StaRUG: Kommentar 9783504387617

Die Erstauflage dieses Werkes liefert eine umfassende Kommentierung des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierun

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StaRUG: Kommentar
 9783504387617

Table of contents :
Bearbeiterverzeichnis
Vorwort
Bearbeiterverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Allgemeines Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG)
Teil 1 Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement (§ 1)
Teil 2 Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (§§ 2-93)
Kapitel 1 Restrukturierungsplan (§§ 2-16)
Abschnitt 1 Gestaltung von Rechtsverhältnissen (§§ 2-4)
Abschnitt 2 Anforderungen an den Restrukturierungsplan (§§ 5-16)
Abschnitt 3 Planabstimmung (§§ 17-28)
Unterabschnitt1 Planangebot und Planannahme (§§ 17-23)
Unterabschnitt 2 Stimmrecht und erforderliche Mehrheiten (§§ 24-28)
Kapitel2 Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente (§§ 29-72)
Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen (§§ 29-44)
Unterabschnitt 1 Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens; Verfahren (§§ 29-41)
Unterabschnitt 2 Restrukturierungsrecht (§§ 42-44)
Abschnitt 2 Gerichtliche Planabstimmung (§§ 45-46)
Abschnitt 3 Vorprüfung (§§ 47-48)
Abschnitt 4 Stabilisierung (§§ 49-59)
Abschnitt 5 Planbestätigung (§§ 60-72)
Unterabschnitt 1 Bestätigungsverfahren (§§ 60-66)
Unterabschnitt 2 Wirkungen des bestätigten Plans; Überwachung der Planerfüllung (§§ 67-72)
Kapitel 3 Restrukturierungsbeauftragter (§§ 73-83)
Abschnitt 1 Bestellung von Amts wegen (§§ 73-76)
Abschnitt 2 Bestellung auf Antrag (§§ 77-79)
Abschnitt 3 Vergütung (§§ 80-83)
Kapitel 4 Öffentliche Restrukturierungssachen (§§ 84-88)
Kapitel 5 Anfechtungs- und Haftungsrecht (§§ 89-91)
Kapitel 6 Arbeitnehmerbeteiligung; Gläubigerbeirat (§§ 92-93)
Teil 3 Sanierungsmoderation (§§ 94-100)
Teil 4 Frühwarnsysteme (§§ 101-102)
Steuerrecht; Ausländische Sanierungsverfahren (GB, NL)
Stichwortverzeichnis

Citation preview

Seibt ⁄ Westpfahl StaRUG · Kommentar

.

StaRUG

Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz

Kommentar Mit systematischen Darstellungen zu Restrukturierungsverfahren in den Niederlanden und Großbritannien und zum Steuerrecht herausgegeben von

RA Prof. Dr. Christoph H. Seibt, LL.M. (Yale) und

RA Dr. Lars Westpfahl 2023

.

Bearbeiterverzeichnis Catherine Balmond Solicitor, London Dr. Caspar Behme Privatdozent Universität Mainz Stephanie Bender, LL.M. (Georgetown) Solicitor, Hamburg Michael Broeders Rechtsanwalt, Amsterdam Katharina Crinson Rechtsanwältin, London Dr. Volker von Danckelmann Rechtsanwalt, Stuttgart Dr. Gunter Deppenkemper, LL.M., LL.M. (Osnabrück) Richter (waR) am AG Mannheim, Privatdozent, Universität Osnabrück Dr. Boris Dzida Rechtsanwalt, Hamburg Dr. Tobias Franz, M.Jur. (Oxford) Rechtsanwalt, Steuerberater, Hamburg Prof. Dr. Markus Gehrlein Richter am BGH a.D., Honorarprofessor Universität Mannheim Arndt Geiwitz Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Neu-Ulm Frank Grell, LL.M. (San Diego) Rechtsanwalt, Hamburg Dr. Franz Bernhard Herding Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Prof. Dr. habil. Gerrit Hölzle Rechtsanwalt, Bremen Dr. Ulrich Klockenbrink, LL.M. (Virginia), Executive MBA Rechtsanwalt, Hamburg

Dr. Stefan Korch, LL.M. (Harvard) Wissenschaftlicher Referent, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg Dr. Jonah Krafczyk Juristischer Mitarbeiter, Frankfurt am Main Dr. Johannes Lappe Rechtsanwalt, München Prof. Dr. Peter Mankowski † Universität Hamburg Dr. Nicholas R. Palenker Rechtsanwalt, Berlin Dr. Josef Parzinger Rechtsanwalt, München Dr. Christian Ruoff, LL.M. (Duke University) Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht, Attorney-at-law (N.Y.), Hamburg Dr. Hauke Sattler Rechtsanwalt, Hamburg Simone Schönen Rechtsanwältin, Hamburg Annika Schulenberg Rechtsanwältin, Bremen Prof. Dr. Christoph H. Seibt, LL.M. (Yale) Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Attorney-at-law (New York), Honorarprofessor an der Bucerius Law School - Hochschule für Rechtswissenschaft, Hamburg Dr. Lars Westpfahl Rechtsanwalt, Hamburg

Zitiervorschlag: Bearbeiter in Seibt/Westpfahl, StaRUG, 2023, § … Rz. …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-32219-9 © 2023 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: PMGi – Agentur für intelligente Medien GmbH, Hamm Druck und Verarbeitung: C.H.Beck, Nördlingen Printed in Germany

Vorwort Mit dieser Erstauflage legen wir eine umfassende Kommentierung des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) vom 22.12.2020 vor. Dieses StaRUG regelt ein neues außerinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren, mit dem die bisherige Lücke zwischen dem Bereich der freien, dafür aber auf den Konsens aller Beteiligten angewiesenen Sanierung einerseits und dem gerichtsbegleitenden Insolvenzplanverfahren andererseits geschlossen wird. Wir haben, mit unterschiedlichen rechtlichen Spezialisierungen als Hintergrund, aber häufig in gemeinsam geführten Restrukturierungsmandaten, die Notwendigkeit für ein außerinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren gesehen und es, jeder auf seine Weise und zuweilen auch gemeinsam, seit etwa 20 Jahren wissenschaftlich vorbereitet und dafür rechtspolitisch plädiert. Deswegen ist es uns eine Herzensangelegenheit, diesen gleichermaßen wissenschaftlich-kritisch ausgerichteten sowie Praxis-vorausdenkenden Kommentar herauszugeben, in dem das StaRUG nicht als bloßer Annex zum Insolvenzrecht verstanden wird, sondern als ein eigenständiges Rechtsgebiet, das auch das Sanierungsgesellschafts- und das Sanierungsfinanzierungsrecht immer mitberücksichtigt. Zudem ist es uns wichtig, dass bei allen Vorschriften die unionsrechtliche Grundlage analysiert und auch die Praxis der Restrukturierungsverfahren in anderen Jurisdiktionen, insbesondere in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich, sowie steuerrechtliche Aspekte in den Blick genommen werden. Wenngleich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung erst ca. 25 StaRUG-Restrukturierungsfälle bekannt geworden sind, sind wir von der enormen wirtschaftlichen Bedeutung des StaRUGRegimes überzeugt. Dabei geht es nicht nur um eine perspektivisch steigende Zahl von StaRUG-Restrukturierungsfällen selbst, sondern vor allem auch um die Druckwirkung des nun bestehenden StaRUG-Verfahrens für die Durchführung konsensualer Sanierungen außerhalb der Insolvenz. Dieser Kommentar ist ein großes Gemeinschaftswerk, das einzelne so nicht hätten erschaffen können. Wir möchten deshalb an dieser Stelle zuerst den Autoren danken, die allesamt anerkannte Experten im Sanierungsrecht sind, die wir jeweils aus langjähriger Zusammenarbeit bei wissenschaftlichen Projekten oder aus Sanierungsmandaten kennen und hier im Hinblick auf ihre jeweiligen Spezialkenntnisse mitwirken: in- und ausländische Rechtsanwälte, Richter, Notare und Hochschullehrer, jeder mit dem erforderlichen Praxisbezug bei gleichzeitigem Anspruch auf höchste wissenschaftliche Seriosität. Sie alle haben bereitwillig Sachverstand, praktisches Know-how und langjährige Erfahrungen aus der Sanierungsberatung zur Verfügung gestellt und großartige Arbeit geleistet, in hervorragender Zusammenarbeit mit uns und dem Verlag sowie ganz offenbar mit Interesse und Freude an den schwierigen Problemstellungen. Wir möchten uns dann beim Verlag Dr. Otto Schmidt, und hier insbesondere bei Frau Dr. Birgitta Peters, Frau Gundula Müller-Frank und Herrn Dr. Michel Schenk, für eine erstklassige Betreuung und Beratung bedanken, die in dieser Art heute im Verlagswesen leider nur noch selten anzutreffen ist. Last but not least bedanken wir uns bei unseren eigenen Assistentinnen, nämlich bei Frau Christin Backhaus und Frau Friederike Müller, beide bei Freshfields Bruckhaus Deringer. Der Kommentar ist auf dem Stand von Oktober 2022. Neben dem Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften konnten kurz vor Drucklegung zudem noch Änderungen durch das Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (SanInsKG) berücksichtigt werden. Ebenfalls schon eingearbeitet sind die Änderungen durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG), das zum 1.1.2024 in Kraft tritt.

VII

Vorwort

In der heutigen Zeit findet mehr und mehr eine Nutzung juristischer Werke über Datenbanken statt. Der Großkommentar findet sich daher bei juris im PartnerModul Insolvenzrecht, aber auch bei Otto Schmidt online im Beratermodul Insolvenzrecht und im Aktionsmodul Gesellschaftsrecht. Den Nutzern unseres Großkommentars wünschen wir zuverlässige und aktuelle Information und Anregung für ihre berufliche Arbeit. Über Rückmeldungen, Hinweise und Wünsche für die zweite Auflage – gerne an den Verlag ([email protected]) – würden wir uns freuen. Hamburg, im Oktober 2022 Christoph H. Seibt

VIII

Lars Westpfahl

Bearbeiterverzeichnis Balmond/Crinson Behme Broeders Deppenkemper Dzida Gehrlein Geiwitz/von Danckelmann Grell/Klockenbrink Herding/Krafczyk Hölzle Hölzle/Schulenberg Korch Mankowski † Palenker Parzinger/Lappe Ruoff/Franz Sattler Schönen/Bender Seibt Seibt/Westpfahl Westpfahl

Sanierungsverfahren in Großbritannien §§ 94−100 Sanierungsverfahren in den Niederlanden §§ 34−41 § 92 §§ 45−48 §§ 73−83 §§ 12, 72, 89−91 §§ 2−4, 29−33 §§ 5−11, 16, 44 §§ 13−15 §§ 42, 43 § 88, Anhang § 88 §§ 84−87, 93, 101 §§ 60−63 § 102, Steuerrechtliche Aspekte des StaRUG §§ 64−71 §§ 49−59 §§ 1, 7 (Abs. 4) Einführung §§ 17−28

IX

X

Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Bearbeiterverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Allgemeines Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIX

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXV

Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Teil 1 Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement (§ 1) §1

Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

Teil 2 Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (§§ 2-93) Kapitel 1 Restrukturierungsplan (§§ 2-16) Abschnitt 1 Gestaltung von Rechtsverhältnissen (§§ 2-4) §2 §3 §4

Gestaltbare Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedingte und nicht fällige Restrukturierungsforderungen; Forderungen aus gegenseitigen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgenommene Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 177 185

Abschnitt 2 Anforderungen an den Restrukturierungsplan (§§ 5-16) §5 §6 §7

Gliederung des Restrukturierungsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellender Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltender Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192 204 216 XI

Inhaltsverzeichnis

§8 §9 § 10 § 11 § 12 § 13 § 14 § 15 § 16

Auswahl der Planbetroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichbehandlung von Planbetroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere beizufügende Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Checkliste für Restrukturierungspläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite 255 270 285 292 299 320 325 336 343

Abschnitt 3 Planabstimmung (§§ 17-28) Unterabschnitt 1 Planangebot und Planannahme (§§ 17-23) § 17 § 18 § 19 § 20 § 21 § 22 § 23

Planangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslegung des Planangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annahmefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen . . . . . . . Erörterung des Restrukturierungsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentation der Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtliches Planabstimmungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

347 364 369 375 387 391 394

Unterabschnitt 2 Stimmrecht und erforderliche Mehrheiten (§§ 24-28) § 24 § 25 § 26 § 27 § 28

XII

Stimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erforderliche Mehrheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absolute Priorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchbrechung der absoluten Priorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

400 410 419 438 457

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 2 Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente (§§ 29-72) Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen (§§ 29-44) Unterabschnitt 1 Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens; Verfahren (§§ 29-41) § 29 § 30 § 31 § 32 § 33 § 34 § 35 § 36 § 37 § 38 § 39 § 40 § 41

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens . . . . . . . . . Restrukturierungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anzeige des Restrukturierungsvorhabens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufhebung der Restrukturierungssache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einheitliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppen-Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite 468 492 497 509 524 539 555 573 577 610 662 691 725

Unterabschnitt 2 Restrukturierungsrecht (§§ 42-44) § 42 § 43 § 44

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift . . . . Pflichten und Haftung der Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbot von Lösungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

745 787 834

Abschnitt 2 Gerichtliche Planabstimmung (§§ 45-46) § 45 § 46

Erörterungs- und Abstimmungstermin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorprüfungstermin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

847 856

XIII

Inhaltsverzeichnis

Abschnitt 3 Vorprüfung (§§ 47-48) § 47 § 48

Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite 863 865

Abschnitt 4 Stabilisierung (§§ 49-59) § 49 § 50 § 51 § 52 § 53 § 54 § 55 § 56 § 57 § 58 § 59

Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgeanordnung, Neuanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anordnungsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgen der Verwertungssperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertragsrechtliche Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finanzsicherheiten, Zahlungs- und Abwicklungssysteme, Liquidationsnetting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung der Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . . .

871 900 908 926 936 944 971 991 995 1005 1010

Abschnitt 5 Planbestätigung (§§ 60-72) Unterabschnitt 1 Bestätigungsverfahren (§§ 60-66) § 60 § 61 § 62 § 63 § 64 § 65 § 66

XIV

Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedingter Restrukturierungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versagung der Bestätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Minderheitenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bekanntgabe der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sofortige Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1025 1040 1050 1062 1099 1118 1124

Inhaltsverzeichnis

Unterabschnitt 2 Wirkungen des bestätigten Plans; Überwachung der Planerfüllung (§§ 67-72) § 67 § 68 § 69 § 70 § 71 § 72

Wirkungen des Restrukturierungsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige Wirkungen des Restrukturierungsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen . . . . . . . . . . . . . . Streitige Forderungen und Ausfallforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite 1138 1159 1164 1173 1181 1190

Kapitel 3 Restrukturierungsbeauftragter (§§ 73-83) Abschnitt 1 Bestellung von Amts wegen (§§ 73-76) § 73 § 74 § 75 § 76

Bestellung von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1203 1217 1224 1229

Abschnitt 2 Bestellung auf Antrag (§§ 77-79) § 77 § 78 § 79

Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestellung und Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1242 1246 1250

Abschnitt 3 Vergütung (§§ 80-83) § 80 § 81 § 82 § 83

Vergütungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Festsetzung der Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergütung in besonderen Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1251 1256 1265 1268

XV

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 4 Öffentliche Restrukturierungssachen (§§ 84-88) § 84 § 85 § 86 § 87 § 88

Antrag und erste Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliche Bekanntmachung; Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . Restrukturierungsforum; Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendbarkeit des Artikels 102c des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang zu § 88 – Restrukturierung mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 5 Anfechtungs- und Haftungsrecht (§§ 89-91) § 89 § 90 § 91

Rechtshandlungen, die während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache vorgenommen werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planfolgen und Planvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berechnung von Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 6 Arbeitnehmerbeteiligung; Gläubigerbeirat (§§ 92-93) § 92 § 93

Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . Gläubigerbeirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1498 1524

Teil 3 Sanierungsmoderation (§§ 94-100) § 94 § 95 § 96 § 97 § 98 § 99 § 100

XVI

Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sanierungsmoderation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestätigung eines Sanierungsvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übergang in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen . . . . . . . . .

1547 1563 1570 1579 1588 1593 1596

Inhaltsverzeichnis

Teil 4 Frühwarnsysteme (§§ 101-102) § 101 Informationen zu Frühwarnsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 102 Hinweis- und Warnpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Steuerrecht; Ausländische Sanierungsverfahren (GB, NL) A. Steuerrechtliche Aspekte des StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Sanierungsverfahren in Großbritannien − Scheme of arrangement and restructuring plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1639

C. Sanierungsverfahren in den Niederlanden – Dutch Scheme of arrangement (WHOA-procedure) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1681

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1717

XVII

XVIII

Allgemeines Literaturverzeichnis Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, Kommentar, 4. Aufl. 2020 Altmeppen, Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), Kommentar, 10. Aufl. 2021 Anders/Gehle, Zivilprozessordnung, Kommentar, 80. Aufl. 2022 Andres/Leithaus, Insolvenzordnung, Kommentar, 4. Aufl. 2018 Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, 2017 Bayreuther/Salamon, Kündigungsschutz und Personalanpassungen, 2021 Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017 beck-online.GROSSKOMMENTAR zum Handels- und Gesellschaftsrecht − gesamthrsg. von Henssler (zit: BeckOGK/HGB, BeckOGK/AktG – s.a. Spindler/Stilz) beck-online.GROSSKOMMENTAR zum Zivilrecht − gesamthrsg. von Gsell/Krüger/Lorenz/ Reymann (zit: BeckOGK/BGB) Beck‘sches Handbuch der GmbH − hrsg. von Prinz/Winkeljohann/Berberich, 6. Aufl. 2021 Beck'scher Online-Kommentar Handels- und Wirtschaftsrecht − hrsg. von Ziemons/Jaeger/ Pöschke (zit: BeckOK/GmbHG) Beck'scher Online-Kommentar zum StaRUG − s. Skauradszun/Fridgen Beck'scher Online-Kommentar Insolvenzrecht − hrsg. von Fridgen/Geiwitz/Göpfert (zit: BeckOK/InsR) Beck'scher Online-Kommentar Verfahrens- und Berufsrecht − hrsg. von Graf (zit: BeckOK/ GVG), von Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn (zit: BeckOK/KostenR), von Seltmann (zit: BeckOK/RVG), von Vorwerk/Wolf (zit: BeckOK/ZPO), von Löhnig/Gietl (zit. BeckOK/ZVG) Beuthien, Genossenschaftsgesetz (GenG), Kommentar, 16. Aufl. 2018 Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021 Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, Loseblatt Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2019 Bork/Schäfer, GmbHG, Kommentar, 4. Aufl. 2019 Bork/van Zwieten, Commentary on the European Insolvency Regulation, 2016 Borowski, Schuldverschreibungsgesetz (SchVG), Nomoskommentar, 1. Online Auflage 2019 Braun, Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG), Kommentar, 2021 Braun, Insolvenzordnung (InsO), Kommentar, 9. Aufl. 2022 Brinkmann, European Insolvency Regulation, Kommentar, 2019 Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020 Bürgers/Körber/Lieder, Aktiengesetz (AktG), Kommentar, 5. Aufl. 2021 Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 5. Aufl. 2022 Dauner-Lieb/Langen, Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Band 2 (Schuldrecht), Kommentar, 4. Aufl. 2021 Denkhaus/Ziegenhagen/Demisch, Konzerninsolvenzrecht, 2019 Desch, Das neue Restrukturierungsrecht – Praxisfragen des StaRUG, 2021 Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch (HGB), Band 1 (§§ 1−342e), Band 2 (§§ 343−475h), Kommentar, 4. Aufl. 2020 Eckelt, Präventiver Restrukturierungsrahmen, 2020 Eilers/Koffka/Mackensen/Paul/Josenhans, Private Equity, 4. Aufl. 2022 Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014 Eilers/Schwahn, Sanierungssteuerrecht, 2. Aufl. 2019 Ekkenga, Handbuch der AG-Finanzierung, 2. Aufl. 2019 XIX

Allgemeines Literaturverzeichnis

Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, Band 1 & 2, 6. Aufl. 2022 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2022 Erman, BGB, Band 1 & 2, Kommentar, 16. Aufl. 2020 Flöther, Konzerninsolvenzrecht, 2. Aufl. 2018 Flöther, Sanierungsrecht, 2019 Flöther, Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG), Kommentar, 2021 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 2 (Das Rechtsgeschäft), 4. Aufl. 1992 Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung – hrsg. von Wimmer, Bände 1 & 2, 9. Aufl. 2017 Frege/Keller/Riedel, Handbuch Insolvenzrecht, 9. Aufl. 2022 Frind, Praxishandbuch Privatinsolvenz, 3. Aufl. 2021 Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 9. Aufl. 2021 Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, Kommentar, 5. Aufl. 2021 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020 Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht (EuZVR), 4. Aufl. 2020 Gogger/Fuhst, Insolvenzgläubiger-Handbuch, 4. Aufl. 2020 Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020 Graf-Schlicker, Kommentar zur Insolvenzordnung (InsO), 6. Aufl. 2021 Greger/Unberath, Recht der alternativen Konfliktlösung, Kommentar, 2. Aufl. 2016 Grigoleit, Aktiengesetz (AktG), 2. Aufl. 2020 Großkommentar zum Aktiengesetz –hrsg. von Hirte/Mülbert/Roth, Band 4/1 (§§ 76−91), 5. Aufl. 2015, Band 4/2 (§§ 92−94), 5. Aufl. 2015, Band 5 (§§ 95−116), 5. Aufl. 2019 Grundmann, Bankvertragsrecht, Band 1 & 2, 2020 Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG, Großkommentar, Band 1 (Einleitung §§ 1–28), 3. Aufl. 2019, Band 2 (§§ 29–52), 3. Aufl. 2020, Band 3 (§§ 53–88 sowie EGGmbHG), 3. Aufl. 2021 Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019 Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht Kommentar, 3. Aufl. 2022 Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht – hrsg. von Andreas Schmidt, 9. Aufl. 2021 Hamburger Kommentar zum Restrukturierungsrecht – hrsg. von Andreas Schmidt, 3. Aufl. 2022 Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EU-Insolvenzverordnung (EuInsVO), Kommentar, 2005 Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Loseblatt Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Kommentar, 5. Aufl. 2021 Heß, Restrukturierung des Insolvenzrechts, 2019 Historisch Kritischer Kommentar zum BGB – hrsg. von Schmoeckel/Rückert/Zimmermann, Band 1 (Allgemeiner Teil §§ 1–240), 2003 Hölters/Weber, Aktiengesetz (AktG), Kommentar, 4. Aufl. 2022 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG – Restrukturierung vor und in der Insolvenz, 3. Aufl. 2022 Hopt, Handelsgesetzbuch, Kommentar, 41. Aufl. 2022 Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, 2017 Koch, Aktiengesetz (AktG), Kommentar, 16. Aufl. 2022 Jaeger, Insolvenzordnung (InsO), Band 1 (§§ 1−55), 2004, Band 2 (§§ 56−102), 2007, Band 7 (§§ 217−285), 2019, Band 9 (§§ 335−359, Art. 102−110 EGInsO), 2020 Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), 18. Aufl. 2021

XX

Allgemeines Literaturverzeichnis

juris PraxisKommentar BGB – hrsg. von Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth, Onlinekommentar juris PraxisKommentar Elektronischer Rechtsverkehr (ERV) – hrsg. von Ory/Weth, Onlinekommentar Kahlert/Kayser/Bornemann, Perspektiven für eine kohärente und praxisgerechte Verzahnung von Steuerrecht und Insolvenzrecht, 2020 Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2022 Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, 5. Aufl. 2021 Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, Kommentar, 4. Aufl. 2021 Kindler/Nachmann/Bitzer, Handbuch Insolvenzrecht in Europa, Loseblatt Kissel/Meyer, Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), Kommentar, 10. Aufl. 2021 Kluth/Harder/Kunz, Das neue Restrukturierungsrecht – Unternehmensrestrukturierung durch StaRUG und Eigenverwaltung, 2021 Knecht/Hommel/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, 2. Aufl. 2018 Knops/Bamberger/Lieser, Recht der Sanierungsfinanzierung, 2. Aufl. 2019 Kölner Kommentar zum Aktiengesetz – hrsg. von Zöllner/Noack, Band 2,1 (§§ 76–94), 3. Aufl. 2009, Band 2,2 (§§ 95−117), 3. Aufl. 2013, Band 3,1 (§§ 138-141), 3. Aufl. 2021 Kölner Kommentar zur Insolvenzordnung – hrsg. von Hess, Band 1 (Vor § 1, §§ 1-55), 2016, Band 4 (§§ 217−359 InsO), 3. Aufl. 2016 Kraemer/Vallender/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Loseblatt Kropholler/v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, Kommentar, 9. Aufl. 2011 Kübler, Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz (HRI), 3. Aufl. 2018 Kübler/Prütting/Bork, InsO – Kommentar zur Insolvenzordnung, Loseblatt Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 3. Aufl. 2020 Leuschner, AGB-Recht im unternehmerischen Rechtsverkehr, Kommentar, 2021 Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 20. Aufl. 2020 Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, 10. Aufl. 2018 Madaus, Der Insolvenzplan – Von seiner dogmatischen Deutung als Vertrag und seiner Fortentwicklung in eine Bestätigungsinsolvenz, 2011 Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), Band 1 & 2, 3. Aufl. 2017 Morgen, Kommentar zum Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), 2. Aufl. 2022 Morgen, Präventive Restrukturierung, Kommentar und Handbuch zur europäischen Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, 2019 Münchener Anwaltshandbuch Bank- und Kapitalmarktrecht − hrsg. von Fandrich/Karper, 2. Aufl. 2018 Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht – hrsg. von Römermann, 4. Aufl. 2018 Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung – hrsg. von Nerlich/Kreplin, 3. Aufl. 2019 Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 1 (BGB-Gesellschaft, Offene Handelsgesellschaft, Partnerschaftsgesellschaft, Partenreederei, EWIV) – hrsg. von Gummert/Weipert, 5. Aufl. 2019, Band 5 (Verein, Stiftung bürgerlichen Rechts) – hrsg. von Beuthien/ Gummert/Schöpflin, 5. Aufl. 2021 Münchener Kommentar zum Aktiengesetz (AktG) − hrsg. von Goette/Habersack/Kalss, Band 2 (§§ 76−117), 5. Aufl. 2018, Band 3 (§§ 118−178), 5. Aufl. 2022, Band 4 (§§ 179 −277), 5. Aufl. 2021 Münchener Kommentar zum Anfechtungsgesetz (AnfG) – hrsg. von Weinland, 2. Aufl. 2022

XXI

Allgemeines Literaturverzeichnis

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Allgemeines Literaturverzeichnis

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XXIII

XXIV

Abkürzungsverzeichnis a.A. Abk. ABl. EWG/EG/EU Abs. abw. abzgl. AcP a.E. AEAO AEUV a.F. AfP AG AGB AktG AktFoV allg. allg.M. Alt. Am. Bankr. L.J. AnfG Anh. Anm. AnwBl. AO ArbG ArbGG AR-Blattei SD ArbRB arg. ARUG Art., Artt. Aufl. ausf. AKostG AKostV AÜG

anderer Ansicht Abkommen Amtsblatt der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft/Gemeinschaften/Union Absatz abweichend/e/r abzüglich Archiv für die civilistische Praxis am Ende Anwendungserlass zur Abgabenordnung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Archiv für Presserecht − Zeitschrift für das gesamte Medienrecht Aktiengesellschaft; Amtsgericht(e) Allgemeine Geschäftsbedingungen Aktiengesetz Aktionärsforumsverordnung allgemein allgemeine Meinung Alternative American Bankruptcy Law Journal Anfechtungsgesetz Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrecht-Blattei Systematische Darstellung Arbeits-Rechtsberater argument Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie Artikel Auflage ausführlich Auslandskostengesetz Auslandskostenverordnung Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

BAG BAKinso Banca borsa tit. cred. BankR BayObLG BB BBiG BDI BDU beA

Bundesarbeitsgericht Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte e.V. Banca borsa e titoli di credito Bankrecht(s) Bayerisches Oberstes Landesgericht Der Betriebs-Berater Berufsbildungsgesetz Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. Bundesverband Deutscher Unternehmensberatungen Besonderes elektronisches Anwaltspostfach XXV

Abkürzungsverzeichnis

BeckBilanzKomm BeckOGK BeckOK Begr. BerHG Beil. BetrAVG BetrVG BewG BFH BFHE BFH/NV BG BGE BGB BGBl. BGH BGHZ BilanzR Bilanz-RL

BJIBFL BK BKartA BKR BMJ BMWi BNotO BORA BRAK BRAO BR-Drucks. BR-Plenarprot. BRKG Brüssel Ia-VO

BSG Bsp. bspw. BStBl. BT-Drucks. BT-Plenarprot. Buchst. Bull. Joly Sociétés XXVI

Beck'scher Bilanz-Kommentar beck-online.GROSSKOMMENTAR Beck'scher Online-Kommentar Begründung Beratungshilfegesetz Beilage Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz) Betriebsverfassungsgesetz Bewertungsgesetz Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH Schweizer Bundesgericht Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bilanzrecht Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates Text von Bedeutung für den EWR (Bilanzrichtlinie) Butterworths Journal of International Banking and Finance Law Berliner Kommentar Bundeskartellamt Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium der Justiz Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz Bundesnotarordnung Berufsordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Bundesrat-Plenarprotokoll Bundesreisekostengesetz Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Bundessozialgericht Beispiel beispielsweise Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache Bundestag-Plenarprotokoll Buchstabe Bulletin Joly des Sociétés

Abkürzungsverzeichnis

BurlG BVerfG bzgl. bzw.

Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht bezüglich beziehungsweise

Cass. Cassaz. CBIR CCZ CFL Clunet COMI

Cour de cassation Corte di Cassazione Cross-Border Insolvency Regulations Corporate Compliance Zeitschrift Corporate Finance Law Journal du Droit international Clunet Centre of main interests, Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (jetzt SanInsKG, s. dort) Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie Computer und Recht Corp Rescue Insolv Chief Restructuring Officer Centre for the Study of European Contract Law Cuadernos De Derecho Transnacional

COVInsAG CovMG CR CRI CRO CSECL Cuad. Der. Trans. D. DAV DB DCF DCGK DepotG DGVO DGVZ d.h. Dir. fall. Diss. Dok. DRiG DRiZ DSGVO DStR DZWIR

Dalloz Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb Discounted Cash Flow Deutsche Corporate Governance Kodex Depotgesetz Datenschutz-Grundverordnung Deutsche Gerichtsvollzieherzeitung das heißt Il Diritto fallimentare Dissertation Dokument Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Datenschutz-Grundverordnung Deutsches Steuerrecht Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ab 1999 Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht)

eAktVO

Verordnung des Justizministeriums zur elektronischen Aktenführung bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften Empfangsbestätigung European Business Organization Law Review Gesetz über Europäische Betriebsräte European Council on Foreign Relations exempli causa Elektronische Datenverarbeitung Elektronisches Empfangsbekenntnis

EB EBOR EBRG ECFR e.c. EDV eEB

XXVII

Abkürzungsverzeichnis

EG/EU eG EGBGB EGGVG EGInsO EGVP elDAS-VO

EIRJ EL ELI ELR EMRK EPRD ERA-Forum ErbStG ErfKomm ERV ErwGr. EStG ESUG etc. EuErbVO EuG EuGFVO EuGH EuGHVfO EuGüVO EuGVÜ EuGVVO EuInsVO EULF EuPartVO EuR Eur. Bus. L. Rev. Eur. Co. L. EuropaR EuUntVO EuZustVO EuZW e.V. EWG EWiR EWIV

XXVIII

Europäische Gemeinschaften/Europäische Union; Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft eingetragene Genossenschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG European Insolvency and Restructuring Journal Ergänzungslieferung European Law Institute European Law Reporter Europäische Menschenrechtskonvention European Preventive Restructuring Directive Journal of the Academy of European Law Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Erfurter Kommentar Elektronischer Rechtsverkehr Erwägungsgrund, Erwägungsgründe Einkommensteuergesetz Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen et cetera Europäische Erbrechtsverordnung Gericht der Europäischen Union Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen Europäischer Gerichtshof Verfahrensordnung des Gerichtshofs Europäische Güterrechtsverordnung Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (1978) s. Brüssel Ia-VO Europäische Insolvenzverordnung The European Legal Forum Verordnung für das Güterrecht eingetragener Partnerschaften Zeitschrift Europarecht European Business Law Review European Company Law Europarecht Europäischen Unterhaltsverordnung Europäischen Zustellungsverordnung Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung

Abkürzungsverzeichnis

EWIV-VO EWS EZB f., ff. FamFG FamRZ FD-InsR FF FGO FIP FK Fn. FS GBO GbR gem. GenG GeschGehG GesO GesR GesRZ GewO GewStG Gf. GG ggf. Giur. comm Giur. It. GK-BetrVG GKG GmbH GmbH & Co KG GmbHG GmbHR GnotKG GPR GroßKomm GRUR GRUR-RR GUV GVG GVGA GvKostG GV. NRW

Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Europäische Zentralbank folgende, fortfolgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachdienst Insolvenzrecht Forum Familienrecht Finanzgerichtsordnung Financiering, Zekerheden en Insolventierechtpraktijk Frankfurter Kommentar Fußnote Festschrift Grundbuchordnung Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß Genossenschaftsgesetz Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen Gesamtvollstreckungsordnung Gesellschaftsrecht Der Gesellschafter (österr. Zeitschrift) Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Geschäftsführer Grundgesetz Gegebenenfalls Giurisprudenza commerciale Giurisprudenza Italiana Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesellschaft mit beschränkter Haftung & Compagnie Kommanditgesellschaft Gesetz betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union Großkommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Rechtsprechungs-Report Gewinn- und Verlustrechnung Gerichtsverfassungsgesetz Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher Gerichtsvollzieherkostengeset Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen XXIX

Abkürzungsverzeichnis

GVO GWB

Gerichtsvollzieherordnung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

HambKomm Hdb. HFR HG HGB HGÜ Hinw. HKK h.L. h.M. HRI Hrsg. HUP

Hamburger Kommentar Handbuch Zeitschrift zur Höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung Handelsgericht (Österreich) Handelsgesetzbuch Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen Hinweis Historisch-kritischer Kommentar herrschende Lehre herrschende Meinung Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz Herausgeber Haager Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht Gesetz zur Ordnung des Handwerks Haager Zustellungsübereinkommen

HwO HZU ICCLR ICR i.d.F. i.d.R. IDW i.E. i.e.S. i.H. IHKG i.H.v IHR IIR INDat INQA insb. InsbürO insg. InsO InsoBekV InsVV InsR IO IPR IPRax IPRspr. i.R. i.R.d. i.R.v. i.S. XXX

International Company and Commercial Law Review International Corporate Rescue in der Fassung in der Regel Institut der Wirtschaftsprüfer im Ergebnis im engeren Sinne in Höhe Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern in Höhe von Internationales Handelsrecht International Insolvency Review Datenservice und Informationen zum Insolvenzgeschehen Initiative Neue Qualität der Arbeit insbesondere Zeitschrift für die Insolvenzpraxis insgesamt Insolvenzordnung Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren und Restrukturierungsverfahren im Internet Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung Insolvenzrecht(s) Insolvenzordnung (Österreich) Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts im Rahmen im Rahmen des im Rahmen von im Sinne

Abkürzungsverzeichnis

i.S.d. IStR ISU i.V.m. IZPR IZVR

im Sinne des Internationales Steuerrecht Institut für die Standardisierung von Unternehmenssanierungen in Verbindung mit Internationales Zivilprozessrecht Internationales Zivilverfahrensrecht

JBL JCP G JIBLR jM JOR JPrIL JT jurisPK jurisPR JustG NRW JVEG JVKostG JZ

Juristische Blätter (Österreich) Juris-Classeur périodique, édition générale Journal of International Banking Law and Regulation Juris − Die Monatszeitschrift Jurisprudentie Onderneming & Recht Journal of Private International Law Journal Tribunaux juris Praxiskommentar juris PraxisReport Justizgesetz Nordrhein-Westfalen Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz Justizverwaltungskostengesetz Juristenzeitung

KAGB KapitalmarktR KfW KG(aA) KMU KölnKomm KO KonzernInsR KonzernR KostenR KredReorgG krit. KSchG KSI KTS

Kapitalanlagegesetzbuch Kapitalmarktrecht Kreditanstalt für Wiederaufba Kommanditgesellschaft (auf Aktien) Kleineres oder mittleres Unternehmen Kölner Kommentar Konkursordnung Konzerninsolvenzrecht Konzernrecht Kostenrecht Gesetz zur Reorganisation von Kreditinstituten kritisch Kündigungsschutzgesetz Krisen-, Sanierungs- und Insolvenzberatung Zeitschrift für Insolvenzrecht (vormals Konkurs, Treuhand, Sanierung, davor Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen) Kostenverzeichnis Gesetz über das Kreditwesen

KV KWG LBO Lfg. LG LMA LMCLQ LMO LS LuftFzgG LugÜ

Leveraged Buy-out Lieferung Landgericht(e) Loan Market Association Lloyd's Maritime and Commercial Law Quarterly Loan Market Association Leitsatz Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen Lugano-Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen XXXI

Abkürzungsverzeichnis

MAR

MünchAnwHdb. MünchHdb. MünchKomm

Market Abuse Regulation (Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission Text von Bedeutung für den EWR) Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte Mit anderen Worten Mediationsgesetz Monatsschrift für Deutsches Recht Millionen Allgemeine Verfügung über Mitteilungen in Zivilsachen Multimedia und Recht Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz) Münchener Anwaltshandbuch Münchener Handbuch Münchener Kommentar

m.w.N. m.W.v.

mit weiteren Nachweisen mit Wirkung von

Ned. Jur. Nds. GVBl. n.F. NIBLeJ NIPR NJ NJOZ NJW NJW-RR NLCC Nomos-BR Nordic J. Int. L. NotBZ Nr./Nrn. NWB NWB Sanieren NZ NZFam NZG NZI NZKart NZS

Nederlandse Jurisprudence Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt neue Fassung Nottingham Insolvency and Business Law eJournal Nederlands Internationaal Privaatrecht Neue Justiz Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Nuove Leggi Civili Commentate NomosBundesrecht Erläuterungen Nordic Journal of International Law Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Nummer/n Neue Wirtschafts-Briefe Sanieren + Restrukturieren (Zeitschrift) Österreichische Notariatszeitung Neue Zeitschrift für Familienrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Kartellrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht

ÖBA OGH ÖJZ öKo OLG OLGR

Österreichisches BankArchiv (Österreichischer) Oberster Gerichtshof Österreichische Juristen-Zeitung Österreichische Konkursordnung Oberlandesgericht(e) OLG-Report

MaS M.a.W. MediationsG MDR Mio. MiZi MMR MoPeG

XXXII

Abkürzungsverzeichnis

OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PartG PartGG PDF PIK PKH PostG PZU

Partnerschaftsgesellschaft Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Portable Document Format Payment in kind Prozesskostenhilfe Postgesetz Postzustellungsurkunde

RabelsZ RCDIP RDG RDi RdW REDI RefE RegE ReO RestruktR Restrukturierungs-RL

RPflG r+s RSI Rspr. RVG RVG-VV RW Rz.

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue critique de droit international privé Rechtsdienstleistungsgesetz Recht Digital Österreichisches Recht der Wirtschaft Revista Española de Derecho Internacional Referentenentwurf Regierungsentwurf Restrukturierungsordnung (Österreich) Restrukturierungsrecht(s) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenzund Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) Revue des contrats Revue pratique des sociétés Revue des procédures collectives Revue des Sociétés Rivista di diritto processuale Rivista di diritto internazionale privato e processuale Recht der internationalen Wirtschaft Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Rechtspflegergesetz Recht und Schaden Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz Rechtsprechung Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Rechtskundig Weekblad Randziffer

s. S. s.a. SAFE

siehe Seite siehe auch Secure Access to Federated e-Justice/e-Government

Rev. contrats Rev. prat. sociétés Rev. proc. coll. Rev. sociétés Riv. dir. proc. Riv. dir. int. priv. proc. RIW Rom I-VO Rom II-VO

XXXIII

Abkürzungsverzeichnis

SanB SanierungsR SanInsFoG SanInsKG

Der Sanierungsberater Sanierungsrecht Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz (BGBl. I 2022, 1966, 1968, vormals COVInsAG) SCE Europäische Genossenschaft SCE-VO Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) SchiffsRG Gesetzes über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken SchlHA Die Schleswig-Holsteinische Anzeigen SchuldverschreibungsR Schuldverschreibungsrecht SchVG Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen − Schuldverschreibungsgesetz SE Societas Europaea, Europäische Gesellschaft SE-VO Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) SEAG Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) SEBG Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft SGB Sozialgesetzbuch SGG Sozialgerichtsgesetz Slg. Sammlung sog. sogenannte SprAuG Sprecherausschussgesetz StaRUG Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz StAZ Das Standesamt StBerG Steuerberatungsgesetz StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung str. streitig StUB Unternehmensteuern und Bilanzen StudZR Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft SZ Sammlung Zivilsachen (Österreich) TBH TLE TOP TranspR TvI

Tijdschrift voor Belgisch Handelsrecht Tax & Legal Excellence Tagesordnungspunkt Transportrecht Tijdschrift voor Insolventierecht

u. u.a. u.E. UG UMAG

und unter anderem unseres Erachtens Unternehmergesellschaft Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts Umwandlungsgesetz Urteil United States Code

UmwG Urt. U.S.C. XXXIV

Abkürzungsverzeichnis

USt UStG u.U.

Umsatzsteuer Umsatzsteuergesetz unter Umständen

v. VAG v.A.w. VerglO VersR VG vgl. VGR VKH VO Vol. VVaG VVG VwGO

vom Versicherungsaufsichtsgesetz von Amtswegen Vergleichsordnung (heute: Insolvenzordnung) Versicherungsrecht Verwaltungsgericht vergleiche Gesellschaftsrechtliche Vereinigung Verfahrenskostenhilfe Verordnung Volume Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung

WBl WEG WM WOAH WPg WpHG WPNR WPO WpÜG WRP WSF WuB WuW

Wirtschaftsrechtliche Blätter (Österreich) Wohnungseigentumsgesetz Wertpapier-Mitteilungen Wet homologatie onderhands akkoord (Niederländisches Gesetz zur Anerkennung von privaten Vergleichen) Die Wirtschaftsprüfung Wertpapierhandelsgesetz Weekblad voor Privaatrecht, Notariaat en Registratie Wirtschaftsprüferordnung Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaftsstabilisierungsfonds Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wirtschaft und Wettbewerb

YbPIL

Yearbook of Private International Law

ZAG z.B. ZBB ZEuP ZfIR ZFR ZfRV

Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Immobilienrecht Zeitschrift für Finanzmarktrecht Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Insolvenzrecht und Kreditschutz Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Miet- und Raumrecht

ZGR ZHR Ziff. ZIK ZInsO ZIP ZMR

XXXV

Abkürzungsverzeichnis

ZMV ZPO ZRHO ZRI ZRP zust. ZustVO-Justiz ZustVV zutr. ZVG ZVglRWiss ZVI zzgl. ZZP

XXXVI

Verordnung zur barrierefreien Zugänglichmachung von Dokumenten für blinde und sehbehinderte Personen im gerichtlichen Verfahren Zivilprozessordnung Rechtshilfeordnung für Zivilsachen Zeitschrift für Restrukturierung und Insolvenz Zeitschrift für Rechtspolitik zustimmend Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung vom 18. Dezember 2009 (Niedersachsen) Verordnung zur Einführung von Vordrucken für die Zustellung im gerichtlichen Verfahren zutreffend Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht zuzüglich Zeitschrift für Zivilprozess

Einführung | Rz. 2

Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) Einführung I. Kurzüberblick über das StaRUG und seine Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . 1. Von der Konkursordnung zum StaRUG . 2. Europarechtliche Entwicklung . . . . . . . . . 3. Umsetzung in nationales Recht . . . . . . . . 4. Einbettung in das SanInsFoG . . . . . . . . . . III. Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verzahnung mit dem Insolvenzrecht bzw. -verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schuldner- vs. Gläubigerinteressen . . . . . 3. Einbeziehung von Anteilseignern . . . . . . .

1 9 9 14 19 24 25 26 31 35

4. Erleichterung einer leistungswirtschaftlichen Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. One size fits all? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Internationaler Wettbewerb . . . . . . . . . . . IV. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorläufiges Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Diskussionsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geschäftsleiterpflichten und Gläubigerinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mehrseitige Finanzierungsverträge . . . c) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . .

37 39 43 46 46 49 49 50 52

I. Kurzüberblick über das StaRUG und seine Zielsetzung Mit dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen 1 (StaRUG) soll ein Rechtsrahmen geschaffen werden, der es Unternehmen ermöglicht, sich auf der Grundlage eines von den Gläubigern mehrheitlich angenommenen Restrukturierungsplans zu sanieren.1 Damit schließt es die bis zu seinem Inkrafttreten existierende Lücke im deutschen Recht zwischen dem Bereich der freien, auf dem Konsens aller Beteiligten beruhenden Sanierung einerseits und der strengen verfahrensgebundenen Sanierung im Insolvenzverfahren andererseits.2 Obwohl die Diskussion über die Notwendigkeit und Ausgestaltung eines derartigen Instruments in Deutschland bereits seit vielen Jahren geführt wurde, hat erst die „Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlamentes und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132“ (Restrukturierungs-Richtlinie oder Restrukturierungs-RL) zur gesetzgeberischen Umsetzung in Deutschland geführt. Die Restrukturierungs-Richtlinie fordert die Einführung von verfahrensrechtlichen Hilfsangeboten für sanierungswillige Unternehmensträger, die ein von der Mehrheit der Gläubiger unterstütztes Sanierungskonzept gegen den Widerstand von opponierenden Gläubigern um- und durchsetzen wollen.3 Diese Vorgaben hat der deutsche Gesetzgeber umgesetzt: Mit dem StaRUG wird ein modularer Verfahrensrahmen zur Verfügung gestellt, dessen Ele- 2 mente ein sanierungswilliger Schuldner einzeln in Anspruch nehmen kann, sofern eine solche Inanspruchnahme nach Einschätzung des Schuldners und der sein Vorhaben unterstützenden Gläubiger als zweckmäßig angesehen wird. Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, das Sanierungsvorhaben als ein integriertes Verfahren zu strukturieren und/oder dieses als weitere Variante des Eigenverwaltungsverfahrens in der InsO zu verankern. Zwar wäre dies nach der Re1 BT-Drucks. 19/24181, S. 1. 2 BT-Drucks. 19/24181, S. 89. 3 BT-Drucks. 19/24181, S. 89.

