtsrat ein vom Vorstand vorgelegtes Konzept zur Compliance nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG – generell oder ad hoc – seiner Zustimmung unterstellt und damit an der Gestaltung des Compliance-Systems mitwirkt.474 467  Der Aufsichtsrat hat dann darauf zu drängen, dass die Mängel des Compliance-Systems systematisch nachverfolgt und beseitigt werden, vgl. hierzu Reichert/ Ott, NZG 2014, 245. Die Mangelhaftigkeit des Compliance-Systems kann sich auch aus den Vorstandsberichten selbst ergeben, wenn dort eine auffällige Zunahme der Compliance-Fälle vorgetragen wird. Die vorgelegten Berichte sind dann kritisch zu hinterfragen. Gegebenenfalls müssen auch Untersuchungshandlungen durch den Aufsichtsrat eingeleitet werden, Winter, FS Hüffer, 2010, 1122. 468  Zur präventiven Dimension eines solchen siehe die Ausführungen in Teil 6 A. II. 469  Winter, FS Hüffer 2010, 1120. Ein solcher ist für den Vorstand zwar nicht bindend, dürfte diesem aber zumindest Anlass geben, seine Entscheidung für oder gegen ein Compliance-System nochmals zu überdenken. 470  BGHZ 135, 244, 255; Arnold, ZGR 2014, 85; Reichert/Ott, NZG 2014, 246. 471  Siehe hierzu die Ausführungen in Teil 2 B. I. 1. b) dd) (4); Lutter, FS Hüffer, 2010, 619. 472  Zutreffend Kort, FS Hopt, 2010, 998; Lutter, FS Hüffer, 2010, 619. In diese Richtung deuten die Ausführungen bei Winter, FS Hüffer, 2010, 1119 ff. Siehe hierzu unten Teil 6 A. I. 473  Vgl. Ziff. 5.1.1 des DCGK, wonach es Aufgabe des Aufsichtsrats ist, den Vorstand bei der Leitung des Unternehmens regelmäßig zu beraten und zu überwachen. In Entscheidungen von grundlegender Bedeutung ist er ebenso einzubinden. Siehe hierzu Kort, NZG 2008, 84. 474  Habersack, AG 2014, 4; Arnold, ZGR 2014, 85; Winter, FS Hüffer, 2010, 1120. Siehe zu den Möglichkeiten im Rahmen eines Zustimmungsvorbehalts unten Teil 6 V.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen213

b) Gesteigerte Überwachung bei erheblichen Compliance-Verstößen und Vorbelastung Die vom Aufsichtsrat in Bezug auf die Compliance im normalen Geschäftsgang geschuldete „Regelüberwachung“ verdichtet sich nach den in Teil 2 herausgearbeiteten Grundsätzen zu einer „Intensivüberwachung“, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Risikolage der AG verschlechtert und das Risiko einer erheblichen Beeinträchtigung der Ertragsund Finanzlage zu besorgen ist.475 Eine gesteigerte Überwachung ist nicht nur in Krisensituationen oder bei existenziellen Geschäftsvorgängen, sondern auch dann geboten, wenn gravierende und für die AG potentiell existenzbedrohlich wirkende Compliance-Verstöße im Raum stehen oder – trotz Risikoneigung oder krimineller Vorbelastung – in der AG kein Compliance-System existiert.476 Eine gesteigerte Überwachungspflicht kommt ebenfalls in Betracht, wenn in der Vergangenheit schadensträchtige Compliance-Vorfälle zu beobachten waren. Die intensive Überwachung durch den Aufsichtsrat rechtfertigt sich in diesen Konstellationen dadurch, dass massive Compliance-Verstöße, ebenso wie das Fehlen eines Compliance-Systems dazu geeignet sind, die Vermögenslage der AG empfindlich zu beeinträchtigen.477 aa) Besondere Überwachungspflichten des Aufsichtsrats bei erhöhter Risikolage Der Aufsichtsrat ist in dieser Situation bereits nach allgemeinen Kriterien gehalten, sich vom Vorstand über die Lage der AG intensiv und detailliert berichten zu lassen. Ebenso wandelt sich die von ihm im üblichen Geschäftsgang geschuldete präventiv begleitende Überwachung in Form von Beratung und Meinungsäußerung in eine unterstützende Überwachung, die dem Aufsichtsrat gesteigerte Handlungspflichten auferlegt.478 Stellt der Aufsichtsrat 475  Zur Intensität der Überwachung siehe allgemein die Ausführungen in Teil 2 B. I. 1. b) cc). 476  In diese Richtung auch Reichert/Ott, NZG 2014, 245; Habersack, AG 2014, 4. 477  Kartell- und Korruptionssachverhalte können neben dem unmittelbaren Sanktionsschaden erhebliche Reputationsschäden nach sich ziehen. Zum Schadenspotential von Compliance-Sachverhalten siehe LG München I, NZG 2014, 346; Reichert/ Ott, NZG 2014, 245, 246 f. 478  Im Extremfall kann dies sogar dazu führen, dass der Aufsichtsrat zwingend erforderliche Geschäftsführungsmaßnahmen selbst zu veranlassen hat, vgl. nur Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 88; ebenso Reichert/Ott, NZG 2014, 246; Teil 2 B. I. 1. b) cc) (2).

214

Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

fest, dass der Vorstand in der AG kein Compliance-System implementiert und im Innenverhältnis seine Pflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG verletzt hat, trifft ihn nach § 111 Abs. 1 AktG die gesellschaftsrechtliche Pflicht, gegenüber dem Vorstand darauf hinzuwirken, dass dieser in der AG ein an den individuellen Gegebenheiten orientiertes Compliance-System schafft, das sowohl darauf gerichtet ist, kriminelles Verhalten auf Mitarbeiter­ ebene zu vermeiden, als auch geeignete Maßnahmen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von aufgeklärtem Fehlverhalten beinhaltet.479 Der Aufsichtsrat hat die ihm aktienrechtlich zur Verfügung stehenden Einwirkungsmöglichkeiten gegenüber dem Vorstand auszuschöpfen. Neben der Beanstandung und Herbeiführung eines förmlichen Aufsichtsratsbeschlusses, der die erkannten Missstände aufzeigt und den Vorstand zum Handeln auffordert, kann auch die Ausübung der dem Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand obliegenden Personalkompetenz angezeigt sein. Werden die Missstände nicht nachhaltig beseitigt oder weigert sich der Vorstand, ein an den Bedürfnissen der AG orientiertes Compliance-System einzuführen, kann es erforderlich sein, die Bestellung des für Compliance verantwortlichen Vorstandsmitglied gemäß § 84 Abs. 3 S. 1 AktG zu widerrufen.480 Für den Fall, dass keine vorrangige Satzungsregelung existiert, ist auch der Erlass einer Geschäftsordnug für den Vorstand durch den Aufsichtsrat gemäß § 77 Abs. 2 S. 1 AktG denkbar. Das organisatorische Potential dieser Maßnahme liegt darin, dass in einer Geschäftsordnung die Grundsätze der Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, wie zum Beispiel Berichtswege, Zuständigkeiten und Zustimmungsvorbehalte, detailliert und mit Rücksicht auf die individuellen Gegebenheiten der AG geregelt werden könnten.481 Bei der Geschäftsordnung handelt es sich um ein effektives Instrument zur Einflussnahme auf den Vorstand.482 bb) Pflicht zur Überwachung des konkreten Einzelsachverhalts Existiert in der AG zwar ein Compliance-System, besteht jedoch der Verdacht auf erhebliche Compliance-Vorfälle oder waren in der Vergangenheit diese Richtung auch Winter, FS Hüffer, 2010, 1126. AG 2014, 5. Siehe zur Personalkompetenz des Aufsichtsrats Teil 2 B. I. 2. d). 481  Die in der Geschäftsordnung enthaltenen Vorschriften sind für den Vorstand verpflichtend, sodass im Falle ihrer Verletzung durch den Vorstand sowohl ein wichtiger Grund im Sinne des § 84 Abs. 3 S. 1 AktG als auch eine zum Schadenersatz führende Pflichtverletzung nach § 93 Abs. 2 S. 1 AktG vorliegen kann. Zu möglichen Inhalten der Geschäftsordnung sowie zu ihrer präventiven Dimension siehe Teil 6 III. 482  Siehe zum organisatorischen Gestaltungspotential der Geschäftsordnung aus Sicht des Aufsichtsrats ausführlich unten Teil 6 III. 479  In

480  Habersack,



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen215

solche bereits zu beobachten, dann ist Gegenstand der Überwachung nicht nur die generelle Existenz eines Compliance-Systems beziehungsweise dessen Wirksamkeit und Durchsetzung durch den Vorstand, sondern der konkrete Einzelsachverhalt.483 Dogmatischer Ausgangspunkt für eine solche, über die Regelberichterstattung hinausgehende Informationspflicht ist § 90 Abs. 1 S. 3 AktG, wonach dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats aus sonstigen wichtigen Anlässen zu berichten ist. Erlangt der Aufsichtsrat durch eigene Wahrnehmung oder, wie in der Praxis häufiger, durch Berichterstattung des Vorstands oder einer Fachabteilung Kenntnis von Umständen, die auf das Vorliegen eines erheblichen Compliance-Vorfalls hindeuten, stellt dies einen sonstigen wichtigen Anlass gemäß § 90 Abs. 1 S. 3 AktG dar.484 In Betracht kommen insbesondere Einzelvorgänge, die strafbewehrt oder im Falle ihres Bekanntwerdens zu einem erheblichen Reputationsschaden führen können.485 Der Aufsichtsrat hat in dieser Konstellation zu überwachen, ob der Vorstand den Sachverhalt umfassend aufklärt, den bekanntgewordenen Verstoß abstellt und gegenüber dem als Täter identifizierten Mitarbeiter angemessen ahndet.486 Im Unterschied zur Regelüberwachung genügt bei Verdacht auf einen erheblichen Compliance-Verstoß die berichtsmäßige Kenntnisnahme des Vorgangs nicht.487 Der Aufsichtsrat hat vielmehr nachzuverfolgen, ob der compliancerelevante Einzelsachverhalt durch den Vorstand nachhaltig aufgearbeitet wird. Dies setzt ein über das Normalmaß hinausgehendes Informationsniveau voraus und führt nach der Rechtsprechung des OLG Stuttgart dazu, dass der Aufsichtsrat bei risikobehafteten Geschäftsvorgängen den Sachverhalt vollständig und richtig zu erfassen hat, um sich ein eigenes Urteil bilden zu können.488 Er hat daher in eigener Verantwortung dafür zu sorgen, dass er über ein zur Beurteilung des Compliance-Sachverhalts erforderliches Informationslevel489 verfügt, weshalb eine eigene und von der Berichterstattung des Vorstands unabhängige Analyse durch den Aufsichtsrat erforderlich sein wird.490 Reichert/Ott, NZG 2014, 245; Kort, NZG 2008, 84. diese Richtung auch Reichert/Ott, NZG 2014, 245. 485  Kort, NZG 2008, 84; Habersack, AG 2014, 2; Mahlert, Der AR 2008, 84. 486  Siehe auch Reichert/Ott, NZG 2014, 245. 487  Zur Abstufung der Überwachungspflicht Teil 2 B. I. 1. b); Reichert/Ott, NZG 2014, 245 f. 488  OLG Stuttgart, NZG 2012, 425. 489  Dieses muss jedoch nicht deckungsgleich mit dem des Vorstandes sein, vgl. Winter, FS Hüffer 2010, 1123. Zum Informationsniveau des Aufsichtsrats siehe Teil 2 B. I. 1. b) cc). 490  BGH, NZG 2013, 339; OLG Stuttgart, NZG 2012, 425; Habersack, AG 2014, 6. 483  Zutreffend 484  In

216

Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Um bei Vorliegen eines Compliance-Vorfalls eine intensive Überwachung des konkreten Compliance-Sachverhalts sicherzustellen und der aus § 111 Abs. 1 AktG folgenden intensiven Überwachungspflicht nachkommen zu können, hat der Aufsichtsrat eine „Verlaufs- und Ergebniskontrolle“491 durchzuführen. Diese schließt mit Blick auf die Rechtsprechung des LG München I auch die Prüfung mit ein, ob der Vorstand aufgetretene Compliance-Vorfälle zum Anlass nimmt, Defizite im Compliance-System zu beseitigen.492 Für den Aufsichtsrat folgt hieraus, dass er nicht bei der Überwachung der Aufklärung des konkreten Einzelsachverhalts stehen bleiben darf, sondern sich zudem die Frage zu stellen hat, ob der Vorstand systemische Mängel, die den konkreten Compliance-Verstoß zum Beispiel in Form der Bildung einer „schwarzen Kasse“ erst ermöglicht haben, abgestellt hat. Um dies beurteilen zu können, bedarf es gerade auch einer Befassung mit Einzelsachverhalten.493 Möchte der Aufsichtsrat sowohl über den bekannt gewordenen und ihm durch den Vorstand zur Kenntnis gebrachten Compliance-Verstoß als auch über die Beseitigung von systemischen Mängeln im Compliance-System dauerhaft unterrichtet werden, empfiehlt es sich, sowohl den konkreten Compliance-Sachverhalt als auch allgemein das Thema „Maßnahmen zur Beseitigung von systemischen Mängeln im Compliance-System“ auf die Tagesordnung der Aufsichtsratssitzung zu setzen und den Vorstand auf diese Weise zu verpflichten, über den konkreten Einzelsachverhalt und die Anpassung des Compliance-Systems fortlaufend zu berichten.494 Sofern der Aufsichtsrat den von ihm zu überwachenden Compliance-Sachverhalt auf Basis der Vorstandsberichte noch nicht hinreichend erfassen und sich deshalb kein eigenes abschließendes Bild machen konnte, hat er als Ausfluss seiner Überwachungspflicht regelmäßig zusätzliche Compliance-Berichte des Vorstands gemäß § 90 Abs. 3 S. 1 AktG anzufordern. Im Einzelfall kann eine Pflicht zur Einberufung von Sondersitzungen sowie zur Heranziehung von externen Beratern nach § 111 Abs. 2 AktG bestehen.495 491  Reichert/Ott, NZG 2014, 245; Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rn. 3; Ringleb, in: Kommentar zum DCGK, 2014, Rn. 1207; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rn. 24. 492  LG München I, NZG 2014, 348; Habersack, AG 2014, 5. Siehe hierzu ausführlich oben Teil 3 B. II. 4. a) bb) (3) (a) u. (b) sowie Teil 3 B. II. 4. a) bb) (4) (c). 493  Insbesondere eine Vielzahl gleichgelagerter Compliance-Verstöße können den Rückschluss auf systembedingte gravierende Mängel in der Compliance-Organisation zulassen. In diese Richtung zutreffend auch Winter, FS Hüffer, 2010, 1121. 494  In diese Richtung allgemein auch Hüffer, NZG 2007, 52; Winter, FS Hüffer, 2010, 1116. 495  Reichert/Ott, NZG 2014, 246; Arnold, ZGR 2014, 95  ff.; Habersack, AG 2014, 6.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen217

cc) Umfang und Grenzen der Kontrolle von Aufklärungsmaßnahmen des Vorstands Wesentlicher Bestandteil der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats bei erheblichen Compliance-Vorfällen ist die Kontrolle der vollständigen Sachverhaltsaufklärung durch den Vorstand. Die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung folgt für den Vorstand gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG aus seiner Leitungsaufgabe.496 Dem Aufsichtsrat kommt bei Verdacht auf rechtswidriges Verhalten von Unternehmensangehörigen somit keine eigene Kompetenz zur Sachverhaltsaufklärung zu.497 Er hat die Aufklärungsmaßnahmen des Vorstands gemäß § 111 Abs. 1 AktG unter Ausschöpfung der ihm nach dem Aktienrecht zur Verfügung stehenden Mittel insoweit lediglich zu überwachen.498 Das von ihm geschuldete Maß an Kontrollintensität lässt sich auch nicht abstrakt generell beschreiben, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und richtet sich nach Art, Umfang und Schwere des im Raum stehenden Verstoßes sowie den möglichen Folgen für die AG und der Komplexität des Sachverhalts.499 Die im Einzelfall zu leistende Überwachung bewegt sich somit im Spannungsverhältnis zwischen dem Aufklärungsmonopol des Vorstands und der Bedeutung der Überwachung der Sachverhaltsaufklärung durch den Aufsichtsrat. Bei Bestimmung der Kontrolldichte ist daher zu berücksichtigen, dass der im Rahmen einer ex post-Betrachtung durch ein Gericht oder eine Behörde erhobene Vorwurf einer mangelhaften Sachverhaltsaufklärung nicht nur im Straf- oder Bußgeldverfahren, sondern vor allem auch im Hinblick auf die Reputation der AG äußerst schädlich wirken kann.500 Diese Ausgangslage wirkt sich auf den Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats aus und führt, in Anerkennung der originären Zuständigkeit des Vorstands für Aufklärungsmaßnahmen, im Ergebnis dazu, dass der Aufsichtsrat mindestens bei schwerwiegenden Verstößen in den Aufklärungsprozess miteinzubeziehen ist, indem er über die Aufklärungsmaßnahmen des Vorstands nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG informiert wird.501 Auf dieser Basis hat er 496  Siehe

(1).

hierzu oben Teil 3 B. II. 4. a) bb) (4) (a) sowie Teil 3 B. III. 2. a) cc)

497  Habersack, AG 2014, 5; Reichert/Ott, NZG 2014, 247; Winter, FS Hüffer, 2010, 1120. 498  Hiervon zu trennen ist die Frage, ob der Aufsichtsrat eigene Aufklärungsmaßnahmen gegenüber dem Vorstand schuldet. Siehe hierzu sogleich Teil 3 C. III. 1. 499  Reichert/Ott, NZG 2014, 247. 500  In diese Richtung auch zutreffend Reichert/Ott, NZG 2014, 247 f. 501  Es sollte bereits der Anschein einer nachlässigen Sachverhaltsaufklärung vermieden werden. Der Aufsichtsrat ist sowohl über die wesentlichen Schritte des Auf-

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

die vom Vorstand eingeleiteten Aufklärungsmaßnahmen beratend zu begleiten.502 Wegen der besonderen Bedeutung der Sachverhaltsaufklärung für das Unternehmensinteresse503 hat der Aufsichtsrat darauf zu achten, dass diese vorurteilslos, unparteiisch und inhaltlich vollständig erfolgt. Die vom Vorstand ergriffenen Maßnahmen sind von ihm aber nur auf Vertretbarkeit zu überprüfen und gegebenenfalls durch Meinungs- und Bedenkäußerung zu beanstanden.504 Weitergehende Aufklärungskompetenzen stehen dem Aufsichtsrat bei Überwachung der Aufklärungsmaßnahmen des Vorstands gegenüber Unternehmensangehörigen regelmäßig505 nicht zu. c) Divergenzen in der Compliance-Überwachung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat Sowohl im allgemeinen Teil der Untersuchung als auch bei Betrachtung der Pflichten des Aufsichtsrats im Bereich der Überwachung der ComplianceAktivitäten des Vorstands wurde deutlich, dass die vom Vorstand gegenüber den Mitarbeitern der AG zu leistende Kontrolle mit der vom Aufsichtsrat im Verhältnis zum Vorstand gemäß § 111 Abs. 1 AktG geschuldeten Überwachung nicht deckungsgleich ist. Der Vorstand schuldet in Erfüllung seiner Leitungspflicht gegenüber der AG eine intensivere Kontrolle der Unternehmensangehörigen als der Aufsichtsrat im Verhältnis zum Vorstand. Letzterer ist nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG nicht nur verpflichtet, die AG so zu organisieren, dass sich deren Mitarbeiter und Organe legal verhalten, sondern hat zugleich die unternehmensinternen Abläufe in den ihm nachgeordneten Unternehmensbereichen entweder selbst oder infolge vertikaler Delegation durch entsprechende Fachabteilungen lückenlos zu überwachen.506 klärungsvorgangs als auch über dessen Ergebnisse zu informieren, vgl. weiterführend Reichert/Ott, NZG 2014, 247. 502  Reichert/Ott, NZG 2014, 247. 503  Die Nachhaltigkeit der Aufklärung wirkt sich auch auf die öffentliche Wahrnehmung und die Festsetzung etwaiger Sanktionen aus. Zur Bußgeldbemessung in Kartellverfahren siehe ausführlich Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 22, Rn. 40 ff. 504  Da das „Wie“ der Compliance eine unternehmerische Entscheidung i.  S. d. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG darstellt, beschränkt sich die Prüfung des Aufsichtsrats auf die Vertretbarkeit. Der Aufsichtsrat ist daher nicht berechtigt, Aufklärungsmaßnahmen des Vorstands zu beanstanden, nur weil er andere Maßnahmen für zweckmäßiger erachtet. Vgl. auch Teil 2 B. I. 1. b) dd) (4). 505  Zu einer im Ausnahmefall bestehenden Aufklärungskompetenz bei Befangenheit des Vorstands oder im Fall einer Informationsverweigerung durch den Vorstand siehe Teil 3 C. III. 1. b); Reichert/Ott, NZG 2014, 249 f.; Habersack, AG 2014, 6 f.; Kort, FS Hopt, 2010, 1000 f.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen219

Demgegenüber beschränkt sich die Überwachung durch den Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 1 AktG im Regelfall ausschließlich auf die Kontrolle des Vorstands.507 Im Bereich der Überwachung führt dies zu einer mittelbaren Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats für Compliance, da dieser lediglich sicherzustellen hat, dass der Vorstand seine Pflicht zur Schaffung und Durchsetzung einer Compliance-Organisation erfüllt. Mit Blick auf diese differenzierte Aufgabenverteilung ist es in Übereinstimmung mit Winter gerechtfertigt, dass der Vorstand zur Erfüllung seiner Leitungsaufgabe eine „dichtere, zeitnähere und detailliertere Informationsversorgung“ als der Aufsichtsrat erhält und aufgrund seiner Stellung als Leitungsorgan – im Unterschied zum Aufsichtsrat – jederzeit unternehmensinterne Prüfungen anordnen und unmittelbar auf die ihm nachgeordneten Fachabteilungen zugreifen kann.508 Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben sich nach dieser aus der aktienrechtlichen Kompetenzordnung folgenden Aufgabenverteilung509, ein solches Informationsniveau zu verschaffen, dass es ihnen ermöglicht, den überwachungsrelevanten Sachverhalt vollständig zu erfassen.510 Auf die Information durch den Vorstand dürfen sie sich verlassen511, sodass sie nur bei Verdacht auf gravierende Compliance-Verstöße, dem gehäuften Auftreten von solchen in der Vergangenheit oder bei Vorliegen von konkreten Anzeichen für Fehlinformationen in den Berichten des Vortstands, zur Informationsgewinnung zusätzlich Initiativmaßnahmen, wie das Anfordern von Sonderberichten oder die Beauftragung von Sachverständigen512 nach § 111 Abs. 2 AktG, zu ergreifen haben.513 Sie haben die 506  Daher kommt dem Vorstand die unmittelbare Verantwortung für Compliance in der AG zu. Auf die Unterschiede zwischen Vorstandskontrolle und Aufsichtsratsüberwachung weisen auch hin Winter, FS Hüffer, 2010, 1112; Reichert/Ott, NZG 2014, 241 ff.; Habersack, AG 2014, 5; Arnold, ZGR 2014, 77 ff.; Goette, CCZ 2014, 49. 507  Deshalb zeichnet sich die Aufsichtsratsüberwachung im Verhältnis zur Vorstandskontrolle durch eine geringere Kontrollintensität und einen geringeren Kontrollumfang aus. Siehe auch Winter, FS Hüffer, 20101, 1112. Zu Ausnahmekonstellationen, in denen der Aufsichtsrat auf Mitarbeiter der zweiten Führungsebene zugreifen darf siehe Teil 2 B. I. 1. b) bb) (3) (c). 508  Winter, FS Hüffer, 2010, 1112 f. 509  Winter, FS Hüffer, 2010, 1112. 510  Arnold, ZGR 2014, 86; Reichert/Ott, NZG 2014, 245, 247; Winter, FS Hüffer, 2010, 1112. 511  Winter, FS Hüffer 2010, 1113. 512  Siehe hierzu ausführlich Arnold, ZGR 2014, 95 ff. Als externe Informationsquelle kommen insbesondere auch die Berichte des Abschlussprüfers in Betracht. Siehe hierzu auch die Ausführungen oben in Teil 2 B. I. 1. b) cc) (1) (c) sowie in Teil 6 VIII. 513  Die Pflicht zu einer adäquaten Informationsversorgung in Bezug auf Compliance folgt für den Aufsichtsrat einer börsennotierten Aktiengesellschaft auch daraus, dass dieser im Rahmen der nach § 161 AktG abzugebenden Entsprechenserklärung

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Compliance-Aktivitäten des Vorstands in Abhängigkeit zur Lage der Gesellschaft durch kritische Auswertung der Vorstandsberichte oder gegebenenfalls intensiv durch Einholung von Zusatzinformationen zu überwachen.514 Dem Aufsichtsrat verbleibt über die aus § 90 AktG folgende Regelberichterstattung hinaus die Möglichkeit, dass er das Thema Compliance punktuell oder dauerhaft auf die Tagesordnung der Aufsichtsratssitzung setzt und den Vorstand so verpflichtet, über Sachverhalte mit Compliancebezug laufend zu berichten.515 d) Konsequenzen bei mangelhafter Überwachung Aufgrund der ausschließlichen, aus der Leitungsaufgabe folgenden Zuständigkeit des Vorstands zur Schaffung eines Compliance-Systems, das die Begehung von Straftaten durch Mitarbeiter im Unternehmen verhindert, lässt sich im Bereich der Überwachung festhalten, dass den Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 1 AktG gegenüber dem Vorstand eine mittelbare CompliancePflicht trifft, die auf Überwachung von dessen Compliance-Aktivitäten gerichtet ist.516 Überschreitet der Aufsichtsrat im normalen Geschäftsgang bei Prüfung der Zweckmäßigkeit eines vom Vorstand in eigener Zuständigkeit entwickelten individuellen Compliance-Systems den ihm insoweit zukommenden Beurteilungs- und Ermessensspielraum517, indem er dem Vorstand in Bezug auf das sicherstellen muss, dass er in der Lage ist, die Funktionsfähigkeit des vom Vorstand eingerichteten Compliance-Systems tatsächlich beurteilen zu können, vgl. hierzu zutreffend Kort, NZG 2008, 84. 514  Reichert/Ott, NZG 2014, 247. Zum Kontrollmaßstab siehe allgemein Teil 2 B. I. 1. b) dd). 515  Hüffer, NZG 2007, 52; Winter, FS Hüffer, 2010, 1116. Die Pflicht des Vorstands zur Berichterstattung folgt in diesem Fall aus § 90 Abs. 3 AktG. In der Praxis ist es sinnvoll, wenn an den Sitzungen des Aufsichtsrats neben dem Vorstand auch Vertreter der Revisions- oder Compliance-Abteilung als „Berichtsgehilfen“ teilnehmen und dem Aufsichtsrat berichten. Reichert/Ott, NZG 2014, 245; Habersack, AG 2014, 5; Lutter, FS Hüffer, 2010, 619 f. 516  Davon zu trennen ist die im Folgenden zu untersuchende Frage, welche weitergehenden Compliance-Pflichten der Aufsichtsrat gegenüber der AG möglicherweise schuldet, wenn sich der Vorstand selbst rechtswidrig beziehungsweise „noncompliant“ verhält. Vgl. Teil 3 C. III. 517  Die Zweckmäßigkeitskontrolle des Vorstandshandelns durch den Aufsichtsrat stellt nach zutreffender Auffassung selbst eine unternehmerische Entscheidung im Sinne der Business Judgement Rule gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG dar, sodass dem Aufsichtsrat bei Beurteilung der Frage, ob Aufbau und Organisation der Compliance zweckmäßig erfolgt ist, ein unternehmerischer Beurteilungsspielraum zukommt, vgl.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen221

von diesem entwickelte System beispielsweise inhaltlich konkrete Vorgaben macht, oder verkennt er Systemmängel des zur Prüfung gestellten Compliance-Systems, obwohl diese bei sorgfältiger Prüfung erkennbar gewesen wären, oder nimmt er in Bezug auf das Thema Compliance keine Prüfung518 vor, begründet dies eine Pflichtverletzung des Aufsichtsrats.519 Erfordert die Lage der Gesellschaft aufgrund des Verdachts auf gravierende Compliance-Verstöße, dem gehäuften Auftreten von ComplianceSachverhalten in der Vergangenheit oder wegen des Vorliegens von konkreten Anzeichen für Fehlinformationen in den Berichten des Vortstands eine intensivere Überwachung, liegt eine zivilrechtliche Pflichtverletzung des Aufsichtsrats wegen Verletzung seiner Überwachungspflicht nach § 111 Abs. 1 AktG auch vor, wenn dieser in nicht vertretbarer Weise das Vorliegen einer erhöhten Risikolage der AG verkennt und deshalb keine über das Normalmaß hinausgehende intensive Kontrolle des Einzelsachverhalts und der generellen Tauglichkeit des Compliance-Systems vornimmt. Eine Pflichtverletzung des Aufsichtsrats kommt mit Blick auf die vorstehenden Untersuchungsergebnisse daher insbesondere dann in Betracht, wenn der Aufsichtsrat die erhöhte Gefahrenlage für die AG infolge der Non-Compliance zwar erkennt, von seinen in Teil 2 dargestellten Einwirkungsmöglichkeiten gegenüber dem Vorstand520 jedoch gleichwohl pflichtwidrig keinen Gebrauch macht. 2. Pflicht zur Überwachung des Vorstands bezüglich dessen Compliance-Konformität Da die Leitungsaufgabe des Vorstands nicht nur die Pflicht umfasst, gesetzeskonformes Verhalten der Gesellschaft gegenüber Dritten sicherzustellen, sondern er die im Aktiengesetz, in der Satzung und der Geschäftsordnung niedergelegten Organpflichten ebenso zu erfüllen hat, wie die die AG als Rechtssubjekt im Außenverhältnis treffenden Rechtsvorschriften521, darf er zutreffend Kort, FS Hopt, 2010, 998 f. Zur Anwendung der Business Judgement Rule auf das Aufsichtsratshandeln Teil 2 B. I. 1. d). 518  Bei Beurteilung der Frage, ob eine haftungsrelevante Pflichtverletzung des Aufsichtsrats vorliegt, hat zur Vermeidung überzogener Anforderungen, die im Rahmen einer ex post Betrachtung entstehen können (sog. handsight bias), stets eine ex ante Analyse zu erfolgen. In diese Richtung zutreffend Winter, FS Hüffer, 2010, 1120. 519  Ob diese auch strafrechtlich relevant werden kann, wird in Teil 5 näher untersucht. Siehe insoweit ausführlich Teil 5 A. II. 520  Siehe hierzu oben Teil 2 B. I. 2. 521  Zur Legalitätspflicht Habersack, AG 2014, 2. Siehe auch oben Teil 2 B. II. 4. a) aa).

222

Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

als Ausfluss dieser Legalitätspflicht auch weder Verstöße gegen Rechtsvorschriften, welche die AG als Rechtssubjekt treffen, selbst begehen noch solche intern anordnen oder billigen.522 Der Vorstand ist damit verpflichtet, sich selbst legal zu verhalten. Die Beachtung dieser im Innen- und Außenverhältnis wirkenden Legalitätspflicht, ist als Leitungsaufgabe ebenfalls vom Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats umfasst. Die bedeutet, dass der Aufsichtsrat den Vorstand gemäß § 111 Abs. 1 AktG insbesondere auch dahingehend zu überwachen hat, dass sich der Vorstand als Organ der AG selbst unmittelbar legal verhält.523

III. Handlungspflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Vertößen des Vorstands Über die Pflicht zur Überwachung der Einführung eines geeigneten Compliance-Systems durch den Vorstand sowie zur Überwachung der Rechtskonformität des Vorstands hinaus524, könnten den Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand weitergehende konkrete Handlungspflichten treffen, wenn der Verdacht besteht, dass Mitglieder des Vorstands525 sich selbst strafrechtswidrig verhalten haben oder ihrer Pflicht zur Einführung eines an den individuellen Bedürfnissen der AG orientierten Compliance-Systems nicht nachgekommen sind. 1. Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung bei Verdacht auf Compliance-Verstoß Die Aufsichtsratsmitglieder könnte bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands526  – sei es in Gestalt einer unmittelbar durch den Vorstand 522  Zutreffend

a) aa).

auch Bayer, FS K. Schmidt, 2009, 88. Siehe bereits Teil 2 B. II. 4.

523  Der Unterschied zur Überwachungspflicht hinsichtlich der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand besteht aus Sicht des Aufsichtsrats darin, dass es insoweit nicht um die Überwachung der Einführung eines „abstrakten“ Organisationssystems zur Vermeidung von Straftaten auf Mitarbeiterebene durch den Vorstand, sondern um die Überwachung des unmittelbaren Legalverhaltens des Vorstands geht. 524  Zutreffend Kort, FS Hopt 2010, 997, der insoweit von einer „indirekten“ Compliance-Pflicht des Aufsichtsrats ausgeht. 525  Non-Compliance des Vorstands kann entweder in Form einer unmittelbaren Einbindung in den kriminellen Vorgang oder bei Nichteinführen eines ComplianceSystems vorliegen. 526  Versteht man unter „Compliance“ die aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG ableitbare Pflicht des Vorstands, sich einerseits selbst legal zu verhalten und anderseits in der AG zur Sicherstellung legalen Verhaltens auf Ebene der Mitarbeiter geeignete organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, liegt aus Sicht



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen223

begangenen (straf-)rechtswidrigen Handlung oder infolge des Nichteinführens eines Compliance-Systems durch den Vorstand  – nach der Rechtsprechung527 eine Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung treffen. Neben der Frage, ob und unter welchen Bedingungen der Aufsichtsrat gegenüber (compliance-)pflichtwidrig handelnden Vorstandsmitgliedern Schadenersatz geltend zu machen hat, könnten sich aus dem Urteil insbesondere wichtige Erkenntnisse bezüglich der compliancebezogenen Handlungspflichten des Aufsichtsrats ableiten lassen, da letzterem nach Ansicht des BGH bei Feststellung des zum Schadenersatz verpflichtenden Tatbestands „tatsächlich“ und rechtlich „keine Entscheidungsprärogative“ zukomme.528 a) Ausgangslage und Systematik der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung Die ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung wurde mit Blick auf die Bedeutung von Beurteilungs- und Ermessensspielräumen für die Vorstandstätigkeit bereits betrachtet.529 Das Urteil enthält darüber hinaus zentrale Aussagen für die Aufsichtsratstätigkeit hinsichtlich der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Aufsichtsrat Schadenersatzansprüche gegenüber pflichtwidrig handelnden Vorstandsmitgliedern geltend zu machen hat.530 Aus ihm lassen sich zudem Erkenntnisse bezüglich compliancebezogener Handlungspflichten des Aufsichtsrats gewinnen. Nach dieser Rechtsprechung sei er verpflichtet, „eigenverantwortlich das Bestehen von Schadenersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern aus ihrer organschaftlichen Tätigkeit zu prüfen und soweit die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, solche unter Beachtung des Gesetzes- und Satzungsrechtes und der von ihnen vorgegebenen Maßnahmen zu verfolgen“531. Vor diesem Hintergrund sei „die Verfolgung der Schadenersatzansprüche gegenüber einem Vorstandsmitglied die Regel“, während die Nichtverfolgung des Vorstands eine „Compliance-Pflichtverletzung“ vor, wenn dieser sich entweder selbst nicht legal verhält oder er in der AG keine hinreichenden organisatorischen Vorkehrungen zur Sicherstellung des Legalverhaltens auf Mitarbeiterebene trifft. Zum Begriff der Compliance im Unternehmenskontext siehe Teil 3 A. III. Eine „Compliance-Pflichtverletzung“ in diesem Sinne ebenfalls annehmend Reichert, ZIS 2011, 113 ff. Zum Begriff des „Compliance-Verstoßes“ auch Fuhrmann, NZG 2016, 881. 527  BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck) = BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926 = ZIP 1997, 883 = BB 1997, 1169 = WM 1997, 970. 528  BGHZ 135, 244, 254. 529  Siehe hierzu die Ausführungen in Teil 2 B. I. 1. c) cc). 530  BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926 = ZIP 1997, 883 = BB 1997, 1169 = WM 1997, 970. 531  BGHZ 135, 244, 252.

224

Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

„gewichtiger Gegengründe und einer besonderen Rechtfertigung bedarf“, sodass die Nichtverfolgung die Ausnahme darstellen müsse.532 Welche compliancerelevanten Schlussfolgerungen aus dieser Rechtsprechung für den Aufsichtsrat im Einzelnen folgen, ist Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung. Um die aus der Rechtsprechung folgenden Vorgaben für den Aufsichtsrat in systematischer und praktischer Hinsicht verständlich zu machen, ist zwischen Erkenntnis- und Handlungsbereich zu differenzieren. aa) Entscheidungen des Aufsichtsrats im Erkenntnisbereich Für den tatsächlichen Bereich fordert der BGH „die Feststellung des schadenersatzverpflichtenden Tatbestandes in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht sowie eine Analyse des Prozessrisikos und der Beitreibbarkeit der Forderung“.533 Der Aufsichtsrat könne für diesen Teil seiner Entscheidung eine „Entscheidungsprärogative, die zur Beschränkung der gerichtlichen Nachprüfbarkeit führt nicht in Anspruch nehmen“, da es nicht um Fragen des „Handlungs-, sondern allein des Erkenntnisbereichs“ gehe, für die „allenfalls die Zubilligung eines begrenzten Beurteilungsspielraums“ in Betracht käme.534 bb) Entscheidungen des Aufsichtsrats im Handlungsbereich Nach Ansicht des BGH könne sich auf einer zweiten Beurteilungsebene für den Fall, dass „eine sorgfältig und sachgerecht von dem Aufsichtsrat vorgenommene Prozessrisikoanalyse zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass der Gesellschaft voraussichtlich Schadenersatzansprüche gegen eines ihrer Vorstandsmitglieder zustehen“ die Frage stellen, ob der Aufsichtsrat von einer Verfolgung des Anspruchs und der Wiedergutmachung des der Gesellschaft zugefügten Schadens absehen kann.535 Dem Aufsichtsrat stünde auch bei dieser Entscheidung „kein autonomer unternehmerischer Entscheidungsspielraum“ zu.536 Dessen Entscheidung über die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen pflichtwidrig handelnde Vorstandsmitglieder sei „Teil seiner nachträglichen Überwachungstätigkeit“ und verpflichte ihn allein dem „Unternehmenswohl“, das die Wiederherstellung des geschädigten Gesellschaftsvermögens grundsätzlich verlange.537 Bei dieser Kontrolltätig532  BGHZ

135, 244, 256. 135, 244, 253. 534  BGHZ 135, 244, 254. 535  Der BGH konzediert, dass i. R.d. Prozessrisikoanalyse „Gewissheit nach Lage der Dinge nicht verlangt werden könne“, vgl. BGHZ 135, 244, 254. 536  BGHZ 135, 244, 254. 537  BGHZ 135, 244, 254 f. 533  BGHZ



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen225

keit hat der Aufsichtsrat auch die dem Vorstand zustehende unternehmerische Handlungsfreiheit zu berücksichtigen. cc) Regel-Ausnahme-Verhältnis Von dieser Regelverfolgung könne „ausnahmsweise“ nur abgesehen werden, wenn „gewichtige Interessen und Belange der Gesellschaft dafür sprechen, den ihr entstandenen Schaden ersatzlos hinzunehmen“.538 Diese Voraussetzung werde nach Auffassung des BGH nur erfüllt sein, „wenn die Gesellschaftsinteressen und -belange, die es geraten erscheinen lassen, keinen Ersatz des der Gesellschaft durch den Vorstand zugefügten Schadens zu verlangen, die Gesichtspunkte, die für eine Rechtsverfolgung sprechen, überwiegen oder ihnen zumindest annähernd gleichwertig sind“.539 Dabei können Aspekte, wie „negative Auswirkungen auf Geschäftstätigkeit und Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit, Behinderung der Vorstandsarbeit und Beeinträchtigung des Betriebsklimas durchaus Bedeutung erlangen“.540 Demgegenüber dürfe „anderen Gesichtspunkten als denen des Unternehmenswohls, wie etwa der Schonung eines verdienten Vorstandsmitglieds oder dem Ausmaß der mit der Beitreibung für das Mitglied und seiner Familie verbundenen sozialen Konsequenzen nur in Ausnahmefällen Raum gegeben werden“.541 Dieses nur in sehr eng begrenzten Fällen zum Tragen kommende Ermessen könne auch erst einsetzen, wenn die „gegeneinander abzuwägenden Umstände festgestellt“ worden seien.542

538  BGHZ

135, 244, 255. 135, 244, 255. 540  BGHZ 135, 244, 255. 541  BGHZ 135, 244, 255 f. Ein solcher Ausnahmefall könne z. B. dann in Betracht kommen, wenn das pflichtwidrige Verhalten „nicht allzu schwer wiege“ und die der Gesellschaft zugefügten „Schäden verhältnismäßig gering“ seien, während für das ersatzpflichtig gewordene Vorstandsmitglied gleichzeitig „einschneidende Folgen“ drohen. 542  BGHZ 135, 244, 256. Darauf, dass es unter Berücksichtigung des Unternehmensinteresses u. U. sogar geboten sein könnte zum Zweck der Schadensvermeidung auf die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen zu verzichten, geht der BGH nicht ein. Siehe Mertens, FS K. Schmidt, 2009, S. 1183, 1186; Goette, FS HoffmannBecking, 2013, S. 377, 389 ff. 539  BGHZ

226

Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

b) Compliance-relevante Schlussfolgerungen aus der ARAG-Rechtsprechung Für die handelnden Mitglieder des Aufsichtsrats ergibt sich vor dem Hintergrund dieser in Literatur und Praxis als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung543 unter dem Blickwinkel der Nichtinanspruchnahme von Vorstandsmitgliedern ein strenges Pflichtenprogramm, da der BGH dem Aufsichtsrat weder im tatsächlichen Bereich einen Beurteilungsspielraum noch in rechtlicher Hinsicht einen adäquaten unternehmerischen Ermessensspielraum zubilligt. Ein unternehmerisches Ermessen wird dem Aufsichtsrat praktisch nur für den Ausnahmefall, dass der Geltendmachung gewichtige Interessen und Belange der Gesellschaft entgegenstünden, zugebilligt. Der Aufsichtsrat muss somit Ansprüche gegenüber dem Vorstand in der Regel verfolgen. Ein von diesen Grundsätzen abweichendes Verhalten zöge in zivilrechtlicher Hinsicht die Nichtigkeit des die Nichtgeltendmachung von Schadenersatz anordnenden Aufsichtsratsbeschlusses mit der Folge einer dem Aufsichtsrat zurechenbaren Sorgfaltspflichtverletzung gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 AktG nach sich.544 Der in der Praxis handelnde Aufsichtsrat steht daher einem erheblichen zivil-545 und bei Hinzutreten weiterer Umstände sogar strafrechtlichen Haftungsrisiko gegenüber546, wenn er bei einem konkreten Verdacht auf Compliance-Pflichtverletzungen durch Mitglieder des Vorstands nicht aktiv wird. Befasst sich der Aufsichtsrat mit der Frage, ob er gegen ein amtierendes oder ehemaliges Vorstandsmitglied Schadenersatzansprüche prozessual verfolgt, hat er in einem ersten Schritt den erheblichen Sachverhalt, respektive die relevante Pflichtverletzung, festzustellen. Dieser Vorgang bildet in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH die Basis für die Beurteilung und ist daher eindeutig der nachträglichen Kontrolle zuzuordnen. Insoweit kann dem Aufsichtsrat richtigerweise auch kein Ermessen zukommen, da 543  Die überwiegende Literatur stimmt dieser Rechtsprechung zu, siehe Hüffer/ Koch, AktG, § 111 AktG, Rn. 10; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 35 ff.; Spindler, AG 2013, S. 869; kritisch Reichert, FS Hommelhoff, 2012, S. 907, 917 ff.; Mertens, FS K. Schmidt, 2009, S. 1183; Paefgen, AG 2008, 761, 769; KK-AktG/Mertens/ Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 46. 544  KK-AktG/Mertens/Cahn, 3.  Aufl., § 111 Rn. 45, der auf die strukturellen Schwächen im Kontrollverhältnis Aufsichtsrat und Vorstand hinweist. 545  Zum zivilrechtlichen Haftungsrisiko siehe Mertens, FS K. Schmidt, 2009, S. 1183, 1194. Zu den vom Aufsichtsrat zu beachtenden Abwägungskriterien siehe die auf das Kartellrecht bezogene Darstellung bei Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, S.  377 ff. 546  Zu den strafrechtlichen Risiken dieser Rechtsprechung siehe unten Teil 5 A. III. und IV.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen227

andernfalls das Vorstandshandeln keiner effektiven Kontrolle unterläge, wenn dieser schon nicht mit einer Aufklärung zu rechnen hätte.547 Der Aufsichtsrat ist somit bei Verdacht einer Compliance-Pflichtverletzung durch den Vorstand nach §§ 111 Abs. 1, 2, 112 S. 1 AktG zur eigenständigen Sachverhaltsermittlung stets verpflichtet.548 Eine unmittelbare Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats im Sinne einer Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung und Verfolgung von Schadenersatzansprüchen kommt aus Sicht des Aufsichtsrats stets in Betracht, wenn der Vorstand in einen ComplianceSachverhalt involviert ist beziehungsweise involviert sein könnte. Wie der den Aufsichtsrat zu einer Sachverhaltsaufklärung zwingende ComplianceSachverhalt im Einzelfall tatsächlich auszusehen hat, lässt sich aufgrund der in tatsächlicher Hinsicht in Betracht kommenden Vielzahl an Konstellationen nicht abschließend beschreiben. Mit Blick auf die in ihrer Systematik soeben dargestellte und in der Tendenz strenge ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung, nach der die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Vorstand „die Regel“ darstellt549, sollte der Aufsichtsrat mindestens solche Sachverhalte „aufklären“, die geeignet sind, das Gesellschaftsvermögen zu schädigen. Dies ist entweder bei einer unmittelbaren Tatbeteiligung des Vorstands oder bei Unterlassen der nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 OWiG geschuldeten Compliance-Aktivitäten denkbar. Aus Sicht des Aufsichtsrats ist in diesen Fällen regelmäßig nicht sicher ausschließbar, dass eine Pflichtverletzung des Vorstands vorliegt, die er zur Vermeidung einer eigenen Haftung gegenüber der AG nach Maßgabe der ARAG / GarmenbeckRechtsprechung gemäß §§ 112 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG zu verfolgen hat. aa) Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung bei Straftatbegehung des Vorstands Besteht der Verdacht, dass der gesamte Vorstand oder einzelne seiner Mitglieder an einer betriebsbezogenen kriminellen Handlung zum Nachteil der AG beziehungsweise zum Nachteil von Dritten beteiligt550 sind, fehlt es reauch Reichert/Ott, NZG 2014, 248 ff. AG 2014, 5 f.; Reichert/Ott, NZG 2014, 248, die die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung auch als Annex zur „Geltendmachungskompetenz“ einordnen. 549  BGHZ 135, 244, 256. Siehe auch oben Teil 3 C. III. 1. a) aa) und bb). 550  Eine Beteiligung des Vorstands kommt bereits in Betracht, wenn er es  – z. B. durch Billigung von Scheinvertragsabschlüssen zur Bildung einer schwarzen Kasse oder durch Duldung von Kartellabsprachen – billigend in Kauf nimmt, dass Mitarbeiter in der AG betriebsbezogene Straftaten begehen und er hiergegen nicht einschreitet. In diesem Fall setzen sich nicht nur die handelnden Mitarbeiter, sondern auch der Vorstand einem Strafverfolgungsrisiko, etwa wegen täterschaftlicher Beteiligung, Beihilfe 547  Siehe

548  Habersack,

228

Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

gelmäßig an einer objektiven und unvoreingenommenen Sachverhaltsaufklärung durch den Vorstand, sodass der Aufsichtsrat bei konkreter Verdachtslage zu einer eigenständigen Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet ist.551 Nach der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung bedeutet dies für die Mitglieder des Aufsichtsrats, dass diese zwingend solche Aufklärungsmaßnahmen einzuleiten haben, die zur Beurteilung des Sachverhalts, insbesondere des Vorliegens einer haftungsrelevanten Pflichtverletzung des Vorstands, erforderlich sind.552 Der Aufsichtsrat darf sich in dieser Situation gerade nicht ausschließlich553 auf die vom Vorstand überlassenen Berichte beziehungsweise von diesem zur Aufklärung bereits eingeleitete Untersuchungen verlassen, da die begründete Gefahr besteht, dass die von Seiten des – ganz oder teilweise  – verwickelten Vorstands in Auftrag gegebenen Aufklärungsmaßnahmen möglicherweise unvollständig sind und die für den Aufsichtsrat wesentliche Frage nach der Verantwortlichkeit des Vorstands bewusst oder unbewusst ausblenden und deshalb nicht genügen, um die Verantwortlichkeit des Vorstands hinreichend beurteilen zu können.554 Der Aufsichtsrat ist daher nach der ARAG / Garmenbeck Rechtsprechung zur Vermeidung einer eigenen Pflichtverletzung verpflichtet, gegenüber dem Vorstand gemäß §§ 111 Abs. 1, 112 S. 1 AktG konkrete Aufklärungsmaßnahmen einzuleiten. bb) Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung bei Mängeln im Compliance-System Eine unmittelbare Pflicht des Aufsichtsrats zur Aufklärung des Sachverhalts lässt sich nach der ARAG / Garmenbeck-Rechtpsrechung auch für den Fall ableiten, dass der Vorstand nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 OWiG seiner gesellschafts- und ordnungswidrigkeitenrechtlioder Beihilfe durch Unterlassen zu der auf Mitarbeiterebene begangenen Tat, aus. Insbesondere wenn Mitarbeiter mit Kenntnis des Vorstands Bestechungsdelikte begangen haben, liegt der Verdacht nahe, dass der Vorstand bei Kenntnis und Billigung der Mitarbeiterstraftat täterschaftlich in eine Steuerstraftat nach §§ 370 Abs. 1, 369 Abs. 2 AO verwickelt sein könnte, wenn Bestechungszahlungen als „ordnungsgemäße“ Provisionszahlungen entgegen § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG als gewinnmindernde Betriebsausgaben angesetzt wurden. Siehe Grützner, in: WStR Hdb., 2013, IV, 324 Rn. 44. 551  Reichert/Ott, NZG 2014, 249; Habersack, AG 2014, 5; Golombek, WiJ 2012, 169; Arnold ZGR 2014, 102 f. 552  In diese Richtung auch zutreffend Reichert/Ott, NZG 2014, 248. 553  An bereits erfolgte Sachverhaltsermittlungen des Vorstands darf der Aufsichtsrat jedoch anknüpfen, soweit sich diese als objektiv darstellen, Reichert/Ott, NZG 2014, 248. 554  Die Aufklärungsbemühungen des Vorstands dürften sich bei lebensnaher Betrachtung auf Pflichtverletzungen nachgeordneter Ebenen konzentrieren, Reichert/Ott, NZG 2014, 248.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen229

chen Pflicht zur Einführung und Durchsetzung einer individuell geeigneten Compliance-Organisation nicht oder nicht hinreichend nachgekommen ist, sodass es in der AG zu unternehmensbezogenen Straftaten kommen konnte.555 In diesem Fall liegt zwar keine direkte Beteiligung des Vorstands an einer unternehmensbezogenen Straftat vor. Gleichwohl ist aus Sicht des Aufsichtsrats nicht ausschließbar, dass die Straftatbegehung auf Mitarbeiterebene erst durch die Nichtexistenz beziehungsweise infolge eines untauglichen Compliance-Systems möglich wurde. Neben der Pflichtverletzung der handelnden Mitarbeiter könnte zudem eine gesellschafts- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Pflichtverletzung des Vorstands vorliegen, die der Aufsichtsrat wiederum nach den Vorgaben der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung gemäß §§ 112 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG gegebenenfalls zu verfolgen hat. Dass der Aufsichtsrat bei fehlendem oder unzureichendem ComplianceSystem gegenüber dem Vorstand eine unmittelbare Sachverhaltsaufklärung schuldet, folgt auch aus der Rechtsprechung des LG München I, wonach sich das für Compliance zuständige Vorstandsmitglied gegenüber der AG schadenersatzpflichtig macht, wenn es bei entsprechender Gefährdungslage keine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet.556 Die Nichteinführung eines Compliance-Systems begründet danach in zivilrechtlicher Hinsicht nicht nur eine Pflichtverletzung, sondern kann insbesondere auch einen kausalen Schaden darstellen.557 Die Rechtsprechung des LG München I ist daher im Zusammenspiel mit der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung zu sehen und entfaltet für den Aufsichtsrat insoweit Relevanz, als dass dieser bei dem Verdacht auf fehlende oder mangelhafte Compliance durch den Vorstand verpflichtet ist, den „zum Schadenersatz verpflichtenden Tatbestand in tatsächlicher Hinsicht“558 aufzuklären. Nach der Rechtsprechung des LG München I kann dieser gerade in der Nichteinführung eines tauglichen Compliance-Systems liegen.559 555  Eine autonome Aufklärungsverantwortung des Aufsichtsrats nehmen in diesem Fall auch Reichert/Ott, NZG 2014, 248 an. Zutreffend in diese Richtung auch Habersack, AG 2014, 5. 556  Urteil LG München I, NZG 2014, 346. Siehe hierzu ausführlich Teil 3 B. II. 4. a) bb) (3). 557  Als kausale Schadenspositionen kommen – neben dem aus einer nicht verhinderten strafbaren Handlung resultierenden Bußgeld – die zur Aufklärung aufgewendeten Kosten (Aufklärungskosten) in Betracht. Im vorliegenden Fall betrugen diese 12,85 Mio. Euro und bestanden in Honorarzahlungen an eine US-amerikanische Kanzlei. Das LG München sah es als erwiesen an, dass dieser Schaden durch die Pflichtverletzung in Gestalt der Nichteinführung eines individuell tauglichen Compliance-Systems verursacht wurde. Siehe LG München I, NZG 2014, 345, 349. Zur Frage des Schadens dezidiert Fleischer, NZG 2014, 321 ff., 326 ff. 558  Soweit die Diktion im ARAG/Garmenbeck-Urteil, BGHZ 135, 244, 253. 559  LG München I, NZG 2014, 345.

230

Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

c) Kompetenzüberschneidungen bei Aufklärung von Compliance-Pflichtverletzungen Ausgehend von den bisherigen Erkenntnissen lässt sich auf Organebene die Zuständigkeit für „Compliance“ in der AG dahingehend beschreiben, dass der Vorstand als Leitungsorgan für die Einrichtung und Durchsetzung des Compliance-Systems ausschließlich zuständig ist, sodass bei Verdacht auf Compliance-Pflichtverletzungen durch Unternehmensmitarbeiter im Regelfall nur der Vorstand berechtigt und verpflichtet ist, gegenüber diesen Aufklärungs- und Sanktionsmaßnahmen durchzuführen. Die Aufgabe des Aufsichtsrats beschränkt sich nur auf Überwachung, ob der Vorstand ein taugliches Compliance-System einrichtet und dieses gegenüber den Mitarbeitern durchsetzt. Die Kompetenzen lassen sich insoweit klar abgrenzen. Neben dieser mittelbaren Pflicht des Aufsichtsrats zur Überwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand trifft ihn bei Verdacht auf Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands im Verhältnis zu diesem unmittelbar die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung. Soweit es um Aufklärung von Fehlverhalten des Vorstands wegen des Verdachts einer Straftatbeteiligung, des Nichteinführens oder des Einführens eines mangelhaften Compliance-Systems geht, ist nicht die Mitarbeiter-, sondern die Organebene betroffen. Der Aufsichtsrat hat in dieser Konstellation die Sachverhaltsaufklärung selbst zu betreiben. Neben einer kritischen und verdachtsunabhängigen Betrachtung des vom Vorstand geschaffenen Compliance-Systems in Bezug auf dessen tatsächliche Umsetzung, Angemessenheit und Effizienz erfordert dies insbesondere auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Vorstand an den zu Tage getretenen Compliance-Verstößen selbst aktiv beteiligt war, Kenntnis von diesen hatte oder bei ordnungsgemäßer Betriebsorganisation hätte haben müssen.560 Erst sodann kann der Aufsichtsrat nach der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung die weitere Vorgehensweise gegenüber dem Vorstand prüfen. Die dabei vom Aufsichtsrat in tatsächlicher Hinsicht zu klärenden Fragen lassen sich nicht ohne genaue Kenntnis abteilungsinterner Abläufe beantworten. Bei komplexen Korruptions- und Kartellsachverhalten wird zur adäquaten Sachverhaltsaufklärung und zur Beurteilung der Wirksamkeit des vom Vorstand geschaffenen Compliance-Systems daher eine eigenständige Informationsbeschaffung, die gegebenenfalls durch unmittelbaren Zugriff auf Mitarbeiter der zweiten Hierarchieebene zu erfolgen hat, durch den Aufsichtsrat erforderlich sein.561 Reichert/Ott, NZG 2014, 248; Habersack, AG 2014, 5 f. diese Richtung Reichert/Ott, NZG 2014, 248; Habersack, AG 2014, 6; Golombek, WiJ 2012, 169. Zum Recht des Aufsichtsrats auf Mitarbeiter zuzugreifen Teil 2 B. I. 1. b) bb) (3). 560  Zutreffend 561  In



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen231

Gleichzeitig ist aber auch und vor allem der Vorstand zur Aufklärung von Non-Compliance, insbesondere in den Fachabteilungen, zuständig. Vor diesem Hintergrund überschneiden sich bei der Aufarbeitung von Non-Compliance die Wirkungskreise von Vorstand und Aufsichtsrat im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung, wenn in der AG ein erheblicher Compliance Sachverhalt aufgetreten ist und aus Sicht des Aufsichtsrats konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass auch der Vorstand entweder unmittelbar durch Anordnung, Billigung oder Kenntnis der Mitarbeiterstraftat oder mittelbar durch Unterlassen der von ihm geschuldeten Compliance-Aktivitäten involviert ist.562 In diesem Fall schulden sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat gegenüber der AG parallel eine aktive Sachverhaltsaufklärung.563 Während sich die Aufklärungsbemühungen des Vorstands auf Klärung des compliance-relevanten Sachverhalts in den betroffenen Fachabteilungen beziehen, hat der Aufsichtsrat aufzuklären, ob und inwieweit eine haftungsrelevante (Mit-)Verantwortung des Vorstands für den zu Tage getretenen Compliance-Sachverhalt in Betracht kommt.564 Vorstand und Aufsichtsrat haben somit jeweils in eigener Verantwortung und unter Berücksichtigung ihrer organschaftlichen Kompetenzen eine „konkrete Untersuchungsstrategie“565 zu entwickeln. d) Handlungspflichten des Aufsichtsrats im Bereich der Sachverhaltsaufklärung Nicht jeder in der AG bekannt gewordene Compliance-Sachverhalt führt – parallel zur originären Zuständigkeit des Vorstands für die Sachverhaltsaufklärung – auch stets zu einer Aufklärungspflicht des Aufsichtsrats. Besteht aus dessen Sicht nur die theoretische Möglichkeit, dass der Vorstand oder einzelne Mitglieder unmittelbar in den Sachverhalt verwickelt sind beziehungsweise das Compliance-System mangelhaft ausgestaltet gewesen sein könnte, begründet dies zunächst nur eine abstrakte Gefahr, die dem Aufsichtsrat richtigerweise noch keine weitergehenden eigenen Aufklärungskom562  Habersack,

100.

AG 2014, 6; Reichert/Ott, NZG 2014, 248; Arnold, ZGR 2014,

Arnold, ZGR 2014, 100 f., 102. ZGR 2014, 102 f. Zum Zugriff auf leitende Mitarbeiter Teil 2 B. I. 1.

563  Zutreffend 564  Arnold,

b) bb) (3). 565  Habersack, AG 2014, 6.; Arnold, ZGR 2014, 103 f. Die Durchführung nur einer Untersuchung ist ausnahmsweise denkbar, wenn das Vorgehen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat abgestimmt und zugleich sichergestellt ist, dass das betroffene Vorstandsmitglied keinen Einfluss im Rahmen der Untersuchung ausübt. Siehe auch Reuter, NZG 2015, 249 ff.

232

Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

petenzen eröffnet.566 Der Aufsichtsrat darf sich in dieser Konstellation auf die Richtigkeit der Berichte des Vorstands verlassen. Eine eigene Aufklärungszuständigkeit des Aufsichtsrats ergibt sich regelmäßig erst, wenn aus den Vorstandsberichten oder nach „externen“ Informationen Anzeichen567 für eine Beteiligung des Vorstands sichtbar werden, da dann die konkrete Gefahr besteht, dass der Vorstand den Fortgang der Untersuchung behindern könnte.568 Dem Aufsichtsrat stehen hierbei nach dem Aktiengesetz verschiedene Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Diese hat er zur Wahrung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung „gestuft“ wahrzunehmen. aa) Kooperation mit dem Vorstand bei der Sachverhaltsaufklärung Auf einer ersten Ebene, insbesondere bei einem noch nicht näher konkretisierten Verdacht auf compliance-relevante Pflichtverletzungen des Vorstands, hat der Aufsichtsrat zur Wahrung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung bei der Sachverhaltsaufklärung mit dem Vorstand zu kooperieren und eine gemeinsame Aufklärungsstrategie zu entwickeln. Unter Effizienzgesichtspunkten kann dies auch dazu führen, dass trotz Überschneidung der Zuständigkeit im Aufklärungsbereich von Vorstand und Aufsichtsrat nur eine Untersuchung durchgeführt wird, wenn sichergestellt ist, dass beide Organe die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Erkenntnisse erlangen und eine vollständige Sachverhaltsaufklärung stattfindet.569 566  Siehe auch Reichert/Ott, NZG 2014, 249, die zu Recht darauf hinweisen, dass die abstrakte Gefahr einer Pflichtverletzung durch den Vorstand in den „seltensten Fällen“ ausgeschlossen werden kann, sodass eine eigene Aufklärungskompetenz des Aufsichtsrats gegen die in §§ 76 Abs. 1, 111 Abs. 4 S. 1 AktG angelegte aktienrechtliche Kompetenzordnung verstieße. 567  Zum Beispiel durch anonyme Hinweise eines Mitarbeiters aus einer Fachabteilung oder auch durch öffentliche Berichterstattung. Siehe auch Reichert/Ott, NZG 2014, 249. 568  Zur Untersuchungspflicht des Aufsichtsrats bei mehrheitlicher Befangenheit des Vorstands Reichert/Ott, NZG 2014, 249 f.; Habersack, AG 2014, 6; Dreher, FS Goette 2011, 49. Über die Vorschriften der §§ 130, 9, 30 OWiG lässt sich relativ schnell eine „Beteiligung“ des Vorstands „konstruieren“ und damit zugleich eine Aufklärungspflicht des Aufsichtsrats begründen. Eine in diesem Fall gleichwohl eingreifende „Aufklärungskompetenz“ des Aufsichtsrats erscheint mit Blick auf das Haftungsrisiko der AG aus § 30 Abs. 2 OWiG, das im Fall einer vorsätzlichen Anknüpfungsstraftat zehn Millionen Euro beträgt, zum Schutz des Gesellschaftsvermögens gerechtfertigt. Dennoch sollte der Aufsichtsrat zur Wahrung des Vertrauensverhältnisses zum Vorstand von seiner Aufklärungskompetenz nicht ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Aufsichtspflichtverletzung Gebrauch machen. 569  In diese Richtung zutreffend Habersack, AG 2014, 6; Arnold, ZGR 2014, 103 f.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen233

Ein solches zwischen Vorstand und Aufsichtsrat abgestimmtes Vorgehen liegt nahe, wenn keine Anhaltspunkte für eine direkte Beteiligung des Vorstands oder einzelner seiner Mitglieder an dem Compliance-Sachverhalt erkennbar sind, da dann mit einer unvoreingenommenen Aufklärung durch den Vorstand zu rechnen ist.570 Ergeben sich aus Sicht des Aufsichtsrats keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Vorstandsmitglied in den Vorfall involviert ist oder es zu diesem nur aufgrund eines erkennbar mangelhaften Compliance-Systems hat kommen können, ist der Vorstand für die Sachverhaltsaufklärung federführend zuständig.571 Der Aufsichtsrat hat sich in diesem Fall über die Aufklärungsbemühungen des Vorstands lediglich detailliert – gegebenenfalls unter Anforderung von Zusatzberichten – zu informieren.572 bb) Intensivierung der Überwachung bei Verdacht auf „Betroffenheit“ des Vorstands Hat der Aufsichtsrat konkrete Anhaltspunkte, dass der Vorstand die von ihm als Leitungsorgan geschuldete Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht hinreichend erfüllt, weil der gesamte Vorstand oder einzelne Mitglieder in den kriminogenen Vorgang verwickelt sind und deshalb nicht mit einer unvoreingenommenen Aufklärung, Abstellung und Ahndung sowohl auf Mitarbeiter- als auch auf Vorstandsebene zu rechnen ist, genügt ein koordiniertes Vorgehen zur Sachverhaltsaufklärung unter der Leitung des Vorstands nicht. Der Aufsichtsrat hat dann gemäß § 111 Abs. 1 AktG die Überwachung zu verschärfen und neben den vom Vorstand eingeleiteten Maßnahmen eigene Untersuchungen anzustoßen und zu führen.573 Dies gilt richtigerweise bereits dann, wenn aus Sicht des Aufsichtsrats der Verdacht besteht, dass nur einzelne Vorstandsmitglieder befangen sind, da dann bereits begründete Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Sachverhaltsaufklärung durch den gesamten Vorstand bestehen, weswegen auch eine 570  Vorstand und Aufsichtsrat haben sich bei Festlegung der Aufklärungsstrategie jedoch zu vergegenwärtigen, dass beide Organe von ihrer eigenen Untersuchungspflicht nicht dadurch befreit werden, dass das jeweils andere Organ eine Prüfung vornimmt. Zutreffend Habersack, AG 2014, 6. Für eine ausschließliche Zuständigkeit des Vorstands Arnold, ZGR 2014, 100 ff., 102. Differenzierend Reichert/Ott, NZG 2014, 249 f. 571  Ebenso Reichert/Ott, NZG 2014, 250; Arnold, ZGR 2014, 100 ff. 572  Arnold, ZGR 2014, 102. 573  Für eine Führung der Untersuchung durch den Aufsichtsrat bei Befangenheit des Vorstands zutreffend Habersack, AG 2014, 6. Kritisch hierzu Arnold, ZGR 2014, 102.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Durchbrechung der primären Zuständigkeit des Vorstands zur Sachverhaltsaufklärung gerechtfertigt ist.574 Bereits bei einer möglichen Befangenheit von nur einem Vorstandsmitglied ist nicht gewährleistet, dass die Sachverhaltsaufklärung durch den „restlichen“ Vorstand mit hinreichender Objektivität und Distanz durchgeführt wird. Regelmäßig wird sich zu Beginn der Untersuchung aus Sicht des Aufsichtsrats nicht sicher abschätzen lassen, wie viele Vorstandsmitglieder „befangen“ sind, sodass der Aufsichtsrat bei dem konkreten Verdacht auf eine Betroffenheit des Vorstands stets eigene Untersuchungen einzuleiten hat, um seiner in diesem Fall intensivierten Überwachungspflicht aus § 111 Abs. 1 AktG effektiv nachzukommem und eine eigene Haftung gegenüber der AG zu vermeiden. cc) Pflicht zur Durchführung von „Internal Investigations“ und § 111 Abs. 2 AktG Besteht aus Sicht des Aufsichtsrat der konkrete Verdacht, dass auch nur ein Mitglied des Vorstands an einer Compliance-Pflichtverletzung unmittelbar beteiligt ist oder ein für die AG erheblicher Compliance-Sachverhalt nur eintreten konnte, weil der Vorstand entgegen seiner gesellschafts- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Pflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG kein wirksames und an den individuellen Gegebenheiten der AG ausgerichtetes Compliance-System eingeführt hat, trifft dessen Mitglieder regelmäßig eine eigene Aufklärungsverantwortung im Verhältnis zum Vorstand.575 Die Aufsichtsratsmitglieder haben dann aufgrund ihrer gegenüber der AG bestehenden Pflicht aus § 111 Abs. 1, 2 i. V. m. §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG tätig zu werden und den Sachverhalt – in den durch das Unternehmensinteresse gezogenen Grenzen576 – bestmöglich aufzuklären. 574  Anders hingegen Reichert/Ott, NZG 2014, 249 f., die bei einem mehrgliedrigen Vorstand nach der Anzahl der befangenen Vorstandsmitglieder differenzieren und nur bei einer Befangenheit „von mehreren oder mehr als der Hälfte“ der Vorstandsmitglieder eine Pflicht des Aufsichtsrat zur Sachverhaltsaufklärung annehmen, während die Sachverhaltsaufklärung bei einer Befangenheit von weniger als der Hälfte von den nicht befangenen Vorstandsmitgliedern betrieben werden könne. In diese Richtung wohl auch Wagner, CCZ 2009, 15. 575  In dieser Konstellation liegt der Verdacht nahe, dass der Vorstand den Aufsichtsrat nicht hinreichend informiert, sodass es zu den Compliance-Pflichtverletzungen hat kommen können. Für eine Untersuchungspflicht bei ungenügender Information Arnold, ZGR 2014, 103. 576  Zum Umfang der gebotenen Aufklärung und den hierfür konkret maßgeblichen Entscheidungskriterien siehe Golombek, WiJ 2012, 166 f, 168; Arnold, ZGR 2014, 102.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen235

Im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung ist von Seiten des Aufsichtsrats schwerpunktmäßig die Rolle des Vorstands zu beleuchten und zu fragen, ob das für Compliance zuständige Vorstandsmitglied umfassend, fortlaufend und tiefgehend zu den bekannt gewordenen Compliance-Vorfällen informiert wurde und sich in regelmäßigen Abständen darüber hat in Kenntnis setzen lassen, welche Ergebnisse interne Ermittlungen auf Mitarbeiterebene brachten, ob personelle Konsequenzen gezogen wurden und ob ein dahinter stehendes System existierte, dieses erkannt und mit welchen Maßnahmen es bekämpft wurde. Um diese Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung vor dem Hintergrund der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung ordnungsgemäß erfüllen zu können, sind aus Sicht des Aufsichtsrat eigenständige und im Einzelfall auch umfassende Aufklärungsmaßnahmen veranlasst. Neben der Initiierung von Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren577 gegen das betroffene Vorstandsmitglied kann die Sachverhaltsaufklärung auch durch interne Ermittlungen578 erfolgen. Den Mitgliedern des Aufsichtsrats steht  – wie auch dem Vorstand bei der Aufklärung von Compliance-Pflichtverletzungen gegenüber nachgeordneten Abteilungen – bei der Frage wie er den Sachverhalt aufklärt, ein Auswahlermessen zu, da es im Umgang mit Compliance-Fällen kein standardisiertes Verfahren gibt und die Auswahlentscheidung prognostische Elemente beinhaltet.579 In Betracht kommt der Rückgriff auf § 111 Abs. 2 S. 1 AktG, wonach der Aufsichtsrat die Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie Vermögensgegenstände einsehen und prüfen kann.580 Nach § 111 Abs. 2 S. 2 AktG kann er damit einzelne Mitglieder oder für bestimmte Aufgaben besondere Sachverständige beauftragen.581

577  Zu den aus einer Akteneinsicht folgenden Erkenntnismöglichkeiten Teil 3 C. III. 1. d) ff). 578  Unter diesen auch als „internal investigations“ oder „interne Ermittlungen“ bezeichneten unternehmensinternen Vorgängen versteht man die Überprüfung von einem Unternehmen zur Kenntnis gelangten Verdachtsmomenten auf Fehlverhalten oder Pflichtverstöße von Mitarbeitern durch unternehmenseigene oder private externe Ermittler. Siehe hierzu weiterführend Grützner, in: WStR Hdb., 2013, IV, 314 Rn. 7; Rotsch, HWSt, IV/1, Rn. 48 ff. Zu „internal investigations“ aus Sicht des Verteidigers Hart-Hönig, FS Schiller 2014, 281 f. Zur Konfliktlage zwischen arbeitsrechtlicher Auskunftspflicht und strafprozessualer Selbstbelastungsfreiheit siehe Greco/Caracas, NStZ 2015, 7 ff. 579  Reichert, NZG 2014, 243, 246 ff. 580  § 111 Abs. 2 S. 1 AktG erfasst über den Wortlaut hinaus nicht nur körperliche Dokumente und Berichte, sondern auch elektronische Daten. Siehe nur Reichert/Ott, NZG 2014, 249. 581  In der Praxis sind dies vor allem Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer. Siehe Reichert/Ott, NZG 2014, 248; Arnold, ZGR 2014, 102.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Ein ihm bezüglich der Ausübung des Einsichts- und Prüfungsrechts nach § 111 Abs. 2 AktG zustehendes Ermessen reduziert sich jedoch auf null582 und verpflichtet den Aufsichtsrat, eigene Maßnahmen, insbesondere interne Ermittlungen durch den Aufsichtsrat selbst oder von ihm beauftragte Dritte, zur Sachverhaltsaufklärung einzuleiten, wenn ihm ein unmittelbar kriminelles Verhalten einzelner Vorstandsmitglieder oder eine Verletzung der dem Vorstand obliegenden Compliance-Pflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG583 bekannt werden oder er begründeten Anlass zu Zweifeln über die Richtigkeit der nach § 90 Abs. 1 S. 1 AktG übermittelten Vorstandsberichte hat.584 Kommt es in der AG aufgrund der Verletzung der dem Vorstand obliegenden Compliance-Pflicht zu betriebsbezogenen Zuwiderhandlungen oder sogar zu Straftaten, besteht für die AG im Außenverhältnis nach §§ 130 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1, 30 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 OWiG im Fall einer festgestellten Aufsichtspflichtverletzung durch den Vorstand als Betriebsinhaber ein Sanktionsrisiko bis zu zehn Millionen Euro. Vor diesem Hintergrund ist bei entsprechenden Verdachtsmomenten die Einleitung und Durchführung von internen Ermittlungen durch den Aufsichtsrat schon mit Blick auf das Unternehmensinteresse geboten. Die Einleitung und Durchführung einer internen Untersuchung ist, im Unterschied zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, auch nicht an das Bestehen eines Anfangsverdachts gebunden und wird nach unbestrittener Ansicht sowohl in zivil- als auch arbeitsrechtlicher Hinsicht585 als zulässig erachtet.586 582  Siehe hierzu die Ausführungen oben in Teil 2 B. I. 2. g). Das Recht aus § 111 Abs. 2 AktG steht dem Aufsichtsrat als Organ zu, sodass er die Ausübung durch Mehrheitsbeschluss einleiten muss. Denkbar ist jedoch die Übertragung des Einsichts- und Prüfungsrechts auf einen Ausschuss oder einzelne Mitglieder. Siehe hierzu auch Winter, FS Hüffer 2010, 1116. 583  Zum Umfang einer (Criminal-)Compliance-Pflicht des Vorstands siehe die Ausführungen in Teil 3 B. II. 4. a) cc) und Teil 3 B. V. 584  Zutreffend Reichert/Ott, NZG 2014, 250; Winter, FS Hüffer 2010, 1116. Eine Ermessensreduktion kommt auch bei besonders komplexen Sachverhaltskonstellationen in Betracht. Von der Einschaltung von Sachverständigen zur internen Sachverhaltsaufklärung sollte der Aufsichtsrat mit Blick auf das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und Vorstand jedoch nur sehr zurückhaltend und auch nur bei einem konkreten Verdacht Gebrauch machen. In diese Richtung zutreffend auch KK-AktG/ Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 62. 585  Konflikte können sich jedoch mit strafprozessualen Beschuldigtenrechten, insbesondere dem verfassungsrechtlich garantierten nemo tenetur se ipsum accusare Grundsatz ergeben, da die arbeitsrechtliche bzw. organschaftliche Aussagepflicht mit dem Beschuldigtenrecht in jeder Lage des Verfahrens Schweigen zu dürfen, kollidieren und die Staatsanwaltschaft bei Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens auf die Ergebnisse der internen Untersuchung zugreifen kann, indem die die interne Ermittlung durchführende Person als Zeuge vernommen oder ein im Rahmen einer



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen237

Während interne Ermittlungen aus Sicht des Vorstands dazu dienen, Fehlverhalten auf Mitarbeiterebene aufzudecken, abzustellen und angemessen zu sanktionieren, besteht das Ziel einer vom Aufsichtsrat geführten Untersuchung darin, Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands aufzudecken, abzustellen und im Rahmen der gegenüber dem Vorstand gegebenen Personalkompetenz oder durch Geltendmachung von Schadenersatz gegebenenfalls angemessen zu ahnden. Interne Ermittlungen stellen daher aus Sicht des Aufsichtsrats im Verhältnis zum Vorstand ein wichtiges Instrument dar, um dessen Rolle bei der Aufarbeitung von Compliance-Fällen zu beleuchten und weiteren Schaden von der AG abzuwenden. dd) Direkter Zugriff auf Unternehmensmitarbeiter Fraglich ist jedoch, ob der Aufsichtsrat bei Durchführung einer von ihm eingeleiteten internen Untersuchung direkt und ohne Vermittlung durch den Vorstand auf Unternehmensmitarbeiter zugreifen darf. Aus Sicht des Aufsichtsrats stellt sich die Frage, ob er auf interne Abteilungen oder einzelne Mitarbeiter zur Informationsgewinnung unmittelbar zugreift, wenn dies zur Aufklärung und Überwachung der Compliance-Aktivitäten des Vorstands, insbesondere zur Klärung einer etwaigen Mitverantwortlichkeit des Vorstands durch Nichteinführung eines tauglichen und an den individuellen Bedürfnissen der AG orientierten Compliance-Systems, notwendig erscheint oder der auf konkrete Hinweise gestützte Verdacht im Raum steht, dass ein Mitglied des Vorstands sogar unmittelbar in den kriminellen Vorgang involviert war und daher bei der Sachverhaltsaufklärung „befangen“ ist.587 Im Rahmen der allgemeinen Ausführungen wurde bereits deutlich, dass der Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 1 AktG das Recht und im Einzelfall die internen Ermittlung verfasster Bericht beschlagnahmt wird. Damit die für ein rechtsstaatliches Verfahren elementare Schutzgarantie der Selbstbelastungsfreiheit nicht umgangen wird, ist nach zutreffender Ansicht ein auf Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zu stützendes Beweisverwertungsverbot jedenfalls hinsichtlich solcher Aussagen anzunehmen, auf die sich das Aussageverweigerungsrecht auch im Fall einer förmlichen Ermittlung bezöge. Insoweit zutreffend Rotsch, HWSt, IV/1, Rn. 52. Ausführlich zur strafprozessualen Verwertbarkeit Kaspar, GA 2013, 206 ff.; Rübenstahl, WiJ 2012, 29 ff. 586  Rotsch, HWSt, IV/1, Rn. 49, 51. Zum Ablauf einer internen Untersuchung siehe ausführlich M/G-Grützner, IV, Rn. 75 ff.; Kottek, wistra 2017, 9 ff. 587  Eine „Befangenheit“ liegt vor bei unmittelbarer Tatbeteiligung des Vorstands und bei Verdacht, dass ein Vorstandsmitglied Kenntnis von dem auf Mitarbeiterebene aufgetretenen Compliance Fall hatte, ohne Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Siehe Dreher, FS Goette 2011, 49, der Aufklärungsbemühungen des Aufsichtsrats bei Korruptionssachverhalten zulässt.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Pflicht588 hat, zur Informationsgewinnung unmittelbar auf leitende Mitarbeiter, insbesondere Bereichs- und Abteilungsleiter, zuzugreifen. Zur Wahrung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung hat er von diesem Recht jedoch nur Gebrauch zu machen, wenn Anzeichen von Fehlentwicklungen in bestimmten Bereichen konkret sichtbar werden. Eine Regelüberwachung von leitenden und erst recht von nicht leitenden Mitarbeitern durch den Aufsichtsrat hat zu unterbleiben. Eine regelmäßige Überwachung von leitenden Mitarbeitern würde nicht nur gegen die im Aktienrecht angelegte Aufgabenverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat verstoßen589, sondern de lege lata auch daran scheitern, dass diese gegenüber dem Aufsichtsrat weder berichtspflichtig noch weisungsgebunden sind.590 Das aus § 111 Abs. 1 AktG folgende Recht des Aufsichtsrats auch auf Mitarbeiter der AG unmittelbar zuzugreifen, kommt somit nur in Ausnahmefällen zum tragen, wenn aus Sicht des Aufsichtsrats der Verdacht auf Organisationsmängel, der unmittelbaren Beteiligung des Vorstands an einer Straftat oder die Gefahr eines erheblichen Informationsdefizits besteht. Wendet man diese Grundsätze im Kontext der herausgearbeiteten Aufklärungszuständigkeit des Aufsichtsrats an, kommt ihm bei Verdacht auf Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands im Rahmen einer internen Untersuchung nach § 111 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 S. 1 AktG ein Recht zur direkten Befragung von einzelnen Mitarbeitern zu.591 Die Frage, ob ein unmittelbar kriminelles Fehlverhalten des Vorstands oder eine von ihm zu vertretende erhebliche Pflichtverletzung, etwa wegen des Fehlens oder der Einführung eines mangelhaften Compliance-Systems, tatsächlich vorliegt, lässt sich verlässlich und hinreichend objektiv nur aufklären, wenn die Informationsgewinnung ohne Einbindung des Vorstands erfolgt. Nur eine ohne Beisein des Vorstands durchgeführte interne Befragung von Mitarbeitern, wie etwa den Leitern der internen Revision, des Risk Managements oder der Compliance-Abteilung592, wirkt der Gefahr einer bewussten oder unbewussten Beeinflussung der Sachverhaltsaufklärung, -auf588  Siehe zum Streitstand in der gesellschaftsrechtlichen Literatur Teil 2 B. I. 1. b) bb) (3). 589  Eichner/Höller, AG 2011, 889. Erlangt der Aufsichtsrat Kenntnis von Straftaten auf Mitarbeiterebne hat er den Vorstand hierüber zu informieren. Siehe Dreher, FS Goette 2011, 52 f. 590  Siehe hierzu die Ausführungen oben Teil 2 B. I. 1. b) bb). 591  Habersack, AG 2014, 6 f.; Reichert/Ott, NZG 2014, 249. Im Ergebnis zustimmend Winter, FS Hüffer 2010, 1117. Teilweise wird das Recht zur Befragung von Mitarbeitern auf § 109 Abs. 1 S. 2 AktG gestützt. Eichner/Höller, AG 2011, 889; Dreher, FS Goette 2011, 49. 592  Habersack, AG 2014, 7; Reichert/Ott, NZG 2014, 249.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen239

bereitung und -vermittlung durch einen eventuell befangenen Vorstand entgegen und ermöglicht dem Aufsichtsrat eine am Unternehmenswohl orientierte effektive Überwachung.593 Berücksichtigt man abschließend auch, dass sich der Überwachungsauftrag des Ausichtsrats nach § 111 Abs. 1 AktG bei Verdacht auf gravierende Pflichtverletzungen im Extremfall sogar bis zu einer „vorübergehenden Unternehmensführung durch den Aufsichtsrat auswei­ ten“594 kann, ist der punktuelle direkte Zugriff auf Mitarbeiter der AG im Rahmen einer internen Untersuchung zum Zweck der Befragung als relativ mildes Mittel der Sachverhaltsaufklärung anzusehen und daher auch als zulässig einzuordnen. ee) Erstattung Strafanzeige durch den Aufsichtsrat Mit Blick auf den Vorstand und dessen Compliance-Pflichten wurde bereits ausgeführt, dass die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung aus Gründen des Unternehmensinteresses im Einzelfall auch eine Pflicht zur Initiierung eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens begründen kann, wenn interne Untersuchungen auf Mitarbeiterebene den Verdacht auf strafrechtlich relevantes Fehlverhalten ergaben.595 Dieselbe Frage stellt sich auch aus Sicht des Aufsichtsrats, wenn eine von diesem durchgeführte interne Untersuchung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Vorstand beziehungsweise einzelne Mitglieder des Vorstands in einen kriminellen Sachverhalt verwickelt waren. Ebenso wie den Vorstand gegenüber Mitarbeitern, trifft auch den Aufsichtsrat im Verhältnis zum Vorstand – wie der Umkehrschluss zu § 138 StGB zeigt – keine über § 138 StGB hin593  Zu den Regelungsmöglichkeiten in einer sog. „Informationsordnung“ siehe Teil 6 A. IV. Da der Aufsichtsrat bei einer durch ihn eingeleiteten internen Ermittlung gemäß § 111 Abs. 2 AktG auf der Grundlage „eigenen Rechts“ tätig wird, bleibt die parallele Zuständigkeit des Vorstands zur Prüfung und Durchführung einer „eigenen“ Sachverhaltsaufklärung gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG bestehen, sodass in einer vom Aufsichtsrat eingeleiteten und auf § 111 Abs. 1, 2 AktG gestützten internen Untersuchung kein Verstoß gegen die Kompetenzordnung der AG vorliegt. In diese Richtung zutreffend auch Reichert/Ott, NZG 2014, 250; Dreher, FS Goette 2011, 49. 594  Reichert/Ott, NZG 2014, 250; Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rn. 15. 595  Eine Einschaltung der Ermittlungsbehörden ist – wie oben dargelegt – nicht zwingend, sondern steht grundsätzlich im Ermessen des Leitungsorgans. Sie wird aus Gründen des Unternehmensinteresses jedoch dann geboten sein, wenn durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ein besserer Ermittlungs- und „Aufklärungserfolg“ zu erwarten ist als bei der ausschließlichen Durchführung interner Ermittlungen, vgl. auch Reichert, ZIS 2011, 120. Siehe hierzu auch die obigen Ausführungen in Teil 3 B. III. 2. a) cc) (3).

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

ausgehende Rechtspflicht, intern aufgeklärte Straftaten anzuzeigen.596 Auch existiert keine, den Aufsichtsrat unmittelbar adressierende Vorschrift, die vergleichbar mit § 43 Abs. 1 GwG, eine „Pflicht zur Strafanzeige“ in bestimmten Bereichen ausdrücklich festlegt.597 Den Mitgliedern des Aufsichtsrats kommt daher bei der Frage, ob sie eine intern aufgeklärte Straftat des Vorstands gemäß § 158 Abs. 1 StPO zur Anzeige bringen und nach § 77 Abs. 1 StGB gegebenenfalls Strafantrag stellen, ein Ermessensspielraum zu.598 Dieser verdichtet sich – analog zur Pflichtenlage des Vorstands gegenüber Mitarbeitern  – lediglich dann in eine Pflicht zur Initiierung eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens, wenn die Sachverhaltsaufklärung nur durch Einschaltung staatlicher Behörden sichergestellt werden kann.599 Die Entscheidung, ob die Einschaltung der Ermittlungsbehörden erforderlich ist, hängt somit vom Einzelfall ab. Aus Sicht des Aufsichtsrats ist die Hinzuziehung staatlicher Ermittlungsbehörden insbesondere veranlasst, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die intern aufgeklärten Rechtsverstöße, an denen der Vorstand auch beteiligt ist, nur durch Tätigwerden von Ermittlungsbehörden abgestellt werden können600 oder der Sachverhalt nur durch den Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel umfassend aufgeklärt werden kann.601

596  Reichert, ZIS 2011, 120, 122; Golombek, WiJ 2012, 169. Zu denkbaren Rechtsgrundlagen für eine Strafanzeigepflicht siehe allgemein Rübenstahl/Skoupil, WiJ 2012, 178 ff. 597  Lediglich in besonders sensiblen Bereichen besteht  – wie die Vorschrift des § 43 Abs. 1 GwG zeigt – eine über § 138 Abs. 1 StGB hinausgehende Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige. Siehe auch Reichert, ZIS 2011, 120. 598  Zu den vom Aufsichtsrat zu berücksichtigenden Kriterien siehe Reichert, ZIS 2011, 120 f. 599  Siehe Teil 3 B. III. 2. a) cc) (3); Reichert, ZIS 2011, 122; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2177. 600  Besteht die Gefahr, dass das betroffene Vorstandsmitglied auf andere beschuldigte Mitarbeiter oder Zeugen mit dem Ziel der Unterdrückung und Vernichtung von Beweismitteln einwirkt, kann der Erlass eines Haftbefehls wegen Verdunkelungsgefahr verfolgt werden. 601  Die Initiierung eines Strafverfahrens ist z. B. bei Verdacht auf Untreue eines Vorstandsmitglieds denkbar, wenn zu vermuten steht, dass dieses belastendes und zur Sachverhaltsaufklärung erhebliches Material zu Hause versteckt hält. Eine Aufklärung kann hier nur im Wege der Durchsuchung der Privaträumlichkeiten des betroffenen Vorstandsmitglieds gemäß § 102 StPO und Beschlagnahme etwaiger Beweismittel nach § 94 ff. StPO erreicht werden.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen241

ff) Beantragung von Akteneinsicht bei Parallelermittlungen der Staatsanwaltschaft Für den Fall, dass es aus den dargelegten Gründen ausnahmsweise wegen einer Strafanzeige durch den Aufsichtsrat oder – was in der Praxis häufiger der Fall sein dürfte – infolge eigener Ermittlungen der Staatsanwaltschaft aufgrund externer Hinweise von Dritten zur Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens gegen einzelne Mitglieder des Vorstands gekommen ist, kann der Aufsichtsrat eine Sachverhaltsaufklärung auch dadurch betreiben, dass er im Namen der Gesellschaft – sofern diese Geschädigte beziehungsweise „Verletzte“ ist – gemäß § 406e StPO über einen Rechtsanwalt parallel zu den internen Ermittlungen602 Akteneinsicht beantragen lässt. Ein „berechtigtes Interesse“ im Sinne des § 406e StPO besteht insbesondere, wenn „der Verletzte“603 gegen den Beschuldigten „bürgerlich-rechtliche Ansprüche“ geltend machen kann.604 Für den Aufsichtsrat bedeutet dies mit Blick auf die ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung, dass er in seiner Aufklärungsstrategie die aus einer Akteneinsicht folgenden Erkenntnismöglichkeiten bei der Feststellung des schadenersatzverpflichtenden Tatbestands zumindest zu berücksichtigen hat. In tatsächlicher Hinsicht wird ihm durch Einsichtnahme in die Akten der Staatsanwaltschaft der Zugriff auf polizeiliche Ermittlungsberichte, Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen sowie staatsanwaltschaftliche Verfügungen ermöglicht.605 Das deutsche Strafrecht kennt im Unterschied zum anglo-amerikanischen Recht zwar keine unmittelbare strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens selbst.606 Gleichwohl sind im deutschen Strafrechtssystem aber 602  Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens entbindet den Aufsichtsrat nicht von seiner gesellschaftsrechtlichen Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung, sondern eröffnet eine weitere Informationsquelle. Siehe hierzu Golombek, WiJ 2012, 165; Eichner/ Höller, AG 2011, 888. 603  Der Begriff des „Verletzten“ wird durch das Gesetz nicht näher bestimmt, sondern ist weit auszulegen sowie nach Inhalt, Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift zu bestimmen, sodass auch juristische Personen erfasst sind, sofern diese „geschädigt“ sind, vgl. Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 191; HK-GS/Ferber, § 406e Rn. 3, § 406d Rn. 3. 604  BVerfG, NJW 2007, 1052; Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 191. 605  Da in der Praxis die Akteneinsicht in die Strafakten für den Verletzten häufig erst nach Abschluss der Ermittlungen und mit Blick auf eine etwaige Verjährung der Ansprüche damit zu einem sehr späten Zeitpunkt erfolgt, sollte der Aufsichtsrat bei entsprechender Verdachtslage parallel zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren stets auch eigenständige interne Ermittlungen durchführen. In diese Richtung auch Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 191 f. 606  Wessing, WiJ 2012, 3. Zu Bestrebungen in der deutschen Rechtswissenschaft für ein „Unternehmensstrafrecht“ Kölbel, FS Schünemann 2014, 775 ff.; Grützner, CCZ 2015, 56; Hein, CCZ 2014, 75 ff.; Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Konstellationen denkbar, in denen „das Unternehmen“ als Nebenbeteiligte am Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren direkt beteiligt ist.607 Eine unmittelbare Beteiligung der juristischen Person kommt im Ordnungswidrigkeitenverfahren bei Verhängung einer Geldbuße gemäß §§ 30, 130 OWiG608 und im Strafverfahren bei Anordnung des Verfalls gegen ein Unternehmen nach §§ 73 ff. StGB609 in Betracht. In diesen Konstellationen nimmt die juristische Person zwar nicht die Rolle des handelnden Täters ein. Dies wäre nach deutschem Verständnis auch nicht möglich, da nur eine natürliche Person schuldhaft handeln und damit Beschuldigter sein kann.610 Die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG611, ebenso wie die Vorschriften über den Verfall und die Einziehung gemäß § 73 ff. StGB612, ermöglichen es aber gleichwohl, dass eine strafrechtlich relevante Handlung einer natürlichen Person in sanktionsrechtlicher Hinsicht auf das Unternehmen durchschlägt und dieses trotz fehlender eigener strafrechtlicher Verantwortlichkeit neben der unmittelbar handelnden Person zugleich Adressat der Sanktion beziehungsweise Maßnahme sein kann.613 Der in sanktionsrechtlicher Hinsicht „betroffenen“ juristischen Person steht zur effektiven Wahrung ihrer Verteidigungsrechte nach zutreffender Auffassung daher sowohl bei Verhängung einer Geldbuße nach § 30 OWiG614 607  Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 190 f.; Wessing, WiJ 12, 3; M-G/S, Einl. Rn. 73, 91. 608  Siehe hierzu oben Teil 3 B. III. 2. a) bb); Achenbach, HWSt, II/1, Rn. 1 ff. 609  Zur Funktion des „Unternehmens-Verfalls“ siehe Achenbach, HWSt, II/1, Rn.  26 ff. 610  Grützner/Jakob, Compliance von A–Z, Unternehmensstrafrecht. Zur verfassungsrechtlichen Dimension des Schuldprinzips siehe Adam/Schmidt/Schumacher, NStZ 2017, 7 ff. 611  Im Fall einer Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG beträgt das Sankionsrisiko für die AG bei einer Aufsichtsplichtverletzung durch den Vorstand nach §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 130 Abs. 1 OWiG bis zu zehn Millionen Euro. 612  Die strafrechtlichen Vorschriften zu Verfall und Einziehung gelten  – wie die Regelung des § 74e StGB zeigt – auch für juristische Personen. Siehe auch Wessing, WiJ 2012, 3. 613  Bei dem Verfall gemäß §§ 73 ff. StGB handelt es sich nach § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB um eine Maßnahme, der – wie Wessing zutreffend hervorhebt – eine Sanktionswirkung zukommt, siehe Wessing, WiJ 2012, 3; allgemein Achenbach, HWSt, II/1, Rn.  22 ff. 614  Das Akteneinsichtsrecht folgt im Bußgeldverfahren aus § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 147 StPO. Abschöpfungsmaßnahmen sind im Ordnungswidrigkeitenverfahren gemäß § 30 Abs. 3 i. V. m. § 17 Abs. 4 OWiG und Verfallsanordnungen gemäß § 29a OWiG zulässig.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen243

als auch bei Anordnung des Verfalls gegenüber der AG gemäß § 73 ff. StGB ein umfassendes Akteneinsichtsrecht zu.615 e) Zwischenergebnis Der Aufsichtsrat hat im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung insbesondere zu erkennen, dass er bei Verdacht auf vom Vorstand zu verantwortende Compliance-Pflichtverletzungen zur Aufklärung des Sachverhalts aktienrechtlich zuständig ist und ihm bei der Frage, ob er den Sachverhalt aufklärt, kein Ermessen zukommt. Welche internen Aufklärungsmaßnahmen er hingegen konkret einleitet, steht in seinem Ermessen und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Kommt es darüber hinaus auch zu straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ermittlungen gegen einzelne Vorstandsmitglieder beschränkt sich die Stellung der AG nicht zwingend nur auf die Rolle des „Verletzten“. Eine Einbindung in den Strafprozess kann sich bei einer Straftatbegehung aus dem Unternehmen heraus für die AG als juristische Person auch in Form der Nebenbeteiligung ergeben.616 Ein hieraus folgendes Akteneinsichtsrecht hat der Aufsichtsrat in seine Aufklärungsstrategie miteinzubeziehen, vor dem Hintergrund des Unternehmensinteresses zu bewerten und im Einzelfall auch geltend zu machen. 2. Pflicht zur Reaktion gegenüber dem Vorstand bei Verdacht auf Compliance-Pflichtverletzung Im Anschluss an eine vom Aufsichtsrat eingeleitete interne Untersuchung, die mit Blick auf den Vorstand zu dem Ergebnis führte, dass dieser in der AG kein taugliches Compliance-System eingeführt hat oder an einer CompliancePflichtverletzung unmittelbar beteiligt war, stellt sich die Folgefrage der an615  Dieses lässt sich dogmatisch unterschiedlich begründen. Das von Ermittlungen betroffene Unternehmen kann über einen Rechtsanwalt gemäß § 475 Abs. 1 StPO bei Vorliegen eines „berechtigten Interesses“ Akteneinsicht beantragen. Liegt ein Compliance-Sachverhalt in der Gestalt vor, dass in der AG schwarze Kassen geführt wurden, aus denen Bestechungsgelder gezahlt wurden, stellt dies in der Regel auch eine Untreue zu Lasten der AG gemäß § 266 Abs. 1 StGB dar, sodass die AG in dieser Konstellation auch „Verletzter“ im Sinne des § 406e StPO ist. Am effektivsten dürfte bei Anordnung des Verfalls gegenüber der AG wegen einer Mitarbeiter- oder Vorstandsstraftat aus dem Unternehmen heraus der Weg über §§ 444 Abs. 1, 427 Abs. 1 S. 1 StPO i. V. m. § 147 StPO sein, da insoweit kein „berechtigtes Interesse“ zu begründen ist. Siehe zur alten Rechtslage auch Wessing, WiJ 2012, 3, 5 f. Das Aktensichtsrecht einschränkend demgegenüber Meyer/Goßner-Schmitt, § 434 Rn. 6. 616  Die Nebenbeteiligung des Unternehmens ist in §§ 426 ff. StPO und § 444 StPO geregelt.

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gemessenen Reaktion gegenüber dem betroffenen Vorstandsmitglied. Ebenso wie der Vorstand nach Aufklärung eines Compliance-Sachverhalts auf Mitarbeiterebene gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. OWiG zur Ahndung verpflichtet ist, könnte der Aufsichtsrat gegenüber der AG verpflichtet sein, auf das aufgeklärte Fehlverhalten des Vorstands zu reagieren und diesen zu „sanktionieren“. Aus Sicht des Aufsichtsrats stellt sich die Frage der „angemessenen“ Ahndung bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands zum einen, wenn nach einer internen Aufklärung feststeht, dass es zu dem das Vermögen der AG schädigenden Compliance-Vorfall auf Mitarbeiterebene nur deshalb hat kommen können, weil der Vorstand entgegen seiner aktien- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Pflicht kein an den individuellen Bedürfnissen der AG ausgerichtetes Compliance-System eingeführt hat. Zum anderen könnte den Aufsichtsrat eine Pflicht zum Tätigwerden treffen, wenn die Aufklärung ergibt, dass Mitglieder des Vorstands – oder im Extremfall auch der gesamte Vorstand  – eine Straftat unmittelbar zum Nachteil der AG beziehungsweise einem außerhalb der AG stehenden Dritten begangen haben. In repressiver Hinsicht stehen dem Aufsichtsrat unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung. In Betracht kommt die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gemäß §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG nach Maßgabe der in ihrer Systematik oben bereits dargestellten ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung617, die Abberufung des in den Compliance-Sachverhalt mittelbar oder unmittelbar verwickelten Vorstandsmitglieds nach § 84 Abs. 3 AktG sowie  – bei besonders schwerwiegenden Verstößen – die Erstattung einer Strafanzeige. Fraglich ist, ob der Aufsichtsrat im Sinne des „zero tolerance“-Gedankens gesellschaftsintern verpflichtet ist, gegenüber dem Vorstand stets die maximale Sanktion, etwa durch bedingungslose Verfolgung von Schadenersatz, Kündigung und Erstattung einer Strafanzeige, geltend zu machen oder ob ihm ein Ermessensspielraum zukommt, der es ihm im Einzelfall erlaubt, von der Verfolgung sogar ganz abzusehen.618 a) Pflicht zur bedingungslosen Geltendmachung von Schadenersatz? Der Aufsichtsrat könnte nach einer festgestellten Compliance-Pflichtverletzung, an der auch Mitglieder des Vorstands beteiligt waren, gemäß §§ 112 617  Arnold, ZGR 2014, 86; Goette, FS Winter 2011, 164; Reichert, FS Hommelhoff 2012, 921, 925; Bayer, FS K. Schmidt 2009, 103. Zur Sanktionspflicht Teil 3 B. III. 2. a) cc) (3). 618  Zum „zero tolerance“-Prinzip aus Sicht des Vorstands siehe Teil 3 B. III. 2. a) cc) (3).



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen245

S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AktG verpflichtet sein, einen etwaigen Schaden der AG gegenüber dem Vorstand stets zu verfolgen. Eine Rechtspflicht zur Verfolgung käme in Betracht, wenn sich die Nichteinführung eines Compliance Systems durch den Vorstand ebenso wie die Beteiligung des Vorstands an der kriminellen Handlung als schadenskausale Pflichtverletzung nach § 93 Abs. 2 S. 1 AktG darstellt und dem Aufsichtsrat bei der Frage, ob er einen Schaden verfolgt, entweder kein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zukommt oder ein solcher auf Null reduziert ist. aa) Ermessen des Aufsichtsrats bei der Anspruchsverfolgung Dem Aufsichtsrat ist bei der Frage, ob er gegenüber pflichtwidrig handelnden Vorstandsmitgliedern Schadenersatzansprüche verfolgt, trotz des repressiven Charakters dieser Einwirkungsmöglichkeit – entgegen der oben bereits skizzierten Auffassung des BGH, wonach dem Aufsichtsrat nur in „eng begrenzten Ausnahmefällen“ ein Ermessen zukommt – grundsätzlich ein unternehmerisches Ermessen sowohl auf der Erkenntnis- als auch Handlungsebene zuzubilligen, da die Bewertung des anspruchbegründenden Sachverhalts prognostische Elemente beinhaltet und es sich bei der Folgefrage der Anspruchsverfolgung wegen der Bindung des Aufsichtsrats an das Wohl des Unternehmens um eine unternehmerische Entscheidung gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG handelt.619 Weitergehende, das gesetzliche Ermessen des Aufsichtsrats einschränkende Vorgaben enthält das Aktiengesetz nicht.620 (1) Keine schematische Einordnung der Kompetenz zur Anspruchsverfolgung Die vom BGH in seiner ARAG / Garmenbeck-Entscheidung vorgenommene schematische Einteilung in vergangenheitsorientierte – insoweit sei ein unternehmerisches Ermessen auszuschließen – und zukunftsorientierte Maßnahmen – hierbei könne dem Aufsichtsrat ein Ermessen zukommen621 – wird der „rechtlichen und wirtschaftlichen“ Komplexität der Entscheidung über 619  Goette,

255.

Liber Amicorum Winter, 2011, S. 153, 161. A. A. BGHZ 135, 244,

620  Für eine solche Einordnung statt vieler Paefgen, AG 2008, 763, 769. In diese Richtung zutreffend Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 377, 387, 393 f.; ders., FS Winter 2011, 164; Mertens, FS K.  Schmidt, 2009, S. 1183, 1192 f.; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 46. Für einen begrenzten Beurteilungs- und Ermessensspielraum Kort, FS Hopt 2010, 999. 621  Der BGH stützt sich bei dieser Differenzierung dogmatisch auf die Ausführungen von Raiser, NJW 1996, 552 ff.; vgl. auch Götz, NJW 1997, S. 3275, 3277; Fischer, BB 1996, 227.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen nicht gerecht622. Diese lässt sich nicht trennscharf als vergangenheits- oder zukunftsorientiert einordnen. Die vorstehend in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH abgeleitete Pflicht des Aufsichtsrats zur Sachverhaltsaufklärung stellt auf tatsächlicher Ebene nur einen Teilaspekt der insgesamt vorzunehmenden Einschätzung dar und lässt sich als vergangenheitsbezogen einordnen, sodass dem Aufsichtsrat insoweit kein Ermessen zukommen kann.623 Um die Voraussetzungen für das Vorliegen eines durchsetzbaren Schadenersatzanspruchs aber abschließend prüfen zu können, darf der Aufsichtsrat in tatsächlicher Hinsicht gerade nicht auf der Ebene der Sachverhaltsprüfung stehen bleiben, sondern hat  – wie der BGH in seiner ARAG / GarmenbeckEntscheidung selbst zutreffend feststellt – auch eine „Analyse des Prozessrisikos und der Beitreibbarkeit der Forderung“624 vorzunehmen. Ob ein Prozessrisiko besteht oder die Forderung wegen des Insolvenzrisikos des Schuldners nicht durchsetzbar ist, lässt sich vernünftigerweise nicht ohne zukunftsbezogene und risikobehaftete Prognose, die eine eigene tatsächliche Beurteilung durch den Aufsichtsrat erfordert, treffen.625 (2) Unternehmensbezogenheit der Entscheidung über die Anspruchsverfolgung Die Komplexität der vom Aufsichtsrat zu treffenden Entscheidung wird besonders deutlich, wenn man sich weitere von ihm auf der Handlungsebene zu berücksichtigende Kriterien vergegenwärtigt. Nach Feststellung des anspruchsbegründenden Sachverhalts sowie der Analyse des Prozessrisikos und der Beitreibbarkeit der Forderung hat der Aufsichtsrat die Anspruchsverfol622  Paefgen, AG 2008, 762; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3.  Aufl., § 111 Rn. 46; Mertens, FS K. Schmidt, 2009, S. 1183, 1191; Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, S. 377, 394; Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 188; Eichner/Höller, AG 2011, 894; Reichert, ZHR 2013, 756, 762. 623  Bei der Rechtmäßigkeitskontrolle scheidet ein Ermessen des Aufsichtsrats aus. Siehe hierzu auch Kort, FS Hopt 2010, 999. Siehe insoweit bereits ausführlich Teil 2 B. I. 1. d) aa) (1). 624  BGHZ 135, 244, 253. Siehe hierzu sogleich unten Teil 3 C. III. 2. a) bb) (1). 625  In diese Richtung zutreffend auch Paefgen, AG 2008, 763; Mertens, FS K. Schmidt, 2009, 1183, 1188. Das gleiche gilt für die vom BGH beispielhaft angeführten Gründe (negative Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit und Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit sowie Behinderung der Vorstandstätigkeit und Beeinträchtigungen des Betriebsklimas), die ausnahmsweise zu einem Absehen von der Verfolgung führen können. Der unternehmerische Inhalt, insbesondere die Zukunftsund Risikobezogenheit dieser Kriterien dürfte ernsthaft kaum zu bestreiten sein. Zustimmend auch KK-AktG/Mertens/Cahn, § 111 Rn. 46.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen247

gung vor dem Hintergrund des „Unternehmenswohls“626 zu bewerten. Dies erkennt der BGH in seiner Entscheidung dem Grunde nach an, verneint aber zugleich das Bestehen eines „autonomen unternehmerischen Ermessensspielraums“ mit dem Argument, dass das Unternehmenswohl grundsätzlich die Wiederherstellung des geschädigten Gesellschaftsvermögens verlange.627 Diese das Ermessen des Aufsichtsrats einschränkende Vorgabe greift im Ergebnis zu kurz und nimmt dem Aufsichtsrat wie Paefgen zu Recht feststellt die Befugnis, durch eigene Entscheidungen das Unternehmensinteresse zu konkretisieren.628 Dies wäre aber gerade die Aufgabe eines im Rahmen seiner Kompetenzen handelnden Organs. Misst man das Handeln eines Organs – wie der BGH in seiner Entscheidung explizit in Bezug auf den Aufsichtsrat – am Maßstab des Unternehmenswohls, zwingt dies dazu, diesem auch eine Befugnis zur selbständigen Präzisierung des Gesellschaftsinteresses in einer konkreten unternehmerischen Entscheidungssituation zuzubilligen.629 Anderenfalls verlagert sich die Kompetenz zur Ausfüllung des Begriffs des Unternehmenswohls von dem kompetenzmäßig berufenen Organ weg und geht auf die Rechtsprechung über.630 626  Siehe Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 377; MüKoAktG/Habersack, § 111 Rn. 37. 627  BGHZ 135, 244, 255. 628  Paefgen, AG 2008, 764; ders., WM 2016, 433 ff., 439. In diese Richtung zutreffend auch Mertens, FS K.  Schmidt, 2009, 1183; MüKoAktG/Habersack, § 111 Rn. 37. Für eine einheitliche, umfassende Ermessensausübung des Aufsichtsrats auch Bieder, NZG 2015, 1178, 1185. Dezidiert anderer Auffassung hingegen Koch, AG 2009, 93, 97, 100; ders., NZG 2014, 935. 629  In diese Richtung ausdrücklich Paefgen, AG 2008, 764, der zu Recht darauf hinweist, dass eine „rechtliche Vorabregelung“ der Ermessensbetätigung mit der konzeptionellen Ausrichtung der AG als eines „nach vorne offenen“ erwerbswirtschaftlichen Zusammenschlusses kaum vereinbar ist. Für eine Orientierung des Aufsichtsrats am Unternehmenswohl zutreffend auch Goette, Liber Amicorum Winter, 2011, 153, 161. 630  Demgegenüber wird unter Verweis auf die in der Vorschrift des § 148 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AktG enthaltene Wertung eine generelle Kompetenz des Gerichts zur Beurteilung des „Gesellschaftswohls“ gesehen. So insbesondere Koch, AG 2009, 93, 96, 101; ders., NZG 2014, 940 ff., der die Haftung des Aufsichtsrats aber auf Ebene des Verschuldens einschränkt, wenn dieser die Tatsachengrundlage sorgfältig ermittelt hat und Gründe, die für das Unternehmenswohl sprechen, vortragen kann. Dagegen ist einzuwenden, dass die Aktionärsklage zugunsten des Gerichts nur eine Kompetenz zur Prüfung des Gesellschaftswohls eröffnet, wenn Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, das der Gesellschaft „durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung“ des Gesetzes oder der Satzung ein Schaden entstanden sei. Bis zum Erreichen dieser Schwelle verbleibt es aufgrund der aus unternehmerischer Sicht vorzunehmenden Einschätzungen bei einem Beurteilungsspielraum des Aufsichtsrats, der gerichtlich nur korrigiert werden kann, wenn er als unvertretbar erscheint. Zutreffendend Reichert, FS Hommelhoff, 2012, 907, 924. Gegen einen Rückgriff auf § 148 Abs. 1 AktG auch MüKoAktG/Habersack, § 111 Rn. 36.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Die gerichtliche Nachprüfbarkeit hat sich daher nur auf eine Kontrolle der Vertretbarkeit zu beschränken.631 bb) Konkrete Pflichten des Aufsichtsrats bei der Prüfung von Schadenersatzansprüchen Bei der Verfolgung von Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands, die sowohl in Gestalt der Nichteinführung eines individuell tauglichen Compliance-Systems als auch durch unmittelbare Straftatbegehung des Vorstands zum Nachteil der AG beziehungsweise zum Nachteil außerhalb der AG stehenden Dritten begangen werden können, kann die soeben diskutierte Frage, ob dem Aufsichtsrat nach §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG bei der Anspruchsverfolgung ein uneingeschränktes oder nach der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung generell nur ein eingeschränktes Ermessen zukommt, dahinstehen, wenn das Handlungsermessen des Aufsichtsrats nach einem intern aufgeklärten Compliance-Sachverhalt, an dem der Vorstand entweder unmittelbar oder mittelbar beteiligt war, ohnehin auf null reduziert ist.632 Eine Ermessensreduktion mit der Folge einer Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats wäre anzunehmen, wenn nach Ermittlung des Sachverhalts, Prüfung der einschlägigen Anspruchsgrundlagen, Analyse des Prozessrisikos sowie Prüfung der Beitreibbarkeit der Forderung ein Absehen von der Geltendmachung nicht mit dem nach hier vertretener Auffasung vom Aufsichtsrat bei der Abwägung zu konkretisierenden Unternehmensinteresse in Einklang stünde. (1) Sachverhaltsermittlung, Anspruchsgrundlage und Prozessrisikoanalyse Ergibt eine intern durchgeführte Untersuchung belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die AG durch das Verhalten des Vorstands beziehungsweise einzelner Mitglieder geschädigt worden ist und führt die Prüfung der Rechtslage633 ferner dazu, dass auf Basis des festgestellten Sachverhalts die Voraus631  So auch Reichert, FS Hommelhoff, 2012, 907, 924. In diese Richtung auch Mertens, FS K. Schmidt, 2009, 1183, 1192, der als Grenze darauf abstellt, ob der AG ein Schaden entstanden ist. Für einen Beurteilungsspielraum in „eng begrenzten Fällen“ wohl auch Schilha, § 2, 99. Demgegenüber Koch, AG 2009, 93, 100; ders., NZG 2014, 935. 632  Eine Anspruchsverfolgung nach der das Ermessen des Vorstands einschränkenden ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung hätte dann erst recht zu erfolgen. 633  Zu potentiellen Anspruchsgrundlagen siehe Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 195 f.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen249

setzungen einer oder mehrerer Anspruchsgrundlagen634 erfüllt sind, hat sich der Aufsichtsrat die Folgefrage zu stellen, ob der materiell-rechtlich bestehende Anspruch auch prozessual durchsetzbar ist. Die Analyse des Prozessrisikos beinhaltet – wie oben bereits dargelegt – im Allgemeinen erhebliche prognostische Unsicherheiten. Geht es um die Verfolgung von Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands dürften diese prozessualen Unwägbarkeiten, insbesondere die Frage des Vorliegens einer Pflichtverletzung sowie die Darlegung und der Nachweis eines kausalen Schadens infolge der Nichteinführung eines Compliance-Systems635, mit Blick auf die Rechtsprechung des LG München, wonach die Nichteinführung eines solchen durch den Vorstand sowohl eine Pflichtverletzung als auch einen kausalen Schaden darstellt, aus Sicht des Aufsichtsrat deutlich klarer geworden sein. Die Mitglieder des Aufsichtsrats werden daher selbst bei Annahme eines uneingeschränkten Beurteilungsspielraums regelmäßig von einem prozessual erfolgreichen Anspruch im Sinne der §§ 112 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1, 2 AktG auszugehen haben, wenn belastbare Hinweise auf eine schadenskausale Verletzung der Pflicht zur Einführung eines individuell tauglichen Compliance-Systems durch den Vorstand vorliegen. Von einem prozessual erfolgreichen Anspruch hat der Aufsichtsrat gleichfalls auszugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass der Vorstand seine organschaftliche Legalitätspflicht verletzt hat, indem er unmittelbar zum Nachteil der AG eine deren Vermögen schädigende Straftat begangen hat. Dies gilt erst recht nach der insoweit strengeren Rechtsprechung, wonach der Aufsichtsrat für diesen Teil seiner Entscheidung eine „Entscheidungsprärogative, die zur Beschränkung der gerichtlichen Nachprüfbarkeit führt, nicht in Anspruch nehmen“ könne, da es nicht um Fragen des Handlungs-, sondern allein um solche des Erkenntnisbereichs gehe, für die „allenfalls die Zubilligung eines begrenzten Beurteilungsspielraums“ in Betracht käme.636 Steht nach einer vom Aufsichtsrat durchgeführten Aufklärung der Vorwurf im Raum, dass der Vorstand entgegen seiner gesellschafts- und ordnungswid634  Die Verletzung der dem Vorstand obliegenden (Criminal-)Compliance-Pflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG kann im Innenverhältnis gegenüber der AG zu einer Haftung aus § 93 Abs. 2 AktG führen, siehe LG München  I, NZG 2014, 346. Verstößt der Vorstand unmittelbar gegen eine Strafvorschrift kommt eine deliktische Haftung, z. B. nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 Abs. 1 StGB bzw. § 299 StGB, in Betracht. 635  Zu weiteren in der prozessualen Praxis relevanten „Stolpersteinen“ siehe die Ausführungen bei Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 197 f. 636  So BGHZ 135, 244, 254 f. Danach genügt es, dass voraussichtich, d. h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein erfolgversprechender Anspruch der Gesellschaft besteht.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

rigkeitenrechtlichen Pflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG kein oder nur ein unzureichendes Compliance-System in der AG implementiert hat und deshalb auf Mitarbeiterebene eine systematische Begehung von Straftaten möglich wurde oder er sogar direkt an den kriminellen Handlungen beteiligt war, scheidet aus Sicht des Aufsichtsrats ein Absehen von der Verfolgung unter dem Blickwinkel des Prozessrisikos auch bei Annahme eines unbeschränkten und erst recht bei Zubilligung eines nur beschränkten Ermessensspielraums aus.637 (2) Prüfung der Beitreibbarkeit der Schadensersatzforderung Gelangt der Aufsichtsrat zu dem Ergebnis, dass das Vermögen der AG durch eine Compliance-Pflichtverletzung des Vorstands geschädigt wurde, sodass gegenüber diesem dem Grunde nach ein Schadenersatzanspruch besteht und bewertet er das Prozessrisiko mit Blick auf die Rechtsprechung des LG München als erfolgsversprechend, ist vor Geltendmachung des Anspruchs noch die Beitreibbarkeit der Schadenersatzforderung zu analysieren. Insbesondere bei Schadensfällen, die darauf zurückzuführen sind, dass der Vorstand überhaupt kein oder ein nicht taugliches Compliance-System in der AG implementiert hat mit der Folge, dass auf Mitarbeiterebene eine systematische Straftatbegehung erst möglich wurde, stehen oft hohe Schadenssummen im Raum, die die persönliche Leistungsfähigkeit des Schädigers in der Regel übersteigen.638 Eine Geltendmachung des vollen objektiven Schadens trüge daher das Risiko in sich, dass ein kostenintensiver Prozess gegen das Vorstandsmitglied zwar erfolgreich geführt, ein obsiegendes Urteil aber nicht in voller Höhe vollstreckt werden kann.639 Um einen solchen Pyrrhussieg zu vermeiden, ist die Höhe des Schadenersatzes nicht am objektiven Schaden640, sondern an realistischen Bewertungskriterien auszurichten und zu 637  Die Rechtsprechung des LG München führt faktisch zu einer Verengung des Entscheidungsspielraums. Zur Wirkung und Berücksichtigung anderweitiger Gerichtsentscheidungen durch den Aufsichtsrat siehe allgemein Eichner/Höller, AG 2011, 891 f., 894. Zur Abwälzung von Bußgeldern im Wege des Regresses siehe Grunewald, NZG 2016, 1121 ff. 638  Siehe LG München I, NZG 2014, 346, wonach der ehemalige Leiter der Zentralabteilung Corporate Finance der Siemens AG wegen Verletzung seiner Compliance-Pflicht zu 15 Mio. Euro Schadenersatz verurteilt wurde. Zutreffend Gloeckner/ Racky, FS Schiller 2014, 199. 639  Nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB kann aus rechtskräftig festgestellten Ansprüchen jedoch 30 Jahre vollstreckt werden. 640  Dieser kann – wie im Fall Siemens – im Extremfall mehrere 100 Millionen Euro betragen. Siehe hierzu LG München I, NZG 2014, 346 f.; Fleischer, NZG 2014, 326 f.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen251

verfolgen.641 Mit Blick auf den Vorstand bedeutet dies, dass neben dem schwer zu ermittelnden „reinen“ Privatvermögen auch andere dem Zugriff der AG unterliegende Vermögenswerte, wie etwa Pensionsanwartschaften oder ausstehende Bonuszahlungen im Rahmen der Bemessung des Schadenersatzanspruchs zu berücksichtigen sind.642 Unabhängig von der einzelfallabhängigen Prüfung der Beitreibbarkeit der Forderung wird die Anspruchsverfolgung gegenüber dem Vorstand unter dem Aspekt der Beitreibbarkeit in der Regel aber vorgezeichnet sein und schon deshalb nicht unterbleiben dürfen, um gegenüber der zugunsten des Vorstands regelmäßig bestehenden Organ- und Managerhaftpflichtversicherung (sog. D&O Versicherung) den Versicherungsfall auszulösen.643 Die Prüfung der Beitreibbarkeit einer Forderung entfaltet auf Organebene daher weit weniger Relevanz als auf Mitarbeiterebene644, sodass der Aufsichtsrat – wie in der Praxis üblich – bei Existenz einer Organ- und Managerhaftpflichtversicherung auch von einer grundsätzlichen Beitreibbarkeit der Forderung auszugehen hat. (3) Feststellung der abwägungsrelevanten Umstände durch den Aufsichtsrat Wendet man die oben herausgearbeiteten Grundsätze der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung in Bezug auf intern aufgeklärte Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands an, käme aus Sicht des Aufsichtsrats nach positiver Bewertung des Prozessrisikos und der Beitreibbarkeit der Forderung ein Absehen von der Verfolgung intern festgestellter Pflichtverletzungen im Wege des Schadenersatzes gegenüber dem pflichtwidrig handelnden Vorstandsmitglied „ausnahmsweise“ nur in Betracht, wenn „gewichtige Interessen und Belange der Gesellschaft dafür sprechen, den ihr entstandenen Schaden ersatzlos hinzunehmen“.645 Der Aufsichtsrat darf danach bei aufgeklärten Compliance-Pflichtverletzungen – möchte er ein eigenes zivil- und 641  Zutreffend Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 199; MüKoAktG/Habersack, § 111 Rn. 38b.; Bayer, FS K. Schmidt 2009, 97. Für eine Orientierung an dem „höchst denkbaren beitreibbaren Betrag“ auch Goette, FS Winter 2011, 163. 642  Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 199. 643  Neben einer sog. D&O Versicherung, die nur fahrlässige Pflichtverletzungen abdeckt, ist im Rahmen der Beitreibbarkeit auch zu prüfen, ob eine sog. Vertrauensschadensversicherung, die ggf. Schäden aus vorsätzlich begangenen Untreuesachverhalten abdeckt, existiert. Siehe hierzu Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 200; Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 386. 644  Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 200. 645  BGHZ 135, 244, 255.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

strafrechtliches Haftungsrisiko646 ausschließen  – von einer Verfolgung nur absehen, wenn eine solche „negative Auswirkungen auf Geschäftstätigkeit und Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit“ hätte, zu einer „Behinderung der Vorstandsarbeit“ oder „Beeinträchtigung des Betriebsklimas“ führen würde.647 Eine Ermessensbeschränkung findet nach der ARAG Rechtsprechung auch insoweit statt, als dass er „anderen Gesichtspunkten als denen des Unternehmenswohls, wie etwa der Schonung eines verdienten Vorstandsmitglieds oder dem Ausmaß der mit der Beitreibung für das Mitglied und seiner Familie verbundenen sozialen Konsequenzen nur in Ausnahmefällen648 Raum geben dürfe. Dieses nach Auffassung des BGH nur in sehr eng begrenzten Fällen zum Tragen kommende Ermessen könne erst einsetzen, wenn die „gegeneinander abzuwägenden Umstände festgestellt“ worden seien.649 Für den Aufsichtsrat bedeutet dies, dass er nach Aufklärung des Compliance-Sachverhalts, Bewertung des Prozessrisikos und Prüfung der Beitreibbarkeit der Forderung nach § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG die für und gegen eine Anspruchsverfolgung sprechenden Umstände festzustellen und sich sodann vor dem Hintergrund des Unternehmensinteresses die Frage zu stellen hat, ob dieses die Verfolgung des Schadensersatzanspruchs verlangt oder nicht. (a) Für eine Regelverfolgung von Non-Compliance sprechende Gründe Bei intern aufgeklärten Compliance-Sachverhalten unter Beteiligung des Vorstands spricht für eine Inanpruchnahme neben dem oben bereits angesprochenen Aspekt der Sicherung von Ansprüchen insbesondere das Risiko eines Reputationsschadens bei Nichtgeltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen ein schuldhaft pflichtwidrig handelndes Vorstandsmitglied.650 Teil des vom Aufsichtsrats zu berücksichtigenden Unternehmenswohls ist auch das Ansehen der AG bei ihren Kunden und – bei kapitalmarktorientier646  Ein zivilrechtliches Haftungsrisiko folgt aus § 116 S. 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 AktG und ein strafrechtliches aus § 266 Abs. 1 StGB. Siehe auch Eichner/Höller, AG 2011, 886. 647  BGHZ 135, 244, 255. 648  Siehe BGHZ 135, 244, 255 f., wonach ein solcher Ausnahmefall in Betracht kommen könne, wenn das pflichtwidrige Verhalten „nicht allzu schwer wiege“ und die der Gesellschaft zugefügten „Schäden verhältnismäßig gering“ seien, während für das ersatzpflichtig gewordene Vorstandsmitglied gleichzeitig „einschneidende Folgen“ drohen. 649  BGHZ 135, 244, 256. 650  Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 387; MüKoAktG/Habersack, § 111 Rn. 37.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen253

ten Aktiengesellschaften – am Kapital- und Aktienmarkt.651 Der Aufsichtsrat hat sich deshalb bei seiner Entscheidung, ob er eine aufgeklärte CompliancePflichtverletzung im Wege des Schadenersatzes verfolgt oder nicht, die Frage zu stellen, wie sich die Nichtverfolgung auf die Außenwahrnehmung der AG auswirkt und ob die Verfolgung im Interesse des Unternehmens geboten ist. Für eine regelmäßige Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern, die ihre Compliance-Pflichten schuldhaft verletzt haben, spricht ferner das vom Vorstand zu beachtende und vom Aufsichtsrat gegebenenfalls im Wege des Schadenersatzes durchzusetzende Legalitätsprinzip. Die Leitungsaufgabe des Vorstands umfasst  – wie oben bereits dargelegt – nach herrschender Meinung die Pflicht, gesetzeskonformes Verhalten der Gesellschaft gegenüber Dritten sicherzustellen, woraus für ihn im Innenverhältnis die Pflicht erwächst, die im Aktiengesetz, in der Satzung und der Geschäftsordnung niedergelegten Organpflichten ebenso zu erfüllen, wie die die AG als Rechtssubjekt im Außenverhältnis treffenden Rechtsvorschriften.652 Der Vorstand darf wegen dieser im Innen- und Außenverhältnis wirkenden Legalitätspflicht weder Verstöße gegen Rechtsvorschriften, welche die AG als Rechtssubjekt treffen, selbst begehen noch solche intern anordnen oder billigen.653 Die Bedeutung des Legalitätsprinzips hat sich der Aufsichtsrat bereits bei Feststellung der für und gegen eine Verfolgung sprechenden Gesichtspunkte zu verdeutlichen, um sich im Rahmen der Abwägung sodann die Frage zu stellen, welches Gewicht er dem Legalitätsprinzip im Verhältnis zu anderen abwägungsreleveanten Gesichtspunkten konkret beimisst. Für eine konsequente Verfolgung eines erfolgsversprechenden Schadenersatzanspruchs nach Aufklärung eines Compliance-Verstoßes durch den Vorstand könnte letztlich auch die Wertung des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG sprechen. Danach kann die Gesellschaft erst drei Jahre nach Entstehung des Anspruchs und nur dann auf Ersatzansprüche verzichten oder sich über sie vergleichen, wenn die Hauptversammlung zustimmt und nicht eine Minderheit, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals erreicht zur Niederschrift Widerspruch erhebt. Nach § 112 AktG ist der Aufsichtsrat für einen 651  Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 201; Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 387. Der Risikobericht der Deutschen Bank AG definiert das Reputationsrisiko etwa als Gefahr, dass die öffentliche Berichterstattung über eine Transaktion oder die Geschäftspraxis an der ein Kunde beteiligt ist, das öffentliche Vertrauen in das Unternehmen negativ beeinflusst. Siehe Finanzbericht Deutsche Bank 2012, S. 62; Plagemann, NZG 2013, 1299. 652  Siehe hierzu bereits Teil 3 B. II. 4. a) aa). Zur Legalitätspflicht Habersack, AG 2014, 2. 653  Zutreffend auch Bayer, FS K. Schmidt, 2009, 88. Siehe auch Teil 3 B. II. 4. a) aa).

