Stendhal und der Ausdruck der Gemütsbewegungen in seinen Werken [Reprint 2020 ed.] 9783112324301, 9783112324295

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Stendhal und der Ausdruck der Gemütsbewegungen in seinen Werken [Reprint 2020 ed.]
 9783112324301, 9783112324295

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BEIHEFTE ZUR

ZEITSCHRIFT FÜR

ROMANISCHE PHILOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON

DR. GUSTAV GRÖBER PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT STRASSBURG

I.E.

UNTER MITWIRKUNG VON

PROF.

DR.

E. HOEPFFNER

XXXV. HEFT CARL

KÖRVER:

STENDHAL U N D D E R AUSDRUCK D E R

GEMÜTSBEWEGUNGEN

IN S E I N E N W E R K E N

HALLE A. S. VERLAG

VON M A X I9II

NIEMEYER

STENDHAL UND DER AUSDRUCK DER GEMÜTSBEWEGUNGEN IN SEINEN WERKEN

VON

CARL KÖRVER

HALLE A. S. VERLAG VON MAX

1911

NIEMEYER

Inhaltsverzeichnis. Seite

Literatur

vn

Einleitung. Kunstwerk und Künstler

I

Erster Hauptteil. I. Stendhals Persönlichkeit, und wie hat Stendhal gearbeitet? . Stendhal schreibt zu seinem Vergnügen i . Seine Jugend 3. Stendhal in der Fremde 3—5. Stendhal schreibt psychologische Romane 6. A r t der Darstellung der Individuen in den verschiedenen Werken 7—9. Schwierigkeiten bei der Darstellung der tiefühle 10. Der persönliche Gehalt des Schriftstellers in „Le Rouge et le Noir" und der „Chartreuse" II, 13. II. Die Form bei Stendhal. W i e will Stendhal gelesen werden? W a s ist bei Stendhal beachtenswert? I. Stendhal zu lesen. „Peur du ridicule" 2—5. Stendhal zu lesen ist 6, 7.

6

13 Schwierigkeit Beispiel, wie

Über den Stil Stendhals Was ist Stil? und Lansons Urteil I, 3. Stendhals Theorien über den Stil 3, 4. Stendhals Eigentümlichkeiten 5, 6.

19

Die Exkurse Erklärung und Einteilung derselben 1, 2. Absichtlich gesetzte Exkurse 3 — s o . Unabsichtlich gesetzte Exkurse 31 —27. Einzelne Exknrse 38. Vergleich der beiden Arten 29. Zusammenfassung

35

Zweiter Hauptteil. Die Betrachtung der Gemütsbewegungen bei Stendhal . . . . I. Die Lust Theorien Stendhals und Einteilung derselben 1 , 2. Erfüllung eines Wunsches 3, 4. Befriedigung des Selbstbewufstseins 5—7. Lust als Zustand 8, 9. Namenlose Freuden 10, I I . Bedeutung des Glückes für Stendhal 12. Ausdrucksbewegungen: die mimischen 13—18. Die pantomimischen 19. Begleiterscheinungen 20—23. Unterdrückung der Lust 34.

47 49 49

VI Seite

II. Die Unlust W a n n entsteht Unlust? 1. Zwiespalt zwischen zwei Gefühlen, Gemütsbewegungen oder Neigungen 2, 3. Bildliche Ausdrücke 4. Ausdrucksbewegungen: die mimischen 5. Die pantomimischen 6. Begleiterscheinungen 7 — 1 2 . III. Das Lachen

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Stendhals Theorien über das Lachen I. Das Lachen der Franzosen und Italiener 2. Das Lachen Stendhals nach dem Selbstgefühl eingeteilt 3 — 5 . Das wahre Lachen 6, 7. Nichtssagendes Lächeln 8. I V . Das Weinen Das Verhältnis von Lachen und Weinen in Stendhals Werken I. Bedeutung des Weinens für Armance 3. Veranlassung des Weinens 3—6. V . Überblick über die Ausdrucksbewegungen der Lust und Unlust in Stendhals Werken V I . Die Furcht Die Furcht I.

86

89 90

Die Hoffnung 2.

V I I . Der Zorn Erklärung und Einteilung I — 3 . Vergleich des Zornes bei Franzosen und Italienern 4. Typische Beispiele für den Verlauf des Zornes 5—8. Ausdrucksbewegungen 9 — 1 1 . Die pantomimischen 1 2 — 1 6 . Zorn und Selbstgefühl 17. Rückblick 18, 19. Neid und H a b 20—23. Eifersucht 24 —26. Rache 27.

92

V I I I . Stolz Beyle in seinen Briefen I — 3 . Stendhal während der Zeit der Umwertung 4. Der Ehrgeiz und sein Verhältnis zur Liebe 5, 6. Stolz, Verachtung und Selbstverachtung in , L e R o u g e et le N o i r ' 7, 8. Stolz und Verachtung des Italieners 9. Arten des Stolzes 10, I I . Verachtung 12. Ausdrucksbewegungen 13. , P e u r d u ridicule' 14, 15. Mangel an Selbstgefühl 16, 17. Mut und Feigheit 18, 19. Liebe 20, 21.

113

Schlafe

135

Anhang , L e sentiment de la nature' Intellektueller Genufs Stendhals 1. W i e Stendhal zu reisen wünscht 2. Stendhals Theorien über Naturschilderungen 3, und wie er sie anwendet 4, 5.

139 139

Literatur. R i b o t , Psychologie des sentiments. 1896. E b b i n g h a u s , AbriJTs der Psychologie. Leipzig 1909. A . C h u q u e t , Stendhal-Beyle. Paris 1902. C. S t r y i e n s k i , Soirées du Stendhal-Club. P . Mercure 1905. — Soirées du Stendhal-Club. Deuxième Série, id. 1908. T a i n e , Essais de critique et d'histoire. 1858.

Benutzte Ausgaben. S t e n d h a l , Rome, Naples et Florence. P . C. L . o. J . — Histoire de k peinture en Italie. P . C. L . o. J. — Racine et Shakespeare. Études sur le Romantisme. P . CalmanLevy P . o. J. — De l'Amour. Seule édition complète augmentée de préfaces et de fragments entièrement inédits. P . C. L . o. J. — Armance, précédé d'une notice biographique par R . Colomb. P . C. L . o. J. — Promenades dans Rome. id. — Le R o u g e et le Noir. Chroniqne du XIX « siècle. I & II. id. — L a Chartreuse de Parme, id. — Nouvelles inédites, id. (Le Chasseur vert. Le Juif. Fédér.) — V i e de Henri Brulard. Charpentier-Fasquelle. 1890. — Souvenirs d'Egotisme. Charpentier-Fasquelle 1892. — Journal (1801—1814). Charpentier-Fasquellr 1908. — Letztere von C. Stryienski veröffentlicht. — Correspondance inédite, précédée d'une introduction par Prosper Mérimée. P . C. L . o. J. Correspondance, p. p. A d . Paupe. P . 1909. Collection des plus belles pages. P . Mercure 1908.

Einleitung. Kunstwerk und Künstler. Jeder Gebildete hat das Bedürfnis in sich eine gewisse ,begehrungslose Freude' zu verwirklichen. Die Befriedigung dieses Bedürfnisses bewirkt nichts besser als die Kunst, die gerade hierin ihren Zweck sieht und damit überhaupt ihre Existenzberechtigung erlangt Wenn wir so ohne weiteres von jeder Kunst sprechen können, so müssen gewisse Momente allen Kunstwerken gemeinsam sein; mit dieser Gleichheit ihrer Bestimmung mufs eine wenigstens teilweise Übereinstimmung in den Mitteln und der Art und Weise der Darstellung Hand in Hand gehen. Sehen wir zu, wodurch ein Kunstwerk auf uns wirken kann. Wie jedes Werk menschlicher Hand oder menschlichen Geistes, so wirkt auch das Kunstwerk auf unsere Seele, und zwar auf unser Gefühlsleben, ein, I. durch seinen Inhalt oder Stoff, und 2. durch die Form, d. h. die Art und Weise, wie der Stoff dargestellt wird. Betrachten wir zwei Kunstwerke, z. B. die Trinker (los borrachos) von Velázquez und eines der vielen Gemälde Murillos, welches die ,Concepción' darstellt. Nachdem wir Inhalt und Form begriffen haben, wird das erste, was wir uns bei einer Gegenüberstellung der beiden sagen werden, folgendes sein: Die beiden Künstler müssen grundverschiedene Menschen gewesen seinl Hier tritt uns ein Künstler gegenüber, der gleichsam wie im Traum, wie in einer Vision sich seiner eigenen Persönlichkeit entkleidet, und unter dem Eindrucke einer anderen Macht seine Sehnsucht zu gestalten sucht. Sanft steigt dieser ,Hauch' des Lebens nach oben, nachdem er vorher infolge der Befreiung aus dem enggeschlossenen Räume dieser Welt seine Energie verloren hat. Diese weiche Kunst ist die Illustriernng jener Worte Calderons: „La vida es un sueño, y sueños sueños son". Wie ganz anders spricht uns aber jene lebensvolle, ja, von Leben überfiiefsende Kunst Velázquez' an. Kein Blick richtet sich nach oben, sondern im Glück der anderen sucht jeder seine eigene Freude zu bestätigen. Kernige Gestalten, die mit Leib und Seele in dem Leben dieser Beiheft ittr Zeitschr. f. rom. Phil. XXXV.

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2

Welt aufgehen, scharen sich um Bachus, dessen kraftvoller Erscheinung sie huldigen. Ein Künstler, der ein solches Werk schuf, mufste mit beiden Füfsen in dieser Welt stehen, er empfand nur die Natur, und in ihr sah er gleichsam sein Ideal. In beiden Werken erkennen wir also die Persönlichkeit ihrer Schöpfer. K l a r steht es uns vor A u g e n , dafs nur ein Veldzquez eine solch L e b e n sprudelnde Szene festhalten konnte; das hätte Murillo infolge seiner Veranlagung nie darstellen können, gerade so wenig wie es V e l i z q u e z gelungen wäre uns die unbefleckte Empfängnis Marias in so ansprechender Weise näher zu bringen. Infolge seines Charakters mufste V e l i z q u e z einen solchen Stoff wählen, mufste er ihn so lebensfreudig, so wirklich darstellen, und ebenso war auch der Charakter Murillos die Veranlassung dazu, seinen Stoff g e r a d e der heiligen Schrift zu entnehmen, und diesen Stoff so traumhaft zu gestalten. D e r persönliche Gehalt drückt dem Kunstwerk seinen Stempel auf. Eigenartige Darstellung von Inhalt, Form und persönlichem Gehalt müssen unser Bedürfnis nach begehrungsloser Freude befriedigen. Betrachten wir also irgend ein Kunstwerk, so können wir uns drei Fragen stellen: i . Was stellt der Künstler dar? 2. W i e stellt der Künstler dar? 3. W a s läfst der Künstler von seiner eigenen Person in sein Werk einfliefsen? wobei die letzte Frage die beiden anderen in gewissem Sinne umschliefst, und also jeder Abschnitt einen T e i l ihrer Beantwortung enthält. Bevor wir uns aber zur Erledigung dieser Fragen wendeD, müssen wir unser Augenmerk noch kurz auf die Menschen im allgemeinen lenken: denn alle sind verschieden, Künstler sowohl, als auch d i e , welche das Kunstwerk geniefsen. Woran liegt das? Alles was uns umgibt, sendet unaufhörlich Reize aus! S o lange wir wachen, sind A u g e und Ohr, Zunge und Nase, die ganze Haut damit beschäftigt, unserer Seele diese von d e n Aufsendingen ausstrahlenden Reize zuzuführen. Vergleichen wir dabei die Zahl der unserer Seele bewufst werdenden Empfindungen mit der Zahl der wirklichen Reize, so bemerken wir, dafs nur eine sehr geringe Anzahl derselben in unser Bewufstsein E i n g a n g findet. Bei näherem Zusehen fallt uns auf, dafs wir selbst zu verschiedenen Zeiten für bestimmte Dinge empfindlicher oder weniger empfindlich sind. W a s wir gestern bemerkten, berührt uns heute k a u m , es hängt dies eben von unserer gerade herrschenden Stimmung ab, ob wir frisch oder m ü d e , heiter oder traurig, in Gesellschaft oder allein, gesund oder krank sind. Jeder veränderte Gemütszustand wird uns eine bestimmte Seite der Umgebung nahe führen. Sind wir fröhlich, so weilt unser Blick auf den hellen Farben u n d auf den gebogenen Linien; sind wir aber traurig, so fühlt sich unser A u g e angezogen von dem düsteren Schwarz, wir erkennen mit Deutlichkeit die Schatten, die das heitere A u g e übersah, resp. die für es die helleren T ö n e nur besser hervortreten liefsen.

3 Natürlich sind nicht alle Menschen gleich veranlagt. Wenn der Gemütszustand des Einzelnen schon derart mannigfaltig die Umgebung auffassen läfst, um wie verschiedener müssen die Gesichtspunkte sein, von denen mehrere Individuen die Aufsendinge auf sich wirken lassen können. Das kleine Kind erkennt ganz andere Seiten als der Erwachsene, der Bauer sieht die Dinge anders, als der Städter, der Kaufmann anders als der Künstler. Wir können sagen: Der Durchschnittsmensch nimmt das ihn praktisch interessierende wahr, während das praktisch unwichtige ihm einfach verloren geht. Wir müssen also eine individuelle, stets gleichbleibende Auffassung der Aufsendinge von einer mehr zufälligen, vorübergehenden unterscheiden. Abgesehen von dieser begrenzten Empfindlichkeit nehmen wir jedoch wieder mehr Reize auf, als uns unmittelbar beeinflussen können. Infolge von Erinnerungen, Erfahrungen, verknüpfen wir mit einem Reize bestimmte andere, die uns in früherer Zeit schon zusammen mit diesem begegnet sind, es findet also eine gedankliche Assoziation statt. Wenn wir einen Stein sehen, so können wir, ohne ihn anzufassen, sagen, ob er rauh oder glatt, schwer oder leicht ist. Je mehr Erfahrung sich hierbei ein Mensch gesammelt hat, desto vollständiger wird für gewöhnlich das Bild, das er sich von allen Dingen machen kann. Während vorher diese Auswahl hauptsächlich von unserem Gemütszustande abhing, kommt hier bei dem Hinzufügen bestimmter Eigenschaften, die nicht unmittelbar erkannt werden, die Vorstellung als treibendes Moment in Betracht. Während die Gefühle stets wechseln, in stetem Auf- und Absteigen sich befinden, verbinden sich Vorstellungen und Gedanken zu einem festen Komplexe, auf den immer weiter gebaut wird, dort kein Fortschritt, kein Rückschritt, hier im allgemeinen stets Vervollkommnung. Andererseits sind Vorstellungen und Erinnerungen nicht unbedingt verläfslich; je nach Veranlagung wird die Phantasie in ihre Rechte treten. Willkürliche Umgestaltungen der Erinnerungsbilder werden sich einstellen infolge von Verwechslungen und Verknüpfungen ähnlicher Vorstellungen mit dem Erlebten. So zeigt das Kind Freude daran, seine Vorstellungen sich auf dem Gebiete des Wunderbaren, Ungeheueren, Unmöglichen abspielen zu lassen, die Phantasie des Künstlers sucht im Alltäglichen einen ästhetischen Genufs zu finden, der Philosoph spinnt seine Gedanken ins Unendliche weiter, und nur die Phantasie kann ihm dabei helfen; jeder wendet seine Phantasie an, sich mit ihr der Wirklichkeit nähernd oder sich von ihr entfernend. Was von den psychischen Elementen hier gesagt ist, behält natürlich auch Giltigkeit für die zusammengesetzten Gebilde. Wir sollten also annehmen, dafs jedes Individuum die Aufsenwelt individuell' auffafst, d. h. jedes auf seine Art, und dafs eben dieses selbe Individuum j e nach seiner Disposition von einem

i*

4 anderen Gesichtspunkte aus die Dinge erkennt. Wir hätten also mit einer gewaltigen Mannigfaltigkeit zu rechnen. Aber, wie so oft, so hat auch hier die Analogie ihr ausgleichendes Spiel getrieben, infolge der gleichen Lebensbedingungen und des ständigen Verkehrs schliefsen sich die Individuen zusammen, ihre spezifischen Eigenheiten aufgebend. Dieser ständige Austausch, beeinträchtigt durch Anstand und gute Sitte, drängte die Gem&tsstimmung des Einzelnen etwas in den Hintergrund, es bildete sich ein Durchschnittstypus von Mensch. Dem Wesen der Analogiebildung entsprechend, welche stets die gesetzliche Entwicklung durchbricht und durch Angleichungen auch dem Schwächeren zu seinem Rechte hilft, begegnet man diesen Menschen am häufigsten; sie stellen keineswegs den ursprünglicheren Typus dar. Das individuelle Gepräge wird meist eingeschränkt. Bei dem Denken, Fühlen und Wahrnehmen herrscht bei der Allgemeinheit das Prinzip der Nützlichkeit vor, des praktischen Interesses. Staat und Kirche, jede öffentliche Einrichtung bildet in gewissem Sinne die Richtungslinie des Einzelnen heran. Sein Inneres, sein Charakter, selbst seine Veranlagung passen sich nur allzu oft der Umgebung an. Die Vernunft, nicht sein .Lieben' gibt ihm die Richtschnur. Einen Teil dieser sogenannten Ausnahmenaturen nennen wir mit dem allerdings sehr dehnbaren Begriff Künstler, es sind individuellere Menschen. Während der gewöhnliche Mensch zum Ausdruck seiner Gefühle und Gedanken nur das Wort und die Geste, unter Umständen das geschriebene Wort zur Verfügung hat, sucht der Künstler auch noch auf andere Weise alles, was ihn bewegt und treibt, niederzulegen, für die Dauer zu gestalten, sei es, dafs er seine Gefühle und Gedanken kleidet in das Gewand der Musik oder sie in Poesie resp. Prosa festhält, sei es, dafs er nach dem Pinsel greift oder dem Meissel. Sie alle sehen anders als die Allgemeinheit, sie sehen mehr oder weniger, und so suchen sie auch nach anderen Ausdrucksmitteln als jene, um ihre Erlebnisse reproduzieren zu können. Jedoch auch sie bleiben sich nicht durch alle Zeiten gleich, auch sie sind stets Kinder ihres Jahrhunderts, es ist einmal nicht zu leugnen, jeder Mensch erwirbt sich instinktmäfsig eine gewisse Erkenntnis, die eben seiner Zeit entspricht. Ein inniges Band verknüpft also jeden Menschen mit seiner Zeit und für gewöhnlich mit dem Abschnitt seines Lebens, wo er seine Erfahrung gesammelt hat Ein instinktmäfsiges und ein erworbenes Erkennen der Aufsenwelt findet statt. Leicht kann es vorkommen, dals Menschen in zwei, ja drei Epochen der Geschichte, resp. wirtschaftlicher und geistiger Entwicklung leben; wie mufs der Wechsel der Anschauungen auf sie wirken? Sie sehen mit einer gewissen Verachtung auf diese neue Epoche, oder stehen ihr zum mindesten am Anfange ziemlich gleichgültig, mifstrauisch gegenüber, aber trotzdem, sie können sich nicht verhehlen, dafs

5 diese auch etwas Gutes mit sich bringt. Der Durchschnittsmensch gleicht sich ohne weiteres an, anders bei jenen individuellen Menschen, sie werden entweder mit Begeisterung der neuen Anschauung huldigen, ihr Temperament will es so, oder sie geraten mit sich selbst in einen tiefen Konflikt. Ein solcher Mensch kann sein Augenmerk nicht abwenden von der Umgebung, sein kritisches, d. h. mifstrauisches Auge vergleicht immer wieder mit der Vergangenheit, mit jener Zeit, die ihn bildete, die ihm ihren Stempel aufgedrückt hatte. Wir sehen eine ständige Wechselbeziehung zwischen Individuum, seiner Veranlagung, Umgebuug und Zeit. Eine grofse Mannigfaltigkeit von Individuen tritt uns deshalb gegenüber; sowohl jeder Künstler, als auch jeder Kunstgeniefsende kann vom anderen verschieden sein. Aber doch mufs in allen Fällen das Werk des Künstlers auf diese Masse der Beschauer, Hörer oder Leser dieselbe Wirkung ausüben. Jedes Kunstwerk mufs eine ästhetische Freude auslösen. Im folgenden wollen wir den Romanschriftsteller Henri Beyle, bekannter unter seinem Pseudonym Stendhal, zum Gegenstand unserer Betrachtungen machen. Der Roman an sich soll auch ein Kunstwerk sein, und müssen wir Romanschriftsteller auch zu den Künstlern stellen, so gut wie Maler, Bildhauer und Musiker. Erreichen Stendhals Werke tatsächlich ihren Zweck, d. h. sind sie Kunstwerke, so müssen sie, wie ich gezeigt habe, eine gewisse Gestaltung in Inhalt, Form und persönlichem Gehalt aufweisen, so dafs sie in dem Leser eine begehrungslose Freude erwecken. Andererseits steht fest, dafs jeder Künstler dies auf seine Art erreichen kann. Wir müssen also vor allem den Charakter und die Veranlagung des Schriftstellers berücksichtigen, um unserer Aufgabe gerecht zu werden. Stendhal schreibt psychologische Romane, mit anderen Worten, Stendhal mufs Psychologe gewesen sein, oder zum mindesten, er mufs eine besondere Vorliebe für die Psychologie gehabt haben. Schon als achtzehnjähriger Jüngling schrieb er an seine Schwester: „Ce que j'aime à voir dans une ville, ce sout ses habitants, car l'homme intéresse toujours l'observateur, il est même certains pays, où il frapperait d'étonnement l'homme le plus froid.u Stendhals V e r a n l a g u n g geht auf die B e o b a c h t u n g d e r m e n s c h l i c h e n S e e l e hin. Dieser Umstand führt uns also ganz von selbst darauf, dafs unsere Abhandlung auch psychologischer Art sein mufs. So wollen wir denn, nachdem wir die Persönlichkeit Stendhals, vor allem im Verhältnis zu seinem Werke, und seinen Stil betrachtet haben, im Hauptteil eine Seite des Stoffes in den Vordergrund rücken, nämlich die Behandlung der Gemütsbewegungen in seinen Romanen, indem wir uns dabei stets vergegenwärtigen, dafs Veranlagung und Werk eines Mannes aufs innigste verknüpft sein werden.

Erster Hauptteil. I. I.

Stendhals Persönlichkeit und wie hat Stendhal gearbeitet?

„ L e seul malheur est de mener une vie ennuyeuse . . . Ah! que n'ai-je une chaumière ou quinze cents francs dans la rue SaintKoch! Je suis bien, certainement, mais je crève d'ennui. Le vrai métier de l'animal est d'écrire un roman dans un grenier, car je préfère le plaisir d'écrire des folies à celui de porter un habit brodé qui coûte huit cents francs . . . Voyez donc, si l'on ne pourrait pas avoir ,two thousand' (2000 frs) à Lutèce; une chambre au midi et au cinquième. La petite chambre avec 5 francs de revenu et 5 francs gagnés par un roman, serait le bonheur suprême. Je suis fait pour vivre avec deux bougies et une écritoire, et maintenant en vous écrivant je suis heureux ainsi. Mais je m'ennuie dans mon nid d'hirondelle! Adieu, j'ai envie de me pendre, et de tout quitter pour une chambre au cinquième étage, rue Richepanse. L'ennuyé, Baron Dormant. A M. di Fiore, . . . avril 1835. So schreibt Beyle aus Civita-Vecchia. Man mufs sich unbedingt wundern; er fand doch genug Mufsestunden, um dort in seinem ,nid d'hirondelle' sich die Zeit durch Schriftstellern zu vertreiben. Was hat er denn seit 1831, wo er Konsul in Civita-Vecchia wurde, geschrieben? L'Abesse de Castro, Les Chroniques italiennes, die Novellen, die nahezu alle Übersetzungen sind, ferner von bedeutenderen Werken Luden Leu wen und Lamiel. Die Chartreuse de Parme, welche 1839 erschien, wurde sonderbarerweise in Paris verfafst, ebendaselbst Armance 1827 und L e Rouge et le Noir 1831. Stendhal hielt sich 1838 gröfstenteils, 183g von Januar bis Juni in Paris auf. In diesem Zeitraum mufs die Chartreuse entstanden sein, nicht wie er im Vorwort sagt, „c'est dans l'hiver de 1830 et à trois cents lieues de Paris que cette nouvelle fut écrite." Warum füllt Stendhal die Zeit, während der er sich langweilt, nicht damit aus, Romane zu schreiben? während er dagegen in Paris, wo er doch sicherlich reichlich Unterhaltung fand, stets an seinen Arbeiten

7 Fortschritte machte? Dort, gegen alle Erwartung, die Bruchstöcke, hier die vollendeten Werke! Das hängt mit der Art des Arbeitens Stendhals zusammen; für ihn war das Schreiben, wie er an verschiedenen Stellen uns versichert, ein wahres Vergnügen, er schrieb nicht, ,pour se désennuyer, mais pour s'amuser'. Aus Triest schreibt er uns, als er ,Le Juif' verfafst: „N'ayant rien à lire, j'écris. C'est le même genre de plaisir, mais avec plus d'intimité." Um ein wahres Vergnügen an etwas zu finden, darf man aber nicht daran gehen mit dem niederdrückenden Gedanken, sich die Langweile vertreiben zu wollen, sondern man mufs dazu schon vorher in gehobener Stimmung sein, und das war Beyle vor allem in Paris, resp. in Mailand, inmitten seiner Freunde und Freundinnen. Also, Stendhal schreibt zu seinem Vergnügen! Aber, was tut man nur mit Freude? Das, wofür man sich interessiert. Woher kam dieses Interesse Stendhals an psychischen Beobachtungen, was führte ihn gerade auf diesen Weg? Es liegt uns fern, hier eine Biographie unseres Schriftstellers zu geben, ich möchte nur die hauptsächlichsten Funkte aus seinem Leben hervorheben, welche Stendhal zu dieser besonderen Art des Romanschreibens hätten führen können. 1 Die Familien Gagnon-Beyle zählten zu den besten Grenobles; 2. wenn sie auch nicht dem Adel angehörten, so waren sie doch nicht minder angesehen. Henri's Vater war ein geschätzter Advokat Ein gewisser Familienstolz beherrschte vor allem die Gagnons, und der vererbte sich auch auf unseren Schriftsteller. In seinem siebenten Lebensjahre starb seine von ihm so sehr geliebte Mutter; das lyrische Moment, um es so zu bezeichnen, in seiner Erziehung fiel fortan weg. Henri wurde zu Hause von Geistlichen unterrichtet, der Vater hielt ihn in strengér Zucht, Kameraden hatte er keine — Colomb versichert uns, dafs Henri bis in sein vierzehntes Jahr nicht mehr als drei oder vier gleichaltrige Freunde gehabt hatte — , sein einziger Verkehr ist mit Erwachsenen, und von ihnen ist ihm nur sein Grofsvater ein wahrer Freund; er liebt und verwöhnt seinen Enkel. Man denke sich nun diesen Jungen ausschliefslich im Verkehr mit Erwachsenen; er hörte ihre Gespräche mit an und was natürlicher, als dafs er sie nicht verstand. Seine Wünsche fanden bei dem verständnislosen Vater kein Gehör, er verlor das Vertrauen zu ihm und auch zu denen, die ihm diese Einsamkeit auferlegten, seinen Lehrern. Er sah in ihnen keine Ratgeber, Helfer, die es gut mit ihm meinten, sondern er sah in seiner Umgebung nur Peiniger, Widersacher, die versuchten ihn zu strafen, seinen Wünschen 1 Um sich über das Leben Beyles genauer zu unterrichten, verweise ich auf ,Notice sur la vie et les ouvrages de Henri Beyle par Richard Colomb', veröffentlicht als Einleitung zu Stendhals erstem Roman Armance, Paris, Calmann Lévy, ferner Chuquet, Stendhal-Beylc, Paris 1902. Von seinen eigenen Schriften will ich auf folgende hinweisen: Journal de Stendhal 1888; Vie de Henri Brulard 1890; Souvenirs d'Egotisme 1892; Correspondance p. p. A. P«upe 1908.

8 und Neigungen entgegen zu arbeiten. Ganz von selbst stellte sich da ein unbedingtes Mißtrauen ein, und wie soll dieses Mifstrauen anders zum Ausdruck kommen, als durch scharfe Beobachtung seiner ihm feindlichen Umgebung. Dazu noch die politischen Wirren, die Revolution, ,le jour des Tuileries', die Verhaftungen, die auch im öffentlichen Leben eine gewisse Vorsicht und Umsicht mit sich brachten. So wuchs der leidenschaftliche Knabe auf. Die Keime zur Beobachtung sind gegeben. Er blickt in des Menschen Herz, und wenn er auch manches Mal falsch urteilt, da er überall den Feind sieht, so sind die Richtlinien doch schon gelegt 3. Überspringen wir jetzt einige Jahre, in denen er die .¿cole centrale' in seiner Vaterstadt besucht. Als sechzehnjähriger Jüngling kommt er nach Paris, um dort seine Studien fortzusetzen. Hier in dieser neuen Umgebung setzt ihn zuerst alles in Erstaunen; wenn er auch in den letzten Jahren in Grenoble durch den Verkehr mit Klassenkameraden schon manche Erfahrung gemacht hat, er stand doch immer noch unter der Regierung seines Vaters. Hier geniefst er zum ersten Mal vollständige Freiheit Er tritt in persönlichen Verkehr mit Menschen. Am 10. November kam er in Paris an, jedoch schon im April des folgenden Jahres finden wir ihn auf dem Wege nach Italien, um in den Reihen des napoleonischen Heeres zu kämpfen. Diese Wendung in seinem Leben ist entscheidend für seine spätere Entwicklung. Hier sieht das offene, durch die Notwendigkeit geschulte Auge die Unterschiede, hier treiben ihn die Umstände zur Vergleichung. Was er früher aus Notwendigkeit tat, tut er jetzt aus Interesse. Das Temperament des Italieners ist so ganz anders als das des Franzosen, so dafs ihm, dem Beobachter, diese Verschiedenheit den Gedanken an eine Theorie des Milieus, des Klimas geben mufste. Er wird diesen Unterschied manchmal unangenehm empfunden haben, da man ihm anderes begegnete, als er erwartete, er suchte sich diese Enttäuschung zu erklären und eine Lehre daraus zu ziehen, bis er zuletzt fand, dem anderen Temperament und der anderen Denkungsart nicht Rechnung tragend, dafs alle seine Erklärungen falsch waren. Er behandelte anfanglich seine Umgebung als Franzosen, und wie bald mufste er da einsehen, dafs infolge des anderen Temperamentes auch andere Sitten herrschten. Einerseits kam ihm hierbei zustatten, dafs er bisher verhältnismäßig wenig Verkehr gepflogen hatte, andererseits aber, dafs er, veranlaßt durch den Verkehr mit Erwachsenen und ihm Unsympathischen, stets auf der Hut war, um nicht hintergangen zu werden. Dazu erkannte er dieses Mifstrauen, das alle südlichen Völker, in Ländern der Intrigue und Religion als Machtfaktor, kennzeichnet, und das bestärkte ihn natürlich in seinem eigenen Mifstrauen. 4.

Mit der Zeit findet er Vergnügen an solchen Beobachtungen seiner Umgebung, er spinnt seine Beobachtungen weiter, Theorien bauen sich darauf auf, und je mehr Sicherheit er in dem Sezieren des menschlichen Herzens erlangt, je systematischer er dieses treibt,

9 desto größeres Interesse gewinnen diese Beobachtungen für ihn. Er steht mitten unter den Soldaten, aus allen Teilen und Volksschichten Frankreichs zusammengesetzt, zu gleicher Zeit ist er in ständigem Verkehr mit Italienern. Welche Anregungen mufste gerade ßeyle hier finden! 1806 nimmt er am Kriege gegen Preufsen teil und 1 8 1 2 sieht er das brennende Moskau. Aber alle diese Beobachtungen sind nicht der Hauptzweck seines Daseins, sie sind eine Nebenbeschäftigung, sein Steckenpferd. Dieses Erkennen des Menschen hat jedoch auch seine Kehrseite; er sieht nicht allein das Gute im Menschen, er erkennt auch die Motive einer Handlung, und fürwahr, die sind nicht stets edel, nicht allein im Kriege oder auf einem Rückzüge, wie dem aus Rufsland, sondern auch im gewöhnlichen, privaten Leben. Er bekommt eine gewisse Scheu vor dem Menschen, er sieht, dafs er sich vor ihm in Acht nehmen mufs. So schreibt er schon 1805 an seine Schwester: „L'étude que j'ai faite des passions me rend soupçonneux, parce que je vois tous les possibles." Auf jeden Fall mufs Stendhal infolge seiner Veranlagung, begünstigt durch seine Erziehung, ein Sonderling gewesen sein, seine Werke lassen es uns erkennen; auch Colomb sagt am Anfang seiner Biographie von ihm: „l'homme le moins aisé à connaître que j'aie encore rencontré", und er war sein steter Freund. Versetzen wir uns in die damalige Zeit. E s war eine 5. Epoche gröfster Umwälzung und zwar in verhältnismäfsig kurzem Zeitraum. Die Aufklärung hat sich ihr eigenes Grab in der Revolution gegraben. Nach dem Niederreifsen des Königtums eine Herrschaft des Volkes, danach die Begeisterung für Bonaparte; nach seinem Sturz der Kampf für ,Thron und Altar', bis die Julirevolution das Bürgerkönigtum brachte. Infolge dieser ständigen Verschiebung innerhalb der Gesellschaft mufste natürlich manches Gemüt mit sich oder seiner Umgebung in Konflikt geraten. Man •wufste nicht, woran sich halten, nicht allein seinen Neigungen konnte man folgen in diesem Kampf der politischen Parteien, sondern man mufste stets im Auge behalten, auf welche Art man bei einem plötzlichen Umsturz am besten gesichert sei. So folgt auf den rauhen inhaltsreichen Zeitraum, in dem der freie Soldat die Gesellschaft beherrscht, ein neuer, in dem an die Stelle dieses offenen Wesens das Mifstrauen, ein , Sichverstellen' tritt; feinere Sitten kehren zurück, aber sie sind inhaltsleer, nur Formeln. Die Salons werden wieder eingerichtet, aber auch sie sind nur Abklatsch einer anderen Zeit, ohne inneren Wert. Während der Schriftsteller früher geradezu abhängig war von diesen Salons, ist er jetzt ungebundener, die Gesellschaft wirkt unmittelbar auf ihn, er schreibt, wie ihm gutdünkt, er schreibt für sein Publikum, nicht wie ehemals für die Gesellschaft. In dieser Zeit lebt Stendhal. Ihn müssen natürlich diese Um- 6. wälzungen noch mehr beeinflussen als einen gewöhnlichen Menschen. Er, von Jugend an, auf sich selbst angewiesen, fern vom politischen Leben, schaut nur zu. E r leidet aber, infolge seiner Beobachtung,

IO denn nicht greift er tätig ein, er, der soviel von der ,Energie' sprach. W a s s i n d nun s e i n e R o m a n e ? E i n H i n e i n s t e l l e n e i n e s I n d i v i d u u m s in d i e s e Z e i t d e s K a m p f e s ; er s c h i l d e r t uns d i e s e e l i s c h e n K ä m p f e , d i e s e i n H e l d zu b e s t e h e n hat, d i e P e r s ö n l i c h k e i t d e s s e l b e n b e t o n e n d in i h r e m Wachsen und Werden. Wir sehen nicht das Aufeinanderstofsen der Massen, der Gesellschaft, sondern ein persönliches, ein individuelles Ringen eines Einzelnen mit diesen Massen. 7. Die Darstellung dieses Individuums kann zweifach sein. Stendhal beobachtete eine Diskrepanz zwischen scheinbarem Motiv einer Handlung und wirklichem Motiv derselben, er zerlegt dieses Individuum geradezu in zwei Teile, eine Maske, die wir handeln sehen, und das ,Individuum an sich', welches eigentlich handelt, aber meistens nicht erkannt wird. Er beobachtete, dafs wir in einem ständigen ,Uns selbst Täuschen' leben. Als Julien kurz vor seinem Tode in seinem Kerker liegt, da kommt ihm in seiner Verzweiflung zum Bewufstsein, dafs er allein ist. Die Gedanken jagen sich, was drückt ihn nieder? „C'est l'air humide de ce cachot qui me faisait penser à l'isolement . . . " so sagt er sich selbst zur Beruhigung. „Et pourquoi être encore hypocrite en maudissant l'hypocrisie? Ce n'est ni la mort, ni le cachot, ni l'air humide, c'est l'absence de madame de Rénal qui m'accable." II, 248. Und so müssen wir auch bei der Betrachtung der Gefühle, denen wir im folgenden unsere Aufmerksamkeit schenken wollen, ein doppeltes unterscheiden: 1. Das reine Gefühl, welches sozusagen instinktmäfsig jede Handlung begleitet; infolge unserer stetigen Selbsttäuschung kommt es nur in den seltensten Fällen zum Bewufstsein. 2. Das .durchgeistigte' Gefühl, von Verstand und Willen durchsetzt. Wir sind sozusagen zu feig, um uns das wahre Motiv einer Handlung zu vergegenwärtigen, um uns das wahre Gefühl einzugestehen. Wir nehmen Rücksicht auf Anstand und gute Sitte, und zerstören damit unsere eigene Natur, unseren höchsten Genufs, wir unterdrücken einen Teil der Empfindungen und Gefühle, die uns bewegen, zu unserer Selbstberuhigung. 8.

Die Darstellung einer grofsen Anzahl von Gefühlen kann also eine doppelte sein. Die realistischere ist für gewöhnlich die der wahren Gefühle, da anderenfalls es sehr nahe liegt, dafs der betreffende Schriftsteller ironisch wird, d. h. wenn er sich, wie Stendhal, dieses Unterschiedes bewufst ist. Der Leser von Armance kann sich z. B. anfanglich kein klares Bild von Octave, Armance und vor allem von Madame de Bonnivet machen, bis er auf einmal merkt, dafs alles nichts anderes als eine ,Mache' ist. In Armance stöfst Stendhal noch an verschiedenen Stellen den Leser auf diese verschiedene Auffassung der Gefühle, z. B. „C'est par lâcheté et non par manque de lumières que nous ne lisons pas dans notre coeur, . . . " 47, oder „C'est par crainte de se trahir et non par mépris, qu'elle avait mis tant d'attention à n'avoir jamais avec lui de conversation intime 65. Ce qui est admirable, c'est que notre

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philosophe n'eut pas la moindre idée qu'il aimait Armance d'amour . . . " 63. In Armance schildert also Stendhal die Personen so, wie sie dem gewöhnlichen Menschen scheinen, er sieht sie anders, und lacht im stillen über die anfänglich verkehrte Auffassung des Lesers. Hier ist er in seinem Element, der Zug des Spottes liegt um seine Lippen; das mufs es auch sein, was Stendhal so anziehend an Armance erscheint, was es für ihn zum Lieblingswerke machte, hier schrieb er aus seinem Innern heraus. In L e Rouge et le Noir führt uns Stendhal beide Gefühls- g. arten vor, aber er schildert nicht von einem Gesichtspunkt aus gesehen, sondern je nachdem es der Stoff verlangt. Z. B. „Une chose singulière qui trouvera peu de croyance parmi nous, c'était sans intention directe que madame de Rénal se livrait à tant de soins. Elle y trouvait du plaisir, et sans y songer autrement, tout le temps qu'elle ne passait . . . avec les enfants et Julien, elle travaillait avec Elisa à bâtir des robes." I, 4g. In diesem Roman ist die verschiedene Darstellungsart gegeben durch die Zeichnung der Charaktere. Während wir im ersten Teil uns in der Provinz befinden, spielt der zweite in Paris. Madame de Renal ist zu naif, um sich ihre wahren Gefühle zu gestehen, sie lebt ihren Gefühlen. Sie legt sich gar keine Rechenschaft ab von ihrem Herzenszustand, sonst müfste sie doch viel eher von Gewissensbissen geplagt werden. Der Leser weifs also stets, was sie wirklich fühlt, madame Derville weifs es, nur madame de Renal weifs es nicht, sie kann oder will sich selbst nicht erkennen. Wie anders bei Mathilde, hier beherrscht Verstand und Wille das Gefühl; sie erkennt sofort ihre Liebe zu Julien. Die ,Kristallisation' findet auch hier statt, aber unter den Augen des Lesers. Julien spielt stets seine Rolle, er handelt nicht, wie die Gefühle es ihm eingeben, über ihn bestimmt der Wille. E r liebt madame de Rénal, aber er wird nicht ihr Liebhaber, er wird ihr Verführer. In der Chartreuse ist die Darstellung noch objektiver als hier. Die Darstellung der Gefühle bringt manche Schwierigkeiten 10. mit sich. Die wollen wir, bevor wir uns ihrer eigentlichen Besprechung zuwenden, kurz ins Auge fassen. Stendhal spricht einmal selbst darüber: „ O n peut imaginer ou peindre mal un costume du moyen âge (nous n'avons qu'une demi-connaissance des usages et des costumes que l'on portait dans l'antichambre du cardinal Richelieu), tandis que nous jetons le livre avec dégoût, si l'auteur peint mal le coeur humain . . . N'oublions pas un autre avantage de l'école de sir Walter Scott, la description d'un costume et la .pose' d'un personnage, quelque subalterne qu'il soit, prennent au moins deux pages. Les mouvements de l'âme, qui d'abord coûtent tant de peine à trouver, et qui ensuite sont si difficiles à exprimer avec justesse, sans exagération ni timidité, fourniraient à peine quelques lignes." Walter Scott et la princesse de Cleves, 294, 295. Wirklich, Stendhal hat mit diesen Worten nicht unrecht Jeder kennt das menschliche Herz soviel, dafs er beurteilen kann, das ist

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möglich, das ist unmöglich. Jeder Gebildete kann ihn kontrollieren in seinen Beobachtungen. Bei einer solchen Darstellung mufs also der Schriftsteller seine eigene Persönlichkeit ganz in den Hintergrund treten lassen. Es ist aber nicht zu verhindern, dafs eine Person, durch irgendwelche Stimmungsänderung oder Neigung des Autors hervorgerufen, einmal anders handelt, als es ihrem bisher gezeichneten Charakter entspräche. Der betreffende Charakter bekommt einen Knick, der unter Umständen dem aufmerksamen Leser nicht entgeht, ihn sogar stört. Wie leicht kann es vorkommen, dafs ein Schriftsteller, infolge der Nichtübereinstimmung mit einer Handlungsweise, sich erregt, und alsdann ganz unbewufst der betreffenden Person etwas von seinem eigenen Gefühlsleben einflöfst Das finden wir auch bei Stendhal, und leider gerade an einer entscheidenden Stelle des Le Bouge et le Noir. Sehen wir uns einmal die betreffende Stelle etwas genauer an. Julien ist mit Hilfe einer Leiter in Mathildens Zimmer gelangt. Augenblicke der gröfsten Verlegenheit folgen . . . Elle n'avait nullement prévu l'état affreux où elle se trouvait. Stendhal erzählt weiter: „II faut cependant que je lui parle, dit-elle à la fin, cela est dans les convenances, on parle à son amant. Et alors pour accomplir un devoir . . . " Diese Art des Handelns ist die wahre Ironie auf das Wesen Mathildens. Soll sie wirklich in dieser allerdings grofsen Verlegenheit so vollständig ihre bisherigen Anschauungen, ihr bisheriges Wesen vergessen haben? Sie, die nur an den Zufall glaubte, die sich hinwegsetzte über alle ,convenances', handelt hier, weil es so Brauch istl Hat sich Stendhal nicht fortreifsen lassen? und aus reiner Entrüstung, Mathilde, ihren eigenen Anschauungen zuwider, so handeln lassen? Sie sieht das überlegene Gesicht Juliens, sie fühlt sich gedemütigt, bereut ihre Tat, und da soll sie in ihrer Liebe derart nachgeben, da soll sie in ihrer Hingabe an Julien nichts anderes sehen als eine Pflicht? So kommen wir denn zu dem Schlufs: In der Darstellung der Gefühle hat Stendhal das Verhältnis dieser zum Willen zu sehr zu Gunsten des letzteren gestaltet. Die meisten seiner Personen handeln, um ihrem Willen zu folgen, nicht um ihre Gefühle damit zu befriedigen. Und die Folge davon: sie sind in allen Dingen enttäuscht, und wie Stendhal und Julien sagen auch sie: ,N'est-ce qUe ça?' Dieses Mifsverhältnis hat auch Beyles Charakter gekennzeichnet, er sagte allzuoft, dem Inneren, das oft das Richtige trifft, entgegen: ,Ich will!' In der Chartreuse ist dieses Verhältnis zwischen Willen und Gefühl viel harmonischer. Der Italiener ist leidenschaftlicher, und das auf Kosten des Willens. Hier wird das Handeln nicht so oft durchbrochen von einem ,Ich will!', was nur all zu oft ein falscher Ausdruck von Charakterstärke ist. Trotz des anderen Temperamentes wird der Leser mehr Gefallen finden an dem leidenschaftlichen Handeln des Italieners, als an dem allzu sehr vom Willen abhängigen des Franzosen Stendhals. Dies macht das Abnorme in dem Menschen und in den Werken Stendhals aus!

13 Wenden wir uns nun zur Kritik dieser beiden Hauptwerke vom künstlerischen Standpunkte aus. In , L e Rouge et le Noir' erkennen wir deutlich in der Gestalt Juliens den jungen Beyle, wir meinen fast des Schriftstellers eigene Jugend mit ihren Kämpfen zu hören, und mehr als einmal siebt Stendhal in seinem späteren Leben sich dazu veranlaßt, dieser Behauptung entgegenzutreten, aber vergebens. Wir können uns ein Bild machen von Beyle, wie er leibt und lebt, und zuguterletzt müssen wir uns gestehen, dafs dieser Charakter uns abstöfst, uns niemals sympathisch sein kann, sein darf. Wir werden also durch diese Lektüre gleichsam aus der Gleichgewichtslage unseres Gefühlslebens herausgebracht, ohne wieder dahin zurückzukehren. Wir legen alle das Buch aus der Hand mit einem abfälligen Urteil über Julien, mit einer Verurteilung des Schriftstellers, der uns solch eine Gestalt vorführen konnte. Somit ist dieser Roman nach dieser Betrachtung als Kunstwerk verfehlt; denn Freude erregt der Anblick Juliens, des ganz gewöhnlichen Verführers, nicht. Die Persönlichkeit Stendhals hat sich zu sehr aufgedrängt, ohne dafs dieser Mangel durch die Zeichnung des Hauptträgers der Handlung beseitigt wird.

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Ganz anders in der ,Chartreuse'. Hier scheint nur gleichsam 12. wie durch einen Schleier die Persönlichkeit Stendhals hindurch, sie drängt sich nicht im geringsten auf, und trotzdem gelingt Stendhal eine ganz subjektive Darstellung. Hier sehen wir nicht, wie Stendhal ist, sondern wir können uns nur sagen, was er als Schriftsteller kannl und das eben gewährt uns diese begehrungslose Freude. Als Kunstwerk müssen wir die , Chartreuse' weit über die ,Le Rouge et le Noir' stellen, als Abhandlung eines Dilettanten über psychologische Fragen gebührt letzterem natürlich der erste Platz. Der Wert der beiden Werke ist also hiernach nicht zweifelhaft; wer sich erfreuen will, nehme die ,Chartreuse' zur Hand, wer psychologischen Problemen — die in seiner Vorliebe dafür oft zu psychologischen Spitzfindigkeiten ausarten — nachgehen will, verfolge die Handlung von ,Le Rouge et le Noir'. Schon allein der Titel des letzteren Werkes gibt uns ein Rätsel zu lösen. Lange tappte man im Dunkeln umher und stellte die verschiedensten Vermutungen darüber an, ehe man ihn richtig zu deuten vermochte. Dieser sonderbare Titel verrät uns die künstliche Mache, und nicht die künstlerische Entfaltung dieses Werkes.

II. Die Form bei Stendhal. W i e will Stendhal gelesen werden? Warum nennt Stendhal sein Hauptwerk , L e Rouge et le Noir' 1. und nicht, wie es doch so nahe gelegen, ,Julien Sorel'? Der ahnungslose Leser fragt sich selbst nach vorhergegangener Lektüre nach dem eigentlichen Sinn des Titels. Sind zwar auch im allgemeinen Romantitel ziemlich nichtssagend und undurchsichtig, so

»4 kann uns vielleicht doch diese Fassung des Titels schon einen kleinen Wink dafür geben, wie Stendhals Romane zu lesen sind. Klar zu Tage liegt ein Sinn, oder man glaubt dies wenigstens, aber erst durch Überlegen, durch Abstrahieren dringen wir tiefer in den Gedankengang Stendhals ein. „Rompre l'os et sugcer la substantifique moelle . . . pour fleurer, sentir et estimer ces beaux livres de haute gresse." Mit demselben Spürsinn müssen wir auch an Stendhals Werke herantreten. 1 8 3 4 schrieb er in einem Briefe „ . . . mon âme, à moi, est un feu qui souffre s'il ne flambe pas. 11 me faut trois ou quatre pieds cubes d'idées nouvelles, par jour, comme il faut du charbon à un bateau à vapeur." Diese neuen Ideen legt er selbstverständlich in seinen Werken nieder. Stendhal fing erst mit seinem 40. Jahre an, selbständige Schriften zu verfassen; bis dahin hatte er beobachtet, jetzt zehrt er von Erinnerungen, vergleicht, aber nicht die Tatsachen, hierfür hat er ein schlechtes Gedächtnis, sondern die Empfindungen, die ihn bewegten bei Betrachtung des Dinges. Ein reifer Mann schreibt, wir haben es nur zu tun mit dem Gedanken eines erfahrenen Menschen, was natürlich nicht ausschliefst, das Form und Stil unbeholfen sind. In dem A b s t r a k t e n l i e g t d e r Wert s e i n e r S c h r i f t e n , n i c h t in d e r D a r s t e l l u n g v o n T a t s a c h e n . Mag die Lebensbeschreibung des »Verführers' Julien auch abstofsend sein, sie ist für Stendhal nicht der Hauptzweck des Werkes, er sucht an der Hand dieses Lebenslaufes dem Leser ein Bild zu geben von der damaligen Zeit Er stellt gegenüber das Bürgertum dem Adel, das Leben in der Provinz dem in Paris; er beleuchtet die traurige Figur des .parvenu* im Lichte des Adeligen und dem des Bürgers, und trotzdem gelingt es ihm noch, auch seine Ansicht durchblicken zu lassen. E r vergleicht die Gegenwart mit der Vergangenheit! Zeitlich und räumlich überblickt er seinen Stoff, und bewundern müssen wir nur diese glänzende Zusammenfügung beider. Die eigentliche Erzählung bildet den Körper, die Beobachtung, auf Vergleichen fufsend, bildet die belebende Seele. Aber Stendhal macht die Lektüre seiner Schriften dem Leser nicht leicht. Zwar sagt er an einer Stelle, dafs der Schriftsteller dem Leser keine Möglichkeit eigene Gedanken anzubringen, offen lassen darf, dafs er deshalb bis ins kleinste Detail genau schildern mufs, um ihm diese possibilité de penser soi-même* zu nehmen; aber Stendhal fürchtet das Urteil der Welt! „Une autre chose m'empêche depuis dix ans d'écrire beaucoup de choses, la crainte que quelque cuistre indiscret ne se moque de moi en les lisant." (à Rich. Colomb, 4. Nov. 1834.) Stendhal ist ein verschlossener Charakter, am liebsten ist er allein, oder weilt abends in Gesellschaft einiger ,dames aimées'. Er fühlt sich stets überlegen und glaubt daher von niemanden verstanden zu werden. „Expérience . . . m'apprend que je ne cours pas le danger d'être compris, par une troisième raison que je dirais en grec, si je savais l'écrire. Comme les Béotiens, je tends mes filets ,trop hauts', (à R. Colomb,

15 ib.) — Man vergleiche hierzu eine Stelle aus L . L. 85. „ T u tends tes filets trop hauts, comme dit Thucydide des Béotiens. Et Lucien répéta les mots grecs que j'ignore." L. L. ist in den Jahren 1834/36 geschrieben, so dafs wir annehmen können, dafs die beiden Stellen zu derselben Zeit entstanden sind. Fast sämtliche Bilder und Vergleiche Stendhals können wir doppelt belegen. Es gibt uns dies ein richtiges Bild von der geringen Elastizität des Stendhalschen Geistes. — An derselben Stelle sagt er: „ L a vergogne de voir un indiscret lire dans mon âme en lisant mes papiers, m'empêche depuis l'âge de raison, ou plutôt de passion, d'écrire ce que je sens, ou plutôt les aspects sous lesquels je vois les choses, aspects qui sembleront peut-être amusants au lecteur, si, par hasard, il a une âme mélancolique et folle comme la mienne." Stendhal geht es wie Julien. „Mathilde était ivre de son savoir à peu près comme l'académicien qui découvrit l'existence du roi Feretrino. L'oeil de Julien resta pénétrant et sévère. Mathilde avait eu un moment d'enthousiasme, la froideur de son partner la déconcerta profondément. Elle fut d'autant plus étonnée, que c'était elle qui avait coutume de produire cet effet-là sur les autres." II, 36. Mathilde hat ihren Meister gefunden in Julien, Stendhal fühlt sich als Meister seiner Umgebung gegenüber. Nur ,une âme mélancolique et folle' kann vielleicht, durch Zufall, sein Wesen ergründen. Stendhals Charakter bringt es mit sich, dafs er sich, seine 3. Gedanken und Ansichten zu verbergen sucht, sei es, dafs er erstere in seinem Selbstbewußtsein für zu gut hält, um sie einer ,bornierten' Masse preiszugeben, sei es, dafs er gerade an diesem seinen ,Ich' Zweifel hegt, „ L a défiance de soi-même qu'a toujours l'homme qui débute, quelque grand qu'il soit . . (Préf. de Nap.). Warum übersetzte denn Beyle seine ,Haydine'? Sein Geist war doch sicherlich schon damals gewachsen, ein eigenes Werk zu schreiben, aber das Vertrauen in sich, das fehlte ihm, und man kann wohl sagen, ganz hat er dieses niemals gefunden. Hand in Hand hiermit geht ,1a peur du ridicule'! Wie fürchtet er in seinen Briefen, besonders denen der Jugendzeit dafs ein anderer, unberufener sie zu lesen bekäme, fast jedesmal schliefsen sie mit einem ,Garde-toi de la montrer' und ähnlichem. Stendhal gibt keine Tatsachen wieder, bei welchen es in der Möglichkeit eines jeden steht, ihre Richtigkeit nachzuprüfen. E r schreibt ,ce qu'il sent ou plutôt les aspects sous lesquels il voit les choses'. Sein Geist zielt auf das Abstrakte, und so wird trotz dieser höchst subjektiven Betrachtungsweise, infolge Stendhals Veranlagung, die Darstellung nahezu objektiv. Dieses »Mifstrauen in sich' ist bei Stendhal eine Folge seiner 4. scharfen Beobachtungsgabe. Mit seinem objektiven Auge sieht er die Dinge, wie sie sind, und wahrlich, er entsetzt sich oft selbst über seine Beobachtungen. In L. L. sagt er: „II sera même curieux d'observer philosophiquement comment les pensées ridicules ou basses peuvent ne prs gâter r.ne telle physionomie

i6 (comme celle de madame de Chasteller). C'est qu'au fait rien n'est ridicule comme la science de Lavater." 194. Dem Âufseren, dem Gesichtsausdruck ist nichts zu entnehmen. Julien macht dieselbe Erfahrung: „Monsieur Pirard était sans contredit le plus honnête homme du salon, mais sa figure couperosée, qui s'agitait des bourrèlements de sa conscience, le rendait hideux en ce moment. Croyez après cela aux physionomies, pensa Julien; c'est dans le moment où la délicatesse de l'abbé Pirard se reproche quelque peccadille qu'il a l'air atroce, tandis que sur la figure de ce Napier, espion comme de tous, on lit un bonheur pur et tranquille." II, 9. Wie oft wird auch Stendhal ausgerufen haben. , Croyez après cela aux physionomies!' Dieses Mifstrauen gegen alles, was ihn umgibt, mufste seinem Selbstbewußtsein scharf zusetzen, und sollte ihm da nicht der Gedanke gekommen sein, dafs sein eigenes Innere ihn ebenso hintergehen kann, wie die anderen? Seiner Umgebung kann er nicht trauen, und bei seinem ungläubigen Charakter mufste er erst sichere Beweise dafür haben, dafs er sich auf sein eigenes Innere verlassen kann. Auch er erkannte das ,Menschliche, Allzumenschliche' und auch für ihn gab es eine Zeit der Umwertung. Welches Ringen mufste ihn das kosten! Es entsteht in ihm der Gedanke, dafs er sich von den anderen, von seiner Umgebung unterscheidet, j a er sieht sie oft als seine Widersacher an, ,ces cuistres', und was ist da natürlicher, als dafs er seine Mitmenschen fürchtet? E r liegt mit seinem Leser geradezu im Krieg, er scheut deshalb keine kriegsmäfsigen Mittel, im Gegenteil, er ist darauf angewiesen, um den Sieg davon zu tragen. E r steht allein, und ihm gegenüber das ganze Heer seiner Leser. Da kann er keinen offenen Krieg führen, sondern durch List mufs er seine Bewegungen zu verdecken suchen, um den Feind allmählich zu überwinden, nicht die ganze Schar auf einen Schlag, sondern einen nach dem andern. Seinen Leser zu hintergehen, ihn zu foppen, mit einem Wort, zu .mystifier' ist keine böse Tat bei ihm, im Gegenteil, die Umstände zwingen ihn dazu, ,à la gueiTe comme à la guerre'. Stendhal weifs Krieg zu führen, er hatte den besten Lehrmeister darin. Also, diese Angst sich lächerlich zu machen, ist erklärlich. E r geht aber soweit darin, dafs er nur das seinem Leser vorzusetzen wagt, was unanfechtbar ist, also das Allgemeine. E r redet teilweise in Sentenzen! Aber trotzdem, auch er mufs manchem gegenübertreten, auch er sucht sich Befreiung von einem inneren Drucke, dadurch, dafs er sein Urteil verkündet. Auf welche Art tut er dies? Niemandem will er dabei zu nahe treten, nichts liegt ihm aber femer, als seine Meinung preiszugeben; nur wer deren würdig ist, wer ihm gewachsen ist, der soll sie erkennen. Unterschiede herauszufinden genügt ihm nicht, wohl jeder merkt, dafs er es bei Stendhal mit einer besonderen Art der Darstellung zu tun hat, ganz unbewufst fällt ihm dies auf; aber der Scharfsinn des Lesers mufs viel feiner sein, auch die Nuancen mufs er fühlen.

*7 Um soweit vorzudringen, gehört eine innige Vertrautheit mit unserm Schriftsteller. Sein Werk gleicht der besten Pariser Gesellschaft. „Les hommes réunis dans ce salon semblèrent à Julien avoir quelque chose de triste et de contraint; on parle bas à Paris et l'on n'exagère pas les petites choses." Der gewöhnliche Sterbliche versteht diese Sprache überhaupt nicht, er wiegt sich in den schönsten Träumen, glaubt sich sicher, sogar geehrt, er merkt gar nicht, wie man sich lustig über ihn macht. Kein Lachen, keine Muskel verzieht sich, wenn dieser Pariser zurecht weist, mag der Fehler auch noch so grofs sein, noch so lächerlich in seinem Geiste scheinen. Als z. B. Julien, „intimidé de voir un si grand seigneur descendre à ces détails dem Marquis antwortet, dafs er sich zwei Hemden bestellt habe, — »Fort bien, reprit le marquis d'un air sérieux et avec un certain ton impératif et bref, qui donna à penser à Julien ; fort bienl Prenez encore vingt-deux chemises. Voici le premier quartier de vos appointements" 1, 240. Stendhal hat auch „cette mine froide et à mille lieues de la sensation présente que nous cherchons tant à nous donner" II, 27. Stendhal sucht zu .mystifier', aber er freut sich, für die ge- 5. wohnlichen Menschen ein .mystère' zu bleiben; darauf, dafs er nicht von jedem verstanden wird, ist er stolz, denn er unterscheidet sich von diesen, hat nichts mit diesen gemein, er hebt sich also aus der Masse. Ich möchte an einem Beispiel erläutern, wie Stendhal gelesen 6. werden will. Die Stelle heifst: „Une haute naissance donne cent qualités dont l'absence m'offenserait; j e le vois par l'exemple de Julien, pensait Mathilde; mais elle étiole ces qualités de l'âme qui font condamner à mort. En ce moment quelqu'un disait près d'elle: ce comte Altamira est le second fils du prince de San Nazara-Pimentel ; c'est un Pimentel qui tenta de sauver Conradin, décapité en 12Ô8. C'est l'une des plus nobles familles de Naples. Voilà, se dit Mathilde, qui prouve joliment ma maxime. L a haute naissance ôte la force de caractère sans laquelle on ne se fait point condamner à mort! Je suis donc prédestinée à déraisonner ce soir. Puisque je ne suis qu'une femme comme une autre, eh bienl il faut danser. Elle céda aux instances du marquis de Croisenois, qui depuis une heure sollicitait une galope. Pour se distraire de son malheur en philosophie, Mathilde voulut être parfaitement séduisante, monsieur d e Croisenois fut ravi . . ." Was sagen uns diese wenigen Zeilen? „Je suis . . . il faut danser." Die von Mathilde aufgestellte Regel hat Giltigkeit, sie entspringt einer genauen Beobachtung ihrer Umgebung! Stendhal gibt hiermit dem Adel den Todesstofs. Scheinbar widerruft Stendhal mit den dann folgenden Worten Mathildens seine Behauptung, in Wirklichkeit bekräftigt er sie aber; denn Altamira stammt nicht aus französischem Adelsgeschlecht, er ist Italiener, dem Lande der verkörperten Energie. In Frankreich vernichtet die hohe Geburt eben diese Energie, an ihre Stelle tritt ,l'hypocrisie'; ein SalonBiihcft tur Zeitschr. f. rom. Phil. X X X V .