Seibt/Westpfahl | 1

Rz. 2 | Einführung

strukturierungs-Richtlinie zulässig gewesen; allerdings hätte eine derartige Konzeption nicht der Vielgestaltigkeit der Sanierungswirklichkeit entsprochen, die sich insoweit von der Sanierung im Insolvenzverfahren unterscheidet. So mag sich in manchen Fällen – so auch die Gesetzesbegründung – die Frage nach einer Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen nicht stellen, weil die Beteiligten allein über den Inhalt des Restrukturierungsplans streiten bzw., wenn zunächst eine Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen erwirkt worden ist, die Notwendigkeit einer späteren Bestätigung des Restrukturierungsplans entfällt, wenn sich die Beteiligten zwischenzeitlich auf eine Planlösung geeinigt haben.4 3 Bei den Verfahrenshilfen handelt es sich um die gerichtliche Planabstimmung, die gerichtliche

Vorprüfung des Plans, die Anordnung von Verwertungs- und Vollstreckungssperren und die gerichtliche Bestätigung des Plans. Diese Instrumente können, einzeln oder in Kombination, bei Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 InsO in Anspruch genommen werden, sofern das Restrukturierungsvorhaben beim Restrukturierungsgericht angezeigt wurde. Liegt bereits eine Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder eine Überschuldung (§ 19 InsO) vor, ist der Weg in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen verwehrt. Tritt die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach Anzeige des Restrukturierungsvorhabens ein, kann das Restrukturierungsgericht von einer Aufhebung der Restrukturierungssache absehen, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Blick auf den erreichten Stand in der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde (§ 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG).

4 Kernelement des StaRUG ist der Restrukturierungsplan. Er ist in seinen Grundelementen den

Regelungen des Insolvenzplans nachgebildet. Zu nennen sind insbesondere die Regelungen zum Inhalt des Plans, zur Einbeziehung der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner, zur Gruppenbildung sowie strukturell zu den Stimmrechten und den Mehrheiten und dem Minderheitenschutz. Die Anlehnung an das Insolvenzplanrecht begründet der Gesetzgeber mit funktionalen Übereinstimmungen zwischen dem Verfahren nach dem Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen einerseits und dem eigenverwaltungsbasierten Insolvenzplanverfahren andererseits.5

5 Allerdings gibt es auch Abweichungen, die der unterschiedlichen Zielsetzung von StaRUG

und InsO geschuldet sind. Insbesondere muss der Schuldner nicht alle Gläubiger in den Plan einbeziehen, sondern hat insoweit ein Auswahlermessen (sog. Teilkollektivität des Verfahrens). Die Auswahl der Planbetroffenen hat nach sachgerechten Kriterien zu erfolgen (§ 8 StaRUG), wobei einige Rechtsverhältnisse einer Gestaltung durch Restrukturierungsplan von vornherein entzogen sind. Dazu gehören insbesondere die Forderungen von Arbeitnehmern einschließlich ihrer Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung (§ 4 Nr. 1 StaRUG). Zu erwähnen sind auch die Regelungen zur Gestaltung von mehrseitigen Rechtsverhältnissen, die vor allem auf Anleihen, Schuldscheine sowie auf sog. Intercreditor-Vereinbarungen zielen (§ 2 Abs. 2 StaRUG). Derartige Regelungen sieht das Insolvenzplanrecht nicht vor, weil es grundsätzlich nicht auf die Fortführung von Finanzierungsverträgen ausgerichtet ist.

6 Vor der Abstimmung über den Restrukturierungsplan kann der Schuldner eine Vorprüfung

durch das Restrukturierungsgericht beantragen (§ 47 StaRUG). Gegenstand dieser Prüfung können alle für das Planabstimmungsverfahren oder die spätere Planbestätigung relevanten Fragen sein. Die Beteiligung des Restrukturierungsgerichts bei der Abstimmung über den Restrukturierungsplan ist nicht notwendig, aber möglich; ob die Abstimmung gerichtlich organsiert werden soll oder nicht, bleibt dem Schuldner überlassen (§ 23 StaRUG). Allerdings hat die privatautonom organisierte Abstimmung gegenüber der gerichtlichen den Nachteil, dass Fehler und Unzulänglichkeiten im Prozess zu Lasten des Schuldners gehen (§ 63 Abs. 3 Satz 1 4 BT-Drucks. 19/24181, S. 92. 5 BT-Drucks. 19/24181, S. 90.

2 | Seibt/Westpfahl

Einführung | Rz. 11

StaRUG). Haben nicht alle Planbetroffenen dem Plan zugestimmt, kann er gegen ihn ablehnende Gläubiger nur dann Wirkung entfalten, wenn er vom Restrukturierungsgericht bestätigt wird (§ 67 Abs. 1 StaRUG). Der Rechtsschutz gegen die Bestätigung des Restrukturierungsplans ist demgegenüber wieder dem des Insolvenzplanverfahrens nachgebildet (§ 66 StaRUG).

Der Schuldner kann zum Schutz des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungs- 7 gericht Vollstreckungs- und Verwertungssperren gegen einzelne, mehrere oder alle Gläubiger beantragen, auch gegen solche, die voraussichtlich nicht vom Plan betroffen sein werden (§ 49 StaRUG). Auch die diesbezüglichen Regelungen sind denen des Insolvenzeröffnungsverfahrens ähnlich (§ 50 ff. StaRUG). Es gilt der Eigenverwaltungsgrundsatz, d.h. der Schuldner bleibt grundsätzlich befugt, über 8 sein Vermögen zu verfügen und dieses zu verwalten. Lediglich in einigen wenigen, gesetzlich vorgesehenen Fällen erfolgt die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung gegen alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger beantragt oder wenn es absehbar nicht in allen Gruppen zu der erforderlichen Mehrheit kommen wird, sofern wiederum nicht ausschließlich Finanzgläubiger betroffen sind (§ 73 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StaRUG). Ein freiwilliger Antrag des Schuldners auf Einsetzung eines Restrukturierungsbeauftragten bleibt unbenommen (§ 77 StaRUG).

II. Entstehungsgeschichte 1. Von der Konkursordnung zum StaRUG Auch wenn das StaRUG letztlich erst durch die europäische Restrukturierungs-Richtlinie poli- 9 tisch durchsetzbar geworden ist, wurde in Deutschland schon lange zuvor über die Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens diskutiert. Bereits zu der Zeit der Geltung der Konkursordnung stand dort neben dem Konkursverfahren 10 ein ausschließlich auf Sanierung gerichtetes Verfahren zur Verfügung, welches in der Vergleichsordnung geregelt war. Allerdings knüpfte dieses Verfahren ebenso wie das Konkursverfahren noch an das Vorliegen eines Konkursgrundes an und dieses Nebeneinander von zwei funktional unterschiedlichen Verfahren funktionierte in der Praxis nicht. Dies wurde vor allem der fehlenden Flexibilität zwischen den beiden Verfahren zugeschrieben. Gleichzeitig wies die Vergleichsordnung wesentliche Schwächen auf. Zu nennen sind insbesondere „die Verkennung des Verfahrensschwerpunktes, die Vernachlässigung des Gesellschaftsverfahrens, die Nichteinbeziehung des Schuldners bzw. der Kapitaleigner in die Sanierung, die Nichtberücksichtigung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse und eine ‚moralisierende‘ Würdigkeitsprüfung sowie zu kurze Fristen“.6 Außerdem war die starre Mindestbefriedigungsquote für den Vergleichsschluss von 35 % wenig hilfreich. Es war daher ein wesentliches Anliegen des Gesetzgebers der Insolvenzordnung, zu mehr 11 Marktkonformität der Insolvenzabwicklung zu gelangen und es wurde die in wirtschaftspolitischer Hinsicht überzeugende Entscheidung getroffen, die Sanierung der Schuldnerin nicht generell vor der übertragenden Sanierung des Unternehmens oder der sonstigen Liquidation zu bevorzugen. Gleichzeitig sollte die Struktur des Verfahrens so angelegt sein, dass es einen neutralen und flexiblen Rechtsrahmen bildet, in dem die Beteiligten die für sie vorteilhafteste Lösung entdecken und durchsetzen können. Hierfür wurde das Einheitsverfahren mit offenem

6 Uhlenbruck, KTS 1981, 513, 515.

Seibt/Westpfahl | 3

Rz. 11 | Einführung

Ausgang, bei dem nicht bereits mit der Wahl des Verfahrens eine präjudizielle Weichenstellung erfolgt, als am besten geeignet angesehen. 12 Allerdings zeigte sich gleich in den ersten Jahren der Geltung der Insolvenzordnung, dass sie

über maßgebliche Defizite hinsichtlich der Sanierung von Unternehmen verfügte. Dabei ging es vor allem um die Konzerninsolvenz, die Auswahl des (vorläufigen) Insolvenzverwalters sowie die Umsetzung von Insolvenzplänen.7 Nach intensiver Diskussion wurden diese Defizite dann mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), das im Jahre 2012 in Kraft trat, adressiert.

13 Keine zufriedenstellende Antwort konnte das ESUG hingegen darauf geben, ob bzw. dass es

selbst bei Vorhandensein eines sanierungsfreundlichen Insolvenzverfahrens und -rechts ein praktisches Bedürfnis für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren gibt. Entsprechenden Forderungen aus der Praxis, die bereits in der Diskussion, die letztlich zum ESUG geführt hat, erhoben worden waren,8 wurde mit wenig plausibler Begründung eine Absage erteilt9 und gewissermaßen als Kompensat der Schutzschirm eingeführt. Zumindest aber sollte das ESUG nach fünf Jahren einer Evaluierung unterzogen werden, im Rahmen derer auch die Notwendigkeit eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens erneut zu prüfen sei. Diese Evaluierung hatte 2018 stattgefunden.10 Danach gab es zwar immer noch unterschiedliche Ansichten darüber, ob es eines vorinsolvenzlichen oder präventiven Sanierungsregimes bedarf. Allerdings wurde dem deutschen Gesetzgeber mehr oder weniger zeitgleich die Entscheidung darüber, ob es eingeführt werden soll oder nicht, durch die Restrukturierungs-Richtlinie abgenommen.

2. Europarechtliche Entwicklung 14 Schon im Jahr des Inkrafttretens des ESUG (2012) wurde die Europäische Kommission in die-

sem Themenfeld aktiv: Sie kündigte in einer Mitteilung einen neuen Ansatz zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen an, der auf der Ebene der Mitgliedsstaaten harmonisierte Maßnahmen zur Erleichterung der Rettung und Sanierung von Unternehmen sowie eine schnellere Entschuldung der Unternehmer zum Ziel haben solle.11 Dieser Ansatz wurde sodann in einer Empfehlung der Kommission konkretisiert. Diese sah detaillierte Vorschläge für die Einführung eines flexiblen, präventiven Restrukturierungsrahmens in den Mitgliedsstaaten der EU und einer Restschuldbefreiung für Unternehmer nach spätestens drei Jahren vor.12 Im nächsten Schritt legte die Kommission einen „Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion“ vor, der eine Reihe von Mängeln im grenzüberschreitenden, freien Kapitalfluss innerhalb der Europäischen Union aufzeigte und die unterschiedlichen gesetzlichen Instrumente in den Mitgliedsstaaten zum Umgang mit unternehmerischem Scheitern als eines der Hindernisse benannte.13 Außerdem kündigte die Kommission zur Verringerung dieser Hemmnisse für das 4. Quartal 2016 einen Legislativvorschlag zu einer frühzeitigen Unternehmensrestrukturierung und zur zweiten Chance an. 7 Siehe dazu Westpfahl/Janjuah, ZIP-Beilage 3/2008, 1 ff. 8 Siehe dazu nur Westpfahl, ZGR 2010, 385 ff. 9 Siehe dazu Graf-Schlicker, ZIP-Beilage 22/2016, 21, 22 unter Hinweis auf die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 17/7511, S. 4 f. 10 Die Ergebnisse finden sich bei Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, Forschungsbericht zur Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, Okt. 2018. 11 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss v. 12.12.2012 COM (2012) 742 final. 12 Empfehlung der Kommission v. 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, ABl. (EU) Nr. L 74 v. 14.3.2014, S. 65. 13 Aktionsplan der Kommission zur Schaffung einer Kapitalmarktunion COM (2015) 468 final.

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Entsprechend dieser Ankündigung und nach Durchführung eines „Konsultationsverfahrens 15 zu einem wirksamen Insolvenzrahmen der EU“ legte die Kommission schließlich am 22.11.2016 den „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU“ vor.14 Die nachfolgenden Beratungen im Europäischen Parlament und im Rat erwiesen sich dann jedoch als äußerst komplex. Das lag nicht zuletzt daran, dass viele Mitgliedsstaaten bereits entsprechende Regelungen eingeführt hatten und auch die Bedürfnisse in den einzelnen Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich gelagert waren. Diese Komplexität spiegelt auch die multiplen Zielsetzungen der Restrukturierungs-Richtlinie wider: Dazu gehören etwa die Beseitigung von Hindernissen für die Ausübung der Grundfreiheiten wie des freien Kapitalverkehrs oder der Niederlassungsfreiheit (ErwGr. 1), die Abwendung einer Insolvenz von rentablen Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten (ErwGr. 2), die Vermeidung der Gefahren eines Aufbaus großer Bestände von Non-Performing Loans und die Förderung der Neukreditgewährung (ErwGr. 3), die Vermeidung unnötiger Kosten durch die Schaffung eine Anreizes, bei finanziellen Schwierigkeiten frühzeitig die präventive Restrukturierung zu beantragen (ErwGr. 30), die Förderung einer Sanierungskultur (ErwGr. 69) sowie die Ermöglichung eines Neustarts für den Schuldner nach einem unternehmerischen Scheitern (ErwGr. 5). Nachdem das Europäische Parlament am 21.8.2018 seinen Bericht vorgelegt hatte,15 folgte am 16 1.10.2018 der Rat der Europäischen Union mit seiner allgemeinen Ausrichtung zum Richtlinienvorschlag der Kommission.16 Daraufhin fanden informelle Trilog-Verhandlungen zwischen der Kommission, dem Rat und dem Parlament statt, die schließlich zu dem finalen Entwurf der Restrukturierungs-Richtlinie vom 17.12.2018 führten.17 Schließlich wurde die Restrukturierungs-Richtlinie – abgesehen von redaktionellen Änderungen – am 12.6.2019 in der Fassung vom 17.12.2018 verabschiedet.18 Ausweislich der Einleitung der Restrukturierungs-Richtlinie stützt sie sich auf Art. 53 und 114 17 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Während die EU keine Kompetenzen hat, im Bereich des materiellen Insolvenzrechts in das nationale Recht ihrer Mitgliedsstaaten einzugreifen, hat sie nach Art. 53 AEUV die Richtlinienkompetenz bei der Regelung der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und der Aufnahme selbständiger Tätigkeiten sowie nach Art. 114 AEUV zur Erreichung des in Art. 26 AEUV genannten Ziels eines einheitlichen Binnenmarktes. Während erstere allenfalls einen überschaubaren Aus-

14 COM (2016) 723 final. 15 Europäisches Parlament, Bericht des Rechtsausschusses über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU (COM (2016) 0723-C8-0475/2016 [2016/0359 (COW)), (A8-0269/2018), v. 21.8.2018 (Niebler-Bericht). 16 Rat der Europäischen Union, Vorschlag für Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, Allgemeine Ausrichtung v. 1.10.2018. 17 Counsel of the European Union, Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Counsel and Preventive Restructuring Frameworks, Second Chance and Measures to Increase the Efficiency of Restructuring, Insolvency and Discharge Procedures and Amending Directive 2012/30, Confirmation of the final compromise text with a view to agreement v. 17.12.2018. 18 Siehe ausführlich zur Restrukturierungs-Richtlinie aus deutscher Sicht Flöther, SanierungsR, 2019, sowie Morgen, Präventive Restrukturierung, 2019.

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schnitt der Restrukturierungs-Richtlinie zu betreffen scheint, bedarf es für zweitere einer durchaus weiten Auslegung des Merkmals der Binnenmarktrelevanz.19 18 Dem Richtliniengeber war ursprünglich an einer möglichst weitgehenden Harmonisierung

der nationalen Regime gelegen; letztlich musste er jedoch erhebliche Zugeständnisse hinsichtlich der Harmonisierungsintensität machen. Den Mitgliedsstaaten steht jetzt mehr Spielraum bei der Umsetzung zu, als ursprünglich noch vorgesehen. Nicht zuletzt wurden aus vielen sog. „Soll“-Vorschriften schließlich „Kann“-Vorschriften. Die Restrukturierungs-Richtlinie war in den Mitgliedsstaaten im Wesentlichen bis zum 17.7.2021 umzusetzen. Dem ist der deutsche Gesetzgeber mit der Einführung des StaRUG zum 1.1.2021 nachgekommen.

3. Umsetzung in nationales Recht 19 In Deutschland war die Diskussion über die Einführung eines vorinsolvenzlichen oder prä-

ventiven Sanierungsregimes mit dem Inkrafttreten des ESUG (2012) zunächst zum Erliegen gekommen. Es wurde nun zunächst überwiegend die Evaluierung des ESUG (2018) abgewartet. Derweil wurden zunehmend komplexe finanzielle Restrukturierungen unter Einbeziehung deutscher Gesellschaften über das englische Scheme of Arrangement umgesetzt (s. Ausl. Sanierungsverfahren Kap. GB Rz. 1 ff., 69 ff.). Nachdem die Mitteilung der Europäischen Kommission vom 12.12.2012, ihre Empfehlung vom 12.3.2014 sowie auch ihr Aktionsplan vom 30.9.2015 in Deutschland zunächst noch weitgehend unbeachtet geblieben waren, brachte die Ankündigung, dass noch im Jahre 2016 ein erster Richtlinienentwurf vorgelegt würde, Bewegung in die Diskussion in Deutschland. So lud das BMJV noch im Jahre 2015 zu einer ersten Gesprächsrunde ein, um schon die Begleitung der Entstehung der Restrukturierungs-Richtlinie in Deutschland auf eine breite Basis zu stellen. Spätestens nach Vorlage des ersten Richtlinienentwurfs vom 22.1.2016 begann dann in Deutschland eine intensive Diskussion, die neben den erwähnten Gesprächsrunden beim BMJV in der Literatur und auf diversen Veranstaltungen geführt wurde. Auch legten eine Reihe von Verbänden Stellungnahmen zum ersten Richtlinienvorschlag vor.20 Dabei wurde kaum noch über die Frage diskutiert, ob es eines vorinsolvenzlichen oder präventiven Sanierungsregimes bedürfe, sondern nur noch, wie dieser sinnvoll ausgestaltet sein müsse. Nach Inkrafttreten der Restrukturierungs-Richtlinie am 16.7.2019 wurde die Diskussion in Deutschland nahtlos fortgesetzt.

20 Bereits am 18.9.2020 legte das BMJV den ersten Referentenentwurf (RefE) für das StaRUG

vor. Er kam zu diesem Zeitpunkt deshalb für viele überraschend, weil die Diskussion seit Ausbruch der Pandemie von der Covid-19-Sondergesetzgebung bestimmt war. Konzeptionell entsprach der Referentenentwurf bereits sehr weitgehend der schließlich in Kraft getretenen Fassung des StaRUG. Insbesondere enthielt er bereits das modulare System von Verfahrenshilfen, die der Schuldner bei drohender Zahlungsunfähigkeit einzeln oder in Kombination in Anspruch nehmen kann. Das Kernelement war der Restrukturierungsplan mit dem eingangs beschriebenen Inhalt. Auch waren bereits Stabilisierungsmaßnahmen vorgesehen sowie die Einsetzung eines Restrukturierungsbeauftragten. Für viele überraschend waren bestimmte Aussagen in § 2 RefE. Danach sollten die Geschäftsleiter ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit sowohl die Interessen der Gesellschafter als auch die der Gesamtheit der Gläubiger zu beachten haben, wobei die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger vorrangig zu beachten sein sollten (§ 2 Abs. 1 und 2 RefE). Außerdem sollten entgegenstehende Weisungen der Gesellschafter und anderer Organe unbeachtlich sein (§ 2 Abs. 2 RefE). Dieser sog. shift of fiduciary duties war zwar – nach einer durchaus verbreiteten Auslegung – bereits in Art. 19 19 Siehe dazu Kayser, ZIP 2017, 1393, 1395. 20 Siehe für eine ausführliche Darstellung dieser Stellungnahmen Morgen in Morgen, 2. Aufl. 2022, Einleitung, Rz. 74 ff.

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Buchst. a Restrukturierungs-RL angelegt, allerdings kaum Gegenstand der vorhergehenden Diskussion gewesen.21 Nicht unbedingt erwartet worden war auch die Möglichkeit einer Vertragsbeendigung, die in den §§ 49–52 RefE vorgesehen war. Danach sollte das Restrukturierungsgericht unter bestimmten Voraussetzungen und auf Antrag des Schuldners Verträge beenden können. In der nachfolgenden Diskussion, die erneut auf zahlreichen Veranstaltungen, in der Literatur 21 sowie in Stellungnahmen von Verbänden geführt wurde, zeigte sich ein sehr breites Meinungsspektrum. Von fast allen wurde allerdings die hohe Geschwindigkeit kritisiert, mit der der Gesetzgeber das Vorhaben umsetzen wollte. So war das Inkrafttreten des StaRUG bereits für den 1.1.2021 geplant. Vermehrt wurde auch gesetzestechnische Kritik dahingehend geäußert, dass das Gesetz zu kleinteilig sei, nahezu jedes Regelungsproblem mittels Ausnahmen, Unterausnahmen und Rückausnahmen geregelt sei und die Ausnahmetatbestände außerdem viele unbestimmte Rechtsbegriffe enthielten, bei denen sich aus der Gesetzesbegründung nicht ergebe, wie diese auszulegen seien.22 Am intensivsten wurden jedoch der die Geschäftsleiter betreffende shift of fiduciary duties und das Vertragsbeendigungsrecht diskutiert. Der shift of fiduciary duties wurde sowohl in grundsätzlicher Hinsicht kritisiert, nämlich als nicht notwendiger Paradigmenwechsel, der darüber hinaus einer ausführlichen Diskussion unter Beteiligung des Gesellschaftsrechts bedurft hätte, als auch wegen seiner konkreten Ausgestaltung, weil erhebliche zusätzliche Haftungsrisiken für die Organe befürchtet wurden.23 Das Vertragsbeendigungsrecht war deshalb besonders umstritten, weil es die Tür zu einer leistungswirtschaftlichen Sanierung geöffnet hätte und damit die grundsätzliche Ausrichtung des Verfahrens betraf.24 Intensiver diskutiert wurde schließlich auch über die Ausgestaltung des sog. gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids und dabei die Frage, ob die absolute oder die relative Prioritätsregel gelten solle.25 Bereits am 14.10.2020 legte die Bundesregierung dann ihren Entwurf vor. Änderungen gegen- 22 über dem Referentenentwurf betrafen insbesondere die Vorschriften zu gestaltbaren Rechtsverhältnissen (zunächst noch § 4 RefE), zu gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidungen (zunächst noch § 26 RefE), zu Pflichten der Schuldnerin (zunächst noch § 34 RefE), zur Separierungspflicht bei Inanspruchnahme revolvierender Sicherheiten (zunächst noch § 56 RefE) und zu erlaubten Zahlungen im normalen Geschäftsgang (zunächst noch § 91 RefE). Demgegenüber blieben die Vorschriften zum shift of fiduciary duties und zum Vertragsbeendigungsrecht unverändert. Erst in Folge einer Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz in seiner 23 abschließenden Beratung am 15.12.2020 wurden sowohl der shift of fiduciary duties als auch

21 Siehe allerdings bereits Westpfahl, ZRI 2020, 157, 180 ff. – gegen eine Auslegung von Art. 19 Restrukturierungs-RL als shift of fiduciary duties z.B. Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1193. 22 BAKinso, Stellungnahme zum RefE SanInsFoG v. 30.9.2020, A. Nr. 2. 23 Siehe dazu nur Schäfer, ZIP 2020, 1950, 1952; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236 – s. auch § 1 Rz. 7 f. 24 Siehe zur Diskussion nur Hofmann, NZI 2020, 871 ff. und Thole, ZIP 2020, 1985, 1995. 25 Diese Diskussion war unter deutschen Juristen bereits während der Endphase der Entstehung der Restrukturierungs-Richtlinie geführt worden: s. nur Brinkmann, Die relative Vorrangregel aus Art. 11 (1) (c) der Insolvenzrichtlinie: nicht nur untauglich, sondern brandgefährlich!, TLE 009, 2019, verfügbar unter: https://www.tax-legal-excellence.com/relative-vorrangregel-art-11-1-c-insolvenzrichtliniebrandgefaehrlich/(zuletzt abgerufen am 26.6.2022); Madaus, Restrukturierung als Aufgabe des Zivilrechts – eine Diskussionsvorlage für die Umsetzung des Restrukturierungsrahmens, 2019, verfügbar unter: https://stephanmadaus.de/wp-content/uploads/2019/08/Madaus-Zivilrechtliche-Umsetzungder-Restrukturierungsrichtlinie-eine-Diskussionsgrundlage-WP-2019-08.pdf (zuletzt abgerufen am 26.6.2022) sowie Westpfahl/Liedl, FS Gehrlein, 2022, S. 589, 599 ff.

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das Vertragsbeendigungsrecht ersatzlos gestrichen.26 Schließlich ist das StaRUG am 1.1.2021 in Kraft getreten.27

4. Einbettung in das SanInsFoG 24 Die Restrukturierungs-Richtlinie hat nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers Veranlas-

sung zur Fortentwicklung des Sanierungs- und des Insolvenzrechts gegeben. Neben der Schaffung eines Rechtsrahmens für insolvenzabwendende Sanierungen waren die Insolvenzgründe Überschuldung und drohende Zahlungsunfähigkeit stärker voneinander abzugrenzen und die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Eigenverwaltung stärker an ihren Zwecken und den Interessen der Gläubigerschaft auszurichten.28 Hier konnten vor allem auch die Ergebnisse der ESUG-Evaluation (2018) einfließen.29 Außerdem haben die wirtschaftlichen Folgen der Covid-Pandemie vorübergehende Anpassungen des fortzuentwickelnden und zu ergänzenden Sanierungs- und Insolvenzrechts an die durch die Krisenfolgen geprägte Sondersituation notwendig gemacht. Der deutsche Gesetzgeber hat diese verschiedenen, teilweise jedoch unmittelbar miteinander zusammenhängenden Bereiche in dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) geregelt.

III. Grundfragen 25 Mit der Notwendigkeit der Umsetzung der Restrukturierungs-Richtlinie musste sich der deut-

sche Gesetzgeber nun erstmals mit der Gestaltung von Verfahrensregeln für die vorinsolvenzliche Sanierung auseinandersetzen. Vorschriften über die Ermöglichung einer Restrukturierung, die nicht die volle Unterstützung aller Beteiligten hat, fanden sich bisher – mit Ausnahme bestimmter Sonderregelungen – nur im Insolvenzrecht.30 Immerhin passte es in zeitlicher Hinsicht, dass gerade die Evaluierung des ESUG durchgeführt worden war, weil weder die Umsetzung der Restrukturierungs-Richtlinie noch das ESUG, mit dem die Regelungen über die Sanierung in der Insolvenz nochmals modernisiert worden waren, isoliert voneinander betrachtet werden können. Vielmehr müssen sie sorgfältig aufeinander abgestimmt und austariert werden. Der deutsche Gesetzgeber hatte sich mithin mit einigen der Grundfragen des deutschen Sanierungsrechts zu befassen.

1. Verzahnung mit dem Insolvenzrecht bzw. -verfahren 26 Die Abstimmung eines neuen präventiven Sanierungsregimes mit bzw. auf das vorhandene

Insolvenzregime wirft eine Vielzahl von Detailfragen auf. Gewissermaßen vor die Klammer gezogen sind hingegen vor allem zwei Entscheidungen: die Frage nach dem Standort der neuen Regeln im deutschen Recht sowie die Festlegung der materiellen Zugangsvoraussetzungen und damit des zeitlichen Ausgangspunkts.

26 Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss), BT-Drucks. 19/25353, S. 6 – s. auch § 1 Rz. 8. 27 BGBl. I 2020, 3256; Art. 25 Abs. 1 Restrukturierungs-RL. 28 BT-Drucks. 19/24181, S. 2. 29 Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, Forschungsbericht zur Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, Okt. 2018. 30 Vgl. ansonsten für die Bankensanierung die Regelungen des KredReorgG und für die Restrukturierung von Anleihen insbesondere § 5 SchVG.

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Zunächst zur Standortfrage: In der Diskussion in Deutschland war vereinzelt gefordert wor- 27 den, die neuen Regeln in der Insolvenzordnung zu verankern und sich auf eine Nachjustierung des ESUG zu beschränken.31 Insbesondere wurde befürchtet, das durch das ESUG gerade erst modernisierte Insolvenz(plan)verfahren würde sofort wieder entwertet. Demgegenüber überwog die Auffassung, es sei ein sog. Abstandsgebot einzuhalten. Nur bei einer klaren Trennung vom Insolvenzverfahren könne die mit der Insolvenzantragsstellung verbundene Stigmatisierung vermieden werden.32 Dem hat sich der Gesetzgeber angeschlossen und mit dem StaRUG einen separaten rechtlichen Rahmen geschaffen.

Die Festlegung der materiellen Zugangsvoraussetzungen war von vornherein eng mit der Frage 28 nach einer Rechtfertigung für Eingriffe in Gläubiger- aber auch Gesellschafterrechte verknüpft. Schon während der Entstehung der Restrukturierungs-Richtlinie wurde in Deutschland intensiv über den richtigen Zeitpunkt für das Eingreifen eines präventiven Sanierungsregimes diskutiert und es wurde eine Vielzahl von Vorschlägen gemacht.33 Der deutsche Gesetzgeber hat sich schließlich dafür entschieden, an die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO anzuknüpfen. Er ist der Auffassung, dass bereits ab diesem Zeitpunkt eine immanente Gefährdung der Gläubigerinteressen sowie der Befriedigung ihrer Ansprüche gegeben ist.34 Dem kann man zwar entgegenhalten, dass eine primär an der Liquidität orientierte Betrachtung nicht zwingend etwas über das Schuldendeckungspotential des Schuldners aussagt.35 Allerdings werden Gläubiger im Zweifel ohnehin nur dann bereit sein, finanzielle Zugeständnisse zu machen, wenn ihre vollständige Befriedigung nicht mehr gesichert bzw. ausgeschlossen ist, was im Zweifel zugleich bedeutet, dass selbst unter Zugrundelegung von Fortführungswerten eine rechnerische Überschuldung vorliegt, die Anteilseigener mithin „aus dem Geld“ sind. Allerdings hat die Anknüpfung an die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO zugleich 29 zwei Konsequenzen: zum einen bedurfte es einer Abgrenzung der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO einerseits und der negativen Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung nach § 19 Abs. 2 InsO andererseits, weil sie bisher nach ganz herrschender Meinung weitgehend identisch waren. Wenn aber der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen erst ab Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit in Anspruch genommen werden kann, zugleich aber bereits ein zwingender Insolvenzantragsgrund (Überschuldung) gegeben ist, hätte das StaRUG keinen Anwendungsbereich. Konsequenterweise hat der deutsche Gesetzgeber die beiden Tatbestände sowohl in zeitlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht voneinander abgegrenzt. So hat er den Prognosezeitraum, der der Fortbestehensprognose bei der Überschuldungsprüfung zugrunde zu legen ist, auf zwölf Monate beschränkt (§ 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO; bis zum 31.12.2023: vier Monate, § 4 Abs. 2 SanInsKG) und für die drohende Zahlungsunfähigkeit einen Prognosezeitraum von „in aller Regel“ 24 Monaten bestimmt (§ 18 Abs. 2 Satz 2 InsO). Außerdem hat er in der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen, dass es zwar einer Überschuldung nach § 19 InsO entgegen stehe, wenn die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Sanierung überwiegend wahrscheinlich sind, einer drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO hingegen nicht.36 Zum anderen hatte der Gesetzgeber zu berücksichtigen, dass die drohende Zahlungsunfähig- 30 keit zwar nicht zur Insolvenzantragsstellung verpflichtet, jedoch dazu berechtigt. Wenn aber in demselben Zeitpunkt entweder der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen oder die Insolvenzordnung in Anspruch genommen werden kann, muss es funktionale Übereinstim31 Dahl/Linnenbrink, NZI-Beilage 2019, 45; Thole, ZIP 2017, 101, 102 f.; NIVD, ZInsO 2016, 1297 und ZInsO 2017, 533, 535. 32 Siehe nur Westpfahl, ZRI 2020, 157, 164 f. m.w.N. 33 Siehe für einen Überblick Westpfahl, ZRI 2020, 157, 165 f. 34 BT-Drucks. 19/24181, S. 85 ff. 35 So ähnlich Morgen in Morgen, 2. Aufl. 2022, Einleitung, Rz. 16. 36 BT-Drucks. 19/24181, S. 91.

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mungen beider Verfahren geben, die zu berücksichtigen sind. Konsequenterweise hat sich der Gesetzgeber vor allem beim Restrukturierungsplan sehr weitgehend an die Vorschriften über den Insolvenzplan angelehnt.

2. Schuldner- vs. Gläubigerinteressen 31 Das deutsche Insolvenzrecht dient gem. § 1 InsO der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedi-

gung.37 Die Sanierung des Unternehmens zählt demgegenüber nach überwiegender Auffassung nicht zu den gesetzlich verfolgten Zielen; entsprechendes gilt für den Erhalt von Arbeitsplätzen.38 Nur wenn der Fortführungswert höher ist als der Liquidationswert, kommt eine Sanierung in Betracht, aber auch nur dann, wenn sich die Gläubiger mehrheitlich für diese Option entscheiden. Es gilt das Primat des Gläubigerinteresses. An dieser Aussage hat sich auch durch das ESUG nichts geändert.

32 Die Fokussierung auf die Gläubigerinteressen hat im Falle der materiellen Insolvenz einen

nachvollziehbaren Grund. Reicht das Vermögen der Schuldnerin nicht mehr aus, um alle Gläubiger zu befriedigen, ist der Wettlauf der Gläubiger nicht mehr zu tolerieren, weil sich ansonsten der schnelle Gläubiger zu Lasten des langsameren befriedigen würde. Man spricht in diesem Zusammenhang vom sog. Common Pool-Problem,39 das durch die koordinierende Funktion des Insolvenzrechts gelöst werden soll.

33 Ein Sanierungsregime, dessen Anwendungsbereich vor der materiellen Insolvenz liegt (bzw.

beginnt), muss demgegenüber die Schuldnerinteressen stärker in den Vordergrund stellen. Das sieht auch der deutsche Gesetzgeber so. So kann der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nur vom Schuldner und nur auf freiwilliger Basis in Anspruch genommen werden. Es bleibt zugleich beim Grundsatz der Eigenverwaltung. Nur sofern es zu Eingriffen in Gläubigerrechte kommt, bedarf es der Etablierung von gläubigerbezogenen Schutzmechanismen, denn das Verfahren darf weder ein Instrument zur Entledigung teurer Kredite sein, noch einem unrentablen Unternehmen ein Weiterwirtschaften zu Lasten der Gläubiger ermöglichen. Zu diesen Schutzmechanismen gehört insbesondere, dass der Plan nur dann zustande kommt, wenn die Planbetroffenen, mithin die Gläubiger, für ihn gestimmt haben. Die hierfür notwendige Mehrheit ist mit mindestens ¾ der Stimmrechte in dieser Gruppe (also nicht nur der an der Abstimmung teilnehmenden Planbetroffenen) sehr hoch angesetzt (§ 25 Abs. 1 StaRUG). Zwar gibt es die Möglichkeit einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung (§§ 26–28 StaRUG). Allerdings greifen insoweit zusätzliche Schutzmechanismen zugunsten der Überstimmten. Auch ist unter bestimmten Voraussetzungen die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen vorgesehen. Zu nennen sind insbesondere die Fälle, dass eine Stabilisierungsanordnung gegen alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger beantragt ist (§ 73 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) oder wenn absehbar ist, dass die Zustimmung zum Restrukturierungsplan nur im Wege eines gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheides möglich ist (§ 73 Abs. 2 Satz 1 StaRUG).

34 Allerdings konkurrieren nicht nur Gläubiger- mit Schuldnerinteressen, sondern auch die Inte-

ressen verschiedener Gläubigergruppen miteinander. Unterstützt eine qualifizierte Mehrheit von Gläubigern einen Sanierungsversuch, der auch einen Eingriff in ihre Rechte vorsieht, bedarf es trotzdem einer rechtlichen Begründung für diesen Eingriff und eines Mindestschutz-

37 Rechtsprechung und Literatur gehen ganz überwiegend davon aus, dass das Insolvenzverfahren auch der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung dient. Das steht so zwar nicht im Gesetz, aber zumindest in der Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 12/2443, S. 108; BT-Drucks. 17/5712, S. 17. 38 Siehe an dieser Stelle nur Balz in Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, 1989, S. 3. 39 Siehe nur Balz, ZIP 1988, 1438, 1439 m.w.N. Aus der Diskussion in der US-amerikanischen Literatur s. etwa Aghion in Newman Palgrave Dictionary of Economics and the Law, Bd. 1 (A–D), 1998, S. 145.

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standards für die Minderheit. Diesen sieht das StaRUG insbesondere mit dem Schlechterstellungsverbot (insb. § 64 StaRUG), dem Gleichbehandlungsgebot (insb. § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) sowie der absoluten Prioritätsregel (§ 27 StaRUG) vor.

3. Einbeziehung von Anteilseignern In der Restrukturierungs-Richtlinie wird es den Mitgliedsstaaten freigestellt, ob sie die An- 35 teilseigner in das Verfahren einbeziehen oder nicht (Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 RestrukturierungsRL). Jedenfalls aber sollen sie sicherstellen, dass die Anteilseigner weder die Annahme und Bestätigung des Plans noch dessen Umsetzung grundlos verhindern oder erschweren (Art. 12 Abs. 1 und 2 Restrukturierungs-RL). Der deutsche Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Anteilseigner in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen einzubeziehen und Eingriffe in ihre Rechte nach dem Vorbild von § 225a InsO zuzulassen (vgl. § 7 Abs. 4 StaRUG). Er rechtfertigt dies damit, dass die Möglichkeit eines Eingriffes in Gesellschafterrechte an das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit geknüpft ist, die ihrerseits den Weg in ein Insolvenzverfahren ebnet, in welchem vergleichbare Eingriffe in die Rechte der Anteilsinhaber möglich sind.40 Aber selbst wenn Anteilseigner in einen Restrukturierungsplan einbezogen werden können 36 und dadurch in ihre Rechte eingegriffen werden kann, steht ihnen doch ein erhebliches Obstruktionspotential zu. So könnten sie – jedenfalls bei der Rechtsform der GmbH – sowohl die Einleitung des Sanierungsversuchs als auch die Umsetzung des Plans frustrieren, indem sie die Leitungsorgane entsprechend anweisen oder notwendige Beschlüsse nicht fassen. Während mittlerweile anerkannt ist, dass in Sanierungssituationen eine Treuepflicht zwischen Gesellschaftern besteht, die Mitwirkungspflichten zwischen ihnen begründen kann, existiert anerkanntermaßen keine Mitwirkungspflicht der Anteilseigner gegenüber der Gesellschaft und deren Gläubigern.41 Dieses Problem hatte der Gesetzgeber erkannt und sowohl im Referentenentwurf als auch im Regierungsentwurf vorgesehen, dass die Geschäftsleiter ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger vorrangig zu beachten haben (§ 2 Abs. 1 und 2 RefE/RegE). Außerdem sollten entgegenstehende Weisungen der Gesellschafter und anderer Organe unbeachtlich sein. Hierbei wollte er sich auf Art. 19 Buchst. a Restrukturierungs-RL stützen. Allerdings wurde dieser shift of fiduciary duties letztlich nicht Gesetz (siehe Rz. 20 ff.). Das StaRUG enthält sich damit einer ausdrücklichen Aussage zu den Geschäftsleiterpflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit vor Anzeige des Restrukturierungsvorhabens.

4. Erleichterung einer leistungswirtschaftlichen Sanierung Die Frage, ob ein vorinsolvenzliches Sanierungsregime auf eine finanzwirtschaftliche Restruk- 37 turierung beschränkt sein oder auch Eingriffsrechte für eine leistungswirtschaftliche Restrukturierung vorsehen soll, ist rechtspolitischer Natur. Im Insolvenzverfahren lassen sich derartige Eingriffsrechte in zweifacher Hinsicht rechtfertigen: Zum einen dienen sie der Erhaltung und gerechten Verteilung der Masse; zum anderen ermöglichen sie die Identifizierung und Fortführung von sanierungsfähigen und -würdigen Unternehmen in der Insolvenz.42 Im vorinsolvenzlichen Bereich ist demgegenüber aus wettbewerbspolitischer Perspektive Zurückhaltung geboten. Hinzu kommt, dass nicht ausgeschlossen ist, dass mit der Aufnahme von Sonderkündigungsrechten in den präventiven Rahmen das Insolvenzverfahren, das mit dem 40 BT-Drucks. 19/24181, S. 113 – s. auch § 7 Rz. 77. 41 Siehe dazu nur BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, NJW 1995, 1739 = AG 1995, 368. 42 Heese, JZ 2018, 179, 181; Westpfahl, ZRI 2020, 157, 159.

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ESUG erst vor kurzem eine Aufwertung erfahren hat, wieder geschwächt wird. Auf der anderen Seite ist aber nicht zuletzt auch der internationale Wettbewerb zu berücksichtigen. Entsteht der Eindruck, dass ein deutsches präventives Regime dadurch einen Wettbewerbsnachteil erleidet, dass die für ein forum shopping in Betracht kommenden Jurisdiktionen Eingriffe für eine leistungswirtschaftliche Sanierung zur Verfügung stellen, wäre dies ein relevanter Datenpunkt. 38 Die Restrukturierungs-Richtlinie enthält keine Beschränkung auf finanzwirtschaftliche Re-

strukturierungen oder auf „Geldkreditgeber“. Der deutsche Gesetzgeber konnte mithin den Anwendungsbereich des präventiven Restrukturierungsrahmens entsprechend öffnen. Es wird sogar behauptet, dass es einen Umsetzungsmangel darstellen würde, wenn der Anwendungsbereich auf Finanzgläubiger beschränkt bliebe.43 Dementsprechend konnte der deutsche Gesetzgeber im Referentenentwurf und noch im Regierungsentwurf zulässigerweise das zuvor beschriebene Vertragsbeendigungsrecht vorsehen, welches letztlich die Tür für eine Erleichterung der leistungswirtschaftlichen Sanierung geöffnet hätte. Dieses Recht ist jedoch letztlich nicht Gesetz geworden, so dass das StaRUG nunmehr im Kern nur ein Instrument zur finanzwirtschaftlichen Restrukturierung ist.

5. One size fits all? 39 Die Anforderungen an Unternehmen ab einer gewissen Größenordnung sind im Zweifel an-

ders gelagert als bei kleinen und mittleren Unternehmen, wobei für das Merkmal „Größe“ durchaus unterschiedliche Aspekte relevant sein können (Bilanzsumme, Anzahl der Arbeitnehmer, Anzahl der Gruppengesellschaften, sachliche Breite der unternehmerischen Aktivitäten, etc.). In die Restrukturierung größerer Unternehmen ist typischerweise eine Vielzahl von professionellen Beteiligten involviert. Häufig geht es auf der Schuldnerseite um Konzerne und damit eine Vielzahl von Gruppengesellschaften mit jeweils eigenen Geschäftsleitern und einem komplexen Geflecht aus Intercompany-Beziehungen. Sodann sind bei größeren Fällen regelmäßig erfahrene Berater mit ausreichend großen Teams involviert. Sanierungsversuche außerhalb wie innerhalb der Insolvenz können daher adäquat vorbereitet und durchgeführt werden. Damit hängt schließlich die Kostenfrage zusammen, da in größeren Fällen regelmäßig auch ausreichend finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, um die Kosten etwa eines der Komplexität der Situation gerecht werdenden Sanierungsversuches zu decken.44 Bei „kleineren“ Unternehmen sind diese Merkmale schwächer ausgeprägt bzw. gar nicht vorhanden. Allerdings zeigt sich auch insoweit kein einheitliches Bild. Wie schon der Begriff KMU, der für kleine und mittlere Unternehmen steht, zum Ausdruck bringt, handelt es sich auch insoweit nicht um einheitliche Lebenssachverhalte. Jedenfalls aber wäre es vorteilhaft, für KMU ein vereinfachtes, schnelles und effizientes Verfahren zur Verfügung zu stellen, bei dem unnötige Kosten vermieden werden und der Zugang erleichtert wird.45

40 Um den unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden, hat der Gesetzgeber im ESUG

bekanntlich einen differenzierenden Ansatz verfolgt, indem in § 22a InsO für die Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses auf die dort genannten Größenmerkmale abgestellt wird.

41 Im StaRUG ist der Gesetzgeber indes einen anderen Weg gegangen. Insbesondere fehlt eine

Differenzierung nach Größenmerkmalen. Allerdings bedeutet der modulare Ansatz, dass KMU nur jenes Instrument in Anspruch nehmen müssen, welches auch tatsächlich benötigt wird, mithin nicht alle Vorschriften des StaRUG zwingend relevant für sie sind. Das Größenproblem adressiert der Gesetzgeber vielmehr über die Seite der Planbetroffenen. So soll die 43 Madaus, DB 2019, 592, 596. 44 Siehe dazu Westpfahl, ZRI 2020, 157, 161 f. 45 Siehe dazu bereits Madaus/Wessels, KTS 2018, 247, 274.