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Vergleichsschluss oder einen Verzicht mit einem gegenwärtigen oder ehemaligen Vorstandsmitglied zuständig.654 Der Verzicht nach § 93 Abs. 4 S. 3 AktG ist als Erlassvertrag im Sinne des § 397 Abs. 1 BGB einzuordnen und bewirkt als verfügender Vertrag das Erlöschen des Schuldverhältnisses.655 Aufgrund dieser weitreichenden Rechtsfolge dient die Vorschrift des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG dem Schutz der Aktionäre und Gläubiger der AG vor einem voreilig erklärten Verzicht oder Vergleich656 und der hieraus resultierenden Gefahr eines endgültigen Anspruchsverlusts zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Auswirkungen der schädigenden Handlung noch nicht ausreichend überblicken lassen.657 Der Vorschrift des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG lässt sich insbesondere nicht entnehmen, dass der Verzicht durch Gründe des Unternehmenswohls beeinflussbar wäre, woraus folgt, dass ein Verzicht auf bestehende Schadenersatzansprüche vor Ablauf von drei Jahren und ohne Beschluss der Hauptversammlung auch dann stets ausgeschlossen ist, wenn dies – etwa aus kartellrechtlichen Gründen zur Schaffung von Fakten für einen Kronzeugenanteil658 – im Interesse der Gesellschaft läge.659 Würde man die Wertung des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG auf den Beschluss des Aufsichtsrats, einen aus einer compliance-relevanten Pflichtverletzung des Vorstands folgenden Schadenersatzanspruch nicht geltend zu machen, ausstrahlen lassen und ginge von einer faktischen Verzichtswirkung des Nichtgeltendmachungsbeschlusses aus, hätte dies zur Folge, dass überwiegende Gründe des Unternehmenswohls ein Absehen von der Verfolgung auch nicht 654  MüKoAktG/Spindler,

§ 93 Rn. 251. § 93 Rn. 250; MüKoBGB/Schlüter, § 397 Rn. 7. 656  Dem Vergleich kommt nach herrschender Auffassung eine Doppelnatur zu, da er einerseits als privatrechtlicher Vertrag nach § 779 BGB das materiell-rechtliche Verhältnis der Parteien in Bezug auf den Streitgegenstand regelt und andererseits als Prozesshandlung den Rechtsstreit beendet, indem er die Rechtshängigkeit beseitigt, siehe BGH NJW 2005, 3576; BVerfG NJW 1994, 2306. Gegenstand eines Vergleichs kann neben rechtsfeststellenden und rechtsbegründenden Vereinbarungen auch der Verzicht auf Ansprüche sein, Thomas/Putzo-Seiler, ZPO, § 794 Rn. 4 u. 14. Ein außergerichtlicher Vergleich führt mangels prozessualer Wirkung zwar nicht zur Beendigung des Prozesses, gleichwohl gewährt er aber eine Einrede gegen die Fortsetzung des Verfahrens, BGH NJW 2002, 1503; Palandt/Sprau, § 779 Rn. 29. 657  Begr. RegE (zu § 93 AktG) in Kropff, Aktiengesetz, 1965, 123; MüKoAktG/ Spindler, § 93 Rn. 250 ff.; Reichert, FS Hommelhoff 2012, 917 f. 658  So das Bsp. bei Reichert, FS Hommelhoff 2012, 912 f.; Harbarth, FS Winter 2011, 215 f. 659  Die h. M. lehnt eine Unternehmenswohlprüfung im Rahmen einer teleologischen Reduktion des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG auch für solche Fälle ab, in denen ein zügiger Anspruchsverzicht für die AG günstiger wäre, als ein Abwarten der drei Jahre. Harbarth, FS Winter 2011, 215 ff.; Reichert, FS Hommelhoff 2012, 912 f.; kritisch Hölters/Hölters, AktG § 93 Rn. 307. 655  MüKoAktG/Spindler,



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen255

rechtfertigen können.660 Der Aufsichtsrat wäre folglich gehalten, intern aufgeklärte Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands stets zu verfolgen. Diese Überlegung wird auch durch die ARAG / Garmenbeck-Entscheidung gestützt, wenn der BGH den Wertungen des der Revision zugrundeliegenden Urteils des LG Düsseldorf insoweit zustimmt, als dass die Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs „nicht der Beliebigkeit“ unterliege, was „schon die gesetzliche Regelung des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG zeige“661. Der Aufsichtsrat hat sich diese aktienrechtliche Wertung bei Feststellung der für und gegen eine Verfolgung sprechenden Gesichtspunkte zumindest zu vergegenwärtigen und sich bewusst zu machen, dass der Beschluss über die Nichtgeltendmachung wertungsmäßig im Widerspruch zu dem im Aktienrecht angelegten und in der Vorschrift des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG zum Ausdruck kommenden Gläubiger- und Minderheitenschutz stehen könnte. (b) G  egen eine Regelverfolgung von Non-Compliance sprechende Gründe Neben den für eine Verfolgung von compliance-relevanten Pflichtverletzungen sprechenden Gründen hat der Aufsichtsrat bei der Frage, ob er einen bestehenden Schadenersatzanspruch gegenüber dem Vorstand durchsetzt, auch die gegen eine Verfolgung sprechenden Umstände festzustellen und sodann vor dem Hintergrund des Unternehmensinteresses abzuwägen. Die für eine konsequente Verfolgung sprechende Gefahr eines Reputa­ tionsschadens könnte gleichfalls auch gegen eine bedingungslose Verfolgung eines aus einem Compliance-Verstoß des Vorstands herrührenden Schadenersatzanspruchs sprechen. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn durch die Inanspruchnahme des Vorstands „das Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit“ geschmälert würde.662 Ein Ansehensverlust infolge der Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs könnte der AG etwa daraus erwachsen, dass durch einen lang andauernden – regelmäßig über mehrere Instanzen gehenden – Schadenersatzprozess ein aufgeklärter „Unternehmensskandal“ in der öffentlichen Wahrnehmung möglicherweise über Jahre präsent wäre.663 Hieraus könnte die Gefahr eines Umsatzrückgangs oder einer Marktbeunruhigung resultieren664, was sich wiederum negativ auf die GeGedanken greift auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 913 auf. ausdrücklich BGHZ 135, 244, 256; LG Düsseldorf, ZIP 1994, 628, 630. 662  Dies erkennt auch der BGH an. Siehe BGHZ 135, 244, 255. 663  In diese Richtung auch Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 201, die zutreffend auf die Gefahr einer „Perpetuierung“ in der Öffentlichkeit hinweisen. 664  In empirischer Hinsicht lässt sich insoweit immerhin festhalten, dass „die große Mehrheit der Unternehmen von ihren Lieferanten und Dienstleistern erwartet“, 660  Diesen 661  So

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schäftstätigkeit der AG auswirken könnte. Der Aufsichtsrat hat auf der Ebene der Feststellung von für und gegen eine Verfolgung sprechenden Umständen daher mindestens zu sehen, dass ein Reputationsschaden gerade auch bei Verfolgung eines Schadenersatzanspruchs entstehen und die AG im Ergebnis schädigen könnte, was letztlich im Widerspruch zum Gesellschaftsinteresse stünde. Hieraus folgt für den Aufsichtsrat, dass er bei der Frage, ob er gegen ein Vorstandsmitglied vorgeht, das Thema „Reputationsschaden“ sowohl unter positiven als auch negativen Vorzeichen zu sehen und vor dem Hintergrund des Unternehmensinteresses zu bewerten und abzuwägen hat. Eine vom Aufsichtsrat gegen den Vorstand betriebene Schadenersatzklage könnte neben dem Risiko des Reputationsschadens die Gefahr begründen, dass im gerichtlichen Verfahren sensible Informationen der AG offengelegt werden müssten und der zum Schadenersatz verpflichtende Sachverhalt dadurch öffentlich bekannt würde.665 Der Aufsichtsrat hat in diesem Kontext ferner festzustellen und innerhalb seiner Prüfung zu berücksichtigen, dass durch eine öffentliche Klage möglicherweise überhaupt erst die Grundlage für weitere – das Gesellschaftsvermögen schmälerende – Schadenersatzklagen von Dritten oder sogar kartell- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Verfahren gegen die AG geschaffen werden könnte.666 Letztlich könnten insbesondere die zu erwartenden Kosten der Sachverhaltsaufklärung gegen eine bedingungslose Verfolgung von Schadenersatzansprüchen sprechen. Aus der Bindung des Aufsichtsrats an das Unternehmenswohl sowie der hieraus folgenden Verantwortung für das Vermögen der AG könnte sich ableiten lassen, dass der Prüfungsaufwand, den die AG in Bezug auf die Feststellung eines Anspruchs und seiner Durchsetzbarkeit zu betreiben hat, in einem angemessenen Verhältnis zu der Frage zu stehen hat, ob eine Geltendmachung unter dem Aspekt des Unternehmenswohls rechtlich und betriebswirtschaftlich sinnvoll ist.667 Eine Anspruchsverfolgung hätte zu unterbleiben, wenn aus Sicht des Aufsichtsrats erkennbar wäre, dass die Kosdass diese über ein Compliance-System verfügen. Die tatsächliche Verortung von Compliance „im Markt“ zeigt sich auch darin, dass sich „jedes vierte Unternehmen ein Recht auf anlassbezogene Prüfungen, sog. Audit Clause, vertraglich zusichern lässt“. Zu diesen aus einer Befragung von 720 Unternehmen stammenden Ergebnissen siehe Bussmann/Salvenmoser/Jeker, CCZ 2016, 235 ff., 236, 237. 665  Eichner/Höller, AG 2011, 893; Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 201; Reichert, ZIS 2011, 121; Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 391, sieht sogar eine „gravierende“ Gefahr. 666  Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 390  f.; Gloeckner/Racky, FS Schiller 2014, 201; Eichner/Höller, AG 2011, 893. Zum Akteneinsichtsrecht im Zivilprozess siehe § 299 ZPO. 667  Mertens, FS K. Schmidt 2009, 1192; Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 389.



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ten der Sachverhaltsaufklärung, insbesondere die Ermittlung der zur Begründung der Klage erforderlichen Tatsachen, wesentlich höher lägen als der Betrag, der durch eine Schadenersatzklage zu erwarten wäre. Ob das Unternehmensinteresse eine Sachverhaltsaufklärung und Anspruchsverfolgung verlangt und diese in einem angemessenen Verhältnis zu den entstehenden Kosten steht, ist vom Aufsichtsrat im Rahmen der Abwägung zu beurteilen. (4) Bewertung und Abwägung mit Blick auf das Unternehmensinteresse Nachdem der Aufsichtsrat im Anschluss an eine aufgeklärte CompliancePflichtverletzung durch den Vorstand, welche sowohl in der schadenskausalen Nichteinführung eines individuell tauglichen Compliance-Systems als auch in der unmittelbaren Beteiligung an einer strafbaren und die AG schädigenden Handlung liegen kann, die für und gegen eine Verfolgung von Schadenersatz sprechenden Gründe festgestellt hat, sind diese von ihm zu bewerten und vor dem Hintergrund des Unternehmenswohls abzuwägen. Im Rahmen der Bewertung hat er einerseits zu berücksichtigen, dass das Risiko weiterer, im Zeitpunkt der Geltendmachung eventuell noch nicht absehbarer, Schadenersatzklagen durch Dritte bei Bekanntwerden von Compliance-Pflichtverletzungen sowie die Kosten der Sachverhaltsaufklärung gegen eine Regelverfolgung sprechen. Andererseits legen das Legalitätsprinzip und die Wertung des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG eine konsequente Verfolgung von gegen Compliance-Pflichten verstoßenden Vorstandsmitgliedern nahe. Das Risiko durch die Verfolgung einen Reputationsschaden zu erleiden kann nach den bisherigen Erkenntnissen sowohl für als auch gegen eine Verfolgung sprechen. Kommt es in der AG infolge der pflichtwidrigen Nichteinführung eines Compliance-Systems zu einer schadenkausalen Straftatbegehung auf Mitarbeiterebene oder begeht der Vorstand unter Missachtung seiner Legalitätspflicht eine das Vermögen der AG schädigende Straftat zum Nachteil der AG beziehungsweise gegenüber Dritten und setzt er die AG damit dem Risiko einer Inanspruchnahme auf Schadenersatz aus, begründet die Abwägung der vorstehenden Gesichtspunkte eine Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats, wenn die Legalitätspflicht dem Gesellschaftsinteresse wertungsmäßig vorgeht und die Wiederherstellung normgemäßen Verhaltens im Wege der angemessenen Sanktionierung gegenüber dem Vorstand verlangt. (a) Rechtliche Wertung des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG Eine Pflicht zur bedingungslosen Verfolgung von Schadenersatz folgt  – trotz der faktischen Nähe zwischen Verzicht und dem Beschluss des Auf-

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

sichtsrats, einen Schadenersatzanspruch nicht geltend zu machen – aber nicht bereits aus der rechtlichen Wertung des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG. Dies hat der Aufsichtsrat innerhalb der von ihm vorzunehmenden Abwägung auch zu berücksichtigen. Lediglich der Umstand, dass Verzicht und Nichtgeltendmachung ähnliche Handlungen darstellen, rechtfertigt nicht den Schluss, dass der als „Aufsichtsratsinternum“ ausgestaltete Nichtgeltendmachungsbeschluss rechtlich mit einem Verzicht, dem als Erlassvertrag gemäß § 397 BGB verfügende Wirkung zukommt, gleichgesetzt werden kann.668 Während ein wirksamer Verzicht zum Erlöschen des Schuldverhältnisses führt, bleibt der Aufsichtsrat nach einem Nichtgeltendmachungsbeschluss weiterhin frei, seine getroffene Entscheidung zu korrigieren und innerhalb der Verjährungsfristen der §§ 195 ff. BGB noch Klage zu erheben.669 Bereits aufgrund dieses zentralen Unterschieds in den Rechtsfolgen ist bei Übertragung der rechtlichen Wertung des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG Zurückhaltung geboten. Eine Gleichsetzung von Verzicht und Nichtgeltendmachung ist aber auch teleologisch nicht veranlasst, da die in § 93 Abs. 4 S. 3 AktG normierte Frist nur verhindern soll, dass rechtswirksam „bereits zu einem Zeitpunkt entschieden wird, in dem sich noch kein abschließendes Bild über die Auswirkungen der schädigenden Handlung gewinnen lässt“.670 Eine rechtlich bindende und zum endgültigen Verlust des Anspruchs führende Entscheidung liegt in Form des Nichtgeltendmachungsbeschlusses jedoch gerade nicht vor.671 Letztlich lässt sich eine Verfolgungspflicht auch nicht im Wege einer auf § 93 Abs. 4 S. 3 AktG gestützten Analogie begründen. Selbst wenn man davon ausginge, dass einem Verzicht und dem Nichtgeltendmachungsbeschluss faktisch die gleiche – für die AG zum endgültigen Anspruchsverlust führende – Wirkung zukäme und die für einen Analogieschluss erforderliche vergleichbare Interessenslage somit unterstellen würde, scheitert eine Analogie jedenfalls am Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke.672 Die §§ 147, 148 AktG regeln explizit den Fall, wenn Ersatzansprüche der AG gegen Mitglieder des Vorstands durch den Aufsichtsrat nicht geltend gemacht werden. 668  Zutreffend

256.

auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 918. A. A. BGHZ 135, 244,

diese Richtung auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 918. RegE (zu § 93 AktG) in Kropff, Aktiengesetz, 1965, 123; MüKoAktG/ Spindler, § 93 Rn. 250 ff. In diese Richtung zutreffend auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 918. 671  Etwas anderes würde lediglich dann gelten, wenn sich der Nichtgeltendmachungsbeschluss als „pactum de non petendo ohne Widerrufsvorbehalt“ darstellt und dem Vorstand bereits eine gesicherte Rechtspostion vermitteln würde. Siehe hierzu Reichert, FS Hommelhoff 2012, 918. 672  Gegen eine Analogie auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 917. 669  In

670  Begr.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen259

Nach § 147 Abs. 1 S. 1 AktG „müssen“ Ersatzansprüche der AG zwingend „geltend gemacht werden“, wenn dies von der Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossen wird. Damit wird der Fall erfasst, dass sich der Aufsichtsrat als zuständiges Organ der Pflicht zur Geltendmachung durch schlichtes Unterlassen oder auch förmlich durch Beschluss entzieht.673 Folglich bleibt für eine analoge Anwendung des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG kein Raum. Daneben ermöglicht § 148 AktG einer Aktionärsminderheit – nach erfolgreicher Klagezulassung674 – im eigenen Namen die in § 147 Abs. 1 S. 1 AktG bezeichneten Ersatzansprüche geltend zu machen, sodass auch insoweit kein Grund für eine Analogie besteht. Die Funktion des § 93 Abs. 4 S. 3 AktG liegt vielmehr darin, das in §§ 147, 148 AktG normierte Recht der Hauptversammlung und Aktionäre, bei Untätigsein der zuständigen Organe selbst Schadenersatz geltend zu machen, nicht durch einen Verzicht zu konterkarieren.675 Demgegenüber folgt aus § 93 Abs. 4 S. 3 AktG nicht, dass der Aufsichtsrat einen Schadenersatzanspruch gegenüber dem Vorstand stets zu verfolgen hat und von einer Verfolgung auch dann nicht absehen dürfte, wenn dies im Unternehmensinteresse läge. (b) Reputationsschaden Aus dem Risiko eines Reputationsschadens lässt sich kein durchgreifendes Argument gegen die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Vorstand ableiten. Die besseren Gründe sprechen für eine Regelverfolgung. Ein Absehen von der Verfolgung unter Berufung auf einen Reputationsschaden scheidet in den Fällen aus, in denen der Sachverhalt der Öffentlichkeit bereits bekannt ist.676 Die Reputation der AG dürfte durch Verfolgung von Schadenersatz sogar gefördert werden, wenn der Sachverhalt öffentlich noch nicht bekannt ist. Im Rahmen der Abwägung ist vom Aufsichtsrat insoweit zu erkennen, dass dem Ansehen der AG in der Öffentlichkeit677 neben dem immateriellen 673  MüKoAktG/Schröer,

§ 147 Rn. 32. beurteilt sich nach § 148 Abs. 1 S. 2 AktG. Siehe zu den Voraussetzungen dieses „Vorschaltverfahrens“ MüKoAktG/Schröer, § 148 Rn. 30 ff. 675  Zutreffend in diese Richtung auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 918. 676  MüKoAktG/Habersack, § 111 Rn. 37. Siehe auch Habersack, AG 2014, 2; ders., NZG 2016, 322 ff., 325 f. 677  Straf-, ordnungswidrigkeiten- und datenschutzrechtliche Vorfälle in Unternehmen finden – wie die Berichterstattung in den Fällen Deutsche Bahn, Deutsche Bank, Ferrostaal, Lidl, MAN, Telekom und Siemens gezeigt hat – ein erhebliches mediales Interesse. 674  Diese

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

auch ein materieller Wert678 zukommt und ein in der öffentlichen Wahrnehmung als „grundlos“ empfundenes Absehen von der Anspruchsverfolgung stets das Risiko in sich trägt, dass sowohl Kunden und Geschäftspartner als auch potentielle Investoren die AG als non compliant einordnen, was wiederum zur Folge haben kann, dass diese wegen den internen Compliance-Vorgaben ihrer Geschäftspartner als Vertragspartner ausscheidet.679 Der hieraus resultierenden Gefahr von materiellen Nachteilen bei späterem Bekanntwerden ist im Vorfeld bereits durch konsequente Anspruchsverfolgung entgegenzuwirken, da es ein positives auf „Compliance-Konformität“ und Rechtstreue abzielendes Signal in der Öffentlichkeit, gegenüber Geschäftspartnern und auch an den Kapitalmärkten darstellt, wenn die AG ohne öffentlichen Druck durch „proaktives Vorgehen“680 – gegebenenfalls sogar unter Inkaufnahme temporärer Nachteile am Markt – auf intern aufgeklärte Missstände reagiert. Die konsequente Verfolgung von Schadenersatz infolge von CompliancePflichtverletzungen durch Vorstandsmitglieder ist aus Reputationsgründen schließlich geboten, um eigenen – auf Mitarbeiterebene möglicherweise streng formulierten – internen Compliance-Regelungen auf Organebene gerecht zu werden und durch konsequente Verfolgung ein „unternehmensethisch“ korrektes Verhalten nach innen und außen zu demonstrieren.681 Nach Aufklärung eines Compliance-Sachverhalts lässt sich mit Blick auf die 678  Dieser kann in einem Nachfragerückgang oder bei börsennotierten Aktiengesellschaften in Kursverlusten bestehen. In diese Richtung Passarge, Martinek/Semler/ Habermeier/Flohr, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2010, Rn. 64. Siehe auch Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 388; Reichert/Ott, NZG 2014, 246; Habersack, AG 2014, 2; Plagemann, NZG 2013, 1299. Der Reputation der AG kommt materiell auch insoweit eine Dimension zu, als dass institutionelle Anleger ihre Investitionsentscheidung häufig von der Existenz eines wirksamen Compliance-Systems abhängig machen, sodass bei systematischen Compliance-Verstößen eine Beteiligung und damit ein Kapitalzufluss ausscheidet, Moosmayer, Compliance, 2. Aufl. 2012, 23. Zur Frage der „Messbarkeit“ von Integrität jüngst Möhrle/Weinen, CCZ 2016, 253 ff. 679  Nach einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC aus dem Jahr 2011 führt jeder zweite Compliance-Fall zu „Irritationen im geschäftlichen Umfeld“ und belastet Geschäftsbeziehungen erheblich. Siehe PwC, Wirtschaftskriminalität 2011, S. 24. Im Extremfall könnte die AG auf eine „schwarze Liste“ von Unternehmen gesetzt werden, die wegen ihres zweifelhaften Umgangs mit Non-Compliance überhaupt keine Aufträge mehr erhalten. Siehe am Beispiel des Kartellrechts nur Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 388. Zur Geltungserstreckung von ComplianceRegelungen des Auftraggebers auf Lieferanten und Geschäftspartner durch AGB siehe auch Gilch/Pelz, CCZ 2008, 131 ff. Siehe hierzu auch jüngst die Veröffentlichung von Bussmann/Salvenmoser/Jeker, CCZ 2016, 235 ff. 680  Bayer, FS K. Schmidt 2009, 86; Reichert, ZIS 2011, 121. Der Imageschaden dürfte größer ausfallen, wenn die AG erst nach Bekanntwerden eines „Unternehmensskandals“ tätig wird. 681  Zutreffend Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 389; ders., FS Winter 2011, 164; Habersack, AG 2014, 2, der zutreffend auf die sanktionsmindernde und die Haf-



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Reputation der AG im Rahmen der Abwägung festhalten, dass die konsequente Verfolgung von Schadenersatzansprüchen gegenüber compliancepflichtwidrig handelnden Vorstandsmitgliedern im Unternehmensinteresse liegt. Ein Absehen von der Verfolgung aus Reputationsgründen scheidet daher regelmäßig aus. (c) Kosten der Sachverhaltsaufklärung und Anspruchsverfolgung Ein erhebliches und vom Aufsichtsrat im Rahmen der Abwägung zu beachtendes Argument gegen eine Regelverfolgung von Schadenersatzansprüchen sind die Kosten der Sachverhaltsaufklärung und Anspruchsverfolgung.682 Bei der Aufklärung und Bewertung von Compliance-Sachverhalten wird in der Praxis regelmäßig die Einschaltung externer Berater notwendig sein, sodass – je nach Komplexität und Beratungsaufwand – erhebliche Kosten für die AG entstehen können.683 Die Einleitung und Durchführung kostenintensiver Aufklärungs- und Verfolgungsmaßnahmen steht jedenfalls im Widerspruch zum Unternehmenswohl, wenn feststeht, dass die Gesellschaft durch ein unterstellt pflichtwidrig schuldhaftes Verhalten des Vorstands im Ergebnis keinen Schaden erlitten hat oder der Anspruch mit Sicherheit nicht durchsetzbar ist, weil er zum Beispiel verjährt ist.684 Würde der Aufsichtsrat bei dieser Sachlage gleichwohl kostenintensive Untersuchungen in Auftrag geben, läge hierin eine zweckwidrige Verwendung von Gesellschaftsvermögen und würde einen Schaden überhaupt erst begründen. Die Bindung des Aufsichtsrats an das Unternehmenswohl, das sich primär in der Rentabilität der AG widerspiegelt685, muss im Rahmen der Abwägung dazu führen, dass der Aufsichtsrat vor Einleitung kostenauslösentung im Innen- und Außenverhältnis begrenzende Wirkung eines funktionierendes Compliance-System hinweist. 682  Siehe nur Reichert, FS Hommelhoff 2012, 909 f., 922. Zu den im Rahmen der Aufklärung von Wirtschafsstraftaten entstehenden Kosten siehe PwC, Wirtschaftskriminalität 2011, S. 24. 683  Goette, FS Hofmann-Becking 2013, 389 f.; ders., FS Winter 2011, 162. Die Kosten können – wie im Fall Siemens – im Extremfall mehrere hundert Millionen Euro betragen. Zu den möglichen Kosten auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 909 f. 684  Zutreffend Goette, Liber Amicorum Winter 2011, 163. An einem Schaden fehlt es trotz Pflichtverletzung zum Beispiel dann, wenn der durch die pflichtwidrige Handlung Verletzte – etwa zum Erhalt der Geschäftsbeziehung – verbindlich erklärt, seine Ansprüche gegenüber der Gesellschaft nicht zu verfolgen. 685  Hölters/Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG § 116 Rn. 13. Siehe zu den im Rahmen des Unternehmensinteresses zu berücksichtigenden Faktoren Teil 2 B. I. 1. c) bb) und cc) (2).

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

der Maßnahmen die Frage zu klären hat686, ob und in welcher Höhe überhaupt ein Schaden vorliegt oder inwieweit der Anspruch durchsetzbar ist.687 Dem hieraus folgenden Nutzen in Höhe des realistischerweise kompensierbaren Schadens sind dann die voraussichtlichen Kosten der Aufklärung und Durchsetzung (Rechtsanwalts-, Beratungs- und Gerichtskosten) gegenüberzustellen. Eine am Unternehmenswohl orientierte Abwägung wird daher zumindest im Regelfall dazu führen, dass die Anspruchsverfolgung mit Blick auf das Unternehmenswohl zu unterbleiben hat, wenn für den Aufsichtsrat unter Zugrundelegung des Sorgfaltsmaßstabs des §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG erkennbar ist, dass die für die AG entstehenden Kosten deutlich höher liegen als der durch eine erfolgreiche Klage kompensierbare Schadenersatz.688 (d) Risiko der Inanspruchnahme durch Dritte Gegen eine bedingungslose Verfolgung von Schadenersatz durch den Aufsichtsrat spricht auch die oben bereits festgestellte Gefahr, dass der intern aufgeklärte Compliance-Sachverhalt durch die Schadenersatzklage öffentlich bekannt und dadurch das Risiko der Inanspruchnahme durch Dritte689 überhaupt erst geschaffen beziehungsweise gesteigert wird. Die Gefahr der Inanspruchnahme durch Dritte ist besonders bei kartellrechtlichen Sachverhalten gegeben, da frühere Kunden nach § 33 Abs. 3 GWG bei Verstößen gegen nationales oder europäisches Wettbewerbsrecht direkt von der AG als deren Vertragspartnerin Schadenersatz verlangen können.690 Das Risiko von dritter – respektive staatlicher – Seite in Anspruch genommen zu werden, besteht aber auch unabhängig von kartellrechtlichen 686  Eine Möglichkeit der kostenschonenden „Vorabklärung“ könnte in geeigneten Fällen darin bestehen vor Beauftragung externer Berater, zunächst die Leiter der Revisions-, Compliance- oder Rechtsabteilung zu dem Sachverhalt zu befragen. Ein solcher Zugriff auf leitende Mitarbeiter wäre nach hier vertretener Auffassung zur Kontrolle des Vorstands aktienrechtlich auch zulässig. Siehe hierzu oben Teil 2 B. I. 1. b) bb) (3) (b) und (c). 687  Gegen eine bestimmte Prüfungsreihenfolge und für ein ökonomisches Vorgehen durch den Aufsichtsrat auch Goette, FS Winter 2011, 163. 688  In diese Richtung zutreffend auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 925. 689  Siehe Habersack, NZG 2016, 321, 324 f. 690  Die Gefahr, dass es zu Schadenersatzforderungen von Abnehmern unmittelbar gegenüber dem kartellrechtswidrig handelnden Unternehmen kommt, dürfte nach einem jüngeren Urteil des Kartellsenats des BGH vom 28.6.2011  – KZR 75/10, ZIP 2012, 390 gestiegen sein, wenn sämtlichen weiteren Abnehmern in der Handelskette ein direkter Anspruch gegenüber dem Kartellanten eingeräumt wird. Siehe hierzu auch Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 392. Zur Geheimhaltung von ComplianceVerstößen siehe Schockenhoff, NZG 2015, 409 f.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen263

Sachverhalten, wenn im Zuge einer öffentlichen Schadenersatzklage gegen amtierende oder ehemalige Vorstandsmitglieder Aufsichtspflichtverletzungen im Sinne des § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG bekannt werden. Bei Einleitung eines zivilrechtlichen Klageverfahrens ist vom Aufsichtsrat daher zu bedenken, dass staatliche Verfolgungsbehörden die durch eine Schadenersatzklage bekannt gewordenen Tatsachen zum Anlass nehmen können, ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiten, um gegen die AG ein Bußgeld zu verhängen. Bei einer nachgewiesenen vorsätzlichen Aufsichtspflichtverletzung betrüge das Haftungsrisiko für die AG gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 OWiG bis zu zehn Millionen Euro. Der Aufsichtsrat hat somit als abwägungsrelevanten Aspekt zu sehen, dass durch eine von ihm initiierte Klage gegen Vorstandsmitglieder gleichzeitig Schadenersatzklagen von Dritten oder im Extremfall sogar Kartell- und Ordnungswidrigkeitenverfahren „provoziert“ werden könnten. Für im ausländischen Rechtsraum tätige und an internationalen Börsen gelistete Aktiengesellschaften besteht zudem die Gefahr, dass ausländische Aufsichtsbehörden, wie die in den USA für die Einhaltung börsenrechtlicher Anordnungen zuständige United States Securities Exchange Commission (SEC), Ermittlungen einleiten und gegen die AG weitere erhebliche Bußgelder verhängen.691 Ist für den Aufsichtsrat erkennbar, dass ein zivilrechtliches Vorgehen gegen den Vorstand Ansprüche Dritter oder die Einleitung eines Kartell- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens nach sich ziehen könnte und liegen die hieraus resultierenden Kosten höher als der mit einer erfolgreichen Klage realisierbare Schadenersatzanspruch, dürfte das Unternehmensinteresse zum Schutz des Gesellschaftsvermögens verlangen, dass von einer Verfolgung abgesehen wird692, sofern nicht gewichtige und im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigende Belange gleichwohl für eine Verfolgung sprechen.

691  Praktische Bedeutung entfaltet dieser Punkt im Zusammenhang mit Korrup­ tionssachverhalten auf Basis des Foreign Corrupt Practices Act (FCPA), welche in den USA zivilrechtlich durch die Börsenaufsicht (SEC) und strafrechtlich durch das Justizministerium (Department of Justice – DOJ) verfolgt werden. Siehe hierzu Litzka, WiJ 2012, 79 f. Die Abwägungsrelevanz aus Sicht des Aufsichtsrats erkennt auch Eichner/Höller, AG 2011, 893. Die von der SEC verhangenen Strafzahlungen können erhebliche Summen erreichen. So zahlte die Siemens AG im Zuge des Korruptionsverfahrens im Jahr 2009 rund 600 Millionen USD an US-Behörden. Siehe insoweit LG München I, NZG 2014, 346. Zur Bedeutung des FCPA Hart-Hönig in Strafverteidigung im Rechtsstaat, DAV 25 Jahre, 531 ff. 692  MüKoAktG/Habersack, § 111 Rn. 37; Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 390 ff.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

(e) Legalitätspflicht Ein unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls durchaus im Unternehmensinteresse liegendes Absehen von der Verfolgung aufgrund der mit der Aufklärung und Durchsetzung verbundenen Kosten sowie das Risiko einer Inanspruchnahme durch Dritte könnte jedoch im Verhältnis zur Legalitätspflicht693 stets als nachrangig zu bewerten sein, wenn der aufgeklärte Sachverhalt einen schadenskausalen auf der Verletzung von straf- und bußgeldrechtlichen Normen basierenden Compliance-Verstoß zum Gegenstand hat und hinreichende Verdachtsmomente bestehen, dass der Vorstand an diesem unmittelbar durch Begehung einer strafbaren Handlung oder mittelbar durch Nichteinführung eines Compliance-Systems beteiligt war. Die Legalitätspflicht könnte bei der Abwägung dann höher zu bewerten sein, als eine am Gesellschaftsinteresse orientierte Kosten-Nutzen-Analyse und zur Wiederherstellung legalen Verhaltens eine angemessene Sanktionierung des Vorstands verlangen. (aa) Reichweite der Legalitätspflicht Bevor innerhalb der Abwägung untersucht werden kann, ob sich bei solchen Compliance-Verstößen die Legalitätspflicht gegenüber anderen aus dem Unternehmensinteresse folgenden Belangen durchsetzt und zu einer Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats führt, ist vorab deren inhaltliche Reichweite näher zu bestimmen. Welche Rechtsbereiche von der Legalitätspflicht exakt erfasst sind, ist – wie Reichert zutreffend ausführt – noch nicht abschließend geklärt.694 Richtigerweise kann nicht jeder Verstoß gegen Rechtsnormen oder vertragliche Pflichten zu einem Überwiegen der Legalitätspflicht im Rahmen der Abwägung und damit zu einer grenzenlosen Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats führen.695 Eine Differenzierung nach Art der verletzten Rechtsnorm erscheint insoweit problematisch, als dass es Normen „erster und zweiter Klasse“ richtigerweise nicht gibt.696 Die Abwägung hat sich daher unter Berücksichtigung 693  Zur Legalitätspflicht des Vorstands siehe Teil 3 B. II. 4. a) aa); Kort, FS Hopt 2010, 993. 694  Zutreffend Reichert, FS Hommelhoff 2012, 915, 920 f. 695  Folglich nimmt die h. M. zu Recht an, dass den Vorstand im Innenverhältnis keine Pflicht trifft, allen Vertragspflichten gegenüber Dritten nachzukommen. Vgl. Reichert, FS Hommelhoff 2012, 915; Hopt/Roth, in: Großkomm. AktG, § 93 Rn.  73 ff.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 24; ders., ZIP 2005, 141, 144, 148; U. H. Schneider, FS Hüffer 2010, 910 ff. 696  Daher lässt sich die Legalitätspflicht nicht nur auf Strafnormen erstrecken. Siehe hierzu MüKoAktG/Spindler, § 93 Rn. 74. In diese Richtung zutreffend auch



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen265

aktienrechtlicher Wertungen nicht an der Art der verletzten Rechtsnorm, sondern an Intensität und Schädlichkeit der zum Schadenersatz führenden Handlung zu orientieren. Legt der Aufsichtsrat innerhalb der Abwägung einen solchen Maßstab zugrunde, folgt daraus, dass er zumindest solche Legalitätspflichtverletzungen des Vorstands zu verfolgen hat, die eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten und für die AG – etwa aufgrund eines hohen Verschuldensmaßes, der extremen Schadenshöhe oder wegen des kriminellen Einschlags der Handlung – schlichtweg nicht hinnehmbar sind.697 Um im Rahmen der Abwägung einen Vorrang der Legalitätspflicht vor den grundsätzlich gleichermaßen beachtlichen ökonomischen Belangen auch rechtlich begründen zu können, bedarf es der Klärung, ob sich aus den im Aktiengesetz angelegten Wertungen ableiten lässt, welches Maß bzw. welche Intensität die zu einer beachtlichen Legalitätspflichtverletzung führende Verhaltensweise des Vorstands aus Sicht der AG wenigstens erreichen muss, um eine Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats auszulösen.698 (bb) Durchsetzung und Wertung des § 396 Abs. 1 AktG Eine gesellschaftsinterne Pflicht des Aufsichtsrats zur Durchsetzung des Legalitätsprinzips ergibt sich wertungsmäßig bereits aus § 396 Abs. 1 AktG, Kort, FS Hopt 2010, 993; Bayer, FS K. Schmidt, 2009, 90. Differenzierend Reichert, FS Hommelhoff 2012, 915; Goette, FS Winter 2011, 164. Siehe hierzu allgemein bereits oben Teil 3 B. II. 4. a) aa). 697  Zutreffend in diese Richtung Brand, NZG 2016, 691; Seibt/Schwarz, AG 2010, 312 ff. 698  Ein Abstellen im Rahmen der Abwägung auf die Verletzung von gesetzlichen Vorschriften ließe auch Raum dafür, aus ökonomischen Gründen von einer Verfolgung des Vorstands im Einzelfall abzusehen, wenn lediglich vertragliche Pflichtverletzungen oder die Verletzung nicht sanktionsbewehrter gesetzlicher Vorschriften im Raum stehen. So im Ergebnis auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, S. 925, der den „alleinigen Maßstab des Unternehmenswohls“ ausnahmsweise durch sich aus dem Legalitätsprinzip ergebende Vorgaben ergänzt, wenn der Vorstand gegen sanktionsbewehrte gesetzliche Vorschriften verstößt. Danach gelte  – als Ausfluss der Legalitätspflicht – der „Primat effizienter Sanktionierung“, um zukünftig normwidriges Verhalten auszuschließen. In diese Richtung auch zutreffend Goette, Liber Amicorum Winter 2011, 164, der es mit Blick auf das Unternehmenswohl bei einem „krassen Verstoß“ gegen Compliance-Vorschriften für geboten hält, die betreffenden Personen, die schuldhaft ihre Pflichten verletzt haben, „zu einer möglichst weitgehenden Kompensation des angerichteten Schadens zu zwingen“. Entscheidend für die Annahme einer Verfolgungspflicht im Rahmen der Abwägung ist damit neben dem in der Verfolgung von Schadenersatz liegenden Kompensationselement auch das „Sanktionselement“, das sowohl den übrigen Mitgliedern des Leitungsorgans als auch allen anderen Mitarbeitern der AG vor Augen führt, dass eine Missachtung des Legalitätsprinzips nicht akzeptiert wird. Siehe weitergehend Goette, Liber Amicorum Winter 2011, 164.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

wonach die AG durch Urteil aufgelöst werden kann, wenn durch „gesetzeswidriges Verhalten“ der Verwaltungsträger das Gemeinwohl gefährdet wird. Der Wortlaut des § 396 AktG erfasst Verstöße gegen Gesetze jeder Art, unabhängig davon, ob es sich um strafbewehrte, zivilrechtliche oder verwaltungsrechtliche Normverletzungen handelt.699 Der Vorschrift lässt sich über das Merkmal der „Gemeinwohlgefährdung“ aber auch entnehmen, dass es sich bei dem gesetzeswidrigen Verhalten um einen nachhaltigen und schwerwiegenden Verstoß handeln muss, sodass Bagatellverstöße ausscheiden und nicht zur Auflösung der AG führen.700 Der in der Regelung des § 396 Abs. 1 AktG für sämtliche Gesellschaften701 zum Ausdruck kommende allgemeine Rechtsgedanke des „absoluten Gesetzesvorrangs“ führt im Rahmen der Abwägung zu der grundsätzlichen Wertung, dass „die Einhaltung der Gesetzesbestimmungen dem Gesellschaftsinteresse vorgeordnet ist“702 und der Vorstand gesetzeswidrige Handlungen zu unterlassen hat, die geeignet sind, für rechtlich geschützte Interessen der Allgemeinheit einen erheblichen Nachteil herbeizuführen. Ein Verstoß des Vorstands gegen seine aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 OWiG folgende Pflicht zur Einrichtung eines individuell geeigneten Compliance-Systems ist wegen des erheblichen Schadenspotentials703 ebenso wie eine unmittelbare strafrechtliche Handlung des Vorstands, etwa im Zusammenhang mit der Beteiligung an einem Kartell- oder Korruptionssachverhalt, potentiell geeignet, ein gesetzeswidriges Verhalten im Sinne des § 396 Abs. 1 AktG zu begründen.

699  Der Gesetzesbegriff ist im Sinne von Art. 2 EGBGB i. V. m. Art. 2 EGHGB zu verstehen, wonach jede Rechtsnorm inbegriffen ist. Siehe Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 2010, § 396 Rn. 8; Hüffer/Koch, AktG § 396 Rn. 3; Hölters/Müller-Michaels, AktG § 396 Rn. 5; MüKoAktG/Schürnbrand, § 396 Rn. 7. Die Legalitätspflicht wird normativ auch auf § 93 Abs. 4 AktG gestützt, wonach der Vorstand nur aufgrund eines gesetzmäßigen Beschlusses der Hauptversammlung entlastet werden kann. Siehe MüKoAktG/Spindler, § 93 Rn. 74. 700  Hölters/Müller-Michaels, AktG § 396 Rn. 5; MüKoAktG/Schürnbrand, § 396 Rn. 7. 701  Ähnliche  – dem gleichen Grundgedanken folgende  – Vorschriften finden sich auch in § 62 GmbHG i. V. m. §§ 43, 44 BGB und in § 81 GenG. Siehe auch § 38 KWG. 702  Bayer, FS K. Schmidt 2009, 90; Reichert, FS Hommelhoff 2012, 920. Dezidiert Fleischer, ZIP 2005, 141, 148, wonach in der Vorschrift des § 396 AktG „eindeutig der Vorrang der Gesetzestreue gegenüber allen sonstigen Aspekten der Unternehmensleitung zum Ausdruck kommt“. Zur Wirkung des § 396 AktG siehe auch oben Teil 3 B. II. 4. a) aa). 703  Siehe LG München I, NZG 2014, 346. Siehe zum Schadenspotential auch Kaspar, Krakauer-Augsburger Rechtsstudien, 176.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen267

Der Aufsichtsrat hat daher, um seinerseits nicht gesetzeswidrig zu handeln, zur Sicherung der Legalität in der AG bei einem gesetzeswidrigen Verhalten des Vorstands grundsätzlich tätig zu werden und sich ausgehend von der allgemeinen Wertung des § 396 Abs. 1 AktG die weitergehende Frage zu stellen, ob im Aktiengesetz gegebenenfalls weitere – konkrete – gesetzliche Anknüpfungspunkte existieren, die eine Verfolgung des Vorstands bei einer Legalitätspflichtverletzung durch diesen nahe legen. (cc) Beschränkung der Verfolgungspflicht Neben der allgemeinen Wertung des § 396 Abs. 1 AktG spricht die Wertung des § 148 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AktG dafür704, das Vorliegen einer „erheblichen“ Legalitätspflichtverletzung des Vorstands innerhalb der Abwägung anhand der Intensität und Schädlichkeit der pflichtwidrigen Handlung zu bestimmen und eine Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats erst anzunehmen, wenn der Vorstand eine grobe Pflichtverletzung oder kriminelle Handlung begangen hat. Nach § 148 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AktG ist im Fall der Nichtverfolgung eines Schadenersatzanspruchs durch den Aufsichtsrat eine Aktionärsklage zuzulassen, wenn hinreichende Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch „Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung“ ein Schaden entstanden ist. Orientiert sich der Aufsichtsrat innerhalb der Abwägung an der für die Zulassung der Aktionärsklage geltenden gesetzgeberischen Wertung, führt dies zu dem Schluss, dass er „leichteste oder leichte Verstöße des Vorstands gegen Gesetz oder Satzung“ im Wege der Schadenersatzklage nicht zwingend zu verfolgen hat705, sondern die Verfolgung auf schwerwiegendere Sachverhalte beschränken darf.706 Nach der Intention des Gesetzgebers sollen im Rahmen der Aktionärsklage nur solche Fälle einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden, in denen wegen der „besonderen Schwere der Verstöße eine Nichtverfolgung unerträglich wäre und das Vertrauen in die gute Führung und Kontrolle der Unternehmen erschüttern würde“.707 Im Fall 704  Siehe

312 ff.

auch zutreffend Brand, NZG 2016, 691; Seibt/Schwarz, AG 2010,

705  So ausdrücklich RegBegr UMAG, BT-Drs 15/5092, S. 22; Mock, in: Spindler/ Stilz, AktG, 2010, § 148 Rn. 77. Ausgenommen sind daher Pflichtverletzungen, die in der jeweiligen Branche nicht zu vermeiden sind und in der Regel nur zu kleineren Schäden führen. 706  MüKoAktG/Schröer, § 148 Rn. 30, wonach das Gesetz bei weniger gravierenden Pflichtverstößen eine Nichtverfolgung hinnimmt. Zutreffend auch Werner, CCZ 2010, 147. 707  RegBegr UMAG, BT-Drs 15/5092, S. 22.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

von Unredlichkeiten im Sinne des § 148 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AktG, welche nach Auffassung des Gesetzgebers „stets ins Kriminelle reichende Treupflichtverstöße sind“, ist eine solche Einschränkung jedoch nicht vorzunehmen708, weshalb kriminelle Handlungen des Vorstands stets geeignet sind, die Zulässigkeit einer Aktionärsklage zu begründen.709 Aus § 130 Abs. 1 OWiG folgt zudem der Grundsatz, dass der Vorstand für rechtmäßiges Verhalten in der AG zu sorgen hat und ihn die Pflicht trifft, alle Vorschriften einzuhalten, deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, weswegen die Legalitätspflicht jedenfalls auf solche Handlungen bezogen werden kann, die von § 130 OWiG erfasst werden.710 Hat der Vorstand in der AG kein Compliance-System implementiert, das geeignet ist, die Begehung betriebsbezogener Straftaten auf Mitarbeiterebene aufzuklären, abzustellen und zu ahnden und kam es deshalb zu einer schadenskausalen Straftatbegehung durch Mitarbeiter, stellt dies in Übereinstimmung mit der bereits diskutierten Rechtsprechung des LG München I einen vom Aufsichtsrat als erheblich zu bewertenden Verstoß sowohl gegen dessen gesellschaftsrechtliche Legalitäts- und Organisationspflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG als auch dessen Aufsichtspflicht nach § 130 Abs. 1 OWiG dar. Ist der Vorstand jenseits eines solchen pflichtwidrigen Unterlassens in den strafrechtlichen Sachverhalt sogar unmittelbar verwickelt, liegt ein ins Kriminelle reichender Treupflichtverstoß vor, der als „Unredlichkeit“ zu werten und mit der Aktionärsklage gemäß § 148 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AktG verfolgbar ist. Aus dem Umstand, dass die Voraussetzungen für eine Aktionärsklage vorliegen, folgt zwar nicht auch, dass der Aufsichtsrat eine Zivilklage einzuleiten hat, da die Vorschrift des § 148 Abs. 1 AktG die Rechte der Aktionäre und nicht die des Aufsichtsrats regelt. Gleichwohl ist die Wertung des § 148 AktG auf die Entscheidung des Aufsichtsrats bei der Verfolgung von Schadenersatz gegenüber dem Vorstand dem Grunde nach übertragbar, da beide Konstellationen dasselbe Ziel, nämlich die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der AG, verfolgen und es in Bezug auf die Bestimmung des rele708  RegBegr UMAG, BT-Drs 15/5092, S. 22; Hüffer/Koch, AktG § 148 Rn. 8; MüKoAktG/Schröer, § 148 Rn. 31. Siehe auch LG München I, AG 2007, 458, 459, das „andere schwere Treuepflichtverletzungen, die nicht vorsätzlich erfolgen“ ebenfalls als erfasst ansieht. 709  Bagatellverstöße können aber über § 148 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 ausgeschlossen werden. Siehe auch MüKoAktG/Schröer, § 148 Rn. 31; Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, 2010, § 148 Rn. 77. 710  Siehe hierzu bereits ausführlich oben Teil 3 B. II. 4. a) aa). Für eine solche Einordnung zutreffend auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 921.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen269

vanten Maßes einer Legalitätspflichtverletzung rechtlich keinen Unterschied darstellt, ob der Anspruch durch den Aufsichtsrat oder die Aktionäre im Interesse der Gesellschaft verfolgt wird. (f) S  chlussfolgerung: Verfolgungspflicht bei erheblicher Legalitätspflichtverletzung Die im Aktiengesetz angelegte Wertung führt im Rahmen der Abwägung somit dazu, dass der Aufsichtsrat gehalten ist, einen intern aufgeklärten Verstoß gegen Compliance-Pflichten des Vorstands  – sei es in Form der Nichteinführung eines individuellen Compliance-Systems oder durch unmittelbare Beteiligung an einer betriebsbezogenen Straftat  – als erhebliche Verletzung der Legalitätspflicht zu bewerten und zu verfolgen hat, wenn der AG hierdurch ein Vermögensschaden entstanden ist. Andernfalls käme es auf Organebene im Verhältnis zwischen Aufsichtsrat und Vorstand zu einer Billigung von sanktionsbewehrten Pflichtverletzungen, was gesellschaftsintern wiederum zu einem „leerlaufen“ der organschaftlichen Legalitätspflicht führen würde.711 Ein Absehen von der Verfolgung durch den Aufsichtsrat würde sich nicht nur als Duldung der Missachtung des Legalitätsprinzips durch den Vorstand darstellen712, sondern stünde zudem im Widerspruch zum Gesellschaftswohl, da bei Nichtverfolgung von sanktionsbewehrten Pflichtverletzungen des Vorstands ein Vermögensabfluss durch Geldbußen oder vermögensabschöpfende Maßnahmen in Kauf genommen wird, ohne dass diesem ein gleich- oder höherwertiger Vermögenszufluss gegenüber steht. Eine vom Aufsichtsrat im Wege des Schadenersatzes zu verfolgende „erhebliche“ Verletzung der Legalitätspflicht ist in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung aber auch anzunehmen, wenn sich das Vorstandsmitglied nach Aufklärung der Compliance-Pflichtverletzung darauf beruft, der von ihm begangene, angeordnete oder intern gebilligte straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Gesetzesverstoß habe subjektiv im Interesse der Gesellschaft gelegen oder sei objektiv zu ihrem Nutzen erfolgt.713 Der in § 396 Abs. 1 AktG enthaltene Grundsatz des „absoluten Gesetzesvorrangs“714 sowie 711  Reichert, FS Hommelhoff 2012, 914; ders., ZIS 2011, 119. Zur Legalitätspflicht des Aufsichtsrats Hellwig/Behme, FS Hommelhoff 2012, 344; Habersack, AG 2014, 2; Arnold, ZGR 2014, 85; Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 116 Rn. 95 ff. Zur Legalitätspflicht im Rahmen der Compliance siehe Dreher, FS Goette 2011, 45. 712  Zutreffend in diese Richtung auch Goette, FS Winter 2011, 164. 713  Kort, FS Hopt 2010, 993, der nützliche Pflichtverletzungen zutreffend als Compliance-Verstoß wertet. Siehe auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG § 93, Rn. 36; Fleischer, ZIP 2005, 141, 148; Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn.  73 ff., 77, 182 ff. 714  Reichert, FS Hommelhoff 2012, 914; Bayer, FS K. Schmidt 2009, 90.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

die strafgerichtliche Rechtsprechung bei Bildung „schwarzer Kassen“715 zwingen auch bei „nützlichen“ – und erst recht bei nicht nützlichen – strafoder bußgeldbewehrten Pflichtverletzungen zu der Wertung, dass die Legalitätspflicht dem Gesellschaftsinteresse vorzugehen hat716 und eine Pflichtverletzung auch vorliegt, wenn bei ökonomischer Betrachtung die Sanktion hinnehmbar erscheint, weil der aus der Straftat beziehungsweise Ordnungswidrigkeit folgende Schaden für die AG geringer ist, als der aus der Tat folgende Nutzen.717 Auch diese Wertung spricht jedenfalls bei Criminal-ComplianceVerstößen für ein regelmäßiges Überwiegen der Legalitätspflicht gegenüber anderen vermeintlich im Gesellschaftsinteresse liegenden Belangen.718 Unabhängig von dieser Wertung stellt die konsequente Verfolgung von Ansprüchen ein die Compliance-Kultur der AG im Innen- und Außenverhältnis stärkendes Signal gegenüber dem Vorstand dar, indem dieser abgeschreckt wird, zur Gewinnsteigerung kriminalitätsbezogene Risiken einzugehen. Eine vom Aufsichtsrat streng praktizierte Verfolgung von Ansprüchen, die aus straf- beziehungsweise ordnungswidrigkeitenrechtlichen Handlungen des Vorstands herrühren, ist daher geeignet, die Einhaltung des Legalitätsprinzips durch den Vorstand präventiv zu fördern und repressiv durchzusetzen. Dass der Aufsichtsrat die Beachtung des Legalitätsprinzips durch den Vorstand innerhalb seiner Kompetenzen sicherzustellen hat, zeigt im präventiven Bereich auch die Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen, wonach der Aufsichtsrat verpflichtet ist, einen Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG zu begründen, wenn sich nur auf diese Weise ein rechtswidriges Verhalten des Vorstands verhindern lässt.719 Möchte man die Legalitätspflicht des Vorstands nicht nur präventiv, sondern auch repressiv absichern und der 715  BGH, NStZ 2009, 151, wonach der Eintritt eines endgültigen Vermögensschadens i. S. d. § 266 StGB auch dann vorliegt, wenn das Anlegen „schwarzer Kassen“ in der Absicht geschah, das Geld zum Vorteil des Unternehmens zu verwenden. Zutreffend Reichert, FS Hommelhoff, 2012, 914. In diese Richtung auch MüKoAktG/ Spindler, § 93 Rn. 93. 716  Kort, FS Hopt 2010, 993; Fleischer, ZIP 2005, 148; ders., in: Spindler/Stilz, AktG, 2010, § 93 Rn. 36; Cahn, WM 2013, 1294; Bayer, FS K. Schmidt, 2009, 91. Auch der Gesetzgeber teilt die Auffassung, dass die Pflichtwidrigkeit von Gesetzesverstößen nicht entfällt, nur weil sie im Interesse der AG begangen wurden, Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, 11. 717  Eine vornehmlich im amerikanischen Schriftum vertretene Theorie des „effizienten Rechtsbruchs“, sog. „efficient breach of public law“, ist abzulehnen. Siehe hierzu Fleischer, ZIP 2005, 141, 146 f.; Bayer, FS K. Schmidt, 2009, 91; U. H. Schneider, FS Hüffer 2010, 909. Aus der rechtsökonomischen Literatur Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, 479 ff. Zu dem aus § 396 Abs. 1 AktG folgenden Regelungsgehalt Teil 3 B. II. 4. a) aa). 718  Zutreffend in diese Richtung auch Goette, Liber Amicorum Winter 2011, 164. 719  BGHZ 124, 111, 127. Siehe hierzu die obigen Ausführungen in Teil 2 B. I. 2. h) cc).



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen271

in § 396 Abs. 1 AktG angelegten Wertung tatsächlich auch Geltung verschaffen, ist bei einer vom Aufsichtsrat festgestellten Compliance-Pflichtverletzung durch den Vorstand dem Legalitätsprinzip Vorrang einzuräumen. Es hat sich daher bei der Abwägung gegenüber den rein ökonomischen Belangen des Gesellschaftswohls durchzusetzen, wenn der Vorstand erheblich gegen die ihm obliegende Legalitätspflicht verstößt und für die AG ein bezifferbarer Vermögensschaden entstanden ist.720 (5) Zwischenergebnis bezüglich Legalitätspflicht Die Verletzung der dem Vorstand gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG, 130 Abs. 1 OWiG obliegenden Compliance Pflicht in Form der Nichteinführung eines tauglichen Compliance-Systems mit der Folge, dass es zu einer Straftatbegehung auf Mitarbeiterebene kam, ist vor diesem Hintergrund ebenso wie die unmittelbare Beteiligung des Vorstands an einer straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Pflichtverletzung geeignet, einen erheblichen Verstoß gegen die Legalitätspflicht zu begründen. Der Aufsichtsrat hat hierdurch entstandene Schäden regelmäßig im Wege des Schadenersatzes zu verfolgen. cc) Ergebnis bezüglich Verfolgungspflicht bei Compliance-Verstößen des Vorstands Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats keine „normative Regelverfolgungspflicht“721 in dem Sinne trifft, dass diese ohne Rücksicht auf das Unternehmensinteresse bedingungslos Schadenersatzansprüche gegenüber dem Vorstand zu verfolgen haben.722 Vielmehr gilt auch für sie nach der gesetzlichen Ausgangslage gemäß §§ 116 S. 1, 112 S. 1 i. V. m. 93 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 AktG der Grundsatz, dass sich die Mitglieder des Aufsichtsrats bei der Verfolgung von Schadenersatzansprüchen am 720  Zur Notwendigkeit der konsequenten Sanktionierung von Gesetzesverstößen Redeke, ZIP 2008, 1549, 1557; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2178; U. H. Schneider, ZIP 2003, 649 f.; Reichert, FS Hommelhoff 2012, 915; Goette, FS Winter 2011, 164; Dreher, FS Goette 2011, 45. 721  Reichert, FS Hommelhoff 2012, 925. 722  Zutreffend in diese Richtung Reichert, FS Hommelhoff 2012, 922  ff., 925; Goette, Liber Amicorum Winter 2011, 164 ff.; ders., FS Hoffmann-Becking 2013, 387; Paefgen, AG 2008, 762; Eichner/Höller, AG 2011, 893; MüKoAktG/Habersack, § 111 Rn. 37; ders. NZG 2016, 321, 327; Bieder, NZG 2015, 1185. Für einen begrenzten Beurteilungs- und Ermessensspielraum Kort, FS Hopt 2010, 999. Für eine generelle „Verfolgungspflicht“ wohl Koch, NZG 2014, 936; ders., AG 2009, 94 ff. Hiergegen zutreffend Habersack, NZG 2016, 322.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Unternehmenswohl zu orientieren haben.723 Dies bedeutet, dass sie neben der Prüfung, ob die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruches in tatsächlicher Hinsicht vorliegen und der Anspruch durchsetzbar ist, im Rahmen einer am Unternehmenswohl orientierten Abwägung zu prüfen haben, ob und in welchem Umfang sie einen als durchsetzbar angesehenen Anspruch gegenüber dem Vorstand verfolgen. Dabei haben sie sowohl die für als auch gegen eine Verfolgung sprechenden Umstände abzuwägen. Bei compliancebezogenen Sachverhalten sprechen für eine Verfolgung von Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Vorstand regelmäßig das Risiko eines Reputationsschadens im Fall der Nichtgeltendmachung sowie das vom Aufsichtsrat im Wege des Schadenersatzes durchzusetzende Legalitätsprinzip. Gegen eine Verfolgung sprechen insbesondere die Kosten der Sachverhaltsaufklärung sowie das Risiko, durch einen öffentlich geführten Zivilprozess, sensible Informationen der AG offenlegen zu müssen. Kommt es in der AG infolge der pflichtwidrigen Nichteinführung eines Compliance-Systems durch den hierfür zuständigen Vorstand zu einer schadenkausalen Straftatbegehung auf Mitarbeiterebene, liegt hierin eine bußgeldbewehrte Aufsichtspflichtverletzung durch den Vorstand gemäß § 130 Abs. 1 OWiG.724 Begeht der Vorstand unter Missachtung seiner im Innenund Außenverhältnis wirkenden Legalitätspflicht unmittelbar eine das Vermögen der AG schädigende Straftat zum Nachteil der AG beziehungsweise gegenüber Dritten, liegt sogar die Verletzung einer Strafnorm vor. In beiden Fällen führt die vom Aufsichtsrat bei der Frage der Anspruchsverfolgung vorzunehmende Abwägung zu einem Überwiegen der Legalitätspflicht im Verhältnis zu sonstigen im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Aspekten und begründet eine Verfolgungspflicht des insoweit zuständigen Aufsichtsrats. Ein dem Aufsichtsrat nach hier vertretener Auffassung bei der Frage der Anspruchsverfolgung zukommender Beurteilungs- und Ermessensspielraum reduziert sich wegen der in dem straf- beziehungsweise ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verstoß liegenden erheblichen Legalitätspflichtverletzung auf Null.725 Die vom Aufsichtsrat in eigener Kompetenz vorzuneh723  Reichert, 724  Siehe

FS Hommelhoff 2012, 925. hierzu ausführlich Teil 3 B. III. 2. a); Teil 3 B. III. 2. a) cc) und Teil 3

B. III. 2. a). 725  Zu demselben Ergebnis gelangt die ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung. Sie führt aufgrund der Annahme, dass dem Aufsichtsrat bei der Entscheidung über die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen „kein autonomer unternehmerischer Entscheidungsspielraum“ zukommt, erst recht dazu, dass der Aufsichtsrat eine schadenskausale Compliance-Pflichtverletzung des Vorstands zu verfolgen hat, wenn durch die Pflichtverletzung ein Schaden für die AG entstanden ist. Aus ihr lässt sich zwar nicht reflexartig der Schluss ziehen, dass der Aufsichtsrat zu einer bedingungslosen Inanspruchnahme des Vorstands stets verpflichtet ist und alle denkbaren CompliancePflichtverletzungen des Vorstands zu verfolgen hat, da die durch sie bewirkte Be-



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen273

mende Abwägung führt daher im Zusammenspiel mit der Rechtsprechung des LG München726 bei Vorliegen eines schadenskausalen Compliance-Verstoßes des Vorstands im Ergebnis dazu, dass der Aufsichtsrat den der AG hierdurch entstandenen Vermögensschaden gemäß §§ 112 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1, 116 S. 1 AktG im Wege der Schadenersatzklage regelmäßig zu verfolgen hat. Die schadenskausale Verletzung der Pflicht zur Implementierung eines an den individuellen Bedürfnissen der AG ausgerichteten ComplianceSystems durch den Vorstand stellt ebenso wie ein unmittelbar kriminelles Verhalten einen erheblichen und vom Aufsichtsrat im Hinblick auf das Unternehmensinteresse nicht zu rechtfertigenden727 Verstoß gegen die organschaftliche Legalitätspflicht des Vorstands dar728 und verlangt daher auch schränkung des Beurteilungs- und Ermessensspielraums lediglich die Frage der gerichtlichen Nachprüfbarkeit betrifft und selbst der BGH in seiner Entscheidung bei Vorliegen „gewichtiger Gründe“ ein Absehen für zulässig erachtet. Der Aufsichtsrat hat – möchte er ausnahmsweise von einer Verfolgung absehen – daher auch nach der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung die gegeneinander abzuwägenden Umstände festzustellen und sodann eine für und gegen die Verfolgung sprechende Abwägung vor dem Hintergrund des Unternehmensinteresses vorzunehmen. Siehe BGHZ 135, 244, 256. Hierzu auch Goette, FS Hoffmann-Becking 2013, 387; ders., FS Winter 2011, 161 ff.; Reichert, FS Hommelhoff 2012, 922 ff.; Eichner/Höller, AG 2011, 89; MüKoAktG/Habersack, § 111 Rn. 37. Die zentrale Einschränkung durch die ARAG/ Garmenbeck-Rechtsprechung besteht letztlich darin, dass die Unternehmenswohlprüfung des Aufsichtsrats nahezu vollständig der richterlichen Kontrolle unterstellt wird, während der Aufsichtsrat bei Anwendung der Business Judgement Rule für die Nichtverfolgungsentscheidung nur haftbar gemacht werden könnte, wenn diese nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG unvertretbar wäre. Die vom BGH vorgenommene Beschränkung des unternehmerischen Ermessens entbindet den Aufsichtsrat aber nicht von einer Prüfung des Unternehmenswohls, sondern führt aus seiner Sicht zu einer haftungsrechtlichen Unsicherheit, da dieser  – wenn er von der Verfolgung absehen möchte  – die Unternehmenswohlprüfung des Gerichts antizipieren muss, während bei Anwendung der Business Judgement Rule nur eine Vertretbarkeitsprüfung durch das Gericht erfolgen dürfte. Siehe auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 925, der zutreffend von einer „unklaren Fassung“ der Entscheidung spricht. 726  LG München I, NZG 2014, 345. Siehe zum Inhalt dieses Urteils Teil 3 B. II. 4. a) bb) (3). 727  Indiziell kann dabei auf die Schwere des Pflichtverstoßes und das Maß des Verschuldens abgestellt werden. Bedeutung kann auch erlangen, ob der ComplianceVerstoß vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Siehe auch Goette, FS Winter 2011, 164 f. 728  In diese Richtung zutreffend Brand, NZG 2016, 691; Goette, FS Winter 2011, 164, der bei einem „krassen Verstoß gegen Compliance-Vorschriften“, der inbesondere bei Verstößen gegen Korruptionsregeln anzunehmen sei, mit Blick auf das Unternehmenswohl eine „möglichst weitgehende Kompensation des Schadens“ für geboten erachtet. Siehe insoweit auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 925, der die Bedeutung des Legalitätsprinzips innerhalb der Abwägung ebenso anerkennt und zumindest bei einem Verstoß des Vorstands gegen straf- oder bußgeldbewehrte gesetzliche Vorschriften eine „effektive Sanktionierung“ verlangt, wenngleich diese nicht zwingend

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nach Abwägung der für und gegen eine Verfolgung sprechenden Umstände eine Verfolgung. b) Pflicht zur Einleitung von Personalmaßnahmen gegenüber dem Vorstand Im Anschluss an einen intern aufgeklärten Compliance-Sachverhalt stellt sich aus Sicht des Aufsichtsrats neben der Frage der Verfolgung von Schadenersatzansprüchen der AG die weitergehende Frage, ob er gegenüber dem betroffenen Vorstandsmitglied auch personelle Konsequenzen einzuleiten hat. Auf die Befugnis des Aufsichtsrats, Vorstandsmitglieder nach § 84 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, 2 AktG zu bestellen, sowie deren Bestellung bei Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ zu widerrufen und parallel dazu ihren schuldrechtlichen Anstellungsvertrag zu kündigen, wurde in Teil 2 bereits allgemein eingegangen.729 Danach lässt sich festhalten, dass dem Aufsichtsrat bei Ausübung der Personalkompetenz ein Ermessen zukommt und er im Rahmen einer einzelfallorientierten Abwägung zu beurteilen hat, welches Verhalten in tatsächlicher Hinsicht einen wichtigen Grund im Sinne der §§ 84 Abs. 3 S. 1 AktG, 626 Abs. 1 BGB darstellt.730 Auf dieser Basis hat er sodann sämtliche für den Widerruf der Bestellung und für die Kündigung des Anstellungsverhältnisses relevanten Umstände in tatsächlicher Hinsicht zu bewerten und eine Entscheidung zu treffen.731 Mit Blick auf diese gesetzliche Ausgangslage ist nach Bekanntwerden des Compliance-Sachverhalts, an dem der Vorstand mittelbar durch Unterlassen der Einführung eines tauglichen ComplianceSystems oder unmittelbar durch aktive Begehung oder Teilnahme an einer unternehmensbezogenen Straftat beteiligt war, einerseits zu klären, ob die unterlassene Einrichtung eines Compliance-Systems ebenso wie die direkte in der Geltendmachung von Schadenersatz bestehen müsse, sondern durch „andere sanktionierende Verhaltensweisen“ ebenso erreicht werden könne. 729  Zu den Grundlagen der Personalkompetenz des Aufsichtsrats siehe Teil 2 B. I. 2. d). 730  Für ein Ermessen des Aufsichtsrats MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 116. Der Aufsichtsrat hat sich daher bei Betätigung des Ermessens nur am Unternehmenswohl zu orientieren, und die Vor- und Nachteile eines Widerrufs im Rahmen der für ihn insoweit Anwendung findenden Business Judgement Rule abzuwägen. In diese Richtung explizit auch BGHZ 135 (ARAG/Garmenbeck), 244, 254 f. Siehe hierzu auch bereits oben Teil 2 B. I. 2. d) bb). 731  Entschließt sich der Aufsichtsrat, die Bestellung zu widerrufen und das Anstellungsverhältnis zu kündigen, kommt ihm bei der Frage, ob die von ihm in die Abwägung eingestellten Umstände die Annahme eines wichtigen Grundes tatsächlich tragen, kein eigenständiger – einer gerichtlichen Kontrolle entzogener – Beurteilungsspielraum zu. Siehe MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 115; Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn. 34. Siehe auch Teil 2 B. I. 2. d) bb).



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Beteiligung an dem Compliance-Verstoß einen „wichtigen Grund“ gemäß §§ 84 Abs. 3 S. 1 AktG, 626 Abs. 1 BGB darstellt. Andererseits ist aus Sicht des Aufsichtsrats fraglich, ob er bei Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ den Vorstand auch zwingend abberufen muss oder diesen aus Gründen des Unternehmenswohls gleichwohl im Amt belassen darf. aa) Vorliegen eines wichtigen Grundes bei Compliance-Verstoß des Vorstands Zur sachgerechten Betätigung seiner Personalkompetenz hat sich der Aufsichtsrat die rechtlichen Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit der Abberufung und Kündigung des Vorstands zu verdeutlichen. Nach § 84 Abs. 3 S. 1 AktG kann er die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden widerrufen und damit das organschaftliche Verhältnis zwischen diesem und der Gesellschaft beenden732, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein solcher ist gemäß § 84 Abs. 3 S. 2 AktG gegeben bei einer groben Pflichtverletzung, der Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung oder im Fall des Vertrauensentzugs durch die Hauptversammlung sofern das Vertrauen nicht aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist. Ein den Widerruf der Organstellung rechtfertigender Grund liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn aufgrund einer „Einzelfallbeurteilung die Fortsetzung des Organverhältnisses bis zum Ende der Amtstzeit für die Gesellschaft nicht zumutbar“733 ist. Neben dem organschaftlichen Verhältnis kann ebenso das schuldrechtliche Anstellungsverhältnis zwischen AG und Vorstand aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung setzt dies eine zweistufige Prüfung voraus. Der Aufsichtsrat hat danach auf der ersten Stufe zu prüfen, ob der Sachverhalt abstrakt geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.734 Im Anschluss daran ist von ihm auf der zweiten Stufe eine umfassende Einzelfallprüfung und Interessenabwägung vorzunehmen.735 Vor diesem 732  Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 161. Siehe zu diesem allgemein Teil 2 B. I. 2. d) bb). 733  BGH, NZG 2007, 189. 734  Siehe nur BAG, NZA 2009, 1200; BAG NZA 2010, 630; NZA 2010, 1229. 735  Palandt/Weidenkaff, § 626 Rn. 38. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist zu beachten, dass der Gesetzgeber in § 84 Abs. 3 S. 2 AktG und § 626 Abs. 1 BGB zwar

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rechtlichen Hintergrund ist sowohl die Nichteinführung eines ComplianceSystems als auch die unmittelbare Beteiligung des Vorstands an dem Compliance-Verstoß – sei es durch Täterschaft oder Teilnahme an einer straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Pflichtverletzung – geeignet, eine grobe Verletzung der organschaftlichen und vertraglichen Pflichten zu begründen. Schafft der Vorstand keine an den individuellen Bedürfnissen der AG ausgerichteten organisatorischen Vorkehrungen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung unternehmensbezogener Taten, verstößt er gegen seine gesellschafts- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Compliance-Pflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG, da dann im Bereich der kriminalitätsbezogenen Risken kein adäquates Risikomanagement betrieben und über die Vorschriften der §§ 9, 130, 30 OWiG ein nicht unerhebliches Haftungsrisiko im Außenverhältnis geschaffen wird.736 Die Rechtsprechung sieht daher in der unterlassenen Risikovorsorge konsequenterweise auch eine die Abberufung und Kündigung des Vorstands rechtfertigende grobe Pflichtverletzung737 und bewertet das Interesse der AG an der sofortigen Beendigung der Amtszeit höher als das Interesse des betroffenen Vorstandsmitglieds an einer Fortsetzung. Die Kündigung und Abberufung des Vorstands gemäß §§ 84 Abs. 3 S. 1, 2 AktG, 626 Abs. 1 BGB ist vor diesem Hintergrund erst recht gerechtfertigt, wenn aus Sicht des Aufsichtsrats der starke Verdacht besteht, dass der Vorstand an einer strafbaren, in Bezug zu seiner beruflichen Tätigkeit stehenden Handlung beteiligt ist.738 Im Kontext von Compliance-Verstößen entfalten neben dem Tatbestand der Untreue vor allem die Gewährung oder Entgegendenselben Begriff des „wichtigen Grundes“ verwendet, dieser bei Beendigung des Organverhältnisses und des Anstellungsverhältnisses aber selbstständig und in Teilen unterschiedlich auszufüllen ist, da bei Kündigung des Anstellungsvertrages das „Interesse beider Vertragsteile“ zu berücksichtigen ist, während dieses bei Beendigung des Organverhältnisses nicht auch in gleichem Umfang Berücksichtigung findet. Siehe hierzu weitergehend Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 161 f. 736  Hieraus resultiert mindestens die abstrakte Gefahr einer Schädigung des Gesellschaftsvermögens durch Straftatbegehung auf Mitarbeiterebene. Zum zivilrecht­ lichen Schadenspotential bei Nichteinführung eines Compliance-Systems siehe LG München, NZG 2014, 345 f. 737  LG Berlin AG 2002, 682 f.; VG Frankfurt AG 2005, 264 f.; Preußner/Zimmermann, AG 2002, 657; MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 131; Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 164. 738  Siehe hierzu aus der Rechtsprechung BGH, WM 1967, 251; BayObLG, NJW 1955, 1678. Aus der Literatur siehe MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 131; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2010, § 84 Rn. 105. Zutreffend Kort, in: Großkomm AktG, § 84 Rn. 156, der aus dem privaten Bereich nur solche Straftaten ausreichen lässt, die neben einer „imageschädigenden“ Wirkung auch auf die Unzuverlässigkeit des Vorstandsmitglieds schließen lassen.



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nahme von Schmiergeldern durch den Vorstand selbst sowie die Billigung der Führung schwarzer Kassen zur Finanzierung von Schmiergeldzahlungen durch Mitarbeiter zum Zweck der Auftragserlangung Relevanz. Wegen der in der unmittelbaren Straftatbegehung zum Ausdruck kommenden erheblichen Legalitätspflichtverletzung und des damit einhergehenden Verstoßes gegen die organschaftliche Treuepflicht einerseits sowie der damit ebenfalls einhergehenden Störung des Vertrauensverhältnisses andererseits ist die sofortige Kündigung und Abberufung des Vorstands bei einer Straftatbegehung durch diesen auch gerechtfertigt.739 Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Abberufung und Kündigung des Vorstands kann schließlich auch darin liegen, dass der Vorstand den Aufsichtsrat nicht hinreichend über die in der AG betriebenen Compliance-Aktivitäten informiert740 oder sich entgegen der Beratung und Bedenkenäußerung durch den Aufsichtsrat weigert, in der AG ein an den individuellen Bedürnissen der AG ausgerichtetes Compliance-System zu implementieren.741 bb) Handlungspflicht des Aufsichtsrats bei Compliance-Verstoß des Vorstands Der Aufsichtsrat hat sich nach Annahme eines wichtigen Grundes die weitergehende Frage zu stellen, ob er das betroffene Vorstandsmitglied abberuft und kündigt oder gleichwohl im Amt belässt. Bei der Entscheidung über die Abberufung und Kündigung des Vorstands gemäß §§ 84 Abs. 3 S. 1 AktG, 626 Abs. 1 BGB steht dem Aufsichtsrat gemäß §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 AktG nach zutreffender Auffassung zwar ein uneingeschränktes unternehmerisches Ermessen zu742, sodass sich eine Pflicht des Aufsichtsrats zur Abberufung und Kündigung des in einen Compliance-Verstoß verwickelten 739  Für den Bereich der Bestechlichkeit siehe OLG München, AG 2007, 361, 363; BGH WM 1967, 679. Zur rechtswidrigen Aneignung von Gesellschaftsvermögen siehe BGH WM 1984, 29 f. Weitergehend MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 131. Zur präventiven Dimension der Abberufung im Sinne des § 84 Abs. 3 AktG siehe Schwerdt­feger, S.  102 f. 740  Die Verletzung der Berichtspflicht aus § 90 AktG kann als mangelnde Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat gewertet werden und die Abberufung und Kündigung rechtfertigen. Siehe nur BGHZ 20, 239, 246; OLG München AG 2012, 753, 755; LG München, AG 2005, 131 f.; MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 131; Kort, in: Großkomm AktG, § 84 Rn. 155. 741  Hierin kann ein vorwerfbarer Konflikt mit anderen Organen gesehen werden, der bei Überschreiten einer gewissen Erheblichkeitsschwelle die Abberufung und Kündigung rechtfertigt. Siehe weitergehend Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 164. 742  Zutreffend Kort, in: Großkomm AktG, § 84 Rn. 146; MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 127; Cahn, WM 2013, 1294; OLG Stuttgart, NZG 2002, 972.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Vorstands nur ergibt, wenn dessen Weiterbeschäftigung mit dem Gesellschaftswohl nicht vereinbar ist.743 Die vom Aufsichtsrat vorzunehmende, am Unternehmenswohl zu orientierende Abwägung führt bei Vorliegen eines Compliance-Verstoßes letztlich aber aus denselben wie soeben bei der Frage der Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs erörterten Erwägungen, insbesondere wegen der Gefahr eines Reputationsschadens im Fall der Weiterbeschäftigung und zur Wiederherstellung legalen Verhaltens in der AG744 dazu, dass das Gesellschaftswohl regelmäßig die Abberufung und Kündigung des involvierten Vorstandsmitglieds verlangt.745 c) Pflicht zur Stellung von Strafanzeigen gegenüber dem Vorstand Letztlich stellt sich für den Aufsichtsrat nach Bekanntwerden eines Compliance-Verstoßes auf der Ebene der angemessenen Reaktion die Frage, ob er über die Verfolgung von Schadenersatz und die Einleitung personeller Maßnahmen in Form der Abberufung und Kündigung hinaus verpflichtet ist, gegen das betroffene Vorstandsmitglied Strafanzeige zu erstatten746. Dass die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung ausnahmsweise eine Pflicht zur Initiierung eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens begründen kann, wenn interne Untersuchungen den Verdacht ergeben, dass Mitglieder des Vorstands in einen kriminellen Sachverhalt verwickelt sind und eine adäquate Sachverhaltsaufklärung nur durch Rückgriff auf staatliche Ermittlungstätigkeit erreicht werden kann, wurde bereits erörtert.747 Fraglich ist, ob den Aufsichtsrat auch dann eine Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige trifft, wenn der Sachverhalt durch andere Erkenntnisquellen aufgeklärt ist 743  Demgegenüber billigt ein Teil der Literatur dem Aufsichtsrat bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in der Frage, ob er das Vorstandsmitglied abberuft, kein Ermessen zu und nimmt eine „Pflicht zur Abberufung“ an. So etwa Janzen, NZG 2003, 471; Schaefer/Missling, NZG 1998, 445 f.; MüKoAktG/Habersack § 116 Rn. 41; Wiesner, in: Münchner Hdb. zum GesellschaftsR, § 20, Rn. 51; Hölters/HamblochGesinn/Gesinn, § 116 Rn. 27. 744  Für eine Sanktionierung des Vorstands durch Abberufung und Kündigung auch Goette, FS Winter 2011, 164; Reichert, FS Hommelhoff 2012, 921, 925; Habersack, AG 2014, 3. Zur Bedeutung der Legalitätspflicht siehe Teil 3 B. II. 4. a) aa) und Teil 3 C. III 2. a) bb) (4) (e). 745  Für eine Weiterbeschäftigung des betroffenen Vorstandsmitglieds kann im Einzelfall sprechen, dass dieses aufgrund dessen Fachkompetenz für die AG unverzichtbar ist. Siehe Krause, NStZ 2011, 62; Cramer, FS Wessels/Stree 1993, 575 f. 746  Zu dem umgekehrten Fall der Erstattung einer Strafanzeige durch den Aufsichtsrat aus rein präventiven Gründen siehe ausführlich Schwerdtfeger, S.  115 ff. 747  Siehe oben Teil 3 C. III. 1. d) ee).



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen279

und mit der Strafanzeige ausschließlich interne, auf Durchsetzung der Compliance in der AG gerichtete Sanktionszwecke verfolgt werden. Dem Aufsichtsrat kommt auf der Ebene der Reaktion auf Fehlverhalten des Vorstands gemäß §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG wiederum ein Ermessen zu, sodass eine Pflicht zur Stellung einer Strafanzeige zum Zweck der Sanktionierung nur in Betracht kommt, wenn das Gesellschaftswohl die Strafverfolgung des betroffenen Vorstandsmitglieds verlangt. Mit Blick darauf, das die „Bestrafung“ von individuellem Fehlverhalten eine originär staatliche Angelegenheit darstellt, wird eine Pflicht des Aufsichtsrats zur Erstattung einer Strafanzeige nur in sehr seltenen Fällen anzunehmen sein. Das dem Aufsichtsrat zustehende Ermessen verdichtet sich bei abstrakter Betrachtung lediglich in eine Pflicht zur Initiierung eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens, wenn eine angemessene Sanktionierung des Vorstands nur durch Einschaltung staatlicher Behörden sichergestellt werden kann oder andere Sanktionsinstrumente nicht zur Verfügung stehen, keine Aussicht auf Erfolg haben oder wegen Art, Umfang und Intensität der Tat nicht als angemessene Reaktion erscheinen.748 Die Entscheidung, ob die Einschaltung der Ermittlungsbehörden geboten ist, hängt somit auch auf Ebene der Sanktionierung von den Umständen des Einzelfalls ab und lässt sich nicht abschließend für alle denkbaren Compliance-Pflichtverletzungen beurteilen. Die Hinzuziehung staatlicher Ermittlungsbehörden zum Zweck der Sanktionierung des Vorstands wird mit Blick darauf, dass es im deutschen Recht keine allgemeine Pflicht zur Strafanzeige gibt und das Unternehmensinteresse primär die Wiederherstellung des geschädigten Gesellschaftsvermögens sowie rechtmäßiger Zustände in der AG verlangt, nur im Ausnahmefall anzunehmen sein, wenn ein besonders gravierender Compliance-Verstoß, wie etwa die direkte Beteiligung des Vorstands an einem Untreue-, Korruptionsoder Kartellsachverhalt, vorliegt und bei Nichtanzeige mit einem erheblichen Reputationsschaden zu rechnen ist.749 Ein im Einzelfall vom Aufsichtsrat im Unternehmensinteresse zu beachtender und für die Initiierung einer Strafanzeige sprechender Aspekt kann auch die Erzielung eines positiven Abschreckungseffektes für die Zukunft sein.750 748  Reichert, ZIS 2011, 122; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2177. Zur ausnahmsweise bestehenden Pflicht zur Information von Behörden siehe MüKoAktG/Habersack § 116 Rn. 33. 749  Golombek, WiJ 2012, 170; MüKoAktG/Habersack § 116 Rn. 33; Knauer, ZHW 2012, 48; siehe auch Teil 3 B. III. 2. a) cc) (2); Teil 3 C. III. 1. d) ee); Teil 3 C. III. 2. a) bb) (4) (b). 750  Reichert, ZIS 2011, 120. Zur verhaltenssteuernden Wirkung des Strafrechts im wirtschaftlichen Bereich siehe Kaspar, Krakauer Studien, 171 f.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Gleichwohl wird das Unternehmensinteresse die Initiierung einer Strafanzeige zum Zweck der Sanktionierung des Vorstands in der Regel aber nicht zwingend verlangen, da dem Aufsichtsrat mit der Möglichkeit der Schadenersatzklage sowie der Befugnis zur Abberufung und Kündigung des Vorstands ausreichende interne Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die ihm eine Reaktion auf das Fehlverhalten des Vorstands auch im Bereich der Compliance ermöglichen.751 3. Schlussfolgerung bezüglich Handlungspflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands Nach Untersuchung der im Verhältnis zum Vorstand bestehenden aktienrechtlichen Pflichtenlage lässt sich die Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats in der AG dahingehend beschreiben, dass dieser im Innenverhältnis neben der Überwachung der Compliance-Aktivtäten des Vorstands insbesondere zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands verpflichtet ist. Die Pflicht zur Aufklärung von Compliance-Pflichtverletzungen folgt aus § 111 Abs. 1 AktG und wird durch die ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung insoweit konkretisiert, als dass dem Aufsichtsrat im Rahmen der Sachverhaltsermittlung bei Verdacht auf Compliance-Verstöße des Vorstands tatsächlich und rechtlich keine Entscheidungsprärogative zukommt. Für den Aufsichtsrat folgt hieraus, dass er stets Aufklärungsmaßnahmen einzuleiten hat, wenn der Verdacht besteht, dass der Vorstand oder einzelne seiner Mitglieder an einer betriebsbezogenen kriminellen Handlung beteiligt sind, da dann zu besorgen ist, dass es an einer objektiven und unvoreingenommenen Sachverhaltsaufklärung durch den Vorstand fehlt und sich für eine spätere Schadenersatzklage keine taugliche Tatsachenbasis ermitteln lässt. Zum anderen trifft den Aufsichtsrat im Verhältnis zum Vorstand eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung, wenn der Verdacht besteht, dass der Vorstand seiner gesellschafts- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Pflicht nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 OWiG zur Einführung und Durchsetzung eines an den individuellen Bedürfnissen der AG orientierten Compliance-Systems nicht oder nicht hinreichend nachkommt und auf Mitarbeiterebene keine geeigneten organisatorischen Maßnahmen zur Sicherstellung der Legalität schafft. Aus Sicht des Aufsichtsrats ist dann nicht aus751  Auch die aus dem Anstellungsverhältnis folgende Fürsorgepflicht sowie das Risiko eines Sanktionsschadens sprechen aus Sicht der AG gegen die Erstattung einer Strafanzeige. Siehe hierzu Reichert, ZIS 2011, 121. Zur Bedeutung der Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats bei Erstattung einer präventiv intendierten Strafanzeige siehe Schwerdtfeger, S. 116.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen281

schließbar, dass es infolge der mangelnden Risikovorsorge auf Mitarbeiterebene zu einer Straftatbegehung kommt, die als relevante Aufsichtspflichtverletzung des Vorstands nach §§ 9, 130, 30 OWiG für die AG ein  – im Extremfall sogar existentielles – Außenhaftungsrisiko begründet. Parallel zu der Pflicht bei dem Verdacht auf Compliance-Verstößen durch den Vorstand eine adäquate Sachverhaltsaufklärung zu betreiben, trifft den Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 1 AktG die Pflicht, ein von ihm als rechtswidrig erkanntes Verhalten des Vorstands im Rahmen seiner Handlungsmöglichkeiten abzustellen.752 Dies kann im präventiven Bereich durch Meinungs- und Bedenkenäußerung oder Begründung eines Zustimmungsvorbehalts nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG und im repressiven Bereich durch Abberufung und Kündigung erfolgen.753 Lässt sich aus Sicht des Aufsichtsrats eine Pflichtverletzung des Vorstands präventiv nicht verhindern oder erlangt er erst später Kenntnis von einer Verletzung der Compliance-Pflicht durch den Vorstand, ergibt sich für ihn im repressiven Bereich die Pflicht, auf das konkrete Fehlverhalten des Vorstands zu reagieren.754 Eine Pflicht zur angemessenen Reaktion folgt für ihn aus seiner Funktion als Überwachungsorgan, die im Verhältnis zum Vorstand neben der Aufklärung und Abstellung vor allem die Durchsetzung des Legalitätsprinzips durch angemessene Sanktionierung erfordert.755 Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben bei der Frage, wie sie auf ein Fehlverhalten des Vorstands reagieren, die Bedeutung des Legalitätsprinzips sowie die Schwere des festgestellten Compliance-Verstoßes756 zu berücksichtigen. Ausgangspunkt für eine „angemessene“ Reaktion gegenüber dem Vorstand ist die Frage, welche Art der Sanktionierung tauglich erscheint, um dem Sanktionszweck in Form der Legalitätssicherung und Durchsetzung des Compliance-Gedankens einerseits sowie der Prävention künftiger Compliance-Verstöße andererseits Rechnung zu tragen.757 Neben der Geltendma752  Zutreffend in diese Richtung Habersack, AG 2014, 2; Grunewald, NZG 2013, 845. 753  Siehe

hierzu die obigen Ausführungen in Teil 2 B. I. 2. Aufsichtsrat schuldet gegenüber der AG grundsätzlich nur eine „angemessene“ Reaktion und ist nicht verpflichtet, jede denkbare Pflichtverletzung des Vorstands zu verfolgen. Siehe in diese Richtung auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 921, 925. 755  Den Rechtsgrund für eine Pflicht des Aufsichtsrats zur „effizienten Sanktionierung“ des Vorstands sieht in der Legalitätspflicht auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 921, 925. In diese Richtung allgemein auch Dreher, FS Goette 2011, 45. 756  Für eine Verfolgungspflicht bei einem „besonders großen Vermögensverlust“ Hölters/Hölters, AktG § 93 Rn. 109; Mengel, CCZ 2008, 88. 757  Für eine Orientierung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter Rückgriff auf die Kriterien der „Erforderlichkeit“, „Geeignetheit“ und „Angemessenheit“ Reichert, ZIS 2011, 122. In diese Richtung auch Hüffer/Koch, AktG § 76 Rn. 16. 754  Der

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

chung von Schadenersatz gemäß §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AktG nach Maßgabe der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung kommt die Abberufung und Kündigung des in den Compliance-Fall verwickelten Vorstandsmitglieds nach §§ 84 Abs. 3 AktG, 626 Abs. 1 BGB sowie, bei besonders schwerwiegenden Verstößen, im Einzelfall auch die Erstattung einer Strafanzeige in Betracht. Aus dem Aktiengesetz lässt sich zwar keine generelle Pflicht des Aufsichtsrats in der Gestalt ableiten, dass dieser stets und ohne Rücksichtnahme auf das Unternehmensinteresse gehalten ist, jede Pflichtverletzung des Vorstands zu verfolgen.758 Bei der Frage einer angemessenen Ahndung ist aus Sicht des Aufsichtsrats jedoch das Unternehmenswohl maßgeblich, sodass er bei Auswahl und Anordnung der ihm zur Verfügung stehenden Reaktionsmöglichkeiten alle für und gegen eine Sanktionierung sprechenden Gesichtspunkte vor dem Hintergrund des Unternehmenswohls abzuwägen hat.759 Besondere Bedeutung kommt dabei dem Legalitätsprinzip zu. Ein dem Aufsichtsrat bei der Sanktionsauswahl dem Grunde nach zukommendes Ermessen verdichtet sich vor diesem Hintergrund bei einer schadenskausalen Verletzung der Compliance-Pflicht durch den Vorstand – sei es durch Nichteinführung eines Compliance-Systems oder durch unmittelbare Beteiligung an einer kriminellen Handlung – wegen des Risikos eines Reputationsschadens im Fall der Nichtverfolgung und aufgrund des wertungsmäßigen Vorrangs der Legalitätspflicht im Rahmen der Abwägung bei erheblichen Gesetzes- und Regelverletzungen und kriminellen Verhaltensweisen gegenüber sonstigen im Gesellschaftsinteresse liegenden Belangen in eine Handlungspflicht.760 Neben der Kompensation des Vermögensschadens im Wege des Schadenersatzes verlangt dies regelmäßig auch die Abberufung und Kündigung des compliance-pflichtwidrig handelnden Vorstandsmitglieds. Das Unternehmenswohl erfordert demgegenüber aus Sanktionsgründen nicht zwingend auch die Erstattung einer Strafanzeige.761 Nach der gesetzli758  In diese Richtung Reichert, FS Hommelhoff 2012, 925; Goette, FS Winter 2011, 153, 161, 166. A. A. Koch, NZG 2014, 934 ff.; ders., AG 2009, 93 ff.; Teil 3 C. III. 2. a) bb) (4) (f). 759  Die Funktion des Aufsichtsrats ist nicht mit der eines Staatsanwalts vergleichbar, dem bei der Frage der Anklageerhebung kein Ermessen eingeräumt ist. Zutreffend Eichner/Höller, AG 2011, 893. 760  Ein Vorrang der Legalitätspflicht ist anzunehmen bei Gesetzesverletzungen und Handlungen des Vorstands, die zu einer Verletzung von straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Normen führte. Vgl. Reichert, FS Hommelhoff 2012, 925; Goette, FS Winter 2011, 153 ff. 761  Anders kann dies jedoch im Bereich der Sachverhaltsaufklärung zu beurteilen sein, wenn nur durch Einschaltung der staatlichen Ermittlungsbehörden die tatsächliche Grundlage für eine Schadenersatzklage ermittelt werden kann. Siehe hierzu auch Teil 3 C. III. 1. d) ff).



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen283

chen Ausgangslage ist der Aufsichtsrat daher nicht verpflichtet, das ihm zur Verfügung stehende Sanktionsinstrumentarium im Sinne einer „zero tolerance“-Strategie stets mit der maximalen Härte durch Verfolgung von Schadenersatz, Kündigung und gleichzeitiger Erstattung einer Strafanzeige auszuschöpfen.762

IV. Handlungspflichten des Aufsichtsrats gegenüber Unternehmensmitarbeitern? Der Aufsichtsrat ist zwar berechtigt und im Einzelfall verpflichtet, zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands auf leitende Angestellte zuzugreifen, um die zur Erfüllung seines Überwachungsauftrags aus § 111 Abs. 1 AktG relvanten Informationen zu erlangen763. Hieraus folgt aber nicht, dass den Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 1 AktG eine Pflicht, etwa in Form einer Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung bei Verdacht auf Non-Compliance auf Mitarbeiterebene sowie eine Pflicht zur Abstellung und Ahndung des Fehlverhaltens gegenüber leitenden Unternehmensangehörigen trifft. Insoweit fehlt es an einer Zuständigkeit des Aufsichtsrats.764 Eine generelle Befassung mit Compliance-Fällen auf Mitarbeiterebene durch den Aufsichtsrat würde vielmehr einen Verstoß gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung darstellen und zugleich dem als Nebenamt ausgestalteten Amt des Aufsichtsrats widersprechen.765 Die Annahme einer unmittelbaren Verantwortlichkeit zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Compliance-Pflichtverletzungen auf Mitarbeiterebene scheitert aber auch daran, dass der Aufsichtsrat gegenüber Mitarbeitern nach dem Aktienrecht nicht über dieselben Informationsmöglichkeiten verfügt, wie im Verhältnis zum Vorstand.766 Insbesondere existiert keine dem § 90 Abs. 1 AktG vergleichbare Regelung, weswegen leitende Angestellte auch nicht verpflichtet hierzu auch Reichert, ZIS 2011, 119. hierzu oben Teil 2 B. I. 1. b) bb) (3). 764  Siehe hierzu oben Teil 3 C. I. 765  Zutreffend Habersack, AG 2014, 3; Arnold ZGR 2014, 86; Reichert/Ott, NZG 2014, 245; Kort, FS Hopt 2010, 997; Dreher, FS Goette 2011, 50 f.; Lutter, FS Hüffer 2010, 617; Winter, FS Hüffer 2010, 1108; 1119 f.; a. A. Hüffer/Koch, AktG, § 111 Rn. 4; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rn. 9. Zum Charakter des Aufsichtsratsamtes oben Teil 2 A. II. 766  Zutreffend in diese Richtung Habersack, AG 2014, 3. Eine einvernehmliche Übertragung der Compliance-Überwachung auf Mitarbeiterebene zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ist aktienrechtlich unzulässig, da hierin ein Verstoß gegen den nicht delegierbaren Kernbereich der unternehmerischen Leitung läge. Siehe auch Urban, GWR 2013, 107 sowie Teil 3 B. II. 4. 762  Siehe 763  Siehe

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sind, an den Aufsichtsrat zu berichten. Eine durch Informationsordnung auf leitende Mitarbeiter im Einvernehmen mit dem Vorstand gleichwohl begründbare Zugriffsmöglichkeit dient ausschließlich der Überwachung des Vorstands und nicht auch der Mitarbeiterüberwachung, sodass den Aufsichtsrat wegen dieser Unterschiede im Ergebnis keine Compliance-Pflicht gegenüber leitenden und erst recht nicht gegenüber sonstigen Angestellten trifft.

V. Sorgfaltspflichten des Aufsichtsrats in eigenen Angelegenheiten Von der soeben diskutierten Frage, welche Überwachungs-, Handlungsund Organisationspflichten den Aufsichtsrat treffen, um die ihm im Rahmen seiner Compliance-Verantwortung obliegende Pflicht zur Überwachung des Vorstands einerseits und die Pflicht zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von dessen Fehlverhalten andererseits sicherstellen zu können, ist zu unterscheiden, wie der Aufsichtsrat seine Arbeit als Organ der AG zu organisieren hat. Die Mitglieder des Aufsichtsrats trifft als Kollegialorgan767 ebenso wie den Vorstand nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 AktG insbesondere die Pflicht, sich rechtmäßig zu verhalten, wechselseitig zu überwachen und organintern darauf hinzuwirken, dass sich die Organmitglieder rechtmäßig verhalten.768 Hieraus folgt, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats neben der Pflicht zur Einhaltung gesetzlicher und sonstiger in der Satzung oder Geschäftsordnung enthaltenen Regeln769 auch eine organisatorische Pflicht trifft, organintern eine wechselseitige Überwachung und Normeinhaltung sicherzustellen.770 Der Aufsichtsrat hat sich hinsichtlich der ihm insoweit obliegenden Legalitäts- und Organisationspflicht die Frage zu stellen, welche Risiken ihn als Organ treffen und durch welche organisatorischen Maßnahmen er diese steuern und überwachen kann. Die für den Gesamtaufsichtsrat bei der Organisation der eigenen Arbeit aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG folgende Legalitäts- und Organisationspflicht lässt sich auch als organinterne, auf rechtmäßige Organisation der eigenen Tätigkeit und Überwachung normgerechten 767  Siehe

zur Organstellung des Aufsichtsrats oben Teil 2 A. II. FS Hopt 2010, 998; Dreher, FS Goette 2011, 46; MüKo/Habersack § 116, Rn. 34, 35; Hüffer/Koch, AktG, § 116 Rn. 2; Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 116 Rn. 118; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 116 Rn. 11 f. Diese Pflicht lässt sich auch als Legalitätspflicht bezeichnen. Siehe hierzu auch Hellwig/Behme, FS Hommelhoff 2012, 351 f.; Vetter, FS Winter 2011, 703, 714. 769  Kort, FS Hopt 2010, 998, der diese Pflicht zutreffend als „selbstverständlich“ bezeichnet. Siehe auch Vetter, FS Winter 2011, 703 f. 770  MüKo/Habersack § 116, Rn. 35. 768  Kort,



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen285

Verhaltens im Aufsichtsrat gerichtete Compliance-Pflicht bezeichnen.771 Für den Aufsichtsrat relevante Compliance-Themen lassen sich nicht abschließend definieren, sondern stehen in Abhängigkeit zur Größe des Aufsichtsrats sowie dem Betätigungsfeld der AG und sind anhand der individuellen Gegebenheiten im Aufsichtsrat zu ermitteln.772 Die von ihm zur Wahrung der „eigenen Compliance“ geschuldeten organisatorischen Maßnahmen unterscheiden sich in eigenen Angelegenheiten von den oben dargestellten organisatorischen Maßnahmen und Handlungspflichten, die der Aufsichtsrat zur Überwachung des Vorstands schuldet, da sie nur die spezifischen Themen des Aufsichtsrats sowie dessen Arbeitsweise in den Blick nehmen. Neben Fragen der Abrechnung von Sitzungsgeldern und dem Umgang mit Zuwendungen im Aufsichtsrat dürfte aus Sicht des Aufsichtsrats unter ComplianceAspekten insbesondere der Anzahl von Aufsichtsratsmandaten einzelner Mitglieder, den Themen Interessenkollision und Geheimniswahrung sowie den Kriterien für eine professionelle Besetzung des Aufsichtsrats Bedeutung zukommen.773 Auch der Umgang mit Berater- und Kreditverträgen zwischen Mitgliedern des Aufsichtsrats und der Gesellschaft im Sinne der §§ 114, 115 AktG774 sowie die Reaktion auf konkrete Verdachtsmomente gegen Mitglieder des Aufsichtsrats und die sich daran anschließende Frage der Sachverhaltsaufklärung bilden einen zentralen Gegenstand der organinternen „Aufsichtsrats-Compliance“. Zur Vermeidung einer zivilrechtlichen Haftung gegenüber der AG infolge eines Verstoßes gegen seine organschaftliche Legalitäts- und Organisationspflicht ist der Aufsichtsrat gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG aufgefordert, seine eigene Arbeitsweise im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben zu organisieren775 und sicherzustellen, dass sich 771  In diese Richtung explizit Vetter, FS Winter 2011, 703; ders., FS Graf v. Westphalen 2010, 736. Siehe hierzu auch die Definition von Compliance oben in Teil 3 A. III. 772  Für die Aufgaben des Aufsichtsrats ist z. B. von Bedeutung, ob es sich um eine börsennotierte AG handelt oder nicht, da eine Entsprechenserklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex nach § 161 AktG nur bei Börsennotierung abzugeben ist. 773  Siehe insoweit auch Härig, Der Aufsichtsrat, 2011, 21; Vetter, FS Winter 2011, 716 f. 774  Siehe hierzu unter Compliance-Gesichtspunkten Vetter, FS Winter 2011, 716 f. 775  Eine effektive Arbeitsweise setzt voraus, dass der Aufsichtsrat eine ordnungsgemäße Zusammensetzung und Besetzung sicherstellt und einen Aufsichtsratsvorsitzenden sowie dessen Stellvertreter nach § 107 Abs. 1 S. 1 AktG wählt. Von Bedeutung ist ferner die Sicherung der Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats, wenn ein Mitglied vorzeitig ausscheidet oder der Hauptversammlungsbeschluss über die Wahl von Mitgliedern wirksam angefochten ist. Auch die Nominierung eines unabhängigen Finanzexperten gemäß § 100 Abs. 5 AktG stellt ebenso wie die Einrichtung, Besetzung und Überwachug von Ausschüssen einen zentralen Teil der Aufsichtsratsarbeit dar und ist vom Aufsichtsrat zu organisieren. Vetter, FS Winter 2011, 705 ff.

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seine Mitglieder rechtmäßig verhalten.776 Für die Mitglieder des Aufsichtsrats resultieren hieraus konkrete Handlungspflichten. 1. Pflicht zur Sicherstellung der Ordnungsmäßigkeit der Aufsichtsratsbeschlüsse Die Pflicht zur Sicherstellung rechtmäßigen Verhaltens im Aufsichtsrat verlangt zunächst von allen Mitgliedern, dafür zu sorgen, dass der Aufsichtsrat keine formell oder materiell fehlerhaften Beschlüsse oder für die AG nachteilige und im Widerspruch zum Unternehmenswohl stehende Entscheidungen trifft.777 Jedes Aufsichtsratmitglied muss daher alles ihm Zumutbare unternehmen, um gesetzes- und satzungswidrige oder schädigende Aufsichtsratsbeschlüsse zu vermeiden.778 Wegen der Bindung der Aufsichtsratsmitglieder an das Unternehmenswohl genügt es nach zutreffender herrschender Auffassung auch nicht, wenn sich das die Rechtswidrigkeit des Beschlusses erkennende Mitglied lediglich der Stimme enthält, sodass es seiner gesetzlichen Verantwortung nur gerecht wird, wenn es seine Bedenken gegen den geplanten Beschlussantrag im Aufsichtsrat deutlich vorträgt, gegen den Beschluss abstimmt und seinen Widerspruch zu Protokoll erklärt.779 Weitergehende Maßnahmen, wie die Herbeiführung der Beschlussunfähigkeit oder die Niederlegung des Aufsichtsratsmandats, können von dem Bedenken äußernden Aufsichtsratsmitglied nach zutreffender Auffassung nicht verlangt werden.780 Erkennt das überstimmte Aufsichtsratsmitglied in der Beschlussfassung der übrigen Mitglieder einen schwerwiegenden Gesetzesverstoß oder droht der AG durch den gefassten Beschluss ein erheblicher Schaden, genügt die ablehnende Stimmabgabe nicht.781 Das überstimmte Mitglied hat weitergehende, der Herstellung eines legalen Zustands dienende Maßnahmen zu ergreifen, wenn es sich nicht selbst 776  Siehe nur Vetter, FS Winter 2011, 703; ders., FS Graf v. Westphalen 2010, 736; Kort, FS Hopt 2010, 998; Dreher, FS Goette 2011, 46; MüKo/Habersack § 116, Rn. 34, 35. 777  Vetter, FS Winter 2011, 714 f.; ders., FS Graf v. Westphalen 2010, 736. 778  MüKo/Habersack § 116, Rn. 38; Vetter, FS Winter 2011, 703; BGH ZIP 2013, 483 Rn. 13; BGH ZIP 2012, 1751 Rn. 12; BGH AG 2012, 677, 678 Rn. 12. 779  Siehe hierzu nur Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 994; Vetter, FS Winter 2011, 715; ders., DB 2004, 2625; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rn. 51; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 116 Rn. 64; OLG Düsseldorf, AG 1995, 416, 417. 780  Vetter, FS Winter 2011, 715; ders., DB 2004, 2623 ff., 2627; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 997. 781  Ein schwerwiegender Gesetzesverstoß ist jedenfalls bei der Verletzung von Strafgesetzen anzunehmen. Siehe MüKo/Habersack § 116, Rn. 38; Vetter, FS Winter 2011, 715.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen287

dem Risiko einer Strafbarkeit wegen Unterlassen aussetzen möchte.782 Neben der Einwirkung auf den Aufsichtsratsvorsitzenden zur Veranlassung einer rechtlichen Prüfung783 kommt die Erhebung einer Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschluss nach § 256 Abs. 1 ZPO in Betracht.784 2. Pflicht zur Überwachung der Ordnungsmäßigkeit der Aufsichtsratsarbeit Parallel zu der Pflicht, rechtswidrige Aufsichtsratsbeschlüsse zu verhindern, trifft die Mitglieder des Aufsichtsrats gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG eine wechselseitige Pflicht zur Überwachung der Ordnungsmäßigkeit der Aufsichtsratsarbeit. Danach ist jedes Mitglied des Aufsichtsrats verpflichtet, pflichtwidriges Verhalten von Mitgliedern zu verhindern.785 Erkennt ein Aufsichtsratmitglied ein Fehlverhalten eines Kollegen, hat es dieses mit den ihm organintern zur Verfügung stehenen Mitteln abzustellen. Dies kann durch Information des Aufsichtsratsvorsitzenden oder bei Hinweisen auf strafrechtlich relevante Pflichtverletzungen – im Extremfall – auch durch Initiierung eines Aufsichtsratsbeschlusses zur Abberufung des betreffenden Mitglieds nach § 103 Abs. 3 AktG erfolgen.786

782  Zu dem konkreten Risiko einer Strafbarkeit wegen Untreue durch Unterlassen siehe OLG Braunschweig, wistra 2013, 73. Aufsichtsratsmitglieder können sich danach nicht darauf berufen, dass bei einer Aufsichtsratssitzung die erforderliche Stimmenmehrheit verfehlt worden wäre. Von der strafrechtlichen Mitverantwortung werden sie nur befreit, wenn sie alles Zumutbare tun, um die notwendige Kollegialentscheidung herbeizuführen. Erlangt der Aufsichtsratsvorsitzende etwa Kenntnis von bevorstehenden, satzungswidrigen Zahlungen an andere Aufsichtsratsmitglieder, ist er in Erfüllung seiner Garantenpflicht gehalten, den Aufsichtsrat gemäß § 110 Abs. 1 AktG einzuberufen, um einen Beschluss gemäß § 108 Abs. 1 AktG zu erwirken, der den Vorstand zur Änderung der rechtswidrigen Vorgehensweise anhält. Einfache Aufsichtsratsmitglieder sind in solchen Fällen angehalten, den Aufsichtsratsvorsitzenden zur Einberufung eines Kontrollgremiums zu veranlassen oder – bei Weigerung des Vorsitzenden – den Aufsichtsrat selbst gemäß § 110 Abs. 2 AktG einzuberufen. 783  In diese Richtung Vetter, FS Winter 2011, 715. 784  MüKo/Habersack § 116, Rn. 38; Vetter, FS Winter 2011, 715; BGH ZIP 2013, 484 Rn. 13, wonach der Aufsichtsrat aufgrund seiner Organstellung im Wege einer gegen die AG gerichteten Feststellungsklage berechtigt ist, die Nichtigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses feststellen zu lassen. Siehe in diese Richtung auch BGH ZIP 2012, 1751 Rn. 12. 785  Siehe MüKo/Habersack § 116, Rn. 34, 35; Kort, FS Hopt 2010, 998; Vetter, FS Winter 2011, 715 f. 786  MüKo/Habersack § 116, Rn. 35; Vetter, FS Winter 2011, 716.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

3. Fazit bezüglich der Sorgfaltspflichten in eigenen Angelegenheiten Den Aufsichtsrat trifft als Kollegialorgan nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG im Innenverhältnis die Pflicht, seine Arbeitsweise effektiv und im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben zu organisieren. Insbesondere haben die einzelnen Mitglieder eine ordnungsgemäße Beschlussfassung sicherzustellen, sich legal zu verhalten und wechselseitig zu überwachen. Dieses in eigenen Angelegenheiten aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG folgende Pflichtenspektrum lässt sich auch als Compliane-Pflicht des Aufsichtsrats bezeichnen, da dessen Mitgliedern neben der selbstverständlichen Pflicht, sich legal zu verhalten auch konkrete Handlungspflichten bei drohender rechtswidriger Beschlussfassung und zur Verhinderung pflichtwidrigen Verhaltens von Kollegen auferlegt werden. Wie der Aufsichtsrat die ihn in eigenen Angelegenheiten treffenden Überwachungs-, Handlungs- und Organisationspflichten effektiv erfüllt, steht aber in seinem organisatorischen Ermessen. Insoweit steht ihm auch frei, sich in eigenen Angelegenheiten Regelungen, etwa im Umgang mit Berater- und Kreditverträgen zwischen der AG und einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern, der Annahme von Zuwendungen oder der Abrechnung von Sitzungsgeldern, zu geben und diese durch einen Ausschuss oder „Compliance-Verantwortlichen“ überwachen zu lassen.

VI. Einfluss der Qualifikation des Aufsichtsrats auf den Sorgfaltsmaßstab Bevor sogleich die strafrechtlichen Risiken der Aufsichtsratstätigkeit unter dem Blickwinkel einer möglichen Untreuestrafbarkeit untersucht werden, ist abschließend noch zu klären, ob und in welchem Maß die Qualifikation eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds Einfluss auf den gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG geschuldeten Sorgfaltsmaßstab nimmt. Fraglich ist insbesondere, ob an Mitglieder des Aufsichtsrats, die aufgrund ihrer Qualifikation über besondere Fachkenntnisse verfügen oder vor ihrer Aufsichtsratstätigkeit dem Vorstand der AG angehörten und deshalb im Bereich der Compliance über „Sonderwissen“787 verfügen, erhöhte Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind, sodass diese ein erhöhtes Haftungsrisiko trifft. Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Frage bildet die Vorschrift des § 111 Abs. 5 AktG, wonach Mitglieder des Aufsichtsrats ihre Aufgaben nicht durch andere wahrnehmen lassen können. Aus dem Gebot der persönlichen und eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung leitet die Rechtsprechung ab, dass jedes Aufsichtsratmitglied solche Mindestkenntnisse und -fähigkei787  Winter,

FS Hüffer 2010, 1123.



C. Pflichten des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen289

ten besitzen oder sich aneignen muss, die zum Verständnis und zur sachgerechten Beurteilung der in der AG anfallenden Geschäftsvorfälle erforderlich sind.788 Ferner hat sich jedes Aufsichtsratsmitglied unter Berücksichtigung von Art und Größe der AG über seine Pflichten und die von ihm zu beachtenden Vorschriften selbständig zu informieren.789 Unter Berücksichtigung der dem Aufsichtsrat nach dem Aktiengesetz übertragenen Aufgaben bedeutet dies, dass die einzelnen Mitglieder unabhängig von ihrer Vorbildung in der Lage sein müssen, die vom Vorstand überlassenen Berichte einschließlich der Compliance-Berichterstattung sowie den Jahresabschluss zu verstehen und kritisch zu würdigen.790 Aufgrund der Vielzahl unternehmerischer Betätigungsformen lassen sich über diese Mindestanforderungen hinaus keine einheitlichen, für alle Aufsichtsräte gleichermaßen geltenden Kriterien festlegen.791 Festhalten lässt sich jedoch, dass das einzelne Aufsichtsratsmitglied nicht über Spezialkenntnisse verfügen muss, sodass für alle „gewöhnlichen“ Mitglieder ein einheitlicher – nur Mindestanforderungen festlegender – Sorgfaltsmaßstab gilt.792 Dieser allgemeine aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG folgende Sorgfaltsmaßstab verschärft sich nach herrschender Auffassung, wenn ein Aufsichtsratsmitglied aufgrund seiner Ausbildung in einem bestimmten Bereich über beruflich erworbenes Spezialwissen oder besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten verfügt und im Rahmen einer konkreten Entscheidungssituation dessen Spezialgebiet betroffen ist.793 Das über „Spezialwissen“ verfügende Aufsichtsratsmitglied ist dann gegenüber der Gesellschaft verpflichtet, dieses einzusetzen.794 788  BGHZ 85, 293 ff., 295 f. Dieser Rechtsprechung folgend MüKo/Habersack § 116 Rn. 24; Hüffer/Koch, AktG, § 116 Rn. 3; Lang/Balzer, WM 2012, 1171. 789  Lang/Balzer, WM 2012, 1171; Hüffer/Koch, AktG, § 116 Rn. 3. 790  Siehe hierzu und zu weiteren Mindestkenntnissen MüKo/Habersack § 116 Rn. 25. 791  MüKo/Habersack § 116 Rn. 24, der zutreffend darauf hinweist, dass die Aufsichtsratstätigkeit in einem multinational agierenden Konzern andere Qualitäten erfordert als diejenige in einer regional tätigen AG. Ebenso Hüffer/Koch, AktG, § 116 Rn. 3. Zu den besonderen Anforderungen von Aufsichtsräten im Bankensektor Lang/ Balzer, WM 2012, 1172. 792  So die herrschende Meinung. Siehe nur BGHZ 85, 293 ff., 295 f.; Lang/Balzer, WM 2012, 1171; Hüffer/Koch, AktG, § 116 Rn. 3; MüKo/Habersack § 116 Rn. 24, 28. 793  BGH NZG 2011, 1271; MüKo/Habersack § 116 Rn. 28; Hüffer/Koch, AktG, § 116 Rn. 4; Lang/Balzer, WM 2012, 1171; Merkt/Mylich, NZG 2012, 529 f., die sogar auf „Spezialwissen“ abstellen, das dieser hätte haben können. Gegen eine pflichtensteigernde Wirkung bei Spezial- und Sonderwissen Hopt/Roth, Großkomm AktG, § 116 Rn. 51 f.; Schwark, FS Werner 1984, 849 f. 794  So die zivilgerichtliche Rechtsprechung. Siehe BGH NZG 2011, 1274; BGH NZG 2006, 712. Auch in der strafrechtlichen Fahrlässigkeitsdogmatik ist ein „Son-

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

Die gleiche Pflicht trifft auch ein ehemaliges Vorstandsmitglied, das im Anschluss an seine Amtszeit in den Aufsichtsrat wechselt, da es im Vergleich zu einem „normalen“ Mitglied des Aufsichtsrats regelmäßig über genauere Kenntnis der internen Abläufe verfügt.795 Dieses „Sonderwissen“ ist aus Sicht des Aufsichtsrats wiederum geeignet, die Effektivität der Überwachung zu steigern und daher in die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats einzubringen.796 Dies führt im Ergebnis dazu, dass sich der Sorgfaltsmaßstab und damit einhergehend auch das zivilrechtliche Haftungsrisiko aus Sicht derjenigen Aufsichtsratsmitglieder, die aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation oder einer früheren Vorstandstätigkeit über Spezial- oder Sonderwissen verfügen, im Vergleich zu anderen Mitgliedern erhöht.797 Eine solche Haftungsverschärfung ist in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung gerechtfertigt, da die Berufung des Aufsichtsratsmitglieds gerade deshalb erfolgt, weil dieses über Spezialkenntnisse verfügt, sodass ein sachlicher Grund für eine haftungsrechtliche Differenzierung vorliegt.798 Die Berücksichtigung besonderer Fähigkeiten bei Bestimmung des Haftungsmaßstabs steht im Einklang mit allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, wonach der Schuldner einer Leistung besondere Fähigkeiten nach § 276 Abs. 1 BGB zur Erfüllung seiner Pflichten einzusetzen hat.799 Nichts anderes kann für Aufsichtsratsmitglieder bei Erfüllung der ihnen nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG obliegenden Sorgfaltspflichten gelten. Mitglieder des Aufsichtsrats, die aufgrund ihrer beruflich erworbenen Qualifikation, etwa als Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer, spezielle Kenntnisse im Bereich Compliance erworben oder infolge einer früheren Vorstandstätigkeit dezidierte Informationen über Mängel im Compliance-System oder konkrete Compliance-Fälle erlangt haben, sind daher zur Vermeidung einer individuellen Haftung gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG verpflichtet, diese an den Gesamtaufsichtsrat weiterzugeben.800 derwissen“ des Täters, welches „im Zeitpunkt der Tat vorhanden oder zumindest aktualisierbar gewesen sein muss“, bei der Bestimmung der Sorgfaltspflichtverletzung zu berücksichtigen. Siehe S/S/Sternberg-Lieben/Schuster, StGB § 15 Rn. 139. Zur strafrechtlichen Diskussion siehe auch ausführlich MüKoStGB/Duttge, StGB § 15 Rn. 117 ff.; BeckOK StGB/Kudlich, StGB § 15 Rn. 45; Kaspar, JuS 2012, 18. 795  Zutreffend Winter, FS Hüffer 2010, 1123. 796  Winter, FS Hüffer 2010, 1123; Claussen/Bröcker, AG 2000, 481, 490. 797  Lang/Balzer, WM 2012, 1171; Winter, FS Hüffer 2010, 1124. 798  Zutreffend in diese Richtung MüKo/Habersack § 116 Rn. 28. 799  BGH NJW 1987, 1479, wonach ein Arzt, der über den zu fordernden Standard hinaus über medizinische Spezialkenntnisse verfügt, diese auch zugunsten des Patienten einzusetzen hat. In diese Richtung zutreffend auch Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rn. 17. Zur Berücksichtigung besonderer Fähigkeiten im Strafrecht siehe S/S/Sternberg-Lieben/Schuster, StGB § 15 Rn. 139. 800  Siehe insoweit auch Winter, FS Hüffer 2010, 1124.



D. Resümee, Fazit und Zusammenfassung der Ergebnisse291

D. Resümee, Fazit und Zusammenfassung der Ergebnisse Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass in der AG sowohl den Aufsichtsrat als auch den Vorstand eine Compliance-Verantwortung trifft und das Pflichtenspektrum mit Blick auf die unterschiedlichen Organfunktionen differenziert zu bestimmen ist. Bei der Bestimmung von Compliance-Pflichten ist aus Sicht des Aufsichtsrats zu berücksichtigen, dass dessen Funktion entsprechend dem gesetzlichen Auftrag aus § 111 Abs. 1 AktG als Überwachungsorgan darin besteht, den Vorstand als Leitungsorgan zu überwachen. Die Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats kann daher nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit der Compliance-Verantwortung des Vorstands gesehen werden, da dieser das primäre Überwachungsobjekt des Aufsichtsrats ist. Dies setzt voraus, dass sich der Aufsichtsrat vergegenwärtigt, was Compliance begrifflich bedeutet und welche Compliance-Pflichten den Vorstand treffen. Erst sodann wird der Blick frei für Grund, Inhalt und Umfang der Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats. Legt man diese aus dem gesetzlichen Auftrag des § 111 Abs. 1 AktG folgende akzessorische Sichtweise zugrunde, lassen sich die Compliance-Pflichten des Aufsichtsrats wie folgt zusammenfassen.