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i8 leben, wo durch Protektion jedes Handeln, Jedes Verdienst untergraben wird. Anders in Italien! Aber auch zeitlich ist diese von Mathilde aufgestellte Regel zu beschränken; in ihrer eigenen Familie, „son aieul à lui était de la cour, et eut l'honneur d'avoir tranché la tête en place de grève, le 26 avril 1 5 7 4 , pour une intrigue politique." I , 233. Das sechzehnte Jahrhundert atmete diesen Geist der Energie, die Jetztzeit aber ist nur zu bedauern, da ihr diese Energie abgeht, infolge dessen dieser Mangel an ,action'. Also Mathildens Behauptung bleibt vollauf bestehen, denn Stendhals Absicht ist es, die Zustände in den höheren Gesellschaftsklassen seiner Zeit darzustellen. Mathilde hat recht gedacht; und wie bezeichnend die Worte: ,Je suis donc prédestinée à déraisonner'. Raisonner liegt nicht in der Veranlagung der Frau, fast instinktmäfsig, infolge der unmittelbaren Wirkung des Milieus, in welchem sie ständig lebt, hat sie das Rechte getroffen, diesen Gedanken aber weiterzuspinnen, ihn auszudenken, ihn zeitlich und räumlich zu fixieren, das ist der Frau nicht gegeben, mag sie selbst ein so männlicher Charakter sein, wie Mathilde. Die Frau denkt nur an die unmittelbare Gegenwart. Wie hätte sonst Mathilde so urteilen können, da doch einer ihrer eigenen Ahnen hingerichtet wurde! Am 30. April kleidet sie sich noch heute schwarz, um damit in Erinnerung an den Todestag ihres grofsen Ahnen ihre Verehrung für ihn zu zeigen. — Ist es Absicht Stendhals, dafs er hier den 30. April ansetzt, während der Abt Pirard den 26. angab? sollte Stendhal sein schlechtes Tatsachengedächtnis auch auf diesen übertragen haben? nach seiner sonstigen Genauigkeit zu schliefsen legt er absichtlich ein naheliegendes Datum Pirard in den Mund. — Wieviel Männer denken nicht weiter als Mathilde! Aber trotzdem, Mathilde unterscheidet sich von ihren Genossinnen. Sie sieht ein, dafs ihr Verstand nicht zum Denken eingerichtet ist, ,eh bien! il faut danser 1 . Das ist nach Stendhals Ansicht die ganze Bestimmung der Frau, sie ist nur da, um dem Manne angenehme Stunden zu bereiten. Mathilde erkennt in diesem Augenblicke ihre wahre Aufgabe und mit vollem Willen weicht sie den Wünschen Croisenois ,il fut ravi'. Kein Semikolon davor, kein ,en', nichts als diese einfachen Worte. Welche Ironie, ,il est la dupe de Mathilde'; er glaubt durch Verdienste und Bemühungen, durch seine Gestalt und anregende Unterhaltung Mathilde an sich gefesselt zu haben, und wie täuscht er sich da. Armer monsieur de Croisenois! Was entnehmen wir also diesen drei Zeilen? 1 . Im Jahre 1830 vorenthielt die hohe Geburt in Pariser Kreisen jene Charakterstärke, jene Energie, die, wie Stendhal sich ausdrückt, unbedingt notwendig ist, um sich zum Tode verurteilen zu lassen. 2. Die Denkart der Frau ist zwar richtig, aber unzureichend. 3. Ihre Bestimmung ist es dem Manne zur Unterhaltung zu dienen.

19 4- Die jungen adeligen Herren handeln nicht mehr, wir sind in einer Zeit der , décadence'. Fassen wir kurz zusammen. Um Stendhal zu lesen, dürfen wir uns nicht mit dem begnügen, was er uns vorlegt, sondern mit seinem weiten Blicke ausgestattet, müssen wir vergleichen mit anderen Orten, mit anderen Zeiten! Mit einem gewissen Spürsinn müssen wir ihn ganz verstehen und sein Werk richtig einschätzen. Im letzten Kapitel haben wir schon gesehen, dafs Stendhal seinem Werke eine ihm eigentümliche Gestaltung gegeben hat. Um in seine Werke einzudringen, müssen wir uns dem Wesen des Schriftstellers anpassen, und zwar mehr als bei jedem anderen. Wir sahen, dafs Stendhal nicht frei herausspricht, wie sein Inneres es ihm sagt, sondern dafs er die unmöglichsten Verzerrungen macht, um dem Leser sein Wesen zu verbergen. Das war eben die Natur Stendhals, er konnte nicht anders schreiben, er merkte gar nicht, wie er sich selbst hinterging, dem aufmerksamen Leser kann das aber nicht entgehen. Denn dieses ,Sichwinden und drehen' beeinträchtigt die Form seiner Darstellung. Wir merken, dafs es ihm nicht leicht fällt, seine Gedanken in der gehörigen, unauffälligen Weise in Worte umzugiefsen, und dafs es ihm oft Mühe macht, in seinem Stoffe das innere Erlebnis nachzugestalten. Er konstruiert, anstatt nachzuahmen! Kein Zweifel, Stendhal versteht es mit wenigen Worten einen Charakter oder die Motive einer Handlung bis ins einzelnste wiederzugeben, aber diese seine Art macht auf den Leser den Eindruck einer Projektion des betreffenden Gegenstandes, anstatt eines Gemäldes. Stendhal arbeitet gleichsam mit Zirkel und Lineal, und nicht, wie der Künstler, mit dem Pinsel. In dieser Beziehung ist für den Leser die .Chartreuse' viel ansprechender, hierin gibt sich Stendhal viel natürlicher, er denkt sich in Fabrice hinein, der in so vielen Stücken von dem Schriftsteller verschieden ist, im Gegensatz zu Julien, der seinem Charakter zu sehr ähnelt. Und wie ein Volk, welches gleichzeitig zwei ähnliche Sprachen nebeneinander spricht, keine in ihrer vollen Reinheit anzuwenden vermag, so ging es auch Stendhal, die Nachahmung beeinträchtigte die Konstruktion, die nicht in seinem Gemüte wurzelte.

Über den Stil Stendhals. Jedes Kunstwerk aber hat seine bestimmte Form, seinen Stil. Auch an ihn stellt der Leser gewisse Anforderungen. Er will weder gelangweilt werden, noch verwirrt werden. Das Kunstwerk mufs also einerseits eine gewisse Mannigfaltigkeit, andererseits eine gewisse Einheit bilden. Eine Anzahl von Einzelheiten mufs in gefälliger Weise zu einem ganzen gefügt sein, das Werk mufs in der richtigen Art durchkomponiert sein. Um es mit einem Wort zu sagen: Das Kunstwerk mufs uns beschäftigen. Wie steht es hiermit in Stendhals Romanen? ,Le Rouge et le Noir' ist einer Grunda*

20 idee untergeordnet: Die Entwicklung Juliens im Getrièbe seiner Zeit. Wir behalten Julien stets im Auge, wir verfolgen seinen Werdegang von seiner Geburt bis zum Tode. Einen tiefen Einschnitt erhält diese fortlaufende Erzählung nur dadurch, dafs Juliens erste Jugend sich in der Provinz, später aber sich in Paris abspielt. Hierdurch wird eine Mannigfaltigkeit erreicht, die sich der Grundidee sehr passend angleicht. Ganz anders in der .Chartreuse'. Hier haben wir es mit einer ganzen Reihe von Anekdoten zu tun, die nur ganz äufserlich aneinander geknüpft sind durch den Namen Fabricens. Die Schilderung der Schlacht von Waterloo könnte so gut eine Erzählung für sich bilden, wie die Liebe Fabricens zu Clêlia oder das Verhältnis Frau Sanseverinas zum Grafen Mosca. Das Werk fällt auseinander, und gerade das schadet der ,Chartreuse' als Kunstwerk am allermeisten. Aber neben diesen grofsen Zusammenhängen enthält jedes Schriftwerk eine grofse Menge von Einzelbeobachtungen, die für die Gesamtentwicklung nicht von Bedeutung sind. Sie machen in gewissem Sinne den individuellen Stil eines Werkes aus und lassen somit die persönliche Teilnahme des Autors an seinem Werke erkennen, und zu gleicher Zeit geben sie uns auch ein Bild von dem Stil des Schriftstellers. Und so wollen wir uns denn, nach einer kurzen Betrachtung des Stiles Stendhals diesen Exkursen zuwenden. Lanson sagt in seiner Literaturgeschichte über den Stil Stendhals folgendes (S. 995): „ L a forme dans Stendhal est indifférente. Elle n'existe pas comme forme d'art, elle n'est que la notation analytique des idées. Notre romancier a appris à écrire dans l'Art de Raisonner, l'Art de Penser et la Grammaire de Condillac." Sehen wir uns vorerst Stendhals Ansichten über den Stil an. Es ist vielleicht die einzige Sache, über welche er während seines ganzen Lebens seine Ansichten nicht geändert hat. In nahezu allen seinen Schriften finden wir Stellen, in denen er seine Verurteilung ,Du style académique' in scharfen Worten kundgibt. Er entrüstet sich dabei fast jedesmal, z. B. Rae. et Shak., 1 8 2 3 — 2 5 veröffentlicht, „Mais enfin, si monsieur Villemain ou monsieur de Jouy avaient reçu par la petite poste le manuscrit de ,La vie de Rossini', ils l'auraient considéré comme un ,écrit en langue étrangère', et l'auraient .traduit' en beau style académique dans le goût de la préface de la République de Cicéron, par M. de Villemain, . . . Bonne aventure pour le libraire, qui aurait eu vingt articles dans les journaux, et serait maintenant occupé à préparer la sixième édition de son livre. Mais moi, en essayant de l'écrire de ce beau style académique, je me serais ennuyé, et vous avouerez que j'aurais fait un métier de dupe. A mes propres yeux, ce style arrangé, compassé, plein de chutes piquantes, ,précieux', s'il faut dire toute ma pensée, convenait merveilleusement aux Français de 1785. Monsieur Delille fut le héros de ce style: j'ai tâché que le mien convînt aux enfants de la révolution, aux gens qui cherchent la pensée plus que la beauté des mots, aux gens qui, au lieu de lire

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Quinte Curce et d'étudier Tacite, ont fait la campagne de Moscou et vu de près les étranges transactions de 1 8 1 4 . J'ai ouï parler, à cette époque, de plusieurs petites conspirations. C'est depuis lors que je méprise les conspirations en vers alexandrins, et que je désire la .tragédie en prose'. Im Jahre 1 8 4 1 haben sich seine Ansichten über die Prosa noch nicht geändert, vgl. den Brief an M. Désiré Laverdant vom 8. Juli 1 8 4 1 . Über seinen Stil schreibt er am 8. November 1 8 3 4 an M ml! J . Gaulthier: „J'ai écrit un roman intitulé ,L'Orange de Malte'. Le héros . . . Cela est écrit comme le Code civil. J'ai horreur de la phrase à la Chateaubriand", und die George Sands ist ihm noch unsympathischer. In einem Anhang zu Rae. et Shak. gibt Stendhal mit Crozet 4. zusammen „Un petit commentaire sur un passage de chacun des grands écrivains français". Dieser kurzen Abhandlung wollen wir die hauptsächlichsten Theorien Stendhals über den Stil entnehmen. Was ist Stil? „Ajouter à une pensée donnée toutes les circonstances propres à produire tout l'effet que doit produire cette pensée" 3 1 1 . In Stendhals Correspondance vom Jahre 1 8 3 8 finden wir folgende Stelle: „Servez-vous du français employé dans les traductions de M. M. de Port-Royal, publié vers 1660. Selon eux on ne dit pas avoir une passion ,au coeur', ils disent ,dans le coeur'. C'est le Charivari (Pariser Witzblatt) qui dit 'au coeur'. L e Charivari est admirable, quand il fait rire, et non par son style .prétentieux' ". Oder „II me semble que j'aurai toujours le courage de choisir le mot inélégant, lorsqu'il donnera une nuance d'idées de plus." (Préf. de Nap.). Schon in dieser Definition erkennt man die realistische Tendenz, welche Stendhal auch in seiner Darstellung vertritt. „ L e style doit être comme un vernis transparent, il ne doit pas altérer les couleurs, ou les faits et pensées sur lesquels il est placé" 302. Der Stil Fénelons, der die Natur wiedergibt, wie ein treuer Spiegel, ohne ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit zu schaden, ist sein Vorbild. „Décrire les choses, et non pas la situation de son âme en les voyant", charakterisiert Stendhals Stil. Die Art Rousseaus, ,d'introduire partout le sentiment' gefallt ihm gar nicht. Fénelons System ist es, die Dinge darzustellen, ohne von ihrer Wirkung auf den Leser zu sprechen. Nur wenn diese Wirkung für jeden klar, unumstößlich ist, dann erlaubt er sich sein Urteil in die Darstellung einfliefsen zu lassen. So sagt er: ,les parfums doux', ,1a fatigue produite par la chaleur'. Stendhal versichert uns, dafs „on peut sans sortir de la manière de Fénelon, décrire l'état d'un coeur aussi bien que Jean-Jacques. Mais on ne peut nous dire, ce que nous devons en penser, on ne peut nous faire notre sentiment, on nous laisse à nous-mêmes. Rousseau nous dit de chaque chose ce que nous devons en penser. Non seulement Rousseau s'expose au ridicule, de se voir nier son assertion, mais souvent il provoque le lecteur, en disant des injures aux gens qui seraient tentés de nier", 3 1 4 . In einem Briefe sagt er über seine Abhandlung ,De l'Amour' folgendes: „Ce livre est

22 une monographie de la maladie nommée , amour*. C'est un traité de médecine morale. Rien ne s'adresse aux sens. Le langage est sévère et philosophique, précisément pour éloigner les idées voluptueuses ou d'idylle, que le titre peut suggérer à quelque jeune lecteur". Wie Stendhal sich hierzu in seinen späteren Schriften und Romanen verhält, werden wir unter den Exkursen erwähnen. Seine Darstellung ist nicht ganz so objektiv, wie er es hier verlangt, aber das dient seinen Schriften nur zum Vorteil. Wie tritt hier bei Stendhal ,1a peur du ridicule' deutlich zu Tage! Endlich zieht Stendhal die kurzen Sätze vor. Man ist gezwungen jedesmal einen klar abgegrenzten Gedanken darin niederzulegen. Rousseau erwirbt durch seinen Wortschwall die Zuneigung seines Lesers in starkem Mafse. „II nous fait admettre beaucoup de choses que nous rejetterions si nous n'étions pas sous le charme. Les premiers sont tout esprit, et Rousseau parle principalement au coeur", 316. Der Gedankenreichtum bedingt Stendhals trockenen Stil! es fehlt ihm an einer gewissen Plastik! Und betrachten wir die Exkurse — wir werden sehen, in welcher Überzahl die absichtlich gesetzten auftreten — so müssen wir sagen, dafs Stendhal im allgemeinen seiner Theorie gefolgt ist, soweit dies überhaupt bei einem Schriftsteller möglich ist. Er ist in seinen Werken Denker. Wo ein anderer Schriftsteller seine Gefühle verraten hätte, da setzt er seine Vergleiche mit anderen Dingen. „Primo vivere, deinde philosophare (sic). Pour moi je remplace le premier par le second" schreibt er schon als junger Mensch an seine Schwester. Oder „II faut beaucoup médire, et quoi qu'on voit tâcher d'en savoir la cause", „. . . comparer, c'est-à-dire observer, alternativement et avec attention, l'impression que font sur toi des objets quelconques . . . " Und wenn er einmal gegen seine Theorien verstöfst, so ist selten die ihn beherrschende Gemütsbewegung daran schuld, sondern meistens kann er es nicht unterlassen, seinen einmal gefafsten und für gut gefundenen Gedanken nicht niederzuschreiben. Dieses Bedürfnis seine Gedanken niederzulegen wird bei ihm gleichsam zum Affekt, zu einem intellektuellen Affekt. Dafs der Stil Stendhals nicht mustergültig ist, darüber sind wir uns alle einig. Etliche Eigentümlichkeiten will ich nicht versäumen zu erwähnen. Geben wir den Gedankenreichtum Stendhals zu — es brauchen ja nicht stets eigene zu sein — wie steht es aber mit „la rapidité, la concision du style", mit der Kürze und Bündigkeit im Ausdruck? In der vorher erwähnten Stelle wirft er dem sogenannten ,style académique' vor, dafs er anstatt die Dinge bei ihrem wahren Namen zu nennen, vorzieht, sich in abstrakten, nichtssagenden Redewendungen zu ergehen. An häufigen Stellen des ersten Bandes von Le Rouge et le Noir bemerkt man, dafs Stendhal mit Absicht diesem Übelstande entgehen will, indem er, dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zuwider, den Gegenstand unmittelbar nennt Z. B. Une âme faite pour aimer ce qui est beau, an Stellen des geläufigeren ,1a beauté'. Stendhal erstrebt damit

23 größere Genauigkeit, und so bringt er häufig durch die betreffende Wendung eine seelische Funktion richtig zum Ausdruck, im Gegensatz zu dem volkstümlichen resp. dem geläufigeren Ausdruck, der ja gerade in dieser Hinsicht viele Ungenauigkeiten aufweist. Schon Stendhal sagte wohl ,Es denkt in mir', anstatt ,Ich denke', wie z. B. folgendes Beispiel deutlich erkennen läfst. „Quelque épervier . . . était aperçu de lui de temps à autre . . . I, 62. Diese passivische Konstruktion entspricht genau einem „Es wird gedacht durch mich". Oder „ L a beauté, la fraîcheur, l'élégance le trouvèrent presque insensible", wo er das Subjekt zum Objekt macht. „Tout à coup un archet frappa le pupitre", Ch. 419, vgl. id. 8. Alsdann setzt Stendhal, wo gewöhnlich der Einfachheit halber die Person gesetzt wird, den betreffenden Teil, der davon betroffen wird. „L'oeil de Julien observait machinalement l'oiseau de proie", I, 62. „Vous allez sortir, lui disait-on toujours", 1 , 2 1 9 , w o > on * s o y i e ' bedeutet wie Madame de Rénal, aber nicht das eigene Gefühl sagte ihr dies, sondern das Pflichtbewufstsein in ihr. Stendhal glaubte ungenau zu sein, und da er mit derselben Kürze auch noch diesen Unterschied zum Ausdruck bringen konnte, mufs man diese Art des Ausdruckes teilweise anerkennen. Wie treffend ist z. B. jene Stelle: „Les habits de Julien lui furent jetés", I, 225. In gewöhnliche Prosa übersetzt hiefse dies: ,Madame de Renal lui jeta ses habits', aber das genügt Stendhal nicht, denn Madame de Rénal, ohne sich bewufst zu sein, was sie tut, wirft Julien die Kleider nach, nicht ihr Wille begleitete sie beim Handeln. Das eigentliche Subjekt der Handlung waren die Kleider, welche die Bewegung ausführten. Das ist realistischer Stil. Für das Ohr bleibt er stets mehr oder weniger eine Unebenheit, und trägt bei einer Beurteilung des Stiles Stendhals im allgemeinen nicht zu seiner Hebung bei. Aber trotz dieser objektiven Art der Darstellung treffen wir 6. auch bei Stendhal Stellen an, in denen er, durch die Handlung fortgerissen, sich in die betreffende Person hineinfühlt, aus ihr heraus schreibt. Es ist also in diesem Falle keine Schilderung mehr, weder à la Fénelon, noch à la Jean-Jacques, sondera wahrste Realistik. Die Person handelt, und mit ihr, in ihr der Autor; er entkleidet sich sozusagen seiner Persönlichkeit, fühlt sich an der Handlung beteiligt Besonders häufig treffen wir solche Realistik in L e Rouge et le Noir und in der Chartreuse. Vgl. I, 1 1 2 , H 3 > 138» 140fr., 226ff., 1 1 , 2 , 3, 460., 100ff., Ch. 240 und die häufigen Stellen in der Darstellung der Schlacht von Waterloo. Ferner bei Wiedergabe einer Unterhaltung oder des Selbstgespräches einer erregten Person; auch gibt sich darin ab und zu die Teilnahme Stendhals an seinen Personen zu erkennen, dafs er plötzlich seine trockene Art zu schildern aufgibt, und in seiner Erregung — er ist durch die Handlung in Erregung geraten, nicht infolge der Darstellung — in ganz kurzen Sätzen redet, welche der Situation vorzüglich angepafst sind. Als Madame de Rénal

24 z . B . fürchtet vor Eifersucht krank zu werden, stellt Stendhal dies folgendermaßen dar: „ L e soir même, comme sa femme de chambre la servait, elle remarqua que cette fille pleurait Elle abhorrait Elisa dans ce moment, et venait de la brusquer; elle lui en demanda pardon. Les larmes d'Elisa redoublèrent; elle dit que si sa maîtresse le lui permettrait, elle lui conterait tout son malheur. Dites, répondit Madame de Rénal," . . . dagegen einige Zeilen weiter: „ L e lendemain après le déjeuner M me de Rénal se donnait la délicieuse volupté de plaider la cause de sa rivale, et de voir la main et la fortune d'Elisa refusées constamment pendant une heure." Wie ergeht sich Stendhal geradezu in dieser ,volupté' der eifersüchtigen Frau, die über ihre Gegnerin triumphiert. Und trotz dieser verwerflichen Handlung fühlt er mit ihr, weidet sich an ihrem Glück. Wie arbeitet sein Stil diese Freude so plastisch heraus. Aber das sind Ausnahmen. Man vergleiche noch: „Sans y songer, Julien vit s'éteindre, l'un après l'autre, tous les rayons du crépuscule." Betrachten wir diese Stellen näher, so finden wir, dafs dies stets Milieuschilderungen oder eigene Erlebnisse resp. Gedanken Stendhals sind. In einem Briefe vom 19. September 1807 macht er bei der Schilderung einer Schlacht folgende Bemerkung: „Ici mon style devient plus simple parce que le héros s'en va." Als Beispiel möchte ich die Unterhaltung der beiden Freunde Falcoz und Saint-Giraud anführen. „Mais de quel parti es-tu? — D'aucun, et c'est ce qui me perd. Voici toute ma vie politique: J'aime la musique, la peinture; un bon livre est un événement pour moi, je vais avoir 44 ans. Que me reste-t-il à vivre?" . . . Das sind alles Angaben, die genau seinem Leben entsprechen. In den weiteren Auseinandersetzungen gibt er uns ein Bild von seinen Ansichten über Napoleon. Einerseits ist er sein begeisterter Anhänger, andererseits kann er ihm nie gewisse Fehler, wie das Konkordat, verzeihen. Er zerlegt nun diese Gefühle zu Napoleon und macht die beiden zu Trägern derselben. Wie wuchtig wird hier auf einmal die Rede der beiden: „Tout cela ne te fût pas arrivé sous Bonaparte, dit Falcoz avec des yeux brillants de courroux et de regret. — A la bonne heure, mais pourquoi n'a-t-il pas su se tenir en place, ton Bonaparte? tout ce dont je souffre aujourd'hui, c'est lui qui l'a fait . . . " Man fühlt den Kampf in der Seele Stendhals wüten, seine beiden Ansichten, beide gerechtfertigt und sich doch . widersprechend, zerreifsen sein Herz, er weifs nicht woran sich halten, und das bringt diesen, diesmal ausdrucksvollen, marquanten Stil mit sich. Das ist der Grund, warum wir gerade in seinen beiden Hauptwerken so oft derartige Stellen finden: Diese beiden Werke stehen seinem Innern nahe, er gibt in ihnen ein Bild von sich, besonders in L e Rouge et le Noir. Und wenn er uns dann Schilderungen von der Provinz, von einem Parvenu, von einem Salon gibt, so erregt er sich infolge seiner Erinnerungen, seines Wiedererlebens, die Worte fiiefsen ihm reichlich, er legt

25 einen festen Akzent auf sie. A n Frau J. Gaulthier schreibt er 1 8 3 4 : „ E n décrivant un homme, une femme, un site, songez toujours à quelqu'un, à quelque chose de réel." Zur vollständigen Charakterisierung des Stiles Stendhals verweise ich auf seine eigenen Worte aus den ,Souvenirs d'Egotisme', S. 8 7 : „ A mes y e u x , la première qualité pour moi, dans tout ce qui est noir sur blanc, est d e pouvoir dire avec Boileau: Et mon vers, bien ou mal, dit toujours quelque chose."

Exkurse. Ein weiterer W e g , um die persönliche Teilnahme eines Autors 1. an seinem Werke zu erkennen, liegt in der Betrachtung der Art und Weise, wie er sich in E x k u r s e n ergeht. Schwerlich wird man wohl j e einen Schriftsteller finden, der ohne die geringste A b weichung den F a d e n seiner Darstellung verfolgt. Je nach V e r anlagung u n d Temperament des Verfassers, Absicht und Zweck seines Werkes werden sich diese hors d'oeuvre gestalten. Der eine läfst sich von seinem Stoffe fortreifsen, der andere, vielleicht weniger gewandte, wird versuchen ein möglichst reichhaltiges Zeugnis seines K ö n n e n s abzulegen. W e n n wir also die Exkurse, die sich ein Schriftsteller im Laufe seiner Darstellung erlaubt, näher betrachten, so müssen wir zusehen, was ihn dazu hätte veranlassen können. U m den inneren Zusammenhang zwischen Schriftsteller und Werk besser zu beleuchten, wollen wir die einzelnen Exkurse nicht allein ihrem Inhalte nach anführen, sondern sie von einem höheren, individuelleren Gesichtspunkte aus überschauen, nämlich ob Stendhal diese Exkurse mit Absicht gesetzt hat, oder ob, von dem Handeln und Treiben seiner Personen fortgerissen, er sich vergifst, in ihnen aufgeht, für sie Partei ergreift, so dafs er alsdann unbewufst diese Exkurse in die Handlung einfliefsen lassen würde. Oberschaute Stendhal seine R o m a n e von Anfang bis Ende, war er sich vollständig klar über die L ö s u n g , oder wie ging er dabei zu Werke? In seinem bekannten Briefe an Balzac sagt er: „J'ai fait quelques plans d e romans, je ne saurais en disconvenir; mais faire un plan me glace. u Das gerade werfen ihm die meisten Kritiker vor, wie in seinem L e b e n , seinen Anschauungen, seinem Studium, seinen verschiedenen Tätigkeiten, so fehlte es ihm auch hier an der nötigen Ausdauer, das einmal begonnene wirklich zu E n d e zu führen. Seine Romane, vor allem die Chartreuse de Parme, bilden eine fortlaufende Aneinanderreihung einzelner längerer Anekdoten. Er läfst sich nicht binden, er wollte auch in seinen Schriften vollständige Freiheit haben, und sich nicht durch Vorschriften von Seiten anderer resp. der Gesellschaft einengen lassen. Unter Exkurs verstehe ich also nicht eine derartige längere Anekdote, die für sich ein Ganzes bilden könnte, sondern eine Aussage irgend welcher Art, die entweder zur Entwicklung des

26 Ganges der Handlung unnötig ist, vielleicht sogar stört, oder in welcher der Schriftsteller, durch eine Handlung seiner Personen an ähnliche Ereignisse oder frühere Gedanken erinnert, diesen momentanen Gedankengang seiner eigentlichen Erzählung vorzieht, so dafs er sich dadurch von der Handlung entfernt. Es kann sogar vorkommen, dafs einem Schriftsteller, der nichts auf die Form gibt, und wenig Rücksicht auf seinen Leser nimmt, ein plötzlicher Gedanke, der gar nichts mit der Handlung zu tun hat, kommt, und dafs er diesen einfach fixiert, ohne sich darum zu kümmern, was sein eventueller Leser damit anfangen wird. Wie steht es mit solchen Exkursen in Stendhals Romanen? 3. Vorerst interessieren uns E x k u r s e , w e l c h e m i t d e n H a n d l u n g e n s e i n e r P e r s o n e n u n d H e l d e n in e i n e m u r t e i l e n d e n , a l s o a b s i c h t l i c h e n Z u s a m m e n h a n g s t e h e n . Stendhal drückt sein Urteil durch ein einziges Wort aus. Wie oft urteilt Stendhal durch Setzung des Demonstrativs oder des Artikels, durch Setzung eines an sich überflüssigen Beiwortes oder des Titels. Er b i l l i g t damit das Benehmen einer Person, oder, was das häufigere ist, er mifsbilligt und verspottet sie. Z. B. „ A u déjeuner, c e mari ne s'était aperçu de rien" I, 87. „. . . on ne put trouver c e t évêque" I, 100. „Cette dernière prétention que l e p è r e S o r e l avait eu le génie de mettre en avant" I, 14. „ L e maire de V e r r i è r e s devait une réputation d'esprit et surtout de bon ton a une demi-douzaine de plaisanteries" I, 13. Oder sehr bezeichnend „Les propos du public qu'on avait redits à M. le maire . . . " I, 143, wo der Leser geradezu das schadenfrohe Lachen Stendhals zu hören glaubt. Man könnte fast annehmen, es wäre Stendhal unangenehm, die betreñende Person bei ihrem eigentlichen Namen zu nennen; so setzt er einfach das Demonstrativ, was im höchsten Grade verächtlich klingt. Denselben Zweck erreicht er damit, dafs er im Gegenteil die Person durch eine Umschreibung einführt, indem er sie z. B. durch Setzung des Titels oder des Standes dem Hohne des Lesers preisgibt. Sehr bemerkenswert sind noch folgende zwei Stellen: „Ah, sortez, sortez au contraire, lui dit-on avec une a d m i r a b l e colère" I, 215 und „Madame de Rénal trouvait l'air timide à c e f a t a l précepteur" I, 26. Die beiden letzten Beispiele unterscheiden sich wesentlich von den vorhergehenden. Stendhal spottet über diesen Zorn, der nicht angeboren, sondern anerzogen ist. Hier handelt die Maske und nicht der innere Mensch; wie bald wird dieser Z o m gebrochen sein! das will uns Stendhal damit andeuten. Die Setzung von „ a d m i r a b l e " mufs für Stendhal eine besondere Bewandtnis gehabt haben. Noch an einer anderen Stelle begegnen wir ihm. Beim Hören der Böllerschüsse heifst es von Julien: „Mais ce bruit admirable ne fit plus d'effet sur lui" I, 104. Vielleicht gibt uns folgende Stelle hierüber Aufschlufs: „L'un d'eux avait tous les jours à raconter quelque anecdote du Château où le mot , admirable' n'était pas épargné" II, 3. Stendhal mufs hier unbedingt ein eigenes Erlebnis wiedergeben, entweder, dafs Er dieses Wort mit Vorliebe

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anwandte, oder, dafs einer seiner Bekannten es immer und immer wiederholte, so dafs man ihn darauf aufmerksam machte. Und Stendhal vergifst solche Sachen sein ganzes Leben nicht; vielleicht hat man ihn damit aufgezogen, ähnlich wie mit „cella" anstatt cela, welches Versehen ihm in seiner ersten Kopie, die er Herrn Daru auf dem Kriegsministerium zeigte, unterlaufen war. Auch diesen Vorfall erzählt er uns in „Le Rouge et le Noir", wo Julien bei Herrn de la Mole diesen Fehler macht (I, 240). Das andere Beispiel liegt ähnlich. Der schüchterne Bauernjunge tritt ins Haus, und da bezeichnet ihn Stendhal mit „fatal précepteur". Der aufmerksame Leser vermutet schon hier Juliens späteres Verhältnis zu Frau de Rénal. Das erste Stadium der Liebe, die Bewunderung, beginnt in Frau de Renal, und dieses „fatal" läfst uns auf den Ausgang dieser Liebe schliefsen. Man könnte annehmen, Stendhal wolle uns hiermit einen Teil der Spannung vorwegnehmen, aber nein, er will durch diese unscheinbare Andeutung sie gerade erhöhen. Während sonst der Leser diesem Blick und dem Empfang Juliens bei Renais keine Beachtung schenken würde, wird durch dieses „fatal" die Spannung künstlich geschaffen. Es ist ein Kniff, dessen sich Stendhal hier bedient. Allerdings ist zu bedenken, dafs „fatal" Stendhals Lieblingswort ist, und können wir es in „Le Rouge et le Noir" nicht weniger als 70 bis 80 Mal belegen. Eine Stelle ist noch auffallend, vielleicht ist es ein Druckfehler. I, 84 heifst es: „Quelques heures après, quand Julien sortit de la chambre de M a d a m e R é n a l , on eût pu dire en style de roman, qu'il n'avait plus rien à désirer." Ist es ein Zufall, dafs es an einer derart wichtigen Stelle Mme. Renal heifst, also das „ d e " vergessen sei? Es wäre schon möglich, dafs Stendhal auf solch wenig sichtbarem Wege seine Mifsbilligung der Handlungsweise Frau de Renais zum Ausdruck brächte; dem gewöhnlichen Leser fällt eine derartiges Mittel überhaupt nicht auf. Wenden wir uns zu den weiteren Exkursen, die a t t r i b u t i v 4. gebraucht sind, alle drücken ein Urteil aus über die Handlung oder den Charakter einer Person. Zuweilen b e w u n d e r t Stendhal einen edlen Charakterzug oder eine Geschicklichkeit, „Tel était l'effet de la force, et si j'ose parler ainsi, de la grandeur des mouvements de passion qui bouleversaient l'âme de ce jeune ambitieux" I, 84 (I, 22, 243, II, 217). Andererseits b e d a u e r t Stendhal häufig die Handlungsweise 5seiner Helden. „Nous avouerons à peine, car nous aimons Mathilde" II, 58, I, 55, 56, 236. Stendhal entschuldigt sich nahezu, dafs er seine Helden weinen läfst, oder dafs sie irgend einer anderen Schwäche fähig sind. Z. B. „II y avait si longtemps que Julien n'avait entendu une voix amie, qu'il faut lui pardonner une faiblesse: il fondit en larmes" I, 195. Vgl. II, 7, 236, I, 153, II, 138. Wie anders müssen wir diese Entschuldigungen seiner Helden auffassen, wenn wir uns die Worte, welche er an Frau Gaulthier schreibt, vergegenwärtigen: „. . . Et faites faire quelques petites

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gaucheries à votre héros, nous faisons des gaucheries. Nous courons, un plat homme marche à grand'peine, et encore avec une canne. C'est pour cela qu'il ne tombe pas", Corr. 8 Nov. 1834. Er macht sich mit diesen Exkursen einfach über den Leser lustig. In Armance v e r u r t e i l t Stendhal sogar einmal seinen Helden, wenn auch nur dem Wortlaute nach, in seinen eigenen Anschauungen stimmt er mit denen Octavens zum grofsen Teil überein. „Ce n'est pas sans danger que nous aurons été historiens fidèles. La politique venant couper un récit aussi simple peut faire l'effet d'un coup de pistolet au milieu d'un concert. Ensuite Octave n'est point un philosophe, et il a caractérisé fort injustement les deux nuances qui, de son temps, divisaient la société. Quel scandale qu'Octave ne raisonne comme un sage de cinquante ans?" In der Anmerkung hierzu sagt Stendhal: „Fallait-il laisser incomplète l'esquisse d'un caractère bizarre parce qu'il est injuste envers le monde?" Arm. 1 0 1 . Wenn dieser Exkurs auch die Form einer wahren Entrüstung trägt, natürlich ist er nicht; Stendhal gibt ihm absichtlich diese Gestalt, um darunter seine eigenen Ansichten zu verbergen, denn er fürchtete die öffentliche Meinung und sich lächerlich zu machen. Ob Stendhal das Fragezeichen wohl mit Absicht gesetzt hat? Wie illusorisch und für Stendhal bezeichnend macht dieses Fragezeichen den ganzen Wortlaut des vorausgehenden Satzes. Einen weiten Raum nehmen jene Exkurse ein, in denen Stendhal, seinem Temperamente entsprechend, in trockner, sarkastischer, aber treffender Weise Personen oder Dinge verhöhnt. Z. B.: „Je ne répéterai point toutes les bonnes raisons que M me de Bonnivet donna ce jour-là à Octave pour lui persuader qu'il avait un sens intime. L e lecteur n'a peut-être pas le bonheur de se trouver à trois pas d'une cousine charmante qui le méprise de tout son coeur (aus reinster Liebe) et dont il brûle de reconquérir l'amitié. Ce sens intime, comme son nom l'indique, ne peut se manifester par aucun signe extérieur, mais rien de plus simple et de plus facile à comprendre, disait M me de Bonnivet, vous êtes un être rebelle, etc. etc." Arm. 5 1 . Vgl. Arm. 47, 1x7, 137, 156, 189. Oder: „Julien qui se connaissait fort bien en beauté féminine, eût juré dans cet instant que madame de Rénal (pleine de grâce) n'avait que vingt ans" I, 28. Vgl. I, 4 1 , 1 2 4 , 146; II, 2 1 , 44. „. . . Quelle architecture magnifique! dit-il à son ami. Il s'agissait d'un de ces hôtels à la façade si plate du faubourg Saint-Germain, bâtis vers le temps de la mort de Voltaire. Jamais la mode et le beau n'ont été si loin l'un de l'autre", I, 236. Wer sieht in diesen Exkursen nicht Stendhal wie er leibt und lebt? Allein und in Gesellschaft, beim Spaziergang und im Dienst (selbst auf dem Rückzüge aus Rufsland) macht er seine stillen Beobachtungen, sie in sich einschliefsend, die übrigen bemerken es gar nicht, unbeirrt läfst er sich in seinen Beobachtungen und seinem Urteil durch nichts beeinflussen, seine Analyse gilt dem Inneren, dem eigentlichen Individuum, nicht der Maske. Wie manches Mal mag auch er, wie sein Julien, bis Mitter-

*9 nacht in einem Salon geblieben sein, nnr des Eises und Champagners oder des Soupers wegen, das zu jener Stunde serviert wurde. „Pour que je puisse m'y reconnaître, il faut, se dit Julien, que j'écrive les noms et un mot sur le caractère des personnages que je vois arriver dans ce salon . . . Julien observa que la conversation était ordinairement maintenue vivante par deux vicomtes . . . On voyait dans l'antichambre dix laquais en livrée, et toute la soirée on avait des glaces ou du thé tous les quarts d'heure . . . et, sur le minuit, une espèce de souper avec du vin de Champagne" II, 2 , 3. -Da hatte sein forschendes Auge Zeit, über die verschiedenen Leute gleitend, Beobachtungen zu sammeln. Diese sucht Stendhal in seinen Schriften und Romanen niederzulegen, wenn im gegebenen Moment sich eine Gelegenheit dazu findet. Ein ähnliches Ereignis in seinen Romanen ruft Erinnerungen an eigene Erlebnisse in ihm zurück. Diese stillen Beobachtungen, die vorerst nur für ihn Geltung hatten, strotzen selbstverständlich von Hohn und Spott, er hatte eben daran seine Freude, und bei seinem bekannten „Beylismus" konnte er sich keine Freude versagen. Wenn er, von seinen Erlebnissen zehrend, einen Roman verfafste, so lebte er wieder auf in diesen Erinnerungen, der alte Spott kam wie ehemals, und absichtlich wollte er den nicht unterdrücken, denn er schreibt doch auch, wenigstens teilweise, weil es ihm Freude macht Besonders in Armance — bekanntlich Stendhals Lieblingswerk — höhnt und spottet er, in „ L e Rouge et le Noir" nicht weniger, während in der Chartreuse dieser Jugendmut doch schon etwas gebrochen ist. Einen besonderen Raum nehmen jene Exkurse ein, in denen 8. Stendhal mit den z e i t g e n ö s s i s c h e n Lebensanschauungen h a d e r t , resp. in denen er seinem S p o t t ü b e r d i e h e r r s c h e n d e n S i t t e n d e r h ö h e r e n G e s e l l s c h a f t Luft macht, z. B. „Oseronsnous accuser d'un peu de sécheresse l'extrême politesse que le moment présent croit avoir hérité de cet heureux dix-huitième siècle où il n'y avait rien à haïr? En présence de cette civilisation si avancée qui pour chaque action, si indifférente qu'elle soit, se charge de vous fournir un modèle qu'il faut suivre, ou au moins auquel il faut faire son procès, ce sentiment de dévouement sincère et sans bornes est bien près de donner le bonheur parfait" Anm. 157. Zeit des Fortschrittes, welche sich nach Mustern richtet! Vgl. ib. 75, 143, 194. I. 1 4 3 , 146, 2089, 1 1 7 , . L. L. 232. Manchmal nehmen diese Exkurse ein ganzes Kapitel in Anspruch. Mit welchem Behagen erzählt Stendhal z. B. von dem Essen bei dem Armendirektor Valenöd, oder von dem Bittgesuch de M. Charcot, qui se fait appeler de Maugiren, parce qu'il n'y a plus de Maugiren. Man vergleiche die beifsende Darstellungsart mit dem sonst so teilnahmslosen Stil der gewöhnlichen Erzählung, und man wird finden, mit welchem Vergnügen Stendhal solche hors d'oeuvre auftischte, z. B . „Quoique le dîner ne fût indiqué que pour une heure, Julien trouva plus respectueux de se présenter dès midi et demi dans le cabinet de travail de M. le directur du dépôt. Il



le trouva étalant son importance au milieu d'une foule de cartons, ses gros favoris noirs, son énorme quantité de cheveux, son bonnet grec placé de travers sur le haut de la tête, sa pipe immense, ses pantoufles brodées, les grosses chaînes d'or croisées en tout sens sur sa poitrine et tout cet appareil d'un financier de province qui se croit homme à bonnes fortunes, n'imposaient point à Julien. Il n'en pensait que plus aux coups de bâton qu'il lui devait II demandait l'honneur d'être présenté . . . " Fast jedes Wort schliefst den tiefgefühltesten Spott, die Verachtung in sich. Hier fehlen Stendhal nicht die Worte, und doch wie bezeichnend für ihn, selbst hier hat er nur Farben, um uns ein Bild zu geben, von den einzelnen Personen, nicht um uns auch die Wohnung und Einrichtung bei M. Valenod zu zeichnen. Wenden wir uns jetzt zu einer anderen Kategorie von Exkursen. Auch sie stehen in engerem Zusammenhang mit dem Stoffe und sind dabei für Stendhal äufserst charakteristisch, ich meine jene, in welchen er sich in p s y c h o l o g i s c h e n Erklärungen resp. Betrachtungen ergeht. Meistens treten uns solche entgegen, worin er uns eine bestimmte Handlungsweise aus dem B l u t e resp. dem Milieu erklärt. Je ne sais si c'est au sang sarmate qui circulait dans ses veines ou aux malheurs si précoces qu'Armance devait la faculté d'apercevoir d'un coup d'oeil tout ce que le changement soudain dans la vie renfermait de conséquences. Arm. 83, vgl. id. 52. Dix minutes se passèrent ainsi, l'homme mal vêtu écrivait toujours. L'émotion et la terreur de Julien étaitent telles, qu'il lui semblait être sur le point de tomber. Un philosophe eût dit, peut-être en se trompant: C'est la violente impression du laid sur une âme faite pour aimer ce qui est beau. I. 167, vgl. I. 63, 231. II. 14. Notre héros était ce matin-là du plus beau sang froid du monde, la quantité de sang qu'il avait perdue l'avait délivré de toute la partie romanesque de son caractère. Ch. 130. Betrachten wir diese drei Exkurse, so sehen wir, wie die Idee Stendhals sich allmälich bildete und immer präzisere Form annahm. Während uns in Armance ein schüchternes „Je ne sais pas" entgegenklingt, kann er in der Chartreuse uns klipp und klar den Grund zur Änderung des Wesens Fabricens angeben. Im engerem Verhältnis zu letzteren Exkursen stehen jene, in welchen er seine T h e o r i e vom Milieu zu Grunde legt. Seine sämtlichen Werke sind davon durchsetzt. „Un beau climat est le trésor du pauvre", vgl. II. 107, oder „Ne sommes-nous pas convenus que les passions varient toutes les fois qu'on s'avance de cent lieues vers le nord? L'amour est-il le même à Marseille et à Paris?" (La Duchesse de Palliano 238.) Vgl. Rossini 27. Ferner Arm. 42, 83. I. 143, 146. IL 2, 14, 27, 88, 1 3 1 usw. „Fabrice avait beau appuyer sur le mot mouton, ses camarades ne se souvenaient plus d'avoir été fâchés par ce mot une heure auparavant. Ici se trahit un des contrastes des caractères français et italiens. Le français est sans doute le plus heureux, il glisse sur les événe-

3» ments de la vie et ne garde pas rancune." Ch. 53. Vgl. id. 2 1 9 , 399. Während in Armance und Chartreuse usw. die Vergleiche sich im allgemeinen auf verschiedene Länder beziehen, stellt in L e Rouge et L e Noir und Lucien Leuwen Stendhal hauptsächlich das Leben und den Charakter in Paris denen der Provinz gegenüber. „C'était une femme grande et bien faite, qui avait été la beauté du pays, comme on dit dans les montagnes. Madame de Rénal avait un certain air de simplicité, et de la jeunesse dans la démarche aux yeux d'un Parisien." I. 12. Wie fein eingestellt ist sozusagen das Auge Stendhals, um bald sich in den Gedankenund Anschauungskreis des Provinzlers, dann in den des Parisers — allerdings mit nicht wenig Stolz — hineinzudenken. E r fühlt sich über beider Betrachtungsweise gewissermafsen erhaben, und nur wenn ihre Ansichten divergieren, fühlt er sich verpflichtet, bei seiner Registrierung von Persönlichkeiten, beide zu analysieren. Manchmal stellt Stendhal sogar Betrachtungen darüber an, was aus seinem Helden geworden wäre, wenn er unter anderen Verhältnissen, in einem anderen Milieu aufgewachsen wäre. Stendhal kann sich nicht trennen von dem einmal gefafsten Gedanken, und so folgt er ihm, wenn er dabei auch oft den Faden der eigentlichen Handlung verliert, z. B. „A Paris, la position de Julien envers Madame de Rénal eût été bien vite simplifiée. Mais à Paris, l'amour est fils des romans. L e jeune précepteur et sa timide maîtresse auraient trouvé dans trois ou quatre romans, et jusque dans les couplets du Gymnase, l'éclaircissement de leur position... Dans une petite ville de l'Aveyron ou des Pyrénées, le moindre incident eût été rendu décisif par le feu du climat. Sous nos cieux plus sombres, un jeune homme pauvre et qui n'est qu'ambitieux parce que la délicatesse de son coeur lui fait un besoin de quelques-unes des jouissances que donne l'argent, voit tous les jours une femme de trente ans sincèrement sage, occupée de ses enfants, et qui ne prend nullement dans les romans des exemples de conduite. Tout va lentement, tout se fait peu à peu, dans les provinces il y a plus de naturel." 1 , 3 7 . Vgl. Ch. 426. Wie wir sehen, entfernen sich diese Exkurse immer mehr von ihrem eigentlichen Ausgangspunkt Selbstverständlich nimmt Stendhal mehr wie I i . einmal seine Zuflucht zu a u s f ü h r l i c h e n V e r g l e i c h e n , um damit seine Idee deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Stendhal strebt stets nach gröfster Klarheit und sollte man annehmen, dais er öfter zu diesem Mittel greift, aber nein, wenn er auch einen gewaltigen Reichtum an Gedanken hat, oder dies sich zum mindesten einbildet, so fehlt es an jener Biegsamkeit, die einen Vergleich natürlich erscheinen läfst. Es gibt Dinge, und besonders häufig Gemütszustände, zu deren Bezeichnung ein markantes Wort in der Sprache fehlt. In solchen Fällen mufs sich Stendhal einfach auf andere Art zu helfen suchen, indem er ein ähnliches Beispiel anführt. Das Beispiel liegt allerdings außerhalb der Handlung, ist aber aufs engste mit ihr verknüpft. — „Madame de Bonnivet

32 n'était transportée que du plaisir d'avoir enfin trouvé un être rebelle . . . Un médecin célèbre du dernier siècle appelé chez un grand seigneur, son ami, après avoir examiné les symptômes du mal, pendant longtemps et en silence, s'écria tout à coup transporté de joie: Ah! monsieur le marquis, c'est une maladie perdue depuis les anciensl la pituite vitrée! maladie superbe, mortelle au premier chef. Ah! je l'ai retrouvée, je l'ai retrouvée! Telle était la joie de Madame de Bonnivet. C'était en quelque sorte une joie d'artiste." Arm. 50, 5 1 . Vgl. id. 95, I, 138, 156, 179, II, 12. Eine kleine Anekdote — solche zu erzählen war Stendhals Stärke — gibt uns ein klares Bild von dem betreffenden Gefühl, und darum handelt es sich in den meisten Fällen. 12.

Wir kommen zu einer anderen Art von Exkursen, deren Stoif der Handlung ziemlich oder ganz fern stehen. Vorerst möchte ich, anschliessend an die Milieutheorie, jene erwähnen, welche den C h a r a k t e r v e r s c h i e d e n e r L ä n d e r feststellen. Während bisher die Exkurse immerhin in einem gewissen Zusammenhang mit dem Stoffe standen, sind sie hier blofse Beobachtungen, die Stendhal seinem Leser nicht vorenthalten will. Er sieht einmal mit besonderen Augen die Welt an, und was ist da natürlicher, als dafs er diese seine ihm eigenen Betrachtungen, wo es nur geht, in seinen Schriften niederlegt. So hat auch er einen Genufs! Wie oben vergleicht er auch hier Provinz und Paris, Franzosen und Italiener, dabei aber auch seine auf irgend welchen anderen Wegen erworbenen Kenntnisse verwendend . . . Z. B. „En province, les maris sont maîtres de l'opinion. Un mari, qui se plaint, se couvre de ridicule, chose tous les jours moins dangereuse en France. Mais sa femme, si elle ne lui donne pas d'argent, tombe à l'état d'ouvrière à quinze sous par journée, et encore les bonnes âmes se font-elles un scrupule de l'employer. Une odalisque du sérail peut à toute force aimer le sultan, il est tout-puissant, elle n'a aucun espoir de lui dérober son autorité par une suite de petites finesses. L a vengeance du maître est terrible, sanglante, mais militaire, généreuse, un coup de poignard finit tout. C'est à coups de mépris public qu'un mari tue sa femme au dix-neuvième siècle, c'est en lui fermant tous les salons." I, 132. Vgl. Ch. 1 5 0 , 154, 3 3 4 . 1 Man vergleiche hierzu auch I, 150, 2 3 1 , II, 1 5 , Ch. 53, 86, 2 1 3 , 236, 2 9 1 , 334, 3 3 9 , letztere besonders zur Beurteilung 1 E s wäre vielleicht angebracht, kurz die Orte und Länder anzugeben, in welchen sich Stendhal aufhielt, zugleich mit der Angabe seines dortigen erstmaligen Aufenthaltes. Heimat, Grenoble, geb. 23. Jan. 1 7 8 3 ; Paris, 10. Nov. 1 7 9 9 ; Genf, 1800, Überschreitung des Sankt Bernhard, Marengo, usw.; Lombardei, 1 8 0 0 ; Marseille, August-Oktober 1 8 0 5 ; Deutschland, Mainz, J e n a , Berlin, Braunschweig, Strafsburg, 1806; W i e n und Umgebung, 1 8 0 7 ; R o m , Pompei, Neapel, 1 8 1 1 ; Rufsland bis Moskau, 1 8 1 2 ; London, J u l i 1 8 1 7 , auf einige Tage ( 1 8 2 1 ) ; Perpignan, Malaro, Barcelona, Bordeaux, Sept. 1 8 3 7 . Genaue Angaben hierüber, Collection des plus belles pages, Stendhal, P . Mercure 1908.

33 italienischer Verhältnisse. Wir müssen bewundern, mit welch sicherem Blick Stendhal uns über die Haupteigentümlichkeiten eines jeden Volkscharakters aufzuklären weifs, er steht über der Sache, so dafs es ihm ein leichtes ist, die einzelnen Nationen zu vergleichen. Aber nicht genug, er charakterisiert zugleich die verschiedenen Gegenden. Selbst von den Bevölkerungsschichten, zum mindesten von Adel und Bürgerkreisen, gibt er uns ein Bild. Diese Beobachtungen über die Gesellschaft, ihre Sitten und Gebräuche, den Anstand usw. nehmen einen breiten Raum ein. Häufig vergleicht er sie mit denen vergangener Jahrhunderte, wie überhaupt der ganze Charakter Mathildens Züge der Wargareta von Navarra trägt, in welcher Mathilde selbst ihr Vorbild sehen will, de tels caractères sont heureusement fort rares! (II, 80). Vgl. ferner Arm. 75, 175, 194, I, 143, id., i g g , 208, oder das Essen bei M. Valenod resp. das Bittgesuch des Herrn de Maugiron, das Leben im Seminar, die Schilderung eines Salons (II, 2, 3). Ch. 76, über die „race comique des courtisans*1, die Jesuiten, 183, das Sonnet, 438, usw. Aus dieser Mannigfaltigkeit möchte ich ein Beispiel aus dem Lucien Leuwen anführen: „On va trouver peut-être que nous nous étendons un peu trop sur les ridicules de l'époque actuelle, qui probablement seront révoqués en doute dans quelques années. Mais le fait est que Delangle ne put trouver aucune maîtresse d'histoire qui voulût montrer cette science d'après d'autres livres que ceux qui sont loués par la Quotidienne." 331. Selbstverständlich drückt sich Stendhal in den meisten Fällen mißbilligend über die herrschenden Verhältnisse aus, er kann die bittere Ironie, die seinem Wesen eigen ist, nicht ablegen. Infolge seiner Erfahrung und seines stetigen Vergleichens hat Stendhal gewisse N o r m e n aufgestellt, die er ebenfalls in die Handlung eingleiten läfst. So z. B. in Armance, „ L e ton de l'intimité parfaite tolère des parenthèses à l'infini, qui plaisent parce qu'elles prouvent la confiance sans bornes, mais peuvent fort bien ennuyer un tiers . . . " Man beachte das Präsens in diesem Satze, der allgemeine Gültigkeit beansprucht, oder einige Seiten weiter „Tout à coup tous ses malheurs se présentèrent à sa pensée. On ne meurt pas de douleur, ou Octave fût mort en cet instant." 115. Oder „ L e marquis reçut l'abbé Pirard sans aucune de ces petites façons de grand seigneur, si polies mais si impertinentes pour qui les comprend." I, 209, vgl. I, 20, 236, „. . . on parle bas à Paris et on n'exagère pas les petites choses." I, 241. Manchmal könnte man fast glauben L a Rochefoucauld zu lesen! Es liegt im Wesen Stendhals in Form von Aphorismen, wie er es im Anhang zu De l'Amour tut, seine G e danken festzulegen. Es läfst sich daran der weitblickende, stets abstrahierende Sinn Stendhals erkennen. Man vergleiche noch in der Chartreuse „ L a présence du danger donne du génie à l'homme raisonnable, elle le met pour ainsi dire au-dessus de lui-même, à l'homme d'imagination elle impose des romans, hardis, il est vrai, mais souvent absurdes." Alle diese Exkurse greifen über auf das Beiheft zur Zeitachr. f. rom. Phil. X X X V .

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34 psychologische Gebiet, worauf Stcndhals scharfes A u g e einzig eingestellt war. Zuweilen geht Stendhal in seinen Exkursen zu weit, er langweilt uns, empört uns nahezu, da er mit Gewalt versucht ein s t i m m u n g s v o l l e s B i l d z u z e r r e i f s e n . Hier kann man auch Stendhals beliebten, sich stets wiederholenden Vergleich über die Politik im Laufe des Romans anbringen, diese Exkurse wirken wie Pistolenschüsse inmitten eines Konzertes (Arm. 1 0 1 , Rae. et Shak. 1 8 5 , Ch. 366). Folgendes Beispiel möge uns dies klar tun. Die Fronleichnamsprozession setzt sich unter Glockengeläute in B e wegung. Überall feierliche Andacht „. . . la grosse cloche se fit entendre. Elle sonnait à pleine volée, ces sons si pleins, si solennels émurent Julien. Son imagination n'était plus sur la terre. L'odeur de l'encens et des feuilles de roses jetées devant le saint sacrement par les petits enfants déguisés en saint Jean, acheva de l'exalter. Les sons si graves d e cette cloche n'auraient dû réveiller chez Julien que l'idée du travail de vingt hommes payés à cinquante centimes, et aidés peut-être par quinze ou vingt fidèles. Il eût dû penser à l'usure des cordes, à celle de la charpente, au danger de la cloche elle-même qui tombe tous les deux siècles, et réfléchir au moyen de diminuer le salaire des sonneurs, ou de les payer par quelque indulgence ou autre grâce tirée des trésors de l'église, et qui n'aplalît pas sa bourse. Au lieu de ces sages réflexions, l'âme de Julien, exaltée par ces sons si mâles et si pleins, errait dans les espaces imaginaires . . . " I, 1 9 1 . Betrachten wir den Zusammenhang. Der Abt Chas will mit Julien die Kirche überwachen, damit ja nichts von der Ausschmückung gestohlen werde, „nous serons bien heureux s'il ne nous manque qu'un couple d'aunes de ce beau gallon qui environne le bas des piliers." Das ist die Andacht eines Abbé am Fronleichnamstagel Julien als angehender Geistlicher sollte also dieselben Gedanken haben, aber anstatt dessen verliert er sich in Phantasien! Wie wenig ist Julien dazu geeignet, in den herrschenden Zeiten Geistlicher zu werden, das ist Stendhals Klage. Aber wie geschmacklos stellt uns Stendhal diese Notwendigkeit vor Augen! Soll denn der Leser gar keinen Anteil an seinen Helden nehmen, es sei denn, dafs er es vorschreibt? Diese Stelle bedeutet ein „Sich-Lustigmachen über den Leser!" K a n n man nun erklären, was ihn dazu hätte veranlassen können? Sehen wir uns unsern Beyle einmal an. Infolge seiner strengen Erziehung durch Geistliche usw. war er ein erklärter Feind des Katholizismus, aber nur infolge seines Willens, seiner Vernunft; sein Gefühl war anders geartet, das konnte sich nicht verschliefsen gegen jene inneren religiösen Regungen, diese „bete mystique" drang auch bei ihm von Zeit zu Zeit an die Oberfläche. Was bewegte nun diesen Menschen beim Anblick der Prozession? Der innere Mensch war gerührt, aber wie Stendhal selbst so schön sagt, wir wollen uns stets selbst hintergehen. Auch er ist in der Beziehung keine Ausnahmenatur, und doch hält er sich dafür, wie die anderen Menschen dies auch tun.