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Einführung | Rz. 45

Auswahl der Planbetroffenen auch dann sachgerecht sein, wenn die Forderungen von Kleingläubigern, insbesondere Verbrauchern, Klein- und Kleinstunternehmen oder mittleren Unternehmen unberührt bleiben (§ 8 Nr. 2 StaRUG). Außerdem ist ein Restrukturierungsbeauftragter von Amts wegen zu bestellen, wenn im Rahmen der Restrukturierung die Rechte von Verbrauchern oder mittleren, kleinen oder Kleinstunternehmen berührt werden (§ 73 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG). Zudem liegt inzwischen, wie in § 16 StaRUG vorgesehen, die vom Bundesjustizministerium 42 erstellte Checkliste für Restrukturierungspläne vor, die sich insbesondere an den Bedürfnissen von kleinen und mittleren Unternehmen orientiert. Damit soll diesen Unternehmen eine Hilfestellung für die Konzipierung und Erstellung von Restrukturierungsplänen nach den §§ 5 ff. StaRUG gegeben werden.

6. Internationaler Wettbewerb Das deutsche Restrukturierungsrecht befindet sich zunehmend in einem internationalen 43 Wettbewerb um das aus Sicht der jeweiligen Beteiligten attraktivste Regime.46 Das ist spätestens seit den ersten Restrukturierungen von deutschen Unternehmen im Rahmen eines Company Voluntary Arrangement im Anschluss an eine „Migration“ nach England bekannt. In der Folge wurde das Company Voluntary Arrangement von dem ebenfalls englischen Scheme of Arrangement verdrängt (s. Ausl. Sanierungsverfahren Kap. GB Rz. 1 ff., 5). Während die Engländer also nur auf bestehende Verfahrensangebote zurückgreifen mussten, haben andere Mitgliedsstaaten in den letzten Jahren die rechtlichen Rahmenbedingungen für Sanierungen überarbeitet und moderne Verfahren sowohl für den vorinsolvenzlichen Bereich als auch für die Insolvenz eingeführt.47 Zuletzt hat der englische Gesetzgeber mit dem Restructuring Plan48 ein noch flexibleres Instrument geschaffen, was auch bereits mehrfach erfolgreich zum Einsatz gekommen ist (s. Ausl. Sanierungsverfahren Kap. GB Rz. 102 ff.). Mit der Verabschiedung der Restrukturierungs-Richtlinie hat jedenfalls der europäische Wett- 44 bewerb eine neue Dimension erreicht. Hinzu kommt, dass sie den Mitgliedsstaaten weitgehende Umsetzungsspielräume einräumt. So bestehen über 80 Wahlmöglichkeiten bzw. Abweichungsbefugnisse für den nationalen Gesetzgeber. Wettbewerbsorientierte Gesetzgeber haben also ausreichend Spielraum zur Schaffung eines attraktiven Sanierungsstandortes. Es kann daher als ausgemacht gelten, dass es auch weiterhin zu einem forum shopping kommen wird. Ob damit auch zwingend ein race to the bottom, d.h. ein „ruinöser“ Wettbewerb der Rechtsordnungen zu Lasten der Anteilseigner des Schuldners einhergehen muss, ist indes durchaus nicht zwingend, denn diesen Wettbewerb hat es auch schon vor Verabschiedung der Restrukturierungs-Richtlinie gegeben.49 Mit dem StaRUG hat der deutsche Gesetzgeber ein gut durchdachtes, funktionsfähiges und 45 inhaltlich wettbewerbsfähiges Instrument geschaffen. Er hat jedoch darauf verzichtet, um internationale Restrukturierungen zu werben. Gemäß § 35 StaRUG können nur solche Gesellschaften den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nutzen, die ihren allgemeinen Gerichtsstand oder zumindest den Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit, mithin ihren COMI, in Deutschland haben. Damit müssten ausländische Gesellschaften, die ihren COMI nicht in Deutschland haben, diesen erst nach Deutschland verlegen, um in den Anwendungsbereich des StaRUG zu gelangen. Bei Konzernen mit ausländischen Gruppengesellschaften 46 Siehe dazu bereits Westpfahl, ZRI 2020, 157, 162 f. 47 Vgl. hierzu den rechtsvergleichenden Bericht des European Law Institute „Project on Business Rescue“, abrufbar unter http://ssrn.com/abstract= 3032309. 48 Eingeführt durch Section 46(1) Corporate Insolvency and Governance Act 2020. 49 So zu Recht Bornemann, NZI-Beilage 2019, S. 6, 7.

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Rz. 45 | Einführung

(ohne COMI in Deutschland), deren Verbindlichkeiten ebenfalls in die finanzielle Restrukturierung einbezogen werden sollen, muss daher im Zweifel parallel auf Instrumente der betreffenden Jurisdiktionen zurückgegriffen werden.

IV. Bewertung 1. Vorläufiges Fazit 46 Das StaRUG ist seit dem 1.1.2021 in Kraft. Die Anzahl der gerichtlichen Vorprüfungs- oder

Bestätigungsentscheidungen ist immer noch überschaubar. Im Vergleich dazu sind die neuen Wettbewerber aus England, der Restructuring Plan, bzw. aus den Niederlanden, der Wet homologatie onderhands Akkoord (s. Ausl. Sanierungsverfahren Kap. GB Rz. 102 ff. und Kap. NL Rz. 1 ff.), erfolgreicher. Die Anzahl der dortigen Fälle und Entscheidungen ist wesentlich höher und die dortigen Regelungen scheinen zu funktionieren. Allerdings haben die niedrigen Fallzahlen in Deutschland nur eine geringe Aussagekraft für die Notwendigkeit eines insolvenzvermeidenden Sanierungsinstruments und dessen Handhabbarkeit. Denn in der Zeit seit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes hat es in Deutschland insgesamt vergleichsweise wenige Restrukturierungsfälle und auch Insolvenzen gegeben. Gründe hierfür sind vor allem die COVID-19-Sondergesetzgebungen sowie bis vor kurzem niedrige Zinsen und eine daraus resultierende Liquiditätsschwemme. Es sieht also so aus, als stünde die Bewährungsprobe für das StaRUG noch aus.

47 Wertet man die ersten Entscheidungen sowie die Literatur zum StaRUG aus, entsteht der Ein-

druck, dass es grundsätzlich zu funktionieren scheint. Zwar dominiert inhaltlich der Einsatz für die Zwecke einer finanziellen Restrukturierung. Allerdings ist die Einsatzbandbreite darüber hinaus größer als erwartet. So ist der Restrukturierungsplan auch zur Lösung von Gesellschafterauseinandersetzungen sowie zur Umsetzung einer übertragenden Sanierung, konkret die Übertragung von betriebsnotwendigen Vermögensgütern aus einer nicht insolventen Gesellschaft gemeinsam mit dem Geschäftsbetrieb der sich bereits in der Insolvenz befindlichen operativen Gesellschaft, genutzt worden. Hinzu kommt, dass es bereits einige Fälle gegeben hat, die allein wegen der Verfügbarkeit des Majorisierungsinstruments Restrukturierungsplan gelöst werden konnten, ohne dass es der Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens bedurft hätte. In einigen Fällen wurde das Verfahren initiiert, musste aber nicht durchgeführt werden; in anderen reichte die Erstellung der notwendigen Dokumentation (Restrukturierungsplan, Anzeige, etc.) bzw. die Bereitschaft, diesen Weg zu gehen. Sehr wenig Erfahrungen gibt es demgegenüber mit dem Instrument der Stabilisierungsanordnung, dem Restrukturierungsbeauftragten und der Sanierungsmoderation.

48 Auf Grund der noch geringen Fallzahlen ist es zwar noch zu früh für eine fundierte Bestands-

aufnahme. Gleichwohl kristallisieren sich bereits einige Aspekte heraus, über die de lege ferenda zu diskutieren sein und diskutiert werden wird:

2. Diskussionsbedarf a) Geschäftsleiterpflichten und Gläubigerinteressen 49 Wie vorstehend erläutert, gehörte der noch im Referentenentwurf und im Regierungsentwurf

vorgesehene shift of fiduciary duties zur gesetzgeberischen Konzeption der Einbeziehung der Anteilseigner in die Sanierung. Denn wenn es in die alleinige Entscheidungsbefugnis der Gesellschafter fällt, ob das StaRUG in Anspruch genommen werden soll oder nicht, ist es erwartbar, dass dies jedenfalls in den Fällen nicht passiert, in denen Eingriffe in Gesellschafterrechte zum Sanierungserfolg notwendig sind. Zwar wurde die Streichung des shift of fiduciary duties

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vor allem damit begründet, die sich daraus ergebenden Haftungsrisiken für Organe reduzieren zu wollen; allerdings dürfte eher das Gegenteil der Fall sein. Immerhin wird aber bereits – insbesondere unter den Gesellschaftsrechtlern – intensiv darüber diskutiert, wie der Pflichtenkanon für die Geschäftsleiter ausgestaltet sein müsste, um den sachgerechten Interessen des Unternehmens und seiner Gläubiger angemessen zur Geltung zu verhelfen, ohne hierbei die Anteilseigner schutzlos zu stellen (s. § 1 Rz. 18 ff.). Diese Diskussion wird nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund von Art. 19 Buchst. a Restrukturierungs-RL geführt.50 b) Mehrseitige Finanzierungsverträge Der Gesetzgeber hat mit § 2 Abs. 2 StaRUG eine sehr durchdachte Regelung zur Gestaltung 50 von mehrseitigen Finanzierungsverträgen vorgelegt. Sie ermöglicht nicht nur die Gestaltung von Konsortialkreditverträgen, sondern auch von Anleihen und Schuldscheinemissionen einschließlich ergänzender Intercreditor-Vereinbarungen. Allerdings zeigen schon die ersten Befassungen mit komplexen Finanzierungsstrukturen, dass sich eine Reihe von Fragen stellen, die in § 2 StaRUG bzw. in anderen relevanten Vorschriften nicht konkret adressiert sind. Einige dieser Fragen können ohne weiteres der Rechtsprechung überantwortet werden. Beispielhaft sei an dieser Stelle die Frage genannt, wie weit die Gestaltung im Rahmen von § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG gehen kann. Soll sich die Gestaltungsbefugnis nur auf bereits vorhandene und „typische“ Regelungen erstrecken oder ist auch die Einführung neuer Einzelbestimmungen oder Bedingungen zulässig? Soll sich die Gestaltungsbefugnis nur auf notwendige Änderungen erstrecken oder soll der Maßstab darüber hinaus eine Zweckmäßigkeit sein?51 Grundlegender wird es demgegenüber, wenn es darum geht, welche Parteien in den Anwen- 51 dungsbereich eines Restrukturierungsplans einbezogen werden können. So diskutieren Finanzierer bereits zur prophylaktischen Abwehr gegen unerwünschte Pläne darüber, IntercreditorVereinbarungen zukünftig nur zwischen Gläubigern, aber ohne den Schuldner abzuschließen. Dann würde sich die Frage stellen, ob § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG in solchen Konstellationen analog anzuwenden ist. Andererseits gibt es Intercreditor-Vereinbarungen, an denen nicht nur der Schuldner, sondern auch andere Gruppengesellschaften beteiligt sind. Können die Wirkungen eines Restrukturierungsplans auch auf diese anderen Gruppengesellschaften erstreckt werden, ohne dass es zusätzlicher Pläne bedarf? Ggf. muss an dieser Stelle de lege ferenda nachgebessert werden. c) Internationale Zuständigkeit Wie beschrieben führt die Zuständigkeitskonzeption des StaRUG (§ 35) dazu, dass nur solche 52 Gesellschaften den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nutzen können, die ihren allgemeinen Gerichtsstand oder zumindest den Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit, mithin ihren COMI, in Deutschland haben. Ausländische Gesellschaften, die ihren COMI nicht in Deutschland haben, müssten diesen also erst nach Deutschland verlegen, um in den Anwendungsbereich des StaRUG zu gelangen. Damit ist es nicht möglich, Konzerne, die zwar ihre Hauptverwaltung bzw. den Sitz ihrer Holdinggesellschaft (und ggf. weiterer operativer Gesellschaften) in Deutschland haben, über Restrukturierungspläne ausschließlich nach dem StaRUG zu restrukturieren, wenn – was häufig vorkommt – weitere ausländische Konzerngesellschaften ebenfalls Kreditnehmer sind. In diesen Fällen muss zwingend auf ausländische Instrumente zurückgegriffen werden. Das macht die Restrukturierung komplexer, teuer und 50 Von einer nicht richtlinienkonformen Umsetzung gehen aus: Tresselt/Glöckler, NWB Sanieren 2021, 80, 85 sowie 109, 111 f.; ebenso, wenn auch mit anderer Schlussfolgerung de lege lata Guntermann, WM 2021, 214, 221 ff. und Jungmann, ZRI 2021, 209, 212 f.; a.A. Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1193 und s. § 1 Rz. 5 ff. 51 Siehe dazu bereits AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 = DB 2021, 1462.

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Rz. 52 | Einführung

störungsanfälliger, da parallele Verfahren in verschiedenen Jurisdiktionen schlechter synchronisiert werden können als parallele Restrukturierungspläne nach dem StaRUG. Im Zweifel werden solche Konzerne aber von vornherein in eine Jurisdiktion ausweichen, die eine niedrigere (internationale) Zuständigkeitshürde vorsehen. Auch diesbezüglich wird der Änderungsbedarf de lege ferenda zu diskutieren sein.

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Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement | § 1

Teil 1 Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement (§ 1)

§1 Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern (1) Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht. Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Befassung hin. (2) Bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit [ab 1.1.2024: „rechtsfähige Personengesellschaften“] im Sinne von § 15a Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2 der Insolvenzordnung gilt Absatz 1 entsprechend für die Geschäftsleiter der zur Geschäftsführung berufenen Gesellschafter. (3) Weitergehende Pflichten, die sich aus anderen Gesetzen ergeben, bleiben unberührt. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256); Abs. 2 mit Wirkung v. 1.1.2024 geändert durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Allgemeiner Überblick . . . . . . . . . . . . . . . 1. Norminhalt, systematische Stellung und Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematische Stellung . . . . . . . . . . . . . c) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorgaben der Restrukturierungs-RL und StaRUG-Umsetzung (Gesetzgebungshistorie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorgaben der Restrukturierungs-RL . . b) StaRUG-Umsetzung von Art. 19 Restrukturierungs-RL . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Personeller Anwendungsbereich der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Juristische Personen (§ 1 Abs. 1 StaRUG) 2. Beschränkt haftende Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (§ 1 Abs. 2 StaRUG) 3. Auslandsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . III. Normadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Pflichteninhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlegende Struktur . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 1 2 4 5 5 7 10 11 11 12 15 16 18 18

2. Überwachungspflicht zur Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelausprägungen der Überwachungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflicht zur bestandssichernden Krisenbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pflicht zur Ergreifung von Maßnahmen zur Bestandssicherung (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berichtspflichten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Pflicht zur Einbeziehung zuständiger Gesellschaftsorgane (§ 1 Abs. 1 Satz 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Unberührt bleiben weitergehender Pflichten (§ 1 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . VI. Rechtsfolgen bei Pflichtenverletzung . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 21 23 26 26 33 39 43 56 58 58 61

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§ 1 Rz. 1 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement Schrifttum: Bea/Dressler, Business Judgement Rule versus Gläubigerschutz? – Praktische Erwägungen zur Organhaftung im Kontext des StaRUG, NZI 2021, 67; Bitter, Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz – Alles neu durch SanInsFoG und StaRUG?, ZIP 2021, 321; Bork, Pflichten der Geschäftsführung in der Krise und Sanierung, ZIP 2011, 101; Brandes/Rabenau, Früherkennung und Bewältigung bestandsgefährdender Risiken im Unternehmen, ZIP 2021, 2374 (Teil 1) und 2566 (Teil 2); Brinkmann, Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise nach dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), ZIP 2020, 2361; Brinkmann in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG ZInsO 2021, 1; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG – Nachtrag zu ZInsO 2021, 1 ff., ZInsO 2021, 125; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Geißler, Die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) in der Entscheidungsverantwortung des GmbH-Geschäftsführers, ZInsO 2013, 919; Goetker, Der Geschäftsführer in der Insolvenz der GmbH, 1999; Guntermann, StaRUG: Neuausrichtung der Geschäftsleiterpflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit?, WM 2021, 214; Jungmann, Die Ausrichtung der Pflichten von Gesellschaftsorganen an den Interessen der Residualberechtigten, ZRI 2021, 209; Klöhn, Interessenkonflikt zwischen Aktionären und Gläubigern der Aktiengesellschaft im Spiegel der Vorstandspflichten, ZGR 2008, 110; Korch, Sanierungsverantwortung von Geschäftsleitern, ZGR 2019, 1050; Kuntz, §§ 2, 3 StaRUG-E: Gesetzlich verordnete bad corporate governance, ZIP 2020, 2423; Kuntz, Geschäftsleiterhaftung bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach StaRUG, ZIP 2021, 597; Müller, Sanierung nach der geplanten EU-Restrukturierungs-Richtlinie, ZGR 2018, 56; Ristelhuber, Gläubigerinteresse versus Gesellschafterweisung, NZI 2021, 417; Saenger/Al-Wraikat, Insolvenzrecht versus Gesellschaftsrecht: Wer darf bei der GmbH wann den Schutzschirm öffnen?, NZG 2013, 1201; Ph. Scholz, Die Krisenpflichten von Geschäftsleitern nach Inkrafttreten des StaRUG, ZIP 2021, 219; Seibt, Pflichten der Geschäftsleitung bei Eingehung von Finanzierungsgeschäften – in Normal- und Krisenzeiten des Unternehmens, ZIP 2013, 1597; Seibt, Corporate Resilience Management: Rechtsrahmen für Geschäftsleiterhandeln, DB 2016, 1978; Seibt, 20 Thesen zur Corporate Governance und Unternehmensorganisation in VUCA-Zeiten, DB 2018, 237; Seibt, Krisenmanagement: Rechtsrahmen für Geschäftsleiterhandeln, BB 2019, 2563; Seibt/Bulgrin, Entwurf zum Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) – Kritische Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, DB 2020, 2226; Seibt/von Treuenfeld, Gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Aspekte der EU-Restrukturierungsrichtlinie, DB 2019, 1190; Skauradszun, Neuralgische Punkte der Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG, ZRI 2020, 625; Skauradszun, Grundfragen zum StaRUG – Ziele, Rechtsnatur, Rechtfertigung, Schutzmechanismen, KTS 2021, 1; Skauradszun/Amort, Krisenfrüherkennung und -management, Organkompetenzen und die Frage nach der Restrukturierungsverschleppungshaftung, DB 2021, 1317; Smid, Innen- und Außenhaftung des Geschäftsleiters bei Inanspruchnahme des Restrukturierungsrahmens durch die schuldnerische Gesellschaft nach § 43 StaRUG, ZInsO 2021, 117; Strohn, Faktische Organe – Rechte, Pflichten, Haftung, DB, 2011, 158; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985.

I. Allgemeiner Überblick 1. Norminhalt, systematische Stellung und Normzweck a) Norminhalt 1 Die Vorschrift des § 1 StaRUG regelt allgemeine, rechtsformübergreifende und fortlaufende

Rechtspflichten für Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Rechtsträger, bestandsgefährdende Entwicklungen zu überwachen und mit deren Erkennen darauf zu reagieren. Die Aufspaltung des Pflichteninhalts für Geschäftsleiter im Zusammenhang mit bestandsgefährdenden Krisen in eine Überwachungspflicht zur Krisenfrüherkennung einerseits und in eine Handlungspflicht zum Krisenmanagement bzw. zur Krisenbewältigung andererseits entspricht dem allgemeinen Verständnis der Pflichtenlage der Geschäftsleiter zum allgemeinen Krisenmanagement.1 Die Handlungspflicht zum Risikomanagement wird ausgelöst durch das Erken1 Vgl. Seibt, BB 2019, 2563, 2565 ff.

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Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement | Rz. 3 § 1

nen bestandsgefährdender Entwicklungen durch die Geschäftsleiter und umfasst einerseits die Pflicht, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 StaRUG) und andererseits die Pflicht, den Überwachungsorganen unverzüglich Bericht zu erstatten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StaRUG). Im Hinblick auf die Pflicht zur Ergreifung von Maßnahmen zur Bestandssicherung wird ergänzend normiert, dass in den Fällen, in denen die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeit anderer Organe berühren, unverzüglich auf deren Befassung hinzuwirken ist (sog. Einbeziehungspflicht; § 1 Abs. 1 Satz 3 StaRUG). Hierdurch wird klargestellt, dass § 1 StaRUG den Geschäftsleitern keine verdrängende Sonderzuständigkeit zur Bewältigung bestandsgefährdender Krisen zuweist, sondern es umgekehrt bei der allgemeinen, rechtsformabhängigen Zuständigkeitsverteilung zwischen den Gesellschaftsorganen und den jeweiligen Entscheidungsprozessen bleibt (Rz. 43 ff.). Weitergehende Pflichten zur Krisenfrüherkennung und zur Krisenbewältigung der Geschäftsleiter oder anderer Gesellschaftsorgane, die sich aus anderen Gesetzen ergeben (z.B. § 91 Abs. 2 AktG, § 25a Abs. 1 Satz 2 KWG), bleiben von § 1 StaRUG unberührt, d.h. diese werden nicht verdrängt (§ 1 Abs. 3 StaRUG). Bei insolvenzantragspflichtigen Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit i.S.v. § 15a Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 InsO gelten die Pflichten zur Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement entsprechend für die Geschäftsleiter der zur Geschäftsführung berufenen Gesellschafter (§ 1 Abs. 2 StaRUG). b) Systematische Stellung Das StaRUG ist in vier Teile gegliedert, und Teil 1 mit der Überschrift „Krisenfrüherkennung 2 und Krisenmanagement“ wird allein durch § 1 StaRUG gebildet; Teil 2 enthält Regelungen zum „Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen“, Teil 3 solche zur „Sanierungsmoderation“ und Teil 4 solche zu den „Frühwarnsysteme[n]“. Diese Trennung der Geschäftsleiterpflichten in § 1 StaRUG von den Regelungen zum eigentlichen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (Teil 2) macht deutlich, dass der in § 1 StaRUG geregelte Pflichtenkanon der Geschäftsleiter unabhängig von der Verfügbarkeit (oder gar Nutzung) des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ist: Die Geschäftsleiterpflichten nach § 1 StaRUG sind insoweit allgemeine Regelungen, die also insbesondere nicht davon abhängen, ob Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens vom Schuldner in Anspruch genommen werden bzw. in Anspruch genommen werden könnten.2 Das „Vor-die-Klammer-ziehen“ von § 1 StaRUG als Teil 1 des StaRUG vor den im Teil 2 geregelten Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen zeigt in systematischer Hinsicht zutreffend an, dass die Erfüllung dieser Pflichten zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement im Regelfall für die vorgelagerte Beurteilung geeignet sein wird, ob insbesondere eine Restrukturierungssache gem. § 31 Abs. 3 StaRUG rechtshängig gemacht, ein Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gem. § 29 StaRUG in Anspruch genommen wird oder eine Sanierungsmoderation (Teil 3) als Krisenbewältigungsmaßnahme verfolgt werden sollte.3 Nur zur Klarstellung: Auch in dem seltenen Ausnahmefall, in dem trotz einer ernsthaften Finanzkrise die Geschäftsleiter von vornherein nicht an die Inanspruchnahme einer Regelung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Betracht ziehen, gelten die Geschäftsleiterpflichten nach § 1 StaRUG uneingeschränkt. Die systematische Regelung der Geschäftsleiterpflichten in § 1 StaRUG und als gesonderter 3 Teil 1 des StaRUG zeigt überdies die hohe Bedeutung, die der historische Gesetzgeber diesen gesellschaftsrechtlich zu qualifizierenden Regelungen beigemessen hat. Die Bedeutung der Normierung allgemeiner, rechtsformübergreifender Regelungen zu den Geschäftsleiterpflichten ist insbesondere in der ursprünglichen Konzeption des Referenten- und dann des Regie-

2 Ebenso Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 10. 3 Zutr. Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 10.

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§ 1 Rz. 3 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement rungsentwurfs augenscheinlich, in der die Geschäftsleiterpflichten des § 1 StaRUG noch ergänzt waren durch (zweifelhafte) Regelungen zur Pflichtenausrichtung und zur Haftung (s. Rz. 8). c) Normzweck 4 Die Regelung der Geschäftsleiterpflichten in § 1 StaRUG dient der Bestandssicherung des

Unternehmens, also der Insolvenzvermeidung, und damit der (nachhaltigen) Wertsicherung zugunsten der Anteilsinhaber, der Gläubiger und der weiteren Interessenträger (Stakeholder) des Unternehmens, indem die Geschäftsführer verpflichtet werden, durch Mechanismen oder Strukturen der Früherkennung bestandsgefährdende Entwicklungen so früh als möglich zu erkennen und dann solche geeigneten Gegenmaßnahmen durchführen zu können, die eine (nachhaltige) Sanierung des Unternehmens zum Ziel haben.4 Das beruht auf dem Grundgedanken, dass „[j]e früher ein Schuldner seine finanziellen Schwierigkeiten erkennen und geeignete Maßnahmen treffen kann, desto höher (...) die Wahrscheinlichkeit [ist], dass eine wahrscheinliche Insolvenz abgewendet wird“ (ErwGr. 22 Satz 1 Halbs. 1 RestrukturierungsRL). Dieser Normzweck wird auch dadurch deutlich, dass § 1 StaRUG der Umsetzung von Art. 19 Restrukturierungs-RL dient, wonach die Mitgliedsstaaten sicherstellen sollen, dass die Geschäftsleiter von Unternehmen, bei denen eine Insolvenz wahrscheinlich ist, unter gebührender Berücksichtigung der Interessen der Gläubiger, Anteilseigner und sonstiger Interessenträger des Unternehmens (Buchst. a) Schritte einzuleiten haben, um eine Insolvenz abzuwenden (Buchst. b) und solches (vorsätzliches oder grob fahrlässiges) Verhalten vermeiden müssen, dass die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet (Buchst. c).5

2. Vorgaben der Restrukturierungs-RL und StaRUG-Umsetzung (Gesetzgebungshistorie) a) Vorgaben der Restrukturierungs-RL 5 Die Regelung in § 1 StaRUG dient, dem Willen des historischen Gesetzgebers zufolge, zur

Umsetzung von Art. 19 Restrukturierungs-RL, der im Rahmen von Titel II „Präventive Restrukturierungsrahmen“ dort ein eigenes Kapitel 5 („Pflichten der Unternehmensleitung“) bildet. Art. 19 Restrukturierungs-RL ist einerseits durch die Verknüpfung mit dem Umstand „einer wahrscheinlichen Insolvenz“ und anderseits durch seine systematische Stellung mit dem im nationalen Recht vorzuhaltenden „präventiven Restrukturierungsrahmen“ verbunden. Während die Restrukturierungs-RL-Entwurfsfassungen anfangs weitreichende, tief in nationales Gesellschaftsrecht eingreifende Regelungen vorgesehen hatten (z.B. eine Pflicht der Geschäftsleiter zur gleichzeitigen Beachtung der Interessen von Gläubigern, Anteilsinhabern und sonstigen Interessenträgern oder eine Pflicht zur Verlustminimierung),6 sieht Art. 19 Restrukturierungs-RL nun (nur noch) vor, dass die Mitgliedsstaaten zu Lasten der Unternehmensleitungen bei einer wahrscheinlichen Insolvenz als Mindeststandard Folgendes zu regeln haben: (1)Die Unternehmensleitung hat die Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstigen Interessenträger (Englisch: „stakeholders“; Französisch: „autres parties prenantes“) gebüh-

4 Ähnlich Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 2a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Ehret in Braun, 2021, § 1 StaRUG Rz. 1. 5 Vgl. auch RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 103 (die dortige Formulierung weicht vom Text in Art. 19 Restrukturierungs-RL geringfügig ab). 6 Zur Entstehungsgeschichte von Art. 19 Restrukturierungs-RL z.B. Korch, ZGR 2019, 1050, 1054 ff.; Demisch in Morgen, Präventive Restrukturierung, 2019, Rz. 5 ff.; Ph. Scholz, ZIP 2021, 2019, 2020 f.

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Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement | Rz. 7 § 1

rend zu berücksichtigen (Englisch: „have due regard“; Französisch: „tiennent dûment compte“) (Buchst. a). Nach ErwGr. 71 Satz 4 Restrukturierungs-RL zielt dabei Art. 19 nicht darauf ab „eine Rangfolge zwischen den verschiedenen Parteien festzulegen, deren Interessen gebührend berücksichtigt werden müssen“. Allerdings lässt die Restrukturierungs-RL die Kompetenz der Mitgliedsstaaten unberührt, eine solche Rangfolge festzulegen (ErwGr. 71 Satz 5 Restrukturierungs-RL), wovon der deutsche Gesetzgeber allerdings abgesehen hat. (2)Die Unternehmensleitung hat bei ihrem Handeln die Notwendigkeit gebührend zu berücksichtigen, Schritte einzuleiten, um eine Insolvenz abzuwenden (Buchst. b). Nach ErwGr. 70 Restrukturierungs-RL bedeutet dies einerseits, dass die Unternehmensleitung weiterhin vertretbare Geschäftsentscheidungen treffen oder vertretbare wirtschaftliche Risiken eingehen dürfen muss, vor allem wenn dies die Aussichten auf eine Restrukturierung verbessert (Satz 1) und andererseits die Unternehmensleitung Schritte einleiten sollte, um Verluste möglichst gering zu halten und eine Insolvenz abzuwenden (Satz 2 mit entsprechenden Beispielmaßnahmen). Hieraus ergibt sich allerdings keine unionsrechtliche Vorgabe zur Gewährleistung einer autonomen Geschäftsleitung, in dem Sinne, dass die Geschäftsleitung autonom über die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens oder andere StaRUG-Maßnahmen entscheiden dürfte.7 (3)Die Unternehmensleitung muss die Notwendigkeit gebührend berücksichtigen, vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zu vermeiden, dass die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet (Buchst. c). ErwGr. 71 Satz 2 Restrukturierungs-RL führt hierzu beispielhaft aus, dass es notwendig sei sicherzustellen, dass die Unternehmensleitung vermeidet, „vorsätzliche oder grob fahrlässige Handlungen vorzunehmen, die auf Kosten der [Interessenträger]8 zu persönlichen Vorteilen führen, und vermeidet, Transaktionen unter Marktwert zuzustimmen oder Maßnahmen zu treffen, die eine unfaire Bevorzugung eines oder mehrerer Interessenträger zur Folge haben“. Diese finale Fassung von Art. 19 Restrukturierungs-RL (mit den Erläuterungen in ErwGr. 70 6 und ErwGr. 71 Restrukturierungs-RL) bildet einen sehr weiten und flexiblen Harmonisierungsrahmen für die nationale Festlegung von Geschäftsleiterpflichten ab dem Zeitpunkt „einer wahrscheinlichen Insolvenz“ (Englisch: „if there is a likelihood of insolvency“; Französisch: „lorsqu'il est une probabilité d’insolvabilité“). Da das deutsche Gesellschafts- und Insolvenzrecht den Anforderungen von Art. 19 Restrukturierungs-RL, jedenfalls nach überwiegender Auslegung, bereits vor dem StaRUG-Inkrafttreten gerecht wurde, hätte es an sich einer Neuregelung nicht bedurft; § 1 StaRUG ist daher als eine bloß rechtsklarstellende Regelung in Umsetzung von Art. 19 Restrukturierungs-RL zu qualifizieren.9 b) StaRUG-Umsetzung von Art. 19 Restrukturierungs-RL Im (BMJ-)Referenten- sowie im Regierungsentwurf bestand Teil 1 noch aus drei Normen, 7 die neben dem Pflichtenkanon in § 1 StaRUG (der bis auf wenige sprachliche Anpassungen seit dem Referentenentwurf bis zum Inkrafttreten im Wesentlichen unverändert blieb) noch (i) eine Regelung der Pflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 2 RegE), der die Pflichten haftungsbeschränkter Rechtsträger in der Krise konkretisierte und festlegte, dass die Geschäftsleiter ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 Abs. 2 InsO die Interessen der Gläubiger zu wahren haben sowie (ii) besondere Haftungsregelungen (§ 3 RegE: Kon7 A.A. Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1320 ff. 8 Der deutsche Text von ErwGr. 71 Satz 2 spricht offenkundig fälschlicherweise von „Anteilsinhaber“, die englische Sprachfassung richtigerweise von „stakeholders“ und die französische Sprachfassung von „parties prenantes“. 9 Etwas schwächer z.B. Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 3 („Umsetzungsbedarf in Deutschland gering“).

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§ 1 Rz. 7 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement zept der Binnenhaftung, gerichtet auf den Ausgleich des den Gläubigern entstandenen Schadens in die Gesellschaft) enthielt. Der Text der §§ 2 und 3 in der Fassung des Regierungsentwurfes war wie folgt: § 2 (Pflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit) (1) Ist die juristische Person oder die Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit i.S.v. § 15a Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2 der Insolvenzverordnung drohend zahlungsunfähig (§ 18 Insolvenzverordnung), wahren die Geschäftsleiter die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger. Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn der Geschäftsleiter vernünftigerweise davon ausgehen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen die Interessen der Gläubiger zu wahren. (2) Die Mitglieder der Überwachungsorgane wachen über die Einhaltung der Pflicht der Geschäftsleiter nach Absatz 1. Beschlüsse und Weisungen der Überwachungsorgane und anderer Organe sind unbeachtlich, soweit sie der nach Absatz 1 gebotenen Wahrung der Gläubigerinteressen entgegenstehen. (3) Ist oder wird die juristische Person im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit führungslos, sind die dazu berufenen Organe verpflichtet, durch Bestellung der erforderlichen Mitglieder des Geschäftsleitungsorgans die Handlungsfähigkeit der juristischen Person sicherzustellen. (4) Vorbehaltlich der Pflicht nach Absatz 1 berücksichtigen die Geschäftsleiter nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen auch die Interessen der an dem Schuldner beteiligten Personen und der sonstigen Beteiligten, deren Interessen durch ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der juristischen Person oder der Gesellschaft berührt würden. § 3 (Haftung) (1) Ein Geschäftsleiter, welcher seine Pflicht nach § 2 Absatz 1 verletzt, haftet der juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit für den entstandenen Schaden, es sei denn, er hat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten. (2) Absatz 1 gilt auch für Mitglieder der Überwachungsorgane, welche ihre Pflicht nach § 2 Absatz 2 verletzen. (3) Ein Mitglied des für die Bestellung von Geschäftsleitern zuständigen Orans, das seiner Pflicht nach § 2 Absatz 3 schuldhaft nicht nachkommt, ist der juristischen Person für den infolge der Führungslosigkeit entstehenden Schaden verantwortlich, es sei denn, ihm ist weder die drohende Zahlungsunfähigkeit noch die Führungslosigkeit bekannt. (4) Ein Verzicht der juristischen Person oder der Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit auf Ersatzansprüche, die aus der Verletzung von Pflichten nach § 2 Abs. 1–3 resultieren, oder ein Vergleich über diese Ansprüche ist unwirksam, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. Dies gilt nicht, wenn der Ersatzpflichtige sich zur Abwendung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen mit seinen Gläubigern vergleicht, wenn Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird oder wenn für den Ersatzberechtigten ein Insolvenzverwalter handelt. (5) Ansprüche aus den vorstehenden Vorschriften verjähren in fünf Jahren. Bestand zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung eine Börsennotierung, verjähren die Ansprüche in zehn Jahren.

8 Die über § 3 RegE haftungsbewährte Neuregelung der Pflichtenausrichtung der Geschäftslei-

ter, bereits vor Entstehung einer Insolvenzantragspflicht die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger vorrangig zu berücksichtigen (sog. „shift of fiduciary duties“) wäre ein „Paradigmenwechsel“ im Gesellschaftsrecht gewesen10 und hätte dazu geführt, dass die Gesellschafter haftungsbeschränkter Rechtsträger bereits vor Eintritt einer Insolvenzantragspflicht und auch vor der Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens die an sich gesellschaftsrechtlich vorgesehenen Einflussnahmemöglichkeiten (Beschlusskompetenz der Anteilseignerversammlung) verloren hätten; die Gesellschafter hätten sogar zur Umsetzung eines Restrukturierungsplanes im Rahmen eines Debt Equity-Swaps auch gegen ihren

10 So Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2230; Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2364; Böhm, Börsen-Zeitung v. 10.10.2020, S. 9; a.A. Bitter, ZIP 2021, 321, 322; Thole, ZIP 2020, 1985, 1987 („Was manchem revolutionär erscheinen mag, ist es aus verschiedenen Gründen nicht“).

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Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement | Rz. 9 § 1

Willen ihre Anteile an der Gesellschaft verlieren können.11 Zwar kann ein solcher „shift of fiduciary duties“ von einer Übergewichtung der Anteilseignerinteressen zu den Gläubigerinteressen im Vorfeld einer Insolvenz („in the vicinity of insolvency“) mit dem von der Wirtschaftswissenschaft entwickelten Risiko eines ansonsten eintretenden „gamble for resurrection“ begründet werden,12 dem zufolge die Gesellschafter in Insolvenznähe ein Interesse daran haben, die Geschäftsleiter zu besonders (d.h. objektiv unangemessenem) riskanten Verhalten anzuhalten, da dies ihrem Gewinn/Verlust-Profil als Residualeigentümer in der Insolvenznähe (mit wenig verbleibendem Eigenkapital im Unternehmen) entspricht.13 Aber an dieser Angemessenheit der These gibt es zum einen erhebliche empirische Zweifel (Gründe: z.B. Risikoaversion und Reputation der Geschäftsleiter sowie der Mitglieder der Überwachungsorgane, Financial Covenants in Finanzierungsverträgen und Anleihebedingungen, Risiken für das operative Geschäft wie Kundenausfälle)14 und zum anderen führte eine solche Änderung der Pflichtenausrichtung zu Rechtsunsicherheit und unangemessenen Haftungsrisiken für Geschäftsleiter. Vor dem Hintergrund entsprechender erheblicher Kritik von Wissenschaftlern und Praktikern des Gesellschaftsrechts15 wurden die Regelungen der §§ 2 und 3 des RefE auf Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags (6. Ausschuss) ersatzlos gestrichen; der Rechtsausschuss begründete seine Streichungsempfehlung mit dem „unklare[n] Verhältnis zu den im Gesellschaftsrecht verankerten Sanierungspflichten“ und in dem Verständnis, dass durch die Streichung keine relevanten Haftungslücken entstünden.16 Die StaRUG-Gesetzgebungsgeschichte macht deutlich, dass Art. 19 Restrukturierungs-RL 9 ohne Änderung der bislang in Deutschland geltenden gesellschaftsrechtlichen Geschäftsleiterpflichten und Haftungsnormen umgesetzt wurde. Der noch durch § 2 RegE vorgesehene Paradigmenwechsel einer Pflichtenneuausrichtung zugunsten der Gläubiger und eines Eingriffs in die gesellschaftsrechtliche Organisationsverfassung (Corporate Governance) haftungsbeschränkter Rechtsträger wurde abgelehnt; der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich dafür entschieden, an dem bislang durch Gesellschaft- und Insolvenzrecht geregelten indirekten Schutz von Gläubigerinteressen im Vorfeld der Insolvenz (Publizitätsvorschriften der Rechnungslegung, Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsregelungen, Anfechtungsrecht) festzuhalten. Eine Sonderpflicht zur Wahrung von Gläubigerinteressen ist erst bei Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nach §§ 32 und 43 StaRUG vorgesehen. Die Umsetzung von Art. 19 Restrukturierungs-RL mit § 1 StaRUG und unter Aufrechterhaltung der bisherigen gesellschaftsrechtlichen Normen war richtlinienkonform.17 Eine „richtlinienkonforme Auslegung“ mit dem Ziel, die Gläubigerinteressen bei Ausübung der Pflichten 11 Vgl. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2230 ff.; Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2365; vgl. auch Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 4. 12 So ausdr. Begr. RefE SanInsFoG v. 19.9.2020, S. 113 f.; vgl. hierzu Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2230. 13 Zum „gambling for resurrection“ grundlegend Jensen/Meckling, J. of Financial Economics 3 (1976), 305–360; Myers, J. of Financial Economics 5 (1977), 147–175; zur Anwendung bei Finanzinstituten vgl. Stiglitz/Weiss, American Economic Rev. 99 (2011), 1–10; zu dem verstärkten Interessengegensatz zwischen Gläubigern und Gesellschaftern im insolvenznahen Bereich aus rechtsvergleichender Sicht eingehend: Klöhn, ZGR 2008, 110, 113 ff. 14 Hierzu z.B. für die regulierte (!) US-Finanzindustrie Ben-David/Palvia/Stulz, Do distressed banks really gamble for resurrection?, Präsentation zur FDIC/JFSR Conference, 13.9.2019 (empirische Daten 1985–1994 und 2005-2014 belegen „deleverage“ und Reduktion risikoreicher Geschäfte in Krisensituationen). 15 Z.B. Kuntz, ZIP 2020, 2423; Mülbert/Wilhelm, Börsen-Zeitung v. 23.10.2020, S. 10, 11; Skauradszun, ZRI 2020, 625, 627 ff. 16 Vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drucks. 19/25353, S. 6 a.E. 17 Zweifel an einer „vollständigen Europarechtskonformität“ der Umsetzung äußert Mock in BeckOK/ StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 1.3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 1 Rz. 9 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement der Geschäftsleiter vorrangig vor denjenigen der Anteilsinhaber zu gewichten, ist unzulässig, zumal Art. 19 Restrukturierungs-RL (wie sich auch aus ErwGr. 71 Satz 4 RestrukturierungsRL ergibt) einen solchen „shift of fiduciary duties“ gerade nicht vorgibt.18

3. Inkrafttreten 10 § 1 StaRUG ist am 1.1.2021 in Kraft getreten (Art. 25 Abs. 1 SanInsFoG). Änderungen hat es

an dieser Norm seitdem nicht gegeben. Reformvorschläge zu § 1 StaRUG sind nach Inkrafttreten der Norm bislang nicht vorgebracht worden.

II. Personeller Anwendungsbereich der Norm 1. Juristische Personen (§ 1 Abs. 1 StaRUG) 11 Die Vorschrift des § 1 Abs. 1 StaRUG richtet sich zunächst an die Geschäftsleiter „juristi-

scher Personen“ (ohne dass das StaRUG eine Definition dieses Begriffes enthält). Damit sind zunächst alle juristischen Personen erfasst, über deren Vermögen gem. § 11 InsO ein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann, also insbesondere die AG (einschließlich Reit-AG), die GmbH (einschließlich UG), die KGaA, die SE sowie die eG; erfasst sind nach zutreffender Auffassung auch die echten Vor-Gesellschaften von AG und GmbH.19 Zudem sind auch die weiteren juristischen Personen erfasst, die über § 42 Abs. 2 BGB insolvenzantragspflichtig sind, also insbesondere Vereine aller Art, Stiftungen (§ 86 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 42 Abs. 2 BGB) sowie insolvenzfähige Personen des öffentlichen Rechts (§ 89 Abs. 2 StaRUG i.V.m. § 42 Abs. 2 BGB). Formal gilt die Vorschrift des § 1 StaRUG auch für solche juristische Personen, die bereits aufgelöst worden sind und deren Gesellschaftszweck jetzt auf Abwicklung gerichtet ist.20 Inhaltlich richten sich dann aber die Pflichten zur Krisenfrüherkennung und zum Risikomanagement auf die Einhaltung der weiterhin geltenden Insolvenzantragspflichten.21

2. Beschränkt haftende Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (§ 1 Abs. 2 StaRUG) 12 Die Geschäftsleiterpflichten zur Krisenfrüherkennung und zum Risikomanagement (Abs. 1)

gelten nach ausdrücklicher Regelung in § 1 Abs. 2 StaRUG auch für insolvenzantragspflichtige Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit i.S.v. § 15a Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 InsO entsprechend, für deren Verbindlichkeiten also keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter haftet.22 Es geht also um kapitalistische Personengesellschaften, idealtypisch also um die Kapitalgesellschaft & Co. KG. Durch das MoPeG23 wurde der Begriff der „Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit“ durch den der „rechtsfähigen Personengesell18 Ebenso Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 6; Guntermann, WM 2021, 214, 221; Ph. Scholz, ZIP 2021, 219, 220; a.A. Bitter, ZIP 2021, 321, 322. 19 Ebenso Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 13 a.E; a.A. Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 20 Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 22; Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); a.A. wohl Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1318 („Lebenszeit der verbundenen Gesellschaft“). 21 Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 16; zur Insolvenzantragspflicht bei aufgelösten Rechtsträgern vgl. z.B. Vuia in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 11 InsO Rz. 13. 22 Vgl. auch RegE SanInsFoG BT-Drucks. 19/24181, S. 104. 23 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436.