I. Compliance als spezifischer Teil  der Legalitäts- und Organisationspflicht Der im Aktienrecht nicht erwähnte Begriff „Compliance“ bedeutet in seiner allgemeinsten Definition regelkonformes Verhalten. Überträgt man den Begriff auf Unternehmenssachverhalte lässt sich die Sicherstellung und das Streben nach Regelkonformität auch als „Corporate Compliance“ bezeichnen. Corporate Compliance zielt auf die Organisation rechtmäßigen Verhaltens innerhalb eines Unternehmens ab und verlangt von der Gesellschaft, deren Organe sowie den dort beschäftigten Mitarbeitern die Einhaltung der für ihr Handeln verbindlich gesetzten Regeln, was sowohl die Befolgung gesetzlicher Normen als auch die Einhaltung aller betriebsinternen Regelungen voraussetzt. Neben dieser auf Normeinhaltung abzielenden Komponente entfaltet Corporate Compliance aber auch eine weitergehende Dimension und fordert die Schaffung organisatorischer Maßnahmen, die geeignet sind, die Normeinhaltung in der AG sicherzustellen. Die sämtliche Normen umfassende Corporate Compliance lässt sich speziell für den Bereich Criminal Compliance insoweit konkretisieren, als dass durch organisatorische Maßnahmen explizit solche Rahmenbedingungen zu schaffen sind, die gerade straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Normverletzungen in der AG verhindern.

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

II. Compliance-Pflichten des Vorstands de lege lata Ausgehend von einem solchen Begriffsverständnis handelt es sich bei Compliance auch nicht um ein dem deutschen Recht fremdes Phänomen, sondern nur um die begriffliche Umschreibung der im Aktienrecht auf Organebene unmittelbar existierenden Legalitäts- und Organisationspflicht. Für den Vorstand folgt diese im Innenverhältnis aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG. Sie wirkt relativ und ist ausschließlich vom Vorstand in Abhängigkeit zu den individuellen Gegebenheiten der Gesellschaft auszufüllen. 1. Pflicht zur Einführung eines geeigneten Compliance-Systems in der AG Eine für alle Aktiengesellschaften gleichermaßen geltende gesellschaftsrechtliche Pflicht, ein standardisiertes und bestimmte Inhalte umfassendes Compliance-Programm einzuführen, existiert für die sektorunabhängige AG de lege lata zwar nicht. Den Vorstand einer AG trifft zur Vermeidung einer Haftung gegenüber der AG aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG im Innenverhältnis jedoch die Pflicht, überhaupt ein System, ein Konzept oder geeignete Maßnahmen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung betriebsbezogener Straftaten zu schaffen. Wie eine solche Compliance-Organisation im Detail auszugestalten ist, steht im Ermessen des Vorstands, das vom Aufsichtsrat bei der Kontrolle zu akzeptieren ist. Diese im Innenverhältnis bestehende und als Compliance-Pflicht zu bezeichnende Organisationspflicht existiert inhaltsgleich auch im Außenverhältnis und folgt für den Vorstand aus §§ 130 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1, 30 Abs. 1 OWiG. Insoweit schuldet dieser zur Vermeidung einer Außenhaftung, etwa in Form eines über § 30 OWiG direkt gegenüber der AG zu verhängenden Bußgeldes, gleichfalls Maßnahmen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung betriebsbezogener Straftaten. Organisatorische Maßnahmen zur Durchführung der Compliance können neben dem Erlass von internen Richtlinien und Verhaltenskodizes auch die Schaffung klarer Zuständigkeiten auf horizontaler und vertikaler Ebene ebenso wie – bei entsprechender Größe, Risiko- und Gefährdungslage – die Einrichtung einer Compliance-Abteilung sein. Welche Organisation der Vorstand wählt, bleibt letztlich ihm überlassen, solange sie vertretbar erscheint. Die im Innenverhältnis aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG und im Außenverhältnis aus §§ 130 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1, 30 Abs. 1 OWiG folgenden Organisationspflichten interagieren schließlich auch insoweit, als dass eine im Außenverhältnis begangene Aufsichtspflichtverletzung des Vorstands auch eine im Innenverhältnis wirkende Sorgfaltspflichtverletzung darstellt. Umgekehrt strahlt das im Innenverhältnis aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. S. 1 AktG ab-



D. Resümee, Fazit und Zusammenfassung der Ergebnisse293

geleitete Pflichtenspektrum auf die gemäß § 130 Abs. 1 OWiG „erforderliche“ Aufsicht ab. Die im Innen- und Außenverhältnis bestehenden Sorgfaltsund Organisationspflichten decken sich damit im Kern für den Bereich der Criminal Compliance, da der Vorstand sowohl nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG als auch gemäß §§ 130 Abs. 1, 9, 30 Abs. 1 OWiG verpflichtet ist, betriebsbezogene Straftaten auf Mitarbeiterebene aufzuklären, abzustellen und zu ahnden. Eine in diesem Sinne verstande Compliance ist originäre Aufgabe des gesamten Vorstands. Er kann diese im Wege der Ressortaufteilung jedoch horizontal an ein bestimmtes Vorstandsmitglied sowie vertikal an einzelne Mitarbeiter, wie zum Beispiel an einen Compliance-Officer, oder an eine eigene Compliance-Abteilung delegieren. Der Gesamtvorstand bleibt für die Erfüllung der Compliance aber auch dann noch verantwortlich, indem er die Compliance-Verantwortlichen sorgfältig auszuwählen und zu überwachen hat. 2. Pflicht zur regelmäßigen Kontrolle des eingeführten Systems Die aus §§ 76 Abs. 1 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG und § 130 Abs. 1 OWiG folgende Compliance-Verantwortung des Vorstands erschöpft sich nicht in der bloßen Einführung eines Compliance Systems, sondern verlangt zudem, die regelmäßige Anpassung, Fortentwicklung und Kontrolle des eingeführten Systems. Das für Compliance zuständige Vorstandsmitglied trifft folglich die Pflicht, zu prüfen, ob die durch den Compliance-Officer oder die interne Revision berichteten Verstöße auf Mitarbeiterebene auf strukturelle Mängel des eingeführten Compliance-Systems hindeuten. Bei den übrigen Vorstandsmitgliedern verbleibt eine Pflicht zur Überwachung des mit der Wahrnehmung der Compliance beauftragten Vorstandskollegen. Im Ergebnis führt dies dazu, dass sich der Vorstand mit dem Thema Compliance insgesamt und dauerhaft zu befassen hat. 3. Pflicht zur regelmäßigen Berichterstattung an den Aufsichtsrat Wesentlicher Bestandteil der den Vorstand nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG treffenden Compliance-Verantwortung ist die Pflicht zur Sicherstellung einer regelmäßigen, detaillierten und nicht nur anlassbezogenen Compliance-Berichterstattung an ihn. Die ihm insoweit zur Kenntnis gelangten Informationen hat er im Rahmen der Regelberichterstattung an den Aufsichtsrat weiterzuberichten. Fordert der Aufsichtsrat darüber hinaus zusätzli-

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

che Compliance-Berichte an oder ist die Erstattung solcher Berichte in einer Informationsordnung über die in § 90 AktG gesetzlich geregelten Berichtspflichten hinaus geregelt, können den Vorstand insoweit auch individuell verschärfte Berichtspflichten treffen.

III. Compliancebezogene Pflichten des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand Den Aufsichtsrat trifft vor diesem Hintergrund eine zweidimensionale Compliance-Verantwortung. Zum einen hat er nach § 111 Abs. 1 AktG die Erfüllung der Compliance durch den Vorstand, insbesondere die Einführung und regelmäßige Kontrolle eines Compliance-Systems durch diesen, zu überwachen. Zum anderen trifft ihn die Pflicht, Fehlverhalten des Vorstands aufzuklären, abzustellen und zu ahnden. Insoweit ähnelt die Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats derjenigen des Vorstands in Bezug auf die Ebene der Unternehmensmitarbeiter. 1. Pflicht zur Überwachung der Einführung eines tauglichen Compliance-Systems Der Aufsichtsrat hat nach § 111 Abs. 1 AktG zu überwachen, ob der Vorstand der ausschließlich ihm als Leitungsorgan obliegenden Pflicht zur Einführung eines geeigneten und an den individuellen Bedürfnissen der AG ausgerichteten Compliance-Systems, das Maßnahmen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Fehlverhalten auf Mitarbeiterebene enthält, nachkommt. Die Compliance-Überwachung hat er im Normalfall anhand der Regelberichterstattung des Vorstands durchzuführen und sich die Frage zu stellen, ob dieser seiner Compliance- Pflicht nachkommt und ein an den Bedürfnissen der AG orientiertes Compliance-System eingeführt hat und überwacht. Solange keine Verdachtsmomente vorliegen, die darauf hindeuten, dass der Vorstand dieser Pflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist, darf der Aufsichtsrat auf die vom Vorstand berichtsmäßig überlassenen Informationen vertrauen. Ein direkter Zugriff auf Mitarbeiter einschließlich des Compliance-Officers hat daher im Rahmen der Regelüberwachung auch zu unterbleiben, da sich der Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats ausschließlich auf das Handeln des Vorstands bezieht. Die aus § 111 Abs. 1 AktG folgende Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats erfordert eine weitergehende Befassung mit den Compliance-Aktivitäten des Vorstands, wenn der Vorstand entweder überhaupt kein ComplianceSystem, das Maßnahmen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von betriebsbezogenen Straftaten enthält, oder ein offensichtlich untaugliches ­



D. Resümee, Fazit und Zusammenfassung der Ergebnisse295

System in der AG implementiert hat. Der Aufsichtsrat hat dann über die Regelberichterstattung hinaus die ihm nach dem Aktienrecht zur Verfügung stehenden Überwachungsinstrumente aktiv einzusetzen und intensivere Kontrollmaßnahmen einzuleiten. Neben der Anforderung von zusätzlichen Compliance-Berichten, einer präventiv begleitenden Beratung bei der Einführung und Ausgestaltung des Compliance-Systems sowie der Meinungs- und Bedenkenäußerung gegenüber dem Vorstand, kommt ausnahmsweise die gezielte und auf Überwachung des Vorstands beschränkte Befragung von leitenden Mitarbeitern in Betracht. Weigert sich der Vorstand auf die vom Aufsichtsrat geäußerten Bedenken einzugehen und ist dieser nicht bereit, ein an den individuellen Bedürfnissen der AG orientiertes Compliance System zu entwickeln und zu implementieren oder ein bestehendes, aber mangelhaftes System nachzubessern, kann aus Sicht des Aufsichtsrats zur Erfüllung seiner Sorgfaltspflicht die Ergreifung von Personalmaßnahmen nach §§ 83, 84 AktG veranlasst sein. Der Aufsichtsrat kann im Einzelfall schließlich gehalten sein, sich mit einem schwerwiegenden und für die AG existenziellen Einzelsachverhalt zu befassen oder ein vom Vorstand vorzulegendes Compliance-Konzept nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG seiner Zustimmung zu unterstellen. Kam es infolge der Nichteinführung eines Compliance-Systems zu einem das Vermögen der AG schädigenden Compliance-Fall, zum Beispiel durch Einrichtung eines Systems „schwarzer Kassen“ zur Finanzierung von Bestechungszahlungen oder zur Begehung einer Vielzahl gleichgelageter Betrugshandlungen durch eine Fachabteilung, hat der Aufsichtsrat nach §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Vorstand wegen der pflichtwidrigen Nichteinführung eines individuell tauglichen Compliance-Systems zu prüfen und diese unter Beachtung der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung sowie der jüngsten Rechtsprechung des LG München I nach festgestellter Beitreibbarkeit der Forderung regelmäßig auch geltend zu machen. 2. Pflicht zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Fehlverhalten des Vorstands Parallel zu der Pflicht, die Einführung eines individuell tauglichen Compliance-Systems durch den Vorstand zu überwachen, trifft den Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 1, 2 i. V. m. §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG im Verhältnis zum Vorstand die Pflicht zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von dessen Fehlverhalten. Eine solche auf Durchsetzung der Legalitätspflicht gerichtete im Innenverhältnis bestehende Handlungspflicht des Aufsichtsrats folgt gegenüber dem Vorstand aus seiner Stellung als Überwachungsorgan und wird virulent, wenn der Verdacht besteht, dass der Vorstand oder ein-

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Teil 3: Die Complianceverantwortung des Aufsichtsrats in der AG

zelne seiner Mitglieder an einer betriebsbezogenen kriminellen Handlung beteiligt gewesen sein könnten und es hierdurch möglicherweise zu einer Schädigung des Gesellschaftsvermögens kam. Aus Sicht des Aufsichtsrats ist dann zu besorgen, dass die Mitglieder des Vorstands innerhalb der organinternen Aufklärung befangen sind, sodass durch die übrigen Vorstandsmitglieder keine für eine vom Aufsichtsrat später gegebenenfalls einzuleitende Schadenersatzklage hinreichende Sachverhaltsaufklärung stattfindet. Gelangt eine vom Aufsichtsrat sodann in eigener Kompetenz nach §§ 111 Abs. 2, 112 S. 1 AktG durchzuführende interne Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Mitglieder des Vorstands an einer betriebsbezogenen kriminellen Handlung unmittelbar beteiligt waren und aus dieser für die AG ein Schaden entstanden ist, hat der Aufsichtsrat diesen zur Vermeidung eines eigenen Haftungsrisikos aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 AktG gemäß §§ 112 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG unter Beachtung der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung regelmäßig zu verfolgen. Dabei hat er dem Legalitätsprinzip im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Abwägung besondere Bedeutung beizumessen. Ein erkanntes Fehlverhalten des Vorstands hat er aus Gründen des Unternehmenswohls schließlich ebenfalls abzustellen und gegenüber dem betroffenen Vorstandsmitglied nach §§ 83, 84 AktG personelle Maßnahmen zu ergreifen. Das Unternehmenswohl verlangt hingegen nicht auch zwingend die Erstattung einer Strafanzeige.

IV. Sorgfaltspflichten des Aufsichtsrats in eigenen Angelegenheiten Schließlich trifft den Aufsichtsrat als Kollegialorgan der AG nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG die interne Pflicht, seine Arbeitsweise effektiv und im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben zu organisieren. Insbesondere haben die einzelnen Mitglieder eine ordnungsgemäße Beschlussfassung sicherzustellen, sich legal zu verhalten und wechselseitig zu überwachen. Zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung sowie zur Überwachung der Aufsichtsratsarbeit haben die Mitglieder des Aufsichtsrats die ihnen organintern zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen. Das einzelne Aufsichtsratsmitglied ist insbesondere verpflichtet, Bedenken gegen die geplante Beschlussfassung im Plenum vorzutragen, gegen den für rechtswidrig erachteten Beschluss abzustimmen und den vorgetragenen Widerspruch im Protokoll vermerken zu lassen. Zeichnet sich eine Beschluss­ fassung ab, die aus Sicht eines Aufsichtsratsmitglieds einen schwerwiegenden Gesetzesverstoß oder einen für die AG erheblichen Schaden begründen kann, sind weitergehende Maßnahmen, wie etwa die Einwirkung auf den



D. Resümee, Fazit und Zusammenfassung der Ergebnisse297

Vorsitzenden des Aufsichtsrats zur Veranlassung einer rechtlichen Prüfung oder die Erhebung einer auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses gerichteten Klage erforderlich. Dieses in eigenen Angelegenheiten aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG folgende Pflichtenspektrum lässt sich auch als Compliance-Pflicht des Aufsichtsrats in eigenen Angelegenheiten bezeichnen. Verletzen die Aufsichtsratsmitglieder diese, stellt dies im Innenverhältnis eine nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG haftungsrelevante Pflichtverletzung dar.

Teil 4

Einfluss und Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht insbesondere im Bereich der Untreue Im Rahmen der bisherigen Untersuchung wurde bereits deutlich, dass das Pflichtenspektrum des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft durch das Gesellschaftsrecht vorgegeben ist und sich dessen Überwachungs- und Handlungspflichten bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands nach den im Aktienrecht normierten Rechten und Pflichten bestimmen. Bevor hieran anknüpfend untersucht werden kann, ob und unter welchen weiteren Voraussetzungen aus Sicht des Aufsichtsrats die Verletzung der soeben in Teil 3 herausgearbeiteten und im Innenverhältnis zur Aktiengesellschaft existierenden Pflichten für diesen zugleich strafrechtlich relevant werden kann, ist vorab der Einfluss außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht im Allgemeinen und den Tatbestand der Untreue im Besonderen zu bestimmen. Im Anschluss an diese vor die Klammer gezogene Betrachtung des Verhältnisses von primärem und sekundärem Recht schließt sich in Teil 5 die hier interessierende Frage an, ob den Aufsichtsrat auch ein strafrechtliches Haftungsrisiko wegen Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB trifft und welche Anforderungen in strafrechtlicher Hinsicht an die Qualität einer untreuerelevanten Pflichtverletzung zu stellen sind, wenn es in der AG zu CompliancePflichtverletzungen durch den Vorstand kam und der Aufsichtsrat den ihm gegenüber dem Vorstand obliegenden Pflichten nicht oder nicht hinreichend nachgekommen ist.

A. Problemstellung und Entwicklung des Verhältnisses von Zivil- und Strafrecht Die Frage, in welchem Verhältnis das Strafrecht zum Zivil- und zum Öffentlichen Recht und somit zur gesamten außerstrafrechtlichen Rechtsordnung steht, ist bis heute nicht abschließend geklärt.1 Die Diskussion weist 1  Siehe

nur Dierlamm, StraFo 2005, 397.



A. Problemstellung/Entwicklung des Verhältnisses von Zivil- u. Strafrecht299

im rechtswissenschaftlichen Diskurs eine lange Tradition auf und findet in der im Jahre 1885 von Binding begründeten Normentheorie ihren Ausgangspunkt.2 Binding verstand das Strafrecht als einen „großen akzessorischen Rechtsgutsteil“, der wiederum in Abhängigkeit zu den in „allen Rechtsgebieten zerstreut“ liegenden Rechtsgütern und Rechten stünde.3 In Abgrenzung zu dem von Binding markierten Extrempunkt vertrat Robert von Hippel kurze Zeit später im Jahre 1925 einen konträren Standpunkt und ging davon aus, dass das Strafrecht „als grundlegend wichtiger, selbständiger Teil der Rechtsordnung gleichberechtigt“ neben den großen anderen Rechtsgebieten stehe und diesem eine „akzessorische“ Ausgestaltung im Verhältnis zu anderen Rechtsgebieten nur insoweit zukommen könne, als eine Rechtsvorschrift diejenige des anderen Rechtsgebiets als gegeben voraussetzt und auf ihr beruht.4 Im Jahr 1926 befasste sich auch der 34. Deutsche Juristentag mit der Bestimmung des Verhältnisses von Zivil- und Strafrecht und fasste den Beschluss, dass „die Grenze zwischen Recht und Unrecht im bürgerlichen Recht dieselbe sein muss wie im Strafrecht“.5 Diese streng akzessorische Verbindung von Zivil- und Strafrecht wurde in der Zeit des Nationalsozialismus jedoch als zu eng empfunden, sodass mit Blick auf die im dritten Reich vorherrschende „Ideologisierung des Strafrechts“ eine radikale Abkehr von der bisherigen, das Strafrecht als akzessorischen Teil der Gesamtrechtsordnung begreifenden Lehre erfolgte, indem Hans Jürgen Bruns mit seiner ideologisch geprägten Habilitationsschrift6 aus dem Jahr 1938 einen weiteren Extrempunkt markierte und für eine „Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken“ eintrat und eine völlige Loslösung des Strafrechts von zivilrechtlichen Wertungen forderte.7

2  Binding,

Handbuch des Strafrechts, 1885, 9 f. Handbuch des Strafrechts, 1885, 9. 4  Robert v. Hippel, Deutsches Strafrecht Bd. 1, Allg. Grundlagen, Berlin 1925, 31 f., der zu diesem Ergebnis aufgrund einer historischen Betrachtung gelangt und davon ausgeht, dass das Strafrecht „die übrige Rechtsordnung nicht bloß vorfinden“ und zu ihr „hinzutreten“ würde, sondern als eigenes Rechtsgebiet zum „grundlegensten und wichtigsten Urbestands des Rechts“ gehört. Siehe hierzu auch Lüderssen, FS Eser 2005, 165. 5  Verhandlungen des 34. DJT, Bd. 2, 513; Dierlamm, StraFo 2005, 397. 6  Siehe Lüderssen, FS Hanack 1999, 490; Dierlamm, StraFo 2005, 397. 7  Bruns, Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken. Beiträge zu einer selbständigen, spezifisch strafrechtlichen Auslegungs- und Begriffsbildungsmethodik, Berlin 1938, S. 107 ff.; 167 ff. Die Intention für die „Befreiung“ des Strafrechts von zivilistischen Wertungen dürfte wohl darin bestanden haben, unter Berücksichtigung des „gesunden Volksempfindens“ ohne Rücksicht auf tendenziell hinderlich erscheinende zivilrechtliche Begrifflichkeiten (ab-)strafen zu können. Siehe Lüderssen, FS Hanack 1999, 490 f.; Dierlamm, StraFo 2005, 398. 3  Binding,

300 Teil 4: Einfluss u. Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht

Insbesondere Lüderssen sieht in jüngerer Zeit im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts unter Hinweis auf Tiedemann, der von einer „weit reichenden Selbständigkeit strafrechtlicher und teleologischer Begriffe“ spricht8, sowie mit Verweis auf die Meinung Schünemanns, wonach „für eine strafrechtsautonome und gegen eine zivilrechtsakzessorische Bestimmung“ auch „kriminalpolitische“ Argumente sprächen9, die Gefahr einer autonomen strafrechtlichen Begriffsbildung, vor der es nach Auffassung Lüderssens explizit zu warnen gilt.10

B. Die Strafrechtsordnung als sekundärer Teil der Gesamtrechtsordnung Möchte man bei der Standortbestimmung des Strafrechts im Verhältnis zur außerstrafrechtlichen Rechtsordnung eine für die Gegenwart konsistente Position finden, muss diese in Übereinstimmung mit Lüderssen und in Abgrenzung zu den Überlegungen von Bruns ihren dogmatischen Ausgangspunkt in einem Strafrecht finden, das seine Legitimation nicht aus der „Staatsräson“ oder dem „staatlichen Herrschaftswillen“ ableitet11, sondern seine Aufgabe im Rechtsgüter- und damit Opferschutz sowie einer darauf bezogenen Resozialisierung derer sieht, die die durch das Strafrecht gezogenen äußersten Regeln in einer für die Gesellschaft nicht hinnehmbaren Weise missachtet haben.12 Aus der heute in der strafrechtlichen Literatur zwar überwiegend anerkannten, hinsichtlich der (begrifflichen) Bedeutung13 und Begründung14 aber 8  Tiedemann/Rönnau, in: Scholz, GmbHG, Band  II, Vor §§ 82 ff., Rn. 22; ders., FS Tröndle 1989, 326; Lüderssen, FS Eser 2005, 163. 9  Schünemann, StGB Leipziger Kommentar § 266 Rn. 52; ders., dezidiert in FS I. Roxin 2012, 345 ff., 357; ders., ZIS 2012, 186 ff.; Lüderssen, FS Eser 2005, 163. 10  Siehe Lüderssen FS Hanack 1999, 487 ff., 497; ders., FS Eser 2005, 163 f. 11  Lüderssen, FS Eser 2005, 166; Dierlamm, StraFo 2005, 398. 12  Lüderssen, FS Eser 2005, 165  f.; Dierlamm, StraFo 2005 398. Der Anwendungsbereich des Strafrechts ist nach anerkannter Auffassung auf „sozialschädliches Verhalten“ begrenzt. 13  In begrifflicher Hinsicht ist zwischen dem formellen und materiellen Rechtsgutsbegriff zu differenzieren. Nach dem formellen Rechtsgutsbegriff gilt als Rechtsgut alles, was der Gesetzgeber als schützenswert bewertet und deshalb zum Gegenstand einer schützenden Verhaltensnorm macht. Demgegenüber bezeichnet der materielle Rechtsgutsbegriff lediglich solche Dinge, Fähigkeiten und Zustände als Rechtsgüter, die darüber hinaus noch wenigstens eine inhaltliche Bedingung erfüllen. Siehe Engländer, ZStW 2015, 620 m. w. N. in Fn. 31. 14  Konstatiert man mit Engländer, ZStW 2015, 621, dass es nicht den „wahren Begriff des Rechtsguts“ gibt, verlagert sich die Frage nach der Begründung dafür, „dass der Gesetzgeber nur solche Verhaltensnormen mit Strafe bewehren darf, die



B. Die Strafrechtsordnung als sekundärer Teil der Gesamtrechtsordnung301

nicht unumstrittenen15 Anknüpfung des Strafrechts an den Rechtsgüterschutz16 folgt, dass es gerade nicht die Aufgabe des Strafrechts ist, Verstöße gegen Normen der Sittlichkeit oder des ethischen, moralischen und religiösen Empfindens zu kriminalisieren, sofern durch die unmoralische, unsittliche oder unethische Handlung nicht auch ein vom Strafgesetzgeber durch ein Strafgesetz geschütztes Rechtsgut verletzt worden ist.17 Die Aufgabe eines am Rechtsgüterschutz orientierten Strafrechts besteht somit richtigerweise darin, strafrechtlich schützenswerte Rechtsgüter zu identifizieren, diese anhand verständlicher und verwendungsfähiger Kriterien zu präzisieren und damit den „Kern strafwürdigen Verhaltens“ zu umschreiben.18 Eine in diesem Sinne verstandene „gesetzgebungskritische“19 Rechtsgutslehre muss sich zwar zu Recht entgegenhalten lassen, dass sich das von ihr verfolgte Rechtsgutskonzept begrifflich nicht klar20 und eindeutig fassen lässt und damit letztlich auch nur einen Teil des realen Strafrechts abbildet.21 Die strafrechtliche Normsetzung ist schließlich, wie Engländer in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausführt, aus verfasdem Schutz eines Gegenstandes dienen“, auf die normative Ebene. Zu den sich gegenüberstehenden „vorpositiven“ und „verfassungsrechtlichen“ Begründungsmodellen siehe Engländer, ZStW 2015, 622 ff. 15  Zum Streitstand siehe nur MüKo-Joecks, Einl., Rn. 37, 39; Engländer, ZStW 2015, 616 m. w. N. in Fn. 3; Kudlich, ZStW 2015, 635 ff.; 649 m. w. N. in Fn. 48. 16  Die überwiegende Ansicht sieht die Aufgabe des Strafrechts richtigerweise im Schutz von Rechtsgütern vor Gefährdung oder Verletzung und nicht wie Jakobs, AT 2/2, in der Gefährdung der „Normgeltung“ durch die Straftat. Zutreffend Hassemer/ Neumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Vor § 1 Rn. 108 ff; Lüderssen, FS Eser 2005, 165 f.; Dierlamm, StraFo 2005, 398. Für eine Orientierung am Rechtsgüterschutz Kaspar, AT, § 2 Rn. 46; SK-/Rudolphi/Jäger, Vor § 1 Rn. 1 ff.; MüKoJoecks, Einl., Rn. 30–38; HK-GS/Rössner Vor § 1 Rn. 18; Lackner/Kühl/Kühl, StGB Vor § 13 Rn. 4; Wessels/Beulke/Satzger, AT Rn. 9 ff. Kritisch dagegen Maas, NStZ 2015, 305 ff. 17  Dierlamm, StraFo 2005, 398. Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht in seiner sog. „Inzest-Entscheidung“ nicht unmittelbar auf den Rechtsgüterschutz abgestellt und ausgeführt, dass sich „aus der strafrechtlichen Rechtsgutslehre“ keine besonderen Anforderungen an Strafnormen „hinsichtlich der mit ihr verfolgten Zwecke“ ableiten lassen. Siehe BVerfG NJW 2008, 1137, 1138. Zum Bedeutungsgehalt dieser Entscheidung für die Legitimation von Strafnormen siehe zutreffend Kaspar, AT, § 2, Rn. 49. 18  Hassemer/Neumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Vor § 1 Rn. 112, 115. Zum im Wirtschaftsstrafrecht virulenten Problem, für das Rechtsgut ausreichend gefährliche oder schädliche Handlungen zu präzisieren Kaspar, Krakauer-Augsburger Rechtsstudien, 167. 19  Zum Begriff siehe Engländer, ZStW 2015, 621. 20  MüKo-Joecks, Einl., Rn. 41. Zu der im strafrechtlichen Schrifttum kaum noch zu überschauenden Anzahl an Definitionsvorschlägen siehe die Darstellungen bei Engländer, ZStW 2015, 619 f. und Kudlich, ZStW 2015, 640. 21  MüKo-Joecks, Einl., Rn. 37. Kritisch auch Frisch, NStZ 2016, 16 ff., 22.

302 Teil 4: Einfluss u. Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht

sungsrechtlicher Sicht „nahezu ausschließlich“22 am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen.23 Ebenso berechtigt ist daher auch die Feststellung, dass der Begriff des Rechtsguts aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zwingend ist24. Die in Teilen berechtigte Kritik an einer „genuin strafbarkeitsbegrenzenden“ Funktion der Rechtsgutslehre bedeutet jedoch nicht, dass „dem Konzept Rechtsgut“ für die Strafrechtspolitik keine Bedeutung zukommt.25 Der Rechtsgutslehre kommt in Übereinstimmung mit Hilgendorf und Kudlich neben einer für die Strafrechtsdogmatik wichtigen systematisierenden Funktion, die sich darin zeigt, dass Strafnormen mit bestimmten Rechtsgütern verknüpft werden26, insbesondere bei der Auslegung und Anwendung des Rechts wesentliche Bedeutung zu.27 Die „auslegungsleitende Funktion“ des Rechtsgutsbegriffs hilft, wie Kudlich zutreffend ausführt, im Rahmen der Auslegung der staatlichen Strafgewalt Grenzen zu ziehen.28 Mit Blick auf das geschützte Rechtsgut kann diejenige Interpretation ausgewählt und der Rechtsanwendung zugrunde gelegt werden, die das mit der Strafnorm verfolgte gesetzgeberische Ziel am besten erfüllt.29 Bereits die auf diesem Weg erzielbare „Konsistenz der Gesetzesauslegung“ spricht für ein Festhalten an der Rechtsgüterlehre.30 Unabhängig davon lässt sich dem strafrechtlichen Rechtsgutskonzept zusammen mit Kudlich wenigstens eine „partielle Eigenständigkeit“ gegen22  Engländer,

129.

ZStW 2015, 625. In diese Richtung auch Hilgendorf, NK 2010,

23  Begreift man den materiellen Rechtsgutsbegriff mit Engländer lediglich als Folgerung aus dem Verfassungsrecht, fasst er nur das Ergebnis der verfassungsrechtlichen Überlegungen zusammen und liefert „keinen eigenständigen“ Beitrag zu der Frage, wo die verfassungsrechtlichen Grenzen der Strafgesetzgebung liegen. Siehe Engländer, ZStW 2015, 626, 633. 24  Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz, 242, der allerdings zutreffend darauf hinweist, dass das besondere Gewicht individueller Grundrechtspositionen sowie der Kernbereich privater Lebensgestaltung als „Pönalisierungsgrenze“ zu berücksichtigen sind, vgl. Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz, 240 f., 439, 447, 508 f., 538 ff. Zu weiteren „Grenzen der staatlichen Strafgewalt“ siehe auch Hilgendorf, NK 2010, 130. 25  Zutreffend Hilgendorf, NK 2010, 129. Der Rechtsgutstheorie im modernen Verfassungsstaat eine „partielle Eigenständigkeit“ beimessend Kudlich, ZStW 2015, 635 ff., 649 ff. 26  Hilgendorf, NK 2010, 129; zutreffend auch Kudlich, ZStW 2015, 637 f. 27  Hilgendorf, NK 2010, 129; Kudlich, ZStW 2015, 638 f. 28  Kudlich, ZStW 2015, 638 f. 29  Zutreffend Hilgendorf, NK 2010, 129. 30  Zutreffend auch Hilgendorf, NK 2010, 129, der insoweit von der „argumentativen Funktion des Rechtsguts“ spricht.



B. Die Strafrechtsordnung als sekundärer Teil der Gesamtrechtsordnung303

über dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beimessen, wenn man die Grundannahme setzt, dass das Rechtsgutsdogma dem Verfassungsrecht vorgibt, wie es bei Strafnormen seine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen hat.31 Die grundsätzliche Möglichkeit der Setzung einer solchen Grundannahme zeigt ein Vergleich zu der nach überwiegender Auffassung in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten32 Privatautonomie. Diese ist – ebenso wie ihre einfachgesetzlichen Ausprägungen – deutlich älter als das Grundgesetz und gilt nicht deshalb, weil Art. 2 Abs. 1 GG existiert, sondern weil sie durch Anerkennung und Verortung im Grundgesetz auf eine verfassungsrechtliche Ebene gehoben wird.33 Ginge man bei dem strafrechtlichen Rechtsgutsdogma, wie von Kudlich vorgeschlagen, einen ähnlichen Weg und bindet es beispielsweise an Art. 103 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG an34, ließe sich der strafrechtliche Rechtsgüterschutz dogmatisch in der Gestalt umsetzen, dass die „verfassungsrechtliche Überprüfung von Strafnormen bei den Anforderungen an den legitimen Gesetzeszweck mit der strafrechtlichen Rechtsgutslehre“ verknüpft beziehungsweise „harmonisiert“ wird.35 Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung eines Strafgesetzes wäre dann – bei Prüfung des mit der Norm verfolgten Zwecks – insbesondere die Frage nach dem strafrechtlich geschützten Rechtsgut zu stellen. Der von Kudlich vorgeschlagene Weg verdient Zustimmung, da er das Rechtsgutsdogma in die verfassungsrechtliche Prüfung integriert und diesem unter dem Gesichtspunkt des „legitimen Gesetzeszwecks“ Geltung verschafft.36 Ein solches Verständnis trägt der „inneren Verbundenheit zwischen Verfassungsrecht und Strafrecht“ Rechnung, weil es erkennt, dass strafrechtliche Normsetzung wegen des besonders intensiven staatlichen Eingriffs in die Freiheitssphäre des Bürgers das Grundverhältnis des Staates zum Einzelnen, im Vergleich zur sonstigen Normsetzung, in besonderem Maß berührt.37 Gerade diese beson31  Kudlich, ZStW 2015, 650, der freilich darauf hinweist, dass es sich bei dieser Argumentation um eine „strafrechtstheoretische Setzung“ handelt, die als Grundannahme zu akzeptieren und ihrerseits auch zu begründen und legitimieren ist. 32  Siehe nur Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG 73. Lfg. 2014, Art. 2 Rn. 19, 76 ff. sowie die weitergehenden Hinweise bei Kudlich, ZStW 2015, 651 in Fn. 51. 33  Siehe Kudlich, ZStW 2015, 651, der unter Hinweis auf die dogmatisch anerkannte Tatherrschaftslehre auch zutreffend darauf hinweist, dass allein der Umstand, dass die Grundannahme (Strafbarkeitsbegrenzende Funktion des Rechtsgutsdogmas) im Detail umstritten ist, die Setzung einer solchen nicht bereits ausschließt. 34  In diese Richtung Noltenius, ZJS 2009, 18. 35  Kudlich, ZStW 2015, 653. 36  Kritisch zu sehen bleibt jedoch, dass sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unmittelbar keine Zielvorgaben für den Strafgesetzgeber ergeben, vgl. Hilgendorf, NK 2010, 127. 37  Zutreffend insoweit Noltenius, ZJS 2009, 17 f.

304 Teil 4: Einfluss u. Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht

dere Verbindung zwischen Verfassungs- und Strafrecht rechtfertigt es, der strafrechtlichen Normsetzung durch Anerkennung der Rechtsgutslehre eine Grenze zu ziehen.38 Da das Strafrecht aber lediglich einen Teil der gesamten Rechtsordnung darstellt und sowohl dem Zivilrecht durch Gewährung von Schadenersatzansprüchen wegen der Verletzung von Rechtsgütern als auch dem öffentlichen Recht durch Normierung von Verbotsvorschriften mit oder ohne Erlaubnisvorbehalt ebenfalls die Aufgabe des Rechtsgüterschutzes zukommt39, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis der strafrechtliche Rechtsgüterschutz zum außerstrafrechtlichen steht. Das Verhältnis wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass der Einsatz von Strafe als Mittel der strafrechtlichen Verhaltenssteuerung einen wesentlich intensiveren Eingriff in die Grundrechte des betroffenen Individuums darstellt, als zivilrechtliche Rechtsfolgen oder öffentlich rechtliche Verbote.40 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt dem Strafrecht hinsichtlich des Rechtsgüterschutzes daher nur eine „ultima ratio“ Funktion in der Gestalt zu, dass es als äußerstes Mittel erst zur Anwendung gelangt, „wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist“.41 38  Belässt man dem Strafgesetzgeber bei der Normsetzung demgegenüber die „freie Wahl“ bei der Zweckbestimmung, liegt es in der Hand des Gesetzgebers, an welchem Zweck die Verhältnismäßigkeit einer Strafnorm zu konkretisieren ist. Hieraus resultiert das Risiko einer nahezu beliebigen – gegebenenfalls ausschließlich an moralischen Maßstäben ausgerichteten – Normsetzung. Mit Blick auf die Eingriffsintensität des Strafrechts stimmt dies bedenklich. 39  MüKo-Radtke, Vor §§ 38 ff., Rn. 2; Brammsen, ZIP 2009, 1506. 40  MüKo-Radtke, Vor §§ 38 ff., Rn. 2. Speziell für den Bereich des Wirtschaftsstrafrechts wird dem Prinzip des Rechtsgüterschutzes kritisch entgegengebracht, dass der Rekurs auf ein dem Wirtschaftsstrafrecht zugrundeliegendes Schutzgut der „Gesamtwirtschaft oder funktional wichtiger Zweige und Einrichtungen dieser Gesamtwirtschaft“ zu einer beachtlichen „Strafrechtsexpansion“ geführt hat, in deren Folge zahlreiche „überindividuelle Rechtsgüter“, wie etwa das der Vorschrift des § 264 StGB zugrunde liegende „Allgemeininteresse an einer wirksamen staatlichen Wirtschaftsförderung“ oder das in § 264a StGB angelegte „Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit des Kapialmarktes“ überhaupt erst „entdeckt“ wurden. Im Ergebnis sei damit eher eine „Vorfeldkriminalisierung potentiell schädlicher oder gefährlicher Verhaltensweisen“ bewirkt worden. Siehe hierzu kritisch auch Theile, wistra 2013, 285 ff., 287, der „das Konzept des Rechtsguts“ im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts daher nur als einen Ausdruck „rationaler“ Wirtschaftsgesetzgebung ansieht. Insgesamt kritisch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, BT, Einführung, Rn. 9 ff., 16. 41  BVerfG, NJW 1993, 1751, 1754; BVerfG, NJW 1998, 443; BVerfG, NJW 2008, 1137 ff.; Brammsen, ZIP 2009, 1507. Das „Ultima-ratio-Prinzip“ als „Legitimationsgrundlage für jede Strafbewehrung“ ansehend Hamm, NJW 2016, 1542.



B. Die Strafrechtsordnung als sekundärer Teil der Gesamtrechtsordnung305

Aus Sicht des Strafgesetzgebers kann das Strafrecht nach dem Gedanken der Subsidiarität und mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Übereinstimmung mit Kaspar42 folglich erst und auch nur zum Einsatz kommen, wenn es zur Verwirklichung des Rechtsgüterschutzes43 zwingend geboten erscheint.44 Im Übrigen hat der Rechtsgüterschutz durch das mildere und daher „primär“ einschlägige außerstrafrechtliche Recht zu erfolgen.45 Innerhalb der Rechtsordnung lässt sich die Zuständigkeit für den Rechtsgüterschutz somit allgemein dahingehend beschreiben, dass dieser „primär“ durch außerstrafrechtliche Normen des Zivil- und öffentlichen Rechts und nur „sekundär“ durch das Strafrecht herzustellen ist.46 Die Sekundarität des Strafrechts zeigt sich schließlich auch darin, dass das Strafrecht einen „fragmentarischen Charakter“ aufweist und nur solche Verhaltensweisen unter Strafe stellt, die in sozialer Hinsicht als besonders unerträglich und für die Gesellschaft daher als nicht hinnehmbar anzusehen sind, während andere gleichwohl rechtswidrige Verhaltensweisen straflos bleiben dürfen.47 Der Strafgesetzgeber kann zur Herstellung eines solchen Rechtsgüterschutzes direkt an außerstrafrechtliche Normen, etwa durch normative Tatbestandsmerkmale oder Blanketttatbestände, anknüpfen oder – bei Fehlen 42  Kaspar, Verhältnismäßigkeit u. Grundrechtsschutz, 243 ff., 248 ff.; ders., AT, § 2, Rn. 46. 43  Der Rechtsgüterschutz ist mit Blick auf die Aufgabe des Strafrechts und unter Beachtung des Zwecks der Strafe richtigerweise „präventiv“ zu verstehen und in der Rechtsanwendung dadurch herzustellen, dass bei jeder Strafnorm durch teleologische Auslegung zu ermitteln ist, welche Güter oder Interessen durch sie geschützt werden. Zutreffend Kaspar, Verhältnismäßigkeit u. Grundrechtsschutz, 636 ff.; ders., AT, § 1, Rn. 13 ff.; § 2, Rn. 47. 44  Strafnormen lassen sich daher auch als die „ultima ratio der Sozialpolitik“ bezeichnen, vgl. Roxin, AT I, § 2 Rn. 97 ff m. w. N. Ein strafrechtliches Verbot ist danach nur legitim, wenn es ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel ist, um ein in der Regel aus der Verfassung abzuleitendes und gegen andere als vorrangig abgewogenes Rechtsgut zu schützen. Siehe mit weiteren Hinweisen zutreffend HKGS/Rössner, Vor § 1 Rn. 18. 45  In diese Richtung auch MüKo-Radtke, Vor §§ 38 ff., Rn. 2; Schilha, § 2, S.  38 f. 46  Dem Staat kommt bei der Frage, ob der Einsatz von Strafrecht zum Rechtsgüterschutz erforderlich ist oder ob auf Verstöße gegen Verhaltensnormen mit weniger eingriffsintensiven (zivilrechtlichen) Mitteln reagiert werden kann, ein weiter Beurteilungsspielraum zu, siehe MüKo-Radtke, Vor §§ 38 ff., Rn. 2; Lüderssen, FS Esser 2005, 169. Zum gesetzgeberischen Ermessen allgemein BVerfGE 43, 291, 347. 47  Das Strafrecht verfolgt kein ganzheitliches System im Sinne eines allumfassenden Prinzips, sondern beschränkt sich bewusst auf bestimmte sozialethisch in besonderem Maß als strafwürdig empfundene Verhaltensweisen. Hierzu und zum fragmentarischen Charakter des Strafrechts Kulhanek, ZIS 2014, 674 ff.; Kölbel, GA 2002, 403, 414.

306 Teil 4: Einfluss u. Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht

einer Primärrechtsmaterie48 – auch autonom „originär strafrechtliche“ Tatbestände schaffen.49

C. Akzessorietät versus Autonomie der strafrechtlichen Begriffsbildung Die Sekundarität des Strafrechts zum außerstrafrechtlichen Recht könnte aber nicht nur vom Gesetzgeber bei der Normsetzung auf einer „Metaebene“ zu beachten sein, sondern auch im Rahmen der Rechtsanwendung insoweit fortwirken, als dass eine bereits existierende Primärrechtsquelle, wie etwa das Aktien- und Gesellschaftsrecht, direkt Einfluss auf die inhaltliche Bestimmung der strafrechtlichen Sekundärmaterie nimmt. Besonders virulent wird die Frage nach der Konsequenz der Sekundarität des Strafrechts im Bereich der Untreue gemäß § 266 StGB, da über das Tatbestandsmerkmal der „Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht“50 unmittelbar an das außerstrafrechtliche Recht angeknüpft wird. Dem aktienbeziehungsweise gesellschaftsrechtlichen Primärrecht könnte daher sowohl eine strafrechtslimitierende als auch eine „strafrechtsgestaltende“51 Wirkung zukommen, die es im Folgenden näher einzuordnen gilt. Denkbar wäre schließlich auch eine das Verhältnis zwischen Strafrecht und außerstrafrechtlichem Recht außen vor lassende „strafrechtsautonome“ Auslegung des Untreuetatbestandes.52

48  Insoweit kommt dem Strafrecht die Funktion zu, der Handlungsfreiheit äußerste Grenzen zu setzen. Siehe zutreffend auch Schilha, § 2 S. 40. 49  Die im Einzelfall mangels Primärrechts mögliche und zum Schutz eines Rechtsguts gegebenenfalls erforderliche Schaffung einer „strafrechtlichen Primärnorm“ ändert nichts an der Sekundarität des Strafrechts, da der größte Teil der strafrechtlichen Sekundärnormen an zivil- oder öffentlich-rechtlich durchnormierte Verhaltensvorgaben anknüpft und an deren Verletzung lediglich eine eigene strafrechtliche Rechtsfolge knüpft. Siehe zutreffend Lüderssen, FS Eser 2005, 169; Radtke/ Hoffmann, GA 2008, 544; Schilha, § 2, S. 40. 50  Seibt/Schwarz, AG 2010, 304; Beulke, FS Eisenberg 2009, 250. Siehe auch Teil 5 II. 1. c). 51  Weber, FS Baur 1981, 133 ff. Für eine „unmittelbare Übernahme“ außerstrafrechtlicher Norminhalte in die strafrechtliche Würdigung Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S. 70. 52  Insbesondere LK-Schünemann, § 266 Rn. 48, 94; ders., FS I. Roxin 2012, 348 ff.



C. Akzessorietät versus Autonomie der strafrechtlichen Begriffsbildung307

I. Einflussmöglichkeiten des Primärrechts auf das sekundäre Strafrecht Sowohl das Strafrecht als auch das Zivil- und Öffentliche Recht verfolgen mit den ihnen zur Verfügung stehenden spezifischen Mitteln53 das Ziel des Rechtsgüterschutzes. Bei der Frage, welchen Einfluss das außerstrafrechtliche Recht auf die inhaltliche Bestimmung einer Strafnorm nimmt, ist zu berücksichtigen, dass die Ausgestaltung des einem Straftatbestand zugrundeliegenden und regelmäßig durch Auslegung zu ermittelnden Rechtsguts häufig nicht durch das Strafrecht selbst, sondern durch Normen des Zivil- und öffentlichen Rechts erfolgt. Ein auch strafrechtlich geschütztes Rechtsgut, wie das Eigentum oder Vermögen, wird erst durch den „normativen Gehalt“ der außerstrafrechtlichen Norm inhaltlich näher umschrieben, indem diese das Rechtsverhältnis definiert, Befugnisse einräumt, Ge- und Verbote statuiert oder bei Missachtung der in ihr normierten Pflichten sogar eigene Rechtsfolgen festlegt.54 Außerstrafrechtliche Normkomplexe dienen für die Begründung strafrechtlicher Verhaltenspflichten daher als wichtige Erkenntnisquelle, da in ihnen häufig zugleich Wertungen, Strukturen und Verhaltenserwartungen näher umschrieben sind, die auch innerhalb der strafrechtlichen Betrachtung pflichtenbegründende Wirkung entfalten können.55 Erst recht gilt dies, wenn ein Tatbestand, wie die Untreue, über ein normatives Tatbestandsmerkmal an außerstrafrechtliche Wertungen anknüpft.56 Im Rahmen der Normanwendung stellt sich daher nicht nur die Frage, welche außerstrafrechtlichen Bestimmungen zur Beurteilung der strafrechtlichen Pflichtwidrigkeit heranzuziehen sind, sondern auch in welchem Umfang der normative Inhalt der außerstrafrechtlichen Primärmaterie Einfluss auf die Anwendung der Strafrechtsnorm nimmt.57 53  Die Umsetzung erfolgt im Zivilrecht insbesondere in Gestalt eines „tatbestandsabhängigen Rechtsgüterschutzes“, indem für bestimmte Rechtsverstöße Schadenersatzansprüche gewährt werden, vgl. BeckOK/Förster BGB § 823 Rn. 2. Demgegenüber verwirklicht das öffentliche Recht den Schutz von Rechtsgütern vornehmlich präventiv durch ordnungsrechtliche Instrumentarien, wie zum Beispiel der Erteilung einer Erlaubnis oder der Versagung einer solchen. Am Beispiel des Umweltrechts BeckOK UmweltR/Schrader BNatSchG § 71 Rn. 2 f. 54  Siehe Lüderssen, FS Eser 2005, 167; Brammsen, ZIP 2009, 1506 f.; Dierlamm, StraFo 2005, 398, der in den Normen des Zivilrechts eine „rechtsgutsbestimmende“ und „rechtsgutsausgestaltende“ Wirkung sieht. Zur komplexen Frage der „Herstellung von Rechtsgütern“ siehe Hassemer/Neumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Vor § 1 Rn. 139. 55  Zutreffend auch Schilha, § 2, S. 40; Michaelsen, S. 70. 56  BVerfG NJW 2010, 321; Theile, ZIS 2011, 616; Seibt/Schwarz, AG 2010, 304; Kubiciel, NStZ 2005, 354. 57  BVerfG NJW 2010, 321, wonach sich das Pflichtwidrigkeitsmerkmal der Untreue nicht im Sinne eines Blanketts in der Weiterverweisung auf exakt bestimmte Vorschriften erschöpft.

308 Teil 4: Einfluss u. Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht

Insoweit existieren verschiedene Möglichkeiten einer „pflichtenbegründenden Einflussnahme“ des Primärrechts auf das Strafrecht. Mit Blick auf den Tatbestand der Untreue wäre denkbar, dass jede Verletzung einer aktien- oder gesellschaftsrechtlichen Primärnorm durch den Aufsichtsrat stets eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB begründet. Zwischen sekundärem Straf- und primärem Zivilrecht läge dann eine „streng akzessorische“ Bindung vor58, da jede außerstrafrechtliche Pflichtverletzung zugleich auch eine strafrechtliche Pflichtverletzung nach sich zöge. Das Verhältnis zwischen Zivil- und Strafrecht könnte hingegen auch „asymmetrisch“ ausgeprägt sein mit der Folge, dass die Verletzung des Primärrechts nur eine notwendige, nicht aber auch eine hinreichende Bedingung für die Annahme einer strafrechtlich relevanten Pflichtverletzung gemäß § 266 Abs. 1 StGB ist.59 Die Annahme eines solchen Verhältnisses führt folglich dazu, neben der Prüfung der Primärrechtsverletzung noch zusätzlich eine „strafrechtsspezifische“ Prüfung vorzunehmen, innerhalb der dann zu klären ist, welche Anforderungen an eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung konkret zu stellen sind.60 1. Primärrechtliche Rechtmäßigkeit als Untergrenze strafbaren Verhaltens Dass das Primärrecht die Auslegung und Anwendung des sekundären Strafrechts beeinflusst, folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und dem aus diesem abgeleiteten Grundsatz der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung.61 Danach müssen staatliche Hoheitsakte nicht nur klar und bestimmt, sondern auch so „beständig“ sein, dass sich der Bürger auf sie hinreichend verlassen kann.62 Dem Normadres58  Für eine solche Ausprägung dezidiert Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S. 81, 145, 157, 160, 179 f., 184. In diese Richtung wohl auch Radtke/Hoffmann, GA 2008, 544. 59  Siehe zu diesem Ansatz insbesondere Lüderssen, FS Eser 2005, 163, 170; ders., FS Hanack 1999, 487 ff.; ders., FS Schroeder 2006, 569 ff.; ders., FS Volk 2009, 345 ff.; ders., FS Lampe 2003, 727 ff.; Dierlamm, StraFo 2005, 398; ders., MüKo/Dierlamm, § 266, Rn. 175. 60  Lüderssen, FS Eser 2005, 163, 170; Dierlamm, StraFo 2005, 398. Siehe unten Teil 5 A. I. 61  Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG, VII. Rn. 56 f. Teilweise wird dieser elementare und in der Methodenlehre anerkannte Grundsatz auch als in der „Rechtsidee selbst wurzelnd“ angesehen, vgl. Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 16; dem folgend Schilha, § 2, S. 41. Das Prinzip wird auch aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleitet. So Seibt/Schwarz, AG 2010, 304; BVerfG NJW 1958, 799; S/S-Lenckner/ Sternberg-Lieben, Vor. § 32 ff. StGB Rn. 27. 62  Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG, VII. Rn. 50.



C. Akzessorietät versus Autonomie der strafrechtlichen Begriffsbildung309

saten dürfen daher weder durch einzelne Normen noch durch die Rechtsordnung als Ganzes sich widersprechende Verhaltensbefehle auferlegt werden.63 Dieser in der juristischen Methodenlehre wichtige Grundsatz führt hinsichtlich der Einordnung des Verhältnisses von Primär- und Sekundärrecht zu der Schlussfolgerung, dass ein Verhalten, das zivilrechtlich erlaubt ist, weil es durch eine zivilrechtliche Norm entweder unzweifelhaft gestattet wird oder die Handlung beziehungsweise das Unterlassen innerhalb des rechtlich zugebilligten Handlungsspielraums liegt, nicht als strafrechtlich relevante Pflichtverletzung gewertet werden kann.64 Umgekehrt lässt sich aus dem Grundsatz der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ableiten, dass dem Normadressaten keine strafrechtliche Handlungspflicht auferlegt werden darf, die ihm nach sonstigem Recht explizit untersagt ist.65 Ein solches zwischen dem Primär- und Sekundärrecht bestehendes „negatives Akzessorietätsverhältnis“66 führt aus Sicht des Aufsichtsrats dazu, dass ein nach aktienrechtlichen Vorschriften rechtmäßiges Handeln strafrechtlich nicht als pflichtwidrig gewertet werden darf.67 Dass die primärrechtliche Zulässigkeit die Begründung einer strafrechtlichen Verantwortung ausschließt, ergibt sich mit Blick auf den Untreuetatbestand, aber auch aus dessen Wortlaut, da dieser explizit die „Verletzung einer Pflicht“ beziehungsweise den „Missbrauch“ einer Befugnis verlangt.68 Schließlich wäre es auch nicht mit dem aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgenden „Ultima-Ratio-Grundsatz“ des Strafrechts vereinbar, wenn eine durch das Zivilrecht erlaubte und vom Primärrecht gerade nicht als sozialethisch unerträglich qualifizierte Handlung gleichwohl strafrechtlich geahndet würde.69 Vor diesem Hintergrund lässt sich festhalten, dass eine völlige Loslösung des Strafrechts vom Primärrecht ausscheidet und der Primärrechtsmaterie eine das Strafrecht nach unten begrenzende Funktion zukommt.70 Eine untreuerelevante Pflichtverletzung hat daher stets auszuscheiden, wenn die 63  Maunz/Dürig/Grzeszick,

Art. 20 GG, VII. Rn. 50 u. Rn. 56. nur Beulke, FS Eisenberg 2009, 251; Seibt/Schwarz, AG 2010, 304; Bosch/Lange, JZ 2009, 227; Brammsen, wistra 2009, 87; ders., ZIP 2009, 1506; Dierlamm, StraFo 2005, 398; Schünemann, NStZ 2005, 474; Saliger, HRRS 2006, 14; Schilha, § 2, 41. 65  Vogel, Norm und Pflicht, 324 f.; Schilha, § 2, 41. 66  Seibt/Schwarz, AG 2010, 304; Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S. 80. 67  Siehe Seibt/Schwarz, AG 2010, 304 m. w. N.; Jahn/Ziemann, ZIS 2016, 553. 68  Seibt/Schwarz, AG 2010, 304; Saliger, HRRS 2006, 10; Schünemann, NStZ 2005, 474, der zutreffend darauf hinweist, dass kein „rechtliches Interesse“ an der strafrechtlichen Verfolgung gesellschaftsrechtlich erlaubter Tätigkeiten besteht. 69  Seibt/Schwarz, AG 2010, 304. 70  Dies ist, soweit ersichtlich, in der strafrechtlichen Literatur unstrittig. Darin dürfte auch der Grund liegen, dass letztlich kein Modell vertreten wird, in dem außerstrafrechtlich erlaubtes Verhalten theoretisch auch eine untreuerelevante Pflichtverlet64  Siehe

310 Teil 4: Einfluss u. Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht

Handlung primärrechtlich rechtmäßig ist, weil sie entweder gestattet oder vertretbar71 ist. 2. Kein strenges Akzessorietätsverhältnis des Primärrechts zum Sekundärrecht Nachdem die strafrechtslimitierende Funktion des Primärrechts feststeht, stellt sich die Frage, ob und inwieweit dieses im Rahmen des Untreuetatbestands auch eine strafbarkeitsbegründende Funktion einnimmt. In Betracht käme zunächst ein strenges Akzessorietätsverhältnis in der Gestalt, dass jede Primärrechtsverletzung zugleich eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung begründet, ohne dass an letztere weitere strafrechtsspezifische Voraussetzungen zu knüpfen wären.72 Ein solcher die zivilrechtliche Pflichtwidrigkeit mit der strafrechtlichen Pflichtwidrigkeit gleichsetzender Ansatz führt im Bereich der Organuntreue dazu, dass jedes vermögensbetreuungspflichtige Organmitglied bereits tatbestandsmäßig handelt, wenn es auf Primärebene einen Pflichtverstoß begeht, weil es gegen aktienrechtliche Vorschriften, interne Regelwerke oder Regeln der Organtätigkeit verstößt.73 Ein vollständiger Gleichlauf der zivil- und strafrechtlichen Pflichtverletzung mit der Folge, dass das strafrechtliche Handlungsunrecht der Untreue unmittelbar durch die zivilrechtliche Pflichtverletzung bestimmt würde, wird zum Teil damit begründet, dass die strafrechtliche Pflichtwidrigkeit aus der vorsätzlichen Verletzung einer Primärpflicht und der damit einhergehenden Schädigung des Gesellschaftsvermögens folge.74 Die Begründung einer streng akzessorischen Bindung des Untreuetatbestandes an die primärrechtliche Pflichtverletzung mit dem Argument, dass eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung vorliege, wenn die Pflichtverletzung in Bezug auf das Gesellschaftsvermögen vorsätzlich erfolgt sei und eine vermögensmindernde Wirkung entfaltet habe, ist aufgrund der „Verschleifung“ der Tatbestandsmerkmale Pflichtverletzung und Vermögensnachzung darstellen kann. Zutreffend insoweit Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S. 80 m. w. N. in Fn. 330. 71  Zur Frage der strafrechtlichen Bewertung, wenn eine zivilrechtliche Primärnorm einen Handlungsspielraum einräumt Beulke, FS Eisenberg 2009, 251. Siehe auch Teil 5 II. 1. c) bb). 72  Für eine solche Ausgestaltung Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S. 81, 185. 73  Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S. 81. 74  Für einen solchen Rückschluss unter Verweis auf das zivilrechtliche Schädigungsverbot, im Ergebnis aber gegen ein strenges Akzessorietätsverhältnis, Schünemann, NStZ 2005, 474; ders., NStZ 2006, 199. Kritisch dagegen Brammsen, ZIP 2009, 1506; ders., wistra 2009, 87.



C. Akzessorietät versus Autonomie der strafrechtlichen Begriffsbildung311

teil sowie der Vermengung objektiver und subjektiver Kriterien auf der Ebene des objektiven Tatbestands nicht nur dogmatisch bedenklich75, sondern lässt auch unberücksichtigt, dass nicht jede zu einem Vermögensnachteil führende Primärrechtsverletzung stets eine „treuwidrige“ Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht zum Nachteil der AG darstellt.76 Voraussetzung für die Begründung einer Vermögensbetreuungspflichtverletzung ist nach richtiger Auffassung, dass die unmittelbar verletzte außerstrafrechtliche Pflicht „primär dem Schutz des Gesellschaftsvermögens“ dient.77 Durch Anerkennung eines solchen Schutzzweckzusammenhangs kann der Gefahr, dass durch außerstrafrechtliche Normen beliebige Interessen und Pflichten ohne unmittelbaren Bezug zum Vermögen des Treugebers über das Tatbestandsmerkmal der Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht mit strafbarkeitsbegründender Wirkung in den Tatbestand der Untreue inkorporiert werden, begegnet werden.78 Lässt man demgegenüber wie Michaelsen jede Legalitätspflichtverletzung eines Organmitglieds zur Begründung einer strafrechtlichen Pflichtverletzung genügen und sieht daher sogar in Verstößen gegen Vorschriften des Umwelt75  BVerfG

14.

NJW 2010, 3215, 3221. Zur Verschleifung siehe Saliger, HRRS 2006,

76  Brammsen, ZIP 2009, 1506; ders., wistra 2009, 87, der zutreffend darauf hinweist, dass aus einem „Treueverhältnis“ auch Einzelpflichten „minderer Qualität“ entspringen können, deren Verletzung die Annahme des Untreuetatbestandes noch nicht rechtfertigt. Ein Verstoß gegen das „allgemeine Verbot“, das Vermögen des Treugebers zu schädigen kann daher richtigerweise nicht schon zur Verwirklichung des Untreuetatbestandes führen. Es dehnt den Tatbestand zu weit aus, da dann auch das „Zerstören, Beschädigen oder Entwenden von Vermögensgegenständen des zu Betreuenden“ ebenso wie der Verrat eines Betriebsgeheimnisses als tatbestandsrelevante „Treupflichtverletzung“ erfasst werden. Siehe insoweit zutreffend Dierlamm, NStZ 1997, 534, 535 f. Zur Bedeutung des „Treueverhältnisses“ bei der Auslegung des Untreuetatbestandes auch Krell, NStZ 2014, 64. 77  BGHSt 55, 288, 300 f. (Siemens/AUB); BGHSt 56, 203, 211 (Kölner Parteispendenaffäre); BGH NJW 2013, 403 (Telekom). Aus der Literatur siehe nur Günther, FS Weber 2004, 316; Knauer, NStZ 2002, 399 ff.; Krell, NStZ 2014, 63; Rönnau, StrafFo 2014, 269; Rönnau/Hohn, NStZ 2004, 114; Brammsen, ZIP 2009, 1506; ders., wistra 2009, 87; Kubiciel, NStZ 2005, 360. Demgegenüber Saliger, HRRS 2006, 22, der für die Untreue „jede vermögensrelevante Handlung“ ausreichen lässt, durch die der Täter Weisungen, gesetzliche Bestimmungen oder Richtlinien missachtet und Vermögensnachteile verursacht. Gegen eine „das Vermögen schützende Rechtsnorm“ als Anknüpfungspunkt, aber für die Verletzung einer „spezifischen“ Vermögensbetreuungspflicht Bittmann, NStZ 2012, 59. Kritisch Brand/Petermann, WM 2012, 65; Brand/Sperling, AG 2011, 237 ff.; Gerst, WiJ 2013, 181. Einen Vermögensbezug gänzlich ablehnend Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S. 151. Zur Anerkennung eines Schutzzweckzusammenhangs durch die Rechtsprechung siehe Teil 5 II. 1. c) aa) (1). 78  Brammsen, ZIP 2009, 1506; ders., wistra 2009, 87; Schünemann, FS I. Roxin 2012, 355. Auch der Begriff der „Vermögensbetreuungspflicht“ legt eine solche Sichtweise nahe.

312 Teil 4: Einfluss u. Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht

rechts79 eine taugliche Pflichtverletzung im Sinne des Untreuetatbestands, weil es für das „Pflichtverletzungsmerkmal“ weder darauf ankomme, welchen „Zweck eine Verhaltensnorm“ verfolgt noch ob sie „objektiv vermögensrelevant ist“80, verschiebt dies die eindeutige und auf das Vermögen begrenzte Schutzrichtung der Untreue. Die durch ein solch radikales Akzessorietätsverständnis herbeigeführte Öffnung des ohnehin weit gefassten und in der Literatur vielfach mit dem Makel der Unbestimmtheit81 versehenen Untreuetatbestandes in Bezug auf jede denkbare außerstrafrechtliche Pflichtverletzung, überschreitet, wie Brammsen zutreffend feststellt, die Grenze zulässiger teleologischer Auslegung82. Neben das den Unrechtsgehalt der Untreue allein bestimmende Rechtsgut des Vermögens83 treten dann andere durch die Untreue gerade nicht geschützte Rechtsgüter, wie zum Beispiel öffentlichen Interessen dienende Buchführungspflichten, und funktionieren den Tatbestand der Untreue zu einer Art „Superverbotsnorm“ um.84 Die Annahme einer „umfassend untreuebewehrten Legalitätspflicht“ mit der Folge eines „vollständigen Gleichlaufs von zivilrechtlichem und strafrechtlichem Pflichtverletzungsbegriff“85 lässt aber insbesondere unberücksichtigt, dass sich die Auslegung des Merkmals der Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB am Grundsatz der Bestimmtheit nach Art. 103 Abs. 2 GG zu orientieren und die Vorhersehbarkeit der Strafbarkeit sicherzustellen hat. Ziel der Auslegung muss daher in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sein, die Anwendung des Untreuetatbestands auf Fälle klarer und deutlicher Pflichtverletzungen zu beschränken, 79  Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S.  149. Dagegen Kubiciel, NStZ 2005, 360. 80  Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S. 145. 81  Siehe nur die Kritik bei P.-A. Albrecht, FS Hamm 2008, 7; Perron, GA 2009, 220; Beulke, FS Eisenberg 2009, 246; Ransiek ZStW 116, 2004, 634; Hamm, NJW 2005, 1993. 82  Siehe Brammsen, ZIP 2009, 1506; ders., wistra 2009, 87, Fn. 41. 83  § 266 StGB ist ein Vermögensdelikt und schützt nach der ständigen Rechtsprechung das zu betreuende Vermögen im Sinne der Gesamtheit der geldwerten Güter einer Person. Siehe nur BGHSt 47, 301 = NJW 2002, 2801; BGH NJW 2011, 91; BVerfG NJW 2010, 3212. 84  Rönnau, FS Tiedemann 2008, 719; Krell, NStZ 2014, 63; Brammsen, wistra 2009, 87; Kubiciel, NStZ 2005, 355; Schilha, § 4, 240. Die elementare Bedeutung des Rechtsguts für die Auslegung und Anwendung der Untreue betont zutreffend Kraatz, ZStW 2011, 453. Würde man, wie Michaelsen, ein strenges Akzessorietätsverhältnis annehmen, bestünde das Restriktionspotential letztlich „nur“ noch in dem Tatbestandsmerkmal des Vermögensnachteils. 85  Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S.  157. Dagegen zu Recht auch Jahn/Ziemann, ZIS 2016, 559, Fn. 61.



C. Akzessorietät versus Autonomie der strafrechtlichen Begriffsbildung313

Wertungswidersprüche zur Ausgestaltung spezifischer Sanktionsregelungen zu vermeiden und den „Charakter des Untreuetatbestands als eines Vermögensdelikts zu bewahren“.86 Die bedingungslose Übernahme außerstrafrechtlicher, nicht dem Vermögensschutz dienender Pflichten in den objektiven Tatbestand der Untreue läuft dieser verfassungsrechtlichen Maßgabe jedoch zuwider, da sie gerade nicht zu einer Restriktion, sondern vielmehr zu einer Extension des Untreuetatbestandes führt.87 Für die Anwendung des § 266 Abs. 1 StGB kann es daher entgegen der Auffassung Michaelsens auch nicht „gleichgültig sein, ob eine verletzte Verhaltenspflicht das Vermögen der AG schützt“.88 Die Annahme einer streng akzessorischen Bindung des Strafrechts an das primäre Zivilrecht mit der Folge, dass jede denkbare außerstrafrechtliche Pflichtverletzung prinzipiell auch eine untreuerelevante Pflichtverletzung begründen kann, ist letztlich unverhältnismäßig und steht im Widerspruch zur Ultima-Ratio-Funktion des Strafrechts, wenn der Primärrechtsverstoß durch weniger einschneidende und gleich effektive primärrechtliche Sanktionsinstrumente geahndet werden kann.89 Das Strafrecht findet zur Herstellung des Rechtsgüterschutzes nach der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts als „äußerstes Mittel“ nur Anwendung, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung besonders dringlich ist.90 Im Rahmen der strafrechtlichen Normanwendung darf daher nicht ignoriert werden, dass das Zivilrecht im BGB, HGB und im AktG sowie in zahlreichen weiteren Primärrechtsmaterien für Fehlleistungen im Wirtschaftsleben ein breites Instrumentarium zur Ahndung und Wiedergutmachung bereitstellt.91 86  BVerfG NJW 2010, 3215. Zur Kollision einer Gleichsetzung außerstrafrechtlicher Pflichtverletzung mit strafbarer Untreue siehe Brammsen, wistra 2009, 87. 87  Zwar führt die durch Anerkennung einer strengen Akzessorietät bewirkte Extension nicht schon deshalb zu einer Unbestimmtheit, weil hierdurch der Tatbestand um eine Vielzahl von Pflichten erweitert wird. Sie folgt vielmehr daraus, dass die auf das Vermögen begrenzte Schutzrichtung des Untreuetatbestandes schlicht ignoriert wird, wenn in diesen auch „nichtvermögensschützende“ Pflichten integriert werden. Aus Sicht des Normadressaten, der gemäß § 1 StGB nur bestraft werden darf, wenn die Strafbarkeit gesetztlich bestimmt war, ist es nicht vorhersehbar und daher mindestens bedenklich, wenn die Verletzung einer nichtvermögensbezogenen Pflicht, etwa aus dem Umweltrecht, bei diesem zu einer Bestrafung wegen Untreue führt, obwohl deren geschütztes Rechtsgut ausschließlich das Vermögen ist. 88  Dezidiert Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S. 151. 89  Spindler, in: Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, § 15 Rn. 22. 90  BVerfGE 88, 203, 258. 91  Beulke, FS Eisenberg 2009, 252; Knierim, FS Widmaier 2008, 626. Zu den spezifischen Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats siehe auch Teil 2 B. I. 2. und Teil 3 C. III.

314 Teil 4: Einfluss u. Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht

Dieses in der Rechtsordnung angelegte und zu einer differenzierenden Betrachtung zwingende Stufenverhältnis lässt sich auch nicht mit dem Hinweis auf eine angeblich „geringe Präventionseffizienz des Aktiengesellschafts­ rechts“92 beiseiteschieben. Die reflexartige Anwendung des Strafrechts als dem schärfsten Schwert der Rechtsordnung parallel zu primärrechtlichen Sanktionsinstrumenten, wie der Verfolgung von Schadenersatz nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG oder der Einleitung einer Aktionärsklage gemäß §§ 147, 148 AktG, darf daher kein Automatismus sein, sondern bedarf einer zusätzlichen strafrechtlichen Begründung, die straf- und gesellschaftsrechtliche Wertungen ohne Aufgabe der teleologischen Eigenständigkeit beider Rechtsgebiete aufeinander abstimmt.93 Eine im Einklang mit dem Verfassungsrecht stehende Dogmatik hat die Sekundarität des Strafrechts daher im Rahmen der Auslegung des Untreuetatbestandes zu berücksichtigten. Diese hat restriktiv zu erfolgen, indem sie sich am Schutzzweck der Untreue orientiert94. Mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Bestimmtheit darf damit nicht bereits jede geringfügige und nicht vermögensrelevante95 primärrechtliche Pflichtverletzung in den Untreuetatbestand inkorporiert werden. 3. Asymmetrisches Akzessorietätsverhältnis des Primärrechts zum Sekundärrecht Versucht man vor diesem Hintergrund das Verhältnis zwischen Primärund Sekundärrecht im Bereich der Untreue einzuordnen und berücksichtigt einerseits, dass eine Strafbarkeit wegen des aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatzes der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung stets auszuscheiden hat, wenn das Handeln des Organs primärrechtlich zulässig war und andererseits mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Be92  So aber dezidiert Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S. 181. Mit Blick auf die in Teil 3 bereits dargestellte und den Aufsichtsrat regelmäßig zu einer Verfolgung zwingende ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung dürfte vielmehr naheliegend sein, dass primärrechtliche Instrumente in der Praxis durch den Aufsichtsrat auch tatsächlich zur Anwendung gelangen, um bereits ein eigenes Haftungsrisiko zu vermeiden. Dies zeigt auch das vom Aufsichtsrat der Siemens AG gegen einen ehemaligen Bereichsvorstand jüngst erwirkte Schadenersatzurteil vor dem LG München in Höhe von 15 Mio. Euro. Siehe auch Teil 3 B. II. 4. a) bb) (3) (a). 93  Beulke, FS Eisenberg 2009, 252; Spindler, in: Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, § 15 Rn. 22 f. 94  Für ein „Zusammenwirken“ von außerstrafrechtlichen Pflichten und dem Vermögensschutz bezweckenden § 266 StGB zutreffend Kubiciel, NStZ 2005, 357 ff. 95  Diese Einschränkung folgt letztlich aus dem „Charakter des Untreuetatbestandes als eines Vermögensdelikts“. So auch BVerfG NJW 2010, 3215.



C. Akzessorietät versus Autonomie der strafrechtlichen Begriffsbildung315

stimmtheitsgrundsatz sowie aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht jede primärrechtliche Pflichtverletzung zugleich eine strafrechtlich relevante Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht gemäß § 266 Abs. 1 StGB begründen kann, lässt sich das Verhältnis zwischen primärem und sekundärem Recht in Übereinstimmung mit Lüderssen und den ihm in der rechtswissenschaftlichen Literatur folgenden Stimmen im Bereich der Untreue als „asymmetrisch“ beschreiben.96 Ein asymmetrisches Akzessorietätsverhältnis97 führt mit Blick auf den Tatbestand der Untreue zu dem Schluss, dass eine Handlung, die im Zivilrecht erlaubt ist, nicht zu einem strafrechtlichen Verbot führen darf, während ein zivilrechtlich unzulässiges Verhalten, gleichwohl ohne Strafe bleiben kann.98 Die in der Asymmetrie zwischen Zivil- und Strafrecht in Bezug auf den Untreuetatbestand zum Ausdruck kommende Beschränkung der Strafbarkeit auf einen – aus Sicht des Aufsichtsrats – noch näher zu bestimmenden Kreis von Pflichtverletzungen99 ist Folge eines sich als subsidiär verstehenden Strafrechts, das aus Gründen des Rechtsgüterschutzes nur eingreift, wenn das erstrebte Ziel des Rechtsgüterschutzes und der Verhaltenssteuerung durch das vorrangige Primärrecht nicht erreicht werden kann.100 Aufgrund der hohen Eingriffsintensität einer strafrechtlichen Sanktion in die Grundrechte des Normadressaten kann parallel zu den Verhaltens- und Sanktionsnormen des Primärrechts wegen der Ultima-Ratio-Funktion des Strafrechts eine strafrechtliche Sanktionierung im Wege der Untreue nur erfolgen, wenn neben der primärrechtlichen Pflichtverletzung noch zusätzliche strafrechtsspezifi96  Lüderssen, FS Eser 2005, 163, 167 ff., 170; ders., FS Hanack 1999, 487 ff.; ders., FS Volk 2009, 346; ders., FS Lampe 2003, 729; ders., FS Schroeder 2006, 574. In die gleiche Richtung Beulke, FS Eisenberg 2009, 252; MüKoStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 183; ders., StraFo 2005, 398; Günther, FS Weber 2004, 314; Saliger, SSW, § 266 Rn. 31; Brammsen, wistra 2009, 87; ders., ZIP 2009, 1506; Tiedemann, FS Weber, 323 ff.; Spindler, in: Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, § 15 Rn. 22; Ignor/Sättele, FS Hamm 2008, 214; Volk, FS Hamm 2008, 804; Albrecht, FS Hamm 2008, 9; Jahn/Ziemann, ZIS 2016, 558 ff.; Schilha, § 2, 42. Im Ergebnis auch Kraatz, ZStW 123 (2011), 450, der von einer „limitierten Akzessorietät“ spricht. 97  Brammsen, wistra 2009, 87; ders., ZIP 2009, 1507 bringt dieses in das Bild zweier „konzentrischer Kreise“, deren inneren Kreis die Pflichtwidrigkeit im Sinne der Untreue bildet, dem der weitere „zivilrechtliche Kreis“ als Rahmen „übergestülpt“ ist. 98  Lüderssen, FS Eser 2005, 170; Beulke, FS Eisenberg 2009, 252; Kutzner, NJW 2006, 3543; Jahn/Ziemann, ZIS 2016, 558 f. 99  Zu den strafrechtsspezifischen Voraussetzungen siehe die Ausführungen in Teil 5 A. II. 1. c) im Zusammenhang mit der Prüfung von Pflichtverletzungen durch den Aufsichtsrat. 100  Für eine „vordringliche“ Zuständigkeit der Zivilrechtsordnung zutreffend Brammsen, wistra 2009, 87. Ebenso Beulke, FS Eisenberg 2009, 252; Knierim, FS Widmaier 2008, 626.

316 Teil 4: Einfluss u. Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht

sche Voraussetzungen erfüllt sind.101 Die primärrechtliche Pflichtverletzung ist daher nur notwendige und nicht auch hinreichende Bedingung für eine mögliche Untreuestrafbarkeit.102

II. Strafrechtsautonome Auslegung des Untreuetatbestandes nach Schünemann Gegen eine asymmetrische Ausprägung des Verhältnisses von Primär- und Sekundärrecht im Bereich der Untreue wird insbesondere von Schünemann eingewandt, dass eine aus der Annahme eines asymmetrischen Akzessorietätsverhältnisses folgende und die Untreuestrafbarkeit einschränkende weitere strafrechtsspezifische Voraussetzung „eklatant“ gegen den Wortlaut des § 266 Abs. 1 StGB verstoße, zu einer ebenso „eklatanten“ Ungleichbehandlung der Untreue als Innenschädigungsdelikt103 mit den Außenschädigungsdelikten Betrug und Diebstahl führe104 und das Verhältnis von Straf- und Zivilrecht „verzeichnen“ würde, weil ein asymmetrisches Verhältnis zu dem Missverständnis verleite, zusätzlich eine „gravierende Pflichtverletzung“ zu verlangen.105 Eine nach Schünemann aber gleichwohl zu fordernde „strafrechtsspezifische Höhenmarke“ läge demgegenüber im Untreuetatbestand selbst und der darin vorgenommenen Beschreibung der „Unrechtsmaterie“ in Gestalt der vorsätzlichen Schädigung anvertrauten Vermögens und nicht in der vom Straftatbestand in Bezug genommenen außerstrafrechtlichen Rechtsnorm.106 Die Autonomie der Untreue zeige sich in der im Treu101  Lüderssen, FS Eser 2005, 170, Fn. 50; ders., FS Schroeder 2006, 574; Dierlamm, StraFo 2005, 398; Beulke, FS Eisenberg 2009, 252; Brammsen, wistra 2009, 87; Kubiciel, NStZ 2005, 357. Am Beispiel des Kreditwesens zutreffend Knierim, FS Widmaier 2008, 626. 102  Brammsen, wistra 2009, 88; Dierlamm, StrFo 2005, 387. 103  Der Straftatbestand der Untreue wirkt der besonderen Verletzlichkeit des Vermögensinhabers, der seine wirtschaftlichen Interessen in fremde Hände legt und auf die Redlichkeit des Beauftragten angewiesen ist, entgegen. So BVerfG NJW 2010, 3212; Perron, GA 2009, 223. 104  Schünemann, NStZ 2005, 475. 105  Siehe Schünemann, FS Imme Roxin 2012, 350; LK-Schünemann, § 266 Rn. 57, 94. Zum Merkmal einer „gravierenden Pflichtverletzung“ siehe ausführlich Teil 5 A. II. 1. c). 106  Schünemann, FS Imme Roxin 2012, 350; ders., ZIS 2012, 188 ff.; ders., NStZ 2005, 474; ders., NStZ 2006, 199; LK-Schünemann, § 266 Rn. 17, 20 f., 58, 94. Im Mittelpunkt der Untreue steht danach letztlich die „Herrschaft über fremdes Vermögen“ als strafrechtsautonomer Begriff. Insoweit kritisch Seibt/Schwarz, AG 2010, 304. Siehe auch Kubiciel, NStZ 2005, 357 f., der bei der Bestimmung des Handlungsunrechts der Untreue im Ausgangspunkt zwar auch an originär strafrechtliche Kriterien anknüpft, im Unterschied zu Schünemann der außerstrafrechtlichen Pflichtverletzung ihre konstitutive Bedeutung aber nicht abspricht, sondern diese berücksichtigt



C. Akzessorietät versus Autonomie der strafrechtlichen Begriffsbildung317

bruchtatbestand des § 266 Abs. 1 StGB genannten Kategorie des tatsäch­ lichen „Treueverhältnisses“, nach der es zur Begründung einer Untreuestrafbarkeit nicht auf die zivilrechtliche Gültigkeit eines Vertragsverhältnisses ankomme.107 Der Suche nach einer außerstrafrechtlichen Pflichtverletzung könne folglich „keine für das Unrecht des § 266 StGB konstitutive Bedeutung“ zukommen, da die Pflichtverletzung aus der vorsätzlichen Vermögensschädigung folge beziehungsweise aus dieser regelmäßig rückgeschlossen werden könne.108 Die auf den ersten Blick erheblich erscheinende Divergenz zwischen einem asymmetrischen Akzessorietätsverständnis und der strafrechtsautonomen Auslegung nach Schünemann relativiert sich allerdings dadurch, dass auch dieser zivilrechtlich erlaubtes Verhalten wegen des Grundsatzes der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung anerkennt, sodass „zivilrecht­ liche Erlaubnisse“ im Rahmen des Untreuetatbestandes aufgrund dessen besonderer Tatbestandsfassung als „Tatbestandsausschließungsgründe“109 wirken können. Eine strafrechtsautonome Auslegung im Sinne von Schünemann führt daher entgegen der Befürchtung von Lüderssen nicht110 zu einer völligen Loslösung des Strafrechts vom Primärrecht, da außerstrafrechtliche Regelungen – ebenso wie im Rahmen der asymmetrischen Akzessorietät – zu einer Begrenzung der Strafbarkeit führen, wenn sie eine Handlung explizit erlauben.111 Ferner relativiert sich die Divergenz zwischen asymmetrischer Akzesso­ rietät und strafrechtsautonomer Auslegung dadurch, dass Schünemann konzediert, dass bei Beurteilung, ob ein Verhalten rechtmäßig war und deshalb den Tatbestand der Untreue nicht erfülle, „die zivilrechtliche Regelung der Rechte und Pflichten des Geschäftsbesorgers auch quantitativ eine erheb­ und ihr dadurch eine „konturenscharfe Unrechtsgravur“ verleihen möchte, indem die außerstrafrechtliche Pflichtverletzung festzustellen und strafrechtlich zu würdigen ist. 107  Unter Bezug auf die reichsgerichtliche Rechtsprechung Schünemann, FS I. Roxin 2012, 350; LK-Schünemann, § 266 Rn. 57, 61, 93 ff.; RG JW 1930, 1403 f.; RG JW 1931, 1366. 108  LK-Schünemann, § 266 Rn. 94; ders., FS Imme Roxin 2012, 351. 109  LK-Schünemann, § 266 Rn. 94; ders., FS Imme Roxin 2012, 351; ders., NStZ 2005, 474. 110  Siehe die Warnung bei Lüderssen, FS Hanack 1999, 487 ff., 497; ders., FS Eser 2005, 163 f. Siehe auch die insoweit nicht zutreffende Sorge bei Seibt/Schwarz, AG 2010, 304. 111  Auch Tiedemann, der grundsätzlich von einer weitreichenden Autonomie strafrechtlicher Begriffe ausgeht, erkennt im Rahmen der Untreue an, dass die Verweisung auf das Aktienrecht „zwingend zu einer Akzessorietät der Strafbarkeit von aktienrechtlichen Vorentscheidungen führt“. Siehe Tiedemann, FS Weber 2004, 322 f. Die von Lüderssen, FS Eser 2005, 163 geäußerten Bedenken sind daher auch mit Blick auf Tiedemann unbegründet.

318 Teil 4: Einfluss u. Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht

liche Rolle spielt“112, weswegen das Verhältnis von primärem Gesellschaftsrecht zum sekundären Strafrecht im Bereich der Untreue auch als „Zivilrechtsaffinität“ beziehungsweise „sektorale Zivilrechtsakzessorietät“ bezeich­ net werden könne.113 Die Diskrepanz zwischen asymmetrischer und einer von Schünemann als sektoral bezeichneten Akzessorietät besteht somit darin, dass erstere eine Primärrechtsverletzung als notwendige Bedingung für die Annahme einer untreuerelevanten Pflichtverletzung voraussetzt und anknüpfend daran nach einem zusätzlichen Kriterium zur spezifischen Bestimmung der Untreuestrafbarkeit sucht, während letztere auf Basis einer rein strafrechtsautonomen Auslegung zur Erfüllung des Tatbestands nicht auf die zivilrechtliche Pflicht, sondern nur auf das ihr zugrundeliegende Herrschaftsverhältnis abstellt.114 Die den Untreuetatbestand autonom auslegende Auffassung stellt damit die „Herrschaft über fremdes Vermögen“ als strafrechtsautonomen Begriff in den Mittelpunkt115 und knüpft die Strafbarkeit im Unterschied zur asymmetrischen Akzessorietät an keine zusätzliche Voraussetzung116, sondern sieht diese ausschließlich in der vorsätzlichen Vermögensschädigung durch einen Obhutsgaranten.117

D. Ergebnis und Auswirkungen der Asymmetrie für die weitere Untersuchung Auch wenn die Unterschiede zwischen asymmetrischer und sektoraler Zivilrechtsakzessorietät in der Praxis häufig nicht zu divergierenden Ergebnissen führen, weil im Kern beide Theorien darin übereinstimmen, dass eine primärrechtlich zulässige Handlung nicht bestraft werden kann und somit in beiden Fällen die Primärrechtslage Berücksichtigung findet118, erscheint die 112  LK-Schünemann, § 266 Rn. 70; Schünemann, FS Imme Roxin 2012, 351 f., wonach es „töricht“ wäre die „erhebliche Bedeutung der zivilrechtlichen Rechtslage auch im Rahmen des § 266 StGB leugnen zu wollen“. 113  Schünemann, FS Imme Roxin 2012, 352; LK-Schünemann, § 266 Rn. 94. 114  LK-Schünemann, § 266 Rn. 29, 70; ders., FS Imme Roxin 2012, 352. 115  LK-Schünemann, § 266 Rn. 20 f.; Seibt/Schwarz, AG 2010, 304, Fn. 32. 116  Hierin besteht der wesentliche Unterschied beider Theorien. Die Anknüpfung an die zivilrechtliche Pflichtverletzung würde nach Ansicht Schünemanns zu dem „Missverständnis verleiten“, dass für das Strafrecht noch einmal „draufgesattelt“ und zusätzlich nach einer „gravierenden Pflichtverletzung“ gefragt werden müsse. So dezidiert Schünemann, FS Imme Roxin 2012, 350; LK-Schünemann, § 266 Rn. 17, 57, 94. Zum Merkmal der „gravierenden Pflichtverletzung“ siehe ausführlich Teil 5 A. II. 1. c). 117  Schünemann, FS Imme Roxin 2012, 352. 118  Bei der asymmetrischen Akzessorietät dient die Primärrechtslage unmittelbar als notwendiger Anknüpfungspunkt zur Bestimmung einer strafrechtlich relevanten



D. Ergebnis und Auswirkungen der Asymmetrie319

Theorie der asymmetrischen Akzessorietät jedenfalls in den Lebensbereichen, in denen das Strafrecht eine durchnormierte Primärrechtsmaterie vorfindet, aus Gründen der Rechtssicherheit vorzugswürdig. Der von Schünemann zur Begründung einer Untreuestrafbarkeit herangezogene Rückschluss von einer vorsätzlichen Schädigung des anvertrauten fremden Vermögens auf eine untreuerelevante Pflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB ist zwar nicht generell unzulässig und führt auch nicht zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Ausdehnung der Strafbarkeit auf den Bereich des bei der Untreue straflosen Versuchs, wenn der Eintritt des Schadens und damit die Vollendung des Tatbestands sicher feststeht.119 Problematisch ist ein solcher Schluss aber gleichwohl dann, wenn der Taterfolg in Form eines real eingetretenen Schadens nicht sicher feststellbar ist, sondern lediglich in einer abstrakten Gefährdung des Vermögens des Treugebers besteht oder der Schaden in nicht ausschließbarer Weise auf einer risikobehafteten Handlung beruhte.120 Der Rückschluss von einer bloß abstrakten Vermögensgefährdung, wie sie etwa durch das Eingehen eines Risikogeschäfts herbeigeführt wird, auf eine strafrechtliche Pflichtverletzung trüge dann nicht nur den Makel der „Verschleifung“ zweier selbständiger Tatbestandsmerkmale in sich121, sondern würde zugleich zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Kriminalisierung riskanter Geschäfte und einer Ausdehnung des Tatbestandes der Untreue führen. Insoweit erkennt auch Schünemann an, dass das vorsätzliche Eingehen von Risikogeschäften durch Obhutsgaranten sich im Wirtschaftsleben nicht bereits deshalb als pflichtwidrig darstellt, weil die Transaktion eines Treupflichtigen fehlschlug und einen „endgültigen Schaden“ verursacht hat.122 Pflichtverletzung, während sie bei der sektoralen Akzessorietät auf der Ebene des Tatbestandsausschlusses zum Ausschluss einer autonom bestimmten Strafbarkeit Beachtung findet. 119  Zur teilweise notwendigen und zulässigen Verschleifung von Tathandlung und Taterfolg im Bereich der Haushaltsuntreue siehe Saliger, HRRS 2006, 14; BVerfG NJW 2010, 3215; Fischer, StGB § 266 Rn. 64; LK-Schünemann § 266 Rn. 29. 120  Freilich erkennt auch Schünemann die Straflosigkeit des Untreueversuchs an mit der Folge, dass „der Charakter als Erfolgsdelikt“ bei dem Tatbestand der Untreue „noch exakter gewahrt werden muss“ als beim Betrug. Im Bereich der Risikogeschäfte folgt der Vermögensnachteil nach der Auffassung Schünemanns daher nicht schon aus der Pflichtwidrigkeit oder der Rechts- oder Sittenwidrigkeit des Geschäfts. Dieser bestimme sich in dieser Fallgruppe vielmehr nach den „Grundsätzen des integrierten Vermögensbegriffs in Verbindung mit der rationalen Entscheidungstheorie“. Siehe hierzu LK-Schünemann, § 266 Rn. 29, 177, 187. 121  Zur grundsätzlichen Selbständigkeit der beiden Tatbestandsmerkmale Pflichtverletzung und Vermögensnachteil siehe BVerfG NJW 2010, 3215. 122  Zur Bestimmung der Strafbarkeit komme es „selbstverständlich“ auf die Situation im Zeitpunkt der Tathandlung und hier wiederum auf „Inhalt und Grenzen des

320 Teil 4: Einfluss u. Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht

Vor diesem Hintergrund gelangt Schünemann dazu, dass eine zivilrechtlich wirksame Gestattung die Pflichtwidrigkeit der Untreue in der Regel ausschließt, da eine zivilrechtlich erlaubte Vermögensminderung nicht strafbar sein könne, weswegen das Verhalten des Betreuungspflichtigen als „tatbestandslos“ einzuordnen sei.123 Die von Schünemann damit über den Weg des tatbestandsausschließenden Einverständnisses als strafbarkeitsbegrenzendes Korrektiv in die Prüfung des Untreuetatbestandes eingefügte außerstrafrechtliche Bewertung des Täterverhaltens in der Gestalt, dass zivilrechtlich pflichtgemäßes oder vertretbares Verhalten zu einem Tatbestandsausschluss führen soll, gelangt zwar zu dem gleichen Ergebnis wie die Theorie der asymmetrischen Akzessorietät, nach der bei pflichtgemäßem oder vertretbarem Verhalten der Tatbestand der Untreue schon nicht erfüllt ist, weil keine anknüpfungsfähige Pflichtverletzung vorliegt. Trotz des Gleichlaufs erscheint aber nicht nachvollziehbar, warum bei der am Maßstab der Bestimmtheit zu messenden Begründung der Strafbarkeit auf den normativen Inhalt der zu einer Konkretisierung regelmäßig beitragenden Primärnorm verzichtet und das strafbare Verhalten stattdessen vollkommen losgelöst durch den inhaltlich nur wenig aussagekräftigen Norminhalt des § 266 StGB bestimmt werden soll.124 Naheliegender und aus Gründen der Rechtsicherheit vorzugswürdiger ist daher der von der asymmetrischen Akzessorietätslehre verfolgte Ansatz, die normativen Vorgaben des Primärrechts bei der Begründung der Untreuestrafbarkeit zu berücksichtigen und in den Lebensbereichen, in denen eine Primärrechtsmaterie existiert auch an deren Norminhalt anzuknüpfen, da nur dann ein Gewinn an Gesetzesbestimmtheit zu erwarten ist. Eine tatbestandsmäßige Anknüpfung der Untreue an das Primärrecht erscheint zudem praktikabler, da hierdurch verhindert wird, dass ein durch strafrechtsautonome Auslegung gewonnenes Ergebnis nicht haltbar ist, weil es im Widerspruch zum Primärrecht steht und anschließend entweder auf durch Gesetz, Verwaltungsakt oder Rechtsgeschäft erteilten und geregelten Treuhandauftrages“ an. Siehe LK-Schünemann § 266 Rn. 116. Zutreffend Fischer, StGB § 266 Rn. 66. 123  Nach Auffassung Schünemanns sei dies eine Auswirkung der auf Rechtfertigungsebene zu berücksichtigenden „Zivilrechtsaffinität“ und führe dazu, dass das Verhalten des Betreuungspflichtigen der „Pflichtwidrigkeit entkleidet“ werde, sodass dieses als „tatbestandslos“ anzusehen sei. Siehe hierzu LK-Schünemann § 266 Rn. 124. 124  Die Weite des Untreuetatbestandes zeigt sich darin, dass sich das Erfolgsunrecht in der Zufügung eines Vermögensnachteils erschöpft, während das Handlungsrecht den „Fehlgebrauch eingeräumter Entscheidungsmacht über fremdes Vermögen“ umschreibt. Siehe auch Kubiciel, NStZ 2005, 354.



D. Ergebnis und Auswirkungen der Asymmetrie321

Tatbestandsebene über den Umweg des tatbestandsausschließenden Einverständnisses oder auf Ebene der Rechtfertigung korrigiert werden muss.125 Das aus der Annahme einer asymmetrischen Akzessorietät folgende und im weiteren Verlauf der Untersuchung aus Sicht des Aufsichtsrats noch näher zu konkretisierende Erfordernis einer an die Primärrechtsverletzung anknüpfenden zusätzlichen strafrechtspezifischen Voraussetzung126 verstößt auch nicht „eklatant“ gegen den Wortlaut des § 266 Abs. 1 StGB127, sondern trägt vielmehr im Gegenteil zu einer verfassungsrechtlich gebotenen Präzisierung des „relativ unscharf“128 gefassten Tatbestands bei. Dieser umschreibt die Tathandlung der Untreue als „Missbrauch“ oder „Verletzung“ der in § 266 Abs. 1 StGB umschriebenen Pflichtenstellung. Die Tatbestandsmerkmale „verletzt“ und „missbraucht“ sind einer strafrechtsspezifischen und konkretisierenden Auslegung auch zugänglich. Der von Schünemann erhobene Einwand, dass sich dem Wortlaut des Untreuetatbestands das Erfordernis einer zusätzlichen Einschränkung, etwa in Form einer gravierenden oder evidenten Pflichtverletzung, nicht entnehmen lasse129 überzeugt mit Blick auf die extreme Weite des Untreuetatbestandes und der deshalb gebotenen Restriktion nicht.130 Aufgrund des hohen Abstraktionsgrades des Untreuetatbestandes und der sehr weiten tatbestandlichen Fassung131 ist dieser nicht nur in erhöhtem Maße auslegungsfähig, sondern auch verstärkt auslegungsbedürftig, um noch als mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar angesehen zu werden.132 Das Ziel der Auslegung muss deshalb einerseits darin bestehen, den Tatbestand restriktiv und präzisierend auszulegen.133 Diese letztlich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgende Maßgabe darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass eine restriktive Auslegung nicht auch automatisch zu einem „Mehr“ an Bestimmtheit führt. Im Rahmen der Auslegung ist daher insbesondere dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Untreue tatbestandsmäßig an außerstrafrechtliche Pflichdiese Richtung zutreffend auch Seibt/Schwarz, AG 2010, 304. Merkmal der „gravierenden“ oder „evidenten“ Pflichtverletzung Teil 5 A. II. 1. c). 127  So dezidiert Schünemann, NStZ 2005, 475. 128  BVerfG NJW 2010, 3212. 129  Schünemann, NStZ 2005, 475. 130  Ebenso BVerfG NJW 2010, 3215. Für eine restriktive Auslegung bei Generalklauseln und Maßfiguren zutreffend auch Knierim, FS Widmaier 2008, 629. 131  Diese resultiert daraus, dass der Gesetzgeber auf die Schaffung von Sondertatbeständen für einzelne Treueverhältnisses bewusst verzichtet hat. Siehe BVerfG NJW 2010, 3212. 132  Für eine solche Auslegung ausdrücklich BVerfG NJW 2010, 3212 f. 133  BVerfG NJW 2010, 3212. 125  In

126  Zum

322 Teil 4: Einfluss u. Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht

ten anknüpft.134 Eine den straf- und außerstrafrechtlichen Gehalt des Untreuetatbestandes berücksichtigende Auslegung verlangt daher auch das Bundesverfassungsgericht. Danach ist nicht nur das für den Untreuetatbestand „zentrale Merkmal“ der Verletzung einer Pflicht zur Wahrnehmung und Betreuung fremder Vermögensinteressen „für sich genommen weit“ gefasst, sondern knüpft zusätzlich an „außerstrafrechtliche Normkomplexe und Wertungen“ an, sodass deren Norminhalt „erst“ den Inhalt der strafbewehrten Pflicht und die Maßstäbe für deren Verletzung festlegt.135 Die aus zivil- oder öffentlich-rechtlichen Normen folgende Pflichtwidrigkeit des Handelns ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgericht als „notwendige Voraussetzung“ der Untreuestrafbarkeit klar bezeichnet, auch wenn ihre Bestimmung im Einzelfall erhebliche Unsicherheit mit sich bringt.136 Verschärft wird diese danach verbleibende Unsicherheit dadurch, dass sich dem Wortlaut des § 266 Abs. 1 StGB Anforderungen an die Bestimmtheit der in Bezug genommenen Normen nicht entnehmen lassen, sodass auch Vorschriften von erheblicher Unbestimmtheit oder generalklauselartigen Charakters, wie die Bestimmungen der §§ 76, 93, 111, 116 AktG tauglicher Anknüpfungspunkt des Untreuetatbestandes sein können.137 Zur Wahrung der aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Bestimmtheit muss das Ziel der Auslegung darin bestehen, die Anwendung des Untreuetatbestands auf Fälle „klarer und evidenter“ Fälle pflichtwidrigen Handelns zu beschränken.138 Dieser aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gebotenen Tatbestandsrestriktion trägt die der asymmetrischen Akzessorietät zugrundeliegende Annahme, dass eine zivilrechtliche Pflichtverletzung nur notwendige, nicht auch hinreichende Bedingung der Strafbarkeit ist, Rechnung. Der aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotene Rekurs auf eine Pflichtverletzung, die sowohl den strafrechtlichen als auch außerstrafrechtlichen Gehalt des Untreuetatbestandes berücksichtigt139 und diesen durch eine restriktive Auslegung auf objektiver Ebene einschränkt, führt schließlich nicht zu einer „eklatanten“ Privilegierung des Untreuetäters im Vergleich zum Betrüger oder Dieb.140 Bei der Untreue handelt es sich – im Unterschied zu auch zutreffend Brammsen, ZIP 2009, 1507. NJW 2010, 3213. 136  Siehe BVerfG NJW 2010, 3213. 137  BVerfG NJW 2010, 3213. 138  BVerfG NJW 2010, 3215. Für eine Beschränkung auf „schlechterdings nicht mehr vertretbares Verhalten“ Knierim, FS Widmaier 2008, 630. 139  Zutreffend Brammsen, wistra 2009, 88; ders., ZIP 2009, 1507, der eine „treue­ spezifizierte Pflichtverletzung“ fordert. 140  So aber Schünemann, NStZ 2005, 475; Saliger, HRRS 2006, 19; Schilha, § 4, 290. 134  Siehe

135  BVerfG



D. Ergebnis und Auswirkungen der Asymmetrie323

den Delikten des Betrugs oder Diebstahls – um ein Delikt, das seinen Anwendungsbereich vornehmlich im Wirtschaftsleben findet141 und über die Anbindung an außerstrafrechtliche Normen stark konkretisierungsbedürftig ist. Die Aufgabe eines Organs besteht darin, anhand komplexer Entscheidungen die ihm zustehende Machtstellung  – sei es als Vorstand in Form der Leitung nach § 76 Abs. 1 AktG oder als Aufsichtsrat durch Überwachung gemäß § 111 Abs. 1 AktG  – in der Vermögenssphäre der Gesellschaft unter Berücksichtigung des Unternehmenswohls zu betätigen.142 Die Situation eines pflichtwidrig handelnden Organwalters ist daher nicht mit der eines Diebes oder Betrügers vergleichbar. Deren Tathandlung ist in den Tatbeständen des Betrugs und Diebstahls klar umschrieben, sodass sie sich in der Regel weit weniger problematisch als Verletzung der Rechtsordnung einordnen lässt, als dies bei dem Tatbestand der Untreue der Fall ist, der im Vergleich zu §§ 242, 263 StGB weniger Tatbestandsmerkmale enthält und über das normative Tatbestandsmerkmal der Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht zudem an die gesamte außerstrafrechtliche Rechtsordnung anknüpft.143 Ferner enthalten sowohl der Tatbestand des Betrugs- als auch der des Diebstahls über die Tatbestandsmerkmale der Bereicherungs- und Zueignungsabsicht144 auf subjektiver Ebene eine dem Untreuetatbestand fehlende Restriktion und eröffnen im Unterschied zur Untreue in der Regel keinen Interpretationsspielraum dahingehend, ob eine Handlung vertretbar war oder nicht. Im Gegensatz dazu erfasst der Tatbestand der Untreue aufgrund seiner tatbestandlichen Fassung komplexe wirtschaftliche Vorgänge. Daher sind auch einschränkende Kriterien notwendig, wenn man unternehmerisches Handeln nicht vorschnell kriminalisieren möchte. Auch kann aus dem von Schünemann für eine autonome Auslegung des Untreuetatbestandes angeführten Umstand, dass der Treubruchtatbestand des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB über das Tatbestandsmerkmal des „Treueverhältnisses“ auch von der Wirksamkeit des zivilrechtlichen Geschäfts losgelöste „tatsächliche“ Vorgänge erfasst145, nicht gefolgert werden, dass der in weiten Teilen eine ausdifferenzierte außerstrafrechtliche Rechtsordnung vorfin141  Siehe nur Seibt/Schwarz, AG 2010, 301; Saliger, HRRS 2006, 10; Kraatz, ZStW 2011, 445, wonach die Untreue längst die „Zentralnorm im Wirtschaftsstrafrecht“ sei. 142  Brammsen, wistra 2009, 88; ders., ZIP 2009, 1507. 143  Zutreffend Theile, ZIS 2011, 624; Brammsen, wistra 2009, 88; ders., ZIP 2009, 1507. 144  Der Tatbestand des Betruges enthält mit den Merkmalen der Vermögensverfügung und der Stoffgleichheit der angestrebten Bereicherung auch weitere strafbarkeitseinschränkende Tatbestandsmerkmale. Siehe zutreffend auch Theile, ZIS 2011, 624. 145  LK-Schünemann § 266 Rn. 61, 64; ders., FS Imme Roxin 2012, 350.

324 Teil 4: Einfluss u. Wirkung außerstrafrechtlicher Pflichten auf das Strafrecht

dende Untreuetatbestand stets autonom auszulegen ist. Dies gilt insbesondere für die zahlreichen Lebensbereiche, in denen die Vermögensbetreuungspflicht durch „Gesetz“ begründet wird. Nur weil in einzelnen Lebensbereichen innerhalb der Treubruchuntreue146 auch ein tatsächliches Treueverhältnis zur Begründung einer strafrechtlichen Pflichtenstellung, etwa im Bereich der Ganovenuntreue147, zur Schließung von Strafbarkeitslücken genügt148, determiniert dies nicht die gesamte Interpretation des Untreuetatbestandes. Vielmehr liegt darin nur eine punktuelle Loslösung des an sich akzessorischen Untreuetatbestands von primärrecht­ lichen Vorgaben.149 Die Existenz des tatsächlichen Treueverhältnisses im Untreuetatbestand führt nicht zu einem unauflösbaren Widerspruch der asymmetrischen Akzessorietätstheorie150, sondern trägt dem Umstand Rechnung, dass der Strafgesetzgeber zur Sicherstellung eines differenzierten Rechtsgüterschutzes entweder an eine existierende Primärrechtsmaterie anknüpfen oder bei Fehlen einer solchen ein originär strafrechtliches Verbot schaffen kann.151 Eine strafrechsautonome Auslegung hat daher nur in den Bereichen stattzufinden, in denen kein primärrechtlicher Unterbau existiert152, da das strafrechtliche Verbot hier selbst das primäre Recht darstellt und mangels anderer Alternativen auch die Auslegung bestimmt. Sofern das Strafrecht den Rechtsgüterschutz an eine bestehende Primärrechtsmaterie knüpft, ist diese bei der Auslegung mit Blick auf die Ultima-Ratio Funktion des Strafrechts und aus Gründen der Rechtssicherheit heranzuziehen. Vor diesem Hintergrund kann 146  Der Anwendungsbereich des „tatsächlichen“ Treueverhältnisses erstreckt sich im Wesentlichen auf Betreuungsverhältnisse, die zivilrechtlich entweder nicht wirksam entstanden oder bereits wieder erloschen sind. Zum faktischen Geschäftsführer siehe BGH, NStZ 1996, 540. 147  Mit dem Argument, dass „auch unter Ganoven kein rechtsfreier Raum“ bestehen dürfe, werden unter dem Stichwort der „Ganovenuntreue“ teilweise auch gesetzoder sittenwidrige Rechtsgeschäfte erfasst. Kritisch hierzu MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 163, 165 ff. 148  Darauf, dass das Merkmal des „Treueverhältnisses“ den Tatbestand in einer bedenklichen Weite für Billigkeitserwägungen öffnet, weist zutreffend Fischer, StGB § 266 Rn. 40 hin. 149  Zutreffend BeckOK StGB/Wittig StGB § 266 Rn. 27; Lüderssen, FS Eser 2005, 169. 150  LK-Schünemann § 266 Rn. 64, 94; ders., FS Imme Roxin 2012, 350. 151  Siehe Schilha, § 2, 40, der zutreffend darauf hinweist, dass ein „originär strafrechtlicher“ Rechtsgüter- und Opferschutz vor allem dann relevant wird, wenn im Laufe der Zeit Gefahren erkennbar werden, die der Gesetzgeber bei Schaffung der Primärmaterie nicht gesehen hat. 152  Zu einzelnen originär durch das Strafrecht geschützten Rechtsgütern siehe Lüderssen, FS Eser 2005, 167 ff.; ders., FS Hanack 1999, 488 ff.



D. Ergebnis und Auswirkungen der Asymmetrie325

eine strafrechtsautonome Auslegung, wie Lüderssen zutreffend bemerkt, nicht das vorrangige Ziel, sondern nur „eine Notauskunft“153 für die Bereiche sein, in denen keine Primärrechtsmaterie existiert, an die im Rahmen der Auslegung des Untreuetatbestandes angeknüpft werden könnte. Mit Blick auf den Untreuetatbestand bedeutet dies, dass eine vom Primärrecht losgelöste strafrechtsautonome oder tatsächlich faktische154 Auslegung nur dort in Betracht kommt, wo keine ausdifferenzierte Primärmaterie existiert. Dies ist ausschließlich in der Variante des Treueverhältnisses der Fall.155 Im Übrigen knüpft der Untreuetatbestand zur Begründung einer Vermögensbetreuungspflicht mit den Tatbestandsmerkmalen „kraft Gesetz“, „behördlichen Auftrag“ und „Rechtsgeschäft“ sowohl im Missbrauchs- als auch im Treubruchtatbestand an außerstrafrechtliche Grundlagen an, sodass aus Gründen der Rechtssicherheit auch eine an diesen orientierte Auslegung des Tatbestandes zu erfolgen hat.156

153  Lüderssen,

FS Eser 2005, 169. Grundsatz der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ kritisch Knierim, FS Widmaier 2008, 632; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, § 1 Rn. 32. 155  Zu den im Rahmen der Auslegung des faktischen Treueverhältnisses zu beachtenden Maßstäben siehe BeckOK StGB/Wittig StGB § 266 Rn. 27. 156  Für eine an außerstrafrechtlichen Rechtsnormen orientierte Betrachtung im Bereich der Untreue sogar Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, § 1 Rn. 32; ders., FS Tröndle 1989, 326, der im Übrigen eine „weitgehende Autonomie der strafrechtlichen Begriffsbildung“ fordert. 154  Zum

Teil 5

Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands Mit Blick auf das vorstehende Ergebnis ist festzuhalten, dass das Verhältnis zwischen Zivil- und Strafrecht im Bereich der Untreue asymmetrisch ausgeprägt ist und der Aufsichtsrat – wie in Teil 3 dargelegt – auf Ebene des Zivilrechts pflichtwidrig handelt, wenn er es entgegen seiner aktienrechtlichen Pflicht nach § 111 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG unterlässt, den Vorstand unter Rückgriff auf die ihm nach dem Aktienrecht zur Verfügung stehenden Überwachungsinstrumente dahingehend zu überwachen, dass dieser in der AG wenigstens auch ein taugliches Compliance-System eingeführt hat und der Vorstand sich zugleich selbst strafrechtskonform verhält. Damit stellt sich die weitergehende Frage, ob und unter welchen „strafrechtsspezifischen“ Voraussetzungen die Verletzung der im Innenverhältnis zur AG bestehenden aktienrechtlichen Pflicht zur Überwachung der Compliance des Vorstands für den Aufsichtsrat auch auf der Ebene des Strafrechts relevant wird. Unter Zugrundelegung eines asymmetrischen Akzessorietätsverhältnisses ist insbesondere zu klären, welche Qualität die zivilrechtliche Pflichtverletzung aus Sicht des Aufsichtsrats konkret erreichen muss, um für diesen auch einen strafrechtlichen Unrechtsgehalt zu entfalten. Die gleiche Frage stellt sich, wenn es der Aufsichtsrat entgegen § 111 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG versäumt, eine schadenskausale Compliance-Pflichtverletzung des Vorstands intern aufzuklären, ein die AG schädigendes Fehlverhalten des Vorstands mit den ihm zur Verfügung stehenden gesellschaftsrechtlichen Mitteln abzustellen oder er trotz interner Aufklärung einer schädigenden Compliance-Pflichtverletzung des Vorstands unter Verstoß gegen die im Innenverhältnis bestehende Pflicht aus §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG von der Verfolgung eines werthaltigen und durchsetzbaren Schadenersatzanspruchs nach Maßgabe der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung absieht.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands327

A. Strafrechtliche Haftungsrisiken bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands Im Mittelpunkt der strafrechtlichen Verantwortung des Aufsichtsrats steht in materiell-rechtlicher Hinsicht der Tatbestand der Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB.1 Die nachfolgende Untersuchung beschränkt sich daher, anknüpfend an die in Teil 3 gefundenen zivilrechtlichen Ergebnisse, auf die für den Aufsichtsrat in der Praxis entscheidende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Unterlassen der von ihm im Bereich der Compliance gegenüber dem Vorstand der AG geschuldeten Überwachung gemäß § 111 Abs. 1 AktG unter Zugrundelegung eines asymmetrischen Akzessorietäts­ verhältnisses zugleich eine Strafbarkeit wegen Untreue durch Unterlassen gemäß §§ 266 Abs. 1, 13 StGB begründen kann. Neben dieser für den Aufsichtsrat bedeutsamen Frage ist zu klären, wie sich ein Pflichtverstoß unter dem Blickwinkel der Untreue auswirkt, wenn er im Bereich der ihm im Verhältnis zum Vorstand obliegenden Geschäftsführung unzureichend tätig wird oder es gänzlich unterlässt, eine bekanntgewordene Compliance-Pflichtverletzung des Vorstands2 aufzuklären, das Fehlverhalten abzustellen und mit den ihm zur Verfügung stehenden internen Sanktionsmöglichkeiten, wie der Kündigung und Abberufung des betroffenen Vorstandsmitglieds, der Verfolgung von Schadenersatzansprüchen oder der Erstattung einer Strafanzeige, zu ahnden.3 Im Anschluss an diese strafrechtliche Betrachtung ist abschließend zu fragen, wie der Aufsichtsrat die ihm nach dem Aktienrecht zukommenden Einwirkungsmöglichkeiten gegenüber dem Vorstand im Rahmen einer „präventiv-begleitenden“ Überwachung einsetzen und dadurch ein ihn gegebenfalls treffendes strafrechtliches Haftungsrisiko reduzieren kann.

1  Siehe zur herausragenden Relevanz des § 266 StGB für den Aufsichtsrat nur Lüderssen, FS Lampe, 2003, 727 ff.; Leipold, FS Mehle 2009, 351; Krause, NStZ 2011, 58; Brand/Petermann, WM 2012, 62 ff.; Seibt/Schwarz, AG 2010, 301 ff.; Brammsen, ZIP 2009, 1504 ff.; Beukelmann, NJW-Spezial 2009, 152; Dannecker, Audit Committee Quaterly III/2014, 4 ff. 2  Diese kann mittelbar darin bestehen, dass der Vorstand kein ComplianceSystem in der AG einrichtet oder selbst unmittelbar in einen strafrechtlichen Sachverhalt verwickelt ist. 3  Ebenso ist zu untersuchen, ob diesen Pflichten ein zur Anwendung des Untreuetatbestands erforderlicher Vermögensbezug zukommt. Siehe hierzu auch unten Teil 5 A. II. 1. c) bb) (2); Teil 5 A. III. 5. a); Teil 5 A. III. 5. b) u. c).

328

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

I. Risiko der Aufsichtsratsuntreue bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands Die Nichtexistenz eines Compliance-Systems führt auf Organebene zu unterschiedlichen Pflichtverletzungen. Existiert in der AG kein taugliches Compliance-System und kam es deshalb zu einer Straftatbegehung auf Mitarbeiterebene, liegt neben dem Verstoß des unmittelbar handelnden Mitarbeiters regelmäßig ein Verstoß des Vorstands gegen seine aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1, 91 Abs. 2 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG folgende Compliance-Pflicht4 vor. Im Rahmen der zivilrechtlichen Untersuchung der Compliance-Pflichten des Aufsichtsrats wurde deutlich, dass dieser gemäß § 111 Abs. 1 AktG in Verbindung mit §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG den Vorstand unter Rückgriff auf die ihm nach dem Aktienrecht zur Verfügung stehenden Überwachungsinstrumente5 auch dahingehend zu überwachen hat, dass dieser in der AG ein taugliches Compliance-System einführt, das geeignete Vorkehrungen zur Vermeidung von straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verstößen auf Mitarbeiterebene enthält.6 Ferner hat der Aufsichtsrat zu überwachen, ob sich der Vorstand selbst legal verhält und nicht an einer strafbaren Handlung beteiligt ist.7 Kommt der Aufsichtsrat dieser aus § 111 Abs. 1 AktG folgenden Überwachungspflicht insoweit nicht nach, weil er es unterlässt, durch Anwendung der ihm zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten auf den Vorstand tatsächlich und rechtlich einzuwirken, liegt neben der Pflichtverletzung des Vorstands in Form der Nichteinführung eines Compliance-Systems regelmäßig auch eine Pflichtverletzung des Aufsichtsrats in Form der Nichtüberwachung der Einführung eines solchen Systems vor. Aus Sicht des Aufsichtsrats stellt sich in strafrechtlicher Hinsicht dann die Frage, ob er sich wegen Untreue durch Unterlassen gemäß §§ 266 Abs. 1, 13 StGB strafbar machen kann, wenn er es unterlässt, die Einführung eines an den individuellen Verhältnissen der AG ausgerichteten Compliance-Systems durch den dafür zuständigen Vorstand zu überwachen. Ebenso stellt sich die Frage, wie es sich aus Sicht des Aufsichtsrats gemäß §§ 266 Abs. 1, 13 StGB strafrechtlich auswirkt, wenn er entgegen seiner aktienrechtlichen Pflicht aus § 111 Abs. 1 i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG den Vorstand nicht auf dessen eigene „Compliance-Konformität“ hin überwacht.8 4  Siehe hierzu oben Teil 3 B. II. 5.; Teil 3 B. III. 3.; Teil 3 B. V. Zu den strafrechtlichen Haftungsrisiken der Leitungsebene siehe Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht, S.  58 ff. 5  Siehe hierzu die Ausführungen in Teil 2 B. I. 2. 6  Zutreffend auch Busekist/Keuten, CCZ 2016, 119, 120. 7  Busekist/Keuten, CCZ 2016, 119, 120. Siehe hierzu oben Teil 3 C. III.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands329

II. Nichtüberwachung der Einführung eines tauglichen Compliance-Systems durch den dafür zuständigen Vorstand als Anknüpfungspunkt für eine Untreuestrafbarkeit Die aus §§ 111 Abs. 1, 116 S. 1, 93 AktG abgeleitete Pflicht des Aufsichtsrats, den Vorstand dahingehend zu überwachen, ob dieser ein an den individuellen Bedürfnissen der AG ausgerichtetes Compliance-System implementiert hat, könnte im Fall ihrer Missachtung durch die zur Erfüllung berufenen Aufsichtsratsmitglieder über das normative Tatbestandsmerkmal der Vermögensbetreuungspflicht auch als Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit wegen Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB in der Begehungsform des Unterlassens dienen. 1. Voraussetzungen für eine Untreuestrafbarkeit in objektiver Hinsicht Eine Strafbarkeit von Mitgliedern des Aufsichtsrats wegen Untreue durch Unterlassen gemäß §§ 266 Abs. 1, 13 StGB infolge der Nichtüberwachung der Einführung eines tauglichen und an den individuellen Bedürfnissen der AG orientierten Compliance-Systems durch den dafür zuständigen Vorstand setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats taugliche Täter der Untreue sein können, sie gegenüber der Aktiengesellschaft eine Vermögensbetreuungspflicht wahrzunehmen haben und in der Nichtüberwachung der Einführung eines tauglichen Compliance-Systems durch den Vorstand eine strafrechtlich relevante Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht liegt. Eine aus Sicht des Aufsichtsrats gegebenenfalls strafrechtlich relevante Pflichtverletzung in Form der Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems müsste zur Begründung einer Strafbarkeit wegen Untreue ferner zu einem Nachteil für das Vermögen der AG führen. Schließlich verlangt die Begründung einer Strafbarkeit wegen Untreue der Aufsichtsratsmitglieder durch Unterlassen der geschuldeten Überwachung nach § 13 Abs. 1 StGB das Bestehen einer Garantenstellung und die Verletzung einer hieraus folgenden Garantenpflicht.9

8  Auch insoweit liegt eine vom Überwachungsauftrag des § 111 Abs. 1 AktG erfasste Compliance-Pflichtverletzung des Vorstands vor. Siehe hierzu oben Teil  3 C. III 1. 9  Zu dieser in der Literatur und Rechtsprechung nicht unumstrittenen Frage siehe die Ausführungen unten Teil 5 A. II. 1. d).