35 Sein Wille bäumt sich gegen diese Gefühlsverirrung, und wie Frau de Renal in solchen Stunden anfängt die Zeitung zu lesen, so wälzte Stendhal diese unnützen, lächerlichen Gedanken, in denen ganz bezeichnend die Zahlen eine solch hervorragende Rolle spielen. Wenn auch sein Wille gesiegt hatte, so mag ihn doch, trotz dieses Triumphes, eine gewisse Wehmut durchzogen haben. Es gibt auch Siege, die keine Freude machen! Sollte das Stendhal zum Bewufstsein gekommen sein, als er dies schrieb? Hier zeichnete er einmal seinen Julien nicht nach seinem Muster, sondern er versuchte dieses Mißverhältnis zwischen Willen und Gemüt — ist dies überhaupt möglich? — auszugleichen. Julien ist nicht ganz Beyle! wobei „Beyle" den jungen Stendhal „Stendhal in der Zeit der Entwicklung" bezeichnet. Ähnliche Exkurse, die allerdings die so selten erzeugte Stimmung nicht in dem Mafse unterbrechen, wie hier, finden sich noch an verschiedenen Stellen. Er schlägt seinem Helden vor, so oder so zu handeln, oder er stellt Überlegungen an, wie er als lebenserfahrener Mensch hätte handeln müssen. Ein Zug von zynischem Bedauern resp. von Spott liegt dabei stets um seine Lippen (vgl. II, 1 0 1 ; Ch. 420). Es liegt in der Absicht Stendhals, die H a n d l u n g zu u n t e r - 15. b r e c h e n , nur um n i c h t in d i e a l l t ä g l i c h e A r t d e r D a r s t e l l u n g zu v e r f a l l e n . So kommt es, dafs mancher Exkurs störend wirkt, aber Stendhal zieht dies vor — denn wer kann ihm Vorschriften machen —, er sucht oft eine gewisse Teilnahmslosigkeit an den Tag zu legen, und das erreicht er am besten, indem er irgendwelche Einschiebungen macht, auf welche der Leser in dem betreffenden Augenblicke gerne verzichten würde. E r hafst jegliche Begeisterung, die doch stets mehr oder weniger ein Beweis der Dummheit, des Nichtwissens ist, und so bricht er häufig, gegen alles Erwarten, seine Erzählung ab. Warum sagt z. B. Stendhal: „. . . avec une âme de feu, Julien avait une de ces mémoires étonnantes si souvent unies à la sottise?" I, 18. Niemals hat Stendhal auch nur daran gedacht, im Leser diesen Gedanken aufkommen zu lassen, also wofür diese Bemerkung? Vergleiche ferner: „Les heures qu'on passa sous ce grand tilleul, que la tradition du pays dit planté par Charles le Téméraire, furent pour elle une époque de bonheur" I, 5 4 , oder erst in Armance, „On jouissait des derniers beaux jours de l'automne, qui, à Paris, est le printemps" 12. Wie geschmacklos ist auch diese Zusammenstellung: „II y eut un T e Deum, des flots d'encens, des décharges infinies de mousqueterie et d'artillerie, les paysans étaient ivres de bonheur et de piété. Une telle journée défait l'ouvrage de cent numéros des journaux jacobins", I, 105. Sobald Stendhal eine stimmungsvollere Situation geschaffen hat, mufs er sie mit eigener Hand wieder zerstören. Man kann meinen, er habe sich nie glücklich gefühlt, seine Gedanken seien nicht bei der Sache, sondern eilten ihr stets voraus, resp. drängen in die Tiefe. Wie sein Blick sich nicht aufhält, die Kleidung und das Äufsere eines Menschen näher zu erfassen, sondern stets 3*

36 die Motive einer Handlungsweise zu ergründen sucht, so geniefst Stendhal erst im Erleben, wenn er bestimmt weifs, dafs er in jeder Beziehung mit der Handlung und ihren Konsequenzen zufrieden sein kann. Das geschieht bei seinem kritischen Auge jedoch nur höchst selten, er findet stets einen Gedanken, lag er auch noch so fern, der ihm den Genufs vergällt. Vgl. I, 20, 125, 2 1 9 ; II, 8, 37, 126; Ch. 238, 252, 438, 496. Bei der Zerlegung werden diese Schmerzen erst recht bewufst: „on centuple les peines en les analysant et l'on diminue son bonheur" (Ross. 3 4 1 ) . In L e Rouge et Le Noir findet sich eine ganze Seite in Klammern (II, 106, 107), worin Stendhal plötzlich die Handlung abbricht, um den Charakter Mathildens dem Leser verständlicher zu machen, sich teilweise darüber zu entschuldigen. E s soll kein Zeitgemälde sein, nicht will er -die herrschende Gesellschaft darin geisein — in diesem Teil vielleicht nicht. Stendhal benutzt sogar die Gelegenheit, um eine Erklärung des Wesens des Romans zu geben: „Eh bien, monsieur, le roman est un miroir qui se promène sur une grande route . . .". Sehen wir zu, an welcher Stelle Stendhal Raum für eine solche Abweichung findet: die Liebe zu Julien hat Mathilde in Feuer und Flamme versetzt, aber sie hat es fertig gebracht „qu'elle crut être parvenue à triompher de son amour." Dieser Exkurs überrascht den Leser und kommt ihm ebenso unvermittelt wie die plötzliche Unterbrechung im sechsten Gesang von Mistrals Mirèio. Was aber hier aus reiner Begeisterung und Dankbarkeit geschah, das hat Stendhal sich erlaubt einer plötzlichen Laune folgend, da er es seiner unwürdig findet, den Zustand der Extase Mathildens zu beschreiben. In der „Duchesse de Palliano" sagt er selbst, dafs es ihm seine „vanité littéraire" wohl erlaubt hätte, manche Stelle interessanter zu gestalten, „en développant davantage, c'est-à-dire en devinant et racontant au lecteur, avec détails, ce que sentaient les personnages. Mais moi, jeune Français né au nord de Paris, suis-je bien sûr de deviner ce qu'éprouvaient ces âmes italiennes de l'an 1 5 5 9 ? Je puis tout au plus espérer de deviner ce qui peut paraître élégant et piquant aux lecteurs français de 1838. a Was Stendhal gefällt, muís auch seinem Leser gefallen! E r sieht das Interessante einer Schilderung in der Darstellung der Gefühle, seine Mitmenschen also auch. In den letzteren Exkursen fällt auf, dafs S t e n d h a l s i c h g e w ö h n l i c h an d e n L e s e r w e n d e t . Er redet ihn an, fragt ihn, redet in seinem Sinne, sucht ihn sogar ab und zu mit sich fortzureifsen. An anderer Stelle setzt er sich w i e d e r ü b e r e b e n d e n s e l b e n L e s e r h i n w e g , ohne dabei zu bedenken, dafs dieser doch auch seine eigene Meinung haben kann und soll. Vgl. Exkurse wie „On connaît fort peu le caractère de Julien, si l'on ne voit pas déjà l'expression sombre et froide . . . " II, 70, oder „Une chose singulière qui trouvera peu de croyance parmi nous, c'était sans intention directe que Madame de Rénal se livrait à tant de soins . . . " I, 49. Vgl. I, L. 102. Jeder Mensch erkennt den wahren

37 Grund, warum also solch zwecklose Zwischensätze, die nichts weniger tun als dem Leser zu schmeicheln. Das Allzudeutlichmachen, resp. das Draufstofsen auf eine Sache wirkt ungeschickt, plump. Diesen nichtssagenden Zwischensätzen begegnen wir auf Schritt und Tritt; Stendhal ist zu temperamentvoll, er mufs seinen Leser anreden. Einen besonders breiten Raum nehmen unter diesen jene ein, in denen Stendhal sich seinem Leser gegenüber entschuldigt, wenn auch nur aus bitterster Ironie heraus; er ist einmal sehr höflich. Wir wissen ja schon, was er selbst von dieser Höflichkeit hält. „Je crains que la crédulité de Julien ne le prive de la sympathie du lecteur, mais enfin il était ainsi, pourquoi le flatter lui plutôt qu'un autre?" oder „Cela dit, ce grand ministre se livra à une action tellement ridicule, que nous avons quelque peine à la rapporter" Ch. 271. „Nous allons parler de fort vilaines choses, et que pour plus d'une raison nous voudrions taire, mais nous sommes forcés d'en venir à des événements qui sont de notre domaine, puisqu'ils ont pour théâtre le coeur des personnages" id. 366. „. . . je demande pardon pour cette phrase traduite de l'italien." id. 154. Derartige Entschuldigungen, auf die verschiedensten Dinge Bezug habend, finden wir in sämtlichen Schriften Stendhals. Arm. 75, 101 ; I, IQO; II, 162; Ch. 197, 252, 391 usw.; L . L . 85. Wenn Stendhal sich z. B. den Anstrich gibt, als wäre er sich seiner langweiligen Art des Schreibens bewufst und den Leser durch irgendwelche Aufklärungen vor Enttäuschungen bewahren will, so hat dies einzig den Zweck, die Aufmerksamkeit des Lesers von neuem anzuspannen, die Schilderung etwas pikanter zu gestalten. Er will seinem Leser so über die „landes de son voyage" hinweghelfen. Exkurse wie „Ici l'auteur eût voulu placer une page de point. Cela aurait mauvaise grâce, dit l'éditeur, et manquer de grâce, pour un écrit aussi frivole, c'est mourir . . . Si vos personnages ne parlent pas politique, reprend l'éditeur, ce n'est plus un miroir . . .", das sind schriftstellerische Kunststückchen, welche den Mangel an Gewandtheit des Autors verraten. Der Leser mufs darüber lachen. Wenn Stendhal auch selbständig und von sich eingenommen 1 7 . denkt, so fürchtet er trotzdem seine Mitmenschen, ,,ô, lecteur malévole"! und das erklärt sehr wohl die h ä u f i g e n E n t s c h u l d i g u n g e n , welche, wie so oft im Leben, auch hier den eigentlichen, unangenehmen Gedanken zwar geniefsbar, in seinem Innern aber um so verletzender machen. Erwähnen möchte ich auch jene stets wiederkehrenden P h r a s e n , wie „si je l'osais", „oserons-nous le dire", „il faut avouer" usw. Auch so drückt er seinen Spott aus, „enfin l'instinct des convenances, si je puis hasarder cette expression", Arm. 54, oder „Je me garderai de raconter les transports de Julien" weil es wohl seine eigenen wären, die er erzählen müfste. In der Chartreuse treten uns diese Ausdrücke viel seltener entgegen, wie Stendhal darin überhaupt einen viel bestimmteren T o n führt. Zu erwähnen wären auch noch Ausdrücke wie „jeter des fleurs", „ce qu'on

38 appelle saillies à Paris", welche Ausdrücke er als Appositionen in die Handlung einzuflechten liebt. Vgl. 1,44, 49, 183, 218 usw. 18. Diese T e i l n a h m s l o s i g k e i t , welche uns aus allen diesen letzten Exkursen entgegentritt, ist teilweise aus Stendhals Selbstgefühl zu erklären. Er kann sich nicht verhehlen, dafs Romanschriftsteller nicht immer zu den besten Köpfen zu zählen sind. Sie opfern im allgemeinen zuviel dem sensationssüchtigen Leser, und das hafst Stendhal, das tut er nicht. So kommt es, dafs er oft mitten in seiner Darstellung abbricht mit dem Bemerken „trop romanesques et surtout trop usées par les romans pour être rapportées", oder „il est plus sage de supprimer la description d'un tel degré de félicité et d'égarement" II, 110, „quand Julien quittait la chambre de Madame de Rénal on eût pu dire en style de roman, qu'il" I, 84, „mais ici il faudrait chercher le style épique: où trouver des couleurs pour peindre les torrents d'indignation qui" Ch. 358. Es sind alles Stellen, welche die meisten Romanleser gefesselt hätten, er verzichtet aber mit Freuden auf solche Leser. Fänden sie Geschmack an seinen Schriften, so sähe er darin eine Selbsterniedrigung. Überhaupt, über jeden Leser macht er sich lustig, er fühlt sich erhaben über alle seine Mitmenschen. U n d so begnügt er sich nicht allein damit, seinem Leser Vorschriften über die Auffassungsweise der H a n d l u n g seiner Personen zu machen, er erlaubt sich sogar seinen Leser zu beurteilen, ihm zu schmeicheln, aber mit welchem Hohngelächter! Er verleugnet seine Heimat Grenoble, nicht, wie man meistens annimmt, weil er dort im Vaterhause nicht die schönsten Stunden verlebt hat, sondern um stolz auf sich als Pariser sein zu können. Belehrung gibt er seinem Leser gern, aber gerade darin verrät er sich als Provinzler, denn wie wäre es einem Pariser eingefallen, jenem Belehrungen über die Hauptstadt zu geben, der hätte gar nicht so weit gedacht. Wie spielt sich z. B. hier Stendhal als Pariser auf, aber wie täppisch stellt er sich dabei an, „Le lecteur s'il est d e Paris ne sait peutêtre pas qu'en province ce qu'on appelle être aimable, c'est de s'emparer exclusivement de la conversation, parler fort haut, et raconter une suite d'anecdotes . . . et dont pour surcroît d e ridicule le narrateur est toujours le héros." Le Juif, 294. Stendhal aus Grenoble schreibt! ig. Endlich haben wir noch einige Exkurse anzuführen, die Stendhal absichtlich setzte, für die er aber ein besonderes Interesse hatte, da sie eigene Erlebnisse wiedergeben. So z. B. die Begeisterung Juliens für .certains dragons du 6 m e ', wobei Stendhal als Unterleutnant im Jahre 1800 stand. Oder die kleine Zurechtweisung Juliens durch M. d e la Mole, weil er cela mit „11" geschrieben hatte, I, 240, dasselbe war auch Stendhal vorgekommen, als er auf dem Kriegsministerium für M. Daru schrieb. Hierher sind auch die kleinen Anekdoten zu rechnen, wie d a s Gespräch der Maurer über „l'autre", das Julien im Seminar belauschte, oder die Erzählung über die Bauernfängerei auf dem „Père Lachaise", I, 259.

39 Ferner haben wir d a s K a p i t e l 2 a u s A r m a n c e zu erwähnen. „Essayerons-nous de rappeler les différents genres de douleur qui marquaient chaque instant de sa vie? L e lecteur ne se lassera-t-il pas de ces tristes détails?" Stendhal erzählt uns die Qualen, welche der verliebte Octave erduldet, weil er die Geliebte nicht mehr sehen will. Ein ganzes Kapitel, ohne dafs die Handlung auch nur den geringsten Fortschritt macht. Man mufs unbedingt die Beobachtungsgabe Stendhals bewundern, er versteht es Details zu schildern, aber er langweilt den gewöhnlichen Leser. Oder wollte er vielleicht das lächerliche Benehmen eines Verliebten wiedergeben, mit dem Gedanken sich im Stillen über seinen eventuellen Leser lustig machen, der sich vielleicht in ähnlicher L a g e befindet? Bei allen bisher erwähnten Exkursen lag es mehr oder weniger 2 0 . in der Absicht Stendhals von der Handlung abzubiegen. Die meisten derselben entsprangen seinem Spott oder Hohn, den er zu gern über seine Umgebung ausschüttet, er, der Erhabene. Jetzt wollen wir uns der Betrachtung von Exkursen anderer Art zuwenden, die manchmal z w a r d e n s e l b e n I n h a l t h a b e n , a b e r u n a b s i c h t l i c h g e s e t z t s i n d , ohne dafs Stendhal sich dessen bewufst ist, dafs er von der Handlung abweicht V o m Stoffe fortgerissen, gibt er seiner Bewunderung, seiner Entrüstung, oder was für ein lobendes oder tadelndes Gefühl ihn auch immer beseele, Ausdruck. Bei der Häufigkeit der bisher angeführten Exkurse können wir uns schon teilweise von dem gegen die Strömung schwimmenden, gegen das Alltägliche kämpfenden Stendhal ein Bild machen. Er, der verärgerte Junggeselle, sucht in seinen Romanen, nahezu aus Opposition zu den herrschenden Romanschriftstellern, möglichst objektiv zu schreiben. Wir leben seiner Ansicht nach in einem „siècle de l'hypocrisie", und da heifst es aufpassen, da heifst es, die Umgebung möglichst wenig in sein Inneres sehen lassen. Aber trotz der scharfen Geiselung dieses Lasters ist auch er ihm verfallen. Wie sein Julien hat er es fertig gebracht, seine Gefühle und Leidenschaften zu unterdrücken zu Gunsten des Verstandes. Hier und da dringt jedoch auch noch in seinen Schriften der junge, der leidenschaftliche Beyle durch, und in seiner Begeisterung resp. Freude läfst er seine Feder über das Papier sausen. Während wir die mit Absicht gesetzten Exkurse nach ihrem 2 1 . Inhalte einteilten, wollen wir jetzt nur eine kurze Übersicht über die verschiedenen Excurse und ihren Inhalt geben, dann aber, um einerseits das Gefühlsleben Stendhals, andererseits das Verhältnis zwischen Autor und Leser etwas näher beleuchten zu können, die Form dieser Exkurse ins Auge fassen. Wie die schon erwähnten Exkurse gilt auch i h r I n h a l t 2 2 . meistens d e r A n t e i l n a h m e an der H a n d l u n g s w e i s e s e i n e r P e r s o n e n , oder er sucht seine Entrüstung über die herrschenden Gesellschaftszustände, selten seine Billigung derselben auszudrücken,

4° endlich sucht er, seiner Neigung folgend, auch ab und zu die Handlungsweise einer Person aus ihrer psychologischen Konstitution zu erklären. Bei allen diesen Exkursen finden sich natürlich solche, die zur I r o n i e neigen, im allgemeinen jedoch habe ich diese im ersten Teil erwähnt, da dieselben, dem Wesen der Ironie entsprechend, fast stets mit Absicht gesetzt sind. Wir fassen die Ironie als ein „intellektuelles Gefühl". Stendhal v e r u r t e i l t , „Julien essaya de se justifier. Rien de plus absurde. Se justifie-t-on de déplaire?" 11, i iö, b e w u n d e r t , 1 , 4 5 , II, 1 7 2 . 2 1 7 , i s t v e r w u n d e r t über eine Handlung, „Cette manière de voir dura. Mathilde fut presque heureuse ce jour-là, car elle fut tout à l'amour. On eût dit que jamais cette âme n'avait été agitée par l'orgueil, et quel orgueil!" II, 1 0 1 , id. 1 7 0 , 1 7 2 , 194. L. L. 233. Dann f r e u t s i c h S t e n d h a l am G l ü c k e i n e r P e r s o n , Arm. 93. „Mais le ton, dont certains mots étaient dits! les regards qui quelquefois les accompagnaient; tout autre qu'Octave eût su y voir l'expression de la passion la plus vraie", oder er b e d a u e r t sie, Arm. 82. „Par combien de sacrifices Armance n'eût-elle pas acheté en cet instant le pouvoir de pleurer en liberté?" vgl. I, 1 2 2 , 11,209, oder Stendhal sieht sich in seinem Inneren verpflichtet, s e i n e n H e l d e n zu e n t s c h u l d i g e n , wie z.B. I , 2 i . „Julien jugea qu'il serait utile à son hypocrisie d'aller faire une station à l'église. Ce mot vous surprend? Avant d'arriver à cet horrible mot, l'âme du jeune paysan avait eu bien du chemin à parcourir." Einen weiten Raum nehmen jene Exkurse ein, in denen Stendhal sich nicht zurückhalten kann, die z e i t g e n ö s s i s c h e G e s e l l s c h a f t zu g e i s e i n , z. B. „En cet instant Madame de Bonnivet eût marché au martyre pour assurer le triomphe de sa nouvelle religion, la générosité et le dévouement brillaient dans ses yeux. Quel triomphe pour la malignité qui l'observait! Et ces deux êtres, les plus remarquables du salon . . . ne songeaient nullement à se plaire, et rien ne les occupait moins, c'est ce qui eût semblé parfaitement incroyable à Madame la Duchesse . . . les femmes de France les plus fines. Voilà comme on juge dans le monde des sentiments." Arm. Vgl. 1 , 7 8 , 8 5 , 1 5 3 , 1 6 1 , 196, 1 9 9 , 209 usw. Ferner haben die Exkurse oft E r k l ä r u n g e n p s y c h o l o g i s c h e r Art zum Inhalt. Stendhal geht derartig in seinen Beobachtungen auf, dafs er sich gerade hierin fortreifsen läfst. Er lebt dem, für was er sich interessiert. „ . . . à chaque pas Octave découvrait une nouvelle nuance de malheur, une nouvelle raison pour se mépriser. Cet instinct de bien-ctre qui existe toujours chez l'homme, même dans les instants les plus cruels, même au pied de l'échafaud, fit qu'Octave voulut comme s'empêcher de penser. Il se serrait la tête des deux mains, il faisait comme des efforts physiques pour ne pas penser." Aim. 1 1 4 . Vgl. I, 85. II, 82. Ch. 1 9 2 , 286. 23.

Betrachten wir diese unabsichtlich gesetzten Exkurse, so fallen uns in der Hauptsache zwei verschiedene Darstellungsarten der-

4i selben auf. E n t w e d e r stellt S t e n d h a l e i n e F r a g e o d e r a b e r , f o r t g e r i s s e n , gibt er s e i n e r A u s s a g e d i e F o r m e i n e s A u s r u f e s . Z. B. „Mais laissons ce petit homme à ces petites craintes. Pourquoi a-t-il pris dans sa maison un homme de cœur, tandis qu'il lui fallait l'âme d'un valet? Que ne sait-il choisir les gens?" Wie tritt uns hier Stendhal als harter, erbarmungsloser Mensch gegenüber! Er e r g r e i f t P a r t e i f ü r s e i n e P e r s o n e n , und während er im allgemeinen seine Hauptfiguren für jeden Fehler, für jede zweifelhafte Handlung entschuldigt, — wie z. B. Octave, Armance, Julien, Madame de Renal, Mathilde, Fabrice, usw. — kennt er bei den anderen oft kein Mitleid, wenn er auch Herrn de Rénal einmal wirklich bedauert. Aber das ist keine Sympathie für ihn, das ist das zeitweilige Mitleid, welches man unter Umständen zu seinem Todfeinde empfinden kann. Man mufs wirklich daran zweifeln, ob ein edles Gemüt derart höhnen kann über das Mifsgeschick seines Nächsten. Er fährt alsdann fort, „La marche ordinaire du dix-neuvième siècle est que, quand un être puissant et noble rencontre un homme de cœur, il le tue, l'exile, l'emprisonne, ou l'humilie tellement, que l'autre a la sottise d'en mourir de douleur." Er erklärt uns wenigstens dieses sein starres, kaltes Wesen Herrn de Rénal gegenüber. Erst macht er sich Luft, sein Gemüt hat sich wieder beruhigt, und so gibt er uns denn sofort den Grund seiner Erregung. E r hadert mit seiner Zeit, er ist empört über die oft so ungerechte Handlungsweise innerhalb der modernen Gesellschaft. In seinen Theorien ist er ein Kind der Revolution, — in der Praxis wollte er nichts von Gleichheit wissen — und wie manchesmal mufs er da in den Kreisen, wo er zu verkehren pflegte, und in denen er seine Romane spielen liefs, in Widerspruch mit sich selbst gekommen sein. Wir finden eine ganze Anzahl von Stellen, in denen, wie hier, der Frage ein Satz im Präsens folgt, Explosion der Leidenschaft in Stendhal, und unmittelbar danach Beruhigung! Vgl. I, 2 1 , 1 6 1 . Ch. 286. Auch an anderen Stellen dringt diese U n z u f r i e d e n h e i t mit 24. d e r Z e i t durch, z. B. „le marquis se piqua. Il croyait avoir raison, belle raison! Or s'il est permis de le dire, quel est le juge qui n'a pas un fils ou du moins un cousin à pousser dans le monde" I, 199. Wie liegt gerade in dieser Stelle die ganze Verbitterung Stendhals mit der zeitgenössischen Gesellschaft, wenn man sich Stendhals Lebenslauf vergegenwärtigt. Oder in folgendem, wo Stendhal den Leser sozusagen die Frage stellen läfst, wie hafst er diesen Leser, und mit welch wilder Lust tritt er ihm entgegen, ihm und seiner Auffassung der Dinge, welche nicht die seine ist: „je me garderai de raconter les transports de Julien à Malmaison. Il pleura. Quoi! malgré les vilains murs blancs construits cette année, et qui coupent ce parc en morceaux? — Oui, monsieur, pour Julien comme pour la postérité il n'y avait rien entre Arcole, Saint Hélène et la Malmaison" 1 , 2 3 1 . Man beachte, wie Stendhal in seiner Erregung das Verbum in der Frage gar nicht wiederholt,

42 oder im vorhergehenden in das „belle raison" seinen ganzen Spott legt. (Vgl. ähnliche Sätze ohne Verbum Ch. 286. I, 109, 231. 11,38, 209. L. L. 185.) D e r S p o t t spielt auch hier die Hauptrolle, u n d wie gut läfst er sich in die Form der Frage giefsen, z. B. „Comment l'avocat cé.èbre les lui eût-il expliqués, s'il ne les comprenait lui-même? I, 209. Andere Fragen, die auch Gefühle, welche Stendhal empfand, wiedergeben, drücken s e i n e V e r w u n d e r u n g aus. Was natürlicher, als diese durch die Frage darzustellen. „Qui eût pu deviner que cette figure d e jeune fille, si pâle et si douce, cachait la résolution inébranlable d e s'exposer à mille morts plutôt que d e ne pas faire fortune?" 1,22. Man vergleiche auch 11,173, w o dieses „oserai-je dire qu'en rentrant dans sa chambre, Julien se jeta à genoux et couvrit de baisers les lettres d'amours données par le prince Korasoff" keine blofse Phrase, wie die oben erwähnten, ist. Hier ist wirkliches E r s t a u n e n darüber, dafs die Liebe selbst einen solch starken Willen wie den Juliens derart erregen kann. Ahnlich wie letztere Exkurse sind jene, worin sich Stendhal etwas i n d e n G e d a n k e n g a n g s e i n e s L e s e r s v e r t i e f t . Er stellt für ihn die Frage. Z. B, „11 eût presque la présomption d e se croire la cause de cette exactitude si ponctuelle. Pourquoi? Cette idée ne semble pas raisonnable. Mais l'amour observe des nuances invisibles à l'œil indifférent, et en tire des conséquences infinies." Ch. 280. Vgl. I , i 2 i . Ch. 51. L. L. 232. Er begreift das Erstaunen seines Lesers, der vielleicht noch nicht ganz das Wesen seiner Personen erfafst hat. Einen breiten Raum nehmen die sogenannten r h e t o r i s c h e n F r a g e n ein, die an Stelle eines Ausrufes stehen. Sie haben den Vorteil, dafs sie infolge ihrer Form als Frage das Verhältnis zwischen Schriftsteller und Leser aufs engste gestalten. Während der Ausruf an sich stets mehr oder weniger eine einseitige Begeisterung darstellt, wird dieses innige Verhältnis zwischen Autor und Leser erst auf dem Wege der Sympathie hergestellt. In Armance ist diese Art der Fragestellung nur höchst selten (vgl. 48). In Le Rouge et Noir dagegen begegnen wir ihr auf manchen Seiten auf Schritt und Tritt, z. B. II, 101, 103, 109, 116. „C'est donc toi! dit-elle se précipitant dans ses bras . . . Qui pourra décrire l'excès du bonheur d e Julien?" 109 oder „Que devenait-il quand après dîner il la voyait se promener avec monsieur de Caylus, monsieur d e Luz ou tel autre pour qui elle lui avait avoué quelque velléité d'amour autrefois éprouvée?" Wie bezeichnend! hier läfst Stendhal sich wirklich fortreifsen, kein „se dit-il" oder ähnliches, was er sonst so sehr liebt, hier mufs er selbst erzählen. Überhaupt sieht man aus der kurzen Aufeinanderfolge dieser Fragen, dafs Stendhal beim Schreiben dieser Zeilen etwas aus seiner Gewohnheit herausgerissen wurde, er schildert die E i f e r s u c h t . Sein ganzes Innere spricht, man fühlt, wie er, der so viel geliebt hat, gerade unter dieser Leiden-

43 schaft gelitten haben mufs. „L'intérieur de sa poitrine eût élé inondé de p'.omb fondu qu'il eût moins souffert." Vielleicht ging es Stendhal wie Julien: „qui avait la douleur de remarquer qu'en parlant, il faisait des découvertes." Auch bei Stendhal bricht wohl die alte Wunde wieder auf, und so tritt uns hier ein Henri Beyle gegenüber, leidenschaftlich, wie er war, nicht affiziert von der „hypocrisie" seines Jahrhunderts (vgl. ferner I, 180). Das Bedauern seines Juliens, die Entrüstung über diese Zeit, die Schuld hat an der Mifsbildung Juliens, dauern nur eine Weile, dann wieder die interessenlose Schilderung wie gewöhnlich, im Gegenteil, er sucht diese Anteilnahme zu verbergen unter dem Deckmantel von Spezialkenntnissen: „Que de peine ne se donnait-il pas pour arriver à cette physionomie de foi fervente et aveugle, prête à tout croire et à tout souffrir, que l'on trouve si souvent dans les couvents d'Italie, et dont à nous autres laïques, le Guerchin a laissé de si parfaits modèles dans ses tableaux d'église." Und in einer Anmerkung hierzu sagt er: „Voir au musée du Louvre, François, duc d'Aquitaine, déposant la cuirasse et prenant l'habit de moine", Nr. 1 1 3 0 . Stendhal sucht jedes Gefühl, das sein Inneres verraten könnte, zu unterdrücken, und interessant ist es dabei die Rolle zu beobachten, welche die abstrakten Zahlen spielen. Beschäftigung des Verstandes ist der gröfste Feind des Gefühles. Wenn Stendhal in der Ch. 3 6 2 sagt: „ Q u e fait hélas la fidélité d'un amant estimé, quand on a lu coeur percé par la froideur de celui qu'on lui préfère?" klingt dies nicht wie ein tiefer Seufzer, der sich seiner Brust entringt? Fast bei allen rhetorischen Fragen ist die Liebe im Spiel, auf ihrem Gebiete kann Stendhal Lehrmeister sein, hier hat er beobachtet und in sein eigenes Herz geschaut, es selbst seziert, und das war nicht ohne die gröfsten Schmerzen möglich. Gerade infolge dieser Schmerzen, resp. seltenen Freude lebte in ihm die Erinnerung weiter, seine Nerven wurden nicht abgestumpft, was die Folge von Übung und Gewöhnung ist, sondern im Gegenteil, sie wurden feiner, denn er zergliederte das Innere nicht, weil es seine Pflicht war, resp. es sein Stand so mit sich brachte, sondern weil er darin sein Vergnügen fand (vgl. II, 38, 7 0 ; Ch. 4 0 0 ; L L . 85). Endlich möchte ich noch eine Frage erwähnen, die uns ganz erkennen läfst, mit welcher Liebe Stendhal an der Figur seines Julien gehangen h a t AU Fouqué für Julien alles opfern will, selbst seine mühsamen Ersparnisse, d a erkennt Julien, was wahre Freundschaft ist, und wo man sie nicht finden kann. „Toutes les fautes de français, tous les gestes communs de Fouqué disparurent, il se jeta dans ses bras." Dieser Anblick rührt Stendhal. „Cette vue du ,sublime' rendit à Julien toute la force que l'apparition d e monsieur Chélan lui avait fait perdre. Il était encore bien jeune, mais, suivant moi, ce fut une belle plante. Au lieu de marcher du tendre au rusé, comme la plupart des hommes, l'âge lui eût donné la bonté facile à s'attendrir, il se fût guéri d'une méfiance folle . . . Mais à quoi bon ces vaines prédictions?" Hier fühlte

44 Stendhal Mitleid mit dem Schicksal Juliens, und wie weh mufs es ihm getan haben, diese schöne Pflanze — wie treffend ist das Bild, wenn man sich die teilnahmsvolle Stimmung Stendhals vergegenwärtigt, die selbst nicht frei ist von einem gewissen Unbehagen des „Sich-Genierens", welches diesen gerade nicht sehr eleganten Satz mit sich brachte — so jäh zerstört zu sehen. Diese Fragestellung hat auch noch einen anderen Zweck. Stendhal reizt damit den Leser, über die Frage nachzudenken, ihm zu antworten. Stendhal drückt sich darüber folgendermafsen aus: „II pique l'amour-propre du lecteur, en lui laissant deviner beaucoup de choses." Die meisten der im ersten Abschnitt erwähnten Exkurse, wie „oserai-je dire" und ähnliche sind also mit Absicht gesetzt. „ L a forme d'énigmes augmente le piquant, et diminue le grandiose", Rae. et Shak. 305. „L'attention est soutenue par de légères énigmes, très courtes. L'amour-propre des lecteurs veut les deviner." Wenden wir uns zu den e i g e n t l i c h e n A u s r u f e n . Das M i t g e f ü h l mit s e i n e n P e r s o n e n u n d i h r e n E r l e b n i s s e n , die innige Zuneigung, welche Stendhal zu einem Teil von ihnen gefafst hat, kommen häufig gerade unter dieser Form zum Ausdruck. „Par combien de sacrifices Armance n'eût-elle pas acheté en cet instant le pouvoir de pleurer en liberté!" Arm. 83, oder wiederum bei der Darstellung der Eifersucht, „ L e malheur de la jalousie ne peut aller plus loin. Soupçonner qu'un rival est aimé, est déjà bien cruel, mais se voir avouer en détail l'amour qu'il inspire par la femme qu'on adore est sans doute le comble des douleurs. Oh! combien était puni en cet instant l'orgueil qui avait porté Julien à se préférer aux Caylus! aüx Croisenois! Avec quel malheur intime et senti il s'exagérait leurs plus petits avantages! Avec quelle bonne foi ardente il se méprisait lui-même! Mathilde lui semblait adorable, toute parole est faible pour exprimer l'excès de son admiration," II, 100. Wie gewinnt hier der sonst schon so präzise Ausdruck Stendhals noch mehr an Klarheit, auf jedem Wort liegt ein besonders schwerer Akzent und doch, wie mufs hier die Feder Stendhals über das Papier geflogen sein, um dieses Bekenntnis seines Inneren auch ja festhalten zu können (vgl. II, 92; Ch. 325). Aber selbst hier kann die Ironie nicht ganz fern bleiben, „loin de là il resta ferme au salon, ses regards ne se tournèrent pas même vers le jardin, Dieu sait avec quelle peine! Il . . ." Einmal jedoch artet diese Ironie aus, sie wird zur S c h a d e n f r e u d e . Es ist für Stendhal geradezu ein Vergnügen, dem Leser den Schmerz des Herrn de Renal möglichst deutlich zu machen. „Un instant après, M. de Rénal, repris par la vanité blessée se rappelait laborieusement tous les moyens cités au billard du Casino, . . . quand quelque beau parleur interrompt la poule pour s'égayer aux dépens d'un mari trompé. Combien, en cet instant, ces plaisanteries lui paraissaient cruellesl" I, 124. Wir finden eben immer wieder bestätigt, für wen Stendhal kein Interesse hat, oder wen er gar hafst, für den tritt er nie ein, im Gegenteil, über den Iäfst er den ganzen Strom seiner

45 Unlust sich ergiefsen. A n verschiedenen Stellen kann Stendhal seine V e r w u n d e r u n g nicht unterdrücken, dafs eine Person auf eine Art handelt, die ihrem inneren Wesen nicht entspricht. Wir erkennen hieraus, wie Stendhal sich manchesmal hat fortreissen lassen, z. B . : „Elle n'osa l'interroger, elle, Mathilde! Il y eut dès ce m o m e n t . . II, 194, vgl. II, 1 7 0 . Teilweise sucht er durch seine Verwunderung die Bewunderung der betreffenden Handlung von Seiten seines Lesers erzwingen zu wollen. Im allgemeinen zeigen diese Ausrufe, welchen Anteil Stendhal 27* an dem Schicksal seiner Personen nimmt, wie er gleichsam mit ihnen fühlt, wenn er auch für gewöhnlich bemüht ist, diese seine Sympathie zu seinen Helden nicht erkennen zu lassen. Aber noch ein anderes lehren uns d i e s e A u s r u f e , sie e n t s p r i n g e n d e m i n n e r e n M e n s c h e n , und so bringen sie manches an die Oberfläche, was der sonst so schlaue Beyle — er hat auch etwas von diesem verschmitzten Wesen des alten Sorel, der zuhört „avec cet air de tristesse mécontente et de désintérêt, dont sait si bien se revêtir la finesse des habitants de ces montagnes" — nicht verraten hätte. E r beurteilt alles, aber viele dieser Urteile sind nur für ihn bestimmt. E r wagt nicht immer seine ganze Meinung auszusprechen, aber in diesen Augenblicken der Leidenschaft läfst er manches Wort fallen, besonders über die Gesellschaft der damaligen Zeit, was er sich in Stunden der Ruhe nicht erlaubt hätte. Oft sind es wahre Ströme der Entrüstung über die Menschen, über seine Umgebung. E r war aus einer anderen Zeit, auch für ihn war die J u g e n d die Zeit, die ihn bildete, von der er zehrte. Wie oft mufste er mit den neuen Anschauungen von 1 8 3 0 / 4 0 zusammenstofsen, und das löste unter Umständen sein ganzes M i f s b e h a g e n aus. Und dann, er hat in die Seele seiner Mitmenschen geschaut, er sah oft zu schwarz, schon 1 8 0 5 schreibt er von Marseille an seine Schwester: „L'étude que j'ai faite des passions me rend soupçonneux, parce que j e vois tous les possibles." Diese Verdachte machen den schon an sich zum Spotte neigenden Menschen bitter, gereizt, pressen ihm H o h n u n d E n t r ü s t u n g auf die Lippen. „ T e l est, hélasI le malheur de cette excessive civilisation. A vingt ans, l'âme d'un jeune homme, s'il a quelque éducation, est à mille lieues d e ce laisser-aller sans lequel l'amour n'est souvent que le plus ennuyeux des devoirs" I, 78. „Etrange effet du mariage tel que l'a fait le dix-neuvième siècle! L'ennui de la vie matrimoniale fait périr l'amour sûrement" I , 1 5 3 . „II faut renoncer à toute prudence. Ce siècle est fait pour tout confondre! nous marchons vers le chaos", LI, 1 8 7 . Die Geistlichkeit kommt natürlich auch nicht ungeschoren davon. „ E l l e écrivait la première (quel mot terrible)!" II, 79. Hier macht sich Stendhal über unseren ganzen Begriff von Anstand und guter Sitte lustig. Warum soll Mathilde nicht zuerst schreiben, warum soll das das

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Privileg des Mannes sein? Das läfst so recht erkennen, wie persönlich Stendhal urteilt. Infolge seiner Beobachtung und Sezierung des menschlichen Herzens hätte er sich, so sollte man wenigstens annehmen, den Unterschied der beiden Geschlechter in dieser Beziehung wohl begreiflich machen, sich erklären können. Aber er ärgerte sich darüber, dafs so manchmal in seinem Leben er sehnsüchtig, doch vergeblich auf einige Zeilen der Geliebten gewartet hat. E r verallgemeinert seinen Fall, er vergibst darüber die Maske abzunehmen, um den wahren K e r n zu erkennen. Hier tritt uns Stendhal zum ersten Male klar als E g o i s t gegenüber. Selbst Paris kann ihn nicht zufrieden stellen. „Cette âme sèche sentit de la passion tout ce qui est possible dans un être élevé au milieu de cet excès de civilisation que Paris admire" II, 194. Die ganze moderne Bildung taugt nichts, soweit kommt er am Schlüsse. „N'eût-il pas mieux valu être fou de bonheur comme l'eût été, dans la position de Lucien, un jeune homme de province, dont l'éducation n'eût pas coûté cent mille francs? Il y a donc une fausse civilisation! Nous ne sommes donc pas arrivés précisément à la perfection de la civilisation! E t nous faisons de l'esprit toute la journée sur les désagréments infinis qui accompagnent cette perfection", L. L . 76. Wer erkennt in diesen Zeilen nicht den U n z u f r i e d e n e n ? Mit vollem Rechte ruft er in Rae. et Shak. aus: „Dieu me délivre des drames et des dramaturges, et avec eux de tout sentiment de haine et d'indignation! J e n'en trouve que trop dans mon journal", und 1 8 4 2 hätte er sagen können, „dans mes romans". Selbstverständlich finden solche Exkurse, die von Stendhal absichtlich gesetzt sind, stets s e i n e n B e i f a l l . So ist es gar nicht zu verwundern, dafs er diesen über seine eigene gute Idee in Form eines Ausrufes kundgibt Z. B . : „Pour elle, après cet entretien, elle était dans la position d'un homme qui a pris une dose de ,stramonium', il n'agit plus que par ressort, pour ainsi dire, et ne porte plus d'intérêt à lien. Ainsi il arriva à Louis X I V mourant de dire, .Quand j'étais roi 4 . Parole admirable!" I , 1 5 6 . Oder „Ici même que s u i s - j e autre que le ,terzo incommodo' (cette langue italienne est toute faite pour l'amour)!" Diese Ausrufe der Begeisterung geben ein beredtes Bild von dem selbstgefälligen Wesen Stendhals. Ferner fallen uns neben den gewöhnlichen Ausdrucksmitteln, wie W o r t r e i c h t u m , W i e d e r h o l u n g e n , r e s p . W i e d e r a u f g r e i f e n desselben Wortes die häufigen K o n j u n k t i v e a u f , d i e m e i s t konditionalen Charakter tragen. Stendhal sieht nicht allein seine unmittelbare Umgebung, er beobachtet also nicht allein, sondern verarbeitet gleichsam seine Beobachtungen, so dafs er auch die Möglichkeiten, die hätten eintreten können, überblickt.

47 Vergleichen wir die Zahl der absichtlich und unabsichtlich gesetzten Exkurse, so müssen wir sagen, dafs die Zahl der letzteren verhältnismäfsig geling ist. Denn während ich von jenen nur einen Teil angegeben habe, sind diese nahezu vollständig aufgeführt, soweit dies überhaupt möglich ist. Ihre Betrachtung hat uns folgendes gezeigt: Wir können uns durch sie ein ungefähres Bild machen von dem Menschen Beyle, von dem Schriftsteller Stendhal. Der sonst so zurückhaltende — ist dies nicht sonderbar bei einem derartigen Spötter? — geht hier ab und zu einmal aus sich heraus, u n d läfst uns ein wenig in sein Inneres schauen. Manche gute Eigenschaft erkennen wir d a , aber auch manche nicht gerade lobenswerte, wir haben es mit einem Charakter, mit seinen Stärken u n d Schwächen zu tun. Eins können AÜr sagen, Stendhal ist ein Spötter, Spott und bittere Ironie begleiten ihn stels, aber, und das ist wichtig, e r h a t d i e L a c h e r n i c h t a u f s e i n e r S e i t e ! Ferner zeigen sie uns, dafs der in seiner Jugend so leidenschaftliche Beyle in seinen späteten Jahren unzufrieden ist mit seiner Zeit, ihren Anschauungen, ihrer Gesellschaft. Er ist enttäuscht, verä r g e r t , und das Alter brachte ihm nicht, was der einst ehrgeizige Jüngling erhofft hatte. Dieser Ärger nimmt nur allzu oft seinem Spott das Unschuldige, so dafs er beifsend, abstoßend wird. Infolge seines starken Selbstbewufstseins gibt er seinen Mitmenschen die Schuld an seinen Mißerfolgen, schliefst sich sogar zeitweise von ihnen ab, traut zu guter letzt nur noch sich, er wird zum krassesten Egoisten. . Wie steht es aber mit der Anteilnahme Stendhals an seinen Romanen? Schildert er seine Zeit, die Gesellschaft, Salons oder Geistlichkeit, Provinz oder Paris, überall hat er auszusetzen, überall wird er bitter, iroiiisch, cynisch. Stellt er aber Gefühle dar, oder andere psychische Gebilde, so geht er auf in seiner Arbeit, freut sich mit seinen Helden, oder trauert mit ihnen.

Zusammenfassung. Wir haben also bisher gesehen, dafs der persönliche Gehalt des Schriftstellers in Stendhals Romanen nicht den Anforderungen entspricht, die man an ein Kunstwerk stellen mufs. Dasselbe E r gebnis zeitigte unsere Betrachtung über den Stil. Zwar beschäftigt uns Stendhal in seinen Werken, er ist aber weit davon entfernt, uns darin jenen ästhetischen Genufs zu schaffen, und zwar erreicht er dieses Ziel nicht infolge der lässigen Anordnung des Stoffes u n d der schmucklosen Darstellung desselben. Wie steht es aber mit dem Stoffe selbst? Seiner Betrachtung soll der Hauptteil dieser Abhandlung zugewandt werden. Doch auch hier wollen wir nicht ohne weiteres den Stoff nach den Gebieten, woraus der Schriftsteller ihn gezogen hat, untersuchen, sondern wir wollen zusehen, welche Gemütsbewegungen Stendhal

48 schildert, wie er sie schildert, warum er sie gerade so schildert, und wie ihr Verhältnis zueinander ist. Wir wissen alle, wie Corneille die Liebe, welche bei ihm zur Galanterie herabsinkt, als zu schwächlich in den Hintergrund zu drängen sucht, und den Ehrgeiz und die Rachsucht als wirklich tragische Leidenschaften anerkennt. Diese untragische Liebesleidenschaft tritt wieder bei Racine in ihre Rechte ein. Im Roman steht auch für gewöhnlich die Liebe im Brennpunkt, und in ihr konzentrieren sich gleichsam alle anderen Leidenschaften. Wie ist dies nun bei Stendhal? wie beurteilt er die einzelnen Gemütsbewegungen, und welche ist für ihn die treibende Feder des menschlichen Innenlebens? Der Beantwortung dieser Fragen soll der folgende Abschnitt gewidmet sein.

Zweiter Hauptteil. Die Betrachtung der Gemütsbewegungen bei Stendhal. Vorerst ein Wort über die Einteilung der Gemütsbewegungen. Gerade über diesen Punkt gehen die Ansichten der Psychologen weit auseinander. Dieser Umstand beeinträchtigt aber nicht im geringsten unsere Abhandlung, denn wir haben wenig Wert darauf zu legen, ob eine Gemütsbewegung zusammengesetzt oder ob sie elementar ist. Hier handelt es sich hauptsächlich darum, die einzelnen Gemütsbewegungen festzuhalten. Fast alle Psychologen stimmen aber darin überein, dafs die elementaren Qualitäten der der Gefühle in Lust und Unlust bestehen. So wollen wir deren Besprechung, ihre Behandlung durch Stendhal und ihr Verhältnis zu den anderen an die Spitze des Hauptteiles stellen.

Die Lust „J'appelle plaisir toute perception que l'âme aime mieux éprouver i . que ne pas éprouver. Désiré-je m'endormir plutôt que de sentir ce que j'éprouve, nul doute, c'est une peine. Les désirs d'amour ne sont pas de peines, car l'amant quitte, pour rêver à son aise, les sociétés les plus agréables. Par la durée les plaisirs du corps sont diminués. Pour les plaisirs de l'âme, ils sont augmentés ou diminués par la durée, suivant les passions: par exemple, après six mois passés à étudier l'astronomie, on aime davantage l'astronomie, après un an d'avarice on aime mieux l'argent . . Tous les plaisirs ne viennent pas de la cessation de la douleur . . . On invente la machine à tailler les plumes; je l'ai achetée ce matin, ce n'est qu'un grand plaisir pour moi, qui m'impatiente à tailler les plumes; mais certainement je n'étais pas malheureux hier de ne pas connaître cette machine . . . Il est inutile de définir le bonheur, tout le monde le connaît: par exemple, la première perdrix que l'on tue au vol à douze ans; la première bataille d'où l'on sort sain et sauf à dix-sept L e plaisir qui n'est que la cessation d'une peine passe bien vite, et au bout de quelques années le souvenir n'en est pas même agréable. L e plaisir causé par la cessation de la douleur consiste: i . à remporter la victoire contre toutes les objections qu'on se fait successivement 2. à revoir tous les avanBtiheft iur Zeiuchr. f. rom. Phil. X X X V .

A

5° tages dont on allait être privé. L e plaisir causé par le gain de cinquante mille francs consiste à prévoir tous les plaisirs nouveaux et extraordinaires qu'on va se donner. Il y a une exception singulière: il faut voir si cet homme a trop ou trop peu l'habitude de désirer une grande fortune. S'il a trop peu de cette habitude, s'il a la tête étroite, le sentiment d'embarras durera deux ou trois jours. S'il a l'habitude de désirer souvent une grande fortune, il aura usé d'avance la jouissance par se la trop figurer. Ce malheur n'arrive pas dans l'amour-passion. Une âme enflammée ne se figure pas la dernière des faveurs, mais la plus prochaine: par exemple, d'une maîtresse qui vous traite avec sévérité, l'on se figure un serrement de main. L'imagination ne va pas naturellement au delà: si on la violente, après un moment, elle s'éloigne par la crainte de profaner ce qu'elle adore. Lorsque le plaisir a entièrement parcouru sa carrière, il est clair que nous retombons dans l'indifférence; mais cette indifférence n'est pas la même que celle d'auparavant. Ce second état diffère du premier, en ce que nous ne serions plus capables de goûter, avec autant de délices, le plaisir que nous venons d'avoir. Les organes qui servent à le cueillir sont fatigués, et l'imagination n'a plus autant de prépension à présenter les images qui seraient agréables aux désirs qui se trouvent satisfaits. Mais si au milieu du plaisir on vient nous arracher, il y a production de douleur" (vgl. hauptsächlich De l'Amour 2 8 1 — 2 8 4 ) . Diesen Ausführungen nach bestände also die reine Freude in dem Genufs, welchen das Neue mit sich bringt. Die Abenteuererlust wird vor allem zufriedengestellt Nur das erste Mal kann man wahre Lust über etwas empfinden, nur sie läfst einen dauernden Eindruck zurück. Es sind dies Theorien, die Stendhal, auf seine Erfahrung gestützt, bis zu seinem 40. Jahre ungefähr ausgebildet hatte. Zwar schreibt er uns später nicht mehr mit solcher Ausführlichkeit über ,plaisir et peines', aber aus seinen Romanen, die er seit 1827 veröffentlichte, können wir uns ein klares Bild von seinen Beobachtungen und seinen derzeitigen Ansichten über Lust und Unlust machen. !.

Bei der Betrachtung von Lust und Unlust müssen wir dreierlei unterscheiden: 1. Chokgefühle. 2. Lust- und Unlustaffekte, d. h. sie sind nur Begleiterscheinungen, die engere Qualität eines Affektes wie Zorn, Furcht usw. bestimmend. 3. Stimmungsgefühle, wie Freude, Glück, Sorge, Kummer. Bei der Besprechung von den Affekten werden wir, wenn nötig, jeweils erwähnen, ob wir es mit Lust- oder Unlustaffekten zu tun haben. Hier werden wir uns hauptsächlich mit ersterem beschäftigen, wobei wir die Zustände nicht aufser Acht lassen dürfen, wenn diese auch eigentlich nicht zu den Gemütsbewegungen zu zählen sind. Bei Bestimmung der ,Lust', des Vergnügens, der Freude, legt Stendhal den Hauptwert auf den Zustand, in welchem sich die Seele vorher befand. In Rae. et Shak. sagt er: „Soit un homme dans un état d'indifférence, il lui arrive un plaisir; soit un autre dans un état de vive douleur, cette douleur cesse subitement, le

5i plaisir qu'il ressent est-il de même nature que du premier homme? Monsieur Verri dit que ,oui', et il me semble que ,non'. u Vergleichen 'wir dazu eine Stelle in Le Rouge et le Noir: Frau de Rénal denkt gerade über das Porträt nach, welches sie nicht sehen sollte. Sie ist eifersüchtig, in einem Zustand des größten Schmerzes, „de la douleur"; da kommt Julien, „et prit sa main qu'il baisa avec plus de sincérité qu'il n'avait jamais fait. Elle rougit de bonheur et presque au même instant, repoussa Julien avec la colère de la jalousie" i, 59. Hier sehen wir deutlich, wie das Glück abhängig ist von der vorhergehenden Gemütsverfassung. Betrachten wir ferner die Beispiele, welche Stendhal uns bei der Definition der Lust gibt, so fällt uns bei beiden auf, dafs es erstmalige Ereignisse sind, welche diese Freude hervorrufen. Unbedingt, die Lust ist in den betreffenden Fällen grofs, man wird sich wohl sein ganzes Leben an solche Dinge erinnern, aber ich glaube, es gibt doch noch gröfsere Freuden. Ist dies denn ein Beweis dafür, dafs eine Lust grofs war, wenn sie in der Erinnerung haften bleibt? Mehr der Kuriosität halber behält man solche Ereignisse. Die Erinnerung steht dem Verstände ziemlich nahe, hat aber nicht im geringsten etwas zu tun mit dem Gefühl. Über die Freude des Parisers äufsert sich Stendhal einmal folgendermafsen: „ . . . je dirais que le style de Rossini est un peu comme le Français de Paris, vain et vif plutôt que gai; jamais passionné, toujours spirtuel, rarement ennuyeux, plus rarement sublime" Ross. 3 1 6 . Die Lust des Parisers ist also in gewissem Sinne durchgeistigt, sie ist kein reines Lustgefühl. Was ist aber ,ce plaisir causé par la cessation de la douleur?' Worin besteht dieser Schmerz? Körperliche Schmerzen kommen nur in den seltensten Fällen in Betracht, also müssen wir seelische, und zwar Gefühle des Schmerzes, der Unlust, näher ins Auge fassen. Vergleichen wir genauer, so inufs uns auffallen, dafs der Wunsch eine grofse Rolle spielt. Stendhal sagt einmal: „Une passion est la longue persévérance d'un désir." In dem erwähnten Abschnitt führt Stendhal nicht weniger als viermal den Wunschan: „Désiré-je m'endormir . . . l'habitude de désirer . . . déshabitué de désirer . . . plaisir que l'on aime mieux éprouver qu'un autre . . . " Welches Gefühl bringt aber der unerfüllte Wunsch mit sich? das der Spannung. Ja, diese Spannung wirkt bestimmend auf das Vergnügen ein, sie ist dieser Schmerz. So wollen wir, durch Stendhals Gedankengang angeregt, den Affekt der Lust einteilen nach der jeweiligen Lösung der vorausgegangenen Spannung. Lust ist in diesen Fällen das Gefühl, welches die glückliche Lösung eines Wunsches, einer Spannung also, begleitet Zuerst haben wir die Lust zu verzeichnen, die dadurch ent- g. steht, dafs irgend ein W u n s c h in E r f ü l l u n g g e h t , z. B. die Lust des alten Marquis', als er hört, dafs das Entschädigungsgesetz wahrscheinlich durchgehen werde. „Toutes les sonnettes se trouvèrent tout à coup en mouvement. Bientôt le vieux marquis se fit 4*

52 annoncer chez sa femme qui était encore au lit, lui-même ne s'était pas donné le temps de s'habiller. Il vint l'embrasser les larmes aux yeux: Ma chère amie, lui dit-il, nous verrons nos petits-enfants . . (Arm. 18) und so bringt er denn seiner Frau auf die umständlichste Art der Welt bei, mit den Wirkungen des neuen Vermögens auf seine zukünftigen Enkel beginnend, was ihn so freudig stimmt. Oder die Freude Luciens, als er zum ersten Mal seine Uniform erblickt. Erstlingsfreuden und Überraschungen vergröfsern natürlich oft das Vergnügen. Bei Überraschungen wird die Erwartung noch übertreffen. Z. B . : „Au mot que lui adressa madame de Chasteller, Lucien devint un autre homme, . . . tout à coup il osa parler et beaucoup . . . sa voix s'éclaircit . . . " L. L. 2 2 3 . Vgl. id. 1 7 , 232. I, 26, 46, 53, 1 2 9 , 1 3 4 , 1 5 6 . Erwähnen möchte ich noch jene Stelle, wo Julien in gröfster Angst schwebt, vor reiner Spannung, ob er die Hand Frau de Rênals bekomme, oder ob sie ihm dieselbe verweigere: „Son âme fut inondée de bonheur, non qu'il aimât Madame de Rénal, mais un affreux supplice venait de cesser" I, 53. Hier erkennen wir deutlich diesen Schmerz, es ist die Spannung, die in verschiedener Stärke auftreten kann, und damit zusammenhängend die Stärke des Affektes. Vgl. Ch. 29, 39, 45, 7 2 , oder: „Elle se jeta dans ses bras. Au bout d'un instant, Ferrante s'évanouit presque de bonheur", 3 3 4 . Das hätte sich Ferrante nie träumen lassen, geschweige denn erhofft, „avec un serrement de main" wäre er schon zufrieden gewesen. Ein kurzes Erstaunen, und dann ,au bout d'un instant' läfst die Freude ihn fast die Besinnung verlieren. Wenn das Glück zu plötzlich kommt, so verhindert das Erstaunen, dafs dieses sofort durchdringt. Vgl. „Cette dernière phrase étonna tellement Fabrice, qu'il lui fallait quelque seconde pour s'en réjouir..." Hand in Hand mit dieser Freude geht j e n e über den Erfolg, sie ist im Prinzip dieselbe wie diese, denn auch hier wird in gewissem Sinne die Spannung erfolgreich gelöst. „Julien était fou de j o i e ; cet avancement était le premier qu'il obtenait." I, 1 9 5 . Gröfser als diese Freude bei Lösung der Spannung kann die Lust wohl schwerlich werden, man bedenke, dafs Ferrante nahezu in Ohnmacht fällt, und dafs die Gräfin einmal „tomba dans un évanouissement qui dura une heure et donna des craintes d'abord" Ch. 4 0 5 . Dagegen kann- wohl die Kuriositätenfreude über das getötete Rebhuhn nicht aufkommen. Aber trotzdem, die Existenz dieser Freude über das Neue kann nicht geleugnet werden. E s scheint mir, dafs diese Beispiele von Stendhal schlecht gewählt sind, vielleicht infolge seiner Unsicherheit auf diesem Gebiete. „11 est inutile de définir le bonheur, tout le monde le connaît" ist eine Verlegenheitsphrase, die uns gar nicht befriedigen kann, besonders wenn wir die sonstige Gründlichkeit Stendhals in solchen Dingen uns vergegenwärtigen. Suchen wir also, wir müssen wirklich suchen, Stellen in seinen Romanen, in denen ein solcher Lustaffekt sich zeigt. „Le bonheur d'aller à Paris . . . " Julien hatte hinter den Mauern des Seminars schwerlich daran gedacht . . . „11 se présenta

53 à son ami Fouqué comme privé de son libre arbitre par là lettre de l'abbé" I, 2 1 2 , oder die Freude Juliens, als Mathilde ihm mitteilte, dafs ihr Vater ihn zum Lieutenant bei den Husaren habe ernennen lassen, „sa joie fut extrême". Eine gewisse Abenteuererlust wird' ebenfalls bei beiden Fällen befriedigt. Vielleicht ist die Freude, welche das Wiedersehen einer geliebten Person nach langer Zeit mit sich bringt, der angeführten Lust ähnlich, nicht gleich. Vgl. Ch. 7 2. Fabrice sieht seine Mutter, Tante und Geschwister glücklich wieder, und dieses Gefühl der Freude überwiegt alles. „Nous ne nous arrêterons pas à peindre les transports de tendresse et de joie qui, ce jour-là encore, agitèrent ces êtres si heureux." Hier gibt uns Stendhal auch einen Unterschied der italienischen Lust an. Er sagt: „Les cœurs italiens sont beaucoup plus que les nôtres tourmentés par les soupçons et par les idées folles que leur présente une imagination brûlante, mais en revanche leurs joies sont bien plus intenses et durent plus longtemps. Ce jour-là la comtesse et la marquise étaient absolument privées de leur raison; Fabrice fut obligé de recommencer tous ses récits." Infolge der flammenden Phantasie ist natürlich die Spannung des Italieners gröfser, und damit im Zusammenhang selbstverständlich auch die Freude. So fallen, denn auch zweimal Italiener infolge des Lustafifektes in Ohnmacht, resp. ersticken nahezu, während bei den Franzosen die Wirkung nicht so stark ist; nur Frau de Rénal wird krank, weil sie zu sehr in dem Triumph über Elisa schwegte, I, 46. Vgl. auch die Freude der Erinnerung: F é d e r 3 7 i ; 1 1 , 8 , 2 5 4 ; Ch. 143, 1 4 7 , x 50. Wie die Freude von der Gröfse der Spannung abhängt, zeigt uns auch folgende Stelle, die ebenfalls die Freude des Italieners kennzeichnet: „ J e crois aussi avoir trouvé hier pourquoi les peuples du Midi, qui sentent si vivement l'amour, aiment le genre de Marini: la recherche dans l'expression de ce sentiment, duquel ils sont les meilleurs juges. C'est que l'expression naturelle leur semble trop aisée à trouver; elle manque pour eux cet ingrédient du plaisir qui vient du sentiment de la ,difficulté vaincue'. Un parterre composé de Florian, Beonaud, etc. trouve déjà ce sentiment de la ,difficulté vaincue' dans l'action d'inventer l'expression du sentiment . . . Les Italiens ont cherché ce sentiment de la , difficulté vaincue' en donnant une finesse exagérée à la peinture de l'amour, oubliant que dans le genre dramatique par excellence l'homme passionné n'a pas le temps d'avoir de l'esprit. . W a s ist dieses .ingrédient du plaisir' anders, als die glückliche Lösung einer besonderen Art von Spannung? Wenden wir uns nochmals zurück und sehen wir zu, wie ^ Stendhal diese besondere Art von Lust ausspricht, und fragen wir uns dann nach dem Grunde, warum er sie gerade so und nicht anders ausspricht Es fallt uns auf, dafs alle diese Zustände mit äufserst wenig Worten festgehalten sind. E r wirft sie nur so dahin, gleich einer Skizze, die in aller Eile angefertigt wird; er überstürzt sich geradezu! „Son âme fut inondée de bonheur, non qu'il aimât

54 Mme. de Rénal, mais un affreux supplice venait de cesser" I, 53. Kein Verweilen bei dieser Freude, sondern ein sofortiges Weitereilen, ein gewisses Fliehen. Ebenso: „Julien était fou de joie; cet avancement était le premier qu'il obtenait" I, 195. Als Clelia in Ohnmacht fällt, sagt Stendhal einfach: „eile tomba dans un évanouissement qui dura une heure et donna des craintes d'abord" Ch. 405. Diese kurz angebundene Art der Darstellung von Gemütsbewegungen mufs unbedingt unser Mißtrauen erwecken. Das einzige Mal, wo er diese Lust etwas ausführlicher schildert, ist die Freude des alten Marquis, als er hört, dafs das Entschädigungsgesetz wahrscheinlich zu seinen Gunsten durchgehen werde. Aber diese Zeilen machen auf uns den Eindruck, als wollte Stendhal sich über den armen Marquis lustig machen, sein garstiges Grinsen verdirbt uns etwas das heitere Lachen, das wir gerade anstimmen wollten. Man könnte fast glauben, Stendhal wäre neidisch! er gönne dem Marquis und auch den anderen dieses Vergnügen nicht. Sollte das wirklich der Fall sein? Können wir diese kurz angebundenen Worte uns nicht anders erklären? Diese Freude tritt stets plötzlich auf, jedesmal steht das historische Perfekt, und lag es vielleicht nicht in der Absicht Stendhals, diese explosionsartige Freude gleichsam in der Darstellung nachzuahmen? Aber nein, wenn dieser Umstand auch mitgewirkt haben könnte, eine zufriedenstellende Erklärung kann das nicht sein. Wir müssen uns nach einer andern umsehen; Lucien Leuwen hat ja auch gewisse Züge des Schriftstellers. Lucien fühlt sich in Nancy inmitten dieses anderen Milieus sehr vereinsamt und da nimmt der sonst so sympathische Charakter auch einige Züge an, die er in dem Verkehr mit seinesgleichen niemals kennen gelernt hätte. Allein geht er durch die Strafsen, „il entendit rire dans ces cafés, et pour la première fois de sa vie connut l'envie", L . L. 80. Er, als Offizier, kann sich diese Vergnügungen nicht erlauben, und so erregt ihr Anblick in ihm Neid. Ähnlich wird es auch Stendhal gegangen sein. Ihm, der sich über alle erhaben fühlte, der überall etwas fand, woran er sich stiefs, waren solche Lustaffekte ein Dorn im Auge. Wir kommen immer wieder zurück auf den egoistischen Standpunkt, den Stendhal vertritt. Er prägte nicht eben ohne Grund ein neues Wort dafür. Aber Stendhal wäre es natürlich unangenehm, wenn der Leser ihn derart durchschauen könnte, und dieses Bewufstsein gibt ihm manchmal eine gewisse Unsicherheit, er weifs sich nicht so recht zu bewegen und scheint seinem Leser etwas verbergen zu wollen. Nur so können wir uns die unvermutete Darlegung über die italienische Lust erklären, er sucht damit seinen Neid zu verbergen. Gedankliche Beschäftigung ist das beste Mittel für einen solchen Menschen, seine Leidenschaften zu unterdrücken. 5.