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Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement | Rz. 15 § 1

schaft“ ersetzt, ohne dass damit inhaltliche Änderungen verbunden sind. Diese Begriffsänderung gilt ab dem 1.1.2024. Normadressat bei der insolvenzantragspflichtigen Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ist 13 der Geschäftsleiter des zur Geschäftsführung berufenen Gesellschafters und nicht der Gesellschafter selbst. Dies bedeutet, dass insbesondere der Geschäftsführer der KomplementärKapitalgesellschaft bei der Kapitalgesellschaft & Co. KG über § 1 Abs. 2 StaRUG den Pflichten des § 1 Abs. 1 StaRUG unterliegt (die Komplementär-Kapitalgesellschaft ist somit selbst nicht betroffen). Da dieser Geschäftsleiter bereits über Abs. 1 adressiert ist, unterliegt er einer doppelten Normanwendung, allerdings mit unterschiedlicher Pflichtenausrichtung. Denn die Personengesellschaft ist ja von der Komplementär-Kapitalgesellschaft zu unterscheiden, so dass es durchaus zu einem Zielkonflikt kommen kann. Dieser ist durch einen Vorrang der (kapitalistischen) Personengesellschaft gegenüber der Komplementär-Kapitalgesellschaft aufzulösen.24 Die Geschäftsleiterpflichten nach § 1 Abs. 1 StaRUG gelten nicht für die Leitung von Unter- 14 nehmen nicht haftungsbeschränkter Rechtsträger.25 Ausweislich der Gesetzesbegründung wurde von einer entsprechenden Normanwendung mit Blick auf die ausreichende Steuerungsund Anreizwirkung der persönlichen Haftung abgesehen; Art. 19 Restrukturierungs-RL ist auf juristische Personen beschränkt und zwingt daher auch nicht zu einer Regelung.26

3. Auslandsgesellschaften Die Geschäftsleiterpflichten nach § 1 Abs. 1 StaRUG finden auf sog. Auslandsgesellschaften, 15 also Gesellschaften, die zwar nach ausländischem Recht gegründet wurden, ihren tatsächlichen Verwaltungssitz aber in Deutschland haben und die in Deutschland (insbesondere kraft der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit oder aufgrund bilateralen Staatsvertrags) anerkannt sind, keine Anwendung, da diese Vorschrift dem Gesellschaftsrecht zuzuordnen ist. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzesbegründung enthalten hierzu allerdings eine ausdrückliche Stellungnahme. Für eine gesellschaftsrechtliche Einordnung (anstelle einer insolvenzrechtlichen Qualifikation) streitet, dass § 1 Abs. 1 StaRUG trotz Umsetzung von Art. 19 Restrukturierungs-RL nur bereits bestehende verbandsrechtliche Geschäftsleiterpflichten klarstellt, die vor Eintritt einer materiellen Insolvenzreife eingreifen. Deshalb ist § 1 StaRUG als einzige Norm des Teil 1 des StaRUG auch systematisch in zutreffender Weise nicht Bestandteil des in Teil 2 des StaRUG geregelten Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, der als öffentliche Restrukturierungssache (vgl. § 88 StaRUG) Insolvenzverfahren i.S.v. Anhang A der EuInsVO (Deutschland, 4. Spiegelstrich) ist. Allein die unionsrechtliche Basierung in der Restrukturierungs-RL und die Regelung der Spezialität weitergehender Pflichten in § 1 Abs. 3 StaRUG rechtfertigen eine insolvenzrechtliche Qualifikation nicht.27

24 25 26 27

Ebenso Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 41 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 22. Vgl. RegE SanInsFoG BT-Drucks. 19/24181, S. 103. Ausdrücklich offenlassend allerdings Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) auch unter Hinweis auf EuGH v. 10.12.2015 − C-594/14 − Slg. I-806, NZI 2016, 48 – Simona Kornhaas/Thomas Dithmar als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Kornhaas Montage und Dienstleistungen Ltd. (Erfassung des Zahlungsverbots als insolvenznahes Gläubigerschutzinstrument des Gesellschaftsrechts von Art. 7 Abs. 1 EuInsVO).

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§ 1 Rz. 16 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement

III. Normadressaten 16 Normadressat der in § 1 StaRUG geregelten Pflichten sind die „Mitglieder des zur Geschäfts-

führung berufenen Organs“ einer juristischen Person bzw. einer beschränkt haftenden Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, legaldefiniert als „Geschäftsleiter“. Anders als bei der Insolvenzantragspflicht wird bei den Geschäftsleiterpflichten in § 1 StaRUG nicht auf die Vertretungs-, sondern auf die Geschäftsführungsbefugnis abgestellt, denn es geht ja nicht um die Vertretung der Gesellschaft im Außenverhältnis, sondern die Geschäftsführung im Innenverhältnis.28 Die Geschäftsführung obliegt dem Vorstand der (Vor-)AG (§ 76 Abs. 1, § 77 AktG), der eG (§ 27 Abs. 1 Satz 1 GenG), des rechtsfähigen Vereins (§ 26 BGB), der rechtsfähigen Stiftung (§ 86 Satz 1 i.V.m. § 26 BGB), des VVaG (§ 188 VAG i.V.m. § 76 Abs. 1, § 77 AktG), dem Geschäftsführer der (Vor-)GmbH (einschließlich UG; § 37 Abs. 1 GmbHG), und der EWIV (Art. 19 Abs. 1 EWIV-VO), den Komplementären der KGaA (§ 278 Abs. 2 AktG i.V.m. § 161 Abs. 2 i.V.m. § 114 HGB), dem Leitungsorgan (= Vorstand) bei der SE mit dualistischem Leitungssystem (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 SE-VO) bzw. den geschäftsführenden Direktoren bei der SE mit monistischem Leitungssystem (§ 40 Abs. 2 Satz 1 SEAG), der Gesamtheit der Gesellschafter des nicht rechtsfähigen Vereins (§ 54 Satz 1 i.V.m. § 709 Abs. 1 BGB) sowie den Gesellschaftern bei der OHG (vorbehaltlich vertraglicher Bestimmungen; §§ 114, 115 HGB; ab 1.1.2024: § 116 HGB), den Partnern bei der PartG (§ 6 Abs. 3 PartGG i.V.m. §§ 114 f. HGB), den Gesellschaftern bei der GbR (§§ 709 f. BGB; ab 1.1.2024: § 715 f. BGB), den Mitreedern einer Patenreederei (§§ 490 f. HGB) bzw. den persönlich haftenden Gesellschaftern bei der KG (§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 114 Abs. 2; ab 1.1.2024: § 161 Abs. 2 i.V.m. § 116 HGB; § 164 HGB). Sollten die vorgenannten Geschäftsführungsorgane ihrerseits juristische Personen oder beschränkt haftende Rechtsträger ohne Rechtspersönlichkeit sein, haben deren Geschäftsführungsorgane für die Erfüllung der in § 1 StaRUG geregelten Pflichten Sorge zu tragen. Die Pflichten zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement nach § 1 Abs. 1 StaRUG sind auch von faktischen Geschäftsleitungsorganen zu befolgen, wie das auch allgemein für die sonstigen Geschäftsleiterpflichten gilt.29

17 Dem Pflichtenkanon des § 1 Abs. 1 StaRUG unterliegen ausschließlich die Mitglieder des

(faktischen) Geschäftsführungsorgans. Andere Organe, selbst wenn diesen ein maßgeblicher Einfluss auf die Geschäftsführungsentscheidungen zukommt, wie das regelmäßig bei den Gesellschaftern der GmbH der Fall ist, unterliegen diesen Geschäftsleiterpflichten nicht. Gleiches gilt für Organe mit Sonderaufgaben (z.B. besonderer Vertreter nach § 147 Abs. 2 AktG oder § 30 BGB)30 oder für Sonderprüfer (die bereits keine Organe sind).31 Aus der Gesetzgebungsgeschichte ergibt sich, dass dies auch die Auffassung des historischen Gesetzgebers war, die laufenden Pflichten zur Krisenüberwachung und zum Krisenmanagement nur den mit dem Tagesgeschäft betrauten Organen aufzuerlegen.32 Daher werden weder die Anteilseignerversammlung, die Gesellschafter oder die Mitglieder von Überwachungs- bzw. Beratungsorganen wie Aufsichtsräte, Gesellschafterausschüsse oder Beiräte von § 1 Abs. 1 StaRUG erfasst, aller-

28 Zutr. Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 25. 29 Zur AG vgl. Fleischer in BeckOGK/AktG, § 93 AktG Rz. 222 ff. (Stand: 1.7.2022); Koch, 16. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 73; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 2; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 15; zur GmbH vgl. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 5; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 3; Stephan/Tieves in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 35 GmbHG Rz. 37; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 30. 30 Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 31 Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 32 Vgl. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 107 zu § 2 Abs. 3; vgl. auch Gehrlein, BB 2021, 66; Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 29.

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Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement | Rz. 19 § 1

dings bleibt es bei den auf der Basis des allgemeinen Verbandsrechts bestehenden Treue- und Sorgfaltspflichten.

IV. Pflichteninhalt 1. Grundlegende Struktur Die Vorschrift des § 1 StaRUG regelt allgemeine, rechtsformübergreifende und fortlaufende 18 Pflichten für Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Rechtsträger, für das Unternehmen bestandsgefährdende Entwicklungen zu überwachen (Überwachungspflicht zur Krisenfrüherkennung) und bei deren Erkennen mit Maßnahmen zur Krisenbewältigung (Pflicht zum Krisenmanagement) zu reagieren. Es handelt sich dabei um Rechtspflichten, nicht nur um Programmsätze oder Gebote minderer Normverbindlichkeit (kein „soft law“).33 Die Pflicht zum Krisenmanagement umfasst ihrerseits einerseits die Pflicht, zur Abwendung der Bestandsgefahr geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 StaRUG) und andererseits die Pflicht, den Überwachungsorganen (insbesondere Anteilseignerversammlung und Aufsichtsrat) unverzüglich Bericht zu erstatten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StaRUG). Im Hinblick auf die Pflicht zur Ergreifung von Maßnahmen zur Bestandssicherung wird ergänzend normiert, dass in den Fällen, in denen die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeit anderer Organe berühren, die Geschäftsleitung unverzüglich auf deren Befassung hinzuwirken hat (sog. Einbeziehungspflicht; § 1 Abs. 1 Satz 3 StaRUG). Eine sachliche oder zeitliche Rangfolge dieser Einzelpflichten zur Krisenbewältigung, etwa in dem Sinne, dass die Geschäftsleiter zunächst autonom Gegenmaßnahmen zu ergreifen hätten und hiernach anderen Organen hierüber zu berichten und diese ggf. zur Beratung und Überwachung bzw. Mitentscheidung einzuschalten hätten,34 ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Norm noch ist ein solches Verständnis nach allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsätzen angängig. Diese Einzelauffächerung der „Pflicht zum Krisenmanagement“ entspricht dem Diskussions- 19 stand der gesellschaftsrechtlichen Literatur bereits vor Inkrafttreten des StaRUG, die im Wesentlichen zwischen der Pflicht zur Krisenfrüherkennung und Krisenprophylaxe einerseits und der Pflicht zur Krisenbewältigung andererseits unterscheidet und in den jeweiligen Oberkategorien weitere Einzelpflichten aufgefächert hat.35 Bei der Konturierung der nun gesetzlich normierten Einzelpflichten zur Früherkennung bestandsgefährdender Krisen und zum Krisenmanagement kann auf diese Erkenntnisse im Sinne einer weiteren Ausdifferenzierung von Einzelpflichten aufgebaut werden: die Handlungspflichten der Geschäftsleiter lassen sich dabei als Pflichtenkreislauf aus (i) Überwachungspflichten der Krisenfrüherkennung sowie (ii) Krisenbewältigung verstehen, wobei sich aus der Krisenbewältigung wieder Erkenntnisse für die zukünftige Krisenfrüherkennung und Krisenprophylaxe ergeben. Das Pflichtenfeld der Früherkennung bestandsgefährdender Risiken lässt sich in drei, zeitlich idealtypisch hintereinander folgende Phasen des sog. Issue Spotting & Management, der Risikoanalyse und Risikovorsorge sowie der konkreten Risikovorbereitung unterscheiden. Mit dem Erkennen bestandsgefährdender Entwicklungen für das Unternehmen beginnt das Pflichtenfeld der Krisenbewältigung, das seinerseits in die drei Phasen akute Krisenbewältigung, Beseitigung negativer Folgen und Ex-Post-Analyse verbunden mit Erkenntnisgenerierung für die zukünftige Krisenprophylaxe aufgefächert ist. Laufend und begleitend zu diesen Einzelphasen 33 Ausf. hierzu Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1317 (die von „organrechtlichen Hauptpflichten“ sprechen, ohne dass die Relevanz dieser besonderen Qualifikation klar wäre). 34 So aber Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1318 f. und 1322 („erst handeln, dann berichten“). 35 Grundlegend Seibt, BB 2019, 2563, 2565 ff.; zur gesellschaftsrechtlichen „Sanierungspflicht“ bereits Seibt, ZIP 2013, 1597, 1598 f.

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§ 1 Rz. 19 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement bestehen die von der Rechtsform und den Satzungs- bzw. Vertragsregelungen abhängigen Berichtspflichten gegenüber Überwachungsorganen sowie Einbeziehungspflichten zur Entscheidungsfindung. Dieser Pflichtenkreis kann schematisch wie folgt dargestellt werden:

20 Bei Mehrpersonen-Geschäftsleitungen obliegt im Grundsatz sämtlichen Geschäftsleitern die

Pflichtenerfüllung in Gesamtverantwortung. Es gelten aber die allgemeinen verbandsrechtlichen Regeln zur zulässigen Ressort-Überantwortung und der sorgfältigen Entscheidungsfindung (Delegation).36

2. Überwachungspflicht zur Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) a) Grundlagen 21 Die Geschäftsleiter sind verpflichtet, fortlaufend Entwicklungen zu überwachen, welche den

Fortbestand des Unternehmens gefährden könnten. Es handelt sich um eine organrechtliche Dauerpflicht, wie auch der Wortlaut („fortlaufend“) anzeigt.37 Das bezieht sich auf die Verhältnisse des Unternehmensträgers und solche Entwicklungen, die für die Unternehmenstätigkeit relevant sind.38 Wie bei der Vorbildregelung des § 91 Abs. 2 AktG sind bestandsgefährdende Entwicklungen solche Ereignisse und Entwicklungen, die sich auf die Vermögens-, Finanz-, und Ertragslage der Gesellschaft wesentlich auswirken und die Gefahr einer Gesellschaftsinsolvenz bergen.39 Bei Konzernverhältnissen sind auch solche Risiken einzubeziehen, die auf der Ebene eines verbundenen Unternehmens oder einer Beteiligungsgesellschaft entstehen und auf die Muttergesellschaft mit dieser qualifizierten Intensität durchschlagen könnten.40 36 Hierzu Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 76 Rz. 14; Fleischer in BeckOGK/AktG, § 76 AktG Rz. 72 f. (Stand: 1.7.2022). 37 I.E. ebenso Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1318; vgl. auch Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 38 Vgl. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 104. 39 Fleischer in BeckOGK/AktG, § 91 AktG Rz. 33 (Stand: 1.7.2022); Koch, 16. Aufl. 2022, § 91 AktG Rz. 7; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2009, § 91 AktG Rz. 23; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 91 AktG Rz. 9; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 91 AktG Rz. 21 ff. 40 Vgl. Fleischer in BeckOGK/AktG, § 91 AktG Rz. 42 (Stand: 1.7.2022); Sailer-Coceani in K. Schmidt/ Lutter, 4. Aufl. 2020, § 91 AktG Rz. 10; zurückhaltend Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl.

28 | Seibt

Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement | Rz. 22 § 1

Das „Ob“ der Überwachungspflicht ist für die Geschäftsleiter zwingend, sie sind in ihrer 22 Kompetenzausübung insoweit gebunden, es besteht kein Ermessensspielraum.41 Im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der Überwachung von Bestandsrisiken (also dem „Wie“) steht den Geschäftsleitern ein Ermessensspielraum zu.42 Dies entspricht auch der Auffassung der Verfasser des RegE, denen zufolge die konkrete Ausgestaltung der Überwachung sowie die Reichweite der Pflicht von der Größe, Branche, Struktur und auch der Rechtsform des Unternehmens abhängig sei;43 hinzu kommen Aspekte wie Komplexität der Unternehmensorganisation, die Vielzahl und Diversität der Stakeholder, die Finanzierungsstruktur oder die Krisenanfälligkeit des Unternehmens. Dies kommt auch im Gesetzeswortlaut darin zum Ausdruck, dass – abweichend von der Regelung in § 91 Abs. 2 AktG – nicht generell die Einrichtung eines „Überwachungssystems“, also eine gewisse institutionelle und organisatorische Struktur, vorausgesetzt wird. So soll bei insbesondere kleineren Unternehmen auch ermöglicht sein, der Pflicht zur Risikofrüherkennung ohne größere organisatorische Strukturen gerecht zu werden.44 Die konkrete Ausgestaltung der Überwachung misst sich daher daran, ob die vorgenommenen Maßnahmen im Hinblick auf den konkreten Rechtsträger geeignet sind, dass bestandsgefährdende Entwicklungen so frühzeitig und so umfassend identifiziert werden können, dass noch rechtzeitig Gegenmaßnahmen i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ergriffen werden können.45 Die Intensität und Detailtiefe der Überwachung ist abhängig von der finanziellen, wettbewerblichen und reputationellen Lage des Unternehmens, den Marktverhältnissen in den relevanten Wirtschaftsbranchen und/oder Wirtschaftsregionen, volkswirtschaftlichen und/oder geopolitischen Krisen oder Trendlinien sowie konkreten Anhaltspunkten für bestandsgefährdende Entwicklungen beim konkreten Unternehmen und den möglichen Krisenauslösern (z.B. Strategiekrise, Erfolgskrise, Liquiditätskrise, Compliance-Verletzung oder Unfallereignis). Bei größeren Unternehmen, insbesondere solchen mit einer komplexen Unternehmensorganisation, kann der IDW-Prüfungsstandard PS340 vom 27.5.2020 (Prüfung des Risikofrüherkennungssystems nach § 317 Abs. 4 HGB46 mit den Gegenständen (i) vollständige Erfassung aller Risikofelder des Unternehmens, (ii) Angemessenheit der eingerichteten Maßnahmen zur Risikoerfassung und Risikokommunikation, (iii) kontinuierliche Anwendung der Maßnahmen und Einhaltung der integrierten Kontrollen) als grober Anhalt dienen.47 Allerdings dürfen die Anforderungen an die Geschäftsleiter auch nicht überdehnt werden, und eine schematische Anlehnung an den IDW PS 340 für eine Pflichtenerfüllung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ist abzulehnen.

41 42 43 44 45 46 47

2009, § 91 AktG Rz. 18; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 91 AktG Rz. 79 ff.; vgl. auch RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15; IDW PS 340, 3.4 Rz. 23 f. So bereits Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2229; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 2; Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 33. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2229; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 2; Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 36. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 104, mit Verweis auf RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/ 9712, S. 15; vgl. auch Skauradszun/Amort, DB 2021,1317, 1323; Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 15 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Vgl. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 104; vgl. auch Skauradszun/Amort, DB 2021,1317, 1323; Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 15 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 36. Text in WPg 16/1999, 658 ff. Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 35; zur Rechtslage bei § 91 Abs. 2 AktG Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 91 AktG Rz. 33 ff.; vgl. auch Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 91 AktG Rz. 12.

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§ 1 Rz. 23 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement b) Einzelausprägungen der Überwachungspflicht 23 Risk Issue Spotting: Die Geschäftsleiter sind, ggf. unter Einbeziehung der Risikomanage-

ment-Organisation des Unternehmens, verpflichtet, die für die Verfolgung der Unternehmensstrategie, die Unternehmensreputation sowie die Bewahrung der wesentlichen Vermögenswerte und des Ertragspotentials des Unternehmens unternehmensrelevanten Themen, mögliche Umstände und Ereignisse zu identifizieren, die zu einer bestandsgefährdenden Unternehmenskrise führen könnten. Dabei sind nicht nur Erfahrungen aus dem eigenen Unternehmen und die bei ihm vorgefallenen Vergangenheitsumstände in den Blick zu nehmen, sondern auch solche bei Wettbewerbern und Netzwerkpartnern (insbesondere Kunden und Lieferanten) sowie von Unternehmen anderer, aber jedenfalls in relevanten Einzelbereichen vergleichbarer Branchen heranzuziehen.48 Diese Aufgabe des Risk Issue Spotting ist vor allem in der jetzigen Zeit von herausragender Bedeutung, deren wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von den vier Kernbegriffen Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity („VUCA“) geprägt sind:49 Das Risikoradar ist also weit zu fassen.

24 Risikoanalyse und Risikovorsorge: Auf der Basis des Risk Issue Spotting ist eine Risikoanaly-

se (mit Prognosen zur Eintrittswahrscheinlichkeit, Eintrittsindikatoren und Schadensintensität, differenziert nach möglichen Szenarien) durchzuführen.50 Auf dieser Basis ist eine unternehmensspezifische Struktur zur Risikofrüherkennung zu konzipieren und zu implementieren, die eben auch die Elemente des Krisenmanagements selbst (also der Krisenbewältigung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) umfasst.51 Im Hinblick auf die Risikovorsorge kann es bei den heutigen VUCA-Rahmenbedingungen angezeigt sein, im Rahmen eines Corporate Resilience Managements die Organisation des Unternehmens selbst sowie die Ausrichtung der Unternehmensaktivitäten eher nach dem Maßstab der Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Unternehmens als nach den Grundsätzen der Lean Organisation und der Kosteneffizienz auszurichten.52

25 Konkrete Krisenabwehrvorbereitung: Zum Pflichtenfeld der konkreten Krisenabwehrvor-

bereitung gehört – der Aufbau und die Nutzung spezifischer Krisenfrühwarnsysteme, wie z.B. die, ggf. extern unterstützte, Beobachtung (i) finanzieller oder strategisch-wettbewerblicher Krisenfrühindikatoren (z.B. Liquiditätsstatus, Entwicklung des Networking Capital, Equity/Debt-Verhältnis, Qualitätskennziffern wie Produktfehler- oder Reklamationsquoten, Entwicklung der Umsatzrenditen, Marktanteile, etc.), (ii) des Kapital- bzw. Finanzmarktes, (iii) regulatorischer Entwicklungen, (iv) (geo-)politischer Entwicklungen oder (v) des Verhaltens von Wettbewerbern bzw. potentiellen (Substitutions-)Wettbewerbern. Für die laufende Prüfung der Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage, insbesondere der Liquidität, hat sich in der Praxis, insbesondere bei Vorliegen bestimmter Krisenindikatoren, eine rollierende 13-Wochen-Liquiditätsplanung etabliert, die zum einen aus einem Finanzstatus und zum anderen aus einer Finanzplanung besteht:

48 Zu alledem Seibt, BB 2019, 563, 566. 49 Zu den besonderen Anforderungen an die Corporate Governance- und Konzernstruktur in „VUCA“-Zeiten bereits Seibt, DB 2018, 237 ff.; Seibt, DB 2016, 1978 ff. (Corporate Resilience Management als Strategie zur Bewältigung der VUCA-Rahmenbedingungen). 50 Seibt, BB 2019, 2563, 2566. 51 Seibt, BB 2019, 2563, 2566. 52 Seibt, BB 2019, 2563, 2566; zum Corporate Resilience Management ausf. Seibt, DB 2016, 1978 ff.; vgl. auch Seibt, DB 2018, 237 und 239 (These 4).

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Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement | Rz. 26 § 1

Darüber hinaus wird bei entsprechenden Krisenindikatoren auch eine mittelfristig integrierte Vermögens-, Ertrags-, und Finanzplanung, die sich auf 12 Monate erstreckt (Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung, vgl. § 19 InsO; bis zum 31.12.2023 beträgt der Prognosezeitraum gem. § 4 Abs. 2 SanInsKG vier Monate), ggf. sogar auf 24 Monate (Prognosezeitraum für die drohende Zahlungsunfähigkeit, vgl. § 18 InsO), erstellt werden;53 – die Einrichtung von dokumentierten Krisenabwehrstrukturen (u.a. mit Festlegung von persönlichen Verantwortlichkeiten, Gremienzusammensetzungen, Berichts- und Entscheidungslinien, externen Beratern, Kommunikationsadressaten und identifizierte Kanäle zur Informationsverbreitung an relevante Stakeholder); sowie – ggf. die Erstellung von Leitfäden und Notfallhandbüchern zur Reaktion auf bestimmte bestandsgefährdende Entwicklungen (z.B. Unfälle in Produktionsstätten, Einschränkungen oder Verbote der Vermarktung von Produkten und Dienstleitungen in bestimmten Regionalmärkten, Wegfall wesentlicher Zulieferer oder Kunden).

3. Pflicht zur bestandssichernden Krisenbewältigung a) Pflicht zur Ergreifung von Maßnahmen zur Bestandssicherung (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 StaRUG) Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 StaRUG gilt: Erkennen die Geschäftsleiter bestandsgefähr- 26 dende Entwicklungen, so sind diese verpflichtet, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Das Ergreifen von Maßnahmen, die geeignet sind, die Bestandsgefahr vom Unternehmen abzuwenden, d.h. den Bestand des Unternehmens zu sichern, wird damit durch § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 StaRUG verbindlich und ohne Ermessensspielraum der Geschäftsleiter vorgegeben.54 Bereits vor Inkrafttreten von § 1 StaRUG war es die Kardinalpflicht der Geschäftsleitung, für den nachhaltigen Bestand des Unternehmens und damit für die Herstellung einer nachhaltigen Wertentwicklung (Rentabilität) Sorge zu tragen.55 Und dies hat eine Pflicht zum Krisenmanagement zur Folge, mit dem Ziel, den Unternehmensbestand zu sichern.56 53 Vgl. Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 37. 54 Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2229; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 3; Ph. Scholz, ZIP 2021, 2019, 2029; Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 41. 55 Zur Rechtslage bei der AG z.B. Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 76 AktG Rz. 12; Koch, 16. Aufl. 2022, § 76 AktG Rz. 34; Kort in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 76 AktG Rz. 53; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2009, § 76 AktG Rz. 9; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 76 AktG Rz. 72 f.; vgl. auch Präambel zum DCGK 2022; zur Rechtslage bei der GmbH z.B. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 27; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 54 ff. 56 Ausf. Seibt, BB 2019, 2563 ff.

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§ 1 Rz. 27 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement 27 Der Wortlaut des Eingangshalbsatzes („Erkennen Sie solche Entwicklungen, ergreifen sie (...)“)

macht deutlich, dass es sich bei dieser Handlungspflicht zum Krisenmanagement um eine Reaktions- oder Folgepflicht handelt, die in der Regel durch die Pflichtenerfüllung der Risikofrüherkennung ausgelöst wird.57 Allerdings ist das Tatbestandsmerkmal des „Erkennens“ normativ auszulegen, d.h. die Pflicht besteht unabhängig davon, ob die Geschäftsleiter, ggf. eben pflichtwidrig, die bestandsgefährdenden Entwicklungen übersehen haben – oder pflichtgemäß erkannt haben. Die Reaktionspflicht beginnt mit dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit (als Maßstab der Umsetzung von Art. 19 Restrukturierungs-RL [„wahrscheinliche Insolvenz“] in deutsches Recht);58 der Eintritt einer bloß negativen wirtschaftlichen Entwicklung reicht für das Auslösen der StaRUG-Sondernorm des § 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG nicht aus.59

28 Vor dem Hintergrund, dass Art. 19 Buchst. c) Restrukturierungs-RL die Mitgliedsstaaten ver-

pflichtet sicherzustellen, dass die Unternehmensleitung bei einer wahrscheinlichen Insolvenz die Notwendigkeit gebührend berücksichtigt, „vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zu vermeiden, dass die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet“, wird die These vertreten, dass die Geschäftsführer bei Vornahme „spekulativer Maßnahmen“, verstanden als Maßnahmen die zwar „theoretisch der Bestandserhaltung dienen können, aber gleichzeitig mit erheblichen Risiken für die Bestandsfähigkeit des Unternehmens einhergehen“, eine Pflichtverletzung begehen.60 Verwiesen wird dabei auch auf ErwGr. 70 Satz 1 Restrukturierungs-RL, demzufolge gewährleistet sein muss, „dass Unternehmensleitungen nicht davon abgehalten werden, vertretbare Geschäftsentscheidungen zu treffen oder vertretbare wirtschaftliche Risiken einzugehen, vor allem wenn dies die Aussichten auf eine Restrukturierung potentiell bestandsfähiger Unternehmen verbessert“; und dies schlösse eben die Eingehung unverhältnismäßig hoher Risiken aus.61 Das Ausscheiden bestimmter, abstrakt durchaus zur Abwendung der bestandsgefährdenden Entwicklungen geeigneter Maßnahmen aus dem Kreis der Handlungsoptionen für Geschäftsleiter wegen Verletzung der Legalitätspflicht ist abzulehnen. Die Frage, ob eine objektiv zur Abwendung der bestandsgefährdenden Entwicklungen geeignete Gegenmaßnahme ein pflichtgemäßes Verhalten ist, ist Teil des Auswahlermessens und unterliegt damit der Business Judgement Rule. Dabei kann es durchaus sein, dass eine Maßnahme, die nur geringe Chancen zur Bestandssicherung hat, aber sehr hohe Risiken für die Vermögenswerte und den Unternehmenswert hat, nicht mehr als „vertretbare“ Geschäftsführungsmaßnahme qualifiziert werden kann. Allerdings ist in einer insolvenznahen Situation gerade auch hochrisikoreiches Geschäftsführerhandeln noch als vertretbar anzusehen, also z.B. die Aufnahme einer zunächst insolvenzabwendenden Finanzierung, die mit sämtlichen wesentlichen Vermögensgegenständen besichert ist, selbst wenn der Eintritt des Sicherungsfalls überwiegend wahrscheinlich (aber eben auch nicht gleichsam sicher) ist (Anhalt: Eintrittswahrscheinlichkeit größer als 50 % und kleiner als 80 %). Es ist daran zu erinnern, dass weder Art. 19 Restrukturierungs-RL noch gar § 1 StaRUG eine Änderung der Leitungsausrichtung zugunsten der Interessen der Gläubiger (sog. „shift of fiduciary duties“) zu entnehmen ist; vielmehr verbleibt es im Rahmen des interessenpluralistischen Ansatzes bei einem leichten Gewichtungsvorsprung zugunsten der Interessen der Anteilsinhaber. Diese gesetzgeberische Wertung darf nicht durch ein enges Verständnis „geeigneter“ Gegenmaßnahmen frustriert werden.

57 Ausf. Skauradszun/Amort, DB 2021,1317, 1318; vgl. auch Wolgast in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 1 StaRUG Rz. 26. 58 Ebenso Skauradszun/Amort, DB 2021,1317, 1319; Jungmann, ZRI 2021, 209, 214; Haghani, NZIBeil. 2021, 15; wohl auch Kuntz, ZIP 2021, 598, 610. 59 Skauradszun/Amort, DB 2021,1317, 1319; Jungmann, ZRI 2021, 209, 216; Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 14 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 60 Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 43. 61 Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 43.

32 | Seibt

Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement | Rz. 32 § 1

In Hinblick auf die Auswahl der abstrakt zur Abwendung bestandsgefährdender Entwicklun- 29 gen geeigneten Gegenmaßnahmen und deren Durchführung haben die Geschäftsleiter je nach allgemeinen verbandsrechtlichen Sorgfaltspflichtmaßstäben bestehenden Beurteilungsspielraum.62 Es gilt damit der Sorgfaltspflichtmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Dieser Maßstab gilt nicht nur bei den Kapitalgesellschaften der (Vor-)AG (§ 93 Abs. 1 AktG), (Vor-)GmbH (einschließlich UG; vgl. § 43 Abs. 1 GmbHG), der SE mit dualistischem (Art. 9 Abs. 1 Buchst. cii SEVO i.V.m. § 93 Abs. 1 AktG) sowie mit monistischem (§ 40 Abs. 8 SEAG i.V.m. § 93 Abs. 1 AktG) Leitungssystem, KGaA (§ 283 Nr. 3 i.V.m. § 93 Abs. 1 AktG) sowie der eG, sondern auch bei den unternehmenstragenden Personengesellschaften (KG, oHG, GbR, EWIV, PartG) sowie beim rechtsfähigen Verein sowie der rechtsfähigen Stiftung (§ 86 Satz 1 i.V.m. § 27 BGB). Zu den Sorgfaltspflichten eines ordentlichen gewissenhaften Geschäftsleiters gehört es zu- 30 nächst, im Rahmen ihrer Amtsführung die Rechtsordnung einzuhalten (sog. Legalitätspflicht).63 Demnach müssen die Geschäftsleiter sämtliche zwingenden Rechtsvorschriften einhalten, die den Schuldner als Rechtsobjekt oder die Geschäftsleiter selbst (insbesondere Insolvenzantragspflicht nach §§ 15a, 15b InsO) treffen; solche Ge- und Verbote stehen nicht zur Disposition des Verbandsrechts oder der Anteilsinhaber. Zudem müssen die Geschäftsleiter die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages, von Geschäftsordnungen, des Anstellungsvertrages und der nach dem einschlägigen Verbandsrecht verbindlichen Anteilseignerbeschlüsse und Gesellschafterweisungen befolgen. Dies hat insbesondere Bedeutung für die Einhaltung der verbandsinternen Regelungen zu Kompetenzen und Entscheidungsprozessen (z.B. Zustimmungsvorbehalte zugunsten der Anteilseignerversammlung oder des Aufsichtsrats). Des Weiteren gilt die allgemeine Sorgfaltspflicht, die bei unternehmerischen Entscheidungen 31 eine Haftungsprivilegierung im Sinne der sog. Business Judgement Rule vorsieht, demnach eine Pflichtverletzung ausscheidet, wenn die Geschäftsleiter auf der Basis angemessener Informationen zum Wohle des Unternehmens (= Unternehmensinteresse) und ohne Verfolgung von Sonderinteressen eine vertretbare Geschäftsführungsmaßnahme treffen. Das eröffnet den Geschäftsleitern zurecht einen sehr breiten Ermessensspielraum bei der Auswahl der geeigneten „Gegenmaßnahmen“ zur Abwendung der bestandsgefährdenden Entwicklungen. Art. 19 Buchst. c) Restrukturierungs-RL (demzufolge die Unternehmensleitung die Notwendigkeit gebührend berücksichtigen solle, „vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zu vermeiden, das die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet“) führt weder zu einer Einschränkung noch zu einer Erweiterung des als pflichtgemäß anzusehenden Handlungsrahmens und auch nicht zu einer Erleichterung oder Verschärfung des Haftungsmaßstabs. Vielmehr gibt Art. 19 Buchst. c) Restrukturierungs-RL einen auf den Verschuldensmaßstab („grobe Fahrlässigkeit“) abstellenden Belang nur als Mindeststandard vor, der vom deutschen Gesetzgeber mit Verweis auf das allgemeine Verbandsrecht (Business Judgement Rule als Pflichtenmaßstab) nicht verletzt wird. Das „Wohl der Gesellschaft“ verfolgen die Geschäftsleiter, wenn sie primär und in der Regel 32 auf eine Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens hinwirken, da nur dies dem Gewichtungsvorsprung der Aktionärsinteressen bei Ausübung der Geschäftsleiterpflichten gerecht wird.64 Die Geschäftsleiter sind aber daneben berechtigt, nachrangig Vorbereitungen für die Aufstellung eines Insolvenzplans zu treffen und hierfür ggf. auch beachtliche Ressourcen aufzuwenden, sofern diese das vernünftigerweise nach sorgfältiger Abwägung für im Unter-

62 Vgl. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 104. 63 Vgl. zur AG Koch, 16. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 9 ff.; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 7; zur GmbH z.B. Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 21 ff.; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 106 ff. 64 Seibt, ZIP 2013, 1597, 1599.

Seibt | 33

§ 1 Rz. 32 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement nehmensinteresse liegend ansehen.65 Das Rangverhältnis zugunsten der außer-insolvenzlichen Sanierung entspricht der Pflicht der Geschäftsleiter, die Ressourcenallokation zwischen den Sanierungswegen zu gewichten; insbesondere darf die Vorbereitung eines Insolvenzplans nicht dazu führen, dass dem Unternehmen Ressourcen für die Vorbereitung und Umsetzung des vorrangig zu verfolgenden außer-insolvenzlichen Sanierungskonzepts fehlen.66 b) Einzelpflichten 33 Im Pflichtenfeld der bestandssichernden Krisenbewältigung können drei Einzelpflichtfelder

unterschieden werden:

34 Akute Krisenbewältigung: Im Mittelpunkt dieses Pflichtenfelds steht die Kriseneindämmung

sowie die Krisenbewältigung. Hierfür sind in der Regel folgende Schritte erforderlich: (i) Festlegung der Ursachen der Krise und ihrer Folgenverstärker, (ii) Feststellung der Schlüsselbeteiligten (Verursacher und Betroffene) sowie ggf. der Meinungsführer (sog. „Influencial Voices“), (iii) Feststellung der finanziellen, nicht-finanziellen (einschließlich der reputationellen) Hauptfolgen, (iv) Ermittlung möglicher Maßnahmen zur Kriseneindämmung und Krisenbewältigung, Feststellung von Sensitivitäten zwischen einzelnen Maßnahmen und dem Umfang der finanziellen und nicht-finanziellen Folgen, (v) Bestimmung von Alternativmaßnahmen zur Sanierung (insbesondere bei Eintritt von zuvor erdachten Alternativszenarien), (vi) Bestimmung des internen Krisenabwehr- bzw. Sanierungsteams und Festlegung dessen (in der Regel: außerordentlicher) Kompetenzen, (vii) Entwicklung und Kommunikation von ganzheitlich effektiven und glaubwürdigen Reaktionsmaßnahmen und (viii) Vornahme der Krisenbewältigungsmaßnahmen. Für die Bewältigung bestandsgefährdender Entwicklungen ist es in aller Regel erforderlich, mit sämtlichen Interessenträgern des Unternehmens (also Anteilsinhaber, Finanzierungsgläubigern, Lieferanten, Kunden und weiteren Netzwerkpartnern, Arbeitnehmern und Behörden) zusammenzuarbeiten, Informationen auszutauschen und Vereinbarungen zu treffen. Bei der Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ einer Kooperation mit Interessenträgern, sowie insbesondere vor Abgabe einseitiger Zusagen oder dem Abschluss von Vereinbarungen, ist unbedingt zu berücksichtigen, welche Konsequenzen sich hieraus für das Verhältnis zu anderen Interessenträgern oder für Fragen zivilrechtlicher Haftung, öffentlich-rechtlicher sowie strafrechtlicher Verantwortung in verschiedenen, möglicherweise betroffenen Jurisdiktionen ergeben.

35 Krisen- und Sanierungssituationen sind in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass sich der

Status im Zeitablauf verändert und andere Erkenntnisse, auch durch die Kommunikation mit den Interessenträgern, gewonnen werden. Das erfordert ein adaptives Krisenmanagement, d.h. die Geschäftsleiter müssen agil über den Sanierungszeitraum handeln und häufig alternative Sanierungsansätze verfolgen, bis wegen materieller Insolvenz zwingend ein Insolvenzantrag durch die Geschäftsleiter gem. § 15a InsO erfolgen muss.67

36 Im Regelfall werden die Geschäftsleiter als geeignete Gegenmaßnahme auch die Nutzung des

Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nach dem StaRUG in Betracht ziehen. Einen Zwang zur Nutzung des StaRUG-Instrumentariums zur Abwendung bestandsgefährdender Entwicklung gibt es aber nicht, noch nicht einmal eine empirisch belegbare Vermutungsregelung, der zufolge die Nutzung des StaRUG-Instrumentariums mit höheren Erfolgsaussichten für die Sanierung verbunden ist als z.B. die privatautonome Verhandlung mit einzelnen Finanzgläubigern oder anderen Interessenträgern des Unternehmen oder umgekehrt die Nut-

65 Ausf. Seibt, ZIP 2013, 1597, 1600. 66 Seibt, ZIP 2013, 1597, 1600. 67 Hierzu z.B. Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1192; folgend Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 46.

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Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement | Rz. 40 § 1

zung eines Insolvenzplanverfahrens.68 So bietet das StaRUG-Instrumentarium keine Lösung für die Änderung von Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträgen, wenn die Bestandsgefahr vor allem von den Lohnkosten und Arbeitsbedingungen ausgeht.69 Beseitigung der negativen Folgen: Nach der akuten Krisenbewältigung werden die Ge- 37 schäftsleiter in der Regel solche Maßnahmen zu ergreifen haben, die zur Beseitigung der Negativfolgen der Unternehmenskrise bzw. der Sanierungsmaßnahmen erforderlich und verhältnismäßig sind. Es kann hierbei z.B. um die Wiederherstellung des Regelbetriebs im Unternehmen (häufig aber auch mit einer Modifikation des Geschäftsmodells, der Produktpalette, der Produktionsweise oder Lieferkette für die Zukunft), ggf. die Durchführung von Kompensationsmaßnahmen für „vergangene Kulanzleistungen von Interessenträgern“ und die Restauration bzw. Stärkung der Unternehmensreputation. Ex-Post-Analyse der Lessons Learned: Nach der akuten Krisenbewältigung und der Beseiti- 38 gung der negativen Folgen sollten die Geschäftsleiter die Umstände, die zu der Unternehmenskrise geführt haben, sowie die Effektivität und Effizienz der Strukturen und Verfahren zur Krisenfrüherkennung und Krisenprophylaxe sowie der Maßnahmen zur Krisenbewältigung analysieren. Hieraus können sich Aktualisierungen der Unternehmensstrategie, des Chancen- und Risikomanagement-Systems und seines personellen und sachlichen Zuschnitts sowie allgemein zu Prozessoptimierungen ergeben. Dieser Erkenntnisgewinn fließt dann wieder ein in die unternehmensspezifische Struktur der Krisenfrüherkennung und Krisenprophylaxe. c) Berichtspflichten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StaRUG) Die Geschäftsleiter haben mit Erkennen bestandsgefährdender Entwicklungen „den zur 39 Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorgan) unverzüglich Bericht [zu erstatten]“ (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StaRUG). Diese Berichtspflicht ist eng verbunden mit der Einbeziehungspflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 3 StaRUG, der zufolge die Geschäftsleiter verpflichtet sind, sofern die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeit anderer Organe berühren, unverzüglich auf deren Befassung hinzuwirken. Denn die Befassung der Überwachungsorgane (d.h. Beratung, Überwachung und/oder Mit-Entscheidung) setzt zwingend eine vorherige oder jedenfalls gleichzeitige Information über die Sachlage und geplanten Geschäftsführungsmaßnahmen voraus. Nichtsdestotrotz besteht die Berichtspflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG auch dann, wenn nach den verbandsrechtlichen Vorschriften eine Befassung eines Überwachungsorgans nicht (zwingend) vorgegeben ist. Die Berichtspflicht besteht bereits unabhängig von einer bestehenden Entscheidungskompetenz deshalb, um in einer schweren Krisensituation – immerhin hat die Geschäftsführung eine bestandsgefährdende Entwicklung des Unternehmens (d.h. drohende Zahlungsunfähigkeit; s. Rz. 27) erkannt – den Anteilsinhabern bzw. Mitgliedern anderer Organe die Möglichkeit zum kritischen Meinungsaustausch, für Alternativvorschläge und für eigene Maßnahmen im Unternehmensinteresse zu eröffnen. Die Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StaRUG enthält keine Aussage darüber, worüber zu 40 berichten ist. Wenngleich der Wortlaut sich nicht ausdrücklich auf den ersten Halbsatz, z.B. unter Einfügung des Wortes „hierüber“, bezieht, ist anzunehmen, dass die Berichterstattung der Geschäftsleiter jedenfalls (i) die Beschreibung der bestandsgefährdenden Entwicklungen und (ii) die vorgesehenen Gegenmaßnahmen mit Beschreibung ihrer Eignung zur Abwendung der Bestandsgefahr zu umfassen hat. Der Bericht muss den Berichtsadressaten in die

68 Zu Abwägungsparametern für die Wahl zwischen insolvenzrechtlichen Eigenveraltungsverfahren und StaRUG-Instrumenten Bork, ZRI 2021, 345, 360. 69 Vgl. auch Skauradszun/Amort, DB 2021, 1324.

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§ 1 Rz. 40 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement Lage versetzen, die bestandsgefährdenden Entwicklungen, ihre Ursachen und möglichen Zukunftsverläufe sowie darüber hinaus die vorgesehenen Gegenmaßnahmen, ihre Voraussetzungen und ihre Wirkungsweisen sowie ggf. Alternativvorgehen zu verstehen. Die weiteren Anforderungen an den Umfang der Berichtspflicht richten sich nach den allgemeinen, für den betreffenden Unternehmensträger geltenden verbandsrechtlichen Regelungen und sind im Regelfall nach der Krisenursache sowie den vorgesehenen Maßnahmen (Vorschlag zur Kapitalerhöhung vs. Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretungen über Betriebsvereinbarungen) differenziert ausgestaltet. 41 Nach Erkennen der bestandsgefährdenden Entwicklungen durch die Geschäftsleiter haben

diese „unverzüglich“ Bericht zu erstatten. Demnach haben die Geschäftsleiter die Überwachungsorgane „ohne schuldhaftes Zögern“ (vgl. § 121 Abs. 1 BGB) zu informieren. In der Praxis wird es zur sorgfältigen Pflichtenerfüllung sinnvoll sein, nicht nur unverzüglich nach dem Ende des Informationssammlungs- und Meinungsbildungsprozesses der Geschäftsleiter zu informieren, sondern frühzeitig auch während des laufenden Informationssammlungsund Meinungsbildungsprozesses der Geschäftsleiter. Denn damit wird dem Überwachungsorgan ermöglicht, auf diese Prozesse bei den Geschäftsleitern im Unternehmensinteresse Einfluss zu nehmen. Eine Berichterstattung ausschließlich nach Vornahme der Gegenmaßnahmen nach der These „erst handeln, dann berichten“,70 ist nicht pflichtgemäß.

42 Die Berichterstattung unterliegt zwar keinem gesetzlichen Schriftformerfordernis, sollte in

der Regel aber textförmlich erfolgen;71 denn nur dann können die Geschäftsleiter ihrer Beweislast im Streitfall nachkommen (vgl. § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG). d) Pflicht zur Einbeziehung zuständiger Gesellschaftsorgane (§ 1 Abs. 1 Satz 3 StaRUG)

43 Die Geschäftsleiter sind verpflichtet, sofern die „zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständig-

keit anderer Organe [berühren]“, unverzüglich auf deren Befassung hinzuwirken. Damit ist gemeint, dass die von den Geschäftsleitern zur Bewältigung der bestandsgefährdenden Entwicklungen in Aussicht genommenen Gegenmaßnahmen dann anderen Gesellschaftsorganen zur Befassung, d.h. zur Beratung und/oder Beschlussfassung (= Mit-Entscheidung), vorgelegt werden müssen, wenn dies nach den anwendbaren verbandsrechts- bzw. den gesellschaftsvertraglichen Regelungen vorgesehen ist. Denn das StaRUG selbst regelt nicht, bei welchen „Gegenmaßnahmen“ welche Gesellschaftsorgane zu befassen sind. Die ursprüngliche Corporate Governance-Sonderregelung in § 2 RegE-StaRUG ist gerade nicht Gesetz geworden.