330

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

a) Missbrauchs- oder Treubruchuntreue bei Nichtüberwachung Bevor auf die einzelnen Voraussetzungen der Aufsichtsratsuntreue bei Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand eingegangen werden kann, ist zu klären, welche Tatbestandsalternative des § 266 Abs. 1 StGB im Fall der Nichtüberwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat einschlägig ist. Die Nichtüberwachung des Vorstands könnte sich als Missbrauchsuntreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB oder auch als Treubruchuntreue nach § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB darstellen. Beide Tatbestandsalternativen verlangen jeweils eine Pflichtverletzung im Innenverhältnis.10 Während für die Missbrauchsuntreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB charakteristisch ist, dass der Täter unter Einhaltung des ihm im Außenverhältnis zukommenden rechtlichen Könnens das ihm im Innenverhältnis zum Vermögensinhaber eingeräumte rechtliche Dürfen überschreitet11, verlangt § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB in der Variante der Treubruchsuntreue schlicht das Verletzen einer Vermögensbetreuungspflicht.12 Die Einordnung eines bestimmten Verhaltens als Missbrauchs- oder Treubruchuntreue hängt somit davon ab, ob der Täter seine Pflicht durch ein Verhalten verletzt, das den Geschäftsherrn nach außen hin rechtswirksam bindet13, da ein Missbrauch der eingeräumten Befugnis nur vorliegen kann, wenn von der Befugnis in der ihrem Inhalt entsprechenden Form durch rechtsgeschäftliche Verfügung oder Verpflichtung wirksam Gebrauch gemacht wurde.14 Demgegenüber knüpft die Treubruchvariante des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB nicht an die formale Stellung des Täters zu dem betroffenen Vermögen, sondern an dessen tatsächliche Einwirkungsmacht an, wenn dieser ein besonders schützenwertes Vertrauen in die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen zugrunde liegt.15 Da es im Treubruchtatbestand in Abgrenzung zum Tatbestand des 10  BVerfG NJW 2010, 3212; Schramm, in: WirtschaftsstrafR Hdb. für die Unternehmens- und Anwaltspraxis, Kap. 5, Rn. 48; Brammsen, ZIP 2009, 1505. 11  BGHSt 5, 61, 63; Fischer, StGB § 266 Rn. 25; Brammsen, ZIP 2009, 1505. 12  Schramm, in: WirtschaftsstrafR Hdb. für die Unternehmens- und Anwaltspraxis, Kap. 5, Rn. 91; Brammsen, ZIP 2009, 1505. 13  MüKoStGB/Dierlamm § 266 Rn. 134 f.; Brammsen, ZIP 2009, 1505. Zur Abgrenzung siehe auch die Ausführungen bei Schwerdtfeger, S. 63 ff. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass ein rechtswirksames Handeln nicht Voraussetzung des Missbrauchstatbestandes sei, da sonst der „schlimmste Fall des Missbrauchs“, nämlich das kollusive Zusammenwirken zum Nachteil des Gesellschaftsvermögens, nicht erfasst würde. Siehe hierzu auch ausführlich MüKoStGB/Dierlamm § 266 Rn. 134 f. sowie zur Gegensansicht LK-Schünemann Rn. 33. 14  Fischer, StGB § 266 Rn. 24; BGH, NStZ 2007, 579 f. 15  LK-Schünemann, § 266 Rn. 29; Fischer, StGB § 266 Rn. 33; BGH, NStZ 1996, 540. Zum umstrittenen Verhältnis zwischen Missbrauchs- und Treubruchtatbe-



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands331

Missbrauchs nicht um die Fähigkeit geht, auf das zu betreuende Vermögen „in seinem rechtlichen Bestand einzuwirken“ und so den anderen rechtsverbindlich festzulegen, erfasst dieser Schädigungen, die „durch Realakte“ und „unterlassene Obsorge und Kontrolle“ entstehen.16 Mit Blick auf den nach § 111 Abs. 1 AktG zur Kontrolle des Vorstands berufenen Aufsichtsrat bedeutet dies, dass ein Unterlassen der Überwachung der Einführung eines tauglichen Compliance-Systems tatbestandlich dem Anwendungsbereich der Treubruchuntreue des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB zuzuordnen ist, da durch das schlichte Unterlassen der Kontrolle aus Sicht der AG keine rechtsverbindliche durch Verfügung oder Verpflichtung herbeigeführte Einwirkung auf das Vermögen der Gesellschaft bewirkt wird.17 Hierzu wäre der Aufsichtsrat im Rahmen der Überwachung gemäß § 111 Abs. 1 AktG primärrechtlich auch nicht befugt.18 Die Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Aufsichtsrat kann sich bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB daher tatbestandlich nur als eine Verletzung des Treubruchtatbestands darstellen. b) Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsrats im Bereich der Überwachung Tauglicher Täter einer Treubruchuntreue nach § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB kann nur derjenige sein, den die Pflicht trifft, die Vermögensinteressen desjenigen zu betreuen, über dessen Vermögen ihm Rechtsmacht eingeräumt ist.19 Charakteristisch für die Annahme einer solchen Vermögensbetreuungspflicht ist die Übertragung von Kompetenzen, die dem zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen Verpflichteten die Möglichkeit verleiht, „als Repräsentant des Vermögensinhabers“ für diesen verbindliche Entscheidungen über stand siehe Schramm, in: WirtschaftsstrafR Hdb. für die Unternehmens- und Anwalts­ praxis, Kap. 5, Rn. 8 ff. 16  Siehe nur LK-Schünemann, § 266 Rn. 56, 106, 108, wonach Unterlassungen eine „Domäne des Treubruchtatbestandes“ seien. 17  Zur Frage, ob die Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB auf den Tatbestand der Treubruchsuntreue Anwendung findet siehe unten Teil 5 A. II. 1. d) aa). 18  In diese Richtung auch Mosiek, wistra 2003, 375 Fn. 74; Krause, NStZ 2011, 58 f. Fn.  13. Tiedemann FS Tröndle 1989, 322. Die Missbrauchsvariante kann hingegen einschlägig sein, wenn der Aufsichtsrat nicht im Bereich der Überwachung tätig wird, sondern die AG gegenüber dem Vorstand nach außen vertritt und gemäß § 112 S. 1 AktG Geschäftsführungsaufgaben wahrnimmt. 19  Fischer, StGB § 266 Rn. 21. Zu den Grundlagen der täterqualifizierenden Obhutsposition ausführlich LK-Schünemann, § 266 Rn. 58.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

dessen Vermögen zu treffen.20 Als Rechtsgrundlage einer Vermögensbetreuungspflicht kommen im Treubruchtatbestand gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB Gesetz, behördlicher Auftrag, Rechtsgeschäft und Treueverhältnis in Betracht. Zur Eingrenzung des weit gefassten Untreuetatbestandes genügt nicht jede „beiläufige“ Pflicht zwischen Täter und Vermögensinhaber.21 Die Vermögensbetreuung muss sich vielmehr als „Hauptpflicht“ darstellen22, sodass bloße Vertragsverletzungen ebensowenig eine strafrechtlich relevante Sonderstellung zum Vermögen des Treugebers begründen können, wie typische Nebenpflichten aus allgemeinen schuldrechtlichen Verpflichtungen.23 Um Täter einer Untreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB sein zu können, muss die Geschäftsbesorgung gegenüber dem Treupflichtigen daher in einer nicht ganz unbedeutenden Angelegenheit erfolgen und durch einen gewissen Grad an Eigenverantwortlichkeit und Selbstständigkeit geprägt sein.24 Eine die Täterstellung begründende Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB ist daher auf besonders qualifizierte Pflichtenstellungen zu beschränken und nur anzunehmen, wenn den Täter eine inhaltlich „besonders herausgehobene Pflicht“ zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen trifft, sodass dieser dem Dritten drohende Vermögensnachteile abzuwenden hat.25 Von maßgeblicher Bedeutung ist dabei, ob die fremdnützige Vermögensfürsorge den Hauptgegenstand der Rechtsbeziehung bildet und ob dem Verpflichteten bei deren Wahrnehmung zur verantwortlichen Entscheidung ein gewisser Ermessenspielraums verbleibt.26 Gemessen an diesen Vorgaben folgt die Qualifikation der Mitglieder des Aufsichtsrats als taugliche Täter einer Treubruchuntreue im Bereich der Überwachungsaufgabe unmittelbar aus deren Stellung als Organ der Ak­ tiengesellschaft. Diese sind in ihrer Funktion als Überwachungsorgan nach § 111 Abs. 1 AktG gesetzlich verpflichtet, den Vorstand zu überwachen und 20  HK-GS/Beukelmann § 266 Rn. 8; Fischer, StGB § 266 Rn. 21, 33; NK-StGBKindhäuser, § 266 Rn. 31. Zu den Anforderungen ausführlich Schwerdtfeger, S. 66. 21  Fischer, StGB § 266 Rn. 36. Der bloße Vertragsbruch soll gerade nicht unter Strafe stehen, vgl. BVerfG NJW 2010, 3214. Zutreffend auch Schwerdtfeger, S. 67. 22  BGHSt 1, 186, 188 f.; BGH NStZ 2006, 222 Rn. 4; (Kinowelt); HK-GS/Beukelmann § 266 Rn. 10; Fischer, StGB § 266 Rn. 36. 23  BGHSt 6, 314 f.; BGHSt 33, 244, 250; BGH NJW 1991, 2574; BGH NStZ 2008, 455; Fischer, StGB § 266 Rn. 36a; HK-GS/Beukelmann § 266 Rn. 10. 24  So bereits RGSt 69, 61 f.; BVerfG NJW 2010, 3214; HK-GS/Beukelmann § 266 Rn. 9; Fischer, StGB § 266 Rn. 35; LK-Schünemann, § 266 Rn. 58, wonach sich die Überwachungstätigkeit zum Schutz des anvertrauten Vermögens auch als Geschäftsbesorgung darstellt. 25  Siehe BVerfG NJW 2010, 3214; Fischer, StGB § 266 Rn. 35. 26  BVerfG NJW 2010, 3214 f. Zum Kriterium der Selbständigkeit im Bereich der Kontrolle zutreffend LK-Schünemann, § 266 Rn. 82 ff., 86.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands333

innerhalb ihrer Handlungsmöglichkeiten von der Gesellschaft Schäden abzuwenden.27 Zur Erfüllung dieser Kernaufgabe verleiht das Aktiengesetz dem Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand zahlreiche Befugnisse, die er gemäß §§ 116, 93 AktG nach seinem Ermessen auszuüben hat.28 Daher kann es als strafrechtlich gesichert angesehen werden, dass aus der Funktion des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan und den ihm zur Wahrnehmung dieser Aufgabe zukommenden Befugnissen im Bereich der reinen Überwachungstätigkeit auch eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB zukommt.29 Die Mitglieder des Aufsichtsrats trifft im Bereich der Vorstandsüberwachung daher die strafrechtlich bewehrte Pflicht, fehlerhafte und vermögensschädigende Pflichtverletzungen des Vorstands zu verhindern30 und zu prüfen, ob der Vorstand unter Berücksichtigung eines ihm zukommenden Ermessensspielraums seinen gesetzlichen Pflichten rechtmäßig, wirtschaftlich und zweckmäßig nachkommt.31 Dies umfasst aus Sicht des Aufsichtsrats auch die Prüfung, ob und in welcher Art und Weise der Vorstand seine nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1, 91 Abs. 2 AktG in Verbindung mit § 130 Abs. 1 OWiG bestehende Pflicht zur Einrichtung eines an den individuellen Bedürfnissen der AG ausgerichteten Compliance-Systems erfüllt. Die Strafbarkeit des Aufsichtsrats hängt somit vom pflichtwidrigen Vorverhalten des Vorstands ab. Erkennt ein Aufsichtsratsmitglied einen vermögensschädigenden Akt des Vorstands, der wie in Teil 3 dargelegt vor dem Hintergrund der jüngsten Rechtsprechung auch in der Nichteinführung eines Compliance-Systems liegen kann32, und schreitet hiergegen nicht ein, berührt dies 27  Tiedemann, FS Tröndle 1989, 322. Siehe hierzu Teil 2 B. I. 1. b) dd); Teil 2 B. I. 1. d). 28  Die Überwachung des Vorstands stellt sich als Hauptpflicht des Aufsichtsrats dar. Siehe BGHSt 47, 201. Zum Kriterium des Selbständigkeit HK-GS/Beukelmann § 266 Rn. 11. 29  So die herrschende Meinung. Siehe nur Krause, NStZ 2011, 58; Leipold, FS Mehle 2009, 351; Brammsen, ZIP 2009, 1510; Mosiek, wistra 2009, 374 f.; LKSchünemann, § 266 Rn. 58, 60, 258 ff.; Fischer, StGB § 266 Rn. 106; Lüderssen, FS Lampe 2003, 729; Tiedemann, FS Tröndle 1989, 322. Siehe aus der Rechtsprechung RGSt 7, 275, 280 f.; BGHSt 47, 187, 200 f.; BGHSt 50, 335 f.; BGHSt 54, 162. 30  In diese Richtung bereits Tiedemann FS Tröndle 1989, 322; M/G-Momsen, Kap. 1, Rn. 34; Fischer, StGB § 266 Rn. 106. BGHSt 47, 201; BGH NJW 2002, 1588. Zur Vermögensbetreuungspflicht gemäß § 101 Abs. 2 S. 1 AktG entsandter Aufsichtsratsmitglieder Krause, FS Hamm 2008, 341 ff. 31  Dafür, dass der Aufsichtsrat gegenüber der Gesellschaft „qualifiziert vermögensbetreuungspflichtig“ ist auch Mosiek, wistra 2009, 374. Zum Prüfungsumfang des Aufsichtsrats siehe die Ausführungen in Teil 2 B. I. 1. b) dd). 32  Zur Rechtsprechung des LG München I siehe ausführlich oben Teil 3 B. II. 4. a) bb) (3). Zur Vermögensrelevanz eines Compliance-Systems siehe unten Teil  5 A. II. 1. e).

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

seine Vermögensbetreuungspflicht und begründet einen tauglichen Anknüpfungspunkt für eine Treubruchuntreue nach § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB. c) Vermögensbetreuungspflichtverletzung des Aufsichtsrats durch Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand Fraglich ist allerdings, ob die Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand aus Sicht des Aufsichtsrats geeignet ist, eine strafrechtlich relevante Verletzung seiner Vermögensbetreuungspflicht zu begründen. Anknüpfungspunkt für eine Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats im Bereich der Überwachungsaufgaben ist § 111 Abs. 1 AktG.33 Der Aufsichtsrat „hat“ danach die Geschäftsführung „zu überwachen“. Ihm kommt bei der Frage, ob er überwachend tätig wird und den Vorstand bezüglich der Einführung eines Compliance-Systems überwacht, somit kein Ermessen zu. Inhalt und Umfang der aus § 111 Abs. 1 AktG für den Aufsichtsrat folgenden Überwachungspflicht ergibt sich hingegen aus dem Verweis des § 116 AktG auf die „sinngemäße“ Anwendung des § 93 AktG, sodass der Aufsichtsrat bei der Frage, wie er seine Überwachungspflicht erfüllt, die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften „Überwachers“ schuldet.34 Hinsichtlich des „Wie“ der Überwachung besteht damit ein Beurteilungsund Ermessensspielraum im Sinne der Business Judgement Rule.35 Bei der strafrechtlichen Beurteilung einer Überwachungspflichtverletzung des Aufsichtsrats ist somit neben der Frage, welche Anforderungen an die Qualität einer zivilrechtlichen Pflichtverletzung konkret zu stellen sind, damit diese strafrechtliche Wirkung entfaltet, auch zu berücksichtigen, wie sich die Existenz eines zivilrechtlichen Beurteilungsspielraums auf den strafrechtlichen Pflichtenmaßstab des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB auswirkt. aa) Qualitative Anforderungen an das Pflichtverletzungsmerkmal auf Grundlage eines asymmetrischen Akzessorietätsverhältnisses Anknüpfend an das soeben in Teil 4 gefundene Ergebnis, wonach das Verhältnis zwischen Primär- und Sekundärrecht im Bereich der Untreue asym33  Brammsen, ZIP 2009, 1510; Brand/Petermann, WM 2012, 63  f. Siehe oben Teil 2 B. I. 34  MüKoAktG/Habersack § 116 Rn. 2. Die Vorschrift des § 116 S. 1 AktG wird auch als „dynamische Verweisung“ bezeichnet. Siehe Henssler/Strohn/Henssler, AktG § 116 Rn. 1. Siehe hierzu ausführlich Teil 2 B. I. 1. d) und Teil 3 C. II.; Teil 3 C. II. 1. d); Teil 3 C. III. 1. 35  Siehe hierzu oben Teil 2 B. I. 1. d) aa) (2).



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands335

metrisch ausgeprägt ist, sodass die Verletzung einer außerstrafrechtlichen Pflicht nur notwendige und nicht auch hinreichende Bedingung für eine Strafbarkeit ist, bedarf es im Folgenden der Klärung, anhand welcher zusätzlichen „strafrechtsspezifischen“ Kriterien die Verletzung der aktienrechtlichen Überwachungspflicht des § 111 Abs. 1 AktG durch Nichtüberwachung der Einführung eines tauglichen Compliance-Systems aus Sicht des Aufsichtsrats zugleich als Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht nach § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB zu werten ist. Bei der Frage, nach welcher Maßgabe aktienrechtliche Pflichtverletzungen in strafrechtlich relevantes Untreue­ unrecht zu überführen sind, verdienen zunächst die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und Bundesverfassungsgerichts zur Tatbestandsres­ triktion entwickelten Ansätze Beachtung. (1) Restriktion des Pflichtverletzungsmerkmals in der Rechtsprechung Ausgangspunkt für die Frage, ob die strafrechtliche Pflichtwidrigkeit „mehr“ verlangt als eine gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung, waren zwei Entscheidungen des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs zur Kredituntreue aus den Jahren 2000 und 2001. In beiden Entscheidungen ging es im Kern darum, ob bei der Kreditvergabe durch Entscheidungsträger eines Kreditinstituts die Verletzung der in § 18 Abs. 1 S. 1 KWG normierten Informations- und Prüfungspflicht bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers zugleich eine Pflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB begründet.36 Während der BGH in seiner ersten Entscheidung nur allgemein feststellte, dass eine nach § 18 Abs. 1 KWG pflichtwidrige Kreditvergabe „noch nicht zur Annahme einer Untreue“ führe, sondern erst nach einer umfassenden Abwägung aller für die Kreditvergabe „maßgeblichen Umständen“37 angenommen werden könne, wenn ein „bei Vertragsabschluss oder Darlehensausreichung eingetretener Vermögensnachteil auf die Pflichtwidrigkeit zurückzuführen“38 sei, stellte er in seiner zweiten Entscheidung zur Kredituntreue zur Beurteilung 36  BGHSt

46, 30, 34; BGHSt 47, 148 ff. = NJW 2002, 1211 ff. Anhaltspunkte für eine nicht hinreichende Beachtung der Vorgaben des § 18 KWG können nach Ansicht des 1. Strafsenats insbesondere sein: die Vernachlässigung von Informationspflichten, das Fehlen der erforderlichen Befugnis der Entscheidungsträger, unrichtige oder unvollständige Angaben gegenüber Aufsichtspersonen, die Nichteinhaltung der vorgegebenen Zwecke, das Überschreiten der Höchstkreditgrenzen sowie das eigennützige Handeln der Entscheidungsträger. Siehe BGHSt 46, 34. 38  BGHSt 46, 33 f. Sachlich handelt es sich um den Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Saliger HRRS 2006, 19; Schünemann, NStZ 2005, 475. 37  Tatsächliche

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

der Pflichtverletzung nach § 266 StGB maßgeblich darauf ab, ob die Entscheidungsträger bei der Kreditvergabe ihre bankübliche Informations- und Prüfungspflicht bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers „gravierend“ verletzt haben.39 Aus der Verletzung der in § 18 KWG normierten Pflicht zum Verlangen nach Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse können sich nach Auffassung des 1. Strafsenats „Anhaltspunkte“ dafür ergeben, dass die bankübliche Informations- und Prüfungspflicht nicht ausreichend erfüllt wurde.40 Das vom 1. Strafsenat in seinen Entscheidungen zur Kredituntreue aufgestellte Kriterium der „gravierenden“ Pflichtverletzung präzisierte dieser noch im Jahr 2001 durch eine weitere Entscheidung für den Bereich des Sponsorings.41 Dem Urteil lag die Situation zugrunde, dass der Vorstand einer staatlichen Verkehrsgesellschaft auf Veranlassung des designierten Aufsichtsratsvorsitzenden Spenden an einen Sportverein leistete, dessen Präsident der spätere Aufsichtsratsvorsitzende war. Nach Auffassung des BGH sei der dem Vorstand der Verkehrsgesellschaft nach §§ 76, 93 AktG zukommende weite Handlungsspielraum, der grundsätzlich auch Zuwendungen zur Förderung von Kunst, Wissenschaft, Sozialwesen und Sport zulasse, aufgrund des im konkreten Fall nicht erkennbaren Zusammenhangs mit dem Unternehmensgegenstand, der Unangemessenheit der Zuwendung im Hinblick auf die angespannte wirtschaftliche Lage der Gesellschaft und wegen der privaten Interessenverfolgung des späteren Aufsichtsratsvorsitzenden, überschritten gewesen, sodass eine gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung des Vorstands und des späteren Aufsichtsratsvorsitzenden vorgelegen habe.42 Bei Zuwendungen zur Förderung von Kunst, Wissenschaft, Sozialwesen und Sport genüge für die Annahme einer Pflichtwidrigkeit im Sinne des Untreuetatbestands des § 266 StGB wiederum nicht jede gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung.43 Diese müsse vielmehr „gravierend“ sein, was sich nach einer „Gesamtschau insbesondere der gesellschaftsrechtlichen Kriterien“ beurteile.44 Zur Annahme einer gravierenden Pflichtverletzung könne insbesondere die „fehlende Nähe zum Unternehmensgegenstand, die Unangemessenheit der Entscheidung im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage, die fehlende innerbetriebliche Transparenz sowie das Vorliegen sachwidriger 39  BGHSt

47, 148, 150; BGH NJW 2002, 1211 ff., 1214. 47, 148, 150, der eine gravierende Pflichtverletzung auch unter Rückgriff auf die konkretisierenden Erläuterungen des Bundesamtes für das Kreditwesen bejahte. 41  BGHSt 47, 187 ff. (SSV Reutlingen); BGH NJW 2002, 1585 ff. 42  BGHSt 47, 192 f., 198; BGH NJW 2002, 1586 f. 43  BGHSt 47, 197; BGH NJW 2002, 1587. 44  BGHSt 47, 197; BGH NJW 2002, 1587. 40  BGHSt



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands337

Motive, namentlich die Verfolgung rein persönlicher Präferenzen“ bedeutsam sein.45 Wenn bei Vergabe „sämtliche dieser Kriterien erfüllt sind“, läge jedenfalls eine Pflichtverletzung nach § 266 Abs. 1 StGB vor.46 Der Rechtsprechung des 1. Strafsenats hat sich der 5. Strafsenat in der strafrechtlichen Aufarbeitung des Verfahrenskomplexes „Bremer Vulkan“ dem Grunde nach, ohne jedoch auf das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung einzugehen, angeschlossen und mit Blick auf die Bestimmung der Vermögensbetreuungspflicht nach § 266 Abs. 1 StGB festgestellt, dass diese letztlich eine „gesteigerte Pflichtenbindung aus dem Vertragsverhältnis“ darstellt.47 Gleichzeitig zeigt das Urteil die enge Verzahnung zwischen zivil- und strafrechtlichen Wertungen im Bereich der Konzernuntreue. Bei dem sowohl zivil- als auch strafrechtlich in zwei Verfahren aufgearbeiteten Zusammenbruch der Bremer Vulkan AG48 ging es darum, dass diese von der Treuhandanstalt zwei ostdeutsche Werften erwarb und für diese zweckgebundene Subventionen in dreistelliger Millionenhöhe erhielt. Die beiden als GmbH-Töchter in die AG integrierten Ostwerften, die infolge der Subventionen über eine hohe Liquidität verfügten, wurden anschließend in ein konzernweites „Cash-Management-Sytem“ implementiert und durch Weisungen des Konzernvorstands veranlasst, der herrschenden AG liquide Mittel zur Verfügung zu stellen, bis über das Vermögen der Bremer Vulkan AG das Konkursverfahren eröffnet wurde.49 Während der II. Zivilsenat des BGH die Haftung der herrschenden Bremer Vulkan AG für Schädigungen der abhängigen GmbH-Töchter über § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB bejaht und damit begründet hat, dass die beherrschende Bremer Vulkan AG als Alleingesellschafterin eine strafbewehrte Vermögensbetreuungspflicht gegenüber ihrer Tochtergesellschaft treffe, weswegen diese gehalten sei, bei Verfügungen über das Vermögen der abhängigen GmbH auf deren Eigeninteresse Rücksicht zu nehmen und „deren Existenz nicht zu ge­fähr­ 45  BGHSt

47, 197; BGH NJW 2002, 1587. 47, 197; BGH NJW 2002, 1587. Im entschiedenen Fall begründete der BGH die Pflichtwidrigkeit auch damit, dass die „Grenzen des Ermessens“ überschritten gewesen seien. 47  BGH NJW 2004, 2251; BGHSt 49, 147, 153  f., wonach „bloß vertragliche Pflichten“ nicht notwendig „gleichzeitig eine spezifische Treupflicht“ im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB beinhalten, die darauf gerichtet sein muss, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen. 48  Siehe zur zivilrechtlichen Aufarbeitung BGHZ 149, 10 ff.; BGH NJW 2001, 3622 ff.; Fleischer, NJW 2004, 2867. In strafrechtlicher Hinsicht siehe BGHSt 49, 147 ff. 49  Siehe zum Sachverhalt auch Dierlamm, StraFo 2005, 399; Fleischer, NJW 2004, 2867. Ausführlich zur Rechtsprechung im Komplex „Bremer Vulkan“ Kraatz, ZStW, 2011, 454 ff. 46  BGHSt

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

den“50, integrierte der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs diese zivilrechtliche Existenzvernichtungshaftung in die Dogmatik des Untreuetatbestands, indem er betonte, dass eine Strafbarkeit wegen Untreue auch „unter dem Gesichtspunkt des existenzgefährdenden Eingriffs“ in Betracht komme.51 Die Urteile des II. Zivil- und des 5. Strafsenats im „Komplex Bremer Vulkan“ zeigen in ihrem Zusammenspiel, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung bemüht ist, straf- und gesellschaftsrechtliche Wertungen aufeinander abzustimmen, ohne die Eigenständigkeit der beiden Rechtsgebiete aufzugeben.52 Im Jahr 2005 hatte der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung zum Zusammenbruch der Münchner Kinowelt AG erneut die ­Gelegenheit, zum Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung Stellung zu nehmen.53 Dieser hatte darüber zu befinden, ob der Vorstand einer Aktiengesellschaft pflichtwidrig im Sinne des Untreuetatbestands handelt, wenn er ungesicherte Kapitaltransfers zwischen einer Holding und einem kon­zern­zu­ge­ hörigen Unternehmen veranlasst, obwohl ein den Zahlungen zugrundeliegendes Sanierungskonzept erkennbar gescheitert war.54 An dem Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung hielt der Senat zwar fest. Diese sei allerdings bereits dann anzunehmen, wenn der Vorstand die „weit zu ziehenden äußersten Grenzen unternehmerischer Entscheidungsfreiheit überschritten und damit eine Hauptpflicht gegenüber dem zu betreuenden Unternehmen verletzt“ habe.55 Nach Auffassung des Senats läge dann eine Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten vor, die „so gravierend“ sei, dass sie „zugleich eine Pflichtwidrigkeit im Sinne von § 266 StGB“ begründe56. Für eine Untreuestrafbarkeit genügt danach die Überschreitung des Ermessensspielraums und die Verletzung einer Hauptpflicht.57 Die Entscheidung des 1. Strafsenats enthält im Unterschied zu seiner eigenen Rechtsprechung zur Kreditvergabe und zum Sponsoring, abgesehen von dem zur Begrenzung der Untreuestrafbarkeit 50  BGHZ 149, 10, 17. Für diese Pflichtverletzungen der Bremer Vulkan AG seien die Vorstandsmitglieder strafrechtlich gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB verantwortlich. Ihre zivilrechtliche Verantwortung folge aus dem Schutzgesetzcharakter des § 266 StGB. Siehe auch Fleischer, NJW 2004, 2868. Siehe auch Schilha, § 2, 39. 51  BGHSt 49, 147, 155, 157 ff.; Fleischer, NJW 2004, 2868; Radtke/Hoffmann, GA 2008, 543. 52  Zutreffend Fleischer, NJW 2004, 2870; Schilha, § 2, 39. 53  BGH NStZ 2006, 221 ff.; Kutzner, NJW 2006, 3541 ff. 54  Siehe zum Sachverhalt BGH NStZ 2006, 221 f. 55  Unter Bezugnahme auf seine eigene Rechtsprechung zur Kreditvergabe und zum Sponsoring BGH NStZ 2006, 221. 56  BGH NStZ 2006, 221 ff. 57  Ebenso wie der 1. Strafsenat ließ auch der 5. Strafsenat in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2009 zur Pflichtwidrigkeit von Schmiergeldzahlungen an Betriebsräte eine Hauptpflichtverletzung ausreichen. Siehe BGH NStZ 2009, 696; BGHSt 54, 148 ff.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands339

bereits seit jeher anerkannten Merkmal der Hauptpflichtverletzung als notwendige Voraussetzung zur Begründung einer Vermögensbetreuungspflicht58, im Übrigen keine weitere Präzisierung des Merkmals der „gravierenden“ Pflichtverletzung. Da nach dieser Rechtsprechung bereits das Überschreiten des Ermessensspielraums zur Annahme einer untreuerelevanten Pflichtverletzung genügen kann, sofern es sich bei der verletzten Pflicht nur um eine Hauptpflicht handelt, stellt sich diese im Ergebnis nur als „negative Umschreibung“ des einem Organ der Aktiengesellschaft nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG gegebenenfalls zukommenden Ermessenspielraums dar.59 Einen die soeben skizzierte Rechtsprechung des 1. und 5. Strafsenats relativierenden Weg hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Jahr 2005 in seiner viel beachteten Entscheidung im Mannesmann-Verfahren60 beschritten und klarstellend zur Rechtsprechung des 1. Strafsenats zur Kredituntreue und zum Sponsoring ausgeführt, dass die zur Erfüllung des Tatbestands der Untreue erforderliche Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht „bei unternehmerischen Entscheidungen“ eines Gesellschaftsorgans „nicht zusätzlich gravierend“ sein müsse.61 Eine Pflichtverletzung sei nicht gegeben, „solange die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, nicht überschritten sind“.62 Der 3. Strafsenat sah im konkreten Fall in der vom Aufsichtsrat der Mannesmann AG nachträglich zugunsten eines im Anschluss an den Übernahmekampf mit Vodafone ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds für dessen erbrachte dienstvertraglich geschuldete Leistung bewilligten – zuvor im Dienstvertrag aber nicht vereinbarten – Sonderzahlung in Höhe von circa 48 Mio. DM63, die ausschließlich belohnenden Charakter hatte und dem Unternehmen keinen zukunftsbezogenen Nutzen brachte64, eine treupflichtwidrige Schädigung des anvertrauten Gesellschafts58  Fischer,

StGB § 266 Rn. 61. hiergegen zu Recht kritisch Beulke, FS Eisenberg 2009, 255 f., der zutreffend darauf hinweist, dass bei einer derartigen Sichtweise „jeder Verstoß gegen eine Ausfüllungsnorm des Zivilrechts“ als gravierende Pflichtverletzung im Sinne des § 266 StGB erscheint. Im Ergebnis liegt damit eine strenge Akzessorietät vor. Siehe auch Kutzner, NJW 2006, 3543. 60  BGHSt 50, 331 ff.; BGH NStZ 2006, 214 ff. mit Anm. Rönnau; Hohn, wistra 2006, 161 ff.; Tiedemann, FS Weber 2004, 319 ff.; Vogel/Hocke, JZ 2006, 560. Siehe auch die umfangreichen Literaturnachweise bei LK-Schünemann, § 266 Rn. 260, Fn. 1053. 61  BGHSt 50, 332. 62  BGH NStZ 2006, 216. 63  Tiedemann, FS Weber 2004, 320. 64  Zur Zuerkennung solcher auch als „appreciation awards“ bezeichneten kompensationslosen Anerkennungsprämien siehe BGH NStZ 2006, 215; Rönnau/Hohn, NStZ 2004, 119 f. 59  Siehe

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

vermögens.65 Inhaltlich reduziert der 3. Strafsenat das vom 1. Strafsenat entwickelte Merkmal der „gravierenden Pflichtverletzung“ auf die Business Judgement Rule des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, indem er davon ausgeht, dass die Überschreitung des unternehmerischen Ermessensspielraums stets gravierend ist, sodass es für das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflichtverletzung nach § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB dann keiner weiteren Prüfung mehr bedarf.66 Im Umkehrschluss folgt aus der Rechtsprechung des 3. Strafsenats auch, dass das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung bedeutungslos ist, wenn eine Schädigungshandlung vorliegt und dem Handelnden kein Handlungsspielraum zukommt.67 Der Rechtsprechung des 3. Strafsenats nachfolgende Entscheidungen, wie das Urteil des 2. Strafsenats im Fall Siemens zur Bildung verdeckter Kassen aus dem Jahr 2009, verlangten ebenfalls keine gravierende Pflichtverletzung.68 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der 3. Strafsenat dogmatisch einen anderen Weg wählt als der 1. Strafsenat, da er – im Unterschied zum 1. Strafsenat69 – nicht auf die „Gravität“ der verletzten außerstrafrechtlichen Pflicht abstellt, sondern die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht daraus ableitet, dass „den Präsidiumsmitgliedern ein Handlungsspielraum nicht eröffnet“ war.70 In der Sache sieht der 3. Strafsenat in der dem Urteil zugrunde liegenden Fallgruppe der „kompensationslosen Anerkennungsprämie“ einen Verstoß gegen das „allgemeine Schädi65  BGHSt 50, 331 f.; NStZ 2006, 214, 217 mit Anm. Rönnau, JZ 2006, 561 ff. mit Anm. Vogel/Hocke; Der 3. Strafsenat begründet seine von der Rechtsprechung des 1. Strafsenats offensichtlich abweichende Auffassung zur Vermeidung einer Anrufung des Großen Senats für Strafsachen nicht unaufwendig und in der Sache auch nicht überzeugend damit, dass eine „nähere Analyse“ der Urteile des 1. Strafsenats gezeigt habe, dass auch der 1. Strafsenat bei risikobehafteten unternehmerischen Entscheidungen „keineswegs eine gravierende Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht verlange“, die Entscheidung des 1. Strafsenats zur Unternehmensspende auch „einen in keiner Weise vergleichbaren Sachverhalt“ beträfe und Gegenstand des Urteils zur Kreditvergabe „ausschließlich eine risikobehaftete unternehmerische Prognosentscheidung“ gewesen sei. Hiergegen zu Recht kritisch Spindler, ZIP 2006, 353; Beulke, FS Eisenberg 2009, 255. 66  Zu Recht kritisch Spindler, ZIP 2006, 353 f. In die gleiche Richtung geht die Entscheidung des 3. Strafsenats in der Sache West/LB aus dem Jahr 2009. Eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht läge bereits vor, wenn der Handlungsfreiraum der Business Judgement Rule überschritten sei. Siehe BGH v. 13.08.2009 = ZIP 2009, 1854, 1857, Rn. 27. 67  Insoweit zutreffend Hohn, wistra 2006, 162. 68  Unter Bezugnahme auf seine eigene Rechtsprechung jüngst der 3. Strafsenat des BGH, siehe BGH NZG 2016, 703 ff.; ebenso BGH NJW 2011, 88 ff.; BGH NStZ 2009, 95 ff. 69  Dieser stellt in seinem Urteil BGHSt 47, 148 bei Bestimmung der Vermögensbetreuungspflicht auf die Verletzung der in § 18 Satz 1 KWG normierten Informations- und Prüfungspflichten und damit auf die außerstrafrechtliche „Primärnorm“ ab. 70  BGH NJW 2001, 522, 527.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands341

gungsverbot“ und begründet die Vermögensbetreuungspflichtverletzung damit unmittelbar mit der vorsätzlichen – sicheren – Schädigung des zu betreuenden Vermögens.71 Der im Zusammenhang mit der Bestimmung des Verhältnisses von Zivilund Strafrecht bereits angesprochene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23.06.2010 äußert sich ebenfalls zur Frage, welche Anforderungen an eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung zu stellen sind und misst unter ausdrücklicher Billigung der „jüngeren“ Rechtsprechung des 1. Strafsenats zur Kreditvergabe sowie zum Sponsoring dem Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung tatbestandsbegrenzende Funktion72 zu. Diese nach Ansicht des Bundesverfassungsgericht dem „Eingrenzungsgebot“ dienende Restriktion werde sich jedoch nur dann bejahen lassen, wenn die Pflichtverletzung „evident“ sei.73 Die Untreuestrafbarkeit müsse daher auf deutliche und schwerwiegende Verstöße jenseits bestehender Entscheidungsspielräume beschränkt werden.74 In der Sache stellt das Bundesverfassungsgericht damit – ebenso wie der 1. Strafsenat – bei Bestimmung der untreuerelevanten Pflichtverletzung auf eine Verletzung der außerstrafrechtlichen Primärnorm ab. Eine wichtige Klarstellung enthält der Beschluss des Bundesverfassungsgericht auch dahingehend, dass die vom Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Kreditvergabe entwickelten Kriterien keinen zwingenden oder abschließenden Katalog, sondern vielmehr „nur Indizien“ darstellen, deren Wirkung widerlegt werden könne.75 Neben der Evidenz der Pflichtverletzung ist die Tatbestandsauslegung nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere durch den „Charakter des Untreuetatbestands als eines Vermögensdelikts“ geprägt76. Dieser sei somit als weiteres eingrenzendes Kriterium zu beachten. Der restriktive Gehalt dieser ein asymmetrisches Akzessorietätsverständnis zugrunde legenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht insbesondere darin, dass das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung ausdrücklich anerkannt wird, wenn die Normverletzung „evident“ ist. Zudem verlangt der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass die verletzte außerstrafrechtliche Norm einen spezifischen Vermögensbezug aufweist. hierzu auch Vogel/Hocke, JZ 2006, 569. NJW 2010, 3215, 3218. Der Einwand, dass sich dem Wortlaut des § 266 Abs. 1 StGB das Erfordernis einer gravierenden Pflichtverletzung nicht entnehmen lasse, überzeuge angesichts der Notwendigkeit einer Restriktion des sehr weit gefassten Wortlauts nicht. 73  BVerfG NJW 2010, 3215, 3217. Zustimmend Saliger, NJW 2010, 3197. 74  BVerfG NJW 2010, 3217. 75  Siehe BVerfG NJW 2010, 3218; Knauer, NStZ 2002, 400. 76  BVerfG NJW 2010, 3215. Siehe hierzu bereits oben Teil 4 C. I. 2. 71  Siehe

72  BVerfG

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Unmittelbar im Anschluss an die das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung ausdrücklich anerkennende und den Anwendungsbereich der ­Untreue auf vermögensspezifische Normverletzungen beschränkende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangte der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Fall Siemens / AUB zur Begründung einer strafrechtlich relevanten Pflichtverletzung im Sinne des § 266 StGB, dass die verletzte Norm ihrerseits „wenigstens auch, und sei es mittelbar, vermögensschützenden Charakter für das zu betreuende Vermögen hat“.77 Auf das Vorliegen einer „gravierenden“ Pflichtverletzung stellt der Senat in dem „Siemens / AUB“-Beschluss zwar nicht ab, sondern spricht in der Diktion des Bundesverfassungsgerichts davon, dass eine allein auf die Verletzung der für sich mit erheblicher Unbestimmtheit versehenen Vorschriften der §§ 93, 116 AktG abstellende Auslegung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals nicht geeignet wäre, die verfassungsrechtlich gebotene Beschränkung der Anwendung des Untreuetatbestands auf „evidente Fälle pflichtwidrigen Handelns“ sicherzustellen.78 Deshalb müsse „maßgeblich“ darauf abgestellt werden, ob die „primär verletzte Rechtsnorm vermögensschützenden Charakter“ habe.79 In dem unmittelbar auf den Siemens / AUB-Beschluss folgenden Beschluss zur Kölner Parteispendenaffäre wiederholte der 1. Strafsenat, dass nur Verstöße gegen vermögensschützende Normen pflichtwidrig gemäß § 266 StGB sein können80 und präzisierte die Siemens / AUB-Rechtsprechung insoweit, dass eine nicht vermögensschützende Vorschrift „durch interne Satzungsregelung auch zu einer vermögensschützenden Hauptpflicht“ im Sinne von § 266

77  Siehe unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Beschluss des BVerfG die Entscheidung des 1. Strafsenats vom 13.09.2010 im Fall Siemens/AUB = BGHSt 55, 288 ff.; NJW 2011, 88 ff. mit Anm. Bittmann; Rönnau, StraFo 2014, 265. Zum Sachverhalt Jahn, JuS 2011, 183 ff.; Brand/Petermann, WM 2012, 62 ff. Zu den Auswirkungen siehe Schwerdtfeger, S.  124 ff. 78  BGH NJW 2011, 92. 79  Der 1. Strafsenat verneinte in seinem Urteil den vermögensschützenden Charakter des die Beeinflussung der Wahl des Betriebsrates unter Strafe stellenden § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG jedoch zutreffend mit dem Hinweis darauf, dass die primär verletzte Rechtsnorm nicht allein dadurch vermögensschützend wird, nur weil ihre Verletzung zugleich eine Verletzung der aktienrechtlichen Vorschriften der §§ 93, 116 AktG darstellt. Siehe BGH NJW 2011, 91 f. 80  In Fortführung seiner eigenen Rechtsprechung BGHSt 56, 203 ff.; NJW 2011, 1747 ff. mit Anm.  Brand; Jahn, JuS 2011, 1133 ff. Dem Urteil lag die unzulässige Aufnahme rechtswidrig erlangter Parteispenden in den Rechenschaftsbericht einer Partei und damit ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 25 PartG a. F. zugrunde. Der Umstand, dass ein Verstoß gegen diese Vorschrift spezifische finanzielle Sanktionen auslösen und sich somit mittelbar auf das Vermögen der Partei auswirken könne, mache die Vorschrift noch nicht zu „vermögensschützenden Normen“ im Sinne des § 266 StGB.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands343

Abs. 1 StGB erhoben werden könne.81 Nach Begründung der vermögensschützenden Wirkung der verletzten Primärpflicht bejahte der Senat unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung zur Kredituntreue und zum Sponsoring das Vorliegen einer „gravierenden“ Pflichtverletzung.82 Die Entscheidungen des 1. Strafsenats liegen damit auf der Linie des Beschlusses des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, da sie den Untreuetatbestand einschränken. Durch die Feststellung, dass die Annahme einer Vermögensbetreuungspflichtverletzung bei „weniger gewichtigen Verstößen nicht mehr mit der ultima-ratio-Funktion des Strafrechts“ vereinbar wäre, betont der 1. Strafsenat in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungs­ gericht insbesondere auch den fragmentarischen Charakter des Strafrechts und legt der Auslegung des Untreuetatbestandes folglich ein asymmetrisches Akzessorietätsverständnis zugrunde.83 Ferner setzt der 1. Strafsenat in der Siemens / AUB-Rechtsprechung und in seinem Beschluss zur Kölner Parteispendenaffäre die vom Bundesverfassungsgericht zur Auslegung des § 266 Abs. 1 StGB vorgegebenen Ziele in Form der Beschränkung der Anwendung des Untreutatbestandes auf klare und schwerwiegende Fälle pflichtwidrigen Handelns und der Wahrung des Charakters als Vermögensdelikt um, indem er bei Beurteilung der Vermögensbetreuungspflichtverletzung auf die Vermögensrelevanz der verletzten außerstrafrechtlichen Norm abstellt. Auch die der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Sachen Siemens / AUB und Kölner Parteispendenaffäre nachfolgenden höchstrichterlichen und obergerichtlichen Entscheidungen orientieren sich an den restriktiven Vorgaben des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts und beschränken die Untreuestrafbarkeit entweder auf gravierende beziehungsweise evidente Pflichtverletzungen oder heben den vermögensschützenden Charakter des Untreuetatbestands hervor.84 81  Siehe BGH NJW 2011, 1749, wonach sich die im Leitfaden zum Abrechnungsbuch ausdrücklich verlangte „Beachtung der gesetzlichen Buchführungspflichten“ nicht auf die allgemeine Aufforderung zum gesetzestreuen Verhalten beschränke, sondern auch Vermögenseinbußen vermieden werden sollen, die sich aus gesetzeswidrigen Verhalten ergeben können. Die Beachtung der Vorschriften des Parteiengesetzes sei dadurch zu einer „fremdnützigen, das Parteivermögen schützenden Hauptpflicht“ im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB geworden. 82  BGH NJW 2011, 1749. Der Senat stellt zur Bejahung der gravierenden Pflichtverletzung auf die „gezielte Verschleierung“ des pflichtwidrigen Handelns, die Eignung des Handelns, erhebliche Sanktionen zu Lasten des betreuten Vermögens auszulösen sowie auf den „funktionalen Zusammenhang“ zwischen der Pflichtverletzung und dem geschützten Vermögen ab. 83  Siehe BGH NJW 2011, 92. Siehe auch Jahn, JuS 2011, 185. 84  Siehe jüngst das eine „klare, evidente und schwerwiegende Hauptpflichtverletzung“ verlangende Urteil des 3. Strafsenats vom 11.12.2014, NJW 2015, 1620. Ähnlich der 5. Strafsenat in seinem Urteil v. 28.05.2013, NStZ 2013, 715 ff., wonach für

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass die Rechtsprechung ersichtlich bemüht ist, den weiten Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB durch restriktive Auslegung zu begrenzen. Dies ist im Sinne der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu begrüßen. Eine einheitliche und abschließende Linie hat die Rechtsprechung dabei allerdings noch nicht gefunden.85 Nach der dargestellten Rechtsprechung lässt sich jedoch zumindest als gesichert annehmen, dass nicht jede zivilrechtliche Pflichtverletzung stets eine strafrechtlich relevante Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht darstellt. Die jüngste höchstrichterliche Rechtsprechung legt damit der Auslegung ein asymmetrisches Akzessorietätsverhältnis zu Grunde und beschränkt die strafrechtliche Haftung auf erhebliche vermögensrelevante (Haupt-)Pflichtverletzungen.86 (2) Restriktion des Pflichtverletzungsmerkmals in der Literatur Das von der Rechtsprechung des 1. Strafsenats entwickelte Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung findet in der strafrechtlichen Literatur überwiegend Zustimmung87, da es den weiten Tatbestand der Untreue auf objektiver Ebene eingrenzt, indem es eine außerstrafrechtliche Pflichtverletzung nicht ungefiltert in untreuerelevantes Unrecht überführt, sondern die Annahme einer Vermögensbetreuungspflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB nur zulässt, wenn eine vermögensrelevante Pflicht „schwerwiegend“ verletzt wurde. Sowohl die dogmatische Einordnung des Merkmals der gravierenden Pflichtverletzung als auch deren Inhalt werden im Schrifttum unterschiedlich eine Untreuestrafbarkeit „grundsätzlich nur schwere Pflichtverletzungen“ ausreichen können. Ohne auf eine gravierende Pflichtverletzung einzugehen, hebt der 2. Strafsenat in seiner Entscheidung in der „Telekom-Spitzelaffäre“ v. 10.10.2012, NJW 2013, 401 ff. den vermögensschützenden Charakter des § 266 Abs. 1 StGB hervor und stellt fest, dass es für eine Strafbarkeit wegen Untreue auf die Verletzung „von Pflichten, die das Vermögen des Treugebers schützen“ ankomme. Auf den vermögensschützenden Charakter eines „Primärverstoßes“ komme es jedoch nicht an. Hierzu Rönnau, StraFo 2014, 269; Wessing, NZG 2013, 494 ff. Aus der eine „gravierende Pflichtverletzung“ verlangenden obergerichtlichen Rechtsprechung OLG Hamm, Urteil vom 21.08.2012, NStZ-RR 2012, 374 f.; OLG Köln, wistra 2014, 362 f. = BeckRS 2014, 14061. 85  Zutreffend Jahn, JuS 2011, 184. 86  Hierin liegt in der Sache die Anerkennung eines Schutzzweckzusammenhangs. Siehe insoweit zutreffend auch Schünemann, FS, I. Roxin 2012, 355. 87  Otto, FS Kohlmann 2003, 187  ff.; Lüderssen, FS Lampe 2003, 729; Tiedemann, FS Weber 2004, 322 f.; MüKoStGB/Dierlamm StGB § 266 Rn. 175 ff; Saliger, SSW § 266 Rn. 40 ff.; Beulke, FS Eisenberg 2009, 253 f.; Kubiciel, NStZ 2005, 357 ff.; Kutzner, NJW 2006, 3543; Matt, NJW 2005, 390.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands345

beurteilt. Während der überwiegende Teil die Gravität der außerstrafrechtlichen Pflichtverletzung dogmatisch als ein zusätzliches die strafrechtliche Vermögensbetreuungspflicht einschränkendes Kriterium ansieht88, versteht Schünemann das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung, soweit dieses überhaupt anzuerkennen sei, als Teil der objektiven Zurechnung.89 Insbesondere Dierlamm orientiert sich bei der Frage, wann eine gravierende Pflichtverletzung nach § 266 StGB vorliegt, an den vom 1. Strafsenat in seiner Sponsoring-Entscheidung aufgestellten Kriterien. Das Vorliegen einer gravierenden Pflichtverletzung sei danach daran zu messen, ob das Verhalten im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage des Unternehmens unangemessen war, Informations- und Mitteilungspflichten verletzt wurden, der Entscheidung sachwidrige Motive zu Grunde lagen oder Entscheidungsbefugnisse überschritten wurden.90 Anhand dieser „übergeordneten Leitkriterien“ sei bei unternehmensbezogenen Sachverhalten eine Gesamtschau vorzunehmen, wobei das Gewicht eines jeden einzelnen Kriteriums zu untersuchen und in die Abwägung einzustellen sei, da nur so die Anwendung des Tatbestands auf klare und deutliche, also evidente, Pflichtverletzungen beschränkt werden könne.91 Ein anderer Teil des strafrechtlichen Schrifttums nimmt zur Beurteilung der strafrechtlichen Pflichtwidrigkeit eine allgemeine Schwereprüfung vor, ohne dabei auf die in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zurückzugreifen. Diesem insbesondere von Saliger, Tiedemann und Kubiciel vertretenen Restriktionsansatz liegt die auf einem asymmetrischen Akzessorietätsmodell basierende Annahme zugrunde, dass eine außerstrafrechtliche Pflichtverletzung nur bei Evidenz strafbewehrt sein dürfe, was dann der Fall sei, wenn die getroffene Maßnahme auch unter Berücksichtigung eines etwaigen unternehmerischen Spielraums nach einer Gesamtwürdigung „eindeutig unvertretbar“ oder „willkürlich“ erscheint, sodass die nach einer ex ante Be88  Siehe nur MüKoStGB/Dierlamm StGB § 266 Rn. 175 ff.; ders., StraFo 2005, 402 ff.; Theile, ZIS 2011, 626; Seibt/Schwarz, AG 2010, 310 ff.; Albrecht, FS Hamm 2008, 9; Beulke, FS Eisenberg 2009, 252 ff.; Kutzner, NJW 2006, 3543; Günther, FS Weber 2004, 314. Im Ergebnis auch Bosch/Lange, JZ 2009, 235 f., die das Kriterium der gravierenden Pflichtverletzung als „Schwereformel“ verstehen. 89  Gegen das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung insbesondere Schünemann, NStZ 2005, 476; ders., NStZ 2006, 197 f., der einen „dogmatisch tragfähigen Kern“ dieses Kriteriums allenfalls im Rahmen der objektiven Zurechnung anerkennt. Siehe auch Schünemann, FS I. Roxin 2012, 353 f.; Kraatz, ZStW 2011, 478 ff. Zu Recht kritisch Theile, ZIS 2011, 625. 90  Siehe MüKoStGB/Dierlamm StGB § 266 Rn. 176 f.; ders., StrafFo 2005, 402 f. 91  MüKoStGB/Dierlamm StGB, § 266 StGB Rn. 175  ff., 176, 181, 183; ders., StraFo 2005, 402 ff. Für eine Orientierung an der Rechtsprechung des 1. Strafsenats wohl auch Beulke, FS Eisenberg 2009, 252 ff.; Kutzner, NJW 2006, 3543; Günther, FS Weber 2004, 314.

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trachtung vorliegende Pflichtwidrigkeit schlechterdings nicht mehr im materiellen Unternehmensinteresse liegt.92 Nach Feststellung der gesellschaftsrechtlichen Pflichtverletzung schließt sich somit eine zweite strafrechtliche Prüfung an, in der durch Gesamtabwägung festzustellen ist, ob auch strafwürdiges Unrecht vorliegt.93 Teilweise wird das Erfordernis der gravierenden Pflichtverletzung auch nur als deklaratorische Umschreibung des einem Gesellschaftsorgans nach der Business Judgement Rule des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zukommenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums angesehen, sodass in jeder geringfügigen Überschreitung des gesellschaftsrechtlichen Beurteilungs- und Ermessensspielraums stets eine untreuerelevante Pflichtverletzung vorläge.94 Von den Vertretern einer strafrechtsautonomen Auslegung des Untreuetatbestands95 sowie den Befürwortern einer strengen Akzessorietät96 wird das Kriterium der gravierenden Pflichtverletzung schließlich gänzlich abgelehnt. Zustimmung findet in der Literatur letztlich die in der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorgenommene Beschränkung des Untreuetatbestands auf vermögensbezogene Pflichtverletzungen.97 (3) Stellungnahme und Einordnung des Pflichtverletzungsmerkmals Bevor das Merkmal der gravierenden oder evidenten Pflichtverletzung im Kontext der jüngsten Rechtsprechung inhaltlich eingeordnet und mit Blick 92  Saliger, SSW, StGB § 266 Rn. 42a; ders., HRRS 2006, 20; Tiedemann, FS Tröndle, 1989, 328 f.; ders., FS Weber 2004, 322; Kubiciel, NStZ 2005, 360; Brüning/Samson, ZIP 2009, 1089, 1091, 1094; Krause, NStZ 2011, 59. In diese Richtung auch Theile, ZIS 2011, 626; Perron, GA 2009, 226 f.; Ignor/Sättele, FS Hamm 2008, 214; Brammsen, ZIP 2009, 1506 f.; ders., wistra 2009, 87 ff; Seibt/Schwarz, AG 2010, 312; Dannecker, Audit Committee Quaterly, III/2014, 6; S/S/Perron, StGB § 266 Rn. 19b. Im Ergebnis wohl auch Schwerdtfeger, 132. 93  Kubiciel, NStZ 2005, 357; Dannecker, Audit Committee Quaterly, III/2014, 6. Zwischen „einfachen“ und „groben“ Pflichtverletzungen differenzierend Seibt/ Schwarz, AG 2010, 312 f.; Brand, NZG 2016, 691. 94  Die Befürworter dieser dem Grunde nach streng akzessorischen Ansicht orientieren sich an der Rechtsprechung des 3. Strafsenats des BGH im Mannesmannverfahren. Siehe Ransiek, NJW 2006, 814; Vogel/Hocke, JZ 2006, 570; S/S/Perron, StGB § 266 Rn. 19b; Bosch/Lange, JZ 2009, 235; Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S. 171. 95  Gegen das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung insbesondere Schünemann, NStZ 2005, 476; ders., NStZ 2006, 197, der einen „dogmatisch tragfähigen Kern“ dieses Kriteriums allenfalls im Rahmen der objektiven Zurechnung anerkennt. 96  Hierfür dezidiert Michaelsen, Abweichungen vom DCGK, S. 171, 184. 97  Siehe Brand/Petermann, WM 2012, 67. Auf das Treugebervermögen primär abstellend Brand, NZG 2016, 692. Siehe auch Rönnau, StraFo 2014, 265 ff.



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auf den Aufsichtsrat fruchtbar gemacht werden kann, ist vorab zu klären, an welcher Stelle dieses dogmatisch zu verorten ist. (a) Dogmatische Einordung des gravierenden Pflichtverletzungsmerkmals Dem Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung könnte in Anlehnung an Schünemann ausschließlich in der Gestalt Bedeutung zukommen, dass es die Weite der unternehmerischen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit betont, indem es lediglich den Punkt markiert, ab dem das erlaubte Risiko unternehmerischen Handelns überschritten ist.98 Dogmatisch wäre dies eine Zuordnung zu der im Bereich des Besonderen Teils in weiten Teilen noch klärungsbedürftigen Lehre der objektiven Zurechnung.99 Nach Auffassung Schünemanns ergebe das Erfordernis einer „gravierenden Pflichtverletzung“ auch nur in den Fällen Sinn, in denen die Pflichtverletzung nicht bereits aus der Schädigung rückgeschlossen, sondern aus selbständigen Pflichtenregeln abgeleitet werde.100 Ihr Bedeutungsgehalt kann somit nur darin bestehen, den qualitativen Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden in den Fällen näher zu beschreiben, in denen wegen des Verschleifungsverbots der Merkmale Pflichtverletzung und Schaden kein Rückschluss von einem endgültig eingetretenen Schaden auf eine Pflichtverletzung möglich ist. Das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung wäre dann nichts anderes als ein ungeschriebenes, das rechtlich tolerierte Risiko umschreibendes Merkmal. Gegen eine solche Verortung des Merkmals der gravierenden Pflichtverletzung im Bereich der objektiven Zurechnung, die im Bereich der Untreue in den Kategorien der Gefahrschaffung101 sowie des Pflichtwidrigkeits-102 und 98  Siehe am Beispiel von treuwidrigen Kreditvergaben Schünemann, NStZ 2005, 476; ders., NStZ 2006, 198. Siehe auch Theile, ZIS 2011, 625. 99  Schünemann, NStZ 2005, 476; ders., NStZ 2006, 197; ders., FS I. Roxin 2012, 353 f.; Theile, ZIS 2011, 625. Speziell im Bereich der Untreue Saliger, HRRS 2006, 21 ff. 100  Schünemann, NStZ 2005, 476; ders., FS I. Roxin 2012, 353, wonach eine Verortung des Merkmals der Gravität auch im Bereich des Plichtwidrigkeitszusammenhangs denkbar sei. 101  Die der Lehre der objektiven Zurechnung entstammende Figur der Schaffung einer rechtlich relevanten Gefahr erlangt im Bereich der Untreue insoweit Bedeutung, als dass die Annahme eines Vermögensnachteils bei Ausgleichsbereitschaft und- fähigkeit des Täters ausgeschlossen wird. In diese Richtung BGHSt 15, 342, 344; Lackner/Kühl/Hegner, § 266 Rn. 17 ff. Ablehnend S/S/Perron, § 266 Rn. 40 ff. Kritisch Saliger, HRRS 2006, 21 f. 102  Teilweise wird auch für den Bereich der Untreue verlangt, dass sich die vom Täter durch die Pflichtverletzung geschaffene Gefahr im tatbestandlichen Erfolg niederschlagen muss, sodass es an der Tatbestandsverwirklichung fehlt, wenn dieser auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahr-

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Schutzzweckzusammenhangs103 in unterschiedlichen Ausprägungen bereits diskutiert wird104, spricht vor allem, dass es dessen Restriktionspotential unberücksichtigt lässt. Bei einer unmittelbaren Anbindung des Merkmals „gravierend“ an die Pflichtverletzung lässt sich eine im Einklang mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts stehende Einschränkung des Handlungsunrechts erreichen.105 Dem Merkmal der gravierenden oder evidenten Pflichtverletzung kommt daher richtigerweise eine das Handlungsunrecht unmittelbar einschränkende Funktion in der Gestalt zu, dass nicht jede außerstrafrechtliche Verletzung von Pflichten, sondern nur eine im „Unwert“ herausragende Pflichtverletzung den Einsatz des Untreuetatbestandes legitimieren kann.106 Um dieses verfassungsrechtlich vorgegebene Ziel zu erreichen, muss die strafrechtliche Pflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB dadurch eingeschränkt werden, dass unmittelbar an die außerstrafrechtliche Pflichtverletzung erhöhte Anforderungen, etwa in Gestalt der Gravität oder Evidenz, gestellt werden. (b) Stellungnahme zum Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung Fraglich und von der dogmatischen Einordnung zu unterscheiden ist, ob das unmittelbar an die außerstrafrechtliche Pflichtverletzung angebundene und terminologisch ebenfalls unscharfe und präzisierungsbedürftige Merkmal der „gravierenden“ Pflichtverletzung tatsächlich geeignet ist, das Handlungsunrecht des weit gefassten Untreuetatbestands zu präzisieren.107 scheinlichkeit eingetreten wäre. Zur Anwendung der aus der Fahrlässigkeitsdogmatik stammenden Zurechnungsregel im Bereich der Untreue siehe BGH NJW 1983, 1808 ff. Siehe auch das Beispiel bei Saliger, HRRS 2006, 22. 103  Dem Täter werden danach nur solche Erfolge objektiv zugerechnet, deren Abwendung innerhalb des Schutzzwecks der verletzten Sorgfaltsnorm liegt, sodass der Untreuetatbestand ausscheidet, wenn der verwirklichte Erfolg außerhalb des Schutzzwecks der verletzten Sorgfaltsnorm liegt, da sich die vom Täter geschaffene Gefahr dann nicht im Erfolg der Untreue verwirklicht hat. Diese Zurechnungsregel führt zu einer sinnvollen Begrenzung des weitgefassten Untreuetatbestandes. Zu ihrer folgerichtigen Anwendung durch die jüngste Rechtsprechung des BGH und des BVerfG siehe, S. 273 f., 299 ff. Zutreffend Günther, FS Weber 2004, 316. Unter Hinweis auf entstehende Strafbarkeitslücken kritisch Saliger, HRRS 2006, 22. 104  Siehe hierzu ausführlich Saliger, HRRS 2006, 21  ff.; Lüderssen, FS Volk 2009, 345 ff. 105  Zutreffend Theile, ZIS 2011, 625. 106  In diese Richtung zutreffend Theile, ZIS 2011, 625. Vgl. auch Teil  4 C. I. 2.; Teil 4 C. I 3. 107  Eine Einschränkung des Tatbestandes zwar begrüßend, dem Merkmal der „gravierenden Pflichtverletzung“ aber gleichwohl skeptisch gegenüberstehend Spind-



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands349

Das grundsätzlich zu begrüßende Kriterium der „gravierenden Pflichtverletzung“ scheint nur einen begrenzten Beitrag zu der erwünschten Tatbestandsrestriktion leisten zu können, da es selbst in höchstem Maße unbestimmt und konkretisierungsbedürftig ist. Mit der bloßen Feststellung, dass eine außerstrafrechtliche Pflichtverletzung „gravierend“ sein muss, um auch als strafrechtlich relevante Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht gewertet werden zu können, ist noch nicht viel an Gesetzesbestimmtheit gewonnen. Das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung lässt sich anhand der vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gebilligten jüngeren Rechtsprechung des 1. Strafsenats zur Kredituntreue und zum Sponsoring zwar dahingehend präzisieren, dass sich das Vorliegen einer gravierenden Pflichtverletzung anhand einer Gesamtschau der gesellschaftsrechtlichen Kriterien bestimmt und für das Vorliegen einer solchen „insbesondere“ die fehlende Nähe zum Unternehmensgegenstand, die Unangemessenheit im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage, die fehlende innerbetriebliche Transparenz sowie das Vorliegen sachwidriger Motive, namentlich die Verfolgung rein persönlicher Präferenzen, bedeutsam ist.108 Unklar bleibt aber auch unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung, in welchem Maße die einzelnen gesellschaftsrechtlichen Kriterien konkret zu gewichten sind, was wiederum das Risiko einer beliebigen Abwägung durch den Tatrichter in sich trägt.109 Bei dem von der Rechtsprechung in der Fallgruppe der Kreditvergabe und des Sponsorings zur Konturierung des Merkmals der gravierenden Pflichtverletzung herangezogenen Indizienkatalogs handelt es sich zwar prinzipiell um ein taugliches dogmatisches Instrument, um eine „Konsistenzkontrolle“ zu gewährleisten.110 Dies würde jedoch eine konsistente und verschiedene Fallgruppen umfassende Rechtsprechung vorler, in: Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, § 15 Rn. 23; Kindhäuser, in: Kindhäuser/ Neumann/Paeffgen, StGB 4. Aufl., § 266 Rn. 75a f.; Theile, ZIS 2011, 623 ff., 626; Saliger, HRRS 2006, 19 f.; Ignor/Sättele, FS Hamm 2008, 214. 108  BGH NJW 2002, 1585; MüKoStGB/Dierlamm, StGB, § 266 StGB Rn. 175. Soweit in der Literatur insbesondere von Schünemann, NStZ 2005, 476 unter Bezugnahme auf das in der Sponsoring-Entscheidung genannte Kriterium der Unangemessenheit im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage der Einwand erhoben wird, dass das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung auf „pure Klassenjustiz“ hinauslaufe und der Verweis des § 266 Abs. 2 StGB auf das Strafantragserfordernis des § 248a StGB zeige, dass auch geringfügige Nachteilszufügungen vom Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB erfasst sind, verkennt dies, dass das Merkmal der Unangemessenheit nicht isoliert zu betrachten ist, sondern lediglich Teil einer Gesamtschau ist. Ebenso fallen auch geringfügige Nachteilszufügungen unter den Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB, wenn diese „gravierend“ sind. Zutreffend auch Theile, ZIS 2011, 625. 109  Kindhäuser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 266 StGB 75b. 110  Zutreffend betont dies auch Theile, ZIS 2011, 624.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

aussetzen. Von einer konsistenten Rechtsprechung, der sich für eine Vielzahl von Lebensbereichen verlässliche und daher verallgemeinerungsfähige Kriterien zur Bestimmung einer gravierenden Pflichtverletzung entnehmen lassen, kann gegenwärtig aber noch nicht ausgegangen werden. Dies zeigen bereits die Inkonsistenzen innerhalb der soeben ausführlich skizzierten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Während der 1. Strafsenat mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts111 in den Fallgruppen der Kreditvergabe und des Sponsorings112 sowie in abgeschwächter Form auch in der Kinowelt Entscheidung113 ausdrücklich auf eine gravierende Pflichtverletzung abstellt und diese fallgruppenspezifisch präzisiert, wird das Kriterium von anderen Strafsenaten entweder überhaupt nicht erwähnt114 oder sogar explizit für nicht erforderlich erachtet.115 Schließlich lässt sich der jüngsten Rechtsprechung des 1. Strafsenats auch keine einheitliche Linie entnehmen, wenn dieser im Fall Siemens / AUB, ohne auf eine gravierende Pflichtverletzung einzugehen, ausschließlich den vermögensschützenden Charakter der außerstrafrechtlichen Norm betont116, dann aber in der nachfolgenden Entscheidung zur Kölner Parteispendenaffäre in der gezielten Verschleierung von Vermögenswerten wiederum eine „gravierende“ Pflichtverletzung erkennt.117 In der jüngsten Entscheidung des 5. Strafsenats aus dem Jahr 2013 wird dann auch wieder die Notwendigkeit einer „schwerwiegenden Pflichtverletzung“ betont.118 Aus Sicht der dem Untreuetatbestand vornehmlich unterworfenen Angehörigen des Wirtschaftslebens lässt sich vor diesem Hintergrund nicht hinreichend sicher prognostizieren, ob eine Handlung eine gravierende Pflichtverletzung darstellt oder nicht. Auch ist gegenwärtig aus der Rechtsprechung nicht präzise ableitbar, wie viele und welche Indizien einschlägig sein müssen, damit von einer gravierenden Pflichtverletzung ausgegangen werden kann.119 Während der 1. Strafsenat in seiner Rechtsprechung davon ausgeht, dass bei der Kreditvergabe jedenfalls dann eine Pflichtverletzung im Sinne des 111  BGH

NJW 2010, 3215. 47, 148; BGHSt 47, 187 ff. 113  BGH NStZ 2006, 221 ff. 114  So etwa der 5. Strafsenat in der Entscheidung Bremer Vulkan, BGHSt 49, 153 f. 115  In diese Richtung dezidiert der 3. Strafsenat im Mannesmannverfahren, BGHSt 50, 331 ff.; OLG Braunschweig, CCZ 2013, 123. 116  BGHSt 55, 288 ff. 117  BGH NJW 2011, 1749. 118  BGH NStZ 2013, 715 ff. 119  Diese Bedenken teilt auch Theile, ZIS 2011, 624. 112  BGHSt



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands351

§ 266 Abs. 1 StGB vorliege, wenn „sämtliche Kriterien“ erfüllt sind, sieht Dierlamm eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung bereits als gegeben an, wenn „mindestens drei“ von vier Leitkriterien vorliegen.120 Die Risiken einer quantitativen Bestimmung auf Basis einer unvollkommenen, weil sich bislang nur auf die Fallgruppe der Kreditvergabe und des Sponsorings erstreckenden Rechtsprechung liegen auf der Hand. Den von der Rechtsprechung zur Bestimmung der gravierenden Pflichtverletzung bislang gebildeten Fallgruppen und Indizienkatalogen lässt sich aufgrund der aufgezeigten Inkonsistenzen gegenwärtig nicht genügend Substanz entnehmen, um für sämtliche Lebensbereiche verallgemeinerungsfähige Schlussfolgerungen zu ziehen. Gegen eine unreflektierte Übertragung des in der Rechtsprechung teilweise herangezogenen Merkmals der „gravierenden Pflichtverletzung“ spricht aus Sicht des Aufsichtsrats insbesondere, dass dieser – im Unterschied zum Vorstand – bei Ausübung der Überwachungsaufgabe trotz im Einzelfall anzuerkennender Einschätzungs- und Beurteilungsspielräume regelmäßig keine risikobehafteten unternehmerischen Entscheidungen trifft, sondern im Rahmen seiner Spielräume und unter Anerkennung des Geschäftsleiterermessens des Vorstands eine fremde Entscheidung nachvollzieht.121 Gleichwohl wäre es mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität und das Bestimmtheitsgebot aber verfehlt, auf die in der Rechtsprechung erarbeiteten Restriktionen gänzlich zu verzichten und in jeder Überwachungspflichtverletzung des Aufsichtsrats zugleich auch eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht zu sehen.122 Im Interesse der Rechtssicherheit erscheint es daher notwendig, in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht nicht nur auf die „Gravität“ als Ausdruck einer fallgruppenspezifischen Rechtsprechung, sondern vor allem auf die Evidenz der Pflichtverletzung und den vermögensschützenden Charakter der verletzten Norm abzustellen. Die von der Rechtsprechung unter dem Begriff der „gravierenden“ Pflichtverletzung entwickelten Kriterien können bei entsprechender Sachverhaltsgestaltung dann auch indiziell berücksichtigt werden.123 Für eine solche vom Einzelfall ausgehende und an pflichtimmanenten Kriterien ausgerichtete Auslegung124 spricht, dass dann 120  Dierlamm,

StraFo 2005, 404. diese Richtung zutreffend Krause, NStZ 2011, 59. 122  Siehe auch Krause, NStZ 2011, 59; Schwerdtfeger, S. 132 f., der unter Rückgriff auf das „materielle Unternehmensinteresse“ eine graviernde Pflichtverletzung des Aufsichtsrats erkennt, wenn dieser „gegen bevorstehende Vorstandsstraftaten nicht einschreitet“. 123  Für eine am Kriterium der Evidenz ausgerichtete Auslegung im Lichte der fachgerichtlichen Rechtsprechung S/S/Perron StGB § 266 Rn. 19b; Krause, NStZ 2011, 59. 124  Siehe auch Fischer, StGB § 266 Rn. 61. 121  In

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die für einen Spezialfall entwickelten Kriterien, die im Bereich der Kreditvergabe oder des Sponsorings ihre Berechtigung haben, nicht unreflektiert auf solche Konstellationen übertragen werden, die nicht in diesem Spezialbereich ihren Ursprung finden. Eine den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragende Bestimmung der strafrechtlichen Pflichtwidrigkeit kann daher in Übereinstimmung mit Saliger, Tiedemann und Kubiciel erfolgen, wenn man auf die Evidenz der Pflichtverletzung abstellt. Verbindet man den Gedanken der Evidenz mit dem von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgestellten Kriterium der „gravierenden“ Pflichtverletzung lässt sich eine solche nur bejahen, wenn der Verstoß gegen das Primärrecht „evident unvertretbar“ war oder sich als „willkürlich“ darstellt und sich die Handlung beziehungsweise die unternehmerische Entscheidung auch unter Berücksichtigung des unternehmerischen Handlungsspielraums nicht mehr als eine im Unternehmensinteresse liegende Entscheidung darstellt.125 Anknüpfend an die Ausführungen Tiedemanns bedeutet dies, dass mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG und aus Gründen der Subsidiarität das Strafrecht letztlich „jedes wirtschaftlich irgendwie sinnvolle oder vertretbare Ziel einer Geldzahlung oder anderen vermögensmindernden Maßnahme als legitim“ und damit nicht pflichtwidrig im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB zu akzeptieren hat.126 Der Pflichtenmaßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ist daher, ebenso wie derjenige des ordentlichen und gewissenhaften Überwachers gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 AktG, auf eindeutige strafrechtlich relevante Sachverhaltskonstellationen zu begrenzen127 und „korrespondiert“ entgegen der Auffassung von Schilha und den der Rechtsprechung des 3. Strafsenats in der Mannesmannentscheidung folgenden Stimmen128 nicht mit dem „straftatbestandlichen“ Anwendungsbereich der Untreue.129 Die geringfügige Überschreitung des unternehmerischen Handlungs- und Ermessensspielraums begründet zunächst lediglich eine aktienrechtliche Pflichtver125  In diesem Sinne insbesondere Saliger, NJW 2010, 3195, 3197 f.; ders., HRRS 2006, 20 m. w. N. in Fn. 112; ders., in: SSW (Hrsg.), StGB, 2014, § 266 Rn. 40; Tiedemann, FS Tröndle 1989, 328; Kubiciel, NStZ 2005, 360; Theile, ZIS 2011, 626; ders., wistra 2010, 461; Ignor/Sättele, FS Hamm 2008, 214; Dannecker, Audit Committee Quaterly, III/2014, 6. In diese Richtung auch S/S/Perron StGB § 266 Rn. 19b; Fischer, StGB § 266 Rn. 61; M/G-Schramm, Kap. 5 Rn. 55; Schwerdtfeger, S. 132. 126  Tiedemann, FS Tröndle 1989, 328. 127  Tiedemann, FS Tröndle 1989, 328. 128  Ransiek, NJW 2006, 814; Vogel/Hocke, JZ 2006, 570; Bosch/Lange, JZ 2009, 235. 129  Schilha, § 4, 284, der zwar zutreffend auch auf das Evidenzkriterium abstellt, dieses aber mit dem Anwendungsbereich der Business Judgement Rule gleichsetzt.



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letzung. Es wäre unverhältnismäßig, wenn diese auch stets zu einer Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht und einem potentiellen Strafbarkeitsrisiko führen würde, da die Überschreitung des generalklauselartig umschriebenen Beurteilungs- und Handlungsspielraums durch den Aufsichtsrat bei Wahrnehmung einer Geschäftsführungsaufgabe oder bei Ausfüllung der Überwachungsaufgabe bereits durch das Primärrecht im Wege des Schadenersatzes nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG sanktioniert wird. Daher bedarf es einer Rechtfertigung, wenn man neben der primärrechtlichen Sanktion noch zusätzlich eine strafrechtliche Ahndung für geboten erachtet. Bei offen formulierten Generalklauseln kann auf Basis einer am Kriterium der evidenten Unvertretbarkeit orientierten Auslegung des Untreuetatbestandes eine strafrechtliche Pflichtwidrigkeit nur begründet werden, wenn sich ein „Verstoß gegen einen engen, unzweifelhaften Kernbereich“ des Primärrechts feststellen lässt.130 Der Anwendungsbereich der Untreue beschränkt sich somit in objektiver Hinsicht auf eindeutige rechtlich und wirtschaftlich unvertretbare Handlungen. Eine das abstrakte Kriterium der Evidenz veranschaulichende Präzisierung nimmt Kubiciel vor, indem er bei der Frage der Vertretbarkeit maßgeblich auf die Perspektive des Vermögensinhabers abstellt und „vertretbar“ im strafrechtlichen Sinne insoweit versteht, dass sich der „Vermögensinhaber“ in der vermögensrelevanten Entscheidung oder dem Unterlassen wirtschaftlich noch wiederfinden können muss.131 Legt man diese Prämisse bei der Überführung von außerstrafrechtlichen Pflichtverletzungen in untreuerelevantes Unrecht zugrunde, ergibt sich für die Fälle, in denen der Vermögensinhaber die Pflicht des Vermögensbetreuungspflichtigen ausdrücklich durch Vertrag, Satzung, Geschäftsordnung, Richtlinie oder Einzelanweisung festgelegt hat, bei Überschreiten dieser Grenze ohne zusätzlichen Begründungsaufwand stets eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung, da der Täter sich hier entgegen der klaren Festlegung anmaßt, über fremdes Vermögen zu disponieren.132 Gleichermaßen unproblematisch lässt sich eine primärrechtliche Pflichtverletzung als strafrechtlich relevante Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht werten, wenn der Wille des Vermögensinhabers durch eine „konkrete vermögensbezogene Primärnorm“ abgebildet wird.133 Eine Überschreitung dieser gesetzlichen Grenze durch ein vermögensbetreuungspflichtiges Gesellschafts130  Tiedemann, FS Dünnebier 1982, 519, 533. In diese Richtung auch Schilha, § 4, 283. 131  Kubiciel, NStZ 2005, 360. 132  Eine strafrechtliche Haftung folgt dann direkt aus dem Verbot, schädigende Eingriffe in eine fremde Vermögenssphäre vorzunehmen. Siehe Kubiciel, NStZ 2005, 358; OLG Braunschweig, CCZ 2013, 123; SSW-Saliger, StGB § 266 Rn. 42b. 133  Kubiciel, NStZ 2005, 359.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

organ ist strafrechtlich auch erheblich, weil hier ebenfalls in einen Bereich eigenmächtig eingegriffen wird, der nach der den Willen des Vermögensinhabers umschreibenden gesetzlichen Maßgabe unangetastet bleiben soll.134 Die Verletzung einer solchen in einer Primärnorm konkret festgelegten Pflicht führt damit ebenfalls zu einer Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht. Fehlt es demgegenüber an einer konkreten Festlegung durch den Vermögensinhaber oder durch das Primärrecht, ist in der Regel auf außerstrafrechtliche Generalklauseln zurückzugreifen. Geschäftsführung und Überwachung ist dann am Maßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters oder Überwachers auszurichten, der letztlich nichts anderes darstellt, als eine gesetzliche Umschreibung der vom Vermögensinhaber maximal noch tolerierbaren Handlungen, wenn es an konkreten Vorgaben durch diesen fehlt.135 Die maximale Grenze einer noch tolerierbaren Handlung ist jedoch im Strafrecht nicht die Gleiche wie im Zivilrecht. Bei der Bestimmung sind daher die Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets zu berücksichtigen. Aufgrund der geringeren Eingriffsintensität des Primärrechts ist es gerechtfertigt, an die primärrechtliche Haftung geringere Anforderungen zu stellen, sodass die geringfügige Überschreitung des Handlungsspielraums zur Begründung eines Schadenersatzanspruchs nicht zu beanstanden ist. Möchte man einer Überschreitung des primärrechtlichen Handlungsspielraums darüber hinaus Untreuerelevanz beimessen, müssen die Besonderheiten des Strafrechts als dem eingriffsintensivsten Rechtsgebiet berücksichtigt werden. Der gesetzliche Maßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters und Überwachers ist dann strafrechtlich auszulegen und durch den Blickwinkel des § 266 StGB zu sehen.136 (4) Ergebnis Mit Blick auf den subsidiären Charakter des Strafrechts und unter Berücksichtigung der Schutzrichtung des § 266 StGB sowie der restriktiven Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt außerhalb der Verletzung konkret festgelegter oder gesetzlich ausdrücklich geregelter Pflichten eine strafrechtlich relevante Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht daher nur dann vor, wenn der verletzten außerstrafrechtlichen Pflicht eine Vermögensrelevanz zukommt, der von ihr eröffnete Handlungsspielraum in evident un134  Kubiciel, NStZ 2005, 359. Als Beispiel lässt sich die der Kapitalerhaltung dienende Vorschrift des § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG anführen. Danach darf das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft an die Gesellschafter nicht ausgezahlt werden. 135  In diese Richtung auch Kubiciel, NStZ 2005, 360. 136  Zutreffend Kubiciel, NStZ 2005, 359.



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vertretbarer Weise über- oder unterschritten ist137 und die Entscheidung des Vermögensbetreuungspflichtigen nicht mehr als eine den Vermögensinhaber vertretende Entscheidung gedacht werden kann.138 Bei Bestimmung einer evidenten Pflichtverletzung kann indiziell auch auf die nach gegenwärtigem Stand noch unvollkommene und in ihrer Entwicklung weiter zu beobachtende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Merkmal der Gravität zurückgegriffen werden. bb) Schlussfolgerung für den Aufsichtsrat bei Überwachung des Compliance-Systems Vor diesem dogmatischen Hintergrund ist nun aus Sicht des Aufsichtsrats einzuordnen, ob die Verletzung der außerstrafrechtlichen Pflicht aus § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG durch Nichtüberwachung der Einführung eines individuell tauglichen Compliance-Systems durch den Vorstand eine Hauptpflichtverletzung des Aufsichtsrats darstellt, dieser Vermögensrelevanz zukommt und deren Verletzung in einem solchen Maße erheblich ist, dass sie auch strafrechtliche Relevanz entfaltet. (1) Pflichtverletzung bei gänzlicher Nichtüberwachung Unterlässt der Aufsichtsrat entgegen des klaren gesetzlichen Auftrags aus § 111 Abs. 1 AktG die Überwachung des Vorstands gänzlich und kontrolliert diesen weder im Rahmen der Regelberichterstattung noch durch Ausschussbildung, Anforderung von Zusatzberichten Beauftragung des Abschlussprüfers oder durch Installation eines Compliance-Beauftragten im Aufsichtsrat139 dahingehend, ob er in der AG ein effektives und an deren Bedürfnissen ausgerichtetes Compliance-System eingeführt hat, begründet dies nicht nur eine aktienrechtliche Pflichtwidrigkeit, sondern stellt auch eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB dar. Diese ist erheblich und weist Vermögensrelevanz auf. Da dem Aufsichtsrat hinsichtlich 137  Unter Hinweis darauf, dass eine solche Einordnung in der Praxis selbstverständlich nicht alle Unwägbarkeiten zu lösen in der Lage sein wird Theile, ZIS 2011, 626. 138  Zutreffend SSW-Saliger, StGB § 266 Rn. 42a. Existieren konkrete Anhaltspunkte, welchen Umgang der Vermögensinhaber in einer Situation wünscht, sind diese bei der Entscheidung über das fremde Vermögen zu berücksichtigen. Fehlt es an Anknüpfungstatsachen, die auf die Interessenlage des Vermögensinhabers rückschließen lassen, kann nur das Ziel des Vermögenserhalts und der Vermögensmehrung leitend sein. Siehe Kubiciel, NStZ 2005, 360. 139  Zur präventiven Dimension der dem Aufsichtsrat aktienrechtlich zukommenden Einwirkungsrechte siehe die Ausführungen unten in Teil 6 A.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

der Frage, ob er den Vorstand überwacht, kein Ermessen zukommt140, stellt sich die Frage nach einer evidenten Unvertretbarkeit nicht. Bleibt der Aufsichtsrat gänzlich untätig und leistet keinerlei Überwachung, betätigt er keinen Handlungsspielraum, den er in evident unvertretbarer Weise überschreiten könnte. Vielmehr liegt eine nicht hinnehmbare Unterschreitung des ihm bei der Auswahl der Überwachungsmittel dem Grunde nach zukommenden Auswahlermessens vor.141 Aus Sicht des Aufsichtsrats gibt es keine „gravierendere“ Verletzung, als die Nichtwahrnehmung des ihm gesetzlich als Kernaufgabe zugewiesenen Überwachungsauftrags142, da die Kontrolle des Vorstands die ureigenste Aufgabe des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan der AG ist.143 Insoweit handelt es sich bei § 111 Abs. 1 AktG auch um eine Hauptpflicht des Aufsichtsrats144, der unzweifelhaft Vermögensrelevanz zukommt, da sie ihn dazu verpflichtet, die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit des Handelns der Geschäftsführung zu überwachen.145 Schließlich folgt die unmittelbare Vermögensrelevanz des § 111 Abs. 1 AktG aus dem Gebot zur Überwachung der Rechtmäßigkeit des Vorstandshandelns, da dieses nicht im Sinne einer allgemeinen Legalitätskontrolle nur dazu dient, die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben in der AG zu kontrollieren, sondern mit Blick auf das auch den Aufsichtsrat bindende Unternehmensinteresse das Ziel verfolgt, der AG durch rechtswidriges Verhalten drohende wirtschaftliche Nachteile abzuwenden.146 Die gänzliche Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den dafür zuständigen Vorstand, dessen Zweck darin besteht, rechtswidriges Verhalten in der AG präventiv zu verhindern und betriebsbezogene Straftaten aufzuklären, abzustellen und zu ahnden, stellt somit eine untreuerelevante Verletzung der unmittelbar dem Vermögensschutz der AG dienenden Vorschrift des § 111 Abs. 1 AktG durch den Aufsichtsrat dar. 140  Siehe

hierzu oben Teil 2 B. I. 1. c) dd). § 116 Rn. 2. Siehe hierzu auch oben Teil 2 B. I. 1. d)

141  MüKoAktG/Habersack

aa).

142  Brammsen, ZIP 2009, 1510; Saliger, SSW, StGB § 266 Rn. 33. Insoweit auch zutreffend Schilha, § 4, 290, der bei Missachtung oder Verkennung der Überwachungs- und Einwirkungspflicht der Aufsichtsratsmitglieder „eo ipso“ ohne zusätzliche strafrechtliche Hürde eine Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB annimmt. 143  Siehe in Teil 2: B. I. 1.; B. I. 1. b) ee); B. I. 1. d) aa); B. I. 3.; in Teil 3: C. II. 1. d); D. III. 144  So ausdrücklich BGH NJW 2002, 1588. Siehe auch Brammsen, ZIP 2012, 1508, 1510. 145  Brand/Petermann, WM 2012, 64; Brammsen, ZIP 2009, 1508; Seibt/Schwarz, AG 2010, 302. In diese Richtung auch Schwerdtfeger, S.  72 f.; Schilha, § 4, 234, 256 f. 146  Siehe zutreffend auch Schilha, § 4, 257. Siehe auch oben Teil 2 B. I. 1. b) cc).



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands357

(2) Pflichtverletzung bei evident unvertretbarer Überwachung Schwieriger gestaltet sich die Prüfung einer Vermögensbetreuungspflichtverletzung, wenn der Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand Überwachungsmaßnahmen ergreift und die Einführung eines individuell tauglichen Compliance-Systems auch überwacht, diese aber unzureichend sind oder sich nicht hinreichend mit dem Compliance-System des Vorstands auseinandersetzen, sodass es in der Konsequenz zur Einführung eines mangelhaften ComplianceProgramms in der AG kommt und die Begehung von Straftaten auf Mitarbeiterebene möglich wurde. In dieser Konstellation ist der Aufsichtsrat tätig geworden. Seine Bemühungen haben lediglich nicht ausgereicht, um eine wirksame Kontrolle zu gewährleisten, weil er trotz erkennbar defizitärer Strukturen in der AG – etwa aufgrund erheblicher Compliance-Vorfälle in der Vergangenheit – im Bereich der Compliance über eine zu geringe Informationsdichte verfügte, Missstände nicht durch Ausübung seines Rechts zur Meinungs- und Bedenkenäußerung gegenüber dem Vorstand klar angesprochen und beanstandet hat, keine Zusatzberichte beim Vorstand zum Thema Compliance anforderte oder pflichtwidrig davon abgesehen hat, das vom Vorstand ausgearbeitete Compliance-Konzept durch einen Compliance-Ausschuss oder einen Compliance-Beauftragten im Aufsichtsrat kontrollieren zu lassen oder nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG ad hoc oder generell seiner Zustimmung zu unterstellen.147 Da insoweit nicht das „Ob“, sondern das „Wie“ der Überwachung betroffen ist, kommt dem Aufsichtsrat bei der Wahl seiner Überwachungsmittel ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum im Sinne der Business Judgement Rule zu.148 Der Aufsichtsrat schuldet nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG bei Ausübung der Überwachungsaufgabe die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Überwachers.149 Eine strafrechtlich erhebliche Verletzung dieser generalklauselartig umschriebenen Pflicht kommt daher nur in Betracht, wenn ihr Vermögensrelevanz zukommt und der eröffnete Handlungsspielraum in evident unvertretbarer Weise über- beziehungsweise unterschritten ist, weil die Auswahl der Überwachungsmittel durch den Aufsichtsrat nicht mehr als eine den Vermögensinhaber vertretende Entscheidung gedacht werden kann.150 Indiziell kann auf die von der Rechtsprechung zum Merk147  Zu den Handlungspflichten des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit Compliance siehe ausführlich oben Teil 3 C. III. Zu den strafrechtlichen Implikationen einer unterlassenen Begründung eines Zustimmungsvorbehalts siehe Brammsen, ZIP 2009, 1510. 148  Siehe hierzu bereits oben Teil 2 B. I. 1. d) aa) (2). 149  MüKoAktG/Habersack § 116 Rn. 2; Henssler/Strohn/Henssler, AktG § 116 Rn. 1. Zutreffend auch Brammsen, ZIP 2009, 1508. 150  Saliger, SSW, StGB § 266 Rn. 33; Krause, NStZ 2011, 59; Teil 5 A. II. 1. c) aa) (4).

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

mal der gravierenden Pflichtverletzung erarbeiteten Kriterien zurückgegriffen werden. Nach der Regelungstechnik des Aktiengesetzes sind die materiellen Pflichten des Aufsichtsrats nur vereinzelt positiv-rechtlich normiert151, sodass die Verhaltens- und Handlungspflichten der Mitglieder des Aufsichtsrats im Bereich der Überwachung der Maßfigur des ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG zu entnehmen sind.152 Eine strafrechtlich relevante Verletzung der Generalklausel durch Mitglieder des Aufsichtsrats wegen Auswahl unzureichender oder untauglicher Überwachungsmittel setzt daher unter Berücksichtigung des im Rahmen der strafrechtlichen Auslegung der Generalklausel zu berücksichtigenden Schutzzwecks des § 266 Abs. 1 StGB153 und vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung154 zunächst voraus, dass die verletzte Rechtsnorm vermögensschützenden Charakter für das zu betreuende Vermögen hat.155 Für die Maßfigur des ordentlichen und gewissenhaft handelnden Aufsichtsratsmitglieds ist dies gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG auch zu bejahen, soweit sie unmittelbar zur Ausfüllung der in § 111 Abs. 1 AktG abstrakt umschriebenen Überwachungsaufgabe herangezogen wird. Die Generalklausel des §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG ist in dieser Konstellation untrennbar mit dem Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 1 AktG verbunden. Der Vorschrift des § 111 Abs. 1 AktG kommt – wie soeben dargelegt – aufgrund der in ihr enthaltenen Pflicht zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit des Vorstandshandelns unmittelbare Vermögensrelevanz zu. Folglich kommt auch der zur Ausfüllung dieser Pflicht heranzuziehenden Generalklausel Vermögensrelevanz zu156, soweit die aus ihr konkret abgeleiteten Maßnahmen der Überwachung des Vorstands gemäß § 111 Abs. 1 AktG und damit dem Vermögensschutz der AG dienen. Die unmittelbare Vermögensrelevanz der §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG zeigt sich auch darin, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats als Organ der Aktiengesellschaft  – ebenso wie der Vorstand  – an das Unternehmenswohl 151  Siehe 152  Siehe

VI.

153  Siehe

hierzu bereits die ausführliche Darstellung in Teil 2 B. I. 2. hierzu in Teil 2 unter: B. I. 1. b) dd) und B. I. 1. d); vgl. auch Teil 3 C.

hierzu die Ausführungen in Teil 4 C. I. 2. NJW 2010, 3209 ff. 155  Dezidiert in diese Richtung BGHSt 55, 301; BGH NJW 2011, 91; BGHSt 56, 211, BGH NJW 2011, 1749; Hölters/Hambloch-Gesinn/Gesinn AktG § 116 Rn. 23a; Brand/Petermann, WM 2012, 62. Nach der Rechtsprechung des BGH in der sog. Telekom-Spitzelaffäre soll es nicht entscheidend auf den vermögensschützenden Charakter eines „Primärverstoßes“ ankommen, sondern darauf, ob die verletzte Pflicht das Vermögen des Treugebers schützen sollen. Siehe BGH NJW 2013, 403. 156  Zutreffend Brand/Petermann, WM 2012, 66. 154  BVerfG



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands359

gebunden sind und deshalb ihr in §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG generalklauselartig umschriebenes Handeln stets am Ziel der Wahrung und Vermehrung des Gesellschaftsvermögens auszurichten haben.157 Die von den Mitgliedern des Aufsichtsrats zur Erfüllung des Überwachungsauftrags auf Basis der §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG ausgewählten Überwachungsinstrumente dienen dieser Leitmaxime, da der Aufsichtsrat hierdurch seinen Beitrag zur Sicherstellung einer langfristigen Rentabilität und zur Bestandserhaltung in der AG leistet. Jede von den Mitgliedern des Aufsichtsrats zum Zweck der Überwachung getroffene Maßnahme ist vor dem Hintergrund des Vermögenserhalts und der Vermögensmehrung zu denken.158 Entschließt sich der Aufsichtsrat zur Erfüllung seiner Pflicht aus § 111 Abs. 1 AktG nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG etwa dazu, im Aufsichtsrat einen Compliance-Beauftragten oder einen Compliance-Ausschuss einzurichten und delegiert er an diesen die klar definierte Aufgabe, die Einführung und Fortentwicklung des Compliance-Konzepts in der AG durch den Vorstand zu überwachen, entfaltet §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG insoweit unmittelbar Vermögensrelevanz, da die vom Aufsichtsrat gewählten Überwachungsmaßnahmen ausschließlich dazu dienen, von der AG Schäden abzuwenden, die durch ein fehlendes oder mangelhaftes Compliance-Systems in der AG verursacht werden können.159 Das gleiche gilt, wenn sich der Aufsichtsrat entschließt, ein vom Vorstand vorgelegtes Compliance-Konzept nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG seiner Zustimmung zu unterstellen160 oder nach § 111 Abs. 2 AktG eine interne Untersuchung einzuleiten.161 Der Generalklausel des §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG kommt folglich immer dann, wenn sie der Ausfüllung des § 111 Abs. 1 AktG dient, Vermögensrelevanz zu. Die unzureichende Überwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Aufsichtsrat ist wegen eines damit einherge157  Zutreffend

I. d).

Schilha, § 4, S. 261, 264. Siehe auch die Ausführungen in Teil 2 B.

in diese Richtung auch Kubiciel, NStZ 2005, 360. wenn man nicht auf den Vermögensschutz der verletzten Norm, sondern auf den der konkreten Pflicht abstellen würde, ließe sich nach der jüngsten Rechtsprechung des 1. Strafsenats eine Vermögensrelevanz begründen, da es zur Begründung einer untreuerelevanten Pflichtverletzung genügt, wenn die verletzte Pflicht das Vermögen des Treugebers schützen soll. Für die aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG abgeleiteten, der Überwachungsaufgabe nach § 111 Abs. 1 AktG dienenden, Pflichten ist dies der Fall. Siehe BGH NJW 2013, 403. 160  Hier kommt die Vermögensrelevanz der Überwachungsentscheidung besonders deutlich zum Ausdruck, da nur solche Geschäftsvorfälle der Zustimmung des Aufsichtsrats zu unterstellen sind, die für die Wirtschafts- und Ertragslage der AG von wesentlicher Bedeutung sind. Siehe hierzu auch Teil 2 B. I. 2. h) bb) (1) sowie die Ausführungen in Teil 6 A. V. 161  Siehe hierzu die Ausführungen in Teil 2 B. I. 2. g) sowie in Teil 6 A. III. 3. 158  Zutreffend 159  Selbst

360

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

henden Verstoßes gegen die unmittelbar vermögensrelevante Generalklausel des §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 111 Abs. 1 AktG untreuerelevant.162 Ein Verstoß des Aufsichtsrats gegen §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG durch Auswahl ungeeigneter oder untauglicher Überwachungsmittel entfaltet nach § 266 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB aber nur strafrechtliche Relevanz, wenn der eröffnete Handlungsspielraum auch in evident unvertretbarer Weise über- beziehungsweise unterschritten ist, weil die konkrete Auswahl der Überwachungsmittel durch den Aufsichtsrat vor dem Hintergrund des Unternehmensinteresses nicht mehr als eine den Vermögensinhaber vertretende Entscheidung gedacht werden kann.163 Bei der durch Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls zu bestimmenden „evidenten Unvertretbarkeit“164 kommt neben dem Kriterium des Unternehmensinteresses insbesondere der Funktion des Aufsichtsrats in der AG165 sowie der mit Ausübung dieser Funktion einhergehenden pflichtimmanenten Kriterien besondere Bedeutung zu.166 Bei der Reduktion der Generalklausel auf einen strafrechtlich relevanten Kernbereich ist ferner die Situation in der AG von entscheidender Bedeutung, da die vom Aufsichtsrat geschuldete Intensität der Compliance-Überwachung stark davon abhängt, ob in der Vergangenheit Compliance-Vorfälle zu beobachten waren oder nicht.167 Da der Aufsichtsrat im normalen Geschäftsgang nicht die Einzelheiten des Tagesgeschäfts zu überwachen hat, genügt er seiner Pflicht zur Überwachung der Einführung und Fortentwicklung des Compliance-Systems durch den Vorstand, wenn er sich vom Vorstand regelmäßig und nicht nur anlassbezogen berichtsmäßig über die Ausgestaltung des in der AG eingerichteten Compliance-Systems sowie über compliancerelevante Sachverhalte und deren interne Aufarbeitung unterrichten lässt.168 Neben der Frage der Existenz eines Compliance-Systems ist im Wege der Regelberichterstattung zu prüfen, welche Maßnahmen der Vorstand zur Si162  Siehe

auch Brand/Petermann, WM 2012, 66. NStZ 2005, 360. Zutreffend Krause, NStZ 2011, 59; Teil 5 A. II. 1.

163  Kubiciel,

c) aa) (4). 164  Dannecker, Audit Committee Quaterly, III/2014, 6; Seibt/Schwarz, AG 2010, 314. 165  Siehe hierzu auch Teil  2 A. II. und B sowie in Teil  3 C. I.; C. VI. und D. II. 2. 166  Für eine Bestimmung anhand pflichtimmanenter Kriterien zutreffend Fischer, StGB § 266 Rn. 61. Zu den aus der Überwachungsfunktion folgenden Pflichten siehe Teil 2 B. I. 2. 167  Siehe insbesondere die Ausführungen in Teil 2 B. I. 1. b) cc) (2) sowie Teil 3 C. II. 1. b). 168  Siehe oben Teil 3 C. II. 1.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands361

cherung der Legalität im Unternehmen konkret getroffen hat und wie das Compliance-System überwacht wird.169 Auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Vorstandsberichte darf er sich dabei auch verlassen.170 Der Aufsichtsrat ist somit im Normalfall nicht gehalten, weitergehende Überwachungsmaßnahmen in Form der Anforderung von Zusatzberichten, der Beauftragung eines Abschlussprüfers mit der Compliance-Prüfung oder der Begründung eines Zustimmungsvorbehalts einzuleiten. Seine Überwachungspflicht beschränkt sich im Regelfall darauf, die vom Vorstand überlassenen Informationen entgegenzunehmen, den überwachungsrelevanten Sachverhalt vollständig zu erfassen, diesen kritisch auszuwerten und bei Auffälligkeiten weitere Maßnahmen einzuleiten.171 Vor diesem Hintergrund kann im normalen Geschäftsgang nicht bereits jede unterlassene Meinungs- oder Bedenkenäußerung des Aufsichtsrats sowie die Nichtanforderung von Zusatzberichten gegenüber dem Vorstand bezüglich eines von diesem eingeführten und vom Aufsichtsrat als unzweckmäßig erachteten ComplianceSystems als eine strafrechtlich relevante Unterschreitung des durch §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG eingeräumten Handlungsspielraums und damit als Verletzung der Überwachungspflicht des § 111 Abs. 1 AktG gewertet werden. Andernfalls läge auch ein unzulässiger Eingriff in den vom Aufsichtsrat zu respektierenden Beurteilungsspielraum des Vorstands vor.172 Eine evident unvertretbare Überwachung kommt aus Sicht der AG als Vermögensinhaberin im Bereich der Normalüberwachung erst in Betracht, wenn der Aufsichtsrat seine Pflicht zur Entgegennahme und Auswertung der Vorstandsberichte nicht wahrnimmt und deshalb nicht in der Lage ist, die vom Vorstand berichtsmäßig mitgeteilten Compliance-Aktivitäten in der AG zu beurteilen, weil er sie nicht erfasst hat. Daneben lässt sich innerhalb der Regelüberwachung eine strafrechtlich relevante Verletzung der Überwachungspflicht aus § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG annehmen, wenn sich der Aufsichtsrat bei fehlenden Vorstandsberichten zum Thema Compliance nicht selbst die zur Beurteilung der Compliance-Aktivitäten des Vorstands erforderlichen Informationen verschafft.173 Der Aufsichtsrat verstößt in beiden Konstellation – bei fehlender Kenntnisnahme und bei Nichtverschaffung von Informationen – gegen den „un169  Siehe

oben Teil 3 C. II. 1. sowie C. II. 1. b) cc). oben Teil 3 C. II. 1. 171  Siehe oben Teil 3 C. II. 1. Zutreffend auch Lang/Balzer, WM 2012, 1171. 172  Zur Begrenzung des Überwachungsauftrages des Aufsichtsrats durch den Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Vorstands siehe oben Teil 2 B. I. 1. c). 173  Zur „Informationsbeschaffungspflicht“ des Aufsichtsrats Teil 2 B. I. 1. b) cc) u. B. I. 2. a). 170  Siehe

362

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

zweifelhaften Kernbereich“174 der Überwachungspflicht aus §§ 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG, da er dann nicht über das zur Ausübung der Überwachungsfunktion erforderliche Informationsminimum verfügt. Die Evidenz der Pflichtverletzung folgt daraus, dass ihn als Überwachungsorgan auch im normalen Geschäftsgang die Pflicht trifft, sich ein Informationsniveau zu verschaffen, dass ihn in die Lage versetzt, eine eigene Beurteilung vornehmen zu können.175 Diese folgt „unmittelbar aus seiner Organstellung“176 und verpflichtet ihn stets sicherzustellen, dass er in den überwachungsrelevanten Bereichen über ein ausreichendes Informationsniveau177 verfügt. Die organschaftliche Pflicht zur Kenntnisnahme und Verschaffung von Informationen bildet auch den absoluten Kernbereich der Überwachungspflicht, da ohne sie keine vernünftige Kontrolle des Vorstands denkbar ist.178 Die Mitglieder des Aufsichtsrats können sich daher richtigerweise nicht mit dem Argument verteidigen, sie seien vom Vorstand nicht hinreichend unterrichtet worden oder hätten den Sachverhalt nicht oder nicht vollständig erfasst.179 Vielmehr trifft den Aufsichtsrat die organschaftliche Pflicht, alle ihm gesetzlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Information auszuschöpfen und bei fehlender Information durch den Vorstand weitere Information anzufordern.180 Bestehen darüber hinaus Anhaltspunkte, dass sich die Risikolage der AG verschlechtert hat, weil in der Vergangenheit bereits Compliance-Fälle bekannt wurden, verdichtet sich die vom Aufsichtsrat geschuldete Regelüberwachung in eine Intensivüberwachung. Für die Vermögenslage der AG besteht dann ein gesteigertes Haftungs- und Verlustrisiko, sodass eine intensi174  Zur strafrechtlichen Haftung Tiedemann, FS Tröndle 1989, 328; ders., FS Dünnebier 1982, 533. Zur zivilrechtlichen Bedeutung der Informationsbeschaffung und -weitergabe im Rahmen der Überwachung Henssler/Strohn/Henssler, AktG § 116 Rn. 7 f. Die Wesentlichkeit der Informationspflicht betont auch MüKo/Habersack, AktG § 116 Rn. 30. 175  Siehe hierzu Teil 2 B. I. 1. b) cc) u. B. I. 2. a). Die „Informationsgrundlage“ als wesentliches Kriterium betonen auch Krause, NStZ 2011, 59; Lang/Balzer, WM 2012, 1171, 1173. 176  Hüffer, NZG 2007, 51. 177  Zur Bestimmung des haftungsrechtlich relevanten Informationsumfangs siehe auch die Ausführungen oben in Teil 2 B. I. 1. b) cc). 178  Zutreffend in diese Richtung Bosch/Lange, JZ 2009, 233  f., die der organschaftlichen „Informationsverschaffungspflicht“ ebenfalls eine herausgehobene Bedeutung beimessen. 179  Hüffer, NZG 2007, 48, 51; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 85; MüKo/Habersack AktG § 116 Rn. 30. Siehe hierzu bereits Teil 2 B. I. 1. b) cc). 180  Siehe hierzu mit weiteren Nachweisen bereits oben Teil 2 B. I. 1. b) cc) u. B. I. 2. a).



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands363

vere Überwachung durch den Aufsichtsrat gerechtfertigt ist.181 Da den Aufsichtsrat in dieser Konstellation umfassendere Handlungspflichten treffen182, verschärft sich dessen Risiko, eine strafrechtlich relvante Pflichtverletzung zu begehen. Für die Mitglieder des Aufsichtsrats besteht in dieser Situation ein ungleich höheres Risiko, die ihnen als Organ aktienrechtlich zustehenden Überwachungsinstrumente nicht hinreichend auszuschöpfen. Der Aufsichtsrat hat darauf zu achten, dass er die verschärfte Kontrollsituation überhaupt erkennt und der Gegenstand der Überwachung in dieser Konstellation nicht mehr nur auf die generelle Existenz eines Compliance-Systems, sondern auch auf den konkreten Einzelsachverhalt gerichtet ist, wenn diesem aus Sicht der AG als Vermögensinhaberin eine erhebliche Vermögensrelevanz zukommt.183 Zu überwachen ist dann, ob der Vorstand den konkreten Sachverhalt umfassend aufklärt, den Verstoß abstellt und gegenüber dem betroffenen Mitarbeiter ahndet.184 Im Unterschied zur Regelberichterstattung genügt hier die berichtsmäßige Kenntnisnahme der Vorstandsberichte durch den Aufsichtsrat gerade nicht. Der Aufsichtsrat hat vielmehr – gegebenenfalls unter Hinzuziehung von externen Beratern – nachzuverfolgen, ob und mit welcher Effektivität der Vorstand den compliance-relevanten Sachverhalt aufarbeitet und Nachbesserungen im Compliance-System vornimmt.185 Um den im Bereich der Intensivüberwachung gesteigerten Handlungs- und Informationspflichten effektiv nachzukommen und den aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG folgenden Sorgfaltsmaßstab zu erfüllen, kann im Einzelfall die Bildung eines anlassbezogenen auf die Befassung mit dem konkreten Einzelsachverhalt begrenzten Untersuchungs- oder Sonderausschusses erforderlich sein.186 Schließlich kann sich das den Mitgliedern des Aufsichtsrats bei der Entscheidung über die Art eines zustimmungspflichtigen Geschäfts im Sinne des § 111 Abs. 4 S. 2 AktG zukommende Ermessen im Extremfall auch in eine Pflicht zur Begründung eines Zustimmungsvorbehalts verdichten, wenn eine gesetzeswidrige Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands nur durch Anordnung eines solchen verhindert werden kann.187 Mit Blick auf das dem Vorstand zukommende und vom Aufsichtsrat bei der Überwachung zu respektierende Geschäftsleitermessen ist dies allerdings nur anzunehmen, wenn das vom 181  Siehe

hierzu oben Teil 2 B. I. 1. b) cc) (2) sowie Teil 3 C. II. 1. b). hierzu oben Teil 3 C. II. 1. b). 183  Siehe hierzu oben Teil 3 C. II. 1. b) bb). 184  Siehe hierzu oben Teil 3 C. II. 1. b) cc). 185  Siehe hierzu oben Teil 3 C. II. 1. b) aa) u. cc). 186  Siehe ausführlich Teil 2 B. I. 2. l) sowie Teil 6 A. II. 3. Zur Ausschussbildung siehe auch Dreher, FS Goette 2011, 44. 187  Siehe hierzu die Ausführungen in Teil 2 B. I. 2. h) cc). 182  Siehe

364

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Vorstand vorgelegte Compliance-Konzept offensichtlich untauglich ist, weil es erkennbare Lücken aufweist oder trotz erheblicher Compliance-Vorfälle in der Vergangenheit keine konkreten Maßnahmen zur Verhinderung unternehmensbezogener Straftaten enthält.188 Welche Maßnahme der Aufsichtsrat im Bereich der Intensivüberwachung im Einzelfall genau zu ergreifen hat, lässt sich aufgrund der Vielzahl der in Betracht kommenden Sachverhaltskonstellationen an dieser Stelle zwar nicht abstrakt beschreiben. Mit Blick auf das im Bereich der Intensivüberwachung aber gleichwohl erhöhte Informationslevel dürfte eine evidente und aus Sicht der Aktiengesellschaft als Vermögensinhaberin nicht mehr vertretbare Pflichtverletzung jedenfalls vorliegen, wenn es der Aufsichtsrat unterlässt, über die Regelberichterstattung hinaus weitere Informationen in Form von Zusatzberichten, der Einleitung interner Ermittlungen oder der Beauftragung externer Prüfer einzuholen. Die Evidenz der Pflichtverletzung besteht dann ebenfalls darin, dass der Aufsichtsrat gegen seine – in dieser Lage gesteigerte – Informationsbeschaffungspflicht und damit gegen den Kernbereich der Überwachungsfunktion verstößt, da er sich nicht ein der Situation der AG angemessenes Informationslevel verschafft hat und deshalb nicht in der Lage ist, eine sachgerechte Auswahl der ihm nach dem Aktienrecht zur Verfügung stehenden Überwachungsinstrumente vorzunehmen.189 Unterlassen die Mitglieder des Aufsichtsrats bei gesteigerter Risikolage pflichtwidrig die Einholung zusätzlicher Informationen beim Vorstand oder im Ausnahmefall auch durch Rückgriff auf leitende Angestellte190, begründet dies aus Sicht der Aktiengesellschaft als Vermögensinhaberin ein nicht hinnehmbares, das Risiko einer Vermögensschädigung in sich tragendes Informationsdefizit, da die sachgerechte Ausübung verschärfter Kontrollmaßnahmen, wie die Erteilung oder Versagung der Zustimmung zu einem Compliance-Konzept191 oder die Bildung eines Ausschusses zur Untersuchung eines compliancerelevanten Einzelsachverhalts nur sinnvoll möglich ist, wenn eine intensive Informationsversorgung sichergestellt ist und eine ausreichende Tatsachenbasis existiert, die es dem Aufsichtsrat ermöglicht, den Vorgang 188  Siehe hierzu ausführlich oben Teil 2 B. I. 2. h) cc) sowie ausführlich unten Teil 6 A. V. 189  Zu den aktienrechtlichen Überwachungsmitteln siehe Teil 2 B. I. 2. und Teil 3 C. II. 190  Siehe hierzu die Ausführungen in Teil 2 B. I. 1. b) bb) (3) und Teil 3 C. III. 1. d) dd). 191  Siehe in diese Richtung auch zutreffend Brammsen, ZIP 2009, 1510, der einen strafbaren Treubruch des Aufsichtsrats darin sieht, wenn es dieser in Kenntnis des schädigenden Charakters eines Geschäfts unterlässt, einen Zustimmungsvorbehalt anzuordnen. Siehe zum Zustimmungsvorbehalt auch Teil 2 B. I. 2. h); Teil 5 A. III. 4. b) bb); Teil 6 A. V.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands365

selbst zu beurteilen.192 Eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung liegt aus Sicht des Aufsichtsrats im Bereich der Intensivüberwachung daher vor, wenn dieser trotz erkennbarer Defizite in der AG das Vorliegen einer erhöhten Risikolage verkennt und deshalb keine über das Normalmaß hinausgehende intensive Kontrolle der Tauglichkeit des Compliance-Systems einschließlich etwaiger erheblicher Einzelsachverhalte vornimmt. Anknüpfungspunkt für eine evidente Pflichtverletzung ist auch hier, ob der Aufsichtsrat seiner in dieser Konstellation gesteigerten Pflicht zur Informationsbeschaffung nachgekommen ist. Erst recht liegt eine gegen den unzweifelhaften Kernbereich der Überwachungsaufgabe verstoßende Pflichtverletzung vor, wenn der Aufsichtsrat die durch einen Compliance-Vorfall oder das Fehlen eines Compliance-Systems ausgelöste Gefährdungslage erkannte oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können, von seinen Informationsmöglichkeiten gegenüber dem Vorstand jedoch gleichwohl keinen Gebrauch gemacht hat.193 cc) Ergebnis Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats ihre Überwachungspflicht aus § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG in evident unvertretbarer Weise verletzen, wenn sie es unterlassen, überwachungsrelevante Informationen entgegenzunehmen, auszuwerten und bei entsprechender Gefährdungslage auch durch Anforderung von Zusatzberichten, Einleitung interner Ermittlungen oder Befragung leitender Angestellter aktiv einzuholen. Das Sicherstellen einer ausreichenden Informationsbasis folgt unmittelbar aus der Organfunktion und stellt daher eine der Aufsichtsratstätigkeit immanente Pflicht dar. Da eine effektive Überwachung ohne ausreichende Informationsbasis im Bereich der Normalüberwachung und erst recht bei intensiv geschuldeter Überwachung schlechterdings nicht denkbar ist, berührt ein vom Aufsichtsrat verursachtes Informationsdefizit stets den absoluten Kernbereich der Überwachung und begründet eine Überwachungspflichtverletzung. Diese ist wegen des Verstoßes gegen den unzweifelhaften Kernbereich der Überwachungspflicht auch evident und daher als strafrechtlich relevante Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB zu werten. Das Abstellen auf die Verletzung der Informationspflicht als wesentlicher Teil der Überwachungspflicht im Rahmen der Evidenzbetrachtung wird indi192  Zutreffend Seebach, AG 2012, 70, 72. Zur im Einzelfall bestehenden Pflicht einen Untersuchungsausschuss zu bilden siehe unten Teil 6 A. II. 1. 193  Siehe hierzu auch oben Teil 2 B. I. 1. b) cc) und Teil 3 C. III. 1. b).

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

ziell auch durch die Rechtsprechung des 1. Strafsenats in seiner Kreditvergabe und Sponsoring-Entscheidung gestützt. Anhaltspunkte für eine gravierende Pflichtverletzung können danach „insbesondere“ darin gesehen werden, dass innerhalb der Gesellschaft „Informationspflichten vernachlässigt“194 wurden und interne Entscheidungsvorgänge ohne die gebotene „innerbetriebliche Transparenz“ erfolgten.195 Für eine besondere Berücksichtigung der Informationspflicht innerhalb der strafrechtlichen Evidenzprüfung spricht ferner, dass der die zivil- und strafrechtliche Haftung begrenzende Anwendungsbereich der Business Judgement Rule gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG auch nur eröffnet ist, wenn das handelnde Organmitglied annehmen durfte, auf der „Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“.196 Schließlich betont auch die zivilrechtliche Rechtsprechung die herausragende Bedeutung der Informationspflicht des Aufsichtsrats als Grundlage der Überwachung und hebt im Einvernehmen mit der aktienrechtlichen Literatur hervor, dass der Aufsichtsrat über die Berichterstattung des Vorstands hinaus durch geeignete Maßnahmen aktiv darauf hinzuwirken hat, dass er die Information erhält, die er für eine sinnvolle Überwachung des Vorstands benötigt, da er anderenfalls pflichtwidrig handelt.197 Die Verletzung der Pflicht zur Informationsbeschaffung als Kernelement der Überwachungspflicht aus § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG stellt somit neben einer zivilrechtlichen auch eine potentiell strafrechtlich relevante Pflichtverletzung dar.

194  BGHSt

178.