Wenden wir uns nun zu anderen Arten der Lustl Neben dieser Lust, die infolge der glücklichen Lösung irgend einer Spannung eintritt, haben wir eine andere, nicht weniger lebhafte Form derselben, welche die Folge der B e f r i e d i g u n g d e s S e l b s t -

55 b c w u f s t s e i n s ist. Befriedigung ist ebenfalls eine Lösung. Man vergleiche die Wirkung der beiden Lustaflekte, Frau de Renal hat Julien die Hand gegeben. Sie glaubt sich geliebt, „le bonheur lui ôtait le sommeil," die Spannung war zu grofs. Juliens Spannung war nicht minder grofs, aber sie war nicht vom Gefühl getragen, sondern künstlich durch den Verstand geschaffen, „un sommeil de plomb s'empara de Julien, mortellement fatigué des combats que toute la journée la timidité et l'orgueil s'étaient livrés dans son coeur. L e lendemain à peine lui donna-t-il une pensée". Während ihre Gedanken stets nur zu ihm laufen, denkt er überhaupt nicht an sie, er ist ganz mit sich beschäftigt. „II avait fait son devoir, et un devoir héroïque. Rempli de bonheur par ce sentiment, il s'enferma à clef dans sa chambre, et se livra avec un plaisir tout nouveau à la lecture des exploits d e son héros" I, 5 4 . Diese Art der Lust mufs sehr intensiv sein, denn sie unterdrückt jeden anderen Affekt, selbst den stärksten Zorn, d. h. bei einer von Selbstbewufstsein durchdrungenen Person, solche Charaktere sind bei Stendhal nicht selten. Für einen solchen Menschen kann es keine gröfsere Freude geben, als gerade die Befriedigung seines Stolzes. Julien und Mathilde sind die besten Beispiele dafür. Als Julien den Liebesbrief Mathildens erhält, ist seine Freude j a grofs, aber noch gröfser wird sie, als ihm zum Bewufstsein kommt, dafs er über Herrn de Croisenois triumphiert. E r malt sich den ,christallisierten' M. de Croisenois aus, und über den trage ich den Sieg davon! Vgl. II, 73. Als Julien in den Armen Mathildens jene zarte Wollust vermifst, die er bei Frau de Renal gefunden hatte, da weifs er sich künstlich das Glück zu schaffen, und zwar mit Hilfe des Selbstbewufstseins. „ C e tutoiement dépouillé du ton de la tendreSsc ne faisait aucun plaisir à Julien, il s'étonnait de l'absence de bonheur, enfin pour le sentir, il eut recours à sa raison. Il se voyait estimé par cette jeune fille si fière, et qui n'accordait jamais de louanges sans restriction; avec ce raisonnement il parvint à un bonheur d'amour-propre. Ce n'était pas, il est vrai, cette volupté de l'âme qu'il avait trouvée quelquefois auprès de Mme. de Rénal. Il n'y avait rien de tendre dans ses sentiments de ce premier moment. C'était le plus vif bonheur d'ambition, et Julien était surtout ambitieux. Il parla de nouveaux des gens soupçonnés, et des précautions qu'il avait inventées. E n parlant il songeait aux moyens de profiter de cette victoire." Stöfst ein solcher Affekt nicht geradezu ab? Ist dies ein edler Charakter? Hier haben wir es mit einem ganz gewöhnlichen Verführer zu tun. Vergleichen wir nun die Darstellung dieser Lust mit der 6. vorhergehenden. Auf den ersten Blick fällt uns auf, dafs Stendhal hier viel mehr Worte findet, dafs er an ihrer Schilderung Freude hat, er verweilt gern bei ihr. E r ist geradezu glücklich, endlich einmal einen Menschen anzutreffen, der ihm gleich ist, der auch in der Befriedigung des Selbstbewufstseins sein einziges Vergnügen

56 sieht. Hier enthüllt uns Stendhal einen Teil seines Inneren, und zwar zeigt er sich nicht von seiner schönsten Seite. Vor einem solchcn Menschen müssen wir einen gewissen Abscheu empfinden! Im Leben müssen wir einen solchen Menschen meiden! Wo hat Stendhal diesen abstofsenden Zug her? Es ist eine falsche Übertragung militärischen Ehrgeizes auf das Alltagsleben. Im Kriege handelt es sich um die Vernichtung des Gegners, das gesellschaftliche Leben beruht aber eben auf der entgegengesetzten Grundlage. F ü r S t e n d h a l g a b es k e i n e G e s e l l s c h a f t ! 7. Die Lust, welche die E i f e r s u c h t mit sich bringt, gehört auch hierher. Bei diesen Arten von Lust müssen wir annehmen, dafs die Seele des Individuums gleichsam auf einen bestimmten Ton abgestimmt ist, der allem anderen, was sie bewegt, zur Basis dient. Sie ist von einer Leidenschaft, wie z. B. Neid, Geiz, Selbstsucht usw. beherrscht, und die hält sie gleichsam in steter Spannung; die Neigung sucht nach Befriedigung. Diese gibt sich unter Umständen als Affekt der Lust zu erkennen. Dadurch unterscheiden sich auch diese Affekte von den sogenannten Lustaffekten, die spontan auftreten wie Zorn, Hoffnung usw. Letztere, wo die Lust nur eine qualitative Bestimmung eines anderen Affektes ist, werden wir bei den betreffenden Affekten gegebenen Falls berücksichtigen. 8. Endlich müssen wir noch die Zustände der Lust anführen. Lust ist meist ein ruhiger Affekt, der ziemlich aufregungslos verläuft So kommt es leicht vor, dafs sie auch als Zustand der Lust auftreten kann. Gewöhnlich sind sogar diese Zustände das häutigere. J a , wir haben in der Sprache gar keine Wörter, um den Zustand vom Affekt zu unterscheiden. Für letztere müssen wir die Ausdrücke für diese einfach übernehmen, z. B. bonheur, félicité, gaieté, volupté, plaisir etc., die alle ihrer Bildung nach schön auf einen Zustand hinweisen. „ . . .j'aurais toujours un cheval et quelques écus pour faire des fouilles et former un cabinet. Puis qu'il semble qne je ne dois pas connaître l'amour, ce seront toujours là pour moi les grandes sources de félicité" Ch. 148. Jeder Mensch erstrebt diesen Zustand des Glückes, der Befriedigung, es ist ihm eingeboren, „cet instinct de bonheur naturel à tous les êtres" I, 35, oder „Mathilde croyait voir le bonheur. Cette vue toute-puissante sur les âmes courageuses, liées à un esprit supérieur . . I I , 77. Dieser Zustand tritt ein, wenn die Spannung endgültig aufgehoben ist, resp. wenn die Neigung Befriedigung gefunden hat Vgl. Arm. 134, I, 54. 7 1 ; II, 1 1 2 . 2 2 1 . g. Stendhal fühlte auch dieses Bedürfnis in seiner Brust, und wie leise Sehnsucht nach dem nie erreichten Glück mutet uns die Darstellung dieser Glückseligkeit an, aber er scheut sich fast, diese für ihn heikle Frage anzuschneiden. Betrachten wir z. B. das Glück Juliens, als er von aller Welt abgeschlossen, inmitten der Felsen wandelt: „Pourquoi ne passerais-je pas la nuit ici? j'ai du pain et je suis libre! Au son de ce grand mot son âme s'exalta, son hypocrisie faisait qu'il n'était pas libre même chez Fouqué.

57 L a tête appuyée sur les deux mains, Julien resta dans cette grotte plus heureux qu'il ne l'avait été de sa vie, agité par ses rêveries et par son bonheur de liberté. Sans y songer, il vit s'étendre, l'un après l'autre, tous les rayons du crépuscule. Au milieu de cette obscurité immense, son âme s'égara dans la contemplation de ce qu'il s'imaginait rencontrer un jour à Paris. C'était d'abord une femme bien plus belle et d'un génie bien plus élevé que tout ce qu'il avait pu voir en province. Il aimait avec passion, il était aimé. S'il se séparait d'elle pour quelques instants, c'était pour se couvrir de gloire et mériter d'être encore plus aimé" I, 7 1 . Mit welcher Sehnsucht erinnert sich Stendhal jener Stunden, jetzt wo das Leben ihn so sehr getäuscht hatte! E r schwelgte fast in der Vergangenheit; — man beachte, wie sich sein Blick sozusagen nicht von den Strahlen der Sonne trennen kann, ,1'un après l'autre, tous les rayons', wie plastisch, gefühlsinnig dieser Stil, so sehr der Eigenart Stendhals widersprechend! — Aber nicht lange dauert bei Stendhal diese Erinnerung, er schämt sich fast solcher Schwäche fähig zu sein, und bittere Ironie tritt an ihren Platz. Er fährt nämlich fort, plötzlich eine ganz andere Tonart anschlagend, „même en lui supposant l'imagination de Julien, un jeune homme élevé au milieu des tristes vérités de la société de Paris, eût été réveillé à ce point de son roman par la froide ironie . . . " I, 7 1 . Stendhal sieht eben mit Verachtung auf jede weiche Stimmung, da er sie nicht mehr fühlen will. Und so kann auch in seinen Romanen nicht die Darstellung menschlicher Schwächen zugrunde liegen, sondern d i e m e n s c h l i c h e S t ä r k e , d. h. d a s , was er sich d a runter vorstellt, mufs den G e g e n s t a n d seiner Werke bilden. Aber noch sind nicht alle Arten der Freude, sowohl Affekte, als Zustände, aufgezählt. Es scheitert dies teilweise an der Unzulänglichkeit des sprachlichen Ausdruckes. Es gibt Freuden, für welche die Sprache, der Seltenheit oder unvollkommenen Beobachtung der Gesamtheit wegen, kein Wort geprägt hat, wie überhaupt zur Darstellung der Gefühle und ihrer Begleiterscheinungen die Sprache manche Schwierigkeiten entgegensetzt. Daher ist es angebracht, einmal die B i l d e r o d e r s o n s t i g e n A u s d r u c k s w e i s e n ins Auge zu fassen; wir werden vielleicht manches .Raritätchen' darunter finden. Alle diese Umschreibungen stellen Zustände dar, mit Ausnahme eines Falles. Es ist das schon unter Stil erwähnte Beispiel zur Erklärung der ,joie d'artiste', die auch der Arzt empfindet. Arm. 50. Von den anderen sind vier Vergleiche zu erwähnen, die aus der Natur genommen sind. „Ce monsieur Dupoirier était un être de la dernière vulgarité, et qui semblait fier de ses façons basses et communes; c'est ainsi que le porc se vautre dans la fange avec une sorte de volupté insolente pour le spectateur" L. L . I 2 i . Wenn dieser Vergleich auch gerade nicht zu den ästhetischsten gehört, so kann man ihm eine gewisse Plastik nicht absprechen. Der Charakter dieses Menschen ist durch dieses Bild

58 klarer dargestellt, als durch lange Redensarten. Vgl. I, 1 6 9 , Ch. 2 1 6 , und vor allem L . L . 30. 3 1 , wo die sonderbar farbige, aber unharmonische Zusammenstellung erkennen läfst, dafs Stendhal noch nicht die letzte Hand an dieses Werk gelegt hatte. Ausdrücke wie „ces coups de canon remontèrent dans les d e u x l'âme de Julien" sind häufiger zu belegen, und als Julien Musik hörte, sagt uns Stendhal: „II était un Dieu!" II, 76. Eine Eigenschaft läfst uns folgender Vergleich erkennen: „ L a pensée du privilège avait desséché cette plante toujours si délicate qu'on nomme bonheur" Ch. 1 4 1 . 11. Manchen Zustand des Glückes kennzeichnet uns Stendhal dadurch, dafs er uns E r i n n e r u n g e n a u s s e i n e r M i l i t ä r z e i t erzählt. Wir sehen überhaupt, wie gerade diese Vergleiche das persönliche Leben Stendhals und seine besonderen Interessen in Verbindung bringen mit seinen Schriften. E s ist klar, wo anders soll er seine Vergleiche hernehmen, als aus seinen eigenen E r lebnissen; er bezeichnet j a gerade Gemütszustände damit, die im allgemeinen Leben nicht vorkommen, die er nur persönlich erlebt, resp. ihm aufgefallen sind. Als Mathilde sich Julien hingegeben hat, da reitet er am anderen Morgen nach dem Walde . . . „pour chercher les endroits les plus solitaires . . . 11 était bien plus étonné qu'heureux. L e bonheur qui de temps à autre venait occuper son âme, était comme celui d'un jeune sous-lieutenant qui, à la suite de quelque action étonnante, vient d'être nommé colonel d'emblée par le général en chef; il se sentait porté à une immense hauteur. Tout ce qui était au-dessus de lui la veille, était à ses côtés maintenant ou bien au-dessous. Peu à peu le bonheur s'augmenta à mesure qu'il s'éloigna" II, 93. Als Julien sich mit Hilfe der Briefe Korasoffs Mathilde zurückerobert hat, ist er aufser sich vor Freude. „ P e u à peu quelque sang-froid lui revint. Il se compara à un général qui vient de gagner une grande bataille." II, 1 7 3 . Übrigens stellt sich Stendhal das Glück vor als Strom, der gleichsam die Seele überschwemmt: „ L e torrent de bonheur qui inondait son â m e " . Vgl. I, 46. 5 3 usw. Wir lernen also manchen Zustand der Lust kennen, den wir nicht mit einem Worte bezeichnen können, und wo Stendhal sich mit der Umschreibung helfen mufs. 12.

Zum Schlüsse wollen wir noch einen Blick auf die B e d e u t u n g d e s G l ü c k e s f ü r S t e n d h a l werfen. Wenn dies auch nicht in den Rahmen einer Betrachtung der Gemütsbewegungen gehört, so ist dies doch von zu durchschlagendem Wert für die B e trachtung des Stendhalschen Charakters, seiner Ansichten. Altamira erklärt Julien, wie an die Stelle der Leidenschaften der Parteigeist getreten ist, und wie gerade dieser Wandel schuld trägt daran, „que l'on s'ennuie tant en France. On fait les plus grandes cruautés, mais sans cruauté". Was antwortet hierauf Julien? — „Tant pis! dit Julien; du moins quand on fait des crimes, faut-il les faire avec plaisir: ils n'ont que cela de bon, et l'on ne peut

59 même les justifier un peu que par cette raison." Das Glück, die Befriedigung der Lust, mit einem Wort, der Genufs wird als moralischer Faktor von Stendhal in Rechnung gesetzt. Aber nicht genug, Stendhal geht noch weiter, er betrachtet die Tugend als Summe der Genüsse. Als Julien von seiner Geliebten, Frau de Rénal, nichts mehr zu wünschen hat: „ L a vertu de Julien fut égale à son bonheur." „Alles zum eigenen Vergnügen" wäre der erste Grundsatz der Stendhalschen Moral. £ s ist eine . e g o i s t i s c h e M o r a l ' im strengsten Sinne des Wortes, die das soziale Wohl untergräbt, es überhaupt nicht anerkennt. Wenden wir uns nun der Betrachtung der verschiedenen 1 3 . A u s d r u c k s b e w e g u n g e n zu, und zwar wollen wir hierbei stets unterscheiden zwischen der Lust, wie sie sich beim Franzosen zeigt, und der des Italieners. In Féder sagt Stendhal: „Valentine n'avait aucune expérience de la vie, elle avait de plus ce malheur qui rend une femme si séduisante: ses yeux et le contour de sa bouche exprimaient à l'instant tout ce que son âme venait de sentir . . . 309." Die A u g e n sind der Spiegel der Seele, und ihr Ausdruck, zusammen mit der Lage der Gesichtsmuskeln, lassen am besten eine Gemütsbewegung und ihren Grad erkennen. Wie zeigt sich die Lust in den Augen? Die Lust Iäfst die Augen glänzen! „Les yeux brillaient d'une profonde joie," ist die am häufigsten auftretende Begleiterscheinung, oder wie sich Stendhal auch ausdrückt: „Une joie brillait dans les regards." Arm. 5 1 . Bei starker Freude erröten selbst die Augen. Vgl. L. L. 232. Die Freude des Spötters blitzt in den Augen nur auf: .11 y eut un redoublement d'éclat dans ses petits yeux." Die Freude des Verliebten gibt den Augen wieder einen anderen Ausdruck: „Armance remarqua l'expression de ses regards; ils s'arrêtaient sur elle avec cette sorte d'attendrissement et de fatigue qui, après de grandes joies, rend les yeux comme incapables de mouvements trop rapides." Arm. 37. Hier erkennen wir im Blick, wie „Octave jouissait avec délices du bonheur", wofür Stendhal wirklich keinen pleonastischeren Ausdruck hätte finden können. Der Ausdruck der Augen bei dem Italiener ist natürlich derselbe, sie funkeln auch. Erwähnen möchte ich noch jene wilde Freude des Eifersüchtigen über eine Entdeckung, die seinen Zustand verschlimmern mufs, dann drückt gerade das Auge diese ganze „finesse satirique" aus. Vgl. Ch. 259. Die freudige Überraschung zeigt sich ebenfalls im Auge; jeder noch so geringe Gefühlsunterschied verleiht dem Auge einen anderen Glanz. Die Bewegungen der M u n d m u s k e l n möchte ich einfach an- 1 4 . führen: „Julien cherchant à contenir sa joie qui contractait ses joues" II, 72, „ . . . suivi d'un mouvement involontaire des muscles des coins de la bouche. C'était la physionomie du tigre goûtant par avance le plaisir de dévorer sa proie." I, .169. Diese Bewegungen sind unbedingte Begleiterscheinungen der betreffenden

6o Gemütsbewegung, und hält es sehr schwer, dieselben zu unterdrücken. 15. Ein häufiges Zeichen der Lust ist das E r r ö t e n , „fit rougir de plaisir Lucien . . .", „Boisseaux était rouge comme un coq . . . Boisseaux ist Provinzler. Vgl. 3 1 7 . 348, I, 59, II, 8. „L'évidence de l'extrême sincérité dans les propos de ce jeune homme la firent passer d'une pâleur mortelle à une rougeur imprudente." Spannung und Lösung, L. L. 232. Bei den Italienern: „eile devint rouge de bonheur" Ch. 192. 3 8 1 . 422. „ L a princesse Isota qui avait grandement rougi en recevant l'aveu de la passion du premier ministre" Ch. 2 7 1 . Wie spottet hier Stendhal durch dieses «grandement'! ï6. Auch das W e i n e n ist eine Ausdrucksbewegung der Lust. So hat der alte Marquis de Malivert die Tränen im Auge, als er von dem Entschädigungsgesetz hört, Arm. 18, oder „Ce moment fut le plus beau de la vie de cette pauvre fille, de douces larmes inondaient son visage," id. 82. Man vergleiche auch: „Madame de Rénal était la plus heureuse des femmes. Les larmes aux yeux, elle" . . . I, 129, I, 134. „II y avait si longtemps que Julien n'avait entendu une voix amie, qu'il faut lui pardonner une faiblesse: il fondit en larmes . . . Julien était fou de joie; cet avancement était le premier qu'il obtenait." I, 195. Vgl. 27. 28. 1 1 6 . 1 1 7 usw. „ L a musique était excellente et parut délicieuse à Fabrice dont l'âme n'avait aucune distraction depuis tant de semaines, elle lui fit verser de bien douces larmes." 293. Wir merken, dafs dies meist sehr zarte Freuden sind, ,des moments délicieux', welche Tränen fliefsen lassen. Auch auf die S t i m m e hat die Freude natürlich Einflufs. „Au mot que lui adressa madame de Chasteller, Lucien devint un autre homme . . . Tout à coup il osa parler et beaucoup. Sans perdre rien de sa douceur et de son accent respectueux, la voix de Julien s'éclaircit et prit de l'éclat." L. L . 223. Oder „ T u m'aimes donc? s'écriait Féder d'une voix entrecoupée, . . . " 359. Dafs Personen in ihrem Glücke schreien, finden wir oft. „ L a voix entrecoupée" ist die Folge der Spannung. „Valentine cherchait à s'excuser, le contraste était frappant entre le ton de voix presque officiel, qu'elle cherchait à prendre et le son de voix tendre et abandonnée, dont un instant auparavant Féder avait eu le bonheur d'être le témoin et l'objet." Id. 360. In beiden Fällen haben wir es mit der reinen Freude, welche die Erfüllung eines heifs ersehnten Wunsches mit sich bringt, zu tun. Bei der italienischen Freude möchte ich die beiden Stellen erwähnen, wo Madame de Sansévérina vor Lust anfängt zu singen. Es ist die Freude der Überlegenheit, die sie dazu veranlafst, und zwar zweimal. „Peut-être ne serait-il pas fâché d'éloigner de Parme notre jeune grand vicaire, mais, ajouta-t-elle en chantant, nous le verrons recourir . . . l'idée de se moquer un peu du comte la transportait de joie." Ch. 2 1 5 . Das andere Mal ist es die Freude,

6i welche die Hoffnung sich rächen zu können mit sich bringt. Als Ludovic andauernd wiederholt: „Du vin aux gens de Sacca . . . E t de l'eau pour les gens de Parme! reprit la duchesse en chantant." 350. Es sind beides Fälle von Freude, die in Frankreich nahezu unmöglich wären, oder zum mindesten wenig Anstand verrieten. Stendhal klärt uns in seiner Haydine hierüber auf. Er sagt: „ L a gaieté italienne annonce le bonheur: parmi nous elle serait bien près du mauvais ton; ce serait montrer ,soi heureux', et en quelque sorte occuper les autres de soi. L a gaieté française doit montrer aux écoutants qu'on n'est gai que pour plaire; il faut même, en jouant la joie extrême, cacher la joie véritable que donne le succès. La gaieté française exige beaucoup d'esprit: c'est celle de Le Sage et de Gil-Blas; la gaieté d'Italie est fondée sur la sensibilité, de manière que, quand rien ne l'égayé, l'Italien n'est point gai." 56. Die Lösung einer vom Verstände oder dem Selbstgefühl geschaffenen Spannung läfst selbstverständlich die Stimme nicht zart erscheinen, „. . . un affreux supplice venait de cesser . . . sa voix alors était éclatante et forte . . . les mots confirmèrent le bonheur de Julien . . . I, 53. Über die W o r t e an s i c h möchte ich zwei Exkurse Stendhals 1 8 . erwähnen. Einmal sagt er: „Lucien était heureux, extrêmement animé, et pourtant, par miracle, il ne dit rien d'inconvenant." L. L. 228. Nimmt dies wirklich so wunder, wenn man sich Luciens Gefühle zu Madame de Chasteller vorstellt? Das andere Mal sagt er in einer Anmerkung der Chartreuse von Fabrice: „C'est un personnage passionné qui parle; il traduit en prose quelques vers du célèbre Monti." 28. Es ist wohl eine Entschuldigung für das flammende Bild, welches Fabrice braucht: „J'ai vu cette grande image de l'Italie se relever de la fange où les Allemands la retiennent plongée" Ch. 28, das seiner Theorie über Romanschreiben ganz und gar nicht entspricht. Mir scheint es, dafs Stendhal auch hier, wie so häufig, ein Erlebnis wiedergibt; Fabrice zitiert aber die Verse nicht wörtlich, sondern schreibt sie in Prosa um, denn Stendhal war kein Freund von Poesie. Man vergleiche nur II, 235. Wenden wir uns zu den p a n t o m i m i s c h e n A u s d r u c k s - i g . b e w e g u n g e n . Im allgemeinen müssen wir sagen, dafs diese sich in Frankreich auf die Umarmung beschränken, abgesehen von dem einen Fall: „Oserai-je dire qu'en rentrant dans sa chambre, Julien se jeta à genoux et couvrit de baisers les lettres d'amours données par le prince Korassoff . . . II, 1 7 3 . Ganz anders ist dies in Italien. Der Italiener ist an sich schon lebhafter, und wie wir eben gesehen haben, er darf seine Freude viel eher auslassen als der Franzose 'au siècle de l'hypocrisie'. Aber auch hier liegt der Unterschied vor allem in der Intensität der Bewegungen, während es in Armance heifst: „Elle se jeta dans les bras d'Armance," sagt er in der Chartreuse: „ . . . se retournant sur son fauteuil, l'abbé ouvrit les bras à notre héros qui s'y précipita en fondant en larmes."

6z Ch. 143. Oder man betrachte Ausdrücke wie „saisissant les mains", 27, „sautée au cou", 29, oder „serrer convulsivement", die aile das italienische Temperament kennzeichnen. Wenn die Spannung zu lange dauert, so ist unter Umständen die Freude um so gröfser, und kann selbst einen plötzlichen Stillstand von Atmung und Bewegungen mit sich bringen. Vgl. Ch. 280. 20. Welches sind nun die B e g l e i t e r s c h e i n u n g e n r e s p . unmittelbaren F o l g e n d e r L u s t auf den Geist, resp. auf die übrige psychische Konstitution? Die L u s t r e g t an u n d g i b t K r a f t u n d S t ä r k e . Als Frau de Rénal z. B. erkennt, dafs Julien sie liebt, „son affreuse douleur se changea en un des plus vifs mouvements de joie qu'elle eût éprouvés de sa vie. Tout lui devint facile. L a certitude de revoir son ami ôtait à ces derniers moments tout ce qu'ils avaient de déchirant. Dès cet instant la conduite comme la physionomie de madame de Rénal fut noble, ferme et parfaitement convenable," I, 56. Die Lust gibt also sowohl physische Kraft, als auch psychische. Vgl. „L'excès de bonheur lui avait rendu toute l'énergie de son caractère, vingt hommes se fussent présentés, que les attaquer seul en cet instant, n'eût été qu'un plaisir de plus . . . " II, 1 1 0 . In Italien feuert die Lust vor allem den Mut an. Vgl. 104. Als die Hoffnung, dafs Madame de Crescenzi seine Predigt anhören könnte, Fabrice beseelt, „la joie éclatait dans toutes ses actions; il se permettait, quand il était ému, des images dont la hardiesse eût fait frémir les orateurs les plus exercés . . C h . 4 3 1 . Vgl. Id. 20. Wir sehen hier einen deutlichen Unterschied zwischen Franzosen und Italienern. Infolge der starken Phantasie des letzteren wird er sich leicht erregen, besonders wenn die Spannung grofs ist, und in diesem Zustand erhitzt sich sein Blut noch mehr; er wird mutiger, er wird kühn! Ist die Erregung noch gröfser, so gibt er sogar seine Persönlichkeit auf, d. h. er läfst sich ganz von seiner Phantasie leiten, er scheint inspiriert. „Quelquefois, il se livrait à des moments d'inspirations passionnée . . . " Ch. 4 3 1 . Selbstverständlich kann der Körper nicht über ein bestimmtes Mafs hinaus Kräfte abgeben, und so mufs nach einer solchen Überspannung der Kräfte eine Ermüdung eintreten. Ist die Lust verknüpft mit einer Erregung, so verhindert diese den Schlaf I, 54, 66. In einem bestimmten Moment erlischt die Spannkraft, und so bricht der betreffende plötzlich zusammen, oder er fällt in Ohnmacht. So I, 76 oder Ch. 334, 405. Während im ersteren Falle diese Erschlaffung nicht sofort eintritt, fallen M m c de Sanseverina und Ferrante sofort in Ohnmacht; die Lösung der Spannung war zu unmittelbar, so dafs die Elastizität der Nerven diesen Stöfs nicht mildern konnten. Anders bei Julien. Sein Glück ist meist vom klaren Verstände geschaffen, seine Erregung ist künstlich. In ihm wüten Kämpfe zwischen seinem Ehrgeiz und anderen Leidenschaften, und das ermüdet ihn, nicht die Erregung. „Un sommeil de plomb s'empara de Julien mortellement fatigué des combats que toute la journée

63 la timidité et l'orgueil s'étaient livrés dans son coeur" I, 54. Vgl. II, m . Andere Folgeerscheinungen weist das zufriedene Glück auf. 2 1 . E s erregt nicht den Geist, sondern im Gegenteil, e s b e r u h i g t : „ L e calme du bonheur". Arm. äg. So ist der Comte de Mosca z. B. sicher in Bezug auf die Zuneigung der M m < de Sanseverina. „Littéralement il était fou de bonheur. Cette aimable situation lui avait procuré un sang-froid parfait pour tout ce qui ne regardait que ses intérêts d'ambition." Ch. 1 0 4 . Man mufs wirklich den praktischen Ausdruck Stendhals bewundern. Die Wirkung ist natürlich an und für sich dieselbe, aber beim Italiener ist sie stärker; während Oktave sich nur durch seine Ruhe, 'calme', auszeichnet, wird der italienische Politiker selbst in einem solchen Falle kaltblütig. Die Lust r e g t d e n G e i s t a n , ohne ihn dabei zu erregen. „Octave était plus heureux, il eut plus d'esprit". Arm. 7 2 . Das Glück der Liebe macht sogar „juste et indulgent" Id. 93, da die ganze Leidenschaft sich auf sie konzentriert, und die Leidenschaft bringt ja gerade die Ungerechtigkeit mit sich. Das leidenschaftslose Auge erkennt wahr, d. h. es urteilt gerecht. Bei einem noch höheren G r a d von Glück saugt dieses alles Denken in sich a u f , so dafs Z e r s t r e u t h e i t hier die Folge ist. In einem solchen Zustand ist man sich also nur seines Glückes bewufst; das Glück berauscht. „ L e bonheur d'aller à Paris . . . Julien se présenta à son ami comme privé de son libre arbitre par la lettre de l'abbé Pirard." I, 2 1 2 . Vgl. Ch. 40, 1 2 0 . Ähnlich ist auch die •Wirkung auf Fabrice, der, von den Tönen der Musik Clélias entzückt, „dans son ravissement adressait les discours les plus irrésistibles à la belle Clélia" . . . Ch. 293, w a s er in einem anderen Zustand gar nicht gewagt hätte; auch vergifbt er die Anwesenheit de3 Gefängniswärters ganz. Lucien kennt diese Wirkung des Glückes genau, „il craignit que sa joie ne se trahît par quelque mouvement imprudent." L. L. 1 4 6 . Ein reizendes Beispiel hierzu gibt uns Stendhal in der Art und Weise, wie der alte Marquis seiner Gemahlin beibringt, dafs das Entschädigungsgesetz wahrscheinlich genehmigt werde. Seine Gedanken sind nur mit dem einen beschäftigt, er weifs nicht, womit er anfangen soll, und anstatt es gleich herauszusagen, beginnt er mit dem entferntliegendsten. Nicht denkt er dabei an seinen Sohn, oder die zukünftige Schwiegertochter, oder an sich und seine Gattin, „ma chère amie, lui dit-il nous verrons nos petits-enfants avant que de mourir. . ." Arm. 1 8 . Der Glückliche lebt sozusagen nur einseitig, indem er alles Unangenehme, Störende übersieht. D i e L u s t , welche infolge der Lösung einer Spannung ent- 2 2 . steht, nicht die, welche auf der Befriedigung des Selbstgefühls beruht, h a t m a n c h e Ä h n l i c h k e i t m i t d e r Z u n e i g u n g . Deutet schon die Umarmung darauf hin, so auch die weiteren Wirkungen. Das glückliche Individuum will nicht allein diese Lust geniefsen, es fühlt das Bedürfnis in sich, andere an dieser Freude teilnehmen

64 zu lassen; auf die verschiedenste Weise zeigt sich diese Wirkung. Einerseits macht diese Stimmung mitteilsam. „En rentrant chez lui, Lucien était un peu comme le barbier du roi Midas: II mourait d'envie de raconter son bonheur. Il écrivit huit ou dix pages à sa mère." L. L . 1 5 1 . Vgl. Chr. 34, 35. Das Zutrauen wird ebenfalls durch das Glück gestärkt. Kaum hat M m e de Renal Julien gesehen, als ihr drittes Wort mit Julien ist, — noch vor der T ü r — „Vous ne gronderez pas trop ces enfants?" I, 26. Ferner bringt die Lust eine gewisse Zärtlichkeit, ein weiches Wesen mit sich, man sucht seinen Nächsten möglichst zu gefallen. V g l . Arm. 120. „ L a façon dont on le regardait maintenant mit notre héros au comble du bonheur; il eût fait tout au monde pour ses camarades . . . Vgl. Ch. 29, 45, oder die Freude, mit der Mm® de Sanseverina die Grenze überschreitet. . . „mais la duchesse était folle ce jour-Iâ, elle s'avisa de donner dix Napoléons au commis de la police autrichienne — man beachte die Bosheit Stendhals: Napoléons und österreichische Polizei — et de lui prendre la main en fondant en larmes." Ch. 347. 23.

Noch eine Wirkung möchte ich hier erwähnen. Es ist jenes G e f ü h l d e r E n g e u n d A u s d e h n u n g z u g l e i c h , welches die Brust fühlt beim höchsten Glücke. Juliens Freude über den Brief Mathildens ist grofs, aber „une pensée vint redoubler sa joie. Je l'emporte sur le marquis de Croisenois! s'écria-t-il . . . Julien eut un instant délicieux; il errait à l'aventure dans le jardin, fou de bonheur. . . Julien ne pouvait contenir sa joie. 11 fut obligé de descendre au jardin. Sa chambre, où il s'était enfermé à clef, lui semblait trop étroite pour y respirer." II, 74. Es ist eine typische Ausdrucksform für das Lustgefühl, welches entsteht infolge der Befriedigung des Selbstbewußtseins. Für einen solchen Charakter gibt es keine gröfsere Freude; vgl. auch Ch. 216. 24. Verschiedene Beispiele der U n t e r d r ü c k u n g des Affektés der Lust sind noch zu erwähnen. Es ist schwer die Freude zu unterdrücken, und ganz gelingt dies selten, besonders einem jungen Menschen nicht In Frankreich ist es jedoch, wie wir gesehen haben, nötig, seine Gefühle nicht zu zeigen, im Gegensatz zu Italien. Wir stehen im Jahrhundert des Scheinheiliglums. „Sa mine était froide; du moins il le croyait; mais son cœur était vivement ému." L. L . 30. Der Gedanke mit Soldaten Napoleons zusammen zu sein, zeichnet ihm diese Freude auf das Gesicht U n d als Julien erst die 'lanciers' sich in ihren Sätteln heben sieht, „sa figure jeune et naïve ne put résister à cette sensation vive, elle exprimait le contentement le plus vif et la bonté, et peut-être un peu de curiosité." L. L. 32. Julien ist im ewigen Kampf mit seinen Gefühlen, er war im Seminar zu Besançon und hat selbst dort nicht ganz gelernt, jenes Wesen seines Jahrhunderts sich anzueignen, er war eben 'une belle plante'. Als Julien den Brief Mathildens gelesen hat, „ . . . c'était tout simplement une déclaration d'amour. Il n'y a pas trop d'affection dans le style, se dit Julien en cherchant

65 par ses remarques littéraires à contenir la joie qui contractait ses joues et le forçait à rire malgré lui". Julien ist auch ein 'être bouillant' wie Stendhal. Aber die Freude ist zu grofs, als dafs sie selbst ein so eiserner Wille wie der Juliens zu unterdrücken vermöchte. E r sucht seinen Geist abzulenken, ihm eine andere Richtung zu geben, aber vergeblich. „Enfin, moi, s'écria-1-il tout à coup, la passion étant trop forte pour être contenue, moi, pauvre paysan, j'ai donc une déclaration d'amour d'une grande dame. Quant à moi, ce n'est pas mal, ajouta-t-il en comprimant sa joie le plus possible. J'ai su conserver la dignité de mon caractère. J e n'ai point dit que j'aimais 1 II se mit à étudier la forme des caractères; mademoiselle de la Mole avait une jolie petite écriture anglaise. Il avait besoin d'une occupation physique pour se distraire d'une joie qui allait jusqu'au délire" II, 72. Und als Julien Mathilde zum zweiten Male erobert hat, da kennt seine Freude keine Grenzen. Erst nach und nach beruhigt er sich. „II se compara à un général qui vient de gagner une grande bataille. L'avantage est certain, immense, se dit-il; mais que se passera-t-il demain? un instant peut tout perdre. Il ouvrit d'un mouvement passionné les 'Mémoires' dictés à Sainte-Hélène par Napoléon, et pendant deux longues h e u r e s . . — S t e n d h a l will in seinem Stil nicht impressionistisch sein! „se força à les lire; ses yeux seuls lisaient, n'importe, il s'y forçait. Pendant cette singulière lecture, sa tête et son coeur montés au niveau de tout ce qu'il y a de plus grand, travaillaient à son insu. Ce coeur est bien différent de celui de madame de Rénal, se disait-il, mais il n'allait pas plus loin," II, 1 7 3 . Diese Stelle ist in zweifacher .Beziehung interessant. Einerseits wegen des nicht ins Bewufstsein eingetretenen Reizes, Julien perzipiert nur; andererseits wegen der von Stendhal vorausgesetzten selbsttätigen Arbeit von 'tête et coeur', Verstand und Liebe; dadurch dafs Julien den Gedankengang nicht vollendet, und zwar aus Furcht davor, dafs er sich etwas unangenehmes gestehen müfste, hintergeht er sich selbst, verschuldet er sein ganzes weiteres Unglück. Stendhal fühlt hier für Julien, es tut ihm weh, Julien so handeln zu sehen, und dieser Umstand bringt das etwas unvermittelte „mais il n'allait pas plus loin" mit sich.

Die Unlust. Haben wir bisher gehört, dafs die Lust in der glücklichen Lösung einer Spannung, durch einen Wunsch oder eine Neigung hervorgerufen, besteht, so können. wir uns bei der Unlust nicht mit der Negation begnügen, sondern wir werden viel mehr Möglichkeiten, welche die Unlust nach sich ziehen, antreffen. E s ist eine bekannte Tatsache, dafs die Sprache für die Unlust, resp. Unlustaffekte eine weit erheblichere Anzahl von Namen geschaffen hat, als für die Lustaffekte. Vgl. Kowalewski, PsychoBeiheft n u Zeitschr. L rom. Phil. XXXV.

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I.

66 logie des Pessimismus und eine Rezension in den Gött. gel. Anz. 1905. Zwei Ursachen bedingen dies wahrscheinlich : einerseits die gröfsere Mannigfaltigkeit der Unlustformen, andererseits der Umstand, dais sie in höherem Mafse die Aufmerksamkeit auf sich lenken. So unterscheiden wir im Französischen ,affliction, chagrin, tristesse, douleur, désolation, désespoir, amertume, mélancolie, misanthropie, etc., vgl. Grundrifs Wundt. Alle diese Namen bezeichnen einen verschiedenen Grad entweder der Intensität oder der Qualität der Unlust. Hierbei ist an einer Unterscheidung von Unlust als Affekt und Unlust als Zustand schwer festzuhalten. Nach der neueren Psychologie bestehen die elementaren Gefühle in Lust und Unlust, ich habe aber eine gesonderte Besprechung von Lust und Unlust der besseren Übersicht halber der Betrachtung der eigentlichen Affekte vorausgeschickt. Es bietet dieses Verfahren auch noch den Vorteil, dafs wir hierbei auf die Zustände zu sprechen kommen, die bei einer Behandlung der reinen Gefühle vielleicht hätten stören können. Durch eine glückliche L ö s u n g der Spannung wird also ein G e f ü h l der L u s t h e r v o r g e r u f e n . A l l e a n d e r e n M o m e n t e , k ö n n e n wir s a g e n , s i n d v o n U n l u s t b e g l e i t e t , nicht allein die unglückliche Lösung, auch der Zustand der Spannung selbst, oder das Wegnehmen des Gegenstandes der Lust Jenes Gefühl der Erwartung, welches der Lust oft vorausgeht, ist entschieden Unlust, besonders wenn die Lösung zweifelhaft ist. Octave erwartet Armance „. . . L e soir il vit son arrêt dans son absence, et n'eut pas le courage de se distraire par le son de ses vaines paroles . . . chaque fois qu'on ouvrait la porte du salon, il lui semblait que son cœur était sur le point de se briser . . 6 5 oder I , 2 0 1 . „Picard eut la fièvre d'incertitude.^ Infolge dieser Unlust, welche die Erwartung mit sich bringt, sucht man die Spannung baldigst zu lösen und der Betreifende beeilt sich, etwas ihm Unangenehmes so schnell als möglich auszusprechen. „ . . . J'exige une chose de vous, c'est que vous renvoyiez à ses parents, et sans délai, ce monsier Julien. Madame de Rénal se hâta de dire ce mot, peut-être un peu avant le moment, pour se débarasser de l'affreuse perspective d'avoir à le dire" I, 126. Vgl. Ch. 124. Selbst ein dauernder Zustand dieser Unlust kommt vor: „Fabio Conti était un geôlier toujours inquiet, toujours malheureux, voyant toujours en songe quelqu'un de ses prisonniers lui échapper." Ch. 3 4 1 . a. Betrachten wir nun d i e L ö s u n g . F ä l l t d i e s e n i c h t a u s , w i e man e r w a r t e t e , so tritt das Gefühl der Unlust ein; sei es, dafs ein Wunsch nicht erfüllt, sei es, dafs einer Neigung entgegengewirkt wird. Dieses Gefühl der Unlust nimmt je nach der Art der Widerwärtigkeit und der Veranlagung des Individuums verschiedene Formen an. Trauer (Arm. 93), Kummer (Ch. 102) oder Verzweiflung (I, 194) können die Folge davon sein. Wenn die Enttäuschung zu grofs ist und besonders sie einer geliehten, >kristallisierten4 Person gilt, dann kann unter Umständen jene

67 ,douleur aigre et méchante' entstehen, welche Octave empfindet, als er den angeblichen Brief von Armance findet. Vgl. 187. Dieselben Gefühle entstehen, wenn der Gegenstand, auf welchen die Neigung, Hoffnung oder der Wunsch sich bezog, durch irgendwelche äufsere Einflüsse weggenommen wird. Z. B.: „II la trouva d'une mélancolie tellement sombre, elle était si pâle, elle dirigeait sur lui des regards, où il lisait quelquefois tant de colère . . . Gélia avait grandement raison d'être triste . . . Quoil je ne le verrai plusl s'était-elle dit en p l e u r a n t . . Ch. 293. Wenn jener Gegenstand der Neigung weggenommen ist, fehlt dem betreffenden Individuum jener Reiz, der für es zum Leben unbedingt notwendig geworden war. Psychisch und physisch wird es gelähmt. Man vergleiche z. B. die Verzweiflung der Gräfin Sanseverina bei dem Gedanken daran, dafs ihr Fabrice nur durch die Hilfe Clélias gerettet worden ist. Ch. 353Es mufs auffallen, dafs häufig Unlust entsteht infolge der 3* V e r a c h t u n g a n d e r e r o d e r s e i n e r s e l b s t . Z. B. Arm. 20: „L'impression d'Octave fut tout à la fois de déplaisance et de mépris. Il se voyait mieux accueilli, à cause de l'espérance de deux millions dans la société de Paris et du monde . . . Cette âme ardente, aussi juste et aussi sévère presque envers les autres que pour elle même, finit par tirer une profonde impression de mélancolie de cette triste vérité." Vgl. I, 36; Ch. 47, 80, 129, 217. Grofs ist die Unlust infolge der Selbstverachtung. Vgl. Arm. 58, 92, oder „La douleur morale — morale im napoleonischen Sinne von ,geistig' gebraucht — ne peut aller plus loin . . . Les heures s'écoulaient rapidement sans diminuer le désespoir d'Octave. Quelquefois immobile pendant plusieurs minutes, il sentait cette affreuse douleur qui comble la torture des plus grands criminels: il se méprisait parfaitement lui-même . . . A chaque pas que faisait son esprit, il découvrit une nouvelle nuance de malheur, une nouvelle raison de se mépriser . . 112. Vgl. Id. 175; L. L. 203; I, 39; II, 97; Ch. 140, 246, oder: „Dès ce moment ce demi-remords lui empoisonna l'estime que la duchesse avait pour son propre caractère. Ainsi, se disait-elle avec amertume . . . Ch. 353. Sehen wir näher zu, warum hier dieses Gefühl der Unlust entsteht, so finden wir, dafs es verursacht wird durch den Z w i e s p a l t z w i s c h e n zwei Gefühlen, Gemütsbewegungen oder Neigungen. Hierbei war bisher stets das Selbstgefühl im Spiel, natürlich können auch andere Gemütsverfassungen in Betracht kommen. Die Gewissensbisse sind auch hierher zu zählen, denn was sind sie anders, als der Kampf zwischen zwei entgegengesetzten Gefühlen usw. Vgl. „ . . . il y avait aussi beaucoup d'orgueil dans le caractère de Mathilde et la naissance d'un sentiment qui faisait dépendre d'un autre tout son bonheur fut accompagné d'une sombre tristesse. Julien avait déjà assez profité depuis son arrivée à Paris pour distinguer que ce n'était pas là la tristesse sèche de l'ennui. Au lieu d'être avide, comme autrefois de soirées, de spectacles et de dis-

5*

68 tractions de tous genres, elle les fuyait" II, 70. Vgl. I, 1 1 3 ; II, 2 1 7 ; Ch. 3 3 8 oder Ch. 448. „Déchirée par deux intérêts contraires et si chers, Clélia fut sur le point de perdre la raison." Sie weifs nicht, ob sie den Ärzten oder ihrem Geliebten folgen soll. Aber nicht allein die Gefühle unter sich können infolge ihrer anderen Interessen Unlust hervorrufen, sondern auch Gefühl und Willen können sich einander gegenüberstehen. „Promettez, dit Clélia les larmes aux yeux et comme hors d'elle-même, ou bien nous nous parlons ici pour la dernière fois. L a vie que vous m'avez faite est affreuse: vous êtes ici à cause de moi, et chaque jour peut être le dernier de votre existence. E n ce moment Clélia était si faible, qu'elle fut obligée de chercher un a p p u i . . ." Ch. 319. Obwohl sie mit ihrem ganzen Gefühl an Fabrice hängt, ihn stets sehen möchte, will sie ihn entfernen, um so ihrem Gelübde nachzukommen. Zwar hat der Wille gesiegt, aber wie schwer war der Kampf! Einen ebensolchen Schmerz hat der Zwiespalt, welcher das Herz eines aufrichtigen Menschen des i g . Jahrhunderts zerteilt, zur Folge. Man darf nicht handeln, wie man fühlt, sondern wie es die Umgebung, die Zeit vorschreibt. Vgl. II, 169. Julien erkennt, dafs Mathilde ihn doch noch liebt, aber trotzdem zwingt er sich dazu, entgegen seinen Gefühlen, seine Rolle weiter zu spielen. „11 eut assez de force pour pouvoir continuer à parler. Ahl Korasoff! s'écria-t-il intérieurement, que n'êtes-vous pas ici! quel besoin j'aurais d'un mot pour diriger ma conduite! Pendant ce temps sa voix disait: A d é f a u t . . . " Dieser Schmerz ist bei Betrachtung des Stendhal'schen Werkes sehr wichtig, denn gerade er hat in gewisser Beziehung Stendhal auf die Bahn der psychischen Beobachtung geführt; wie oft wird auch Stendhal diesen Konflikt zwischen Gefühl und seinem Jahrhundert, um es weit zu fassen, empfunden haben! Vergegenwärtigen wir uns also nochmals die Ursachen der Unlust: 1. Die Spannung an sich. 2. Die Lösung der Spannung in einem Sinne, der nicht erwartet wurde. 3. Wegnahme des Gegenstandes der Neigung, des Wunsches usw. 4. Kampf zwischen zwei Gefühlen, bei denen das Selbstgefühl eine Hauptrolle spielt, oder zwischen Gefühl und Willen. Bevor wir uns zu den Ausdrucksbewegungen und Wirkungen der Unlust wenden, möchte ich noch die b i l d l i c h e n A u s d r ü c k e erwähnen, um so eine allgemeine Vorstellung von der Art des Schmerzes zu geben. Der Hauptsche nach können wir die allgemein üblichen zwei Vergleiche anführen, die immer wiederkehren: Einmal das Gefühl des Durchstechens oder irgend welcher anderen Verletzung des Herzens, dann eine gewisse Druckempfindung. „Percer le coeur, briser le coeur, un coeur tiraillé par des passions, fendre le coeur, le coeur flétri, ces mots retournaient le poignard dans le coeur de M m c de R é n a l , " I, 36. „Ces regards ôtaient à Fabrice un poids de cent livres de-dessus le coeur," vgl. Ch. 44. 76. 1 2 9 , „ . . . accablée par la douleur, son coeur était bouleversé . . â m e épuisée par les soufirances . .

69 àtne bouleversée de fond en comble . . h ä u f i g finden wir auch: „le coeur.glacé . . . " und ähnliche Ausdrücke. Welches sind die m i m i s c h e n Begleiterscheinungen der Un- 5. lust? . Bedenken wir zuerst, dafs wir, nach Stendhals Ansicht in einer Zeit des Scheinheiligtums sind, d. h. dafs der Gesichtsausdruck nicht stets die Gefühle zum Ausdruck bringt, welche das Innere beseelen. Lucien ruft einmal aus: „Au fait rien n'est ridicule comme la science de Lavater" 194, und dessen müssen wir uns ständig erinnern. An zwei Stellen unterrichtet uns Stendhal aber gerade hierüber inbezug auf die Traurigkeit und die Gefühle der Unlust. Als Korasoff Julien traurig sieht, da gibt er ihm folgenden Rat: „Vous avez la mine d'un trappiste, vous outrez le principe de la gravité que je vous ai donné à Londres.' L'air triste ne peut être de bon ton; c'est l'air ennuyé qu'il faut. Si vous êtes triste, c'est donc quelque chose qui vous manque, quelque chose qui ne vous a réussi! C'est montrer soi inférieur. Comprenez donc, mon cher, combien la méprise est grave." II, 142. Vergleichen wir hiermit, was die Pariserin Rosalinde zu ihrem Provenzalen Féder sagt: „Ainsi, mon petit Féder, si tu veux réussir à Paris, dans tes moments, où tu ne dis rien, prends une nuance de l'air malheureux et découragé de l'homme qui ressent un commencement de colique. Eteins ce regard vif et heureux, si naturel qui fait mon bonheur. Ne te permets ce regard si dangereux ici, que quand tu es en tête-à-tête avec ta maîtresse . . . " 277, 8. Welches war nun die Wirkung dieses Spielens der Traurigkeit? „c'est qu'en jouant la tristesse, il devint triste." Die Ausdrucksbewegungen sind also in diesem Falle die Ursache des Affektes. Man könnte fast glauben, Stendhal hätte schon damals in eingeschränktem Mafse die Theorie C. Langes und W. James geahnt. Zuerst möchte ich die so häufig vorkommenden, allgemeiner gehaltenen Ausdrücke erwähnen: „L'air grave, rien n'était laid comme cet homme important, ayant de l'humeur, et croyant pouvoir la montrer," I, 54, „les traits d'Octave se contractèrent (misanthropie), ses traits contractés exprimaient le plus violent désespoir," Ch. 2 9 5 , „le comte allait éclater ou du moins trahir sa douleur par la décomposition de ses traits." Ch. 1 3 1 . „ L e découragement le plus complet éteignit les traits d'Armanda." I, 162. „II trouva Mathilde changée comme par six mois de maladie: réellement elle n'était reconnaissable." II, 234. Langer Schmerz macht die Züge altern. Vgl. Ch. 102, 254, 4 2 1 . Das Feuer der Augen erlischt infolge der Unlust Das Unglück Juliens in der Zeit des Hangens und Bangens, ob er die Liebe Mathildens je zurückerobern werde, oder nicht, läfst sich aus seinen Augen lesen: „ses yeux même, ainsi que dans l'extrême souffrance physique — man beachte das Erkennen des engen Zusammenhanges zwischen physischen und psychischen Schmerzen — avaient perdu tout leur feu." II, 1 5 3 . Vgl. II, 168. Oder der Schmerz der Verzweiflung, „des yeux mourants, mais qui d'ailleurs

7° semblaient incapables d'aucune idée . . . " Arm. 1 1 8 . Die höchste Verzweiflung macht den Blick erkalten, erstarren „ . . . les yeux fixés et levés vers le ciel . . . " Arm. 1 1 2 , oder „Lorsque les chirurgiens vinrent lui rendre compte de l'état du blessé . . . ils la trouvèrent silencieuse, les regardant fixement, ne pouvant r é p o n d r e . . . " Id. 1 4 1 , vgl. 187. In Italien ist die Wirkung ähnlich : „Jamais je n'oublierai ce que je viens de voir; quel changement subit! Comme les yeux de la duchesse, si beaux, si radieux, sont devenus mornes, éteints, après le mot fatal que le marquis de . . . est venu lui dire." Ch. 2 1 2 . Nach der Verzweiflung sind die Nerven häufig derart abgespannt, dafs die Augen geschlossen bleiben, vgl. Ch. 249. Oder aber als M me de Sanseverina Fabrice von der Hochzeit Clélias erzählt, ist sein Schmerz grofs: „Fabrice ne répondait pas; mais ses yeux se fermèrent un peu par un mouvement convulsif." Ch. 4 1 6 . Auch hier zeigt die Eifersucht den höchsten denkbaren Schmerz in den Bewegungen, noch dadurch verstärkt, dafs er keinen Trost bei seinen Mitmenschen, am wenigsten bei seiner Tante finden kann. Eine Ausdrucksbewegung der leichten Unlust, der Verstimmung, ist das Runzeln der Stirn, L. L. 20, 3 2 , oder „ L e spectacle de cette douleur . . . fit contracter les beaux sourcils noirs et si bien arqués de Julien." I, 36. Vgl. Id. 9 1 , 1 4 2 ; Ch. 390. Letztere beide infolge des Geizes, beim Sprechen von Geld . . . „Monsieur de Rénal fronçait le sourcil par bonne habitude au seul nom d'argent." „Ses lèvres tremblantes et pâles semblaient vouloir prononcer quelques mots . . . Les contours de cette bouche charmante avaient conservé l'expression d'une douleur profonde." Arm. 1 1 8 . E s ist der Schmerz der enttäuschten Hoffnungen. Gerade in diesem Zittern der Lippen gibt sich dieser ganze Schmerz zu erkennen! Als Octave infolge des fingierten Briefes in diese ,douleur aigre et méchante' fällt, „des mouvements convulsifs agitaient ses lèvres" beim Anblick seines vermeintlichen Widersachers. Der Mund und die umliegenden Muskeln sind die Träger des Spottes und dieses bitteren Schmerzes. Ganz ebenso zucken die Lippen Fabricens als er Clélia zum erstenmal an dem Arm des Marquis de Crescenzi erblickt . . . Clélia erkennt den vor Schmerz gealterten an einer Bewegung des Mundes, Ch. 4 2 1 . Eine sehr interessante Beobachtung Stendhals ist die folgende: Die Herzogin sagt dem Grafen Mosca: „Je puis vous jurer sur le bonheur de Fabrice, elle s'arrêta une demi-minute après ce mot, que jamais je ne vous ai fait une infidélité et cela en cinq ans de temps. C'est bien long, dit-elle; elle essaya de sourire; ses joues si pâles s'agitèrent, mais ses lèvres ne purent se séparer." 258. Welcher Zug der unfreiwilligen Entsagung liegt in diesem erzwungenen Lächeln, das nicht gelingt; man beachte die infolgedessen den gröfsten Schmerz ausdrückenden Gesichtszüge! Bei allzu grofsem Schmerz tritt Erschlaffung ein, und natürlich

7» erbleicht alsdann die betreffende Person. Arm. 1 1 8 ; I, 1 9 4 ; Ch. 2 1 7 , 294, 444. „ L a duchesse, anéantie par ce long accès de désespoir, sonna à ses femmes . . . En l'apercevant sur son lit, tout habillée, avec ses diamants, pâle comme des draps et les yeux fermés . . . Ch. 253. Das von Natur aus bleiche Gesicht Fabricens wird grünlich. Vgl. Ch. 37, 4 1 6 . „II devint encore plus pâle qu'il ne l'était, ce qui d'abord eût semblé impossible. Dans ces moments de vive douleur . . . sa douleur prenait une couleur verte." Auch hier ist es der Schmerz der Eifersucht, und zu gleicher Zeit sehen wir, dafs er beim Italiener sich in einer viel intensiveren Form bemerkbar macht. Die Lust erhöhte den ,édat' der Stimme, die Unlust vermindert ihn, resp. hebt sie ganz auf, sei es, dafs die Sprechwerkzeuge versagen, sei es, dafs der Verstand nicht denken kann, oder dafs die Lust zum Sprechen fehlt. Vgl. Arm. 97, 1 4 1 (Verzweiflung), II, 98. Der Schmerz ist häufig so stark, dafs er die physische Kraft nimmt, die zum Sprechen nötig ist Als z. B. die Herzogin hört, dafs Fabrice wahrscheinlich in den nächsten Tagen hingerichtet werden soll, ist ihr Schmerz grenzenlos. „Elle sourit beaucoup à la comtesse Zurla, mais malgré des efforts inouïs ne put jamais lui adresser un seul mot." Ch. 2 4 1 . E s schmerzt die stolze Frau, dafs der Prinz solche Gewalt über sie hat! In ebensolchem Schmerz findet Ferrante „la duchesse noyée de larmes, et hors d'état de parler . . . " 3 3 1 . Was hier die Entrüstung, die Verachtung mit sich bringen, das bewirken Gewissensbisse bei einem so zarten Gemüt wie dem Clélias. „ L e remords lui laissait à peine la force de parler." Wie aus den letzten Beispielen hervorgeht, liegt dies hauptsächlich an der Schwäche, oder besser gesagt, es tritt ein Gefühl des Erstickens ein, welches das Sprechen erschwert, da es die Kehle verengt. Hierauf deuten andere Beispiele hin, wie „une voix éteinte," oder „une voix étouffée . . . avec des paroles qu'elle avait à peine la force d'achever . . ." II, 168. Ferner geht dies auch hervor aus dem Schluchzen und Seufzen, welche oft den Schmerz begleiten. Ein mehr nagender, zehrender Schmerz bringt Stillschweigen mit sich, nicht aus physischer Schwäche, sondern infolge der eigenartigen Stimmung. So z. B.: „Une jalousie furieuse et impossible à venger, la continuité d'un malheur sans espoir (car même en supposant Julien sauvé, comment regagner son coeur?), la honte et la douleur d'aimer plus que jamais cet amant infidèle, avaient jeté mademoiselle de la Mole dans un silence morne, et dont les soins empressés de monsieur de Frilair pas plus que la rude franchise de Fouqué, ne pouvaient la faire sortir." II, 252. Dieses Stillschweigen ist gewöhnlich die Folge eines grofsen Schmerzes, man vergleiche auch Ch. 37. Neben diesem Schmerz, welcher verstummen läfst, finden wir aber noch eine andere Art, die sich, gerade wie der Zorn, im Schreien Befreiung sucht. In Armance sagt Stendhal in dem schon erwähnten Kapitel 20 folgendes: „ L e lendemain, lorsqu'on entra chez lui, le

72 tourment moral (!) quî le poussait à agir était si atroce qu'il se sentit l'envie de sauter au cou du coiffeur . . , et de lui dire combien il était à plaindre. C'est par un cri sauvage que le malheureux que torture le bistouri du chirurgien croit soulager sa douleur." 130. Das Schreien ist in gewissem Sinne ein ,Sichbetätigen', so dafs wir es also mit einer mehr excitierenden Form des Schmerzes zu tun haben müssen. So bringt z. 6. der Schmerz der Sich selbst Verachtung dieses Bedürfnis sich zu betätigen oft mit. „Fabrice, s'écria-t-elle, est au pouvoir de ses ennemis, et peut-être à cause de moi ils lui donneront le poison . . . Ce furent des cris inarticulés . . . " Ch. 246. 6. Auffallend ist, dafs die p a n t o m i m i s c h e n Ausdrucksbewegungen einen solch geringen Platz einnehmen. „J'aime, se dit-il d'une voix étoufféeI . . . il resta immobile comme frappé d'horreur; bientôt après il marchait à pas précipités . . . quelquefois immobile pendant plusieurs minutes, il sentait cette affreuse douleur qui comble la torture des plus grands criminels: il se méprisait parfaitement luimême", Arm. 1 1 2 . Hier lernen wir eine andere, weiter vorgeschrittene Form der Selbstverachtung kennen, welche die ganze Energie lahmlegt. V o n d e n ü b l i c h e n A u s d r u c k s b e w e g u n g e n macht S t e n d h a l n u r in b e s c h r ä n k t e m M a f s e G e b r a u c h . Gefühlsausbrüche à la George Sand kennt er eben nicht. „Dans l'excès de son malheur elle se tordait les mains", oder „Cet infâme Frilair m'a trahi, lui disait-elle, en se tordant les mains" II, 234, genügen Stendhal zur Darstellung des gröfsten Schmerzes. Beim Abschiede Juliens von Frau de Rénal kann diese dem Verdachte Juliens nicht anders begegnen, als „par de grosses larmes coulant en silence et des serrements de mains presque convulsifs", I, 158. Vgl. Ch. 246, 247, 374. Der Zustand gröfsten Schmerzes setzt den ganzen Körper in Erregung, und ab z. B. Frau de Sanseverina keinen Ausweg mehr fand, um Fabrice zu retten, „pendant dix minutes, elle s'agita comme une insensée", um alsdann allerdings vor Schwäche zusammenzubrechen. Im Schmerze der Eifersucht ruft dieselbe: „se frappant la poitrine avec désespoir", 353. Gerade dieser Abschnitt zeigt uns, wie wenig Stendhal übertreibt! Bei Betrachtung der Unlust müssen wir auch einen Abschnitt der Beobachtung der Atmung zuwenden. Während bei den übrigen Gemütsbewegungen, aufser dem Zorn, Stendhal dieselbe weniger berücksichtigt, treffen wir hier mehrere Beispiele. Die Sprache kommt ihm hierbei ja auch entgegen durch Worte wie ,soupir' und ,sanglot'. „ J'aime, se dit-il d'une voix étouffée . . et la gorge serrée . . . " Arm. 1 1 2 . „Ainsi toutes mes illusions à vau l'eau, disait Fabrice en soupirant profondément; le sacrifice (de devenir prêtre) est cruel", 1 1 0 . Vgl. 2 2 1 . Oder bei der unwahren Nachricht von Féders Tode, „en s'entendant elle-même prononcer ce nom, ses (de Valentine) sanglots redoublèrent; ils étaient tellement forts et rapprochés, qu'elle fut sur le point de perdre tout à fait la respiration", L. L. 306. Wir haben es also bei der tiefen und lang-

73 samen Atmung mit sthenischen Affekten zu tun, während bei den ,sanglots' eher asthenische Affekte in Betracht kommen. Wenden wir uns zu den B e g l e i t e r s c h e i n u n g e n resp. 7. Wirkungen der Unlust, und zwar vorerst physischer Art. „On ne meurt pas de douleur, ou Octave fût mort en cet instant", 1 1 5 . Aber trotzdem, die Wirkungen sind grofs genug, sonst hätte Stendhal gar nicht der Gedanke an das Sterben kommen können. Die Unlust greift den ganzen Körper an, und so ist die erste Folge ein Mangel an Kraft. „Armance était évidemment fort malheureuse . . . elle n'eût pas eu la force de venir à pied", Arm. 85, 1 1 2 , 1 1 8 ; I, 59, 194. „Madame de Rénal tomba sur la chaise presque évanouie de douleur", I, 39. Oft kommt es vor, dafs Personen tatsächlich vor Schmerz in Ohnmacht fallen, so z. B.: „Octave tomba évanoui" 1 1 5 , infolge der starken Gewissensbisse. Vgl. Féder 357, I, 194. In Italien sind die Wirkungen dieselben. Vgl. Ch. 24, 37, 47, 4 1 0 , und als Clélia, gegen ihr Gefühl Fabrice verpflichtet, aus dem Gefängnis zu fliehen, „eile était si faible qu'elle . . . était sur le point de se trouver mal", Ch. 3 1 9 ; Id. 248. Wenn der Körper zu schwach ist, folgt ,1e sommeil d'accablement', Ch. 247. Eine zweite Wirkung ist die, dafs grofse Unlust einzelne Körperteile — ses joues insensibles — oder, was häufiger der Fall ist, den ganzen Körper gefühllos macht. Es ist kein Erschlaffen der Spannkraft der Muskeln und Nerven, sondern ein Zerreissen infolge allzugrofser Anspannung oder Zerrung. Eine Eiskälte durchrieselt dabei oft den Körper. Der Körper kann in einen Zustand vollständiger Apathie verfallen, wie wir es z. B. beim Abschiede Juliens von Frau de Rénal sehen: „Loin de répondre aux empressements de Julien, elle fut comme un cadavre à peine animé . . . Rien ne put la distraire de l'idée cruelle de séparation éternelle . . . Les froides protestations de son amie . . . Mme. de Rénal pétrifiée . . . Julien finit par être profondément ému des mouvements de ce cadavre v i v a n t . . . " I, 1 5 8 , 159. Dasselbe Bild braucht Stendhal auch für die Verzweiflung Juliens über seinen Mifserfolg bei Mathilde. „Julien ne vit plus, c'est son cadavre qui s'agite encore" II, 1 1 3 . Auffällig ist, dafs wir diese letzten Wirkungen nicht beim Italiener antreffen, ebensowenig wie die vollständige Ohnmacht. Soll dies auf das gröfsere Mafs von Energie zurückzuführen sein, oder auf die optimistischere, hoffnungsfreudigere Lebensauffassung des Italieners? Interessant sind diese Wirkungen, da sie uns den engen Zusammenhang von körperlichem und seelischem Wohlbefinden veranschaulichen. So ist es natürlich bis zu einem gewissen Grade möglich, Niedergeschlagenheit durch Stärkung, des Körpers auszugleichen, wie deutlich aus den Worten des Gefängniswärters hervorgeht: „Après l'empoisonnement moral il faut des remèdes physiques et du vin de Champagne" oder Ch. 37. Die Wirkung des Schmerzes wird gesteigert, wenn der Körper nicht in genügender Weise unterhalten wird. Vgl. 247. Von diesem Schmerze ist jene Verzweiflung zu unterscheiden, welche dem Körper übernatürliche Kräfte gibt;

74 von ihr wird z. B. Qélia beseelt, als sie glaubt, Fabrice sei schon vergiftet. Da kennt sie kein Hindernis, sie handelt: „Clélia en ce moment fut animée d'une force surnaturelle, elle était hors d'ellemême . . .", vgl. Ch. 396, 397. 8. Wie bei der physischen Kraft die Wirkung der Unlust im allgemeinen in der Schwächung bestand, so auch bei den psychischen Gebilden. Wir haben dabei eine abnorme Veränderung des Bewußtseins zu konstatieren. „ L e malheur diminue l'esprit", II, 1 1 4 . „ L a raison n'a plus d'empire sur les actions", Id. 1 1 6 . Die Wirkung des grofsen Schmerzes, infolge der Enttäuschung und des Zustandes der Erwartung erkennen wir aus folgender Stelle: Julien hofft Mathilde nach fünf bis sechs Jahren wieder sein eigen nennen zu können, „cet affreux malheur en faisait un maniaque . . . Cette tête si froide était descendue à un état de déraison complet. De toutes les qualités qui l'avaient distingué autrefois, il ne lui restait qu'un peu de fermeté . . . L'effort qu'il s'imposait pour paraître guéri aux yeux de Mathilde absorbait toutes les forces de son âme . . I I , 1 5 3 . ,Déraison complète' und ,raison voilée' sind die Wirkungen auf den Verstand, überhaupt das ganze seelische Leben wird untergraben, er ist der reinste .maniaque', der reinste Wahnsinnige. Als Octave sich selbst verachtet, „ce moment lui donna presque le délire," 1 1 4 . Mit dem Verlust aller Eigenschaften wird der Mensch melancholisch gestimmt und bei noch höherem Grade wird er zum Misanthrop. Vgl. II, 207. Nicht allein der Verstand, auch die Phantasie erlöscht und dem Menschen wird damit so gut wie jeder Hoffnungsstrahl genommen. „Rien ne lui plaisait plus, ni dans la vie réelle, ni dans l'imagination" II, 247. Wenn die Franzosen derart kopflos werden, sollten wir annehmen, dafs die Wirkung beim Italiener mindestens ebenso stark sei, aber sonderbarerweise ist dem nicht so; auch in der höchsten Verzweiflung verlieren sie den Kopf nicht Ich habe keine Stelle gefunden, wo Stendhal ausdrücklich diesen Unterschied zwischen Franzosen und Italiener erwähnt; aber indirekt können wir schliefsen, dafs ihm dieser Unterschied aufgefallen war, wenn vielleicht auch nur unbewufst, infolge seiner genauen Beobachtungsgabe. Wie wir schon an verschiedenen Stellen gesehen haben, gibt uns Stendhal ganz genau den Grund dieser oder jener Veränderung an; in der Chartreuse heifst es nun: „Par un effet singulier de la perte du sang et de la faiblesse qui en était la suite, Fabrice avait presque tout à fait oublié le français, il s'adressait en italien à ses hôtes" 68. Hier erwähnt Stendhal nichts von Aufregung oder ähnlichem, was seinen Verstand hätte beeinträchtigen können. Infolge eines körperlichen Defektes erscheint der Verstand angegriffen. Mme. de Sanseverina, Mosca, Fabrice, Clélia, sie alle bleiben bei vollem Verstand, selbst in der gröfsten Verzweiflung (bei Ohnmachtsanfällen ist es eine sekundäre Wirkung). Übertreibungen kommen vor, „Fabrice exagérait comme tout homme indigné", die Phantasie treibt also ihr Spiel, aber ohne den Verstand zu beeinflussen. Zwei Stellen wären für diesen Unter-

75 schied anzuführen. Einerseits eine Stelle aus seinen ,Mémoires d'un Touriste', wo er in dem Abschnitt über den Palast der Päpste zu Avignon die mächtigen Mauern und die winkligen Höfe sich zu erklären sucht; er sieht darin ein Charakteristikum für jenes Mißtrauen, welches alle südlichen Völker kennzeichnet, bei denen die Inquisition wütete. Aber wir müssen annehmen, dafs dieses Mifstrauen nicht im geringsten die Gefühle beeinträchtigt. Erinnern wir uns an jene Worte, wo Stendhal sagt, dafs nur der Italiener wirklich verzeihen kann, während dagegen der Franzose vergilst. Dies ist bezeichnend; der Italiener verzeiht von Herzen, der Franzose mit dem Verstände. Daraus erhellt, dafs bei dem Franzosen der Verstand viel mehr leidet, als bei dem Italiener, der mehr fühlt, bei jenem direkt, bei diesem nur indirekt, infolge der inneren Verknüpfung aller physischen und psychischen Funktionen. Diese zeitweise Verminderung des Verstandes ist für den Franzosen eine eben so sichere Begleiterscheinung des Schmerzes, wie das Erlöschen des Feuers der Augen. Der Franzose ist mehr Verstand und Geist, der Italiener dagegen mehr Gefühl und Willen. Aber nicht allein der Verstand leidet unter dem Schmerz, g. sondern auch der Wille und indirekt die übrigen Gefühle; die Seele wird entnervt, „âme énervée", II, 247. „Son désespoir empêchait Armance de donner les ordres les plus simples" 1 4 1 . In solchen Fällen erscheint oft die Offenheit, denn „le cœur épuisé de tant de malheur n'a plus la force de rien cacher" Arm. 175. Sie ist auch abhängig von der Neigung, die man zu einer Person gefaist hat, wie deutlich das folgende Beispiel zeigt: „Emporté par son malheur, égaré par la surprise, Julien eut la faiblesse de lui dire, du ton le plus tendre . . I I , 96 oder Ch. 221. In ihrer Verzweiflung „Armance glissa et tomba privée de tout sentiment..." oder „ses forces étaient épuisées par tant d'efforts et de sentiments violents, il ne pouvait plus sentir" Arm. 125. Allerdings kann der Schmerz den betreffenden apathisch machen, wir sahen es schon bei Julien, II, 247, oder fern von Clélia, „Fabrice n'était sensible ni à son acquittement, ni à son installation dans de belles fonctions, les premières qu'il eût eues à remplir de sa vie, — beachte die Erstlingsfreude — ni . . ., n i . . . , rien ne pouvait le distraire de cette mélancolie . . . parfaitement insensible . . . tout était anéanti chez notre héros, même la vanité si naturelle à l'homme, il ne daigna pas lire une seule page de cet ouvrage qui lui était attribué." Ch. 409, 410. Hier die Begleiterscheinungen der Melancholie. Wir haben schon zu wiederholten Malen in diesem Abschnitt 10. die P h a n t a s i e erwähnt. Die infolge der starken Reizung resp. Überreizung hervorgerufene Steigerung der Empfindung kann bewirken, dafs sonst nur reproduktive Empfindungselemente die Stärke äufserer Sinneseindrücke erreichen. Erscheinen nun reine Erinnerungsbilder als Wahrnehmungen, so spricht man von Halluzinationen, wirkt diese Überreizung aber nicht allein verdichtend, sondern selbst produzierend, so dafs also die in der Erinnerung haftende

76 Vorstellung wesentlich verändert wahrgenommen wird, so spricht man von phantastischen Illusionen. Beide Zustände finden wir in Stendhals Werken, aber wie bei der Seltenheit dieser Erscheinungen anzunehmen ist, nicht sehr oft. „. . . Elle était entraînée au hasard par des images contradictoires et douloureuses. Tantôt elle craignit de n'être pas aimée, tantôt l'affreuse idée du crime la torturait comme si le lendemain elle eût dû être exposée au p i l o r i . . . " I, 66. Frau de Rénal befindet sich im Halbschlaf, und von zwei Übeln geplagt, bald von Eifersucht, bald von der Selbstverachtung, setzen sich ihre Vorstellungen in Wahrnehmungen um. A n d e r S e l t e n h e i t der D a r s t e l l u n g s o l c h e r Z u s t ä n d e e r k e n n e n wir S t e n d h a l s B e s t r e b e n r e a l i s t i s c h zu s c h i l d e r n . Stendhal will nie anormale Zustände wiedergeben, was anormal ist in seinen Romanen, das sind die Personen und ihre psychische Konstitution. In der Chartreuse finden wir zwei Beispiele, von denen ich das eine hier erwähnen möchte. Die Herzogin de Sanseverina sieht die Möglichkeit, dafs Fabrice hingerichtet werde, vor Augen. Nachdem sie sich nochmals alle Wege, ihn zu retten, vergegenwärtigt hat, wird ihr Schmerz stets gröfser. „La duchesse jeta des cris, cette alternative dont elle ne voyait aucun moyen de sortir, torturait ce cœur malheureux. Sa tête troublée ne voyait aucune probabilité dans l'avenir. Pendant dix minutes elle s'agita comme une insensée; enfin un sommeil d'accablement remplaça pour quelques instants cet état horrible, la vie était épuisée. Quelques minutes après elle se réveilla en sursaut, et se trouva assise sur son lit; il lui semblait qu'en sa présence le prince • voulait couper la tête à Fabrice. Quels yeux égarés la duchesse ne jeta-t-elle pas autour d'elle! Quand enfin elle se fut convaincue qu'elle n'avait sous les yeux ni le prince, ni Fabrice, elle retomba sur le lit et fut sur le point de s'évanouir" 247, 248. An den treffenden Ausdrücken und dem schmucklosen Stil erkennen wir, mit welcher Sicherheit der Psychologe Stendhal über solche Zustände unterrichtet war. Ii.