44 Die Befassung der zuständigen Gesellschaftsorgane hat „unverzüglich“ zu erfolgen. Dabei

fehlt es im Gesetzwortlaut an einem ausdrücklichen Bezugspunkt, nach welchem Umstand die unverzügliche Befassung zu erfolgen hat, also ab welchem Zeitpunkt „ohne schuldhaftes Zögern“ (vgl. § 121 Abs. 1 BGB) die Vorlage zu erfolgen hat. Der späteste Bezugspunkt ist der (vorläufige) Abschluss der Willensbildung zur Auswahl der geeigneten Gegenmaßnahmen durch die Geschäftsleiter. Sinnvollerweise werden die Geschäftsleiter die Überwachungsorgane gleichzeitig mit der Berichterstattung (§ 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) auch mit möglichen Gegenmaßnahmen „befassen“, d.h. einen Meinungsaustausch und eine Beratung initiieren.

45 Bei der Entwicklung, Evaluation und schließlich Auswahl der geeigneten Gegenmaßnahmen

ist einzubeziehen, welche weiteren Gesellschaftsorgane mit diesen Maßnahmen zu befassen sein werden, welche Berichtspflichten und weiteren sachlichen, personellen und zeitlichen Umstände damit verbunden und welche Erfolgsaussichten dann mit den Maßnahmen verbunden sein werden. Diese Überlegungen gehören zur „angemessenen Informationsgrundlage“

70 So aber Skauradszun/Amort, DB 2021,1317, 1318 f. und 1322. 71 Ähnlich („schriftlich“) Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement | Rz. 47 § 1

als Bestandteil der Business Judgement Rule (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) und sind damit Voraussetzung für sorgfältiges Geschäftsleiterhandeln. Bei Unternehmen in der Rechtsform der GmbH sind im Sanierungskonzept an folgende Zu- 46 ständigkeiten der Gesellschafterversammlung zu denken: Relevant sind zunächst alle Kapitalmaßnahmen wie Kapitalerhöhung (vgl. §§ 55 ff. GmbHG), Kapitalherabsetzung (§§ 58 ff. GmbHG) oder die Teilung, Zusammenlegung sowie Einziehung von Geschäftsanteilen (§ 46 Nr. 4 GmbHG) bzw. die Übertragung von Geschäftsanteilen (vgl. § 15 Abs. 5 GmbHG i.V.m. gesellschaftsvertraglichen Regelungen). Die Geschäftsführer haben zudem bei einem Verlust der Höhe der Hälfte des Grundkapitals unverzüglich die Gesellschafterversammlung einzuberufen und ihr diesen Umstand anzuzeigen (§ 49 Abs. 3 GmbHG). Darüber hinaus gilt bei Unternehmen in der Rechtsform der GmbH der Grundsatz der Allzuständigkeit der Gesellschafter und zudem das Prinzip der Weisungsgebundenheit der Geschäftsführer durch Beschlussfassungen bzw. Weisungen der Gesellschafter, und dies gilt sowohl im Hinblick auf eingriffsintensive Strukturmaßnahmen als auch hinsichtlich bloßer Einzelmaßnahmen der Geschäftsführung.72 Deswegen sind auch umfangreiche Zustimmungskataloge zugunsten der Gesellschafterversammlung im Gesellschaftsvertrag, in einer Geschäftsordnung für die Geschäftsführer oder in den Anstellungsverträgen für die Geschäftsführer zulässig. Darüber hinaus folgt aus der Allzuständigkeit der Gesellschafter die Pflicht der GmbH-Geschäftsführer, eine Gesellschafterversammlung nach § 49 Abs. 2 GmbHG einzuberufen, wenn (i) außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahmen (z.B. Seltenheit des Vorgangs, außerordentliches Risiko des Geschäfts, hohe, ggf. unterschiedlich starke Betroffenheit der Gesellschafterinteressen, Änderungen wesentlicher Bestandteile des Geschäftsmodells) oder (ii) im Gesellschafterkreis erkennbar unterschiedlich eingeschätzte Maßnahmen durchgeführt werden sollen.73 Nach diesen Grundsätzen werden in der Regel sämtliche „Gegenmaßnahmen“, die geeignet sind bestandsgefährdenden Entwicklungen beim Unternehmen entgegenzuwirken, der Zuständigkeit der Gesellschafter bzw. der Gesellschafterversammlung unterliegen.74 Bei Unternehmen in der Rechtsform der GmbH ist nach zutreffender Auffassung für die frei- 47 willige Insolvenzantragstellung wegen drohender Zahlungsfähigkeit im Innenverhältnis eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung mit qualifizierter Dreiviertelmehrheit erforderlich (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG).75 Denn die freiwillige Insolvenzantragstellung ist nicht nur eine bloße Maßnahme der Geschäftsführung, sondern ein den Gesellschaftszweck änderndes Grundlagengeschäft, das ein außerordentlich hohes Risikopotential für die Rechts- und Vermögensstellung der Gesellschafter hat. Den Gesellschaftern muss daher die Möglichkeit gegeben werden, anstelle einer freiwilligen Insolvenzantragstellung die erforderliche Sanierung mit anderen Mitteln zu erreichen, z.B. durch die Beschlussfassung und Durchführung einer Kapitalerhöhung.76 Bei der UG (haftungsbeschränkt) ergibt sich bereits aus § 5a Abs. 4 GmbHG (Pflicht des Geschäftsführers zur Einberufung einer Gesellschafterver72 Vgl. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236; Bayer in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 46 GmbHG Rz. 1; Noack in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 46 GmbHG Rz. 89 ff.; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 46 GmbHG Rz. 1. 73 Seibt in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 49 GmbHG Rz. 22; vgl. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 49 GmbHG Rz. 13; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 37 GmbHG Rz. 10 f. 74 I.E. ebenso Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 71. 75 OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, NZI 2013, 542; LG Frankfurt/M. v. 13.8.2013 – 3-09 O 78/13, NZG 2013, 1064; Liebscher in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 49 GmbHG Rz. 51; Geißler, ZInsO 2013, 919, 923; Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 60 GmbHG Rz. 29; Saenger/Al-Wraikat, NZG 2013, 1201, 1204; Leinekugel/Skauradszun, GmbHR 2011, 1121; Lang/ Muschalle, NZI 2013, 953, 955. 76 Vgl. Saenger/Al-Wraikat, NZG 2013, 1201, 1203 f.; Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1593 f.; vgl. auch Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 75; a.A. Skauradszun, KTS 2021, 1, 47 ff.; Skauradszun/ Amort, DB 2021, 1317, 1320 ff.

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§ 1 Rz. 47 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement sammlung bei drohender Zahlungsunfähigkeit) die Qualifikation eines freiwilligen Insolvenzantrages als der Zuständigkeit der Gesellschafter unterfallendes Grundlagengeschäft.77 48 GmbH-Geschäftsführer müssen auch vor der Anzeige einer Restrukturierungssache (vgl.

§ 31 Abs. 1 StaRUG), mit der die Restrukturierungssache rechtshängig wird (vgl. § 31 Abs. 3 StaRUG), im Innenverhältnis einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss einholen.78 Denn es handelt sich um eine außergewöhnliche Maßnahme der Geschäftsführung, die von besonderer Bedeutung und hohem Risikopotential für die Gesellschaft sowie vor allem auch für die Gesellschafter ist. Mit der Rechtshängigkeitsanzeige ist der Weg eröffnet, durch den Stabilisierungs- und Restrukturierungsplan auch gegen den Willen der Gesellschafter in deren Anteilseignerrechte einzugreifen sowie Kapitalmaßnahmen (insbesondere Debt-Equity-Swaps) und sonstige gesellschaftsrechtliche Maßnahmen umzusetzen, und dies erfordert, dass die Gesellschafter über diesen Verfahrenseingang mit qualifizierter Mehrheit von mindestens einer Dreiviertel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen (wie das auch bei Satzungsänderungen und Kapitalmaßnahmen erforderlich ist) beschließen.79 Die StaRUG-Verfahrensregelungen (z.B. Mehrheitserfordernisse, Schlechterstellungsverbot, Minderheitenschutzantrag, gerichtliche Planbestätigung) bieten keinen ausreichenden Schutz der Gesellschafter.80 Ausnahmsweise reicht auch ein Gesellschafterbeschluss mit einfacher Stimmmehrheit (nach § 47 Abs. 1 GmbHG) aus, wenn – was aber der seltene Ausnahmefall sein wird – von vornherein ausgeschlossen wird, dass im Restrukturierungsplan Maßnahmen vorgesehen werden, die in die Rechte der Gesellschafter eingreifen oder denen ein satzungsändernder Charakter zukommt.81

49 Eine zeitliche Verschiebung des Erfordernisses eines Gesellschafterbeschlusses, z.B. auf den

Zeitpunkt der Vorlage bzw. Annahme des Restrukturierungsplans, wäre kein pflichtgemäßes Geschäftsführerhandeln. Denn damit schafften die GmbH-Geschäftsführer für die Gesellschafter eine unangemessene Zwangslage, da eine Verweigerung der Zustimmung zu einem späteren Zeitpunkt die Sanierungsverhandlungen insgesamt zum Scheitern bringen und die Gesellschaft in ein Insolvenzverfahren zwingen könnte.82

50 Bei Unternehmen in der Rechtsform der AG gilt im Hinblick auf die Einbeziehung der

Hauptversammlung Folgendes: Die Hauptversammlung ist im Sanierungskonzept vor allem bei Durchführung von Kapitalmaßnahmen wie Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) und Kapitalherabsetzungen (§§ 222 f. AktG) oder bei der Ausgabe von Wandel- oder Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 AktG) einzubeziehen. Allerdings gibt es im Regelfall keine Ausübungssperre für die Nutzung eines genehmigten Kapitals, sondern umgekehrt wird die Nutzung eines genehmigten Kapitals gerade Mittel der Wahl zur Überbrückung drängender Liquiditätsbedürfnisse in der Krise sein.83 Der Vorstand hat zudem bei einem Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals unverzüglich die Hauptversammlung einzuberufen und ihr diesen Umstand anzuzeigen (§ 92 AktG). Die Zuständigkeit der Hauptversammlung ist zudem bei Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz sowie in wenigen Sonderfällen auch bei Geschäftsführungsmaßnahmen, nämlich (i) bei sog. Holzmüller/Gelatine-Beschlüssen (z.B. Ausgliederung von mindestens 75–80 % des Gesellschaftsvermögens in eine Tochtergesellschaft

77 Vgl. Saenger/Al-Wraikat, NZG 2013, 1201, 1203; Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1594. 78 So bereits Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 127; Jungmann, ZRI 2021, 209, 213; Ristelhuber, NZI 2021, 417, 419; Ph. Scholz, ZIP 2021, 219, 223; vgl. auch Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 78. 79 Ebenso Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 78. 80 A.A. Skauradszun/Amort, DB 2021,1317, 1321 f. 81 So bereits Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236; folgend Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 78 a.E. 82 So bereits Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236. 83 Zu Kapitalerhöhungen zu Sanierungszwecken ausf. Seibt in Theiselmann, Praxis-Hdb. des RestruktR, 4. Aufl. 2020, Kapitel 6, Rz. 1 ff. (auch zu einer empirischen Aufstellung der Praxisfälle).

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Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement | Rz. 52 § 1

mit Mediatisierung der Aktionärsrechte) sowie (ii) bei Verpflichtungsgeschäften über die Übertragung des im wesentlichen gesamten Vermögens (§ 179a AktG), eröffnet. Die Eingehung von Finanzierungsverträgen, mit denen eine Besicherung des im wesentlichen gesamten Gesellschaftsvermögens verbunden ist, fällt hingegen nicht unter den Anwendungsbereich des § 179a AktG und bedarf daher keiner Zustimmung der Hauptversammlung.84 Ebenfalls keine Zuständigkeit der Hauptversammlung wird im Regelfall durch den Abschluss von Finanzierungsverträgen, die umfangreiche „Leistungsversprechen“ (sog. covenants) enthalten, z.B. auch zum Verbot von Struktur- und Geschäftsführungsmaßnahmen ohne Freigabe der Gläubiger, ausgelöst.85 Auch bei Unternehmen in der Rechtsform der AG bedarf es vor freiwilliger Insolvenz- 51 antragsstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit im Innenverhältnis eines zustimmenden Hauptversammlungsbeschlusses mit qualifizierter Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen.86 Die Gegenauffassung, der zufolge ein Hauptversammlungsbeschluss nicht erforderlich sein soll,87 führt im Wesentlichen nur Praktikabilitätserwägungen insbesondere bei Börsen- oder anderen Publikumsgesellschaften an (Einberufung und Abwicklung der Hauptversammlung führt zu sanierungsschädlichen Verzögerungen).88 Teilweise werden „strategische Insolvenzanträge mit Restrukturierungsziel“ (Stichwort: Suhrkamp-Fall) für mit anderen Refinanzierungsgeschäften als vergleichbar angesehen89 oder argumentiert, dass im Falle einer mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit einhergehenden bilanziellen Überschuldung die finanziellen Positionen der Aktionäre ohnehin entwertet seien und es daher auf deren Willensbildung nicht mehr ankäme.90 Allerdings gibt es vor der materiellen Insolvenzreife gerade keinen „shift of fiduciary duties“, und die Unternehmensleitung hat sich bis dahin weiterhin primär auf die Verfolgung der Anteilseignerinteressen auszurichten. Auch der freiwillige Insolvenzantrag ist eine Maßnahme, die mit einer Satzungsänderung mit Änderung des Gesellschaftszweckes vergleichbar ist, so dass eine Vorlagepflicht gegenüber der Hauptversammlung besteht, die hierüber wie bei der Liquidation mit qualifizierter Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen beschließt.91 Zudem ist zu berücksichtigen, dass im Insolvenzplanverfahren Kapitalmaßnahmen und sonstige schwerwiegende Eingriffe in die Mitgliedschaft auf der Basis von § 225 Abs. 2 und 3 InsO möglich sind, die außerhalb der Insolvenz einen Hauptversammlungsbeschluss erfordern. Es bedarf daher eines vorgelagerten Schutzes der Anteilsinhaber vor Insolvenzantragstellung.92 Auch vor der Einleitung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ist bei Unter- 52 nehmen in der Rechtsform der AG ein Hauptversammlungsbeschluss mit qualifizierter Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen einzuholen. Zwar führt die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache – insoweit anders als die Insolvenzeröffnung – nicht zu einer automatischen Auflösung der Gesellschaft, aber die Einleitung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ist eine Grundlagenentscheidung, die mit einer Satzungsänderung durch84 Ausf. Seibt, ZIP 2013, 1597, 1606 m.w.N. 85 Ausf. Seibt, ZIP 2013, 1597, 1606 m.w.N. 86 So z.B. Saenger/Al-Wraikat, NZG 2013, 1201, 1204; Wertenbruch, DB 2013, 1592; Wortberg, ZInsO 2004, 707; nur für Beschlusserfordernis des Aufsichtsrats K. Schmidt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 18 InsO Rz. 31; Wolfer in BeckOK/InsR, § 18 InsO Rz. 7 (27. Ed. 15.4.2022). 87 Inbesondere K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 18 InsO Rz. 31; Mock in Gottwald/Haas, InsR-Hdb., 6. Aufl. 2020, § 91 InsO Rz. 15. 88 Hierzu z.B. Eidenmüller, ZIP 2014, 1197, 1203; vgl. auch Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 127. 89 Eidenmüller, ZIP 2014, 1197, 1203. 90 Argument des „shift of fiduciary duties“; vgl. Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1850; tendenziell auch Eidenmüller, ZIP 2014, 1197, 1203. 91 Ebenso Saenger/Al-Wraikat, NZG 2013, 1201, 1204; Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1594. 92 Vgl. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 3 und 83 ff.; Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1594.

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§ 1 Rz. 52 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement aus vergleichbar ist.93 Auf die Einbindung in dieser Verfahrenssituation kann nicht verzichtet werden, da die Aktionärsrechte im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nur sehr schwach ausgestaltet sind; ein effektiver Schutz der rechtlichen und finanziellen Position der Anteilseigner hat schon bei Verfahrenseingang stattzufinden. Aus Ex-Ante-Sicht ist nämlich nicht absehbar, inwieweit die Aktionäre nach Bestätigung des Restrukturierungsplans noch an der Gesellschaft beteiligt sein werden.94 Im Restrukturierungsplan können aber eine Vielzahl von Kapital- und Strukturmaßnahmen vorgesehen sein, die ansonsten einen zustimmenden Beschluss der Hauptversammlung mit qualifizierter Dreiviertelmehrheit erfordern.95 53 Auch kann die zwangsweise Einbeziehung der Aktionäre wegen der Möglichkeit gruppen-

übergreifender Mehrheitsentscheidungen (vgl. § 28 StaRUG) nur dann gerechtfertigt werden, wenn eine Zustimmung der Hauptversammlung bereits als Zugangserfordernis besteht.96 Etwas Abweichendes gilt nur für den seltenen Sonderfall, dass bereits im Zeitpunkt der Erstattung der Restrukturierungsanzeige hinreichend sicher feststeht, dass durch den Restrukturierungsplan keine Eingriffe in die Rechte der Aktionäre drohen;97 dies setzt aber eine bindende Vorabeinigung mit den Gläubigern voraus, da der Restrukturierungsprozess ansonsten nach § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG dynamisch betrieben werden wird.

54 In sehr seltenen Fällen kann es einmal gerechtfertigt sein, auf den Zustimmungsbeschluss der

Gesellschafter zu verzichten und den Geschäftsführern eine Notgeschäftsführungsbefugnis für Einleitung des StaRUG-Verfahrens zuzubilligen. Nach den allgemeinen Grundsätzen sind Geschäftsleiter berechtigt und können unter Umständen sogar verpflichtet sein, bestehende Grenzen der Geschäftsführungsbefugnis außer Acht zu lassen, „wenn dies im Interesse der Gesellschaft unabweisbar erscheint“.98 Voraussetzung einer Notgeschäftsführung ist allerdings immer, dass die rechtzeitige Einholung eines auf die konkrete Situation bezogenen Gesellschafterbeschlusses nicht möglich ist. Das wird nur vorstellbar sein, wenn die Krisensituation plötzlich und unvorhersehbar eingetreten ist und zudem die Durchführung eines StaRUG-Sanierungsverfahrens im Verhältnis zur (zwingenden) Insolvenzantragspflicht das einzig in Betracht kommende, und damit „mildere“, Mittel darstellt, welches im Interesse des Unternehmens und vor allem auch der Gesellschafter liegt.99 Die Geschäftsleiter haben aber auch in diesem Fall, die Verfahrenseinleitung durch Antragstellung „reversibel“ zu halten und die Gesellschafter sobald als möglich mit dem Vorgang zu befassen.

55 Bei beschränkt haftenden Rechtsträgern ohne Rechtspersönlichkeit, also insbesondere Un-

ternehmen in der Rechtsform der KG, erstreckt sich die Geschäftsführungsbefugnis lediglich auf Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes mit sich bringt (vgl. § 116 HGB). Sanierungsmaßnahmen, die auf die Abwendung bestandsgefährdender Entwicklungen beim Unternehmen gerichtet sind, liegen in aller Regel außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs, und die Geschäftsleiter haben daher die Gesellschafterversammlung einzubeziehen.

93 94 95 96 97 98

So bereits Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236; a.A. Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1320 ff. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236. BGH v. 10.12.2007 – II ZR 289/06, WM 2008, 695, 696; Stephan/Tieves in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 37 GmbHG Rz. 67; vgl. auch Paefgen in Haberback/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 37 GmbHG Rz. 61. 99 Ähnlich Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 82.

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V. Unberührt bleiben weitergehender Pflichten (§ 1 Abs. 3 StaRUG) Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 StaRUG stellt klar, dass „weitergehende Pflichten, die sich aus 56 anderen Gesetzen ergeben, unberührt bleiben“. Damit ist zweierlei bedeutet: Die in § 1 Abs. 1 StaRUG geregelten Geschäftsleiterpflichten bilden lediglich einen allgemeinen Mindeststandard,100 und Pflichten „nach anderen Bestimmungen“ (das ist richtigerweise als „aus anderen Gesetzen“ zu verstehen)101 bleiben unberührt, d.h. sie müssen zusätzlich von den Geschäftsleitern weiter befolgt werden. Es bleiben daher zunächst alle allgemeinen und weitgehend mit § 1 Abs. 1 StaRUG kongruen- 57 ten Sorgfaltspflichten (also insbesondere § 93 Abs. 1 AktG, § 43 GmbHG) sowie alle weitergehenden gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltspflichten und Verantwortlichkeiten der Geschäftsleiter bestehen, also z.B. die aktienrechtlichen Organisationspflichten nach § 91 AktG, die Verlustanzeigepflichten nach § 92 AktG und § 49 Abs. 3 GmbHG sowie die handelsrechtlichen Rechnungslegungs- und kapitalmarktrechtlichen Publizitätsvorschriften. Mit Entscheidung über die Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nach §§ 2–99 StaRUG sind auch die dort anwendbaren Vorschriften einzuhalten. Weiter sind Sonderpflichten ab drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) sowie insbesondere ab Eintritt von Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit einzuhalten, also insbesondere die Pflicht zur Insolvenzantragsstellung (§ 15a InsO) sowie die Zahlungsverbote (§ 15b InsO). Unternehmen, die branchenspezifischem Aufsichtsrecht unterliegen, haben die spezifischen Vorgaben zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement einzuhalten.102 Das sind für Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und zentrale Gegenparteien die Vorschriften in § 25a KWG, für Kapitalverwaltungsgesellschaften die Vorschriften in §§ 28 ff. KAGB und für Versicherungsunternehmen die Vorschriften in §§ 23 ff. VAG.

VI. Rechtsfolgen bei Pflichtenverletzung 1. Überblick Weder die Vorschrift des § 1 StaRUG selbst noch eine andere StaRUG-Bestimmung enthält 58 eine Rechtsfolgenregelung für den Fall der Verletzung einer in § 1 StaRUG niedergelegten Geschäftsleiterpflicht. Dies war auch bereits im Referenten- und Regierungsentwurf der Fall, denn die Streichung von § 3 RegE („Haftung“) betraf ausschließlich den Fall der Verletzung von § 2 Abs. 1–3 RegE. Da die Regelungen in § 1 StaRUG eine Ausformung der allgemeinen verbandsrechtlichen Geschäftsleiterpflichten sind,103 sind im Fall ihrer Verletzung auch die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Rechtsfolgenregelungen für die Verletzung von Geschäftsleiterpflichten anwendbar.104 Die Aufgabe der Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen, die Krisenprophylaxe 59 und vor allem auch die akute Krisenbewältigung sind sehr anspruchsvolle, wegen der in der Regel intensiven Betroffenheit verschiedener Interessenträger des Unternehmens hoch risikoreiche und häufig medial besonders exponierte Tätigkeiten. Hinzu kommt, dass in der Praxis die optimale Bewältigung von bestandsgefährdenden Unternehmenskrisen dadurch behindert wird, dass parallel zu ihr auch die Frage nach der Verantwortung der Geschäftsleitung

100 Vgl. RefE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 103. 101 Vgl. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 104; vgl. auch Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 83. 102 Zum Vorrang des Aufsichtsrechts vgl. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 104. 103 Vgl. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 103. 104 Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 102; vgl. auch Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 3.

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§ 1 Rz. 59 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement für den Kriseneintritt offen diskutiert wird oder jedenfalls unausgesprochen, aber klar „im Raum steht“. Das führt unabhängig davon, ob die Frage der Verantwortung von Mitgliedern der Geschäftsleitung explizit von Anteilsinhabern oder anderen Interessenträgern behandelt wird, zu einem potentiellen Interessenkonflikt bei den betreffenden Personen der Geschäftsleitung.105 Es besteht daher ein herausgehobenes Risiko des Vertuschens der Krisenursachen oder allgemein zu strategischen Verhalten in dem Sinne, dass Managementressourcen eher in die Verteidigung vergangenen Verhaltens als in die Lösung der Sanierungsaufgabe fließen. Es sind daher häufig die Mechanismen zur Bewältigung potentieller Interessenkonflikte bei Mitgliedern der Geschäftsleitung anzuwenden, also in diesem Sanierungszusammenhang insbesondere (i) die Pflicht zur gesteigerten Transparenz durch die betroffenen Mitglieder der Geschäftsleitung, und zwar sowohl innerhalb des Gesamtorgans der Geschäftsführung als auch gegenüber den Überwachungsorganen, (ii) gesteigerte Überwachungspflichten innerhalb der Geschäftsleitung (sog. horizontale Überwachungspflicht) sowie (iii) eine intensivere Überwachungstätigkeit der Überwachungsorgane (sog. vertikale Überwachungspflicht).106 60 Aus Sicht der Geschäftsleiter stellen sich bei der Pflichtenerfüllung im Zusammenhang mit

der Bewältigung bestandsgefährdender Entwicklungen drei persönliche Risikofelder, nämlich – eine Schadenersatzhaftung, und zwar im Binnenverhältnis zur Gesellschaft sowie im Außenverhältnis zu relevanten Interessenträgern (Stakeholder); – ein Karriererisiko in Form der Abberufung als Organmitglied und Kündigung des Anstellungsvertrages; die Verletzung der Pflichten nach § 1 Abs. 1 StaRUG werden im Regelfall einen „wichtigen Grund“ sowohl für die Abberufung als auch die Kündigung des Anstellungsvertrags bilden107; sowie – ein allgemeines Karriere- und Reputationsrisiko im Hinblick auf zukünftige Optionen der Tätigkeit. Die Geschäftsleiter sollten dieser Risikolage durch verschiedene Elemente eines persönlichen Schutzsystems begegnen, z.B. durch besondere Haftungsregelungen und Freistellungen durch die Gesellschaft (bei der GmbH) bzw. bestimmte Großgesellschafter, durch anstellungsvertragliche Regelungen (Stichwort: Vermögensschutzklausel), durch die vertragliche abgesicherte Deckung durch relevante Versicherungen, wie D&O-Versicherungen, Strafrechtsschutz- sowie Reputationsschutzversicherungen, sowie die Nutzung erfahrener Berater zu Strategie-, Finanz-, Rechts- und Kommunikationsfragen.108

2. Haftungsnormen 61 Die primären Haftungsrisiken gehen von den gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen aus,

insbesondere § 93 Abs. 2 AktG (für die AG) und § 43 Abs. 2 GmbHG (für die GmbH). Eine Haftung setzt in diesen Fällen eine schuldhafte Pflichtverletzung durch die Geschäftsleiter und einen hierdurch verursachten ersatzfähigen Schaden voraus, wobei die Darlegungslast beim Geschäftsleiter liegt. Allerdings gilt auch im Feld der Geschäftsleiterpflichten nach § 1 StaRUG weitgehend die Privilegierung nach der Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2

105 Vgl. Seibt, BB 2019, 2563, 2565; vgl. auch von Dryander/Apfelbacher/Kopp, Börsen-Zeitung vom 5.1.2019, S. 9; Kunreuther/Useem, Mastering Catastrophic Risk, 2018, S. 77 f. 106 Zu alledem Seibt, BB 2019, 2563, 2565. 107 Ebenso Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 22, 31 und 39 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 108 Zu diesen Elementen eines persönlichen Schutzsystems z.B. Seibt, BB 2019, 2563, 2571; jüngst Seibt, ManagerMagazin Heft 6/2022, 108; zur sog. Halbvermögensschutzklausel ausf. Seibt, NZG 2016, 361 ff.; gegen die aktienrechtliche Zulässigkeit insbes. Habersack, NZG 2015, 782 ff.; de lege lata ebenfalls krit. Abraham, Haftungsverschonung im Anstellungsvertrag des Vorstands, 2019, S. 111 ff.

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Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement | Rz. 64 § 1

AktG, für die GmbHG analog109), der zufolge keine Pflichtverletzung vorliegt, wenn der Geschäftsleiter bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Zudem ist eine Haftung von Vorständen gegenüber der Gesellschaft ausgeschlossen, wenn die in Frage stehende Geschäftsführungsmaßnahme auf einem gesetzmäßigen Beschluss der Hauptversammlung (vgl. § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG) bzw. bei der GmbHG einem rechtmäßigen Beschluss oder einer rechtmäßigen Weisung der Gesellschafterversammlung beruht. Der Haftungsausschluss gilt allerdings nur für gesetzmäßige Beschluss der Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung, so dass gesetzliche Pflichten der Geschäftsleiter (z.B. Kapitalerhaltung nach §§ 30, 33 GmbHG oder § 57 AktG, die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO oder die Pflicht zur ordnungsgemäßen Buchführung und Bilanzierung nach § 41 GmbHG und § 91 Abs. 1 AktG) nicht überwunden werden. Der Hauptversammlungs- bzw. Gesellschafterbeschluss ist darüber hinaus unbeachtlich und von den Geschäftsleitern nicht zu befolgen, wenn das entsprechende Handeln bzw. Unterlassen selbst zur Bestandsgefährdung führt,110 wobei diese Voraussetzung im Rahmen von § 1 StaRUG, der ja gerade bestandsgefährdende Entwicklungen für das Unternehmen voraussetzt, nur dann vorliegt, wenn der Beschluss der Anteilseigner einen im Hinblick auf das Sanierungsziel nach jeder Sichtweise unvertretbares Handeln bzw. Unterlassen zum Inhalt hätte.111 Im Regelfall wird die Gesellschaft erhebliche Schwierigkeiten haben zu beweisen, dass ein bestimmter StaRUG-Restrukturierungsplan (i) tatsächlich angenommen und ggf. bestätigt worden wäre, (ii) um daraus (haltungsausfüllende Kausalität) (iii) eine Vermögensdifferenz berechnen zu können (quantifizierbarer Schaden).112 Eine Analogie von § 43 Abs. 1 StaRUG (Binnenhaftung) auf die Zeit vor der Rechtshängig- 62 keit kommt nicht in Betracht; es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke (arg. eStreichung der §§ 2 f. StaRUG-RegE).113 Eine gesellschaftsrechtliche Außenhaftung kommt nur unter den engen Voraussetzungen 63 des § 93 Abs. 5 AktG (für die GmbHG: Analogie zu § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG, § 34 Abs. 5 Satz 1 GenG114) in Betracht. Eine deliktische Haftung der Geschäftsleiter wegen Verletzung der in § 1 StaRUG geregelten 64 Pflichten ist nur unter engen Voraussetzungen denkbar: § 1 StaRUG ist nicht als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB zu qualifizieren, da § 1 StaRUG den Gläubigerschutz nur mittelbar und als Reflex bezweckt.115 Der StaRUG-Gesetzgeber hat zudem durch die ersatzlose Streichung der §§ 2 und 3 StaRUG-RegE seine Ablehnung der Außenhaftung ebenso deutlich gemacht wie bei der Regelung der Binnenhaftung nach Rechtshängigkeit im Rahmen von § 43

109 Vgl. Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 71 ff.; Beurskens in Noack/ Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 33 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 23; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 70 ff. 110 Vgl. z.B. Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 126. 111 Ähnlich Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 110. 112 Zutr. Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1325. 113 Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1325. 114 Str.; für diese Analogie z.B. Bayer, GmbHR 2014, 897, 902; Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 327; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 51; Paefgen in Haberback/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 313; a.A. etwa Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 73; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 365; weitere Nachweise bei Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 327, Fn. 1852. 115 I.E. mit ausf. Begr. ebenso Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1325 ff.; a.A. (für Schutzgesetz) knapp Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 1 Rz. 64 | Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement StaRUG (und zwar entgegen der Entwurfsfassung im Rahmen von § 45 StaRUG-RegE).116 Zudem hatte der Rechtsausschuss bei Streichung der §§ 2 f. StaRUG-RegE in seiner Begründung nur auf das Bestehen „gesellschaftsrechtlicher Haftungsnormen“ zur Gewährleistung eines hinreichenden Gläubigerschutzes hingewiesen, nicht aber auf deliktsrechtliche Haftungsnormen.117 Deliktische Haftungsansprüche aus § 826 BGB (oder gar § 823 Abs. 1 BGB) kommen nur dann in Betracht, wenn die Geschäftsleiter, z.B. auf Basis falscher Angaben im Zuge der Nutzung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (und zwar dann letztlich durch den Restrukturierungsplan), schuldhaft und rechtswidrig in Rechtspositionen der Anteilseigner oder Gläubiger eingegriffen haben.118

116 Zutr. Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1326; Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 123; zum Binnenhaftungskonzept nach Rechtshängigkeit im Rahmen von § 43 s. auch Gehrlein, BB 2021, 66, 75; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 128. 117 Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1326. 118 Zu § 823 Abs. 1 BGB Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 128; Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 125; vgl. auch Smid, ZInsO 2021, 117, 124. – Allgemein skeptisch hinsichtlich von Haftungsansprüchen nach § 823 Abs. 1, § 826 BGB Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1326.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | § 2

Teil 2 Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (§§ 2-93)

Kapitel 1 Restrukturierungsplan (§§ 2-16) Abschnitt 1 Gestaltung von Rechtsverhältnissen (§§ 2-4)

§2 Gestaltbare Rechtsverhältnisse (1) Auf der Grundlage eines Restrukturierungsplans können gestaltet werden: 1. Forderungen, die gegen eine restrukturierungsfähige Person (Schuldner) begründet sind (Restrukturierungsforderungen), und 2. die an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens bestehenden Rechte, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen würden, es sei denn, es handelt sich bei ihnen um Finanzsicherheiten im Sinne des § 1 Absatz 17 des Kreditwesengesetzes oder um Sicherheiten, die dem Betreiber eines Systems nach § 1 Absatz 16 des Kreditwesengesetzes zur Absicherung seiner Ansprüche aus dem System oder der Zentralbank eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder der Europäischen Zentralbank gestellt wurden (Absonderungsanwartschaften). (2) 1Beruhen Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften auf einem mehrseitigen Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern, so sind auch Einzelbestimmungen in diesem Rechtsverhältnis durch den Restrukturierungsplan gestaltbar. 2Satz 1 gilt auch für die Bedingungen von Schuldtiteln im Sinne des § 2 Absatz 1 Nummer 3 des Wertpapierhandelsgesetzes und von Verträgen, die zu gleichlautenden Bedingungen mit einer Vielzahl von Gläubigern geschlossen wurden. 3Beruhen Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften auf unterschiedlichen Rechtsverhältnissen und haben die Inhaber der Forderungen oder Anwartschaften untereinander und mit dem Schuldner Vereinbarungen über die Durchsetzung der gegenüber diesem bestehenden Forderungen oder Anwartschaften und das relative Rangverhältnis der aus der Durchsetzung resultierenden Erlöse getroffen, so sind auch die Bedingungen dieser Vereinbarung durch den Plan gestaltbar. (3) Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit [ab 1.1.2024: „rechtsfähige Personengesellschaft“], können auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der an dem Schuldner beteiligten Personen durch den Restrukturierungsplan gestaltet, sonstige gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen getroffen sowie Anteils- und Mitgliedschaftsrechte übertragen werden. (4) 1Der Restrukturierungsplan kann auch die Rechte der Inhaber von Restrukturierungsforderungen gestalten, die diesen aus einer von einem verbundenen Unternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes als Bürge, Mitschuldner oder aufgrund einer anderweitig übernommenen Haftung oder an Gegenständen des Vermögens dieses Unternehmens zustehen (gruppeninterne Drittsicherheit); der Eingriff ist durch eine angemessene Entschädigung zu kompensieren. 2Satz 1 Halbsatz 2 gilt entsprechend für eine Beschränkung der Herding/Krafczyk | 45

§ 2 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse persönlichen Haftung eines persönlich haftenden Gesellschafters eines als Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit [ab 1.1.2024: „rechtsfähige Personengesellschaft“] verfassten Schuldners. (5) 1Maßgeblich für die Absätze 1 bis 4 sind die Rechtsverhältnisse zum Zeitpunkt der Unterbreitung des Planangebots (§ 17), im Fall einer Abstimmung im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren zum Zeitpunkt der Antragstellung (§ 45). 2Erwirkt der Schuldner vorher eine Stabilisierungsanordnung (§ 49), tritt an die Stelle des Planangebots oder des Antrags der Zeitpunkt der Erstanordnung. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256), Abs. 3 und Abs. 4 Satz 2 mit Wirkung v. 1.1.2024 geändert durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). A. I. II. III. B.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normherkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norminhalt und -zweck . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungbefugnisse und Grenzen . . . . Gestaltbare Rechtsverhältnisse, Rechte und Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Restrukturierungsforderungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Restrukturierungsfähige Person (Schuldner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vermögensanspruch und Umrechnungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . c) Persönlicher Anspruch . . . . . . . . . . d) Begründetheit der Forderungen . . e) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Forderungen aus Krediten . . . . bb) Garantie- und Bürgschaftsforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Parallelverpflichtungen (Parallel Debt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Rückgriffsansprüche (einschließlich solcher aus Avalgeschäften) . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Dauerschuldverhältnisse . . . . . ff) Schadensersatzansprüche . . . . gg) Streitige Restrukturierungsforderungen (§§ 70, 71 StaRUG) . hh) Steuerforderungen . . . . . . . . . . ii) Rückforderung staatlicher Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Nicht erfasste Rechte und Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5 StaRUG) . . . 2. Rang der Restrukturierungsforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Plangestaltungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1, 2 Satz 1 StaRUG) . . . a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Forderungskürzungen . . . . . . . . . . c) Fälligkeitsverschiebungen . . . . . . .

46 | Herding/Krafczyk

1 2 5 14 19 19 21 21 23 28 29 30 31 34 36 38 41 43 45 46 48 54 55 57 59 59 61 63

d) Besicherung von Restrukturierungsforderungen . . . . . . . . . . . . . e) Sonstige Planregelungen . . . . . . . . aa) Abtretung und Aufrechnung . bb) Zinsregelungen . . . . . . . . . . . . . cc) Rangrücktritt . . . . . . . . . . . . . . dd) Umtausch von Forderungen (insbesondere zum Debt-Equity-Swap) . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Übernahme von Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Einzelbestimmungen bilateraler Finanzierungen . . . . . . . . . . . . hh) Wahlrechte . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonderthema: Staatshilfen zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie im Restrukturierungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wirkungen der Gestaltungen . . . . . . . II. Absonderungsanwartschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gegenstände des schuldnerischen Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechte, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen . . . . . . . . . aa) Gesetzliche Anknüpfung . . . . . bb) Absonderungsrechte (§§ 49–51 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anfechtbare Absonderungsanwartschaften (§§ 129 ff. InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sicherheiten zugunsten Parallelverpflichtungen (Parallel Debt) c) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aussonderungsrechte (§ 47 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Finanzsicherheiten nach dem Kreditwesengesetz (KWG) . . . d) Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5 StaRUG) . . .

65 66 67 68 70 72 74 75 76 78

79 85 86 88 88 90 90 91 94 96 97 97 98 99

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | § 2 2. Plangestaltungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1, 2 Satz 1, § 13 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Kürzungen der Sicherheit . . . . . . . 106 c) Fälligkeitsverschiebungen . . . . . . . 107 d) Besicherung der Absonderungsanwartschaften? . . . . . . . . . . . . . . . 109 e) Sonstige Planregelungen . . . . . . . . 110 aa) Sicherheitentausch . . . . . . . . . . 111 bb) Sicherheitenpool und -treuhand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 cc) Weitere Planregelungen als Minus zur Kürzung . . . . . . . . . . . . 117 3. Wirkungen der Gestaltungen . . . . . . . . 118 III. Vertragliche Einzelbestimmungen und Bedingungen (§ 2 Abs. 2 StaRUG) . . . . . 119 1. Mehrseitige Rechtsverhältnisse (§ 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . 123 a) Erfasste (mehrseitige) Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 aa) Hauptanwendungsfall: Konsortialkreditverträge . . . . . . . . . . . 124 bb) Sicherheitenpool- und -treuhandverträge . . . . . . . . . . . . . . . 129 cc) Sanierungs- und Restrukturierungsvereinbarungen . . . . . . . . 132 dd) Weitere Rechtsverhältnisse . . . 134 b) Einbeziehung des Schuldners . . . . 136 aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 136 bb) Kredit- und Risikounterbeteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 cc) Mehrere Schuldner und Zustimmungserfordernis . . . . . . . 139 c) Beteiligung mehrerer Gläubiger . . 140 aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 140 bb) Ausgestaltung der Konsortialkreditverträge . . . . . . . . . . . . . . 142 cc) Verhältnis von Konsortial- und Einzelkreditvertrag . . . . . . . . . . 143 dd) Abzweiglinien (Ancillary Facilities) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 ee) Gestaltungspraxis . . . . . . . . . . . 147 d) Beruhenserfordernis . . . . . . . . . . . . 148 aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 148 bb) Restrukturierungsforderungen aus gegenseitigen Verträgen (§ 3 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . 151 cc) Sanierungs- und Restrukturierungsvereinbarungen . . . . . . . . 155 2. Gleichlautende Bedingungen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Schuldtitel i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 aa) Erfasste Schuldtitel . . . . . . . . . . 157

bb) Restrukturierung von Schuldverschreibungen nach dem SchVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Verträge zu gleichlautenden Bedingungen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 aa) Hauptanwendungsfall: Schuldscheindarlehen . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Fallstricke in der Schuldscheindarlehen-Restrukturierung . . . 165 cc) StaRUG als Schlüssel für die Schuldscheindarlehen-Restrukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 c) Hinreichend vergleichbare Verträge – zugleich zur Vielzahl von Gläubigern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 d) Beruhenserfordernis . . . . . . . . . . . 170 3. Gläubigervereinbarungen (§ 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Erfasste (Gläubiger-)Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Beteiligung des Schuldners . . . . . . 174 d) Beruhen auf „unterschiedlichen Rechtsverhältnissen“ . . . . . . . . . . . 175 e) Gestaltbarkeit von Gläubigervereinbarungen und davon betroffenen bilateralen Kreditverträgen . . . . . . 176 f) Mehrere Betroffene und Zustimmungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . 178 4. Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5 StaRUG) . . . . . . 179 5. Plangestaltungen (§ 2 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . 184 c) „Abänderungen“ als Gestaltungen von Einzelbestimmungen und Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 185 bb) Abänderung und/oder Einführung von Einzelbestimmungen und Bedingungen? . . . . . . . . . . 186 cc) Systematik möglicher Plangestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . 193 (1) Leistungsbezogene Abänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (2) Auflagenbezogene Abänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (3) Rangbezogene Abänderungen 196 d) Plangestaltungen im Einzelnen . . . 200 aa) Abänderung als „weniger einschneidende“ Lösungen . . . . . 201 bb) Amend and Extend-Lösungen als Ausgangsfall . . . . . . . . . . . . 202 cc) Amend and Extend-Konzept mit Sicherheiten und/oder Gläubigervereinbarungen . . . . 207

Herding/Krafczyk | 47

§ 2 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse dd) Amend and Extend-Konzept mit neuer Finanzierung . . . . . . 210 e) Grenzen der Gestaltungsbefugnis . 213 aa) Neue Finanzierungen (§ 12 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Beschränkung auf „typische vertragliche Einzelbestimmungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 cc) Erforderlichkeit der Anpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 dd) Gestaltungsdefizite in Konzernsachverhalten . . . . . . . . . . . . . . 217 6. Konzeption und Umsetzung . . . . . . . . 220 IV. Anteils- und Mitgliedschaftsrechte (§ 2 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Juristische Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit . . . . . . . . . . 226 2. Erfasste Anteils- und Mitgliedschaftsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3. Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5 StaRUG) . . . . . . 229 4. Plangestaltungen im Einzelnen (§ 2 Abs. 3 i.V.m. § 7 Abs. 1, 4, § 15 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 5. Vorgaben des § 225a Abs. 4, 5 InsO . . 233 6. Zwingende Einbeziehung? . . . . . . . . . . 235 7. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 V. Gruppeninterne Drittsicherheiten (§ 2 Abs. 4 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Gestaltungsbefugnis (§ 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Erfasste Sicherheiten . . . . . . . . . . . 242 b) Verbundene Unternehmen . . . . . . 244 c) Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5 StaRUG) . . . 247 3. Plangestaltungen (§ 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1, 2 Satz 2, § 13 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

VI. C. D. I. II. III. IV.

4. Zustimmung des verbundenen Unternehmens (§ 15 Abs. 4 StaRUG) . . . . . . 250 5. Grenzen der Gestaltungsbefugnis . . . . 251 6. Entschädigung (§ 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Werthaltigkeit der Sicherheit und Wertverlust durch Eingriff . . . . . . 254 b) Formen der Entschädigung (insbesondere zur Zulässigkeit eines Sicherheitentauschs) . . . . . . . . . . . . . 258 c) Aufbringung der Finanzmittel „aus dem Vermögen des Schuldners“ . . 259 d) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . 260 Persönlich haftende Gesellschafter (§ 2 Abs. 4 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . 262 Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5 StaRUG) . . . . . . . 263 Gestaltungsbefugnisse und internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht . . . 268 Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . 270 Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 1. Anerkennung im Ausland . . . . . . . . . . 279 2. Anerkennung im Inland . . . . . . . . . . . 281 Hinweise zu den Gestaltungsbefugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 1. Gestaltung ausländischer Restrukturierungsforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 2. Gestaltung von im Ausland belegenen (Dritt-)Sicherheiten – zu Art. 8 EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 3. Gestaltung von Personalsicherheiten von verbundenen Unternehmen mit COMI im EU-Ausland . . . . . . . . . . . . . 285

Schrifttum: Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG) nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht – Teil 1, ZInsO 2020, 2561; Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG) nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht – Teil 2, ZInsO 2020, 2617; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Auflage, 2020; Eisolt/Wolters, Steuerrechtliche Aspekte des StaRUG, ZInsO 2021, 1058; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Herding in Schalast/Keibel, Handbuch Deutsche Kreditmarkt-Standards, 2021, S. 123; Herweg/Wirth, Der Restrukturierungsplan – Kernstück der präventiven Sanierung, DB 2021, 886; Hoegen/Kranz, Neue Möglichkeiten der Konzernsanierung durch SanInsFoG und StaRUG, NZI 2021, 105; Hölzle/Wendt, Beihilferechtliche Rückforderung rechtswidrig gewährter Corona-Hilfen als Haftungsrisiko für den Erwerber aus der Insolvenz bei übertragender Sanierung und Insolvenzplan, ZRI 2021, 953; Hoos/Schwartz/Schlander, Handlungsoptionen für Unternehmen – Internationale Zuständigkeit und Anerkennung von präventiven Restrukturierungsverfahren, ZIP 2021, 2214; Hunsalzer, Corona-Beihilfen und KfW-Kredite in der Restrukturierungs- und Insolvenzplansanierung unter Beachtung des EU-Beihilferechts, ZInsO 2021, 1469; Kahlert/Schumann, Einbeziehung von in- und ausländischen Steuerforderungen in einen Restrukturierungsplan oder Sanierungsvergleich, DStR 2021, 2741; Korch, Restrukturierungsgesellschaftsrecht – Zur Überformung des Gesell-

48 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 1 § 2 schaftsrechts durch den StaRUG-Regierungsentwurf, NZG 2020, 1299; Lürken, Das StaRUG aus schuldverschreibungsrechtlicher Sicht, ZIP 2021, 1305; Madaus, Vertrauliche Restrukturierungspläne für ausländische Schuldner, ZIP 2022, 1233; Marotzke, Gegenseitige Verträge im künftigen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, ZInsO 2021, 21; Marotzke, Die restrukturierungsrechtliche Plangestaltbarkeit nicht fälliger und nicht auf Geld gerichteter Forderungen, ZInsO 2021, 643; Marotzke, Einfluss des StaRUG auf Geschäftsbesorgungsverträge und Vollmachten, ZInsO 2021, 353; Marotzke, Die restrukturierungsrechtliche Plangestaltbarkeit von Darlehens-, Miet-, Pacht- und Lizenzverträgen, ZInsO 2021, 1099; Morgen/Arends/Schierhorn, Sanierungsmittel der Wahl – Insolvenzplan nach InsO n. F. oder Restrukturierungsplan nach StaRUG?, ZRI 2021, 305; Naujocks/Schönen, Die Anpassung von Einzelbestimmungen in Finanzierungsverträgen nach dem StaRUG, ZRI 2021, 437; Paulus/Bähr/Hackländer, Konzernweite Restrukturierungen – Hilft das StaRUG?, ZIP 2021, 1085; Pleister, Behandlung von Drittsicherheiten in der finanziellen Restrukturierung von Konzernen, ZIP 2015, 1097; Proske/Streit, Rettende Restrukturierung durch Rechtsrahmen? Lob und Kritik zum Regierungsentwurf des StaRUG, NZI 2020, 969; Schlöder/Parzinger/Knebel, Der Restrukturierungsplan nach dem StaRUG im Lichte grenzüberschreitender Restrukturierungen – praxistaugliches Anerkennungsregime oder ein Fall für die obersten Gerichte?, ZIP 2021, 1041; J. Schmidt, Präventiver Restrukturierungsrahmen: Internationale Zuständigkeit, Anerkennung und anwendbares Recht, ZInsO 2021, 654; Seibt/Bulgrin, Entwurf zum Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) – Kritische Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, DB 2020, 2226; Skauradszun, Restrukturierungsverfahren und das Internationale Privatrecht, NZI 2021, 568; Skauradszun/Kümpel, Restrukturierungen von Schuldverschreibungen und weiteren Finanzierungsarrangements nach § 2 Abs. 2 StaRUG, WM 2021, 1122; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Vallender, Das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanIns-FoG), MDR 2021, 201; Westpfahl, Wesentliche Elemente eines vorinsolvenzlichen Sanierungsregimes für Deutschland, ZRI 2020, 157; Westpfahl/Dittmar, Die Behandlung gruppeninterner Sicherheiten im StaRUG, NZI 2021, 46; Wilkens, Der präventive Restrukturierungsrahmen – Eine Bestandsaufnahme aus Sicht der Finanzgläubiger, WM 2021, 573.