46, 34. Siehe hierzu auch MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 175,

195  BGH NJW 2002, 1585. Neben der Pflicht zur Selbstinformation dürfte im Rahmen der Evidenzbetrachtung auch dem in §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG angelegten materiellen Aspekt der Selbstorganisation zentrale Bedeutung zukommen. Siehe hierzu Teil 6 A. 196  Siehe zu den Anwendungsvoraussetzungen der Business Judgement Rule im Bereich der Überwachung oben Teil 2 B. I. 1. c) dd). Zur strafrechtlichen Einordnung der Business Judgement Rule Bosch/Lange, JZ 2009, 232 ff.; Lang/Balzer, WM 2012, 1168. 197  Hüffer, NZG 2007, 48; Kropff, FS Raiser, 231 f.; Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 111 Rn. 172; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 90 Rn. 4; Lang/Balzer, WM 2012, 1168. Aus der Rechtsprechung siehe BGH, NZG 2007, 187 ff.; BGHZ 179, 71 ff.; OLG Düsseldorf (IKB) NJW 2010, 1537; jüngst OLG Stuttgart NZG 2012, 425, wonach der Aufsichtsrat selbständig den relevanten Sachverhalt vollständig und richtig zu erfassen und sich ein eigenes Urteil zu bilden hat. Siehe zur Bedeutung der Informationslage für den Aufsichtsrat auch die Ausführungen in Teil 2 B. I. 1. b) cc) und Teil 3 C. III. 1.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands367

d) Strafrechtliche Handlungspflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats bei Nichteinführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand Eine strafrechtliche Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats wegen Nichtüberwachung der Einführung eines an den individuellen Bedürfnissen der AG orientierten Compliance-Systems setzt neben einer evidenten Pflichtverletzung insbesondere voraus, dass diese eine strafrechtliche Pflicht zum Handeln trifft, wenn sie davon Kenntnis nehmen198, dass in der AG kein taugliches Compliance-System existiert oder ein solches gänzlich ineffektiv ist. Die Mitglieder des Aufsichtsrats können aber auch bei Kenntnis des Fehlens eines Compliance-Systems ebenso wie bei Kenntnis der Ineffizienz des implementierten Systems parallel zu ihren gesellschaftsrechtlichen Handlungspflichten gegenüber dem Vorstand strafrechtlich nur zum Handeln verpflichtet sein, wenn ihnen eine Garantenstellung zukommt, aus der sich eine erfüllbare Pflicht zum Einwirken auf den Vorstand ableiten lässt. Bevor aus Sicht des Aufsichtsrats die Frage der Existenz einer Garantenstellung und die potentielle Reichweite einer hieraus resultierenden Garantenpflicht untersucht werden kann, ist zu klären, ob die Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB auf den in der vorliegenden Konstellation einschlägigen Tatbestand der Treubruchuntreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB überhaupt Anwendung findet. aa) Anwendbarkeit des § 13 Abs. 1 StGB im Rahmen des Untreuetatbestandes Die Tathandlung des Treubruchtatbestands gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB kann nach unbestrittener Auffassung durch Unterlassen begangen werden, sodass sowohl die Nichterfüllung von Aufsichtspflichten als auch die Unterlassung des danach gegebenenfalls gebotenen Einschreitens durch den Aufsichtsrat Anknüpfungspunkt für eine potentielle Untreuehaftung sein können.199 Umstritten ist jedoch, ob zur Annahme einer Untreue in Form des 198  Etwa

heit.

durch Häufung schadensträchtiger Compliance-Fälle in der Vergangen-

199  Saliger, SSW, StGB § 266 Rn. 33; MüKoStGB/Dierlamm, StGB §  266 Rn.  184, 138 ff.; Fischer, StGB § 266 Rn. 32, 55; S/S/Lenckner/Perron, StGB § 266 Rn. 16, 35a; Brammsen/Apel, WM 2010, 783; BGH NJW 1954, 202; LK-Schünemann, § 266 Rn. 56. Zu einer insoweit möglichen Strafbarkeit aus Sicht des Aufsichtsrats ausdrücklich Baumert, CCZ 2013, 266; Krause, NStZ 2011, 60; Brand/Petermann, WM 2012, 65 f.; Theile, wistra 2010, 458 f.; Withus, ZCG 2010, 74; Leipold, FS Mehle 2009, 351; Brammsen, ZIP 2009, 1504 ff.; Lüderssen, FS Lampe 2003, 727 ff., 738; Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 563 ff.; Tiedemann, FS Tröndle, 1989, 319 ff.; Kiethe, WM 2005, 2122 ff.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Unterlassens auch die Voraussetzungen des § 13 StGB vorliegen müssen200 oder ob ein solches Verhalten aufgrund der besonderen Deliktsstruktur der Untreue bereits direkt vom Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB erfasst ist.201 Während die jüngste höchstrichterliche202 und obergerichtliche203 Rechtsprechung die Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB auf den Untreuetatbestand ohne nähere Begründung unmittelbar anwendet, sieht der überwiegende Teil der strafrechtlichen Literatur in § 266 StGB sowohl ein Begehungs- als auch ein echtes Unterlassungsdelikt mit der Folge, dass die Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB unanwendbar ist.204 Bei Begründung einer strafrechtlich relevanten Handlungspflicht bedürfe es keines Rückgriffs auf § 13 Abs. 1 StGB, da dessen Voraussetzungen im Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB bereits vollständig enthalten seien.205 Der nach § 13 Abs. 1 StGB abzuwendende Erfolg läge bei § 266 Abs. 1 StGB in dem Vermögensnachteil, während die Garantenstellung aus der tatbestandlichen Vermögensbetreuungspflicht folge, sodass alle zur Bildung eines „handlungsentsprechenden Unterlassungsdelikts“ erforderlichen Voraussetzungen bereits im Untreuetatbestand selbst vorlägen.206 Das Unterlassen als tatbestandliches Unrechtsverhalten ließe sich auch innerhalb des Treubruchtatbestands unter die neutral gefasste Verhaltensbeschreibung der „Pflichtverletzung“ fassen, weswegen es sich bei § 266 Abs. 1 StGB in beiden Tatbestandsalternativen um eine „abgeschlossene Sonderregelung eines 200  Krause, NStZ 2011, 61 m. w. N. in Fn. 44; Güntge, wistra 1996, 84 ff; Brammsen/Apel, WM 2010, 783; Rotsch, JA 2013, 279; Lackner/Kühl-Heger, StGB § 266 Rn. 2. 201  MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 184; Brammsen/Apel, WM 2010, 783. 202  Die Frage nach der Anwendbarkeit des § 13 Abs. 1 StGB im Rahmen der Untreue wurde von BGHSt 36, 227, 228 zunächst offen gelassen. Im Fall Siemens/ ENEL stellte der BGH dann ausdrücklich klar, dass die Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB auch Anwendung finde, wenn der Tatbestand des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB durch Unterlassen begangen werde. Siehe BGHSt 52, 323; BGH NJW 2009, 89, 91. Jüngst BGH NJW 2011, 3528. 203  OLG Braunschweig, BeckRS 2012, 15237; hierzu Mutter/Kruchen, CCZ 2013, 123; BayObLG, JR 1989, 299 f. mit Abl. Anm. Seebode, JR 1989, 301. 204  MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 139, 184; SK-Hoyer, StGB § 266 Rn.  27 f.; SK-Rudolphi/Stein, StGB Vor § 13 Rn. 10 f.; Saliger, SSW, StGB § 266 Rn. 33; Fischer, StGB § 266 Rn. 32, 55; Kindhäuser, LPK-StGB § 266 Rn. 13; Heuchemer, in: Heintschel-Heinegg, StGB § 13 Rn. 52; Seier, JuS 2002, 240. Die Anwendbarkeit des § 13 StGB innerhalb des § 266 StGB hingegen offen lassend Schwerdtfeger, S. 76, 242 ff., 246; S/S/Stree/Bosch, StGB Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 136 f., die in § 266 StGB ein „echtes Unterlassungsdelikt“ sehen. Dagegen zutreffend Lüderssen, FS Lampe 2003, 739; Lackner/Kühl-Heger, StGB § 266 Rn. 2. 205  MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 184. 206  MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 139, 184.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands369

garantenpflichtwidrigen Unterlassens“ handeln würde und es eines Rückgriffs auf § 13 Abs. 1 StGB nicht bedürfe.207 Legt man diese Ansicht zugrunde, bedarf es bei der Untreue durch Unterlassen keiner gesonderten Feststellung der rechtlichen Einstandspflicht im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB, da derjenige, der in den Kreis der Treupflichtigen fällt, automatisch auch Beschützergarant des ihm anvertrauten Vermögens ist.208 Nach der in der Literatur überwiegenden Auffassung erübrigt sich bei Nichtvornahme einer Handlungspflicht somit auch die Prüfung, ob diese im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht. Bei § 266 StGB könnten Handlungsund Unterlassungspflichten zur Betreuung fremden Vermögens als „generell gleichgestellt“ angesehen werden.209 In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung ist es vorzugswürdig, die Vorschrift des § 13 StGB auf den Tatbestand der Untreue anzuwenden. Eine Untreue durch Unterlassen kommt daher nur in Betracht, wenn dem Täter eine Garantenstellung im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB zukommt.210 Gleichzeitig führt eine Anwendung des § 13 StGB auf den Untreuetatbestand dazu, dass die fakultative Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB auch bei einem Unterlassen Anwendung findet. Das Gericht hat sich in diesem Fall ebenso zwingend mit der Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB auseinanderzusetzen. Die Anwendbarkeit des § 13 StGB ergibt sich bereits daraus, dass der Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB nach unbestrittener Auffassung in beiden Alternativen zumindest auch als Begehungsdelikt ausgestaltet ist und in Form des Vermögensnachteils einen Erfolgseintritt voraussetzt.211 Die Grundsätze über das unechte Unterlassungsdelikt gemäß § 13 Abs. 1 StGB sind daher dem Grunde nach anwendbar.212 Daneben ist weder ein Grund ersichtlich noch besteht eine Notwendigkeit, den Unterlassungstäter nach § 266 Abs. 1 StGB durch Annahme eines echten Unterlassungsdelikts und 207  MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 139, 184; Lackner/Kühl-Heger, StGB § 266 Rn. 2. Zu der in der Vermögensbetreuungspflicht des § 266 StGB enthaltenen Handlungs- als auch Unterlassungspflicht siehe SK-Hoyer, StGB § 266 Rn. 28. 208  Siehe SK-Hoyer, StGB § 266 Rn. 27; Seier, JuS 2002, 240. Nach LK-Schünemann, § 266 Rn. 54, 201 sei im Untreuetatbestand bereits eine Herrschaftsbeziehung im Sinne der Kontrolle über einen sozialen Bereich als Voraussetzung der Täterschaft vertypt. 209  SK-Hoyer, StGB § 266 Rn. 28; Rotsch, JA 2013, 279; Roxin, AT II, § 32 Rn. 20. 210  BGHSt 36, 227, 228; BGH NJW 2009, 89, 91; BGH NJW 2011, 3528  f.; NStZ 2012, 151. 211  Siehe Lüderssen, FS Lampe 2003, 739. 212  Explizit in diese Richtung BGH NJW 1990, 332.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Nichtanwendung des § 13 Abs. 2 StGB im Vergleich zum Täter eines sonstigen unechten Unerlassungsdelikts schlechter zu stellen. Andernfalls wird die in § 13 Abs. 2 StGB zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung, dass zwischen einem pflichtwidrigen Unterlassen und einem positiven Tun im Unrechtsgehalt erhebliche qualitative Unterschiede bestehen können, unterlaufen.213 Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der Tatbestand des § 266 StGB die durch Auslegung grundsätzlich erfassbare Begehungsvariante des Unterlassens – im Unterschied zu anderen Tatbeständen214 – gerade nicht differenziert in seine Rechtsfolge einbezieht, sodass ein geringerer Unrechtsgehalt des Unterlassens bei Nichtanwendung des § 13 Abs. 2 StGB nur im Rahmen der tatrichterlichen Strafzumessung Berücksichtigung finden kann.215 Diese stößt aber bereits an ihre Grenzen, wenn ein Regelbeispiel nach §§ 266 Abs. 2 StGB i. V. m. 263 Abs. 3 StGB verwirklicht ist, da der gesetzliche Mindeststrafrahmen in diesem Fall zwingend sechs Monate beträgt und ohne fakultative Strafmilderungsmöglichkeit des §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB nicht weiter reduziert werden kann.216 Die besseren Gründe sprechen deshalb dafür, § 266 Abs. 1 StGB als ein unechtes Unterlassungsdelikt einzuordnen und die Vorschrift des § 13 StGB auf den Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB anzuwenden. Dies führt dazu, dass dem Täter die Möglichkeit der Strafmilderung unmittelbar und nicht über den Umweg einer analogen Anwendung des § 13 Abs. 2 StGB zukommt und die Begehung einer Untreue durch Unterlassen nur möglich ist, wenn eine Garantenstellung nach § 13 Abs. 1 StGB vorliegt. bb) Bedeutung der Anwendbarkeit des § 13 StGB im Rahmen des § 266 StGB Die materiell-rechtliche Relevanz dieser Diskussion ist gering, da ein tauglicher Täter nach § 266 Abs. 1 StGB aufgrund der ihn treffenden Vermögensbetreuungspflicht regelmäßig auch Garant für das Vermögen des Treugebers im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB sein wird217 und die Nichtanwendbarkeit des 213  In diese Richtung auch Brand/Petermann, WM 2012, 66; Seier, JuS 2002, 240; M/G-Schramm, Kap. 5 Rn. 159; Rotsch, JA 2013, 283. Dies wird teilweise auch von den Vertretern anerkannt, die eine Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB auf den Tatbestand der Untreue ablehnen. Siehe nur Lackner/Kühl-Heger, StGB § 266 Rn. 2; Fischer, StGB § 266 Rn. 55; LK-Schünemann, § 266 Rn. 202. 214  Siehe hierzu die Aufzählung bei S/S-Stree/Bosch, § 266 Rn. 1a. 215  Siehe hierzu Seier, JuS 2002, 240. 216  Zutreffend in diese Richtung auch Seier, JuS 202, 240. 217  Zutreffend Rotsch, JA 2013, 279; M/G-Schramm, Kap. 5 Rn. 159; Roxin, AT  II, § 32 Rn. 20.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands371

§ 13 Abs. 1 StGB dogmatisch nicht von der Pflicht entbindet, innerhalb des objektiven Tatbestands des § 266 Abs. 1 StGB darzulegen, unter welchen materiellen Voraussetzungen die Vermögensbetreuungspflicht im konkreten Fall zu einer Erfolgsabwendungspflicht des vermögensbetreuungspflichtigen Täters wird und welche Handlungspflichten diesen treffen.218 Die Diskussion um die Anwendbarkeit des § 13 StGB entfaltet daher lediglich unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessung praktische Relevanz, da bei ergänzender Anwendung des § 13 StGB innerhalb der Treubruchuntreue die Strafmilderungsmöglichkeit des § 13 Abs. 2 StGB eröffnet ist. Demgegenüber führt die Erfassung des Unterlassens nach § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB dazu, dass dem Unterlassungstäter die Möglichkeit der Strafmilderung mangels Anwendbarkeit des § 13 Abs. 2 StGB grundsätzlich verwehrt ist219 und über den Umweg einer analogen Anwendung des § 13 Abs. 2 StGB konstruiert werden muss.220 Vor diesem Hintergrund kann eine Diskussion der strafrechtstheoretischen Grundlagen zur Begründung einer Garantenstellung an dieser Stelle dahinstehen. Die Diskussion nach dem Grund einer solchen wird aus Sicht des Aufsichtsrats relevant, wenn Vorstandsmitglieder selbst unmittelbar eine Straftat gegenüber Dritten begangen haben und sich die Frage stellt, ob der Aufsichtsrat auch Unterlassungstäter dieser Tat oder wenigstens Teilnehmer an dieser Tat durch Unterlassen sein kann.221 Im Rahmen der nachfolgenden – ausschließlich auf den Tatbestand des § 266 StGB beschränkten – Betrachtung ist daher lediglich zu klären, welchen Inhalt die Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats innerhalb des § 266 Abs. 1 StGB konkret entfaltet. cc) Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Vermögens der AG Eine im Verhältnis zur Gesellschaft wirkende Beschützergarantenstellung folgt für die Mitglieder des Aufsichtsrats unmittelbar aus ihrer Organstellung222, 218  Lüderssen, FS Lampe 2003, 739, der zutreffend darauf hinweist, dass auch bei angenommener Nichtanwendbarkeit des § 13 Abs. 1 StGB jedenfalls „der Sache nach“ die das Unterlassen dem positiven Tun gleichstellenden Kompensationsfaktoren gefunden werden müssen. Ebenso SK-Hoyer, StGB § 266 Rn. 27; Roxin, AT II, § 32 Rn. 20; Krause, NStZ 2011, 61. 219  LK-Weigand, § 13 Rn. 11; S/S-Lenckner/Perron, § 266 Rn. 53; S/S-Stree/ Bosch, § 13 Rn. 1a; SK-Rudolphi, StGB, § 13 Rn. 4. Zum Streitstand siehe MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 140; Wessels/Hillenkamp, BT 2, Rn. 765. 220  In diese Richtung Lackner/Kühl-Heger, StGB § 266 Rn. 2; MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 140, 184; SK-Hoyer, StGB § 266 Rn. 28; Roxin, AT II, § 31 Rn.  250 f. 221  Siehe hierzu ausführlich unten Teil 5 A. III. 1. und Teil 5 A. III. 4. a). 222  Eine über die Organstellung hinausgehende „nähere“ Begründung der Obhutsbeziehung fordert demgegenüber Schwerdtfeger, S. 208.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

da sie sich durch deren tatsächliche Übernahme223 verpflichten, Schaden von der juristischen Person abzuwenden.224 Die nach dem Herrschaftsprinzip zur Annahme einer Beschützergarantenstellung erforderliche „Hilflosigkeit des Rechtsguts“ beziehungsweise der „Anfälligkeit des Opfers“ resultiert daraus, dass die Aktiengesellschaft als juristische Person des Privatrechts selbst nicht handlungsfähig ist.225 Die Aktiengesellschaft ist hinsichtlich des Rechtsgüterschutzes letztlich der Herrschaftsmacht ihrer Organe ausgeliefert. Die Begründung einer besonderen – das Defizit der Hilflosigkeit der AG kompensierenden – Schutzfunktion erfordert jedoch eine exakte Abgrenzung der Aufgabenbereiche zwischen Vorstand und Aufsichtsrat anhand aktienund satzungsrechtlicher Vorgaben.226 Voraussetzung für die Annahme einer Beschützergarantenstellung muss daher sein, dass die in Rede stehende Unterlassung den Aufgabenbereich des jeweiligen Organs betrifft227 und das jeweilige Organ aufgrund seiner rechtlichen Befugnisse auch in der Lage ist, auf den Schädigungsprozess einzuwirken.228 Der Aufsichtsrat ist nach dem gesetzlichen Auftrag des § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116, 93 Abs. 1 S. 1 AktG primärrechtlich verpflichtet, seine Organtätigkeit im Interesse der Aktiengesellschaft auszuüben229 und Schaden von ihr abzuwenden.230 Wesentlicher Bestandteil seiner aktienrechtlichen Pflicht ist nach § 111 Abs. 1 AktG auch die Überwachung des Vorstands dahingehend, dass dieser ein an den individuellen Bedürfnissen der Gesellschaft orientiertes Compliance-System einführt und fortlaufend überwacht.231 Primäres Ziel der Einführung eines Compliance-Systems in der AG durch den dafür zuständigen Vorstand ist  – ebenso wie die Überwachung der Einführung eines solchen durch den insoweit zuständigen Aufsichtsrat oder durch einen von ihm gebil223  Roxin, AT II, § 32 Rn. 53; Michalke, AnwBl 2010, 667. Insoweit kann auch das „faktische Organ“ Garant sein. Siehe nur SK-Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 54. 224  SK-Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 54; Kühl, AT, § 18 Rn. 78; Joecks, StGB, § 13 Rn. 42. 225  Hierin liegt die zur Annahme einer Beschützergarantenstellung erforderliche Schutzfunktion. Siehe Kühl, AT, § 18 Rn. 78; Roxin, AT II, § 32 Rn. 55, 77 ff.; Schwerdtfeger, S. 208. Zur Bedeutung des Herrschaftsprinzips bei der Begründung von Garantenstellungen siehe ausführlich unten in Teil 5 unter A. III. 1. a) bb) und A. III. 1. b). 226  Krause, NStZ 2011, 60. Zutreffend auch Schilha, § 3, 199. 227  Roxin, AT II, § 32 Rn. 77; SK-Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 54. 228  Siehe in diese Richtung zutreffend Krause, NStZ 2011, 60. 229  Siehe hierzu ausführlich Teil 2 B. I. 1. b) dd) (1) u. Teil 3 C. V.; Krause, NStZ 2011, 61. 230  Ausdrücklich in diese Richtung BGHZ 21, 354, 357 f. Siehe auch Krause, NStZ 2011, 61. 231  Siehe hierzu oben Teil 3 C. II.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG 2015, § 91 Rn. 67.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands373

deten Ausschuss – der Schutz der Aktiengesellschaft gerade vor solchen Vermögensschädigungen, die durch Begehung von Straftaten auf Mitarbeiter­ ebene zum Nachteil der Gesellschaft verursacht werden können.232 Der Aufsichtsrat verfügt im Verhältnis zum Vorstand in Gestalt eines Zustimmungsvorbehalts gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG sowie aufgrund seiner Personalkompetenz nach § 84 Abs. 3 AktG auch über die erforderliche faktische und rechtliche Macht, bei erkannten Mängeln im Compliance-System oder bei Feststellung des Fehlens eines solchen auf den Vorstand durch Begründung eines Zustimmungsvorbehalts oder Abberufung des zuständigen Vorstands eigenverantwortlich auf den Schädigungsprozess einzuwirken.233 Insoweit sind die Mitglieder des Aufsichtsrats als Beschützergaranten verpflichtet, solche – ihnen im Rahmen ihrer Überwachungsfunktion bekannt gewordenen  – Verhaltensweisen des Vorstands zu verhindern, die geeignet sind, die Gesellschaft und ihre Rechts- und Vermögensgüter zu schädigen.234 Nimmt der Aufsichtsrat – etwa aus dem Bericht des Wirtschaftsprüfers über den Jahresabschluss oder aufgrund interner Ermittlungen – Kenntnis davon, dass in der AG kein Compliance-System unterhalten wird oder ein solches aufgrund zahlreicher Schadensfälle ineffektiv ist oder gravierende Mängel aufweist, ist er parallel zu seiner gesellschaftsrechtlichen Pflicht aus § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116, 93 Abs. 1 S. 1 AktG im Verhältnis zum Vorstand auch aus seiner Beschützergarantenstellung gegenüber dem Vermögen der AG nach § 13 Abs. 1 StGB strafrechtlich zum Handeln verpflichtet.235 Die erhöhte Schutzbedürftigkeit der AG folgt aus der gänzlich fehlenden Risikovorsorge hinsichtlich etwaiger Kriminalitätsrisiken. Das Gesellschaftsvermögen ist bei fehlendem oder mangelhaften Compliance-System Angriffen weitmehr schutzlos ausgeliefert als bei existierenden Maßnahmen. Da der Untreuetatbestand als „Pflichtdelikt“ über das dem Tatbestandsmerkmal der Vermögensbetreuungspflicht immanente Kriterium der „Kontrollherrschaft“ den Kreis der tauglichen Täter im objektiven Tatbestand bereits umschreibt236, indem er eine Herrschaftsbeziehung im Sinne der Kon232  Siehe bereits oben Teil 3 A. III. Zum zivilrechtlichen Schadenspotential bei Nichteinführung und Nichtüberwachung eines Compliance-Systems LG München I, NZG 2014 345 f. Demgegenüber dient die Einrichtung und Überwachung eines Compliance-Systems nicht dem Schutz der Rechtsgüter von Dritten, sondern dem Schutz des Gesellschaftsvermögens. 233  Siehe hierzu ausführlich oben in Teil 2 unter B. I. 2. d) bb) und B. I. 2. h). 234  Krause, NStZ 2011, 60. Insoweit zutreffend auch Schwerdtfeger, S. 208, 213. 235  Zutreffend in diese Richtung auch Krause, NStZ 2011, 61; Leipold, FS Mehle 2009, 350. 236  Schilha, § 7, 396; Schünemann bezeichnet den Tatbestand des § 266 StGB demgegenüber als sog. Garanten-Sondertatbestand. Siehe LK-Schünemann, § 266, Rn. 29.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

trolle über einen sozialen Bereich als Voraussetzung der Täterschaft verlangt237, stellt es mit Blick auf den Untreuetatbestand keinen praktisch relevanten Unterschied dar, ob die Beschützergarantenstellung der Aufsichtsratsmitglieder zu Gunsten des Gesellschaftsvermögens aus § 13 Abs. 1 StGB oder unmittelbar aus der Vermögensbetreuungspflicht des § 266 Abs. 1 StGB abgeleitet wird.238 Im Ergebnis trifft die Aufsichtsratsmitglieder eine inhaltlich deckungsgleiche Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Gesellschaftsvermögens der AG vor Schädigungen durch den Vorstand.239 Diese umfasst insbesondere die Überwachung der Einführung eines ComplianceSystems durch den dafür zuständigen Vorstand. dd) Keine Beschützergarantenstellung zu Gunsten von Gläubigern und Aktionären Demgegenüber scheidet eine Beschützergarantenstellung der Aufsichtsratsmitglieder im Verhältnis zu außerhalb der AG stehenden Dritten und deren Rechtsgütern aus. Eine gegenüber der Allgemeinheit, Gläubigern der Gesellschaft oder Aktionären bestehende Beschützergarantenstellung lässt sich für die Aufsichtsratsmitglieder weder aus vertraglichen oder gesetzlichen Grundlagen ableiten noch ergibt sich eine solche aus einer normativen Betrachtung.240 Die Tätigkeit als Aufsichtsrat flankierende zivilrechtliche Regelungen sind für das Entstehen und den Bestand einer Beschützergarantenstellung nach zutreffender Auffassung nicht maßgeblich, solange nicht auch eine Schutzfunktion tatsächlich übernommen wurde.241 Insbesondere lässt sich aus solchen keine Schutzwirkung zugunsten der Allgemeinheit oder individueller 237  Roxin, AT II, § 32 Rn. 20; Lüderssen, FS Lampe 2003, 738; vgl. Teil 5 A. II. 1. c) bb) (2). 238  Für eine Ableitung der Beschützergarantenstellung aus der Vermögensbetreuungspflicht dezidiert Krause, NStZ 2011, 61. Die Anwendbarkeit des § 13 Abs. 1 StGB auf § 266 Abs. 1 StGB offen lassend Lüderssen, FS Lampe 2003, 739. Ebenso Schwerdtfeger, S. 246. 239  In der strafrechtlichen Literatur wird eine Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats zu Gunsten des Gesellschaftsvermögens zutreffend angenommen. Siehe nur Krause, NStZ 2011, 61; Baumert, CCZ 2013, 266; Dannecker, Audit Committee Quaterly, III/2014, 6; Tiedemann, FS Tröndle 1989, 321 f.; Schilha, § 3, 181, 201; Brand/Petermann, WM 2012, 65 f.; Schwerdtfeger, S. 73; Withus, ZCG 2010, 74; Brammsen, ZIP 2009, 1510. Zurückhaltend hingegen Lüderssen, FS Lampe 2003, 739; Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 565. Die obergerichtliche Rechtsprechung nimmt eine Beschützergarantenstellung der Aufsichtsratsmitglieder ebenfalls an. Siehe OLG Braunschweig, CCZ 2013, 123; OLG Karlsruhe, AG 2008, 900. 240  Zutreffend auch Schilha, § 3, 125 ff.; 132; Schwerdtfeger, S.  75 ff. 241  SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 62; Krause, NStZ 2011, 60.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands375

Dritter ableiten.242 Mit Blick auf Rechtsgüter der Allgemeinheit fehlt es zur Begründung einer Beschützergarantenstellung aus Sicht der Aufsichtsratsmitglieder aktienrechtlich an einer normativ übertragenen Schutzfunktion und faktisch an der tatsächlichen Übernahme einer solchen.243 Die Ausübung des Aufsichtsratsamtes erfolgt im Kontext der Compliance-Überwachung im Innenverhältnis nach § 111 Abs. 1 AktG mit dem Ziel, den Vorstand als Leitungsorgan der AG dahingehend zu überwachen, dass dieser geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung der Legalität ergreift und seiner Pflicht zur Unterbindung von Straftaten in der AG nachkommt.244 Die zur Annahme einer Beschützergarantenstellung erforderliche Schutzfunktion wird durch die Aufsichtsratsmitglieder in Ausführung ihrer Organfunktion folglich auch nur im Verhältnis zum Vorstand tatsächlich übernommen. Ferner dient die Compliance-Überwachung durch den Aufsichtsrat aufgrund der Bindung an das Unternehmenswohl245 ausschließlich dem Zweck, wirtschaftliche Nachteile zu verhindern, die der Gesellschaft als handlungsunfähiges Rechtssubjekt erwachsen können, wenn sie über kein wirksames Compliance-System verfügt und es daher auf Mitarbeiterebene zur Begehung von Straftaten kommen konnte.246 Sie dient gerade nicht dazu, die Strafrechtspflege als Rechtsgut der Allgemeinheit – etwa durch Auferlegung einer strafrechtlichen Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige247  – oder das Vermögen von „Normalbürgern“, die in keiner geschäftlichen oder sonstigen Beziehung zur AG stehen, zu schützen.248 Schließlich scheidet eine Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats auch gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft sowie deren Aktionären und Mitarbeitern aus.249 Insoweit ließe sich zwar anführen, dass diese Personengruppen aufgrund ihrer geschäftlichen Beziehung zu der AG oder infolge ihres Status als Mitarbeiter in einer Nähebeziehung zur Gesellschaft stehen und daher schutzbedürftig seien. Die Annahme einer Beschützergarantenstellung scheitert mit Blick auf die Gläubiger der Gesellschaft und deren Mitar242  Eine solche Wirkung wird im Gesellschaftsrecht insbesondere Anstellungsverträgen gänzlich abgesprochen. Siehe Krause, NStZ 2011, 60; Schilha, § 3, 125. 243  Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 583 f.; Tiedemann, FS Tröndle 1989, 321; Poseck, Strafrechtliche Haftung, 59; Schilha, § 3, 128; SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 62. 244  Siehe auch Krause, NStZ 2011, 60. 245  Vgl. Teil  2 B. I. 1. b) dd) (1)–(4); B. I. 1. d) bb); Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 583. 246  Krause, NStZ 2011, 61. 247  Siehe hierzu ausführlich Teil 3 C. III. 1. d) ee); Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 583. 248  Zutreffend Schilha, § 3, 128 f.; Schwerdtfeger, S. 78, 212 f. 249  In diese Richtung auch zutreffend Schwerdtfeger, S.  75 ff., 209 ff.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

beiter nach Maßgabe des Herrschaftsprinzips250 aber zum einen daran, dass deren Vermögen nicht gleichermaßen dem tatsächlichen Machtbereich des Aufsichtsrats ausgeliefert ist wie das der Gesellschaft. Zum anderen sind deren Partikularinteressen aus Sicht des Aufsichtsrats nicht in gleichem Maße prioritär wie die Gesellschaftsinteressen. Oberste Leitmaxime ist für die Aufsichtsratmitglieder stets das Wohl der Gesellschaft und der Schutz des Gesellschaftsvermögens.251 Interessen von Gläubigern und Arbeitnehmern können bei Organentscheidungen daher nur im Rahmen einer Abwägung mitberücksichtigt werden, wenn und soweit dies dem Wohl der Gesellschaft dient. Der Schutz des Vermögens von Gläubigern und Arbeitnehmern durch Annahme einer Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats verbietet sich vor diesem Hintergrund nicht zuletzt, da deren Interessen auch im Widerspruch zu denen der AG stehen können und die Mitglieder des Aufsichtsrats somit im Einzelfall eine möglicherweise nicht erfüllbare, weil in unterschiedliche Richtungen wirkende, strafrechtliche Schutzpflicht träfe.252 Die Interessen der Aktionäre als Kapitalgeber der AG spiegeln sich zwar in dem am Gesellschaftsvermögen orientierten Unternehmenswohl wider, da sie primär das Ziel der Vermögensmehrung verfolgen und deren Kapital auch der Herrschaftsmacht der die AG verwaltenden Organe unterstellt ist. Die Absicherung von deren auf Kapitalerhaltung und -vermehrung gerichteten Interessen erfolgt strafrechtlich aber bereits durch Annahme einer Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats zugunsten des Gesellschaftsvermögens vor Schädigungen durch den Vorstand. Deren eingesetztes und in Aktien verbrieftes Kapital ist gemäß § 1 Abs. 2 AktG Teil des strafrechtlich geschützten Gesellschaftsvermögens.253 Einer darüber hinausgehenden gegenüber jedem Aktionär bestehenden Beschützergarantenstellung bedarf es nicht. ee) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis bleibt damit festzuhalten, dass den Aufsichtsratsmitgliedern aufgrund ihrer rechtlichen Stellung in der AG nur eine Beschützergarantenstellung zugunsten des Gesellschaftsvermögens vor Schädigungen durch den Vorstand zukommt. Diese umfasst die Überwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den zuständigen Vorstand. Eine Be250  Zu dessen Bedeutung im Rahmen der Garantendogmatik siehe Teil 5 A. III. 1. a) bb). 251  Dezidiert Cramer, FS Stree/Wessels, 583; Teil 2 B. I. 1. b) dd); B. I. 1. c) cc); B. I. 1. d). 252  In diese Richtung zutreffend Schilha, § 3, 131; ebenso Schwerdtfeger, S. 78. 253  Siehe auch Schilha, § 3, 132.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands377

schützergarantenstellung zur Verhinderung von Rechtsgüterverletzungen von außerhalb der AG stehenden Dritten existiert aus Sicht des Aufsichtsrats nicht. Dessen Mitglieder haben bei der Überwachung insbesondere zu berücksichtigten, dass die Nichteinführung eines Compliance-Systems in der AG durch den Vorstand und eine dadurch möglicherweise herbeigeführte oder begünstigte Begehung von Straftaten auf Mitarbeiterebene nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung bereits eine Schädigung des Gesellschaftsvermögens darstellen kann.254 Die Nichteinführung eines Compliance-Systems durch den dafür zuständigen Vorstand, begründet damit ein abstraktes Schadensrisiko für das Gesellschaftsvermögen, das sich durch Verhängung von Bußgeldern oder durch Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber der AG realisieren kann. Der Aufsichtsrat hat dies zu erkennen und als Beschützergarant für das Gesellschaftsvermögen jedenfalls dann von seinen Einwirkungsbefugnissen im Verhältnis zum Vorstand Gebrauch zu machen, wenn er davon Kenntnis nimmt, dass es in der AG zu Mitarbeiterstraftaten gegenüber externen Dritten kam. Eine strafrechtliche Handlungspflicht des Aufsichtsrats besteht unmittelbar aber nur gegenüber dem Vorstand und richtet sich darauf, auf diesen einzuwirken und mit den ihm zur Verfügung stehenden gesellschaftsrechtlichen Instrumenten zu erreichen, dass er ein Compliance-System in der AG implementiert oder ein existierendes mangelhaftes System evaluiert und gegebenenfalls nachbessert.255 Ob die Mitglieder des Aufsichtsrats parallel zu ihrer Beschützergarantenstellung gegenüber dem Vermögen der Aktiengesellschaft zugleich eine Überwachungsgarantenstellung trifft, kann an dieser Stelle dahinstehen. Diese Frage wird relevant, wenn der Vorstand nicht das Vermögen der AG schädigt, sondern Straftaten gegenübern außerhalb der AG stehenden Dritten begeht. Nimmt man eine Überwachungsgarantenstellung der Mitglieder des Aufsichtsrats an und sieht in ihnen Garanten für das Vermögen Dritter, könnte dies dazu führen, dass diese neben dem unmittelbar strafbar handelnden Vorstandsmitgliedern für die vom Vorstand begangene Straftat als Unterlassungstäter strafrechtlich haften. Ob ein solches Haftungsrisiko für die Mitglieder des Aufsichtsrats tatsächlich existiert, wird unter Berücksichtigung der strafrechtstheoretischen Grundlagen der Garantenhaftung im Zusammenhang mit der Untersuchung der strafrechtlichen Haftungsrisiken der Mitglie-

254  Zur zivilrechtlichen Schadensrelevanz der Nichteinführung eines ComplianceSystems nach der Neubürger Rechtsprechung siehe oben Teil 3 B. II. 4. a) bb) (3). 255  Zu den gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats im Verhältnis zum Vorstand siehe Teil 2 B. I. 2. Siehe auch Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 567 ff.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

der des Aufsichtsrats bei unmittelbaren Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands näher erörtert.256 ff) Inhalt der Garantenpflicht im Bereich der Compliance-Überwachung Mit der Feststellung, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats gegenüber dem Vermögen der AG eine Beschützergarantenstellung gegen Schädigungen durch den Vorstand trifft, ist noch keine Aussage darüber getroffen, welche Handlungspflichten aus dieser Stellung für die Mitglieder des Aufsichtsrats im Rahmen der Compliance-Überwachung konkret erwachsen.257 Richtigerweise können die aus der Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats im Verhältnis zum Vorstand abzuleitenden strafrechtlichen Pflichten nicht weiter reichen, als die ihm gegenüber dem Vorstand zur Verfügung stehenden Einwirkungsmöglichkeiten.258 Insoweit stellt sich die Frage, welches Verhalten die Mitglieder des Aufsichtsrats aufgrund ihrer Stellung als Garant zum Schutz des Gesellschaftsvermögens im Verhältnis zum Vorstand strafrechtlich konkret schulden, wenn sie davon Kenntnis nehmen, dass in der AG entweder überhaupt kein oder ein nicht taugliches Compliance-System existiert. (1) Ausgangspunkt: Rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats Den Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser in der Literatur und Rechtsprechung bislang weitgehend ungeklärten Frage259 bilden wiederum die den Aufsichtsratsmitgliedern im Verhältnis zum Vorstand aktienrechtlich eingeräumten Einwirkungsmöglichkeiten.260 Eine an strafrechtlichen Gesichtspunkten orientierte Auseinandersetzung mit den den Aufsichtsratsmitgliedern zur Verfügung stehenden gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsmitteln hat neben der aktienrechtlichen Kompetenzordnung insbesondere zu berücksichtigen, welche Verbindlichkeit die gewählte Einwirkungsmaßnahme gegenüber dem Vorstand entfaltet und wie 256  Zu den strafrechtstheoretischen Grundlagen zur Begründung von Garantenstellungen siehe ausführlich unten Teil 5 A. III. 1. 257  Kaspar, Strafrecht AT, § 10 Rn. 975; SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 25. 258  Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 570; Krause, NStZ 2011, 60. 259  Krause, NStZ 2011, 60. Zu den Handlungspflichten des Aufsichtsrats bei einer bevorstehenden Straftatbegehung durch den Vorstand siehe ausführlich Schwerdtfeger, S.  81 ff. 260  Krause, NStZ 2011, 60 f.; Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 570 ff.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands379

effektiv diese aus Sicht des Aufsichtsrats bei der Beherrschung eines Einzelsachverhalts ist.261 Der Aufsichtsrat kann eine Überwachung der ComplianceVorsorge in der AG gegenüber dem Vorstand einerseits nur nachhaltig sicherstellen, wenn die von ihm im Einzelfall vorzunehmenden Maßnahmen für den Vorstand rechtlich beachtlich sind.262 Den Mitgliedern des Aufsichtsrats darf in rechtstheoretischer Hinsicht keine strafrechtliche Überwachungspflicht auferlegt werden, wenn ihnen nicht zugleich auch die zur Durchsetzung ihres Willens nötigen Rechte gegeben sind.263 Anderseits kann eine strafrechtliche Pflicht zum Einschreiten gemäß § 13 Abs. 1 StGB schließlich nur dort bestehen, wo das Aktiengesetz dem Aufsichtsrat die „rechtliche“ Möglichkeit des Einschreitens eröffnet.264 Bei der Bestimmung konkreter Garantenpflichten der Aufsichtsratsmitglieder ist daher im Verhältnis zum Vorstand zu berücksichtigen, dass strafrechtliche Anforderungen an das Verhalten der Mitglieder des Aufsichtsrats nur in dem durch das Aktiengesetz gezogenen Rahmen ihres „rechtlichen Könnens“ formuliert werden dürfen.265 Ausschließlich faktische oder tatsächliche Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats auf den Vorstand können daher zur Bestimmung der Garantenpflichten nicht genügen.266 Eine streng an den rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats orientierte Bestimmung der strafrechtlichen Garantenpflicht steht im Einklang mit der aktienrechtlichen Kompetenzordnung, wonach ein „starker“ oder „dominanter“ Aufsichtsrat gemäß §§ 76 Abs. 1, 111 Abs. 4 S. 1 AktG rechtlich daran gehindert ist, seine im Einzelfall möglicherweise stark ausgeprägte tatsächliche Einflussmöglichkeit faktisch dahingehend einzusetzen, die Leitung der Gesellschaft in die eine oder andere Richtung zu steuern.267 Einem faktisch einflussreichen Aufsichtsrat ist es aktienrechtlich gleichwohl verwehrt, den Vorstand „gegen seinen Willen zur Durchführung einer bestimmten Geschäftsführungsmaßnahme“ zu zwingen.268 Er hat auch die Entscheidungen auch Krause, NStZ 2001, 60. diese Richtung auch Krause, NStZ 2011, 60; Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 570. 263  Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 570. Diese grundsätzliche Feststellung lässt sich dogmatisch auch an den im Strafrecht insbesondere im Bereich der rechtfertigenden Pflichtenkollision zum Tragen kommenden Grundsatz des „ultra posse nemo obligatur“ anbinden. Siehe Hassemer, ZRP 2011, 192. 264  Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 570. Ebenso eine rechtliche Basis verlangend Kaspar, Strafrecht AT, § 10 Rn. 1003. 265  Zutreffend Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 570; Krause, NStZ 2011, 60. 266  Siehe insoweit auch zutreffend Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 570. 267  Siehe hierzu bereits oben Teil 2 B. II. 4. a); Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 570. 268  Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 570. Siehe auch oben Teil 2 B. II. 4. a). 261  Siehe 262  In

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

eines „schwachen“ Vorstands zu respektieren, sofern sich diese innerhalb des Leitungsermessens bewegen. Vor diesem Hintergrund lassen sich die in der straf- und zivilrechtlichen Rechtsprechung für den Aufsichtsrat teilweise aufgestellten Verhaltensvorgaben, wonach eine Garantenpflicht der Aufsichtsratsmitglieder bereits darin bestünde, „faktisch auf den Vorstand einzuwirken“, nicht unbesehen in das Strafrecht übertragen269, da sie an gesellschaftsrechtlichen Wertungen vorbeigehen und im Ergebnis zu einer zu weiten Garantenhaftung des Aufsichtsrats führen. Grundlage zur Bestimmung einer Garantenpflicht der Aufsichtsratsmitglieder kann stets nur die rechtliche Möglichkeit der Einflussnahme auf den Vorstand sein. (2) Reichweite im Bereich der Überwachung eines Compliance-Systems Den Aufsichtsratsmitgliedern stehen bei der Compliance-Überwachung des Vorstands aktienrechtlich verschiedene Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Diese reichen von der Beratung des Vorstands bei der Ausgestaltung des Compliance-Systems, der förmlichen Beanstandung, Stellungnahme und Bedenkenäußerung hinsichtlich eines existierenden Systems über die Regelung der Kommunikationswege im Verhältnis zum Vorstand bis hin zur Schaffung von Regelungen in dessen Geschäftsordnung.270 Ferner räumt das Aktienrecht den Aufsichtsratsmitgliedern das Recht ein, das vom Vorstand entwickelte Compliance-System nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG der Zustimmung des Aufsichtsrats zu unterstellen.271 Der Aufsichtsrat verfügt gemäß § 84 Abs. 1 und Abs. 3 AktG im Verhältnis zum Vorstand auch über die Personalkompetenz und kann diesen bei erheblichen Compliance-Pflichtverletzungen kündigen und abberufen. Bei Fehlen oder Existenz eines mangelhaften Compliance-Systems in der AG und der schadenskausalen Begehung von Straftaten durch Mitarbeiter besteht für den Aufsichtsrat die Möglichkeit und im Einzelfall die organschaftliche Pflicht, gegenüber dem Vorstand Schadenersatzansprüche zu verfolgen.272 Im Extremfall hat der Aufsichtsrat 269  Aus der strafgerichtlichen Rechtsprechung jüngst OLG Braunschweig, BeckRS 2012, 15237; BGHSt 47, 187, 201. Aus der zivilgerichtlichen Rechtsprechung OLG Karlsruhe AG 2008, 900, 902, wonach der Aufsichtsrat „unbedingt verpflichtet ist, Rechtsverstöße des Vorstands mit allen Mitteln zu verhindern“. 270  Zu diesen Rechten des Aufsichtsrats siehe die Ausführungen oben in Teil 2 B. I. 2. 271  Zum Recht des Aufsichtsrats, Zustimmungsvorbehalte zu begründen vgl. Teil 2 B. I. 2. h). 272  Teil 2 B. I. 2. d) bb); Teil 3 C. III. 2. a); Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG § 91 Rn. 77.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands381

nach § 111 Abs. 3 AktG das Recht und die Pflicht, eine Hauptversammlung einzuberufen. Die im Aktienrecht geregelten und aus Sicht des Aufsichtsrats im Bereich der Compliance-Überwachung Anwendung findenden Einwirkungsrechte können zur inhaltlichen Bestimmung der strafrechtlichen Garantenpflichten jedoch nur insoweit herangezogen werden, wie sie ihm im Verhältnis zum Vorstand auch die Möglichkeit eröffnen, im konkreten Einzelfall auf dessen Verhalten effektiv und steuernd einzuwirken.273 Die Annahme einer Garantenpflicht setzt damit im Bereich der Compliance-Überwachung voraus, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats durch Ausübung ihrer aktienrechtlichen Befugnisse gegenüber dem Vorstand gerade in die Lage versetzt werden, auf die Nichteinführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand beziehungsweise auf die Einführung eines als mangelhaft erkannten Systems beherrschenden Einfluss zu nehmen.274 Eine solche effektive Beherrschungsmöglichkeit vermittelt dem Aufsichtsrats regelmäßig weder das Recht zu Stellungnahmen noch das zu formellen Beanstandungen, Meinungs- und Bedenkenäußerungen, da diese gegenüber dem Vorstand keine verbindliche Wirkung entfalten und der Vorstand nicht gehalten ist, sich der Meinung des Aufsichtsrats anzuschließen.275 Der Aufsichtsrat hat auch keine Möglichkeit, eine von ihm bezüglich dem Thema Compliance geäußerte Meinung gesellschaftsrechtlich durchzusetzen. Auch lässt sich aus dem Recht des Aufsichtsrats nach § 77 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 AktG für den Vorstand eine Geschäftsordnung zu erlassen, keine zur Annahme einer strafrechtlichen Garantenpflicht ausreichende verhaltenssteuernde Einwirkungsbefugnis ableiten. Hierdurch kann lediglich eine abstrakte Verhaltensvorgabe für die Vorstandsmitglieder im Bereich der Organisation geschaffen werden. Einer vom Aufsichtsrat in einer Geschäftsordnung des Vorstands getroffenen organisatorischen Regelung fehlt insbesondere der zur Annahme einer Garantenpflicht erforderliche Einzelfallbezug.276 Da dem Vorstand in der Geschäftsordnung zudem keine inhaltlichen Vorgaben hinsichtlich der von ihm zu fassenden Beschlüsse gemacht werden können, Krause, NStZ 2011, 60. diese Richtung allgemein auch Krause, NStZ 2011, 60. 275  Krause, NStZ 2011, 60 m. w. N. in Fn. 34; Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 572; Schilha, § 3, 145, 170. Aus der gesellschaftsrechtlichen Literatur Hüffer, NZG 2007, 52. 276  Die Geschäftsordnung betrifft lediglich das Procedere, nach dem sich bestimmt, wer innerhalb des Vorstands für welche Aufgaben zuständig ist. Inhaltliche Vorgaben hinsichtlich der zu treffenden Beschlüsse gibt sie nicht. Siehe Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 573. Dem Aufsichtsrat wird gemäß § 77 Abs. 2 S. 1 AktG nicht das Recht vermittelt, „die Geschäftsführung des Vorstands als solche zu bestimmen“. Siehe MüKoAktG/Spindler § 77 Rn. 44. 273  Siehe 274  In

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

stellt diese – trotz ihrer aktienrechtlich positiven Regelungswirkungen277 – strafrechtlich keinen tauglichen Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der Reichweite der Garantenpflicht des Aufsichtsrats dar.278 Demgegenüber lässt sich im Bereich der Compliance-Überwachung die Reichweite der strafrechtlichen Garantenpflicht unter Rückgriff auf die aktienrechtlichen Befugnisse des Zustimmungsvorbehalts gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG, der Personalkompetenz des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand gemäß § 84 Abs. 1 und Abs. 3 AktG sowie der Kompetenz zur Verfolgung von Schadenersatzansprüchen der AG gegenüber pflichtwidrig handelnden Vorstandsmitgliedern nach §§ 112 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG inhaltlich näher bestimmen. Das Recht der Mitglieder des Aufsichtsrats gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 generell oder ad hoc für bestimmte Arten von Geschäften einen Zustimmungsvorbehalt zu begründen, eröffnet ihm die Möglichkeit einer rechtsverbindlichen Einflussnahme auf Maßnahmen der Geschäftsführung. Der Aufsichtsrat oder ein von ihm gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 107 Abs. 3 AktG gebildeter ständiger oder einzelfallbezogener Compliance-Ausschuss279 ist befugt, ein vom Vorstand erarbeitetes Compliance-Konzept seiner Zustimmung zu unterstellen.280 Die Aufsichtsratsmitglieder nehmen auf diesem Weg präventiv an der Einführung oder Änderung des Compliance-Systems teil281, indem sie sich von der Plausibilität der vom Vorstand beabsichtigten Compliance-Aktivitäten überzeugen und Nachbesserungen gegenüber diesem frühzeitig anregen und unter Hinweis auf ihr Vetorecht auch praktisch durchsetzen können.282 Bei Bestimmung der Reichweite einer Garantenpflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats unter Rückgriff auf ihre Befugnis zur Begründung eines Zustimmungsvorbehalts aus § 111 Abs. 4 S. 2 AktG ist allerdings einschränkend zu berücksichtigen, dass es sich bei diesem strukturell nur um ein Vetorecht des Aufsichtsrats für bestimmte 277  Insbesondere im Bereich der Regelung des Kommunikationsflusses zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Siehe hierzu die Ausführungen unten in Teil 6 A. IV. 278  Siehe in diese Richtung auch zutreffend Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 573. 279  Zur präventiven Wirkung eines „Compliance-Ausschusses“ siehe unten Teil 6 A. II. 1. 280  Zur präventiven Wirkung dieser Maßnahme siehe ausführlich unten Teil 6 A. IV. 3. 281  Habersack, AG 2014, 4; Arnold, ZGR 2014, 85; Lutter, FS Hüffer 2010, 618; Winter, FS Hüffer, 2010, 1120; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 111. 282  Habersack, AG 2014, 4; Lutter, FS Hüffer 2010, 618, der zutreffend darauf hinweist, dass die Begründung eines Zustimmungsvorbehalts Probleme vermeidet, die ex post auftreten, wenn der Aufsichtsrat erst nach Einführung des ComplianceSystems Änderungen wünscht.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands383

grundlegende Entscheidungen des Vorstands handelt. Hieraus folgt, dass sich die Pflicht des Aufsichtsrats zum Einschreiten auf das Unterbinden eines aktiven Tuns des Vorstands beschränkt und dieser gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG gerade nicht zu einem aktiven Tun angehalten werden kann.283 Überträgt man diese aus der Strukutur des Zustimmungsvorbehalts als einem Vetorecht folgende Erkenntnis auf die Frage nach dem Inhalt einer strafrechtlichen Handlungspflicht des Aufsichtsrats im Bereich der Compliance-Überwachung des Vorstands, folgt hieraus, dass der Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG rechtlich nur in die Lage versetzt wird, eine vom Vorstand beabsichtigte Maßnahme zu verhindern und nicht auch, eine nichtbeabsichtigte Maßnahme des Vorstands aktiv herbeizuführen. Erkennt der Aufsichtsrat oder ein von ihm gebildeter Ausschuss, dass es in der Vergangenheit erhebliche und schadensträchtigte Straftaten auf Mitarbeiterebene gab, und das vom Vorstand in Reaktion hierauf entwickelte ComplianceKonzept offensichtlich mangelhaft ist284, trifft ihn zum Schutz des Gesellschaftsvermögens vor weiteren straftatbedingten Schädigungen die gesellschafts- und strafrechtliche Pflicht auf den Vorstand ad hoc oder generell durch Begründung eines Zustimmungsvorbehalts steuernd einzuwirken. Der Aufsichtsrat kann auf diese Weise wenigstens die Einführung und Fortentwicklung eines mangelhaften Systems in der AG unterbinden. Demgegenüber lässt sich aus § 111 Abs. 4 S. 2 AktG kein Recht des Aufsichtsrats ableiten, dem Vorstand ein bestimmtes Verhalten bzw. die Einführung eines konkreten Compliance-Systems vorzuschreiben.285 Die Aufsichtsratsmitglieder trifft mangels aktienrechtlicher Befugnis daher auch keine strafrechtliche Garantenpflicht zur Anweisung des Vorstands ein bestimmtes Compliance-System einzuführen. Anderenfalls würde man von ihnen strafrechtlich mehr verlangen, als sie aktienrechtlich zu leisten in der Lage sind. Die Vorschrift des § 111 Abs. 4 S. 2 AktG beschreibt die Reichweite der strafrecht­ lichen Garantenpflicht der Aufsichtsratsmitglieder daher nur insoweit, als dass die Einführung eines als mangelhaft erkannten Compliance-Systems durch Ausübung des Vetorechts im Einzelfall zu verhindern ist.286 Dieses rechtliche Handlungsdefizit der Mitglieder des Aufsichtsrats lässt sich im Bereich der Compliance-Überwachung überwinden, wenn man aus 283  Krause, NStZ 2011, 60; Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 573; Schilha, § 3, 171 ff., 174 f. 284  Weil es zum Beispiel nur allgemeine und nicht aussagekräftige Richtlinien zur Verhinderung von Korruption oder ein praktisch nicht umsetzbares Organisationsmodell enthält. 285  Gegen ein Weisungsrecht dezidiert Lutter, NZG 2010, 603. 286  Siehe in diese Richtung allgemein auch Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 573 f.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

der Personalkompetenz des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand gemäß § 84 Abs. 1 und Abs. 3 AktG als dem „stärksten Einwirkungsmittel“ richtigerweise auch das Recht des Aufsichtsrats ableitet, die zur Einführung eines Compliance-Systems zuständigen Mitglieder des Vorstands bei Weigerung der Einführung eines solchen zu kündigen und ihre Bestellung gleichzeitig zu widerrufen.287 Den Aufsichtsratsmitgliedern steht aufgrund ihrer Personalkompetenz gegenüber dem Vorstand eine effektive rechtliche Einwirkungsmöglichkeit zur Seite, die es ihnen ermöglicht, im Einzelfall durch Androhung der Kündigung und Abberufung aus dem Amt des Vorstands eine verhaltenssteuernde Wirkung der betroffenen Vorstandsmitglieder herbeizuführen. Es wurde bereits dargelegt, dass die Nichteinführung eines tauglichen Compliance-Systems durch den dafür zuständigen Vorstand aus Sicht des Aufsichtsrats einen tauglichen Kündigungs- und Abberufungsgrund gemäß § 626 Abs. 1 BGB i. V. m. 84 Abs. 3 S. 1 AktG darstellt. Schafft der Vorstand auf Mitarbeiter­ ebene keine an den individuellen Bedürfnissen der AG ausgerichteten Strukturen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung unternehmensbezogener ­Taten, verstößt er gegen seine gesellschafts- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Compliance-Pflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG, da dann im Bereich der kriminalitätsbezogenen Risiken kein adäquates Risikomanagement betrieben und aus Sicht der AG über die Vorschriften der §§ 9, 130, 30 OWiG ein nicht unerhebliches Haftungsrisiko im Außenverhältnis geschaffen wird.288 Die Rechtsprechung sieht in der unterlassenen Risikovorsorge daher zutreffend auch eine die Abberufung und Kündigung des Vorstands rechtfertigende „grobe Pflichtverletzung“289 und bewertet das Interesse der AG an der sofortigen Beendigung der Amtszeit höher als das Interesse des betroffenen Vorstandsmitglieds an einer Fortsetzung. Die rechtliche Möglichkeit der Abberufung eines Vorstandsmitglieds stellt damit grundsätzlich sowohl ein wirksames Mittel zur Verhinderung von schädigenden Handlungen als auch zur Reaktion auf pflichtwidrige Unterlassungen durch den Vorstand dar.290 Erkennen die Mitglieder des Aufsichtsrats, dass in der AG trotz Risikoneigung ein wirksames Compliance-System gleichwohl nicht existiert und wei287  Schilha, § 3, 175, 177 ff., der zur Verhinderung einer bevorstehenden Straftatbegehung durch Vorstandsmitglieder im Ergebnis sogar eine „Sonderweisungsbefugnis“ der Aufsichtsratsmitglieder aus deren Personalkompetenz deduziert. 288  Zum Schadenspotential siehe nur LG München, NZG 2014, 346 f. 289  LG Berlin AG 2002, 683 f.; VG Frankfurt AG 2005, 264; Preußner/Zimmermann, AG 2002, 657; MüKoAktG/Spindler § 84 Rn. 131; Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 164. 290  Ebenso Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 575. Eine „sekundäre Garantenpflicht“ leitet aus der Personalkompetenz im Ergebnis auch Schilha, § 3, 188 ab.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands385

gert sich das zuständige Vorstandsmitglied ein solches einzuführen, erstreckt sich die aus der Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats folgende Garantenpflicht im Extremfall auch auf die Kündigung und Abberufung der zuständigen Mitglieder des Vorstands. Durch vorherige Androhung der Kündigung und Abberufung besteht als milderes Mittel auch frühzeitig die Möglichkeit, auf das Verhalten des Vorstands im Einzelfall steuernd einzuwirken. Zur Wahrung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung nach §§ 76 Abs. 1, 111 Abs. 4 S. 1 AktG verbietet es sich aus Sicht des Aufsichtsrats jedoch, die Androhung der außerordentlichen Kündigung sowie den Widerruf der Bestellung mit inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Ausgestaltung des ComplianceSystems zu verbinden oder dem Vorstand gegebenenfalls sogar konkrete Anweisungen zu erteilen.291 Kam es in der AG in der Vergangenheit zu schadenskausalen Mitarbeiterstraftaten und wurde durch das zuständige Vorstandsmitglied kein Compliance-System, das Maßnahmen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Mitarbeiterstraftaten enthält, eingeführt, trifft die Mitglieder des Ausichtsrats nach §§ 112 S. 1, 93 Abs. 1 AktG regelmäßig die Pflicht, den der AG hierdurch entstandenen Schaden gegenüber dem verantwortlichen Vorstandsmitglied geltend zu machen.292 Da diese aktienrechtliche Pflicht des Aufsichtsats nicht nur dem Schutz des Gesellschaftsvermögens, sondern auch unmittelbar der Verhaltenssteuerung des Vorstands dient293, eignet sie sich auch im Bereich der strafrechtlichen Compliance-Überwachung als taugliches Einwirkungsmittel auf den Vorstand, wenn dieser nicht bereit ist, in der AG ein an den individuellen Bedürfnissen der AG orientiertes Compliance-System einzuführen. gg) Ergebnis und Schlussfolgerung für den Aufsichtsrat Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Aufsichtsratsmitglieder aufgrund ihrer rechtlichen Stellung in der AG gemäß § 13 Abs. 1 StGB im Bereich der Compliance-Überwachung eine Beschützergarantenstellung trifft und diese ausschließlich im Verhältnis zur AG vor Schädigungen durch den Vorstand und nicht auch gegenüber Dritten wirkt. Aus ihr folgt die strafrechtliche wäre stets unzulässig. Siehe auch zutreffend Lutter, NZG 2010, 603. C. III. 2. a) bb) (4) (f). Zutreffend Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 91 Rn. 77. 293  Zu den Regelungszielen der zivilrechtlichen Organhaftung zählt neben der Wiedergutmachung und Schadensvorbeugung explizit auch das Ziel der Verhaltenssteuerung. Siehe Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG § 93 Rn. 2a. Teilweise wird die Organhaftung sogar auch ausschließlich auf das Ziel der Verhaltenssteuerung reduziert. Dezidiert in diese Richtung Bayer/Scholz, NZG 2014, 926, 928; Vetter, FS Hoffmann-Becking 2013, 1317, 1324 ff. 291  Dies

292  Teil 3

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Pflicht, gegenüber dem Vorstand darauf hinzuwirken, dass dieser ein an den individuellen Bedürfnissen der AG orientiertes Compliance-System einführt oder ein erkennbar mangelhaftes System nicht einführt oder nachbessert. Zur Erfüllung ihrer Garantenpflicht haben die Aufsichtsratsmitglieder auf die aktienrechtlichen Befugnisse zurückzugreifen, die ihnen im Verhältnis zum Vorstand eine Möglichkeit der Verhaltenssteuerung eröffnen. Fehlt in der AG ein Compliance-System und weigert sich der Vorstand, ein solches einzuführen, kommt zur Verhaltenssteuerung zunächst eine Androhung und sodann ein Rückgriff auf die Personalkompetenz sowie das Recht zur Verfolgung von Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Vorstand in Betracht. Wurde durch den Vorstand ein offensichtlich untaugliches Compliance-System entwickelt, hat der Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG von seinem Recht Gebrauch zu machen, die Einführung eines solchen durch Begründung eines Zustimmungsvorbehalts zu verhindern. Den Aufsichtsrat trifft damit letztlich neben seiner gesellschaftsrecht­ lichen auch eine strafrechtliche Handlungspflicht auf die Nichteinführung eines Compliance-Systems oder auf die Einführung eines erkennbar mangelhaften Systems durch den Vorstand mit den ihm zukommenden gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten des Zustimmungsvorbehalt, der Personalkompetenz sowie der Befugnis zur Verfolgung von Schadenersatz zu reagieren. e) Verursachung eines Vermögensnachteils infolge der Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand Nach der bisherigen Untersuchung des Untreuerisikos der Aufsichtsratsmitglieder lässt sich als Befund festhalten, dass diese aufgrund ihrer Funktion als Überwachungsorgan gegenüber der AG vemögensbetreuungspflichtig und nach § 111 Abs. 1 AktG verpflichtet sind, die Einführung eines ComplianceSystems durch den zuständigen Vorstand zu überwachen. Ferner konnte festgestellt werden, dass die Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand ebenso wie eine evident unvertretbare Überwachung infolge eines vom Aufsichtsrat verschuldeteten Informationsdefizits eine gravierende Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht gemäß § 266 Abs. 1 StGB darstellt. Schließlich trifft die Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der AG eine Beschützergarantenstellung vor Schädigungen durch den Vorstand, die diese verpflichtet, mit den ihnen zur Verfügung stehenden gesellschaftsrechtlichen Befugnissen auf den Vorstand einzuwirken, dass dieser ein individuell taugliches Compliance-System in der AG einführt beziehungsweise ein offensichtlich untaugliches System nicht einführt.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands387

Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage, ob die Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems als Pflichtverletzung des Aufsichtsrats auf Ebene der Gesellschaft nach § 266 Abs. 1 StGB auch einen Vermögensnachteil begründet. aa) Keine reale Vermögenseinbuße durch Nichtüberwachung Die Begründung eines Vermögensnachteils durch Nichtüberwachung der Compliance würde aus Sicht des Aufsichtsrats voraussetzen, dass ein fehlendes oder unzureichendes Compliance-System zu einem Vermögensnachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB führen kann, weil diesem aus Sicht der AG ein eigenständiger – bilanziell erfassbarer – Vermögenswert zukommt. Bei der Bestimmung des Vermögensnachteils im Rahmen der Untreue ist an den Schadensbegriff des Betruges anzuknüpfen.294 Ein Vermögensnachteil liegt danach auf Basis des heute herrschenden ökonomisch-juristischen Vermögensbegriffs295 vor, wenn bei einer Gesamtsaldierung der Wert des Vermögens infolge der Pflichtverletzung gemindert und diese Minderung nicht durch den Zufluss eines vermögenswerten Äquivalents ausgeglichen wurde.296 Verstößt der Vorstand gegen seine gesellschafts- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Pflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG und führt in der AG kein an deren individuellen Bedürfnissen orientiertes Compliance-System, das Maßnahmen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von rechtswidrigem Verhalten auf Mitarbeiterebene enthält, ein, fügt diese Pflichtverletzung der AG regelmäßig noch keinen messbaren Vermögensnachteil zu.297 Eine durch Gesamtsaldierung zu ermittelnde reale Vermögenseinbuße setzt neben einer rechtswidrigen und zu einem konkreten Schaden führenden Verhaltensweise auf Mitarbeiterebene zusätzlich voraus, dass etwaige aus dieser rechtswidrigen Mitarbeiterhandlung resultierende Bußgeld- oder Schadenersatzansprüche durch den Geschädigten oder eine zuständige Sanktionsinstanz tatsächlich geltend gemacht wurden oder die 294  Fischer, StGB, § 266 Rn. 110, 115; Lackner/Kühl/Heger, StGB § 266 Rn. 17; S/S-Perron, StGB, § 266 Rn. 39; Helmich, NZG 2011, 1255; Theile, wistra 2010, 461. 295  Fischer, StGB, § 263 Rn. 90. Zum Streitstand MüKoStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 205. 296  BVerfG NJW 2009, 2371 Rn. 24; BVerfG NJW 2010, 3216 Rn. 119; BGH, NStZ 2004, 206; Fischer, StGB, § 266 Rn. 115; Saliger, SSW § 266 Rn. 54, 56. 297  In diese Richtung zutreffend Theile, wistra 2010, 461; Helmich, NZG 2011, 1255; Zimmermann, Strafbarkeitsrisiken, 111 f.; Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht, S.  61 f.

388

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Geltendmachung wenigstens unmittelbar bevorsteht.298 Bei der Nichteinführung eines Compliance-Systems fehlt es gerade an solchen weiteren schadenskausalen Verhaltensweisen. Denkbar wäre zwar, in der bloßen Nichtexistenz eines Compliance-Systems bereits eine strafrechtlich relevante Minderung des Geschäftswertes der AG zu sehen. Der sogenannte Geschäftswert – der auch als „Goodwill“ bezeichnet wird299 – beschreibt den guten Ruf eines Unternehmens und vereint verschiedene wertbildende Faktoren, wie zum Beispiel Lage des Unternehmens, Firmenname, Kunden- und Lieferantenbeziehungen, Einkaufs- und Absatzorganisation oder auch Know-how, in sich.300 Gleichwohl scheidet er als Anknüpfungspunkt zur Begründung eines Vermögensnachteils aus. Selbst wenn man die bloße Existenz eines Compliance-Systems aus betriebswirtschaftlicher Sicht als einen wertbildenden Faktor des Geschäftswerts der AG ansehen möchte und daher im Fehlen eines solchen auch eine Wertminderung des Geschäftswerts der AG erblickt, scheitert die Annahme eines strafrechtlichen Schadens zwingend daran, dass dem Geschäftswert – wie der Umkehrschluss aus § 246 Abs. 1 S. 4 HGB zeigt – regelmäßig301 bereits kein bilanziell messbarer Wert zukommt, da dieser aufgrund der Vielzahl möglicher Einflussfaktoren nicht präzise berechenbar ist.302 Aufgrund dieser bilanzrechtlichen Unsicherheit kann ihm erst recht kein strafrechtlich relevanter und im Rahmen der Schadensberechnung zu berücksichtigender Wert beigemessen werden.303 Dies gilt auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts304 und des Bundesgerichtshofs305, wonach zur Quantifizierung eines Schadens auf anerkannte betriebs298  Siehe auch Theile, wistra 2010, 461; Helmich, NZG 2011, 1255; Schaefer/ Baumann, NJW 2011, 3603 f.; Schlösser/Dörfler, wistra 2007, 332 f. Zur strafrechtlichen Verantwortung im Bereich des Risikomanagements Preussner/Pananis, BKR 2004, 352, 354; Berndt/Theile, Unternehmensstrafrecht, S. 57 ff. 299  Zur Praxis der Goodwill-Bilanzierung der DAX-30-Unternehmen vgl. LeitnerHanetseder/Rebhan, IRZ 2012, 157 ff. 300  Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon-Maier, Edition 2/16, Geschäftsoder Firmenwert, Rn. 2; Zimmermann, Strafbarkeitsrisiken, § 2, 111. 301  Nur ein entgeltlich erworbener Geschäftswert kann als „zeitlich begrenzter Vermögensgegenstand“ gemäß § 246 Abs. 1 S. 4 HGB bilanziert werden. Dieser wird auch als derivativer Geschäftswert bezeichnet. Siehe hierzu Baumbach/Hopt-Merkt, HGB, § 246 Rn. 9. 302  Baumbach/Hopt-Merkt, HGB, § 246 Rn. 9; Zimmermann, Strafbarkeitsrisiken, § 2, 110. 303  Zutreffend in diese Richtung auch S/S-Perron, § 266 Rn. 45b, der eine nicht messbare Beeinträchtigung des „guten Rufs“ zutreffend nicht als untreurelevanten Nachteil genügen lässt. Siehe auch Zimmermann, Strafbarkeitsrisiken, § 2, 110. 304  BVerfGE 126, 170 ff. = NJW 2010, 3220. 305  BGHSt 53, 199 ff., 202 Rn. 13 f.; BGH, wistra 2008, 343 ff., Rn. 19.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands389

wirtschaftliche Bewertungsverfahren- und maßstäbe zurückgegriffen werden kann.306 Im Bereich der Compliance scheidet die Begründung eines strafrechtlichen Schadens unter Rückgriff auf diese Rechtspechung aus, da – soweit ersichtlich – gegenwärtig keine strafrechtsdogmatisch belastbare betriebswirtschaftliche Bewertungsmethode zur Bestimmung des exakten „Werts“ eines Compliance-Systems existiert307 und eine Schadensbemessung anhand des Geschäftswerts aus dem soeben aufgezeigten Grund auszuscheiden hat. Auch aus der jüngsten Rechtsprechung des LG München lässt sich kein zivilrechtlich messbarer und im Rahmen der strafrechtlichen Schadensdogmatik als Anknüpfungspunkt dienender „Wert“ eines Compliance-Systems ableiten.308 Das LG München erkennt zwar unmittelbar in der Nichteinführung eines Compliance-Systems durch den dafür zuständigen Vorstand eine Verletzung der ihm obliegenden Organisationspflicht an und spricht der Gesellschaft gegen den für die Compliance in der AG verantwortlichen Vorstand einen Schadenersatzanspruch zu.309 Einen zivilrechtlich relevanten Schaden leitet es richtigerweise aber nicht aus der bloßen Nichtexistenz eines Compliance-Systems ab, sondern sieht einen solchen unter Rückgriff auf die Beweis­ erleichterung des § 287 ZPO konkret darin, dass in der AG mangels Organisationsstruktur auf Mitarbeiterebene Straftaten begangen wurden mit der Folge, dass es für die AG neben einem Bußgeld auch zu erheblichen internen Aufklärungskosten kam.310 Ein exakter Vermögensnachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB lässt sich schließlich auch nicht durch tatrichterliche Schätzung des „Werts“ eines funktionierenden Compliance-Systems begründen. Innerhalb der strafrechtlichen Schadensdogmatik besteht für den Tatrichter zwar Raum, im Einzelfall NJW 2010, 3220; Bittmann, wistra 2013, 451. in diese Richtung Bittmann, wistra 2013, 451. Siehe in diesem Kontext auch Cornelius, NZWiSt 2012, 259 ff., 263 f., der einen strafrechtlich relevanten Schaden nur anerkennt, wenn der Nachteil bilanzrechtlich im Wege einer Wertberichtigung erfassbar ist. 308  Siehe zu dieser Rechtsprechung bereits oben Teil 3 B. II. 4. a) bb) (3) (a). 309  Diese bestanden im konkreten Fall in Rechtsanwaltskosten für die interne Aufklärung und betrugen 12,85 Mio. Euro. Siehe LG München I, NZG 2014, ­ 345 ff. 310  Die Beauftragung einer Rechtsanwaltskanzlei habe ihre Ursache auch und gerade in der nicht hinreichenden Compliance-Organisation gehabt, sodass keine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs vorläge. Siehe LG München I, NZG 2014, 345. Anknüpfungspunkt für einen strafrechtlichen Schaden kann darüber hinaus insbesondere auch die auf Mitarbeiterebene konkret begangene Straftat sein, soweit diese das Gesellschaftsvermögen der AG vermindert hat. Siehe hierzu die Ausführungen unten Teil 5 A. III. 2. 306  BVerfG,

307  Zutreffend

390

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

verbleibende Prognose- und Beurteilungsspielräume durch eine „vorsichtige Schätzung“ auszufüllen.311 Eine Schätzung ist wegen der unterschiedlichen Haftungsprinzipien im Zivil- und Strafrecht312 allerdings nur in engen Grenzen und auch nur unter besonderer Beachtung des im Strafverfahren zentralen Zweifelsgrundsatzes zulässig.313 Dies führt dazu, dass „die schadenersatzorientierten Haftungsprinzipien des Zivilrechts nicht unbesehen zur Bestimmung strafrechtlicher Verantwortlichkeit“314 herangezogen werden dürfen. Eine Schätzung des „Compliance-Wertes“ durch den Strafrichter unter Rückgriff auf – im Zivilrecht zulässige – Billigkeitserwägungen verbietet sich im Strafrecht insbesondere deshalb, weil innerhalb der strafrechtlichen Haftung nicht die Möglichkeit besteht, das Haftungsrisiko, etwa auf eine Versicherung, abzuwälzen. Eine ausschließlich auf tatrichterlicher Schätzung, zivilrechtlicher Beweiserleichterung oder sogar Beweislastumkehr gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 S. 2 AktG beruhende Schadensbemessung wäre weder mit dem strafrechtlichen Verschuldensprinzip315 noch mit dem im Strafverfahren elementaren in dubio pro reo-Grundsatz zu vereinbaren und hat im Bereich der Compliance zwingend auszuscheiden.316 Die Nichteinführung eines Compliance-Systems als solche begründet daher im Ergebnis aus Sicht der Gesellschaft nicht bereits einen realen Vermögensnachteil. Folglich kann die Nichtüberwachung der Einführung eines solchen Systems durch den Aufsichtsrat auch nicht zu einer realen Vermögenseinbuße der AG führen.317 Existiert in der AG kein Compliance-System, scheidet ein Strafbarkeitsrisiko wegen Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB sowohl für den Vorstand als zuständiges Organ zur Einführung eines solchen Systems als auch für den Aufsichtsrat als zuständiges Überwachungsorgan mangels Vermögensnachteil der AG aus.

NJW 2010, 3220; Schlösser/Dörfler, wistra 2007, 333. sich das Strafrecht auf den Täter und seine Tat konzentriert und den Schuldvorwurf an den persönlichen Verhältnissen ausrichtet, orientiert sich das Zivilrecht primär an der Lage des Geschädigten und tendiert unter Anwendung von Billigkeitserwägungen nicht selten dazu, dessen Interessen gegenüber dem regelmäßig haftpflichtversicherten Schädiger Vorrang einzuräumen. Siehe auch Schilha, § 3, 193. 313  BVerfG, NJW 2010, 3220; Fischer, StGB, § 266 Rn. 160a. 314  Siehe dezidiert in diese Richtung das sog. „Lederspray-Urteil“, BGHSt 37, 106, 115. 315  Schilha, § 3, 193; Heine, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 123 f. 316  BVerfG, NJW 2010, 3220; Schilha, § 3, 194. 317  Zu diesem Ergebnis gelangt ebenso Helmich, NZG 2011, 1256. 311  BVerfG,

312  Während



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands391

bb) Schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung Die Nichteinführung eines tauglichen Compliance-Systems durch den Vorstand könnte, ebenso wie die Nichtüberwachung der Einführung eines solchen durch den Aufsichtsrat, einen Vermögensnachteil begründen, wenn sich die Pflichtverletzung in Form der Nichteinführung eines Compliance-Systems als eine „schadensgleiche Vermögensgefährdung“ werten lässt.318 (1) Voraussetzungen Nach der Rechtsprechung liegt eine solche vor, wenn unter Berücksichtigung der „besonderen Umstände des Einzelfalls festgestellt werden könne, ob die Betroffenen mit wirtschaftlichen Nachteilen ernstlich zu rechnen haben, der Eintritt eines Schadens bereits so nahe liegend sei, dass der Vermögenswert auf Grund der Verlustgefahr bereits gegenwärtig gemindert“ werde.319 Da der Untreuetatbestand – im Unterschied zu dem des Betruges – keine Versuchsstrafbarkeit kennt, ist allerdings einschränkend zu berücksichtigen, dass über die Figur des Gefährdungsschadens nicht schon jede „Vorfeldgefahr“ als Vermögensnachteil angesehen werden darf.320 Anderenfalls käme es zu einer gesetzeswidrigen Vorverlagerung der Tatbestandsvollendung in den Bereich des bei § 266 Abs. 1 StGB straflosen Versuchs.321 Der 1. Strafsenat versucht, dem mit der Figur des Gefährdungsschadens einhergehenden Problem der Vorverlagerung der Strafbarkeit dadurch zu begegnen, dass er sie  – jedenfalls in der Fallgruppe der Risikogeschäfte – begrifflich auf einen engeren Bereich zurückführt.322 Nach Auffassung des 1. Strafsenats führe eine „präzise Begriffsverwendung unter exakter Betrachtung des tatsächlichen wirtschaftlichen Nachteils zum Zeitpunkt einer pflichtwidrigen Handlung“ dazu, dass sich „die bei pflichtwidrigen Risikogeschäften so genannte konkrete Vermögensgefährdung in Wirklichkeit als ein bereits unmittelbar mit 318  BVerfG NJW 2010, 3218 f.; BGHSt 20, 304 f.; 40, 298; 44, 384; Fischer, StGB, § 266 Rn. 150 ff.; Theile, wistra 2010, 461. Kritisch hierzu Beulke, FS Eisenberg 2009, 261 ff. 319  BVerfG NJW 2009, 2370, 2373; BVerfG, NJW 2010, 3218 m. w. N. in Rn. 138; BGHSt 44, 376, 384; NStZ-RR 2005, 343. Aus der Literatur siehe Fischer, StGB, § 266 Rn. 150; MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 211; Lackner/Kühl-Heger, StGB, § 266 Rn. 17a; Seier, HWSt, Kap. 2, Rn. 190; Schwerdtfeger, S. 137. 320  Theile, wistra 2010, 462; Seier, HWSt, Kap. 2, Rn. 190; BVerfG, NJW 2010, 3220. 321  MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 226; Theile, wistra 2010, 462. 322  BGH NJW 2008, 2451 f. Diese neue Rechtsprechung hat der 1. Strafsenat in BGHSt 53, 199 = NJW 2009, 2390 ausdrücklich bestätigt. Siehe auch Fischer, StGB § 266 Rn. 160. Kritisch zu dieser Rechtsprechung Becker, HRRS 2009, 334 ff.; Schlösser, NStZ 2009, 663.

392

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

der Tathandlung eingetretener Vermögensnachteil darstellt“.323 Der 1. Strafsenat sieht damit zumindest in der Fallgruppe der Risikogeschäfte bereits in dem Risiko selbst den Endschaden.324 Demgegenüber erkennt der 2. Strafsenat die Figur der konkreten Vermögensgefährdung ausdrücklich an und hat im Fall „Kanther / Weyrauch“325 festgestellt, dass das „pflichtwidrige Entziehen und Vorenthalten erheblicher Vermögenswerte unter Einrichtung einer treuhänderisch verwalteten schwarzen Kasse durch verantwortliche einer politischen Partei auch dann zu einem Nachteil im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB führt, wenn durch Einsatz der vorenthaltenen Mittel unter Umgehung der satzungsgemäßen Organs politische oder sonstige Zwecke der Partei nach dem Gutdünken des Täters gefördert werden sollen“.326 Der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzuerkennenden Figur der schadensgleichen Vermögensgefährdung darf nicht unbefangen begegnet werden, da es in der Praxis der fachgerichtlichen Rechtsprechung bislang wohl nicht gelungen ist, lediglich abstrakte Vermögensrisiken von schon konkreten abzuschichten.327 Um die Grenze zwischen strafloser Gefährdung und strafbarer Handlung entgegen der gesetzgeberischen Wertung nicht zum Nachteil des Betroffenen zu verschieben, ist nach zutreffender Auffassung ein restriktiver Umgang mit der Rechtsfigur des Gefährdungsschadens geboten.328 Bei Begründung einer schadensgleichen Vermögensgefährdung ist daher zu berücksichtigen, dass eine bloß abstrakte Ge323  Siehe

BGH NJW 2008, 2452. hat auch der 1. Strafsenat – wie dessen Entscheidung in BGH 53, 71, 85 = NJW 2009, 528, Rn. 37 ff. zeigt  – die Differenzierung zwischen „Endschaden“ und „Gefährdungsschaden“ offensichtlich nicht gänzlich aufgegeben. Siehe auch Fischer, StGB § 266 Rn. 161; Lackner/Kühl-Heger, StGB, § 266 Rn. 17a. Ein vollständiges Abrücken von der Figur des Gefährdungsschadens stünde auch im Widerspruch zu der Rechtsprechung des BVerfG, welches das Institut des Gefährdungsschadens als (gerade noch) verfassungsgemäß anerkannt hat. Siehe BVerfG NJW 2009, 2370 ff., 2010, 3209 ff. 325  Zu den Implikationen dieser Entscheidung im subjektiven Tatbestand siehe Teil 5 A. II. 2. 326  BGH NJW 2007, 1760 ff., 1764 Rn. 44. Zur Fortführung dieser Rechtsprechung im Fall „Siemens/Enel“ siehe BGHSt 52, 323 = NJW 2009, 89, 92. 327  Siehe auch die zutreffende Kritik von Seier, HWSt, Kap. 2, Rn. 190. 328  BVerfG, NJW 2010, 3220; Theile, wistra 2010, 462. Das in der strafrechtlichen Literatur vertretene Meinungsspektrum ist vielschichtig. Während teilweise darauf abgestellt wird, ob und inwieweit die Gefährdungslage aus Sicht des Opfers noch beherrschbar ist, beurteilt ein anderer Teil  das Vorliegen einer Vermögensgefährdung nach zivilrechtlichen Kriterien. Zu den im Schrifttum vertretenen Restriktionsmöglichkeiten siehe MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 219 ff. Insbesondere Matt und Saliger versuchen, eine Einschränkung unter Rückgriff auf das Prinzip der Unmittelbarkeit zu erreichen. Siehe Saliger, NStZ 2007, 545, 549; Matt, NJW 2005, 389, 390. 324  Gleichwohl



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands393

fährdung gerade noch nicht ausreicht, um einen strafrechtlich relevanten Schaden zu begründen.329 Die Annahme eines Gefährdungsschadens erfordert somit, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, die konkrete Feststellung einer tatsächlichen Vermögenseinbuße durch den Tatrichter in einer wirtschaftlich nachvollziehbaren Weise.330 Aufgrund der gesetzgeberischen Wertung bei der Untreue von einer Versuchsstrafbarkeit abzusehen und zur Konturierung des weiten Tatbestands, bedarf es zur Ankerkennung eines Gefährdungsschadens zudem eines Korrektivs, das bei Bestimmung des Vermögensnachteils richtigerweise in dem Kriterium der Unmittelbarkeit zu finden ist.331 Von einer hinreichend konkreten Vermögensgefahr lässt sich daher nur ausgehen, wenn die durch die Pflichtverletzung geschaffene Gefahr unmittelbar in einen Schaden umschlagen kann.332 Hieran fehlt es jedenfalls bei solchen Gefährdungslagen, in denen der endgültige Vermögensverlust noch von „wesentlichen Zwischenschritten“ des Täters, Opfers oder eines Dritten abhängt.333 Fraglich ist vor diesem Hintergrund, ob die Nichteinführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand, ebenso wie die unterlassene Überwachung der Einführung eines solchen durch den Aufsichtsrat, geeignet ist, einen konkreten Gefährdungsschaden der AG zu begründen. (2) Vermögensgefährdung bei Nichtexistenz eines Compliance-Systems? Die Nichteinführung eines Compliance-Systems führt – wie die Ausführungen in Teil 3 gezeigt haben – im Bereich der Compliance über §§ 130, 30, 9 OWiG zu der Gefahr einer Außenhaftung der AG. Durch die Nichtexistenz eines Compliance-Systems wird in der AG gerade eine Situation geschaffen oder begünstigt, welche die Ausübung rechtswidriger Mitarbeiterpraktiken zulässt oder solche wenigstens erleichtert.334 Das Haftungsrisiko besteht dann nicht nur in der Begehung von Straftaten von Mitarbeitern unmittelbar zum Nachteil des Unternehmensvermögens, son329  MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 212. Am Beispiel von Vorstandsstraftaten zutreffend auch Schwerdtfeger, S. 137, 139. 330  BVerfG, NJW 2010, 3220. 331  BVerfG, NJW 2010, 3218 f.; Brand, NJW 2011, 1752; Theile, wistra 2010, 462; Mosiek, HRRS 2012, 455; Saliger, NStZ 2007, 545, 549; Matt, NJW 2005, 389, 390. Ablehnend hingegen BGH, NJW 2010, 1747. 332  Theile, wistra 2010,462; Helmrich, NZG 2011, 1255; Schlösser/Dörfler, wistra 2007, 333. 333  Helmrich, NZG 2011, 1255; Theile, wistra 2010, 462; MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 211 ff.; Matt, NJW 2005, 391; Saliger, HRRS 2006, 20; ders., SSW, § 266 Rn. 75 f. 334  Insoweit zutreffend Theile, wistra 2010, 462.

394

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

dern auch darin, dass von Dritter Seite gegen das Unternehmen Bußgeld- oder auch Schadenersatzansprüche gerichtet werden können, wenn es infolge mangelnder organisatorischer Vorkehrungen tatsächlich zu rechtswidrigen Handlungen, zum Beispiel in Form der Bildung einer „schwarzen Kasse“ oder durch Bestechung von Amtsträgern kam. Neben einer Inanspruchnahme der Aktiengesellschaft auf Grundlage der §§ 130, 30, 9 OWiG besteht die Gefahr, dass unmittelbar Geschädigte diese gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz, wie etwa §§ 263 Abs. 1, 298, 331 ff. StGB, in Anspruch nehmen. Probematisch erscheint mit Blick auf das innerhalb des Gefährdungsschadens zu beachtende Unmittelbarkeitskriterium die Frage, ob ein gegen die AG zu richtender Schadenersatz- oder Bußgeldanspruch infolge der bloßen Nichtexistenz eines Compliance-Systems schon existiert und wie „naheliegend“ seine Realisierung aus Sicht der AG ist.335 Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass bei einem fehlenden oder ineffektiven Compliance-System neben dem Akt der Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs oder der Verhängung eines Bußgeldes regelmäßig noch weitere eigenmächtige Handlungen von Personen336, die für Vorstand und Aufsichtsrat ungewiss oder nicht sicher vorhersehbar sein dürften, notwendig sind, damit es in der AG überhaupt zu einer konkreten Vermögensgefährdung kommen kann.337 (a) M  einungsspektrum zur Schadensrelevanz bei Auslösung von Schadenersatzansprüchen und Sanktionen zum Nachteil der AG Anknüpfungspunkt für eine konkrete Vermögensgefährdung kann richtigerweise nur die aufgrund der Nichteinführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand beziehungsweise durch Nichtüberwachung der Einführung eines solchen durch den Aufsichtsrat in der AG auf Mitarbeiterebene338 zugelassene und möglicherweise zu einem Schadenersatzanspruch des Geschädigten und / oder der Festsetzung eines Bußgelds gegen die AG führende Mitarbeiterstraftat sein. Ob und unter welchen Voraussetzungen das Risiko der Auslösung von Schadenersatzansprüchen oder die Gefahr der Festsetzung von Sanktionen einen (Gefährdungs-)Schaden nach § 266 Abs. 1 StGB begründet, ist nicht abschließend geklärt.339 Das Meinungsbild in Literatur und Rechtsprechung erscheint insoweit auch wenig konsistent zu sein. 335  Theile,

wistra 2010, 462. die Begehung der konkreten Tat. 337  Theile, wistra 2010, 462; LG München I, NZG 2014, 346. 338  Zur Schadensrelevanz bei einer Straftat durch den Vorstand vgl. Schwerdtfeger, S.  138 ff. 339  Zum Streitstand SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 75 f.; BeckOK StGB/Wittig, § 266 Rn. 44.3; Achenbach/Ransiek/Seier, HWSt, 2. Kap., Rn. 200; Schwerdtfeger, S. 138 ff, 141 ff. 336  Insbesondere



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands395

Bereits die Rechtsprechung ist bei der Annahme eines Nachteils gemäß § 266 Abs. 1 StGB uneinheitlich.340 Während insbesondere die ältere Rechtsprechung dazu neigte, einen Gefährdungsschaden im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB anzunehmen, wenn durch die strafrechtswidrige Organ- oder Mitarbeiterhandlung gegenüber einem Dritten der Gesellschaft die Festsetzung einer Sanktion341 oder – wie im Fall Kanther / Weyrauch – die „konkrete Gefahr“ einer „erfolgreichen Inanspruchnahme auf Schadenersatz“ drohe342, verfolgt die jüngere Rechtsprechung einen restriktiveren Weg343 und berücksichtigt – so etwa im Fall Siemens  – mittelbare Vermögensfolgen, wie zivilrechtliche Ansprüche auf Rückabwicklung und die Gefahr des Gewinnverfalls344, entweder nicht oder nimmt einen Vermögensnachteil erst an, wenn bezüglich der Verhängung der Sanktion „kein Ermessen“ besteht.345 Noch restriktiver ist die Linie des 5. Strafsenats in seiner Entscheidung zur Haftung des Leiters einer Innenrevision, wonach das „Risiko“, auf Schadenersatz und Prozesskosten in Anspruch genommen zu werden, wegen der Erforderlichkeit eines Zwischenschritts „nicht unmittelbar“346 sei. In der strafrechtlichen Literatur reichen die Auffassungen von der generellen Ablehnung einer Untreuestrafbarkeit347 über differenzierende Meinungen348 bis zur generellen Befürwortung der Strafbarkeit349 desjenigen, der durch sein Handeln gegenüber außerhalb der AG stehenden Dritten Schadenersatzansprüche und / oder Sanktionen zum Nachteil der AG auslöst.350 Insbe340  Achenbach/Ransiek/Seier, 341  OLG

565.

HWSt, 2. Kap., Rn. 186 ff., 191 ff., 200. Hamm, NJW 1982, 190, 192. Zu Recht kritisch Mosiek, HRRS 2009,

342  BGH NJW 2007, 1760 ff., 1762; 1763; BGH NStZ 2000, 375, 376. Zu Recht kritisch Achenbach/Ransiek/Seier, HWSt 2. Kap., Rn. 191. 343  SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 75. Siehe auch den Überblick bei Schwerdtfeger, S.  141 f. 344  BGH NJW 2009, 89 ff., 91 f. Noch deutlicher BGH NJW 2009, 3173, 3175. 345  So etwa BGH NJW 2011, 1747, 1751. Zu sog. selfexecuting-Sanktionen SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 75a; BeckOK StGB/Wittig, § 266 Rn. 44.3.; Schwerdtfeger, S.  151 ff. 346  BGH NJW 2009 (Berliner Stadtreinigungsbetriebe), 3173, 3175. 347  Achenbach/Ransiek/Seier, HWSt, 2. Kap., Rn. 200 ff., 203 ff.; Mosiek, HRRS 2009, 566; Erb, FS Zoll 2012, 1085 ff.; Schwerdtfeger, S. 149, 152. 348  Saliger, NStZ 2007, 549; MüKoStGB/Dierlamm StGB § 266 Rn. 198; Matt/ Renzikowski/Matt, StGB § 266 Rn. 134; Jäger, FS Otto, 2007, 601 ff.; LK-Schünemann, § 266 Rn. 184. 349  Eine Strafbarkeit generell bejahend: M/G-Schramm Kap. 5, Rn. 140; Burger, Untreue u. a., 286 ff. Überwiegend bejahend: S/S/Perron, § 266 Rn. 37, 45b; ders., NStZ 2008, 517. 350  Siehe auch den Überblick bei Jäger, FS Otto 2007, 593, 598 f.; SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 75; BeckOK StGB/Wittig, § 266 Rn. 44.3.

396

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

sondere Mosiek gelangt unter Rückgriff auf die restriktive Rechtsprechung des 5. Strafsenats bei Auslösen von Schadenersatzansprüchen und Sanktionen zu dem Ergebnis, dass nach dem Unmittelbarkeitsprinzip die Annahme eines Gefährdungsschadens regelmäßig bereits deshalb auszuscheiden habe, weil die „Aufdeckung der Anknüpfungstat“ ein nicht vom Tatplan „erfasster Zwischenschritt“ sei.351 Da die Aufdeckung der Tat einer Entscheidung über die Inanspruchnahme oder Sanktionierung und deren Umsetzung denknotwendig vorauszugehen habe, könne ein „unmittelbarer Schaden“ ausgeschlossen werden.352 Demgegenüber machen Saliger353 und Dierlamm354 den Eintritt eines Gefährdungsschadens davon abhängig, ob der Anspruchsteller oder die Sanktionsinstanz über die Geltendmachung von Ansprüchen oder die Verhängung von Sanktionen frei entscheiden kann oder diesbezüglich in einer Weise gebunden ist, dass die Geltendmachung eines Anspruchs oder die Verhängung einer Sanktion vorgezeichnet ist.355 Die Annahme eines Gefährdungsschadens kommt nach der differenzierenden Ansicht Saligers und Dierlamms unter Beachtung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes somit nur in Betracht, wenn sich der Schadenersatzanspruch beziehungsweise die Sanktion infolge der Pflichtverletzung quasi gleichsam „selbst vollstreckt“356. Nach Saliger sei dies etwa anzunehmen, wenn das Risiko einer materiell zwingenden Ermessensreduzierung auf Null bestehe oder eine gesetzliche Vorschrift mit Verwirklichung der Pflichtverletzung Schadenersatzansprüche auslöse.357 Besteht – wie bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen – ein Entschließungsermessen, scheidet wegen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes die Annahme eines Gefährdungsschadens hingegen aus.358

351  Mosiek,

HRRS 2009, 566; Achenbach/Ransiek/Seier, HWSt, 2. Kap., Rn. 200. HRRS 2009, 566. 353  SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 75, 75a; ders., NStZ 2007, 549; BeckOK StGB/Wittig, § 266 Rn. 44.3. Im Ergebnis wohl auch Schwerdtfeger, S.  148 f., 150 ff., 152, 154, der im deutschen Recht allerdings keine sich selbst vollstreckende Norm als existent ansieht. 354  MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 223, 226 f. 355  SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 75, 75a; MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn.  223, 226 f.; Schwerdtfeger, S. 152, 154; a. A. Mosiek, HRRS 2009, 566. 356  Dezidiert in diese Richtung Saliger, NStZ 2007, 549; SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 75a. 357  SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 75a; ders., NStZ 2007, 549. 358  SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 75a; ders., NStZ 2007, 549. 352  Mosiek,



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands397

(b) Stellungnahme und Bewertung des Strafbarkeitsrisikos Der differenzierenden Auffassung Saligers und Dierlamms ist zuzustimmen, sodass eine Lösung richtigerweise über das Kriterium der Unmittelbarkeit zu erfolgen hat.359 Dem Grundsatz der Unmittelbarkeit kommt im Rahmen der Untreue nicht nur bei Bestimmung der Pflichtverletzung360, sondern auch bei der Nachteilsbestimmung Bedeutung zu.361 Die Auslösung von Schadenersatzansprüchen und Sanktionen auf Mitarbeiterebene begründet daher – ebenso wie das Zulassen von solchen durch den Vorstand auf Leitunsebene beziehungsweise den Aufsichtsrat auf Kontrollebene – nur eine Strafbarkeit wegen Untreue, wenn durch das haftungsbegründende Verhalten eine „unmittelbar und spezifisch zum Schutz des anvertrauten Vermögens bestimmte Pflicht verletzt worden ist“362 und diese Pflichtverletzung zugleich auch auf Nachteilsseite „unmittelbar“363 wirkt. Eine unmittelbare Wirkung der Pflichtverletzung auf Nachteilsseite ist bereits aus Gründen der „Strafgerechtigkeit“ erforderlich.364 Anderenfalls ist nicht zu begründen, weshalb zur Annahme einer schadensausschließenden Kompensation nur unmittelbar auf das Täterhandeln zurückgehende Vermögenszuflüsse berücksichtigungsfähig sind365, während mittelbare Wertminderungen – wie das Auslösen von Schadenersatzansprüchen oder Sanktionen – auf der Nachteilsseite zu Lasten des Beschuldigten gleichwohl strafbarkeitsbegründend berücksichtigt werden dürfen.366 Richtigerweise muss das gleiche Handeln, das auf der Vorteilsseite zur Annahme einer Kompensation verlangt wird, auch auf der Nachteilsseite Geltung beanspruchen.367 Der bei Auslösen von Schadenersatzansprüchen und Sanktionen der Annahme eines Schadens generell bejahend gegenüberstehenden Rechtsprechung und Literaturansicht kann daher nicht gefolgt werden. Diese führt zu einer Ungleichbehandlung, 359  SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 75a; ders., NStZ 2007, 549; MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 223, 226 f.; BeckOK StGB/Wittig, § 266 Rn. 44.3; Schwerdtfeger, S. 148. 360  Für § 266 ist nur die Verletzung solcher Pflichten bedeutsam, die unmittelbar und spezifisch dem Vermögensschutz dienen. Siehe MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 198. 361  Siehe hierzu ausführlich SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 62, 84, der insgesamt vier Bedeutungsebenen der Unmittelbarkeit unterscheidet. 362  MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn. 198. 363  SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 62. 364  SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 62. 365  Ein durch die strafbare Handlung ausgelöster Schadenersatzanspruch der AG gegenüber dem strafrechtswidrig handelnden Vorstandsmitglied führt gerade nicht zu einer Kompensation. Siehe Fischer, StGB § 266 Rn. 168. 366  Mosiek, HRRS 2009, 566; SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 62. 367  Mosiek, HRRS 2009, 566.

398

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

da sie aus der Tathandlung resultierende mittelbare Vermögensvorteile im Rahmen der Kompensation nicht berücksichtigt368, während sie auf der Nachteilsseite mittelbare Vermögensnachteile anerkennt.369 Ebensowenig kann der Auffassung gefolgt werden, die bei der Auslösung von Schadenersatzansprüchen und Sanktionen eine konkrete Vermögensgefährdung generell ablehnt. Diese Ansicht übersieht, dass es gerade im wirtschaftsstrafrechtlichen Kontext Sachverhaltsgestaltungen geben kann, in denen im Anschluss an eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen beziehungsweise die Verhängung von Sanktionen aufgrund der Pflichtverletzung unmittelbar vorgezeichnet sein kann.370 Zur Vermeidung von Strafbarkeitslücken erscheint es in schadensrechtlicher Hinsicht daher sachgerecht, zusammen mit Saliger anhand des Grundsatzes der Unmittelbarkeit danach zu differenzieren, ob durch die zu einem Schadenersatzanspruch gegen die AG führende strafrechtliche Pflichtverletzung automatisch auch eine Schadenersatz- und / oder Sanktionsfolge ausgelöst wird oder nicht.371 Verletzt das strafrechtswidrige Fehlverhalten zugleich eine Schadenersatz- und / oder Sanktionsnorm führt dies zu einer schadensgleichen Vermögensgefahr im Sinne des § 266 StGB nur, wenn die Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs beziehungsweise die Verhängung der Sanktion aus Sicht der AG vorgezeichnet ist, sodass der Vermögenswert infolge der Verlustgefahr bereits gegenwärtig gemindert wird.372 Demgegenüber fehlt es an einer schadensgleichen Vermögensgefährdung, wenn der Geschädigte darüber entscheiden kann, ob er den durch die Mitarbeiterstraftat verursachten Schaden im Wege des Schadenersatzes gegenüber der AG geltend macht oder nicht373. Die mit einer Straftatbegehung auf Ebene der Mitarbeiter einhergehende Gefahr einer Sanktionierung der AG nach § 30 Abs. 1 OWiG führt wegen des insoweit geltenden Opportunitätsprinzips ebenfalls nicht zwingend zur Festsetzung einer das Vermögen der AG schmälernden Gelbuße.374 Fischer, StGB § 266 Rn. 168. StGB, § 266 Rn. 75a; Mosiek, HRRS 2009, 566. 370  So bei der „Kölner Parteispendenaffäre“. Die Vorschrift des § 23a PartG a. F. gewährte dem Präsidenten des Bundestags kein Ermessen bei Verhängung der Sanktion, weswegen die Rückforderung rechtswidrig erlangter Parteispenden „zwingend“ war. Vgl. BGH NJW 2011, 1751. 371  SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 75a; BeckOK StGB/Wittig, § 266 Rn. 44.3. 372  BVerfG, NJW 2010, 3218 m. w. N. in Rn. 138. Siehe auch Fischer, StGB, § 266 Rn. 150; MüKoStGB/Dierlamm StGB § 266 Rn. 211; SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 75a. 373  Mit zutreffender Begründung für Vorstandsstraftaten Schwerdtfeger, S.  149 f. 374  Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, § 30 Rn. 45; Schwerdtfeger, S.  150 ff. 368  Siehe

369  SSW-Saliger,



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands399

(3) Zwischenergebnis In der bloßen Nichtexistenz eines Compliance-Systems kann vor diesem Hintergrund keine schadensgleiche Vermögensgefährdung gesehen werden. Weder die Nichteinführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand noch eine unterlassene Hinwirkung auf die Einführung eines solchen Systems durch den Aufsichtsrat begründen bereits aus sich heraus einen Gefährdungsschaden, da die rechtswidrige und zu einem Bußgeld oder Schadenersatz führende strafrechtlich relevante (Mitarbeiter-)Handlung erst noch durch einen Unternehmensangehörigen begangen und aufgedeckt werden muss. Im Anschluss daran müsste ein potentiell Geschädigter einen Schadenersatzanspruch tatsächlich gegenüber der AG geltend machen. Das pflichtwidrige Verhalten des Vorstands durch Nichteinführung eines tauglichen Compliance-Systems und des Aufsichtsrats durch unterlassene Einwirkung auf den Vorstand bezüglich der Einführung eines solchen ist vom Eintritt eines konkreten Vermögensverlustes – in Gestalt eines durch die Mitarbeiterstraftat augelösten Schadenersatzanspruchs – noch so weit entfernt, dass eine „naheliegende Gefahr des endgültigen Vermögensverlusts“ fernliegt.375 Die Nichteinführung und Nichtüberwachung eines Compliance-Systems stellt sich daher lediglich als abstrakte Vermögensgefährdung dar. cc) Ergebnis Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass ein fehlendes oder unzureichendes Compliance-System auf Ebene der Gesellschaft regelmäßig keinen Vermögensnachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB begründet. Ein solcher lässt sich auch unter dem Aspekt der schadensgleichen Vermögensgefährdung nicht konstruieren. Ein Strafbarkeitsrisiko der Aufsichtsratsmitglieder wegen Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems scheidet im Regelfall aus. 375  Insoweit zutreffend Theile, wistra 2010, 462. Hat der Vorstand etwa keine interne Richtlinie zum Umgang mit ausländischen Amtsträgern erlassen und der Aufsichtsrat hierzu keine Beanstandung vorgenommen oder in Bezug auf die Einführung eines Criminal-Compliance-Systems keinen Zustimmungsvorbehalt begründet, führt dies als solches noch nicht zu einem Vermögensverlust für die AG. Zuerst müsste ein Vertrag mit einem ausländischen Vertragspartner zu Stande kommen, der auf eine Bestechung eines Amtsträgers zurückzuführen ist. Im Anschluss daran müsste ein Mitarbeiter der AG über ein „schwarze Kasse“ eine Zahlung leisten. Erst infolge der immer noch ungewissen Aufklärung des Sachverhalts käme es dann möglicherweise zur Geltendmachung von Schadenersatz- und Bußgeldansprüchen.

400

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

f) Kausalzusammenhang zwischen Nichtüberwachung und Vermögensnachteil Sollte in der AG kein Compliance-System existiert und die Mitglieder des Aufsichtsrats tatsächlich gleichwohl Kenntnis vom Fehlen eines solchen gehabt haben und lagen darüber hinaus konkrete Anhaltspunkte für eine fortdauernde das Vermögen der AG real schädigende oder wenigstens konkret gefährdende Straftatbegehung auf Mitarbeiterebene auch bei Mitgliedern des Aufsichtsrats vor, käme eine Strafbarkeit der Aufsichtsratsmitglieder wegen Untreue durch Unterlassen der Überwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand selbst bei Annahme einer konkreten Vermögensgefährdung letztlich nur dann in Betracht, wenn sich zwischen der Nichtüberwachung und dem in Gestalt einer konkreten Vermögensgefährdung eingetretenen – nach hier vertretener Auffassung zu unterstellenden – Vermögensnachteil ein Kausalzusammenhang nachweisen lässt. aa) An den Kausalitätsnachweis zu stellende Anforderungen Die in der Literatur und Rechtsprechung herrschende Meinung stellt an den zu führenden Kausalitätsnachweis im Bereich der Unterlassungsdelikte strenge Anforderungen und verlangt ausgehend von der conditio-sine-quanon-Formel für eine Quasi-Kausalität des Unterlassens, dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt bei Vornahme der pflichtgemäßen Handlung „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nicht eingetreten wäre.376 Die Unterlassung des Garanten ist für den Eintritt des Erfolges folglich nur kausal, wenn die von ihm erwartete Handlung den Erfolg mit hinreichender Sicherheit verhindert hätte.377 Die Lehre von der Quasi-Kausalität führt in der Praxis zu Beweisschwierigkeiten, wenn der hypothetische Kausalverlauf nicht auf allgemein an­ erkannte und auf tradiertem Wissen beruhende Erfahrungswerte zurückgeführt werden kann.378 Insbesondere bei komplexen Sachverhalten gestaltet sich wegen des zu beachtenden in dubio pro reo-Grundsatzes der Nachweis, dass die Vornahme einer bestimmten Handlung den eingetretenen Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte, als äußerst 376  Aus der Rechtsprechung RGSt 75, 49, 50; BGHSt 6, 1, 2; BGHSt 48, 77, 93; BGH NJW 2003, 526; BGH NStZ 2007, 469. Aus der Literatur Kühl, AT, § 18 Rn. 36, 38; Ransiek, JuS 2010, 492; Kindhäuser, AT § 36, Rn. 14; Rengier, AT, 49/13; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1000; S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 61; LK-Weigand, § 13 Rn. 72; Schilha, § 3, 187. 377  Kaspar, Strafrecht AT, § 10 Rn. 966; Kühl, AT, § 18 Rn. 38, 37. 378  Kaspar, Strafrecht AT, § 10 Rn. 966; Schilha, § 3, 187.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands401

schwierig.379 Die Schwierigkeit, auf Basis der herrschenden Lehre einen Kausalitätnachweis zu führen, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass sich menschliches Verhalten nicht in ein Kausalgesetz einfügt, weshalb sich kein allgemeiner Erfahrungssatz für einen Zusammenhang zwischen der Existenz eines Compliance-Systems und dessen Befolgung durch Unternehmensangehörige bilden lässt. Dieser im Wirtschaftsstrafrecht häufig anzutreffenden Beweisschwierigkeit versucht die von einem beachtlichen Teil des Schrifttums vertretene Risikoverminderungslehre380 zu begegnen. Der Risikoverminderungslehre genügt für eine Zurechnung des eingetretenen Erfolges an den Unterlassenden bereits, dass dieser durch Vornahme einer ihm möglichen Handlung die dem Rechtsgut drohende Gefahr vermindert hätte.381 Die von ihr verfolgte Intention ist zwar begrüßenswert, da sie dem Garanten weitergehende Handlungspflichten auferlegt und dadurch das Ziel verfolgt, die Rettungschance des bedrohten Rechtsguts zu erhöhen.382 Gleichwohl kann sie im Strafrecht aber nicht die Grundlage zur Bestimmung der Kausalität bilden, da sie zu einer Ausdehnung der Unterlassungsstrafbarkeit in den Fällen führt, in denen die Erfolgsabwendung noch höchst unsicher ist.383 An dem Erfordernis der „mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ der Verhinderung des Erfolgseintritts, ist mit der herrschenden Meinung daher festzuhalten, da anderenfalls Verletzungsdelikte entgegen ihrem Wortlaut gesetzeswidrig in bloße Gefährdungsdelikte umgedeutet würden.384 Im Bereich der Erfolgsdelikte, die ihrem Wortlaut nach voraussetzen, dass der Täter einen bestimmten Erfolg „verursacht“385 oder einen solchen „dadurch“386 herbeiführt, dass er eine Handlung nicht vornimmt, genügt es nicht, wenn die eingetretene Rechtsgutsverletzung nur „vielleicht als das 379  Achenbach,

HWSt, I Kap. 3, Rn. 33; Schilha, § 3, 187. Jura 2001, 276, 277; Greco, ZIS 2011, 674 ff., 678; Rudolphi/Stein, StGB Vor § 13 Rn. 32, Fn. 42. Siehe auch die umfangreichen Nachweise bei Kühl, AT, § 18 Rn. 38, Fn. 79. 381  Dies fordern Otto, AT, § 9 Rn. 98 ff.; Rudolphi/Stein, StGB Vor § 13 Rn. 32. Ablehnend Kühl, AT, § 18 Rn. 38. 382  Siehe Kühl, AT, § 18 Rn. 39. 383  So etwa im Verhältnis Arzt und Patient bei der Vergabe von Medikamtenten, vgl. Kühl, AT, § 18 Rn. 39. Gegen die allgemeine Anerkennung der Risikoverminderungslehre spricht schließlich, dass der Gesetzgeber ihre Geltung in § 130 Abs. 1 OWiG explizit angeordnet hat. Einer ausdrücklichen Regelung im Ordnungswidrigkeitenrecht hätte es nicht bedurft, wäre sie allgemein anzuerkennen. Siehe zutreffend LK-Vogel, § 15 Rn. 198. 384  Kühl, AT, § 18 Rn. 38; Lackner/Kühl-Kühl, StGB Vor § 13 Rn. 14a; S/S-Stree/ Bosch, StGB, § 13 Rn. 61; Schilha, § 3, 188. 385  Siehe den Wortlaut der §§ 222, 229 StGB. 386  So der eindeutige Wortlaut des § 266 Abs. 1 StGB. 380  Otto,

402

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Werk des Unterlassenden“ anzusehen ist.387 Für die Mitglieder des Aufsichtsrats bedeutet dies, dass für sie nur die Nichtvornahme einer Handlung strafrechtlich relevant sein kann, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den tatbestandlichen Erfolg verhindert hätte. bb) Anforderungen an „quasi-kausales“ Verhalten des Aufsichtsrats Eine Strafbarkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats wegen Untreue durch Unterlassen der gebotenen Überwachung des Vorstands im Hinblick auf die von diesem geschuldete Compliance gemäß §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 StGB setzt somit voraus, dass die unterlassene Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat „quasi-kausal“ für den Schadenseintritt – hier in Form der vom Vorstand nicht verhinderten schadenskausalen Mitarbeiterstraftat – war. Den Mitgliedern des Aufsichtsrats kann die Nichtverhinderung eines Erfolgs auf Grundlage der conditio-sine-qua-non-Formel nur zugerechnet werden, wenn die unterlassene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele.388 In dem hier interessierenden Kontext läge ein gedachtes quasi-kausales Unterlassen aus Sicht der Aufsichtsratsmitglieder nur vor, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könnte, dass es bei einer hinreichenden Überwachung des Vorstands dahingehend, dass dieser in der AG ein wirksames Compliance-System einführt, zu dem das Gesellschaftsvermögen schädigenden Rechtsverstoß auf Mitarbeiterebene389 nicht gekommen wäre. Die Begründung einer Unterlassungsstrafbarkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats setzt damit unter Kausalitätsgesichtspunkten konkret voraus, dass es zu einer das Gesellschaftsvermögen schädigenden Mitarbeiterstraftat nur deshalb hat kommen können, weil die Aufsichtsratsmitglieder es unterlassen haben, auf die ihnen im Verhältnis zum Vorstand zustehenden gesellschaftsrechtlichen Befugnisse zurückzugreifen und mit diesen auf den Vorstand einzuwirken, damit dieser in der AG ein taugliches Compliance-System einführt. Gerade dieses unterlassene Einwirken – etwa durch Androhung von Personalmaßnahmen gegenüber dem Vorstand, wenn er nicht tätig wird  – hätte den Vorstand dazu bewegen müssen, ein Compliance-System in der AG tatsächlich einzuführen. Ferner wäre festzustellen, dass dieses durch den Vorstand auf Intervention des Aufsichtsrats tatsächlich eingeführte Compli387  Kühl,

AT, § 18 Rn. 39; Schilha, § 3, 188. Strafrecht AT, § 10 Rn. 966; Fischer, StGB, § 13 Rn. 39; BGH, NStZ

388  Kaspar,

2011, 31. 389  Etwa durch Einrichten eines Systems „schwarzer Kassen“ oder durch Zahlung von Bestechungsgeldern aus dieser an ausländische Amtsträger.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands403

ance-System mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die zu einem – nach hier vertretener Auffassung zu unterstellenden – Gefährdungsschaden der AG führenden Mitarbeiterhandlungen verhindert hätte. Dieser strenge Kausalitätsnachweis wird sich in der Praxis aus Sicht der Aufsichtsratsmitglieder nicht führen lassen.390 Selbst ein existierendes Compliance-System bietet schon nicht die absolute Sicherheit zur Verhinderung von unternehmensbezogenen Straftaten durch Unternehmensangehörige, da selbst das beste auf Aufklärung, Abstellung und Ahndung ausgerichtete Compliance-System nicht verhindern kann, dass ein zur Tat entschlossener Unternehmensangehöriger aus dem Unternehmen heraus Straftaten zu Lasten Dritter oder zu Lasten der AG begeht.391 Daher ist es schon höchst fraglich und stark von den Umständen des Einzelfalls abhängig, ob der für die Einführung eines solchen Systems ausschließlich zuständige Vorstand selbst „quasi-kausal“ handelt und sich die Mitarbeiterstraftat im Wege der Geschäftsherrenhaftung überhaupt zurechnen lassen muss.392 Richtigerweise hat eine solche Zurechnung mit Blick auf den Zweifelsgrundsatz regelmäßig bereits gegenüber dem Vorstand auszuscheiden. Der Nachweis, dass die Einführung eines Compliance-Systems als eine bestimmte Organisationsmaßnahme des Vorstands die konkrete Mitarbeiterstaftat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte, lässt sich strafprozessual393 schon nicht mit hinreichender Sicherheit führen.394 Es gibt keinen Erfahrungssatz, 390  Dies nehmen zutreffend auch an Rieder, FS Goette 2011, 423; Schaefer/Baumann, NJW 2011, 3604; Rieder/Holzmann, AG 2011, 270. Demgegenüber hält Pietreck zumindest aus Sicht eines Betriebsinhabers den Kausalitätsnachweis „nicht von vornherein“ für ausgeschlossen. Siehe Pietreck, Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsinabers, 193. 391  Zutreffend Rieder, FS Goette 2011, 423; Bosbach, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 179; Schaefer/Baumann, NJW 2011, 3604. 392  Zum Streitstand Roxin, AT II, § 32 Rn. 134; S/S-Stree/Bosch, § 13, Rn. 53. Zu dieser sehr umstrittenen Frage siehe auch die Untersuchungen von Pietreck, Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsinabers, 159 ff., 193; Zimmermann, Strafbarkeitsrisiken, § 2, 155 ff. 393  Demgegenüber lässt sich zivilprozessual ein kausaler Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden durch Reduzierung des Beweismaßes gemäß § 287 ZPO erreichen. In diese Richtung auch LG München I, NZG 2014, 345 ff.; Fleischer, NZG 2014, 328. 394  Siehe Rieder, FS Goette 2011, 423; Schaefer/Baumann, NJW 2011, 3604. In der strafrechtlichen Literatur wird teilweise vertreten, dass bei Beurteilung der Unterlassungskausalität jedenfalls in den Fällen, in denen dem Unterlassenden eine Erfolgsabwendung nur vermittelt durch die eigenverantwortliche Entscheidung eines Dritten möglich wäre, „stets ein rechtmäßiges Verhalten zu Grunde zu legen ist“. Zu diesem Ansatz siehe insbesondere Lindemann/Sommer, JuS 2015, 1057, 1062; Lindemann, ZJS 2008, 404, 408; Altenhain, NStZ 2001, 188, 190 f. Mit Blick auf die vorliegende Thematik führt dieser Ansatz dazu, dass man zumindest dann, wenn es in

404

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

dass die Einführung einer Richtlinie oder regelmäßige Mitarbeiterschulungen als Teil eines Compliance-Systems die Begehung von Mitarbeiterstraftaten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindern.395 Pauschale Feststellungen dahin, die Einführung eines Compliance-Systems würde zu „einer Sensibilisierung der Mitarbeiter für ihre Rechte und Pflichten“ führen, sodass diese geneigt seien, „weniger Straftaten“ zu begehen396, können den im Rahmen der Unterlassungsstrafbarkeit zu führenden strengen Kausalitätsnachweis nicht ersetzen. Ihre Beachtung liefe letztlich contra legem auf eine Anerkennung der Risokverminderungslehre im Strafrecht hinaus. Eine an diese Unsicherheiten anknüpfende nochmalige – mit weiteren Unsicherheiten vesehene – „quasi-kausale“ Verknüpfung des Unterlassens der Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat mit dem Erfolgseintritt des § 266 Abs. 1 StGB infolge einer vom Vorstand nicht verhinderten Mitarbeiterstraftat muss mit Blick auf den Grundsatz in dubio pro reo aus der Perspektive des Aufsichtsrats erst recht und zwingend ausscheiden. Selbst wenn man die Strafbarkeit wegen Unterlassens aus Sicht der Mitglieder des Aufsichtsrats nicht nur an die Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand knüpft, sondern auf die konkret begangene Mitarbeiterstraftat abstellt, scheidet eine Strafbarkeit der Aufsichtsratsmitglieder zwingend aus. Zum einen trifft diese mangels entsprechender gesellschaftsrechtlicher Einwirkungsbefugnisse schon keine Garantenpflicht, Schädigungen Dritter durch das strafrechtswidrige Handeln Unternehmensangehöriger zu verhindern.397 Zum anderen wird die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder bei Mitarbeiterstraftaten durch das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit wirksam begrenzt.398 Der Aufsichtsrat ist nach der aktienrechtlichen Kompetenzordnung auch weder zuständig zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Mitarbeiterstraftaten, noch verfügt er aktienrechtlich über die hierfür erforderlichen Kompetenzen. der Vergangenheit zu keinen Straftaten auf Mitarbeiterebene gekommen ist, als Regelfall zu untstellen hätte, dass die Mitarbeiter sich legal verhalten und ihre Pflichten auch dann erfüllen, wenn von der Unternehmensleitung – pflichtwidrig – kein Compliance-System in der AG installiert wurde. Die Berufung auf ein möglicherweise rechtswidriges Verhalten des Dritten bliebe dem Unterlassenden in dieser Konstellation versagt. In diese Richtung auch NK-Puppe, Vor 13 ff., Rn. 134; Puppe AT, § 2, Rn. 34, 37; dies., FS Roxin, S. 287, 298. Dagegen kritisch Pietreck, Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsinhabers, S. 191 f. 395  Rieder, FS Goette 2011, 423; Sieber, FS Tiedemann 2008, 473, der zutreffend darauf hinweist, dass Compliance-Programme Kriminalitätsrisiken lediglich „verringern“ können. 396  So aber Pietreck, Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsinabers, 190. 397  Siehe hierzu Teil 5 A. III. 1. c). Diese Auffassung teilt auch Nietsch, CCZ 2013, 194. 398  Siehe hierzu auch unten Teil 5 A. III. 1. c).



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands405

cc) Ergebnis Eine Strafbarkeit der Aufsichtsratsmitglieder wegen Untreue durch Unterlassen der gebotenen Vorstandsüberwachung scheitert daher auch, wenn man – entgegen der hier vertretenen Auffassung – in der Nichteinführung eines Compliance-Systems eine konkrete Gefährdung des Vermögens der AG sieht, an der fehlenden Nachweisbarkeit der Ursächlichkeit der unterlassenen Überwachung des Aufsichtsrats für den tatbestandlichen Erfolg des § 266 Abs. 1 StGB. g) Ergebnis bezüglich des Strafbarkeitsrisikos in objektiver Hinsicht Eine Strafbarkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats gemäß §§ 266 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB wegen Nichtüberwachung der Einführung eines ComplianceSystems durch den hierfür zuständigen Vorstand scheidet im Regelfall mangels strafrechtlich relevanten Schadens aus, da weder die Nichteinführung eines Compliance-Systems noch die Nichtüberwachung eines solchen zu einer realen Vermögensminderung des Gesellschaftsvermögens führt. Erkennen die Mitglieder des Aufsichtsrats, dass in der AG durch den Vorstand kein taugliches Compliance-System implementiert wurde, lässt sich aus deren Sicht ein strafrechtlich relevanter Schaden auch über die Rechtsfigur des Gefährdungsschadens nicht begründen. Die Nichtexistenz eines Compliance-Systems begründet lediglich ein abstraktes Risiko der Begehung von strafbaren Handlungen durch Mitarbeiter in der AG. Ob solche tatsächlich stattfinden, Schadenersatzansprüche und / oder Bußgelder gegen die AG entstehen und durch Geschädigte geltend gemacht werden, hängt noch von zahlreichen – für die Mitglieder des Aufsichtsrats nicht absehbaren – Zwischenschritten ab. Eine unmittelbar aus der Pflichtverletzung folgende naheliegende Gefahr des endgültigen Vermögensverlusts liegt insoweit noch nicht vor. Ein Strafbarkeitsrisiko scheitert aus der Perspektive des Aufsichtsrats in objektiver Hinsicht schließlich auch daran, dass dessen Pflichtverletzung in Gestalt der Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems für den eingetretenen Nachteil in Form einer konkreten Vermögensgefährdung nicht quasi-kausal ist. Insbesondere lässt sich für die Mitglieder des Aufsichtsrats strafprozessual der Nachweis, dass die Einwirkung auf den Vorstand mit dem Ziel der Einführung eines effektiven Compliance-Systems in der AG zur Verhinderung von Mitarbeiterstraftaten eben diese Mitarbeiterstraftat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte, nicht führen. Die Nichtüberwachung der Einführung eines tauglichen Compliance-Systems durch den Aufsichtsrat erfüllt daher auch insoweit nicht den objektiven Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB.

406

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

2. Voraussetzungen für eine Untreuestrafbarkeit in subjektiver Hinsicht Darüber hinaus scheitert eine Strafbarkeit der Aufsichtsratsmitglieder wegen Untreue durch Unterlassen bei Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand nach §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 Abs. 1 StGB in der Regel auch in subjektiver Hinsicht, da sich ein Vorsatz der Aufsichtsratsmitglieder anhand objektiver Anknüpfungstatsachen praktisch ebenfalls kaum feststellen lassen wird. Der subjektive Tatbestand der Untreue durch Unterlassen setzt nach allgemeinem Verständnis voraus, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats wenigstens bedingt vorsätzlich in Kauf399 nehmen, dass es durch die Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand in der AG zu einer Straftatbegehung auf Mitarbeiterebene mit der Folge einer konkreten Gefährdung des Vermögens der AG kommt. Neben der Pflichtverletzung in Gestalt des Unterlassens der geschuldeten Compliance-Überwachung muss sich der Vorsatz der Aufsichtsratsmitglieder zudem auf den Vermögensnachteil beziehen.400 Schließlich setzt der subjektive Tatbestand der Untreue durch Unterlassen voraus, dass die Aufsichtsratsmitglieder die tatsächlichen Umstände erfasst haben, die ihre Handlungspflicht gegenüber dem Vorstand begründen und ihnen die Möglichkeit der Erfolgsverhinderung auch bewusst ist.401 Aufgrund der Weite des objektiven Untreuetatbestands stellt die Rechtsprechung zur Begrenzung der Strafbarkeit an den Nachweis des subjektiven Tatbestands bei nur bedingt vorsätzlichem Handeln sowie bei Handeln durch Unterlassen „strenge Anforderungen“, wenn der Täter nicht eigennützig gehandelt hat.402 Der von der Rechtsprechung unternommene Versuch, den Tatbestand der Untreue auf subjektiver Ebene einzuschränken, ist begrüßens399  Bedingter Vorsatz genügt zur Annahme des subjektiven Tatbestands der Untreue. Siehe BGH NJW 1975, 1236; Fischer, StGB, § 266 Rn. 171; Helmrich, NZG 2011, 1255. 400  Fischer, StGB, § 266 Rn. 172, 175 ff. 401  BGHSt 19, 295, 299; 46, 373, 379; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1030. Da die aus der Garantenstellung folgende Garantenpflicht nicht zum Tatbestand der unechten Unterlassungsdelikte gehört, muss diese auch nicht vom Vorsatz der Aufsichtsratsmitglieder umfasst sein, sodass die Kenntnis des konkreten Garantengebots nicht erforderlich ist und ein Irrtum über die Gebotswidrigkeit den Tatbestandsvorsatz unberührt lässt. So der Große Senat in BGHSt 16, 155 und die h. M. in der Literatur, vgl. nur Fischer, StGB, § 16 Rn. 17; Schilha, § 3, 186. 402  BGHSt 3, 23, 25; 46, 34 f.; 47, 295, 302; 48, 331, 347 f. Zu Recht kritisch Fischer, StGB, § 266 Rn. 176; Helmrich, NZG 2011, 1255; Zimmermann, Strafbarkeitsrisiken, § 2, 122.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands407

wert. Dogmatisch vermag er allerdings nicht zu überzeugen. Zum einen lässt sich über „strengere“ Beweisanforderungen an den bedingten Vorsatz eine rechtliche Einschränkung der objektiven Tatbestandsmerkmale nicht erreichen, da es sich insoweit um eine Rechts- und nicht um eine Tatfrage handelt.403 Zum anderen lässt die Rechtsprechung offen, weshalb und anhand welcher zusätzlichen (konkreten) Erfordernisse der Nachweis des bedingten Vorsatzes der Untreue anderen, respektive strengeren, Maßstäben folgen sollte als zum Beispiel der des Betruges oder der veruntreuenden Unterschlagung.404 Die verfassungsrechtlich gebotene Restriktion des Untreuetatbestandes hat daher – wie oben bereits dargelegt – ausschließlich auf objektiver Ebene durch Beschränkung des Merkmals der Pflichtverletzung auf „gravierende“ beziehungsweise „evidente“ Pflichtverletzungen zu erfolgen.405 Dadurch dürfte der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit strafgerichtlicher Entscheidungen im Ergebnis mehr gedient sein als mit einem auf einen vagen und wenig konkreten Tatbestand bezogenen Vorsatz.406 Daher erscheint es für die Feststellung des bedingten Vorsatzes innerhalb des Untreuetatbestands vorzugswürdig, die allgemeinen Vorsatzregeln anzuwenden. Besonders umstritten und von der soeben diskutierten Thematik zu unterscheiden ist die Frage, welche Anforderungen an den (bedingten) Vorsatz zu stellen sind, wenn lediglich ein Gefährdungsschaden vorliegt.407 Zur Feststellung des bedingten Vorsatzes eines „Gefährdungsschadens“ reicht es wegen der im Bereich der Untreue problematischen Vorverlagerung der Vollendung nach der Rechtsprechung des 2. Strafsenats nicht aus, wenn der Täter zwar die Gefahr eines endgültigen Vermögensnachteils kennt oder für möglich hält und billigt, ihre Realisierung aber unbedingt vermeiden will und sich mit ihr auch nicht abfindet.408 Das Restriktionspotential dieser Ansicht liegt darin, dass die Annahme des bedingten Vorsatzes eines Gefährdungsschadens nicht nur die Kenntnis des Täters von der konkreten Möglichkeit eines Schadens­ eintritts und das Inkaufnehmen dieser konkreten Gefahr voraussetzt, sondern Fischer, StGB, § 266 Rn. 176. StGB, § 266 Rn. 176 unter zutreffendem Hinweis auf die insoweit unklare Rechtsprechung in BGHSt 47, 148, 157. 405  Siehe hierzu oben Teil  5 A. II. 1. c) aa). Zutreffend MüKoStGB/Dierlamm § 266 Rn. 281. 406  Zutreffend MüKoStGB/Dierlamm § 266 Rn. 281. 407  Zum Streitstand siehe ausführlich Fischer, StGB, § 266 Rn. 177 ff.; Kindhäuser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB 4. Aufl., § 266 Rn. 123. 408  BGHSt 51, 100, 121 Rn. 63 ff. = NJW 2007, 1760; Fischer, StGB, § 266 Rn. 181 m. w. N. Dieser Rechtsprechung aus der Literatur zu Recht kritisch gegenüberstehend Helmrich, NZG 2011, 1255; Leipold, FS Mehle 2009, 351 f.; Adick, HRRS 2010, 463 ff. 403  Zutreffend 404  Fischer,

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

darüber hinaus eine „Billigung der Realisierung dieser Gefahr“, sei es auch nur in der Form, dass der Täter sich mit dem Eintritt des ihm unerwünschten Erfolgs abfindet.409 Die vom 2. Strafsenat praktizierte Restriktion ist zwar auch an dieser Stelle begrüßenswert, da sie zu einer Begrenzung der Strafbarkeit führen soll. Dogmatisch kann sie aber ebenfalls nicht überzeugen. Der Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB liefert keinen Anknüpfungspunkt für ein zusätzliches subjektives Kriterium. Dieses wird „systemwidrig“410 in den Tatbestand des § 266 StGB hinein konstruiert.411 Ebenso bleibt nach der Rechtsprechung des 2. Strafsenats offen, welche Anforderungen an das voluntative Element konkret zu stellen sind. Die tatrichterliche Feststellung der voluntativen Komponente des bedingten Vorsatzes ist schließlich mit so erheblichen Unsicherheiten belastet, dass die erforderliche Bestimmtheit des Tatbestandes im subjektiven Bereich nicht hinreichend präzise hergestellt werden kann.412 Eine Tatbestandsrestriktion hat damit auch im Bereich des Gefährdungsschadens anhand objektiver Kriterien – sei es durch restriktive Anwendung des Merkmals der Pflichtwidrigkeit413 oder durch restriktive Auslegung der Figur der schadensgleichen Vermögensgefährdung414 zu erfolgen. 409  BGH NJW 2007, 1760. Zur Fortführung dieser Rechtsprechung durch den 2. Strafsenat siehe BGH NJW 2010, 1764. Der Rechtsprechung des 2. Strafsenats hat sich der 5. Strafsenat angeschlossen. Siehe BGH 52, 182 = NJW 2008, 1827. Siehe auch Adick, HRRS 2008, 462. Einen dezidiert anderen Standpunkt vertritt der 1. Strafsenat des BGH. Das Problem der Vorverlagerung der Strafbarkeit, das sich durch die Anerkennung eines Gefährdungsschadens ergibt, soll nicht durch besondere Anforderungen im Rahmen des subjektiven Tatbestandes gelöst werden, sondern durch eine präzise Begriffsverwendung unter exakter Betrachtung des tatsächlichen wirtschaftlichen Nachteils zum Zeitpunkt der pflichtwidrigen Handlung bei genauer Feststellung dessen, worauf sich das Wissen und Wollen des Täters erstreckt. Der 1. Strafsenat sieht damit die bei Risikogeschäften regelmäßig einschlägige Figur der schadensgleichen Vermögensgefährdung bereits als einen zum Zeitpunkt der pflichtwidrigen Handlung unmittelbar eingetretenen Vermögensnachteil an. Siehe BGH NJW 2008, 2452; Kindhäuser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB § 266 Rn. 123. 410  Zutreffend Kindhäuser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB § 266 Rn. 123. 411  Der Rechtsprechung des 2. Strafsenats wird in der strafrechtlichen Literatur daher auch zutreffend der Einwand entgegengehalten, dass die von ihm konstruierte subjektive Einschränkung den Tatbestand des § 266 StGB zu einem Delikt mit „schwach überschießender Innentendenz“ mache. Siehe Bernsmann, GA 2007, 229 ff., 230; Adick, HRRS 2008, 463. 412  Zutreffend S/S/Perron StGB § 266 Rn. 50. 413  In diese Richtung Adick, HRRS 2008, 464. 414  So Kindhäuser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB § 266 Rn. 123. In diese Richtung dürfte auch die Entscheidung des BVerfGE 126, 170 deuten, wonach



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands409

Bei Beurteilung der Frage, ob sich die Mitglieder des Aufsichtsrats wegen Untreue durch Unterlassen strafbar machen, weil sie die Einführung eines Compliance-Systems durch den dafür zuständigen Vorstand415 nicht überwacht haben, dürfte eine Strafbarkeit in subjektver Hinsicht regelmäßig bereits nach den allgemeinen Vorsatzregeln ausscheiden, sodass es eines Rückgriffs auf die restriktive Rechtsprechung des 2. Strafsenats zum Vorsatz des Gefährdungsschadens nicht bedarf. Unter Zugrundelegung der allgemeinen Vorsatzregeln lässt sich ein vorsätzliches Handeln der Mitglieder des Aufsichtsrats bei Nichtüberwachung der Einführung eines ComplianceSystems bei lebensnaher Betrachtung in der Praxis kaum feststellen. Die Strafverfolgungsbehörden müssten insoweit Anknüpfungstatsachen ermitteln, aus d ­enen sich für den Tatrichter der Schluss ergäbe, dass die Aufsichtsratsmitglieder durch Nichtausübung der Überwachung den Eintritt eines Vermögensnachteils billigend in Kauf genommen haben.416 Ein billigendes Inkaufnehmen der durch die Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems möglicherweise herbeigeführten konkreten Gefahr417 wird sich bei den Mitgliedern des Aufsichtsrats bereits deshalb nicht feststellen lassen, weil hierüber im Aufsichtsrat keine formalen Beschlüsse gefasst werden. Die Strafverfolgungsbehörden werden daher regelmäßig keine verobjektivierbaren Anknüpfungstatsachen ermitteln können, die Aufschluss darüber geben, weshalb der Aufsichtsrat von der Überwachung der Einführung eines Compliance-Systems tatsächlich abgesehen hat und welche Motive er bei Ausübung beziehungsweise Nichtausübung der Überwachung konkret verfolgte. In der Praxis wird es sich vielmehr so verhalten, dass die Aufsichtsratsmitglieder die mit der Nichteinführung eines Compliance-Systems für das die Feststellung eines Gefährdungsschadens gerade eine tragfähige Berechnung erfordert. 415  Siehe insbesondere das für den Vorstand der AG bedeutsame Urteil des BGH vom 06.09.2016 = BeckRS 2016, 21181, wonach die allgemeine Erwägung eines Compliance-Systems nicht nachträglich die Kenntnis von schwarzen Kassen entfallen lässt, wenn der Angeklagte zuvor die schwarze Kasse selbst führte und Hinweise auf den Fortbestand der inoffiziellen Verrechnungskonten hatte. Siehe auch Lorenz, GWR, 2017, 12 f., der den für die Praxis zutreffenden Schluss zieht, dass ein „Sonderwissen“ über schwarze Kassen oder andere rechtswidrige Strukturen nicht durch die bloße Einführung eines Compliance-Systems untergeht. 416  Rotsch, JA 2013, 282; M/G-Schramm, Kap. 5 Rn. 141. Entgegen der Auffassung des 2. Strafsenats müssen die Aufsichtsratsmitglieder nicht auch dessen „Realisierung“ billigen. 417  Nach hier vertretener Auffassung führt schon die Nichteinführung eines Compliance-Systems durch den dafür zuständigen Vorstand nicht zu einer konkreten Vermögengefährdung des Gesellschaftsvermögens. Siehe hierzu oben Teil 5 A. II. 1. e) bb) (2).