Bisher haben wir gesehen, dafs der Schmerz den Verstand usw. schwächt, resp. die Phantasie unter gewissen Umständen überreizt. Aber es gibt auch andere Formen der Unlust, welche b e l e b e n d , v e r m e h r e n d w i r k e n . Ich möchte diese kurz erwähnen; so vor allem jene Unlust, welche bitter, boshaft stimmt Vgl. Arm. 26; L. L . 1 1 0 , 246. Andere Wirkungen lassen folgende Stellen erkennen: „Dès qu'Armance fut seul avec madame de Malivert, elle lui dit avec une douceur parfaite, au fond de laquelle on entrevoyait cette fermeté que donne le désespoir . . 86. Die Notwendigkeit läfst sie entstehen: „Tombé dans ce dernier abîme du malheur, un être humain n'a de ressource que le courage" II, 108. Die unmittelbar bevorstehende Gefahr ruft die Entschlossenheit hervor. „Pendant qu'il pesait ces idées importantes, Fabrice, sans s'en apercevoir, se promenait dans le salon d'un air grave et plein de hauteur, en homme qui voit le malheur à dix pas de lui", Ch. 162. Und als Clélia Fabrice vergiftet glaubt, da scheint sie von einer unglaub-

77 liehen Energie beseelt „s'il vit encore, mon devoir est de le sauver. Elle s'avança d'un air hautain . . . elle regarda hardiment ces soldats, . . . und als ihr der Wärter sagt, dais er noch nicht gegessen hat, tönt ihm ein „Je le sais bien" (dit Clélia avec hauteur) entgegen. Kein Ausbruch der Freude, ihre Gedanken und Gefühle sind nur auf eines konzentriert. Nur die höchste Gefahr kann diesen Zustand, der eigentlich nicht der unbedingter Unlust ist, hervorbringen! Er ist nur aus Überreizung, aus einer Überspannung der Nerven zu erklären. Dieses stolze Benehmen Clélias ist die Folge davon, dafs sie alles um sich her vergifst, verachtet. Wie hier dieser Stolz auftritt, so kann die äufserste Verzweiflung diesen auch vernichten, selbst bei einem von Hause aus stolzen Wesen. Während wir es aber dort mit einem Affekt zu tun hatten, handelt es sich hier um die Wirkung eines Zustandes der Verzweiflung. Wer hielte es für möglich, dafs eine so stolze Frau wie die Herzogin de Sanseverina einem Crescenzi sich zu Füfsen werfen würde? „Cette femme malheureuse, parvenue aux dernières limites du désespoir, et sentant bien que le gouverneur ne refuserait rien à un gendre aussi riche, alla jusqu'à se jeter à ses genoux" 400, 4 0 1 . Zum Schlüsse unserer Betrachtung über die Unlust möchte ich noch d a s V e r h ä l t n i s d e r M u s i k zu i h r erwähnen. „ L a marquise avait été touchée de la musique sublime comme le sont les cœurs malheureux . . Ch. 434. Als Fabrice seine Clélia zum ersten Mal als Mme. de Crescenzi sieht, „. . . il pleura à chaudes larmes, plus d'une demi-heure . . . mais Mme. chanta de nouveau, et l'âme de Fabrice, soulagée par les larmes, arriva à un état de repos parfait. Alors la vie lui parut sous un nouveau jour" 4 1 9 . Beide Stellen bestätigen Stendhals Worte aus der Haydine, wo er uns folgendes erzählt: „ E n 1799 j'étais à Vienne, malade de la fièvre; j'entends sonner une grande messe dans une église voisine de ma petite chambre: l'ennui l'emporta sur la prudence, je me lève et vais écouter un peu de musique consolatrice. J e m'informe en entrant; c'était le jour de sainte Anne et on allait exécuter une messe de Haydn, en béta, que je n'avais jamais entendu. Elle commençait à peine que je me sentis tout ému, je me trouvai en nage, mon mal de tête se dissipa; je sortis de l'église au bout de deux heures, avec une hilarité que je ne connaissais plus depuis longtemps, et la fièvre ne revint pasl II me semble que beaucoup de maladies de nos femmes nerveuses pourraient être guéries par mon remède, mais non par cette musique sans effet qu'elles vont chercher dans un concert après avoir mis un charmant chapeau" 1 3 3 . Wenn Stendhal in. Wirklichkeit dieses Konzert auch gar nicht gehört hat, so bleibt die Tatsache doch bestehen, dafs die Musik den Unglücklichen tröstet Wir müssen bedenken, dafs die Haydine schon 1 8 1 4 veröffentlicht wurde; Stendhal war damals 3 1 Jahre alt, aber, wie es scheint, war er schon damals zur Ironie aufgelegt, die von einem gewissen Ernst begleitet war, der nicht leicht genommen werden will. Natürlich habe ich nicht alle Wirkungen, resp. Arten der Un-

78 last anrühren können, ich beschränkte mich dabei auf das Wichtigste, manches Interessante gar nicht erwähnend, wie z. B. die verschiedenen Verlegenheitsposen der einzelnen Personen und ähnliches. Anschliessend hieran wollen wir uns der Betrachtung des Lachens und des Weinens zuwenden, die auch in gewissem Sinne Ausdrucksbewegungen von Lust und Unlust sind, aber trotzdem eine gesonderte Stellung einzunehmen berechtigt sind. Das Lachen. I.

1803 schreibt Stendhal an seine Schwester, nachdem er also schon einige Lebenserfahrung gesammelt hatte und selbständig zu urteilen im Stande war, folgendes: „Pour plaire aux gens il faut les occuper d'eux et par conséquent, parler très peu de soi; il faut que vos traits soient vifs, et il y a une marque simple bien claire du plaisir que vous procurez. On n'a presque jamais affaire qu'à la vanité des gens. Un homme vain cherche à découvrir à chaque instant quelque nouvel avantage en lui, dès qu'il en découvre un, vous en avez une marque évidente, il rit Le rire n'est que cela: L a v u e s o u d a i n e d ' u n a v a n t a g e q u e n o u s n e c o n n a i s s o n s p a s , ou q u e n o u s a v i o n s p e r d u d e vue." Stendhal hat stets ein besonderes Interesse gezeigt für das Lachen, so dafs wir an verschiedenen Stellen von ihm aufgezeichnete Theorien darüber finden. In seinen 1812 verfafsten Abhandlungen über den Stil, sagt er folgendes: „le rire naît d e la surprise. Il y a toujours une nuance de crainte dans la surprise. L'homme surpris songe à soi, à son intérêt, disposition excellente pour le comique qui est une comparaison de soi à un autre." 304. 1823 bis 1825 veröffentlicht er Racine et Shakespeare, worin er dem Lachen ein ganzes Kapitel widmet Ausgehend von der Definition Hobbes „Cette convulsion physique, que tout le monde connaît, est produite par la vue imprévue de notre supériorité sur autrui" gibt Stendhal eine Erklärung „du comique et du rire". Vergleichen wir hiermit seine Darlegung aus dem Briefe von 1803, so sehen wir, dafs er darin dieselbe Idee vertritt, nur in einer eingeschränkteren Form. Während er damals nur die unbewufste Überlegenheit anerkannte, bringt jetzt jede Überlegenheit, welcher Art sie auch sei, das Komische mit sich. Wir dürfen ohne weiteres annehmen, dafs Stendhal schon damals die Ansicht Hobbes bekannt war, denn ob eigene Idee oder nicht, das war ihm stets ziemlich einerlei, die Haydine legt ja hierfür den besten Beweis ab. Er demonstriert seine Ansicht, resp. die Hobbes', durch ein Beispiel. Ein aufs eleganteste gekleideter junger Mann geht zum Ball, und gerade unter der Einfahrt fällt er in den Schmutz, „un éclat de rire universel sort des voitures qui suivaient la sienne; le suisse sur sa porte se tient les côtes, la foule des laquais rit aux larmes et fait cercle autour du malheureux." Daraus zieht Stendhal folgende Schlüsse: „II faut que le comique soit exposé avec clarté; il est

79 nécessaire qu'il y ait une vue nette de notre supériorité sur autrui. Mais cette supériorité est une chose si futile et si facilement anéantie par la moindre réflexion, qu'il faut que la vue nous en soit présentée d'une manière imprévu." Die zwei Bedingungen des Komischen wären also ,1a clarté et l'imprévu'. Aber der angeführte Fall wird nur das Lachen hervorrufen, wenn er uns nicht den Gedanken entstehen läfst, dafs wir in eben solche Lage kommen können. Hätte sich der junge Mann beim Fallen weh getan, und beim Aufstehen gehinkt, — Stendhal drückt sich als Mensch, der die anderen nicht über sich lachen läfst, so aus: „que le beau jeune homme ait la malice, en se relevant, de traîner la jambe," — so wäre beim Anblick dieses Unglücks das Lachen sofort verschwunden. „C'est tout simple, il n'y a plus jouissance de notre supériorité, il y a au contraire vue du malheur pour nous: en descendant de voiture je puis me casser la jambe." Ober einen zahmen Scherz lacht man auf Kosten des anderen; ist der Spafs aber zu gut, so lacht man nicht mehr: im Gegenteil, man zittert bei dem Gedanken an das Unglück des anderen. Nur so ist das Lachen Mathildens zu verstehen, als sie hört, dafs Julien vom Pferde gefallen sei, und er seinen Unfall selbst erzählt: „tous trois finirent par rire comme auraient pu faire trois jeunes habitants d'un village au fond d'un bois." I, 246. Garté und imprévu sind hier richtig verteilt, aber trotzdem, Mathilde hätte nicht bei einem ihr fremden Menschen gelacht, denn „il faut que j'accorde un certain degré d'estime à la personne aux dépens de laquelle on prétend me faire rire." Über einen gewöhnlichen, gemeinen Menschen kann man nicht lachen, denn ihn verachtet der Gebildete. Auch Lucien fällt vom Pferde, „les yeux fixés sur la fenêtre vert perroquet; l'éclat de rire fut général et brusquant. Lucien remarqua que la dame . . . souriait encore, que déjà il était remonté;" das ist das richtige, harmlose Lachen. Dagegen „les officiers du régiment riaient, mais ,exprès', comme un membre de centre, à la chambre des députés quand on fait aux ministres quelque reproche fondé." L. L . 49. Vgl. id. 93. Das ist jenes schmutzige Lachen der Rache; Stendhal sagt darüber: „Comme le ridicule est une grande punition parmi les Français, ils rient souvent par vengeance. Ce rire-là ne fait rien à l'affaire, ne doit pas entrer dans notre analyse; il fallait seulement le signaler en passant. Tout ,rire affecté' par cela seul ne signifie rien;" das Lachen mufs reflektorisch ausgelöst werden, wie alle Reflexbewegungen, so mufs also auch das Lachen dann am vollkommensten sein, wenn unsere Aufmerksamkeit abgelenkt ist, wie dies z. B. bei der Überraschung der Fall ist. Das Lachen ist stets mit einer Zusammenziehung der mimischen Gesichtsmuskeln verbunden, die im wesentlichen auf eine Verbreiterung der Mundspalte und Hebung der Mundwinkel, bei Veränderung der Backenlage hinausläuft Stendhal sagt: „eile essaya de sourire, ses joues

8o si pâles s'agiterent, mais ses lèvres ne purent se séparer." Ch. 258. Oberschreitet das angeführte Muskelspiel einen gewissen Grad, so entsteht das Grinsen, findet es aber nur in geringerem Mafse statt, so bezeichnet man es als Lächeln. Beim Übermafs schlägt das Lachen in sein Gegenteil um, wie Stendhal an einem Beispiel in De l'Amour uns zeigt: „ . . . où il ne s'attendait pas à la voir. Elle ne put cacher son premier transport de bonheur; l'amant s'attendrit plus qu'elle, ils tombèrent presque aux genoux l'un de l'autre, et jamais je n'ai vu couler tant de larmes; c'était la vue imprévue du bonheur. Les larmes sont l'extrême sourire." 65. Vgl. I, 1 5 2 ; II, 2, 4 ; Ch. 2 7 6 ; L. L . 139. 2. Betrachten wir das Lachen in Stendhals Werken. W i r f i n d e n , d a f s s t e t s nur d i e Ü b e r l e g e n h e i t , a l l e r d i n g s im w e i t e s t e n S i n n e g e f a f s t , so d a f s m a n a l s o a u c h j e d e n E r f o l g d a h i n r e c h n e n m u f s , d a z u d i e V e r a n l a s s u n g ist. Das Selbstgefühl spielt also hier eine grofse Rolle; ein selbstgefälliger Mensch wird mehr lachen als ein anderer. Wie oft sehen wir Julien lachen, wie selten dagegen Fabrice. In Italien scheint überhaupt infolge des gerechtfertigteren, erhabeneren Selbstgefühles manches Lachen wegfallen zu müssen. In Prom. d. Rome sagt uns auch Stendhal: „ L a morgue grossière du banquier enrichi et le sourire de supériorité de l'homme de haute naissance sont également inconnus à Rome. On leur rirait au nez." 2 1 3 . Allen Italienern ist ein gewisser Stolz eingeboren, so dafs diese Art dort keinen Zweck hat Dieses eitle Wesen des Franzosen, ,sa vanité', mufs durch den stetigen Gedanken an sein eigenes Ich dem Lachen eine andere Färbung geben. Das gesunde Lachen finden wir nur bei jungen Leuten, wie Lucien Leu wen, während dagegen wir in Italien viel häufiger diesem unschuldigen, naiven Lachen der jungen Mädchen im Pensionat begegnen; „elles rient de tout; ne serait-ce point qu'elles voient le bonheur partout?" Der Italiener lacht über eine Kleinigkeit, während der Franzose mit viel mehr Überlegung lacht. Der Pariser sucht überhaupt sein Lachen zu verbergen, und deshalb „vous êtes toujours un étranger à Paris." II, 15. Der Graf de Mosça erkennt diesen Unterschied im Lachen. Zwar sollte er glücklich sein, glücklicher wie jeder andere, denn er besitzt, was andere nicht haben: „le pouvoir souverain dans les trois quarts des choses . . . " Aber er will offen gegen sich sein, und da mufs er sich gestehen, dafs gerade die Gewohnheit dieses Gedankens an seine Überlegenheit sein Lachen verderben mufs, „eh bien, soyons juste! l'habitude de cette pensée doit gâter mon sourire . . . doit me donner un air d'égoisme . . . content . . . " und er, in seiner Eifersucht, mufs das Lachen Fabricens bewundern . . . „Comme son sourire à lui est charmant: il respire le bonheur facile de la première jeunesse, et il le fait naître." 128. Wie kann Fabrice z. B. lachen, als er im Gefängnis sieht, wie der Hund die Ratten jagt; „Ia cabane était ébranlée jusqu'en ses fondements. Fabrice riait comme un fou et pleurait à fôrce de rire." 276. Vgl. id. 1 1 ,

St 2Q, „la comtesse sourit à tout hasard . . 74, 76, 85, 156. „. . . Fabrice en riant avec la sérénité d'un enfant" und selbst der junge Prinz „avait ri au nez avec toute la naïveté de la jeunesse", 378. Die e i n f a c h e Ü b e r l e g e n h e i t macht häufig lachen. „Mon- 3. sieur de Rénal vit de loin le vieux Sorel sourire en le regardant", I, 4 oder I, 49, 128, 130, 161, 172, 203. Julien fragt den Grafen Norbert, wie man zu reiten habe, und dieser antwortet ihm „en riant aux éclats." Die Häufigkeit der angeführten Beispiele mag genügen zum allgemeinen Beweis der Stendhalschen Definition. Über ihn lachen ist für Julien über ihn erhaben sein. „Tâchons de ne pas apprêter à rire à ce fripon de Valenod." Wenden wir uns jetzt zu spezielleren Fällen. Wir haben schon 4 erwähnt, dafs das Lachen in engerem Zusammenhang mit dem S e l b s t g e f ü h l steht. So können wir denn auch einerseits nach dem Lachen des befriedigten Selbstgefühles über das Komische, das Lachen des Spottes, bis zum bitteren Lachen der Verachtung, einteilen, andererseits nach dem Lachen über sich selbst. Man lacht, um dadurch das Lächerliche über eine andere Person auszugiefsen, sie zu verhöhnen, sei es allein oder sei es in Gesellschaft anderer. „Quand on le nomme (Charmier, un mari notoirement trompé), le sourire n'est-il pas sur toutes les lèvres" I, 123, oder das Lachen der Damen über Frau de Bonnivet, als sie Octave, cet être rebelle, für ihre Ideen, d. h für Armance, gewinnen will, 54; hier ist natürlich noch das gewöhnliche Lachen der eifersüchtigen Mütter heiratsfähiger Töchter zu beachten. Bei den Soldaten begegnen wir oft diesem spöttischen Lachen. Als z. B. Fabrice den Gensdarmen seine Begeisterung für Napoleon erzählt, „ l'officier de la gendarmerie fut saisi d'un rire lou" Ch. 31, oder das Grinsen der Soldaten, als Fabrice sie um etwas Brot bittet, Ch. 57, 67. Die Marketenderin ist natürlich nicht von anderem Blute, und als sie Fabrice beim Anblick der Gefallenen erbleichen sieht, „eile éclata de rire." In Lucien Leuwen, wo uns Stendhal verschiedene Soldatenszenen vorführt, hören wir oft jenes für den gewöhnlichen Sterblichen unangenehme Lachen, wir haben es eben hier mit anderen Menschen zu tun, wo trotz des Massengeistes im Dienste, im Privatleben das Individuum zur Geltung kommt. „7"out de même, en voilà un que j'ai solidement blagué, lui et son juste milieu, se dit Bouchard en riant dans sa baTbe" 62, oder das Lachen des Gemeinen, als er Lucien, seinen Vorgesetzten, in solch erbärmlichem Zustande findet und ihn betrunken glaubt, „en ouvrant les yeux, Lucien vit devant lui un lancier qui le regardait en riant..." L . L. m . Die Gensdarmen und Soldaten in Italien sind nicht besser. „Un accès de gros rire éclata dans le corps de garde" 234, oder das Lachen der Überlegenheit des schlauen Grillo über Clélia, als sie ihn um seinen Beistand bittet, 376. Das Lachen all dieser Menschen mufs mifsfallen, denn es ist meistens das rohe Lachen der Schadenfreude. Es verrät den unedlen Charakter der £«ihcft zur Zeiuchr. f. rom. Phil. XXXV.

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82 Betreffenden. Auch Herr de Renal hat dieses Lachen an sich. „Un éclat de rire grossier", ein Achselzucken waren gewöhnlich die Erwiderungen auf die vertraulichen Geständnisse seiner Frau. Er fühlt sich über alles erhaben und respektiert daher keine Gefühle. Sieht er einen Hund vom Wagen zermalmt, so gibt ihm dieser Anblick „son gros rire", während die schönen schwarzen Augenbrauen Juliens sich zusammenziehen; oder sein abfälliges: „Voilà comme sont toutes les femmes, lui répondit M. de Rénal, avec un gros rire. II y a toujours quelque chose à raccommoder à ces machines-là", I, 47. Bei dem allmächtigen Sergeanten Filloteau finden wir dasselbe rohe Lachen, z. B. L. L. 82 oder 83: „mais que vont dire ceux de vos camarades qui n'en ont qu'un de chevaux, et encore qui souvent n'ont que trois jambes, ajouta-t-il en riant d'un gros rire." Dieses anmafsende Lachen mufs eine feinfühlende Seele einfach verletzen. Nur in der Provinz kann man ihm begegnen. Man stelle sich nur die Verlegenheit Valentines vor — der Leser ist vielleicht noch unangenehmer berührt wie sie, die als Provinzlerin an solches schon gewöhnt ist —, als die ganze ungebildete Tischgesellschaft über ihren literarischen Schnitzer anfängt zu lachen. „L'éclat du rire fut vif et général. En vain la politesse voulut le modérer après le premier moment; l'idée de Diderot, le protégé de l'impératrice Catherine II, pendu comme complice de Cartouche, était si plaisante, que le rire fou recommença de toutes parts. — Eh bien, Messieurs, reprit M me Boisseaux, qui, elle aussi riait comme une folle sans savoir pourquoi . . . la réponse de Valentine ôta aux éclats de rire ce qu'ils avaient de trop vif et d'offensant; un doux sourire les remplaça sur toutes les lèvres", und als ihr Bruder sich für sie ins Zeug legt, ihren Fehler entschuldigend, „l'honorable député, comme on voit, confondait un peu ces deux grands coupables des crimes de 1793, Voltaire et Rousseau. Delangle éclata de rire, et son exemple fut suivi par tous les convives", Féder 327, 8. ,Le Grenoblois Stendhal de Paris' schreibt. Ein ebenso unangenehmes Lachen ist „le sourire amer du mépris." Frau de Renal wendet sich liebevoll an Julien, um ihn in seinem Zorn gegen ihren Gatten zu beschwichtigen, da tönt ihr ein barbarisches „Comment je ne le serais pas" entgegen, „avec un sourire amer", in dem seine ganze Mifsachtung liegt. Als Julien in Frau de Rénal nur noch die reiche Frau erblickte, läfst er plötzlich ihren Arm fallen avec dédain und entfernte sich. „11 alla se promener pensif dans le jardin; bientôt un sourire amer parut sur ses lèvres", I, 59. Dasselbe Lächeln verzerrt sein Gesicht, als er sich fragt: „Oii est la vérité? Dans la religion . . . Oui, ajouta-t-il avec le sourire amer du plus extrême mépris, dans la bouche des Maslon, des Frilair . . II, 248. In der ganzen Chartreuse treffen wir dieses bittere Lachen nicht an, wohl aber in den Novellen, es ist für energische, selbstbewufste Charaktere reserviert. Vgl. Vanina, I, 294. „Don Livio vint dire à Vanina deux jours après que tous les carbonari pris à Forli s'étaient évadés. Elle arrêta sur lui ses

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grands yeux noirs avec le sourire amer du plus profond mépris . . A n verschiedenen Stellen zeigt Julien jenes satanische Lachen der Überlegenheit. Als er über de Croisenois und Genossen gesiegt hat: „ E h bien, se dit-il, en riant comme Méphistophelès, j'ai plus d'esprit qu'eux, je sais choisir la forme de mon siècle, II, 74 oder II, 245. Endlich wäre hier noch das Grinsen des Eifersüchtigen anzuführen, vgl. Feder oder L. L. 235. „Mais ce qu'il y eut de terrible pour M m e de Chasteller, c'est qu'au lieu de prendre le ton d'intérêt, M. le vicomte de Blancet ricanait en écoutant ces mensonges. Il était jaloux jusqu'à la folie de l'air d'intimité, de plaisir, avec lequel on parlait à Lucien depuis si longtemps, et on lui avait dit au régiment qu'il ne fallait pas croire aux indispositions des belles dames." Man beachte das Wohlbehagen, mit welchem Stendhal darstellt, man meint, er wäre in der Lage Luciens. Die befriedigte Rache bringt auch ein Lachen mit sich: „Voici une belle impertinence, se dit M m e la marquise de Sanseverina, mais elle a failli, par ses affectations de veuve inconsolable, me faire perdre la tête sur un échafaud", 388. Wie wir bei dem Selbstgefühl sehen ' werden, dafs die Ver- 5. achtung auch auf das eigene Ich zielen kann, so natürlich auch hier, man verspottet sich selbst, man verachtet sich selbst. So lacht z. B. Frau de Rénal über sich selbst, als sie Julien sieht, von dem sie sich eine so fürchterliche Vorstellung als Züchtiger ihrer Kinder gemacht hatte, I, 26. Als Julien im Zweifel darüber ist, ob er zu Mathilde gehen soll oder nicht, „Je serai un monstre dans la postérité. Pendant deux ou trois ans, reprit-il en riant, et se moquant de soi . . . " 1,87. Wie konnte er sich von der Nachwelt einschüchtcrn lassen, das ist ihm selbst unbegreiflich. Dasselbe Lachen finden wir in Italien, sei es, dais der comte de Mosca über sich lacht, weil sein Herz schlägt, als er zu Frau Pietranera geht, sei es, dafs Fabrice über sich lacht, als man Clélia ein Ständchen bringt, und er schon seinen Dolch bereit hielt, um sich zu verteidigen, da er fürchtete, hingerichtet zu werden, Ch. 92, 293. Dieses Lächeln über sich selbst ist bei weitem sympathischer, als die vorher erwähnten Arten. Eine gewisse Unlust, meistens ein Zustand der Spannung, läfst es entstehen; es enthält ,une petite nuance de crainte' in sich. Noch ausgeprägter finden wir dieses bei Julien, in den Stunden der Erwartung z. B., bis er zu Mathilde geht, sehen wir Julien sehr empfänglich für das Lachen, II, 82, 85, 87. Das Verlegenheitslächeln gehört auch hierher; als Mathilde sieht, wie gleichgültig sie für Julien ist, fängt sie an zu lachen, „ce rire était fait pour cacher son embarras; elle y réussit!" Neben diesem mehr oder weniger unangenehmen Lachen gibt g. es aber noch e i n a n d e r e s n a t ü r l i c h e s L a c h e n , denn die bisher erwähnten Fälle dürfen wir eigentlich gar nicht mit Lachen bezeichnen, sie haben nur die äufsere Form mit ihm gemeinsam, nicht aber den Kern. Schadenfreude, Neid, Eifersucht, Rache oder welches Gefühl der Überlegenheit es auch immer sein mag, ver6*

84 derben einfach das Lachen. Das gesunde Lachen, , c e r i r e gai', ü b e r d a s K o m i s c h e , nicht über das Satirische und Lächerliche, hat mit dem bisher besprochenen, typisch Stendhalschen Lachen nur den Ausdruck gemein; aber auch ihm begegnen wir häufig in Stendhals Schriften. Wie platzt z. B. der Marquis de la Mole heraus, als er Julien, als Untergebener verkleidet, vor sich sieht, II, 121, oder das Lachen des Kindes über den jungen Sänger .outrant un peu son accent', oder das herzliche Lachen des russischen Prinzen über den schönen Namen, den Julien seiner Geliebten zulegt, vgl. I> '33» '35> I39> I 4 I i I 5 2 > hierher gehört auch das Lachen Mathildens, als sie von Julien hört, welche Anstalten ihr Vater getroffen hat, um M. de Croisenois beobachten zu lassen, „... à cette idée Mathilde rit aux éclats" II, 110. Lucien lacht über jede Kleinigkeit, er ist wirklich das reinste Kind. „A l'aspect de cette sorte de mannequin — der Präfekt ist gemeint — qui marchait comme par ressorts, la colère de Lucien s'évanouit; une envie de rire folle la remplaça, et sa grande affaire fut de ne pas éclater. Cette tête de préfet, se dit-il, est une copie des figures de Christ de Luchas Cranach . . . L'embarras de notre sous-lieutenant était de ne pouvoir pas rire au nez du personnage. Par malheur il vint à se rappeler un M. Fléron député. Cet être sera le digne fils ou neveu de ce M. Fléron député qui pleure de tendresse en parlant (de nos dignes ministres). Ce souvenir fut trop pour l'officier, encore trop neuf, il éclata de rire", L. L. 53, 54, oder sein Lachen bis zu Tränen über M. Dupoirier, 139, oder wie wird es ihm schwer sich zu beherrschen, als M me d'Hoquincourt mit für ihn schmeichelnden Worten Herrn d'Autin abweist, 212. Der Gedanke, sich unter die Aristokraten zählen zu dürfen, macht ihn stets lachen. „D'un autre côté, mes livrées si fraîches et mes chevaux anglais doivent me donner une demi-noblesse auprès de cette âme de province . . . peut-être, ajouta-t-il en riant, une noblesse tout entière," oder „nous autres aristocrates, se disait Lucien en r i a n t . . . " 211. 7. In Lucien finden wir keinen Hochmut! Hierher können wir auch das unschuldige Lachen über den E r f o l g o d e r d i e E r f ü l l u n g d e s H e r z e n s w u n s c h e s stellen, der Mensch freut sich, er lacht. Wer sieht nicht das Glück aus den Augen Frau de Renais leuchten, als Julien ihr im Gefängnis gesteht, dafs er niemals in seinem Leben so zufrieden und glücklich war als jetzt, mit ihr zusammen. „C'est de commander que de parler ainsi, dit-elle avec un sourire timide et mélancolique" II, 240. Aïs Julien von Mathilde den ersten Brief erhält, worin sie ihm ihre Liebe gesteht, lacht er auch, „la joie contractait ses joues et le forçait à rire malgré lui", 72, dann heifst es aber „la lettre de Mlle de la Mole avait donné à Julien une jouissance de vanité si vive que, tout en riant, . . ." 80, das ist keine reine Freude, kein unschuldiges Lachen, sondern blinde Gier nach Ruhm, nach Selbstbefriedigung. Wie Julien erst im Gefängnis wirklich lieben kann, nachdem er seinen Ehrgeiz abgestreift hat, so ist es ganz erklärlich, dafs wir auch

85 dort erst dieses unschuldige Lachen bei ihm antreffen können. Während seines ganzen Lebens in der Öffentlichkeit hat Julien nichts von dem Lächeln der Jugend, wie Lucien. Mit den Offizieren, „de vieux officiers goguenards", müssen auch wir sagen, „II y a tout dans ce jeune homme, excepté de la jeunesse". Im Gefängnis hat er mit seinem irdischen Dasein abgeschlossen, die Welt ist gleichgültig für ihn, er fühlt sich erhaben über sie, aber es ist jene Erhabenheit der Ergebung. Als die Richter ihn nach seinem Verbrechen fragen, „mais ne voyez-vous pas, lui dit Julien en souriant, que je me fais aussi coupable que vous pouvez le désirer?" 201. Vgl. II, 221. Hier tritt uns jener Julien entgegen, welcher zu Mathilde und Fouqué sagt: „Laissez-moi ma vie idéale. Vos petites tracasseries, vos détails de la vie réelle, plus ou moins froissants pour moi, me tireraient du ciel. On meurt comme on peut, moi je ne veux penser à la mort qu'à ma manière. Que m'importent ,les autres'? Mes relations avec ,les autres' — die den ganzen Gegenstand seines Lebens bildeten — vont être tranchées brusquement. De grâce ne me parlez plus de ces gens-là; c'est bien assez de voir le juge et l'avocat. Au fait, se disait-il à lui-même, il paraît que mon destin est de mourir en rêvant. Un être obscur, tel que moi, sûr d'être oublié avant quinze jours, serait bien dupe, il faut l'avouer, de jouer la comédie . . . il est singulier que je n'aie connu l'art de jouir de la vie que depuis que j'en vois le terme si près de moi." 222, 3. Jetzt kann er lachen! Im Gefängnis baut er Luftschlösser über das, was er alles hätte erreichen können, er sieht sich schon in Wien oder London als Gesandter, da erwacht plötzlich sein altes zynisches Element in ihm, „Pas précisément, monsieur, guillotiné dans trois jours. Julien rit de bon cœur de cette saillie de son esprit". Nicht zürnt er mehr dem Schicksal, „en vérité, l'homme a deux ctres en lui, pensa-t-il. Qui diable songeait à cette réflexion maligne?" und er spielt mit dem Gedanken, sich über die Kleinigkeiten dieser Welt ergötzend. Es ist das Lachen des naiven Fabrice, der sich über die Einfalt dieser Welt freut. Ch. 419. Es erübrigt, noch zwei Arten des Lachens anzuführen. Einmal 8. das Lachen der Verwunderung, des Nichtbegreifens, wie z. B. das des abbé Pirard über Julien. Er weiht ihn in seine neue Beschäftigung ein, und sagt ihm dabei unter anderem, dass vielleicht manchmal eine alte Dame oder ein Herr mit einschmeichelnder Stimme ihn darum bitten werde, ihm, eventuell gegen Belohnung, irgendwelche Schriftstücke zu zeigen, „Ah! monsieur! s'écria Julien en rougissant. — Il est singulier, dit l'abbé avec un sourire amer, que comme vous l'êtes, et après une année de séminaire, il vous reste encore de ces indignations vertueuses. Il faut que vous ayez été bien aveugle." 232. Er wundert sich, dafs Julien nicht die Gewohnheiten seiner Umgebung angenommen hat, und das macht ihn lachen. „Tous les sujets de Louis XIV se piquaient d'imiter un certain modèle, pour être élégants et de bon ton, et Louis XIV

86 lui-même fut le dieu de cette religion. Il y avait un ,rire amer' quand on voyait son voisin se tromper dans l'imitation du modèle." Rae. et Sh. 27. Diese Stelle erklärt uns das Lächeln Pirards. In der Chartreuse finden wir Ranuce Ernest IV, prince de Parme, der Ludwig XIV. nachzuahmen sucht. „La duchesse trouva qu'en de certains moments l'imitation de Louis XIV était un peu trop marquée chez le prince; p. e. dans sa façon de sourire de condescendance bien imitée du temps heureux de Louis XIV — der Spötter Stendhal — ,comme un ami parlant à des amis'," 164, 221. So leitet denn dieses Lächeln zu jenem nichtssagenden Lächeln über, das man so häufig in der Gesellschaft findet. Hier soll es nur erwähnt werden. La politesse souriante II, 129. Le demisourire, annonçant l'homme de bonne compagnie, le prélat instruit, l'administrateur habile . . . II, 213. Le sourire approbateur II» I3i> 135» 239> L. L. 22E. Das verständnisinnige Lächeln des Sergeanten L. L. 27, 30. Das Lächeln der Ergebung L. L. 100. Das verbindliche Lächeln des Schneiders I, 238. Das konventionnelle Lächeln Féders, als er sich dem Tische Frau Boisseaux' nähert 302. Das Lächeln beim Verschlucken einer bitteren Pille Ch. 376, 386, und wie sie alle heifsen mögen. Das Lachen Napoleons über das Gemeine (Vie de Nap. 78) und ,1e faux rire' des Herrn de Renal sollen auch nicht unerwähnt bleiben. Fragen wir uns am Schlüsse dieses Kapitels, wie wird Stendhal gelacht haben? so ist die Antwort nicht zweifelhaft. Er sagt uns, dafs die Molièresche Komödie zu satirisch ist, um ihm dieses ,rire gai1 zu geben, denn „il aime à trouver, quand il va se délasser au théâtre, une imagination folle qui le fasse rire comme un enfant" R. et Sh. 27, und an Louis Crozet schreibt er: „Critique ferme tout cela. Peut-être que tu ne vois en moi nul talent comique. Il est sûr que je suis toujours sérieux et tendre, mais la moindre bonne plaisanterie, celle de la table de l'ospik, par exemple, me fait mourir de rire pendant deux heures." Das geben wir ruhig zu, wir können nicht leugnen, dafs in Stendhals Wesen häufig etwas naives liegt, aber im Grund genommen finden wir meistens bei ihm jenes spöttische Lächeln der Überlegenheit, wie es auch die Falten um seinen Mund uns deutlich verraten. Wir haben oft genug bewundert, wie versteckt, aber treffend sein Spott ist, und haben auch hier gesehen, welch breiten Raum dieses falsche Lachen der Überlegenheit in seinen Schriften einnimmt.

Weinen. Während das Lachen von besonderem Interesse für uns war, bietet uns eine ähnliche Betrachtungsweise des Weinens wenig aufserordentliches. Werfen wir aber einen Blick auf den Vergleich der Häufigkeit beider in Stendhals verschiedenen Romanen, so finden wir, dafs in seinen kleineren Werken ein anderes Verhältnis herrscht, als in seinen Hauptwerken.

87 Armance. Rouge et Noir I. Rouge et Noir IL Chartreuse. L u d e n Leuwen. (Satire aufs Militärleben.) Feder. ( „ auf die Provinz.)

Lachen. Weinen. 18 5 & 2 39 & 3 39 50 £ 3 42 3 1 & 18 35 36 & 3 5 12 & I 4

Die Zahlen in der Mitte geben die Tränen der Freude an. Halten sich in Le Rouge et le Noir Lachen und Weinen 2. nahezu die Wagschale, so ist in Lucien Leuwen und Féder ein Mehr zu Gunsten des Lachens, in Armance ein Mehr zu Gunsten des Weinens. In der Chartreuse ist Lachen und Weinen auch ziemlich gleichmäfsig verteilt, nur dais wir, wie ja zu erwarten, beim Italiener häufig die Tränen, ,1e sourire extrême', antreffen. Armance ist 1827 veröfientlicht. Sollte es nicht möglich sein, dafs die Lebensverhältnisse Stendhals diesen Unterschied der Anzahl von Lachen und Weinen mitbedingt habe? Sehen wir z. B. die biographischen Bemerkungen Colombs an, so sagt er über jene Zeit folgendes: „Doué d'une humeur habituellement gaie, Beyle était cependant sujet à des accès de misanthropie concentrée qui portaient son esprit aux idées noires. L'année 1828 est probablement celle pendant laquelle les pensées tristes dominèrent le plus; il songea même au suicide." Colomb schliefst auf jene Zeit, da Stendhal vier Testamente vom 26. August bis zum 4. Dezember 1828 schrieb. Aber sollte sich diese Melancholie nicht schon 1827 bemerkbar gemacht haben können? Die Korrespondenz spricht auch dafür, denn gerade aus dem Jahre 1827 sind uns nur wenige Briefe überliefert. Armance an sich ist geradezu das Buch der Lebensverneinung. Nach ihm ist das Leben „une suite de malheurs et de sensations amères". Zweimal entflieht Octave aus dem Salon, die einzige Rettung gegen seine Mutlosigkeit sieht er in Armance, „Je l'aimerais avec passion . . . je l'aimerais! moi, malheureux!" Da stöfst ihn ein Wagen um, das Hinterrad hatte ihm die Brust schon stark gedrückt, er beruhigt sich etwas, „la vue de la mort lui avait rafraîchi le sang. Dieu! que n'ai-je été anéantil" 23. Dieselben Worte wiederholt er später im Walde. Seine Gleichgültigkeit als er zum Duell fahrt usw., wie stehen alle diese Züge im Gegensatz zu dem „Soyons heureux pendant le petit nombre de jours de cette courte vie" am Ende von Le Rouge et le Noir. Ganz anders tritt uns dagegen Stendhal in Lucien Leuwen und Féder gegenüber, ersteres 1834 in Civita Vecchia entstanden. Man könnte beide fast als Satiren bezeichnen, jene auf das Militärleben, diese auf die Provinz. Hier zeigt sich uns Beyle als zufriedener, aber etwas gelangweilter Junggeselle, der zum Spott greift, um sich selbst zu amüsieren. Beide sind solche schriftstellerischen Betätigungen, von denen er schon in Rae. et Shak.

88 spricht. „Quant à moi, dans ma petite sphère, et à une distance immense de Pinto et de tout ouvrage approuvé du public, j'avouerai d'abord que, manquant d'occupations plus sérieuses depuis 1 8 1 4 , j'écris comme on fume un cigare, pour passer le temps; une page que j'ai trouvé de l'amusement à écrire est toujours bonne pour moi." 157. So gibt uns dieses Verhältnis von Lachen und Weinen schon einen sicheren Schlüssel, um auf die seelische Verfassung Stendhals während der Zeit, als er die betreffenden Werke schrieb, zu schliefsen. L e Rouge et le Noir und die Chartreuse sind beide in Paris entstanden, dort, wo Stendhal vorübergehend seine schriftstellerische Werkstatt aufgeschlagen hatte, in Zeiten der Erholung. 3. Wie ich schon in dem Abschnitt über Lachen erwähnt habe, sind die Tränen der Freude .L'extrême sourire'. Von ihnen können wir natürlich hier absehen. Rührung, Kummer, Angst und Zorn sind meistens die Veranlassung der Tränen. So müssen wir unterscheiden „les larmes généreuses" der Entrüstung, II, 1 0 ; des Zornes, I, 1 1 2 ; des Schmerzes, II, 1 5 ; der Rührung, I, 1 2 1 ; Arm. 55, 1 2 0 ; des Mitleids, I, 1 2 2 ; der Angst, Arm. 1 4 ; der Schüchternheit, I, 2 5 ; der Scham, II, 97 . . . Wie die höchste Lust nicht im Lachen sich Befreiung sucht, so läfst auch sehr grofser Schmerz oder äufserster Zorn die Tränen versiegen. Frau de Renal weint nicht mehr, als der Tagesanbruch den Abschied Juliens zur Notwendigkeit macht, I, 159. Der Pfarrer Chélan läfst Julien in einem Zustand zurück, „qui éloignait les larmes." Mathilde sieht sich von dem infamen Frilair getäuscht, „la fureur l'empêchait de pleurer." II, 234. Welches ist die Wirkung der Tränen? Um es kurz zu sagen, sie erleichtern, „les larmes, ce premier soulagement des grandes douleurs." Ch. 246. „Fabrice, soulagé par les larmes, arriva à un état de repos parfait." Ch. 4 1 9 , oder „Feindre de t'oublier, cher ange! À ce mot la duchesse fondit en larmes, enfin elle pouvait pleurer. Après une heure accordée à la faiblesse humaine, elle vit avec un peu de consolation que ses idées commençaient à s'éclaircir." Ch. 248. Da sich jeder Mensch dieser Erleichterung infolge der Tränen bewufst ist, wünschen wir manches Mal weinen zu können. „Par combien de sacrifices Armance n'eût-elle pas acheté en ce moment le pouvoir de pleurer en liberté?" 84. Wir müssen dabei allein sein, denn eine menschliche Schwäche bleibt es stets! Es gibt andere Augenblicke, in denen man „un besoin extrême de répandre des larmes" verspürt. Selbst Julien ist diesem Bedürfnis unterworfen. Als er im Zimmer des Herrn Pirard wartet, war er so niedergeschlagen, und sein Herz schlug so stark, „qu'il eût été heureux d'oser pleurer." II, 67. Aber er weint heimlich, wo ihn niemand sehen kann, denn „Grand Dieu! que diront mes ennemis?" und als er Mathilde mit roten, verweinten Augen sieht, sagt er sich: „eile a pleuré toute la nuit peut-être; quelle honte ne lui fera pas ce souvenir!" II, 235.

89 Natürlich schluchzen nnd seufzen auch Stendhals Personen, 5. aber wie wir bei seiner nichts übertreibenden Art der Darstellung schon vermuten können, nur sehr selten. Soupir: Arm. 14, 34; 1,24, 27; . . . II, 172, 174, 237; Ch. 324, 433. Sanglot: I, 4Ö, 219; II, 231. . . . Frau de Renal kommt in ihrer Bestürzung in das Gefängnis, um Julien zu bitten, doch ja zu appellieren. „Ah! je viens vous conjurer d'appeler; je sais que vous ne voulez pas . . . ses sanglots l'étouffaient, elle ne pouvait parler." II, 240. Äußerster Schmerz kann Atemnot zur Folge haben. Als Mathilde sich ihres gewaltigen Verstofses bewufst wird, „son orgueil la suffoqua." Wie treffend, dafs es gerade der Stolz ist, welcher ihren Fehler aufdeckt; „eile fondit en larmes, et bientôt parut à Julien hors d'état de respirer." II, 166. Wie Mathilde ihrem Selbstbewufstsein unterliegt, so Armance der Scham. „Ses larmes la suffoquaient, mais elles étaient de honte." Arm. 58. Überblicken wir die Art und Weise, wie und wann Stendhals 6. Personen weinen, so müssen wir anerkennen, dafs er sie nicht zu häufig weinen läfst, wie andere Schriftsteller à la George Sand zum Beispiel. Teilweise ist dies bedingt durch die Veranlagung der Charaktere; für Willenspersonen sind Tränen stets eine Schmach, während Gefühlsmenschen in den Tränen eine Erleichterung suchen und daher eine Befriedigung in ihnen finden. Teilweise liegt dies an der nüchternen, nichts übertreibenden, möglichst der Wirklichkeit entsprechenden Art der Darstellung Stendhals.

Überblick Uber die Ausdrucksbewegungen der Lust und Unlust in Stendhals Werken. Betrachten wir nochmals die Gesamtheit der Ausdrucksbewegungen, sowohl der Lust, als auch der Unlust. Wir bemerken, dafs die mimischen nahezu vollständig zu belegen sind; anders verhält es sich aber mit den pantomimischen. Eine sonderbare Kargheit in ihrer Verwendung mufs uns hier auffallen. Die Bewegungen der Augen, Lippen, Gesichtsmuskeln trägt Stendhal vor, ohne dabei irgendwelche Anteilnahme zu verraten, man sieht, er ist auf diesem Gebiete zu Hause. In trockenem Töne zählt er sie auf, man könnte glauben, man habe es mit einem wissenschaftlichen Werke zu tun. Er bleibt stets in der Wirklichkeit, sei es, dafs er die Freude, sei es, dafs er den Schmerz darstellt. Er macht wenig Worte, und was bei dieser Art des Schreibens vor allem zum Wegfall kommen mufs, das sind die Adjektive, die schmückenden Beiwörter. Für ihn gibt es keine Dekoration, alles muls irgend einen Zweck erfüllen. Da er sich nicht fortreifsen läfst, übertreibt er auch nirgends. Und gerade in pantomimischen Ausdrucksbewegungen liegt die Gefahr nahe, des Guten zu viel zu tun, besonders wenn man auf theatralische Wirkung abzielt. Deshalb unterdrückt Stendhal diese Ausdrucksbewegungen nahezu

9° vollständig und läfst sie auch in seinen Werken keinen breiteren Raum einnehmen, als in der Wirklichkeit. Man wird selten einen ernsten Schriftsteller finden, wo das Lachen so häufig vorkommt, wie in Stendhals Romanen. Kaum begegnen wir aber dem reinen, unschuldigen Lachen, welches die Lust hervorbringt, sondern fast stets diesem bitteren, zynischen Lachen der Ironie. Stendhal läfst seine Personen so wenig wie möglich weinen, da er in den Tränen eine Schwäche sieht und es dem Wesen Stendhals nicht entspricht, diese darzustellen. Stendhal ist Psychologe; gerade in der Darstellung dieser Ausdrucksbewegungen gibt sich dies zu erkennen. Warum nennt man aber z. B. George Sand nicht eine Psychologin? sie hat doch ebenfalls mit viel Geschick die Seele und ihr Leben aufgedeckt, und sie bis ins Einzelnste wiedergegeben. Was diese rein gefühlsmäfsig gefunden hat, das hat Stendhal sich erworben mit Hilfe seines Verstandes. E r hat nicht allein beobachtet, sondern diese Beobachtungen auch vertieft, untereinander verglichen. Er arbeitet nur mit den nächstliegendsten Werkzeugen, mit seinen Sinnen und seinem Verstände; alles, was er durch sie unmittelbar erfassen kann, das gibt er wieder. Darüber hinaus geht er nicht, denn er hätte sich in Vermutungen verlieren müssen, und nichts war seinem Wesen widersprechender, als das; Stendhal hat keine Phantasie! Dieser Umstand gibt aber auch seinem Werke das Schwerfällige, fast Unbeholfene, es legt ein beredtes Zeugnis ab von diesem Mangel seiner Veranlagung. So steht der heiteren Idealistin der scharf ausgeprägte, ernste R e a l i s t gegenüber.

Die Furcht x.

Furcht ist ein ausgesprochener Unlustaffekt, und zwar ein objektiver, sich auf äufsere Ereignisse beziehend, die in der Zukunft liegen. Aus letzterem erhellt, dafs die Phantasie einen grofsen Anteil an der Entstehung dieser Gemütsbewegung haben mufs. Wir hätten hier das meiste zu wiederholen, was bei Besprechung der Unlust erwähnt wurde, und so können wir uns kurz fassen und uns auf einige Hinzufügungen beschränken. Jeder Mensch ist im gewissen Sinne von der Furcht befallen. Sie tritt instinktmäfsig auf, es ist der Schutz der eigenen Person vor der Aufsenwelt. „Fabrice s'éloignait d'un pas dont il cherchait à dissimuler la rapidité, lorsqu'il se sentit arrêté par le bras gauche; instinctivement il mit la main sur le manche de son poignard, et par la grande chaleur qu'il faisait et avec ces émotions, Fabrice était mouillé comme s'il fût tombé dans le Pô" Ch. 238. Oder „ L a peur n'est jamais dans le danger, elle est dans nous" De l'Amour 72. „Les peurs chimériques de l'enfance", welche die Folge der in der Kindheit lebhaften Phantasie sind. Der Grund der Furcht kann ein dreifacher sein. 1 . Der Eintritt eines unangenehmen, gefahrbringenden Ereignisses, wie

9i z. B. die Furcht Juliens, als er hört, dafs Herr de Renal die Betten mit neuem Stroh füllt, so dafs er vielleicht das Bild Napoleons finden kann. 2. Die Erwartung eines Ereignisses, dessen Ausgang unter Umständen Schaden oder Gefahr bringen kann, z. B. die Situation Juliens, als er zum ersten Male Frau de Rénal oder Mathilde in ihrem Zimmer aufsucht. 3. Allein der Gedanke an etwas Unangenehmes oder Gefahrvolles macht oft zittern Ch. 1 5 2 . Infolge des angeregten Spieles der Phantasie sind die Wirkungen der Furcht natürlich häufig Täuschungen. Man .empfindet' das, was man fürchtet, dafs es eintreten könne. „Que fais-je, grand Dieu! se dit Julien revenant à lui tout à coup? J e me perds. Dans l'excès de son alarme, il crut déjà voir moins d'amour dans les yeux de Mathilde. C'était une illusion, mais la figure de Julien changea subitement et se couvrit d'une pâleur mortelle . . ." Il, 1 7 7 . Oder „A chaque instant son imagination lui peignait Fabrice succombant aux atteintes du poison; elle venait six ou huit fois par jour à la volière, elle éprouvait le besoin passionné de s'assurer par ses yeux que Fabrice vivait" Ch. 309. Der Furcht entsprechend haben wir die H o f f n u n g , die einen 2. guten Ausgang der gefahrvollen Lage erwartet. Es ist wirklich auffallend, wie für die Personen von „ L e Rouge et le Noir" diese Gemütsbewegung sozusagen unbekannt ist. So finden wir niemals ein Wort davon erwähnt, dafs Julien hofft, Frau de Rénal nochmals wiederzusehen, weder nach seinem ersten Abschied, noch nach seinem zweiten. Nach einer kurzen Zeit der Rührung verfällt er in andere Gedanken I, 59, 225. Kaum ist er UDgefahr in Sicherheit, so denkt er: „Ce n'est pas monsieur de Rénal, il tire trop mal pour cela", als ihm eine Kugel um den Kopf s c h w i r r t . . . „Une heure après il était à une lieue de Verrières, sur la route de Genève. Si l'on a des soupçons, pensa Julien, c'est sur la route de Paris qu'on me cherchera" 226. E r ist bei völlig klarem Verstand, und handelt wie es für ihn von Vorteil. Keiner seiner Gedanken verirrt sich zurück nach Verrières, Die einzige Hoffnung, welche Julien je beseelt, ist: „un espoir vague de la plus atroce vengeance. Ce sont là sans doute de tels moments d'humiliation qui ont fait les Robespierre", I, 56. Und als das Urteil über Julien gesprochen ist, da finden wir keinen Schimmer von Hoffnung auf Begnadigung in ihm, sein Ehrgeiz ist geschwunden, und damit seine ,Hoffnung'. Derselbe Ehrgeiz macht das Kalte in Mathildens Charakter aus, er ersetzt auch bei ihr die Hoffnung; sie macht sich ein Bild von ihrem Ideal, und dessen Verwirklichung macht sie sich zur Pflicht, alles was diesem nicht entspricht, verachtet sie. „Quoi de plus plat, se dit-elle, que tout ce groupe 1 Voilà Croisenois qui prétend m'épouser. Mathilde s'ennuyait en espoir . . . " II, 36. Wie kann eine solche Person hoffen, welche die ,Pflicht' zur Richtlinie aller ihrer Hoffnungen macht? In „Le Rouge et le Noir" besteht die Hoffnung nur in dem Gedanken an die Befriedigung seiner Pflicht. Anders in der Chartreuse. „ L e marquis del Dongo — Fabricens

92 Vater — qui avait plus de mille livres de rente, n'en dépensait pas le quart; il vivait d'espérance" Ch. 19, oder 81, 86, 109 . . . Der comte de Mosca, von der Eifersucht geplagt, hegt immer noch Hoffnung: . . elle l'aime comme un fils depuis quinze ans. L à gît tout mon espoir, comme un fils" 127. Oder „Fabrice fit la route dans des transports de bonheur fous, et qui semblèrent ridicules à sa tante. H avait l'espoir de revoir bientôt Clélia . . ." 370. Das ganze Leben Fabricens wird überhaupt nur von der Hoffnung getragen. Ebenso das Gélias, die sogar gewaltsam versucht, die immer wiederkehrenden Hoffnungsstrahlen durch freiwillige Entsagung zu verdunkeln. Und selbst Frau de Sanseverina hofft immer noch Fabricens Liebe für sich gewinnen zu können: sie hat zwar auch eine gewaltige Portion Ehrgeiz in sich, sie ist aber nicht der verkörperte Ehrgeiz wie Julien. Während wir also beim Italiener eine viel optimistischere Lebensauffassung finden, und zwar zum guten Teil wegen seiner reichen Phantasie, so finden wir den Franzosen in Stendhals Darstellung viel eher zur Furcht geneigt. Jeder Mensch ist ihr unterworfen, aber ein energieloser viel mehr als ein anderer. U n d im Franzosen seiner Zeit vermifste bekanntlich Stendhal gerade diese Energie. Täuschte er sich doch über die innere Kraft seines Volkes, n . . . parce qu'il croyait," wie Colomb schreibt, „que le peuple manquerait de résolution et de persévérance. Les Français ont donné leur démission en 1814, disait-il souvent." Not. 7. Endlich möchte ich noch das innige Verhältnis zwischen Hoffnung und Liebe erwähnen. „II suffit d'un très-petit degré d'espérance pour causer la naissance de l'amour." Man vergleiche hierüber in De l'Amour S. 2 — 1 2 . Die Kristallisation ist natürlich zum grofsen Teil auf die Hoffnung gestützt.