A. Einführung Das „Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insol- 1 venzrechtsfortentwicklung – SanInsFoG)“ enthält in Art. 1 SanInsFoG das „Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG)“.1 Damit wird die „Richtlinie (EU) 2019/1032 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz)“2 umgesetzt. Ganz i.S.d. Restrukturierungs-RL (vgl. Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und Art. 4 Restrukturierungs-RL) zielt das StaRUG auf die Ermöglichung insolvenzabwendender Sanierungen als Teil eines kohärenten und praxistauglichen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens.3 Darin sollen im Vorfeld der Insolvenz („Likelyhood of Insolvency“) finanzielle Schwierigkeiten beseitigt und die Bestandsfähigkeit des (Restrukturierungs-) Schuldners sichergestellt werden.4 § 16 Satz 1 StaRUG zeigt, dass diese Möglichkeiten auch kleinen und mittleren Unternehmen bereitstehen soll 5 und mit diesem Ziel wurde entsprechend inzwischen eine Checkliste für Restrukturierungspläne auf www.bmj.de veröffentlicht.6 1 BGBl. I 2021, S. 3256 ff.; BR-Drucks. 762/20, S. 2 ff.; ergänzend Begr. RegE BT-Drucks. 19/24181, S. 84 ff. sowie zuvor Begr. RefE v. 19.9.2020, S. 93 ff. 2 ABl. EU Nr. L 172 v. 20.6.2019, S. 18 ff., im Folgenden Restrukturierungs-RL. Zum Stand der Umsetzung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Schade/Blochberger, ZInsO 2022, 1093. 3 BT-Drucks. 19/24181, S. 95. 4 BT-Drucks. 19/24181, S. 1; s. auch ErwGr. 24 Restrukturierungs-RL. 5 Zum Zugang von KMU in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen Smid, NZI-Beilage 2021, 64. 6 Checkliste für Restrukturierungspläne, ZRI 2022, 191, 192 (ebenso abrufbar unter: https://www.bmj. de/DE/Themen/FinanzenUndAnlegerschutz/Fruehwarnsysteme/checkliste.pdf;jsessio-

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§ 2 Rz. 1 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse Die Möglichkeit einer zwangsweisen Durchsetzung kraft Mehrheit ändert die Verhandlungsdynamik und mittelbar erweist sich der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen dadurch als Katalysator der außergerichtlichen, konsensualen Restrukturierung vor Einleitung restrukturierungs- und insolvenzrechtlicher Schritte unter dem StaRUG und der InsO. Denn soweit die Gestaltungsmacht durch einen Restrukturierungsplan und die Androhung der strategischen Nutzung der Instrumente (§ 29 Abs. 2 StaRUG) reicht, wird im Einzelfall die Verhandlungsposition derjenigen gestärkt, die dazu bereit sind, die Restrukturierung mehrheitlich mitzutragen. Hold-out-Positionen etwa von Minderheitsgesellschaftern und einzelnen Finanzierern werden schon unter Hinweis auf die neuen Möglichkeiten unter dem StaRUG aufgelöst und schwierige Restrukturierungsbeteiligte können letztlich doch in konsensuale Lösungen eingebunden werden.

I. Normherkunft 2 Die §§ 2–4 StaRUG fußen auf den Richtlinienvorgaben aus Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 Restrukturie-

rungs-RL sowie Art. 8 Abs. 1 Buchst. g Restrukturierungs-RL, welche einerseits das Ziel der Restrukturierungs-RL in zentrale Begriffsbestimmungen übersetzen, andererseits den Inhalt von Restrukturierungsplänen umreißen.7 So sollen als „Restrukturierung“ gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 Restrukturierungs-RL Maßnahmen gelten, „die auf die Restrukturierung des Unternehmens des Schuldners abzielen und zu denen die Änderung der Zusammensetzung, der Bedingungen oder der Struktur der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten eines Schuldners oder jedes anderen Teils der Kapitalstruktur gehört, etwa der Verkauf von Vermögenswerten oder Geschäftsbereichen und, wenn im nationalen Recht vorgesehen, der Verkauf des Unternehmens als Ganzes sowie alle erforderlichen operativen Maßnahmen oder eine Kombination dieser Elemente“. Art. 8 Abs. 1 Buchst. g Restrukturierungs-RL spricht durch Bezugnahme auf diese Definition entsprechend die Restrukturierung der Aktiv- und Passivseite an und nennt darüber hinaus insbesondere die (Quellen der) Finanzierung des Schuldners bzw. eine neue Finanzierung. Dem nationalen Gesetzgeber stand demzufolge ein umfangreicher Rahmen zur Verfügung, im Einklang mit den europäischen Vorgaben die entsprechenden Gestaltungsrechte für den Restrukturierungsplan vorzusehen.8

3 Trotz allem beschränken sich die Gestaltungsmöglichkeiten des StaRUG auf (meist)9 teil-kol-

lektive passivseitige bzw. finanzielle Restrukturierungen.10 Im Kontrast zu den weitgehenden Umsetzungsmöglichkeiten nach der Restrukturierungs-RL sollen einschränkend aktiv-seitige und insbesondere vertragsbezogene Maßnahmen als Teil einer operativen Restrukturierung im Rahmen eines mehrheitlich gefassten Restrukturierungsplans nicht möglich sein. Dies wird auch dadurch deutlich, dass auf die zusätzliche Möglichkeit, im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen Vertragsbeendigungen erwirken zu können, in buchstäblich letzter Minute verzichtet wurde, nachdem die Gestaltung von Verträgen in § 31 Abs. 2 Nr. 3, §§ 51– 55 StaRUG-RegE noch als zusätzliches Instrument vorgesehen war.11 Anders als im Insolvenzverfahren, das bestimmte (Sonder-)Kündigungsrechte und ein Erfüllungswahlrecht für laufen-

7 8 9 10 11

nid=C46EC4CDBADF3A939196580FD4CD4274.2_cid324?__blob=publicationFile&v=3; zuletzt abgerufen am 3.8.2022). Vgl. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 1 f. Vgl. Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 2. BT-Drucks. 19/24181, S. 109; außerdem Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 2; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 1; ergänzend Bork, NZI-Beilage 2021, 38, 40. Zu §§ 51–55 StaRUG-RegE, BT-Drucks. 19/24181, S. 149 ff.; hierzu Hofmann, NZI 2020, 871 ff.; Proske/Streit, NZI 2020, 969, 973.

50 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 6 § 2

de Vertragsverhältnisse bereit hält, unterliegen solche Maßnahmen hier nun weiter den allgemeinen vertrags- und sachenrechtlichen Regelungen.12 Erste kosmetische Änderungen erfährt § 2 StaRUG durch das Gesetz zur Modernisierung 4 des Personengesellschaftsrechts, wenn im Zuge dessen der Terminus der „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ in § 2 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 2 StaRUG durch denjenigen der „rechtsfähigen Personengesellschaften“ abgelöst wird.13

II. Norminhalt und -zweck Der Restrukturierungsplan selbst wird nicht als Instrument innerhalb von § 29 Abs. 2 Sta- 5 RUG angesprochen, sondern allein die auf ihn bezogene gerichtliche Planabstimmung, Vorprüfung, Stabilisierung und Planbestätigung; entsprechend stellt der Restrukturierungsplan das zentrale Restrukturierungsmittel des StaRUG und „Herzstück“14 des gesamten Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens dar. Er ist in Teil 2 Kapitel 1 des StaRUG geregelt. Als Eingangsvorschrift dieses Abschnitts regelt § 2 StaRUG im Zusammenspiel mit §§ 3 und 4 StaRUG an prominenter Stelle die Reichweite und Zulässigkeit zwangsweiser Sanierungs- bzw. Restrukturierungslösungen als Inhalt eines Restrukturierungsplans.15 Sie gemeinsam bestimmen, welche Rechtsverhältnisse, Rechte und Forderungen bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach Einleitung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in einem außergerichtlichen (§§ 17 ff. StaRUG) oder gerichtlichen Verfahren (§§ 45 ff. StaRUG) gestaltet, d.h. innerhalb eines Restrukturierungsplans zur Abstimmung gestellt und durch das Gericht bestätigt werden können.16 Erweiterungen zu §§ 2–4 StaRUG enthält § 12 StaRUG mit der Möglichkeit, neue Finanzierungen und ihre Besicherung im Restrukturierungsplan vorzusehen, und § 13 StaRUG, der die Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse zulässt. Außerdem können freiwillige Restrukturierungsbeiträge durch eine Verpflichtungserklärung gem. § 15 Abs. 3, § 71 Abs. 2 StaRUG oder eine Planbedingung gem. § 62 StaRUG in den Restrukturierungsplan einbezogen werden.17 Die Regelungen der §§ 2–4 StaRUG zur Gestaltung von Rechtsverhältnissen sind in Anleh- 6 nung an die insolvenzplanrechtlichen Regelungen konzipiert. Sie greifen insbesondere den Regelungsgehalt der §§ 219, 221, 225a, 228, 229, 230 InsO18 auf. Die Gestaltungsbefugnisse innerhalb eines Restrukturierungsplans folgen daher denjenigen für einen Insolvenzplan. Eine weitgehende Übernahme der Regelungen zum Insolvenzplan, vor allem zur Gestaltbarkeit von Forderungen, Rechten und Rechtsverhältnissen, war nicht zwingend, liegt jedoch nahe, wenn der Gesetzgeber von einer „weitgehenden funktionalen Übereinstimmung [des präventiven Rahmens] mit den insolvenzrechtlichen Sanierungsoptionen“ spricht19 und verhindern will, dass Schuldner die Wahl einer Inanspruchnahme von der jeweiligen gesetzlichen Ausgestaltung der Verfahrensarten abhängig machen.20 Entsprechend sind Abweichungen dort vorgesehen, wo es die Eigenheiten eines vorinsolvenzlichen Verfahrens erfordern, was – wie sich zeigt 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, Art. 8 Abs. 1 Buchst. g Restrukturierungs-RL; BT-Drucks. 19/24181, S. 109. Hierzu BGBl. I 2021, S. 3452. Madaus in Flöther, SanierungsR, 2019, Kap. F Rz. 162; Müller, ZIP 2020, 2253, 2255. BT-Drucks. 19/24181, S. 110; Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 1; vgl. Bork, ZRI 2021, 345, 346. BT-Drucks. 19/24181, S. 109, 131 f.; Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2571; Ristelhuber, NZI 2021, 417, 419. Hierzu Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 7, 8 ff. BT-Drucks. 19/24181, S. 111, 113; hierzu Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 3; Müller, ZIP 2020, 2253, 2255. Eine Synopse findet sich bei Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2620. BT-Drucks. 19/24181, S. 99. BT-Drucks. 19/24181, S. 109; Herweg/Wirth, DB 2021, 886.

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§ 2 Rz. 6 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse – in bestimmten Fallgestaltungen zu einer herausfordernden Neuausrichtung insolvenzrechtlicher Regelungskonzepte führt.21 7 § 2 StaRUG sieht danach zunächst die Gestaltbarkeit von Restrukturierungsforderungen

(§ 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) und Absonderungsanwartschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) vor, womit nicht nur eine Terminologie in Anlehnung an diejenigen der InsO etabliert wird, sondern aufgrund der gewählten Begriffe die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens bereits im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen zu berücksichtigen sind. Diese Wechselabhängigkeit zeigt beispielhaft die hypothetische Vorgabe des § 9 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG für die Gruppenbildung, derzufolge für „Forderungen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Insolvenzforderungen geltend zu machen wären“, eine eigene Gruppe zu bilden ist. Die Verwendung der insolvenzrechtlich (vor-)geprägten Begriffe entspricht der Funktion des Restrukturierungsrahmens, die Lücke zwischen freier Sanierung und gerichtlichen Insolvenzverfahren zu schließen,22 ist allerdings, da mangels Insolvenzverfahrenseröffnung weder Insolvenzforderungen (hier: Restrukturierungsforderungen) noch Absonderungsrechte (hier: Absonderungsanwartschaften) bestehen, mit gewisser Vorsicht zu betrachten.23

8 Ein Novum stellt die nunmehr zulässige Gestaltung von vertraglichen Einzelbestimmungen

und Bedingungen (§ 2 Abs. 2 StaRUG) dar, wenn erstere aus mehrseitigen Rechtsverhältnissen zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern (§ 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) herrühren, Bestandteil von Schuldtiteln i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG bzw. Verträgen sind, die zu gleichlautenden Bedingungen mit einer Vielzahl von Gläubigern geschlossen wurden (§ 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG), oder letztere Inhalt von Gläubigervereinbarungen bzw. sog. Intercreditor Agreements (§ 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG) sind. Damit soll Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 RestrukturierungsRL umgesetzt werden, wonach auch die „Bedingungen der Verbindlichkeiten“ von schuldnerischen Unternehmen einer Gestaltung mittels Restrukturierungsplan zugänglich sein sollen.24 Ganz im Einklang mit der Zielrichtung des StaRUG, Unternehmen die Sanierung als „Going Concern“ zu ermöglichen, zielt die Gestaltung von Einzelbestimmungen bzw. Bedingungen darauf ab, das in aller Regel weniger einschneidende Mittel der Vertragsänderung auch für die Restrukturierung mittels Mehrheitsentscheidung bereitzustellen.25 Inhalt und Reichweite dieser neuartigen Gestaltungsmöglichkeit von Einzelbestimmungen für fortgeführte Verträge (sprich: die Zukunft) bestimmen maßgeblich über die Attraktivität des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, da sie den Regelungsrahmen abweichend von den Möglichkeiten im Insolvenzplanverfahren erheblich erweitern und für die angestrebte Unternehmensfortführung neue Möglichkeiten der Durchsetzung eröffnen.26 Der Umgang mit dieser Gestaltungsmacht wirkt angesichts der Sog- bzw. Disziplinierungswirkung als zielführender Katalysator für konsensuale Lösungsfindungen, sollte allerdings stets auch mit Blick auf seine Grenzen verwandt werden (s. bereits Rz. 1).

9 Die innovativen Gestaltungsmöglichkeiten vertraglicher Einzelbestimmungen und Bedingun-

gen kompensieren zudem zumindest teilweise die durch den deutschen Gesetzgeber nicht umgesetzte Regelungsoption der Restrukturierungs-RL, eine Vorrangregelung für neue Finanzierungen einzuführen (vgl. Art. 17 Abs. 4 Restrukturierungs-RL).27 Denn insbesondere mit 21 BT-Drucks. 19/24181, S. 109. 22 BT-Drucks. 19/24181, S. 89 f. 23 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 5; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 3–10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022, dort zum „Denken in Rangklassen außerhalb von Insolvenzverfahren“. Zur „Gefahr schablonenhafter Übertragungen“ Skauradszun, KTS 2021, 1, 10. 24 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 26 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 25 BT-Drucks. 19/24181, S. 112 f. 26 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437; ergänzend AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 m. Anm. Thole = ZIP 2021, 806. 27 Hierzu instruktiv etwa Parzinger, ZIP 2019, 1748.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 12 § 2

§ 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG besteht die Möglichkeit, einer neuen Finanzierung aufgrund des damit neueingegangenen materiellen Kreditrisikos eine Vorrangstellung innerhalb einer bestehenden Finanzierungs- und Sicherheitenstruktur zu gewähren (ausführlich Rz. 200 ff.). Auch insoweit kann § 2 Abs. 2 StaRUG eine gewisse Eigenständigkeit zugesprochen werden. Im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen sind zudem Anteils- und Mitgliedschafts- 10 rechte (§ 2 Abs. 3 StaRUG) gestaltbar. Insoweit gibt § 7 Abs. 4 StaRUG vor, dass – mit Zustimmung der betroffenen Gläubiger – Restrukturierungsforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an dem Schuldner umgewandelt werden können. Im Übrigen kann jede Planregelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist. So kann der Plan eine Kapitalherabsetzung oder -erhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende, an dem Schuldner beteiligte Personen vorsehen. Zudem kann der Plan regeln, dass Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte übertragen werden. Mit der Möglichkeit einer zwangsweisen Gestaltung auf die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte geht allerdings die Gefahr einher, dass ein Gesellschafter aufgrund des drohenden (Kontroll-)Verlustes versucht, die Anzeige der Restrukturierungssache zu verzögern oder sogar zu verhindern – ein Hemmschuh für die Praxis, dem das noch im RefE vorgesehene Konzept eines Shift of fiduciary Duties ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit, welches vorsah, dass ab dann nicht mehr Gesellschafter-, sondern Gläubigerinteressen zu wahren sind (vgl. der §§ 2, 3 StaRUG-RefE), entgegengetreten wäre (zur Einflussnahme der Gesellschafter auf die Einleitung einer Restrukturierungssache § 29 Rz. 42 ff.).28 Als neuartiges Gestaltungsmittel sind auch sog. gruppeninterne Drittsicherheiten (§ 2 11 Abs. 4 StaRUG) einer Gestaltung mittels Restrukturierungsplan zugänglich. Damit hält § 2 Abs. 4 StaRUG für die in der Praxis besonders relevanten Konzernfinanzierungen mit Querbesicherungen durch Up-, Cross-, und Downstream-Drittsicherheiten für die Verbindlichkeiten anderer Gruppengesellschaften lang erwartete Instrumente bereit. Verglichen mit den bisherigen Möglichkeiten im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens (vgl. § 254 Abs. 2 InsO a.F.) vermag die Sanierungspraxis im Rahmen des StaRUG – und übrigens in Zukunft auch im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens (vgl. die neueingefügten § 217 Abs. 2, §§ 223a, 238b InsO)29 – nun konzerngerechte Lösungen entwickeln, die bisher infolge einer Einzelbetrachtung jeder konzernangehörigen Gesellschaft nur unter Einbindung der Drittsicherungsgeber und ihrer Gläubiger umsetzbar waren.30 Dem Gedanken der Gläubigergleichbehandlung folgend bietet das StaRUG eine (teil-)kollekti- 12 ve Gestaltungsmöglichkeit von Forderungen, Rechten und Rechtsverhältnissen zu einem bestimmten Stichtag. Diesen terminiert § 2 Abs. 5 StaRUG auf den Zeitpunkt der Unterbreitung des Planangebots (§ 17 StaRUG) und im Fall einer Abstimmung im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren auf die Antragstellung (§ 45 StaRUG). Soweit der Schuldner zuvor eine Stabilisierungsanordnung (§ 49 StaRUG) erwirkt, kommt es auf den Zeitpunkt der Erstanordnung an. Mithin ist der Zeitpunkt maßgeblich, in dem sich der Schuldner „zu dem Zweck, eine Planabstimmung durchzuführen“ entäußert.31 § 2 Abs. 5 StaRUG bestimmt so für die Gestaltungsmacht der vorinsolvenzlichen Restrukturierung einen „Restrukturierungsbeschlag“ – im Ansatz angelehnt an die Wirkungen der Insolvenzverfahrenseröffnung (§§ 27, 35 ff. InsO) – und stellt mit dem terminierten Stichtag eine gleichartige Zäsur für die Begründetheit und 28 Hierzu Korch, ZIP 2020, 446, 448; Rauhut, NZI-Beilage 2021, 52, 53; Wilkens, WM 2021, 573, 584. 29 Zu § 223a InsO n.F. Frind, NZI 2020, 865, 868. 30 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), dort als „Eingangstor zum Konzernrestrukturierungsrecht“; Desch, BB 2020, 2498, 2502; Thole, ZIP 2020, 1985, 1988; Wilkens, WM 2021, 573, 577. Zur Bestätigung dieses Grundsatzes noch im Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 38 mit Verweis auf BGBl. I 2017, S. 866; BT-Drucks. 18/407, S. 16 f. 31 BT-Drucks. 19/24181, S. 114.

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§ 2 Rz. 12 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse damit die Gestaltbarkeit der betreffenden Rechtsverhältnisse, Rechte und Forderungen dar.32 Im Zuge von Abgrenzungsfragen kann im Einzelnen dennoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass das StaRUG im Grundsatz von der Fortführung des Unternehmens ausgeht und daher eine teilweise Neuausrichtung insolvenzrechtlicher Konzepte naheliegt. 13 Da eine Restrukturierung kaum ohne die Gestaltung von Rechtsverhältnissen, Rechten und

Forderungen auskommt – allen voran ohne Forderungskürzungen sowie Fälligkeitsverschiebungen – und diese zudem allein durch den von den Gläubigern mehrheitlich angenommenen und infolge der Bestätigung gegenüber allen verbindlichen Restrukturierungsplan umzusetzen sind, steigt im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gerade § 2 StaRUG zu einer Zentralvorschrift auf. Schon aus diesem Grund prägt § 2 StaRUG die Reichweite des gesamten Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens.33 Dies gilt im Übrigen, weil die dort angelegten Begriffe der Restrukturierungsforderungen, Absonderungsanwartschaften, der vertraglichen Einzelbestimmungen und Bedingungen, Anteils- und Mitgliedschaftsrechte und gruppeninternen Drittsicherheiten weitere zentrale Vorschriften und Regelungen des StaRUG prägen – vorgelagert und ergänzend etwa zu den Anforderungen an den Restrukturierungsplan (§§ 7, 15 StaRUG), der Gruppenbildung (§§ 8, 9 StaRUG), der Stimmrechtsverteilung (§ 24 StaRUG) sowie der Stabilisierungsanordnung (§ 49 StaRUG).34 Ebenso wirkt sich § 2 StaRUG auf die Regelungen zum Safe Harbour (§ 90 StaRUG) aus. Dort hängt der Schutzumfang vom Vorliegen von Planregelungen, also zulässigen, den gestaltungsrechtlichen Anforderungen genügenden Planinhalten, und Planvollzugshandlungen ab. Nur sie können dem dort gewährten ganzheitlichen Anfechtungsschutz unterliegen.35

III. Gestaltungbefugnisse und Grenzen 14 Die in § 2 Abs. 1–4 StaRUG genannten Rechtsverhältnisse, Rechte und Forderungen können

auf Grundlage eines Restrukturierungsplans „gestaltet werden“, d.h. es besteht – wie im Rahmen von § 217 InsO – die Möglichkeit, zwangsweise Regelungen über die Befriedigung der planbetroffenen Gläubiger vorzusehen. Entsprechend sieht § 11 Satz 1 StaRUG vor, dass der Schuldner mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Gläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen aus den in den Plan einbezogenen Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften befreit wird, und auch das Schutzniveau des Schlechterstellungsverbots richtet sich im Wesentlichen an den Befriedigungsaussichten der Planbetroffenen in einschlägigen Alternativszenarien aus. Der Bezug der Gestaltungen zu der Befriedigung der einbezogenen Gläubiger ist grundsätzlich und vor allem auch in Ansehung des § 2 Abs. 2 StaRUG zu berücksichtigen, obgleich die Anpassung von Einzelbestimmungen und Bedingungen nicht unmittelbar Auszahlungen an die Rechte- oder Forderungsinhaber und deren Höhe betrifft,36 sondern vielmehr auf die Aufrechterhaltung von Befriedigungsmöglichkeiten in der Zukunft abzielt.37

15 Auslöser für die mit dem Restrukturierungsplan einhergehenden Zwangswirkungen ist § 67

Abs. 1 StaRUG. Die in dessen gestaltenden Teil vorgesehenen Regelungen treten danach im Anschluss an das Zustandekommen der gem. § 25 StaRUG erforderlichen Mehrheiten in den gebildeten Gruppen (§§ 8, 9 StaRUG), die Planannahme (§§ 17 ff. StaRUG) und die gericht32 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 83. 33 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 6; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 34 Ergänzend Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 1 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 35 Ergänzend Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 9. 36 Vgl. Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 217 InsO Rz. 102. 37 Auf die Notwendigkeit eines weitergehenden Verständnisses der Befriedigung hinweisend Westpfahl/ Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 3, 35.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 17 § 2

liche Bestätigung (§§ 60 ff. StaRUG) auch im Verhältnis zu Planbetroffenen ein, die gegen diesen gestimmt oder die an der Abstimmung nicht teilgenommen haben (§ 67 Abs. 1 StaRUG). Es bedarf also anders als im Zuge einer freien gegebenenfalls durch eine Sanierungsmoderation i.S.v. §§ 94 ff. StaRUG unterstützten Sanierung keines Konsens und damit der Zustimmung aller Restrukturierungsbeteiligten.38 Dissentierende Gläubiger werden über den Minderheitenschutz bzw. das Schlechterstellungsverbot geschützt (vgl. § 6 Abs. 2, § 26 Abs. 1 Nr. 1, § 64 Abs. 1 Satz 1, § 66 StaRUG).39 Darüber hinaus reicht die Möglichkeit einer zwangsweisen Gestaltung im Grundsatz nur soweit, wie die Rechtsverhältnisse, Rechte und Forderungen bereits im maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG begründet waren. Neue Verbindlichkeiten und Vertragsverhältnisse kann der Restrukturierungsplan daher nicht zwangsweise vorsehen bzw. zur Entstehung bringen.40 Dies gilt vor allem für neue Finanzierungen und ihre Besicherung, die mit § 12 Satz 1 und Satz 2 StaRUG auch eine begriffliche Grenzziehung für die Gestaltungspraxis bereithalten (sog. Grenzwirkung des § 12 StaRUG). Als Fresh Money oder eine andere Liquiditätsmaßnahme wird eine Restrukturierung prak- 16 tisch häufig Sanierungsbeiträge erfordern, die als neue Finanzierung und ihre Besicherung in den Restrukturierungsplan gem. § 12 Satz 1, 2 StaRUG „aufgenommen werden“ können. Dabei entzieht das Erfordernis einer „Regelung zur Zusage von Darlehen oder sonstigen Krediten“ die neue Finanzierung insoweit der mehrheitlichen Gestaltungsmacht durch den Plan, als eine Zusage eine freiwillige Beteiligung an der Restrukturierung voraussetzt. Entsprechend stattet § 24 StaRUG diejenigen Gläubiger, die bereit sind, eine neue Finanzierung zu stellen, auch nicht als solche mit einem Stimmrecht aus. Möglich ist stattdessen, dass solche freiwilligen Sanierungsbeiträge durch Verpflichtungserklärungen (§ 15 Abs. 3, § 71 Abs. 2 StaRUG) und/oder mittels Planbedingungen (§ 62 StaRUG) mit dem Restrukturierungsplan verknüpft werden. Die aufgrund des konträren Ansatzes von Planregelung kraft Mehrheit und freiwilliger Zusage einer neuen Finanzierung notwendige Abgrenzung der Gestaltungsbefugnisse i.S.v. § 2 StaRUG zu den neuen Finanzierungen i.S.v. § 12 Satz 1 und 2 StaRUG, lässt Abgrenzungsfälle in der Praxis erwarten, die insbesondere bei der Gestaltung von Restrukturierungsforderungen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) und Einzelbestimmungen von Konsortialkrediten (§ 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) an Bedeutung gewinnen.41 Die neuartigen Gestaltungsmöglichkeiten von Einzelbestimmungen und Bedingungen auf 17 Grundlage von § 2 Abs. 2 StaRUG erfahren – wie gerade gezeigt – schon durch § 12 StaRUG hinsichtlich neuer Finanzierungen systematisch nachvollziehbare Grenzen und weitere Grenzziehungen werden zu diskutieren sein, wenn schon die erste Entscheidung des AG Köln vom 3.3.202142 zum StaRUG fordert, diese Gestaltungsbefugnis auf typische vertragliche Einzelbestimmungen zu beschränken und die Erforderlichkeit ihrer Anpassung als Grenze für Gestaltungen mittels Restrukturierungsplan anzusehen. Sie treten dann neben die ohnehin bestehenden Grenzen der Gestaltungsbefugnis in §§ 3, 4 StaRUG und die speziell für § 2 Abs. 3 StaRUG parallel zu § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO geregelten gesellschaftsrechtlichen Grenzen in § 7 Abs. 4 Satz 1, § 15 Abs. 2 StaRUG. Vor diesem Hintergrund ist die Reichweite der Gestaltung(-smacht) weiter abzustecken. Vergleichbar zu der sensiblen Frage, welche Gläubiger als Planbetroffene sich dem teilkollektiven Verfahren stellen müssen und welche Gläubiger mit ihren Interessen (insbesondere) aufgrund § 2 Abs. 5 StaRUG und § 3 Abs. 2 StaRUG „planim38 BT-Drucks. 19/24181, S. 89; zudem etwa Spahlinger, NZI-Beilage 2021, 32. 39 Für Gestaltungen innerhalb von § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG nur BT-Drucks. 19/24181, S. 112. 40 Hierzu Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 36; für das Insolvenzverfahren Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 217 InsO Rz. 102, 105 f. 41 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 109 („Fälligkeitsverschiebungen“), 111 f. Zum Begriff der neuen Finanzierungen unter der Restrukturierungs-RL als Ausgangspunkt Hoegen/Wolf in Flöther, SanierungsR, 2019, Kap. F Rz. 468; zu § 12 StaRUG außerdem Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 12 StaRUG Rz. 5 ff.; Tasma in Flöther, 2021, § 12 StaRUG Rz. 4 ff. 42 AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 11 ff. m. Anm. Thole = ZIP 2021, 806.

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§ 2 Rz. 17 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse mun“ sind, sollte hier mit Augenmaß agiert werden. So könnte bspw. eine Mehrheitsgestaltung auf Grundlage von § 2 Abs. 2 StaRUG, die die Grundlage der ursprünglichen kreditmateriellen Entscheidung gänzlich verlässt und sich der Qualität einer neuen Finanzierungsentscheidung annähert (§ 12 StaRUG), das vertragliche Äquivalenzverhältnis empfindlich stören und dadurch die Akzeptanz und das Vertrauen in den präventiven Restrukturierungsrahmen nachhaltig schwächen (s. dazu Rz. 214).43 18 Angesichts der schwierigen Grenzziehungen sollte die Praxis berücksichtigen, dass solche Fra-

gen eine bestätigungserhebliche Fragestellung darstellen können und damit einer gerichtlichen Vorprüfung zugänglich sind.44 Im Übrigen weist der bestätigte Restrukturierungsplan dann als (teil-)kollektives Instrument eines gerichtlichen Verfahrens zur nachhaltigen Beseitigung der Krise (vgl. § 29 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) systematisch einen besonderen Charakter auf, dessen Regelungszweck und immanenten Grenzen die Rechtsprechung im Einzelfall nachspüren wird. Er bildet ein geschlossenes Gesamtkonzept, in dessen Regelungsrahmen die ausgewählten, vorbereiteten und schließlich in diesen übersetzten zwangsweisen und freiwilligen Beiträge der Beteiligten zur Umsetzung des Restrukturierungskonzepts aufeinander bezogen sind und miteinander stehen und fallen sollen.45 Infolge der unterschiedlichen zwangsweisen und freiwilligen Sanierungsbeiträge finden sich teils unabhängig voneinander, aber im Regelfall aufeinander bezogene Planregelungen als Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung und -durchsetzung im Rahmen der Restrukturierungsverhandlungen wieder. Die so im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen gegenüber allen Planbetroffenen sollen sodann mit der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans eintreten und im Nachhinein feststellbare Bedenken und Mängel jenen, nun bestätigten und rechtskräftigen Plan und damit gleichbedeutend das angestrebte Restrukturierungskonzept und -ziel nicht mehr in Frage stellen (vgl. § 67 Abs. 1, Abs. 6 StaRUG).46

B. Gestaltbare Rechtsverhältnisse, Rechte und Forderungen I. Restrukturierungsforderungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) 19 Auf der Grundlage eines Restrukturierungsplans können gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG Re-

strukturierungsforderungen gestaltet werden. Dabei sind insbesondere die Vorgaben aus § 7 Abs. 1, 2 StaRUG zu berücksichtigen. Im Restrukturierungsplan ist anzugeben, um welchen Bruchteil diese gekürzt, für welchen Zeitraum sie gestundet, wie sie gesichert und welchen sonstigen Regelungen sie unterworfen werden sollen. Weitere Angaben, die im Restrukturierungsplan notwendig werden, ergeben sich aus der Anlage zu § 5 Satz 2 StaRUG. Danach hat der Restrukturierungsplan weiterhin die (Restrukturierungs-)Gläubiger anzugeben, die nicht in den Restrukturierungsplan einbezogen wurden und zudem eine Erläuterung der Gründe für die unterbliebene Einbeziehung zu enthalten (s. Anlage zu § 5 Satz 2 Nr. 5 StaRUG). Zu den gestaltbaren Restrukturierungsforderungen zählen alle Forderungen, die zum maßgeblichen Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG gegen eine gem. § 30 StaRUG restrukturierungsfähige Person als Schuldner begründet sind. Begrifflich unterscheidet das StaRUG nicht zwischen Forderung und Anspruch (vgl. § 194 Abs. 1 BGB), sondern versteht sie synonym (vgl.

43 Vgl. Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437 f.; außerdem Spahlinger, NZI-Beilage 2021, 69. 44 Vgl. Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 67 StaRUG Rz. 25 f.; ausführlich Wilke in BeckOK/StaRUG, § 46 StaRUG Rz. 14 ff., § 47 StaRUG Rz. 6 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 45 Ausführlich Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 7. 46 In diese Richtung, wenn dort ein umfassender Anfechtungsschutz des Plans erwogen wird Hoegen, NZI-Beilage 2017, 30, 32; Thole, ZIP 2017, 101, 110; vgl. bereits § 67 Abs. 6 StaRUG; ergänzend Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 67 StaRUG Rz. 25 f.

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hierzu § 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG).47 Die Gestaltbarkeit von Restrukturierungsforderungen knüpft abseits der gem. § 4 Satz 1 Nr. 1–3 StaRUG ausgenommenen Rechtsverhältnisse, also der Forderungen von Arbeitnehmern, aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen und Geldsanktionen, nicht an ihre Rechtsgrundlagen an. Für bedingte und noch nicht fällige Restrukturierungsforderungen ergeben sich Besonderheiten aufgrund von § 3 Abs. 1 StaRUG, die aus der Regelungswelt des Insolvenzplans allerdings im Ansatzpunkt bekannt sind (vgl. §§ 41, 42 InsO). Für Forderungen aus gegenseitigen Verträgen bestimmt § 3 Abs. 2 StaRUG, dass sie nur insoweit gestaltbar sind, als die dem anderen Teil obliegende Leistung bereits erbracht ist. Nicht in § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG enthalten sind die Voraussetzungen bzw. Besonderheiten für gestaltbare Restrukturierungsforderungen, wenn der Restrukturierungsschuldner eine natürliche, unternehmerisch tätige Person ist (vgl. § 4 Satz 2 StaRUG) oder die Implikationen des internationalen Rechts in einem Cross-Border-Restrukturierungssachverhalt, die die Planersteller beachten sollten (s. Rz. 268 ff.). Sollen Restrukturierungsforderungen in den Plan einbezogen werden, sind gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 StaRUG für einfache und nachrangige Restrukturierungsgläubiger, also unter Beachtung des vorweggegriffenen Rangs in einem folgenden Insolvenzfahren, eigene Gruppen zu bilden. Die Legaldefinition der Restrukturierungsforderung weist gewisse Parallelen zu § 38 InsO 20 auf, der persönliche Gläubiger, „die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben“ als Insolvenzgläubiger legal definiert. Entsprechend soll der Tatbestand der Begründetheit von Restrukturierungsforderungen laut Gesetzesbegründung nach insolvenzrechtlichem Vorbild auszufüllen sein.48 Sie gibt darüber hinaus vor, dass als Restrukturierungsforderungen nur persönliche Ansprüche gegen den Schuldner und Vermögensansprüche gelten (s. aber Rz. 23, 28). Vereinfacht zählen zu den Restrukturierungsforderungen daher alle Forderungen, die in einer „hypothetische[n] Vergleichsbetrachtung“49 in einem Insolvenzverfahren Insolvenzforderungen wären. Systematisierend hilft hier der bewusste Vergleich der Regelungen aus § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 und § 3 Abs. 2 StaRUG zur Abgrenzung von Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit, denn soweit Forderungen im Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG noch nicht begründet sind oder – resultieren Forderungen aus gegenseitigen Verträgen – in diesem Zeitpunkt der andere Teil seine Leistung noch nicht erbracht hat (vgl. § 3 Abs. 2 StaRUG), entziehen sie sich der Gestaltbarkeit. Solche zukünftigen Forderungen sind „planimmun“ und ungeachtet des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gegen den Schuldner in Übereinstimmung mit den allgemeinen, aber insbesondere vertraglichen Regelungen durchsetzbar. 1. Voraussetzungen a) Restrukturierungsfähige Person (Schuldner) Forderungen sind als Restrukturierungsforderungen einer Plangestaltung zugänglich, sofern 21 sie sich gegen eine restrukturierungsfähige Person richten. In § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG wird damit eine Legaldefinition des Schuldners im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen bereitgehalten. Durch den Verweis auf die Restrukturierungsfähigkeit i.S.v. § 30 StaRUG in § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG sowie durch Verweis auf die Legaldefinition des Schuldners in § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG sowie Abs. 2–4 wird Art. 1 Abs. 2 Restrukturierungs-RL umgesetzt, der vorgibt, für wen der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht zur Verfügung stehen soll.50

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Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 10. BT-Drucks. 19/24181, S. 111. Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 2 StaRUG Rz. 7. Vgl. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 2 Rz. 22 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse 22 Dem mit „Restrukturierungsfähigkeit“ überschriebenen § 30 Abs. 1 StaRUG ist zu entneh-

men, dass die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens insolvenzfähige Schuldner und unternehmerisch tätige, natürliche Personen nutzen können (ausführlich § 30 Rz. 4 ff.). Insolvenzfähig sind gem. § 11 InsO insbesondere alle juristischen Personen und damit vor allem GmbH und Aktiengesellschaft sowie die teilrechtsfähigen Gesellschaften, also bspw. Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften.51 Abweichend von § 11 Abs. 1 InsO, der natürliche Personen unabhängig von ihrer unternehmerischen Tätigkeit für insolvenzfähig erklärt, sind sie in Umsetzung des Art. 1 Abs. 2 Buchst. h Restrukturierungs-RL nur restrukturierungsfähig, soweit und solange sie eine gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeitausüben. Die Gestaltungsbefugnis erstreckt sich aber nicht auf alle Forderungen und Absonderungsanwartschaften gegenüber der natürlichen Person. Vielmehr können sie einer Gestaltung gem. § 4 Satz 2 StaRUG entzogen sein, wenn sie mit der unternehmerischen Tätigkeit in keinem Zusammenhang stehen. Zu § 30 Abs. 1 StaRUG bildet Abs. 2 eine Ausnahme für Unternehmen der Finanzbranche i.S.v. § 1 Abs. 19 KWG. b) Vermögensanspruch und Umrechnungsmöglichkeit

23 Zur Ausfüllung der Definition der Restrukturierungsforderungen nimmt die Gesetzesbegrün-

dung auf den Inhalt und die Wertungen des § 38 InsO Bezug.52 Diesem zufolge knüpft der Begriff der Insolvenzforderungen an das Vorliegen eines begründeten Vermögensanspruchs an, weil das Insolvenzverfahren ausschließlich der Realisierung geldwerter, aus dem Vermögen des Schuldners betreibbarer Leistungen dient.53 Auch für das Verständnis einer durch einen Restrukturierungsplan zu gestaltenden Restrukturierungsforderung scheint diese Anknüpfung zunächst hilfreich, da durch den Restrukturierungsplan eine teil-kollektive passivseitige bzw. finanzielle Restrukturierung ermöglicht werden soll. Allerdings sind auch weitere, nicht auf Geldzahlung gerichtete Ansprüche aus laufenden Geschäftsbeziehungen in die Überlegungen einzubeziehen, da hier die Fortführung des Unternehmens im Fokus steht.54 Insoweit ist im Rahmen des StaRUG noch offen, ob ihre Gestaltung gestattet ist.55

24 Im insolvenzrechtlichen Kontext werden als Vermögensansprüche auch solche Forderungen

erfasst, die zwar nicht unmittelbar auf Geld gerichtet sind, aber gem. § 45 Satz 1 Alt. 1 InsO, § 46 InsO in einen Geldanspruch umgewandelt werden können.56 So zählen zu den nicht auf Geld gerichteten Forderungen, welche im Insolvenzverfahren einer Umrechnung bedürfen, alle Ansprüche, deren Gegenstand in einer Leistung, Handlung, Verschaffung (Übereignung) von beweglichen oder unbeweglichen Gegenständen oder der Bestellung von Rechten daran liegt.57 Dieser „Automatismus“ lässt sich auf eine Restrukturierung innerhalb des Stabilsierungs- und Restrukturierungsrahmens allerdings kaum übertragen.58 Die im insolvenzrecht-

51 52 53 54 55 56 57 58

Zu § 11 InsO ausführlich Vuia in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 11 InsO Rz. 9 ff. BT-Drucks. 19/24181, S. 111. Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 10. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 10; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 8; Thole, ZIP 2020, 1985, 1988. Für eine Gestaltbarkeit auf Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG Marotzke, ZInsO 2021, 643; ebenfalls Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 1; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 28 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 8. Vgl. Ehricke/Behme in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 18. Vgl. die Bsp. bei Bitter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 45 InsO Rz. 6. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 1, der im Ergebnis aber eine Gestaltbarkeit auch von nicht auf Geld gerichteten Forderungen begründet; für die Umrechnungsmöglichkeit Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 10. Offen bleibt die Frage der Umrechnungsmöglichkeit bei Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 28 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 26 § 2

lichen Kontext vorgehaltenen Regelungen zur Umrechnung aus § 45 Satz 1 Alt. 1, § 46 InsO dienen dazu, eine Vergleichbarkeit ausstehender Forderungen zur Ermöglichung einer gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger im Zuge der Verteilung der Insolvenzmasse herzustellen (vgl. § 1 Satz 1 InsO).59 Demgegenüber zielt der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen in seiner Konzeption auf die nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 Abs. 2 Satz 1 InsO und in der Folge die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens mit grundsätzlich unverändert fortlaufenden Verträgen ab (vgl. § 29, § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG).60 Wird dieser Automatismus also gegebenenfalls nicht angespannt, etwa weil die Gesetzes- 25 begründung § 38 InsO allein hinsichtlich der Begründetheit von Restrukturierungsforderungen i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG anspricht,61 fragt sich in einem zweiten Schritt aber, inwieweit die nicht auf Geld gerichteten Forderungen selbst (ohne dass eine Umrechnung in Geldforderungen stattfindet) am Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen teilnehmen können.62 Zweifelsfragen betreffen insoweit sowohl die möglichen Gestaltungen63 als auch die Einbeziehung der nicht auf Geld gerichteten Forderungen in die Abstimmung über den Restrukturierungsplan und speziell in die Regelungen zur Stimmrechtsverteilung. Eine Gestaltung eines Liefer- oder Überlassungsanspruchs in Bezug auf Leistungen oder eine Mietsache könnte zu einer Einbeziehung operativer Gläubiger führen. Allerdings bleiben Unsicherheiten, denn hätte der Gesetzgeber die nicht auf Geld gerichteten Forderungen selbst für gestaltbar erachtet, wären doch Regelungen zur Stimmrechtsverteilung als Zentralbaustein einer mehrheitlich getragenen Restrukturierungslösung vorzusehen gewesen. Innerhalb des § 24 Abs. 2 StaRUG zeigt sich dann, dass zwar die §§ 45, 46 InsO als maßgeblich erkannt werden, sodann aber die Regelungen zur Umrechnung nicht auf Geld gerichteter Forderungen (insbesondere § 45 Satz 1 Alt. 1 InsO) unberücksichtigt blieben und auch keine Alternativregelung für solche Forderungen vorgesehen wurde. Das mag schließlich angeführt werden, um zu zeigen, dass die Teilnahme solcher Forderungen an der Abstimmung über den Restrukturierungsplan und am Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen insgesamt grundsätzlich nicht vorgesehen war. Angesichts der angeführten Argument für und gegen eine Gestaltung nicht auf Geld gerich- 26 terten Forderungen ist am Ende die weitere Entwicklung abzuwarten, ob und inwieweit eine solche Gestaltung selbst im Einzelfall nicht doch zulässig ist. Dabei bleibt allerdings zu beachten, dass dieser Frage in der Praxis in der Regel ohnehin nur eine äußerst geringe Bedeutung zukommen wird. Denn aufgrund des § 3 Abs. 2 StaRUG, der ausgibt, dass Forderugen aus gegenseitigen Verträgen nur insoweit gestaltbar sind, als die dem anderen Teil obliegende Leistung bereits erbracht ist, werden nicht auf Geld gerichtete Forderungen aufgrund der regelmäßig fehlenden (Vor-)Leistung des Restrukturierungsschuldners meist nicht in die Restrukturierung einbezogen – sie stehen insoweit nicht im Risiko. 59 Bitter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 45 InsO Rz. 1. 60 Zum Abgleich der Ziele des Insolvenzverfahrens und Restrukturierungsrahmens nach der Restrukturierungs-RL Skauradszun, KTS 2021, 1, 3 ff. Stellten damit im Übrgen schon die nicht auf Geld gerichteten Forderungen keine Restrukturierungsforderungen dar, wäre übrigens auch ausgeschlossen, im Restrukturierungsplan die Regelungen der § 45 Satz 1 Alt. 1 InsO, § 46 InsO abzubilden, da diese dann nicht wie von § 7 Abs. 1, 2 StaRUG vorgegeben Restrukturierungsforderungen beträfen (anders Marotzke, ZInsO 2021, 643, 645). 61 BT-Drucks. 19/24181, S. 111 („Für die Frage der Begründung der Forderung ist auf die Grundsätze zurückzugreifen, nach denen sich die Begründetheit i.S.d. § 38 InsO richtet.“). 62 Siehe etwa Marotzke, ZInsO 2021, 643, 645. 63 Offen ist bspw., welchen Regelungen z.B. Ansprüche auf Übergabe und Übereignung nach vollständiger Kaufpreiszahlung, auf Nachbesserung gem. §§ 433, 437 Nr. 1, § 439 BGB oder auf „Entwicklung, Herstellung und Lieferung“ von Impfstoffen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie durch einen Restrukturierungsplan unterworfen werden können (vgl. Marotzke, ZInsO 2021, 643, 645).