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Gesellschaftsvermögen einhergehende Gefahr, welche in der vom Vorstand nicht verhinderten Straftatbegehung auf Mitarbeiterebene besteht, fahrlässig oder grob fahrlässig verkannt haben und deshalb von einer Überwachung des Vorstands im Hinblick auf dessen Compliance-Aktivitäten abgesehen haben.418 3. Ergebnis und Bewertung des Strafbarkeitsrisikos bei Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems Abschließend lässt sich damit festhalten, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats unter dem Gesichtspunkt der Überwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand kein Untreuerisiko gemäß §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 Abs. 1 StGB trifft. Der Nachweis, dass die Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Aufsichtsrat oder einen von ihm gebildeten Ausschuss den Tatbestand der Untreue durch Unterlassen erfüllt, lässt sich weder in objektiver noch subjektiver Hinsicht führen. Ein strafrechtliches Risiko der Mitglieder des Aufsichtsrats, sich gemäß §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 Abs. 1 StGB wegen Unterlassung der Überwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand strafbar zu machen, existiert somit de lege lata nicht. Von diesem strafrechtlichen Ergebnis unberührt bleibt jedoch das Risiko der Aufsichtsratsmitglieder bei Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems in der AG bei Eintritt eines durch eine Mitarbeiterstraftat verursachten Schadens von der Aktiengesellschaft im Rahmen der zivilrechtlichen Organhaftung gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 AktG in Anspruch genommen zu werden. Eine unter Anwendung zivilprozessualer Beweiserleichterungen419 gegebenenfalls bewirkte strengere zivilrechtliche Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats bei Überwachungspflichtverletzungen im Bereich der Compliance mit der Folge einer Divergenz von zivil- und strafrechtlicher Haftung spiegelt das asymmetrische Verhältnis von Zivil- und Strafrecht wider und ist Ausdruck eines sekundären Strafrechts.

418  Baumert, CCZ 2013, 266; Helmrich, NZG 2011, 1255; Stree, FS Cramer/ Wessels 1993, 567; Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29, 33; Pietreck, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 197. 419  Zur Anwendung des § 287 ZPO im Bereich der Schadensfeststellung und des Nachweises der Kausalität siehe LG München, NZG 2014, 345 ff.; Fleischer, NZG 2014, 327 f.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands411

III. Strafrechtliche Haftungsrisiken der Mitglieder des Aufsichtsrats bei unmittelbaren Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands Von der soeben diskutierten Frage, ob die Verletzung der Pflicht zur Überwachung der Einführung eines an den individuellen Bedürfnissen der AG orientierten Compliance-Systems durch den Vorstand für den Aufsichtsrat strafrechtlich relevant werden kann, ist zu trennen, welche strafrechtlichen Pflichten die Mitglieder des Aufsichtsrats treffen, wenn Anhaltspunkte dafür existieren, dass Vorstandsmitglieder unmittelbar in einen strafrechtlichen Sachverhalt verwickelt sind. In dieser Situation geht es nicht um die Überwachung der Einführung eines „abstrakten“ Organisationssystems und dessen Tauglichkeit, strafbares Verhalten in der AG auf Mitarbeiterebene aufzuklären, abzustellen und zu ahnden, sondern um den konkreten Verdacht einer strafbaren Handlung auf Ebene des Vorstands. Der Aufsichtsrat hat in dieser Konstellation den Vorstand gemäß § 111 Abs. 1 AktG auf dessen eigene „Compliance-Konformität“ hin zu überwachen und bei erkannten Missständen unter Rückgriff auf seine Handlungsmöglichkeiten durch Aufklärung420, Abstellung421 und Ahndung422 direkt gegenüber diesem zu reagieren. Neben einer Strafbarkeit des Aufsichtsrats wegen Untreue durch Unterlassen zum Nachteil der Gesellschaft käme ein Strafbarkeitsrisiko in der Gestalt in Betracht, dass sich die Aufsichtsratsmitglieder parallel zu den strafbar handelnden Mitgliedern des Vorstands wegen der von diesen  – gegenüber Dritten beziehungsweise gegenüber der AG – begangenen Tat selbst durch Unterlassen strafbar machen, weil sie die Tat des Vorstands nicht verhindert haben423. Aus Sicht des Aufsichtsrats stellt sich insoweit die Frage, ob und in welchem Umfang er für ein eigenverantwortliches strafrechtliches Verhalten des Vorstands  – wenn dieser etwa betrügerische Handlungen vornahm, Schmiergeldzahlungen veranlasste oder billigte, an Kartellabsprachen beteiligt war, ungesicherte Akquisitionsfinanzierungen tätigte oder die Einrichung und Führung einer schwarzen Kasse in der AG duldete424 – strafrechtlich haftbar sein kann. 420  Siehe

hierzu die Ausführungen in Teil 3 C. III. 1. hierzu die Ausführungen in Teil 3 C. III. 2. b) und c). 422  Siehe hierzu die Ausführungen in Teil 3 C. III. 2. a). Siehe auch Teil 3 C. III. 2. c). 423  Zu konkreten Strafbarkeitsrisiken der Aufsichtsratsmitglieder in dieser Konstellation siehe die insoweit ausführliche Darstellung von Schwerdtfeger, S. 32, 65 ff., 178 ff., 213 ff. 424  Siehe Wagner/Spemann, NZG 2015, 947; Brand/Petermann, WM 2012, 64. 421  Siehe

412

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Bevor sogleich die Strafbarkeitsrisiken der Mitglieder des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit der Überwachung des Vorstands bei strafrechtswidrigem Verhalten durch diesen untersucht werden, ist vorab zu klären, ob die Aufsichtsratsmitglieder über ihre im Rahmen des § 266 Abs. 1 StGB bestehende Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Vermögens der AG hinaus425 auch eine Überwachungsgarantenstellung zur Verhinderung von Straftaten durch den Vorstand zukommt. Um diese in Literatur und Rechtsprechung umstrittene Frage einordnen zu können, ist die wiederum umstrittene dogmatische Frage nach den strafrechtstheoretischen Grundlagen zur Begründung einer Garantenstellung „vor die Klammer“ zu ziehen und näher zu untersuchen. 1. Strafrechtstheoretische Grundlagen zur Begründung einer Garantenstellung Ausgangspunkt für die Frage, ob die Aufsichtsratsmitglieder eine Garantenstellung trifft, ist die Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB. Diese setzt für die Gleichstellung des Unterlassens mit einem Tun voraus, dass der Unterlassende rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt. Aufgrund des Erfordernisses des rechtlichen Einstehenmüssens lässt sich aus § 13 Abs. 1 StGB, trotz der offenen Formulierung, in negativer Hinsicht wenigstens ableiten, dass moralisch oder sozialethisch gebotene Einstandspflichten für andere, deren Rechtsgüter in Gefahr sind, als Garantenstellungen begründende Pflichten jedenfalls auszuscheiden haben.426 Demgegenüber lässt sich der Regelung des § 13 Abs. 1 StGB in positiver Hinsicht gerade nicht entnehmen, unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen eine Garantenstellung anzunehmen ist, die den Garanten von den übrigen Rechtsunterworfenen abhebt und zum Schutz eines bestimmten Rechtsguts vor einem drohenden tatbestandsmäßigen Erfolg verpflichtet.427 Ein einheitliches und dogmatisch anerkanntes Prinzip zur Begründung von Garantenstellungen existiert bis heute nicht.428 Bei der Begründung von Garantenstellungen stehen sich in der strafrechtlichen Literatur zwei in ihrer methodischen Ausrichtung unterschiedliche Legitimationsansätze gegenüber. 425  Siehe

hierzu bereits oben Teil 5 A. II. 1. d) cc). Bestimmtheit dieser Vorschrift BVerfG NJW 2003, 1030; Kühl, AT § 18 Rn. 41. Zur verfassungsrechtlichen Kritik siehe Schwerdtfeger, S. 159. 427  Roxin, AT II, § 32 Rn. 1. 428  Kühl, AT § 18 Rn. 42; ders., JuS 2007, 500; S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 15; Roxin, AT II, § 32 Rn. 2, der in der Gleichstellungsproblematik bei den unechten Unterlassungsdelikten das noch umstrittenste und „dunkelste Kapitel“ in der Dogmatik des Allgemeinen Teils sieht. 426  Zur



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands413

a) Formelle Rechtspflichttheorie versus materielle Legitimationsansätze Während noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Rechtsprechung und im strafrechtlichen Schrifttum die formelle Rechtspflichttheorie herrschend war429, stellt der überwiegende Teil der Literatur bei Begründung von Garantenstellungen heute auf inhaltlich-materielle Erwägungen ab.430 Innerhalb der einen materiellen Entstehungsgrund fordernden Vertreter ist dann aber wiederum umstritten, ob sich ein einheitliches alle Garantenstellungen umfassendes, materielles Legitimationskonzept begründen lässt431 oder ob die Garantenpflichten nicht vielmehr auf Basis der auf Armin Kaufmann zurückgehenden Funktionenlehre432 in zwei Gruppen einzuteilen sind, denen jeweils ein eigenes Haftungskonzept zugrunde liegt.433 aa) Keine Legitimation durch die formelle Rechtspflichttheorie Die zum Teil noch heute im strafrechtlichen Schrifttum vertretene formelle Rechtspflichttheorie434 ist in Übereinstimmung mit Roxin und den überwiegenden Stimmen im Schrifttum als alleinige Grundlage zur Begründung einer Garantenstellung abzulehnen, da sie sich nur am Entstehungsgrund der Garantenstellung orientiert und die Frage nach den inhaltlichen Kriterien zur Bestimmung einer strafrechtlich relevanten Garantenstellung vernachlässigt.435 429  Aus der Rechtsprechung RGSt 64, 273, 276 f.; RGSt 69, 321, 323; RGSt 73, 389, 391. Die Lehre wird auch als „Rechtsquellenlehre“ bezeichnet, vgl. Joecks, StGB § 13 Rn. 28. Siehe zum Begriff auch Kühl, AT § 18 Rn. 43, Fn. 86. Zu dieser Lehre kritisch Roxin, AT II, § 32 Rn. 4; NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 30. 430  S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 15; Heuchemer, in: Heintschel-Heinegg, StGB § 13 Rn. 34.1; NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 31. In diese Richtung wohl auch BGHSt 19, 167, 168. 431  Zu monistischen Erklärungsansätzen siehe den Überblick bei Schilha, § 3, S.  113 ff. 432  A. Kaufmann, 1959, 282 ff., 283; Roxin, AT II, § 32 Rn. 6. 433  Heuchemer, in: Heintschel-Heinegg, StGB § 13 Rn. 35. Siehe auch Schilha, § 3, S. 111. 434  Baumann/Weber/Mitsch, AT, 11. Aufl., § 15 Rn. 52 ff. Im Ausgangspunkt auf die formelle Rechtsquellenlehre abstellend SSW-Kudlich, StGB, § 13 Rn. 17; Lackner/Kühl-Kühl, StGB § 13 Rn. 7; Kühl, JuS 2007, 500. Siehe m. w. N. auch Roxin, AT II § 32 Rn. 5 Fn. 11. 435  Roxin, AT II, § 32 Rn. 10 ff.; Heuchemer, Heintschel-Heinegg, StGB § 13 Rn. 34.1; NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 31; S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 15; Schilha, § 3, 109 ff.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Der im Kern auf die Überlegungen von Ludwig Feuerbach436 zurückgehende Ansatz verlangt für das Entstehen einer Garantenstellung einen (außerstrafrechtlichen) Entstehungsgrund.437 Die Annahme einer Garantenstellung soll danach einen „besonderen Rechtsgrund, durch welchen die Verbindlichkeit zur Begehung begründet wird“438 voraussetzen. Die zur Begründung einer Garantenstellung erforderlichen rechtlichen Entstehungsgründe beschränkten sich in Anlehnung an Feuerbach bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst auf gesetzliche und vertragliche Rechtspflichten.439 Mit Anerkennung einer Garantenpflicht aus vorangegangenem Tun durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts440 und durch Einbeziehung enger Lebens- und Gefahrgemeinschaften in den Kreis der Garantenstellungen441, wurde der bis dahin streng auf vertragliche und gesetzliche Entstehungsgründe beschränkte formale Ansatz in zweifacher Hinsicht durchbrochen.442 Diese durch die Rechtsprechung vollzogene Durchbrechung der formellen Rechtspflichttheorie zeigt bereits, dass eine ausschließlich an den formalen Entstehungsgründen „Gesetz“ und „Vertrag“ orientierte Garantendogmatik in der Praxis zu kurz greift, da in Gestalt der Garantenstellungen aus „Ingerenz“ und „enger Lebensgemeinschaft“ noch weitere, von vertraglichen oder gesetzlichen Rechtsgründen losgelöste Gründe für Garantenpflichten existieren.443 Dass eine strafrechtliche Erfolgsabwendungspflicht nicht allein von der Existenz einer gesetzlichen oder vertraglichen Regelung abhängt, zeigt auch die Überlegung, dass selbst Handlungspflichten normierende strafrechtliche „Gesetze“, wie § 323c StGB oder § 138 StGB, nicht zwingend Erfolgsabwendungspflichten begründen.444 Folglich können Handlungspflichten be436  Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts, 14. Aufl., 1874, § 24; Roxin, AT II, § 32 Rn. 3; SSW-Kudlich, StGB, § 13 Rn. 16. 437  Joecks, StGB § 13 Rn. 28. 438  Roxin, AT II, § 32 Rn. 3. 439  Siehe Roxin, AT II, § 32 Rn. 3; SSW-Kudlich, StGB, § 13 Rn. 16; Schilha, § 3, 109 f. 440  RGSt 24, 339 f.; RGSt 64, 273, 276. Siehe auch Roxin, AT II, § 32 Rn. 3. 441  RGSt 66, 71, 73 f.; RGSt 69, 321, 322 ff.; RGSt 74, 309, 310 f.; Roxin, AT II, § 32 Rn. 4. 442  Roxin, AT II, § 32 Rn. 3 f.; Schilha, § 3, 110. 443  NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 30; Roxin, AT II, § 32 Rn. 10, der zutreffend darauf hinweist, dass die formelle Rechtspflichttheorie der „tatsächlich praktizierten Judikatur keine tragfähige Begründung mehr geben kann“. Zutreffend auch Schilha, § 3, 110. 444  Roxin, AT II, § 32 Rn. 11; NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 31; Lackner/ Kühl-Kühl, StGB § 13 Rn. 7; BGHSt 3, 65, 67.



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gründende außerstrafrechtliche Gesetze erst recht nicht ohne weitere Begründung strafrechtliche Erfolgsabwendungspflichten legitimieren.445 Ebenso wenig lässt sich aus dem von der formellen Rechtspflichttheorie herangezogenen Entstehungsgrund des „Vertrages“ eine Garantenstellung ableiten, da anerkannt ist, dass der Vertragsabschluss als solcher für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht genügt, solange die aus ihm folgenden Pflichten von dem Vertragspartner nicht auch „tatsächlich übernommen“ worden sind.446 Umgekehrt lässt sich eine Garantenstellung – etwa im Fall eines Bergführers, der trotz Nichtigkeit des Vertrags eine Bergführung tatsächlich übernommen hat  – auch bejahen, wenn der Vertag unwirksam ist, weil er wirksam angefochten wurde.447 Das formale Abstellen auf Gesetz oder Vertrag kann für eine strafrechtliche Erfolgsabwendungspflicht daher als Legitimationsgrundlage allein nicht genügen, da es die konkrete rechtliche Stellung des Unterlassenden448 sowie dessen tatsächliche Beziehung zu dem bedrohten Rechtsgut unberücksichtigt lässt und darüber hinaus kein inhaltlich greifbares Kriterium zur Bestimmung einer strafbewehrten Handlungspflicht liefert.449 Die formelle Rechtspflichttheorie legt gerade nicht offen, anhand welcher materieller Wertungskriterien der strafrechtliche Pflichtumfang bestimmt wird.450 Dies ist aber sowohl aus Gründen der Bestimmtheit gemäß Art. 103 Abs. 2 GG451 als auch mit Blick auf die nach § 13 Abs. 1 StGB erforderliche Handlungsäquivalenz aus rechtlichen Gründen erforderlich. Die Ableitung 445  Roxin, AT II, § 32 Rn. 11. In diese Richtung deutet auch die Lederspray-Entscheidung des BGH, wenn dieser feststellt, dass die „schadenersatzorientierten Haftungsprinzipien des Zivilrechts nicht unbesehen zur Bestimmung strafrechtlicher Verantwortlichkeit benutzt werden dürfen“. Siehe insoweit ausdrücklich BGHSt 37, 106, 115. 446  BGHSt 39, 392, 399; Roxin, AT II, § 32 Rn. 13; NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 31. 447  Roxin, AT II, § 32 Rn. 13. 448  Für die Annahme einer strafrechtlichen Erfolgsabwendungspflicht ist es erforderlich, dass die aus Gesetz oder Vertrag folgende Pflicht gerade auch dem Schutz des bedrohten Rechtsguts dient. Siehe hierzu S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 8; LK-Weigand, § 13 Rn. 21; Rudolphi, NStZ 1991, 364; Schilha, § 3, 110, der zutreffend darauf hinweist, dass sich die „normative Intention“ nicht bloß als ein „zufälliger Schutzreflex“ darstellen dürfe. 449  Eine solche ist auch dann, wenn man den Topos „Gesetz“ als Quelle von Garantenpflichten heranzieht, regelmäßig durch Auslegung der Norm zu ermitteln. Siehe in diese Richtung auch NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 31; Schwerdtfeger, S.  160 f. 450  S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 8; Schünemann, FS Amelung 2009, 303, 312. 451  Zu den aus dem Bestimmtheitsgebot gegen die formelle Rechtspflichttheorie abgeleiteten Einwänden NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 31.

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von Garantenpflichten durch bloße Feststellung einer gesetzlichen oder vertraglichen Pflichtverletzung ersetzt nicht die gemäß § 13 Abs. 1 StGB erforderliche Begründung, weshalb die Nichtabwendung des Erfolgs in ihrem Unwert der Verwirklichung des Tatbestandes durch aktives Tun entspricht.452 Die formelle Rechtspflichttheorie hat daher als alleinige Legitimationsgrundlage453 zur Begründung einer Garantenstellung auszuscheiden. bb) Materielle Ansätze zur Legitimation der Garantenhaftung Die soeben aufgezeigten Defizite der formellen Rechtspflichttheorie in Form mangelnder Bestimmtheit und fehlender Begründung der Begehungsgleichwertigkeit lassen sich gegebenenfalls überwinden, wenn man zusammen mit der im strafrechtlichen Schrifttum heute überwiegenden Auffassung versucht, die nach § 13 Abs. 1 StGB erforderliche Gleichwertigkeit zwischen Tun und Unterlassen anhand sachlich inhaltlicher Kriterien zu bestimmen.454 Auch wenn im Ergebnis weitgehend Einigkeit darin besteht, dass eine Garantenhaftung nach § 13 Abs. 1 StGB durch materielle Erwägungen zu begründen ist, herrscht bei der Frage Uneinigkeit, auf welcher methodischen Grundlage und anhand welcher Kriterien dies konkret zu erfolgen hat. Umstritten ist insbesondere, ob sich sämtliche Garantenstellungen im Sinne eines „Fundamentalprinzips“455 auf einen gemeinsamen materiellen Kern zurückführen lassen456 oder ob Garanten nicht vielmehr nach Funktionen in zwei – jeweils unterschiedliche Haftungskonzepte verfolgende – Gruppen als Beschützergaranten mit Obhutspflichten für bestimmte Rechtsgüter und Überwachungsgaranten mit Sicherungspflichten einzuteilen sind.457 Schließlich 452  In

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diese Richtung zutreffend auch Schilha, § 3, 111; Vogel, Norm und Pflicht,

453  Hieraus folgt jedoch nicht, dass bei der Bestimmung von Garantenpflichten ein Rückgriff auf normative Grundlagen gänzlich zu unterbleiben hat. Ein Gesetz kann auch bei Ablehnung der formellen Rechtspflichttheorie für die Begründung einer Garantenpflicht Anknüpfungspunkt sein, wenn anhand materieller Kriterien festgestellt werden kann, dass mit der gesetzlichen Ausgestaltung einer Pflichtenstellung auch strafrechtliche Pflichten einhergehen. Eine zusätzliche normative Anbindung trägt auch dem Bestimmtheitsgrundsatz Rechnung. Für eine Verbindung der formellen und materiellen Betrachtungsweise S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 8; SSW-Kudlich, StGB, § 13 Rn. 17; Arzt, JA 1980, 648, 717; Kaspar, AT, § 10 Rn. 1003. 454  Für eine Orientierung an materiellen Erwägungen S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 8, 15; Fischer, StGB, § 13 Rn. 8; Schilha, 111 ff.; Schwerdtfeger, 162 f.; Roxin, AT II, § 32 Rn. 17 ff. 455  Kühl, JuS 2007, 500; Lackner/Kühl-Kühl, StGB, § 13 Rn. 12. 456  Sog. monistisches Erklärungsmodell. Siehe hierzu auch Schilha, § 3, 111 ff. 457  Sog. dualistisches Erklärungsmodell. Siehe hierzu auch Schilha, § 3, 111 ff.



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wird zur Bestimmung einer strafrechtlichen Handlungspflicht zum Teil auch eine Verbindung der formellen und materiellen Betrachtungsweise vorgeschlagen.458 Eine Gegenposition zu der formellen Rechtspflichttheorie bildet zunächst die in ihrem Ursprung auf Armin Kaufmann zurückgehende Funktionenoder Zweiteilungslehre.459 Im Ausgangspunkt dieser Lehre steht die Annahme Kaufmanns, dass es für die Begründung einer Garantenstellung entscheidend auf die „Schutzposition gegenüber einem Rechtsgut“ ankomme, sodass sich sämtliche Garantenpflichten im Ergebnis auf die zwei grundlegenden Garantenpositionen der Beschützer- und Überwachergaranten reduzieren ließen.460 Eine Garantenposition könne demnach entweder in Gestalt einer Überwachungsgarantenstellung in der Sicherung einer bestimmten Gefahrenquelle zu Gunsten aller möglichen Betroffenen oder in Form einer Beschützergarantenstellung mit Obhutspflichten für bestimmte Rechtsgüter gegen Angriffe aus allen Richtungen bestehen.461 Die funktionale Einteilung der Garantenstellungen in Beschützergaranten mit Obhutspflichten und Überwachungsgaranten mit Sicherungspflichten führt zu einer anschaulichen Systematisierung von Garantenpflichten462 und ermöglicht im Gegensatz zur formellen Rechtspflichttheorie eine sachgerechte Differenzierung im Hinblick auf Schutzrichtung und Umfang.463 Während ein Beschützergarant aufgrund einer unmittelbaren Beziehung zum Opfer Angriffe aus sämtlichen Richtungen auf dessen Rechtsgüter abzuwehren hat464, setzt das Bestehen einer Überwachungsgarantenstellung keine unmittelbare Beziehung zum Opfer voraus, sondern besteht zu Gunsten aller möglichen Betroffenen mit der Pflicht, zu verhindern, dass aus einer Gefahrenquelle eine Gefahr oder gar ein Schaden wird.465 Die Funktionenlehre hat daher in der straf458  Kaspar, AT, Rn. 1003; S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 8; Joecks, StGB, §  13 Rn. 29; Arzt, JA 1980, 648. 459  A. Kaufmann, 1959, 282 ff., 283; Roxin, AT II, § 32 Rn. 6; NK-StGB-Wohlers/ Gaede, § 13 Rn. 32; Joecks, StGB, § 13 Rn. 29; S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 9. 460  A. Kaufmann, 1959, 283; Schilha, § 3, 112; NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 32. 461  NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 32; Kühl, JuS 2007, 500; Roxin, AT II, § 32 Rn. 6. 462  NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 32. 463  Deutlich wird das Differenzierungspotenzial am Beispiel der Garantenstellung von Eheleuten. Diese sind aufgrund ihrer unmittelbaren Beziehung zwar Beschützergaranten im Hinblick auf Leib und Leben des jeweils anderen Ehepartners. Sie sind jedoch mangels zu überwachender „Gefahrenquelle“ nicht auch gegenseitige Überwachungsgaranten, die sich gegenseitig von der Begehung von Straftaten abhalten müssten. Siehe hierzu Kühl, JuS 2007, 500. 464  Roxin, AT II, § 32 Rn. 6; Kühl, AT, § 18 Rn. 45; ders., JuS 2007, 500. 465  Kühl, AT, § 18 Rn. 45; Roxin, AT II, § 32 Rn. 6; Kühl, JuS 2007, 500.

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rechtlichen Literatur466 und in der Rechtsprechung467 eine führende Stellung eingenommen. Gleichwohl darf dies aber nicht darüber hinweg täuschen, dass sie über eine bloße Systematisierung und Differenzierung hinaus substanzlos bleibt und keine Erklärung liefert, aus welchem materiellen Grund und in welchem Umfang eine Person Garant sein soll.468 Da die begriffliche Einordnung einer Person als Überwachungs- oder Beschützergarant die nach § 13 Abs. 1 StGB erforderliche Begründung, wann ein Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht, nicht ersetzt, liefert die Funktionenlehre keine dogmatische Grundlage zur Begründung von Garantenstellungen.469 Ihre Aufgabe beschränkt sich darauf, anhand materieller Kriterien gefundene Garantenstellungen zu kategorisieren. Das Legitimationsdefizit der Funktionenlehre möchte ein beachtlicher Teil des Schrifttums – unter Beibehaltung der auf ihr beruhenden Zweiteilung – dadurch überwinden, dass es die Entstehung von Garantenstellungen auf ein alle Garantenstellungen gleichermaßen umfassendes dogmatisches Prinzip zurückzuführen versucht.470 Innerhalb dieser Vertreter ist umstritten, aus welchem – einheitlichen – Grundgedanken die Garantenpflichten konkret abzuleiten sind.471 Die in der strafrechtlichen Literatur zur Begründung einer Garantenhaftung vertretenen Legitimationsansätze sind äußerst vielfältig472 und können nachfolgend nur in ihren wesentlichen Ausprägungen und auch nur soweit nachgezeichnet werden, wie dies mit Blick auf die im Rahmen dieser Arbeit zu diskutierende Frage, ob dem Aufsichtsrat eine Garantenstellung zukommt und wie weit eine solche gegebenenfalls reicht, von Bedeutung ist. Ein Teil der Literatur sieht in dem Kriterium des „Vertrauens“ das für die Begründung von allen Garantenstellungen tragende „materiale Prinzip“473 466  Kühl, AT, § 18 Rn. 44 ff.; ders., JuS 2007, 500; Roxin, AT II, § 32 Rn. 6; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1005; Kindhäuser, AT, § 36, Rn. 23 f.; S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 9; LK-Weigand, § 13 Rn. 24 ff.; Joecks, StGB, § 13 Rn. 29 f. 467  BGHSt 48, 77, 91 f. = NJW 2003, 522 ff. = NStZ 2003, 141 ff.; OLG Stuttgart, NJW 1998, 3131; BGH NJW 2009, 3173; BGH NJW 2016, 176 ff. 468  In diese Richtung auch S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 9; NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 32 m. w. N. in Fn. 169; Ransiek, Jus 2010, 585 ff., 587; Roxin, AT II, § 32 Rn. 22. 469  NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 32; S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 9; Schilha, 113. 470  Siehe Kühl, JuS 2007, 500. So etwa Schilha, § 3, 113; Schwerdtfeger, S.  162 f. 471  Lackner/Kühl-Kühl, StGB, § 13 Rn. 12; Schilha, § 3, 113 ff. Ohne nähere dogmatische Begründung ausschließlich auf das „Herrschaftsprinzip“ abstellend Schwerdt­ feger, S.  162 f. 472  Siehe nur Schünemann, Unterlassungsdelikte, 77 ff.; Roxin, AT II, § 32 Rn. 9. 473  NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 34; S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 15.



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und geht davon aus, dass eine strafrechtliche Pflicht zum Handeln vorläge, wenn der Gefährdete im berechtigten Vertrauen474 auf die Einsatzbereitschaft des Garanten, welche in einer Zusage oder in der Präsenz des Verpflichteten bestehen könne, auf sonst zu treffende anderweitige Schutzmöglichkeiten verzichtet und er sich deshalb einer größeren Gefahr ausgesetzt hat, als er es sonst getan hätte.475 Das Vertrauensprinzip eignet sich bei der Begründung und Begrenzung von Beschützergarantenstellungen dann als plausibler Erklärungsansatz476, wenn eindeutig erkennbare Umstände vorliegen, aufgrund derer das Vertrauen als ein „berechtigtes“ Vertrauen erscheint, sodass der Rechtsgutsträger beziehungsweise primär Handlungspflichtige eigene Schutz- und Überwachungsmaßnahmen unterlassen durfte.477 Als Legitimationsmodell zur Erklärung sämtlicher Garantenstellungen kann es jedoch nicht dienen. Zum einen bereitet es mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG erhebliche Schwierigkeiten in der Konkretisierung, da unklar bleibt, was unter „Vertrauen“ exakt zu verstehen ist und unter welchen konkreten Voraussetzungen auf ein bestimmtes Verhalten „berechtigt“ vertraut werden darf oder nicht.478 Zum anderen erklärt sich nicht, warum aus der bloßen Existenz eines Vertrauenstatbestandes schon eine strafrechtliche Pflicht des Garanten zum Handeln erwachsen soll.479 Einen ebenfalls Elemente des Vertrauens enthaltenden in der Tendenz aber restriktiveren Ansatz wählt Arzt, indem er das Kriterium der „Gefahrschaffung“ als wesentliches für alle Garantenstellungen gleichermaßen geltendes Merkmal hervorhebt und eine Garantenstellung erst annimmt, wenn ein „Element der Gefahrschaffung“ vorliegt.480 Eine Gefahr sei nur gegeben, wenn die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts über das allgemeine Lebensrisiko hinaus dadurch erhöht werde, dass berechtigtes oder durch tatsächliches Ein474  Zu den an das „Vertrauen“ zu stellenden Maßstäben siehe NK-StGB-Wohlers/ Gaede, § 13 Rn. 34; S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 27; SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 58. 475  Blei, FS Mayer 1966, 122, 138; Vogler, FS Lange 1976, 265, 281 f.; Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, 36 ff.; NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 34. Im Ergebnis auch Otto, AT, § 9 Rn. 42 ff., 64; Stree, FS Mayer 1966, 145, 158. Allgemein zum Vertrauensprinzip als alleinige Grundlage von Garantenpflichten Kühl, JuS 2007, 500; Schilha, § 3, 114. 476  Kühl, JuS 2005, 500; ders., AT, § 18 Rn. 42; NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 34. 477  NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 34. 478  Kühl, JuS 2005, 500. Siehe auch die umfassende Kritik bei Schilha, § 3, 115. 479  Schilha, § 3, 115. Zutreffend auch Schünemann, Unterlassungsdelikte, 251. 480  Arzt, JA 1980, 560; ders., JA 1980, 712, 714 u. 717; Stree, FS Mayer 1966, 147 ff., 158.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

rücken in die Pflichtenstellung begründetes Vertrauen enttäuscht wird.481 Durch das Abstellen auf die Verantwortlichkeit einer Person für eine Gefahr als Konsequenz einer vorhergehenden Gefahrschaffung lässt sich zwar deren Stellung als Überwachungsgarant nachvollziehbar erklären.482 Demgegenüber liefert das „Prinzip der Gefahrverantwortlichkeit“ keine überzeugende Begründung für die Existenz der Beschützergarantenstellung mit Obhutspflichten.483 Der Topos der Gefahrverantwortlichkeit bleibt aber auch mit Blick auf die Begründung von Überwachungsgarantenstellungen ergänzungsbedürftig, da sich dem Element der Gefahrschaffung keine Aussage dahingehend entnehmen lässt, „wer“ nach „welchen“ Kriterien für eine Gefahr konkret „verantwortlich“ ist.484 Klärungsbedürftig bleibt schließlich auch, wann eine Gefahrschaffung die Grenze zu einem erlaubten Risiko überschreitet und inwieweit ein vom Opfer geschaffenes Risiko die Verantwortlichkeit des Garanten für die Gefahr ausschließt.485 Eine vornehmlich an den „Strukturen des sozialen Alltagslebens“ ausgerichtete  – gleichfalls Elemente des Vertrauens beinhaltende  – Garantenlehre486 fordern Otto und Brammsen, indem sie die Legitimation einer Garantenhaftung „auf die gegenseitigen Erwartungen innerhalb der Sozietät“487 gründen. Die eine strafrechtliche Erfolgsabwendungspflicht legitimierende Erwartung müsse jedoch von einer „solchen Festigkeit und solchem Gewicht sein, dass ihre Verletzung einen derart schweren Schaden für die Vertrauensbasis des Soziallebens bedeutet wie die Verletzung dieser Basis durch Gefährdung und Verletzung einzelner Rechtsgüter durch positives Tun“.488 Materielle Grundlage für die Ableitung von Garantenpflichten sind nach diesem Ansatz die in einer Gesellschaft tatsächlich existierenden Erwartungen an das Verhalten des Unterlassenden, soweit sie in empirisch nachvollziehbarer Weise als sozial verfestigt anzusehen sind und „die Erhaltung elementarer Rechtsgüter oder wesentlicher Strukturen des gesamtgesellschaftlichen alltäglichen Sozialgefüges zum Inhalt haben“.489 Auf dieser Basis knüpft Brammsen eine strafrechtliche Garantenhaftung des Unterlassenden 481  Arzt,

JA 1980, 650. Allgemein hierzu Nikolaus, JA 2005, 605; Schilha, § 3, 113. § 13 Rn. 35. 483  Siehe Schilha, § 3, 113, der zutreffend darauf hinweist, dass sich für derartige Pflichten die Rückführung auf eine Gefahrschaffung des Garanten als „wenig passend“ erweist. 484  NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 35; Schilha, § 3, 114. 485  NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 35. 486  Otto/Brammsen, Jura 1985, 536 f. 487  Otto/Brammsen, Jura 1985, 537; Otto, AT, § 9 Rn. 45. 488  Otto/Brammsen, Jura 1985, 537; Otto, AT, § 9 Rn. 46; Roxin, AT II, § 32 Rn. 9. 489  Otto/Brammsen, Jura 1985, 537. Siehe hierzu weitergehend Brammsen, Entstehungsvoraussetzungen, 114 ff. 482  NK-StGB-Wohlers/Gaede,



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dann maßgeblich daran, dass dieser eine innerhalb seines sozialen Machtund Einflussbereichs an ihn adressierte Handlungserwartung nicht erfüllt hat, obwohl er als Adressat von der ihm bekannten Verhaltenserwartung wusste oder wenigstens hätte erwarten müssen, dass andere Mitglieder der Rechtsgemeinschaft ihrerseits die Vornahme einer den konkreten Erfolg verhindernden Handlung als sicher erwartet und sie daher als einen das eigene Verhalten wesentlich bestimmenden Aspekt in die Ausgestaltung ihres Alltagslebens integriert haben.490 Das von Otto und Brammsen herangezogene Kriterium der gegenseitigen Erwartung innerhalb der Sozietät bleibt im Ergebnis zu abstrakt und kann bereits deshalb nicht als konstituierendes Merkmal für sämtliche Garantenstellungen herangezogen werden. In einer Rechtsgemeinschaft existieren naturgemäß zahlreiche Erwartungen, deren Enttäuschung keine Strafbarkeit wegen Unterlassen begründen kann.491 Dies gilt auch dann, wenn man – wie Otto – nur auf solche Erwartungen abstellen möchte, deren „Verletzung einen begehungsgleichen schweren Schaden für die Vertrauensbasis des Soziallebens bedeutet“.492 Abgesehen davon, dass ein derartiges Abstellen auf soziale Verhaltenserwartungen nach Art. 103 Abs. 2 GG zu unbestimmt ist, um daran strafrechtliche Rechtsfolgen zu knüpfen, gelangt diese Betrachtungsweise auch nicht über die Beschreibung bestehender Verhaltenserwartungen in der Sozialgemeinschaft hinaus.493 Die Frage unter welchen materiellen Voraussetzungen eine Garantenstellung mit Blick auf die Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB konkret legitimierbar ist und welches Verhalten letztlich einen „begehungsgleichen schweren Schaden für die Vertrauensbasis des Soziallebens“494 darstellt, bleibt hingegen offen.495 Schließlich sehen Schünemann496 und eine beachtliche Anzahl von ihm in der Literatur folgenden Autoren497 das zur Begründung einer Garantenstellung entscheidende Kriterium darin, dass der Garant die „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ innehaben müsse.498 dezidiert Brammsen, Entstehungsvoraussetzungen, 123; Schilha, § 3, 116. Roxin, AT II, § 32 Rn. 31. 492  Otto, AT, § 9 Rn. 46; Roxin, AT II, § 32 Rn. 31. 493  Vogel, Norm und Pflicht, 348; Schilha, § 3, 116. 494  Dem Ansatz von Brammsen ebenfalls kritisch gegenüberstehend Schilha, § 3, 116. 495  Zutreffend Vogel, Norm und Pflicht, 348; Schilha, § 3, 116. 496  Schünemann, Unterlassungsdelikte, 229 ff.; ders., ZStW 1984, 287 ff. 497  Bottke, wistra 1991, 89; Roxin, AT II, § 32 Rn. 17, 19 ff.; Beulke/Bachmann, JuS 1992, 740; SK-Rudolphi/Stein, StGB § 13 Rn. 20; Warneke, NStZ 2010, 314; Schilha, § 3, 117 ff.; Schwerdtfeger, S.  162 f. 498  Schünemann, Unterlassungsdelikte, 236; ders., ZStW 1984, 293 f.; ders., Ma­ drid-Symposium, 1994, 274; Roxin, AT II Rn. 8. 490  So

491  Ebenso

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Voraussetzung der Herrschaft sei die aktuelle Kontrolle über das Geschehen, die nach Auffassung Schünemanns sowohl in der „Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutes“ als auch in der „Herrschaft über eine Erfolgsursache“ liegen könne.499 Die ebenfalls auf dem Gedanken der Zweiteilung beruhende und daher nach Beschützer- und Überwachungsgaranten differenzierende Lehre500 basiert auf der Grundannahme, dass sich die nach § 13 Abs. 1 StGB geforderte Gleichstellung eines Unterlassens mit einem aktiven Tun dogmatisch nur legitimieren lasse, wenn bei einem Unterlassen auch die zur Begründung eines Begehungsdeliktes erforderlichen Charakteristika in strukturell ähnlicher Weise vorliegen.501 Vor diesem Hintergrund geht Schünemann – unter Rückgriff auf die Tatherrschaftslehre von Roxin – dann davon aus, dass bei Begehungsdelikten der Täter im Regelfall durch die Innehabung der „Tatherrschaft“ charakterisiert werde502, sodass die nach § 13 Abs. 1 StGB verlangte Handlungsäquivalenz auch nur in einem Kriterium gefunden werden könne, dass dem der „Tatherrschaft“ im Sinne einer aktiven Steuerung des Kausalverlaufs als dem zentralen Kriterium der Begehungstäterschaft nahesteht.503 Die das Begehungs- und Unterlassungsunrecht im Kern beschreibende Gemeinsamkeit finde sich nach Auffassung Schünemanns in dem Merkmal der „Herrschaft über den Grund des Erfolges“.504 Integriert man diesen Ansatz mit Schünemann in die nach Beschützer- und Überwachungsgaranten differenzierende Funktionenlehre folgt hieraus, dass das Kriterium der „Herrschaft“ im Bereich der Obhutsverhältnisse aus der „Hilflosigkeit des Rechtsguts“ beziehungsweise der „Anfälligkeit des Opfers“ resultiert, während im Rahmen der Sicherungspflichten die „Herrschaft über einen Gefahrenherd“ beziehungsweise über eine „wesentliche Erfolgsursache“ das materiell entscheidende Kriterium zur Gleichstellung von Tun und Unterlassen und damit zur An499  LK-Schünemann, StGB, § 25 Rn. 41; Roxin, FS Schünemann 2014, 514; Roxin, AT II § 32 Rn. 8, wonach Leitkriterium immer die tatsächlich ausgeübte Herrschaft sei. Ähnlich Jakobs, AT, 29, Rn. 28 ff., 29 ff., 57 ff., der nach Pflichten kraft Organisationszuständigkeit und Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit unterscheidet. Siehe hierzu auch Roxin, AT II, § 32 Rn. 23 f.; NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 33. 500  Schünemann, Unterlassungsdelikte, 242, 280; Roxin, AT II, § 32 Rn. 18. 501  Schünemann, Unterlassungsdelikte, 229, 232 f.; 235; Roxin, AT II, § 32 Rn. 19. 502  Schünemann, Unterlassungsdelikte, 235 f. Siehe hierzu ausführlich auch Roxin, FS Schünemann 2014, 513 f.; ders., AT II, § 32 Rn. 19. 503  Schünemann, Unterlassungsdelikte, 235; Roxin, AT II, § 32 Rn. 19; Schilha, § 3, 117. 504  Schünemann, Unterlassungsdelikte, 236; ders., ZStW 1984, 293  f.; Roxin, AT II, § 32 Rn. 19. Ähnlich SK-Rudolphi/Stein, StGB § 13 Rn. 20 f.; Rudolphi, NStZ 1984, 150.



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nahme der Garantenstellung ist.505 Die Lehre Schünemanns bedeutet aus Sicht eines Beschützergaranten, dass sich dessen Untätigbleiben in einer Situation der Hilfsbedürftigkeit eines von ihm zu schützenden Rechtsguts als eine Erfolgsherbeiführung durch mangelnden Schutz des der eigenen Herrschaft unterstehenden Opfers beziehungsweise Rechtsguts darstellt.506 Die auf diese Weise durch Nichtausübung einer existierenden Herrschaftsmacht bewirkte Erfolgsherbeiführung sei dann materiell mit einer aktiven Steuerung des Kausalverlaufs beim Begehungstäter vergleichbar und rechtfertige damit die Annahme einer Garantenstellung.507 Entsprechend verhalte es sich bei einem Überwachungsgaranten, der einen Gefahrenherd unterhält und somit die Herrschaft über den Erfolgsgrund habe, wenn es durch ein Unterlassen der gebotenen Maßnahmen und Vorkehrungen zu einer Rechtsgutsverletzung komme.508 Die am Herrschaftsgedanken orientierte Lehre Schünemanns lässt sich schließlich dahingehend zusammenfassen, dass Tun und Unterlassen im Kriterium der „Herrschaft“ ein verbindendes Merkmal aufweisen, sodass es für die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen keinen signifikanten Unterschied darstellt, ob ein Begehungstäter durch aktive Steuerung des Kausalverlaufs seine Herrschaftsmacht zum Nachteil des Opfers betätigt oder er eine ihm potentiell zukommende Herrschaftsmacht, die er in Bezug auf das Opfer aufgrund von dessen Hilflosigkeit oder infolge seines Einflusses auf eine von ihm zu kontrollierende Gefahrenquelle durch Aufsicht, Obhut oder Kontrolle auszuüben hat, nicht ausübt und dadurch den tatbestandlichen Erfolg herbeiführt. In beiden Fällen wird der Erfolgseintritt durch den Täter über das Merkmal der Herrschaft „gesteuert“, was die Annahme einer Garantenstellung mit der Folge eines Strafbarkeitsrisikos wegen Unterlassen rechtfertigt.

505  Schünemann, Unterlassungsdelikte, 241 f.; ders., ZStW 1984, 294. Siehe auch Roxin, AT II, § 32 Rn. 19; Schilha, § 3, 117. 506  Roxin, AT II, § 32 Rn. 19, 54 ff.; Warneke, NStZ 2010, 314. Der Grund liegt in dem vom Garanten übernommenen Schutz des seiner Obhut unterstehenden Rechtsguts, das wegen seiner besonderen Schutzbedürftigkeit einer „Schutzherrschaft“ bedarf. 507  Roxin, AT II, § 32 Rn. 19; Schilha, § 3, 117 f. 508  Roxin, AT II, § 32 Rn. 19; Schilha, § 3, 118. Die Garantenstellung eines Überwachungsgaranten leitet sich aus seiner Verantwortung für einen von ihm eröffneten und beherrschten Gefahrenherd ab, aus dessen Kontrolle „Organisations- oder Kon­ trollherrschaft“ folgt. Siehe hierzu auch Warneke, NStZ 2010, 314.

424

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

b) Kombination formeller und materieller Aspekte unter besonderer Berücksichtigung des Herrschaftsprinzips nach Schünemann Im Ergebnis erklärt keines der vorstehend dargestellten Legitimationskonzepte den Grund für die Entstehung von Garantenstellungen abschließend. Vorzugswürdig erscheint eine Kombination formeller und materieller Gesichtspunkte.509 In materieller Hinsicht kommt dabei insbesondere dem Grund der Kontrollherrschaft maßgebliche Bedeutung zu. Eine dogmatisch tragfähige, in der Praxis handhabbare und im Einklang mit dem Bestimmtheitsgrundsatz stehende Annäherung an die Legitimation von Garantenstellungen lässt sich aufgrund der normativen Anbindung an die Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB dem Ansatz von Schünemann entnehmen, sodass das Kriterium der „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ insbesondere im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts als tauglicher Anknüpfungspunkt zur Begründung von Garantenstellungen dient.510 Der Ansatz liefert der Funktionenlehre zugleich ein materielles Fundament und erweist sich bei Berücksichtigung formeller Aspekte auch als hinreichend konkretisierungsfähig im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG.511 Nach dem Herrschaftsprinzip folgt bei Beschützergaranten das für eine Garantenstellung zentrale Kriterium der „Herrschaft“ aus der Hilflosigkeit des Rechtsguts, während es für Überwachungsgaranten daraus ableitbar ist, dass der Garant auf einen seiner Kontrolle unterliegenden Gefahrenherd einwirken kann und deshalb den Grund des Erfolges beherrscht.512 Gegen eine solche am Herrschaftsprinzip orientierte Ableitung von Garantenstellungen wird in der Literatur zwar der Einwand erhoben, dass sich danach „jedes beliebige Ergebnis“ begründen ließe und eine „physisch real ausgeübte Herrschaft nichts mit normativ festgestellter, potentieller Herrschaft bei Unterlassen gemein“ habe.513 Insoweit ist in Übereinstimmung mit Kaspar und Schilha auch festzuhalten, dass dem Herrschaftskriterium zweifellos eine begriffliche Weite zukommt und es sich bei dem Begriff der „Herr509  Für eine Verbindung formeller und materieller Aspekte auch S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 8; SSW-Kudlich, StGB, § 13 Rn. 17; Arzt, JA 1980, 648, 717; Kaspar, AT, § 10 Rn. 1003. Demgegenüber ausschließlich auf das Herrschaftsprinzip abstellend Schwerdtfeger, S.  162 f. 510  Der Lehre Schünemanns folgen Roxin, AT II, § 32 Rn. 17 ff., 19, 31; Schilha, § 3, 117 ff.; 122; Schwerdtfeger, S. 162 f. Dezidiert dagegen S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 15. 511  Kaspar, AT, § 10 Rn. 1003; Roxin, AT II, § 32 Rn. 22. 512  Siehe hierzu bereits oben Teil 5 A. III. 1. a) bb). 513  S/S-Stree/Bosch, § 13 Rn. 15.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands425

schaft über den Erfolg“ nicht um einen „unmittelbar subsumtionsfähigen Begriff“ handelt.514 Die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 103 Abs. 2 GG stellt sich daher ebenso für das Herrschaftsprinzip. Die Anforderungen an den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz bleiben jedoch gewahrt, wenn das Herrschaftskriterium – ähnlich dem Kriterium der Tatherrschaft bei Begehungsdelikten – lediglich als ein zur Begründung von Garantenstellungen tragendes „Leitprinzip“ betrachtet und nicht zu einem alle Garantenstellungen umfassend erklärenden „Fundamentalprinzip“ erhoben wird.515 Eine solche Sichtweise lässt zum einen Raum, im Einzelfall zusätzlich auf normative Erwägungen zurückzugreifen.516 Zum anderen wird bei Anwendung des Herrschaftsgedankens als Leitprinzip eine konkretisierungsfähige Ausgangsbasis für eine die vielfältigen Erscheinungsformen des realen Lebens berücksichtigende Rechtsanwendung geschaffen.517 Im Unterschied zu solchen Legitimationskonzepten, die sich an den nicht präzise bestimmbaren Kriterien „Vertrauen“ oder „Erwartungen in der Sozialgemeinschaft“ orientieren, weist das von Schünemann vorgeschlagene materielle Kriterium der „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ nicht nur einen deskriptiv-anschaulichen Kern, sondern auch eine nicht von der Hand zu weisende Parallelität zu dem im Bereich der Begehungsdelikte dogmatisch anerkannten Merkmal der „Tatherrschaft“518 auf. Der Herrschaftsgedanke ist im Gegensatz zu den Kriterien „Vertrauen“ und „Erwartungen in der Sozialgemeinschaft“ daher prinzipiell geeignet, die von § 13 Abs. 1 StGB geforderte Gleichstellung von Tun und Unterlassen zu begründen und bei konkretisierender Entfaltung in der Praxis nachvollziehbare Ergebnisse zu gewährleisten.519 Die Tauglichkeit des Kriteriums der (Kontroll-)Herrschaft520 als Anknüpfungspunkt zur Begründung von Garantenstellungen zeigt sich – wie oben bereits dargestellt – besonders klar am Beispiel des 514  Das alleinige Abstellen auf die „Kontrollherrschaftslehre“ ebenfalls für bedenklich haltend Kaspar, AT, § 10 Rn. 1002. Zutreffend auch Schilha, § 3, 119. 515  Zutreffend in diese Richtung auch Roxin, AT II, § 32 Rn. 21; SK-Rudolphi/ Stein, StGB § 13 Rn. 23; Vogel, Norm und Pflicht, 351 f.; Schilha, § 3, 119; Kühl, JuS 2007, 500. Demgegenüber von einem „umfassenden Ansatz“ ausgehend Schwerdt­ feger, S. 163. 516  Für eine Berücksichtigung am Schutzzweck orientierter, einschlägiger „normativer Vorgaben“ zutreffend SSW-Kudlich, StGB, § 13 Rn. 15; Kaspar, AT, § 10 Rn. 1002. 517  So dezidiert Roxin, AT II, § 32 Rn. 21. 518  Roxin, AT II, § 32 Rn. 21. 519  Roxin, AT II, § 32 Rn. 21. 520  Roxin, AT II, § 32 Rn. 21, der ausgehend von dem Ansatz Schünemanns von einer „Kontrollherrschaft“ spricht.

426

Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Untreuetatbestandes, bei dem die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht regelmäßig erst durch die „Kontrolle des Täters“ über das von ihm zu betreuende Vermögen möglich wird.521 Das Kriterium der Kontrolle als Ausdruck von Herrschaftsmacht eignet sich damit wenigstens grundsätzlich, Garantenstellungen zu legitimieren. Richtigerweise kann die Legitimation einer Garantenstellung auf Basis des Herrschaftsprinzips nicht bereits aus einer „tatsächlichen Herrschaft“ im Sinne einer „faktischen Macht“ abgeleitet werden, da eine physisch-reale Möglichkeit zur Vermeidung des tatbestandlichen Erfolgs als Ausdruck der individuellen Handlungsfähigkeit ohnehin Voraussetzung jeder strafrechtlichen Unterlassung ist.522 Erforderlich für eine Strafbarkeit durch Unterlassen ist mit Blick auf die Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB vielmehr, dass der Täter auch „rechtlich“ dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt.523 Vor diesem Hintergrund erlangt das Kriterium der Herrschaft über den Grund des Erfolges eine materielle Gestaltungskraft im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB erst, wenn diesem eine rechtliche Pflicht zum Tätigwerden immanent ist.524 Eine solche – von Bottke bildhaft als „normative Brücke“525 bezeichnete – Beziehung zwischen realer Beherrschung eines Erfolgsgrundes und strafrechtlicher Garantenpflicht lässt sich, den grundlegenden Überlegungen Schilhas folgend, für den Bereich der Überwachungsgaranten zunächst unter Rückgriff auf das Wesen der Begehungsstrafbarkeit verdeutlichen.526 Im Ausgangspunkt steht der Gedanke Schilhas, dass bei den Begehungsdelikten die Strafbarkeit im Kern daraus folge, dass der Täter als frei handelndes Individuum die „Herrschaft über sich und seinen eigenen Körper als Gefahrenherd“ ausübe und daher verpflichtet sei, Schädigungen anderer zu vermeiden.527 Der tragende normative Grund für die Verantwortlichkeit könne im Bereich der Begehungsdelikte in dem Grundrecht auf Selbstbe521  Dies führt im Bereich der Untreue auch dazu, dass die Unterscheidung von Begehung und Unterlassung kaum praktische Bedeutung entfaltet. Siehe das zutreffende Beispiel von Roxin, AT II, § 32 Rn. 20. Hierzu sowie zur Anwendbarkeit des § 13 Abs. 1 StGB auf die Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB siehe Teil 5 A. II. 1. c) bb) (2); LK-Schünemann, § 266 Rn. 29. 522  Kaspar, Strafrecht AT, §  10 Rn. 1002; Schünemann, Unterlassungsdelikte, 240 f.; 243, 245 ff.; 345; ders., ZStW 1984, 295, Fn. 26; Fischer, StGB § 266 Rn. 42; Schilha, § 3, 119. 523  Kühl, JuS 2007, 500; NK-StGB-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 33. 524  Ebenfalls auf normative Erwägungen abstellend Kaspar, Strafrecht AT, § 10 Rn. 1003; Vogel, Norm und Pflicht, 352; SK-Rudolphi/Stein, StGB § 13 Rn. 22 ff.; Schilha, § 3, 120. 525  Bottke, Nichtverhütung von Straftaten, 28. 526  Siehe hierzu ausführlich Schilha, § 3, 120 f. 527  Schilha, § 3, 120; Herzberg, Strafrechtliche Verantwortung, 13.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands427

stimmung und freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG gefunden werden, da diese grundgesetzliche Bestimmung dem Täter neben seiner „faktischen Macht“ gerade auch das „Recht“ einräume, zur Abwendung eines Schadens auf sich selbst „einzuwirken“528. Aus dieser „grundgesetzlich“ garantierten Selbstbestimmungsfreiheit folge notwendigerweise, die persönliche Verantwortung für das eigene gefährliche Handeln und seine Schadensfolgen.529 Verbindet man diesen Gedanken mit dem Herrschaftsprinzip lässt sich zusammen mit Schilha für den Bereich der Überwachungsgarantenpflichten der Schluss ziehen, dass ein Rechtssubjekt in den Fällen, in denen es eine „fremde“ Gefahrenquelle „in ähnlich exklusiver Form beherrscht“, wie sich selbst, „rechtlich auch in der gleichen Weise für deren Unschädlichkeit“ und Gefahrlosigkeit „einzustehen“ hat, wie für die der eigenen Person.530 Notwendige Folge einer solchen rechtlichen Einstandspflicht muss dann aber sein, dass zu der faktischen Herrschaft des Unterlassenden auch eine „rechtliche Befugnis zur Herrschaftsausübung“ hinzukommt, die es ihm im Sinne einer „qualifizierten Rechtsmacht“ ermöglicht, schadensreduzierend auf den Gefahrenherd einzuwirken531. Richtigerweise kann sich eine solche Rechtsmacht zur Gefahrminderung beziehungsweise Gefahrvermeidung entweder originär aus dem Gesetz oder derivativ als Folge der Übernahme beziehungsweise Übertragung ergeben.532 Über die zutreffende Argumentation Schilhas hinaus lässt sich eine rechtliche Pflicht zur Erfolgsabwendung im Bereich der Überwachungsgaranten auch aus dem Herrschaftsgedanken selbst begründen, wenn man berücksichtigt, dass die Rechtsordnung den ihr unterworfenen Rechtssubjekten weitreichende Befugnisse gewährt, andere Personen aus dem eigenen „Herrschaftsbereich“ – etwa durch das Hausrecht in einer Wohnung oder einem Unternehmen – entweder explizit auszuschließen oder ihnen in diesen Zugang zu gewähren.533 Kehrseite dieser Entscheidungsfreiheit ist, dass die mit diesem ausschließlich beherrschten Herrschaftsbereich in Berührung kommenden Rechtssubjekte überhaupt nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sind, aus dem fremden Herrschaftsbereich drohende Gefahren für eigene Rechtsgüter zu dezidiert der Gedanke von Schilha, § 3, 120. § 3, 120 m. w. N. in Fn. 98. Ebenso Vogel, Norm und Pflicht, 364. 530  Schilha, § 3, 120. Der Ansicht Schilhas folgend Schwerdtfeger, S. 179. 531  Schilha, § 3, 120; Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 570. Eine tatsächliche und rechtliche Herrschaft über die Gefahrenquelle verlangt auch Böse, NStZ 2003, 638. In diese Richtung auch Vogel, Norm und Pflicht, 353. 532  Schilha, § 3, 120 f.; Böse, NStZ 2003, 638 f. 533  In diese Richtung auch SK-Rudolphi/Stein, StGB § 13 Rn. 20. 528  So

529  Schilha,

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

erkennen beziehungsweise sich gegen erkannte Gefahren effektiv zu schützen.534 Die einem fremden Hausrecht unterliegenden Räumlichkeiten können von Außenstehenden weder nach eigenem Ermessen untersucht werden noch haben diese Einfluss darauf, ob und wie intensiv potentiell gefährliche Personen in gefahrvermeidender Weise betreut, überwacht und kontrolliert werden.535 Ein gerechter Interessensausgleich lässt sich nur dadurch herstellen, dass die Rechtsordnung den Inhabern solcher Herrschaftsbereiche im Gegenzug Gefahrabwendungspflichten auferlegt und von ihnen verlangt, dass diese ihren Handlungsspielraum so gestalten, dass hieraus keine Risiken für andere entstehen.536 Dies führt zu dem Schluss, dass mit einer durch die Rechtsordnung eingeräumten Rechtsmacht zur Beherrschung eines räumlichen, sachlichen oder personalen Gefahrbereichs als notwendige Kehrseite stets auch die rechtliche Pflicht zur Erfolgsabwendung von Gefahren, die aus diesem Machtbereich herrühren, einhergeht.537 Im Einzelfall bleibt jedoch zu klären, anhand welcher normativer Kriterien eine Person in einem bestimmten Herrschaftsbereich konkret zuständig ist. Das Herrschaftsprinzip bietet bei unternehmensbezogenen Sachverhalten, die regelmäßig durch Aufteilung von Verantwortung in verschiedenen Unternehmensbereichen gekennzeichnet sind, als Leitkriterium eine taugliche Basis, die Garantenhaftung durch normative Zuweisung und Abgrenzung von Verantwortungsbereichen unter Berücksichtigung rechtlicher und innerbetrieblicher Befugnisse dogmatisch zu begründen und gleichzeitig einzelfallorientiert zu konkretisieren.538 Adressat einer Überwachungsgarantenstellung kann daher nur sein, wer neben der tatsächlichen Herrschaft über eine Gefahrenquelle in der Lage ist, seinen auf Abwendung eines Schadens oder einer Gefahr gerichteten Willen mittels rechtlicher Einwirkungsbefugnisse durchzusetzen.539 Zur Begründung einer Beschützergarantenstellung auf Basis des Herrschaftsprinzips bedarf es demgegenüber der Feststellung, dass die betreffende Person selbst nicht in der Lage ist, ihre Rechtsgüter wirksam vor drohenden Gefahren zu schützen.540 Zusätzlich muss zwischen dem Unterlassenden und 534  Zutreffend SK-Rudolphi/Stein, StGB § 13 Rn. 20. Kritisch hierzu Schwerdt­ feger, S. 190. 535  Siehe auch die Beispiele bei SK-Rudolphi/Stein, StGB § 13 Rn. 20. 536  SK-Rudolphi/Stein, StGB § 13 Rn. 20; Kindhäuser, LPK-StGB § 13 Rn. 37. 537  Die „zwingende“ Auferlegung einer Handlungspflicht fordern aus Gründen eines „effektiven Rechtsgüterschutzes“ auch SK-Rudolphi/Stein, StGB § 13 Rn. 21; Kühl, JuS 2007, 502. 538  In diese Richtung auch Schilha, § 3, 122; Roxin, AT II, § 32 Rn. 21. 539  Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 570. Siehe auch Schilha, § 3, 123, der insoweit zutreffend von einem „normativ ausgestalteten Herrschaftsprinzip“ spricht. 540  Siehe hierzu bereits oben Teil 5 A. III. 1. a) bb); Schilha, § 3, 123.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands429

dem Rechtsgutsträger eine „spezifische Abhängigkeits- oder Obhutsbeziehung“ bestehen, die dem Garanten normativ eine besondere Schutzfunktion zur Kompensation der Hilflosigkeit des Rechtsguts beziehungsweise der Anfälligkeit des Opfers auferlegt, aufgrund derer dem Garanten bei „wertender Betrachtung“ eine besonders starke Verantwortung für die bedrohten Rechtsgüter zukommt, die ihn aufgrund seiner faktischen Herrschaft verpflichtet, das ihm ausgelieferte hilf- oder schutzlose Opfer vor drohenden Gefahren zu schützen.541 Lässt sich nach normativer Betrachtung eine spezifische Abhängigkeitsoder Obhutsbeziehung im konkreten Fall feststellen und verfügt der Unterlassende darüber hinaus über die „rechtliche und faktische Macht“, auf den Schädigungsprozess hindernd einzuwirken, liegt auf der Grundlage des Herrschaftsprinzips eine Beschützergarantenstellung regelmäßig vor.542 Die Rechtsgüter eines hilflosen Rechtsgutsträgers unterstehen dann der Herrschaftsmacht des Unterlassungstäters und können von diesem durch Unterlassen in vergleichbarer Weise „beherrscht“ werden, wie von einem den Kausalverlauf aktiv steuernden Täter.543 Eine abschließende Antwort auf die Frage, ob das Herrschaftsprinzip im Sinne eines Fundamentalprinzips geeignet ist, alle denkbaren Garantenstellungen zu begründen oder im Einzelfall zur Begründung spezifischer Garantenpositionen gegebenenfalls auf weitere Legitimationsansätze, wie das Vertrauensprinzip, zurückzugreifen ist, kann mit Blick auf die vorliegende Thematik letzten Endes offen bleiben. Die Frage nach der Heranziehung des Vertrauensprinzips wird vornehmlich im familiären Umfeld544 relevant, sodass sie für die im Kontext dieser Arbeit interessierende Problematik der Strafbarkeitsrisiken von Mitgliedern des Aufsichtsrats bei CompliancePflichtverletzungen des Vorstands keiner weiteren Klärung bedarf.

541  SK-Rudolphi/Stein, StGB § 13 Rn. 46, 54; Rudolphi, NStZ 1984, 151; Schilha, § 3, 121, 123, wonach es bei Beschützergarantenstellungen nicht maßgeblich auf die „rechtliche Befugnis zur Einwirkung“ auf den Gefährdeten oder die Gefahrenquelle ankomme. 542  Zutreffend in diese Richtung bereits Schilha, § 3, 123. Im Ergebnis unter ausschließlicher Zugrundelegung des Herrschaftsprinzips ebenfalls eine Beschützer­ garantenstellung annehmend Schwerdtfeger, S.  206 ff. 543  Schünemann, Unterlassungsdelikte, 236; Schilha, § 3, 123. Siehe Teil 5 A. III. 1. a) bb). 544  Siehe hierzu ausführlich Nikolaus, JA 2005, 605 ff.; 606; Kühl, JuS 2007, 501.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

c) Potentielle Reichweite einer Überwachungsgarantenstellung der Aufsichtsratsmitglieder Die nachfolgende Untersuchung, ob Mitglieder des Aufsichtsrats eine Garantenstellung trifft und welche strafrechtlichen Handlungspflichten sich hieraus aus Sicht des Aufsichtsrats gegebenenfalls ableiten, kombiniert daher formelle und materielle Aspekte. In materieller Hinsicht legt sie das Herrschaftsprinzip zugrunde und differenziert entsprechend der Funktionenlehre zugleich nach Beschützer- und Überwachungsgaranten. Die zentrale Konsequenz einer an der Funktionenlehre orientierten Systematisierung zeigt sich mit Blick auf Schutzrichtung und Umfang der Garantenpflichten.545 Die Garantenpflicht kann sich für die Mitglieder des Aufsichtsrats in Abhängigkeit zu der konkreten Situation zum einen als Pflicht zur Überwachung und Sicherung einer bestimmten Gefahrenquelle zu Gunsten aller möglichen Betroffenen, zum anderen als Obhutspflicht zur Verteidigung bestimmter Rechtsgüter gegen Angriffe aus allen Richtungen darstellen.546 Während der obhutspflichtige Beschützergarant regelmäßig in einer unmittelbaren Beziehung zum potentiellen Opfer des Angriffs steht547, ist der sicherungspflichtige Überwachungsgarant „dem Täter zur Seite“ gestellt548, um ihn „in Schach zu halten“549. Aus Sicht des Aufsichtsrats stellt sich damit die Frage, ob eine ausreichende, auf Gesetz oder Vertrag beruhende rechtliche Basis für die Annahme einer Einstandspflicht nach § 13 Abs. 1 StGB besteht550, sich auf der Grundlage des Herrschaftsprinzips im Bereich der Compliance-Überwachung über die im Rahmen des § 266 StGB existierende Beschützergarantenstellung hinaus zugleich auch eine Überwachungsgarantenstellung begründen lässt, in welchem Verhältnis diese gegebenenfalls wirkt und welche Garantenpflichten aus einer solchen Garantenstellung gegebenenfalls folgen. Die Frage, ob die Mitglieder des Aufsichtsrats parallel zu ihrer Beschützergarantenstellung gegenüber dem Vermögen der Aktiengesellschaft im Bereich der Compliance-Überwachung auch eine Überwachungsgarantenstelauch Kühl, AT, § 18 Rn. 45 f.; ders., JuS 2007, 500. AT, § 18 Rn. 44 f.; ders., JuS 2007, 504; Schilha, § 3, 122. 547  Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, 156, wonach sich die Beschützergarantenstellung dadurch auszeichnet, dass der Beschützergarant eine besondere Beziehung zum „Zielort der abzuwenden Gefahr“ hat. 548  Kühl, AT, § 18 Rn. 45. Die Stellung des Überwachungsgaranten lässt sich auch als eine besondere Beziehung „zum Ursprung der abzuwenden Gefahr“ beschreiben. In diese Richtung Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, 157. 549  So zutreffend Kühl, AT, § 18 Rn. 45. 550  Zutreffend Kaspar, AT, Rn. 1003. 545  Siehe 546  Kühl,



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands431

lung trifft, ist auf Organebene differenziert und unter Berücksichtigung der jeweiligen organschaftlichen Verantwortungsbereiche zu beantworten. Da die Überwachungsgarantenstellung im Unterschied zur Beschützergarantenstellung keine unmittelbare Beziehung zu dem möglichen Opfer im Sinne einer Hilf- oder Schutzlosigkeit von diesem voraussetzt und der Pflichtige somit stets die von einer von ihm beherrschten oder verursachten Gefahrenquelle ausgehenden Gefahren für bedrohte Rechtsgüter im Rahmen des ihm tatsächlich und rechtlich Möglichen zu steuern hat, beschränkt sich eine Überwachungsgarantenstellung der Aufsichtsratsmitglieder im Bereich der Compliance-Überwachung nicht zwingend auf das Verhältnis zur AG, sondern könnte grundsätzlich auch gegenüber außerhalb der AG stehenden Dritten bestehen.551 Eine Überwachungsgarantenpflicht könnte sich aus Sicht der Aufsichtsratsmitglieder insbesondere in Gestalt einer (Aufsichts-)Pflicht zur Verhinderung von Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden, darstellen. In Betracht käme eine strafrechtliche Pflicht zur Überwachung der Verhinderung von Mitarbeiterstraftaten sowie die Pflicht zur Verhinderung von Straftaten durch Vorstandsmitglieder. Die Annahme einer Überwachungsgarantenstellung setzt nach Maßgabe des Herrschaftsprinzips und unter Beachtung der rechtlichen Stellung des Aufsichtsrats in der AG voraus, dass die Aufsichtratsmitglieder die tatsächliche Herrschaft über eine Gefahrenquelle besitzen und in der Lage sind, ihren auf Abwendung eines Schadens oder einer Gefahr gerichteten Willen mittels rechtlicher Einwirkungsbefugnisse effektiv durchzusetzen.552 Vor diesem Hintergrund scheidet eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats als Überwachungsgarant für bei Dritten durch Handlungen von Mitarbeitern der AG eingetretene Rechtsgutsverletzungen aus. Eine solche lässt sich auch dann nicht begründen, wenn die Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand nicht überwacht wurde. Dass die Aufsichtsratsmitglieder gegenüber außerhalb der AG stehenden Dritten, die durch aus dem Unternehmen heraus begangene Mitarbeiterstraftaten in ihren Rechtsgütern geschädigt werden, keine Überwachungsgarantenstellung trifft, wird klar, wenn man sich die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten im Bereich der Leitung und Überwachung verdeutlicht. Zunächst ist festzustellen, dass die Straftatbegehung unmittelbar durch einen eigenverantwortlich handelnden Unternehmensmitarbeiter erfolgte, sonur Withus, ZCG 2010, 74; Tiedemann, FS Tröndle 1989, 322. FS Stree/Wessels 1993, 570. Siehe Schilha, § 3, 123, der insoweit zutreffend von einem „normativ ausgestalteten Herrschaftsprinzip“ spricht. Vgl. Schwerdtfeger, S.  179 f. 551  Siehe

552  Cramer,

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

dass es mit Blick auf den Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit553 bereits aus der Sicht des Vorstands fraglich ist, ob dieser neben seiner zivil- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Pflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. §§ 130 Abs. 1, 30 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG auch im Rahmen der sogenannten Geschäftsherrenhaftung nach § 13 Abs. 1 StGB strafrechtlich verpflichtet ist, eine fremde Mitarbeiterstraftat durch Einführung eines Compliance-Systems zu verhindern.554 Davon zu trennen ist die Frage, ob die Mitglieder des Aufsichtsrats strafrechtliche Pflichten im Verhältnis zu durch Mitarbeiterstraftaten geschädigten Dritten treffen. Sowohl das eigenverantwortliche Handeln des Mitarbeiters selbst als auch die ausschließliche organisatorische Zuständigkeit des Vorstands für die Sicherstellung der Compliance auf Mitarbeiterebene mit dem Ziel der Verhinderung von Mitarbeiterstraftaten und Schädigungen Dritter schließt eine Überwachungsgarantenstellung der Mitglieder des Aufsichtsrats im Verhältnis zu außerhalb der AG stehenden Dritten nach zutreffender Ansicht aus.555 Nach der aktienrechtlichen Kompetenzordnung beschränkt sich die Verantwortung des Aufsichtsrats aus § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116, 93 Abs. 1 S. 1 AktG im Bereich der Compliance-Überwachung im Innenverhältnis ausschließlich auf die Überwachung des Vorstands und erfasst gerade nicht den direkten Zugriff auf im Außenverhältnis strafbar handelnde Mitarbeiter der AG.556 Der Aufsichtsrat hat mit Ausnahme eines im Einzelfall existierenden Informationsrechts zur Aufklärung von Verfehlungen des Vorstands557 weder eine 553  Nach dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit ist es grundsätzlich ausgeschlossen jemanden für das rechtswidrige Verhalten eines anderen sekundär zur Verantwortung zu ziehen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt nur dort in Betracht, wo die Verantwortung für das rechtswidrige Verhalten einer Person durch die Rechtsordnung auch einem Dritten auferlegt wird. Siehe SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 32 ff.; Kühl, AT, § 18 Rn. 40; Nietsch, CCZ 2013, 194, 197; Schilha, § 3, 154; Zimmermann, Strafbarkeitsrisiken, § 2, 155. Kritisch hierzu Rotsch, HWSt, 4/32. 554  Nach überwiegender Auffassung trifft die Geschäftsleitung strafrechtlich zwar die Pflicht, durch Anweisungen und Kontrollen strafbare Handlungen der Mitarbeiter aus dem Betrieb heraus zu verhindern, dies umfasst jedoch nicht auch die Pflicht zur Einführung eines „detaillierten Compliance-Systems“. Hierzu ausführlich SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 35a; M/G-Grützner, Kap. 4 Rn. 43; Rotsch, HWSt, 1/IV, Rn. 35, 45; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, AT, § 5 Rn. 289; Roxin, AT II, § 32 Rn. 137; Pietreck, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Betriebsinhabern, 160 ff. 555  Zutreffend Krause, NStZ 2011, 60; SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 32 ff.; Schwerdtfeger, S. 133. Demgegenüber Withus, ZCG 2010, 74. 556  Krause, NStZ 2011, 60; Withus, ZCG 2010, 74. 557  Siehe hierzu ausführlich Teil 2 B. I. 1. b) bb) (1) und (3) sowie Teil 3 C. III. 1. d) dd).



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands433

tatsächliche noch rechtliche Möglichkeit auf das Verhalten von Mitarbeitern der Gesellschaft gegenüber externen Dritten Einfluss zu nehmen. Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben daher auch keine zur Annahme einer Überwachungsgarantenstellung erforderliche tatsächliche und rechtliche Herrschafts- und Kontrollmacht über die bei der AG beschäftigten Mitarbeiter und können dementsprechend diese „personale Gefahrenquelle“ auch nicht effektiv steuern. Die Annahme einer Überwachungsgarantenstellung zu Gunsten von außerhalb der AG stehenden und durch das kriminelle Handeln eines Mitarbeiters der AG geschädigten Dritten scheidet daher aus. Die Mitglieder des Aufsichtsrats wirken auch nicht an der Einstellung von potentiell gefährlichen Mitarbeitern mit, sodass eine Überwachungsgarantenstellung zur Verhinderung von Mitarbeiterstraftaten auch unter dem Gedanken der Ingerenz ausscheidet. Eine strafrechtliche Pflicht der Aufsichtsratsmitglieder zum Handeln kann sich folglich nur auf das Verhältnis zum Vorstand beziehen, da auch ausschließlich in diesem Verhältnis tatsächliche und rechtliche Einwirkungsbefugnisse in Gestalt eines Zustimmungsvorbehalts oder in Form der Personalkompetenez existieren.558 2. Überwachungsgarantenstellung des Aufsichtsrats zur Verhinderung von Straftaten des Vorstands gegenüber Dritten? Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann nun der Frage nachgegangen werden, ob den Aufsichtsratsmitgliedern neben der oben bereits festgestestellten Stellung als Beschützergarant für das Vermögen der AG vor Schädigungen durch den Vorstand559 zusätzlich eine gegenüber Dritten wirkende Überwachungs- oder „Aufsichtsgarantenstellung“560 zur Verhinderung von Straftaten des Vorstands auf Grundlage des Herrschaftsprinzips zukommt und welche Pflichten aus einer solchen gegebenenfalls resultieren. a) Bedeutung einer Aufsichtsgarantenstellung aus Sicht des Aufsichtsrats Es wurde bereits aufgezeigt, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats jedenfalls keine aus einer Überwachungsgarantenstellung folgende strafrechtliche 558  Diesen rechtlichen Umstand unberücksichtigt lassend Withus, ZCG 2010, 74. Zutreffend hingegen Krause, NStZ 2011, 60. 559  Siehe hierzu die Ausführungen oben in Teil 5 A. II. 1. d) cc) und gg). 560  Den Begriff der Aufsichtsgarantenstellung verwenden auch Brammsen, Entstehungsvoraussetzungen, 224 ff.; Beulke, FS Geppert 2011, 36; Schilha, § 3, 150.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Pflicht zur Verhinderung von Mitarbeiterstraftaten gegenüber Dritten beziehungsweise zum Schutz von deren Rechtsgütern trifft, da es ihnen insoweit an rechtlichen Befugnissen zur Einwirkung auf die Mitarbeiter der AG fehlt und die Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder durch das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit wirksam begrenzt wird.561 Die Mitglieder des Aufsichtsrats haften daher auch nicht als Unterlassungstäter für eine auf Mitarbeiterebene begangene und vom Vorstand nicht verhinderte Straftat. Anders könnte sich die Situation unmittelbar im Verhältnis zum Vorstand darstellen, da die Mitglieder des Aufsichtsrats gegenüber diesem über gesellschaftsrechtliche Einwirkungsbefugnisse verfügen. Fraglich ist allerdings, ob diese Befugnisse in rechtlicher Hinsicht ausreichen, um eine Überwachungsgarantenstellung der Aufsichtsratsmitglieder zur Verhinderung von Straftaten des Vorstands gegenüber Dritten abzuleiten. Die Annahme einer gegenüber Dritten und deren Rechtsgütern bestehenden Überwachungsgarantenstellung hätte zur Folge, dass die Aufsichtsratsmitglieder zur Überwachung des Vorstands als potentielle Gefahrenquelle für die Interessen und Rechtsgüter Dritter verpflichtet wären.562 Für die Aufsichtsratsmitglieder resultiert hieraus die Gefahr einer eigenen strafrechtlichen Haftung wegen Unterlassen, wenn der Vorstand Dritte – etwa durch betrügerisches oder korruptes Handeln – schädigt, der Aufsichtsrat hiervon Kenntnis erlangt und die Straftatbegehung nicht verhindert563. Nimmt man eine Überwachungsgarantenstellung der Mitglieder des Aufsichtsrats an und sieht in ihnen Garanten für das Vermögen Dritter564, führt dies dazu, dass dessen Mitglieder neben den unmittelbar strafbar handelnden Vorstandsmitgliedern als Unterlassungstäter, etwa eines Betruges oder einer Bestechung, strafrechtlich haften. b) Meinungsspektrum in Rechtsprechung und Literatur Die Frage nach einer Überwachungsgarantenstellung des Aufsichtsrats zur Verhinderung von Straftaten durch den Vorstand knüpft an die oben bereits erwähnte Paralleldiskussion, ob dem Vorstand auf Grundlage einer Geschäftsherrenhaftung eine strafrechtliche Pflicht zur Verhinderung von Straftaten auf Mitarbeiterebene zukommt565, an und wirft auf einer übergeordne561  Siehe hierzu oben Teil 5 A. III. 1. c). Zum Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit innerhalb der Geschäftsherrenhaftung siehe ausführlich Schwerdtfeger, S.  184 ff. 562  Krause, NStZ 2011, 61. 563  Siehe auch Schwerdtfeger, S. 158. 564  Kritisch hierzu Krause, NStZ 2011, 61. 565  Zu dieser ebenfalls umstrittenen Paralleldiskussion und den insoweit vorgetragenen Argumenten ausführlich Beulke, FS Geppert 2011, 28 ff.; Zimmermann, Straf-



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ten Ebene im Kern dieselbe Frage auf, nämlich ob die Mitglieder des Aufsichtsrats als das zur Kontrolle über den Vorstand aktienrechtlich zuständige Organ566 auch eine strafrechtliche Pflicht zur Verhinderung von Straftaten des Vorstands im Sinne einer „Aufsichtsgarantenstellung“567 trifft. Diese Frage wird in der Rechtsprechung und strafrechtlichen Literatur – ebenso wie die Frage einer Geschäftsherrenhaftung des Vorstands568 – kontrovers diskutiert. Insbesondere die obergerichtliche Rechtsprechung569 sowie Teile des Schrifttums570 nehmen eine Überwachungsgarantenstellung des Aufsichtsrats an und gehen davon aus, dass diesen im Verhältnis zum Vorstand die Pflicht zur Verhinderung von Straftaten durch den Vorstand gegenüber außerhalb der AG stehenden Dritten trifft.571 Begründet wird eine solche „organspezifisch eingeschränkte“ Garantenpflicht572 zum einen mit dem bloßen Hinweis auf die gesellschaftsrechtliche Überwachungspflicht des Aufsichtsrats aus § 111 Abs. 1 AktG.573 Zum anderen wird sie materiell darauf zurückgeführt, dass dieser im Verhältnis zum Vorstand über hinreichende rechtliche Einwirkungsbefugnisse verfüge und die von ihm ausgehende Gefahr der Straftatbegehung gegenüber Dritten effektiv beherrschen könne.574 Zur Begründung einer Aufsichtsgarantenstellung wird aus der Personalkompetenz des Aufsichtsrats barkeitsrisiken, § 2, 155; Pietreck, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 162 ff. Siehe hierzu ausführlich die Untersuchung von Schwerdtfeger, S. 180 ff. Zur Frage einer Garantenpflicht von Vorstandsmitgliedern gegenüber Dritten zur Verhinderung von Vermögensschäden siehe aus der jüngeren Rechtsprechung BGH NJW 2012, 3439 ff. 566  Analog dazu ist der Vorstand als das zur Geschäftsführung berufene Organ im Verhältnis zu den Mitarbeitern der AG zur Kontrolle und Überwachung verpflichtet. Siehe 125 ff., 153 ff. 567  Beulke, FS Geppert 2011, 36; Schilha, § 3, 150 ff. 568  Zu dieser Kontroverse siehe Beulke, FS Geppert 2011, 28 ff.; Schwerdtfeger, S.  180 ff. 569  OLG Braunschweig, Beschl. v. 14.06.2012 Ws 44/12 u. 45/12; BeckRS 2012, 15237; CCZ 2013, 123 ff.; OLG Karlsruhe, AG 2008, 900 ff., 902; OLG Düsseldorf ZIP 2008, 1922. 570  Wagner/Spemann, NZG 2015, 945, 948; Withus, ZCG 2010, 74; Tiedemann, FS Tröndle 1989, 322; Schilha, § 3, 149 ff., 177 ff.; Leipold, FS Mehle 2009, 350. Zurückhaltend Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rn. 205 f. 571  Hart-Hönig, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, DAV 25 Jahre, 538, der unter Hinweis auf das Siemens-Verfahren darauf hinweist, dass die Rechtsprechung wohl auch für den Aufsichtsrat von einer organspezifisch eingeschränkten „generellen Garantenpflicht“ ausgeht. 572  Hart-Hönig, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, DAV 25 Jahre, 538. 573  Ohne nähere Begründung eine Überwachungsgarantenstellung des Aufsichtsrats annehmend insbesondere Tiedemann, FS Tröndle 1989, 322. Ebenso Withus, ZCG 2010, 74. 574  Schilha, § 3, 149 ff., 177 ff.; Wagner/Spemann, NZG 2015, 948.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

gegenüber dem Vorstand vereinzelt sogar eine „Sonderweisungsbefugnis“ abgeleitet.575 Demgegenüber lehnt der wohl überwiegende Teil der Literatur eine dermaßen weitreichende Aufsichtsgarantenstellung mit Verweis auf das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit sowie ein fehlendes Weisungsrecht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand ab.576 c) Stellungnahme Die Befürworter einer Aufsichtsgarantenstellung begründen eine solche im Wesentlichen damit, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand aufgrund ihrer aktienrechtlichen Stellung über hinreichende gesellschaftsrechtliche Einwirkungsbefugnisse verfügen würden, um die vom Vorstand ausgehende Gefahr der Straftatbegehung über den Einzelfall hinaus „im Vorfeld“ beherrschen zu können.577 Argumentativ nehmen sie damit eine Anleihe bei dem zur Begründung der Geschäftsherrenhaftung des Vorstands zur Verhinderung von Straftaten auf Mitarbeiterebene zentral angeführten „Herrschaftsargument“578. Danach sei derjenige, der „kraft seiner machtvollen Stellung“ in der Gesellschaft und seines oft „privilegierten Wissens Straftaten besonders gut verhindern kann“, aufgrund eben dieser Sonderstellung zum Einschreiten verpflichtet.579 Ob dieser Ansatz aus Sicht des Vorstands geeignet ist, das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit im Bereich der Unterlassungsdelikte zu durchbrechen und eine Garantenhaftung des Vorstands als Geschäftsherr bei Straftatbegehung auf Mitarbeiterebene zu begründen, kann im Rahmen dieser Untersuchung dahinstehen.580 ausdrücklich Schilha, § 3, 177 ff., 181. gegen eine Überwachungsgarantenstellung Krause, NStZ 2011, 61; Nitsch, CCZ 2013, 194; Schüppen, in: Schüppen/Schaub, MAH Aktienrecht, § 24, Rn. 205; M/G-Momsen, Kap. 1, Rn. 38; Schwerdtfeger, S. 203 f. Lediglich eine Beschützergarantenstellung gegenüber der AG vor Schädigungen durch den Vorstand annehmend Brand/Petermann, WM 2012, 66, 67; Brammsen, ZIP 2009, 1510. Sowohl bezüglich Beschützer- als auch Überwachungsgarantenstellung zurückhaltend Lüderssen, FS Lampe 2003, 738 ff.; 741; Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 563 ff., 582 f.; 586. 577  Siehe Schilha, § 3, 165 ff., 177 ff., 181. 578  Beulke, FS Geppert 2011, 32; SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 32 ff.; Schünemann, Unterlassungsdelikte, 328; Schilha, § 3, 158, 165. Zur Bedeutung dieses Arguments im Rahmen der Garantendogmatik siehe Teil 5 A. III. 1. a) bb); A. III. 1. b); A. III. 1. c). 579  Beulke, FS Geppert 2011, 32; SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 32, 35a. 580  Eine solche für den Geschäftsherren generell ablehnend Beulke, FS Geppert 2011, 33, 39; SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 35a; Berndt, StV 2009, 687, 690 f.; Campos Nave/Vogel, BB 2009, 2549; Rübenstahl, NZG 2009, 1342; Nietsch, CCZ 575  So

576  Dezidiert



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands437

Für die Aufsichtsratsmitglieder scheidet auf der dogmatischen Basis der Geschäftsherrenhaftung die Begründung einer Aufsichtsgarantenstellung zur Verhinderung von Straftaten durch den Vorstand gegenüber Dritten jedenfalls aus, da ihnen im Verhältnis zum Vorstand trotz ihrer im Einzel- und Krisenfall weitreichenden aktienrechtlichen Einwirkungsbefugnisse zumindest im Regelfall keine dermaßen starke „organisatorisch vermittelte“ Herrschaftsposition581 zukommt, die es ihnen generell ermöglicht, eine durch Vorstandsmitglieder geplante, unmittelbar bevorstehende oder bereits stattfindende Straftatbegehung gegenüber Dritten tatsächlich zu erkennen und durch Ausübung aktienrechtlicher Befugnisse mit der zur Annahme einer strafrechtlichen Garantenpflicht gebotenen Verlässlichkeit zu verhindern. Gegen die Anerkennung einer Überwachungsgarantenstellung der Aufsichtsratsmitglieder in Form einer Aufsichtsgarantenstellung spricht, dass sie gegenüber dem Vorstand aktienrechtlich keine „Herrschaftsstellung“ einnehmen.582 Ihre Stellung in der AG ist nicht mit der des Vorstands als „Geschäftsherr“ gegenüber den Unternehmensangehörigen vergleichbar.583 Die im Aktiengesetz angelegte duale Unternehmensverfassung sieht auf Organ­ ebene eine zweigliedrige Verwaltung der AG durch den Vorstand als Leitungs- sowie den Aufsichtsrat als Kontrollorgan vor und geht davon aus, dass beide Organe „gleichberechtigt“ nebeneinander stehen.584 Den Mitgliedern des Aufsichtsrats kommt folglich nach unbestrittener Auffassung im Verhältnis zum Vorstand kein Direktionsrecht im Sinne des § 106 GewO zu, das sie diesem gegenüber in den Rang eines Arbeitgebers versetzt und ihnen ermöglicht, den Vorstandsmitgliedern Anweisungen hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens im Betrieb zu erteilen.585 Vielmehr übt der Vorstand aufgrund seiner Organstellung selbst die Funktion des Arbeitgebers in der AG aus und verfügt bei Ausübung der Organtätigkeit nach § 76 Abs. 1 AktG über ein wesentlich größeres Maß an Eigenverantwortung als ein angestellter Mitarbeiter.586 Zwischen Aufsichtsrat und Vorstand besteht nach der aktienrechtlichen Struktur demgegenüber ein horizontales, auf Machtbalance abzielendes 2013, 194. Zurückhaltend M/G-Momsen, Kap. 1, Rn. 38. Zur Begründung der Geschäftsherrenhaftung Schwerdtfeger, 180 ff. 581  SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 35a. 582  Eine solche besteht aufgrund ihrer Organstellung lediglich gegenüber der AG und rechtfertigt nur die Annahme einer Beschützergarantenstellung. Siehe hierzu oben Teil 5 A. II. 1. d) cc). Zutreffend jüngst auch Schwerdtfeger, S.  201 f. 583  M/G-Momsen, Kap. 1, Rn. 38. 584  Lutter, NZG 2010, 603; Brand/Petermann, WM 2012, 63; Brammsen, ZIP 2009, 1508. 585  Siehe explizit BSG, AG 2000, 361 ff., wonach Vorstandsmitglieder „keine abhängigen Arbeitnehmer sind“. Dies erkennt auch Schilha, § 3, 169 an. 586  Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn. 9 ff.; Schilha, § 3, 169.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Verhältnis587, das bei der Frage, ob dem Aufsichtsrat eine Überwachungsgarantenstellung zur Verhinderung von Straftaten des Vorstands gegenüber Dritten zukommt, zu berücksichtigen ist. Eine zur Begründung einer Aufsichtsgarantenstellung erforderliche „Herrschaftsmacht“ im Sinne einer Weisungsbefugnis588 des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand lässt sich vor diesem strukturellen Hintergrund entgegen der Auffassung Schilhas in Übereinstimmung mit Schwerdtfeger589 weder aus dem Recht, die Zustimmung für bestimmte Geschäfte gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG zu veweigern590 noch aus der Personalkompetenz des Aufsichtsrats aus § 84 Abs. 3 AktG im Sinne einer „Sonderweisungsbefugnis“ ableiten.591 Die Aufsichtsratsmitglieder trifft zwar in Übereinstimmung mit Schilha die Pflicht, eine von ihnen als strafrechtswidrig erkannte Handlung des Vorstands mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterbinden und den Vorstand im Rahmen ihrer aktienrechtlichen Möglichkeiten zu überwachen.592 Hierzu kann es gegebenenfalls auch geboten sein, durch „ad hocBeschluss“ eines Vetos ein als (straf-)rechtswidrig erkanntes Geschäft des Vorstands abzuwenden.593 Die Ableitung einer Überwachungsgarantenstellung des Aufsichtsrats gegenüber Dritten aus § 111 Abs. 4 S. 2 AktG scheitert jedoch daran, dass die Vorschrift den Aufsichtsratsmitgliedern wegen ihrer Struktur als Vetorecht kein generelles Recht verleiht, dem Vorstand im Außenverhältnis wirksame Weisungen zu erteilen.594 Ihr Anwendungsbereich beschränkt sich auf das Innenverhältnis zwischen Aufsichtsrat und Vorstand und dient deshalb nur als Grundlage zur Annahme einer Beschützergarantenstellung gegenüber der AG vor Schädigungen durch den Vorstand.595 Die Aufsichtsratsmitglieder werden nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG jedoch nur in die Lage versetzt, eine bestimmte unter dem Vorbehalt der Zustimmung stehende Maßnahme auf 587  Lutter, 588  Zur

AG 1991, 250; Schilha, § 3, 169. Notwendigkeit dieses Erfordernisses siehe SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13

Rn. 35. 589  Im Ergebnis ebenfalls zutreffend Schwerdtfeger, S. 106 ff., 199 ff., der allerdings unberücksichtigt lässt, dass der Aufsichtsrat regelmäßig über kein „privilegiertes Wissen“ im Hinblick auf die Straftatbegehung des Vorstands verfügen wird. Siehe hierzu Teil 5 A. III. 2. c). 590  Schilha, § 3, 171 ff. 591  So dezidiert Schilha, § 3, 172; 177 ff., 181 ff. 592  Insoweit zutreffend Schilha, § 3, 169 ff., 175. 593  Insoweit zutreffend Schilha, § 3, 175. 594  Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG § 111, Rn. 75. Zutreffend gegen die Ableitung einer solchen aus § 111 Abs. 4 AktG Poseck, Strafrechtliche Haftung, 118 f.; Schwerdtfeger, S. 200. 595  Siehe hierzu bereits oben Teil 5 A. II. 1. d) cc) und ee).



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ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen und durch Verweigerung der Zustimmung zum Schutz des Gesellschaftsvermögens abzulehnen. Demgegenüber eröffnet § 111 Abs. 4 S. 2 AktG rechtlich nicht die Möglichkeit, das Verhalten des Vorstands aktiv zu steuern und potentiell stafrechtlich relevante Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands durch Zustimmungsverweigerung zum Schutz außenstehender Dritter zu verhindern. Für die Annahme einer gegenüber Dritten wirkenden Überwachungsgarantenstellung der Mitglieder des Aufsichtsrats zur Verhinderung von Straftaten durch den Vorstand spricht schließlich die dem Aufsichtsrat im Verhältnis zum Vorstand gemäß § 84 Abs. 3 S. 1 AktG zukommende Personalkompetenz. Bei ihr handelt es sich um das „stärkste Einwirkungsmittel“596 des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand, da es ihm das Recht einräumt, die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zu widerrufen. Ein schädigender Zustand kann auf diesem Weg sowohl für die AG als auch für Dritte sofort beendet werden. Eine strafbare Handlung durch ein Vorstandsmitglied gegenüber einem außerhalb der AG stehenden Dritten kann auch einen wichtigen Grund im Sinne des § 84 Abs. 3 S. 1 AktG darstellen, wenn die Straftatbegehung in einem Zusammenhang mit der Tätigkeit für die AG stand.597 Dem Aufsichtsrat ist damit rechtlich die Möglichkeit eröffnet, einzelne Vorstandsmitglieder oder – im Extremfall – den gesamten Vorstand bei einem starken Tatverdacht gemäß § 84 Abs. 3 S. 1 AktG abzuberufen und den Anstellungsvertrag schuldrechtlich nach § 626 Abs. 1 BGB zu kündigen. Die Ableitung einer Aufsichtsgarantenstellung aus der Personalkompetenz des Aufsichtsrats scheitert im Ergebnis jedoch an der primär repressiven Ausrichtung dieser Maßnahme. Die Abberufung und Kündigung eines Vorstandsmitglieds setzt unter Berücksichtigung der arbeitsgerichtlichen Praxis regelmäßig voraus, dass eine Straftatbegehung des Vorstands gegenüber Dritten stattgefunden hat und diese auch hinreichend nachweisbar ist.598 Eine präventive Wirkung kommt der Personalkompetenz des Aufsichtsrats damit nur im Ausnahmefall zu, wenn dieser davon Kenntnis hat, dass der Vorstand oder einzelne seiner Mitglieder die Begehung einer Straftat zum Nachteil eines Dritten beabsichtigen oder die Begehung einer solchen unmittelbar bevorsteht.599 Dies wird in der Praxis allerdings nur 596  Cramer,

FS Stree/Wessels 1993, 575; Schilha, § 3, 175. ZIP 2009, 1509. 598  Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 575; Poseck, Strafrechtliche Haftung, 119. Insoweit zutreffend Schilha, § 3, 175. Zur arbeitsgerichtlichen Rechtsprechungspraxis siehe MüKoBGB/Henssler, § 626 Rn. 185. 599  Anders liegt der Fall bei der Nichteinführung eines Compliance-Systems, da der Aufsichtsrat hiervon gesellschaftsintern, z. B. durch den Bericht des Abschluss597  Brammsen,

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

selten der Fall sein, da es fernliegend ist, dass der Vorstand den Aufsichtsrat über eine von ihm geplante Straftatbegehung berichtsmäßig gemäß § 90 Abs. 1 AktG in Kennntis setzt.600 Eine strafrechtliche Pflicht des Aufsichtsrats zur Verhinderung von Straftaten durch den Vorstand lässt sich wegen der repressiven Ausrichtung der Personalkompetenz daher regelmäßig nicht begründen.601 Schließlich lässt sich entgegen der Auffassung Schilhas eine Aufsichtsgarantenstellung des Aufsichtsrats zur Verhinderung von Straftaten des Vorstands gegenüber Dritten auch nicht mit einer aus der Personalkompetenz des Aufsichtsrats nach § 84 Abs. 3 S. 1 AktG abgeleiteten „Sonderweisungsbefugnis“, aufgrund derer die Mitglieder des Aufsichtsrats den Vorstand „in positiv gestaltender Weise zu einem bestimmten (strafrechtskonformen) Verhalten unmittelbar veranlassen“ können602, begründen. Die Annahme einer „Sonderweisungsbefugnis“ der Aufsichtsratsmitglieder in der Gestalt, dass diese gegenüber dem Vorstand gemäß § 84 Abs. 3 S. 1 AktG  – als mildere Maßnahme im Vergleich zu einer sofortigen Abberufung und Kündigung  – berechtigt und bei entsprechender Kenntnis verpflichtet seien, durch „rechtsverbindliche Einzelanweisung, die drohende Straftat zu verhindern“603 und dadurch „bereits im Vorfeld der Deliktsbegehung sowohl bei Begehungs- als auch bei Unterlassungsstraftaten des Vorstands ihren auf Schadensabwendung gerichteten Willen rechtlich durchzusetzen“604, lässt sich aktienrechtlich nicht legitimieren, da sie unmittelbar in den nach §§ 76 Abs. 1, 111 Abs. 4 S. 1 AktG dem Vorstand zukommenden unantastbaren Kernbereich der Leitung eingreift.605 Selbst wenn man eine solche von Schilha aus § 84 Abs. 3 AktG im Wege eines argumentum a maiore ad minus hergeleitete „Sonderweisungsbefugnis“ der Aufsichtsratsmitglieder entgegen der in §§ 76 Abs. 1 S. 1, 111 Abs. 4 S. 1 AktG angelegten Kompetenzverteilung anerkennt, prüfers, Kenntnis nehmen und über die Androhung personeller Konsequenzen agieren kann. Zur Möglichkeit des Aufsichtsrats, sich über den Abschlussprüfer zu informieren Teil 2 B. I. 1. b) cc) (1) (c). 600  Zum Problem einer durch den Vorstand „gefilterten“ Information des Aufsichtsrats siehe auch die Ausführungen oben in Teil 3 C. III. 1. b) bb); Velte, NZG 2011, 1402. 601  Zutreffend insoweit auch Schilha, § 3, 177. 602  Schilha, § 3, 177 ff., 180, 181; Wagner/Spemann, NZG 2015, 948. 603  Schilha, § 3, 178. 604  So aber Schilha, § 3, 181 f. Erst recht abzulehnen ist die Annahme von Whitus, ZCG 2010, 74, wonach vorsätzliche strafbare Handlungen von Unternehmensangehörigen bei den Aufsichtsratsmitgliedern „selbst“ eine Strafbarkeit auslösen könnten. 605  So auch die herrschende Meinung. Siehe Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rn. 62; Lutter, NZG 2010, 603; Brand/Petermann, WM 2012, 63. Einen „schwerwiegenden Eingriff“ in die Unabhängigkeit des Vorstands nimmt daher zu Recht an Schwerdtfeger, S. 107, 199.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands441

scheitert die Annahme einer Überwachungsgarantenstellung der Mitglieder des Aufsichtsrats zur Verhinderung von Straftaten des Vorstands gegenüber Dritten daran, dass die Aufsichtsratsmitglieder nur aufgrund der Existenz einer Sonderweisungsbefugnis nicht auch über das zur Annahme einer Aufsichtsgarantenstellung erforderliche „überlegene Wissen“ im Hinblick auf eine bevorstehende oder bereits stattfindende Straftabegehung durch den Vorstand verfügen.606 Sie können sich ein solches mit den ihnen zur Verfügung stehenden aktienrechtlichen Befugnissen in der Regel auch nicht verschaffen. Nach dem aktienrechtlichen Berichtssystem des § 90 AktG verfügen sie – im Unterschied zum Vorstand gegenüber nachgeordneten Ebenen  – mangels Berichterstattung durch Fachabteilungen schon nicht über ein „privilegiertes Wissen“, das sie im Verhältnis zum Vorstand in eine beherrschende Stellung versetzt. Die Aufsichtsratsmitglieder sind vielmehr darauf angewiesen, dass sie vom Vorstand regelmäßig, vollständig und wahrheitsgemäß unterrichtet werden.607 Unbegründete Nachfragen gegenüber dem Vorstand und leitenden Angestellten haben sie zur Wahrung des Vertrauensverhältnisses zwischen Aufsichtsrat und Vorstand im Regelfall gerade zu unterlassen.608 Steht der Verdacht im Raum, dass der gesamte Vorstand oder einzelne seiner Mitglieder in eine Straftat verwickelt sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine umfassende oder gar überschießende Information von Seiten des Vorstands an den Aufsichtsrat erfolgt. Die Mitglieder des Aufsichtsrats befinden sich daher in der Regel in einem Informationsdefizit und können deshalb erst nach Bekanntwerden des Verdachts einer Straftatbegehung durch Mitglieder des Vorstands weitergehende Maßnahmen zur Informationsgewinnung und zur Reaktion auf das Fehlverhalten einleiten. Zwar ist bei begründeten Verdachtsmomenten im Hinblick auf eine Straftatbegehung durch den Vorstand der Rückgriff auf leitende Mitarbeiter zur Informationsbeschaffung und Aufklärung aktienrechtlich zulässig und bei entsprechender Verdachtslage nach hier vertretener Auffassung für die Aufsichtsratsmitglieder auch verpflichtend.609 Hieraus erwächst ihnen im Verhältnis zum Vorstand aber noch kein Informationslevel, das es  – analog zur Stellung des Vorstands gegenüber den Mitarbeitern der AG  – über den Ein606  Zur Notwendigkeit eines solchen bei Begründung der Geschäftsherrenhaftung Beulke, FS Geppert 2011, 32. Zutreffend auch SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 35a. 607  Teil 2 B. I. 1. b) bb) (3) (c); B. I. 1. b) cc); Teil 3 C. II. 1. a); C. II. 1. c); C. III. 1. d) dd). 608  Siehe nur Velte, NZG 2011, 1401 ff.; MüKoAktG/Spindler, § 90 Rn. 33 ff. 609  Siehe hierzu ausführlich oben Teil 2 B. I. 1. b) bb) (3) und Teil 3 C. III. 1. d) dd).

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

zelfall hinaus rechtfertigt, generell davon auszugehen, sie würden über ein gleichermaßen privilegiertes Wissen verfügen und könnten eine Straftatbegehung des Vorstands gegenüber Dritten besonders gut verhindern. Die aktienrechtliche Ausgestaltung des Informationswesens, wonach der Vorstand an den Aufsichtsrat gemäß § 90 AktG lediglich zu den dort genannten Themen turnusgemäß berichtet610 und den Mitgliedern des Aufsichtsrats darüber hinaus nur bei konkreten Verdachtsmomenten das Recht zukommt, direkt auf Mitarbeiter der zweiten Führungsebene zuzugreifen, um von diesen Informationen zu einer möglichen Straftatbegehung durch Vorstandsmitglieder zu erlangen, sowie die im Vergleich zum Vorstand geringere organisatorische Ausstattung des Aufsichtsrats611 sprechen gegen die Annahme einer privilegierten Wissensstellung der Aufsichtsratsmitglieder im Hinblick auf geplante oder stattfindende Straftaten durch den Vorstand zum Nachteil von Dritten. Die Annahme einer Aufsichtsgarantenstellung scheidet daher insbesondere auch unter diesem Gesichtspunkt aus.612 d) Ergebnis Die Herrschaftsmacht des Aufsichtsrats beschränkt sich in der AG letztlich darauf, durch Beratung, Meinungs- und Bedenkenäußerung sowie durch Informationsbeschaffung gegenüber dem Vorstand darauf hinzuwirken, dass der selbst nicht handlungsfähigen Gesellschaft kein Schaden erwächst. Zur Erreichung dieses Ziels haben die Aufsichtsratsmitglieder die Möglichkeit, gegenüber dem Vorstand Personalmaßnahmen zu ergreifen, Zustimmungsvorbehalte zu begründen oder im Extremfall auch Schadenersatzansprüche gegenüber diesem geltend zu machen. Demgegenüber fehlt es ihnen aktienrechtlich sowohl an einer durchsetzbaren Weisungsbefugnis gegenüber dem Vorstand als auch an privilegiertem Wissen hinsichtlich einer von diesem geplanten beziehungsweise durchgeführten Straftat. Die Aufsichtsratsmitglieder verfügen weder tatsächlich noch rechtlich über eine effektive Möglichkeit, das Verhalten des Vorstands über den Einzelfall hinaus zu beherrschen und so zu steuern, dass Rechtsgüter Dritter durch eine Straftatbegehung des Vorstands nicht verletzt werden. Im Ergebnis ist daher zu konstatieren, dass 610  Der Vorstand verfügt über ein „Informationsmonopol“. Siehe Velte, NZG 2011, 1401 ff. 611  Da die Aufsichtsratsmitglieder ihre Aufgabe nicht im Hauptamt ausüben, verfügen sie nur über eingeschränkte sachliche, personelle und organisatorische Ressourcen. Siehe Brammsen, ZIP 2009, 1508; Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 585; BGH 47, 201; Teil 2 B. I. 1. b) cc). 612  Die Annahme einer solchen käme im Ergebnis einer „Garantiehaftung“ des Aufsichtsrats für das Verhalten des Vorstands gleich. Zutreffend SK-Rudolphi/Stein, StGB, § 13 Rn. 35a.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands443

die Mitglieder des Aufsichtsrats im Verhältnis zum Vorstand und erst recht gegenüber leitenden Mitarbeitern und sonstigen Angestellen keine Überwachungsgarantenstellung zur Verhinderung von Straftaten gegenüber Dritten trifft. Eine Strafbarkeit der Aufsichtsratsmitglieder als Unterlassungstäter für die von Vorstandsmitgliedern beziehungsweise leitenden Angestellten gegenüber Dritten eigenmächtig begangenen Straftaten scheidet mangels Aufsichtsgarantenstellung des Aufsichtsrats somit aus. 3. Schlussfolgerung für das Strafbarkeitsrisiko des Aufsichtsrats Den Aufsichtsratsmitgliedern kommt unter Berücksichtigung ihrer rechtlichen Stellung auf Basis des Herrschaftsprinzips ausschließlich eine Beschützergarantenstellung zum Schutz des Gesellschaftsvermögens vor Schädigungen durch den Vorstand zu. Folglich beschränkt sich ihr Strafbarkeitsrisiko bei Verdacht auf vermögensschädigende Pflichtverletzungen durch den Vorstand – vorbehaltlich einer im Einzelfall nachgewiesenen vorsätzlichen aktiven Beteiligung des Aufsichtsrats an einer strafbaren Handlung des Vorstands gegenüber Dritten613 sowie der Verwirklichung spezifischer nebenstrafrechtlicher Tatbestände614 – auf den Tatbestand der Untreue durch Unterlassen der gegenüber der AG geschuldeten Handlungspflichten. Ein solches Haftungsrisiko wird aus Sicht des Aufsichtsrats aktuell, wenn er nach Bekanntwerden von Verdachtsmomenten nicht reagiert und den Verdacht einer strafbaren, das Gesellschaftsvermögen schädigenden Handlung des Vorstands mit den ihm zur Verfügung stehenden gesellschaftsrechtlichen Mitteln intern nicht aufklärt, abstellt und ahndet.615 Eine strafrechtlich relevante Schädigung des Gesellschaftsvermögens durch eine Straftatbegehung des Vorstands kommt aus Sicht des Aufsichtsrats dabei in zweifacher Hinsicht in Betracht. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass der Vorstand Straftaten gegenüber außerhalb der AG stehenden Dritten begeht und diese hierdurch schädigt. Für die AG resultiert das Risiko einer Schädigung in dieser Konstella613  In dieser Konstellation kommt – je nach innerer Haltung und Tatherrschaft – neben einer Mittäterschaft der Aufsichtsratsmitglieder auch eine Beihilfe zur Haupttat des Vorstands in Betracht. Zu den Abrenzungskriterien Fischer, StGB, § 27 Rn. 2; OLG Karlsruhe, AG 2009, 900 ff., 902, das die Ankündigung einer Straftatbegehung durch den Vorstand und dessen Billigung durch den Aufsichtsrat als psychische Beihilfe wertet. Zur Strafbarkeit des Aufsichtsrats bei Zusammenwirken mit leitenden Angestellten BGH NZG 2016, 703 ff. 614  In Betracht kommen aus Sicht des Aufsichtsrats insbesondere §§ 399, 400 AktG. 615  In diese Richtung auch zutreffend Krause, NStZ 2011, 61.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

tion nach §§ 31, 89 BGB daraus, von den durch die Vorstandstat geschädigten Dritten gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. dem durch den Vorstand verwirklichten Straftatbestand auf Ersatz des Schadens in Anspruch genommen zu werden.616 Eine das Gesellschaftsvermögen schädigende Straftatbegehung des Vorstands muss aber nicht zwingend zu Lasten Dritter erfolgen, um aus Sicht des Aufsichtsrats möglicherweise Untreuerelevanz zu entfalten, sondern kann zum anderen insbesondere darin liegen, dass der Vorstand durch eine strafbare Handlung gegenüber der AG das Gesellschaftsvermögen – etwa durch Einrichten einer schwarzen Kasse gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB oder sonstige das Gesellschaftsvermögen unmittelbar berührende strafbare Handlungen617 – direkt schädigt. Beide Konstellationen entfalten aufgrund der primärrechtlichen Pflicht des Aufsichtsrats zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Fehlverhalten des Vorstands einerseits und unter Berücksichtigung seiner Stellung als Beschützergarant für das Vermögen der AG vor Schädigungen durch den Vorstand andererseits die Gefahr, dass er sich zum Nachteil der AG gemäß §§ 266 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB strafbar macht, wenn er Schädigungen des Vorstands gegenüber Dritten und / oder der AG nicht aufklärt, abstellt und angemessen ahndet.618 Ebenso trifft den Aufsichtsrat in beiden Sachverhaltsgestaltungen nach der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung gemäß §§ 112 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG die primärrechtliche Pflicht, einen der Gesellschaft durch das Vorstandshandeln entstandenen Schaden zu verfolgen619. Da die Mitglieder des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand weder über ein „überlegenes Wissen“ noch über ein Weisungsrecht verfügen und sie zur Wahrung des Vertrauensverhältnisses zum Vorstand aktienrechtlich zugleich angehalten sind, anlasslose Untersuchungen zu unterlassen, trifft sie schließlich nicht die rechtliche Pflicht, eine geplante Straftatbegehung des Vorstands gegenüber Dritten bereits im Vorfeld zu erkennen und durch präventives 616  S/S/Perron, StGB, § 266 Rn. 37; M/G-Schramm, Kap. 5, Rn. 140; BGH NStZ 2000, 376. Einer besonderen Klärung bedarf in dieser Konstellation, ob das Risiko der AG auf Schadenersatz in Anspruch genommen zu werden auch einen unmittelbaren Vermögensschaden darstellt. Siehe hierzu ausführlich unten Teil 5 III. 5. a) aa). 617  Siehe weitergehend die ausführliche Darstellung potentieller Vorstandsdelikte zum Nachteil der AG bei Schwerdtfeger, S.  236 ff. 618  Demgegenüber besteht mangels Überwachungsgarantenstellung kein Risiko, dass sich der Aufsichtsrat auch wegen der vom Vorstand gegenüber einem Dritten begangenen Tat (z. B. §§ 263, 264 StGB oder 298 StGB) wegen Unterlassen strafbar macht. Siehe Teil 5 A. II. 1. e) aa) und Teil 5 A. III. 1. c). 619  Siehe hierzu ausführlich oben Teil 3 C. III. 2.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands445

Tätigwerden einen Schadenseintritt zum Nachteil der AG zu verhindern.620 Eine solche aus einer Überwachungsgarantenstellung abgeleitete Pflicht würde den Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats im Innenverhältnis überspannen und ihn innerhalb der AG zu einer Art Superkontrollinstanz umfunktionieren, ohne ihm hierfür die notwendigen Kompetenzen an die Hand zu geben.621 Eine solche Sichtweise vertrüge sich auch nicht mit der in der aktienrechtlichen Kompetenzordung angelegten Gleichberechtigung der beiden Organe.622 Sollte dem Aufsichtsrat ausnahmsweise zur Kenntnis gelangen, dass der Vorstand die Begehung einer Straftat plant beziehungsweise die Begehung einer solchen unmittelbar bevorsteht, hat er die ihm zur Verfügung stehenden Befugnisse mit dem Ziel der Straftatverhinderung und Vermeidung eines Schadenseintritts bei der AG präventiv einzusetzen und den Vorstand gemäß § 84 Abs. 3 AktG abzuberufen.623 Da der Aufsichtsrat im Normalfall jedoch auf externe Informationen angewiesen ist und nach der aktienrechtlichen Ausgangslage gerade nicht beliebigen Zugriff auf Informationen hat, wird er gegenüber dem Vorstand regelmäßig erst nach Bekanntwerden eines Tatverdachtes repressiv aktiv werden können. Die nachfolgende Betrachtung beschränkt sich daher auf die Fälle, in denen der Aufsichtsrat entweder durch Informationen Dritter oder aufgrund eigener Wahrnehmung Kenntnis von dem Verdacht einer erfolgten Straftatbegehung durch den Vorstand nimmt und seiner aktienrechtlichen Pflicht zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung des Fehlverhaltens nicht nachkommt. 4. Strafbarkeitsrisiken des Aufsichtsrats bei Verdacht auf strafrechtswidriges Verhalten des Vorstands gegenüber der AG Erlangen die Aufsichtsratsmitglieder Kenntnis davon, dass der Vorstand zum Nachteil der AG eine deren Vermögen umittelbar schädigende strafbare Handlung begeht, und leiten sie entgegen ihrer aktienrechtlichen Pflicht aus §§ 111 Abs. 1 AktG i. V. m. 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG keine Maßnahmen zur Aufklärung ein und stellen das schädigende Vorstandshandeln mit den 620  Zur fehlenden Überwachungsgarantenstellung der Mitglieder des Aufsichtsrats siehe die Ausführungen oben in Teil 5 A. III. 2. u. 3.; Schüppen, in: Schüppen/Schaub, MAH Aktienrecht, § 24 Rn. 205. Im Ergebnis ebenfalls zutreffend Schwerdtfeger, S.  203 f. 621  Schüppen, in: Schüppen/Schaub, MAH Aktienrecht, § 24 Rn. 204. Im Ergebnis zutreffend auch Schwerdtfeger, S.  203 f. 622  Siehe hierzu bereits oben Teil 2 A. II. 623  Zutreffend Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rn. 205.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

ihnen gegenüber dem Vorstand zur Verfügung stehenden Einwirkungsmöglichkeiten nicht ab, kommt bei Billigung des entsprechenden Vorstandshandelns neben der Strafbarkeit des Vorstands wegen des von diesem zum Nachteil der AG begangenen Delikts eine Strafbarkeit der Aufsichtsratsmitglieder entweder wegen (mit-)täterschaftlichen Unterlassens oder Beihilfe624 zu der zum Nachteil der AG verwirklichten Tat des Vorstands in Betracht. a) Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassen Bevor das Strafbarkeitsrisiko des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit der Straftatbegehung des Vorstands gegenüber der AG betrachtet werden kann, ist zu klären, wonach sich die Abgrenzung zwischen der täterschaftlichen Begehung durch Mitglieder des Aufsichtsrats und der Teilnahme an einer Tatbegehung des Vorstands aus Sicht des Aufsichtsrats dogmatisch bestimmt. Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme ist im strafrechtlichen Schrifttum und der Rechtsprechung im Bereich der Beteiligung durch Unterlassen umstritten.625 Ein beachtlicher Teil der Literatur geht bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme davon aus, dass ein unterlassender Garant neben einem vorsätzlich handelnden Begehungstäter grundsätzlich nur Gehilfe sein kann, weil der die Tat unmittelbar selbst ausführende Begehungstäter dem Unterlassenden die Tatbeherrschung verstellt, solange er selbst die Handlungsherrschaft ausübt.626 Eine „herausgehobene Täterverantwortlichkeit“ komme daher nur dem den Erfolg unmittelbar bewirkenden zu, während die Verantwortlichkeit des Nichteinschreitenden mit der Gehilfenrolle bereits zutreffend erfasst sei.627 Die unterlassenden Mitglieder des Aufsichtsrats wären bei einer vorsätzlichen Tatbegehung durch Mitglieder des Vorstands zum Nachteil der AG nach dieser Theorie auch dann stets nur als Gehilfen einzuordnen, wenn sie von dessen Tat zum Nachteil der AG Kenntnis nehmen, sie nicht handeln und deren Unterlassen einen zentralen Beitrag zur Tatbestandsverwirklichung leistet. 624  Eine Beihilfe des Aufsichtsrats ist dabei sowohl als Beihilfe durch Unterlassen zu einem Begehungsdelikt des Vorstands als auch als Beihilfe durch Unterlassen zu einem Unterlassungsdelikt des Vorstands denkbar, siehe hierzu Satzger, Jura 2015, 1061, 1063. 625  Zum Meinungsstand siehe Satzger, Jura 2015, 1061; Kühl, AT § 20 Rn. 229 ff.; LK-Schünemann, § 25 Rn. 205 ff. 626  Die sog. „Gehilfentheorie“ wird vertreten von Kühl, AT § 20 Rn. 230; Lackner/Kühl-Kühl, § 27, Rn. 5; S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 91; BeckOKKudlich, § 25 Rn. 17.2.; SSW-Kudlich, StGB, § 13 Rn. 43. 627  Siehe Kühl, AT § 20 Rn. 230.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands447

Die hinter dieser Auffassung stehende Grundaussage, wonach ein Unterlassen stets weniger schwer wiegt als positives Tun, übersieht jedoch, dass der pflichtwidrig Unterlassende auch die Zentralgestalt bei der Verwirklichung des Tatbestands sein kann.628 Die Gehilfentheorie629 führt mit ihrer starren Einteilung dahingehend, dass Täter ausschließlich der aktiv Handelnde und Gehilfe stets der Unterlassende sei, jedenfalls dann zu unbilligen Ergebnissen, wenn der Unwertgehalt des Unterlassens nicht geringer ist, als der des positiven Tuns.630 Die Anwendung der obligatorischen Strafmilderung nach § 27 Abs. 2 S. 2 StGB ist in dieser Konstellation nicht gerechtfertigt. Dass die Privilegierung des Unterlassenden nicht stets gewollt ist, kommt auch in der Regelung des § 13 Abs. 2 StGB zum Ausdruck, der für das unechte Unterlassungsdelikt gerade keine obligatorische, sondern nur eine fakultative Strafmilderungsmöglichkeit vorsieht631 und damit strafzumessungsrechtlich die Gleichstellung von Unterlassen und positivem Tun ermöglicht, wenn der Unrechtsgehalt des Unterlassens dem des Tuns entspricht. Die starre Zuordnung jeder Beteiligung durch Unterlassen als bloße Beihilfe würde wegen der damit stets einhergehenden Anwendung der obligatorischen Strafmilderungsvorschrift des § 27 Abs. 2 S. 2 StGB die in § 13 Abs. 2 StGB zum Ausdruck kommende Wertung unterlaufen und ist daher abzulehnen.632 Eine andere, insbesondere von Roxin und neuerdings auch von Schwerdtfeger vertretene, Auffassung gelangt zu einem konträren Ergebnis, indem sie die Unterlassungsdelikte als „Pflichtdelikte“ auffasst und stets denjenigen als Täter ansieht, der die ihm obliegende Garantenpflicht verletzt.633 Nach der auch als Tätertheorie634 bezeichneten Lehre soll die den Unterlassenden treffende Garantenpflicht ein täterschaftsbegründendes Merkmal sein, weshalb Satzger, Jura 2015, 1062. genannt von Hillenkamp, 20. AT-Problem, S. 158; LK-Schünemann, § 25

628  Zutreffend 629  So

Rn. 207. 630  Der Unwertgehalt des Verhaltens derjenigen Eltern, die ihr Kind verhungern lassen, kann im Vergleich zur Herbeiführung desselben Erfolges durch positives Tun nicht generell schon deshalb geringer sein, weil den Eltern „nur“ ein Unterlassen vorgeworfen werden könne. Siehe Roxin, AT II, § 31, Rn. 145; Satzger, Jura 2015, 1062. 631  Zutreffend S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 91; Satzger, Jura 2015, 1062. 632  Zutreffend in diese Richtung Satzger, Jura 2015, 1062; S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 91; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1034. 633  Grundlegend Roxin, AT II, § 31 Rn. 140 ff.; LK-Roxin, StGB, 11. Aufl., § 25 Rn.  206 ff; Stratenwerth/Kuhlen, AT § 14 Rn. 23; SK-StGB/Rudolphi, Vor § 13 Rn. 54, 61; Schwerdtfeger, S. 165 ff., 169, 171. 634  So bezeichnet von Satzger, Jura 2015, 1062; Hillenkamp, 20. AT-Problem, S. 140.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

eine Gehilfenstellung für den Garanten generell nicht in Betracht komme.635 Dieser sei bei Verletzung der ihn treffenden Garantenpflicht stets Täter und niemals Gehilfe.636 Nach dieser Auffassung wären die Mitglieder des Aufsichtsrats aufgrund ihrer Stellung als Beschützergaranten für das Vermögen der AG vor Schädigungen durch den Vorstand stets als Täter anzusehen, wenn sie eine Straftatbegehung der Mitglieder des Vorstands zum Nachteil der AG erkennen und diese nicht abstellen. Zwar lässt sich für diese Lehre anführen, dass der Wortlaut der Vorschrift des § 13 StGB eine solche Sichtweise nicht explizit ausschließt, da der Gesetzgeber auf die Formulierung, dass der Unterlassungstäter „als Täter oder als Teilnehmer“ strafbar sei, verzichtet hat.637 Ebenso, wie die Gehilfentheorie mangels Differenzierung den Unterlassenden im Einzelfall zu Unrecht privilegiert, führt die Tätertheorie aufgrund ihrer pauschalen Zuordnung zu einer nicht zu rechtfertigenden strengeren Behandlung des Unterlassenden.638 Dieser wird im Ergebnis stets als (Unterlassungs-)Täter eingeordnet und damit schärfer bestraft als der Teilnehmer durch aktives Tun, da für ihn nicht nur die Strafmilderungsmöglichkeit des § 27 Abs. 2 StGB639, sondern auch die Straflosigkeit der versuchten Beihilfe entfällt.640 Die aus der Garantenstellung folgende Garantenpflicht kann damit als solche ebenfalls kein taugliches Abgrenzungskriterium sein.641 Ein Teil des Schrifttums differenziert bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Bereich des Unterlassens schließlich nach der Art der Garantenstellung.642 Der Beschützergarant sei stets als Täter, der Überwa635  Schwerdtfeger, S.  165 f., 168 f.; Satzger, Jura 2015, 1062; Kühl, AT § 20 Rn. 229. 636  Schwerdtfeger, S. 165, 169. Zu Recht kritisch Satzger, Jura 2015, 1062. 637  Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn.  1034 m. w. N.; Beulke, KK III, Rn. 139. 638  S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 92. 639  Satzger, Jura 2015, 1062; S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 92. 640  Im Gegensatz dazu ist die versuchte Tat durch Unterlassen nach den Regeln über die Versuchsstrafbarkeit strafbar. Zu diesem Gegenargument Hoffmann-Holland, AT, Rn. 803; S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor. §§ 25 ff., Rn. 92. 641  Die Funktion der Garantenstellung und -pflicht besteht darin, das grundsätzlich erlaubte gefährliche Unterlassen dem grundsätzlich verbotenen gefährlichen Handeln im Hinblick auf das Ver- bzw. Gebot gleichzustellen und zu bewirken, dass dieses Unterlassen den gleichen Regeln – d. h. insbesondere im Hinblick auf die Beteiligungsformen – unterliegt wie das Handeln. Zutreffend in diese Richtung SKStGB/Rudolphi, Vor § 13 Rn. 55; Satzger, Jura 2015, 1062; Wessels/Beulke/Satzger, AT Rn. 1034; S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 92. 642  Geppert, Jura 1999, 266, 271; Gropp, Strafrecht AT, § 10 Rn. 312 f.; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1998, 82 ff.; Kindhäuser, AT § 38 Rn. 67 ff., 71; S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 95 ff.; 102; LK-Schünemann, StGB, § 25 Rn. 211; Krüger, ZIS 2011, 1 ff., 5, 7.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands449

chungsgarant grundsätzlich nur als Gehilfe einzuordnen.643 Begründet wird dies insbesondere mit der Nähe des Unterlassenden zum Rechtsgut. Die Einteilung in Beschützer- und Überwachergaranten beschreibe „unterschiedliche Grade von Pflichtigkeit“, an der die „Beteiligungsdiagnose“ orientiert werden könne.644 Während der Beschützergarant in direkter Verbindung zum Rechtsgut stehe und es vor Gefahren aller Art zu bewahren habe, sei die Beziehung zwischen Überwachungsgarant und Rechtsgut nur eine mittelbare, weil dazwischen die jeweilige Gefahrenquelle stehe.645 Die letztere Konstellation entspreche der Struktur der Beihilfe, da auch hier die Beziehung des Gehilfen zum Rechtsgut – vermittelt über den Haupttäter – nur eine indirekte sei.646 Im Gegensatz zum Beschützergaranten stünde der Überwachungsgarant wegen der qualitativ anderen Rechtspflicht grundsätzlich dem aktiven Gehilfen näher als dem tatbeherrschenden Begehungstäter, weswegen für ihn auch nur eine Bestrafung nach den Beihilferegeln in Betracht komme.647 Unter Zugrundelegung der insoweit differenzierenden Auffassung sind die Mitglieder des Aufsichtsrats aufgrund ihrer Stellung als Beschützergaranten648 für das Gesellschaftsvermögen vor Schädigungen durch den Vorstand daher stets als Täter und mangels Überwachungsgarantenstellung649 niemals als Gehilfen einzuordnen, wenn sie von einer das Vermögen der AG schädigenden Straftat des Vorstands Kenntnis erlangen und diese nicht abstellen. Ebenfalls nach der Art der Garantenstellung differenziert Krüger, indem er – anknüpfend an den „Tatherrschaftsgedanken“650 – der Einteilung der Garantenstellungen in Beschützer- und Überwachergaranten eine „gewisse Indiz- und Leitbildfunktion“ für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Unterlassungsbereich zuschreibt.651 Im Unterschied zu der soeben dargestellten – tradierten – differenzierenden Auffassung gelangt Krüger jedoch zu dem konträren Ergebnis.652 Beschützergaranten seien demnach 643  Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 257 ff.; S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 95 ff.; Seher, JuS 2009, 793, 797. 644  So dezidiert S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 95. 645  Bachmann/Eichinger, JA 2011, 107. 646  Bachmann/Eichinger, JA 2011, 107. 647  S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 99. 648  Zur Ableitung der Beschützergarantenstellung siehe ausführlich Teil 5 A. II. 1. d) cc). 649  Zur fehlenden Überwachungsgarantenstellung siehe ausführlich Teil 5 A. III. 2. und 3. 650  Zu dessen Bedeutung im Bereich der Unterlassungsdogmatik Teil 5 A. III. 1. a) bb). 651  Siehe Krüger, ZIS 2011, 7 f. 652  Krüger, ZIS 2011, 7.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

„regelmäßig als Gehilfen im Verhältnis zum aktiv handelnden Dritten anzusehen und Überwachungsgaranten demgegenüber als Täter“.653 Nach Auffassung Krügers folge diese Form der Differenzierung „nahezu zwangsläufig aus der Natur der Sache“ und dem „Tatherrschaftsgedanken selbst“654, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Überwachungsgaranten die „relativ leicht“ zu erfüllende Pflicht655 obliege, bestimmte in ihrem Zuständigkeits- oder Herrschaftsbereich liegende Gefahrenquellen zu überwachen.656 Während sich der Überwachungsgarant auf die Gefahrenquelle beschränken und diese im Auge behalten könne, müsse sich der Beschützergarant vor das Rechtsgut stellen und das Rechtsgut umfassend vor Schaden „jeden Ursprungs“ bewahren.657 Diese Grundkonstellation rechtfertigt es nach Auffassung Krügers letztlich, mit einem Beschützergaranten „Nachsicht“ zu üben und ihn regelmäßig bloß als tauglichen Täter einer Beihilfe durch Unterlassen anzusehen, wohingegen der Überwachungsgarant „eher“ als Täter einzuordnen sei.658 Konstatiert man – wie Krüger – zudem, dass Tatherrschaft vorliegt, wenn „man maßgeblichen Einfluss auf das Geschehen hat“, führe der Tatherrschaftsgedanke „selbst“ zu der Annahme, dass Überwachungsgaranten regelmäßig als Unterlassungstäter anzusehen seien, weil es diesen gerade „nicht schwer“ falle auf das in ihrem Zuständigkeits- und Herrschaftsbereich liegende „Geschehen einzuwirken“.659 Demgegenüber seien die den Beschützergaranten auferlegten Pflichten „ungleich schwerer“ zu erfüllen, was es letztlich rechtfertige, diese lediglich als Täter einer Beihilfe durch Unterlassen anzusehen.660 Gegen die Bestimmung von Täterschaft und Teilnahme anhand einer Differenzierung nach Art der Garantenstellung – sei es nach der tradierten differenzierenden Auffassung oder nach der Auffassung Krügers – spricht, dass eine unterschiedliche Behandlung der Garanten im Gesetz nicht angelegt und eine klare Unterscheidung zwischen Beschützer- und Überwachergaranten kaum möglich ist661, insbesondere auch, dass die differenzierende Ansicht 653  Krüger, 654  Krüger,

bb).