Der Zorn. In diesem Abschnitt wollen wir alle jene Gemütsbewegungen besprechen, die eine E r r e g u n g d e s I n n e r e n g e g e n P e r s o n e n o d e r D i n g e d e r A u f s e n w e l t zum Gegenstand haben. Die stärkste Form dieser Gemütsbewegung stellt die W u t dar. Infolge einer momentanen Beobachtung oder eines Geschehnisses, welches dem eigenen Ich entgegenläuft oder es nicht befriedigt, empört sich die Seele und sucht sich an irgend einem Gegenstand Luft zu machen. Ist der Reiz nicht allzu stark, oder trägt die Seele nicht die Kraft, den Mut in sich, oder wird sie durch den Verstand behindert, diese Befreiung in der Aufsenwelt sich zu verschaffen, so haben wir es mit einer anderen, mehr verinnerlichten Form dieses Affektes zu tun, es ist der e i g e n t l i c h e Z o r n . Er dringt nicht über die Oberfläche hinaus, das Individuum trägt ihn in sich. Beruht die Gemütsbewegung nicht auf einer momentanen Beobachtung, sondern hat sie eine durch die Erfahrung gewährleistete

93 Tatsache, die dem Inneren des Individuums entgegenläuft, zum Grund, so müssen wir je nach dem Gegenstand und den begleitenden Gefühlen, verschiedene Gemütsbewegungen unterscheiden. Dieses Gefühl der Unzufriedenheit läfst natürlich leicht ein Gefühl der Unterlegenheit entstehen. Dem Zorn entsprechend haben wir dann drei verschiedene Gemütsbewegungen: i . Auf Gegenstände sich beziehend, den N e i d . 2. Auf Personen sich beziehend, den H a f s . 3. Auf Personen sich beziehend, welche dem anderen in der Liebe entgegenstehen, die E i f e r s u c h t . Alle diese Gefühle sind objektive, d. h. sie beziehen sich auf ein Ding der Aufsenwelt, über das sich das , Ichgefühl ' aus Abneigung erregt. In letzteren Zuständen ist das Individuum viel gereizter und leicht gerät es in Zorn. Gleichen Neid, Eifersucht und Hafs schon an sich dem Zorn, so erlaubt dieses Moment schon aus praktischen Gründen, dafs wir jene zusammen mit diesem behandeln. Betrachten wir nun die einzelnen Gefühle. Gerade bei dieser 4. Gemütsbewegung ist der Unterschied zwischen Italiener und Franzosen sehr grofs. Beide Formen des Zornes treffen wir überall an; aber beim leidenschaftlichen Italiener, der infolge der heifsen Sonne und seiner hierdurch bedingten Lebensbedingungen sich viel leichter fortreifsen läfst, werden wir vor allem erstere Form antreffen. Anders beim Nordfranzosen — denn ihn schildert Stendhal hauptsächlich. Wählen wir zur Veranschaulichung zwei Situationen, die sich nahezu entsprechen: II, 198ff. und Ch. 71 ff. Als Julien den Brief gelesen hat, in welchem er als der Verführer „de la femme qui a le principal crédit" hingestellt wird, sagt Julien zu Mathilde: „ J e ne puis blâmer monsieur de la Mole; il est juste et prudent. Quel père voudrait donner sa fille chérie à un tel homme! Adieu! Julien sauta à bas du fiacre et courut à sa chaise de poste arrêtée au bout de la rue. Mathilde qu'il semblait avoir oubliée . . . Julien était parti pour Verrières. Dans cette route rapide il ne put écrire à Mathilde comme il en avait le projet, sa main ne formait sur le papier que des traits illisibles. Il arriva à Verrières un dimanche matin. Il entra chez l'armurier du pays, qui l'accabla de compliments sur sa récente fortune. C'était la nouvelle du pays. Julien eut beaucoup de peine à lui faire comprendre qu'il voulait une paire de pistolets. L'armurier sur sa demande chargea les pistolets . . . Julien entra dans l'église neuve de Verrières. Toutes les fenêtres hautes de l'édifice étaient voilées avec des rideaux cramoisis. Julien se trouva à quelques pas derrière le banc de madame de Rénal. Il lui sembla qu'elle priait avec ferveur. L a vue de cette femme qui l'avait tant aimé fit trembler le bras de Julien d'une façon, qu'il ne put d'abord exécuter son dessein. Je ne le puis, se disaitil à lui-même, physiquement, je ne le puis. En ce moment, le jeune clerc, qui servait la messe, sonna pour l'élèvement. Madame de Rénal baissa la tête qui un instant se trouva presque entièrement cachée par les plis de son châle. Julien ne la reconnaissait plus aussi bien; il tira sur elle un coup de pistolet et la manqua;

94 il tira un second coup, elle tomba . . . Ses pieds s'étaient embarrassés dans une chaise renversée par la foule; en se relevant, il se sentit le cou serré; c'était un gendarme en grande tenue qui l'arrêtait. Machinalement Julien voulut avoir recours à ses petits pistolets; . . . on entra dans une chambre, on lui mit les fers aux mains, on le laissa seul; la porte se renferma sur lui à double tour; tout cela fut exécuté très vite, et il y fut insensible. — Ma foi, tout est fini, dit-il tout haut en revenant à lui . . . Oui, dans quinze jours la guillotine . . . ou tuer d'ici là. Son raisonnement n'allait pas plus loin; il se sentait la tête comme si elle eût été serrée avec violence. Il regarda pour voir si quelqu'un le tenait. Après quelques instants, il s'endormit profondément" II, 198 fr. Wie anders ist das Benehmen Fabricens, als er die Nachricht erhält, dafs sein Bruder ihn verraten hat. „Ce mot cruel donna comme un accès de folie à notre héros. De Genève pour aller en Italie on passe par Lausanne; il voulut partir à pied sur-le-champ, et faire ainsi dix ou douze lieues, quoique la diligence de Genève à Lausanne dût partir deux heures plus tard. Avant de sortir de Genève il se prit de querelle dans un des tristes cafés du pays avec un jeune homme qui le regardait, disait-il, d'une façon singulière . . . Dans cette querelle le premier mouvement de Fabrice fut tout à fait du seizième siècle: au lieu de parler de duel au jeune Gènevois, il tira son poignard et se jeta sur lui pour l'en percer . . . " Fabrice ist aufser sich I Und doch, als er nach Hause kommt, da ist sein ganzer Zorn verraucht Der Hauptunterschied, wie wir sehen, liegt also darin, dafs der Zorn des Italieners viel intensiver ist, während er dagegen beim Franzosen viel länger andauern kann. Als typisches Beispiel will ich den Zorn des Herrn de Rénal anführen. Betrachten wir I, 1 2 1 — 1 3 1 . 5.

Schon aus der breiten Schilderung erkennen wir, wie lange Herr de Rénal erregt war. Er hat den ersten anonymen Brief erhalten, l'existence de M. de Rénal avait été affreuse. Wer kann den Brief geschrieben, wer ihn geschickt haben? All sein Grübeln ist vergebens, gewohnheitsmäfsig will er seine Frau um Rat fragen, „Grand Dieu, dit-il en se frappant la tête, c'est d'elle surtout qu'il faut que je me méfie; elle est mon ennemie en ce moment. Et, de colère, les larmes lui vinrent aux yeux". Erster Ausbruch, erster Höhepunkt. An wen sich also wenden? Vor seinen Freunden fürchtet er sich lächerlich zu machen. „ A tous! A tousl s'écria-t-il avec rage, mon affreuse aventure fera le plus extrême plaisir." Zweiter Höhepunkt. Aber er beruhigt sich wieder, denn er ist reich und mächtig, man hat Grund ihn zu beneiden, doch immer drängt der Gedanke sich ihm wieder auf, wer wird mir raten können? „Quel malheur est comparable au mien? s'écria-t-il avec rage; quel isolement!" Schon macht er sich bittere Vorwürfe, seine einstigen Jugendfreunde verlassen zu haben; . c e fut dans ces transports de colère, tantôt contre lui-même, tantôt contre tout ce qui l'entourait, qu'il passait une nuit affreuse". Er sucht sich

95 selbst Trost, indem er sich alle guten Eigenschaften seiner Frau vorstellt: „Mais quoi! s'écria-t-il tout à coup en marchant d'un pas convulsif, souffrirai-je comme si j'étais un homme de rien, un vanu-pieds, qu'elle se morque de moi avec son amant?" Dann kommt ihm der Gedanke, seine Frau samt ihrem Geliebten zu töten, aber der Anblick des Blutes macht ihn weichen. „Je puis rouer de coups ce précepteur et le chasser," aber was wird die Presse sagen? Und das Vermögen der Frau soll auch nicht verloren gehen? So reichen sich Geiz, Angst, ,Peur du ridicule' die Hand, um diesen Zorn zu unterbrechen. Seine Erregung ist grofs, nicht mehr kann er im Bette bleiben, er geht im Garten etwas auf und ab, und das beruhigt ihn ein wenig. In Gedanken verloren, wie er sich Gewißheit verschaffen könne, ohne seine Eifersucht dabei zu zeigen, da kommt seine Frau, „cette femme qu'il eût voulu voir morte". Sie bringt ihm einen zweiten anonymen Brief. Ohne ein Wort zu sagen, betrachtet er diesen; zu abgespannt, um sofort in Wut zu geraten, fürchtet er, dafs sich seine Mitmenschen über ihn lustig machen könnten. Jetzt erst denkt er daran, dafs an alledem nur seine Frau die Schuld trägt. „Encore de nouvelles insultes à examiner, et toujours à cause de ma femmeI II fut sur le point de l'accabler des injures les plus grossières; la perspective de l'héritage de Besançon l'arrêta à grand'peine. Dévoré du besoin d e s'en prendre à quelque chose, il chiffonna le papier de cette seconde lettre anonyme, et se mit à te promener à grands pas, il avait besoin de s'éloigner de sa femme. Quelques instants après, il revint auprès d'elle, et plus tranquille." Aber wieder erregt er sich . . . „Madame de Rénal le laissait dire, et il dit longtemps; il passait sa colère, c'est le mot du pays." Jedoch immer reifst ihn der Zorn wieder fort, er erfahrt neues, hört, dafs Herr Valenod seiner Frau geschrieben hat, in seiner Wut will er die Briefe sehen, läuft in das Zimmer seiner Frau, um diese Briefe zu suchen. „II brisa, en effet, avec un pal de fer, un précieux secrétaire d'acajou ronceux venu de Paris, qu'il frottait souvent avec le pan de son habit . . . Les serrures de tous ces jolis petits coffres avaient été brisées; plusieurs feuilles du parquet étaient soulevées . . Der Höhepunkt ist erreicht, noch ein kleiner Ausschlag beim Sinken, als er merkt, dafs das Papier dieser Liebesbriefe dasselbe wie das des anonymen ist. „Ahl s'écria-t-il en ébranlant la table et l'appartement par un des plus grands coups de poing qui aient jamais été donnés, la lettre anonyme imprimée et les lettres du Valenod sont écrites sur le même papier." Nach und nach kehrt sein Gemüt wieder in die Gleichgewichtslage zurück, „mais, suivant l'habitude de la province, il parla encore pendant longtemps, revint sur tous les arguments; sa femme le laissait dire; il y avait encore de la colère dans son accent. Enfin, deux heures de bavardage inutile épuisèrent les forces d'un homme qui avait subi un accès de colère de toute une nuit". Wir können also sechs Höhepunkte feststellen. Nach einem ziemlich steilen Ansteigen finden wir fünf

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Maxima, von ungefähr gleicher Höhe, stets durch eine Beruhigung getrennt, dann ein plötzliches Anschwellen, ein letzter Höhepunkt, der alle anderen bei weitem überragt, diese Wut verliert sich, noch eine kleine Zuckung, um dann ganz allmählich wieder im Sande zu verlaufen. Bezeichnend für dieses Kapitel ist das von Stendhal hierfür gewählte Motto: „ A l a s , our frailty is the cause, not we, F o r such as we are made of, such we be."

6.

Betrachten wir einmal Julien, wie ist er veranlagt? Bei ihm finden wir merkwürdigerweise die verschiedensten Verlaufsformen resp. Ausbrüche des Zornes. Julien erkennt den Kutscher, der ihn beleidigt hat, „le voir, le tirer par sa grande jacquette, le faire tomber de son siège et l'accabler de coups de cravache ne fut que l'affaire d'un instant. Deux laquais voulurent défendre leur camarade; Julien reçut des coups de poing: au même instant il arma un de ses petits pistolets et le tira sur eux; ils prirent la fuite. Tout cela fut l'affaire d'une minute." II, 19. Juliens Blut ist so heifs, dafs die Möglichkeit, ein Gedanke könne diese Leidenschaft eindämmen, ausgeschlossen ist. Als Mathilde, unter Tränen der Wut über sich selbst, Julien ihren Abscheu vor ihm ausdrückt, dafs sie sich ihm hingegeben habe, „Au premier venu! s'écria Julien, et il s'élanca sur une vieille épée du moyen âge . . . Sa douleur qu'il croyait extrême au moment où il avait adressé la parole à mademoiselle de la Mole, venait d'être centuplé par les larmes de honte qu'il lui voyait répandre. II eût été le plus heureux des hommes de pouvoir la tuer . . . L'idée du marquis de la Mole, son bienfaiteur, se présenta vivement à Julien. Je tuerais sa fille! se dit-il, quelle horreur! Il fit un mouvement pour jeter l'épée . . W i e verraucht hier plötzlich die Wut! Trotz seines Stolzes und Selbstbewufstseins streckt er die Waffe und beherrscht sich aus Dankbarkeit zu seinem Wohltäter, oder sagen wir besser, der Gedanke daran, dafs er Herrn de la Mole alles verdankt und dieser ihm vielleicht noch nützen kann, noch verstärkt durch die eingeborene Achtung, welche der Bauernjunge Fräulein de la Mole schuldet, lassen ihn das Schwert unverrichteter Sache in die Scheide stecken. Vgl. auch I, 59, 60, wo Julien ebenfalls sein leidenschaftliches Temperament verrät, es fallt ihm schwer, seinen Zorn zu verbergen, er sucht eben Befreiung und mufs sich an einen Gegenstand halten, um seinen Zorn zu kühlen. Wie mufs nach diesen Fällen die Art und Weise der Rache Juliens an Frau de Rénal auffallen; man sollte erwarten, dafs er voller Wut den Brief beendigt, und wie Fabrice in Genf danach brennt sich zu rächen. Aber er, der Verführer ,de la femme qui a le principal crédit', rechtfertigt vor Mathilde das Benehmen ihres Vaters und sagt ihr ein kurzes Lebewohl. Mit diesem Briefe sieht Julien seine ganze Hoffnung, die Pläne seines Ehrgeizes, zerstört. Nach Tagen

97 höchsten Glückes, als junger Leutnant in Strafsburg, kommt diese Enttäuschung. Er gerät in Verzweiflung, aber diese ist so grofs, dafs sie dem Körper keine Kraft mehr läfst, sich im Zorn Befreiung zu schaffen. Der Verstand verrennt sich in die Idee, sich an Frau de Renal zu rächen, Julien wirft sich auf die Post und reist ununmittelbar nach Verrières. Stendhal schildert von den Ausdrucksbewegungen nur die eine: „Dans cette route rapide il ne put écrire à Mathilde comme il en avait le projet; sa main ne formait sur le papier que des traits illisibles." Nach anderen Stellen zu schliefsen, in denen sich Stendhal geradezu in diesen Schilderungen als seinem Spezialgebiet gefallt, war dies die einzige Ausdrucksbewegung; Julien ist schon hier schlaff, er findet nicht die nötige Kraft in sich, sich aufzuraffen. Vgl. 204. „L'état d'irritation physique et de demie folie où il était plongé depuis son départ pour Verrières . . Seine Nerven sind in höchster Erregung, sein ganzer Körper ist in Spannung, nur der eine Gedanke beseelt ihn! Und als er in die Kirche tritt und Frau de Rénal „qui l'avait tant aimé" erblickt, da zittert sein Arm so stark, dafs er unmöglich seinen Plan ausführen kann. „ J e ne le puis, physiquement, je ne le puis", sagt er sich. Seine körperliche Schwäche hindert ihn also an der Ausführung seines Planes. Aber nein, hier spricht der sich selbst täuschende Julien; körperlich wäre es ihm schon möglich gewesen, denn der Anblick des Opfers gibt Kraft. In seiner Seele wütet aber der Kampf, die alte Liebe beansprucht ihre Rechte, Julien hat nicht die Kraft, dieser guten Regung zu folgen, er ist zu befangen, er knallt blindlings darauf los, bei der Wandlung, als Frau de Renal ihren Kopf in den Falten ihres Tuches verborgen hatte; die fixe Idee, eine Hemmung, infolge der Erinnerung, ein Verschwinden der Person, welche diese Erinnerung wachgerufen hatte, beseitigt die Hemmung, denn Julien ist schwach, die fixe Idee setzt sich in die Tat um. Julien ist das Werkzeug einer anderen Macht in ihm: nicht, er will abschiefsen, sondern, er mufs abschiefsen! Der ganze Verlauf der Gefühle, die Julien bewegen, vom Lesen des Briefes an, bis zum Abschiefsen, können wir uns erklären, wir sehen nichts unmögliches an sich darin, es könnte so geschehen. Aber entspricht diese Handlungsweise auch der Veranlagung Juliens? so müssen wir uns unbedingt fragen. Wie wir vorher gesehen haben, ist Julien einerseits leidenschaftlich, andererseits auch wieder schlau, er ist eben der Sohn eines Bauern, er ist überlegt. E r fand bisher, dank seiner Energie, stets die nötige Kraft, um jedes Hindernis aus dem Wege zu räumen; nie schadete er sich selbst. Hier nun finden wir nichts von allen diesen Eigenschaften. Zwar beherrscht ihn eine Leidenschaft, die Rache, aber die Form, unter der sie sich kundgibt, ist nicht die leidenschaftliche, sondern eine trockene, verinnerlichte, in ihrer Wirkung gefährlichere. Sie absorbiert ihn so stark, dafs ihm ein anderer Gedanke überhaupt nicht kommt; seine psychische Kraft ist hierdurch nicht allein brach gelegt, der Schmerz, seine Hoffnungen so Beiheft zur Zeitucbr. f. rom, Phil. X X X V .

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plötzlich zerstört zu sehen, nimmt ihm auch die Energie, nochmals den Kampf mit dem Schicksal aufzunehmen. Diese Rache ist die Tat des Mut-, des Energielosen, eine Tat der Verzweiflung. •j. Es mufs einem eigentlich wunder nehmen, dafs Stendhal seinen Helden so gezeichnet hat. Nicht will ich mich hier in Mutmafsungen ergehen, wie Stendhal seinen Julien anders hätte handeln lassen können oder wie seine Handlungsweise besser gewesen wäre, das wäre nutzlos, wohl aber will ich die Frage aufwerfen: Warum hat Stendhal seinen Julien gerade so handeln lassen? Was konnte ihn dazu veranlassen? Einerseits müssen wir berücksichtigen, dafs L e Rouge et le Noir nach der Wirklichkeit bearbeitet ist, und dafs sich vielleicht hieraus diese überraschende Art des Handelns ergibt. Aber nein, Stendhal hat das Motiv der Tat ganz geändert. Während hier Berthet Frau Michoud mit vollem ßewufstsein tötet, er trägt sich schon lange mit dem Gedanken daran, hat seine Rache eine ganz andere Veranlassung: E r tötet Frau Michoud, weil ihm infolge seines Benehmens sämtliche Seminare verschlossen bleiben, und er somit seine Absichten vernichtet sieht. So übt er sich denn im Pistolenschielsen, und eines Sonntagsmorgens, „le 23 juillet de grand matin, Berthet charge ses deux pistolets à doubles balles, les place sous son habit, et part pour Brangues. Il arrive chez sa soenr, qui lui fait manger une soupe légère. A l'heure de la messe de paroisse, il se rend à l'église et se place à trois pas du banc de M me Michoud. Il la voit bientôt venir . . . Là, il attend, immobile . . . jusqu'au moment où le prêtre distribua la communion . . . Ni l'aspect de la bienfaitrice, dit M. le procureur général, ni la sainteté des lieux, ni . . ., rien ne peut émouvoir cette âme dévouée au génie de la destruction. L'oeil attaché sur sa victime, étranger aux sentiments religieux qui se manifestent autour de lui, il attend avec une infernale patience l'instant où le recueillement de tous les fidèles va lui donner le moyen de porter des coups assurés. Ce moment arrive, et, lorsque tous les cœurs s'élèvent vers le Dieu présent sur l'autel, lorsque M m e Michoud prosternée mêlait peut-être à ses prières le nom de l'ingrat qui s'est fait son ennemi le plus cruel, deux coups de feu successifs et à peu d'intervalle se font entendre. Les assistants épouvantés voient tomber presque en même temps et Berthet et M m e Michoud, . . . le sang de Passasin . . So heifst es in dem Bericht über die Gerichtssitzung. Wir finden manche Ähnlichkeiten in beiden Berichten. Auch Berthet macht sich auf den Weg wie Julien, beide mit dem Gedanken, ihre Widersacherin zu töten, beide treten in die Kirche, beide mit denselben Gedanken, . . . wie ähnlich sind äufserlich die beiden, und doch wie anders die Gefühle, die beide bewegen, sowohl auf dem Wege zur Tat, als auch beim Anblick des Opfers, dieser tötet mit Vorbedacht, aus unedler Rache; Julien von dem Gefühl fortgerissen, aus edler Rache; dort ist es die Tat des Verstandes, der Zeit, hier des Augenblickes, der Leidenschaft! Wenn man beide ver-

99 gleicht, mufs man wirklich das Geschick, mit welchem Stendhal diese unedle Tat umgebildet, veredelt hat, bewundern. Aber doch gibt, trotz dieser Umbildung, dieses Vorbild einen Wink dazu, warum Julien so handelt, woher diese trockene Form der Rache stammt Das Äufsere ist beibehalten, Stendhal wollte nichts in der Art der Bewegung ändern, und unter derselben äufseren Schale einen edlen Kern verbergen. Ob Stendhal dies absichtlich oder unabsichtlich getan hat, ist wohl nicht mit Bestimmtheit zu entscheiden. Wahrscheinlich hat er aber doch etwas unter dem Eindruck dieses Zeitungsabschnittes gestanden, und hat sich diese Veranlagung Juliens, wie er sie vorher in seinem Werke festgelegt hatte, nicht vollständig vergegenwärtigt. Und warum dies nicht? Hier müssen wir uns etwas in den Gedankenkreis Stendhals hinein versetzt denken. Wenn Stendhal auch nicht blindlings Napoleon vergötterte, so steht doch fest, dafs er sich häufig mit ihm beschäftigte, und über das Leben, die Taten und den Charakter dieses Helden nachgrübelte. Trotz aller Bewunderung konnte er ihm aber unter anderem nie verzeihen, dafs Napoleon nach dem Brande Moskaus den Rückzug angetreten hat, anstatt auf Petersburg zu ziehen, um dort sein Glück nochmals zu versuchen — Stendhal war mit in Moskau — und ferner, dafs Napoleon nach der Schlacht von Waterloo abdankte, und nicht doch noch einmal versuchte das Heft in den Händen zu behalten. Die einstige Energie, wie sie Bonaparte gezeigt hatte, belebte ihn nicht mehr, auch er ruhte auf seinen Lorbeeren aus, auf seiner Macht, und das liefs seine Energie erschlaffen. Bedenken wir, dafs Julien manchen Zug mit Napoleon gemein hat — nur dafs er in einer anderen Zeit lebt — auch ihm gibt die niedrige Geburt Energie, auch er weifs seiner Zeit gemäfs sein Leben zu gestalten, warum sollte sich Stendhal nicht in dem Gedanken gefallen haben, seinem Helden nicht auch diesen Fehler seines Napoleon beizulegen, ihn an eben demselben Fehler zugrunde gehen zu lassen? An diesem Beispiel sehen wir deutlich, wie Stendhal schrieb, wie er zu seinem eigenen Vergnügen die Personen gestaltete, nach seiner irdischen Idealgestalt, denn das war Napoleon für ihn, trotz allem. Der Zeitungsabschnitt, woraus er seinen Roman gezogen hat, hat ihn beeinflufst, und der Gedanke an Napoleon hat ihn von seinem geraden Wege abweichen lassen. Das Temperament Juliens wird in den Hintergrund gedrückt, und seiner momentanen Auffassung folgend, läfst Stendhal seinen Helden anders handeln, als es seiner Veranlagung nach hätte der Fall sein müssen. Die Anteilnahme an seinem Werke ist also gering, nicht greift er denselben Faden täglich auf, sondern unbeirrt, fängt er auch einen neuen an, genug, dafs Stendhal selbst daran Freude findet. An Balzac schreibt er 1840: „Je dicte 25 ou 3 0 pages; puis, lorsque le soir arrive, j'ai besoin d'une forte distraction, le lendemain matin, il faut que j'aie tout oublié. En lisant les trois ou quatre dernières pages, du chapitre de la veille, le chapitre du jour me revient." 7*

IOO Je nach dieser ,distraction', in welchem Mafse sie ihn anregte oder nicht, ist es sehr leicht möglich, dafs er seine Personen weitergestaltete, bald im alten Geleise bleibend, bald auf einem anderen fortfahrend. 8. Wenden wir uns nun zu den verschiedenen Formen, welche die oben erwähnten Gemütsbewegungen beim Italiener annehmen können. In ,Promenades dans Rome' sagt Stendhal: „ A chaque nouveau nom, ce savant n'a pas manqué de déclarer qu'il fallait être fou ou imbécile pour ne pas reconnaître à la première vue dans ces colonnes la justesse de la dénomination nouvelle si l'on montre le moins de doute ici sur l'explication qui dans le moment est à la mode, la colère se peint sur toutes les figures. J'ai reconnu le ,sentiment' qui, dans les pays du midi, allume les bûchers de l'inquisition" II, 40. Alle Italiener sind leicht erregbar, und alle geraten leicht in Wut. Wir sehen Prinzen wütend, Ch. 218, den Grafen Pietranera, Ch. 2 1 , und als Fabrice ins Gefängnis geführt wird und man ihm die Fesseln abgenommen hat, gibt er Barbone aus Wut eine Ohrfeige, weil dieser ihn beleidigt hat „. . . il lui donna un soufflet tel que le Barbone tomba de sa chaise sur les jambes du général . . Ch. 233. Wir haben den Wutanfall Fabricens in Genf schon erwähnt. Der Verrat seines Bruders und seine falsche Anklage setzt ihn derartig in Wut! Wie endet dieser Ausbruch nun? Er kommt nach Lugano. „L'homme de confiance intime qu'il y trouva augmenta sa fureur en lui donnant de nouveaux détails." Darauf ging er mit seinen Leuten, als Jäger verkleidet, über die Grenze. „11 descendit sans peine dans le fossé profond et pénétra dans le château par la petite fenêtre d'une cave: c'est là qu'il était attendu par sa mère et sa tante; bientôt ses soeurs accoururent. Les transports de tendresse et les larmes se succédèrent pendant longtemps, et l'on commençait à peine à parler raison, lorsque les premières lueurs de l'aube vinrent avertir ces êtres qui se croyaient malheureux que le temps volait" Ch. 72. Und selbst als Frau de Pietranera ihm von seinem Bruder erzählt, gerät er anscheinend nicht in Zorn, denn der Registrator Stendhal erwähnt nichts davon. Soll diese Wut wirklich so ohne weiteres verraucht sein? Soll die Freude, seine Mutter und Geschwister wiederzusehen, so grofs sein, dafs sie diese Wut einfach erstickt? Einige Zeilen weiter sagt Stendhal: „Nous ne nous arrêterons pas à peindre les transports de tendresse et de joie, qui ce jour-là encore, agitèrent ces êtres si heureux. Les coeurs italiens sont, beaucoup plus que les nôtres, tourmentés par les soupçons et par les idées folles que leur présente une imagination brûlante, mais en revanche leurs joies sont bien plus intenses et durent plus longtemps." Das erklärt aber ganz und gar nicht das plötzliche Schwinden der Wut Fabricens; sie wird im ganzen weiteren Verlauf des Romanes auch nicht mehr nachdrücklich erwähnt. Hier muf» unbedingt ein Versehen Stendhals vorliegen, er hat über der Schilderung der Freude Fabricens über das Wieder-

IOI sehen die Wut ganz vergessen ; zu sehr in einem aufgehend, dachte er nicht mehr an das andere. Stendhal springt von der Schilderung eines Gemütszustandes zu der eines anderen über, ohne jegliche Vermittlung. Man hat häufig die psychologischen Romane Stendhals mit Mosaikgemälden verglichen, man sieht die Verbindung der einzelnen Steine, sie bilden nicht ein einheitliches Ganzes, sondern ein zusammengesetztes. An dieser Stelle erkennt man deutlich das mosaikartige der Arbeit Stendhals, und damit geht die plastische Wirkung, die realistische, verloren. Jeder Leser mufs sich an dieser Stelle fragen, warum war Fabrice so wütend? kann ein Italiener so rasch seine Wut vergessen? Wenden wir uns nun zur näheren Betrachtung des Zornes. 9. Welches sind die A u s d r u c k s b e w e g u n g e n ? Das auffalligste Merkmal ist natürlich das rote Gesicht: „tout rouge de colère" L. L. 40. „Lucien était rouge comme un coq" Id. 86, IOI, 107. „Les joues et le front du président devinrent pourpres" II, 127. Der Ausdruck des Cholerikers! Der Italiener errötet nicht weniger: „ L e prince en rougissant jusqu'au blanc des yeux et reprenant sa colère" Ch. 221. Dann finden wir noch eine zweite Art des Zornes, die betreffende Person errötet nicht, sondern erbleicht. Hier haben wir es mit jener trockenen Form des Zornes zu tun. Sie ist viel gefährlicher, giftiger; während die gewöhnliche Form ein gewisses Gefühl der Lust bei der Entladung begleitet, haben wir es hier mit dem tiefsten Schmerz, der gröfsten Erbitterung zu tun. Dieser Zorn ist .falsch', hinterlistig, mifstrauisch. Vgl. I, 7. „II pourrait bien s'en repentir, ce beau monsieur de Paris, disait monsieur de Rénal d'un air offensé et la joue plus pâle qu'à l'ordinaire." Als M m e de Renal ,avec la colère de la jalousie 1 Juliens Hand zurückstöfst . . . „ L a fierté de Julien si récemment blessée, en fit un sot dans ce moment . . . Plus pâle, plus sombre qu'à l'ordinaire, il s'élança vers lui . . I , 5g. „Le gouverneur Fabio Conti avait pâli de colère à la vue du général . . . " Ch. 405. Bei allen diesen Beispielen ist die Veranlassung zum Zorn das beleidigte Selbstgefühl. Endlich finden wir dazu noch eine Stelle in den Novellen: „ L e seigneur Campireali revenait de son oratoire qu'il était allé visiter, et où il avait tout renversé. Ce qui frappa Hélène, c'est que son père, pâle comme un spectre, agissait avec lenteur et comme un homme qui a parfaitement pris son parti. — Nous nous réjouissons d'avoir des enfants, dit son père en passant près du lit de sa femme pour aller à la chambre de sa fille, tremblant de fureur, mais affectant le sang-froid parfait . . . la mère courut après son mari; elle se mit à lui crier les plus mauvaises raisons possibles, afin de faire éclater sa colère; elle y réussit complètement. L e vieillard devint furieux, il brisait tout dans la chambre de sa fille, mais la mère put enlever les lettres sans être aperçue" L'abesse de Castro 32. Hier erkennen wir deutlich den Unterschied der beiden Formen des Zornes. Die trockene Art ist gefährlich, weil das Individuum im vollen Besitz seines Verstandes

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ist, während im anderen Fall es nur seiner Leidenschaft dient. So sagt auch Frau de Rénal: „Ce fantasque, que sa colère rend aveugle et empêche de voir la moitié des choses" I, 125. Während Choleriker und Sanguiniker hauptsächlich in der tätigen Form des Zornes Befriedigung suchen, schliefsen die anderen den Zorn zu ihrem eigenen Leidwesen in sich ein. Ist es nicht auffallend, dafs diese trockene Form des Herrn Campireali vollständig dem Zorne Juliens gleicht? Auch hier verrät nur das Zittern die innere Unruhe, sonst eisiger Ernst, man erkennt seinen festen Entschlufs! Wie kann Julien vom selben fürchterlichen Gefühl beherrscht sein wie dieser Italiener des sechzehnten Jahrhunderts? 10. Eine weitere Ausdrucksbewegung liegt in der Veränderung des Blickes: „Ses regards toujours fort vifs, jetaient des flammes" Féder 271. „Les yeux brillants de colère, des yeux fous . . . son œil de sanglier brilla d'u néclat féroce" II, 127, „des regards furibonds . . ." „des regards de tigre" II, 57. Die trockene Form hat auch hier einen anderen Ausdruck: „ . . . s'écria la duchesse avec cet œil hagard qui après les sanglots annonce que la colère prend le dessus sur l'attendrissement", Ch. 3 3 1 . ci. Natürlich sind krampfhafte Bewegungen der Muskeln häufige Begleiterscheinungen: „Les dents serrées de rage", I, 185. „Julien portait toujours de petits pistolets, sa main les serrait dans sa poche d'un mouvement convulsif" II, 17. Auch die Stimme verändert sich im Zustand der Erregung vollständig. Meistens schreien die Leute: „. . . s'écria monsieur de Rénal d'une voix terrible", „ . . . s'écria monsieur de Rénal en pesant sur les mots . . ." Anders ist die Stimme, wenn sie blofs den Unwillen ausdrückt oder das beleidigte Selbstbewulstsein den Zorn erregt: „A cette question qui pouvait être une plaisanterie, la physionomie ouverte de Lucien changea instantanément . . . répondit-elle d'un ton fort sec, . . . " L. L. 50. „Soit, dit M. de Rénal, mais finissons-en. Pour le coup, la colère lui donnait le ton de fermeté . . . " I, 20. Der Italiener, selbst ein Prinz, schreit „en jurant de toute la force de ses poumons", Ch. 219. Tränen, Zittern und kurzer Atem sind weitere Begleiterscheinungen des Zornes, ebenso der Schweifs. Vgl. II, 17. 12. Wenden wir uns nunmehr zu den p a n t o m i m i s c h e n A u s d r u c k s b e w e g u n g e n . „. . . dit-il en se frappant la tête" I, 1 2 1 . „Ah! s'écria M. de Rénal en ébranlant la table et l'appartement par un des plus grands coups de poing qui aient jamais été donnés" I, 130. „Tout ce bavardage va être vérifié, s'écria l'abbé Pirard, qui, ne pouvant rester en place, se promenait dans la chambre", I, 183. „. . . las de se promener avec fureur, le marquis . . ." II, 182. Bei den Italienern: „Le comte Mosca courut s'enfermer dans la grande galerie de tableaux. Là, enfin il put se livrer à toute sa fureur; là il passa la soirée sans lumière à se promener au hasard comme un homme hors de l u i . . ." Ch. 126, „. . . du fauteuil que la duchesse avait occupé au commencement de l'audience et que le prince, dans un moment de colère avait poussé au loin",

io3 Ch. 220. Beim Italiener des 16. Jahrhunderts erkennen wir noch das reinste Raubtier. Man vergleiche: „Alors il s'approcha du duc et d'une voix tremblante et à peine articulée, il lui dit qu'il était vrai qu'il avait obtenu les faveurs de la duchesse. A ces paroles, le duc se jeta sur Marcel et le mordit à la joue; puis il tira son poignard, et j e vis qu'il allait en donner des coups au coupable", La Duchesse de Palliano 260, oder „Les neuf carbonari pris à Forli, et leur chef, qui a eu la sottise de se rendre, . . . à ce mot Vanina pinça le prince de toute sa force", Van. 294. Eine andere Ausdrucksbewegung, die H a n d in Hand geht mit der des Stolzes, treffen wir zweimal an: „Je suis petit, Madame, mais je ne suis pas bas, reprit Julien en s'arrêtant, les yeux brillants de colère, et se levant de toute sa hauteur" I, 38; vgl. I, 128. Montrez-moi ces lettres à l'instant, je l'ordonne, et il se grandit de six pieds . . ." In engem Zusammenhang mit den erwähnten Bewegungen 13. stehen jene, die es dem betreffenden Individuum ein Bedürfnis erscheinen lassen, seine Wut an irgend einer Sache auszulassen, indem sie dieselbe zerschlagen oder sonstwie ihrer Zerstörungswut fröhnen. „Lucien s'étendait, horriblement découragé, sur un canapé détraqué dont un des bras se rompit sous le poids de son corps, il se leva furieux et acheva de briser ce vieux meuble . . .", L. L. 7 6 ; vgl. I, 128. Natürlich lassen diese nicht allein ihre Wut an Gegenständen aus, auch Personen müssen dafür herhalten. Stendhal sagt selbst: „Dans les caractères hardis et fiers il n'y a qu'un pas de la colère contre lui-même à l'emportement contre les autres, les emportements sont en ce cas un plaisir vif", II, 116. Vgl. I, 132; II, 19, 20; Arm. 27; Abbesse de Castro 32. An irgend etwas mufs sich die Wut stets kühlen, und wenn nicht an der Person, die sie eigentlich treffen sollte, so an einer unschuldigen. „Comment! vous n'appelez pas, dit-elle en se levant, et les yeux étincelants de colère, et pourquoi pas, s'il vous plaît? — Cette contrariété imprévue réveilla toute la partie altière du caractère de Mathilde, elle n'avait pu voir l'abbé de Frilair . . . sa fureur tomba sur Julien", II, 236. Zum Unterschied von den bisher angeführten Bewegungen 14. müssen wir jene erwähnen, die dazu angetan sind, infolge der Beschäftigung mit etwas anderem den Zorn zu dämpfen, zu zerstreuen. Wie das Auf- und Abgehen häufig ein Bedürfnis für den Erregten ist, so wirkt es denn auch oft lindernd. „Dévoré du besoin de s'en prendre à quelque chose, il chiffonna le papier de cette seconde lettre anonyme, et se mit à se promener à grands pas, il avait besoin de s'éloigner de sa femme. Quelques instants après, il revint auprès d'elle, et plus tranquille." Während wohl vorher der Comte de Mosca in kurzen Schritten im dunklen Zimmer hin und her rannte, sehen wir hier Herrn de Renal mit grofsen Schritten sich von seiner Frau entfernen. Gerade diese grossen, also langsamen Schritte bringen ihn zur Ruhe, während die kurzen Schritte die Aufregung nur vergröfsern, vgl. L. L. 340. Diesen langsamen, rhythmischen Bewegungen sucht man den Puls anzugleichen und

io4 damit die Erregung zu mindern. Wie diese rhythmische Bewegung hier vom Individuum selbst erzeugt wird, so kann diese natürlich auch von aufsen her, sozusagen künstlich, z. B. durch die Musik, hervorgebracht werden. Die Wirkung mufs dieselbe seiu. Als Fabrice beim Eintritt des Marquis de Crescenzi, der es wagt, sich mit seiner Frau vor ihm zu zeigen, in Wut gerät, da beruhigt ihn nur eine herrliche Melodie Cimarosas, den Stendhal vor allem liebte. „. . . et la célèbre M me P. . . chanta cet air de Cimarosa autrefois si célèbre: ,Quelle pupille tenere . . .!' Fabrice tint bon aux premières mesures, mais bientôt sa colère s'évanouit et il éprouva un besoin de répandre les larmes ", Ch. 4 1 9 . Hier sehen wir deutlich die Wirkung dieses rhythmischen Gefühles auf den Wütenden. Herr de Rénal ist ein sehr zum Zorn veranlagter Mensch, „ce n'est pas un être sage et dirigé par la raison", und da mufs es uns wundern, dafs es gerade ihm gelingt, sich einmal nahezu vollständig zu beherrschen, wenn auch nur für kurze Zeit. „Julien lui dit enfin, assez brusquement: J'étais malade. L e ton de cette réponse eût piqué un homme beaucoup moins sensible que le maire de Verrières; il eut quelque idée de répondre à Julien en le chassant à l'instant. Il ne fut retenu que par la maxime qu'il s'était faite de ne jamais trop se hâter en affaires. Malgré la sagesse de ses réflexions, le mécontentement de M. de Rénal n'en éclata pas moins par une suite de mots grossiers . . . " 1, 55. Stendhal hatte hier noch die Absicht, in Herrn de Rénal einen Provinzler mit allen seinen Lächerlichkeiten zu zeichnen. Aber die Karikatur wurde zum Charakter. Anfangs war es wohl Stendhals Plan, ein scharfes Bild von der Provinz zu entwerfen, um ihr dann im zweiten Teil Paris gegenüberzustellen. Aber wie so oft, so fehlte auch hier Stendhal die nötige Ausdauer; der ursprünglich gefafste Plan wurde langsam aufgegeben, der Hauptgedanke blieb zwar bestehen, aber das scharfe Herausarbeiten des Unterschiedes zwischen Paris und Provinz liefs er aufser Acht; er schrieb, wie es ihm die Stimmung eingab, d. h. er verglich immer. So verrät „cette maxime qu'il s'était faite" deutlich den Provinzler. Vgl. 1 , 1 2 7 , 1 3 1 , wo Stendhal auch direkt Bezug nimmt auf die Provinz. Bei Erwähnung der Stimme interessiert uns nicht allein der Accent, das Schreien, sondern auch ganz besonders die Worte selbst. Wir haben es stets mit gereizten Personen zu tun und müssen also manches Wort zu hören bekommen, das der betreffende vielleicht in anderem Zustand nicht gesagt hätte. In den Phrasen können wir wohl annehmen, dafs wenig Unterschied besteht in Bezug auf die Auswahl bei Franzosen und Italiener, sie beide suchen ihrer Wut Ausdruck zu geben in einem Wortschwall. Je nach dem Verlauf des Zornes können wir natürlich verschiedene Arten unterscheiden. Bei steigender Wut, besonders wenn der betreffende allein ist, sind Wiederholungen, resp. gleiche Anfänge der einzelnen Sätze sehr häufig. Interjektionen, Fragen und Ausrufe überbieten sich. Bei abnehmender, resp. auslaufender Wut

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ergeht er sich in einer unglaublichen Menge von Worten, „il passe sa colère". Betrachten wir einmal die Worte: Von Herrn de Renal wissen wir schon, dafs sein Zorn „éclata par une suite de mots grossiers". Stendhal nennt sie uns aber nicht. Als der Marquis de la Mole, un homme de premier mouvement, infolge der Tat Juliens in Wut gerät, „pour la première fois de sa vie, peut-êtie, ce seigneur fut de mauvais ton; il accabla Julien de toutes les injures qui lui vinrent à la bouche." II, 182 . . . „à la vue de ce mouvement il recommença à l'accabler d'injures atroces et dignes d'un cocher de fiacre. L a nouveauté de ces jurons était peut-être une distraction" II, 183. Wie Stendhal es nicht liebt, die Höhepunkte der Freude oder Liebe zu schildern, da er annimmt, dafs sein Leser sich dabei zu sehr begeistern könnte, so l ä f s t er andererseits auch d i e s e r o h e n A u s d r ü c k e w e g , um ja das Ohr des Lesers nicht zu beleidigen. J e g l i c h e E r r e g u n g d e s L e s e r s will er u n m ö g l i c h m a c h e n , w e l c h e r Art sie auch sei. Er schreibt eben keine Romane „pour des femmes de chambre, imprimés en. 1 2 par M. Pigoreau". An einigen Stellen zwar gibt er den Wortlaut wieder, aber da legt er doch gewöhnlich eine Idee zu' Grunde, welche dem Leser wenigstens etwas zu bedenken geben kann. Vgl. Ch. 2 i g . „Vous parlez là comme une sotte que vous êtes, s'écria M. de Rénal d'une voix terrible, quel bon sens peut-on espérer d'une femme? Jamais vous ne prêtez attention à ce qui est raisonnable; comment saurez-vous quelque chose?" I, 1 2 7 . Während der Franzose aber doch wenigstens nicht so stark aufschneidet, wenn er in Zorn gerät, r la hardiesse des mensonges croît avec la vivacité des accusations en Italie", Ch. 206 oder sie fangen an zu prahlen, wie der comte M., der vom Schwerte Fabricens getroffen, „se mit à lui crier qu'il avait longtemps fréquenté la salle d'armes du fameux Battistini à Naples . . . " Ch. 2 1 3 . Bei der trockenen Form des Zornes werden wir natürlich keine ,mots grossiers' finden, sondern jedes Wort, mit einer Lanzenspitze versehen, wird mit gröfster Überlegung ausgesprochen . . . „Ce fut avec l'expression de la colère la plus vive et même du mépris qu'elle dit au prince en pesant sur tous les mots: — J e quitte à jamais les Etats de votre Altesse Sérénissime pour ne jamais entendre parler du fiscal Rassi et des autres infâmes assassins qui ont condamné à mort mon neveu et tant d'autres . . ." Ch. 2 1 8 . Bisher haben wir nur Leute aus höheren Kreisen ins Auge gefafst, wie steht es nun mit den anderen Klassen? Der alte Sorel versteht schon besser seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Vgl. I, 1 5 oder „Descends, animal, que je te parle!" 16. Aber auch hier zieht Stendhal vor, sie nicht zu nennen I, 18. In der Chartreuse jedoch gibt er uns wenigstens einmal eine Probe, wenn sie auch kurz ist, und mit etc. etc. endet. „Barboue essuyait avec son mouchoir le sang qui coulait en abondance de son affreuse figure; il jurait comme un paien: Ce f . . . Fabrice, disait-il à très haute voix, ne mourra jamais que de ma main; je volerai le bourreau etc. etc. Il s'était arrêté . . C h . 234.

io6 17.

Nachdem wir nun die verschiedenen Verlaufsformen und Ausdrucksbewegungen des Zornes betrachtet haben, wollen wir ihn noch in seinem Verhältnis zu anderen Affekten untersuchen. Vor allem müssen wir hier das Verhältnis zwischen Selbstgefühl, Stolz und Zorn berücksichtigen. Diese Form des Zornes hat nämlich eine ganz eigenartige Verlaufsform. Der Zorn beruht in diesem Falle darauf, dafs das betreffende Individuum an seinem eigenen Ich zweifelt, sich selbst verachtet. Mit diesem Gefühl geht der Zorn alsdann Hand in Hand. Sobald diese Selbstverachtung beseitigt ist, schwindet dieser Zorn. 18. Übersehen wir nochmals, unter welchen verschiedenen Formen wir diesem Affekt begegnen. Der Qualität nach finden wir den Zorn sowohl als Affekt der Lust, I, 1 1 6 , als auch der Unlust, „une douleur qui était de la colère" II, 184. Natürlich ist er stets excitierend, wenn auch die trockene Form, oder bei grofser Gefühlsstärke, wie bei Herrn de Renal, deprimierend auf den betreffenden wirkt, allerdings sind es dann mehr diese vorhererwähnte Selbstverachtung oder dieses Gefühl der Unlust, welche diese Depression hervorrufen. Während der gewöhnliche Zorn am Schlüsse stets lösend, befreiend für das Individuum scheint, bringt die trockene Form oft in ihrem Verlauf eine gewisse Spannung mit sich, während der der betreffende erst auf diesen Moment der Befreiung wartet, ihn erstrebt. Der Verlaufsform nach unterscheiden wir: der plötzlich hereinbrechende Affekt, die Wut, wie wir sie bei Julien oder dem Marquis de la Mole finden. Der allmählich ansteigende Affekt I, 1 2 1 und Ch. 2 1 3 . Endlich eine intermittierende Verlaufsform, bei der mehrere auf- und absteigende Phasen hintereinanderfolgen. Sie zeichnet sich durch die lange Dauer aus. Ein frappantes Beispiel gibt uns Stendhal hierfür in I, 1 2 1 — 1 3 1 , die wir ja schon genauer besprochen haben. Vergleichen wir einmal, was Wundt, in seinem Grundrifs der Psychologie, gerade über diese Verlaufsform der Affekte sagt: „So treten namentlich Freude, Zorn, Traurigkeit, paroxysmenweise auf und lassen dabei oft noch ein Stadium zunehmender und ein solches abnehmender Intensität der Affektanfälle unterscheiden. Dagegen zeigen die plötzlich hereinbrechenden Affekte selten den intermittierenden Verlauf. Dies kommt wohl nur dann vor, wenn der Affekt auch als ein allmählich ansteigender möglich ist. Solche Affekte von sehr wechselnder Verlaufsform sind z. B. Freude und Zorn. Sie können zuweilen plötzlich hereinbrechen, wobei freilich der Zorn meist sofort in Wut überspringt; sie können aber auch allmählich zu- und abnehmen und folgen dann meist zugleich dem intermittierenden Typus." Nach einem allmählichen Ansteigen ( 1 2 1 ) lassen sich 6 verschiedene Höhepunkte unterscheiden, um dann wieder in der gleichen Weise nach und nach zu verlaufen. ( 1 3 1 ) „Depuis l'instant qu'il avait ouvert la lettre, l'existence de M. de Rénal avait été affreuse . . . " I, 1 2 1 . „Enfin deux heures de bavardage inutile épuisèrent les forces d'un homme qui avait subi un accès de colère de toute une nuit" I, 1 3 1 . Wir stehen

io7 hier also vor der äufsersten Verlaufsdauer eines Affektes, an sich ist er möglich, er setzt eine starke Natur voraus, „un grand homme". Dieser kräftige Mensch, in den Bergen des Juras zu Hause, oder sagen wir besser, den der Anblick der Savoyer Alpen grofs gemacht hat, kann eine solche Wutperiode durchmachen, nicht der scheinheilige Pariser und auch nicht der lein besaitete Italiener. Wenden wir uns nun zu der Betrachtung der dem Zorne nahestehenden Gefühle wie Neid, Eifersucht, Hafs und Rache. Sie unterscheiden sich vom Zorne hauptsächlich durch ihre Dauer. Während dieser nur eine vorübergehende Gestalt annimmt, stellen jene mehr oder weniger Zustände dar. Sie stehen ungefähr im selben Verhältnis zum Zorne, wie Kummer und Sorge zum Schmerz, oder Freude zur Lust. Da sie eigentlich nicht mehr unter die Gattung der Affekte fallen, wollen wir sie zwar nicht ganz unberücksichtigt lassen, sie aber etwas kürzer behandeln. Vom N e i d ist überhaupt wenig zu sagen; er wird wohl kaum 20. je eine führende Rolle in einem Romane spielen, vor allem nicht in der damaligen Zeit. Es ist eine von jenen Schwächen, die man dem Helden beilegen kann, um ihn nicht zu vollkommen, d. h. unnatürlich erscheinen zu lassen. So sehen wir denn den ehrgeizigen Julien etwas vom Neide angesteckt, und als er sieht, wie man sich über den reichen Thaler lustig macht, da sagt er sich: „Une telle vue guérit de l'envie11 II, 12. Er fühlt sich eben ,déplacé' aus seinen gewohnten Kreisen, und da kann leicht Neid entstehen. Aber wir finden auch noch einen edleren Neid in Julien verkörpert. Als er hoch oben auf den Bergen steht, und er einen Sperber über seinem Haupte in majestätischem Fluge dahingleiten sieht, ,,1'oeil de Julien suivait machinalement l'oiseau de proie. Ses mouvements tranquilles et puissants le frappaient, il enviait cette force, il enviait cet isolement C'était la destinée de Napoléon, serait-ce un jour la sienne?" I, 62. Man beachte hier die Erregung Stendhals, und welche Kraft aus dieser Art der Darstellung spricht. Hier gibt der Neid dem Ehrgeizigen neue Kraft zum Streben. Wie im allgemeinen die unteren Schichten leicht zum Neid neigen, so auch die obersten, die einen infolge der vielen Arbeit, die anderen infolge der wenigen Beschäftigung resp. der Standesunterschiede. „ L e prince s'ennuyait souvent, ce qui l'avait conduit à la triste envie; il sentait qu'il ne s'amusait guère et devenait sombre, quand il croyait voir que des autres s'amusaient". In der Provinz, wo man den Erfolg „avec le sérieux de l'envie" ansieht, und besonders in den kleineren Städten ist der Neid überall anzutreffen, man vergleiche nur das Verhältnis zwischen Herrn de Renal und Herrn Valenod, oder die Schilderung in Lucien Leuwen, wo M. de Gollo, „grand jeune homme blond, sec et pincé, et déjà couvert des rides de l'envie," über Lucien folgendermafsen urteilt, als er ihn vorbeireiten sieht: „C'est probablement un de ces garçons tapissiers ou fabricants de chandelles qui s'intitulent ,héros de juillet'," L. L . 69. Der Grund zum N e i d u n d H a f s liegt teilweise 21.

io8 in der Langweile. Stendhal sagt es uns auch noch an anderer Stelle: „ A l'école polytechnique, un travail ardu et de tous les instants, l'enthousiasme de la science, l'amour pour la liberté, la générosité naturelle à la première jeunesse, neutralisaient les passions haineuses et les effets de l'envie. L a plus ennuyeuse oisiveté règne, au contraire, dans les régiments; car que faire au bout de six mois, lorsque les devoirs du métier ne sont plus une occupation?" L. L. 95. Hafs und Neid stehen in engem Zusammenhang, das Gefühl ist ungefähr dasselbe, nur dafs man eine Person um etwas beneidet, während man die Person selbst hafst. D e r H a f s ist s o z u s a g e n d e r auf das S u b j e k t ü b e r t r a g e n e N e i d . Warum hafst man? Vergleichen wir darüber verschiedene Stellen: „Cette manie de lecture lui (au vieux Sorel) était odieuse, il ne savait pas lire lui-même" I, 15. „Pour lui, il n'éprouvait que haine et horreur pour la haute société où il était admis, à la vérité au bas bout de la table, ce qui explique peut-être la haine et l'horreur. Un jour . . . Julien fut sur le point de se trahir, il se sauva dans le jardin: Quels éloges de la probité! s'écria-t-il; on dirait que c'est la seule vertu . . . je parierais qu'il gagne même sur les fonds destinés aux enfants trouvés, à ces pauvres! ah! monstres! monstres! Et moi aussi, je suis une sorte d'enfant trouvé, haï de mon père, de mes frères, de toute ma famille" I, 3 3 . Man hafst also aus zwei Gründen: 1. Weil der andere mehr katm, als man selbst, oder dafs er bessere Eigenschaften hat. 2. Weil der andere weniger kann, als man selbst, oder weil er bestimmte Eigenschaften, die man nach seiner eigenen Person bemessen, auch beim anderen voraussetzt, nicht aufweist. Der alte Sorel kann nicht lesen, folglich ist diese Beschäftigung ihm hassenswert. Der alle Sorcl hafst Julien, weil er nicht die nötigen Kräfte hat, um das Handwerk seines Vaters zu ergreifen, die Brüder hassen ihn, weil es ihm besser geht, als ihnen, usw. Die zweite Art des Hassens ist schon mehr Mifsachten, Verachten, und oft ist es gerade die Folge eines dieser Gefühle. So sagt Julien zu Mathilde: „ L e pauvre Croisenois a été réellement bien raisonnable et bien honnête homme envers nous; il eût dû me haïr lors de vos imprudences dans le salon de madame votre mère, et me chercher querelle; car la haine qui succède au mépris est ordinairement furieuse" II, 2 5 1 . Diese Form des Hassens im Vergleich zur Verachtung ist ähnlich der Wut im Verhältnis zum Zorn. Die Gefühlsseite nimmt überhand auf Kosten des Verstandes. In allen diesen Fällen gibt der Hafs aber, wie der Neid, das Gefühl gröfster Unlust. Das Bestimmende dabei ist, dafs sie sich beide stets passiv verhalten, und nicht selbst handeln. Und doch kann auch der Hafs in einem Falle Lustgefühle hervorrufen. In Rae. et Shak. sagt Stendhal: „Haïr n'est pas un plaisir; je crois même que beaucoup de mes lecteurs penseront avec moi que c'est une peine, et une peine d'autant plus vive, qu'on a plus d'imagination ou de sensibilité" 42. Dagegen heifst es in de l'Amour: „Une princesse de 75 ans, ennuyée et poursuivie par le

109 besoin d'agir, d'intriguer, etc., mécontente de la tiédeur de son amant . . . peut fort bien trouver une occupation, c'est-à-dire un plaisir, et un but dans la vie à rendre malheureuse une vraie passion, passion qu'on a l'insolence de sentir pour une autre qu'elle, tandis que son amant s'endort à ses côtés. C'est le seul cas où la haine produise bonheur, c'est qu'elle procure occupation et travail" 91. Und doch Neid und Hafs gehen Hand in Hand. Julien beneidet die reichen Leute um ihre Reichtümer und hafst sie deshalb. „ L a haine extreme qui animait Julien contre les riches" I, 56. Aber dieser Neid in der subjektiven Form des Hasses mufs eine Person haben, die ihm als Blitzableiter dient; wie dem Wütenden, so mufs auch dem, der hafst, eine greifbare Person herhalten, über die er seinen Hafs ausschütten kann. „Le maire de Verrières était bien toujours, à ses yeux, le représentant de tous les riches et de tous les insolents de la terre, mais Julien sentait que la haine qui venait de l'agiter, malgré la violence de ses mouvements, n'avait rien de personnel. S'il eût cessé de voir M. de Rénal, en huit jours il l'eût oublié, lui, son château, ses chiens, ses enfants et toute sa famille . . ." Aber auch mit der Liebe steht der Hafs in einem gewissen 23. Verhältnis. Er hat mit ihr gemeinsam die c r i s t a l l i s a t i o n : in de l'Amour sagt uns Stendhal zweimal: „ L a haine a sa cristallisation: dès qu'on peut espérer de se venger, on recommence de hair" 14 und 281. Wie bei der Liebe das Bild des Geliebten stets herrlicher, vollkommener gestaltet wird, so hier natürlich im umgekehrten Sinne. „Quoique accoutumée à ce genre d'esprit, ce ton de voix choqua madame de Rénal. Pour se distraire elle regarda la physionomie de Julien; il eût été l'homme le plus laid que dans cet instant il lui eût plu" I, 47. Endlich müssen wir noch ein Gefühl, welches meist Hafs, Neid 24. und Liebe in sich vereinigt, besprechen, die E i f e r s u c h t . E s ist das Gefühl des Neides, welches der L i e b e n d e empfindet für den, welcher etwas geniefst o d e r geniefsen möchte, w a s er f ü r s i c h s e l b s t b e a n s p r u c h t , infolgedessen hafst er diesen „terzo incommodo". Während bisher der Hafs auf den Besitzer des Gegenstandes, um den der Neid ausbrach, fiel, konzentriert er sich hier auf diesen Gegenstand, d. h. auf die unwillkommene Person. Dasselbe kann auch vorkommen, wenn einer einen anderen, der an Wissen und Können und Stand usw. ihm gleich ist, plötzlich über sich erhoben sieht; z. B. das Verhältnis der Brüder Juliens zu diesem, I, 33; diese Eifersucht interessiert aber weniger. In de l'Amour sagt Stendhal: „ L a jalousie pour l'amie prend le masque de la haine pour l'amant, autrement comment pourrait-on haïr à la fureur un homme qu'on n'a jamais vu?" 92. Diese Liebe nimmt also äufserlich die Form des Hasses an. Von der Eifersucht hören wir an verschiedenen Stellen: „ A l'instant où naît la jalousie, la même habitude de l'âme reste, mais pour produire un effet contraire. Chaque perfection que vous

HO ajoutez à la couronne de l'objet que vous aimez, et qui peut-être en aime un autre, loin de vous procurer une jouissance céleste, vous retourne un poignard dans le coeur. Une voix vous crie: Ce plaisir si charmant, c'est ton rival qui en jouira. Et les objets qui vous frappent, sans produire ce premier effet, au lieu de vous montrer comme autrefois un nouveau moyen de vous faire aimer, vous font voir un nouvel avantage du rival . . . Dans cet état la fureur naît facilement; l'on se rappelle que dans l'amour posséder n'est rien, c'est jouir qui fait tout; l'on s'exagère le bonheur du rival, l'on s'exagère l'insolence du rival que lui donne ce bonheur, et l'on arrive au comble des tourments, c'est-à-dire à l'extrême malheur, empoisonné encore d'un reste d'espérance" 95. Die Eifersucht erlischt, sobald an die Stelle oder neben die Liebe das Gefühl des Mitleides tritt; vgl. Arm. 189. Wir sehen nahezu a l l e Personen der Eifersucht fähig: Armance, Octave, Frau d e R e n a l , M a t h i l d e , J u l i e n , F a b r i c e , usw. Die Eifersucht ist stets ein Gefühl der Unlust, und hätten wir also die dort erwähnten Ausdrucksbewegungen, die allerdings hier sehr oft unterdrückt werden, zu wiederholen. Auch die Italiener sind alle eifersüchtig, M me de Sanseverina sowohl, als auch der comte de Mosca, Fabrice sowohl, als auch die sonst so zarte und anmutige Clélia. Selbst die starke M me de Sanseverina fällt in Ohnmacht, als sie die Gleichgültigkeit Fabricens für sich sieht. „ L a duchesse regarda Fabrice. J'ai fait cela pour lui, se dit-elle, j'aurais fait mille fois pis, et le voilà qui est là devant moi indifférent et songeant à une autre! Il était au-dessus de ses forces de supposer cette affreuse pensée; elle tomba dans un profond évanouissement", Ch. 364. Vgl. Clélia, Ch. 443. Andererseits müssen wir uns wundern, dais Clélia nicht eifersüchtig auf M me de Sanseverina wird, sondern sie hafst. „Son âme était profondément troublée, elle songeait à la duchesse, dont l'extrême malheur lui avait inspiré tant de pitié, et cependant elle commençait à la hair", 285 und „Sa coquetterie de femme sentait bien vivement l'imperfection du langage employé: si l'on se fût parlé, de combien de façons différentes n'eût-elle pas dû chercher à deviner quelle était précisément la nature de sentiments que Fabrice avait pour la duchesse! Cléli«i ne pouvait presque plus se faire d'illusion, elle avait de la haine pour M me Sanseverina", 287. Warum ist sie also nicht eifersüchtig? Zwei Gründe können dafür bestimmend sein: 1. Sie kennt nicht die Gefühle Fabricens zu jener und nimmt, dank der Kristallisation, ganz richtig an, dafs M me Sanseverina für Fabrice gleichgültig ist. Folglich hat sie keinen Grund auf sie eifersüchtig zu sein, sondern es ist nur ein Grund gegeben, sie zu hassen. 2. aber müssen wir bedenken, dais Clélia nicht in den Kreisen verkehrt, die auf Seiten der Marquise stehen, sie also nur schlechtes von ihr zu hören bekommt. Der Hafs, die Eifersucht haben aber ebenfalls ihre Kristallisation, und da ihr infolgedessen M me de Sanseverina nicht im besten Lichte erscheint, hat sie alle Veranlassung sie zu hassen, denn der Hafs

III steht näher der Verachtung oder Mißachtung, im Gegensatz zur Eifersucht. Wie zeigt sich die Eifersucht nun bei den Männern? Welche 25. Qualen Julien unter ihr litt, wissen wir schon, dem comte de Mosca macht sie nicht minder Schmerzen. Der Prinz kennt die Liebe der M m de Sanseverina zu Fabrice, und da macht er sich ein Vergnügen daraus, durch einen anonymen Brief diese Eifersucht künstlich zu entfachen. Die Wutausbrüche haben wir schon kennen gelernt. Obwohl Mosca sich geschworen hatte, M m e de Sanseverina nicht mehr zu sehen, „il n'y put tenir. Jamais ses yeux n'avaient une telle soif de la regarder." Er fand sie allein mit ihrem Neffen, um Mitternacht. „A l'aspect de l'intimité tendre qui régnait entre ces deux êtres, et de la joie naïve de la duchesse, une affreuse difficulté s'éleva devant ses yeux, et à l'improviste! il n'y avait pas pensé durant la longue délibération dans la galerie de tableaux: Comment cacher sa jalousie?" Und wie man seine Rede nicht beachtete, sieht er Fabrice an: „Jamais cette belle figure lombarde ne lui avait paru si simple et si noble!" Die Kristallisation beginnt. „Réellement, se dit-il, cette tête . . . Tout est simple à ses yeux, parce que tout est vu de haut. Grand Dieul comment combattre un tel ennemi? Et après tout, qu'est-ce que la vie sans l'amour d e Gina? . . . Une idée atroce saisit le comte comme une crampe: le poignarder là devant elle, et me tuer après? Il fit un tour dans la chambre, se soutenant à peine sur ses jambes, mais sa main serrée convulsivement autour du manche de son poignard. Aucun des deux ne faisait attention à ce qu'il pouvait faire. Il dit qu'il allait donner un ordre à son laquais, on ne l'entendit même pas; la duchesse . . . L e comte s'approcha d'une lampe dans le premier salon et regardait si la pointe de son poignard était bien affilée. Il faut être gracieux et de manières parfaites envers ce jeune homme, en revenant et s'approchant d'eux. Il devenait fou, il lui sembla qu'en se penchant ils se donnaient des baisers, là, sous ses yeux. Cela est impossible dans ma présence, se dit-il, ma raison s'égare. II faut se calmer: si j'ai des manières rudes, la duchesse est capable, par simple pique de vanité, de le suivre à Belgirate." Der Politiker erwacht wieder in ihm, die Herzogin darf Parma nicht verlassen, sonst ist er vergessen. Hier fühlt er sich der Störenfried, der „terzo incommodo". „Quelle douleur pour un homme d'esprit de sentir qu'on joue ce rôle exécrable et de ne pouvoir prendre sur soi de se lever et de s'en aller! L e comte allait éclater ou du moins trahir sa douleur par la décomposition de ses traits. Comme en faisant des tours dans le salon il se trouvait près de la porte, il prit la fuite en criant d'un air bon et intime: Adieu, vous autres! il faut éviter le sang, se dit-il", Ch. 131. Und so verbrachte er die Nacht und den folgenden T a g , „dans les affreux transports de la plus cruelle jalousie." Oberblicken wir, so bemerken wir, dafs, nach Stendhal, d i e 26. Eifersucht die gröfsten psychischen Schmerzen bereitet,

112 die überhaupt möglich sind. Sozusagen alle Menschen sind davon betroffen, ausgenommen natürlich solche, wo die „peur du ridicule" jedes Gefühl der Eifersucht im Keime erstickt, wie bei Herrn de Rénal. Die physischen Begleiterscheinungen sind aufscrordentliche, und wir sehen sowohl Frau de Rénal, als auch Frau de Sanseverina krank darniederliegen. Bei den Männern merken wir in dem Benehmen Juliens und Moscas einen grofsen Unterschied. Während Julien nie der Gedanke daran kommt, seine Gegner zu töten, obwohl Mathilde sich an seinen Schmerzen weidet und ihm stets von neuem ihr Herz enthüllt, fafst Mosca beim Anblick seines Feindes sofort den Entschlufs, Fabrice vor den Augen der Geliebten zu töten. U n d mit welcher Kälte sehen wir ihn zu Werke gehen! A u s d e r b e r e d t e n S c h i l d e r u n g , w e l c h e u n s Stendhal von dieser L e i d e n s c h a f t gibt, e r k e n n e n wir, wie g e r a d e er u n t e r i h r g e l i t t e n h a b e n mufs. Die Darstellung ist viel lebhafter und teilnahmsvoller, er fühlt eben mit seinen Helden. 27.