Herding/Krafczyk | 59

§ 2 Rz. 27 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse 27 Jedenfalls mit Blick auf die insolvenzrechtlichen Grundsätze hinsichtlich Forderungen, deren

Geldbetrag unbestimmt ist (§ 45 Satz 1 Alt. 2 InsO, vgl. bereits § 24 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG), Forderungen, die in ausländischer Währung oder in einer Rechnungseinheit ausgedrückt sind (§ 45 Satz 2 InsO, vgl. bereits § 24 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG), und Forderungen auf wiederkehrende Leistungen (§ 46 InsO, vgl. bereits § 24 Abs. 2 Nr. 4 StaRUG) bestehen im Übrigen keine Zweifel. Sie gelten unbeschadet im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen fort.64 Denkbar ist damit, dass bspw. die Höhe von Schadensersatzansprüchen (zur Gestaltbarkeit von Schadensersatzansprüchen s. Rz. 43 f.) im Rahmen der Planerstellung und -abstimmung noch nicht absehbar ist. Dennoch können sie abseits des § 4 Satz 1 Nr. 2, 3 StaRUG und unter Rückgriff auf § 45 Satz 1 Alt. 2 InsO in die Plangestaltung einbezogen werden.65 c) Persönlicher Anspruch

28 Im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen sind als Restrukturierungsforderungen

i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG nur persönliche Ansprüche erfasst, nimmt die Gesetzesbegründung zur Ausfüllung der Definition der Restrukturierungsforderungen doch auf den Inhalt und die Wertungen des § 38 InsO Bezug.66 Persönliche Gläubiger sind danach nur diejenigen, für deren Verbindlichkeiten der Schuldner mit seinem gesamten Vermögen einzustehen hat und nicht nur, wie es bei „dinglichen“ Gläubigern der Fall ist, mit bestimmten Gegenständen. Letzteres trifft im insolvenzrechtlichen Kontext bspw. auf Fälle der Aussonderung (§ 47 InsO) und Absonderung (§§ 49 ff. InsO) zu, findet allerdings dort Ausnahmen, wo die Absonderungsberechtigten auf eine abgesonderte Befriedigung verzichten oder bei ihr ausgefallen sind. Besteht z.B. zur Absicherung einer Kreditforderung eine Grundschuld, liegt nur insoweit ein persönlicher Anspruch und damit eine Insolvenzforderung vor, als die Inhaber des Absonderungsrechts auf eine abgesonderte Befriedigung verzichten oder bei ihr ausgefallen sind (§ 52 Satz 2 InsO). Im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen werden die Absonderungsanwartschaftsberechtigten innerhalb der Auswahl der Planbetroffenen (§ 8 StaRUG) und Gruppenbildung (§ 9 StaRUG) sowohl mit ihrem bestehenden Sicherungsrecht – in der Gruppe der Absonderungsanwartschaftsberechtigten (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) – als auch mit ihrer gesicherten Forderung – in der Gruppe der einfachen Restrukturierungsgläubiger (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) – berücksichtigt. Diese vermeintlich doppelte Berücksichtigung wird bei der Stimmrechtsverteilung aufgelöst, wenn gem. § 24 Abs. 3 Satz 1, 2 StaRUG – in Nachbildung des § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO – die durch Absonderungsanwartschaften (oder gruppeninterne Drittsicherheiten, hierzu s. Rz. 237 ff.) gesicherten Forderungen in einer Gruppe von Restrukturierungsgläubigern doch nur insoweit ein Stimmrecht vermitteln, wie der Schuldner für die gesicherten Forderungen auch persönlich haftet und der Inhaber der Absonderungsanwartschaft auf diese verzichtet oder mit einer abgesonderten Befriedigung ausfallen würde. d) Begründetheit der Forderungen

29 Restrukturierungsforderungen können nur im maßgeblichen Zeitpunkt nach § 2 Abs. 5 Sta-

RUG begründete Forderungen sein. Nach den laut Gesetzesbegründung heranzuziehenden Wertungen des § 38 InsO und dessen Inhalt kommt es für die Begründetheit entsprechend darauf an, dass „die schuldrechtliche Grundlage des [jeweiligen] Anspruchs“67 bereits vor

64 Vgl. Westpfahl/Knapp in Flöther, 2021, § 24 StaRUG Rz. 13 ff., 17; Tresselt in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 9 ff. 65 Vgl. Ehricke/Behme in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 33, 34. 66 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 111. Zur Einbeziehung nur der persönlichen Gläubiger Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 9; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 7. Zur Begriffsbestimmung Ehricke/Behme in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 13. 67 Statt vieler BGH v. 22.9.2011 – IX ZB 121/11, NZI 2011, 953 Rz. 3.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 31 § 2

dem Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG entstanden ist (zum Zeitpunkt Rz. 263).68 Dass die Forderung zuvor fällig ist, wird dabei nicht vorausgesetzt (vgl. hierzu § 41 InsO).69 Das gilt auch in § 2 Abs. 1 StaRUG. Der Regelung der Gestaltbarkeit nicht fälliger Forderungen in § 3 Abs. 1 Alt. 2 StaRUG kommt insoweit nur eine deklaratorische Bedeutung zu.70 Auch eine von einer auflösenden oder aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1, 2 BGB, vgl. § 3 Abs. 1 StaRUG) abhängige Forderung, wie bspw. die in der Praxis wichtige Fallgruppe der Eventualverbindlichkeiten (Garantie, Bürgschaft, Mithafttatbestand aus Gesamtschuld etc.), stellt bereits vor Eintritt der Bedingung oder auch des Sicherungs- oder Haftungsfalls eine Restrukturierungsforderung dar. Gleiches gilt für befristete Ansprüche (§ 163 BGB, vgl. § 3 Abs. 1 StaRUG).71 Nur zukünftige Forderungen, deren schuldrechtliche Grundlage erst im Anschluss an den maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG durch ein (ggf. auch nur bedingt oder befristetes) forderungs- oder haftungsbegründendes Rechtsgeschäft gelegt wird, sind von einer Plangestaltung ausgeschlossen und allenfalls mit Zustimmung der betreffenden Gläubiger gestaltbar.72 e) Einzelfälle In der Restrukturierungspraxis kommen unterschiedlichste Forderungen in Betracht, die als 30 Restrukturierungsforderungen i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG in einen Restrukturierungsplan einbezogen werden können. In Abhängigkeit davon, welche Arten von Forderungen später in das Blickfeld der Planersteller rücken, können sich – insbesondere im Abgleich zu den noralgischen Fragestellungen innerhalb der Insolvenzordnung – einige zu berücksichtigende Besonderheiten ergeben. aa) Forderungen aus Krediten Klassische durch den Restrukturierungsplan betroffene Gläubiger sind die Finanzgläubiger 31 des Restrukturierungsschuldners, die mit unterschiedlichen Finanzierungen im Risiko stehen können. Die Bandbreite möglicher Finanzierungen erstreckt sich auf bilaterale Kredite und Konsortialkreditverträge deutscher oder internationaler Prägung (LMA), erfasst aber ebenso Finanzierungen, die wie z.B. Schuldverschreibungen am Kapitalmarkt aufgenommen werden, oder die kapitalmarktnahen Schuldscheindarlehen. Als begründete Restrukturierungsforderungen zählen danach alle Forderungen aus ausgereichten Darlehen oder gezogenen Kontokorrentlinien (dazu sogleich), ob als revolvierender syndizierter Kredit (Revolving Credit Facility) oder als Abzweiglinie (Ancillary Facility) bilateral dokumentiert, ebenso wie Forderungen aus konzerninternen Darlehen oder Kreditlinien (Intercompany-Loans). Da bei Avalkrediten und (z.B. Dokumenten-) Akkreditiven zum Leitbild des § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB vergleichbare Rückzahlungsansprüche nicht bestehen, sondern infolge der Herauslegung von Avalen oder der Inanspruchnahme der Akkreditivbank durch den Aval- bzw. Akkreditivberechtigten 68 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 111; Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 11; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 38 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 11; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 9; außerdem Thole, ZIP 2020, 1985, 1988; weiterführend Ehricke/Behme in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 21; Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 26. 69 BGH v. 22.9.2011 – IX ZB 121/11, NZI 2011, 953 Rz. 3. 70 BT-Drucks. 19/24181, S. 114; ergänzend Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 3 StaRUG Rz. 1. 71 Vgl. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 11; vgl. für das Insolvenzverfahren Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 33. 72 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 6, 9; Wilkens, WM 2021, 573, 577; vgl. für das Insolvenzverfahren BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 80/10, NZI 2012, 24 Rz. 7 = MDR 2011, 1445 sowie BGH v. 22.9.2011 – IX ZB 121/11, NZI 2011, 953 Rz. 3; hierzu Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 33.

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§ 2 Rz. 31 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse gesetzliche oder vertraglich festgehaltene Regressansprüche entstehen, ergeben sich dort Abweichungen (s. Rz. 38 ff.).73 32 Zu den Forderungen aus solchen Krediten zählen Tilgungsansprüche nach der Valutierung

eines Darlehens. Dies gilt auch, wenn sie im Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG noch nicht fällig oder bedingt sind (s. § 3 Rz. 8, 11) und unabhängig davon, ob eine Endfälligkeit (Bullet Repayment) oder ein Regeltilgungsplan vorgesehen ist. Außerdem sind die auf die valutierten Darlehensforderungen angefallenen und anfallenden Zinszahlungsansprüche als Restrukturierungsforderungen mittels eines Restrukturierungsplans gestaltbar.74 Dass auch die laufenden Zinsen erfasst sind, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG, der die auf Restrukturierungsforderungen „entfallenden Zinsen und Säumniszuschläge“ explizit nennt. Für die Verankerung eines dem § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO entsprechenden Nachrangs besteht im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen kein Anlass. Auch die künftigen Zinsansprüche sind im Rahmen des § 3 Abs. 2 StaRUG gestaltbar, und es besteht kein Grund, die Zinsansprüche insoweit anders zu behandeln als die Hauptforderung.75 Wie die Zinsansprüche sind auch Bereitstellungsgebühren, die für die Zeit der Zusage einer Kreditlinie oder eines Darlehens zinsähnlich berechnet werden, gestaltbare Restrukturierungsforderungen i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG.

33 Besonderheiten ergeben sich für nicht oder nur teilweise valutierte Darlehen. Insoweit mö-

gen begründete Restrukturierungsforderungen zwar auch mit Blick auf die (nicht fälligen) Rückzahlungsansprüche hinsichtlich des noch nicht bereitgestellten Anteils eines im Übrigen aber zugesagten, gegebenenfalls teils gezogenen Darlehens vorliegen, deren Gestaltbarkeit wird aber spätestens durch § 3 Abs. 2 StaRUG beschränkt.76 Danach können Forderungen aus gegenseitigen Vertragsverhältnissen, wie z.B. einem entgeltlichen Darlehen, nicht gestaltet werden, soweit die dem anderen Teil obliegende Gegenleistung, d.h. die Bereitstellung des entgeltlichen Darlehens,noch nicht erbracht wurde. Allerdings eröffnet § 2 Abs. 2 StaRUG für die dort genannten multilateralen Finanzierungsarrangements durchaus die Möglichkeit, die Einzelbestimmungen und Bedingungen für die Zukunft abzuändern (s. Rz. 151 ff.). bb) Garantie- und Bürgschaftsforderungen

34 Garantie- und Bürgschaftsforderungen, die gegen den Schuldner als Sicherungsgeber (Garant

oder Bürge) gerichtet sind, müssen von Regressforderungen unterschieden werden. Letztere mögen entstehen, wenn ein Dritter zugunsten des Schuldners als Sicherungsgeber auftritt. Sie werden im Folgenden gesondert behandelt. Etwaige gegenüber dem Schuldner bestehende Garantie- oder Bürgschaftsforderungen (§ 765 Abs. 1 BGB) unterfallen als begründete Restruk-

73 Grundlegend zu Avalen Bauer in Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, 6. Aufl. 2022, Rz. 7.22 ff. sowie zu Akkreditiven Seeger in Kümpel/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2022, Rz. 7.151 ff. 74 Insgesamt Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 3 StaRUG Rz. 40 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Marotzke, ZInsO 2021, 1099, 1104. 75 BT-Drucks. 19/24181, S. 119; ergänzend Marotzke, ZInsO 2021, 1099, 1104. Offen ist, inwieweit Zinsansprüche im Rahmen der Abstimmung über den Restrukturierungsplan Stimmrechte vermitteln. Es wird angeführt, dass nur der Rückzahlungsanspruch sowie die aufgelaufenen Zinsansprüche Stimmrechte gewähren, aber nicht die nach dem Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG auflaufenden Zinsen, vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1989. Das allerdings mag gerade vor dem Hintergrund bezweifelt werden, dass umfassende Zinsanpassungen das mit der Finanzierung einhergehende Risiko nicht unbeachtlich ändern. Praktikabilitätserwägungen ließen sich sodann mit ihrer Einordnung als wiederkehrende Leistung i.S.v. § 46 InsO und der dort vorgehaltenen Gesamtverzinsung adressieren (vgl. Knof in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 46 InsO Rz. 2). 76 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 3 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Marotzke, ZInsO 2021, 1099, 1102 f.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 36 § 2

turierungsforderungen der Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG. Gleiches gilt für Forderungen aus anderen Kreditsicherheiten, wie z.B. einem Schuldbeitritt und durch den Schuldner abgegebene harte Patronatserklärungen. Denn als Personalsicherheiten begründen sie innerhalb eines Insolvenzverfahrens keine Absonderungsrechte (§§ 49–51 InsO) und sind daher nicht als Absonderungsanwartschaften i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG einer Gestaltung mittels Restrukturierungsplan zugänglich. Ihre Gestaltbarkeit als Restrukturierungsforderung besteht vielmehr im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG und das unabhängig vom Eintritt des Sicherungsfalls bereits ab Stellung der Sicherheit (vgl. § 3 Abs. 1 StaRUG).77 In der Praxis der Konzernfinanzierung ist die Haftungsübernahme durch die wesentlichen 35 Gruppengesellschaften (Material Companies) für die Finanzverbindlichkeiten der Holdingund sonstigen Gruppengesellschaften (sog. Upstream- oder Crossstream-Guarantee) häufig eine unabdingbare Voraussetzung (Guarantor Coverage). Ebenso denkbar sind allerdings Sachverhalte, in denen zur Finanzierung von operativ tätigen Tochtergesellschaften die Muttergesellschaft zur Absicherung eines Vertragspartners der Tochtergesellschaft eine Bürgschaft oder Garantie übernommen hat. Eine solche Parent Guarantee kann auch innerhalb von Konsortialkreditverträgen vorgesehen werden, wenn bspw. eine Abzweiglinie zugunsten einer Tochtergesellschaft eingerichtet und durch die Garantie der Muttergesellschaft das Risiko in die Konsortialfinanzierung integriert werden soll. Während eine (drohende) Haftung aus der Parent Guarantee innerhalb einer durch die Muttergesellschaft angezeigten Restrukturierungssache als Restrukturierungsforderung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gestaltbar ist, kann eine Gestaltung der Kreditforderung gegenüber der Tochtergesellschaft als Hauptschuldnerin nicht stattfinden. Da es sich insoweit nicht um die Gestaltung einer gruppeninternen Drittsicherheit handelt (vgl. § 2 Abs. 4 StaRUG), wäre ein paralleler Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für die Gestaltung der Kreditforderung der Tochtergesellschaft erforderlich (zur Gestaltung gruppeninterner Drittsicherheiten s. Rz. 237 ff., umgekehrt wäre in einem durch die Tochtergesellschaft als Kreditnehmerin eingeleiteten Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen eine Gestaltung der Garantie der Muttergesellschaft möglich). Soll die gegen die Muttergesellschaft als Restrukturierungsschuldnerin gerichtete Forderung aus der Personalsicherheit gestaltet werden, erfolgt die Ermittlung des Stimmrechts der Inhaber der Garantie- oder Bürgschaftsforderungen gem. § 24 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG (ergänzend § 3 Rz. 9) und sie werden in der Gruppe gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG als einfache Restrukturierungsgläubiger berücksichtigt. Zwar weicht ihre Risikostruktur von derjenigen der anderen einfachen Restrukturierungsgläubiger ab, weil ihnen die Tochtergesellschaft vorrangig haftet, wodurch jedenfalls theoretisch Anreize zur Unterstützung besonders risikoträchtiger Restrukturierungsszenarien bestehen können, diesen und einer dadurch erforderlich werdenden gruppenmäßigen Trennung von den übrigen Restrukturierungsgläubigern tritt aber die Einschränkung des Stimmrechts entgegen. cc) Parallelverpflichtungen (Parallel Debt) In aller Regel werden die Sicherheiten für multilaterale Finanzierungen von Unterneh- 36 mensgruppen, also insbesondere für syndizierte Kreditverträge, von einem sog. Security Agent gehalten, der diese Funktion regelmäßig im Zusammenhang mit einer wesentlichen Kreditbeteiligung oder der Rolle als Arrangeur übernimmt. Der Sicherheitentreuhänder verwaltet und hält die (akzessorischen) Sicherheiten und eine sog. Parallel Debt treuhänderisch für das Bankenkonsortium. Bei der Parallel Debt handelt es sich um ein abstraktes Schuldversprechen gem. §§ 780, 781 BGB gegenüber dem Security Agent (deshalb auch Security Agent’s Claim), das die Verbindlichkeiten des jeweiligen Kreditnehmers oder Garanten gegenüber den

77 Hinsichtlich der genannten Garantieforderungen Wilkens, WM 2021, 573, 576; für das Insolvenzverfahren Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 30.

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§ 2 Rz. 36 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse Finanzierungsparteien aus den Finanzierungsdokumenten spiegelt, oder es wird eine (atypische) Gesamtgläubigerschaft vereinbart, so dass eine (akzessorisch) zu sichernde Forderung auch gegenüber dem Treuhänder besteht. Möglich ist, dass allein die Parallel Debt besichert wird, aber auch, dass gleichzeitig die Kreditforderungen mitbesichert werden. Die Parallel Debt vereinfacht die Sicherheitenstruktur durch die zentrale Stellung des Sicherheitentreuhänders und vermeidet etwaige aus den Sicherheiten resultierende Unsicherheiten im Zusammenhang mit komplexen Rangverhältnissen oder Übertragungen von Kreditbeteiligungen. Eine Verdopplung der Kreditforderungen der jeweiligen Konsorten wird in der Praxis durch entsprechende vertragliche Gestaltungen des abstrakten Schuldversprechens vermieden.78 37 Findet eine Gestaltung der Kreditforderungen als Restrukturierungsforderungen i.S.v. § 2

Abs. 1 Nr. 1 StaRUG statt, sollte – entsprechend der vertraglichen Ausgestaltung des jeweiligen Schuldversprechens als Abbild der Kreditforderungen – ebenso eine Geltendmachung der Verbindlichkeiten aus der Parallel Debt entsprechend gesperrt sein. Zulässig wäre es auch, mittels Restrukturierungsplan gleichzeitig die Parallel Debt als Restrukturierungsforderung zu gestalten. Je nachdem, um welche Art von Sicherheit es sich handelt, und in Abhängigkeit davon, ob diese allein zugunsten der Parallel Debt oder gleichzeitig auch den Kreditforderungen bestellt wurden, sind zusätzliche Gestaltungen der Sicherheiten auf Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG zu bedenken, wobei es hinsichtlich gruppeninterner Drittsicherheiten die Implikationen des § 2 Abs. 4 StaRUG zu beachten gilt. Gerade in den Fällen, in denen akzessorische (Eigen-)Sicherheiten zugunsten der Parallel Debt bestellt wurden, kann mit der Gestaltung der Parallel Debt de facto eine Sicherheitenfreigabe bewirkt werden. Aus der Verdoppelung der Kreditforderungen ergeben sich weitere Fragestellungen und Implikationen vor allem mit Blick auf die zu vergebenen Stimmrechte (s. dazu auch Rz. 96).79 dd) Rückgriffsansprüche (einschließlich solcher aus Avalgeschäften)

38 Hat eine Bank bspw. im Rahmen eines Avalkredits oder einer Letter of Credit Facility als Bürge

oder Garant gegenüber Dritten die Haftung für Verbindlichkeiten des Restrukturierungsschuldners übernommen, bestehen ab dem Zeitpunkt der Begründung von Bürgschafts- oder Garantieforderungen gegenüber diesen Dritten, also bspw. durch die Herauslegung von Avalen, Regressansprüche. Sie ergeben sich entweder aus §§ 675, 670, § 774 Abs. 1 BGB oder konkret aus dem geschlossenen Kreditvertrag zwischen der Bank und dem Restrukturierungsschuldner. Ebenso wie die gegen den Schuldner gerichteten und durch die Herauslegung von Avalen gesicherten Forderungen, z.B. in Form von Kaufpreiszahlungsansprüchen aus einem Lieferverhältnis, sind solche Regressansprüche einer Plangestaltung zugänglich und das unabhängig davon, ob der Sicherungsfall bereits eingetreten und infolgedessen eine Inanspruchnahme erfolgt ist oder nicht. Rückgriffsansprüche sind dann gegebenenfalls als aufschiebend bedingte Forderungen gem. § 3 Abs. 1 StaRUG in den Restrukturierungsplan und das Abstimmungsverfahren einzubeziehen (vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG).80 Mit dem AG Hamburg gilt es dabei allerdings § 44 InsO zu berücksichtigen, wodurch ihre Einbeziehung nur möglich ist, wenn und soweit die entsprechende Hauptverbindlichkeit des Gläubigers nicht planbetroffen ist.81

78 Ausführlich Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 42 Rz. 2 ff.; ergänzend Josenhans/Danzmann, WM 2017, 1588, 1592; Schnauder, NJOZ 2010, 1663, 1668. 79 Hierzu Kowalewski/Praß in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 25 StaRUG Rz. 51. 80 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 11; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 8; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 439. Ergänzend für das Insolvenzverfahren Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 39; Knof in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 44 InsO Rz. 2; Thonfeld in K. Schmidt, 16. Aufl. 2016, § 44 InsO Rz. 1. 81 AG Hamburg v. 17.1.2021 – 63c RES 1/21, ZInsO 2022, 670, 671.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 41 § 2

Die alleinige Einbeziehung der Regressforderung mag sich trotz des § 67 Abs. 3 StaRUG an- 39 bieten. Er sieht vor, dass die Forderungen von Restrukturierungsgläubigern gegen Mitschuldner und Bürgen des Restrukturierungsschuldners, also auch gegenüber einer zu dessen Gunsten Avale herauslegenden Bank, vom Plan unberührt bleiben, da sich dessen Wirkungen allein auf die Rechte, Rechtsverhältnisse und Forderungen gegenüber dem Restrukturierungsschuldner erstrecken sollen.82 Weiterhin wird in § 67 Satz 2 StaRUG (im Einklang mit § 254 Abs. 2 InsO) vorgegeben, dass der Restrukturierungsschuldner durch den Plan gegenüber den Drittsicherungsgebern und infolge z.B. der Herauslegung von Avalen (aufschiebend bedingten) Rückgriffsberechtigten wie gegenüber dem Gläubiger befreit wird, für dessen Forderung etwa Kürzungen vorgesehen sind.83 Vorbehaltlich einer Gestaltung von gruppeninternen Drittsicherheiten (vgl. § 2 Abs. 4 StaRUG) steht es Restrukturierungsgläubigern schließlich frei, die Sicherheit gegenüber dem Drittsicherungsgeber und so etwa der herauslegenden Bank durchzusetzen.84 Soweit bestehende oder absehbare Regressansprüche in einem Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen, können diese gekürzt, gestundet oder sonstigen Regelungen unterworfen werden (vgl. § 7 Abs. 2 StaRUG), insbesondere wenn die entsprechenden primären Gläubiger – also z.B. wichtige Lieferanten in Ansehung der zukünftigen Vertrags- und Lieferbeziehung oder aufgrund der bereits erfolgten Zahlung unter den Drittsicherheiten – nicht in den Plan einbezogen werden.85 Ebenfalls als begründet gelten infolge der Beendigung des Avalgeschäfts entstandene Ansprü- 40 che auf Barunterlegung (Cash Cover) in Höhe des Nominalbetrags herausgelegter Avale und ein etwaiger Avalprovisionsanspruch.86 Ausgeschlossen ist demgegenüber eine Gestaltung des herausgelegten Avals und damit der Bürgschafts- oder Garantieforderungen im Verhältnis zwischen der Bank und dem Dritten. Hierbei handelt es sich weder um eine gegen den Schuldner gerichtete Forderung und damit eine Restrukturierungsforderung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG noch um eine Drittsicherheit zur Besicherung einer Restrukturierungsforderung, die unter Rückgriff auf § 2 Abs. 4 StaRUG gestaltet werden können.87 ee) Dauerschuldverhältnisse Forderungen aus Dauerschuldverhältnissen sind nur unter engen Voraussetzungen gem. § 2 41 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gestaltbar. Zunächst legt die Parallelbetrachtung zu den insolvenzrecht82 Vgl. Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 67 StaRUG Rz. 17. 83 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 67 StaRUG Rz. 17; ergänzend Thole, ZIP 2020, 1985, 1997. 84 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 67 StaRUG Rz. 17. Für den Insolvenzplan Spahlinger in Kübler/ Prütting/Bork, § 254 InsO Rz. 13 (Stand: 89. EL August 2022); Huber/Madaus in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 254 InsO Rz. 24; Lüer/Streit in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 254 InsO Rz. 20. 85 Bei der Gestaltung gilt es den Hinweisbeschluss des AG Hamburg v. 17.1.2021 – 63c RES 1/21, ZInsO 2022, 670 zu beachten, weil er § 44 InsO sowie das darin enthaltene Verbot der Doppelanmeldung im Restrukturierungsverfahren für analog anwendbar hält. Dies führt im Grundsatz dazu, dass es allein sachgerecht ist, die Hauptverbindlichkeit des Gläubigers und nicht den Rückgriffsanspruch des Bürgen einzubeziehen. Eine abweichende Auswahl könnte allerdings auf ein sachgerechtes Kriterum gestützt werden (vgl. § 8 Satz 2 StaRUG) und so bspw. auf die strategische Zentralstellung bestimmter Lieferanten, die unter keinen Umständen in Zukunft abspringen oder (erstmalige) Besicherungen fordern dürfen. In der Konsequenz ist jedenfalls einer durch das AG Hamburg befüchteten Ungleichbehandlung zwischen dem Gläubiger der Hauptverbindlichkeit und anderen (gestalteten) Restrukturierungsgläubigern (s. zu den Gründen AG Hamburg v. 17.1.2021 – 63c RES 1/21, ZInsO 2022, 670 Rz. 26) begegnet. Unberücktigt ließ AG Hamburg indes eine eventuelle Ungleichbehandlung zwischen dem Bürgen und anderen gestalteten Restrukturierungsgläubigern, soweit er infolge einer cessio legis aus der übergegangen Hauptverbindlichkeit gegen den Restrukturierunsgschuldner (trotz der Gestaltung der Regressforderung) auf den vollen Betrag vorgehen könnte. 86 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 439. 87 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 3.

Herding/Krafczyk | 65

§ 2 Rz. 41 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse lichen Grundsätzen aus § 38 InsO nahe, zwischen Stammrechten und daraus resultierenden Ansprüchen auf der einen Seite und Einzelansprüchen auf der anderen Seite zu differenzieren.88 Einzelansprüche können in Restrukturierungspläne insoweit Einzug erhalten, als sie bis zum maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG begründet wurden, also ihre Entstehung zu diesem Zeitpunkt nicht von neu zu erbringenden Gegenleistungen und folglich einem künftigen Tun oder Unterlassen des Schuldners und/oder Gläubigers abhängt.89 Dieser Grundsatz findet sich auch in § 3 Abs. 2 StaRUG für gegenseitige Verträge wieder. Danach sind daraus resultierende Restrukturierungsforderungen nur insoweit durch einen Restrukturierungsplan gestaltbar, als die dem anderen Teil obliegende Leistung bereits erbracht ist. Während infolge der Gebrauchsüberlassung bzw. Erbringung der entsprechenden Leistungen vor dem maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG entstandene Ansprüche aus Miet-, Pacht- oder Dienstverhältnissen auf Entrichtung der vereinbarten Miete (§ 535 Abs. 2 BGB), Pacht (§ 581 Abs. 1 Satz 2 BGB) bzw. auf Gewährung der vereinbarten Vergütung (§ 611 BGB) als begründete Restrukturierungsforderungen mittels eines Restrukturierungsplans gestaltbar sind, gilt dies nicht für solche Ansprüche, die erst im Anschluss an den Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG entstehen.90 Das gilt grundsätzlich für rückständige Raten aus Leasingverträgen; Besonderheiten ergeben sich dort allerdings mit Blick auf die Sonderform des Finanzierungsleasings.91 Soweit Einzelansprüche schließlich noch nicht dergestalt begründet sind, können sie innerhalb eines Restrukturierungsplans allenfalls auf der Grundlage freiwilliger Restrukturierungsbeiträge und insbesondere mit Einzelzustimmung der Betroffenen adressiert werden. 42 Demgegenüber sind Stammrechte und weitere daraus resultierende Ansprüche in Anlehnung

an § 38 InsO von § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG erfasst, wenn die betreffenden Gläubiger ihre Gegenleistung für die künftigen Ansprüche bereits vor dem maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG vollständig erbracht haben, weil diese Ansprüche dann ein für alle Mal begründet sind und bloß einen Zeitablauf voraussetzen.92 Deshalb spielt es keine Rolle, ob sie auch erst für einen Zeitraum nach dem Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG entfallen. Beispielsfälle für solche Forderungen aus Stammrechten sind Ansprüche aus Leibrentenverträgen und Rentenansprüche gem. § 618 Abs. 3, § 843, § 845 BGB, § 62 Abs. 3 HGB.93 Allerdings sind gem. § 4 Satz 1 Nr. 1 StaRUG die Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan unzugänglich.94 Entsprechend bleibt der sensible Bereich der betrieblichen Altersversorgung, obwohl die betrieblichem Pensions- und Rentenansprüche der Arbeitnehmer95 durchaus als derart begründete Restrukturierungsforderungen gelten würden, der Gestaltung durch ein Insolvenzverfahren vorbehalten, dort allerdings unter der besonderen Berücksichtigung des § 7 Abs. 4 Satz 5 Betr88 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 10; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 10. Zur Unterscheidung innerhalb von § 38 InsO Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 58. Zur Abgrenzung Büteröwe in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 38 InsO Rz. 17. 89 Vgl. Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 58. 90 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 11; Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 14. Zur insolvenzrechtlichen Einordnung vgl. BGH v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, NZI 2010, 58 Rz. 10 = ZIP 2010, 38 sowie ergänzend Büteröwe in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 38 InsO Rz. 17 f.; Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 58 ff. 91 Hierzu Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 14. 92 Vgl. Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 10; Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 58. 93 Vgl. Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 58. 94 Vgl. Granetzny/Derksen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 6. Aufl. 2021, L. Rz. 98 f.; außerdem Lingscheid/Kunz, DB 2021, 677, 679. 95 Vgl. nur beispielhaft BAG v. 4.7.1969 – 3 AZR 212/68, NJW 1970, 964.

66 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 45 § 2

AVG, dessen Besserungsschein-Konzept auch im Insolvenzplanverfahren eine Gestaltung zu Lasten des Pensionssicherungsvereins möglichst verhindert soll. Weitere Fallkonstellationen für Stammrechte und daraus resultierende Ansprüche, wie bspw. Ansprüche aus einem Versicherungsverhältnis, sind im Einzelfall einzuordnen. So sind bspw. Versicherungsprämien nur insoweit als begründete Restrukturierungsforderungen gestaltbar, als sie eine Gefahrtragung vor Insolvenzeröffnung betreffen.96 ff) Schadensersatzansprüche Ebenfalls unter die Restrukturierungsforderungen i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG fallen ver- 43 tragliche und deliktische Schadensersatzansprüche,97 soweit sie nicht aus einer vorsätzlich unerlaubten Handlung stammen (vgl. § 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG). Voraussetzung ist, dass das entsprechende vertragliche Schuldverhältnis vor dem Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG begründet wurde und die die Schadensersatzpflicht auslösende Pflichtverletzung ebenfalls vor diesem Zeitpunkt liegt. Gleiches gilt mit Blick auf die deliktischen Schadensersatzansprüche und dort den Eintritt der Rechtsgutsverletzung.98 Ohne Bedeutung ist der Zeitpunkt des tatsächlichen Schadenseintritts.99 In den §§ 51–55 StaRUG-RegE wurde ermöglicht, nach Eintritt der drohenden Zahlungsunfä- 44 higkeit gem. § 18 InsO auf Antrag gegenseitige, nicht beiderseitig vollständig erfüllte Verträge zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern durch das Restrukturierungsgericht beenden zu lassen, wenn die betreffenden Gläubiger einem Anpassungs- oder Beendigungsverlangen des Schuldners nicht nachgekommen sind (Instrument der Vertragsbeendigung, vgl. § 31 Nr. 3 StaRUG-RegE). Dabei sah § 54 Abs. 3 StaRUG im Einklang mit § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, dass den Gläubigern infolge der Vertragsbeendigung eine Forderung wegen Nichterfüllung zusteht. Die Nichterfüllungsforderung konnte sodann durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden. Nach Streichung der Vertragsbeendigung aus den §§ 51–55 StaRUG-RegE ist eine solche Beendigung gegenseitiger Verträge nun nicht mehr möglich (zur Vertragsbeendigung einleitend § 29 Rz. 5, 31). Denkbar ist auf rein vertraglicher Ebene allerdings, dass vor dem maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG der Schuldner eine ihm vertraglich obliegende Leistung ernsthaft und endgültig verweigert und infolge einer Kündigung durch den Gläubiger eine gegebenenfalls entstehende Schadensersatzforderung als Restrukturierungsforderung in den Restrukturierungsplan miteinbezogen wird. gg) Streitige Restrukturierungsforderungen (§§ 70, 71 StaRUG) Sind Forderungen als Restrukturierungsforderungen in den Restrukturierungsplan für eine 45 Gestaltung vorgesehen, die im Streit stehen, so können auch solch streitige Forderungen gestaltet werden. Allerdings ist zu beachten, dass die Restrukturierungsgläubiger aus dem rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplan wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben können, es sei denn, deren Forderung wird im Bestätigungsbeschluss als bestritten ausgewiesen (§ 71 Abs. 1 StaRUG). Um einerseits die Gestaltung einer streitigen Forderung zu erreichen, aber andererseits die Titulie96 BGH v. 7.4.2016 – IX ZR 145/15, NZI 2016, 584 = ZIP 2016, 1174 sowie mit weiteren Nachweisen Ehricke/Behme in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 25. 97 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 16; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 40 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 8. 98 Vgl. insg. Ehricke/Behme in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 32 f.; Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 41 f. 99 Insg. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 16; zum Insolvenzverfahren auch Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 42; Ehricke/Behme in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 32 f.

Herding/Krafczyk | 67

§ 2 Rz. 45 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse rungswirkung des Restrukturierungsplans insoweit zu verhindern, muss der Schuldner die Forderung als Restrukturierungsforderung in den Restrukturierungsplan aufnehmen, die Forderung im Bestätigungsverfahren bestreiten (vgl. § 70 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) und dann auf einen entsprechenden Ausweis in dem Planbestätigungsbeschluss als bestritten hinwirken (§ 71 Abs. 1 StaRUG).100 Hat der Schuldner dies getan und dadurch die Titulierung der Forderungen verhindert, unterliegen streitige Restrukturierungsforderungen gem. § 70 Abs. 1 StaRUG der auf sie anwendbaren Regelung des Restrukturierungsplans in der Höhe, in der sie später festgestellt werden. Entsprechend müssen die Gläubiger einer solcherart streitigen Forderung diese also erst vor den dafür zuständigen Gerichten im Wege der Leistungsklage durchsetzen.101 In jedem Fall bleibt auch eine solcherart durchgesetzte Forderung den für sie vorgesehenen Planregelungen unterworfen. Umgekehrt – falls die Titulierungswirkung nicht verhindert wird – stehen dem Schuldner nur noch die bekannten Rechtsmittel im Rahmen der Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan zur Verfügung.102 Das sollte vor dem Hintergrund, dass dann eine Überprüfung der Forderung dem Grunde nach nicht mehr uneingeschränkt möglich ist (vgl. § 767 ZPO), vermieden werden. hh) Steuerforderungen 46 Auch Steuerforderungen können begründete Restrukturierungsforderungen darstellen und

als solche mit Hilfe eines Restrukturierungsplans gestaltet werden.103 Für sie gelten ebenfalls die insolvenzrechtlichen Grundsätze aus § 38 InsO. Auch sie müssen vor dem maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG begründet sein, sofern auch ihre Gestaltung mittels Restrukturierungsplan angestrebt wird. Für die Begründetheit von Steuerforderungen ist erforderlich, dass der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt wurde, also der gesetzliche Besteuerungstatbestand „vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen“ ist.104 Auf diese Grundsätze zu § 38 InsO nimmt der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich Bezug, so dass sie auch im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen entsprechend heranzuziehen sind.105 Steht in Frage, ob die Voraussetzungen eines Besteuerungstatbestands vorliegt, richtet sich die Beurteilung nach steuerrechtlichen Grundsätzen.106 Nicht zwingend erforderlich ist, dass bereits ein wirksamer Steuerbescheid zum Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG vorliegt, denn es kommt innerhalb von § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gerade nicht darauf an, dass die Forderungen zu diesem Zeitpunkt bereits fällig sind.107 Soweit sich schließlich Abgrenzungsfragen im Einzelfall stellen, sind diese entlang der Rechtsprechung zur insolvenzrechtlichen Einordnung von Steuerforderungen aufzulösen.108

100 101 102 103 104

105 106 107 108

BT-Drucks. 19/24181, S. 168. Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 79 StaRUG Rz. 6. Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 71 StaRUG Rz. 17 ff. BT-Drucks. 19/24181, S. 111; hierzu Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 17; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 44 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); außerdem Eisolt/ Wolters, ZInsO 2021, 1058, 1059; Kahlert/Schumann, DStR 2021, 2741. BFH v. 15.11.2018 – XI B 49/18, NJW 2019, 951 Rz. 13 = GmbHR 2019, 241; BFH v. 9.12.2010 – V R 22/10, NZI 2011, 336 Rz. 18 = ZIP 2011, 782; BFH v. 13.11.1986 – V R 59/79, ZIP 1987, 119, 120. Eingehend zur Berücksichtigung von Steuerforderungen im Insolvenzverfahren auch Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 38 InsO Rz. 36 ff. (Stand: 74. EL November 2017). BT-Drucks. 19/24181, S. 111; in diese Richtung Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 17 sowie Eisolt/Wolters, ZInsO 2021, 1058, 1059. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 44 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Eisolt/Wolters, ZInsO 2021, 1058, 1059. Ausdrücklich Wollring/Quitzau, ZRI 2021, 785, 796. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 44 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 11; ebenfalls Eisolt/Wolters, ZInsO 2021, 1058, 1059.

68 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 49 § 2

Die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG wird sodann hinsichtlich Steuerforde- 47 rungen nicht anders ausgestaltet als mit Blick auf andere, z.B. Kreditforderungen. § 4 Satz 1 StaRUG beinhaltet insoweit keine Einschränkung.109 Vielmehr stellt der Gesetzgeber in Ansehung des § 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG klar, dass auch solche Steuerforderungen gestaltbar sind, in deren Zusammenhang der Schuldner wegen einer Steuerstraftat gem. §§ 370, 373 oder § 374 AO rechtskräftig verurteilt worden ist.110 Greifen die Ausnahmen des § 4 Satz 1 StaRUG nicht ein, sind sodann unterschiedslos Stundungen und Kürzungen der betroffenen Forderungen möglich.111 Meist werden Steuerforderungen in die Gruppe der einfachen Restrukturierungsgläubiger einzuordnen sein (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG). Dort unterliegen sie dem Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz und leisten wie alle anderen einbezogenen (einfachen) Restrukturierungsgläubiger ihren Sanierungsbeitrag.112 Es besteht also kein Fiskusprivileg mit Blick auf die gegen den Restrukturierungsschuldner begründeten Steuerforderungen. Allerdings muss im Zuge der Gestaltung (auch) von Steuerforderungen beachtet werden, dass sie als Forderungen staatlicher Stellen gegebenenfalls weiteren Gestaltungsgrenzen unterliegen, welche sich aus dem europäischen Beihilferecht ergeben (s. Rz. 79 ff., dort zum Private-Creditor-Test sowie den Staatshilfen zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19Pandemie im Restrukturierungsplan). ii) Rückforderung staatlicher Beihilfen Offen ist, ob und inwieweit staatliche Beihilfen als Restrukturierungsforderungen i.S.v. § 2 48 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gelten und infolgedessen in einen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen einbezogen und innerhalb eines Restrukturierungsplans gestaltet werden können, wenn sie unionsrechtswidrig sind.113 Ein vergleichender Blick zum Insolvenzplanverfahren lässt daran (jedenfalls faktisch) erhebliche Zweifel entstehen. Staatliche Beihilfen unterliegen einem strengen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, so dass die Eu- 49 ropäische Kommission im Rahmen eines zeitintensiven Notifizierungsverfahrens über ihre Zulässigkeit entscheiden muss (vgl. Art. 107 Abs. 1, Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV). Hierunter fallen alle staatlichen oder aus staatlichen Mitteln gewährten Zuwendungen, die ein bestimmtes Unternehmen oder einen bestimmten Produktionszweig begünstigen, also ihnen einen wirtschaftlichen Vorteil gewähren, und dabei den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen, indem eine Wettbewerbsverfälschung wenigstens droht.114 Wurden Beihilfen auf Antrag oder von Amts wegen durch die Europäische Kommission für unionsrechtswidrig erklärt, weil sie aufgrund einer wettbewerbsverfälschenden Wirkung nicht mit dem gemeinsamen Markt ver109 Kahlert/Schumann, DStR 2021, 2741, 2742. 110 BT-Drucks. 19/24181, S. 115; hierzu Wollring/Quitzau, ZRI 2021, 785, 795. 111 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 44 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Eisolt/Wolters, ZInsO 2021, 1058, 1059 f.; Fischer, NZI-Beilage 2021, 69, 71. 112 Mit weiteren Nachweisen Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 44 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 113 Zur Europarechtswidrigkeit staatlicher Beihilfen s. Art. 107 Abs. 1 AEUV, hierzu Kühling in Streinz, 3. Aufl. 2018, Art. 107 AEUV Rz. 28 ff. Diese Frage wird sich weniger für die im Rahmen der als Staatshilfen zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie gewährten Zuschüsse, etwa die Überbrückungs- und Kulturhilfen, stellen, wenn für sie doch aufgrund der vorangegangenen auf Art. 107 Abs. 2 Buchst. b, Abs. 3 Buchst. b sowie Abs. 3 Buchst. c AEUV gestützten Genehmigung der Europäischen Kommission ein grundsätzlich geschütztes Vertrauen in ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht besteht, vgl. zuerst ABl. EU Nr. C 91 I v. 20.3.2020, S. 1 ff. („Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19“); s. ebenfalls Hunsalzer, ZInsO 2021, 1469, 1470, 1473 f.; Cremer in Calliess/ Ruffert, 6. Aufl. 2022, Art. 107 AEUV Rz. 47, zusammen mit Fn. 393, Rz. 61 zusammen mit Fn. 480; außerdem Seitz/Berne, EuZW 2020, 591. 114 Vgl. Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 137.