ZIS 2011, 7. ZIS 2011, 8. Zum Tatherrschaftsgedanken siehe Teil 5 A. III. 1. a)

655  Dies folge nach Auffassung Krügers daraus, dass man über „seinen Herrschaftsbereich“ auch „sicher Herrschaft“ hat, die sich dann auch als „Tatherrschaft“ bezeichnen lässt. Siehe Krüger, ZIS 2011, 7 f. 656  Krüger, ZIS 2011, 8. 657  Krüger, ZIS 2011, 7. 658  Krüger, ZIS 2011, 7. 659  Krüger, ZIS 2011, 8. 660  Krüger, ZIS 2011, 8. 661  Auch erscheint eine – wie von Krüger vorgenommene – starre Einordnung dahingehend, dass die Pflichten eines Überwachungsgaranten im Vergleich zu den



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands451

mehrfach gezwungen ist, Ausnahmen von dieser scheinbar eindeutigen Zuordnungsregel zu machen.662 Die von der tradierten differenzierenden Auffassung vorgenommene Einordnung des unterlassenden Beschützergaranten als Unterlassungstäter wird schließlich durchbrochen, wenn dessen Täterschaft scheitert, weil etwa eine vom Tatbestand vorausgesetzte Absicht in der Person der Unterlassenden nicht vorliegt oder es an der „Täterqualität“ deshalb fehlt, weil das jeweilige Delikt nur eigenhändig verwirklicht werden kann.663 In dieser Konstellation kommt auch für den unterlassenden Beschützergaranten „nur“ eine Beihilfe in Betracht.664 Die differenzierende Theorie kann die von ihr aufgestellte Zuordnung schließlich auch im Bereich der Überwachungsgaranten nicht aufrecht erhalten und ist mit Blick auf das Gleichstellungserfordernis des § 13 StGB jedenfalls dann gezwungen, einen Überwachungsgaranten als Täter zu qualifizieren, wenn eine besondere Pflichtigkeit des Unterlassenden besteht, weil etwa die Voraussetzungen einer mittelbaren Täterschaft vorliegen665 oder dieser aufgrund einer gesetzlichen Regelung unmittelbar in die Stellung des Täters gehoben wird.666 Eine Differenzierung nach Qualität und Inhalt der Garantenpflicht erweist sich somit nicht als taugliches Kriterium, Täterschaft und Teilnahme im Bereich der Unterlassung abzugrenzen. Die Rechtsprechung grenzt demgegenüber zwischen Täterschaft und Teilnahme auch im Bereich des Unterlassens primär nach dem „Täter- bzw. Pflichten eines Beschützergaranten „relativ leicht“ zu erfüllen seien, in dieser Stringenz nicht möglich zu sein. Dies wird insbesondere im Unternehmensbereich deutlich. Ausfluss der Herrschaftsmacht des Betriebsinhabers ist die Pflicht zur Kontrolle und Überwachung nachgelagerter Einheiten, die sich in einem komplex organisierten Unternehmen, wie einer Aktiengesellschaft, über mehrere Hierarchieebenen erstrecken können. Vor diesem Hintergrund leuchtet es nicht ein, weshalb die  – aus dem Herrschaftsgedanken prinzipiell ableitbare – Pflicht des Geschäftsherren zur Sicherung eines Unternehmens als „Gefahrenquelle“ zu Gunsten aller möglichen Betroffenen generell leichter zu erfüllen sein soll als die Pflicht eines Beschützergaranten, der lediglich bestimmte Rechtsgüter gegen Angriffe aus allen Richtungen zu schützen hat. Zur Legitimation von Garantenstellungen siehe in Teil 5 A. II. 1. d) cc); A. III. 1.; A. III. 2. 662  Satzger, Jura 2015, 1062; S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 95 ff.; 102. 663  S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 97. 664  Siehe die Beispiele bei S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 97. 665  S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 99. 666  So etwa § 357 StGB, der das wissentliche Geschehenlassen strafbarer Handlungen Untergebener gesetzlich zur Täterschaft erhebt. Siehe hierzu sowie zu besonderen Problemen dieser Ansicht bei Garantenpflichten aus vorangegangenem Tun S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 99 f., 101.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Teilnehmerwillen“ ab.667 Nach der subjektiven Theorie ist im Rahmen der Abgrenzung zu fragen, ob der Unterlassende die Tat des aktiv Handelnden als „eigene Tat“ begehen (animus auctoris) oder nur an einer „fremden Tat“ teilnehmen will (animus socii).668 Während die ältere Rechtsprechung den Täter- beziehungsweise Teilnehmerwillen ausschließlich anhand der subjektiven Beziehung des Garanten zur Tat ermittelte669, stellt die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung neben dieser auch auf weitere Kriterien, wie die Tatherrschaft beziehungsweise den Willen hierzu, ab.670 Mittäter ist danach, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint.671 Wendet man diese Rechtsprechung im Bereich des Unterlassens an, ist Mittäter, wer sein Unterlassen als Verwirklichung eines gemeinsamen Tatplans subjektiv will und durch das Nichterfüllen der ihm obliegenden Pflicht auch Tatherrschaft verwirklicht.672 Ob ein Beteiligter ein dermaßen „enges Verhältnis zur Tat“ habe, sei nach den „gesamten Umständen“, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in „wertender Betrachtung“ zu beurteilen.673 Wesentliche Anhaltspunkte können „der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft“ sein.674 In Grenzfällen komme dem Tatrichter für die ihm obliegende Wertung ein Beurteilungsspielraum zu, der in der Revisionsinstanz auch dann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden könne, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre.675 667  RGSt 66, 71, 74; BGHSt 2, 150, 151; BGHSt 4, 20, 21; BGHSt 13, 162, 166, BGHSt 27, 10, 12; BGHSt 48, 77, 91; BGHSt 32, 374; BGH, NStZ 2009, 321 f.; BGH, NStZ-RR 2013, 40. Zur Rechtsprechung siehe auch den Überblick bei Sering, Beihilfe durch Unterlassen, S. 8 ff.; S/S-Heine/Weißer, StGB Vor §§ 25 ff., Rn. 93. 668  BGHSt 37, 289, 291; BGH NStZ-RR 2013, 40, 41; Satzger, Jura 2015, 1057 f.; Fischer, StGB, § 13 Rn. 51a. 669  RGSt 66, 74; BGHSt 2, 150, 151; BGHSt 4, 20, 21; BGHSt 13, 162, 166, BGHSt 27, 12; BGHSt 48, 77, 91; BGH NJW 1966, 1763; S/S-Heine/Weißer, StGB, Vor §§ 25 ff., Rn. 93. 670  BGHSt 32, 367, 374; BGH, NStZ 2009, 321 f.; BGH, NStZ-RR 2013, 40; Fischer, StGB, § 25 Rn. 2. Zu diesem auch als normative Kombinationstheorie bezeichneten Ansatz siehe S/S-Heine/Weißer, StGB Vor §§ 25 ff., Rn. 64. 671  BGH, NStZ-RR 2013, 41. Siehe auch S/S-Heine/Weißer, StGB Vor §§ 25 ff., Rn. 67. 672  Fischer, StGB, § 13 Rn. 51a. 673  BGH, NStZ-RR 2013, 41. 674  BGH, NStZ-RR 2013, 41; BGH, NJW 1991, 1068. 675  BGH, NStZ-RR 2013, 41; BGH, NStZ-RR 1998, 136; BGH, NStZ-RR 2005, 71.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands453

Mangels äußerlich wahrnehmbarer Handlung erscheint es im Bereich des Unterlassens allerdings kaum möglich, auf einen Täterwillen zu schließen.676 Die maßgeblich auf einen solchen abstellende subjektive Abgrenzung der Rechtsprechung führt mit ihren nahezu beliebig ausfüllbaren formelhaften Wendungen und der Zubilligung eines revisionsgerichtlich nicht nachprüfbaren richterlichen Ermessens nicht nur im Bereich der Begehungsdelikte677, sondern erst recht bei den Unterlassungsdelikten zu kaum vorhersehbaren Ergebnissen und ist daher abzulehnen.678 An dieser Einordnung ändert auch die in der jüngeren Rechtsprechung zum Ausdruck kommende Annäherung an das Kriterium der Tatherrschaft nichts, da dieses bei der Bestimmung der Mittäterschaft nur einen „wesentlichen Anhaltspunkt“ bei der vom Gericht vorzunehmenden „wertenden Betrachtung“ darstellt.679 Dem Tatrichter bleibt es bei nicht nachweisbarer Tatherrschaft des Unterlassenden unbenommen, auf subjektive Elemente, wie den bloßen „Willen zur Tatherrschaft“ oder den „Grad des eigenen Interesses am Taterfolg“680 zurückzugreifen und ein Unterlassen allein anhand der subjektiven Beziehung des Garanten zur Tat als Mittäterschaft zu qualifizieren. Ein Gewinn an Rechtssicherheit lässt sich wegen der subjektiven Komponente und der Möglichkeit einer wertenden Gesamtbetrachtung aus der jüngeren Rechtsprechung nicht extrahieren, weswegen sie nicht als taugliche Grundlage für eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme dienen kann. Überzeugend erscheint es bei der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in der Literatur auch im Bereich des Unterlassens auf die bei den Begehungsdelikten anerkannte Tatherrschaftslehre abzustellen681 und zu fragen, ob das Unterlassen einer rechtlich geschuldeten Handlung für das Gelingen der Tat eine derart tragende Rolle einnimmt, dass es sich aufgrund seines Gewichts als Täterschaft und nicht nur als bloße Beihilfe darstellt.

676  Wengenroth, JA 2014, 428; Rengier, JuS 2010, 284; LK-Schünemann, § 25 Rn. 208. 677  Zur generellen Kritik gegen eine rein subjektive Abgrenzung der Beteiligungsformen siehe S/S-Heine/Weißer, StGB Vor §§ 25 ff., Rn. 52 ff. 678  S/S-Heine/Weißer, StGB Vor §§ 25 ff., Rn. 93; Satzger, Jura 2015, 1062; Roxin, AT II, 2003, § 31, Rn. 139; Fischer, StGB, § 25 Rn. 2; Kühl, AT, § 20 Rn. 35. 679  Zutreffend in diese Richtung auch Kühl, AT, § 20 Rn. 35. 680  So die jüngere Rechtsprechung. Siehe nur BGH, NStZ-RR 2013, 41. 681  Für eine Abgrenzung anhand von für den Unterlassungsbereich angepassten Tatherrschaftskriterien Satzger, Jura 2015, 1063; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1034; Kühl, AT, § 20 Rn. 29; Rengier, AT 51/18; ders., JuS 2010, 284; LK-Weigend, § 13 Rn. 94; MüKo StGB/Joecks StGB, § 25 Rn. 270; S/S-Heine/Weißer, StGB Vor §§ 25 ff., Rn. 102.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Täter ist danach im Bereich der Begehungsdelikte derjenige, der die Tat beherrscht, indem er das Tatgeschehen „in Händen hält“, über das „Ob und Wie“ der Tat maßgeblich entscheidet und damit als „Zentralgestalt des Geschehens“ der Tatbestandsverwirklichung erscheint.682 Tatherrschaft lässt sich für den Begehungstäter insoweit anschaulich umschreiben, als das vom Vorsatz umfasste683 „In-den-Händen-Halten“ des Tatgeschehens beziehungsweise als die vom Willen getragene beherrschende Steuerung des Tatablaufs.684 Da der Unterlassende das Tatgeschehen durch sein Nichthandeln gerade nicht aktiv steuert, sondern aufgrund seiner bestehenden Garantenstellung nur zur Abwendung des tatbestandlichen Erfolgs verpflichtet wäre, ist bei einem Unterlassen eine Tatherrschaft im Sinne eines „vom Vorsatz umfassten In-den-Händen-Halten des Tatgeschehens“ naturgemäß nicht in gleicher Weise möglich wie bei einem aktiv handelnden Begehungstäter.685 Dies zwingt dazu, die Tatherrschaft beim Unterlassenden anders zu umschreiben als beim aktiv Handelnden. Ein Anknüpfungspunkt könnte darin gesehen werden, dass der Unterlassungstäter es jedenfalls in der Hand hält, gegen den bevorstehenden Erfolgseintritt einzuschreiten.686 Die bloße Möglichkeit der Erfolgsabwendung ist als Element der Quasi-Kausalität aus Sicht eines Gehilfen jedoch bereits Voraussetzung einer Unterlassungsstrafbarkeit687, sodass sie kein taugliches Kriterium zur Klärung der Frage liefert, ob der Unterlassende eine dermaßen beherrschende Stellung im Tatgeschehen einnimmt, die es rechtfertigt, ihn trotz seines Nichthandelns als Täter anzusehen. Bei Bestimmung der „Tatherrschaft durch Unterlassen“ kann daher nur die normative Frage nach dem „Grad der potentiellen Einflussmöglichkeit“ des Garanten auf den Tatablauf zielführend sein.688 Ist diese so stark ausgeprägt, dass der nicht handelnde Garant neben dem aktiv handelnden Täter gleichfalls als Zentralgestalt des erfolgsverursachenden Geschehens erscheint, liegt (Unterlassungs-)Tatherrschaft und damit Täterschaft vor.689 Hat der Unterlassende demgegenüber innerhalb des Tatgeschehens keine potenzielle Einflussmöglichkeit den Erfolg zu verhindern und erscheint er 682  Roxin, 683  Zur

TuT, S. 25; S/S-Heine/Weißer, StGB Vor §§ 25 ff., Rn. 57. subjektiven Kompontente im Rahmen der Mittäterschaft Kühl, AT, § 20

Rn.  103 f. 684  Satzger, Jura 2015, 1063; Kühl, AT, § 20 Rn. 26. 685  Zutreffend Satzger, Jura 2015, 1063. Insoweit zutreffend LK-Schünemann, § 25 Rn. 209. 686  Wengenroth, JA 2014, 429. 687  Rengier, AT, 49/3, 30 ff.; ders., JuS 2010, 285; Wengenroth, JA 2014, 429. 688  Satzger, Jura 2015, 1063; Wengenroth, JA 2014, 429; S/S-Heine/Weißer, StGB Vor §§ 25 ff., Rn. 102; MüKoStGB/Joecks, StGB, § 25 Rn. 270. 689  So auch Wengenroth, JA 2014, 429; Satzger, Jura 2015, 1063.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands455

deshalb nicht als Zentral-, sondern nur als Randgestalt, kommt lediglich eine Strafbarkeit als Gehilfe in Betracht.690 Eine in diesem Sinne verstandene „potentielle Tatherrschaft“ des unterlassenden Garanten erfordert die Ermittlung und tatrichterliche Aufklärung des „hypothetischen pflichtgemäßen Eingreifens“ des Garanten691 unter Berücksichtigung der ihm zur Erfolgsabwendung zur Verfügung stehenden tatsächlichen und rechtlichen Handlungsmöglichkeiten.692 Die Tatherrschaftslehre bietet daher entgegen der Auffassung von Schwerdtfeger insbesondere auch im Bereich des Unterlassens eine taugliche Abgrenzungsgrundlage und führt bei einem Abstellen auf die potentielle Tatherrschaft gerade nicht dazu, dass „bei strenger Anwendung [der Tatherrschaftslehre] niemals eine Gehilfenstrafbarkeit vorliegen“ könne.693 Das Kriterium der Tatherrschaft ist zwar weder unmittelbar subsumtionsfähig noch gänzlich frei von Wertungen, da ein täterschaftlicher von einem tatfördernden Beitrag eines Gehilfen häufig nur durch das Gewicht und die Bedeutung des Tatbeitrags innerhalb des gesamten Geschehens beziehungsweise im Fall des Unterlassens nur durch die hypothetisch zu beantwortende Frage, inwieweit der Garant die Situation tatsächlich hat beherrschen können, beurteilt werden kann.694 Eine am Tatherrschaftsgedanken orientierte Abgrenzung fügt sich aufgrund der objektiven Ausrichtung und Anknüpfung an die Beherrschung beziehungsweise potentielle Beherrschbarkeit der Tat jedoch dogmatisch unmittelbar in das als Tatstrafrecht ausgestaltete Strafrechtssystem ein695 und verdient bereits aus diesem Grund Zustimmung. Wegen ihres deskriptiven Kerns liefert sie zudem eine der Rechtsfortbildung zugängliche Basis für eine am Einzelfall orientierte Bewertung696 und damit im Ergebnis mehr Rechtssicherheit als eine auf den Täterwillen abstellende tatrichterliche Gesamtbewertung. Eine Abgrenzung zwischen Täter690  Wengenroth,

JA 2014, 429; Satzger, Jura 2015, 1063. Jura 2015, 1063; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1034. 692  Rengier, JuS 2010, 284 der insoweit von einer „Hemmungsmacht“ des Garanten spricht. 693  So aber dezidiert Schwerdtfeger, S. 169. 694  Siehe auch Kühl, AT § 20 Rn. 29. 695  Dass die Tatbegehung – sei es durch aktives Tun eines vorsätzlich Handelnden oder durch Unterlassen des Garanten  – bei einem Vorsatzdelikt zudem die Kenntnis des Täters von seinem bestimmenden Einfluss auf das Tatgeschehen bzw. im Fall des Unterlassens von seiner die Tat potentiell verhindernden Einflussmöglichkeit voraussetzt, ändert nichts an der „objektiven Ausrichtung der Tatherrschaftslehre“. Zutreffend Kühl, AT § 20 Rn. 29. Die Anwendung der rein subjektiven Theorie führt demgegenüber zu einer Bestrafung nach der Gesinnung. Zutreffend LK-Schünemann, § 25 Rn. 208. 696  S/S-Heine/Weißer, StGB Vor §§ 25 ff., Rn. 102. 691  Satzger,

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

schaft und Teilnahme hat daher sowohl im Begehungs- als auch Unterlassungsbereich anhand des Kriteriums der Tatherrschaft zu erfolgen. Begeht der Vorstand eine Straftat zum Nachteil der AG und nehmen die Mitglieder des Aufsichtsrats hiervon Kenntnis, kommt eine (mit-)täterschaftliche Haftung der nichthandelnden Mitglieder des Aufsichtsrats wegen des von Mitgliedern des Vorstands aktiv begangenen Delikts in Betracht, wenn sich bei den Mitgliedern des Aufsichtsrats im Rahmen einer hypothetischen Prüfung eine potentielle Tatherrschaft feststellen lässt und die Voraussetzungen des jeweiligen Straftatbestandes im Übrigen vorliegen. Die Mitglieder des Aufsichtsrats trifft danach parallel zur Haftung der strafbar handelnden Vorstandsmitglieder ein eigenes täterschaftliches Strafbarkeitsrisiko, wegen sämtlicher vom Vorstand unmittelbar zum Nachteil der AG verwirklichten Delikte. Da die Mitglieder des Vorstands einem besonders hohen Strafbarkeitsrisiko wegen Untreue ausgesetzt sind697, steht der Tatbestand der Untreue auch aus Sicht des Aufsichtsrats im Mittelpunkt und soll daher Gegenstand der folgenden Betrachtung sein. b) Insbesondere: (Mit-)täterschaftliche Untreue durch Unterlassen Eine (mit-)täterschaftliche Untreue der Mitglieder des Aufsichtsrats durch Unterlassen gemäß §§ 266 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB läge bei einer Untreue des Vorstands zum Nachteil der AG vor, wenn diese von der das Gesellschaftsvermögen unmittelbar schädigenden Vorstandsstraftat Kenntnis erlangen, sie hiergegen entgegen ihrer aktienrechtlichen Pflicht nicht einschreiten und den Eintritt eines Vermögensnachteils billigend in Kauf nehmen. Unter Zugrundelegung der (Unterlassens-)Tatherrschaftslehre ist zudem festzustellen, inwieweit die unterlassenden Mitglieder des Aufsichtsrats die aktuelle Situation „beherrschen“698 konnten. Den Aufsichtsratsmitgliedern kommt als Beschützergaranten des Gesellschaftsvermögens vor Schädigungen durch den Vorstand bei der Frage, ob sie ein von ihnen als strafbar erkanntes Fehlverhalten des Vorstands aufklären und abstellen müssen gemäß § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 AktG kein Ermessen zu.699 Die Nichtabstellung einer den Mitgliedern des Aufsichtsrats bekannten – in Gestalt einer unmittelbar bevorstehenden und für sie erkennbaren oder aktuell stattfindenden  – Vorstandsstraftat stellt sich stets als evidente Primärrechtsverletzung und damit eo ipso als VerletBrammsen, wistra 2009, 85 ff. Jura 2015, 1063; Rengier, AT, 51/20, 21. 699  Siehe hierzu oben, 195 ff. Siehe auch BGHSt 47, 201; OLG Karlsruhe, AG 2009, 900. 697  Dezidiert 698  Satzger,



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands457

zung der Vermögensbetreuungspflicht des § 266 Abs. 1 StGB dar.700 Der nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Annahme einer Vermögensbetreuungspflichtverletzung erforderliche Vermögensbezug folgt bei Nichtabstellung von strafrechtlich relevantem Fehlverhalten des Vorstands durch den Aufsichtsrat aus der damit einhergehenden Verletzung der unmittelbar dem Schutz des Gesellschaftsvermögens dienenden primärrechtlichen Vorschriften der § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG.701 Das strafrechtliche Schadenspotential der Nichtabstellung eines vom Aufsichtsrat erkannten strafrechtswidrigen Verhaltens des Vorstands zum Nachteil der AG hängt wesentlich von der begangenen Vorstandsstraftat ab und lässt sich aufgrund der vielfältigen Erscheinungsformen einer solchen an dieser Stelle nicht abschließend antizipieren und darstellen702. Ein untreuerelevanter Schaden liegt aus Sicht des Aufsichtsrats bei einer Straftatbegehung des Vorstands zum Nachteil der AG jedoch bereits vor, wenn infolge des Verhaltens des Vorstands feststeht, dass das Gesellschaftsvermögen konkret gefährdet wurde. Erst recht liegt ein solcher vor, wenn es aufgrund der vom Vorstand begangenen und vom Aufsichtsrat nicht abgestellten Tat zu einer realen Vermögenseinbuße auf Seiten der AG kam. Bei Beurteilung des Untreuerisikos der Aufsichtsratstätigkeit erlangt – abgesehen von eindeutigen Fällen, die einem „Griff in die Gesellschaftskasse“ der AG gleichkommen703 – unter schadensrechtlichen Gesichtspunkten vor allem die Einrichtung, Unterhaltung und / oder Billigung „schwarzer Kassen“ in der AG durch Mitglieder des Vorstands zur Finanzierung von Schmiergeldzahlungen oder sonstigen gesellschaftsfremden Interessen Bedeutung704, da sowohl die Einrichtung als auch das Unterhalten einer verdeckten Kasse durch den Vorstand zum Nachteil der AG einen „endgültigen Schaden“ im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB begründet.705 700  Zu den Anforderungen an die Pflichtverletzung bei fehlendem Ermessen siehe Teil 5 A. II. 1. c) aa) (3) (b) und Teil 5 A. II. 1. c) bb) (1); BGHSt 47, 201; OLG Braunschweig, CCZ 2013, 125; OLG Karlsruhe, AG 2009, 902. Siehe auch Wagner/ Spemann, NZG 2015, 947; Brand/Petermann, WM 2012, 64. 701  Zum vermögensschützenden Charakter dieser Vorschriften siehe Teil  5 A. II. 1. c) bb) (2). 702  Einzelne praxisrelevante Beispiele führt Schwerdtfeger, S. 236 ff., 241, 246 ff. auf. 703  Siehe insoweit auch die Aufzählung bei MüKoStGB/Dierlamm, StGB § 266 Rn.  190 ff. 704  Zur enormen praktischen Bedeutung im privatwirtschaftlichen Bereich siehe nur Baumert, CCZ 2013, 266; Achenbach/Ransiek/Seier, HWSt, 2. Kap., Rn. 202. Schwerdtfeger, S. 247. 705  Nach der Rechtsprechung liegt der Schaden hier nicht erst in der Verwendung der treuwidrig entzogenen Mittel, sondern schon in der Entziehung selbst und damit bereits „im Einrichten und/oder Unterhalten der verdeckten Kasse“. Siehe BGHSt 52,

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

Auf den Verwendungszweck der Mittel kommt es nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs im „Fall Kanther“ nicht an, sodass die Einrichtung einer „schwarzen Kasse“ durch den Vorstand mit dem Motiv, eine für die AG im Ergebnis wirtschaftlich vorteilhafte Verwendung der Mittel vorzunehmen, nicht zu einem Ausschluss der Pflichtwidrigkeit beziehungsweise des Schadens führt.706 Für den Aufsichtsrat könnte dies auf Grundlage der (Unterlassens-)Tatherrschaftslehre ein selbständiges Strafbarkeitsrisiko bedeuten, wenn er den (straf-)rechtswidrigen Umgang mit dem Gesellschaftsvermögen durch den Vorstand erkennt707 und hiergegen nicht mit den ihm aktienrechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln einschreitet. In der unterlassenen Aufklärung und Abstellung könnte zudem eine strafrechtlich relevante Schädigung des Gesellschaftsvermögens durch den Aufsichtsrat liegen708, da die Schädigung des Gesellschaftsvermögens durch den Vorstand hierdurch ermöglicht wird. Fraglich ist allerdings, ob das Unterlassen potentiell möglicher Maßnahmen durch den Aufsichtsrat für die Schädigung des Gesellschaftsvermögens in Gestalt der Vorstandsstraftat dermaßen beherrschend ist, dass von einem täterschaftlichen und nicht nur von einem tatfördernden Beitrag auszugehen ist.709 Die Mitglieder des Aufsichtsrats verfügen über unterschiedliche Einflussmöglichkeiten eine von ihnen erkannte, das Vermögen der AG schädigende, Handlung des Vorstands abzustellen. Um eine täterschaftliche Beziehung der unterlassenden Mitglieder des Aufsichtsrats zur Tat des Vorstands auf Grundlage der Tatherrschaftslehre im Einzelfall begründen zu können, ist daher zu klären, ob sich aus deren aktienrechtlichen Befugnissen eine „potentielle Einflussmöglichkeit“ auf das Tatgeschehen ableiten lässt und diese bei normativer Betrachtung dermaßen stark ausgeprägt ist, dass die Aufsichtsratsmitglieder bei Kenntnis der Vorstandsstraftat und vorsätzlichem Nichthandeln als Zentralgestalt des erfolgsverursachenden Geschehens und nicht nur als Randfigur erscheinen.

323, 336 f.; NJW 2009, 39 (Siemens); BGHSt 51, 100, 117 (Fall Kanther); BVerfG NJW 2010, 3209; Fischer, StGB, § 266 Rn. 136. 706  BGHSt 51, 100, 112 Rn. 42 (Fall Kanther); Achenbach/Ransiek/Seier, Hdb. WirtschaftsstrafR, 2. Kap., Rn. 205; Fischer, StGB, § 266 Rn. 83. 707  Siehe insoweit zutreffend Baumert, CCZ 2013, 266. 708  Gleichzeitig entstehende Schadenersatzansprüche der AG gegen den Vorstand führen auch nicht zu einer schadensausschließenden Kompensation. Fischer, StGB § 266 Rn. 168. 709  Denkbar wäre auch eine Beihilfe des Aufsichtsrats zur Untreue des Vorstands gemäß §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 27 Abs. 1 StGB anzunehmen. Zur Abgrenzung siehe Teil 5 A. III. 4. a).



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands459

aa) Einfluss durch förmlichen Aufsichtsratsbeschluss Steht eine Straftatbegehung durch den Vorstand gegenüber der AG zur Überzeugung des Aufsichtsrats fest, kommt zunächst eine förmliche Beanstandung durch Beschluss der Aufsichtsratsmitglieder in Betracht. Das Unterlassen eines Beanstandungsbeschlusses stellt jedoch kein taugliches, eine (Unterlassungs-)Tatherrschaft der Aufsichtsratsmitglieder begründendes, Ver­ halten dar. Ein solcher entfaltet für den Vorstand rechtlich keine Verbindlichkeit710 und ist daher bereits nicht geeignet, den tatbestandlichen Erfolg wirksam zu verhindern. Ein das Verhalten des Vorstands beanstandender Be­schluss kann vom Aufsichtsrat auch weder im Klageweg711 noch durch Weisung gegenüber dem Vorstand durchgesetzt werden.712 Die bloße Beanstandung eines als strafrechtswidrig erkannten Verhaltens stellt aus Sicht des Aufsichtsrats nicht sicher, dass die von ihnen erkannte Straftatbegehung des Vorstands nachhaltig und ohne Schadensfolge für das Gesellschaftsvermögen abgestellt ist.713 Das Unterlassen eines die Straftatbegehung des Vorstands beanstandenen Beschlusses kann daher bei hypothetischer Betrachtung wegen der fehlenden rechtlichen Einflussmöglichkeit nicht als Grundlage für eine (mit-)täterschaftliche Beziehung zur Tat des Vorstands dienen. bb) Einfluss durch ad hoc Zustimmungsvorbehalt Das Recht des Aufsichtsrats, für bestimmte Arten von Geschäften einen Zustimmungsvorbehalt gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG zu begründen, eröffnet ihm demgegenüber die Möglichkeit, auf ein unmittelbar bevorstehendes oder gerade stattfindendes und als strafrechtswidrig erkanntes Handeln des Vorstands zum Nachteil der AG Einfluss zu nehmen. Das dem Aufsichtsrat bei der Begründung für ein bestimmtes Geschäft sowie bei Ausübung in Form der Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung zukommende Ermessen verdichtet sich bei einer bevorstehenden oder aktuell stattfindenden Straftatbegehung des Vorstands regelmäßig in eine Pflicht zur Begründung eines „ad

710  Hüffer,

NZG 2007, 52; MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 32. insoweit die Ausführungen oben in Teil 2 B. I. 2. k). 712  Zum fehlenden Weisungsrecht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand siehe bereits oben Teil 5 A. III. 2. c). 713  Anders OLG Karlsruhe, AG 2009, 902, wonach die Billigung oder Ablehnung einer bestimmten Geschäftstätigkeit für den Vorstand eine „wesentliche Rolle“ spiele, sodass zur Verhinderung einer geplanten Vorstandsstraftat auch ein förmlicher Beschluss genügen könne. 711  Siehe

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

hoc“-Zustimmungsvorbehalts und zur gleichzeitigen Versagung der Zustimmung zu dem strafrechtswidrigen Geschäft.714 Die Begründung eines „ad hoc“-Zutimmungsvorbehalts stellt entgegen der Auffassung von Cramer und Schwerdtfeger grundsätzlich auch eine taugliche Maßnahme zur Verhinderung einer vom Aufsichtsrat als strafrechtswidrig erkannten Handlung des Vorstands zum Nachteil der AG715 dar. Aufgrund seiner Struktur als Vetorecht zielt dieser gerade darauf ab, eine vom Vorstand beabsichtigte und vom Aufsichtsrat erkannte (straf-)rechtswidrige Maßnahme zum Nachteil der AG zu verhindern.716 Missachtet der Vorstand die verweigerte Zustimmung und nimmt das vom Aufsichtsrat für strafrechtswidrig erachtete Geschäft zum Nachteil der AG717 dennoch vor, bleibt dieses im Außenverhältnis zwar wirksam, da der Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG lediglich eine das Innenverhältnis betreffende Maßnahme darstellt und nicht auch die Befugnisse des Vorstands im Außenverhältnis einschränkt.718 Diese entfaltet gegenüber dem Vorstand  – im Unterschied zur Meinungs- und Bedenkenäußerung – rechtlich aber insoweit Wirkung, als dass dieser bei Missachtung des Zustimmungsvorbehalts und Zuwiderhandlung gegen die verweigerte Zustimmung unmittelbar pflichtwidrig handelt und sich gegenüber der AG wegen Missachtung des Zustimmungsvorbehalts nach § 93 Abs. 2 AktG schadenersatzpflichtig macht.719 Aus Sicht des Aufsichtsrat besteht zudem die Möglichkeit, gegen die Missachtung eines von ihm begründeten Zustimmungsvorbehalts eine Abwehrklage zu erheben und sein Vetorecht im Extremfall gerichtlich durchzusetzen.720 714  Habersack, FS Hüffer 2010, 265; Schilha, § 3, 175; OLG Karlsruhe, AG 2009, 902. Siehe oben Teil 2 B. I. 2. h) und Teil 2 B. I. 2. h) cc). 715  Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 574; Schwerdtfeger, S. 113, 247. Demgegenüber insoweit zutreffend OLG Karlsruhe, AG 2008, 902. 716  Demgegenüber kann der Vorstand durch einen Zustimmungsvorbehalt nicht zu einem bestimmten Handeln gezwungen und dazu veranlasst werden, eine von ihm nicht beabsichtigte Maßnahme, wie z. B. die Einführung eines bestimmten Compliance-Systems, in der AG umzusetzen. Siehe insoweit zutreffend Cramer, FS Stree/ Wessels 1993, 573 f. 717  Ein solches kann zum Beispiel in einer rechtswidrigen Antragstellung durch den Vorstand zur Erlangung einer Subvention mit der Folge der Verwirklichung des § 264 StGB bestehen. 718  Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111, Rn. 75; MüKoAktG/Habersack, § 111 Rn. 128. 719  MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 129. 720  Die Klagebefugnis folgt hier ausnahmsweise aus dem in der Missachtung durch den Vorstand zum Ausdruck kommenden Eingriff in die Kompetenzen des Aufsichtsrats. Zutreffend MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 98, 129. Zur generellen Unzulässigkeit einer Klage des Aufsichtsrats zur Erzwingung pflichtgemäßen Verhaltens siehe oben Teil 2 B. I. 2. k).



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands461

Erkennt der Aufsichtsrat, dass eine Straftatbegehung durch den Vorstand zum Nachteil der AG bevorsteht oder stattfindet, weil dieser in der AG etwa ein strafrechtswidriges Geschäftsmodell einführen und umsetzen möchte721 oder eine das Gesellschaftsvermögen unmittelbar schädigende „schwarze Kasse“ eingerichtet hat, besteht für ihn potentiell die aktienrechtliche Möglichkeit, das Gesellschaftsvermögen vor straftatbedingten Schädigungen durch den Vorstand zu schützen, indem er auf das Verhalten des Vorstands ad hoc durch Begründung eines Zustimmungsvorbehalts nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG einwirkt und gleichzeitig detailliert überwacht, ob der Vorstand die verweigerte Zustimmung anerkennt.722 Die Verhinderung einer das Vermögen der AG schädigenden Vorstandsstraftat durch Begründung eines (ad-hoc) Zustimmungsvorbehalts scheitert entgegen der Auffassung von Schwerdtfeger insbesondere nicht bereits daran, dass der Vorstand die Straftat nicht durch eine „rechtliche“, sondern eine „tatsächliche Handlung“723 begeht. Der Wortlaut des § 111 Abs. 4 S. 2 AktG sieht eine solche Einschränkung explizit nicht vor. Danach dürfen bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden. Dies umfasst neben Rechtsgeschäften gerade auch „sonstige Maßnahmen“ des Vorstands, sofern diese für die AG von grundlegender Bedeutung sind724. Folgerichtig räumt auch die zivilgerichtliche Rechtsprechung dem Aufsichtsrat bei der Entscheidung über die Begründung eines Zustimmungsvorbehalts dann kein Ermessen ein, wenn eine gesetzeswidrige Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands nur noch durch Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts verhindert werden kann725. Dies führt dazu, dass der Aufsichtsrat – möchte er eine eigene Haftung gegenüber der AG vermeiden  – jede von ihm als strafrechtswidrig erkannte Handlung des Vorstands durch Begründung eines Zustimmungsvorbehalts verhindern muss. Erkennen die Mitglieder des Aufsichtsrats eine strafbare Handlung des Vorstands zum Nachteil der AG und reagieren hiergegen vorsätzlich nicht mit der Einführung eines Zustimmungsvorbehalts, lässt sich auf Basis der (Unterlassens-)Tatherrschaftslehre eine (mit-)täterschaftliche Beziehung zu der Straftat des Vorstands in Gestalt der Untreue begründen. 721  Siehe

das Beispiel bei OLG Karlsruhe, AG 2009, 900 ff. zutreffend Schilha, § 3, 171; OLG Karlsruhe, AG 2009, 900, 902. Demgegenüber Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 574; Schwerdtfeger, S. 113, 247. 723  Dezidiert in diese Richtung Schwerdtfeger, S. 113, 247 f., der das Instrument des Zustimmungsvorbehalts als wirksames Mittel zur Straftatverhinderung nur bei „gesellschaftsinternen Handlungen“ des Vorstands anerkennt, die auch eine „recht­ liche Wirkung“ entfalten. 724  Siehe nur MüKoAktG/Habersack, § 111 Rn. 106. 725  Siehe hierzu bereits oben Teil 2 B. I. 2. h) cc). 722  Insoweit

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

cc) Einfluss durch Abberufung und Kündigung Erst recht verfügt der Aufsichtsrat über die hypothetische Möglichkeit, den tatbestandlichen Erfolg einer vom Vorstand zum Nachteil der AG geplanten oder gerade stattfindenden Straftat zu verhindern, indem er diesen bei belastbaren Hinweisen auf eine solche gemäß § 84 Abs. 3 S. 1 AktG abberuft und dessen Anstellungsvertag nach § 626 Abs. 1 BGB außerordentlich kündigt. Bei der strafrechtlichen Bewertung ist allerdings zu berücksichtigen, dass dem Aufsichtsrat bei Ausübung der Personalkompetenz ein unternehmerisches Ermessen nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG zukommt, sodass eine täterschaftliche Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats bei unterlassener Abberufung und Kündigung des betroffenen Vorstands nur in Betracht kommt, wenn dessen Weiterbeschäftigung auch nach Abstellung des strafrechtswidrigen Verhaltens mit dem Gesellschaftswohl nicht vereinbar ist.726 Eine am Unternehmenswohl orientierte Abwägung führt wegen der Gefahr eines Reputationsschadens im Fall der Weiterbeschäftigung sowie aufgrund des erheblichen Risikos der Behinderung von Aufklärungsbemühungen727 durch das betroffene Vorstandsmitglied jedenfalls bei Verdacht einer erheblichen Straftatbegehung regelmäßig dazu, dass das Gesellschaftswohl die Abberufung des betroffenen Mitglieds durch Widerruf der Bestellung gemäß § 84 Abs. 3 AktG und gleichzeitige Kündigung des Anstellungsvertrags gemäß § 626 Abs. 1 BGB auch in strafrechtlicher Hinsicht verlangt.728 dd) Einfluss durch Erstattung Strafanzeige Das Gesellschaftsinteresse verlangt die Stellung einer Strafanzeige durch den Aufsichtsrat bei Verdacht auf strafrechtswidriges Fehlverhalten des Vorstands nach § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG regelmäßig nicht. Die Initiierung eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens gegen ein strafbar handelndes Vorstandsmitglied kommt ausnahmsweise nur in Betracht, wenn dies zur Sachverhaltsaukflärung zwingend erfor726  Zur aktienrechtlichen Pflicht des Aufsichtsrats, ggü. einem strafrechtswidrig handelnden Vorstand Personalmaßnahmen einzuleiten Teil 2 B. I. 2. d) bb); Teil 3 B. II. 4. a) bb) (4) (b). 727  Für die AG resultiert hieraus die Gefahr, ihren Regressanspruch gegenüber dem strafrechtswidrig handelnden Vorstandsmitglieds nicht durchsetzen zu können. 728  Brammsen, ZIP 2009, 1509; Reichert, FS Hoffmann-Becking 2013, 962; Cramer, FS Wessels/Stree 1993, 575 f., der eine Pflicht zur Abberufung nur im Falle „drohender Wiederholung schon begangener Straftaten“ sieht.



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derlich729 oder die Erstattung einer Anzeige aus Gründen der Abschreckung und internen Sanktionierung unerlässlich ist.730 Eine darüber hinausgehende strafrechtliche Pflicht des Aufsichtsrats zur Abstellung eines als strafrechtswidrig erkannten Fehlverhaltens des Vorstands durch Erstattung einer Strafanzeige trifft die Mitglieder des Aufsichtsrats demgegenüber nicht.731 Auch das Gesellschaftsinteresse verlangt von den Mitgliedern des Aufsichtsrats zur Abstellung des Fehlverhaltens regelmäßig nicht die Erstattung einer Strafanzeige.732 Ihnen stehen mit der Möglichkeit, ad hoc einen Zustimmungsvorbehalt zu begründen und die Zustimmung zu einem als strafrechtswidrig erkannten Geschäft zu versagen sowie mit der Befugnis, ein im Verdacht der Straftatbegehung stehendes Vorstandsmitglied sofort abzuberufen und zu kündigen, wirksame potentielle Einflussmöglichkeiten zur Abstellung strafrechtswidrigen Fehlverhaltens des Vorstands zur Verfügung. Die Mitglieder des Aufsichtsrats trifft daher gemäß §§ 266 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB keine zusätzliche strafrechtliche Pflicht, strafrechtswidriges Verhalten des Vorstands durch Erstattung einer Strafanzeige abzustellen. c) Bewertung des Strafbarkeitsrisikos Erlangen die Aufsichtsratsmitglieder von einer aktuell stattfindenden oder unmittelbar bevorstehenden Straftatbegehung durch den Vorstand zum Nachteil der AG Kenntnis und stellen sie das strafrechtlich relevante Fehlverhalten nicht durch Begründung eines Zustimmungsvorbehalts gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG oder durch Kündigung und Abberufung der das Gesellschaftsvermögen schädigenden Vorstandsmitglieder ab, trifft sie objektiv das Risiko, sich neben den strafrechtswidrig handelnden Vorstandsmitgliedern als (Mit-) Täter wegen Untreue durch Unterlassen zum Nachteil der AG strafbar zu machen. Durch das Recht zur Begründung eines Zustimmungsvorbehalts sowie zur Kündigung und Abberufung strafrechtswidrig handelnder Vorstandsmitglieder werden den Mitgliedern des Aufsichtsrats potenzielle Einflussmöglichkeiten auf das als strafrechtswidrig erkannte Handeln des Vorstands eröffnet. Die 729  Dies ist regelmäßig der Fall, wenn eine Sachverhaltsaufklärung nur durch Ausübung staatlicher Ermittlungsmaßnahmen erreicht werden kann. Siehe auch oben Teil 3 C. III. 1. d) ee); Reichert, ZIS 2011, 122; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2177. 730  Siehe oben Teil 3 C. III. 2. c). 731  Siehe hierzu ausführlich Teil 3 C. III. 2. c); Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 583. 732  Cramer, FS Stree/Wessels 1993, 583. Offen gelassen von OLG Karlsruhe, AG 2008, 902.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

vorsätzliche Nichtausübung dieser potenziellen Einflussmöglichkeiten rechtfertigt unter Zugrundelegung der (Unterlassens-)Tatherrschaftslehre die Annahme einer täterschaftlichen Beziehung der Aufsichtsratsmitglieder zur Tat des Vorstands. Aus Sicht der Aufsichtsratsmitglieder besteht daher das Risiko, den Tatbestand der Untreue durch Unterlassen gemäß §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 Abs. 1 StGB zu verwirklichen, wenn sie ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Vorstands zum Nachteil der AG erkennen, dieses zu einer realen Schädigung oder konkreten Gefährdung des Gesellschaftsvermögens führt und durch den Aufsichtsrat nicht durch Einführung eines Zustimmungsvorbehalts und / oder Abberufung der strafrechtswidrig handelnden Vorstandsmitglieder abgestellt wird. Eine (mit-)täterschaftliche Haftung der unterlassenden Aufsichtsratsmitglieder wegen Untreue wird sich jedoch nur begründen lassen, wenn der Aufsichtsrat die Schädigung des Gesellschaftsvermögens durch den Vorstand wenigstens billigend in Kauf genommen hat. 5. Strafbarkeitsrisiken des Aufsichtsrats bei Verdacht auf strafrechtswidriges Verhalten des Vorstands gegenüber Dritten In strafrechtlicher Hinsicht stellt sich schließlich die Frage, wie der Aufsichtsrat auf einen ihm bekannt gewordenen Verdacht einer Straftatbegehung durch Mitglieder des Vorstands gegenüber außerhalb der AG stehenden Dritten reagiert und welches Verhalten er bei Bekanntwerden eines solchen Tatverdachts im Innenverhältnis gegenüber der AG schuldet, um sich nicht selbst einem strafrechtlichen Haftungsrisiko auszusetzen. Im Unterschied zu einer Straftatbegehung des Vorstands unmittelbar zum Nachteil der AG führt die strafrechtswidrige Handlung des Vorstands in dieser Konstellation gerade nicht zu einer direkten Schädigung des Gesellschaftsvermögens. Dieses wird möglicherweise erst später belastet, wenn der geschädigte Dritte Schadenersatzansprüche gemäß §§ 31, 89, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. dem konkret verwirklichten Straftatbestand erfolgreich gegenüber der AG geltend macht oder infolge der Vorstandsstraftat von einer Sanktionsinstanz ein Bußgeld festgesetzt wird.733 Im Rahmen dieser Untersuchung konnte bereits festgestellt werden, dass den Aufsichtsrat bei Ver733  Zur strafrechtlichen Relevanz dieser Konstellation S/S/Perron, StGB, § 266 Rn. 37. Allgemein, ohne speziell auf die Reaktionspflichten des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand in Form der Aufklärung, Abstellung und Ahndung einzugehen, Schwerdtfeger, S. 32, 220 ff.



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dacht auf kriminelles Fehlverhalten des Vorstands im Innenverhältnis zur AG grundsätzlich die Pflicht trifft, den Sachverhalt durch interne Untersuchung aufzuklären, das Fehlverhalten abzustellen und durch Verfolgung von Schadenersatz zu ahnden.734 Den Aufsichtsratsmitgliedern kommt allerdings weder eine Beschützernoch Überwachungsgarantenstellung zur Verhinderung von Straftaten des Vorstands gegenüber Dritten zu.735 Sie sind ausschließlich Beschützergaranten der selbst nicht handlungsfähigen Aktiengesellschaft. Folglich trifft die Aufsichtsratsmitglieder strafrechtlich nur die Pflicht, die AG vor Schädigungen durch den Vorstand zu schützen. Mangels Überwachungsgarantenstellung scheidet daher sowohl eine (mit-)täterschaftliche Beteiligung an dem vom Vorstand gegenüber einem Dritten verwirklichten Delikt als auch eine Beihilfe hierzu durch Unterlassen736 aus. Ein Strafbarkeitsrisiko kann für die Mitglieder des Aufsichtsrats bei einer Straftatbegehung des Vorstands gegenüber Dritten allerdings in Gestalt einer Untreue durch Unterlassen zum Nachteil der AG bestehen, wenn die strafbare Handlung des Vorstands gegenüber Dritten geeignet ist, das Vermögen der AG zu schädigen und der Aufsichtsrat als Beschützergarant des Gesellschaftsvermögens dies erkannt und durch sein Unterlassen vorsätzlich nicht verhindert hat. a) Untreuerisiko bei unterlassener Sachverhaltsaufklärung Erlangen die Mitglieder des Aufsichtsrats Informationen, die den Verdacht einer Straftatbegehung durch den Vorstand gegenüber Dritten nahelegen, sind sie aktienrechtlich gemäß §§ 111 Abs. 1, Abs. 2 S. 2, 112 S. 1 AktG verpflichtet, über die Regelberichterstattung hinaus weitergehende und im Einzelfall umfassende Aufklärungsmaßnahmen einzuleiten.737 Verstoßen sie gegen die primärrechtliche Pflicht zur Einleitung einer internen Untersuchung, die entweder vom Aufsichtsrat oder durch sachverständige Dritte durchzuführen ist738, könnte dies das Risiko einer Untreuestraf734  Siehe oben Teil 3 C. III. 1. a) aa) und bb); C. III. 2.; C. III. 2. b) bb). Für eine umfassende Handlungspflicht OLG Karlsruhe, AG 2009, 902. 735  Siehe hierzu ausführlich Teil 5 A. II. 1. d) dd) und gg) sowie Teil 5 A. III. 2.; A. III. 2. d). 736  MüKoStGB/Joecks, § 27 Rn. 102; a. A. für Mitglieder des Aufsichtsrats einer GmbH MüKoGmbHG/Wißmann, § 84 Rn. 82. 737  Siehe oben Teil 3 C. III. 1. b) bb); Habersack, AG 2014, 5 f.; Reichert/Ott, NZG 2014, 248. Nach der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung dient die Aufklärung der Vorbereitung einer Regressklage gegenüber dem strafbar handelnden Vorstand und der Verhinderung eines Reputationsschadens. 738  Zu den Handlungspflichten des Aufsichtsrats siehe oben Teil 3 C. III. 1. d).

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

barkeit begründen. Voraussetzung ist, dass in der pflichtwidrigen Nichtaufklärung des Verdachts einer Vorstandsstraftat eine evidente Pflichtverletzung durch den Aufsichtsrat vorliegt und diese für die AG zu einem Vermögensnachteil führt. Die Nichteinleitung einer internen Untersuchung durch den Aufsichtsrat bei Vorliegen konkreter, eine Straftatbeteiligung von Vorstandsmitgliedern gegenüber Dritten nahelegender Verdachtsmomente stellt sich als unterlassene Kontrollmaßnahme im Sinne des § 111 Abs. 1 AktG dar und eröffnet den Anwendungsbereich der Treubruchuntreue. Da die Sicherstellung einer adäquaten Informationslage nach Bekanntwerden von Verdachtsmomenten unmittelbar den Kernbereich der aus § 111 Abs. 1 AktG folgenden Organpflicht zur Überwachung des Vorstandshandelns berührt739 und dem Aufsichtsrat bei der Frage, ob er den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht aufklärt, kein Ermessen gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1, S. 2 AktG zukommt, stellt sich die Nichteinleitung einer internen Untersuchung als evidente Verletzung der primärrechtlichen Handlungspflicht des Aufsichtsrats und damit zugleich als Vermögensbetreuungspflichtverletzung nach § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB dar.740 Der primärrechtlichen Pflicht zur internen Aufklärung nach §§ 111 Abs. 1, Abs. 2 S. 2, 112 S. 1 AktG kommt vor dem Hintergrund der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung, wonach die interne Aufklärung einer vermögensschädigenden Pflichtverletzung durch den Vorstand die Grundlage für eine vom Aufsichtsrat regelmäßig zu verfolgende Schadenersatzklage nach §§ 112 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG bildet, auch der von der strafgerichtlichen Rechtsprechung geforderte Vermögensbezug im Sinne des § 266 Abs. Alt. 2 StGB zu.741 Die Aufsichtsratsmitglieder trifft gegenüber der AG schließlich eine Beschützergarantenstellung im Hinblick auf Schädigungen durch den Vorstand mit der Folge, die ihnen zur Aufklärung des Sachverhalts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht möglichen Maßnahmen einzuleiten.742

739  Siehe oben Teil 2 B. I. 1. b) cc); Teil 5 A. II. 1. c) aa) (3) (b); Teil 5 A. II. 1. c) aa) (4). 740  Zu den Anforderungen an die Qualität der Vermögensbetreuungspflichtverletzung bei fehlendem Ermessen siehe bereits oben Teil 5 A. II. 1. c) aa) (3) (b); Teil 5 A. II. 1. c) aa) (4); OLG Braunschweig, CCZ 2013, 125. 741  Zum restriktiven Kriterium des Vermögensbezugs Teil  4 C. I. 2.; Teil  5 A. II. 1. c) aa) (1). 742  Zu den Handlungspflichten siehe Teil 5 A. II 1. d) cc), ff), gg). Zur Strafbarkeit des Aufsichtsrats, wenn dieser „konkreten“ Verdachtsmomenten nicht nachgeht vgl. OLG Düsseldorf, ZIP 2008, 1922 f.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands467

aa) Schadensrelevanz der unterlassenen Aufklärung Nehmen die Mitglieder des Aufsichtsrats davon Kenntnis, dass einzelne Mitglieder des Vorstands an einer Straftat gegenüber Dritten beteiligt sind und leiten sie entgegen § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG keine Maßnahmen zur Aufklärung des Verdachts gegenüber dem Vorstand ein, trifft sie das Risiko, sich wegen Untreue durch Unterlassen gemäß §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 Abs. 1 StGB strafbar zu machen jedoch nur, wenn es infolge der unterlassenen Aufklärung der Vorstandsstraftat auch zum Eintritt eines Vermögensnachteils bei der AG kommt. Fraglich ist insoweit, ob die pflichtwidrige Nichtaufklärung des Verdachts einer Straftatbegehung des Vorstands gegenüber Dritten durch den Aufsichtsrat geeignet ist, auf Seiten der AG einen Vermögensnachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB zu begründen. Die Aufklärung des Verdachts einer Vorstandsstraftat durch den Aufsichtsrat steht im Zusammenhang mit der – zeitlich nachgelagerten – Verfolgung von Regressansprüchen der AG gegenüber dem strafbar handelnden Vorstandsmitglied.743 Sie dient damit dem Zweck, die Tatsachengrundlage für einen etwaigen Regressanspruch der AG gegenüber dem Vorstand vorzubereiten.744 Klärt der Aufsichtsrat den Verdacht einer Straftatbegehung des Vorstands gegenüber Dritten intern nicht auf und werden später gegenüber der AG durch aus der Vorstandsstraftat geschädigte Dritte gemäß §§ 31, 89, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. dem konkret verwirklichten Straftatbestand erfolgreich Schadenersatzansprüche geltend gemacht, besteht infolge der vom Aufsichtsrat unterlassenen Aufklärung potentiell die Gefahr, dass die AG gegenüber dem strafrechtswidrig und schadenskausal handelnden Vorstand ihren Regressanspruch nach §§ 93 Abs. 2 S. 1 AktG mangels hinreichender Tatsachengrundlage nicht durchsetzen kann und den Schaden endgültig zu tragen hat. Ob hierin aus Sicht des Aufsichtsrats bereits eine strafrechtlich relevante Gefährdung des Gesellschaftsvermögens liegt, ist mit Blick auf die oben bereits diskutierten Voraussetzungen für die Annahme eines Vermögensnachteils indes zweifelhaft. (1) Keine reale Vermögenseinbuße infolge der Nichtaufklärung Bei der strafrechtlichen Bewertung ist unter schadensrechtlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen, dass die interne Nichtaufklärung einer gegen743  Siehe

hierzu ausführlich oben Teil 3 C. III. 2. a). insoweit einschlägigen ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung siehe oben Teil 3 C. III. 1. a); Teil 3 C. III. 1. a) bb). 744  Zur

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

über Dritten möglicherweise begangenen Straftat des Vorstands zur Vorbereitung eines in der Zukunft liegenden Regressanspruchs bei der AG nicht schon zu einer realen Vermögenseinbuße gemäß § 266 Abs. 1 StGB führt. Eine solche tritt aus Sicht des vom Aufsichtsrat zu schützenden Gesellschaftsvermögens erst ein, wenn der Schadenersatzanspruch des geschädigten Dritten nach der Vorstandsstraftat gemäß §§ 31, 89, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. dem konkret verwirklichten Straftatbestand gegenüber der AG erfolgreich geltend gemacht wird und im Anschluss daran ein vom Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand nach § 93 Abs. 2 S. 1 AktG im Innenverhältnis zu verfolgender Schadenersatzanspruch innerhalb der Verjährungsfrist nicht verfolgt wird oder aufgrund eines zwischenzeitlich eingetretenen Beweismittelverlusts nicht mehr oder nicht in voller Höhe durchsetzbar ist.745 Die Nichtaufklärung durch den Aufsichtsrat steigert letztlich nur im Vorfeld die Gefahr der Nichtdurchsetzbarkeit eines zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise entstehenden Regressanspruchs der AG gegenüber dem strafrechtswidrig handelnden Vorstand. Zu einer realen Vermögenseinbuße führt sie hingegen noch nicht. (2) Schadensgleiche Vermögensgefährdung infolge der Nichtaufklärung? Mit Blick auf den Tatbestand der Untreue stellt sich daher die Frage, ob in der Nichtaufklärung einer Vorstandsstraftat eine schadensgleiche Vermögensgefährdung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB gesehen werden kann.746 Nimmt der Aufsichtsrat davon Kenntnis, dass ein Vorstandsmitglied in dem Verdacht steht, gegenüber einem Dritten eine Straftat begangen zu haben und leitet er daraufhin keine Aufklärungsmaßnahmen ein, führt dies unter Beachtung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes747 innerhalb des Untreuetatbestands nur dann zu einer konkreten Vermögensgefährdung, wenn unter Berücksichtigung der „besonderen Umstände des Einzelfalls“ festgestellt werden kann, „ob die Betroffenen mit wirtschaftlichen Nachteilen ernstlich zu rechnen ha745  Der Vermögensnachteil kann bei der Untreue auch in einer unterlassenen Vermögensmehrung liegen. Diese kann durch aktive Vereitelungshandlungen sowie durch Unterlassen pflichtgemäß gebotener Handlungen herbeigeführt werden. Siehe Fischer, StGB, § 266 Rn. 116; Brammsen ZIP 2009, 1510 f.; Brand/Petermann, WM 2012, 67. 746  Zur Zulässigkeit dieser Rechtsfigur und ihren Voraussetzungen Teil 5 A. II. 1. e) bb) (1). 747  Diesen innerhalb der Untreue anerkennend BVerfG, NJW 2010, 3218 m. w. N. in Rn. 138; BGH 5 StR 394/08 = HRRS 2009, Nr. 718; Brand, NJW 2011, 1752; Theile, wistra 2010, 462; Mosiek, HRRS 2012, 455. Zum Unmittelbarkeitsgrundsatz bei Auslösung von Schadenersatzansprüchen und Sanktionen SSW-Saliger, § 266 Rn. 75 f.; vgl. Teil 5 A. II. 1. e) bb) (2).



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ben [und] der Eintritt eines Schadens bereits so nahe liegend“ ist, dass der „Vermögenswert auf Grund der Verlustgefahr bereits gegenwärtig gemindert“ wird.748 Von einer hinreichend konkreten Vermögensgefährdung kann somit nur ausgegangen werden, wenn die durch die Pflichtverletzung geschaffene Gefahr unmittelbar in einen Schaden umschlagen kann.749 Hieran fehlt es jedenfalls bei solchen Gefährdungslagen, in denen der endgültige Vermögensverlust noch von „wesentlichen Zwischenschritten“ des Täters, Opfers oder eines Dritten abhängt.750 Die nach Kenntnisnahme vom Straftatverdacht durch den Aufsichtsrat unterlassene Aufklärung zum Zweck der Durchsetzung eines später entstehenden Regressanspruchs der AG gegen das strafrechtswidrig handelnde Vorstandsmitglied müsste zur Begründung einer Strafbarkeit der Aufsichtsratsmitglieder daher geeignet sein, einen konkreten Gefährdungsschaden auf Seiten der AG zu begründen. Erlangt der Aufsichtsrat Kenntnis davon, dass gegenüber einem Mitglied des Vorstands der Verdacht einer Straftatbegehung besteht und leitet er daraufhin entgegen seiner aktienrechtlichen Pflicht aus §§ 111 Abs. 1, 2, 112 S. 1 AktG keine interne Aufklärung ein, scheidet eine schadenskausale Pflichtverletzung des Aufsichtsrats im Sinne des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB zwingend aus, wenn sich später – etwa aufgrund externer Ermittlungen – herausstellt, dass der gegen den Vorstand erhobene Verdacht unbegründet war. In dieser Konstellation fehlt es an einer nachgewiesenen schadenskausalen Straftatbegehung des Vorstands, sodass in der Nichteinleitung von Aufklärungsmaßnahmen durch den Aufsichtsrat erst recht keine schadenskausale Pflichtverletzung liegen kann.751 Die AG ist in dieser Sachverhaltsvariante mangels tatsächlich vorliegender Vorstandsstraftat zu keinem Zeitpunkt der konkreten Gefahr ausgesetzt, durch Dritte erfolgreich auf Leistung von Schadenersatz in Anspruch genommen zu werden. Die Annahme eines Gefährdungsschadens scheidet unter konsequenter Beachtung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes jedoch auch dann aus, wenn sich der Straftatverdacht gegen Mitglieder des Vorstands nach Abschluss eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens ex post bestätigt. Die pflicht748  BVerfG, NJW 2010, 3218 m. w. N. in Rn. 138. Siehe auch Fischer, StGB, § 266 Rn. 150; MüKoStGB/Dierlamm StGB § 266 Rn. 211. 749  Helmrich, NZG 2011, 1255; Schlösser/Dörfler, wistra 2007, 333. 750  Helmrich, NZG 2011, 1255; Theile, wistra 2010, 462; MüKoStGB/Dierlamm StGB § 266 Rn. 211 ff.; Matt, NJW 2005, 391; Saliger, HRRS 2006, 20; ders., SSW, § 266 Rn. 75 f. 751  Die Einleitung einer unbegründeten Untersuchung kann im Gegenteil eine untreurelvante Pflichtverletzung des Aufsichtsrats sogar erst begründen. In diese Richtung auch Goette, Liber Amicorum Winter 2011, 163.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

widrige Nichtaufklärung eines – begründeten – Straftatverdachts durch den Aufsichtsrat führt aus Sicht der AG nicht unmittelbar schon zu einer schadensgleichen Vermögensgefährdung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB. Eine konkrete Gefährdung des Gesellschaftsvermögens hängt in dieser Konstellation noch von weiteren Unwägbarkeiten und Zwischenschritten sowohl auf Seiten des Geschädigten als auch auf Seiten der AG ab.752 Aus Sicht des Aufsichtsrats ist auch bei dem begründeten Verdacht einer Straftatbegehung durch den Vorstand gegenüber Dritten unklar, ob diesen infolge der Vorstandsstraftat überhaupt ein Vermögensschaden real enstanden ist, wie hoch dieser betragsmäßig ist und inwieweit potentiell geschädigte Dritte einen etwaigen Schaden gemäß §§ 31, 89, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. dem konkret verwirklichten Straftatbestand gegenüber der AG tatsächlich geltend machen und erfolgreich werden durchsetzen können. In der Sphäre des Geschädigten bedarf es neben dem Erkenntnisakt, dass ihm infolge der Vorstandsstraftat ein durchsetzbarer Schadenersatzanspruch gegenüber der AG zusteht, zusätzlich auch der Entschließung darüber, einen etwaigen Anspruch gegenüber der AG tatsächlich geltend zu machen und zu verfolgen.753 Erst wenn der Geschädigte sich entschlossen hat, den aus einer Vorstandsstraftat herrührenden Schadenersatzanspruch gegenüber der Gesellschaft zu verfolgen und dies durch Geltendmachung des Anspruchs anzeigt, wird aus Sicht des Aufsichtsrats die Frage eines Regresses gegen das strafrechtswidrig handelnde Vorstandsmitglied konkret. Zwischen der Kenntnisnahme des Verdachts einer Straftatbegehung durch Mitglieder des Vorstands, der erfolgreichen Realisierung eines hieraus eventuell erwachsenden Schadenersatzanspruchs durch Geschädigte gegenüber der AG sowie der sich daran anschließenden Einleitung eines Regresses gegen das strafrechtswidrig handelnde Vorstandsmitglied liegen zahlreiche aus Sicht des Aufsichtsrats regelmäßig nicht vorhersehbare Zwischenschritte, sodass die Nichteinleitung von Aufklärungsmaßanhmen im Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Aufsichtsrats vom Verdacht einer Straftatbegehung durch den Vorstand als Anknüpfungspunkt für eine schadensgleiche Vermögensgefährdung und damit für eine Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats ausscheidet. Solange durch eine Vorstandsstraftat geschädigte Dritte gegenüber der AG die Absicht, Schadenersatzansprüche geltend machen zu wollen, nicht anzeigen, ist die in der Nichtaufklärung des Verdachts einer Vorstandsstraftat liegende Gefahr der Nichtdurchsetzung eines Regressanspruchs gegenüber dem 752  Zur Schadensrelevanz bei Auslösung von Schadenersatzansprüchen siehe oben Teil 5 A. II. 1. e) bb) (2). 753  Zur Frage, ob das Auslösen von Schadenersatzansprüchen durch den Vorstand eine Vermögensgefährdung darstellt, siehe bereits oben Teil  5 A. II. 1. e) bb) (2); SSW-Saliger, StGB, § 266 Rn. 75a; Schwerdtfeger, 141 ff., 220.



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strafrechtswidrig handelnden Vorstandsmitglied lediglich abstrakter Natur und nicht geeignet, unmittelbar in einen Schaden umzuschlagen.754 Würde man die Nichtaufklärung eines Straftatverdachts auf Seiten des Vorstands, ohne dass die Geltendmachung etwaiger Schadenersatzansprüche durch Geschädigte der AG für den Aufsichtsrat konkret erkennbar ist, bereits als schadensgleiche Vermögensgefährdung werten, käme dies contra legem einer Umdeutung des als Verletzungsdelikt ausgestalteten Untreuetatbestandes in ein Gefährdungsdelikt gleich und würde zu einer unzulässigen Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Bereich des bei der Untreue straflosen Versuchs führen. bb) Ergebnis und Bewertung des Untreuerisikos Die pflichtwidrige Nichtaufklärung des Verdachts einer Vorstandsstraftat gegenüber außerhalb der AG stehenden Dritten durch den Aufsichtsrat bewirkt weder eine reale Vermögenseinbuße, noch führt sie unter Beachtung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zu einer konkreten Gefährdung des Gesellschaftsvermögens. Ein Strafbarkeitsrisiko wegen Untreue durch Unterlassen scheidet aus Sicht der Mitglieder des Aufsichtsrats somit aus.755 b) Untreuerisiko bei unterlassener Abstellung des Fehlverhaltens des Vorstands Begehen Mitglieder des Vorstands strafbare Handlungen zu Lasten von außerhalb der AG stehenden Dritten, trägt dies für jene das Risiko in sich, 754  Die Nichtaufklärung des Verdachts einer Straftat durch den Vorstand gegenüber Dritten kann aus Sicht des Aufsichtsrats allenfalls Untreuerelevanz entfalten, wenn sich strafprozessual zweifelsfrei feststellen ließe, dass die vorsätzliche Nichtaufklärung des Straftatverdachts durch den Aufsichtsrat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Nichtdurchsetzbarkeit des Regressanspruchs der AG gegenüber dem strafrechtswidrig handelnden Vorstandsmitglied führt, weil es infolge der unterlassenen Aufklärung zu einem den Regressanspruch vernichtenden Beweismittelverlust kam. Aus Sicht des Aufsichtsrats müsste dann allerdings sicher feststehen, dass der Vorstand eine schadenskausale Straftat begangen hat, der geschädigte Dritte seinen Schadenersatzanspruch gemäß §§ 31, 89, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. dem konkret verwirklichten Straftatbestand gegenüber der AG geltend machen wird und die vorsätzliche Nichtaufklärung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Vereitelung des Regressanspruchs führen wird. Ein Gefährdungsschaden läge aus Sicht der AG dann in dem vom Aufsichtsrat im Vorfeld geschaffenen „Risiko der Durchsetzung“ des Regressanspruchs gegenüber dem strafrechtswidrig handelnden Vorstandsmitglied. Siehe hierzu auch BGH, wistra 2006, 306; Fischer, StGB, § 266 Rn. 157. 755  Eine zivilrechtliche Haftung des insoweit aktienrechtlich pflichtwidrig handelnden Aufsichtsrats bleibt selbstverständlich unberührt.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

dass durch die Straftatbegehung Schadenersatzansprüche und Sanktionen ausgelöst werden und hierdurch das Gesellschaftsvermögen geschädigt oder gefährdet wird. Erkennen die Mitglieder des Aufsichtsrats, dass Vorstandsmitglieder gegenüber Dritten strafrechtswidrig handeln und stellen sie dieses Verhalten durch Begründung eines Zustimmungsvorbehalts oder durch Abberufung und Kündigung nicht wirksam ab, ermöglichen sie weiterhin sowohl eine Straftatbegehung durch den Vorstand gegenüber Dritten als auch die damit potentiell einhergehende Auslösung von Schadenersatzansprüchen und Sanktionen zu Lasten des Gesellschaftsvermögens756. Für die Aufsichtsratsmitglieder als Beschützergaranten des Gesellschaftsvermögens stellt sich in strafrechtlicher Hinsicht damit auch in dieser Konstellation die Frage, ob bereits die Auslösung von Schadenersatzansprüchen durch den Vorstand infolge von dessen Straftatbegehung gegenüber Dritten einen strafrechtlich relevanten Schaden im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB darstellt757. Erheblich ist aus Sicht der Mitglieder des Aufsichtsrats, ob in dem vorsätzlichen Nichtabstellen der Straftatbegehung des Vorstands gegenüber Dritten und dem damit einhergehenden „Zulassen“ der Auslösung von potentiellen Schadenersatzansprüchen und Sanktionen zum Nachteil der AG durch die strafrechtswidrig handelnden Vorstandsmitglieder ein Anknüpfungspunkt für eine Untreuestrafbarkeit des Aufsichtsrats gesehen werden kann. Begehen Vorstandsmitglieder Straftaten zu Lasten von Dritten und lösen sie hierdurch Schadenersatzansprüche und / oder Bußgeldsanktionen zum Nachteil der AG aus, entfaltet dies für den Aufsichtsrat nach § 266 StGB jedoch nur strafrechtliche Relevanz, wenn dessen Mitglieder von der Tat des Vorstands Kenntnis nehmen, diese nicht abstellen und der durch die Vorstandsstraftat verwirklichte Schadenersatzanspruch beziehungsweise die verwirklichte Bußgeldnorm gegenüber der AG auch geltend gemacht werden wird, weil der Geschädigte hinsichtlich der Geltendmachung über kein Entschließungsermessen verfügt.758 Aufgrund des Entschließungsermessen der Sanktionsbehörde führt jedoch weder die Verwirklichung des § 30 Abs. 1 OWiG durch den Vorstand noch das Zulassen der für § 30 Abs. 1 OWiG erforderlichen Anknüpfungstat durch den Aufsichtsrat schon zu einer konkreten Vermögensgefährdung. Da der durch die Vorstandsstraftat Geschädigte über die Verfolgung des hierdurch verursachten Schadens regelmäßig frei entscheiden kann, scheidet ein Strafbarkeitsrisiko der Aufsichtsratsmitglieder wegen des mit der Straftat des auch Schwerdtfeger, 141 ff., 220. hierzu die Ausführungen oben Teil 5 A. II. 1. e) bb) (2). 758  Zur Schadensrelevanz der Auslösung von Schadenersatzansprüchen siehe oben Teil 5 A. II. 1. e) bb) (2). Siehe auch Schwerdtfeger, 141 ff., 149 ff., 220. 756  Siehe 757  Siehe



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands473

Vorstands einhergehenden Risikos der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber der AG ebenso aus. c) Untreuerisiko bei unterlassener Verfolgung von Schadenersatz Schließlich könnte die Mitglieder des Aufsichtsrats ein Risiko treffen, sich wegen Untreue durch Unterlassen strafbar zu machen, wenn die aus der Vorstandsstraftat konkret geschädigten Dritten gegenüber der AG Schadenersatzansprüche tatsächlich geltend machen und sie gegenüber dem Vorstand von einer Verfolgung von Regressansprüchen vorsätzlich absehen. Im Anschluss an die Aufklärung und Abstellung trifft die Aufsichtsratsmitglieder nach §§ 112 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG die Pflicht zur Prüfung und Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder.759 Bei der Frage, ob sie einen werthaltigen und durchsetzbaren Anspruch gegenüber dem Vorstand verfolgen, kommt ihnen nach der Rechtsprechung auch kein unternehmerisches Ermessen zu.760 Begeht der Vorstand gegenüber Dritten eine schadenskausale Straftat und machen diese den ihnen durch die Straftat des Vorstands entstandenen Schaden gegenüber der AG nach §§ 31, 89, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. dem konkret verwirklichten Straftatbestand tatsächlich geltend, haben die Mitglieder des Aufsichtsrats einen der AG gegenüber dem Vorstand enstandenen Regressanspruch gemäß §§ 112 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG im Innenverhältnis zu verfolgen. Verfolgt der Aufsichtsrat den aus einer strafbaren Handlung des Vorstands herrührenden Regressanspruch der AG gegenüber dem strafbar handelnden Vorstand nicht, stellt dies aufgrund des insoweit fehlenden unternehmerischen Handlungsspielraums stets eine evidente Primärrechtsverletzung und damit zugleich eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht des § 266 Abs. 1 StGB dar.761 Die Nichtverfolgung eines werthaltigen und durchsetzbaren Schadenersatzanspruchs der AG gegen den Vorstand trägt den nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Annahme einer Vermögensbetreuungspflichtverletzung geforderten Vermögensbezug unmittelbar in sich, da hierdurch dem vom Aufsichtsrat zu betreuenden Vermögen der AG die konkrete Chance eines Zuwachses beziehungsweise eines Nachteilsausgleichs vorenthalten wird.762 Die Nichtgeltendmachung verstößt zugleich gegen die unmit759  Krause, NStZ 2011, 62; Zech, Untreue durch Aufsichtsratsmitglieder einer AG, 272 ff. 760  Siehe hierzu ausführlich oben Teil 3 C. III. 2. a) aa) und cc). 761  Fischer, StGB, § 266 Rn. 106, 108; Brammsen, ZIP 2009, 1504  ff., 1509; Brand/Petermann, WM 2012, 63 ff., 66; Krause, NStZ 2011, 62 ff.; Leipold, FS Mehle 2009, 353. 762  Zutreffend Brand/Petermann, WM 2012, 66.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

telbar dem Schutz des Gesellschaftsvermögens dienenden primärrechtlichen Vorschriften der § 112 S. 1 AktG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG.763 Unterlässt der Aufsichtsrat die Verfolgung eines aus einer Straftatbegehung durch den Vorstand folgenden Regressanspruchs der AG gegenüber diesem, stellt dies eine untreuerelevante Pflichtverletzung des Aufsichtsrats dar.764 Die Nichtverfolgung eines werthaltigen und durchsetzbaren Schadenersatzanspruchs der AG gegenüber dem strafrechtswidrig handelnden Vorstand ist aus Sicht der AG ferner geeignet, das Gesellschaftsvermögen zu schädigen. Die Existenz eines bezifferbaren Schadenersatzanspruchs ist Teil des Vermögens des Treugebers und bei entsprechender Werthaltigkeit in Höhe seines Nennwertes bilanziell zu erfassen.765 Der Aufsichtsrat hat als Beschützergarant dafür Sorge zu tragen, dass eine für die AG durch Realisierung eines durchsetzbaren Schadenersatzanspruchs mögliche Vermögensmehrung herbeigeführt wird, wenn aus Sicht des Treugebers eine „gesicherte Aussicht auf den Vorteil“766 besteht. Ein Gefährdungsschaden liegt daher vor, wenn infolge des strafrechtswidrigen Handelns des Vorstands Ansprüche gegenüber der AG durch geschädigte Dritte tatsächlich geltend gemacht wurden und diese reale Vermögenseinbuße vom Aufsichtsrat im Wege des Regresses nicht kompensiert wird. In dieser Konstellation folgt ein Gefährdungsschaden zwar nicht schon daraus, dass ein dem Grunde nach bestehender Anspruch der AG nicht unmittelbar nach Aufklärung des Fehlverhaltens schon geltend gemacht wird, da durch die bloße Nichtgeltendmachung noch kein endgültiger Anspruchsverlust bewirkt wird.767 Die zur Annahme eines 763  Brand/Petermann, WM 2012, 66. Zum vermögensschützenden Charakter siehe auch die Ausführungen in Teil 5 A. II. 1. c) bb). 764  Da die Pflicht zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen sachlich in einem engen Zusammenhang mit der Überwachung steht und regelmäßig im Anschluss an die gemäß § 111 Abs. 1 AktG vom Aufsichtsrat vorzunehmende Aufklärung erfolgt, stellt die Nichtverfolgung eines Schadenersatzanspruchs aufgrund ihrer Nähe zur Kontroll- und Überwachungspflicht richtigerweise einen Anwendungsfall der Treubruchuntreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB dar. Denkbar wäre zwar auch, das Unterlassen der Verfolgung als einen „Missbrauch der Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen“ zu werten, da auch einem Unterlassen rechtsgeschäftliche Bedeutung zukommen kann. Gegen die Anwendung des Missbrauchstatbestands spricht jedoch, dass dem bloßen Nichterheben eines Anspruchs noch kein rechtsgeschäftlicher Charakter zukommt, da der Anspruch bis zum Eintritt der Verjährung noch weiter existiert. Siehe zum Ganzen zutreffend Brammsen, ZIP 2009, 1509 f. 765  Brand/Petermann, WM 2012, 67. Der nach der Straftatbegehung des Vorstands zu Gunsten der AG entstehende Regressanspruch in Höhe des gegenüber der AG von dritter Seite geltend gemachten Schadens führt wegen des Risikos der Durchsetzbarkeit nach zutreffender Auffassung nicht zu einer Schadenskompensation. Siehe auch Fischer, StGB, § 266, Rn. 168. 766  Fischer, StGB, § 266 Rn. 116, 157. 767  Brammsen, ZIP 2009, 1510; M/G-Momsen, Kap. 1, Rn. 37.



A. Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands475

Gefährdungsschadens erforderliche nahe liegende Gefahr rechtlicher Nachteile mit vermögensmindernder Folge tritt vielmehr erst ein, wenn ein bestehender Anspruch der AG nicht verfolgt und dadurch dem Risiko der Verjährung ausgesetzt wird768 oder durch das unbegründete Zuwarten mit der Geltendmachung aufgrund eines zwischenzeitlich eingetretenen prozessualen Hindernisses mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr durchsetzbar ist.769 Wird durch die unterlassene Geltendmachung die Realisierung des Regressanspruchs durch Eintritt der Verjährung sogar gänzlich vereitelt oder kommt es durch die verzögerte Geltendmachung zu einer Verschlechterung der Beweislage und einer messbaren Werteinbuße, ist der Vermögensnachteil real bewirkt und ein strafrechtlich relevanter Schaden nach § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB eingetreten.770 Die Mitglieder des Aufsichtsrats trifft vor diesem Hintergrund ein nicht unerhebliches strafrechtliches Haftungsrisiko, wenn nach einer aufgeklärten Vorstandsstraftat von dritter Seite gegenüber der AG konkrete Schadenersatzansprüche tatsächlich geltend gemacht werden und der Aufsichtsrat dennoch davon absieht, den vom Vorstand durch die Straftatbegehung zum Nachteil der AG verursachten und durch die Geltendmachung eingetretenen Vermögensschaden im Wege des Regresses gegenüber dem Vorstand zu verfolgen.771 6. Ergebnis Strafbarkeitsrisiko bei Verdacht auf Straftatbegehung gegenüber Dritten Das Strafbarkeitsrisiko des Aufsichtsrats beschränkt sich bei einer Straftatbegehung des Vorstands gegenüber Dritten mangels Überwachungsgarantenstellung in der Regel auf den Tatbestand der Untreue zum Nachteil der AG gemäß §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 Abs. 1 StGB.

IV. Bewertung Strafbarkeitsrisiko bei Straftatbegehung durch Vorstand Am deutlichsten sichtbar ist das Risiko, sich wegen Untreue durch Unterlassen zum Nachteil der AG strafbar zu machen für den Aufsichtsrat, wenn 768  Zutreffend Fischer, StGB, § 266 Rn. 157; M/G-Schramm, Kap. 5, Rn. 103. Zu den Anforderungen an einen Gefährdungsschaden jüngst BGH, NStZ 2015, 514. 769  Siehe Brammsen, ZIP 2009, 1510; Fischer, StGB, § 266 Rn. 157; BGH, wistra 2006, 307. 770  Brammsen, ZIP 2009, 1510; Krause, NStZ 2011, 62. Zu den möglichen Schadenspositionen siehe LG München NZG 2014, 346 f. 771  Auf die besondere Haftungsträchtigkeit weisen zutreffend auch hin Brand/ Petermann, WM 2012, 67; Krause, NStZ 2011, 62; Leipold, FS Mehle 2009, 353.

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

der Vorstand eine Straftat gegenüber Dritten begangen hat und diese den ihnen hieraus entstandenen Schaden gegenüber der AG gemäß §§ 31, 89, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. dem verwirklichten Straftatbestand tatsächlich geltend gemacht haben. Der Aufsichtsrat ist in dieser Konstellation aktien- und strafrechtlich verpflichtet, den der AG gegenüber dem strafrechtswidrig handelnden Vorstand zustehenden Regressanspruch zu verfolgen und durchzusetzen. Sieht er von einer Geltendmachung gegenüber dem Vorstand gleichwohl ab, sodass der Regressanspruch der AG verjährt oder wegen eines Beweismittelverlusts in bezifferbarer Weise real gemindert wird oder nicht mehr durchsetzbar ist, liegt der Tatbestand der Untreue durch Unterlassen gemäß §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 Abs. 1 StGB objektiv vor. Zur Vermeidung einer eigenen zivil- und strafrechtlichen Haftung haben die Aufsichtsratsmitglieder daher Regressansprüche der AG gegenüber dem Vorstand infolge einer Straftatbegehung durch diesen konsequent zu verfolgen. Demgegenüber trifft die Aufsichtsratsmitglieder ein Risiko, sich wegen Untreue durch Unterlassen gemäß §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 Abs. 1 StGB strafbar zu machen regelmäßig auch dann nicht, wenn sie ausnahmsweise, etwa durch einen anonymen Hinweis aus dem Unternehmen oder durch den Bericht des Abschlussprüfers, davon Kenntnis erlangen, dass der Vorstand die Begehung einer Straftat gegenüber Dritten plant, sie diese nicht abstellen und durch die vom Aufsichtsrat zugelassene Straftatbegehung des Vorstands Schadenersatzansprüche von Dritten gegenüber der AG ausgelöst werden. Nach der hier vertretenen Auffassung käme eine Strafbarkeit der die schadenskausale Vorstandsstraftat zulassenden Mitglieder des Aufsichtsrats nur in Betracht, wenn der Vorstand eine Straftat begeht, die zugleich eine sich gegenüber der AG quasi selbst vollstreckende Schadenersatz- und / oder Bußgeldnorm verletzt.772 Ein Strafbarkeitsrisiko wegen Untreue durch Unterlassen trifft die Aufsichtsratsmitglieder bei einer Straftatbegehung des Vorstands gegenüber Dritten auch dann nicht, wenn sie einem ihnen zur Kenntnis gelangten Verdacht nicht nachgehen und entgegen ihrer aktienrechtlichen Pflicht aus § 111 Abs. 1, 2 i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG keine Sachverhaltsaufklärung betreiben. Stellt sich in dieser Sachverhaltskonstellation heraus, dass der Vorstand eine das Vermögen der AG schädigende Straftat gegenüber Dritten begangen und der Aufsichtsrat trotz hinreichender Verdachtsmomente keine Aufklärung betrieben hat, fehlt es aufgrund der Vielzahl an Zwischen772  So etwa im Fall der „Kölner Parteispendenaffäre“. Die Vorschrift des § 23a PartG a. F. gewährte dem Präsidenten des Bundestages kein Ermessen bei der Verhängung der Sanktion, weswegen die Rückforderung rechtswidrig erlangter Parteispenden „zwingend“ war. Siehe BGH NJW 2011, 1751. Siehe hierzu Teil 5 A. II. 1. e) bb) (2) u. Teil 5 A. II. 1. e) bb) (2) (b).



B. Zusammenfassung477

akten bis zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs durch den Geschädigten gegenüber der AG im Zeitpunkt der unterlassenen Aufklärung in der Regel an einem unmittelbar aus der Pflichtverletzung folgenden Nachteil. Ein solcher liegt mangels messbarer Vermögenseinbuße weder real noch in Form eines Gefährdungsschadens vor. Schließlich trifft den Aufsichtsrat wiederum ein Risiko, sich wegen Untreue durch Unterlassen strafbar zu machen, wenn er Kenntnis davon nimmt, dass der Vorstand eine Straftat unmittelbar zum Nachteil der AG begangen hat und er nicht tätig wird. Durch seine Untätigkeit ermöglicht er es dem Vorstand, das Gesellschaftsvermögen direkt zu schädigen. Im Unterschied zu einer Straftatbegehung des Vorstands gegenüber Dritten wird in dieser Konstellation unmittelbar nachteilig auf das Gesellschaftsvermögens eingewirkt. Er ist in dieser Variante regelmäßig Unterlassungstäter einer Untreue nach §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 Abs. 1 StGB, wenn er trotz hinreichender Verdachtsmomente die vom Vorstand zum Nachteil der AG geplante Straftat nicht aufklärt, abstellt und durch Verfolgung von Schadenersatz ahndet.

B. Zusammenfassung strafrechtliche Haftungsrisiken des Aufsichtsrats bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands Das Strafbarkeitsrisiko des Aufsichtsrats gemäß §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 Abs. 1 StGB stellt sich bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands im Ergebnis differenziert dar. Die Aufsichtsratsmitglieder trifft bei Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den dafür zuständigen Vorstand regelmäßig kein Risiko, sich wegen Untreue durch Unterlassen nach §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 Abs. 1 StGB strafbar zu machen. Die Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den für die Überwachung zuständigen Aufsichtsrat führt aus Sicht der AG nicht zu einem Schaden im Sinne des § 266 StGB. Ein solcher kann nach zutreffender Ansicht auch nicht in der konkret begangenen Mitarbeiterstraftat gesehen werden. Zur Verhinderung einer solchen ist ausschließlich der Vorstand als Leitungsorgan berufen. Die infolge eines fehlenden Compliance-Systems begangene Mitarbeiterstraftat gegenüber Dritten führt nach zutreffender Ansicht insbesondere nicht schon zu einer Schädigung des Vermögens der AG. Mit Blick auf den Unmittelbarkeitsgrundsatz kann eine solche auch nicht in dem mit der Mitarbeiterstraftat potentiell einhergehenden Risiko der Geltendmachtung von Schadenersatzansprüchen gesehen werden. Eine Strafbarkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats wegen Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand gemäß

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Teil 5: Strafrechtliche Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit

§§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 Abs. 1 StGB scheitert schließlich zwingend an der fehlenden beziehungsweise regelmäßig nicht nachweisbaren „Quasi-Kausalität“ der unterlassenen Überwachung der Einführung eines Compliance-Systems für die das Gesellschaftsvermögen schädigende konkrete Mitarbeiterstraftat. Bereits der Nachweis, dass die konkrete Mitarbeiterstraftat durch Einführung eines Compliance-Systems hätte verhindert werden können, wird sich nicht führen lassen. Demgegenüber trifft den Aufsichtsrat als Beschützergarant für das Vermögen der Gesellschaft die strafrechtliche Pflicht, diese vor Schädigungen durch den Vorstand zu schützen. Für den Aufsichtsrat bedeutet dies, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden aktienrechtlichen Mitteln alles ihm tatsächlich und rechtlich Mögliche zu veranlassen hat, damit der AG durch das Verhalten des Vorstands kein Schaden erwächst. Dies verpflichtet ihn, im Verhältnis zum Vorstand zu reagieren, wenn er davon Kenntnis nimmt, dass dieser unmittelbar in eine Straftat verwickelt ist. Den Aufsichtsrat trifft ein Risiko, sich wegen Untreue durch Unterlassen als (Mit-)Täter strafbar zu machen, wenn er eine Straftatbegehung des Vorstands direkt zum Nachteil der AG billigt und nicht tätig wird. Aufgrund seiner Untätigkeit lässt er die unmittelbare Schädigung des Gesellschaftsvermögens durch den Vorstand zu. Bei einer Straftatbegehung des Vorstands gegenüber Dritten besteht regelmäßig die Gefahr, dass das Vermögen der AG mit Schadenersatzansprüchen Dritter belastet wird. Dies hat der Aufsichtsrat zur Vermeidung einer eigenen zivil- und strafrechtlichen Haftung zu erkennen. Werden aus einer Vorstandsstraftat herrührende Ansprüche Dritter gegenüber der AG tatsächlich geltend gemacht und vom Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand im Wege des Regresses vorsätzlich nicht verfolgt, verwirklichen die Mitglieder des Aufsichtsrats regelmäßig den Tatbestand der Untreue, wenn der Regressanspruch gegenüber dem Vorstand durch die vorsätzliche Nichtgeltendmachung verjährt oder durch das unbegründete Zuwarten der konkreten Gefahr eines Beweismittelverlustes ausgesetzt wird. Ein Strafbarkeitsrisiko besteht für die Mitglieder des Aufsichtsrats bei einer Straftatbegehung des Vorstands gegenüber Dritten hingegen nicht schon ohne Weiteres, wenn dessen Mitglieder eine Straftatbegehung des Vorstands gegenüber Dritten erkennen, hiergegen nicht einschreiten und die Auslösung von Schadenersatzansprüchen Dritter gegenüber der AG dadurch bedingt vorsätzlich zulassen. Voraussetzung für eine Untreuestrafbarkeit ist aufgrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes insoweit stets, dass sich der vom Vorstand durch die Straftatbegehung ausgelöste und vom Aufsichtsrat vorsätzlich nicht verhinderte Schadenersatzanspruch gegenüber der AG quasi selbst vollstreckt.

Teil 6

Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung seiner ­Compliance-Verantwortung A. Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung seiner Compliance-Verantwortung und Reduktion seiner strafrechtlichen Haftungsrisiken Mit Blick auf die vorstehend skizzierten Haftungsrisiken stellt sich abschließend die Frage, durch welche organisatorischen Maßnahmen der Aufsichtsrat in Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags aus § 111 Abs. 1 AktG im Verhältnis zum Vorstand die Einhaltung und Durchsetzung des Legalitätsprinzips durch den Vorstand in der AG im Sinne einer präventiv ausgerichteten Überwachung einerseits effektiv begleiten1 und andererseits sicherstellen kann, dass Compliance-Verstöße des Vorstands aufgeklärt, abgestellt und geahndet werden. Ein konsequenter Einsatz der dem Aufsichtsrat nach dem Aktienrecht im Verhältnis zum Vorstand zur Verfügung stehenden Überwachungsmittel könnte aus Sicht der Aufsichtsratsmitglieder zudem sowohl zivil- als auch strafrechtlich eine enthaftende Wirkung entfalten. Setzen die Mitglieder des Aufsichtsrats die in Teil 1 dieser Arbeit dargestellten Instrumente der Überwachung zur Erfüllung ihres Überwachungsauftrages aus § 111 Abs. 1 AktG gegenüber dem Vorstand effektiv und nachhaltig ein, dürfte dies in haftungsrechtlicher Hinsicht regelmäßig nicht nur den Nachweis einer Sorgfaltspflichtverletzung gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 AktG, sondern zudem auch die Feststellung einer Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht gemäß § 266 Abs. 1 StGB erschweren. Mit Blick auf die im Rahmen dieser Arbeit festgestellte Pflicht des Aufsichtsrats zur Beschaffung der für die Vorstandsüberwachung relevanten Informationen2 ist im Folgenden schließlich insbesondere die Frage zu beleuchten, wie 1  Zu dieser Vorgabe der Rechtsprechung siehe Teil  2 B. I. 1. b); BGHZ 135, 244, 255. 2  Siehe oben Teil 2 B. I. 1. b) cc); vgl. auch Teil 5 A. II. 1. c) bb).

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Teil 6: Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats

die Mitglieder des Aufsichtsrats ihre aktienrechtlichen Kompetenzen ausschöpfen können, um sich die für eine adäquate Überwachung des Vorstands erforderliche Informationsdichte zu verschaffen. Ziel der nachfolgenden Ausführungen ist es daher, den Aufsichtsratsmitgliedern von Aktiengesellschaften überblicksartig aufzuzeigen, welche aktienrechtlichen Befugnisse in der Praxis speziell dazu geeignet sind, den Vorstand auf seine ComplianceKonformität hin zu überwachen. Zugleich soll dem Aufsichtsrat dadurch verdeutlicht werden, wie er seine zivil- und strafrechtlichen Haftungsrisiken reduzieren kann.

I. Rechtsgrund für präventive Organisationsmaßnahmen des Aufsichtsrats Eine Pflicht zur Schaffung geeigneter organisatorischer Maßnahmen folgt für die Mitglieder des Aufsichtsrats im Innenverhältnis aus § 111 Abs. 1 AktG und der „sinngemäßen“ Anwendung der allgemeinen Sorgfaltspflicht aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG.3 Danach hat der Aufsichtsrat bei Überwachung des Vorstands auch die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Da sich die Pflichten des Aufsichtsrats von denen eines Vorstandsmitglieds unterscheiden, führt die „sinngemäße“ Geltung des § 93 AktG aus Sicht des Aufsichtsrats dazu, dass dieser bei der Überwachung nach § 116 S. 1 AktG die „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Überwachers und Beraters“ schuldet.4 Nach herrschender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung ist der vom Aufsichtsrat geschuldete Sorgfaltsmaßstab unter Berücksichtigung des in §§ 100 Abs. 2, 110 Abs. 3 AktG zum Ausdruck kommenden Nebenamtscharakters des Aufsichtsratsamtes anhand der spezifischen organschaftlichen Aufgaben des Aufsichtsrats zu konkretisieren.5 Wesentlicher Bestandteil einer in diesem Sinne näher zu bestimmenden Sorgfaltspflicht ist die Pflicht eines jeden Aufsichtsratsmitglieds, auf eine „funktionsgerechte und effiziente Organisation und Arbeitsweise des Auf3  Zutreffend Habersack, AG 2014, 4, wonach der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats die eigenverantwortliche und effiziente Wahrnehmung seiner Befugnisse immanent ist. 4  MüKoAktG/Habersack § 116 Rn. 2. Die Vorschrift des § 116 S. 1 AktG wird auch als „dynamische Verweisung“ bezeichnet. Siehe Henssler/Strohn/Henssler, AktG § 116 Rn. 1. 5  MüKoAktG/Habersack § 116 Rn. 2; Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 116 Rn. 11; KK-AktG/Mertens/Cahn, § 116 Rn. 5; Henssler/Strohn/Henssler, AktG § 116 Rn. 1; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 116 Rn. 38; Hüffer/Koch, AktG, § 116 Rn. 1 ff.; BGHZ 114, 130 ff.



A. Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung481

sichtsrats hinzuwirken“6. Daher haben die Mitglieder des Aufsichtsrats das Recht und die Pflicht, ihre innere Ordnung und Arbeit selbst in einer Art und Weise zu organisieren, die „optimale Resultate“ erwarten lässt.7 Im Kontext der compliancebezogenen Pflichten des Aufsichtsrats bilden insbesondere die Pflicht zur Überwachung und Beratung des Vorstands, die Pflicht zur Prüfung und Verfolgung von Schadenersatzansprüchen der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern sowie die Ausübung der Personalkompetenz den pflichtenmäßigen Kernbereich des Aufsichtsrats.8 Ferner hat er bei Vorliegen von belastbaren, auf einen Compliance-Verstoß des Vorstands hindeutenden Verdachtsmomenten zur Vorbereitung einer Schadenersatzklage und zur Einleitung personeller Maßnahmen eine Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Im Einzelfall trifft ihn zur Sachverhaltsaufklärung oder Sanktionierung von Fehlverhalten des Vorstands die Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige. Zur Erfüllung dieser Pflichten hat er im Rahmen seiner Organisationsautonomie aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG solche organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, die zur Sicherstellung der ihn im Verhältnis zum Vorstand treffenden Compliance-Verantwortung erforderlich und geeignet sind.9 Bei der Frage, welche organisatorischen Maßnahmen er zur Erfüllung dieser Pflichten für geboten hält, kommt ihm gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG nach übereinstimmender Auffassung in der Literatur und Rechtsprechung auch unternehmerisches Ermessen zu.10 Aus Sicht des Aufsichtsrats stellt sich daher die Frage, welche organisatorischen Maßnahmen er konkret ergreifen kann und im Einzelfall gegebenenfalls muss, um seine compliancebezogenen Handlungspflichten gegenüber dem Vorstand ordnungsgemäß zu erfüllen. 6  MüKoAktG/Habersack § 116 Rn. 30; Henssler/Strohn/Henssler, AktG § 116 Rn. 7 f.; Hölters/Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG § 116 Rn. 15; Plagemann, NZG 2013, 1295 f.; ders., NZG 2014, 1405; Schmidt-Husson, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 7 Rn. 35, der von einem „Pflichtrecht“ des Aufsichtsrats spricht. 7  Schmidt-Husson, in: Hauschka, Corporate Compliance, §  7 Rn. 35; MüKoAktG/Habersack § 116 Rn. 17, 30; Henssler/Strohn/Henssler, AktG § 116 Rn. 8; Plagemann, NZG 2014, 1405, wonach der Aufsichtsrat ohne Organisation nicht arbeitsfähig wäre. 8  Henssler/Strohn/Henssler, AktG § 116 Rn. 8; Hellwig/Behme, FS Hommelhoff 2012, 348. 9  Schmidt-Husson, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 7 Rn. 35. Siehe auch Reichert, FS Hommelhoff 2012, 921; Schemmel/Minkoff, Der Aufsichtsrat 2013, 95, verlangen, dass der Aufsichtsrat „alles Zumutbare unternehmen muss“, um Missstände zu verhindern. 10  BGHZ 135, 255; Semler, in: Semler/v.  Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 1 Rn. 33 ff.; MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 92 ff.; SchmidtHusson, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 7 Rn. 35; Schemmel/Minkoff, Der AR 2013, 95.

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Teil 6: Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats

II. Ausschussbildung zur Überwachung im Bereich der Compliance Die aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht gemäß §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG für den Aufsichtsrat folgende und von ihm im Wege der Selbstorganisation auszufüllende Organisationspflicht wird im Bereich der Überwachung durch die Vorschrift des § 107 Abs. 3 S. 1 AktG flankiert.11 Danach kann der Aufsichtsrat die Effizienz seiner Tätigkeit steigern, indem er aus seiner Mitte einen oder mehrere Ausschüsse bestellt, um seine Verhandlungen und Beschlüsse vorzubereiten oder die Ausführungen seiner Beschlüsse zu überwachen.12 1. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grenzen der Ausschussbildung Die Ausschussbildung steht ebenso wie die Regelung der Arbeitsweise der Ausschüsse nach dem Grundsatz der Organisationsautonomie im pflichtgemäßen Ermessen des Aufsichtsrats, sodass sich dieser im Hinblick auf die Bildung von Ausschüssen daran zu orientieren hat, ob eine arbeitsteilige Organisation zur Erfüllung der ihm durch das Aktiengesetz zugewiesenen Aufgaben effizienter ist, als eine Wahrnehmung durch den Gesamtaufsichtsrat.13 Die Organisation des Aufsichtsrats orientiert sich damit maßgeblich am Gebot der Zweckmäßigkeit und ermöglicht ihm weitgehende Freiheiten bei der Ausschussbildung.14 Er kann sowohl zeitlich unbegrenzte15 als auch zeit11  Auch der DCGK empfiehlt in Ziff. 5.3.1 S. 1, 5.3.2 S. 1 und 5.3.3 die Ausschussbildung. Zu den rechtlichen Grundlagen der Ausschussbildung siehe Sünner, CCZ 2008, 56 ff. 12  Ein Ausschuss ist abzugrenzen von Beiräten, die nur eine die Funktion des Aufsichtsrats ergänzende Beratungsaufgabe wahrnehmen, während ein Ausschuss Aufgaben des Aufsichtsrats wahrnimmt, sich aus Aufsichtsratsmitgliedern zusammensetzt und rechtlich eine Untergliederung des Aufsichtsrats ist. Weitergehend MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 99. Zur Einrichtung und Ausgestaltung eines „Aufsichtsratsbüros“ siehe Plagemann, NZG 2016, 211 ff. 13  Plagemann, NZG 2013, 1405. Der Ausschuss ist kein besonderes Organ der Gesellschaft, sondern eine bloße Untergliederung des Aufsichtsrats, was dazu führt, dass „Handeln des Ausschusses Handeln des Aufsichtsrats“ ist, vgl. MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 93. 14  Auch die Hauptversammlung kann den Aufsichtsrat weder durch Beschluss noch durch Satzungsregelung zur Ausschussbildung zwingen oder ihm diese verbieten. Siehe Cahn, WM 2013, 1300; MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 93; Plagemann, NZG 2014, 1404 f. 15  Die Einsetzung sog. Dauerausschüsse erfolgt grundsätzlich durch eine Regelung in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats. Solche können das Präsidium, der



A. Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung483

lich begrenzte – nur der Erledigung eines bestimmten Sachverhalts dienende – Ausschüsse16 einrichten. Die vom Aufsichtsrat nach seinem Organisationsermessen zu bildenden Ausschüsse lassen sich funktional einteilen in vorbereitende17, überwachende18 und erledigende19 Ausschüsse. Schließlich kann er die Beratungsaufgabe gegenüber dem Vorstand wahrnehmende „beratende Ausschüsse“ bilden.20 Die Organisationsautonomie des Aufsichtsrats wird durch § 107 Abs. 3 S. 3 AktG sowie ungeschriebene, sich aus der Natur der Sache ergebende, Delegationsverbote begrenzt.21 Nach § 107 Abs. 3 S. 3 AktG können die dort aufgeführten Aufgaben sowie Beschlüsse, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden dürfen, einem Ausschuss nicht an Stelle des Aufsichtsrats zur Beschlussfassung überwiesen werden. Der Aufsichtsrat kann nur solche Aufgaben an einen Ausschuss delegieren, deren Erfüllung ihm selbst übertragen ist.22 Nicht delegierbar ist die allgemeine Überwachungsaufgabe, sodass auf einen Ausschuss nur konkrete, exakt definierte Überwachungsaufgaben, die sich aus der allgemeinen Überwachungsaufgabe ableiten, übertragen werden dürfen.23 Damit korrespondierend kann der Aufsichtsrat einen Ausschuss mit der Wahrnehmung des Einsichts- und Prüfungsrechts nach § 111 Abs. 2 S. 1, 2 AktG sowie der Einleitung und Durchführung interner Untersuchungen beauftragen, wenn der Übertragung ein klar abgegrenzter auf hinreichenden Verdachtsmomenten basierender Sachverhalt zugrunde liegt.24 Personal-, Prüfungs-, Nominierungs- und Investitionsausschuss sowie der Vermittlungs-, Vergütungs-, Kredit- und Beteiligungsausschuss sein. Siehe MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 101, 103, 124 f. 16  Solche temporären Ausschüsse werden regelmäßig durch ad hoc Beschluss eingesetzt und lösen sich nach Zweckerreichung auf. Siehe MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 101. 17  Diesen obliegt die Vorbereitung der Verhandlungen und Beschlussfassung des Plenums und damit vornehmlich die Sachaufklärung, MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 102. 18  Neben der Überwachung der Ausführung der Aufsichtsratsausschüsse können diesem auch gegenständlich beschränkte Überwachungsaufgaben nach § 111 Abs. 1 AktG übertragen werden. Siehe auch MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 102. 19  Erledigende Ausschüsse nehmen die Aufgaben des Aufsichtsrats abschließend wahr und verfügen über Beschlusskompetenz. Siehe MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 102. 20  MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 102. 21  Zu den Delegationsverboten ausführlich MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 145 ff. 22  Der Ausschuss kann somit nur Befugnisse wahrnehmen, die der Aufsichtsrat als Organ hat. Siehe hierzu MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 100. 23  KK-AktG/Mertens/Cahn, § 107 Rn. 145; MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 143; OLG Hamburg, ZIP 1995, 1673, 1675. 24  MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 143.

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Teil 6: Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats

Bei der Ausschussbildung ist schließlich zu beachten, dass § 107 Abs. 3 S. 3 AktG nur die Delegation „zur Beschlussfassung“ verbietet, weshalb die Einrichtung von die Beschlussfassung „vorbereitenden oder ausführenden Ausschüssen“ ebenso wie die Einrichtung von überwachenden Ausschüssen auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn die in § 107 Abs. 3 S. 3 AktG genannten Aufgaben betroffen sind.25 Die geschriebenen und ungeschriebenen Delegationsverbote verbieten lediglich, dass ein vom der Sache nach zuständigen Gesamtaufsichtsrat eingesetzter Ausschuss in einer dem gesamten Plenum vorbehaltenen Sachfrage an dessen Stelle beschließt.26 Der Gesamtaufsichtsrat bleibt aber auch im Fall der Delegation von Aufgaben auf einen Ausschuss stets „Herr des Verfahrens“ und daher berechtigt, jederzeit in die Befugnisse des Ausschusses einzugreifen, diesen aufzulösen sowie einzelne Mitglieder abzuberufen und neu zu ernennen.27 2. Bildung eines ständigen Compliance-Ausschusses durch den Aufsichtsrat Der Aufsichtsrat ist mit Blick auf das vorstehende Ergebnis nach der gesetzlichen Ausgangslage somit nicht verpflichtet, Ausschüsse zu bilden.28 Folglich trifft ihn auch keine Pflicht, den in § 107 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 AktG ausdrücklich genannten „Prüfungsausschuss“, der sich mit der Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems sowie der Abschlussprüfung befasst, einzurichten. Compliance-Aufgaben sind, wie Kort zutreffend hervorhebt, zwar mit dem Risikomanagement „verwandt“, letztlich mit diesem aber nicht deckungsgleich29, sodass die Delegation von Compliance-Aufgaben des Aufsichtsrats an einen Prüfungsausschuss ebenfalls nicht „impliziert“ wird.30 Die Verantwortung für eine den Anforderungen des § 111 Abs. 1 AktG genügende Überwachung verbleibt daher sowohl in Bezug auf das Risikoma25  KK-AktG/Mertens/Cahn,

§ 107 Rn. 176; MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 154. in Großkomm AktG, § 107 Rn. 404; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 107 Rn. 90 f.; KK-AktG/Mertens/Cahn, § 107 Rn. 177; MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 154. 27  MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 94; Plagemann, NZG 2013, 1295 f. 28  Ausnahmen ergeben sich aus § 27 Abs. 3 MitbestG bzw. § 8 Abs. 2 MontanMitbestG und § 25d Abs. 7 bis 12 KWG. Siehe auch MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 92. 29  Siehe zur Abgrenzung zwischen Risikomanagement und Compliance oben Teil 3 A. 30  Kort, FS Hopt 2010, 1000; ders., NZG 2008, 81 f. Weder die Abschlussprüferrichtlinie noch die durch das BilMoG geschaffene Neufassung des § 107 Abs. 3 AktG weisen dem Prüfungsausschuss Compliance-Aufgaben zu. Siehe insoweit auch Kort, FS Hopt 2010, 1000. 26  Hopt/Roth



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nagement als auch hinsichtlich der Compliance beim Gesamtaufsichtsrat.31 Dem steht jedoch nicht entgegen, dass der Aufsichtsrat die ihm als Gesamtorgan obliegende Pflichtaufgabe der Überwachung des Compliance-Systems aufgrund der Sachnähe zwischen Risikomanagement und Compliance durch einen Prüfungsausschuss wahrnehmen lässt und ihm die Überwachung der Compliance-Aufgaben überträgt.32 Vor diesem Hintergrund zieht Ziff. 5.3.2 S. 1 des DCGK den Aufgabenkreis des Prüfungsausschusses weiter als § 107 Abs. 3 S. 2 AktG und empfiehlt, dass der Aufsichtsrat einen Prüfungsausschuss (Audit Committee)33 einrichten soll, der sich insbesondere mit Fragen der Rechnungslegung, des Risikomanagements „und der Compliance“ befasst.34 Entscheidet sich der Gesamtaufsichtsrat in Ausübung seines Organisationsermessens durch Beschluss oder Regelung in seiner Geschäftsordnung zur Bildung eines Prüfungsausschusses und weist diesem die von seiner Überwachungsaufgabe abgeleitete Compliance-Überwachung des Vorstands zu oder bildet er einen Compliance-Ausschuss, geht die insoweit klar umgrenzte Aufgabe der Überwachung der Compliance einschließlich der Überwachung der Criminal-Compliance in der AG auf den Ausschuss über.35 Dessen Aufgabe ist es dann, die Compliance-Aktivitäten des Vorstands zu überwachen und zu prüfen, ob der Vorstand wirksame Compliance-Systeme in der AG implementiert hat und ob die vom Vorstand eingerichteten Systeme mit Blick auf das Risikoprofil der AG angemessen und konzeptionell § 107, Rn. 110; Kort, FS Hopt 2010, 1000. FS Hopt 2010, 1000; MüKo/Habersack § 107, Rn. 110, 113. Für eine Zuweisung an den Prüfungsausschuss Lutter, FS Hüffer 2010, 621; Winter, FS Hüffer 2010, 1124. 33  Hierunter versteht man den im angelsächsischen Raum existierenden ständigen Ausschuss des „Board of Directors“, der in monoistisch geprägten Unternehmensverfassungen aufgrund des Fehlens eines eigenständigen Überwachungsorgans für eine institutionalisierte Trennung zwischen geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Direktoren und damit für eine Überwachung sorgen soll. Siehe hierzu weitergehend MüKo/Habersack § 107, Rn. 111; Hölters/Hambloch-Gesinn/ Gesinn, AktG § 107 Rn. 104. 34  Die Zuweisung der Compliance an einen Prüfungsausschuss entspricht der „Best Practice“. Siehe zutreffend MüKo/Habersack § 107, Rn. 110; Winter, FS Hüffer 2010, 1124 f.; Schemmel/Minkoff, Der Aufsichtsrat 2013, 95. 35  Siehe Plagemann, NZG 2014, 1406 f.; ders. NZG 2013, 1296. Zur Pflichtenstellung der im Ausschuss befindlichen Mitglieder Winter, FS Hüffer 2010, 1125. Für die nicht dem Ausschuss angehörenden Aufsichtsratsmitglieder führt eine solche Delegation zu einer „gewissen“ Haftungsentlastung, da sie in diesem Fall lediglich für die sorgfältige Auswahl und Überwachung der Ausschussmitglieder einzustehen haben. Demgegenüber steigert die Mitgliedschaft in einem Compliance-Ausschuss die Verantwortung des jeweiligen Mitglieds. Erfüllen sie die mit ihrer Stellung einhergehenden erhöhten Anforderungen an die Qualifikation nicht, haften sie bereits unter dem Aspekt des Übernahmeverschuldens. Zur „enthaftenden Wirkung“ der Delegation MüKo/Habersack § 116, Rn. 26, 34. 31  MüKo/Habersack 32  Kort,

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Teil 6: Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats

geeignet sind, für die AG relevante Compliance-Risiken zu identifizieren und inwieweit diese Systeme in der Praxis effizient vollzogen werden.36 Teil dieser Aufgabe ist auch die Überwachung dahingehend, ob sich der Vorstand selbst legal verhält und das Gesellschaftsvermögen nicht durch Begehung von strafbaren Handlungen schädigt. Ein vom Aufsichtsrat gebildeter Prüfungs- oder Compliance-Ausschuss hat hierfür die aktienrechtlichen Überwachungsinstrumente zu nutzen. Dies schließt bei Fehlen37 oder gravierenden Mängeln des Compliance-Systems neben der Information des Gesamtaufsichtsrats auch die Prüfung von Schadenersatzansprüchen gemäß §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AktG nach Maßgabe der ARAG / Garmenbeck-Rechtsprechung, die Prüfung personeller Konsequenzen nach § 84 Abs. 3 AktG sowie bei einer unmittelbaren Beteiligung des Vorstands an der kriminellen Handlung ausnahmsweise auch die Erstattung einer Strafanzeige mit ein.38 Die Pflicht des Aufsichtsrats zu sachgerechter und effizienter Organisation kann sich letztlich in eine Pflicht zur Ausschussbildung verdichten, wenn die Größe des Aufsichtsrats oder die Größe, Lage und das Betätigungsfeld der AG sowie deren Risikoprofil eine ausschussförmige Überwachung erfordert.39 Dies hat der Aufsichtsrat zur Vermeidung einer eigenen Haftung aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 AktG innerhalb seiner Selbstorganisation zu berücksichtigten. Eine Pflicht zur ausschussförmigen Überwachung der Compliance dürfte daher jedenfalls bei großen Aufsichtsratsgremien40 und auch dann an36  Siehe hierzu MüKo/Habersack § 107, Rn. 113; ders., AG 2014, 4. Zu der aus § 111 Abs. 1 AktG folgenden Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats siehe Teil 3 C. 37  In diesem Fall hat der Aufsichtsrat bzw. der von ihm gebildete Ausschuss zu beurteilen, ob eine Einrichtung notwendig wäre und die vom Vorstand getroffene Entscheidung kein Compliance-System einzurichten, mit den Verhältnissen der AG aktuell noch vereinbar ist. Siehe Hölters/Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG § 107 Rn. 105a; Habersack, AG 2014, 4. 38  Zutreffend in diese Richtung MüKo/Habersack § 107, Rn. 114, 116. Im Hinblick auf den Beschluss von Personalmaßnahmen sind jedoch die Beschränkungen des § 107 Abs. 3 S. 3 AktG zu beachten, sodass insoweit nur eine Beratung des für die Beschlussfassung zuständigen Gesamtaufsichtsrats durch den Ausschuss in Betracht kommt. Gegebenenfalls kann bei Personalthemen eine überlappende Zuständigkeit eines eigens gebildeten Personalausschusses bestehen. Zur Koordinierung der Aufsichtsratsarbeit bei sich überschneidenden Aufgabenzuweisungen siehe Plagemann, NZG 2014, 1405 ff. 39  MüKo/Habersack § 107, Rn. 93; Plagemann, NZG 2013, 1296; Hüffer, NZG 2007, 51 f., der bezweifelt, dass bei Fehlen einer „ausschussförmigen Risikokontrolle“ noch von einer ordnungsgemäßen Überwachung der Geschäftsführung ausgegangen werden kann. 40  Der Gesamtaufsichtsrat wird zur Erfüllung seiner Überwachungspflichten bei mehr als sechs Mitgliedern gehalten sein, einen Prüfungsausschuss einzusetzen. Eine



A. Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung487

zunehmen sein, wenn es in der AG in der Vergangenheit bereits zu Compliance-Verstößen kam oder die Geschäftsstruktur aufgrund ihrer Komplexität und Gefahrgeneigtheit eine Befassung mit Compliance nahelegt, weil die AG etwa in korruptionsanfälligen Geschäftsfeldern oder kartellgefährdeten Märkten tätig ist. Im Einzelfall kann sich eine Pflicht zur Ausschussbildung ergeben, wenn der Gesamtaufsichtsrat konkrete Hinweise auf CompliancePflichtverletzungen des Vorstands hat und eine bestmögliche Auflärung und Abstellung des Fehlverhaltens nur durch Bildung eines fachlich qualifizierten Compliance-Ausschusses zu erwarten ist.41 Eine Pflicht zur Bildung eines solchen kann sich schließlich ergeben, wenn der Aufsichtsrat bei der Regelüberwachung eine defizitäre Compliance-Organisation festgestellt hat oder ihm eine solche intern zugetragen wurde.42 3. Bildung anlassbezogener Sonder- oder Untersuchungsausschüsse Parallel zu einem existierenden Prüfungs- oder Compliance-Ausschuss kann der Aufsichtsrat in den Grenzen der Delegationsautonomie auch weitere zur Steigerung seiner Überwachungseffizienz geeignete Ausschüsse einrichten und mit der Wahrnehmung spezifischer aus seinen gesetzlichen Aufgaben abgeleiteten – klar umschriebenen – Compliance-Aufgaben betrauen. Denkbar wäre die Einrichtung eines ständigen Antikorruptionsausschusses43, dessen Aufgabe einerseits in der Überwachung potentieller Korruptionsvorgänge unmittelbar auf Ebene des Vorstands und andererseits darin besteht, die Implementierung von geeigneten Antikorruptionsmaßnahmen sowie deren Überwachung und Durchsetzung durch den Vorstand zu überwachen.44 unterlassene Einrichtung wäre aufgrund der Nichtanwendung der in Ziff. 5.3.2 S. 1 DCGK ausgesprochenen Empfehlung gemäß § 161 Abs. 1 S. 1 AktG auch zu erklären. Siehe MüKo/Habersack § 107, Rn. 109; Cahn, WM 2013, 1300; Lutter, FS Hüffer 2010, 621; Arnold, ZGR 2014, 97. 41  Etwa zur Untersuchung eines in der AG bekanntgewordenen Korruptionsoder Kartellsachverhalts. Siehe MüKo/Habersack § 107, Rn. 125; Reichert/Ott, NZG 2014, 248. 42  Für eine Handlungspflicht des Aufsichtsrats Schürrle/Olbers, CCZ 2010, 104. Zur Rolle des Abschlussprüfers bei Compliance Lutter, FS Hüffer 2010, 621 f.; Arnold, ZGR 2014, 88. Zur Bildung eines Compliance-Ausschusses im Aufsichtsrat jüngst Busekist/Keuten, CCZ 2016, 119 ff. 43  Eine solcher wurde beispielsweise von der Rhön-Klinikum AG eingerichtet und per 06.11.2013 durch einen Ausschuss für Compliance und Kommunikation ersetzt. Siehe den Geschäftsbericht der Rhön-Klinikum AG 2013, 21, abrufbar unter: http://www.rhoen-klinikum-ag.com/rka/cms/rka_2/deu/download/RHOENKLINI KUM_AG_Geschaeftsbericht_2013.pdf. 44  Ein Kompetenzkonflikt mit den Aufgaben des Vorstandes, der für die Bekämpfung und Überwachung von Korruption auf Mitarbeiterebene zuständig ist, liegt

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Teil 6: Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats

Die Einsetzung eines solchen Ausschusses kann aus Sicht des Aufsichtsrats auch geboten sein, wenn es in der Vergangenheit zu korruptiven Handlungen in der AG kam und daher der Verdacht besteht, dass es an einem wirksamen Compliance-System fehlt oder belastbare Anhaltspunkte dahingehend bestehen, dass der Vorstand in den Korruptionssachverhalt sogar unmittelbar verwickelt ist.45 Alternativ oder kumulativ zu einem solchen Ausschuss könnte der Gesamtaufsichtsrat – wie etwa der Gesamtaufsichtsrat der Deutsche Bank AG – einen die Compliance-Überwachung umfassenden „Ausschuss für Integrität, Unternehmenskultur und Unternehmensreputation“46 bilden, um den Themen Integrität, Compliance und Normeinhaltung eine hervorgehobene Bedeutung beizumessen und dem Vorstand zu signalisieren, dass der Aufsichtsrat der Überwachung der Compliance in der AG einen hohen Stellenwert einräumt. Auch die Bildung eines anlassbezogenen, auf die Befassung mit einem konkreten Einzelsachverhalt begrenzten Untersuchungsoder Sonderausschusses kann erforderlich sein47, um der Überwachungsaufgabe hinreichend effektiv nachzukommen und den aus §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG folgenden Sorgfaltsmaßstab zu erfüllen. Dies gilt insbesondere, wenn der Aufsichtsrat – wie im Rahmen dieser Untersuchung aufgezeigt – ausnahmsweise verpflichtet ist, einen konkreten Einzelsachverhalt zu überwachen.48

auch nicht vor, wenn der Ausschuss lediglich die „Antikorruptionscompliance“ des Vorstands überwacht. Siehe hierzu und zu möglichen Kompetenzkonflikten ausführlich Dreher, FS Goette 2011, 46 ff. 45  Siehe zu den hieraus für den Aufsichtsrat resultierenden Pflichten Teil 3 C. II. 1. a). 46  Siehe hierzu Plagemann, NZG 2013, 1293 ff., 1298. Nach § 2 Nr. 1 der Geschäftsordnung für den Integritätsausschuss des Aufsichtsrats der Deutschen Bank AG überwacht der Ausschuss die Vorstandsmaßnahmen mit denen die Einhaltung von Rechtvorschriften und behördlichen Regelungen sowie Unternehmensrichtlinien sichergestellt werden. Abrufbar unter: https://www.deutsche-bank.de/ir/de/download/ GO_Integritaetsausschuss_28_01_2015.pdf. 47  Ein solcher wurde etwa vom Aufsichtsrat der Bilfinger Berger SE zur Untersuchung der Vorgänge um den Kölner U-Bahn-Bau gebildet. Siehe Dreher, FS Goette 2011, 44. 48  Zum aus § 111 Abs. 1 AktG im Einzelfall folgenden Erfordernis der Befassung mit dem Einzelsachverhalt Teil 3 C. II. 1. b) cc); MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 125. Zur Frage der Ausschussbildung zum Zweck der Sachverhaltsaufklärung Schürrle/Olbers, CCZ 2010, 105; Reichert/Ott, NZG 2014, 247 f.; Hölters/HamblochGesinn/Gesinn, AktG § 107 Rn. 111.