Betrachten wir endlich die letzte der hierhergehörigen Leidenschaften, die R a c h e . Auch sie kann in engerem Zusammenhange mit der Eifersucht stehen. Was der Italiener sozusagen aus reiner Eifersucht tut, dafs er seinem Gegner nach dem Leben trachtet, dazu bedarf der Franzose entweder noch der Rache, oder des Hasses. Herr Valenod, der Rivale Juliens bei Frau de Rénal, rächt sich an ihm, indem er ihn zu T o d e verurteilen läfst, denn er hat das Urteil beeinträchtigt . . . „Quelle joie pour le Valenod de se venger de notre ancienne rivalité auprès de M m e de Rénal!" II, 232. Die Rache Juliens an Frau de Rénal haben wir schon beim Zorn erwähnt. Ich möchte noch einen Fall anführen, eine Art der Rache, welche dem Talion ähnlich ist. „Julien avait encore dans l'oreille les paroles grossières du matin. Ne serait-ce pas, se dit-il, une façon de se moquer de cet être, si comblé de tous les avantages de la fortune, que de prendre possession de la main de sa femme, précisément en sa présence? Oui, je le ferai, moi, pour qui il a témoigné tant de mépris" II, 65. Er hat mich verachtet, folglich verachtc ich ihn auch. Einen Fall typischer italienischer Rache schildert Stendhal in der Chartreuse. „Dès que la vengeance fut résolue, elle sentit la force, chaque pas de son esprit lui donnait du bonheur. Je (Stendhal) croirais assez que le bonheur immoral qu'on trouve à se venger en Italie tient à la force d'imagination de ce peuple; les gens des autres pays ne pardonnent pas à proprement parler, ils oublient" Ch. 334. Einen interessanten Fall finden wir Ch. 3 4 8 — 3 5 0 . Hier ist Frau de Sanseverina im Zustande der Halluzination. Sie sieht in Ludovic den verrückten Dichter Ferrante, der ihr versprochen hatte, den Prinzen zu vergiften, wenn das Wasserreservoir des Palastes Sanseverina geplatzt wäre. Sie hat Fabrice gerettet, und dieser ist traurig, weil er aus dem Gefängnis ist und Clélia nicht mehr sehen kann; sie erkennt natürlich diesen Grund der Trauer Fabricens, macht sich klar, dafs ihre ganzen Bemühungen vergeblich gewesen wären,

»3 ohne die tätige Hilfe Clélias, die Eifersucht macht sie wütend, da steigt der Gedanke der Rache in ihr auf, „changée du tout au tout", redet sie in ungezwungenster Weise mit Ludovic; sie gibt ihm den Auftrag zur Veranstaltung des Festes in Sacca, und als sie ihm befiehlt, darauf nach Parma zu reiten, um die Stadt zu überschwemmen, da kann sich Ludovic vor Freude nicht mehr halten, er bricht in eine direkt höllische Freude aus, er ist in einem Zustande der Verzückung, es ist die Freude des Negers, der um die Leiche seines Opfers tanzt. Hier enthüllt sich die fürchterliche Kraft der italienischen Rache. Sie ist ein Lustgefühl, dafs nach Befriedigung dürstet. Obwohl Frau Sanseverina schon längst dieses Fest vorbereitet hat, um damit sich über den Prinzen lustig zu machen, so folgt sie doch dabei ganz ihrem Gefühl, nicht dem Verstände. Und das ist der Hauptunterschied zwischen französischer und italienischer Rache, dort ist sie getragen vom Verstände, hier vom Gefühle. Dafs man Neid, Hafs und Rache mehr in der Provinz antrifft, hat seinen Grund darin, dafs in Paris infolge von Bildung und Kultur die Gefühle mehr und mehr weichen. Die Rache ist beim Italiener um sovieles intensiver, einerseits wegen der reicheren Phantasie des Südländers, andererseits wegen ihrer natürlicheren Gefühle. Anders bei der Eifersucht, sie zeigt sich nahezu überall in derselben Stärke, unter derselben Form. Sie ist eine zu starke Gefühlsart, um überhaupt unterdrückt werden zu können. W o die wahre ,amour-propre', da ist auch stets die Eifersucht nicht fern; sie macht sich sofort bemerkbar, sobald die Gelegenheit an sie herantritt; und die Liebe hat selbst die Zivilisation eines Paris nicht unterdrücken können, wie uns Stendhal an einer Stelle versichert.

Stolz. Oft rät Stendhal in seinen jüngeren Jahren seiner Schwester i . oder seinen Freunden: „Jouissons de ce jour et ne comptons pas trop sur celui de demain. C'est ce qu'Horace disait en latin il y a 1900 ans, et ce qu'il faut faire aujourd'hui." „Carpe diem" und „ T a k e thy fair hour" aus Hamlet sind seine Schlagwörter. Man sollte annehmen, ein Mensch, der solche Ratschläge erteilt, sei glücklich, er kenne das Leid nicht, aber ganz im Gegenteil, in Stendhals Briefen finden wir häufig Stellen, wie: „ T u vois, ma chère, que nous sommes toujours contrariés par quelque chose; aussi le meilleur parti que nous ayons à prendre est-il de tâcher de nous accomoder de notre situation et d'en tirer la plus grande masse de bonheur possible. C'est là la seule vraie philosophie." So schreibt Beyle schon 1801 an seine Schwester, als 18jähriger Mensch, und in zahlreichen folgenden Briefen wiederholt sich seine in sein Schicksal ergebene Auffassung der Dinge. U n d in demselben Jahre schreibt er ebenfalls an seine Schwester: „Peut-être t'ennuies-tu un peu; mais songe que dans ce monde nous n'avons Beiheft zur Zeilichr. f. rom. Phil. X X X V .

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114 jamais de bonheur parfait et mets à profit ta jeunesse pour apprendre; les connaissances nous arrivent tout le reste de notre vie, nous sont toujours utiles, et, quelquefois, nous font oublier les peines. Pour moi, quand je lis Racine, Voltaire, Molière, Virgile, .Orlando furioso', j'oublie le reste du monde. J'entends par monde cette foule d'indifférents qui nous vexent souvent, et non pas mes amis que j'ai toujours présents au fond du coeur." Aus beiden angeführten Stellen geht hervor, dafs Stendhal nicht eben glücklich gewesen sein mufs; in dem Briefe vom 4. Oktober 1 8 1 2 an seinen Freund Felix Faur, worin er den Brand von Moskau erzählt, schliefst er: „Je suis toujours bien ennuyé de mes compagnons de combat. Adieu, écris-moi et songe à t'amuser; la vie est courte." Hier erkennen wir deutlich, dafs Stendhal nicht aus eigener Erfahrung diesen Rat Horazens gibt, sondern ihm fehlte dieses Glück, das er mit Gewalt suchte; seine Umgebung aber verhinderte ihn am meisten an diesem Glücke. Er spricht nicht von einzelnen ihm unangenehmen Personen, sondern stets von der Allgemeinheit. Seine Erziehung war zu einseitig, abgesehen von seiner Veranlagung zum Sonderling, als dafs er Freude an seinen Mitmenschen hätte finden können. So schreibt er schon damals: „Je deviens tous les jours plus sensible à ce bel art (la musique), et tous les jours me dégoûtent davantage du commun des hommes, qui est par trop canaille: ils finissent par faire mal au coeur." Wie Julie klagt auch Stendhal: „Quand on a le malheur de ne ressembler à la majorité des humains, il faut les regarder comme des gens qu'on a mortellement offensés, et qui ne vous souffrent que parce qu'ils ignorent l'offense que vous leur avez faite; un mot, un rien peut vous trahir." Stendhal schliefst sich ab und wird mifstrauisch der Welt gegenüber. Und jenes Mifstrauen führt ihn zu jenem Kultus der ,Ichheit', oder wie Stendhal diesen mit einem eigens dafür von ihm geprägten Worte nennt: „l'égotisme". 2.

Betrachten wir die ersten Briefe Beyles an seine Schwester, so fallen uns vor allem zwei Dinge auf: seine flehentliche, oft wiederholte Bitte, ihm doch nur offen zu schreiben, nur das, was das Herz ihr sagt. „Est-ce que nous nous écrivons pour faire de l'esprit ou pour nous communiquer franchement ce que nous sentons? Ecrivez-moi avec votre cœur et je serai toujours content" (1800). „Rappelle-toi toujours que quand je t'interroge, c'est ton sentiment que je te demande et non pas ce que tout le monde te dit. Si c'est un fait qu'on vous ait affirmé, comme la personne peut avoir quelque passion qui l'ait engagée à vous tromper, il faut tâcher de le vérifier quand l'occasion s'en présente." Man mufs sich vor den Menschen und ihren Urteilen hüten, denn sie urteilen alle subjektiv, d. h. falsch (Stendhal hat erfahren, dafs die Menschen nicht richtig urteilen, also mufs man sich vor ihnen hüten). Aber er fürchtet die Menschen sogar, was uns vor allem die Briefschlüsse zeigen: „Surtout ne montre cette lettre à personne; par l'idée qui m'en reste elle est pleine de ridicule pour les âmes froides",

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oder „Brûle les lettres où je vous parais un fat", oder „Garde-toi de la montrer; car elle nous ferait des ennemis de tous les Grenoblois et autres sots qui nous entourent.. ." Als Beyle 1803 ,des vérités générales' in einem Briefe an seine Schwester aufstellt, lautet eine davon: „L'éducation seule fait les grands hommes, par conséquent, on n'a qu'à le vouloir pour devenir grand génie. 11 faut s'appliquer à une science et la méditer sans cesse. On prend peu à peu les habitudes et les manières de voir des personnes avec qui l'on vit habituellement. Cette maxime est générale et sans exception: garde-toi donc de vivre dans la société d'animaux dont tu me parles." Was soll nun ein Mensch machen, mit wem soll der verkehren, welcher „un éloignement à se frotter avec les petites âmes" empfindet? Er mufs eben „rester coi" ( 1 8 1 3 ) , „il faut trouver son bonheur dans sa chambre fermée à double tour. Pour être heureux, il ne faut pas de nerfs agacés par le dieu de l'éloquence" (1818). So zieht sich also Beyle von der Allgemeinheit zurück, er lebt als Sonderling, nur mit seinen Freunden verkehrend. Kleidung und Benehmen lassen schon äufserlich an ihm erkennen, dafs er sich bewufst ist, dafs er sich von den anderen unterscheidet, dafs er mehr ist als sie. Wenn er auch mit seiner Umgebung verkehrt — er sucht sie nicht auf — , so ist dies kein Verkehr auf sein Gefühl gestützt, sondern er ist stets auf seiner Hut, er beobachtet stets. Was er zuerst tat aus Furcht, um sich vor seinen Feinden zu schützen, das wird ihm allmählich zur Gewohnheit, zuguterletzt eine Unterhaltung. 1 8 1 3 schreibt er: „Sans solitude absolue, il n'y a point d'attention pour moi. Quand je ne serais interrompu que par un domestique qui m'apporte un journal, j'observe mille rapports dans ce domestique, je m'en occupe une demi-heure." In seiner frühen Jugend suchte Beyle stets seinen Geist zu 3. stärken, für die Mathematik hatte er anscheinend ziemliches Interesse, und in den Briefen an seine Schwester lenkt er ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Wert der Arbeit und der Kenntnisse hin. Man mufs zusehen, einen „grand esprit" zu erlangen, aber „non pas en apprenant beaucoup par cœur, mais en comparant beaucoup les choses qu'on voit; il f a u t b e a u c o u p m é d i t e r , et q u o i q u ' o n v o i e , t â c h e r d ' e n s a v o i r la c a u s e . " Das ist der 19jährige Beyle; ja, er hat versucht, allen Dingen auf den Grund zu gehen, und wo fing er da an? bei sich selbst. 1806 ruft er seiner Schwester zu: „ T r a v a i l l e - t o i t o i - m ê m e ! - ' Wie erkannte er da die ständige Selbsttäuschung, welcher jeder Mensch fast instinktiv verfallt. Aber er war stark, er hatte Energie — er glaubt es wenigstens — , „moi j'aime mieux me damner en raisonnant juste", er will sich nicht hintergehen. Jetzt gehen ihm die Augen auf, er erkennt das scheinheilige Wesen seiner Zeitgenossen und in der „ h y p o c r i s i e " sieht er einen der Schäden seines Jahrhunderts. Die Menschen sind feige, ihnen fehlt das Selbstbewufstsein, die Energie. So bildet sich in ihm eine Vorstellung von einer Idealgestalt, er malt sich ein 8*

116 Bild von einem neuen, vollkommeneren, tugendhafteren — in seinem Sinne — Menschen, in ihm entsteht der Gedanke an einen Typus von Übermenschen. 4. Wir müssen bei vielen Schriftstellern unterscheiden 1. die Zeit des Niederreifsens der herkömmlichen Ansichten, 2. die Zeit des Aufbauens eines neuen Gebäudes an Stelle des alten. Auch bei Stendhal kam diese Idee an einen zu erstrebenden Typus von Übermenschen nicht unmittelbar, sondern zuerst wandte er sich ab und verachtete die bestehende Menschheit; er sucht alsdann einerseits durch Offenheit gegen sich selbst, andererseits durch Festlegen eines derartigen Charakters, wie er sein soll, sein Leben angenehmer zu gestalten. Aber Stendhal war leidenschaftlich, und warum soll er, welcher das durch die Leidenschaft infizierte Urteil verwirft, leidenschaftslos urteilen? Ist die Verachtung Stendhals vielleicht keine Leidenschaft oder kann diese Sucht, die Wahrheit zu suchen und aufzudecken, nicht auch zur Wut werden? Er will von den anderen nichts wissen, aber diese auch nichts von ihm, schon als K i n d konnte er keine Gespiele finden, sie machten sich lustig über diese „tour ambulante" mit dem Stiernacken, und das schmerzte ihn. Ich erwähnte schon seine Angst sich lächerlich zu machen, die uns aus so vielen Briefen entgegentritt, aber Angst und Mifsachtung sind nicht auf einem Holze gewachsen, letztere ist nur die Verteidigung des Feigen, des Verzweifelten. Das ist Stendhals Verhalten der Welt gegenüber, mit sich selbst geht er auch zu Rate. „II se travaille soi-même". Wer jedoch glaubt sich nicht selbst zu hintergehen, wird mit der Zeit, nachdem die Periode der Selbstverachtung durchlaufen ist, sich selbst schätzen, das Selbstgefühl erstarkt, und damit Hand in Hand wird scheinbar die Energie geregt; kleinliche Hindernisse, wie sie Gesellschaft etc. auferlegt, existieren für einen solchen Menschen nicht. Er wird frei. Er handelt wie es ihm gut dünkt, wie es für ihn gut sein wird; die Mitmenschen gleichsam übersehend, w i r d f ü r i h n d a s e i g e n e Ich das Mafs aller Dinge. 5.

Unter welcher Form zeigt sich diese von Stendhal so oft erwähnte E n e r g i e ? Am 25. November 1817 schreibt er an Richard Colomb aus Sienna folgendes über die Italiener des XIV. und X V . Jahrhunderts: „ A chaque révolution d'une ville, la volonté des vainqueurs réglait tous les droits et tous les devoirs. Il ne restait aux vaincus qu'une ressource, celle de tenter, à leurs risques et périls, de vaincre à leur tour. Comment diable n'être pas énergique avec le soleil et les richesses d'Italie, et quatre siècles de ce joli petit gouvernement? Il n'y avait un peu d'exception pour tout cela, et un peu de fixité qu'à Venise. Aussi les Vénitiens étaient-ils devenus les Français de l'Italie, gais, spirituels et sans énergie. Avec une énergie biûlante ou sombre, suivant qu'on est dans une veine de bonheur ou d'adversité, il est impossible d'être gai, spirituel, léger. L'esprit a l'habitude de mettre trop d'importance à tout; dès qu'on est indigné, l'on ne peut ni

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rire, ni sourire." „Dès qu'on est indigné . . dieses Wort gibt uns den Schlüssel. Die Energie ist stets die Folge einer Unterdrückung, sie ist das rücksichtslose, verstandesmäfsige Kämpfen um die Oberhand. Im selben Briefe schrieb Stendhal: „Les citoyens sacrifiaient avec joie à leur ambition politique le soin de leurs intérêts privés et la défense de ce que nous appelons les droits civils . . . " Ehrgeiz und Energie sind für Stendhal Begriffe, die sich gegenseitig decken, indem das eine eine Funktion des anderen bleibt, kein Ehrgeiz ohne Energie. Der Ehrgeiz ist das Lebensprinzip, welches der Energie Entfaltung verleiht, welches alle anderen Leidenschaften erstickt, unmöglich macht. D i e V e r v o l l k o m m n u n g des 6. W e s e n s l i e g t a l s o in d e r B e f r i e d i g u n g d e s E h r g e i z e s , d. h., i n d i r e k t a u s g e d r ü c k t , d e s S e l b s t b e w u f s t s e i n s . Man vergleiche hierzu auch die Einleitung zur Chartreuse. Wie steht es nun mit J u l i e n u n d mit F a b r i c e ? W a n n l i e b e n b e i d e ? Julien liebt erst wirklich, als er zum Tode verurteilt ist und keine Hoffnung mehr darauf besteht, seine Lage zu verbessern. „II est singulier, se disait Julien, un jour que Mathilde sortait de sa prison, qu'une passion si vive et dont je suis l'objet me laisse tellement insensible! et je l'adorais il y a deux mois! J'avais bien lu que l'approche de la mort désintéresse de tout; mais il est affreux de se sentir ingrat et de ne pouvoir se changer. J e suis donc un égoïste? Il se faisait à ce sujet les reproches les plus humiliants. L'ambition était morte en son cœur, une autre passion y était sortie de ses cendres: il l'appelait le remords d'avoir assassiné M me de Rénal. Dans le fait, il en était éperdument amoureux" II, 269. Julien betrügt sich selbst, und als er es später merkt, ruft er aus: „ E t pourquoi être encore hypocrite en maudissant l'hypocrisie? . . . L'influence de mes contemporains l'emporte, dit-il tout haut, et avec un rire amer. Parlant seul avec moimême, à deux pas de la mort, je suis encore hypocrite . . . O dix-neuvième siècle!" Il, 248. Wenn Julien vorher Frau de Rénal liebt — Mathilde hat er nie wirklich von Herzen geliebt, es war nur die Befriedigung seines Ehrgeizes — so ist es auch nur dann, wenn „la méfiance et l'orgueil souffrant de Julien, qui avait surtout besoin d'un amour à sacrifice", durch dieses Opfer beseitigt, resp. befriedigt sind. Vgl. I, 1 1 3 , 1 1 4 . Als er einmal aus reinstem Mitleid zu Frau de Rénal ihr beistehen will, sagt er sich, von ihrem Anblick gerührt: „II ne s'agit plus de moi ici. Que m'importent les hommes et leurs plates simagrées" I, m . Erst schwindet sein Ehrgeiz, eher ist gar keine andere Leidenschaft oder Gefühl möglich. Ebenso verhält es sich mit Fabrice. Sobald er die Liebe zu Clélia fühlt, ist sein Ehrgeiz geschwunden, im Gegenteil, wir vermissen ihn sogar, er nimmt etwas zu wenig Anteil an seiner Umgebung, er ist sozusagen lahm gelegt, und so sagt er auch selbst zu Clélia: „Les affaires et les hommes me sont à charge dans ma solitude forcée; tu sais que l'ambition a toujours été un mot vide pour moi depuis le moment, où j'eus le bonheur d'être

n8 écroué par Barbone; et tout ce qui n'est pas sensation de l'âme me semble ridicule dans la mélancolie qui loin de toi m'accable" Ch. 447. Wo der Ehrgeiz fehlt, da ist keine Energie, wie wir ja deutlich an Fabrice sehen. Die Energie an sich ist eine Willenshandlung. Welche Stärke der Wille hat, was also die Energie vermag, zeigt uns folgendes Beispiel: „Lui parier eût dans ce moment délivré son cœur d'un grand poids. Pourquoi ne pas l'avouer? il avait peur. Comme il était résolu à agir, il s'abandonnait à ce sentiment sans vergogne. Pourvu qu'au moment d'agir, je me trouve le courage qu'il faut, se disait-il, qu'importe ce que je puis sentir en ce moment? Il alla reconnaître la situation et le poids de l'échelle . . ." II, 87 und ebensolche Situationen finden wir häufig bei Stendhal. Sein eisernes 'Ich will' ist stärker als jedes Gefühl. Dieses Zurücksetzen, Nichtbeachten des Gefühles hat eine Folge: es nimmt den Genufs, es trägt mit Schuld an diesem ständigen „n'est-ce que ç a ? " , denn man handelt nicht, weil es das Herz so eingibt, sondern weil man unter dem Drucke der Pflichterfüllung steht „Julien remplit son devoir", als er Frau de Renal die Hand nahm, als er in der Nacht zu ihr ging, als er Mathilde aufsuchte, es ist stets seine Pflicht so zu handeln, und seine Pflicht mufs man erfüllen. J u l i e n s M o r a l ist a u f g e b a u t a u f dem G r u n d s a t z e : „ I c h bin mir s e l b s t d e r N ä c h s t e " . Nicht das Gesetz, nicht die Aufsenwelt diktiert diese Pflicht, sondern das eigene Innere erkennt, was ihm not tut. Wie sollte sich auch „l'homme malheureux en guerre avec toute la société" (II, 76) durch allgemein gültige Gesetze gebunden fühlen? E r ist noch nicht zufrieden, wenn er die Naturgebote erfüllt hat, sondern erst, wenn er sein eigenes Ich gestillt hat. Unter solchen Verhältnissen und einer solchen Lebensauffassung ist das Dasein allerdings eine Qual, und so ruft auch Julien aus: „11 est singulier pourtant que je n'aie connu l'art de jouir que depuis que j'en vois le terme si près de moi." Während Julien sich künstlich das Bewufstsein der Pflichterfüllung schafft, ist die Veranlagung Mathildens eine ganz andere. Jener will nichts mit den Menschen gemein haben, er will sich von ihnen unterscheiden; aber er setzt sich dabei ein bestimmtes Ziel, und das zu erreichen macht er sich zur Aufgabe, zur Pflicht. Mathilde will sich ebenso auszeichnen vor den andern, aber nicht indem sie an die Stelle der gewöhnlichen Moral eine andere setzt, sondern indem sie alles dem Zufall und dem Unvorhergesehenen überläfst. Sie liebt die offene Feldschlacht. „S'exposer au danger élève l'âme et la sauve de l'ennui où mes pauvres adorateurs semblent plongés, il est contagieux, cet ennui." Sie will einen Mann haben, „qui fût un peu amusant 1" Nicht soll ein Tag dem andern gleichen, sie will nicht „une nouvello édition du bonheur de ses cousines." Wenn man diese Ansichten Mathildens kennen gelernt hat, wie bitter ist die Ironie des Schicksals im entscheidensten Moment ihres Lebens, wo sie gerade aus Pflichterfüllung ihre Ehre opfert. Hier hat sich

iig Stendhal fortreifsen lassen, und seine ganze Unzufriedenheit, seine Verachtung der Menschheit zum Ausdruck gebracht, allerdings, ohne es zu wollen. Wer hört nicht diesen die Harmonie des ganzen zerstörenden Mifsklang? Stendhal hadert mit seinen Mitmenschen. Den vorher gezeichneten Charakter Mathildens durchbricht er, sie fällt zurück in das Denken und Fühlen der Masse. „Elle n'avait nullement prévu l'état affreux où elle se trouvait. 11 faut cependant que je lui parle, dit-elle à la fin, cela est dans les convenances qu'on parle à son amant." ,11 faut' und ,dans les convenances' kannte Mathilde bisher nicht; sie legt die Motive ihrer Handlung aufserhalb von sich; nicht ,se dit-elle', sondern ein einfaches ,dit-elle' deutet schon an, dafs hier nicht das Individuum, sondern der Mensch spricht. „Et alors pour accomplir un devoir, . . . elle lui raconta les diverses résolutions . . . Mais jamais l'on ne dit d'un ton plus froid et plus poli des choses aussi tendres. Jusque là ce rendez-vous était glacé. C'était à faire prendre l'amour en haine. Quelle leçon de morale pour une jeune imprudente! Vaut-il la peine de perdre son avenir pour un tel moment." Schwere Seelenkämpfe zwischen Furcht, Schamgefühl und Willen machten die Liebe unkenntlich, bis endlich der allmächtige Wille siegte. „Mathilde finit par être pour lui une maîtresse aimable. A la vérité, ces transports étaient un peu .voulus'. L'amour passionné était encore plutôt un modèle qu'on imitait qu'une réalité." D a s ist d e r U n t e r s c h i e d z w i s c h e n G e f ü h l s - u n d W i l l e n s h a n d l u n g e n . D i e s e h a b e n ein Vorbild, der M a n g e l des N e u e n nimmt dem G e n u f s die W i r k u n g . Jetzt können wir auch jene Erstlingsfreude, wie wir sie nannten, verstehen, sie pafst glänzend in das Stendhalsche System. Mathilde wäre glücklich geworden, wie sie es erhoffte, wenn sie dem Zufall gefolgt wäre. Aber der Keim ihres Unglückes liegt schon in ihren eigenen Worten, als sie sich ihre Gefühle zu Julien gestand: „Le ciel me devait cette faveur." Das Wort .devoir' war für sie verhängnisbringend, wo auch immer es ihr begegnete, selbst wenn es ihr der Himmel schuldete. „11 n'aura pas en vain accumulé sur un seul être (Julien) tous les avantages. Mon bonheur sera digne de moi" II, 02. Welches Selbstbewufstsein liegt nicht in den letzten Worten, und wie zerstört sie dies später selbst. Das mufste so kommen; denn wie können sich Energie und Zufall in einem Wesen paaren? der Zwiespalt mufs unfehlbar eintreten, denn beide Begriffe schliefsen einander aus. Oder sollte vielleicht ,hasard' in einem bestimmten Sinne gefafst sein? In II, 62 heifst es: „Ce qui caractérise les grandes passions: l'immensité de la difficulté à vaincre et la noire incertitude de l'événement." Die Lösung der Spannung liegt nicht in unserer Hand, sie ist dem Zufall überlassen. Der Wille bringt also den Zustand der Spannung hervor; diese läfst stets eine doppelte Lösung zu, in einem uns genehmen oder uns unangenehmen Sinne. Diese Lösung liegt nicht in der Kraft des Individuums, sondern aulserhalb desselben, im

120 Zufall. Also Wille und Zufall schliefsen, so gefafst, doch nicht einander aus, im Gegenteil, sie ergänzen sich, ,les extrêmes se touchent'. Von einer solchen Leidenschaft ist Mathilde befallen, aber trotz aller Stärke, sie als Weib ist zu schwach, um eine solche Rolle durchzuspielen. In der Correspondance sagt Stendhal: „Les grandes passions viennent à bout de tout: de là, on peut dire que, quand un homme veut vivement et constamment, il parvient à son but." Hier erkennen wir den Zusammenhang von Gefühl uud Willen; denn was ist der Unterschied von Wünschen und Wollen? „On a de la passion pour un objet, quand on le désire continuellement." W o l l e n u n d F ü h l e n s i n d a l s o m i t e i n a n d e r v e r k n ü p f t . B e s o n d e r s d a s S e l b s t b e w u f s t s e i n als G e f ü h l steht dem W i l l e n sehr n a h e , wir können fast sagen, es i s t W i l l e n als G e m ü t s b e w e g u n g . Diesem Selbstbewufstsein und allem, was mit ihm in Verbindung steht, wollen wir in folgendem unsere Aufmerksamkeit schenken. 7. Das S e l b s t g e f ü h l wird im Individuum durch das Bewufstwerden seines eigenen Wertes geweckt; ob dieser vorhanden ist oder nur eingebildet, ist einerlei. Durch ein einseitiges Übertreiben entsteht jenes Gefühl des S t o l z e s . Man glaubt, mehr zu sein als die anderen. L a Bruyère sagt: „II faut définir l'orgueil une passion qui fait que, de tout ce qui est au monde, l'on n'estime que soi." Daraus geht also ein doppeltes hervor, je nachdem man das Individuum an sich betrachtet, oder im Verhältnis zur Mitwelt; auf der einen Seite steht ,fierté' und .orgueil', auf der anderen ,dédain' und .mépris'. Sehen wir einmal zu, wie der Stolz entsteht? Sobald sich das dazu veranlagte Individuum der Lage gewachsen sieht, kommt der Stolz zum Vorschein. So bei Julien z. B. als er seine Stelle als Hauslehrer im Hause Renal autritt. Er fürchtet sich, er ist unsicher darüber, wie man ihn empfangen wird. Bisher hat er in seinen Mitmenschen blofs Feinde gesehen, also denkt er auch dort auf seiner Hut sein zu müssen. Aber als er merkt, mit welcher Liebenswürdigkeit man ihn aufnimmt, da ist sein Selbstgefühl hergestellt . . . „Vous savez le latin ? — Ces mots choquèrent l'orgueil de Julien et dissipèrent le charme, dans lequel il vivait depuis un quart d'heure." Bei Juliens Antwort auf ihre Frj.ge findet Frau de Rénal „qu'il avait l'air fort méchant". Als sie ihn aber erst in bittendem Tone anredet, da fühlt sich Julien Herr der Situation, er wird keck: er will Frau de Renal die Hand küssen. Er schreckt vor seinem eigenen Gedanken zurück, aber sein Wille, seine Energie zwingen ihn zur Ausführung. „II y aura de la lâcheté à moi de ne pas exécuter une action qui peut m'être utile et diminuer le mépris que cette belle dame a probablement pour un pauvre ouvrier à peine arraché à la scie". Für Julien ist , g u t e H a n d l u n g ' und . H a n d l u n g g u t wozu' d a s s e l b e . Der Gedanke, dafs er später vielleicht bereuen könne, etwas unterlassen zu haben, was ihm alsdann sein ganzes Leben vergiften würde, treibt ihn stets zum Handeln. Er, die verkörperte Energie, wird

121 sich nie Vorwürfe darüber machen, gehandelt zu haben, wohl aber darüber, etwas nicht getan zu haben. Aus Juliens Worten erkennen wir deutlich, dafs er sich schon etwas auf sich einbildet, dafs er sich in Bezug auf seine Intelligenz schon jetzt den anderen überlegen glaubt; nur das Bewußtsein, gesellschaftlich der Umgebung noch nicht ebenbürtig zu sein, läfst das Gefühl des Stolzes in ihm noch nicht an die Oberfläche dringen. Er küfst Frau de Rénal die Hand. Diese Handlung stärkt sein Selbstgefühl gewaltig, und als er erst neue Kleider bekommt, da kann er sich nicht mehr halten. „ L e sentiment d'orgueil que lui donnait le contact d'habits si diflérents de ceux qu'il avait coutume de porter, le mettait tellement hors de lui-même, que tous ses mouvements avaient quelque chose de brusque et de fou" I, 30. Dieser Stolz nimmt derart überhand, dafs er keine andere Leidenschaft neben sich entstehen lassen kann. „L'amour pour M m c de Rénal devint de plus en plus impossible dans le coeur orgueilleux de Julien" I, 38. Während Julien bisher nur auf sich stolz war, ohne dabei über die anderen zu urteilen, fangt er jetzt an, diese zu verachten. Frau de Derville weist ihn zurecht, „Julien la regarda froidement avec des yeux où se peignait le plus souverain mépris" I, 56. Als er bei Herrn de Rénal sich (durchgesetzt' hat, da sagt er zu sich: „Je ne méprisais pas assez l'animal". Er weifs, dafs er sein Ziel erreichen wird, und dieser Umstand befestigt in ihm immer mehr den Glauben an sich, den .Glauben in sich'. Die Liebe zu Frau de Rénal ist für ihn „l'admiration de la beauté, l'orgueil de la posséder". Erst als er ihre Opfer sieht, die sie ihm bringt, da fängt er an, sie wirklich zu lieben, weil sein Stolz darunter leidet, dafs Frau de Renal Gewissensbisse hat, sie ihm nicht allein gehört, er keinen Anspruch auf sie hat. „Si RIme de Rénal avait eu le moindre sang-froid, elle lui eût fait compliment de la réputation qu'il avait conquise, et l'orgueil de Julien rassuré, il eût été pour elle doux et aimable, d'autant plus que la robe nouvelle lui semblait charmante." Er liebt mit den Sinnen, das Gefühl, welches diese seine Liebe auslöst, ist der Stolz I, 76. Und selbst als er sich für immer von ihr verabschiedet, obwohl Stendhal ausdrücklich erwähnt, dafs alles aus seinem Herzen verschwunden war, aufser der Liebe, „Julien retrouva toutes les voluptés de l'orgueil, lorsqu'il put revoir dans ses bras et presque à ses pieds, cette femme charmante, la seule qu'il eût aimée, qui peu d'heures auparavant était tout entière à la crainte d'un Dieu terrible et à l'amour de ses devoirs" I, 229. Selbst die Furcht vor Gott wich vor Juliens Persönlichkeit! Wie fühlt sich Herr Valenod in seiner ,amour-propre' verwundet, als er hört, welche Stelle Julien bei Frau de Rénal einnimmt. Nachdem Julien sich in der Familie des Herrn de Renal das nötige Selbstgefühl .erworben hat', mit welcher Verachtung schaut er alsdann herab auf all die grofsen Herren der Provinz. Der teuere Rheinwein, dessen Preis man für nötig hält, mit aufzutischen, läfst Julien kalt. Er verachtet ihre langweilige Unterhaltung, ihr Benehmen. Noch

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ist er unter der Einfahrt, „Ah! canaille! canaille!" rief er drei, viermal, mit sichtlichem Wohlbehagen die frische Luft einatmend. 8. „II se trouvait tout aristocrate en ce moment" I, 140. Jedoch ohne Kampf entsteht dieses Gefühl des Stolzes nicht, und vor allem nicht für ein solch offenes, sich selbst beurteilendes Auge wie das Juliens. Wenn er auch meist seine Überlegenheit erkennt, so gibt es auch Augenblicke, wo infolge Grübelns oder infolge einer äufseren Veranlassung er seine Unterlegenheit den anderen gegenüber auf irgend einem Gebiete sich gestehen mufs. Dieses Bewufstsein ruft in ihm die Verachtung seiner eigenen Person wach, die Energie vermag nicht das vom Willen gesteckte Ziel zu erreichen. Der S e l b s t v e r a c h t u n g geht häufig eine Verachtung der anderen voraus, aber nur, weil sie den Wünschen, dem Willen des betreffenden entgegenarbeiteten; er bemerkt seine Schwäche, und damit setzt eine ,Kristallisation' der Umgebung ein, um so durch Übertreiben der Verdienste der anderen sein eigenes Ich noch schwärzer erscheinen zu lassen. Als Frau de Renal beim Gedanken an das Bild die Hand Juliens plötzlich zuriickstöfst, „la fierté de Julien, si récemment blessée, en fit un sot en ce moment. Il ne vit en M m e de Rénal qu'une femme riche; il laissa tomber sa main avec dédain et s'éloigna". Seine Bewegungen nehmen etwas ruckweises, krampfhaftes an. Nachdenkend geht er auf und ab, „tranquille comme un homme maître de son temps! Je ne m'occupe pas des enfants! Je m'expose aux mots humiliants de M. de Rénal, et il aura raison . . . " Julien verurteilt sich selbst. Er läuft in das Schulzimmer, um seine Pflicht zu tun. Der Jüngste springt ihm entgegen, um mit ihm zu spielen, schon hat er sich fast wiedergefunden, beim Anblick der Zuneigung von Seiten des Kleinen, „celui-là ne me méprise pas encore!" Diese Verminderung des brennenden Schmerzes legt er sich als neue Schwäche aus, er sucht nach Gründen, so dafs er sich sagt: „Ces enfants me caressent comme ils caressaient le chien de chasse que l'on a acheté hier" I, 59. D a tritt, ganz unerwartet, Herr de Renal ein, sein Anblick ruft von neuem seine Verachtung des von ihm als gesellschaftlich überlegen anerkannten Mannes wach. So sehen wir Julien ständig in einem zwischen Lust und Unlust schwebenden Zustande, je nachdem eigenes Ich oder Aufsenwelt über das andere triumphiert. Aber nicht genug, seine L a g e wird noch verschlimmert durch die Angst, sich vielleicht vor der Umgebung oder sogar vor sich selbst lächerlich zu machen. Über die Umgebung weifs er zwar sich hinwegzusetzen, nicht aber über sein eignes Ich. „Julien craignit un remords affreux et un ridicule éternel, s'il s'écartait du modèle idéal qu'il se proposait de suivre" I, 85. Wir sehen an diesem Beispiel, wie die verschiedenen Gefühle, welche das Selbstbewufstsein mit sich bringt, in einander übergreifen zu einem zusammenhängenden Gebilde. Um uns mit ihrem Wesen noch näher vertraut zu machen, wollen wir auf die einzelnen Arten der Gefühle des Selbstbewufstseins unsere Aufmerksamkeit lenken.

123 Bis jetzt sprachen wir immer von L e Rouge et le Noir. Nimmt g. das Selbstgefühl in der Chartreuse denselben Raum ein wie dort? Machen wir uns nochmals klar, welche Rolle bei dieser Gemütsbewegung der Wille, und abgesehen davon auch die Überlegung, die Intelligenz spielt, so erleuchtet schon daraus ohne weiteres, dafs der Anteil der Gefühle ziemlich gering sein mufs. Wille und Intelligenz können wir geradezu als die Widersacher jeglicher Leidenschaft ansehen, und welche führende Rolle die Leidenschaft im Leben des Italieners spielt, haben wir schon an verschiedenen Stellen hervorgehoben. Dessentwegen müssen wir schon erwarten, dafs sich das Selbstgefühl beim Italiener nicht in derselben Richtung bewegen kann, vie bei dem Franzosen. Mag der Italiener infolge seiner Phantasie stolzer erscheinen, die Wirkungen dieses Stolzes infizieren aber nicht im geringsten den übrigen Charakter, besonders nicht in seinem Verhältnis mit seinen Mitmenschen. Es ist ein angeborener Stolz! Nicht mit kalter Verachtung kann der heifse Italiener seine Umgebung strafen, er mufs hassen! Nur ein Stand kann hier, wie überall, verachten, die Politiker, so der Prinz, der comte de Mosca, Frau de Sanseverina, Rassi . . . aber auch hier ist die Verachtung meistens noch mit Zorn vermischt. „ L e plus violent mépris et la colère se disputaient son cœur" 220. Rassi kennt die Verachtung, er, der Höfling: „Les mouvements rapides et désordonnés de ses yeux trahissaient la connaissance que Rassi avait de ses mérites, l'assurance arrogante et grimaçante de sa bouche montrait qu'il savait lutter contre le mépris" 226. In ihm haben wir den T y p eines Höflings skizziert. Bei Fabrice finden wir kein einziges Mal aber auch nur einen Hauch von falschem Selbstbewufstsein, auch nicht in der Zeit vor seiner Liebe zu Clélia, „Moi fier! moi Fabrice Valserra, marchesino del Dongo, qui consens à porter le nom d'un Vasi, d'un marchand de baromètres" 55. Tritt aber die Verachtung auf, wie bei M rae de Sanseverina, so wird sie hier zur Leidenschaft. Als Limercati ihren Gemahl nicht rächen will, „la comtesse s'aperçut que chez elle le mépris avait tué l'amour" 22, und als ihr der Prinz sagt, dafs er die Akten des Verfahrens gegen Fabrice in die Hände seiner besten Richter gegeben habe, „à ces mots la duchesse se releva de toute sa hauteur; toute apparence de respect et même d'urbanité disparut en un clin d'oeil; la femme outragée parut clairement, et la femme outragée s'adressant à un être qu'elle sait de mauvaise foi, . . . ce fut avec l'expression de la colère la plus vive et même du mépris qu'elle dit au prince en pesant sur tous les mots . . . " , und als der Prinz sich durch ihre Worte angegriffen sieht, „la colère surnagea et ce fut avec une hauteur digne du rang suprême que le prince dit après un silence: Et que faudrait-il faire pour que Madame ne partît point? — Quelque chose dont vous n'êtes pas capable, répliqua la duchesse avec l'accent de l'ironie la plus araère et le mépris le moins déguisé". Da fallt der Blick des Prinzen, aufser sich, auf den Höfling Mosca, der ob der kühnen Worte

124 der Frau de Sanseverina in die gröfsto Verlegenheit geraten ist und sich nicht zu helfen weifs, „les contours si fins de cette bouche exprimaient le dédain le plus amer" 220. Der Prinz verachtet den Grafen, weil er dessen nichtswürdiges Benehmen erkennt. Das ist italienischer Stolz, und wahrhaftig, ihn mufs man bewundern, er legt Zeugnis ab von der Seelengröfse seiner Träger. 10. Wenden wir uns jetzt zu den A r t e n d e s S t o l z e s . Zuerst begegnen wir dem a n g e b o r e n e n S t o l z , welchen hauptsächlich Geburt oder Reichtum mit sich bringen. Vgl. L. L. 80. So fällt dem Pariser z. B. beim Besuche von Verrières „un certain air de contentement de soi et de suffisance mêlé à je ne sais quoi de borné et de peu inventif" des Herrn de Rénal auf. Von Mathilde sagt uns Stendhal ausdrücklich an verschiedenen Stellen, „qu'il y avait de l'orgueil dans ce caractère". Ein solch angeborener Stolz ist auch ,1a fierté féminine'. In de l'Amour sagt Stendhal: „La source la plus respectabls de l'orgueil féminin, c'est la crainte de se dégrader aux yeux de son amant par quelque démarche précipitée ou par quelque action qui peut sembler peu féminine" 238. So verhindert gerade dieses Gefühl Mathilde, trotz all ihrer guten Entschlüsse und trotz ihrer Energie, Julien zu gestehen, dafs all die Erzählungen von ihrer Liebe zu Croisenois übertrieben waren, II, 1 7 8 . 11. Interessanter aber als von diesem Stolz als Eigenschaft zu sprechen, ist die Betrachtung des e r s t mit d e r Z e i t e m p o r k o m m e n d e n Stolzes. Hier ist einerseits die Erreichung eines Zieles, die Erfüllung eines Wunsches, das, was das Selbstgefühl erstarken macht, andererseits das Bewufstsein der Überlegenheit über seine Mitmenschen. Als Julien Mathilde zum Salon zurückgeführt hatte, kann er sich nicht verhehlen, dafs ihre Art, sich auf seinen Arm zu stützen, eine gewisse Neigung zu ihm erraten läfst; die Folge hiervon, „sa figure n'avait plus la dureté et la roguerie philosophe qu'y imprimait le sentiment contenu de son infériorité" II, 55, und als er ihre Liebeserklärung erhält, „cette lettre qu'il tenait serrée dans sa main, lui donnait la taille et l'attitude d'un héros" II, 74. Nicht minder grofs war natürlich die Wirkung, als M. Pirard ihm in Aussicht stellte, dafs man ihn unter Umständen als Sprosse eines adeligen Geschlechtes anerkennen werde. Allein der Gedanke an die Möglichkeit gibt ihm ein hochmütiges Benehmen. Diese Erfolge eines Ehrgeizigen machen ihn selbstverständlich auch deshalb stolz, weil er damit seine Umgebung überflügelt hat. Das Gefühl der Überlegenheit entsteht. Vgl. I, 140, II, 1 7 3 , oder auch: „Ce regard étonné, et l'on peut dire si malheureux, de ne pas trouver de l'amour où elle craignait d'en rencontrer trop, fit peutêtre plus pour le bonheur de notre héros que les caresses si passionnées de la veille", Feder 369. Wie nimmt Frau de Sanseverina die Stellung als Siegerin ein, als sie glaubt den Prinzen überwunden 2u haben, Ch. 220, und ebenso der Prinz, als er sicher meint, die Herzogin um Hilfe flehend vor sich zu sehen: „Nous

125 allons voir des larmes répandues par de beaux yeux, se dit le prince, en se frottant les mains . . . Pendant que le prince souriait à ces pensées et se livrait à toutes ses prévisions agréables, il se promenait dans son cabinet, . . . les yeux brillants du prince, . . . Ce petit quart d'heure fut délicieux pour le prince; il se promenait d'un pas ferme et égal; il régnait. Comment Louis X I V parlait-il aux princesses ses filles quand il avait lieu d'en être mécontent, et ses yeux s'arrêtèrent sur le portait du grand r o i . . . L a duchesse Sanseverina peut entrer, cria le prince d'un air théâtral. Les larmes vont commencer, se dit-il et, comme pour se préparer à un tel spectacle, il tira son mouchoir" 2 1 6 . Auch hier beim Prinzen finden wir wieder, dafs er vor allem stolz darauf ist, eine solch hochmütige, unbeugsame Frau vor sich gedemütigt zu sehen. Je wertvoller das Objekt ist, auf das man stolz ist, resp. je höher die Person gestellt ist, über die man triumphiert, umso gröfser ist natürlich die Befriedigung des Selbstgefühles; infolgedessen können wir auch hier von einer Kristallisation sprechen, indem der betreffende dem anderen möglichste Vollkommenheit andichtet, um sich selbst noch um so höher schätzen zu dürfen. So vergrößert Julien z. B. seinen Genufs, indem er alle möglichen Eigenschaften in Frau de Rénal aufzudecken sucht: „Femme vraiment supérieure! ah! voilà un cœur où il est glorieux de régner. Julien était ravi" I, 228, oder Mathilde wird ihm nur noch begehrenswerter, resp. er setzt sogar seine ganze Kraft hinein sie zu verführen, um sich sagen zu dürfen, ich triumphiere über Herrn de Croisenois, Herrn de Caylus . . . II, 73 ff. oder „l'orgueil de Julien eut un moment bien heureux en voyant l'amour qui éclatait dans les yeux de cette personne si belle et environnée de tant d'hommages" II, 1 1 1. Die V e r a c h t u n g ist die Folge, die Wirkung des Stolzes auf die Umgebung. J e höher der Rang, desto gröfser die Verachtung. Auf die verschiedenste Weise macht sich diese bemerkbar. Man vergleiche nur das Verhältnis des Herrn de Rénal zu seinen Mitmenschen, oder Herrn de la Moles und Norberts. „Vous n'avez pas l'idée de ce mépris-là, il ne se montrera que par des compliments exagérés. Si vous étiez un sot, vous pourriez vous y laisser prendre; si vous vouliez faire fortune, vous devriez vous y laisser prendre" I, 233, und endlich der decente .mépris* Luciens: „Cet esprit fier et singulier ne daignait pas même exprimer son mépris, et, à la moindre apparence de vulgarité ou d'affectation, tombait dans un silence invincible" L. L. 13. Davon haben wir jene Verachtung zu unterscheiden, die entsteht infolge der bewufsten Unterlegenheit des betreffenden, oder der Nichterfüllung, der Entgegenwirkung eines Wunsches. Sie ist sozusagen die Zuflucht des Verzweifelten. So antwortet Julien Frau Derville mit dem Ausdruck gröfster Verachtung, als sie ihn zurechtweist. Hierher gehört auch Juliens Verachtung der Menschheit, weil sie ihm nirgends entgegenkommt „Quoi! se disait-il, pas même cinq cents francs de rente

126 pour terminer mes études!" E s ist der mit der Zeit Hadernde, Unzufriedene. E r verachtet sie, ihre Gesetze und alles. Als er den Satz vertritt: Der Zweck heiligt die Mittel, indem er behauptet, er opferte gegebenenfalls drei K ö p f e , wenn er vier retten könne, „ses yeux exprimaient le feu de la conscience et le mépris des vains jugements des hommes, ils rencontrèrent ceux de M" e de la Mole tout près de lui, et ce mépris, loin de se changer en air gracieux et civil, sembla redoubler" II, 45. Endlich mufs ich noch die Verachtung Mathildens erwähnen, als sie sicher ist, dafs Julien sie liebt. „ L a sensation de Mathilde alla jusqu'au dégoût, rien ne saurait exprimer l'excès du mépris qu'elle éprouvait en le rencontrant sous ses yeux" II, 1 0 2 . Ahnliche Situationen, die zwar nicht die Verachtung zur Folge haben, aber wo auch Wille und Gefühl nicht in Einklang stehen, treffen wir besonders bei Julien häufig an. Julien will z. B. Frau de Renal die Hand fassen, er erwartet nur noch den Glockenschlag, aber trotzdem wünscht er im Stillen, dafs sie aufstehe, um sich vorher zurückzuziehen; oder er geht die Nacht um zwei Uhr nach dem Zimmer Frau de Renais und horcht unterwegs an der T ü r ihres Gatten, ob er schläft; er schnarcht. Also gibt es kein Zurück mehr; „il put distinguer le ronflement. 11 en fut désolé. Il n'y avait donc plus de prétexte pour ne pas y aller" I, 84. Das überwiegende Gefühl ist stets das der Unlust. So auch bei Mathilde. Einerseits will sie geliebt werden, andererseits sieht sie in Julien einen aufsergewöhnlichen Charakter — „un des caractères du génie est de ne pas traîner sa pensée dans l'ornière tracée par le vulgaire" II, 1 0 3 — und je mehr Julien sie verachtet, desto höher steht er also für sie, desto begehrenswerter wird er ihr. Sobald Julien aber auf ihre Liebe eingeht, unterscheidet er sich nicht mehr vom Durchschnitt, also ist er ihr ebenso gleichgültig, wie die andern. Die A u s d r u c k s b e w e g u n g e n sind allgemein bekannt, das steife Wesen, l'air théâtral, der kalte Blick, die typischen Falten um den Mund, der blasse Teint, le ton fier, les termes très vagues et n'engageant à rien, usw. Der Stolz bringt eben bestimmte Gewohnheiten mit sich. Vgl. II, 77. Nur eine Stelle möchte ich anführen, aber mehr der allgemeinen Bedeutung halber. „Durant ce court dialogue, Fabrice était superbe au milieu de ces gendarmes, c'était bien la mine la plus fière et la plus noble; ses traits fins et délicats, et le sourire de mépris qui errait sur ses lèvres, faisaient un charmant contraste avec les apparences grossières des gendarmes qui l'entouraient. Mais tout cela ne formait pour ainsi dire que la partie extérieure de sa physionomie; il était ravi de la céleste beauté de Clélia, et son œil trahissait toute sa surprise . . . " Ch. 2 3 5 . Das Auge ist der Spiegel des inneren Menschen. Diese Stelle zeigt uns, wie die Maske etwas ganz anderes ausdrücken kann, als der innere Mensch fühlt. Nur das Auge verrät im allgemeinen den eigentlichen Menschen, es kann nicht täuschen. Zugleich erkennen wir aus dieser Stelle die auffallendsten Ausdrucks-

127 bewegungen des Stolzes, der Verachtung, aus denen der edle Charakter Fabricens klar zu T a g e tritt. Bisher sprachen wir nur von solchen Menschen, die sich ihres eigenen Wertes bewufst sind; aber wir finden im Gegensatz hierzu auch solche, welche sich unterschätzen. Eine Art Zwischenstufe zu beiden bildet jene ständige Angst, sich vor anderen lächerlich zu machen. Auch dieses Gefühl finden wir hauptsächlich nur beim Franzosen. Wenn wir annehmen, dafs Stendhal seine Personen nicht systematisch, sondern aus seiner eigenen Beobachtung heraus so oder so gezeichnet hat, so dürfen wir annehmen, dafs diese Angst beim Italiener fehlt. E i n äufserer Grund spricht schon hierfür. In südlichen Ländern spielt sich das Leben mehr vor aller Öffentlichkeit ab, nicht in den Häusern, wie im Norden, infolge des anderen Klimas. Jeder sieht sozusagen, was der andere treibt, und so ist natürlich schon aus diesem Grunde ein Entstehen eines solchen Gefühles fast ausgeschlossen. Besonders in der Provinz treffen wir , 1 a p e u r d u r i d i c u l e ' an. Herrn de Renal ist der Gedanke unangenehm, dafs er seine Verhandlungen mit dem alten Sorel seiner Frau erzählen mufs I, 20. Frau de Rénal schämte sich ihre sonderbaren, unvorhergesehenen Gedanken ihrem Gatten zu sagen I, 49. Das Unglück Herrn de Renais ist am gröfsten, als ihm der Gedanke kommt, dafs man sich über ihn im Kasino lustig machcn könnte. „A tous! à tous! s'écria-t-il avec rage, mon affreuse aventure fera le plus extrême plaisir. . . Mais quoil s'écria-t-il tout à coup en marchant d'un pas convulsif, souffrirai-je comme si j'étais un homme de rien, un va-nu-pieds, qu'elle se moque de moi avec son amant? Faudra-t-il que tout Verrières fasse des gorges-chaudes sur ma débonnaireté? Que n'a-t-on pas dit de Charmier (c'était un mari notoirement trompé du pays)? Quand on le nomme, le sourire n'est-il pas sur toutes les lèvres? Il est bon avocat, qui est-ce qui parle jamais de son talent pour la parole? A h ! Charmier! dit-on, le Charmier de Bernard: on le désigne ainsi par le nom de l'homme qui fait son opprobre" I, 1 2 3 fr. Aber fast noch gröfser ist diese Furcht in dem an die Etiquette gebundenen Pariser Adel. Mathilde hat dies erkannt. Sie ist ungehalten darüber, dafs alle die jungen Herren solche Anhänger du (Convenable' sind und deshalb vor jedem etwas sonderbaren Abenteuer erbleichen. Höchstens gehen sie einmal nach Afrika oder Griechenland, um ihre Kühnheit zu zeigen, aber selbst da gehen sie in Trupps. Und sind sie einmal allein, so befällt sie die Angst, aber nicht vor der Lanze der Beduinen, sondern sich lächerlich zu machen. Hierüber verspottet Mathilde ihren Bruder. „Elle se hâta de plaisanter son frère et le marquis de Croisenois sur la peur que leur faisait l'énergie. Ce n'est au fond que la peur de rencontrer l'imprévu, que la crainte de rester court en présence de l'imprévu . . . Toujours, toujours, messieurs, la peur du ridicule !" Und wenn wirklich die Revolution wieder ausbrechen sollte,

128 welche Rolle würden dann Norbert und Croisenois spielen? „II est écrit d'avance: L a résignation sublime. Ce seraient des moutons héroïques, se laissant égorger sans mot dire" II, 64. Jede derartige Vorschrift über Anstand und gute Sitte untergräbt das Wirken der Energie. Die Menschen, die nach ihnen leben, haben keinen eigenen Willen mehr, sondern sind die Ergebung selbst. Diese verachtet Mathilde, diese verachtet Julien, diese verachtet Stendhal. 15" Julien sieht in seiner Umgebung nur den Feind, also klar, dafs er sie fürchtet, aber nicht genug, er fürchet sogar, sich vor seinem eigenen Innern lächerlich zu machen, und dem sucht er vorzubeugen. So sagt sich z. B. Julien, als er den Grund der Trauer Mathildens wissen will: „Voilà l'homme qui se moquera le moins de moi", als wenn diese Frage eine Dummheit wäre. An verschiedenen Stellen handelt Julien, weil er die Gewissensbisse fürchtet. „Julien craignait un remords affreux et un ridicule éternel, s'il s'écartait du modèle idéal qu'il se proposait de suivre" I, 85, oder „ L a crainte du remords lui donnait tout empire sur lui-même" I, 209. Dieses sonderbare Gefühl gibt uns ein Bild von der Selbstbeherrschung Juliens, er kannte sich, er lenkte seine Handlungen und Gefühle stets so, um sein Ziel zu erreichen, seinen Ehrgeiz zu befriedigen. 16. Wenden wir uns jetzt zu den Fällen, wo das S e l b s t g e f ü h l mangelt. . H u m i l i t é ' und . m o d e s t i e ' kommen hier hauptsächlich in Betracht, neben einer gewissen Furcht, welche gerade auf dem Mangel an Selbstbewußtsein beruht, der Schüchternheit, ,Ia timidité'. Wie wir bisher hauptsächlich Julien und Mathilde betrachteten, so müssen wir jetzt unser Hauptaugenmerk auf Frau de Renal, Armance und Clélia richten. Alle haben jenes angeborene Selbstbewufstsein, aber trotzdem sind sie zu bescheiden, um sich ihre Vorteile resp. guten Eigenschaften gestehen zu wollen. „Clélia si timide et si hautaine . . . " Ch. 3 1 0 . Vergleichen wir im Anfange von L e Rouge et le Noir die Beiwörter, welche Stendhal Frau de Renal beilegt, „eile disait timidement, . . . elle lui répétait timidement . . . 1 0 , M me de Rénal fort timide . . . " 12. Dafs solche Naturen häufig von Gewissensbissen heimgesucht werden, ist selbstverständlich; die Leiden Frau de Renais und Clélias lernen wir auch zur Genüge kennen. Auch Octave wird von ihnen geplagt: „O ciel! comment s'y prendrait-on pour être plus vil que moi? Ce moment produisit presque le délire. L a tête d'Octave était comme désorganisée par une telle chaleur brûlante. A chaque pas que faisait son esprit, il découvrait une nouvelle nuance de malheur, une nouvelle raison pour se mépriser" 1 1 2 . Diese Schüchternheit kann uns bei Frauen und solchen Menschen wie Octave eigentlich nicht wunder nehmen, anders bei solch selbstbewußten Charakteren, wie z. B. bei Julien. Das Vertrauen in sich ist nicht stark genug, um mit offenem Auge dem Ereignis entgegensehen zu können. Julien ist ein Bauernjunge, und als solcher bringt er eben die

129 Schüchternheit von Hause aus mit. Als er z. B. zum ersten Mal ein Kaffee in Besançon erblickt, da weifs er nicht, wie er sich benehmen soll. Da wo Julien kein Vorbild hat, wo ihm die Erfahrung fehlt, kann ihm sein Wille natürlich keine Vorschriften machen, und da mufs er sich also unsicher fühlen, da tritt seine natürliche Schüchternheit an den Tag. So sehen wir vor jedem gröfscren Ereignis Julien hin- und herschwanken, er hat Angst, aber er scheut sich nicht, diese seine Angst sich selbst zu gestehen, denn er weifs, dafs er trotzdem handeln wird, dank seiner Energie. Ähnlich dieser Angst Juliens ist die Schüchternheit, mit der man der Geliebten gegenübertritt. Jedes Individuum ist ihr unterworfen. Den sechsten Abschnitt im Verlauf der Liebe stellt sie dar, nach Stendhals de l'Amour. Die Unsicherheit des Verliebten, ob er wirklich geliebt werde, macht ihn derart schüchtern. Es ist dies geradezu die Ehrfurcht, die der betreffende seiner Geliebten entgegenbringt. Betrachten wir nur Lucien: Stendhal erzählt: „Nous avouerons que, pendant ses raisonnements admiratifs, Lucien, immobile et droit comme un piquet, avait tout l'air d'un niais. Mme de Chasteller avait la main fort bien. Comme ses yeux faisaient peur à Lucien, les yeux de notre héros s'attachaient à cette main, qu'il suivait constamment. Toute cette timidité fut remarquée par Mme de Chasteller" L. L. 217. In de l'Amour sagt Stendhal: „Une maîtresse désirée trois ans est réellement maîtresse dans la force du terme; on ne l'aborde qu'en tremblant, et dirais-je aux don Juan, l'homme qui tremble ne s'ennuie pas. Les plaisirs de l'amour sont toujours en proportion de la crainte" 221. Der Verachtung der Mitmenschen beim Stolz entspricht hier die Selbstverachtung; diese Selbstverachtung kommt hauptsächlich bei solchen Personen vor, welche eine gehörige Portion Selbstbewufstsein besitzen, wie Julien, Mathilde oder auch der kränkliche Octave. In der Verzweiflung wollen sie nichts von ihrem eigenen Ich wissen. Als Julien nach seiner Verabschiedung Mathilde mit den jungen Offizieren plaudern sah, sagte er sich: „Elle l'avait aimé, lui, mais elle avait reconnu son peu de mérite, et en effet j'en ai bien peul se disait Julien avec pleine conviction . . . " II, 108. Vgl. 11,47, 1 1 I n seiner höchsten Verzweiflung sieht er keinen Ausweg mehr, er glaubt nicht mehr an Erfolg. „Cet être qu'on a vu à Verrières si rempli de présomption, si orgueilleux était tombé dans un excès de modestie ridicule . . . C'est qu'il avait maintenant pour implacable ennemie cette imagination puissante, autrefois sans cesse employée à lui peindre dans l'avenir des succès si brillants. La solitude absolue de la vie de voyageur augmentait l'empire de cette noire imagination puissante . . . Ah! si j'eusse été ainsi, elle ne m'eût pas préféré Croisenois! Plus sa raison était choquée des ridicules du prince (de Karasoff), plus il se méprisa de les admirer, et s'estimait malheureux de ne pas les avoir. Le dégoût de soimême ne peut aller plus loin" II, 142. Mit der Zeit fällt er in einen Zustand allgemeiner Gleichgültigkeit. Er will auf Anraten Btihtft zur Zcitschr. f. rom. Phil. XXXV.

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Korasoffs Frau de Fervaques schreiben, dieser Tugend! mit äufserster Verachtung wird sie ihm wohl begegnen, aber was macht das ihm, „rien ne m'amusera davantage. C'est au fond la seule comédie à laquelle je puisse être sensible. Oui, couvrir de ridicule cet être si odieux que j'appelle moi, m'amusera. Si je m'en croyais, je commettrais quelque crime pour me distraire" 155. . . . der Höhepunkt ist erreicht, als er ausruft: „Pourquoi suis-je moi?" 163. Weiter kann der Abscheu vor sich selbst nicht gehen. Aber sobald Julien wieder der Erfolg winkt, ist er der selbstbewufste Mensch wie früher. Dieser Stolz wird erst gebrochen im Gefängnis, seinem Ehrgeiz ist ein Ziel gesetzt, „il était fatigué d'héroïsme1*, 218. xj. Über die Ausdrucksbewegungen ist nichts von Bedeutung zu erwähnen. Von den Wirkungen will ich nur zwei anführen. In Féder sagt Stendhal: „L'extrême timidité quand elle est réunie à l'esprit, porte à réfléchir avec toute la clairvoyance de la passion sur les moindres circonstances des choses, et augmente l'esprit" 289. Sie mahnt zur Vorsicht, und bietet daher alle Kraft der Intelligenz auf, möglichst das Sicherste zu treffen. Eine andere noch interessantere Wirkung ist folgende: Als Julien im Kaffee in Besançon steht und nicht wagt den Kellnern — „ces messieurs au regard hautain" — zuzurufen, da trifft sein Blick die grofsen Augen des Buffetfräulein, die zu ihm zu sprechen schienen. „II s'approcha vivement du comptoir et de la jolie fille, comme il eût marché à l'ennemi. Dans ce grand mouvement son paquet tomba . . . La timidité passionnée que l'on rencontre en province se surmonte quelquefois, et alors elle enseigne à vouloir . . . il devenait courageux à force de la timidité vaincue" I, 161. Vgl. I, 98. Die Verzweiflung lehrt blindlings eine Sache ergreifen, sodafs man an Mut glauben könnte. 18. Wenden wir uns nun zum Schlüsse dieses Kapitels zum Mute, der in innigem Zusammenhange mit dem Selbstbewufstsein steht. Der Mut kommt in Betracht vor und während des Bestehens einer Gefahr, welcher Art sie auch sei. In de l'Amour sagt Stendhal über den Mut: „Le courage de l'Italien est un accès de colère, le courage de l'Allemand un moment d'ivresse, le courage de l'Espagnol un trait d'orgueil. S'il y avait une nation où le courage fût souvent une pique d'amour-propre entre les soldats de chaque compagnie, entre les régiments de chaque division, dans les déroutes, comme il n'y aurait plus de point d'appui, l'on ne saurait comment arrêter les armées de cette nation" 1 1 0 . Welchen Mut hat nun Julien? Energie und Mut decken sich teilweise. Letzteres ist mehr die aktive Form des ersteren, und daher zeitlich natürlich beschränkter. In Julien ist die Energie verkörpert, folglich mufs er auch mutig sein. Auf Schritt und Tritt legt er uns dafür Beweise ab. Als er voller Angst auf der Brunnenmauer sitzt, da sagt er sich plötzlich: „Serais-je un lâche? Aux armes!" Der alte Militärarzt hatte ihm dieses Wort so oft in seinen Schlachten-

I3i Schilderungen zugerufen, dafs es auch Julien in Fleisch und Blut übergegangen war. E r springt auf und geht zum Hause Rénal. „II y aura de la lâcheté à moi de ne pas exécuter une a c t i o n . . . " „Du moins je ne serai pas lâche" 89, oder „Quoi? j'aurai été en rivalité avec un homme portant un des plus beaux noms de France, et je me serai moi-même, de gaieté de coeur, déclaré son inférieur! Au fond, il y a de la lâcheté à ne pas y aller. Ce mot décide tout, s'écria Julien . . ." II, 85. An den angeführten Stellen ist der Mut Juliens ohne Ausnahme, um es mit einem Worte zu sagen, ,une pique d ' a m o u r - p r o p r e d a s ist die Art des Mutes der Energie. E i g e n l i e b e , E n e r g i e , Stolz, Mut, E h r g e i z , alle sind eins b e i J u l i e n l Einem solchen Menschen kann nichts zu schwer werden, er überwindet jedes Hindernis. Wenn er wirklich schwach ist, was schadet es, wenn er weifs, dafs er im geforderten Augenblick den nötigen Mut haben wird. So mufs ich hier nochmals die Worte anführen: „Pourquoi ne pas l'avouer? Il avait peur. Comme il était résolu à agir, il s'abandonnait à ce sentiment sans vergogne. Pourvu qu'au moment d'agir je me trouve le courage qu'il faut, se disait-il, qu'importe ce que je puis sentir en ce moment?" II, 86. Was soll einem solchen Menschen unmöglich sein? Es ist ein Versuch, das Obermenschentum zu spielen, Julien sieht aber selbst ein, was er sich damit alles genommen. Er suchte in allen Dingen den Genufs, mufste sich jedoch selbst gestehen, dafs er den verkehrten Weg eingeschlagen hatte. „Fatigué d'héroisme" erlebt er die schönsten Tage seines Lebens im Gefängnis, wo er gezwungenermafsen seinen Ehrgeiz aufgeben mufs, der Stolz bleibt, ihn kann er nicht ablegen, er ist ihm eingeboren, aus Stolz widersetzt er sich jedem Versuche, sein Leben zu retten. Wie Stendhals „Carpe diem" so ruft auch er uns gleichsam als Mahnung, es ja nicht zu unterlassen, zu: „Soyons heureux pendant le petit nombre de jours de cette courte vie!" II, 254. Julien spricht aus Erfahrung, und mit ihm Stendhal! Der Furcht steht nahe die F e i g h e i t , bei welcher der Wille i g . vollständig ausgeschaltet ist. Nur einmal fühlt sich Julien als Feigling. An dieser Stelle läfst Stendhal seine ganze Bitterkeit gegenüber der Kirche aus. Anstatt ihm Trost zu sprechen, stellt ihm der Priester all die Greuel des Todes dar, nur um ihn für seine Sache zu gewinnen. „Pour la première fois la mort lui parut horrible. Il pensait à l'état de putréfaction où serait son corps deux jours après l'exécution, etc. etc." Selbst Stendhal wird es anscheinend übel, sodafs er sich mit etc. etc. begnügt. Julien kommt aufser sich, er fürchtet in seiner Entrüstung über diese jesuitische Trostspendung sich auf den Priester zu werfen, um ihn mit seiner Kette zu erdrosseln. Stendhal könnte ebenso gezittert haben und ebenso erregt gewesen sein, wie Julien. Wie k ö n n e n s o l c h e M e n s c h e n l i e b e n ? Wie verträgt 20. sich ihr Egoismus mit dem altruistischen Gefühle der Liebe? Stendhal selbst hatte sich doch teilweise von der Welt zurück9*

132 gezogen, und trotzdem schrieb er ein Buch über die Liebe. Wie ist das möglich? So nüchtern uns Stendhal sonst gegenüber tritt, wie sehr er auch stets festen Fuis behält in dieser Welt, so hat er trotzdem ideale Auffassungen von der Liebe. Man beachte wohl, er hatte ideale Auffassungen — wer hätte die nicht einmal auf diesem Gebiete — , ob er aber jemals ideal geliebt, das können wir bei Stendhals sinnlicher Natur ruhig dahingestellt sein lassen. Gerade in bezug auf die Liebe war er fest von seinem ,beylisme' überzeugt, und ,Carpe diem' war wohl hier sein Wahlspruch; das interessiert uns aber hier nicht. Wir wollen sehen wie seine Idealgestalt ausgesehen hat, und ob sie für ihn erreichbar gewesen wäre. Wie zu erwarten, bleibt er in der W i r k l i c h k e i t , sein Ideal schwebt nicht in höheren Regionen, es bleibt auf dieser Welt; es ist aus einer anderen Zeit. In Mathilde gibt er uns ein Bild von der ganzen Gröfse der Liebe! „II n'était question bien entendu, que de la grande passion; l'amour léger était indigne d'une fille de son âge et de sa naissance. Elle ne donnait le nom d'amour qu'à ce sentiment héroïque que l'on rencontrait en France du temps de Henri III et de Bassompierre. Cet amour-là ne cédait point bassement aux obstacles; mais bien loin de là, faisait faire de grandes choses. Quel malheur pour moi qu'il n'y ait pas une cour véritable comme celle de Catherine de Médicis et de Louis X1IL J e me sens au niveau de tout ce qu'il y a de plus hardi et de plus grand. Que ne ferais-je pas d'un roi homme de coeur, comme Louis XIII, soupirant à mes pieds! Je le mènerais en Vendée, comme dit si souvent le général de Tolly, et de là il reconquerrait son royaume; alors plus de Charte . . . et Julien me seconderait. Que lui manque-t-il? un nom et de la fortune. Il se ferait un nom, il acquerrait de la fortune" II, 6 1 . Sie will keine Liebe, in der sie sich langweilt, in der sie jedes Wort im voraus weifs, sie will keine „nouvelle édition du bonheur de ses cousines". „Entre Julien et moi, il n'y a point de signature de contrat, point de notaire; tout est héroïque, tout sera fils du hasard!" Sie will einen Mann, der aus sich .handelt', sie verachtet diese „grands partisans du convenable", aus deren Reihen sie sich einen Gatten wählen soll. „Mon petit Julien n'aime à agir que seul. Jamais dans cet être privilégié, la moindre idée de chercher de l'appui et du secours dans les autres! Il méprise les autres, c'est pour cela que je ne le méprise pas. Si avec sa pauvreté Julien était noble, mon amour ne serait qu'une sottise vulgaire, une mésalliance plate; je n'en voudrais pas . . Das Abenteuerliche sucht sie! nichts ist ihr hassenswerter ab der Umgang „avec ces jeunes seigneurs parfaits, peut-être trop parfaits". Sie kann es nicht ändern, sie fühlt sich gelangweilt in ihrer Gesellschaft, in dieser Welt ,de convenances'. Julien dagegen, ,cet être privilégié', wird handeln, er hat ,de l'énergie, de l'imprévu', diese Todfeinde des guten Benehmens und Anstandes.

133 Mathilde sieht in dem Leben ein Spiel, in dem etwas gewagt werden mufs, dem Z u f a l l mufs man sich anvertrauen. Der Mensch als Teil der Maschine im Getriebe der Welt, ist ihr verabscheuungswürdig. Sie hält an den Anschauungen ihrer Ahnen fest, die Gegenwart mit Hohn überschüttend. Wie macht sich die Liebe zu Julien bei Mathilde bemerkbar? Unbewufst fühlt sie diese Liebe zu Julien, „une idée l'illumina tout à coup: J'ai le bonheur d'aimer, se dit-elle un jour, avec un transport de joie incroyable. J'aime, j'aime, c'est clair! A mon âge une fille jeune, belle, spirituelle, où peut-elle trouver ces sensations, si ce n'est dans l'amour?" Sie fühlt eine heroische Liebe, ,1a grande passion', die Liebe einer Margarete von Navarra zu dem jungen de la Mole. Boniface de la Mole wurde hingerichtet, und Margarete liefs sich vom Henker sein Haupt geben, um es eigenhändig in der Nacht beizusetzen. „Du moins il fut aimé comme peut-être il est doux de l'être. Quelle femme actuellement vivante n'aurait horreur de toucher â la tête de son amant décapité?" Wir müssen uns unbedingt fragen, wie ist eine derart heroische Liebe in dieser Zeit des Scheinheiligtums möglich? „Voilà l'immense avantage qu'ils (la noblesse) ont sur nous. L'histoire de leurs aieux les élève au-dessus des sentiments vulgaires (et ils n'ont pas toujours à penser à leur subsistance)." Der gewöhnliche Mensch ist ein Kind seiner Zeit, in den alten Familien aber finden wir noch zuweilen jene Gestalten einer grofsen Vergangenheit bewahrt infolge der heilig gehaltenen Tradition. Aber auch dort sieht Stendhal mit Bedauern jene Heroennaturen untergehen, und wodurch? infolge des Erschlaffens der Energie, des Unvorhergesehenen, an deren Stelle die steife, zerrüttende Gesellschaftsform getreten ist. Geschichte und Gesellschaft liegen hier in Widerstreit! Friedliche Arbeit untergräbt die ,grofsen Leidenschaften', die nur noch manchmal auftreten, und zwar getragen von der Hochachtung der Ahnen. Wie konnte Julien stolz sein, von einem solchen Wesen geliebt zu werden; stellt es nicht sein Ideal dar? was könnte sein Ehrgeiz gröfseres, erhabeneres erstreben? Er hat sich aber selbst sein Grab gegraben: „Cet air prêtre: humble et hypocrite" bringt ihn zu Fall. Julien, sein scheinheiliges Wesen auf seine Umgebung übertragend, sieht in dieser heldenhaften Natur Mathildens, in dieser Margarete von Navarra eine Catarina von Medicis. „Rien n'était trop profond ou trop scélérat pour le caractère qu'il lui prêtait C'était l'idéal des Maslon, des Frilair et des Castanède par lui admirés dans sa jeunesse. C'était en un mot pour lui l'idéal de Paris." Hier kann Stendhal sein tiefstes Bedauern, sein Mitleid mit Julien nicht verbergen, er, der sonst so karg ist mit Ausrufen, läfst sich hinreifsen zu einem „Y eut-il jamais rien de plus plaisant que de croire de la profondeur ou de la scélératesse au caractère parisien?" Wie sind die beiden Charaktere Mathildens und Juliens ihrem Innern, ihren Ansichten nach so ähnlich, und doch, sie müssen gefühllos aneinander vorbeigehen, da das wahre Wesen unter der

134 Schale des Scheinheiligtums verborgen bleibt. Tragisch ist das Geschick beider, beide Opfer ihrer Zeit, Opfer der Neuzeit! Dem Zufall sich anvertrauen, „jouer son sort", das gibt dem Leben erst seinen Wert, nicht aber das Einreihen in ein festes Gesetz der Gesamtentwicklung. Wenn auch die Arbeit im XIX. Jahrhundert in eine neue Phase getreten ist, so geht ihr doch die Energie ab, es ist kein Verdienst mehr, sondern eine Pflicht. Andererseits hat das neue Gesellschaftsleben jegliche Leidenschaft aus dem Dasein verbannt. An ihre Stelle tritt das Scheinheiligtum. Man ist bestrebt seinem Nächsten so wenig wie möglich sein eigenes Innere, sein Ich zu offenbaren, man sucht ihn hinter das Licht zu führen, zu „mystifier". Julien glaubt sich auch von Mathilde hintergangen, er hält sich von ihr, die ihn doch so heroisch liebt, verhöhnt. „II faut en convenir, le regard de Julien était atroce, sa physionomie hideuse, elle respirait le crime sans alliage. C'était l'homme malheureux en guerre avec toute la société. , Aux armes!" Nach Besprechung der verschiedenen Arten von Lust- und Unlustgefühlen, der auf Furcht, Zorn oder Selbstbewufstsein beruhenden Gefühle, bliebe noch übrig, einen Blick zu werfen auf intellektuelle, religiöse, soziale und ästhetische Gefühle. Wohl würde uns die Liebe interessieren, ihre Auffassung und Behandlung von Seiten Stendhals in seinem Leben und seinen Werken, aber das würde uns zu weit führen, und ich mufs mir eine Abhandlung darüber für später vorbehalten. Nur mit wenig Worten habe ich der Liebe in ,Le Rouge et le Noir', anschließend an den Abschnitt über das Selbstbewufstsein, Erwähnung getan. Bemerken mufs ich, dafs die Liebe Fabricens nichts gemein hat mit der Juliens, wie ja schon aus der verschiedenen Veranlagung des Italieners ohne weiteres folgt.

Schill fs. Werfen wir am Ende unserer Betrachtung noch einen kurzen Blick zurück, so ergibt sich uns folgendes Bild. Wir erfahren ein doppeltes: Einmal lernen wir das seelische Leben Stendhals von manchen Gesichtspunkten aus näher kennen. Stendhal schreibt, als er schon älter ist. Nachdem er eine stürmische Jugendzeit hinter sich hatte, machte er sich ein Vergnügen daraus, seine Erfahrungen und Erlebnisse schriftstellerisch zu verwenden. Sein Mifsgeschick wollte nicht, dafs er sein gestecktes Lebensziel erreiche. Als er nach dem Sturze Napoleons sah, dafs seine Laufbahn verfehlt war, warf er die Flinte ins Korn und führte ein ziemlich kümmerliches Dasein, ohne bestimmten Beruf. Für sein Unglück machte er die anderen Menschen, seine Zeit verantwortlich. Von Kind auf ein Sonderling, hatte er das Vertrauen in die Menschheit verloren. E r , dessen Ehrgeiz so hohe Ziele verfolgte, endete als Konsul in einer kleinen, unbedeutenden italienischen Hafenstadt. Dort langweilte er sich so sehr, dafs er stets nach Rom fuhr, weshalb er zuguterletzt sogar noch diese Stellung verlor. Er war in gewisser Beziehung menschenscheu; er glaubte ständig auf seiner Hut sein zu müssen, er fürchtete seine Umgebung. Sein forschendes Auge studierte die Menschen, denn sobald er diese genau kannte, hoffte er, sich genügend gegen diese verteidigen zu können. Aber der Jugendmut, die Leidenschaft legte sich allmählich, er beruhigt sich, und nach und nach kommt er zur Einsicht, dafs gerade dieser Ehrgeiz an seinem ganzen Unglück schuld trägt; 1 8 1 5 bis 1827 war die Zeit dieser Umformung; besonders 1 8 2 7 , als er seinen ersten Roman veröffentlichte, der ihm manchen Trost in seinem Leiden spenden mufste, war er tief niedergeschlagen. 1 8 3 0 war das Feuer erloschen, und er fühlte sich leidlich zufrieden. Ehrgeiz kannte er nicht mehr, er hatte sich in das Heer der Alltagsmenschen eingereiht. In dieser Zeit entsteht ,Le Rouge et Ie Noir', worin er nochmals seine Erinnerungen auskramt, sich sein Leben vergegenwärtigt. Jetzt fühlt er sich glücklich, und gleichsam um seinem früheren Leben einen Streich zu spielen, schickt er diesen Roman in die Welt. In Italien gibt er sich einem beschaulichen Dasein hin, er beobachtet mit ruhigem, gleichgültigem Auge, nach Befriedigung strebend, nicht mehr nach Ruhm. Zwar langweilt er sich oft, aber das drückt ihn nicht mehr

136 so nieder wie in früheren Jahren; er läfst sich leben, dem Zufall sein Schicksal überlassend. Als Resultat der Zeit innerer Seelenruhe hat er vor allem die ,Chartreuse de Parme' hinterlassen, ein Werk, in dem dieser Hafs seiner Umgebung gewichen ist. Wie die ,Chartreuse' aus verschiedenen Episoden zusammengesetzt ist, so auch die letzten Jahre Stendlials, wo ein Tag dem anderen folgte, unabhängig vom vorhergehenden, ohne ein bestimmtes Ziel im Auge zu haben. Er, der in der Jugend glaubte, in allem eine Pflicht sehen zu müssen, überliefs sich im Alter ganz dem Zufall, dort hat er nicht gefunden, was er erhoffte, hier kannte er keine Hoffnung mehr, und genofs viel. Aus der Betrachtung der Gefühle lernen wir folgendes: Wir erkennen aus ihrer Darstellung, wie Stendhal fühlte, und was er fühlte. Bei Stendhal, können wir sagen, gruppieren sich alle Gefühle während seines ersten Lebensabschnittes um das Selbstgefühl! Es schuf Lust und Unlust, und damit zusammenhängend die Gefühle der Spannung und Lösung. Von den Gemütsbewegungen treten hervor Eigenliebe, Ehrgeiz, Mut und Energie, und last not least der Hohn. Die Hoffnung existiert für diese Zeit gleichsam nicht; die Liebe spielt ebenfalls nur eine ganz untergeordnete Rolle; sie besteht hauptsächlich in der Befriedigung des Selbstbewufstseins, wenn man von dem physischen Genufs absieht, der Liebhaber wird zum Verführer. Wie wir gesehen haben, steht das Selbstbewufstsein dem Willen sehr nahe, und wir haben das Selbstgefühl geradezu mit „Willen als Gefühl" bezeichnet. Die Energie, die Stendhal suchte, ist nur in den niederen Klassen zu finden, während in den höheren Anstand und Sitte sie unmöglich gemacht haben. Bei dem Franzosen ist infolge des neuen Gesellschaftslebens das Gefühl aus seinem Rechte verdrängt worden. Stendhal verachtete diese energielcsen Menschen, d. h. er war stolz auf sich, er war sich seines eigenen inneren Wertes bewufst. Julien spiegelt klar diese Auffassung Beyles wieder, er ist der junge Beyle, wie er leibt und lebt. Wie Beyle in seinem Leben Schiffbruch gelitten hat, so auch Julien, der Ausgang ist tragisch, es ist das Ende eines heroischen Daseins. Die Zeit nach dem Zusammenbruch Beyles bot nichts mehr, also läfst er Julien eines heldenhaften Todes sterben. Der heroische Beyle war tot, der Alltagsmensch lebte weiter. Abseits von dieser Gruppe liegen die exzitierenden Gemütsbewegungen, in deren Mittelpunkt der Zorn steht. Unter ihnen nimmt die Eifersucht einen hervorragenden Platz ein. Im grofsen und ganzen können wir sagen, dafs das Verhältnis der Gefühle zueinander in der „Chartreuse" ein viel harmonischeres ist. Der Italiener ist ganz Gefühl im Gegensatz zum Franzosen Stendhals, den er als Willensmenschen, wie er sein sollte, darzustellen liebt. Diese Franzosen, wie sie nicht sind, erscheinen uns eher als Puppen, denn als Menschen. Die Ausdrucksbewegungen der Gefühle bei Franzosen und Italienern sind natürlich verschieden, sowohl der Art, als auch der

137 Intensität nach. Diese Untersuchung der Gefühle in den Romanen Stendhals zeigt uns die r e a l i s t i s c h e Tendenz, welche er in seinen Werten verfolgt. Alles, was er darstellt, ist möglichst naturgetreu. Aber er erzählt nicht alles, sondern er gibt nur einen ganz kleinen Abschnitt von dem, was ihn umgibt, wieder, und davon auch nur das, was ihm gutdünkt. Ein ungehöriges Wort zu sagen, würde er sich nie erlauben, wenn ihm auch gar nichts darüber einfällt, das moralische Empfinden seines Lesers durch seine Motivierungen und Gedankengänge zu beleidigen; das glaubt er eben verantworten zu können. Stendhal gibt einmal viel auf das Äufsere, mag er auch sonst noch so verächtlich davon sprechen, hinter dem feingekleideten, stets behandschuhten Beyle vermutet man auch nicht jene die Gesellschaft untergrabenden Gedanken! Seine nichts übertreibende Schilderung kommt seinem Werke sehr zu statten, da er hauptsächlich dadurch eine der Wirklichkeit entsprechende Wiedergabe erreicht. Entsprechen Stendhals Werke den in der Einleitung aufgestellten Anforderungen? Rufen Stoff, Form und persönlicher Gehalt eine begehrungslose Freude in uns wach? Was stellt Stendhal hauptsächlich dar? Da wir uns ausschliefslich mit der Behandlung der Gemütsbewegungen beschäftigt haben, müssen wir natürlich auch hier diese Frage, von dem Standpunkt der Gemütsbewegungen aus betrachtet, beantworten. Zwei Gemütsbewegungen sind es nun vor allem, die den Stoff seiner Romane bilden: i. Das S e l b s t g e f ü h l mit allen seinen Nuancen. Besonders in „ L e Rouge et le Noir" zieht sich die Entwicklung des Selbstgefühls wie ein roter Faden durch das ganze Werk; die „Chartreuse" ist zu zerstückelt, um sie unter eine Grundidee unterordnen zu können, aber auch dort ist das Selbstgefühl die Gemütsbewegung, die immer wieder versucht an die Oberfläche zu dringen. Daneben hebt sich noch eine andere Gemütsbewegung aus der grofsen Zahl derselben heraus, es ist 2. die E i f e r s u c h t . Wir haben gesehen, wie sozusagen keine einzige Person in Stendhals Romanen frei von diesem unangenehmen Gefühl ist. Bei der Darstellung beider schöpft Stendhal aus eigener Erfahrung. Wir haben gehört, welche Form bei ihm das Selbstbewufstsein angenommen hatte, und wir können uns aus der Art und Weise der Wiedergabe der Eifersucht in seinen Romanen ein lebhaftes Bild davon machen, wie Stendhal gerade unter dieser Leidenschaft zu leiden hatte. Was sind aber diese beiden Gemütsbewegungen? Der Stolz, die Stärkung des Selbstbewufstseins, entsteht auf Kosten der Achtung seiner Mitmenschen. Ebenso enfernt sieht der Eifersüchtige, wenn auch nicht von seiner ganzen Umgebung, so von einem Teil derselben oder von einer Person. Beide sind also ausgesprochen antisozial! solche Menschen, die von ihnen beherrscht werden, setzen sich hinweg über die Gesellschaft! Ist das aber ein Stoff, der diese begehrungslose Freude hervorrufen kann? Zwar interessiert er manchen, aber im allgemeinen müssen wir mit einem ganz entschiedenen „ N e i n "

»38 antworten. Aufser diesem „Stoff an sich" müssen wir auch noch dem Stoff im engeren Sinne Beachtung schenken, also was stellt Stendhal von den Gemütsbewegungen dar? Hauptsächlich die Ausdrucksbewegungen, ihre Begleiterscheinungen und sonstigen Wirkungen. Es sind gerade die Dinge, die wir beobachten können. Die Phantasie Stendhals ist unfruchtbar. Daraus folgt, Stendhal stellt r e a l i s t i s c h dar. Wie steht es mit der Form, die Stendhal seinem Werke gegegeben hat? Die grofsen Zusammenhänge in der Komposition seiner Werke fehlen, ausgenommen „ L e Rouge et le Noir", das sich unter Umständen als Einheit fassen läfst. Die Art des Schreibens aber, der Stil, ist bei Stendhal indifferent, „eile n'existe pas comme forme d'art". Also auch hier dieselbe Ablehnung der Stendhalschen Romane als Kunstwerke wie vorher. Endlich der persönliche Gehalt. Alle sind wir uns darüber einig geworden, dafs uns der Charakter Stendhals in vielen Dingen abstöfst, sein Egoismus allein .genügte dazu schon. Auch keine Seite seines Wesens kann ihn uns näher bringen oder seinen Charakter edler gestalten, .heroischer' in unserem Sinne. Mag Stendhal also bei einzelnen stets Sympathien finden, die Allgemeinheit wird ihm gleichgültig, teilweise sogar feindlich gegenüberstehen. Dafs ein solcher Mensch keinen Stoff auswählen kann, der bei uns ästhetische Freude weckt, ist nahezu selbstverständlich. Also auch hier dasselbe Urteil. Stendhal ist eben kein Künstler. Aber was ist Stendhal? Es wird doch keinem Menschen einfallen, den ,Psychologen' Stendhal als Gelehrten zu bezeichnen! Und warum nicht? Stendhal sieht in diesen seinen Beobachtungen nicht seinen Beruf, — dazu hätte er gar keine Geduld! — sondern er übt sich zu seinem Zeitvertreib! Stendhal ist weder Künstler noch Gelehrter, weder Soldat, noch Beamter, auf allen Gebieten hat er sich versucht, ohne aber auch nur eine Laufbahn zu Ende zu führen. Soll vielleicht sein Leben Zeugnis ablegen von der Wirkung seiner Energie? Dieses Leben spiegelt sich auch in seinen Romanen wieder. Sie sind weder Kunstwerke noch wissenschaftliche Abhandlungen. Wenn sie auch in den letzten Jahren wieder mehr hervortreten, und man glauben könnte, dafs Stendhal wieder modern werde, wie er selbst vorauszusehen vermeinte, so ist dies nur eine Täuschung; denn Stendhal bietet dem romanlesenden Publikum heute so wenig, wie vor 70, 80 Jahren. Wenn auch Literaturhistoriker, angeregt durch Nietzsche, sich mit seinen Werken in den letzten Jahren reger beschäftigen, so ist dies nicht der Erfolg, den ein Romanschriftsteller erstreben soll.

Anhang. D a man Stendhal zu d e n Romantikern zu rechnen pflegt, wollen wir zum Schlüsse n o c h einen kurzen Abschnitt der B e trachtung d e s ,sentiment d e la nature' widmen. D i e romantische Schule zeichnete sich vor allem durch eine ihr e i g e n e Behandlung der Auffassung der Natur aus, und so wird eine derartige Betrachtung ein besonderes Interesse bieten.

L e sentiment de la nature. „J'aime les champs et point l'odeur d e la boue. C e s t au milieu des arbres que l'homme est le plus heureux, tous les peuples e n ont mis dans leurs paradis, et surtout les Orientaux qui se c o n naissent e n plaisirs . . . Ainsi rapprochons-nous d e la c a m p a g n e et lisons les auteurs qui en parlent, mais c e u x qui en parlent bien et non point les amants tartufes d e la nature, c o m m e l'abbé Delille. Bernardin d e Saint Pierre a vraiment aimé les champs . . . " So schreibt Stendhal unter d e m ig. März 1803 a n seine Schwester. Grenoble ist seine Heimat, sein A u g e schaute täglich j e n e herrlichen, von S c h n e e b e d e c k t e n Gipfel der Alpen, u n d während seines g a n z e n L e b e n s hat er ihren Anblick nicht vergessen. „ A u fait, c e pays m'enchante et est d'accord avec c e qui reste encore d e romanesque dans m o n â m e ; si vraiment une Julie d ' E t a n g e existait encore, j e sens qu'on mourrait d'amour pour elle parmi ces hautes montagnes et sous c e ciel enchanteur." Inmitten weiter Wälder, in ihrer unendlichen R u h e , da flieht die V e r n u n f t , es bleibt nur , u n c œ u r ' zurück, ,pour sentir*. 1 8 1 0 beklagt Stendhal sich, dafs er mit Menschen zusammen war, welche die G e g e n d nicht beachteten, „le pays d'où j e tire m o n b o n h e u r " . A l s o Stendhal liebt die Natur, er geniefst sie. Infolge dieser Genufssucht betrachtet er aber die N a t u r ganz u n d g a r nicht v o n einem künstlerischen Standpunkt, u n d nur schöne G e g e n d e n gefallen ihm. A b e r selbst d a ist die Lust nicht v o n Dauer, die E i n d r ü c k e werden zu rasch verwischt, sodafs er z. B. die Landschaft um R o m der Schweiz vorzieht, d e n n dort wird sein A u g e stets v o n etwas Interessantem, A n g e n e h m e n a n g e z o g e n , während hier nach einem herrlichen Panorama ö d e Strecken folgen. D i e Schönheiten

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der Kunst vervollkommnen das Landschaftsbild. Stendhal geniefst auch hier intellektuell! „ L a plupart des points de vue sont dominés par quelque reste d'aqueduc ou quelques tombeaux ou ruines qui impriment à cette campagne de Rome un caractère de grandeur dont rien n'approche. Les beautés de l'art redoublent l'effet des beautés de la nature, et préviennent la satiété qui est le grand défaut du plaisir de voir des paysages. Souvent, en Suisse, un instant après l'admiration la plus vive, il se trouve qu'on s'ennuie. Ici l'âme est préoccupée de ce grand peuple qui maintenant n'est plus. Tantôt on est comme effrayé de sa puissance, on le voit qui ravage la terre; tantôt on a pitié de ses misères et de sa longue décadence. Pendant cette rêverie, les chevaux ont fait un quart de lieue; on a tourné un des plis du terrain; l'aspect du pays a changé et l'âme revient à admirer les plus sublimes paysages que présente l'Italie. Salve magna parens rerum" Promenades dans Rome, 17. Wir erkennen hier mehr einen intellektuellen Genufs, hervorgegangen aus der Reaktion gegen die Langweile. So ist es auch erklärlich, dafs diese Leidenschaft, von seiner Abenteurerlust getragen, alle Welt zu sehen, verschwindet, sobald er Mailand und das übrige Italien gesehen hatte. Alles andere „le rebute par sa grossièreté! Quand par hasard on a un cœur et une chemise, il faut vendre sa chemise pour voir les environs du lac Majeur, Santa Croce à Florence, le Vatican à Rome et le Vésuve à Naples" (19. Okt. 1 8 1 1 ) . Wie mufste Stendhal sich unglücklich fühlen auf dem Feldzuge nach Rufsland inmitten jener „manches de sabre". Wie sehnt er sich nach Italien, er sucht es auf der Karte auf und fühlt sich glücklich. Seinem Freunde Felix Faure schreibt er von Smolensk am 24. August 1 8 1 2 : „Croirais-tu que j'ai un plaisir vif à faire des affaires officielles qui ont rapport à l'Italie? J'en ai eu trois ou quatre, qui, même finies, ont occupé mon imagination comme un roman." Welch erhebenden Anblick bot das brennende Moskau, aber wie wurde es ihm vergällt; man höre, welche Unzufriedenheit aus alles seinen Briefen klingt: „Nous sortîmes de la ville, éclairée par le plus bel incendie du monde, qui formait une pyramide immense qui avait, comme les prières des fidèles, sa base sur la terre et son sommet au ciel. La lune paraissait au-dessus de cette atmosphère de flamme et de fumée. C'était un spectacle imposant, mais il aurait fallu être seul, ou entouré de gens d'esprit pour en jouir. Ce qui a gâté pour moi la campagne de Russie, c'est de l'avoir faite avec des gens qui auraient rapetissé le Colysée et la Mer de Naples." Was gefallt Stendhal an der Natur, oder besser, welche Landschaft gefällt ihm? In der Chartreuse spricht er vom Comersee, und da sagt Frau de Pietranera zu sich selbst: „ L e lac de Côme n'est point environné, comme le lac de Genève, de grandes pièces de terre bien closes et cultivées selon les meilleures méthodes, choses qui rappellent l'argent et la spéculation. Ici, de tous côtés, je vois des collines d'inégales hauteurs, couvertes de bouquets d'arbres plautés par le hasard, et que la main de l'homme n'a point

i4i encore gâtés et forcés à .rendre du revenu'. Au milieu de ces collines aux formes admirables et se précipitant vers le lac par des pentes si singulières, je puis garder toutes les illusions des descriptions du Tasse et de l'Arioste. Tout est noble et tendre, tout parle d'amour, rien ne rappelle les laideurs de la civilisation . . . Par delà ces collines dont le faîte offre des ermitages qu'on voudrait tous habiter, l'oeil étonné aperçoit les pics des Alpes, toujours couverts de neige, et leur austérité sévère lui rapelle des malheurs de la vie ce qu'il en faut pour accroître la volupté présente. L'imagination est touchée par le son lointain de la cloche de quelque petit village caché sous les arbres; ces sons, portés sur les eaux qui les adoucissent, prennent une teinte de douce mélancolie et de résignation, et semblent dire à l'homme: La vie s'enfuit, ne te montre donc point si difficile envers le bonheur qui se présente, hâte-toi de jouir. Le langage de ces lieux ravissants, et qui n'ont point de pareils au monde, rendit à la comtesse son cœur de seize ans". Die Natur soll nicht ausgebeutet werden, sobald die Zivilisation des Menschen Hand an sie legt, ist die Natur für Stendhal wertlos. Die Natur soll wirken durch ihre Schönheit, nicht durch das ihm verhafste .rapporter du revenu'. Warum machen die Bewohner von Verrières solches Aufheben von ihrer schönen Umgebung? nur weil der Gastwirt aus dem Fremden Geld herausschlagen will, „ce qui par le mécanisme de l'octroi, rapporte du revenu à la ville". Als Stendhal von den Wäldern am Comer See spricht wie von den schönsten vielleicht der ganzen Welt, fügt er hinzu: „ J e ne veux pas dire celles qui rendent le plus ,d'écus neufs* comme on dirait en Suisse, mais celles qui parlent le plus à l'âme", Ch. 153. Unangenehme Gesellschaft verdirbt ihm den Genufs an der 2. Natur, angenehme wird er schwerlich finden; in Prom. d. R. gibt er uns an, wie er zu reisen wünscht. Er will ungestört geniessen, also darf man ihn nicht zwingen, den angenehmen Gesellschafter zu spielen. „Supposez deux voyageurs bien élevés, courant le monde ensemble; chacun d'eux se fait un plaisir de sacrifier à l'autre ses petits projets de chaque jour; et, à la fin du voyage, il se trouve qu'ils se sont constamment gênés. Est-on plusieurs, veut-on voir une ville, on peut convenir d'une heure le matin pour partir ensemble. On n'attend personne; on suppose que les absents ont des raisons pour passer cette matinée seuls. En route, il est entendu que celui qui met une épingle au collet de son habit devient invisible; on ne lui parle plus. Enfin, chacun de nous pourra, sans manquer à la politesse, faire des courses seul en Italie, et même retourner en France. C'est là notre charte écrite et signée, ce matin au Colysée, au troisième étage des portiques . . . Au moyen de cette charte, nous espérons nous aimer autant au retour d'Italie qu'en y allant" Pr. d. R. 19. Hier tritt uns der Egoist Stendhal in seiner ganzen Grölse entgegen. Mag es für ihn ein Genufs sein die Natur so zu gcniefsen, er wird schwerlich einen

142 Reisebegleiter finden, es sei denn, dafs es ein eben solcher Sonderling wie Stendhal sei. Also, mit einem Worte, die Einsamkeit sucht Stendhal vor allem in der Natur neben der Belehrung. Aber diese allein dort zu suchen, wäre verkehrt, denn „dans les bois et leur vaste silence l'esprit s'en va". Im Zimmer, von allen Menschen getrennt, findet er die schönste Einsamkeit, dort fühlt er sich am glücklichsten. Er will geniefsen, scheut sich aber diesen Genufs vor den anderen zu gestehen. „II faut cacher ta supériorité et jouir seule, dans ton cabinet, à lire un livre qui t'amuse, ou dans une belle soirée, mais ne te livre pas à l'enthousiasme qui pourrait te saisir. Songe que, quelque apparence que tu trouves, tu as une main de bois à tes côtés qui ne comprendra pas, ou enviera tes jouissances. On perd son feu à vouloir le communiquer à ces morceaux de glace, il faut jouir de soi-même dans la solitude, et, à l'égard de ses amis, ne dévoiler ses pensées qu'à mesure de l'esprit qu'on leur trouve; autrement, on court le danger de leur paraître supérieur; de ce moment, on est perdu". So schreibt Stendhal an seine Schwester. 3. Welches sind nun seine Theorien über den Raum, welchen Beschreibungen der Natur in Romanen etc. einnehmen dürfen. In Rae. et Shak. sagt er: „Outre le genre sentimental . . . nous avons le sentiment véritable. Ce peuple-ci a découvert tout nouvellement les beautés de la nature. Elles étaient encore presque entièrement inconnues à Voltaire; Rousseau les mit à la mode, en les exagérant avec sa rhétorique ordinaire. On en trouve le vrai sentiment dans Walter Scott, quoique ses descriptions me semblent souvent longues, surtout lorsqu'elles viennent se placer au milieu de scènes passionnées . . . Comme du temps de Shakespeare, de Molière, l'on n'avait pas encore découvert ces beautés de la nature, leur sentiment manque dans ces ouvrages. Cela leur donne un effet sec. . . ." 88. Schriftsteller, wie la Bruyère, Pascal, Duclos, Voltaire kamen niemals auch nur auf die Idee, die Natur zu beschreiben. Seine Zeit hat diesen Mangel zwar erkannt, aber sie ist von einem Extrem ins andere gefallen, sie übertreibt jene Schilderungen. „Espérons que nous nous corrigerons de la prose sentimentale de M me de Staël comme des descriptions du chantre des .Jardins' et que nous en viendrons à ne parler des aspects touchants de la nature que quand notre cœur nous laisse assez de sang-froid pour les remarquer et en jouir. A chaque instant Walter Scott interrompt et soutient le dialogue par la .description', quelquefois même d'une manière impatiente, . . . mais lorsqu'elle est bien placée, elle laisse l'âme dans un état d'émotion qui la prépare merveilleusement à se laisser toucher par le plus simple dialogue; et c'est à l'aide de ses admirables descriptions que Walter Scott a pu avoir l'audace d'être simple, abandonner le ton de rhéteur que Jean-Jacques et tant d'autres avaient mis à la mode dans le roman, et enfin oser risquer des dialogues aussi vrais que la nature" Rossini, 47.

143 Um die frühere Art der Darstellung zu vervollkommnen, deshalb will Stendhal diese Schilderungen. Sie sollen dazu beitragen, die trockene Erzählung von Tatsachen plastischer zu gestalten. Ihre Rolle bleibt also stets eine untergeordnete, aber trotzdem, sie dürfen nicht fehlen. Mäfsigung ist am Platze. Er drängt also auf genauere Darstellung der Natur und Umgebung, um damit r e a l i s t i s c h e r zu wirken. Nicht sollen wir es dabei machen wie Chateaubriand, „qui dépeint la campagne de Rome d'après celle de Babylone" (19. Sept. 1807), sondern „en décrivant un homme, une femme, un site, songez toujours à quelqu'un, à quelque chose de réel" (4. Mai 1834). Die Hauptsache bleibt die Darstellung der Personen, die Schilderung der Natur bildet den nötigen Hintergrund. Wie verwendet Stendhal also die Natur resp. die Umgebung 4. in seinen Werken? Wir wissen, welchen breiten Raum damals Milieuschilderungen einnahmen, treffen wir solche auch bei Stendhal an? Der Reihe nach wollen wir Stendhals Hauptromane durchgehen, um zu sehen, ob sich vielleicht ein Unterschied in der Behandlung zeigt. Häufig fingen die Romane mit einer Milieuschilderung an, um so aus ihrer Umgebung schon dem Leser die einzelnen Charaktere erklärlicher zu machen. Wie ist dies in Armance? Wir lernen ganz genau den Salon des Hauses Malivert kennen: „Le salon si noblement décoré, mais si sombre, de l'hôtel de Malivert. Une teinture de velour vert, surchargé d'ornements dorés, semblait faite exprès pour absorber toute la lumière que pouvaient fournir deux immenses croisées garnies de glaces au lieu de vitres . . . une rangée de tilleuls taillés régulièrement trois fois par an, en garnissait le fond, et leurs formes immobiles semblaient une image vivante de la vie morale de la famille." Als Octave sich wieder mit Armance versöhnt, als der Frühling der Liebe in sein Herz einzog, war „une des plus belles journées du mois d'avril. L e printemps s'annonçait par une brise délicieuse et des bouffées de chaleur", wie entsprechen diese Anflüge von Hitze so treffend den folgenden Erregungen von Octave und Armance, und an einem A b e n d , „après une journée d'accablante chaleur", macht Octave endlich die ersten Geständnisse seiner Liebe. Beim Erwachen in den Armen des Bauern im Walde, da jagen sich seine Gedanken, er weifs nicht, wo er ist, sein Geist ist verschleiert, „il voyait de grandes masses arrondies de brouillards qui passaient rapidement devant lui." Überall finden wir diese Übereinstimmung von Gemütszustand und Umgebung, aber wir können uns nicht verhehlen, dafs all diese äufseren Begleiterscheinungen etwas trockenes, steifes, kartonartiges an sich tragen, man merkt, sie sind dem Gemütszustand nachträglich angepafst, für sie besonders hergerichtet. Hier schreibt noch der Anfänger. Wenn diese Schilderungen infolge des Mafshaltens Stendhals sich dem Leser nicht gerade aufdrängen, so sind sie trotzdem nicht so innig mit der Handlung verbunden, dafs sie ein organisches Ganze mit ihr bilden, sie ergänzen nicht das realistische Bild der Handlung.

144 Nur eine Stelle ist bemerkenswert, wo wir die individuelle Auffassung der Umgebung deutlich erkennen; je nach unserer Gemütsstimmung betrachten wir das, was uns umgibt. Vgl. Arm. 65. Octave erwartet sehnsüchtig Armance, und als sie nicht kommt, sieht er in ihrer Abwesenheit seine Verurteilung. „En sortant de l'hôtel de Bonnivet, le vestibule, la façade, le marbre noir au-dessus de la porte, le mur antique du jardin, toutes ces choses assez communes, lui semblèrent avoir une physionomie particulière, qu'elles devaient à la colère d'Armance. Ces formes vulgaires devinrent chères à Octave par la mélancolie qu'elles lui inspiraient." 5. Im ersten Buch von le Rouge et le Noir finden wir an verschiedenen Stellen innige Beziehungen zwischen Natur und Personen. Von Julien haben wir schon gehört, wie der Ehrgeiz ihn für alles unempfindlich macht, also auch für die Natur, dieser ,sentiment de la nature' besteht bei ihm von Hause aus nicht, seine Familie allein hat ihm schon den Genufs an den Schönheiten der Natur genommen. Als er unterwegs ist, nach seinem Triumphe über Herrn de Renal, zum Pfarrer Chélan, „il fut presque sensible un moment à la beauté ravissante des bois au milieu desquels il marchait," und als er auf schmalem Saumpfad weiterzieht, kommt er nach einem gewaltigen Felsen, ,où il se trouva bien sûr d'être séparé de tous les hommes. Cette position physique le fit sourire, elle lui peignait la position qu'il brûlait d'atteindre au moral." Nachdem er sich gehörig die beiden Siege des Tages vergegenwärtigt hat, da richtet er die Blicke zum Himmelsgewölbe, das im Glanz der Augustsonne wiederschien. „Les cigales chantaient dans le champ au-dessous du rocher, quand elles se taisaient, tout était silence autour de lui. 11 voyait à ses pieds vingt lieues de pays. Quelque épervier parti des grandes roches au-dessus de sa tête était aperçu par lui — wie treffend sind hier au-dessus und audessous verteilt — de temps à autre, décrivant en silence ses cercles immenses. L'œil de Julien suivait machinalement l'oiseau de proie. Ses mouvements tranquilles et puissants le frappaient; il enviait cette force, il enviait cet isolement. C'était la destinée de Napoléon; serait-ce un jour la sienne?" I, 62. Wie grofsartig ist diese Situation geschildert, und wie vorteilhaft ist das Verhältnis zwischen Juliens Charakter und der Natur getroffen, jeder Ausdruck ist so bestimmt, jedes Wort ist so mit der Veranlagung Juliens, d. h. Beyles, übereinstimmend, dafs wir annehmen müssen, dafs Stendhal ein eigenes Erlebnis wiedergibt, zumal da sich dieselbe Situation und genau dieselbe Schilderung acht Seiten danach wiederholt. Wir erkennen hier deutlich den Mangel an der nötigen Gelenkigkeit bei Stendhal. Wieder erreicht Julien die Höhe, und wieder ruft sie in ihm das Bewufstsein hervor: „ J e suis libre. Au son de ce grand mot son âme s'exalta, son hypocrisie faisait qu'il n'était pas libre même chez Fonqué." Wie deckt sich diese Idee Juliens mit dem Vorschlag Stendhals über die Art zu reisen, auch ihm ist die Unter-

»45 haltung oft zu viel, er will nur reden, wenn es ihm gefallt. Das eigene Ich ist das Mafs aller Dinge. Wie sähe es mit uns aus, wenn wir nur sprechen wollten, wenn es uns behagt, vielleicht könnten wir lange warten, bis einmal zwei Individuen zu gleicher Zeit Lust dazu hätten. Die Unlust des einen, dafs der andere nicht sprechen will, würde wohl für gewöhnlich jedes andere Gefühl überwiegen, wenigstens bei normalen Menschen, aber Sonderlinge gibt es eben überall. Nur in solch egoistischen Köpfen wie Julien und Stendhal können solche Ideen Platz greifen. Julien liebt die Felsen, denn dort fühlt er sich frei I, 50. Wenn Julien für die Natur fühlt, so hat er vorerst seinen Ehrgeiz ausgeschaltet L. 65. Auch hier finden wir die Begleiterscheinungen des Wetters in spannenden Augenblicken. So will z. B. Julien die Hand Frau de Renais ergreifen, „le soleil en baissant et rapprochant le moment décisif, fit battre le cœur de Julien d'une façon singulière. La nuit vint. Il observa avec une joie qui lui ôta un poids immense de dessus la poitrine, qu'elle serait fort obscure. Le ciel chargé de gros nuages, promenés par un vent très chaud, semblait annoncer une tempête. Les deux amies jouissaient de ce temps, qui pour certaines âmes délicates semble augmenter le plaisir d'aimer." Das Wetter stimmt genau überein mit dem Gemütszustande Juliens, zugleich wird es aber in den Dienst der Handlung gestellt; hier verfolgt Stendhal mit der Schilderung der Natur einen Zweck, sie dient nicht als .Füllsel', sondern neben der Ausschmückung der Handlung zur Erklärung besonderer Umstände. Gerade durch dieses Indienststellen der Natur in die Entwicklung der Handlung und ferner in die Erklärung der Charaktere wird Stendhal der Gründer der Milieutheorie. Er hat den engen Zusammenhang zwischen Boden, Klima und Individuum erkannt. Im zweiten Teil von L e Rouge et le Noir fehlen leider diese Einwirkungen. Gegen Ende fallen sämtliche Werke Stendhals ab und so nimmt es uns gar nicht wunder, wenn er hier wieder in die platte Art der Darstellung verfallt. E s ist die Folge der von Stendhal so sehr gerühmten Energie. Die Gerichtssitzung neigt sich dem Ende zu, „la fatigue générale commença à jeter du calme dans l'assemblée. Ce moment était solennel; les lumières jetaient moins d'éclat" II, 2 3 1 , oder scheint den ermüdeten Augen vielleicht das Licht schwächer? dann hat Stendhal seine gewohnte Genauigkeit aufgegeben, weil alsdann ,les yeux' oder sonst etwas körperliches Subjekt sein müfste. Erwähnen möchte ich noch die meisterhaften Schilderungen vom Kloster (I, 1 0 1 ) und vom Seminar (II, 67). Sie geben dem Werke ein gefälligeres Äufsere, wenn zwar auch ein Ausdruck wie „une petite porte, surmontée d'une grande croix de cimetière en bois blanc peint en noir" selbst den flüchtigen Leser zum Lachen reizen mufs. Aus der Chartreuse habe ich schon die meisten in Betracht kommenden Stellen angeführt. Auch hier finden wir einen solchen Einflufs des Wetters wie in ,Le Rouge et le Noir', das zugleich zur Illustrierung und Motivierung der

146 Handlung dient. „ P a r malheur pour le comte, ce soir-là le temps était chaud, étouffé, annonçant la tempête, de ces temps, en un mot, qui, dans ces pays-là, portent aux résolutions extrêmes", Ch. 128. Blicken wir nochmals zurück, so erkennen wir in aller Schärfe das innige Verhältnis zwischen den Ideen unseres Schriftstellers und den Ausführungen in seinen Werken, oder mit anderen Worten, wir können uns aus den Werken Stendhals ein Bild machen von der Persönlichkeit Beyles. Wenn wir auch nicht alles als bare Münze annehmen dürfen, so läfst Form und Ausdrucksweise jedoch stets den inneren Menschen erkennen, und was wir hier an einem Beispiel deutlich gesehen, dürfen wir auch auf andere Stellen übertragen, allerdings mit der nötigen Reserve, die bei jeder Analogiebildung zu beachten ist.

Druck von Ehrhardt Karris, Hille a. ä. S.

Verlag von Max Niemeyer in Halle a. S. Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie, h e r a u s g e g e b e n von

G u s t a v G r ö b e r und E r n s t H o e p f f n e r . gr. 8. 1. Sainéan, Lazare, La eréation métaphorique en français et en roman. Images tirées du monde des animaux domestiques. Le chat, avec un appendice sur la fouine, le singe et les strigiens. 1905. VI, 148 S. Abonnementspreis Jt 4,—; Einzelpreises,— 2. Skok, P e t e r , Die mit den Suffixen -äcum, -änum, -ascum und -uscum gebildeten südfranzösischen Ortsnamen. 1906. VIII, 228 S. Abonnementspreis Ji 8,—; Einzelpreis Jt 10,— 3. F r e d e n h a g e n , Hermann, Ueber den Gebrauch des Artikels in der französischen Prosa des XIII. Jahrhunderts, mit Berücksichtigung des neufranzösischen Sprachgebrauchs. Ein Beitrag zur historischen Syntax des Französischen. 1906. XII, 196 S. Abonnementspreis Jt 5,— ; Einzelpreis Jt 6,50 4. de Roche, Charles, Les noms de lieu de la vallée Moutier-Grandval (Jura bernois). Étude toponomastiqne. 1906. 47 S. Abonnementspreis Ji 1,60; Einzelpreis Jt 2,— 5. Goidânich, Pietro Gabriele, L'origine e le forme della dittongazione romanza. — Le qualità d' accento in sillaba mediana nelle lingue indeuropee. 1907. 218 S. Abonnementspreis Jihfiü-, Einzelpreis Ji 7,— 6. Schuchardt, Hugo, Baskisch und Romanisch (zu de Azkues baskischem Wörterbuch, I. Band). 1906. 61 S. Abonnementspreis Jk 2,— ; Einzelpreis JL 2,40 7. Hetzer, Kurt, Die Reichenauer Glossen. Textkritische und sprachliehe Untersuchungen zur Kenntnis des vorliterarischen Französisch. 1906. X, 191 S. Abonnementspreis Jt 5,—; Einzelpreis Ji 6,50

8. Meyer, Rudolf A d e l b e r t , Französische Lieder aus der Florentiner Handschrift Strozzi-Magliabecchiana CL. VII. 1040. Versuch einer kritischen Ausgabe. 1907. X, 114 S. Abonnementspreis Jk 3,20 ; Einzelpreis Jt 4,— 9. S e t t e g a s t , F., Floovant und Julian. Nebst einem Anhang Uber die Oktaviansage. 1906. 67 S. Abonnementspreis Jt 2,— ; Einzelpreis Ji 2,40 10. Sainéan, Lazare, La création métaphorique en français et en roman. Images tirées du monde des animaux domestiques. Le chien et le porc avec des appendices sur le loup, le renard et les batraciens. 1907. VI, 174 S. Abonnementspreis Ji 4,40; Einzelpreis Jt. 5,50 H. N e u m a n n - R i t t e r von S p a l l a r t , A., Weitere Beiträge zur Charakteristik des Dialektes der Marche. 1907. VIII, 89 S. Abonnementspreis Jt 2,40 ; Einzelpreis Ji 3,— 12. W a g n e r , Max L e o p o l d , Lautlehre der südsardischen Mundarten mit besonderer Beriicksir tigung der um den Gennargentu gesprochenen Varietäten. Mit 11 Karten. 1907. XI, 88 S. Abonnementspreis Ji 4,80 ; Einzelpreis Jt 6,—

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13. E w a l d , F r a n z , Die Schreibweise in der autographischen Handschrift des „Canzoniere" Petrarcas (Cod. Vat. Lat. 3195). 1907. VIII, 68 S. Abonnementspreis Jk 2,—; Einzelpreis Ji 2,60 14. J o r d a n , L e o , Ueber Boeve de Hanstone. 1908. VIII, 107 S. Abonnementspreis Jt 2,80 ; Einzelpreis Jk 3,60 15. R ö h r s h e i m , L u d w i g , Die Sprache des Fra Guittone von Arezzo. (Lautlehre.) 1908. VIII, 94 S. Abonnementspreis Ji 2,80 ; Einzelpreis Jk 3,60 16. J a c o b i u s , H e l e n e , Die Erziehung des Edelfräuleins im alten Frankreich. Nach Dichtungen des XII., XIII. und XIV. Jahrhunderts. 1908. 80 S. Abonnementspreis Jt. 1— ; Einzelpreis Jk 2,60 17. S o m m e r , H. O s k a r , Messire Robert de Borron und der Verfasser des Didot-Perceval. Ein Beitrag zur Kritik der Graal-Romane. 1908. 53 S. Abonnementspreis Ji 1,60; Einzelpreis Jk 2,— 18. T h o m a s , L u c i e n - P a u l , Le lyrisme et la préeiosité cultistes en Espagne. Ètude historique et analytique. 1909. 191 S. Abonnementspreis Jt 6,—; Einzelpreis Jk 8,— 19. B o j e , C h r i s t i a n , Ueber den altfranzösischen Roman von Beuve de Hamtone. 1909. VII, 145 S. Abonnementspreis Jk 4,—; Einzelpreis Jk 5,— 20. Bertoni, Giulio, Il laudario dei Battuli di Modena. Con una tavola fuori testo. 1909. XXXII, 103S. Abonnementspreis Jk 3,60; Einzelpreis Jk 5,— 21. B e n e d e t t o , Luigi Foscolo, Il „Roman de la Rose" e la letteratura italiana. 1910. VI, 260 S. Abonnementspreis Jk 8,— ; Einzelpreis Jk 10,— 22. W i l k e , Wilhelm, Die französischen Verkehrsstrassen nach den chansons de geste. 1910. X, 90 S. Mit einer Karte. Abonnementspreis Ji 3,—; Einzelpreis Jk 4,— 23. Semrau, F r a n z , Würfel und Würfelspiel im alten Frankreich. 1910. XVIII, 164 S. Abonnementspreis Jk 5,— ; Einzelpreis J i 6,50 24. G i e r a c h , E r i c h , Synkope und Lautabstufung. Ein Beitrag zur Lautgeschichte des vorliterarischen Französisch. 1910. X, 194 S. Abonnementspreis Ji 5,60; Einzelpreis Ji 7,— 25. H ä m e l , A d a l b e r t , Der Cid im spanischen Drama des XVI. und XVII. Jahrhunderts. 1910. X, 169 S. Abonnementspreis Ji 4,60 ; Einzelpreis Ji 6,— 26. Prinzipienfragen der romanischen Sprachwissenschaft. Wilhelm Meyer-Lübke zur Feier der Vollendung seines 50. Lehrsemesters und seines 50. Lebensjahres gewidmet. Teil I: Karl v. E t t m a y e r , Benötigen wir eine wissenschaftlich deskriptive Grammatik? — S e x t i l Puscariu, Zur Rekonstruktion des Urrumänischen. — Eugen Herzog, Das -to-Partizip im Altromanischen. — Margarete Rösler, Das Vigesimalsystem im Romanischen. 1910. XII, 213 S. Abonnementspreis Jk 6,—; Einzelpreis Jk 8,—

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27. Prinzipienfragen der romanischen Sprachwissenschaft. Teil II: P e t e r Skok, Die Verbalkomposition in der romanischen Toponomastik. — Elise R i c h t e r , Der innere Zusammenhang in der Entwicklung der romanischen Sprachen. — Alice S p e r b e r , Zur Bildung romanischer Kindernamen. — E r n s t Gamillscheg, üeber Lautsubstitution. 1911. 201 S. Abonnementspreis Jt 6,— ; Einzelpreis Ji 8,— 28. Prinzipienfragen der romanischen Sprachwissenschaft. Teil III: Matteo Giulio B a r t o l i , Alle fonti del neolatino. — Carlo B a t t i s t i , Sulla dentale intervocale. — J u l i u s Subak, Grammatikalische und stilistische Untersuchung der Anredeformen. — G i u s e p p e Vidossich, Le teorie dello Stile. (In Vorbereitung) 29. Spitzer, Leo, Die Wortbildung als stilistisches Mittel exemplifiziert an Rabelais. Nebst einem Anhang über die Wortbildung bei Balzac in seinen „Contes drolatiques". 1910. 157 S. Abonnementspreis Ji 4,—; Einzelpreis Ji 5,— 30. Schächtelin, P., Das Passé défini und Imparfait im Altfranzösischen. 1911. VII, 83 S. Abonnementspreis J i 2,40; Einzelpreis Ji 3,— 31. W e d k i e w i e z , Stanislaus, Materialien zu einer Syntax der italienischen Bedingungssätze. 1911. X, 112 S. Abonnementspreis Ji 3,60; Einzelpreis Ji 4,50 32. Munke, B e r n h a r d , Die Vita Sancti Honorati. Nach drei Handschriften herausgegeben. Nebst Untersuchungen über das Verhältnis zu Raimon Feraut von Wilhelm S c h ä f e r und über die Ortsnamen beider Texte von Adolf K r e t t e k . Mit 2 Faksimile und 2 Landkarten. 1911. VIII, 2U5 S. Abonnementspreis Ji 6,50; Einzelpreis M 8,— 33. Koehler, Gustav, Der Dandysmus im französischen Roman des XIX. Jahrhunderts. 1911. V, 79 S. Abonnementspreis 2,40; Einzelpreis Ji 3,60 34. R e m p p i s , Max, Die Vorstellungen von Deutschland im altfranzösischen Heldenepos und Roman und ihre Quellen. 1911. XVI, lf 9 S. Abonnementspreis Ji 5,—; Einzelpreis Ji 6,— 35. K ö r v e r , Carl, Stendhal und der Ausdruck der Gemütsbewegungen in seinen Werken. 1912. VII, 146 S. Abonnementspreis J& 4,—; Einzelpreis Ji 5,— D r u c k von E h r h a r d t Karras, Halle a. S.