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III. Schaffung von Compliance-Regelungen in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats Auf die aus § 77 Abs. 2 S. 1 AktG folgende Kompetenz des Aufsichtsrats zum Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand als Mittel der Überwachung wurde bereits eingegangen. Parallel dazu hat der Aufsichtsrat das Recht, sich selbst eine Geschäftsordnung zu geben. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, wonach der Aufsichtsrat über eine Geschäftsordnung verfügen muss und welches Organ zum Erlass einer solchen berufen ist, existiert zwar nicht.49 Gleichwohl kommt ihm als Ausfluss seines Rechts auf Selbstorganisation das Recht zu, sich zur Regelung seiner inneren Angelegenheiten eine Geschäftsordnung zu geben.50 Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex empfiehlt in Ziffer 5.1.3, dass sich der Aufsichtsrat eine Geschäftsordnung geben soll und verdeutlicht damit die zentrale Bedeutung der Geschäftsordnung als Instrument der Selbstorganisation.51 Ihm wird mit der Möglichkeit, sich eine Geschäftsordnung zu geben, intern ein organisatorisches Gestaltungspotential eröffnet, da er die Wahrnehmung seiner Aufgaben in den gesetzlich vorgegebenen oder satzungsmäßig in zulässiger Weise gezogenen Grenzen durch abstrakt generelle Regelungen selbst regeln darf.52 Eine solche Regelungsbefugnis des Aufsichtsrats entfaltet nicht nur im Hinblick auf die allgemeine Organisation seiner Tätigkeit, sondern auch unter Compliance-Gesichtspunkten Relevanz, da er oder ein von ihm gebildeter Ausschuss53 in der Geschäftsordnung neben allgemeinen Regelungen zur Art und Weise der Sitzungseinberufung, zum Sitzungsverlauf, zur Aufnahme von Anträgen in die Tagesordnung und zum Verfahren 49  Die Existenz einer Geschäftsordnung des Aufsichtsrats wird – wie die Vorschrift des § 82 Abs. 2 AktG zeigt – aktienrechtlich als zulässig vorausgesetzt. Zur Zulässigkeit einer solchen sowie zum „idealen“ Inhalt siehe Mutter/Kinne, Der AR, 2013, 76 f. 50  Hüffer/Koch, AktG, § 107 Rn. 34; MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 171, 173. Die Geschäftsordnung kann auch in der Satzung der AG niedergelegt sein, wobei der Satzungsgeber dann die sich aus der Organisationsautonomie des Aufsichtsrats ergebenden Gestaltungsgrenzen zu beachten hat, weshalb die Bildung und Besetzung von Ausschüssen nicht durch die Satzung vorgegebenen werden kann. Siehe hierzu und zum Verhältnis zwischen Satzung und Geschäftsordnung MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 171, 172. 51  Siehe MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 171. Die Empfehlung wird auch von allen 30 im Deutschen Aktienindex gelisteten Unternehmen befolgt. Siehe Kremer, in: Ringleb u. a. Kommentar zum DCGK, 2014, 5.1.3, Rn. 909. 52  Hüffer/Koch, AktG, § 107 Rn. 36; MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 175. 53  Sofern nicht der Gesamtaufsichtsrat für den Ausschuss eine Geschäftsordnung erlässt, steht es dem Ausschuss frei, sich selbst eine Geschäftsordnung zu geben. Siehe Plagemann, NZG 2014, 1406; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 107 Rn. 111.

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Teil 6: Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats

der Auslagenerstattung54 organintern auch weitergehende Regelungen zur Wahrnehmung der dem Gesamtaufsichtsrat obliegenden Compliance-Aufgaben schaffen kann.55 Insbesondere besteht für diesen die Möglichkeit, organintern Regelungen im Umgang mit der Aufklärung, Abstellung und Ahndung von CompliancePflichtverletzungen des Vorstands zu schaffen. Denkbar wäre eine Regelung in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats oder in der eines gebildeten – ständigen oder temporären – Compliance-Ausschusses dahingehend, dass der Vorstand über die gesetzlichen Berichtspflichten nach § 90 AktG hinaus häufiger und detaillierter über die ergriffenen Compliance-Maßnahmen in der AG zu berichten hat.56 Der Aufsichtsrat kann seine Informationsansprüche auch personal erweitern und eine Regelung treffen, die den Aufsichtsrat oder einen von ihm gebildeten Compliance-Ausschuss berechtigt, über den Vorsitzenden des Aufsichtsrats Auskünfte vom Abschlussprüfer, dem Vorstand und in Abstimmung mit dem Vorstand auch von leitenden Angestellten der AG einzuholen. In der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats kann insbesondere der ihm nach dem Aktiengesetz zukommende Überwachungsauftrag im Bereich der Compliance konkretisiert werden, indem durch eine Regelung zunächst klargestellt wird, dass der Aufsichtsrat oder ein entsprechender Ausschuss die Maßnahmen des Vorstands, mit denen die Einhaltung von Rechtsvorschriften und behördlichen Regelungen sowie unternehmensinternen Richtlinien durch das Unternehmen sichergestellt wird, überwacht. Mit Blick auf die den Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand konkret treffenden Handlungspflichten wäre auch eine Regelung im Umgang mit intern aufgeklärten CompliancePflichtverletzungen des Vorstands denkbar. Der Aufsichtsrat könnte sich in seiner Geschäftsordnung über das gesetzlich geforderte Maß hinaus die Pflicht auferlegen, Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands nach einer „zero-tolerance“ Strategie zu ahnden, indem er aus Compliance-Pflichtverletzungen resultierende Schadenersatzansprüche der AG gegenüber dem Vorstand stets verfolgt, gleichzeitig Personalmaßnahmen ergreift und bei Beteiligung an einer kriminellen Handlung zugleich Strafanzeige erstattet.57 54  Siehe mit weiteren Beispielen MüKoAktG/Habersack § 107 Rn. 175; Hüffer/ Koch, AktG, § 107 Rn. 36. 55  Zur Frage einer damit einhergehenden Verschärfung des Haftungsmaßstabes siehe Zimmermann, Strafbarkeitsrisiken, S. 82 ff. 56  Eine gleichlautende Regelung könnte auch in der Geschäftsordnung des Vorstands geschaffen werden. Zu den Möglichkeiten, den Kommunikationsfluss zwischen Aufsichtsrat und Vorstand intern zu regeln siehe die nachfolgenden Ausführungen Teil 6 A. IV. 1. 57  Zur strafbarkeitsbegründenden Regelungen selbst geschaffener interner Regelungen siehe Zimmermann, Strafbarkeitsrisiken, S. 82 ff. Zu beachten ist aus Sicht des



A. Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung491

IV. Regelung der Kommunikationswege durch Schaffung einer „Informationsordnung“ Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass dem Informationsfluss sowohl bei Ausübung des Überwachungsauftrags als auch hinsichtlich der Frage der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen nach Aufklärung eines Compliance-Verstoßes des Vorstands zentrale Bedeutung zukommt. Auch wurde deutlich, dass nach der aktienrechtlichen Ausgangslage58 nur Kommunikationswege zwischen Aufsichtsrat und Vorstand existieren. Lediglich im Ausnahmefall bei Verdacht auf kriminelles Verhalten des Vorstands, erheblichen Verletzungen der organschaftlichen Legalitätspflicht durch den Vorstand oder einer existenzbedrohenden Geschäftsentwicklung kommt dem Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 1 AktG das Recht zu, unmittelbar auf leitende Angestellte der zweiten Führungsebene zuzugreifen.59 Aufgrund dieser eingeschränkten Informationsmöglichkeiten ergibt sich für den Aufsichtsrat das Risiko eines Informationsdefizits. Dieses sollte er durch Regelung in den Geschäftsordnungen des Vorstands und Aufsichtsrats im Einvernehmen mit dem Vorstand steuern. Neben einer einvernehmlichen Erweiterung der unmittelbaren Zugriffsmöglichkeiten auf leitende Mitarbeiter mit der Folge, dass der Aufsichtsrat diese direkt um Auskünfte ersuchen darf und diese gegenüber letzterem unmittelbar zur Auskunft verpflichtet sind, sollte zudem der Informationsfluss zwischen Aufsichtsrat und Vorstand auch über die in § 90 AktG nicht abschließend normierten60 Berichtspflichten hinaus detailliert geregelt werden.61 Eine detaillierte Regelung der Compliance-Berichterstattung empfiehlt sich bereits deswegen, weil die Rechtsprechung an die Aufsichtsratstätigkeit im Bereich Information strenge Anforderungen stellt.62 Ein Aufsichtsrat hanAufsichtsrats allerdings, dass er sein Ermessen nicht für die Zukunft umfassend „vorab“ regeln darf, da eine „rechtliche Vorabregelung“ der Ermessensbetätigung mit der konzeptionellen Ausrichtung der AG als eines „nach vorne offenen“ erwerbswirtschaftlichen Zusammenschlusses nicht zu vereinbaren ist. In diese Richtung ausdrücklich Paefgen, AG 2008, 764. 58  Zutreffend Kort, FS Hopt 2010, 1000; Teil 2 B. I. 1. b) bb) (3) (c); Teil 3 C. III. 1. d) dd). 59  Kort, in: GroßkommAktG, § 90 Rn. 98; Teil 2 B. I. 1. b) bb) (3) (c); Teil 3 C. III. 1. d) dd). 60  Hopt/Roth in GroßkommAktG, §  111 Rn.  171; MüKoAktG/Spindler § 90 Rn. 3. 61  Zutreffend Habersack, AG 2014, 7; Hüffer, NZG 2007, 51; Börsig/Löbbe, FS Hoffmann-Becking 2013, S. 137; Winter, FS Hüffer 2010, 1114; Arnold, ZGR 2014, 87. 62  Lang/Balzer, WM 2012, 1168; Fleischer, NJW 2009, 2340; Polley/Kroner, AR 2012, 69.

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Teil 6: Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats

delt danach bereits pflichtwidrig, wenn er „ohne ausreichende Informationen und darauf aufbauende Chancen- und Risikoabschätzung seine Zustimmung zu nachteiligen Investitionsentscheidungen erteilt“63. In diese Richtung geht auch die sogenannte IKB-Entscheidung des OLG Düsseldorf64, wonach der Aufsichtsrat seine Überwachungspflicht „in erheblichem Maß“ verletzt, wenn er aufgrund einer „unzureichenden“ Information durch den Vorstand der „Ausweitung“ existenzgefährdender Geschäfte nicht entgegenwirke.65 Das Aktienrecht eröffnet dem Aufsichtsrat zur Sicherung eines „angemessenen Informationsflusses“ verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten66, von denen seine Mitglieder, wenn sie den nach Eintritt eines Schadens regelmäßig erhobenen Vorwurf einer inadäquaten Information vermeiden möchten, auch Gebrauch machen sollten. Der leitende Gedanke kann insoweit nur sein, bereits auf zivilrechtlicher Ebene eine genügende und über die gesetzliche Ausgangslage nach § 90 AktG hinausreichende Informationslage herzustellen, um bei Eintritt eines Schadens nicht nur einer zivilrechtlichen Haftung, sondern auch dem strafrechtlich relevanten Vorwurf einer „gravierenden“ beziehungsweise „evidenten“ Verletzung der Überwachungspflicht begegnen zu können.67 Das Fehlen einer Information stellt, wie die oben angeführte Rechtsprechung zeigt, keinen Entlastungsgrund dar, sodass sich der Aufsichtsrat bei schadensrelevanten Pflichtverletzungen des Vorstands nicht auf mangelnde tatsächliche Kenntnisse berufen kann.68 Der Erlass einer Informationsordnung wird von der überwiegenden Meinung im Schrifttum daher zu Recht befürwortet.69 NZG 2007, 187; BGHZ 179, 71, 81; Lang/Balzer, WM 2012, 1168. Düsseldorf NJW 2010, 1537; bestätigt durch BGH WM 2010, 470. 65  OLG Düsseldorf NJW 2010, 1537; OLG Stuttgart NZG 2012, 425. Der Aufsichtsrat hat danach selbständig den relevanten Sachverhalt vollständig und richtig zu erfassen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Siehe auch Härig, Der Aufsichtsrat 2011, 20. 66  Weiterführend Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 111 Rn. 182; Götz, AG 1995, 337, 349, der von einem „Informationsstatut“ spricht. 67  Zur Bedeutung eines vom Aufsichtsrat zu vertretenden Informationsdefizits als Anknüpfungspunkt für eine strafrechtlich relevante Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht siehe die Ausführungen oben in Teil 5 A. II. 1. c) bb) sowie in Teil 5 A. II. 1. c) bb) (1) und (2). 68  Siehe nur Habersack, AG 2014, 4; Hüffer, NZG 2007, 48, 53; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 17; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 85, 191. 69  Hüffer, NZG 2007, 47, 51; Lutter, ZGR 2001, 224, 232; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 254; Kropff, NZG 1998, 613 f.; Krommschröder/Lück, DB 1998, 1573, 1576; Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 111 Rn. 182; Peltzer u. a., Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer, § 19 Rn. 15, der die Informationspflichten des Vorstands als Minimum ansieht. 63  BGH, 64  OLG



A. Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung493

Der Deutsche Corporate Governance Kodex empfiehlt vor diesem Hintergrund in Ziff. 3.4, dass „die ausreichende Informationsversorgung des Aufsichtsrats gemeinsame Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat ist“ und der Vorstand den Aufsichtsrat „regelmäßig, zeitnah und umfassend“ unter anderem auch über Fragen der „Compliance informiert“ und „der Aufsichtsrat die Informations- und Berichtspflichten des Vorstands näher festlegen soll“70. Eine den Informationsfluss zwischen Vorstand und Aufsichtsrat konkretisierende Informationsordnung lässt sich aktienrechtlich auf unterschiedlichen Wegen herstellen und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, das in Unternehmen bereits existierende Berichtssystem zu berücksichtigen.71 1. Regelung des Informationsflusses zwischen Aufsichtsrat und Vorstand Primärer Regelungsgegenstand einer „Informationsordnung“ sind die Berichtspflichten des Vorstands, da letzterer das zentrale Überwachungsobjekt des Aufsichtsrats ist.72 Eine solche kann vom Aufsichtsrat in Wahrnehmung seiner Kompetenz zur Gestaltung der Geschäftsordnung des Vorstands gemäß § 77 Abs. 2 S. 1 AktG in dessen Geschäftsordnung73 erlassen werden. Ebenso ist eine Regelung in der Satzung nach § 77 Abs. 2 S. 2 AktG denkbar.74 In inhaltlicher Hinsicht sollte der Aufsichtsrat festlegen, dass der Vorstand selbst oder ein von diesem eingesetzter Chief-Compliance-Officer (CCO) entweder dem gesamten Aufsichtsrat oder einem speziell mit Compliance-Fragen befassten Ausschuss in regelmäßigen Abständen über die Ausgestaltung und Durchsetzung des Compliance-Systems in der AG sowie über die auf Mitarbeiterebene aufgetretenen Compliance-Fälle und deren Behandlung auf Vorstandsebene berichten.75 Das Informationssystem sollte zudem 70  Siehe zum Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat im Bereich der Information Arnold, ZGR 2014, 87; Rieger/Rothenfußer, NZG 2014, 1012 ff. 71  Siehe nur Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 111 Rn. 184. 72  Arnold ZGR 2014, 85; Börsig/Löbbe, FS Hoffmann-Becking 2013, S. 136. Eine durch den Aufsichtsrat mittels interner Regelung herbeigeführte Ausdehnung der Überwachung auf sämtliche personale Ebenen widerspräche der aktienrechtlichen Kompetenzordnung. 73  Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 111 Rn. 182; Hüffer, NZG 2007, 51. 74  Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 111 Rn. 182; Götz, AG 1995, 337, 349. 75  Zutreffend Winter, FS Hüffer, 2010, 1114; Arnold, ZGR 2014, 87; Lutter, FS Hüffer 2010, 619. Siehe zu weiteren Regelungsmöglichkeiten Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 111 Rn. 184; Götz, AG 1995, 337, 349, der ein „hohes Aufbereitungsniveau“ fordert. Zulässig ist auch eine die Informationslage erweiternde Regelung im Sinne einer „Verschärfung“ der Berichtspflicht. Siehe insoweit MüKoAktG/Spindler § 90 Rn. 8; Krieger/Sailer-Coceani, in: K.  Schmidt/Lutter (Hrsg.), AktG, 2. Aufl. 2010, § 90 Rn. 5. Eine Regelung, die den Vorstand „stets“ zur Weiterleitung der Vor-

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Teil 6: Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats

Regelungen für den Fall der Unternehmenskrise enthalten, da den Aufsichtsrat in dieser Phase gesteigerte Überwachungspflichten treffen, denen er nur bei erhöhtem Informationsfluss nachkommen kann.76 2. Regelung des Informationsflusses zwischen Aufsichtsrat und leitenden Angestellten Über das Verhältnis von Vorstand und Aufsichtsrat hinaus empfiehlt es sich, in der Informationsordnung als Teil der Geschäftsordnung des Vorstands oder der des Aufsichtsrats eine Regelung zu treffen, die es dem Aufsichtsrat ermöglicht, zur Erfüllung seiner Aufgaben auf leitende Mitarbeiter, die unmittelbar an den Vorstand berichten, zuzugreifen. Der Vorstand ist nach der gesetzlichen Ausgangslage des § 90 AktG als Informationsschuldner zwar verpflichtet, sich durch eine für ihn nachteilige Information „selbst zu belasten“77 und Defizite in dem von ihm implementierten Compliance-System gegenüber dem Aufsichtsrat berichtsmäßig offenzulegen. Eine solche „Selbstbelastung“ dürfte in der Praxis jedoch wohl kaum erfolgen, sodass es zur Sicherstellung unabhängiger Informationsquellen und zur Vermeidung von Informationsdefiziten dringend ratsam ist, den Zugriff auf leitende Mitarbeiter, insbesondere den Leiter des Risikomanagements, der internen Revision, der Compliance-Abteilung und des Controllings78 zu erstrecken. Schließlich sollte die Informationsordnung, wenn sie den Zugriff auf leitende Angestellte vorsieht, im Einvernehmen mit dem Vorstand79 erfolgen und als Ausdruck guter Corporate Governance veröffentlicht80 werden.

standsprotokolle an den Aufsichtsrat verpflichtet ist jedoch unzulässig. Zu den Regelungsgrenzen KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 111 Rn. 53. 76  Durch Schaffung eines Berichts- und Informationssystems lässt sich auch eine Konkretisierung des nach § 111 Abs. 1 AktG nur allgemein umschriebenen Überwachungsauftrags erreichen, da die „Risikoträchtigkeit“ bestimmter Geschäftsvorfälle durch den Aufsichtsrat „selbst definiert“ werden kann. Durch interne Vorschriften können Regelbeispiele für einen „sonstigen wichtigen Anlass“ im Sinne des § 90 Abs. 1 S. 3 AktG oder für „Angelegenheiten der Gesellschaft“ nach § 90 Abs. 3 S. 1 AktG benannt werden. Siehe Hüffer, NZG 2007, 51. 77  Kort, FS Hopt 2010, 1001; Winter, FS Hüffer 2010, 1115; Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 111 Rn. 186; Peltzer/v. Werder, AG 2001, 1, 5. 78  Für eine Regelung in einer Informationsordnung auch Habersack, AG 2014, 7; Lutter, FS Hüffer 2010, 619; Arnold, ZGR 2014, 99; Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 111 Rn. 186. 79  Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 111 Rn. 182, wonach die Zustimmung des Vorstands aus organisationsrechtlichen Gründen ausdrücklich zu erklären ist. 80  Roth, AG 2004, 1, 13; Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 111 Rn. 187.



A. Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung495

3. Regelung des Informationsflusses innerhalb des Aufsichtsrats In einer letzten Dimension sollte der Aufsichtsrat den Informationsfluss auch innerhalb des eigenen Gremiums in einer Informationsordnung, die wiederum Teil der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats sein kann, entsprechend den spezifischen Bedürfnissen ausgestalten.81

V. Sicherstellung der Compliance durch Schaffung von Zustimmungsvorbehalten Im allgemeinen Teil dieser Untersuchung wurde auf das Recht und die Pflicht des Aufsichtsrats für bestimmte Arten von Geschäften generell oder „ad hoc“-Zustimmungsvorbehalte gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG festzulegen bereits eingegangen. Regelungsort für diese ist neben der Satzung der AG die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats oder eine vom Aufsichtsrat nach § 77 Abs. 2 S. 1 AktG für den Vorstand erlassene Geschäftsordnung.82 Im Kontext der Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats bedeutet dies, dass der Gesamtaufsichtsrat ein vom Vorstand entwickeltes Compliance-System nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG seiner Zustimmung unterwerfen83 und somit präventiv an dessen Einführung oder Änderung teilnehmen kann.84 Die Begründung eines Zustimmungsvorbehalts für das vom Vorstand in eigener Verantwortung zu entwickelnde Compliance-Konzept verstößt nicht gegen das in § 111 Abs. 4 S. 1 AktG geregelte Verbot der Übertragung von Geschäftsführungsmaßnahmen, da die Compliance-Planung des Vorstands einen klar definierbaren Teilaspekt der Leitungsmacht des Vorstands darstellt, der aufgrund seiner Wesentlichkeit für die AG als „bestimmte Art von Geschäft“ gemäß § 111 Abs. 4 S. 1 AktG qualifiziert werden kann, ohne dass darin eine generalklauselartige Umgehung der Geschäftsführungsautonomie des Vorstands liegt.85 81  In Betracht kommt die Regelung der Berichterstattung des Aufsichtsratsvorsitzenden an das Plenum nach § 90 Abs. 5 S. 3 AktG, vgl. Hopt/Roth, in: Großkomm AktG, § 111 Rn. 190. 82  Siehe hierzu die Ausführungen oben in Teil 2 B. I. 2. e). 83  Zur Möglichkeit, die Entscheidung über die Zustimmung – nicht hingegen über die Einführung des Zustimmungsvorbehalts – auf einen Ausschuss zu delegieren siehe MüKo AktG/Habersack § 107 Rn. 153; Habersack, AG 2014, 4. Zu den Voraussetzungen für die Begründung von Zustimmungsvorbehalten durch den Aufsichtsrat siehe Teil 2 B. I. 2. h). 84  Habersack, AG 2014, 4; Arnold, ZGR 2014, 85; Lutter, FS Hüffer 2010, 618; Winter, FS Hüffer 2010, 1120; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten, § 3 Rn. 111. 85  Zu den Voraussetzungen für die Begründung eines Zustimmungsvorbehalts siehe die allgemeinen Ausführungen in Teil 2 B. I. 2. h). Auch Teile der Unterneh-

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Teil 6: Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats

Durch Begründung eines Zustimmungsvorbehalts erlangen die Mitglieder des Aufsichtsrats zwar kein Recht, unmittelbar auf die inhaltliche Ausgestaltung des Compliance-Systems in der AG einzuwirken, da ihnen dieser weder ein Initiativ- noch Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand vermittelt.86 Gleichwohl kann die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts bezüglich des Compliance-Systems aus deren Sicht zweckmäßig und erforderlich sein, da sie sich von der Plausibilität der vom Vorstand beabsichtigten Compliance-Aktivitäten überzeugen und etwaige Nachbesserungen gegenüber diesem frühzeitig anregen und unter Hinweis auf ihr Vetorecht auch praktisch durchsetzen können.87 Unter Compliance-Gesichtspunkten kann es sich aus Sicht des Aufsichtsrats ferner anbieten, risikoanfällige Geschäftsvorfälle, wie den Erwerb von Beteiligungen, die Aufnahme von riskanten Krediten oder die Einrichtung neuer Betriebsstätten, einem Zustimmungsvorbehalt zu unterwerfen.88 Das dem Gesamtaufsichtsrat bei der Entscheidung über die Art des zustimmungspflichtigen Geschäfts zukommende Ermessen verdichtet sich zivilrechtlich schließlich in eine Pflicht zur Begründung eines Zustimmungsvorbehalts, wenn eine gesetzeswidrige Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands nur durch Anordnung eines solchen verhindert werden kann.89 Mit Blick auf das dem Vorstand zukommende und vom Aufsichtsrat bei der Überwachung zu respektierende Geschäftsleitermessen ist dies anzunehmen, wenn das vom Vorstand vorgelegte Compliance-Konzept evident unzweckmäßig ist, weil es erkennbare Lücken aufweist oder trotz erheblicher Compliance-Vorfälle in der Vergangenheit keine konkreten Maßnahmen zur Verhinderung unternehmensbezogener Straftaten enthält. Der Aufsichtsrat sollte bei der Begründung von zustimmungspflichtigen Geschäften im Blick behalten, dass eine sachgerechte Ausübung in Form der mensplanung, wie etwa das Budgetrecht, können Gegenstand eines Zustimmungsvorbehalts sein. Siehe nur Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 2010, § 111 Rn. 66; weitergehend Habersack, FS Hüffer 2010, 268. 86  Habersack, AG 2014, 4; Lutter, FS Hüffer 2010, 618. Ein beabsichtigtes Unterlassen der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand kann keinem Zustimmungsvorbehalt unterworfen werden, da Folge der verweigerten Zustimmung die Pflicht des Vorstands zur Durchführung der vom Aufsichtsrat intendierten Maßnahme wäre, worin ein Verstoß gegen § 111 Abs. 4 S. 1 AktG läge. Siehe Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 2010, § 111 Rn. 68. 87  Habersack, AG 2014, 4; Lutter, FS Hüffer 2010, 618, der zutreffend darauf hinweist, dass die Begründung eines Zustimmungsvorbehalts Probleme vermeidet, die ex post auftreten, wenn der Aufsichtsrat erst nach Einführung des ComplianceSystems Änderungen wünscht. 88  Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 2010, § 111 Rn. 65. 89  So die herrschende Meinung in der aktienrechtlichen Literatur und Rechtsprechung. Siehe hierzu nur Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 2010, § 111 Rn. 67 sowie die Ausführungen in Teil 2 B. I. 2. h) cc).



A. Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung497

Erteilung oder Versagung der Zustimmung nur möglich ist, wenn eine intensive Informationsversorgung sichergestellt ist und eine ausreichende Tatsachenbasis existiert, die es dem Aufsichtsrat ermöglicht, den Geschäftsvorfall selbst zu beurteilen.90 Beabsichtigt der Aufsichtsrat das vom Vorstand vorgelegte Compliance-Konzept seiner Zustimmung zu unterstellen, empfiehlt es sich parallel zur Begründung des Zustimmungsvorbehalts, die ComplianceBerichterstattung in einer Informationsordnung zu regeln und dadurch den zustimmungspflichtigen Vorgang und die Berichterstattung unter Berücksichtigung der Gegebenheiten in der AG aufeinander abzustimmen.

VI. Mitwirkung des Aufsichtsrats beim Aufbau eines Compliance-Systems? Den Aufsichtsrat trifft nach der aktienrechtlichen Kompetenzverteilung keine gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Mitwirkung am Aufbau des konkreten Compliance-Systems.91 Aufbau und Entwicklung der Compliance einschließlich der Criminal-Compliance sind Leitungsaufgaben des Vorstands, die dieser nach §§ 76 Abs. 1 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG in eigener Zuständigkeit und Verantwortung zu erledigen hat. Der Aufsichtsrat hat das vom Vorstand entwickelte Compliance-Konzept gemäß § 111 Abs. 1 AktG zu überwachen und insbesondere auf Recht- und Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen.92 Daher kommt ihm beim Aufbau des Compliance-Systems durch den Vorstand als Ausfluss seines Kontroll- und Beratungsrechts aus § 111 Abs. 1 AktG lediglich ein Recht zur Mitsprache und bei entsprechendem Anlass, zum Beispiel weil das vom Vorstand vorgelegte Compliance-Konzept objektiv unzweckmäßig ist, eine Pflicht zur Mitsprache im Sinne einer unterstützenden in die Zukunft gerichteten präventiv begleitenden Beratung zu.93 Operative Compliance-Pflichten auf Mitarbeiterebene hat der Aufsichtsrat jedoch nicht wahrzunehmen.

90  Zutreffend Seebach, AG 2012, 70, 72. Siehe zum Zustimmungsvorbehalt auch die Ausführungen in Teil 2 B. I. 2. h). 91  Siehe hierzu bereits oben Teil 3 C. I. In diese Richtung auch Kort, FS Hopt 2010, 998. 92  Siehe hierzu oben Teil 3 C. II. 1. 93  Zutreffend Kort, FS Hopt 2010, 998; Lutter, FS Hüffer 2010, 617 f.; Schemmel/Minkoff, Der Aufsichtsrat 2013, 95.

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Teil 6: Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats

VII. Implementierung eines Compliance-Beauftragten im Aufsichtsrat Der Aufsichtsrat könnte – in Anlehnung an die Bestellung des unabhängigen Finanzexperten im Fall der Ausschussbildung nach §§ 107 Abs. 4, 100 Abs. 5 AktG  – zur Überwachung der Compliance-Aktivitäten des Vorstands sowie zur Wahrnehmung seiner compliancebezogenen Handlungspflichten gegenüber dem Vorstand in Form der Aufklärung, Abstellung und Ahndung von dessen Fehlverhalten entweder innerhalb des gesamten Aufsichtsratsgremiums oder in einem von ihm speziell gebildeten Compliance- oder Prüfungsausschuss einem Mitglied die Funktion eines „Compliance-Beauftragten“ zuweisen und dieses mit der Aufgabe betrauen, compliancespezifische Gremium- oder Ausschussentscheidungen vorzubereiten. Die Möglichkeit, einen solchen „Complianceverantwortlichen im Aufsichtsrat“ zu implementieren und die Erledigung der Compliance-Aufgaben bei diesem zu konzentrieren, ergibt sich aus der Organisationsautonomie des Aufsichtsrats und vollzieht sich durch Delegation der dem Gesamtaufsichtsrat obliegenden Compliance-Aufgabe auf ein ausgewähltes und fachlich besonders qualifiziertes Aufsichtsratsmitglied.94 Eine Delegation dieser Aufgabe auf ein Mitglied des Aufsichtsrats ist aktienrechtlich auch zulässig und folgt aus § 111 Abs. 2 S. 2 AktG, wonach der Aufsichtsrat mit der Ausübung des Einsichts- und Prüfungsrechts „einzelne Mitglieder beauftragen“ kann.95 Die Beauftragung ist – im Unterschied zur Bestellung eines Sachverständigen – nicht auf die Prüfung einer „Einzelangelegenheit“ beschränkt, sondern kann für bestimmte klar definierte Bereiche auch dauerhaft erfolgen, sodass das beauftragte Mitglied im Rahmen des ihm durch Aufsichtsratsbeschluss erteilten Einsichts- oder Prüfungsauftrags die Einsichts-, Prüfungs- und Fragerechte des Aufsichtsrats ausübt.96 Nach zutreffender Auffassung besteht zwar keine aktienrechtliche Pflicht des Aufsichtsrats im Gremium oder in einem Ausschuss auch einen Complidiese Richtung auch Vetter, FS Graf v. Westphalen 2010, 739. § 111 Rn. 72; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 2010, § 107 Rn. 141; Hölters/Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG § 107 Rn. 175. Eine Dele­ gation auf einen externen Compliance-Beauftragten würde an § 111 Abs. 5 AktG scheitern. Unzulässig wäre auch die Delegation der allgemeinen Überwachungsaufgabe. 96  Der Beschluss nach § 111 Abs. 2 S. 2 AktG hat zur Folge, dass der Aufsichtsrat oder Ausschuss das Einsichts- und Prüfungsrecht selbst nicht mehr ausüben kann, solange er nicht die Delegation durch einen gegenläufigen Beschluss aufhebt. Hierin besteht ein zentraler Unterschied zur Ausschussbildung, wonach der Aufsichtsrat jederzeit in die Befugnisse des Ausschusses eingreifen darf. Siehe hierzu MüKoAktG/ Habersack § 111 Rn. 72 f. 94  In

95  MüKoAktG/Habersack



A. Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats zur Sicherstellung499

ance-Beauftragten zu bestellen.97 Die Konzentration der compliancebezogenen Aufgaben des Aufsichtsrats bei einem Mitglied, das an das Plenum oder einen Ausschuss berichtet und Vorschläge im Umgang mit CompliancePflichtverletzungen des Vorstands unterbreitet98, kann aber gleichwohl zur Steigerung der Überwachungseffizienz99 führen und ist daher vom Aufsichtsrat bei der Organisation seiner Tätigkeit nach § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG zu bedenken. Aus Sicht des Aufsichtsrats ist bei einer horizontalen Delegation aber auch zu sehen, dass die Bündelung der ihm als Gesamtorgan obliegenden Compliance-Aufgaben bei einem fachlich qualifizierten Mitglied Auswirkungen auf die Haftung des Mitglieds sowie der übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats oder Ausschusses hat. Während eine Aufgabendelegation für das beauftragte Aufsichtsratsmitglied zu einem gesteigerten Haftungsrisiko führt, da dieses dann für das ihm zugewiesene Arbeitsgebiet die volle Verantwortung trägt, wandelt sich Inhalt und Ausmaß der Compliance-Verantwortung der übrigen Aufsichtsrats- oder Ausschussmitglieder in eine Pflicht zur Überwachung der Tätigkeit des Beauftragten.100 Bei der Delegation von Compliance-Aufgaben auf ein Mitglied des Aufsichtsrats findet – im Unterschied zu einer ausschuss- oder plenarmäßigen Überwachung – gerade keine wechselseitige Kontrolle durch die anderen Mitglieder des Aufsichtsrats oder Ausschusses statt, sodass insoweit „gesteigerte Kontroll- und Organisationspflichten“ der übrigen Aufsichtsrats- oder Ausschussmitglieder bestehen.101 Die nicht unmittelbar mit der übertragenen 97  Hölters/Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG §  107 Rn. 111. Demgegenüber Härig, Der AR 2011, 20 f., der unter Verweis auf eine „effektive Arbeitsorganisation“ in geeigneten Fällen die Benennung eines „Complianceverantwortlichen“ im Aufsichtsrat befürwortet. 98  Eine Pflicht des beauftragten Mitglieds zur Berichterstattung folgt aus einer analogen Anwendung des § 107 Abs. 3 S. 4 AktG. Siehe MüKoAktG/Habersack § 111 Rn. 72. Zu den delegierbaren Aufgaben siehe Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 2010, § 107 Rn. 141. 99  Siehe hierzu auch Härig, Der Aufsichtsrat 2011, 21; Plagemann, NZG 2014, 1406, wonach der Aufsichtsrat gehalten ist, die besonderen fachlichen Fähigkeiten seiner Mitglieder zur pflichtgemäßen Ausübung seiner Kompetenzen nutzbar zu machen. 100  Haftungsrechtlich führt dies zu einer „weitgehenden Entlastung“, da sich die Pflicht zur unmittelbaren Tätigkeit nur auf den eigenen Arbeitskreis beschränkt. Siehe hierzu Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 2010, § 107 Rn. 141; ders., § 116 Rn. 108; ebenso Schmidt-Husson, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 7 Rn. 35. Zur Haftungsvermeidung durch Delegation siehe ausführlich Schulze, NJW 2014, 3484 f.; Urban, GWR 2013, 106 ff. 101  Siehe hierzu Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 2010, § 107 Rn. 141; Hölters/ Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG § 107 Rn. 175, der eine „verstärkte Beobachtung“ fordert.

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Teil 6: Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats

Aufgabe befassten Aufsichtsratsmitglieder genügen ihrer Pflicht zur Überwachung, wenn sie sich auf den Sitzungen des Aufsichtsrats über die Tätigkeit des beauftragten Mitglieds informieren, die ihnen überlassenen Informationen sorgfältig auswerten und sich davon überzeugen, dass das zur Aufgabenerfüllung ausgewählte Mitglied richtig ausgewählt ist und eine Berichterstattung an das Plenum in regelmäßigen Abständen erfolgt.102 Der Aufsichtsrat oder ein gebildeter Ausschuss hat daher im Rahmen seiner Organisationsautonomie abzuwägen, ob er – überobligatorisch – einen Compliance-Beauftragten einsetzt und wie er diesen konkret überwacht.

VIII. Erteilung eines besonderen Prüfungsauftrages an den Abschlussprüfer Der Aufsichtsrat kann zur Erfüllung seiner gegenüber dem Vorstand bestehenden compliancebezogenen Überwachungspflichten schließlich gehalten sein, auch auf den Abschlussprüfer als Informationsquelle zuzugreifen. In Betracht kommt die Erteilung eines besonderen – die Compliance einschließenden – Prüfungsauftrags, um sich über die Berichte des Vorstands hinaus, Informationen über dessen Compliance-Aktivitäten zu verschaffen.103 Nach § 124 Abs. 3 S. 1 AktG wählt nur der Aufsichtsrat die Abschlussprüfer aus und schlägt sie der Hauptversammlung zur Wahl vor. Der Aufsichtsrat erteilt ferner dem Abschlussprüfer nach § 111 Abs. 2 S. 3 AktG den Prüfungsauftrag für den Jahres- und Konzernabschluss gemäß § 290 HGB, schließt im Namen der Gesellschaft mit den Prüfern die Prüfverträge und legt deren Vergütung fest.104 Die Abschlussprüfer nehmen an der Bilanzsitzung des Aufsichtsrats nach § 171 Abs. 1 S. 2 AktG teil und berichten direkt an diesen oder einen gebildeten Prüfungsausschuss105 über die wesentlichen Ergebnisse ihrer Prüfung, insbesondere die wesentlichen Schwächen des internen Kontroll- und Risikomanagementsystems. Bei einer börsennotierten AG ist gemäß § 317 Abs. 4 HGB bei der Prüfung außerdem zu beurteilen, ob der Vorstand die ihm nach § 91 Abs. 2 AktG obliegenden Maßnahmen in einer geeigneten Form getroffen hat und ob das 102  Im Übrigen gilt der Vertrauensgrundsatz, sodass auf auf eine korrekte Erledigung vertraut werden darf. Siehe hierzu Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 2010, § 116 Rn. 108; Schmidt-Husson, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 7 Rn. 39. 103  MüKoAktG/Hennrichs/Pöschke § 171 Rn. 144; Lutter, FS Hüffer 2010, 621. 104  Zitzelsberger, Schüppen/Schaup, MAH Aktienrecht, § 19 Rn. 20; Arnold, ZGR 2014, 88; Lutter, FS Hüffer 2010, 621; Grotheer, WM 2005, 2071 f.; Winter, FS Hüffer, 2010, 1117. 105  Grotheer, WM 2005, 2071; Lutter, FS Hüffer 2010, 621; Arnold, ZGR 2014, 88.



B. Ergebnis der präventiven Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats501

danach einzurichtende Überwachungssystem seine Aufgaben erfüllen kann. Unabhängig davon trifft den Abschlussprüfer nach § 321 Abs. 1 S. 3 HGB die Pflicht, über festgestellte Unrichtigkeiten oder Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften sowie über Tatsachen zu berichten, die schwerwiegende Verstöße der gesetzlichen Vertreter oder von Arbeitnehmern gegen Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder die Satzung erkennen lassen.106 Der Abschlussprüfer erlangt aufgrund seiner Prüfungsaufgabe und der damit einhergehenden Einblicke aus Sicht des Aufsichtsrats erhebliche Bedeutung. Zwar enthält weder das Aktien- noch Handelsrecht eine vergleichbare explizite Prüf- und Berichtspflicht dahingehend, dass der Abschlussprüfer die Compliance-Aktivitäten des Vorstands von sich aus zu prüfen und über das Ergebnis der Prüfung direkt an den Aufsichtsrat zu berichten hat. Dem steht aktienrechtlich aber nicht entgegen, dass der Aufsichtsrat als das zur Auswahl und Beauftragung des Abschlussprüfers zuständige Organ bei der vertraglichen Ausgestaltung von Umfang und Schwerpunkt der Prüfung das Thema Compliance zum besonderen Gegenstand der Prüfung macht. Die Abschlussprüfer haben das Compliance-System dann zu prüfen und an den Aufsichtsrat zu berichten, ob das vom Vorstand geschaffene System nachvollziehbar ist, es auf allen personalen Ebenen durchgesetzt und vom Vorstand überwacht wird.107

B. Ergebnis bezüglich präventiver Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats Dem Aufsichtsrat stehen zahlreiche organisatorische Maßnahmen zur Verfügung, um seine compliancebezogenen Pflichten im Verhältnis zum Vorstand in Gestalt einer präventiv begleitenden Überwachung zu erfüllen und die Überwachungseffizienz zu steigern. Ziel dieser Maßnahmen ist es einerseits, die Erfüllung der Compliance-Pflichten durch den Vorstand, insbesondere die Einführung und fortlaufende Kontrolle eines an den individuellen Bedürfnissen der AG ausgerichteten Compliance-Systems, das auch Maßnahmen zur Verhinderung betriebsbezogener Straftaten enthält, zu überwachen. 106  Zutreffend Winter, FS Hüffer 2010, 1118, wonach der Aufsichtsrat eine solche Berichterstattung des Abschlussprüfers zum Anlass zu nehmen und die Frage zu stellen hat, ob das Compliance-System aufgrund der berichteten Mängel noch wirksam und effizient ist. 107  In diese Richtung zutreffend Lutter, FS Hüffer 2010, 622 f., 625 der die Erteilung eines besonderen Prüfungsauftrages an den Abschlussprüfer für „außerordentlich naheliegend“ hält und zumindest bei börsennotierten Gesellschaften eine Pflicht zur vertraglichen Erweiterung des Prüfungsauftrages annimmt. Siehe auch Arnold, ZGR 2014, 88; Winter, FS Hüffer 2010, 1117 f.; Grotheer, WM 2005, 2071; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten, Rn. 173.

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Teil 6: Präventiv-begleitende Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats

Andererseits sollten die vom Aufsichtsrat getroffenen Organisationsmaßnahmen das Ziel verfolgen, strafbares Fehlverhalten des Vorstands aufzuklären, durch Ergreifen von Personalmaßnahmen abzustellen und durch Verfolgung von Schadenersatz oder Erstattung einer Strafanzeige ahnden zu können. Die dem Aufsichtrat zur Verfügung stehenden Maßnahmen dienen allerdings nicht nur dem primären Ziel einer „präventiv begleitenden“ Überwachung des Vorstands, sondern sind – bei entsprechender Ausübung durch den Aufsichtsrat im Rahmen seiner Organisationsautonomie – in der Praxis zugleich geeignet, die Mitglieder des Aufsichtsrats haftungsrechtlich zu entlasten, wenn eine Compliance-Pflichtverletzung des Vorstands bekannt wird und sich daran anschließend die Frage nach einer Überwachungspflichtverletzung des Aufsichtsrats stellt. Dessen Mitglieder können insbesondere durch Regelung des Informationsflusses zwischen ihnen und dem Vorstand sowie durch „Erweiterung“ des informatorischen Zugriffs auf leitende Mitarbeiter mittels Schaffung einer „Informationsordnung“ dem Vorwurf, dass es zu der bekanntgewordenen Compliance-Pflichtverletzung des Vorstands nur aufgrund einer unzureichenden Informationslage des Aufsichtsrats und einer hieraus folgenden unzureichenden Überwachung hat kommen können, entgegentreten. Mit Blick auf strafrechtliche Haftungsrisiken erschwert dies vor allem die Begründung einer „evidenten“ Pflichtverletzung im Sinne des Untreuetatbestands sowie die Annahme eines entsprechenden Vorsatzes.108 Die überobligatorische Implementierung von internen Regelungen in der Geschäftsordnung des Vorstands und / oder des Aufsichtsrats zur Erhöhung des Informationsflusses spricht – bei tatsächlicher Handhabung – ebenso wie die Einsetzung eines „Compliance-Beauftragten“ im Aufsichtsrat regelmäßig gegen ein „Billigen“ von Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands. Der Aufsichtsrat sollte sich diese haftungsvermeidende Wirkung bewusst machen und die Erfüllung der Compliance-Pflichten durch den Vorstand ebenso wie dessen eigenes Legalverhalten nicht nur anhand der ihm überlassenen Vorstandsberichte, sondern unter Ausschöpfung der ihm aktienrechtlich zur Verfügung stehenden Instrumente überwachen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass sich aus dem Nichtausschöpfen gesetzlich eingeräumter Überwachungsmaßnahmen Anhaltspunkte dafür ergeben können, dass bekannt gewordene Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands gebilligt wurden.

108  Für eine „haftungserleichternde“ Wirkung auch Zimmermann, Strafbarkeitsrisiken, 279. Zur Bedeutung eines „Compliance-Systems“ für die Begründung eines Untreuevorsatzes siehe aus Sicht des Vorstands auch BGH, Urteil vom 06.09.2016 = BeckRS 2016, 21181.

Teil 7

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse und Reformüberlegungen A. Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse I. Überwachung der leitungsbezogenen Entscheidungen des Vorstands Die Tätigkeit des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft wird durch den gesetzlichen Auftrag des § 111 Abs. 1 AktG bestimmt. Er hat danach primär die leitungsbezogenen Entscheidungen des Vorstands zu überwachen und am Maßstab der Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit nachzuvollziehen. Dem Aufsichtsrat kommt bei der Frage, ob er den Vorstand überwacht kein Ermessen zu. Einen inhaltlichen Schwerpunkt der laufenden Überwachung bilden die sich aus § 90 AktG ergebenden und dem Aufsichtsrat vom Vorstand regelmäßig zu berichtenden Themen. Dem Informationsfluss zwischen Aufsichtsrat und Vorstand kommt im Rahmen der Überwachung besondere Bedeutung zu. Die im normalen Geschäftsgang geschuldete Überwachung verdichtet sich in eine gesteigerte Überwachungspflicht, wenn sich die Risikolage der AG verschlechtert. Im Krisenfall, bei besonders risikoreichen Geschäften und erkennbaren Fehlentwicklungen verschärft sich die Mindestkontrollpflicht des Aufsichtsrats und verlangt anstelle einer „begleitenden“ eine „unterstützende“ Überwachung. Korrespondierend dazu verschärft sich auch dessen Informationspflicht. Die Aufsichtsratsmitglieder sind dann gehalten, sich vom Vorstand über die Regelberichterstattung hinaus, intensiv und detailliert über die Lage der AG berichten zu lassen. Der Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats erstreckt sich in dieser Konstellation ebenso auf leitende Mitarbeiter. Er darf an diese unmittelbar allerdings nur herantreten, wenn er Anhaltspunkte dafür hat, dass sich der Vorstand in erheblicher Weise pflichtwidrig verhalten hat, dem Aufsichtsrat Informationen vorenthält oder das Vertrauensverhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat nachhaltig gestört ist. Für den normalen Geschäftsgang räumt ihm das geltende Recht keine direkte Zugriffsmöglichkeit auf leitende Ange-

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Teil 7: Zusammenfassung und Reformüberlegungen

stellte ein. Möchte der Aufsichtsrat regelmäßig und direkt auf leitende Angestellte zugreifen können, hat er dies über die gesetzliche Ausgangslage hinaus im Einvernehmen mit dem Vorstand intern zu regeln. Zur Erfüllung der Überwachungsaufgabe stehen den Aufsichtsratsmitgliedern nach dem Aktienrecht zahlreiche  – in ihrer Verbindlichkeit, Intensität und Effektivität unterschiedlich stark ausgeprägte – Einwirkungsmöglichkeiten zur Verfügung. Zentrale Instrumente der zukunftsorientierten präventiven Überwachung sind die Beratung des Vorstands, die Beanstandung oder Billigung einer bestimmten Vorstandsmaßnahme durch Stellungnahme, Meinungs- und Bedenkenäußerung sowie das Recht, gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG bestimmte Arten von Geschäften einem Zustimmungsvorbehalt zu unterstellen. Ergeben sich für den Aufsichtsrat Anhaltspunkte für ein pflichtwidriges Verhalten des Vorstands, eröffnet ihm das Aktienrecht auch die Möglichkeit, auf den Vorstand repressiv einzuwirken und dessen Bestellung gemäß § 84 Abs. 3 S. 1 AktG zu widerrufen. Wurde durch das pflichtwidrige Verhalten des Vorstands das Vermögen der AG geschädigt, ist der Aufsichtsrat nach §§ 112 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG dazu berufen, Schadenersatzansprüche der AG zu prüfen und gegenüber dem pflichtwidrig handelnden Vorstandsmitglied regelmäßig auch zu verfolgen. Schließlich sind die Mitglieder des Aufsichtsrats in Ausübung ihrer Organfunktion stets dem auf die Erzielung von Gewinn gerichteten Unternehmensinteresse verpflichtet.

II. Compliance als Teil der Legalitäts- und Organisationspflicht Der im Aktienrecht nicht erwähnte Begriff „Compliance“ umschreibt im Kontext von Unternehmenssachverhalten die Sicherstellung und das Streben nach Regelkonformität im Unternehmen. Compliance zielt auf Organisation rechtmäßigen Verhaltens innerhalb eines Unternehmens ab und verlangt von der Gesellschaft, deren Organen sowie den dort beschäftigten Mitarbeitern die Einhaltung der für ihr Handeln verbindlich gesetzten Regeln, was sowohl die Befolgung gesetzlicher Normen als auch die Einhaltung aller betriebsinternen Regelungen voraussetzt. Neben dieser auf Normeinhaltung abzielenden Komponente entfaltet Compliance zudem eine weitergehende Dimension und fordert die Schaffung organisatorischer Maßnahmen, die geeignet sind, die Normeinhaltung in der AG sicherzustellen. Die sämtliche Normen umfassende „Corporate Compliance“ lässt sich speziell für den Bereich „Criminal Compliance“ insoweit konkretisieren, als dass durch organisatorische Maßnahmen explizit solche Rahmenbedingungen zu schaffen sind, die straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Normverletzungen in der AG verhindern.



A. Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse505

Bei „Compliance“ handelt es sich damit insgesamt um ein dem deutschen Recht nicht fremdes Phänomen, sondern nur um die begriffliche Umschreibung der im Aktienrecht auf Organebene unmittelbar existierenden Legalitäts- und Organisationspflicht.

III. Akzessorisch ausgestaltete Compliance-Verantwortung in der AG Aufgrund der dualen Verfassung der AG und der hieraus folgenden Existenz des Vorstands als Leitungsorgan und des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan kann die „Compliance-Verantwortung“ des Aufsichtsrats nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit der Compliance-Verantwortung des Vorstands betrachtet werden. Sie ist akzessorisch ausgestaltet und setzt die Bestimmung der compliancebezogenen Pflichten des Vorstands voraus. Legt man diese aus dem gesetzlichen Auftrag des § 111 Abs. 1 AktG folgende Sichtweise zugrunde, lässt sich die Compliance-Verantwortung in der AG folgendermaßen beschreiben. 1. Compliance-Pflichten des Vorstands Den Vorstand trifft auf gesellschaftsrechtlicher Ebene neben der Pflicht, sich selbst legal zu verhalten und die AG durch sein Verhalten nicht zu schädigen zugleich eine relative, weil nur im Innenverhältnis zur Gesellschaft bestehende, Organisationspflicht zur Sicherstellung legalen Verhaltens in der AG. Diese leitet sich für Vorstände von sämtlichen Aktiegesellschaften aus einem Zusammenspiel der Leitungs- und Organisationspflicht aus § 76 Abs. 1 AktG und der bei Ausübung der Leitungsmacht nach § 93 Abs. 1 AktG zu beachtenden Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ab. Sie wird im Innenverhältnis für den Bereich der bestandsgefährdenden Risikokontrolle durch § 91 Abs. 2 AktG konkretisiert. Für den Vorstand der AG bedeutet dies in organisatorischer Hinsicht konkret, dass er ein auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegtes Compliance-System einzurichten und für dessen tatsächliche Umsetzung zu sorgen hat. Dessen Ausgestaltung steht im Ermessen des Vorstands und hat sich insbesondere an den spezifischen Gegebenheiten der AG zu orientieren. Eine Pflicht, ein „inhaltlich bestimmtes“ Compliance-System einzuführen, das für alle Aktiengesellschaften gleichermaßen detaillierte und einheitliche Vorgaben enthält, besteht für die nicht sektorabhängige Aktiengesellschaft de lege lata nicht. Der Vorstand ist gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG lediglich verpflichtet, ein an den individuellen Bedürfnissen der AG orientiertes Compliance-System einzuführen. Die Umsetzung kann durch Erlass

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Teil 7: Zusammenfassung und Reformüberlegungen

von internen Richtlinien und Verhaltenskodizes, der Schaffung klarer Zuständigkeiten innerhalb des Vorstands zur Schaffung und Umsetzung des Compliance-Systems, der Delegation der Compliance-Aufgabe auf nachfolgende Ebenen oder – bei entsprechender Größe und Risikoneigung – auch durch Schaffung einer eigenen Compliance-Abteilung erfolgen. Die compliancebezogenen Pflichten des Vorstands erschöpfen sich auch nicht in der einmaligen Einrichtung eines individuell tauglichen ComplianceSystems. Unabhängig davon hat er unverzüglich tätig zu werden, wenn sich Verdachtsmomente ergeben, die auf Gesetzesverletzungen in der AG hindeuten. Die aus seiner Leitungsausgabe folgende Legalitäts- und Organisationspflicht verlangt dann, dass er den Verdacht intern aufklärt, etwaige Verstöße abstellt und festgestelltes Fehlverhalten mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln ahndet. Schließlich verpflichtet die aktienrechtliche Legalitäts- und Organisationspflicht aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG den Vorstand dazu, ein einmal eingeführtes Compliance-System kontinuierlich anzupassen, fortzuentwickeln und gegebenenfalls nachzubessern. Verletzt der Vorstand die ihn gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG treffenden „compliancebezogenen“ Pflichten, weil er sich entweder selbst rechtswidrig verhält oder in der AG kein individuell taugliches ComplianceSystem einführt und es daher zu Rechtsverletzungen auf Mitarbeiterebene kommt, begründet dies im Innenverhältnis einen Pflichtverstoß gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AktG. Dieser löst unter den weiteren Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 AktG zugleich einen Schadenersatzanspruch der AG gegen das betroffene Vorstandsmitglied aus. Die im Innenverhältnis nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG existierenden Compliance-Pflichten sind letztlich deckungsgleich mit dem aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht folgenden Pflichtenspektrum. Gemäß §§ 130, 9, 30 OWiG ist der Vorstand zur Vermeidung einer Außenhaftung ebenfalls nur zur Veranlassung von geeigneten organisatorischen Maßnahmen verpflichtet. Dieser Pflicht genügt der Vorstand, wenn er ein für den Betrieb individuell taugliches Verfahren zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Fehlverhalten schafft. Zusammenfassend lassen sich die compliancebezogenen Pflichten des Vorstands somit dahingehend beschreiben, dass dieser im Innen- und Außenverhältnis verpflichtet ist, sich selbst legal zu verhalten. Zugleich hat er wenigstens überhaupt ein System, Konzept oder geeignete Maßnahmen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung betriebsbezogener Straftaten zu schaffen. Wie ein solches Compliance-System im Detail auszugestalten ist, steht im Ermessen des Vorstands, das vom Aufsichtsrat bei der Kontrolle zu respektieren ist.



A. Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse507

2. Compliancebezogene Pflichten des Aufsichtsrats Den Aufsichtsrat trifft vor diesem Hintergrund eine zweidimensionale Compliance-Verantwortung. Einerseits hat er nach § 111 Abs. 1 AktG die Erfüllung der Compliance in der AG als Teil der leitungsbezogenen Geschäftsführung durch den Vorstand, insbesondere die Einführung und regelmäßige Kontrolle eines individuell tauglichen Compliance-Systems durch den Vorstand, zu überwachen. Andererseits trifft ihn als Überwachungsorgan die Pflicht, unmittelbares Fehlverhalten des Leitungsorgans aufzuklären, abzustellen und zu ahnden. a) Pflicht zur Überwachung der Einführung eines tauglichen Compliance-Systems Der Aufsichtsrat hat als Ausfluss seiner akzessorischen Compliance-Verantwortung nach § 111 Abs. 1 AktG zunächst konkret zu überwachen, ob der Vorstand der ausschließlich ihm als Leitungsorgan obliegenden Pflicht zur Einführung eines an den individuellen Bedürfnissen der AG ausgerichteten Compliance-Systems, das insbesondere Maßnahmen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Fehlverhalten auf Mitarbeiterebene enthält, nachkommt. Die Compliance-Überwachung ist im Normalfall anhand der Regelberichterstattung des Vorstands durchzuführen. Für den Aufsichtsrat ist dabei die Frage wesentlich, ob der Vorstand seiner aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG i. V. m. § 130 Abs. 1 OWiG folgenden Compliance-Pflicht nachkommt und ein an den Bedürfnissen der AG orientiertes Compliance-System eingeführt hat, dessen Einhaltung überwacht und regelmäßig anpasst. Die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats beschränkt sich insoweit im Normalfall darauf, eine an den Grundsätzen der Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit orientierte Prüfung und Bewertung des vom Vorstand eingeführten Compliance-Systems durchzuführen. Solange keine Verdachtsmomente vorliegen, die darauf hindeuten, dass der Vorstand dieser Pflicht nicht ordnungsgemäß nachkommt, darf der Aufsichtsrat auf die vom Vorstand berichtsmäßig überlassenen Informationen vertrauen. Ein direkter Zugriff auf Mitarbeiter einschließlich des Compliance-Officers hat zu unterbleiben. Die aus § 111 Abs. 1 AktG folgende Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats erfordert eine weitergehende Befassung mit den Compliance-Aktivitäten des Vorstands, wenn der Vorstand entweder überhaupt kein ComplianceSystem, das Maßnahmen zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von rechtswidrigem Verhalten auf Mitarbeiterebene enthält, oder ein offensicht-

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Teil 7: Zusammenfassung und Reformüberlegungen

lich untaugliches System in der AG implementiert hat. Der Aufsichtsrat hat dann über die Regelberichterstattung hinaus die ihm aktienrechtlich zur Verfügung stehenden Überwachungsinstrumente aktiv einzusetzen und inten­ sivere Kontrollmaßnahmen einzuleiten. Neben der Anforderung von zusätzlichen Compliance-Berichten, einer präventiv begleitenden Beratung bei der Einführung und Ausgestaltung des Compliance-Systems sowie der Meinungs- und Bedenkenäußerung gegenüber dem Vorstand, kommt ausnahmsweise auch die gezielte und auf Überwachung des Vorstands beschränkte Befragung von leitenden Mitarbeitern sowie die Einleitung von internen Untersuchungen (internal investigations) in Betracht. Weigert sich der Vorstand auf die vom Aufsichtsrat geäußerten Bedenken einzugehen und ist dieser nicht bereit, ein an den individuellen Bedürfnissen der AG orientiertes Compliance-System zu entwickeln und einzuführen oder ein bestehendes, aber mangelhaftes System nachzubessern kann aus Sicht des Aufsichtsrats zur Erfüllung seiner eigenen Sorgfaltspflicht sogar die Ergreifung von Personalmaßnahmen nach §§ 83, 84 AktG veranlasst sein. Der Aufsichtsrat kann im Einzelfall auch gehalten sein, sich mit einem schwerwiegenden und für die AG existenziellen Einzelsachverhalt zu befassen oder ein vom Vorstand vorzulegendes Compliance-Konzept nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG seiner Zustimmung zu unterstellen. Kam es infolge der Nichteinführung eines Compliance-Systems zu einem das Vermögen der AG schädigenden Compliance-Vorfall, ist der Aufsichtsrat gemäß §§ 112 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG verpflichtet, die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Vorstand zu prüfen und bei entsprechender Werthaltigkeit geltend zu machen. Die in der Nichteinführung eines Compliance-Systems zum Ausdruck kommende Legalitätspflichtverletzung des Vorstands ist erheblich und begründet aus Sicht des Aufsichtsrats bei Abwägung der für und gegen eine Verfolgung sprechenden Umständen regelmäßig eine Verfolgungspflicht. b) Pflicht zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von Fehlverhalten des Vorstands Parallel zu der Pflicht, die Einführung eines individuell tauglichen Compliance-Systems durch den Vorstand zu überwachen, trifft die Mitglieder des Aufsichtsrats im Verhältnis zum Vorstand die Pflicht zur Aufklärung, Abstellung und Ahndung von dessen Fehlverhalten. Eine solche auf Durchsetzung der Legalitätspflicht gerichtete, ausschließlich im Innenverhältnis bestehende, Handlungspflicht des Aufsichtsrats folgt gegenüber dem Vorstand aus seiner Stellung als Überwachungsorgan und wird



A. Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse509

virulent, wenn der Verdacht besteht, dass der Vorstand oder einzelne seiner Mitglieder an einer kriminellen Handlung beteiligt gewesen sein könnten und es hierdurch gegebenenfalls zu einer Schädigung des Vermögens der AG kam. Aus Sicht des Aufsichtsrats ist dann zu besorgen, dass die Mitglieder des Vorstands bei der organinternen Aufklärung befangen sind und durch die übrigen Vorstandsmitglieder keine hinreichende Sachverhaltsaufklärung stattfindet. Gelangt eine vom Aufsichtsrat sodann in eigener Kompetenz gemäß § 111 Abs. 1, 2 i. V. m. §§ 112 S. 1, 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG durchzuführende interne Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Mitglieder des Vorstands an einer kriminellen Handlung unmittelbar beteiligt waren und deshalb für die AG ein Schaden entstanden ist, hat der Aufsichtsrat diesen zur Vermeidung eines eigenen Haftungsrisikos gegenüber dem Vorstand zu verfolgen. Dabei hat er dem Legalitätsprinzip im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Abwägung wiederum besondere Bedeutung beizumessen. Schließlich hat er ein erkanntes strafrechtlich relevantes Fehlverhalten aus Gründen des Unternehmenswohls abzustellen. Gegenüber dem betroffenen Vorstandsmitglied bedeutet dies in der Regel die Ergreifung personeller Maßnahmen nach §§ 83, 84 AktG. Das Unternehmenswohl verlangt hingegen nicht auch zwingend die Erstattung einer Strafanzeige.

IV. Asymmetrisches Akzessorietätsverhältnis des Primärrechts zum Sekundärrecht Strafnormen sind grundsätzlich nur sekundär für den Rechtsgüterschutz zuständig. Das Strafrecht kann nach dem Gedanken der Subsidiarität und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit daher erst und auch nur dann zu Anwendung kommen, wenn es zur Verwirklichung eines effektiven Rechtsgüterschutzes zwingend geboten ist. Aus dieser Sekundarität des Strafrechts und dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung folgt, dass das Verhältnis zwischen Zivil- und Strafrecht asymmetrisch ausgeprägt ist. Für die Beurteilung der strafrechtlichen Haftungsrisiken der Aufsichtsratstätigkeit bedeutet dies im Allgemeinen, dass ein Verhalten, das den Mitgliedern des Aufsichtsrats aktienrechtlich erlaubt ist, strafrechtlich nicht verboten sein darf. Was ihnen im Aktienrecht hingegen verboten ist, kann gleichwohl ohne Strafe bleiben. Speziell in Bezug auf den Tatbestand der Untreue folgt aus einem asymmetrischen Akzessorietätsverhältnis, dass nicht jede außerstrafrechtliche (zivilrechtliche) Primärrechtsverletzung zugleich auch eine strafrechtlich relevante Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht gemäß § 266 Abs. 1 StGB begründet.

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Teil 7: Zusammenfassung und Reformüberlegungen

V. Strafrechtliche Haftungsrisiken des Aufsichtsrats 1. Allgemeine Untersuchungsergebnisse a) Potentielles Risiko der Treubruchuntreue durch Unterlassen Die strafrechtliche Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats wird bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands  – sei es durch Nichteinführung eines individuell tauglichen Compliance-Systems oder durch unmittelbar strafrechtliches Fehlverhalten des Vorstands  – zentral durch den Tatbestand der Untreue in der Begehungsform des Unterlassens bestimmt. Unterlässt der Aufsichtsrat die von ihm geschuldete Überwachung gemäß § 111 Abs. 1 AktG und wirkt er nicht mit den ihm aktienrechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln auf den Vorstand ein, eröffnet dies mangels rechtsverbindlicher Verfügung oder Verpflichtung über das Vermögen der AG den Tatbestand der Treubreuchuntreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB. Aufgrund seiner Stellung als Überwachungsorgan in der AG und der ihm nach dem Aktiengesetz im Verhältnis zum Vorstand eingeräumten Befugnisse kommt ihm gegenüber der Aktiengesellschaft auch eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB zu. b) Einschränkung des objektiven Untreuetatbestands durch das Erfordernis der „gravierenden“ bzw. „evidenten“ Pflichtverletzung Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Untreue ist aus Sicht der Aufsichtsratsmitglieder regelmäßig ein Verstoß auf der Ebene des primären Rechts. Mit Blick auf den subsidiären Charakter des Strafrechts und unter Berücksichtigung der Schutzrichtung des § 266 Abs. 1 StGB sowie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt eine strafrechtlich relevante Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht nur dann vor, wenn der verletzten außerstrafrechtlichen Pflicht Vermögensrelevanz zukommt, der von ihr eröffnete Handlungsspielraum in evident unvertretbarer Weise über- oder unterschritten ist und die Entscheidung des Vermögensbetreuungspflichtigen nicht mehr als eine den Vermögensinhaber vertretende Entscheidung gedacht werden kann. Bei Bestimmung einer evidenten Pflichtverletzung kann indiziell auf die noch unvollkommene Rechtsprechung des BGH zum Merkmal der Gravität zurückgegriffen werden.



A. Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse511

Da die für den Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats zentrale Vorschrift des § 111 Abs. 1 AktG neben der reinen Legalitätskontrolle insbesondere auch das Ziel verfolgt, der AG durch rechtswidriges Verhalten drohende wirtschaftliche Nachteile abzuwenden, kommt ihr unmittelbar Vermögensrelevanz zu. Folglich kommt den zur Ausfüllung des in § 111 Abs. 1 AktG nur abstrakt umschriebenen Überwachungsauftrags heranzuziehenden generalklauselartigen Regelungen der §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 AktG auch unmittelbar Vermögensrelevanz zu. Die Aufsichtsratsmitglieder haben danach ihr Handeln ebenfalls am Ziel der Wahrung und Vermehrung des Gesellschaftsvermögens auszurichten. Ihre Verletzung durch den Aufsichtsrat ist wegen des Vermögensbezugs ebenso potentiell untreuerelevant, wie die Verletzung der Überwachungspflicht aus § 111 Abs. 1 AktG. Der Aufsichtsrat verletzt die Überwachungspflicht des § 111 Abs. 1 AktG „evident“, wenn er gänzlich untätig bleibt und entgegen dem klaren Wortlaut des § 111 Abs. 1 AktG keinerlei Überwachung leistet. Aus Sicht des Aufsichtsrats gibt es keine „gravierendere“ Verletzung, als die Nichtwahrnehmung des ihm gesetzlich als Kernaufgabe zugewiesenen Überwachungsauftrags. Eine evidente und damit untreuerelvante Pflichtverletzung des Aufsichtsrats liegt aber auch dann vor, wenn er aufgrund eines von ihm zu vertretenden Informationsdefizits eine nur unzureichende Überwachung des Vorstands leistet. Im Bereich der Normalüberwachung liegt eine evident unvertretbare Überwachung allerdings erst vor, wenn der Aufsichtsrat seine Pflicht zur Entgegennahme und Auswertung der Vorstandsberichte nicht wahrnimmt und daher nicht in der Lage ist, die Aktivitäten des Vorstands im Interesse der AG zu beurteilen. Wegen der Pflicht zur aktiven Informationsbeschaffung durch den Aufsichtsrat bei fehlender Information durch den Vorstand liegt innerhalb der Regelüberwachung eine strafrechtlich relevante Verletzung der Überwachungspflicht aus § 111 Abs. 1 AktG schließlich auch dann vor, wenn sich der Aufsichtsrat bei fehlenden Vorstandsberichten nicht selbst die zur Beurteilung erforderlichen Informationen verschafft und deshalb keine sachgerechte Überwachung leisten kann. In beiden Konstellationen verstößt der Aufsichtsrat gegen den unzweifelhaften Kernbereich der das Vermögen der AG schützenden Überwachungspflicht. Dessen Nichttätigwerden lässt sich insbesondere nicht mit den Interessen der AG als Vermögensinhaberin in Einklang bringen und rechtfertigt daher die Annahme einer evidenten Pflichtverletzung. Aufgrund der gesteigerten Informationspflichten im Bereich der Intensiv­ überwachung besteht aus Sicht des Aufsichtsrats erst recht das Risiko, eine evidente Überwachungspflichtverletzung zu begehen, wenn sich die Risikolage der AG verschlechtert hat oder bereits in der Vergangenheit das Vermö-

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Teil 7: Zusammenfassung und Reformüberlegungen

gen der AG schädigende Vorfälle zu beobachten waren. Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben in dieser Konstellation über die bloße Kenntnisnahme und Auswertung der vom Vorstand überlassenen Berichte hinaus, weitergehende Maßnahmen zur Informationsbeschaffung einzuleiten. Je nach Sachverhaltsgestaltung kann die Bildung eines anlassbezogenen Untersuchungsoder Sonderausschusses, die Beauftragung von externen Prüfern bis hin zur Einleitung von umfangreichen internen Untersuchungen erforderlich sein. Welche Maßnahme der Aufsichtsrat im Bereich der Intensivüberwachung im Einzelfall genau zu ergreifen hat, lässt sich aufgrund der Vielzahl der in Betracht kommenden Sachverhaltskonstellationen nicht abstrakt beschreiben. Mit Blick auf das im Bereich der Intensivüberwachung aber gleichwohl erhöhte Informationslevel liegt eine evidente und aus Sicht der Aktiengesellschaft als Vermögensinhaberin nicht mehr hinnehmbare Pflichtverletzung regelmäßig vor, wenn es der Aufsichtsrat unterlässt, über die Regelberichterstattung hinaus weitere Informationen in Form von Zusatzberichten, der Einleitung interner Ermittlungen oder der Beauftragung externer Prüfer einzuholen. Die Evidenz der Pflichtverletzung besteht dann ebenfalls darin, dass der Aufsichtsrat gegen seine – in dieser Lage gesteigerte – Informationsbeschaffungspflicht und damit gegen den Kernbereich der Überwachungsfunktion verstößt, da er sich nicht in ein der Situation der AG angemessenes Informationslevel versetzt hat und deshalb nicht in der Lage ist, eine sachgerechte Auswahl der ihm nach dem Aktienrecht zur Verfügung stehenden Überwachungsinstrumente vorzunehmen. c) Beschützergarantenstellung des Aufsichtsrats zu Gunsten des Vermögens der AG vor Schädigungen durch den Vorstand Den Mitgliedern des Aufsichtsrats kommt unter Berücksichtigung ihrer rechtlichen Stellung in der AG auf Grundlage des Herrschaftsprinzips ausschließlich eine Beschützergarantenstellung zugunsten des Gesellschaftsvermögens vor Schädigungen durch den Vorstand zu. In diese wachsen sie mit der tatsächlichen Übernahme der Organstellung hinein. Diese strafrechtlich bewehrte Pflicht das Vermögen der AG zu schützen, findet ihre Rechtfertigung darin, dass die AG als juristische Person des Privatrechts selbst nicht handlungsfähig ist. Primärrechtlich spiegelt sich dies in der Sorgfaltspflicht der Aufsichtsratsmitglieder gemäß §§ 116, 93 Abs. 1 S. 1 AktG wider. Diese sind danach verpflichtet, ihre Organtätigkeit im Interesse der AG wahrzunehmen und Schaden von ihr abzuwenden. Die aus dieser Garantenstellung folgende Pflicht, Schaden von der AG abzuwenden, beschränkt sich mit Blick auf die dem Aufsichtsrat im Rahmen



A. Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse513

der Vorstandsüberwachung zukommenden rechtlichen Handlungsmöglichkeiten ausschließlich auf die Verhinderung von das Gesellschaftsvermögen schädigenden Vorstandsstraftaten. Eine darüber hinausgehende Beschützergarantenstellung mit Obhutspflichten auch gegenüber Rechtsgütern außerhalb der AG stehender Dritter besteht demgegenüber nicht. d) Keine Überwachungsgarantenstellung des Aufsichtsrats im Sinne einer „Aufsichtsgarantenstellung“ zum Schutz Dritter vor Schädigungen durch den Vorstand Insbesondere trifft die Mitglieder des Aufsichtsrats keine Überwachungsgarantenstellung zu Gunsten Dritter. Die Mitglieder des Aufsichtsrats haften als Unterlassungstäter daher weder bei einer Straftatbegehung des Vorstands zum Nachteil von außerhalb der AG stehenden Dritten noch bei einer vom Vorstand nicht verhinderten Straftatbegehung von Mitarbeitern gegenüber Dritten. Eine solche weitreichende strafrechtliche Haftung des Aufsichtsrats als „Aufsichtsgarant“ lässt sich auf Basis des Herrschaftsprinzips nicht begründen. Die rechtliche Herrschaftsmacht des Aufsichtsrats beschränkt sich in der AG darauf, durch Beratung, Meinungs- und Bedenkenäußerung sowie durch Informationsbeschaffung gegenüber dem Vorstand darauf hinzuwirken, dass der selbst nicht handlungsfähigen Gesellschaft kein Schaden erwächst. Zur Erreichung dieses Ziels haben die Aufsichtsratsmitglieder die Möglichkeit, gegenüber dem Vorstand Personalmaßnahmen zu ergreifen, Zustimmungsvorbehalte zu begründen oder im Extremfall auch Schadenersatzansprüche gegenüber diesem geltend zu machen. Demgegenüber fehlt es ihnen aktienrechtlich sowohl an einer durchsetzbaren Weisungsbefugnis gegenüber dem Vorstand als auch an privilegiertem Wissen hinsichtlich einer von Mitgliedern des Vorstands beabsichtigten Straftat. Die Aufsichtsratsmitglieder verfügen insoweit auch weder tatsächlich noch rechtlich über eine effektive Möglichkeit, das Verhalten des Vorstands über den Einzelfall hinaus zu beherrschen und so zu steuern, dass Rechtsgüter Dritter durch eine Straftatbegehung des Vorstands nicht verletzt werden. 2. Spezielle Erkenntnisse bei Compliance-Pflichtverletzungen durch den Vorstand Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Erkenntnisse stellt sich das Strafbarkeitsrisiko des Aufsichtsrats speziell bei Compliance-Pflichtverletzungen des Vorstands differenziert dar.

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a) Kein Strafbarkeitsrisiko des Aufsichtsrats bei Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den dafür zuständigen Vorstand Die Mitglieder des Aufsichtsrats trifft kein Risiko, sich wegen Untreue durch Unterlassen strafbar zu machen, wenn sie es unterlassen, die Einführung eines individuell tauglichen Compliance-Systems durch den Vorstand gemäß § 111 Abs. 1 AktG zu überwachen. Entfaltet der Aufsichtsrat im Hinblick auf die Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand überhaupt keine Überwachungstätigkeit oder ist diese aufgrund einer defizitären Informationslage im Aufsichtsrat unzureichend, begründet dies zwar sowohl eine „gravierende“ bzw. „evidente“ Verletzung der Überwachungspflicht aus § 111 Abs. 1 AktG als auch eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB. Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind aufgrund ihrer Beschützergarantenstellung gegenüber der AG auch zum Handeln verpflichtet. Insbesondere haben sie mit den ihnen aktienrechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln auf den Vorstand einzuwirken, damit dieser in der AG ein individuell taugliches Compliance-System einführt. Eine Strafbarkeit der Aufsichtsratsmitglieder wegen Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems scheidet jedoch mangels strafrechtlich relevanten Schadens aus. Weder die Nichteinführung noch die Nichtüberwachung der Einführung eines solchen führen bei der AG zu einer realen Vermögensminderung. Ebenso wenig lässt sich über die Rechtsfigur des Gefährdungsschadens ein Vermögensnachteil gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB begründen. Die Nichtexistenz eines Compliance-Systems begründet lediglich ein abstraktes Risiko der Begehung von strafbaren Handlungen durch Mitarbeiter in der AG. Ob solche tatsächlich stattfinden, Schadenersatzansprüche gegen die AG entstehen und durch Geschädigte geltend gemacht werden beziehungsweise von einer Sanktionsbehörde Bußgelder verhangen werden, hängt noch von zahlreichen – für die Mitglieder des Aufsichtsrats nicht absehbaren – Zwischenschritten ab. Eine unmittelbar aus der Überwachungspflichtverletzung folgende naheliegende Gefahr des endgültigen Vermögensverlusts liegt insoweit noch nicht vor. Ein strafrechtliches Haftungsrisiko der Mitglieder des Aufsichtsrats scheitert bei Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Vorstand zugleich daran, dass dessen Überwachungspflichtverletzung für einen etwaigen Vermögensnachteil nicht quasi-kausal ist. Für die Mitglieder des Aufsichtsrats lässt sich strafprozessual der Nachweis, dass die Einwirkung auf den Vorstand mit dem Ziel der Einführung eines effektiven Compli-



A. Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse515

ance-Systems in der AG den konkreten  – das Vermögen der AG schädigenden  – Compliance-Vorfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte, nicht führen. Auch der Nachweis eines Untreuevorsatzes dürfte den Ermittlungsbehörden bei festgestellter Nichtüberwachung der Einführung eines ComplianceSystems letzten Endes schwer fallen. In der Praxis wird es sich vielmehr so verhalten, dass die Aufsichtsratsmitglieder die mit der Nichteinführung eines Compliance-Systems für das Gesellschaftsvermögen einhergehenden Gefahren fahrlässig oder grob fahrlässig verkannt und deshalb von einer Überwachung des Vorstands im Hinblick auf dessen Compliance-Aktivitäten abgesehen haben. b) Strafbarkeitsrisiko des Aufsichtsrats bei unmittelbar strafrechtswidrigem Verhalten des Vorstands Die Aufsichtsratsmitglieder trifft demgegenüber ein strafrechtliches Haftungsrisiko, wenn sie davon Kenntnis nehmen, dass der Vorstand unmittelbar in eine strafbare Handlung verstrickt ist und sie gleichwohl untätig bleiben. Mit Blick darauf, dass die Aufsichtsratsmitglieder ausschließlich eine Beschützergarantenstellung zu Gunsten des Gesellschaftsvermögens vor schädigenden Handlungen durch den Vorstand und nicht auch eine gegenüber Dritten wirkende Überwachungsgarantenstellung trifft, beschränkt sich deren Strafbarkeitsrisiko auch in dieser Konstellation auf den Tatbestand der Untreue durch Unterlassen. aa) Straftatbegehung des Vorstands unmittelbar zum Nachteil der AG Erlangen die Aufsichtsratsmitglieder von einer aktuell stattfindenden oder unmittelbar bevorstehenden Straftatbegehung durch den Vorstand zum Nachteil der AG Kenntnis und stellen sie das strafrechtlich relevante Fehlverhalten nicht durch Begründung eines Zustimmungsvorbehalts oder durch Kündigung und Abberufung der betroffenen Vorstandsmitglieder ab, trifft sie objektiv das Risiko, sich neben den strafrechtswidrig handelnden Vorstandsmitgliedern als (Mit-)Täter wegen Untreue durch Unterlassen zum Nachteil der AG oder wegen Beihilfe durch Unterlassen zu dem vom Vorstand zum Nachteil der AG begangenen Delikt strafbar zu machen. Ob die Mitglieder des Aufsichtsrats durch ihr Untätigbleiben im Einzelfall eine täterschaftliche Untreue zum Nachteil der AG verwirklichen oder zu einer Untreue des Vorstands zum Nachteil der AG durch Unterlassen Beihilfe leisten, ist im Rahmen einer hypothetischen Prüfung anhand des Kriteriums der „potentiellen Tatherrschaft“ festzustellen.

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Teil 7: Zusammenfassung und Reformüberlegungen

Durch das Recht (ad hoc) Zustimmungsvorbehalte zu begründen sowie strafrechtswidrig handelnde Vorstandsmitglieder zu kündigen und abzuberufen, werden den Aufsichtsratsmitgliedern bei Kenntnis der Vorstandsstraftat potenzielle Einflussmöglichkeiten auf das Handeln des Vorstands eröffnet. Die vorsätzliche Nichtausübung dieser Einflussmöglichkeiten rechtfertigt unter Zugrundelegung der (Unterlassens-)Tatherrschaftslehre im Einzelfall die Annahme einer täterschaftlichen Beziehung der Aufsichtsratsmitglieder zur Tat des Vorstands. Aus Sicht der Aufsichtsratsmitglieder besteht folglich das Risiko, den Tatbestand der Untreue durch Unterlassen gemäß §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, 13 Abs. 1 StGB zu verwirklichen, wenn sie ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Vorstands zum Nachteil der AG erkennen, dieses zu einer realen Schädigung oder konkreten Gefährdung des Gesellschaftsvermögens führt und von den Mitgliedern des Aufsichtsrats nicht durch Einführung eines Zustimmungsvorbehalts und / oder Abberufung der strafrechtswidrig handelnden Vorstandsmitglieder abgestellt wird. bb) Straftatbegehung des Vorstands zum Nachteil von externen Dritten Schließlich trifft die Mitglieder des Aufsichtsrats ein Strafbarkeitsrisiko wegen Untreue durch Unterlassen zum Nachteil der AG, wenn der Vorstand zum Nachteil von außerhalb der AG stehenden Dritten Straftaten begeht, die geschädigten Dritten gegenüber der AG Schadenersatzansprüche gemäß §§ 31, 89, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. dem verwirklichten Straftatbestand tatsächlich geltend gemacht haben und der Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand einen werthaltigen und durchsetzbaren Regressanspruch gemäß §§ 112 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1, 116 S. 1 AktG vorsätzlich nicht verfolgt. Tritt infolge der vorsätzlichen Nichtverfolgung des Regressanspruchs Verjährung ein, liegt ein realer Vermögensnachteil in Gestalt des Anspruchsverlusts auf Seiten der AG vor. Ein untreuerelevanter Schaden tritt aber auch dann ein, wenn die vorsätzliche Nichtgeltendmachung des Regressanspruchs zu einem Beweismittelverlust führt und der Anspruch daher nicht mehr oder nicht in voller Höhe durchgesetzt werden kann.

VI. Erhöhung der Überwachungseffizienz und Absenkung des Strafbarkeitsrisikos durch frühzeitige Einleitung von „präventiv-begleitenden“ Maßnahmen Dem Aufsichtsrat stehen aktienrechtlich zahlreiche Instrumente zur Seite, die er nicht nur repressiv, sondern auch präventiv einsetzen kann. Aufgrund der den Aufsichtsratsmitgliedern bei Erfüllung ihrer Tätigkeit zukommenden



B. Abschließende Betrachtung und Reformüberlegungen517

Organisationsautonomie haben sie es selbst in der Hand, in welchem Maß sie sich einem zivil- und strafrechtlichen Haftungsrisiko aussetzen. Schöpfen sie die aktienrechtlichen Überwachungsmittel im Verhältnis zum Vorstand bereits im Vorfeld einer bekannt gewordenen Compliance-Pflichtverletzung aktiv aus, indem sie beispielsweise einen ständigen Complianceoder Integritätsausschuss einrichten, anlassbezogene Sonder- oder Untersuchungsausschüsse bilden, durch interne Regelungen den Kommunikationsfluss im Verhältnis zum Vorstand regeln und / oder im Verhältnis zu leitenden Angestellten erweitern, durch Schaffung von Zustimmungsvorbehalten an der Compliance-Umsetzung in der AG frühzeitig mitwirken oder ein Aufsichtsratsmitglied zum „Compliance-Beauftragten“ bestellen und die Überwachung der Compliance an dieses delegieren, steigern sie ihre Überwachungseffizienz gegenüber dem Vorstand. Zugleich senken sie hierdurch ein sie treffendes zivil- und strafrechtliches Haftungsrisiko ab. Bei effektiver Um- und Durchsetzung der den Aufsichtsratsmitgliedern aktienrechtlich zukommenden Überwachungsmittel wird nicht nur im zivilrechtlichen Bereich der Vorwurf einer zu einer potentiellen Schadenersatzhaftung der Aufsichtsratsmitglieder führenden Überwachungspflichtverletzung gemäß §§ 111 Abs. 1 AktG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG erschwert, sondern zugleich der häufig daran anknüpfende Vorwurf einer „gravierenden“ und damit untreuerelevanten Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht entkräftet. Durch aktiven Einsatz der Überwachungsmittel macht der Aufsichtsrat schließlich Gebrauch von seinen „potentiellen Einflussmöglichkeiten“. Die Feststellung einer (Unterlassungs-)Tatherrschaft wird damit ebenfalls erschwert. Ebenso spricht eine präventiv orientierte und die Überwachungsmittel bereits im Vorfeld einer etwaigen Straftatbegehung durch den Vorstand ausschöpfende Handhabung der Überwachungsbefugnisse gegen ein „Billigen“ einer zu Tage getretenen Vorstandsstraftat durch den Aufsichtsrat. Die Konstruktion einer Strafbarkeit des Aufsichtsrats wird damit auch in subjektiver Hinsicht nicht unerheblich erschwert. Der frühzeitige, aktive und präventiv ausgerichtete Einsatz der aktienrechtlichen Überwachungsmittel durch den Aufsichtsrat entfaltet vor diesem Hintergrund eine Indizwirkung für die ordnungsgemäße Erfüllung der dem Aufsichtsrat obliegenden Pflichten.

B. Abschließende Betrachtung und Reformüberlegungen Die Untersuchung hat gezeigt, dass den Vorstand einer Aktiengesellschaft keine Pflicht trifft, ein inhaltlich bestimmtes für alle Aktiengesellschaften gleichermaßen geltendes Compliance-System in der AG einzuführen. Er schuldet rechtlich lediglich die Einführung eines an den individuellen Be-

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Teil 7: Zusammenfassung und Reformüberlegungen

dürfnissen der AG orientierten „tauglichen“ Compliance-Systems. Dies hat der Aufsichtsrat folglich gemäß § 111 Abs. 1 AktG zu überwachen. Auch wurde deutlich, dass die Nichteinführung eines individuell tauglichen Compliance-Systems durch den Vorstand ebenso wenig wie die Nichtüberwachung der Einführung eines solchen durch den Aufsichtsrat eine Strafbarkeit wegen Untreue durch Unterlassen begründet.

I. Kein Bedarf zur Regelung einer inhaltlich bestimmten Compliance-Pflicht für die sektorunabhängige Aktiengesellschaft im Aktiengesetz Weder im Aktienrecht noch im Ordnungswidrigkeitenrecht bedarf es der Regelung einer inhaltlich bestimmten Compliance-Pflicht für die nicht sektorabhängige Aktiengesellschaft. Versteht man „Compliance“ als die im Aktienrecht für das Leitungsorgan in §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG ohnehin bereits existierende Legalitätsund Organisationspflicht, ist diese – wie jede andere aus ihr abgeleitete leitungsbezogene unternehmerische Maßnahme auch  – vom Vorstand in Ausübung seines Leitungsermessens unter Beachtung des Unternehmensinteresses auszufüllen und von der Rechtsprechung im Einzelfall zu konkretisieren. Eine erste in ihrer Tendenz zu begrüßende, weil Rechtssicherheit schaffende, Ausformung erfolgte im Jahr 2013 durch das Landgericht München I in dem sog. „Siemens / Neubürger-Urteil“. Das darin in Übereinstimmung mit weiten Teilen des Schrifttums festgestellte Pflichtenspektrum des Vorstands verdeutlicht einerseits, dass das Unterlassen von organisatorischen Vorkehrungen in der AG zur Verhinderung von Gesetzesverstößen durch Mitarbeiter pflichtwidrig ist und zur zivilrechtlichen Haftung des Leitungsorgans führt. Andererseits belässt es dem Leitungsorgan aber auch die unternehmerische Freiheit, die Aktiengesellschaft nach Art, Größe und Risikoprofil individuell zu organisieren. Diese Sichtweise steht im Einklang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex. Auch dieser erkennt Compliance zwar zu Recht an, formuliert jedoch weder konkrete Empfehlungen noch gibt er Anregungen für die Erfüllung von Compliance-Aufgaben durch den Vorstand.1 1  Kort, FS Hopt 2010, 994. Zu der aktuell vorgeschlagenen Änderung von Nr. 4.1.3 S. 2 DCGK-E, in der eine Rechtspflicht unterstellt werden soll, dass jede börsennotierte Gesellschaft für ein angemessenes Compliance-Management System zu sorgen habe, siehe die Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschusses, NZG 2017, 57 ff., 58.



B. Abschließende Betrachtung und Reformüberlegungen519

Eine  – wie im regulierten Banken-, Wertpapier- und Versicherungsdienstleistungssektor – für alle Aktiengesellschaften geltende gesetzliche Regelung von inhaltlich bestimmten Compliance-Vorgaben hat  – wie Kort zutreffend bemerkt – nicht zuletzt aufgrund der „unterschiedlichen Realstruktur“ von Aktiengesellschaften zu unterbleiben.2 Der Ruf nach detaillierten Compliance-Pflichten in Regelwerken ist schließlich auch deswegen gefährlich, weil er das Risiko in sich trägt, dass aus dem im Aktienrecht weder erwähnten noch unmittelbar subsumtionsfähigen Begriff „Compliance“ neue, umfangreiche und gegebenenfalls sogar auf betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen beruhende3 Organpflichten begründet werden. Vor diesem Hintergrund ist es explizit zu begrüßen, dass der Gesetzgeber im Zuge der umfangreichen Aktienrechtsnovelle 2016 von der Regelung einer inhaltlich bestimmten Compliance-Pflicht im Aktiengesetz abgesehen hat.4 Die Regelung einer solchen dürfte mit Blick auf die jüngst erfolgte Novellierung des Aktienrechts demnächst nicht zu erwarten stehen.

II. Reformüberlegungen Weder die Einführung eines individuell nicht tauglichen Compliance-Systems durch den Vorstand noch die Nichtüberwachung der Einführung eines solchen durch den Aufsichtsrat erfüllen den Tatbestand der Untreue durch Unterlassen. Eine Strafbarkeit des Aufsichtsrats wegen Unterlassen der von ihm in diesem Zusammenhang geschuldeten Vorstandsüberwachung scheitert in objektiver Hinsicht zum einen daran, dass die Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems bei der AG als Inhaberin des vom Aufsichtsrat zu schützenden Vermögens keinen Vermögensnachteil begründet. Zum anderen lässt sich zwischen der Nichtüberwachung der Einführung eines Compliance-Systems durch den Aufsichtsrat und einer später aus der AG heraus begangenen Mitarbeiterstraftat nach der Lehre von der Quasi-Kausalität strafprozessual ein Kausalzusammenhang zweifelsfrei nicht feststellen. In subjektiver Hinsicht scheitert die Erfassung einer vom Aufsichtsrat begangenen Überwachungspflichtverletzung im Bereich der Compliance-Überwachung als strafbare Untreue zudem an einem regelmäßig nicht nachweisbaren Vorsatz der Aufsichtsratsmitglieder. Der Tatbestand der Untreue ist auch weder fahrlässig begehbar noch existiert de lege lata ein kern- oder nebenstrafrechtlicher Tatbestand, der eine 2  Kort,

FS Hopt 2010, 994. zutreffend Paefgen, WM 2016, 433, 443. 4  Zu den wesentlichen Änderungen siehe Paschos/Goslar, NJW 2016, 359 ff. 3  Siehe

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Teil 7: Zusammenfassung und Reformüberlegungen

fahrlässige Überwachungspflichtverletzung des Aufsichtsrats ausdrücklich unter Strafe stellt. Der im Rahmen dieser Arbeit gewonnene Befund zeigt exemplarisch, dass das deutsche Kern- und Nebenstrafrecht bei einer sich im Unternehmen über verschiedene Organisationsebenen erstreckenden Straftatbegehung an seine Grenzen stößt. Gleichzeitig bilden  – wie im Fall Siemens / Neubürger deutlich sichtbar5 – Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus zum Wohle des Unternehmens begangen werden (corporate crime) einen erheblichen Teilbereich der Wirtschaftsdelinquenz.6 Das im Bereich der Compliance-Überwachung aus Sicht des Aufsichtsrats deutlich gewordene Haftungsdefizit ist für Unternehmen mit komplexen Organisationsstrukturen symptomatisch und wirft letztlich die Frage auf, ob der Sanktionsapparat zur Ahndung von Wirtschaftskriminalität in Deutschland de lege lata noch zeitgemäß ist. De lege ferenda lässt sich das in einem komplex organisierten Unternehmen bei mangelnder Compliance-Vorsorge auf verschiedenen Ebenen bestehende strafrechtliche Haftungsdefizit in unterschiedlicher Weise beheben. Neben der Schaffung spezieller (Fahrlässigkeits-)Straftatbestände nach dem Vorbild des § 54a KWG7 käme sowohl die Einführung eines – das Thema Compliance berücksichtigenden – Unternehmensstrafrechts8 als auch eine Reform des bestehenden Ordnungswidrigkeitenrechts9 in Betracht. Im Rah5  LG

München, NZG 2014, 345 ff. Krakauer-Augsburger Rechtsstudien, 169. Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC berichtete im Jahr 2011 „jedes zweite Unternehmen“ über einen auf Wirtschaftskriminalität zurückgehenden „Schadensfall“. PWC, Wirtschaftskriminalität 2011, abrufbar unter: https://www.pwc.de/de/risiko-manage ment/assets/wikri-studie-2011.pdf. 7  Die Vorschrift wurde am 07.08.2013 als abstraktes Gefährdungsdelikt in das KWG eingefügt und stellt in Absatz 2 die fahrlässige Herbeiführung einer Bestandsgefährdung unter Strafe. Der nächste Schritt in der „Compliance-Bewegung“ könnte nach dem Vorbild des § 54a KWG darin liegen, „Mängel der Compliance“ strafrechtlich relevant zu machen. Zu den von Vogel auf der Strafrechtslehrertagung 2013 insoweit zutreffend geäußerten Bedenken siehe Youssef/Godenzi, ZStW 2013, 668. Zur wenig gelungenen Ausgestaltung dieser Vorschrift siehe Ahlbrecht, BKR 2014, 98, 99. 8  So der vom Justizministerium Nordrhein-Westphalen vorgeschlagene „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortung von Unternehmen und sonstigen Verbänden“, abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/leitung/ jumiko/beschluesse/2013/herbstkonferenz13/zw3/TOP_II_5_Gesetzentwurf.pdf. 9  Gesetzgebungsvorschlag für eine Änderung der §§ 30, 130 des Ordnungswidrigkeitengesezes (OWiG) des Bundesverbands der Unternehmensjuristen abrufbar, unter: http://www.buj.net/resources/Server/BUJ-Stellungnahmen/BUJ_Gesetzgebungs vorschlag OWiG.pdf. 6  Kaspar,



B. Abschließende Betrachtung und Reformüberlegungen521

men einer sanktionsrechtlichen Befassung mit dem Thema Compliance wäre schließlich zu bedenken, dass es gegenwärtig in Deutschland – im Unterschied zu anderen Ländern10 – kein „Anreizsystem“ für Unternehmen gibt, präventiv ein Compliance-System einzuführen.11 Möchte man dem Phänomen der Unternehmenskriminalität vor diesem Hintergrund begegnen und nicht nur auf individueller, sondern insbesondere auch auf kollektiver Ebene eine verhaltenssteuernde Wirkung gegenüber „dem Unternehmen“ erzielen und konkret erreichen, dass dieses zur Verhinderung von Straftaten aus dem Unternehmen heraus ein Compliance-System einführt, bedarf es einer sanktionsrechtlichen Möglichkeit12, gezielt auf das Verhalten des Unternehmens Einfluss nehmen zu können. Eine solche Anknüpfungsmöglichkeit enthält das Ordnungswidrigkeitenrecht in sanktionsrechtlicher Hinsicht mit der Unternehmensgeldbuße gemäß § 30 OWiG und in materiellrechtlicher Hinsicht mit der Vorschrift der Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 OWiG für den Inhaber des Betriebs dem Grunde nach bereits. Für eine Anbindung der Compliance-Haftung an das Ordnungswidrigkeitenrecht spricht, dass es eine zur Unternehmensgeldbuße führende Haftung gemäß §§ 130 Abs. 1, 30 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG bereits zulässt, wenn auf Basis der Risikoerhöhungslehre nachweisbar ist, dass die aus dem Unternehmen heraus begangene Zuwiderhandlung bei gehöriger Aufsicht wesentlich erschwert worden wäre. Zudem erfasst § 130 Abs. 1 OWiG fahrlässige Aufsichtspflichtverletzungen. Das Ordnungswidrigkeitenrecht ist damit im Unterschied zum Kernstrafrecht dogmatisch in der Lage, die Nichteinführung eines Compliance-Systems durch den Betriebsinhaber, der nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG auch der Vorstand einer AG sein kann, über § 130 Abs. 1 OWiG tatbestandsmäßig zu erfassen und das Unternehmen gemäß § 30 Abs. 1 OWiG mit einer auf dieses durchschlagenden Geldbuße zu belegen.13 Daher erscheint es sinnvoll, das Thema Compliance haftungsrechtlich im Ordnungswidrigkeitenrecht zu verorten und den bestehenden Regelungskomplex der §§ 30, 130 OWiG, wie von Beulke und Moosmayer für den Bundesverband der Unternehmensjuristen vorgeschlagen, um compliance-spezifische Aspekte zu ergänzen.14 Für eine Anknüpfung an das Ordnungswidrigkeiten10  Sowohl die „Sentencing Guidelines“ der USA als auch der britische UK Bribery Act sehen im Fall eines existierenden Compliance-Systems sanktionsmindernde Wirkungen vor. Siehe Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 147. 11  Mit Hinweis auf die international zunehmend zu beobachtende Anerkennung von „Anreizsystemen“ Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146, 147. 12  Eine solche ebenfalls fordernd Kaspar, Krakauer-Augsburger Rechtsstudien, 170. 13  Zum „Trias“ der §§ 130, 30, 9 OWiG siehe ausführlich oben Teil 3 B. III. 2. a). 14  Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 147.

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Teil 7: Zusammenfassung und Reformüberlegungen

recht und gegen die Einführung eines – wie vom Justizministerium Nordrhein-Westfalen vorgeschlagenen – dem deutschen Recht dogmatisch fremden Unternehmensstrafrechts15 spricht der vom Gesetzgeber bei der Schaffung strafrechtlicher Regelungen zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.16 Das mit der Sanktionierung des Unternehmens verfolgte Ziel (Bekämpfung von Unternehmenskriminalität) lässt sich durch Verhängung einer nicht als Strafe wirkenden Geldbuße ebenso effektiv erreichen, wie mit weitergehenden Sanktionen. Das originäre Interesse des Unternehmens besteht in der Erzielung von Gewinnen. Ein Zugriff auf den Unternehmensgewinn durch Verhängung einer Geldbuße oder Abschöpfung von deliktisch erlangten Teilen des Gewinns stellt aus Sicht des Unternehmens ein Übel dar, da ihm hierdurch ein dem Unternehmensinteresse zuwiderlaufender wirtschaftlicher Nachteil zugefügt wird. Das mit der Sanktionierung verfolgte Ziel der Verhinderung von aus dem Unternehmen heraus begangenen Straftaten kann mit dem milderen Mittel der Geldbuße erreicht werden. Möchte die Leitungs- und Kontrollebene des Unternehmens für die Zukunft eine dem Unternehmenswohl widersprechende Übelszufügung vermeiden, muss sie tätig werden und die gesetzlichen Vorgaben beachten. Das Handeln des Unternehmens lässt sich damit – vermittelt über die Leitungsebene – im Sinne einer präventiv wirkenden Sanktion steuern.17 15  Das deutsche Strafrecht kennt ein Unternehmensstrafrecht im klassischen Sinn nicht. Die Einführung eines solchen scheitert deswegen aber nicht schon an dem Einwand, Unternehmen seien nicht handlungs- und damit auch nicht schuldfähig. Dieses insbesondere von den Gegnern eines Unternehmensstrafrechts aus dem Schuldprinzip abgeleitete Argument greift nicht durch. Bei genauer Betrachtung ist – wie Kaspar zutreffend hervorhebt – der Anwendungsbereich des aus Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten Schuldprinzips im Kontext der Unternehmensstrafe nicht eröffnet. Der Schuldgrundsatz ist Ausdruck der Menschenwürde, durch die dem Menschen die Fähigkeit zugesprochen wird, geistige Entwürfe zur Lebensgestaltung zu entwickeln. Dies ist auch der Grund, weshalb der Mensch für sein Verhalten verantwortlich ist. Aufgabe des Schuldprinzips ist es vor diesem Hintergrund, sicherzustellen, dass weder eine Strafe gegen schuldunfähige Personen, noch eine übermäßige, nicht mehr als „Tatschuld“ angemessene Strafe verhängt wird. Überträgt man diesen Gedanken zusammen mit Kaspar auf die Frage der Zulässigkeit einer Unternehmensstrafe, erscheint es mindestens fraglich, ob die „Bestrafung“ des Unternehmens mit dem aus Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten Schuldgrundsatz tatsächlich in Konflikt gerät. Ein Unternehmen ist gerade kein Mensch. Folglich kann es auch nicht durch eine Strafe in seiner Menschenwürde verletzt sein. In diese Richtung zutreffend Kaspar, Krakauer-Augsburger Rechtsstudien, 170; Dannecker, GA 2001,101, 112 f. Gegen die Zulässigkeit einer Unternehmensstrafe unter Berufung auf das Schuldprinzip Grützner, CCZ 2015, 59; Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 147; Dierlamm, CCZ 2014, 194. 16  Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 147. Siehe hierzu auch Teil 4 B. 17  Für eine „Sanktion mit intendierter Präventionswirkung“ Kaspar, KrakauerAugsburger Rechtsstudien, 170. Zum Präventionszweck der strafrechtlichen Sanktionierung ausführlich Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz, 631 ff. Zur



B. Abschließende Betrachtung und Reformüberlegungen523

Eine über das Ordnungswidrigkeitenrecht hinausgehende „Bestrafung“ des Unternehmens durch Verhängung einer Verbandsgeldstrafe, öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung, Ausschluss von der Vergabe von Sub­ ven­­tionen und öffentlichen Aufträgen oder sogar Auflösung des Verbandes18 ist in einem ersten Schritt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht geboten. Existenzvernichtende Sanktionen – wie die Auflösung des Unternehmens19 – wären schließlich verfassungsrechtlich besonders zu rechtfertigen20. Bindet man die Compliance-Haftung des Unternehmens damit an das Ordnungswidrigkeitenrecht an, stellt sich abschließend die Frage, wie der Gesetzgeber diese konkret auszugestalten hat. Eine Anpassung der §§ 130, 30 OWiG sollte im Kern drei Aspekte berücksichtigten. Zum einen ist die über §§ 130 Abs. 1, 30 Abs. 1 OWiG für den Unternehmensinhaber und das Unternehmen bestehende Sanktionswirkung unter compliance-spezifischen Gesichtspunkten zu konkretisieren. Dies kann – wie von Beulke und Moosmayer für den Bundesverband der Unternehmensjuristen vorgeschlagen – durch Neufassung des § 130 OWiG erfolgen, indem die durch die Rechtsprechung und Literatur herausgearbeiteten Grundelemente eines effektiven Compliance-Systems klarstellend in einem nicht abschließenden Katalog in die Vorschrift eingefügt werden.21 Um eine umsetzbare Gesetzeslage zu schaffen, wäre in einem § 130 OWiG n. F. auch klarzustellen, dass etwaige Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zur Größe des Betriebs und des von ihm ausgehenden Risikos stehen müssen.22 Eine diese Aspekte berücksichtigende Gesetzgebung stünde nicht nur im Einklang mit den für die sektorunabhängige Aktiengesellschaft im Innenverhältnis aus §§ 76 Abs. 1, 93 AktG folgenden Compliance-Pflichten, sondern wäre zugleich geeignet, im Außenverhältnis Rechtssicherheit zu schaffen und die unbestimmte Norm des § 130 Abs. 1 OWiG zu konkretisieren.23 „Sozialisation im Unternehmen durch Compliance“ siehe Bussmann, FS Achenbach 2011, 57 ff. 18  Zu dem im Gesetzentwurf des Justizministeriums NRW vorgeschlagenen Sanktionsinstrumentarium siehe auch Grützner, CCZ 2015, 57. 19  Der Gesetzentwurf des Justizministeriums NRW sieht diese Sanktion in § 4 Abs. 2 Nr. 3 VerbStrG-E explizit vor. Siehe hierzu auch Grützner, CCZ 2015, 57. 20  Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an grundrechtsbeschränkende (Straf-)Gesetze siehe BVerfG, BeckRS 2011, 48084, Rn. 44. 21  Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 147. 22  Beulke/Mossmayer, CCZ 2014, 147. 23  Eine beispielhafte, nicht abschließende, Aufzählung geeigneter Maßnahmen trüge dem Bedürfnis der Wirtschaft nach Rechtssicherheit im Bereich der Ausgestaltung von Compliance-Systemen Rechnung. Bock, wistra 2011, 201, 205; Beulke/ Moosmayer, CCZ 2014, 151.

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Teil 7: Zusammenfassung und Reformüberlegungen

Zum anderen bedarf es einer expliziten Regelung, die gegenüber Unternehmen den „Anreiz“ setzt, Zuwiderhandlungen durch interne Ermittlungen selbst aufzudecken und entdecktes Fehlverhalten frühzeitig gegenüber den Behörden offenzulegen, um die Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person oder Personenvereinigung abwenden zu können.24 Mangels entsprechender Regelung besteht in der Unternehmenspraxis nicht nur auf Ebene des Leitungsorgans bezüglich aufgedeckter Mitarbeiterstraftaten, sondern auch auf der Ebene des Überwachungsorgans hinsichtlich intern aufgeklärter Straftaten der Leitungsebene erhebliche Unsicherheit, ob und inwieweit es für das Unternehmen ratsam ist, das aufgedeckte Fehlverhalten gegenüber der zuständigen Behörde anzuzeigen.25 Um diesen Zustand zu beenden und gegenüber Unternehmen Rechtssicherheit zu schaffen, ist die Vorschrift des § 30 OWiG, wie von Beulke und Moosmayer vorgeschlagen, um das Instrument der – in anderen Rechtsgebieten26 anerkannten – „sanktionsbefreienden Selbstanzeige“27 zu ergänzen. Schließlich wäre bei Regelung der Compliance-Haftung im Ordnungswidrigkeitenrecht über die bisherigen Reformüberlegungen hinaus, die Rolle von Überwachungsorganen im Unternehmen zu berücksichtigen. Im Rahmen dieser Arbeit wurde exemplarisch für die Aktiengesellschaft deutlich, dass die Aufsichtsratsmitglieder als gesetzlich vorgesehenes Überwachungsorgan eine akzessorische Compliance-Verantwortung trifft und sie im Innenverhältnis zur AG sowohl die Einführung eines geeigneten Compliance-Systems durch den Vorstand als auch dessen unmittelbares Legalverhalten zu überwachen haben. Im Verhältnis zum Leitungsorgan verfügen sie  – je nach Lage der AG – über zum Teil weitreichende Befugnisse. Um Überwachungspflichtverletzungen des Kontrollorgans bei CompliancePflichtverletzungen des Leitungsorgans im Unternehmen haftungsrechtlich auch im Außenverhältnis angemessen erfassen zu können, sollte in einem vom Gesetzgeber nach der Vorlage von Beulke und Moosmayer neu zu fas24  In diese Richtung auch der Vorschlag von Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 147. Siehe auch die Darstellung des Vorschlags für ein Compliance-Anreiz-Gesetz (CompAG) des Deutschen Instituts für Compliance bei Dierlamm, CCZ 2014, 194 ff. 25  In diese Richtung allgemein auch Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 147. Die Unsicherheit rührt daher, dass ein festgestellter Verstoß gegen die Legalitätspflichten zur Prüfung von Regressansprüchen Anlass geben kann. Siehe hierzu auch Basener/ Dilling, CCZ 2017, 70, 73. 26  Siehe nur § 371 AO im Steuerrecht oder § 22 Abs. 4 AWG im Außenwirtschaftsrecht. 27  Siehe die von Beulke und Moosmayer vorgeschlagene Fassung des § 30 Abs. 8 OWiG n. F., abrufbar unter: http://www.buj.net/resources/Server/BUJ-Stellungnahmen/ BUJ_Gesetz gebungsvorschlagOWiG.pdf. Siehe auch Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 149.



B. Abschließende Betrachtung und Reformüberlegungen525

senden § 130 OWiG n. F. zudem klargestellt werden, dass ein im Unternehmen existierendes Kontrollorgan den Betriebsinhaber im Hinblick auf dessen Compliance-Aktivitäten zu überwachen hat. Eine die mittelbare ComplianceVerantwortung des Überwachungsorgans berücksichtigende Neuregelung des § 130 OWiG könnte auf Basis des Vorschlags von Beulke und Moosmayer wie folgt aussehen: Neufassung des § 130 OWiG nach Beulke und Moosmayer28 „(1)  1Der Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens ist verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, Zuwiderhandlungen gegen ihn treffende straf- oder bußgeldrechtliche Pflichten zu verhindern. 2Die Maßnahmen müssen in angemessenem Verhältnis zur Größe des Betriebs oder Unternehmens und den von ihm ausgehenden Gefahren stehen. 3Geeignete Maßnahmen im Sinne des Satzes 1 sind insbesondere: 1.  die sorgfältige Auswahl und Instruktion sowie Überwachung und Kontrolle von Mitarbeitern und Aufsichtspersonen, 2.  die regelmäßige Ermittlung und Bewertung der vom Betrieb oder Unternehmen ausgehenden Gefahren der Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, 3.  der Erlass von Weisungen und die Schulung der Mitarbeiter zwecks Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb stehen, 4.  ein Verfahren, das es den Mitarbeitern unter Wahrung der Vertraulichkeit ermöglicht, Hinweise auf mögliche Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, die im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb stehen, an eine geeignete Stelle zu geben sowie 5.  die Aufklärung von Verdachtsmomenten, welche auf Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb hindeuten sowie die Ahndung entsprechenden Fehlverhaltens. (2)  keine Änderungen (3)  keine Änderungen (4)  Wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die in Absatz 1 festgelegte Pflicht verletzt, handelt ordnungswidrig, wenn eine straf- oder bußgeldbewehrte Zuwiderhandlung begangen wird, die bei Erfüllung der Pflicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre“. (5)  § 30 Absatz 8 gilt entsprechend.“

28  Siehe die von Beulke und Moosmayer vorgeschlagene Fassung des § 130 OWiG n. F., abrufbar unter: http://www.buj.net/resources/Server/BUJ-Stellungnahmen/ BUJ_Gesetz gebungsvorschlagOWiG.pdf. Siehe auch Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 149.

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Teil 7: Zusammenfassung und Reformüberlegungen

Eigener Vorschlag für eine Ergänzung der von Beulke und Moosmayer vorgeschlagenen Neufassung durch Hinzufügung der Absätze 6 und 7: (6)  1Verfügt der Betrieb oder das Unternehmen über ein gesetzlich vorgesehenes oder eingerichtetes Überwachungsorgan29, hat dieses sich regelmäßig darüber zu informieren, ob der Inhaber des Betriebes oder Unternehmens Maßnahmen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 bis 3 ergreift. 2Ergeben sich konkrete30 Verdachtsmomente, die darauf hindeuten, dass der Inhaber des Betriebes oder Unternehmens seinen Pflichten aus Absatz 1 Satz 1 bis 3 nicht nachkommt, hat das Überwachungsorgan innerhalb der ihm gesetzlich eingeräumten Befugnisse, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Zuwiderhandlung des Inhabers des Betriebes oder des Unternehmens aufzuklären, abzustellen und festgestelltes Fehlverhalten zu ahnden. 3Die Maßnahmen des Überwachungsorgans müssen in einem angemessenen Verhältnis zur Zuwiderhandlung des Betriebsinhabers und den von ihr ausgehenden Gefahren für den Betrieb oder das Unternehmen stehen. 4Geeignete Maßnahmen im Sinne des Satzes 2 sind insbesondere: 1.  die Befragung von leitenden Angestellten, 2.  die Einleitung von internen Untersuchungen sowie 3.  die Ergreifung von Personalmaßnahmen, soweit das Überwachungsorgan hierzu gegenüber dem Betriebsinhaber rechtlich befugt ist31. (7) Wer als gesetzlich vorgesehenes oder eingerichtetes Überwachungsorgan vorsätzlich oder fahrlässig die in Absatz 6 festgelegte Pflicht verletzt, handelt ordnungswidrig, wenn durch den Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens eine straf- oder bußgeldbewehrte Zuwiderhandlung begangen wird, die bei Erfüllung der Pflicht aus Absatz 6 verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre.

29  Ergänzt man die von Beulke und Moosmayer vorgeschlagene Neufassung des § 130 OWiG um einen Absatz 6 und erweitert dadurch den Anwendungsbereich des § 130 OWiG auf gesetzlich vorgesehene Pflichtüberwachungsorgane und fakultativ eingerichtete Überwachunsorgane, lassen sich fahrlässig begangene Überwachungspflichtverletzungen im Zusammenhang mit Compliance-Pflichtverletzungen des Leitungsorgans haftungsrechtlich erfassen. 30  Durch Einfügung des Merkmals „konkret“ wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Aufsichtsorgan – im Unterschied zum Leitungsorgan – regelmäßig über eine geringere Informationsdichte im Unternehmen verfügt. Siehe hierzu oben Teil 2 B. I. 1. a); Teil 5 A. II. 1. c) bb) (1); Teil 5 A. III. 2.; Teil 5 A. III. 2. d). 31  Durch den Passus „soweit das Überwachungsorgan hierzu rechtlich befugt ist“, wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nicht jedes gesetzlich vorgesehene oder fakultativ eingerichtete Überwachungsorgan gegenüber dem Leitungsorgan zugleich auch über Personalkompetenzen verfügt. Siehe hierzu ausführlich den Überblick oben in Teil 2 A. III.

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Stichwortverzeichnis Abstellung  15, 19, 22 f., 134, 154, 158, 164, 169, 181 f., 186 f., 197, 199, 206 f., 233, 276, 280 f., 283 f., 284, 292, 294 f., 384 f., 387, 403 f., 411, 444 f., 456 f., 458, 462 ff., 471, 473, 487, 490, 498, 506 ff. Ahndung  19, 23, 134, 154, 162 ff., 169, 182 ff., 199, 210, 214, 233, 244, 271, 280, 282 ff., 292, 294 f., 313, 353, 384 f., 387, 403 f., 411, 444 f., 464, 490, 498, 506 ff., 520, 525 Akzessorietät  10, 19 f., 23, 306 f., 309 ff., 324, 326 f., 334, 339, 341, 344 ff., 509, 541 f., 550 –– asymmetrische  19 f., 23, 308, 314 ff., 326 f., 334, 341, 343 ff., 410, 509 –– negative  309 Aufklärung  15 ff., 22 f., 25, 52, 77 f., 96, 110, 123, 129, 154, 158, 162, 164 f., 168 f., 179, 180 ff., 184, 186 f., 196 f., 199, 206 f., 210, 214, 216 ff., 222 f., 227, 228, 229, 230 ff., 241, 243 f., 246, 249, 252 f., 256 f., 260 f., 264, 269, 272, 276, 278, 280 ff., 292, 294 ff., 326, 384 f., 387, 389, 399, 403, 411, 432, 441, 444 f., 455, 462 ff., 473 f., 476, 477, 481, 483, 488, 490 f., 498, 506 ff., 525, 536, 551 Aufsichtsgarant  siehe Garantenstellung Aufsichtsrat –– Aufgaben  27, 44, 45 ff., 207 ff., 232, 235, 288, 371 ff., 480 ff. –– Ausschuss  60, 65, 104, 111, 121 f., 145, 209, 212, 288, 355, 357, 359, 363 ff., 373, 383, 410, 482 ff., 493, 498 ff., 512, 517 –– Kompetenzen  32, 35, 47, 57, 147, 161, 218, 230 f., 247, 270, 331, 404, 445, 480

–– Pflichten  45 ff., 207 ff., 222 ff., 243 ff., 274 ff., 283, 284 ff., 294 ff., 507 f. –– Pflichtorgan  11, 32 f., 44 –– Stellung  31 ff., 34 ff., 46 –– Weisungsbefugnis  62, 124, 436, 438, 440 ff., 513 –– Wissen  102, 288 ff., 441 f., 444, 513 Ausschuss  siehe Aufsichtsrat Beihilfe  25, 227 f., 443, 446 ff., 458, 465, 515 Beratung des Vorstands  52, 96, 100 ff., 133, 212, 277, 295, 380, 442, 481, 483, 497, 504, 508, 513 „Berliner Stadtreinigungsbetriebe“  395 Beschützergarantenstellung  siehe Garantenstellung Bestimmtheitsgebot  351, 415, 425 Business Judgement Rule  52 f., 85, 87, 91, 98 f., 106, 109, 112, 115, 119, 123, 136, 199, 220 f., 273 f., 234, 334, 340, 346, 352, 357, 366 Compliance –– Criminal  27, 127, 137, 142, 169 ff., 176 f., 179, 184, 186, 192, 196, 197 f., 200, 270, 291, 293, 399, 485, 497, 504 –– Handlungspflichten des Aufsichtsrats  29, 74, 80, 87, 213, 222 f., 231, 280, 283, 285 f., 288, 357 f., 363, 371, 378, 414, 430, 443, 481, 490, 498 –– Pflichten Vorstand / Aufsichtsrat  135 ff., 137, 142, 146 ff., 166, 167, 169 ff., 209 ff., 222 ff., 243 ff., 292 f., 294 f., 477, 505, 507 ff. –– Rechtsgrundlage  155, 172 ff.

562 Stichwortverzeichnis

–– Regelungen  129, 132, 135, 142, 153, 167, 170, 201, 260, 288, 380, 489 f., 494, 502, 504, 517 Corporate Governance  27, 57, 67, 122, 126 ff., 131 ff., 134, 152, 154 f., 209, 285, 489, 493 f. Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK)  128, 155, 180, 208, 212, 482, 485, 487, 518 Einheit der Rechtsordnung  308 f., 314, 317, 509 Europäische Gesellschaft  42 Fahrlässigkeit  289, 348, 520 Garantenstellung –– Aufsichtsgarantenstellung  21, 24, 30, 433, 435 ff., 442, 513, 528 –– Beschützergarantenstellung  369, 371 ff., 374 ff., 378, 385, 412, 417 ff., 423 f., 428 ff., 433, 438, 448 ff., 456, 465, 472, 478, 512 f. –– Reichweite  367, 380, 382 f., 430 –– strafrechtstheoretische Grundlagen  377, 412 ff. –– Überwachungsgarantenstellung  30, 377, 412, 417, 420, 428, 430 ff. 433 f., 441, 444 f., 449, 465, 513, 515 Genossenschaft  36 ff., 45 Geschäftsherrenhaftung  85, 186, 432, 434, 435 ff., 441 Geschäftsordnung  36, 66, 96, 107 f., 113, 132, 150, 153, 214, 221, 253, 284, 353, 380 f., 482, 485, 489 ff., 493 ff. GmbH  26, 32, 37, 39 ff., 44, 337 Good Will  388 Haftungsrisiken Aufsichtsrat  327 ff., 477 f., 479 ff. Handlungspflichten Aufsichtsrat  siehe Compliance Hauptversammlung  32 f., 35, 43, 47, 50, 54, 87, 116 ff., 147, 149, 253 f., 259, 266, 285, 381, 482, 500

Indizwirkung  517 Informationsordnung  siehe Geschäftsordnung Ingerenz  414, 433 Integrität  85, 122, 260, 488, 517 Internal Investigation  165, 180, 234 f., 508 Kanther / Weyrauch  392, 395 Kausalzusammenhang  165, 389, 400 ff., 519 Korruption  105, 122, 152, 154, 158, 203, 213, 230, 273, 279, 383, 487 f. Leitende Angestellte  54 ff., 60 ff., 63 ff., 79, 84, 95 f., 124 f., 159, 190, 283 f., 364, 441, 463, 490 f., 494, 517, 526 Leitung  50 f., 53 f., 56 ff., 61, 64 f., 147 ff. Mannesmann / Vodafone  25 f., 339, 346, 350, 352, 538, 556 Prävention  108, 153, 157, 161 ff., 168, 173, 201, 204, 229, 281, 314, 505, 512 Reaktion  135, 162, 182 ff., 186, 243 ff., 278 ff., 285, 383 f., 441, 464 Risikogeschäft  68, 71, 74, 92, 115, 319, 391 f., 408 Risikomanagement  59 f., 65, 72, 118, 121 f., 126 ff., 134, 143 ff. 155, 157, 170, 177, 276, 384, 388, 484 f., 500 Schwarze Kassen  26, 158, 243, 270, 277, 295, 402, 409, 457 Sekundarität Strafrecht  305 f., 314, 509 Shareholder Value  61, 80 Siemens / AUB  311, 342 f., 350 Sorgfaltspflicht  60, 93 f., 128, 136 f. 143, 146, 156 f., 226, 284, 288, 290, 292, 295 f., 479 f., 482, 508, 512 Täterschaft –– Mittäterschaft  443, 453 f.

Stichwortverzeichnis563

–– Unterlassungstäterschaft  369, 371, 429, 434, 443, 450 f., 454, 477, 513 Tatherrschaftslehre  303, 453, 455 f., 458, 461, 464, 516

–– Voraussetzungen objektiv  329 ff., 456 ff., 464 ff., 471 ff., 473 ff. –– Voraussetzungen subjektiv  406 ff., 464

Überwachungsaufgaben  46 ff. 64, 95, 99, 334, 483 Überwachungsgarantenstellung  siehe Garantenstellung Überwachungspflicht des Aufsichtsrats –– compliancebezogene  209 ff., 500 –– Konkretisierung  68, 145, 494 –– Umfang     68, 77, 80, 83, 209, 334, 362 Unternehmensinteresse  61, 76, 81, 86 ff., 91 ff., 96, 106, 124, 184 f., 206, 318, 234, 236, 239, 243, 247 f., 252, 255 ff., 259, 261, 263 f., 271, 273, 279 f., 282, 346, 351, 356, 360, 522 Unternehmerische Entscheidung  siehe Business Judgement Rule Untreue –– Aufsichtsratsuntreue  328, 330 –– Missbrauchsuntreue  330 –– Organuntreue  310 –– Treubruchuntreue  324, 330 ff., 334, 371, 466, 474, 510

Vermögensbetreuungspflicht  306, 310 f., 315, 324 f., 329 ff., 331 ff., 334 ff., 337, 339 ff., 343 ff., 349, 351, 353 ff., 365, 368 f., 371, 373 f., 426, 457, 473, 479, 509 f., 514, 517 Vermögensbetreuungspflichtverletzung  311, 334, 340 f., 343 f., 466 Vermögensgefährdung  319, 391 ff., 398 ff., 405, 408, 468 ff. Vermögensnachteil  30, 75, 133, 311 f., 319 f., 335, 347, 368 f., 386 ff., 391 ff., 395, 398, 400, 407 ff., 456, 467 f., 475, 514, 516, 519 Vorsatz  184, 406 ff., 454 f., 502, 515, 519 Weisungsrecht  siehe Aufsichtsrat Zustimmungsvorbehalt  35, 40, 64, 96 ff. 111 ff., 113 ff., 121, 123, 151, 212, 270, 281, 357, 361, 363 f., 373, 380, 382 f., 386, 399, 433, 459 ff., 463 f., 472, 495 ff., 504, 515 ff.