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§ 2 Rz. 49 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse einbar sind, sind sie grundsätzlich zurückzufordern. Um das Beihilfenverbot im Einklang mit dem unionsrechtlichen effet utile Grundsatz effektiv und wirksam durchzusetzen, ist die Rückforderung auch im Insolvenzverfahren weiterzuverfolgen.115 Werden rechtswidrige Beihilfen zurückverlangt, stellen die entsprechenden Rückforderungen bereits ab dem Zeitpunkt ihrer Gewährung begründete Insolvenzforderungen i.S.v. § 38 InsO dar.116 Dies mag dazu verleiten, sie als Restrukturierungsforderungen i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG anzuerkennen und sie innerhalb eines Restrukturierungsplans für gestaltbar zu erklären. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass in Anknüpfung an die sog. „Rückforderungsbekanntmachung“ von 2019,117 welche die Rückforderungsbekanntmachung von 2007 inzwischen ersetzt hat, und das auch darin enthaltene Prinzip des „rückfordern oder liquidieren“,118 die Einbeziehung und Gestaltung staatlicher Beihilfen im Insolvenzplanverfahren weiteren, teils strengen Anforderungen unterliegt. 50 Grundsätzlich gilt aufgrund der Rückforderungsbekanntmachung von 2019, dass „auch die

wirtschaftliche Lage des Beihilfeempfängers [...] keinen Einfluss auf die Verpflichtung zur Rückforderung der Beihilfe [hat]. Dass sich ein Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten befindet oder gar insolvent ist, stellt keinen Nachweis für die Unmöglichkeit der Umsetzung des Rückforderungsbeschlusses dar, es sei denn, das Unternehmen ist liquidiert worden und es sind keine Aktiva mehr vorhanden.“119 Ziel ist, auf diesem Weg die wettbewerbsrechtliche Chancengleichheit wiederherzustellen.120 Eine ordnungsgemäße Rückforderung der Beihilfen erfolgt im (Regel-)Insolvenzverfahren danach durch die Anmeldung und Feststellung der Rückforderung zur Insolvenztabelle. In der Bekanntmachung der Europäischen Kommission wird für die Teilnahme der Rückforderung an einem Planverfahren vorgegeben, dass, falls ein Schuldner „ein[en] Plan, der die Fortführung der Tätigkeit des Beihilfeempfängers vorsieht, vorgelegt [hat], [...] die Behörden des betreffenden Mitgliedstaats diesen Plan nur unterstützen [...], wenn er die fristgerechte Rückzahlung des vollen Rückforderungsbetrags gewährleistet. Ein Mitgliedstaat darf nicht auf einen Teil seines Rückforderungsanspruchs verzichten, wenn der Beihilfeempfänger seine Tätigkeit nach Ablauf der Rückforderungsfrist fortsetzt.“121 Für die Einbeziehung der Rückforderungen in einen Insolvenzplan, soll zwischen einer dort vorgesehenen übertragenden Sanierung und (umfangreichen) Forderungskürzungen zu unterscheiden sein. Eine übertragende Sanierung soll nach Auffassung der Europäischen Kommission und des EuGH zwar selbst vor dem Hintergrund der Wiederherstellung der Chancengleichheit zulässig sein, aber der Erwerber soll gegebenenfalls als Adressat der Rückforderung in Betracht kommen, wenn er die Betriebstätigkeit des Beihilfeempfängers mit den übernommenen Vermögensgegenständen fortsetzt und sich so der infolge der rechts-

115 Grundlegend Kühling in Streinz, 3. Aufl. 2018, Art. 107 AEUV Rz. 28 ff.; s. für die Rückforderung im Insolvenzverfahren Bäuerle in Braun, 8. Aufl. 2020, § 38 InsO Rz. 12; Büteröwe in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 38 InsO Rz. 30; Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 55; außerdem Hunsalzer, ZInsO 2021, 1469, 1471. 116 Büteröwe in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 38 InsO Rz. 30; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 38 InsO Rz. 41e (Stand: 74. EL November 2017); Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 55 f. 117 Bekanntmachung der Kommission über die Rückforderung rechtswidriger und mit dem Binnenmarkt unvereinbarer staatlicher Beihilfen, ABl. EU Nr. C 247/1 v. 23.7.2019, insbesondere Nr. 4.3, im Anschluss an die Bekanntmachung der Kommission v. 15.11.2007, Rechtswidrige und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfen: Gewährleistung der Umsetzung von Rückforderungsentscheidungen der Kommission in den Mitgliedstaaten, ABl. EU Nr. C 272 v. 15.11.2007, S. 4 ff. 118 Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 164. 119 ABl. EU Nr. C 247/1 v. 23.7.2019, Rz. 53. 120 ABl. EU Nr. C 247/1 v. 23.7.2019, Rz. 16; ABl. EU Nr. L 172 v. 20.6.2019, S. 18 ff. außerdem Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 164. 121 ABl. EU Nr. C 247/1 v. 23.7.2019, Rz. 132.

70 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 53 § 2

widrigen Beihilfe erlangte Vorteil bei dem Erwerber hält.122 Sind diese Haftungsgefahren des Erwerbers nicht auf Grundlage des Insolvenzplans zu adressieren, wird eine übertragende Sanierung auf der Grundlage eines Insolvenzplans regelmäßig ausgeschlossen sein, weil der Erwerber doch in aller Regel nicht zur Übernahme der Haftung für die Beihilferückforderung bereit sein wird.123 Im Übrigen wäre ein Insolvenzplan gem. § 250 InsO in Ansehung der im Insolvenzplan nur vorgesehenen Teilrückführung der europarechtswidrig gewährten Beihilfe nicht bestätigungsfähig. Ausnahmen mögen allerdings dort bestehen, wo die Beseitigung der wettbewerbsverfälschenden Wirkungen erreicht wird.124 Insbesondere kann eine Haftungsübernahme des Erwerbers entfallen, wenn sichergestellt wird, dass es keine wirtschaftliche Kontinuität gibt.125 Im Rahmen der Übertragung dieser Grundsätze auf den Stabilisierungs- und Restruktu- 51 rierungsrahmen ist zwischen der Einbeziehung der staatlichen Beihilfen und deren Gestaltung sowie den dabei geltenden Grenzen zu unterscheiden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Schuldner sachgerecht auswählen darf, welche Forderungen er in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen einbezieht (§ 8 StaRUG) und damit den Regelungen des Restrukturierungsplans unterwirft. Für die Einbeziehungsmöglichkeit und damit Gestaltbarkeit unionsrechtswidriger staatlicher 52 Beihilfen im Rahmen des StaRUG spricht nicht bereits, dass § 7 COVInsAG keine Unterscheidung zwischen den rechtmäßigen und unionsrechtswidrigen staatlichen Beihilfen vorhält. Denn der Gesetzgeber wird aufgrund der vorherigen Genehmigung der Europäischen Kommission von der Rechtmäßigkeit der Beihilfen im Rahmen von staatlichen Programmen, bspw. zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie, ausgegangen sein. Zudem steht die Möglichkeit, die Gestaltung des Restrukturierungsplans auf die Planbetroffenen zu begrenzen (§ 8 StaRUG) und die Unternehmung nach nachhaltiger Beseitigung der drohenden Zahlungsfähigkeit fortzuführen (§ 29 Abs. 1 StaRUG), im Widerspruch zum Grundsatz „rückfordern oder liquidieren“, so dass eine Einbeziehung und Gestaltung unionsrechtswidriger staatlicher Beihilfen überhaupt nur denkbar wäre, wenn eine vollständige Rückführung dieser Beihilfen im Licht der Zwänge des Restrukturierungskonzepts konkret ausgeschlossen ist.126 Zeichnet sich also ab, dass nur unter ihrer Berücksichtigung im Restrukturierungsplan eine 53 nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit gewährleistet werden kann, ist für eine Einbeziehung und Gestaltung unionsrechtswidriger staatlicher Beihilfen dennoch zusätzlich erforderlich, dass die wettbewerbsrechtliche Chancengleichheit auch innerhalb des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens wiederherzustellen ist. Betrachtet man die Anforderungen, die daran durch die Rückforderungsbekanntmachung von 2019 konkret gestellt werden, erscheint die mögliche Aufnahme auch der europarechtswidrigen Beihilfen in einen Restrukturierungsplan nahezu ausgeschlossen. Denn zusammengefasst soll die Wettbewerbsverzerrung erst beseitigt sein, wenn „das Unternehmen des Rechtsträgers [scil. vollständig] auf einen Dritten übertragen wird oder ein Wechsel der Beteiligungsverhältnisse zugunsten eines Dritten erfolgt, der nicht mit den bisherigen Eigentümern identisch ist, der Dritte für das Unternehmen/für den Erwerb der Beteiligung am Rechtsträger einen marktkonformen Preis gezahlt hat, mit der Akquisition über den Insolvenzplan ein eigenständiges Geschäftskonzept verfolgt wird, das eine eigene Ausrichtung hat und die Transaktion auch nicht an sich der Wiederherstellung der Wettbewerbssituation in dem jeweils betroffenen Sektor

122 123 124 125 126

ABl. EU Nr. C 247/1 v. 23.7.2019, Rz. 89 ff. Insgesamt Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 168 ff. Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 172 ff. ABl. EU Nr. C 247/1 v. 23.7.2019, Rz. 135. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 19, die sich gegen ihre grundsätzliche Einbeziehungsmöglichkeit aussprechen.

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§ 2 Rz. 53 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse entgegensteht.“127 Auch wenn diesen rechtlichen Anforderungen entsprochen werden könnte, lassen die praktischen Hürden im Rahmen der Umsetzung (z.B. hinsichtlich des Nachweis eines marktkonformen Preises) erwarten, dass unionsrechtswidrige staatliche Beihilfen nicht oder nur höchst selten in einen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens einbezogen werden (können). f) Nicht erfasste Rechte und Forderungen 54 Durch den Begriff „Restrukturierungsforderung“ nicht erfasst und damit auch von der Ge-

staltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG ausgeschlossen sind bestehende Gestaltungsrechte, z.B. das Recht zur Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB), zur Kündigung (z.B. § 626 BGB) oder zum Rücktritt (§ 323 Abs. 1 BGB), entstehen Forderungen doch erst infolge ihrer Ausübung. Gleiches gilt für Vollmachten.128 Für Ansprüche aus unvertretbaren Handlungen sowie auf Unterlassung (vgl. § 888 Abs. 1, § 890 ZPO) und unvollkommene Verbindlichkeiten (vgl. nur §§ 762, 764, 656 BGB) mag eine Gestaltung ebenfalls ausgeschlossen sein.129 Verjährte Ansprüche gelten als Insolvenzforderungen, wenn der Insolvenzverwalter die Einrede der Verjährung nicht rechtzeitig erhebt und sie infolgedessen zur Tabelle festgestellt werden (§ 178 InsO).130 Sie dürften auch im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen als Restrukturierungsforderungen gestaltbar sein, soweit hier die Auswahl der Planbetroffenen samt ihrer einbezogenen Forderungen (vgl. § 8 StaRUG) beim Schuldner liegt, hat er doch die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu beachten (§ 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Nach dem insolvenzrechtlichen Bewertungsmaßstäben wären außerdem Forderungen aus Mitgliedschaftsrechten der Gesellschafter, etwa hinsichtlich der Rückgewähr von Einlagen und Beiträgen, nicht als Restrukturierungsforderungen i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG zu qualifizieren, führte dies anderenfalls zur Reduktion des Haftkapitals, welches den Gesellschaftsgläubigern zustehen soll.131 Obgleich der Inhalt und die Wertungen des § 38 InsO also weitere Beschränkungen vorsehen, bietet § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG aus gesellschaftsrechtlicher Sicht dennoch zahlreiche Gestaltungsbefugnisse an.132 Insbesondere Abfindungsansprüche bereits ausgeschiedener Gesellschafter und Ansprüche aus Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträge bleiben als Restrukturierungsforderungen gestaltbar. Eine weitergehende Gestaltungsbefugnis der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte ergibt sich zudem aus § 2 Abs. 3 StaRUG.133 g) Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5 StaRUG)

55 Restrukturierungsforderungen sind gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gestaltbar, wenn sie im Zeit-

punkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG begründet sind. Schon die Gesetzesbegründung zum RegE zeigt Parallelen zu und Annäherungen an § 38 InsO auf. Sie gibt vor, dass bei der Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals der Begründetheit aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG auf die sich aus diesem ergebenen insolvenzrechtlichen Maßstäbe zurückgegriffen werden kann.134 § 38 InsO definiert dabei, dass als sog. Insolvenzgläubiger die persönlichen Gläubiger zählen, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahren begründeten Vermögensanspruch gegen Schuldner ha-

127 128 129 130 131 132 133 134

Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 179. Marotzke, ZInsO 2021, 353, 355. Vgl. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 10. Ehricke/Behme in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 58; Büteröwe in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 38 InsO Rz. 10. Vgl. insgesamt zu § 38 InsO Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 38 InsO Rz. 13 ff. (Stand: 74. EL November 2017). In diese Richtung (wohl) Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 12. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 30, 34. BT-Drucks. 19/24181, S. 111.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 57 § 2

ben. Demgegenüber sind Gläubiger, deren Forderungen nach diesem Zeitpunkt, d.h. nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen bzw. durch den Insolvenzverwalter begründet werden, sog. Massegläubiger und gem. §§ 53 ff. InsO vor den Insolvenzgläubigern zu befriedigen. Hintergrund dieser Privilegierung von Masseverbindlichkeiten ist, dass die Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse den Abschluss von Rechtsgeschäften, welche zwangsläufig mit Kosten verbunden sind, erfordert. Damit Gläubiger weiterhin Leistungen durch zukünftige Rechtsgeschäfte erbringen, muss der Verwalter die zur Verwaltung der Masse entstandenen Verbindlichkeiten in vollem Umfang aus der Insolvenzmasse befriedigen können.135 Während durch einen Insolvenzplan die Forderungen der Insolvenzgläubiger gekürzt, gestundet oder sonstigen Regelungen unterworfen werden können (§§ 224 f. InsO, ergänzend § 7 Abs. 1, 2 StaRUG), kann in die Rechtstellung der Massegläubiger durch einen Insolvenzplan daher grundsätzlich nicht eingegriffen werden.136 Eine solche Planimmunität – ähnlich zur Stellung der Massegläubiger – schafft Anreize für 56 die Gläubiger weiterhin mit dem Schuldner zu kontrahieren. § 2 Abs. 5 StaRUG bestimmt daher, dass es grundsätzlich auf den Zeitpunkt ankommt, an dem sich der Schuldner zu dem Zweck äußert, eine Planabstimmung durchzuführen.137 Werden neue Forderungen im Verlauf der Restrukturierungssache und speziell nach dem Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG begründet, sind diese gegenüber Gestaltungen mittels Restrukturierungsplan immun. In der Folge wird sich die Frage stellen, inwieweit dies Anreize zur Finanzierung des Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmens setzt und inwieweit bspw. eine „Fresh Money“ Zwischenfinanzierung in den Restrukturierungsplan überführt werden kann, so dass der Safe Harbour auch diese – vor Bestätigung des Restrukturierungsplan bereitgestellte – Finanzierung samt ihrer gegebenenfalls später erst im Plan erfolgenden Besicherung vor einer Insolvenzanfechtung gem. § 129 ff. InsO schützt.138 2. Rang der Restrukturierungsforderungen Für die Gestaltbarkeit von Restrukturierungsforderungen mittels eines Restrukturierungs- 57 plans ist ihre insolvenzrechtliche Rangigkeit nicht ausschlaggebend. Die Restrukturierungsgläubiger werden zwar mit ihren unterschiedlichen Forderungen in Anbetracht des § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StaRUG in Abhängigkeit ihrer Einordung in die Rangklassen des § 39 Abs. 1 Nr. 2–5 InsO unterschiedlichen Gruppen zugeordnet. Und dort spielt auch eine Rolle, ob es sich bei den einbezogenen Restrukturierungsforderungen um aufgrund von § 39 Abs. 1 Nr. 4, 5 InsO oder einer vertraglichen Rangvereinbarung nachrangige Forderungen handelt.139 Daraus ergeben sich Besonderheiten innerhalb der Abstimmung über den Restrukturierungsplan,140 diese setzen sich innerhalb der gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidungen fort und führen speziell bei der Frage nach einer angemessenen Beteiligung von Gläubigergruppen am Planwert bzw. der sog. absoluten Priorität zu bedeutenden Unterschieden, vgl. § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG.141 Auf die Frage, welche Forderungen der Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG unterfallen, hat die Unterscheidung aber keinen Einfluss. So bestehen vor allem

135 Vgl. BAG v. 25.1.2018 – 6 AZR 8/17, NZA 2018, 1153 Rz. 18; Hefermehl in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 53 InsO Rz. 1. 136 Insg. Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 224 InsO Rz. 6–11; Hefermehl in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2019, § 53 InsO Rz. 63. 137 BT-Drucks. 19/24181, S. 114. 138 Vgl. Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 20a. 139 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 12; Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 20; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 13. 140 Zur Gruppenbildung Skauradszun, ZRI 2020, 625, 632. 141 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 13.

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§ 2 Rz. 57 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse hinsichtlich der Gestaltbarkeit von Gesellschafterdarlehen sowie den ihnen entsprechenden Rechtsverhältnissen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) keine Einschränkungen.142 58 Wenn § 4 Satz 1 Nr. 3 StaRUG die Gestaltbarkeit von Geldsanktionen i.S.v. § 39 Abs. 1 Nr. 3

InsO und mithin nachrangigen Forderungen durch einen Restrukturierungsplan ausschließt, dann nicht aufgrund der Nachrangigkeit, sondern um die Sanktionswirkung für den sanktionierten Schuldner zu erhalten. Hierzu zählen Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten (s. § 4 Rz. 10). 3. Plangestaltungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1, 2 Satz 1 StaRUG) a) Einführung

59 Restrukturierungsforderungen i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG können im Restrukturierungs-

plan nach Maßgabe des § 7 Abs. 1, 2 StaRUG zwangsweise gestaltet werden.143 Wie im Insolvenzplan (§§ 221, 224 InsO) kann auch hier die im maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG bestehende Rechtsstellung der planbetroffenen Inhaber von Restrukturierungsforderungen verändert werden. Im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplan ist gem. § 7 Abs. 2 StaRUG zu bestimmen, um welchen Bruchteil die betreffenden Restrukturierungsforderungen gekürzt, für welchen Zeitraum sie gestundet, wie sie gesichert und/oder welchen „sonstigen Regelungen“ sie auf Grundlage der dort zusätzlich enthaltenen Generalklausel für mögliche Plangestaltungen unterworfen werden sollen. Die Gestaltungsbefugnis wird allerdings durch §§ 3, 4 StaRUG hinsichtlich Forderungen aus gegenseitigen Verträgen und bzgl. ausgenommener Rechtsverhältnisse beschränkt. Selbst die an einigen Stellen gesondert angesprochenen Gläubiger von Finanzverbindlichkeiten (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG) müssen nur insoweit mit Gestaltungen rechnen, als sie die ihnen obliegende Leistung bereits erbracht haben: Ist ein zugesagtes Darlehen nicht vor dem Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG ausgezahlt oder eine offene Kreditlinie nicht gezogen worden, sind Gestaltungen der erst im Folgenden entstehenden Rückzahlungsforderungen aufgrund von § 3 Abs. 2 StaRUG ausgeschlossen. Es verbleibt dann die (zu verneinende) Frage, ob § 3 Abs. 2 StaRUG auch die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 StaRUG beschränkt und auch Anpassungen von Einzelbestimmungen und Bedingungen nur soweit zulässig sind, als die betroffenen Forderungen aus Krediten bereits im Risiko stehen.

60 Innerhalb des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens wird eine Gestaltung von im

Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG begründeten, auf Geld gerichteten Forderungen zugelassen. Aufgrund der Ausrichtung auf die Fortführung und Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit wird sowohl auf die Gesamtfälligstellung sämtlicher Forderungen gegen den Schuldner, eine Umrechnung aller nicht auf Geld gerichteten Forderungen (vgl. §§ 41, 45 InsO für das Insolvenzverfahren) als auch auf ein den §§ 103 ff. InsO vergleichbares Regelungskonzept verzichtet. Die daraus entstehende eigenständige Stoßrichtung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens und insbesondere des Restrukturierungsplans als solchem hat zur Folge, dass Restrukturierungsforderungen im Rahmen des jeweils zugrunde liegenden Schuldrechtsorganismus gestaltet werden und selbst wenn weitreichende Gestaltungen vorgesehen sind, dieser Organismus im Übrigen – grundsätzlich unverändert (vgl. aber § 2 Abs. 2 StaRUG) – fortbestehen soll.144 Negative Auswirkungen auf den Schuldrechts142 Zu den Gesellschafterdarlehen ausführlich Schröder in HambKomm/InsR, 2022, § 39 InsO Rz. 33 ff.; Arnold/Spahlinger/Maske-Reiche in Theiselmann, PraxisHdb. des RestruktR, 4. Aufl. 2020, Kap. 1 Rz. 8 ff; außerdem Ganter, NZI 2021, 1. 143 BT-Drucks. 19/24181, S. 110, 111; Gehrlein, BB 2021, 66, 68. 144 BT-Drucks. 19/24181, S. 110, 122 f.; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 3 StaRUG Rz. 5.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 62 § 2

organismus zwischen Restrukturierungsschuldner und seinen Gläubigern sollen ausbleiben, insbesondere indem zukünftige Forderungen von einer prinzipiellen Planimmunität ausgehen können (ähnlich wie Masseverbindlichkeiten i.S.v. §§ 53, 55 InsO, die sich ebenso einer Gestaltung durch den Insolvenzplan entziehen).145 In Abgrenzung zum Insolvenzverfahren wird damit einem etwaigen „Makel der Restrukturierung“ und negativer Auswirkungen innerhalb der einzelnen Geschäftsbeziehung sowie schließlich dem Auflaufen indirekter Kosten einer Restrukturierungssache entgegengewirkt. b) Forderungskürzungen Durch einen Restrukturierungsplan sind Eingriffe in Forderungsrechte möglich, also ins- 61 besondere Forderungskürzungen (Haircut). Sie können als intensivster Eingriff in bestehende Restrukturierungsforderungen ebenfalls als Abgleichpunkt für weniger einschneidende Maßnahmen – als sonstige Planregelungen – dienen.146 Könnten Forderungskürzungen im Restrukturierungsplan vorgesehen werden und entsprächen diese vornehmlich den Vorgaben und Anforderungen des Minderheitenschutzes und Schlechterstellungsverbots, scheinen weniger einschneidende Maßnahmen (bspw. Stundungen oder Rangrücktrittvereinbarungen mit dem Forderungsteil in Höhe der Kürzung) erst Recht möglich. Schließlich wird so der endgültige Ausfall vermieden oder jedenfalls verschoben.147 Die Reichweite von Kürzungen kann andererseits auch abgemildert werden, bspw. indem im Gegenzug Anteile oder Forderungen auf den Gläubiger übertragen werden.148 In der Praxis werden Forderungskürzungen als Teil eines größeren Konzepts (Debt-Debt-/Debt-Equity-Swap) aber nicht zwingend auf die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG zurückgreifen, da die konkrete Umsetzung u.a. von steuerlichen Erwägungen und der jeweiligen Zielstruktur abhängt. Forderungskürzungen können in Verbindung mit Verfallklauseln oder Besserungsversprechen 62 vorgesehen werden.149 Sind Restrukturierungsforderungen aus (Dauer-)Schuldverhältnissen bereits vor dem Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG begründet und sollen danach z.B. Ansprüche der Gläubiger von Finanzverbindlichkeiten (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG) auf Zahlung des vertraglichen Zinses oder einzelner Tilgungsleistungen gestaltet werden, kann sich anbieten, eine Verfallklausel vorzusehen. Diese führt dazu, dass infolge von Kürzungen ihre Restrukturierungsforderungen erneut aufleben und sofort fällig werden, wenn und soweit zukünftige Zahlungspflichten, die in den Restrukturierungsplan z.B. in Form eines Tilgungsplan verkörpert als Anlage oder Maßnahmen i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 StaRUG aufgenommen werden können, vom Schuldner – sodann planwidrig – nicht erfüllt werden. Besserungsversprechen bieten sich demgegenüber an, wenn absehbar ist, dass Planbetroffene nicht dazu bereit sind, Kürzungen hinzunehmen und ihre notwendige Planzustimmung zu erteilen, ohne ebenfalls am erwarteten Sanierungserfolg beteiligt zu sein.150 Besserungsversprechen gewährleisten in diesen Fällen, dass auf der einen Seite der Restrukturierungsschuldner infolge der Kürzung passivseitig entlastet wird, andererseits ein erwarteter Widerstand auf Gläubigerseite dadurch aufgelöst wird, dass ihre Restrukturierungsforderungen (teilweise) zu erfüllen sind, wenn und soweit sie aus einem künftigen Jahresüberschuss oder aus einem die sonstigen Verbindlichkei145 Zur Übertragung der insolvenzrechtlichen Privilegierung von Masseverbindlichkeiten auf die Frage der Planimmunität von Restrukturierungsforderungen Marotzke, ZInsO 2021, 1099, 1104. 146 BT-Drucks. 19/24181, S. 109 („Kürzungen“); Wilkens, WM 2021, 573, 576. 147 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 111 f., dort zur Gestaltungsmöglichkeit von mehrseitigen Rechtsverhältnissen, Verträgen zu gleichlautenden Bedingungen und Gläubigervereinbarungen. 148 Hierzu Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 31. 149 Ebenfalls Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 17. Zum Insolvenzplan Balthasar in Kübler, Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz, 3. Aufl. 2019, § 26 Rz. 166 ff. 150 Vgl. zu den Verfallklauseln Kuder in Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl. 2016, Rz. 5.364.

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§ 2 Rz. 62 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse ten des Schuldners übersteigenden Vermögen oder aus einem Liquiditätsüberschuss getilgt werden können.151 Wenngleich solche klassischen Besserungsversprechen auch mit Blick auf Forderungskürzungen möglich sind, wird darauf in der Praxis selten zurückgegriffen, da Gläubiger an einem potentiellen „Restrukturierungs-Upside“ durch Equity-Kicker, (hybride) Debt-Instrumente (bspw. Wandelschuldverschreibungen), PIK-Regelungen für Zins- und/oder Tilgung oder andere Elemente partizipieren, die in das Restrukturierungskonzept eingearbeitet werden können. c) Fälligkeitsverschiebungen 63 Mit regelmäßig geringerer Eingriffsintensität können darüber hinaus Stundungen für fällige

und zukünftig fällig werdende Restrukturierungsforderungen vorgesehen werden. Durch die Verschiebung von fälligen Verbindlichkeiten in die Zukunft können die Zahlungspflichten des Schuldners modelliert und damit dessen Liquiditätsreserven fürs erste geschont werden.152 Die Stundungsmöglichkeiten erschöpfen sich – insbesondere als Integral der praxisüblichen Amend and Extend-Lösungen mit Blick auf syndizierte Kredite oder komplexere Finanzierungsstrukturen – zumeist nicht in der reinen Verschiebung von Fälligkeiten, vor allem von aufgelaufenen Zins- und/oder Tilgungsraten. Vielmehr lässt es die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG zu, neue Regelungen für bestehende Tilgungspläne aufzunehmen, erstmalig eine Endfälligkeit für Finanzierungsarrangements vorzusehen oder den Zeitpunkt einer bereits vereinbarten Endfälligkeit (weiter) hinauszuschieben.153 Die Stundungsregelungen können durch Regelungen ergänzt werden, welche die Leistungsfähigkeit des Schuldners miteinbeziehen, indem etwa die Verwendung freier Liquidität zur Befriedigung der gestundeten, aber weiterhin erfüllbaren (Finanz-)Verbindlichkeiten vorgesehen wird (sog. Cash Sweep).154

64 Obgleich auch für die Stundungen (und Prolongationen) gilt, dass sie prinzipiell als weniger

einschneidender Eingriff in die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG fallen, können sie in einem Extrembereich, wenn und soweit sie sich über einen langfristigen – noch zu bestimmenden – Zeitraum erstrecken,155 einer neuen Finanzierung i.S.v. § 12 Satz 1 StaRUG nahekommen.156 Vor dem Hintergrund der bestehenden Grenzen der Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG vor allem mit § 12 StaRUG und der zwangsweisen Verpflichtung zu einer neuen Finanzierung können daher vorgesehene, zwangsweise Stundungen Grenzfälle möglicher Gestaltungen auslösen. Werden z.B. Fälligkeitsverschiebungen über die gesamte durch die Planprognosen angezeigte Restrukturierungsdauer hinaus vorgesehen, kann den Planbetroffenen in Abhängigkeit zur finanziellen Verfassung des Schuldners und der sehr langfristigen Bindung ihres Ausfallrisikos an das Gelingen der Restrukturierung (und gegebenenfalls darüber hinaus) eine neue Finanzierungsentscheidung abgerungen werden, die sie in ein neues Kreditrisiko zwingt, welches die Grundlage der ursprünglichen kreditmateriellen Entscheidung gänzlich verlässt und daher der zweifelsfrei als neue Finanzierung i.S.v. § 12 Sta-

151 Vgl. zu den Besserungsversprechen Kuder in Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl. 2016, Rz. 5.364. 152 BT-Drucks. 19/24181, S. 109 („Fälligkeitsverschiebungen“); Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 16. 153 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 24; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 17. 154 Lichtenthäler in Knecht/Hommel/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, 2. Aufl. 2018, S. 1442. 155 Im Ausgangspunkt Begr. zum RefE v. 19.9.2020, S. 129. 156 Im Ausgangspunkt Begr. zum RefE v. 19.9.2020, S. 129. Siehe Krafczyk, ZRI 2020, 313, 315, dort vor dem Hintergrund einer möglichen anfechtungsrechtlichen Privilegierung von (freiwilligen) Stundungen im Anwendungsbereich von § 90 StaRUG.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 66 § 2

RUG erkannten erstmaligen Kreditausreichung nahe- oder gleichkommt (vgl. ergänzend zu § 2 Abs. 2 StaRUG, Rz. 213 ff.). d) Besicherung von Restrukturierungsforderungen Parallel zu § 224 InsO gibt § 7 Abs. 2 Satz 1 StaRUG die möglichen Gestaltungen von Restruk- 65 turierungsforderungen durch den Restrukturierungsplan vor. Danach ist es zulässig, für sie eine zusätzliche Besicherung vorzusehen. In Betracht kommen Personalsicherheiten und dingliche Sicherheiten und das als Eigen- oder Drittsicherheiten.157 Die Sicherungsmittel sind zudem nicht auf die in § 232 BGB genannten Mittel der Sicherheitsleistung beschränkt.158 Die Sicherheiten können grundsätzlich durch den Plan selbst bestellt werden (vgl. § 13 StaRUG sowie für das Insolvenzverfahren § 228 InsO), als Planbedingung vorgesehen werden (vgl. § 62 StaRUG sowie für das Insolvenzverfahren § 249 InsO) oder es kann im Restrukturierungsplan nur die Vereinbarung der Sicherheitenbestellung aufgenommen werden und damit die Begründung eines schuldrechtlichen Anspruchs auf eine entsprechende Bestellung. Letzterenfalls ist die Sicherheitenbestellung außerhalb des Plans zu vollziehen.159 Auf Grundlage eines Restrukturierungsplans ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG auch möglich z.B. Forderungskürzungen ungesicherter Restrukturierungsforderungen vorzusehen und daneben eine (erstmalige) Besicherung nur des stehenbleibenden Teils. Letzteres mag schon zur Sicherstellung der erforderlichen Mehrheiten geboten erscheinen, im Übrigen aber notwendig sein, um den Implikationen der Vergleichsrechnung (§ 6 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) gerecht zu werden. Würde die Möglichkeit einer zusätzlichen (zwangsweisen) Besicherung von Restrukturierungsforderungen, die auch zugunsten der ablehnenden Gläubiger gegenüber wirksam bestellt wird, nicht bestehen, bestünde die Gefahr, dass ihretwegen weitreichende Zweifel hinsichtlich des Bestands des Restrukturierungsplans aufkommen könnten. Dies gilt insbesondere aufgrund des durch das Schlechterstellungsverbot gewährten Schutzniveaus der Planbetroffenen. Denn dieses kann infolge der Gestaltung von Sicherheiten, z.B. durch ihre Kürzung oder der Freigabe von Sicherungsgegenständen, gegebenenfalls einen Ausgleich erforderlich werden lassen, der insbesondere in Form alternativ (neu) gestellter Sicherheiten geschaffen werden könnte. Zur (zwangsweisen) Gestaltung von Sicherheiten im Restrukturierungsplan, insbesondere zum Sicherheitentausch sowie der Einrichtung von Sicherheitenpool und -treuhand auch Rz. 111 ff. e) Sonstige Planregelungen In § 7 Abs. 2 Satz 1 StaRUG wird zugelassen, Restrukturierungsforderungen „sonstigen Rege- 66 lungen“ zu unterwerfen. Der damit vorgehaltenen Generalklausel für mögliche Plangestaltungen unterfallen alle Gestaltungen, die sich gegenüber der Kürzung als weniger intensiver Eingriff in bestehende Restrukturierungsforderungen herausstellen. Die Forderungskürzung dient mithin als Abgleichpunkt für die Zulässigkeit weniger einschneidender Maßnahmen als sonstige Planregelungen. Dieser Abgleich zur Kürzung schafft damit einen konkret-individuellen Gradmesser, so dass abstrakt-generelle Beschränkungen der Gestaltungsmöglichkeit gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG grundsätzlich nur zurückhaltend angedacht und diskutiert werden sollten. Schließlich muss aus dem Restrukturierungsplan die jeweilige Gestaltung hervorgehen. Auf diesem Weg soll (auch) ein entsprechender Mindestinformationsgehalt für die Planbetroffenen vorgesehen sein.160 157 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 19. 158 Für das Insolvenzverfahren Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 224 InsO Rz. 11. 159 Vgl. Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 31 sowie für das Insolvenzverfahren Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, § 224 InsO Rz. 16 (Stand: 78. EL November 2018). 160 BT-Drucks. 19/24181, S. 115 f.

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§ 2 Rz. 67 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse aa) Abtretung und Aufrechnung 67 Schließlich lässt die Generalklausel neben den explizit genannten Möglichkeiten, vielzählige

weitere Gestaltungen zu. Dadurch können in Restrukturierungsplänen z.B. Abtretungen (§§ 398 ff. BGB) und Aufrechnungen (§§ 387 ff. BGB) vorgesehen werden, so dass diese schließlich neben schuldrechtlichen Verpflichtungen und Verfügungen auch sachenrechtliche Rechtsgeschäfte (vgl. § 13 StaRUG) beinhalten können.161 Abtretungen mögen insbesondere in hybriden Debt-Equity-Swap-Strukturen eine zentrale Rolle spielen, in denen eine unmittelbare Beteiligung der Restrukturierungsgläubiger auch aufgrund der gem. § 7 Abs. 4 Satz 2 StaRUG erforderlichen Zustimmung nicht durchführbar scheint und deshalb eine alternative Umsetzung durch Einbeziehung einer Zweckgesellschaft erfolgt, die in einem ersten Schritt (zwangsweise) kraft Restrukturierungsplan die Anteile in dem Schuldner sowie die nicht mehr werthaltigen Forderungen der Restrukturierungsgläubiger erwirbt und im Gegenzug den Restrukturierungsgläubigern einen in Höhe des (noch zu bestimmenden) Equity-Wertes des Schuldners begrenzten Anspruch einräumt.162 Unter Verweis auf die Generalklausel wäre auch denkbar, die Restrukturierungsforderungen abgeänderten Erfüllungsmodalitäten zu unterwerfen und damit etwa vorzusehen, dass ihre Befriedigung durch Sachleistungen bzw. einer Leistung an Erfüllung statt erfolgen soll.163 Eine weitere mögliche Gestaltung wäre, dass den Restrukturierungsgläubigern Forderungen des Schuldners gegen Dritte abgetreten werden oder ihre Abtretung an einen (gemeinsamen) Treuhänder, der die Forderungen für die Restrukturierungsgläubiger einzieht und an sie – wie vereinbart – auskehrt.164 bb) Zinsregelungen

68 Von der Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gedeckt werden auch Zinsreduzie-

rungen, die im Restrukturierungsplan als weniger einschneidende Maßnahme zur (vollständigen) Kürzung der (noch) nicht fälligen, aber als gestaltbar erachteten Zinszahlungsansprüche vorgesehen werden können.165 Vor dem Hintergrund, dass flexible Zinsregelungen meist eine geringere Eingriffsintensität aufweisen als die Kürzung der Zinszahlungsansprüche, dürfte im Restrukturierungsplan auch die zwangsweise Einführung einer Zinskapitalisierung zulässig sein. Gleiches gilt für andere komplexe Zinsanpassungsmodelle und damit insbesondere die Umstellung auf sog. Payment-in-Kind-Zinsregelungen (PIK).166 Im Einklang mit dem Zinseszinsverbot gem. § 289 BGB, soweit deutsches Recht Anwendung findet, würde in diesen Fällen jeweils nachlaufend zwischen Kreditgeber und -nehmer vereinbart, dass zukünftig auflaufende Zinsen in periodischen oder zeitlich bestimmten Abständen kapitalisiert werden, so dass sich infolgedessen der ursprünglich vereinbarte – und im Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG bereits valutierte – Kredit erhöht. Dadurch würden die Zinsen ab dem Tag ihrer Kapitalisierung als eigener Teil der Gesamtfinanzierung eigens Zinsen tragen.167 Möglich ist dabei, dass die Zinskapitalisierung nur in der Höhe erfolgt, in der die Zinsen durch den Darlehensnehmer nicht beglichen werden können (auch Pay if you can-Zinsregelungen). Ein anderes Konzept besteht darin, es zuzulassen, dass die Fälligkeit einer anstehenden Zins- oder Tilgungsrate auf Antrag

161 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 50 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 162 Ausführlich Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 175 ff. 163 Zur rechtlichen Zulässigkeit einer „Leistung an Quote statt“ im Insolvenzplan Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 191 ff. 164 Insgesamt Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, § 224 InsO Rz. 18 (Stand: 78. EL November 2018). 165 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 16; Wilkens, WM 2021, 573, 576. 166 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 16; Wilkens, WM 2021, 573, 576. 167 Zur Ausgestaltung unter Beachtung des Zinseszinsverbots aus § 248 BGB etwa Grell/Schormair in Theiselmann, PraxisHdb. des RestruktR, 4. Aufl. 2020, Kap. 11 Rz. 50.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 70 § 2

(sog. PIK-Toggle) ganz oder teilweise verschoben wird, so dass Zins und Tilgung dann zu einem späteren Termin fällig wird bzw. sie gemeinsam endfällig werden.168 Solche PIK- oder Pay-if-you-can-Regelungen bieten den betroffenen Gläubigern – vergleich- 69 bar zu Besserungsscheinen und Verfallsklauseln – die Möglichkeit, später an einem Restrukturierungserfolg zu partizipieren. So stellen auch sie Regelungen zur Befriedigung von Restrukturierungsgläubigern dar. Auch soweit sich durch die Kapitalisierung von Zinsen oder eine etwaige Zinserhöhung für PIK-Zinsen zusätzliche Lasten für den Restrukturierungsschuldner ergeben, sind diese Regelungen aus Sicht des Schuldners nicht „ein Mehr“ im Abgleich zu Abschlagszahlungen auf Forderungen, sondern als wirtschaftlicher Preis für eine liquiditätsschonende Maßnahme oder die (zukünftige) Kapitalüberlassung zu bewerten. Solche PIK- oder Pay-if-you-can-Zinsregelungen modellieren die Risiken und Chancen der bestehenden Finanzierung neu, ohne diese im Regelfall als neue Finanzierung i.S.v. § 12 Satz 1 StaRUG zu qualifizieren. cc) Rangrücktritt Weiterhin ist es im Restrukturierungsplan möglich, einen qualifizierten Rangrücktritt vor- 70 zusehen, der – insbesondere, wenn er nicht die gesamte Finanzierung betrifft – für die davon betroffenen Restrukturierungsgläubiger vorteilhafter sein kann, als die Abschreibung der Finanzierung infolge einer Forderungskürzung.169 Ein den Schuldcharakter ändernder (qualifizierter) Rangrücktritt kann aus unterschiedlichen Gründen sinnvoll sein. Insolvenzrechtlich kann ein Rangrücktritt – in Abhängigkeit zur Ausgestaltung (insbesondere hinsichtlich dessen Tiefe und Zweckbestimmung) – die Überschuldung i.S.v. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO und auch die Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO (und damit gleichzeitig die drohende Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 InsO, vgl. § 29 Abs. 1 StaRUG) beseitigen bzw. deren Eintritt verzögern.170 Auch handels- oder steuerbilanzielle Wirkungen können im Rahmen eines Rangrücktritts berücksichtigt werden, indem bspw. Gesellschafterdarlehen als Genussrechte ausgestaltet werden, um auf Seiten des finanzierenden Gesellschafters als Fremd- und auf Seiten der Gesellschaft als Eigenkapital zu gelten. Infolge eines Rangrücktritts bleiben die zur Besicherung der betroffenen Restrukturierungsforderungen bestellten Sicherheiten zwar grundsätzlich bestehen, zu Lasten der nunmehr nachrangigen Gläubiger besteht in einer anschließenden Insolvenz des Restrukturierungsschuldners aber in der Regel ein Vollstreckungshindernis, so dass sie keine abgesonderte Befriedigung verlangen können. Dies gilt nach Maßgabe der konkreten Sicherungsabrede grundsätzlich auch für Drittsicherheiten, die durch verbundene Unternehmen gestellt wurden.171 Im Gleichlauf hierzu können die Planersteller sodann deren Kürzungen auf Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Abs. 4 StaRUG vorsehen. Auch wenn ein Eingriff in besicherte Restrukturierungsforderungen oder die Absonderungsanwartschaften schon im Lichte des Schlechterstellungsverbots (§ 64 Abs. 1, § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) besonderen Anforderungen unterliegt, können auf diesem Weg neue Finanzierungen i.S.v. § 12 Satz 1 StaRUG mit werthaltigen Sicherheiten ausgestattet werden. Auch für einen kraft Restrukturierungsplan vorgenommenen qualifizierten Rangrücktritt gelten die allgemeinen Anforderungen, insbesondere muss der Rangrücktritt auf Dauer ausgerichtet sein 168 Insgesamt Grell/Schormair in Theiselmann, PraxisHdb. des RestruktR, 4. Aufl. 2020, Kap. 11 Rz. 49 ff. 169 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 25; Ringelspacher/Ruch, ZRI 2020, 636, 638. 170 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 25; ergänzend Grell/Schormair in Theiselmann, PraxisHdb. des RestruktR, 4. Aufl. 2020, Kap. 11 Rz. 81. Zur Ausgestaltung grundlegend BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, ZIP 2015, 638. 171 Vgl. Mock in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 19 InsO Rz. 233 ff.; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, 2017, § 49 Rz. 12; ebenfalls Grell/Schormair in Theiselmann, PraxisHdb. des RestruktR, 4. Aufl. 2020, Kap. 11 Rz. 82.

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§ 2 Rz. 70 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse und im Interesse des Gläubigerschutzes eine (finale) Bindung der Vertragsparteien an die Rangrücktrittserklärung anerkennen,172 wenn der qualifizierte Rangrücktritt die Passivierungspflicht entfallen lassen soll. Zudem ist er als Vertrag zugunsten Dritter auszugestalten, der nur unter Beteiligung der übrigen Gläubiger wieder aufgehoben werden kann.173 Damit besteht über das Restrukturierungsverfahren eine weitergehende Bindung der sodann nachrangigen Gläubiger und des Schuldners. Umgekehrt könnte eine Restrukturierungsforderung, die einem solchen Rangrücktritt unterfällt, kraft Restrukturierungsplan gestaltet werden, ohne alle Gläubiger einzubeziehen. 71 Innerhalb komplexer Finanzierungsstrukturen wäre zu überlegen, ob einfache (mithin

schuldrechtliche) oder relative Rangvereinbarungen mit in den Restrukturierungsplan aufgenommen werden können, um bestehende und neue Finanzierungen und die insoweit gewachsene oder neue Sicherheitenstruktur einer risikogerechten (Wasserfall-)Regelung zu unterwerfen. Auch die in diesem Zusammenhang zu treffenden Rangvereinbarungen wären als Regelung in Bezug auf die jeweilige Restrukturierungsforderung (nicht jedoch als Regelung zwischen den Gläubigern) innerhalb der Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG als zulässig zu betrachten und könnte als „sonstige Regelung“ auf die Generalklausel des § 7 Abs. 2 StaRUG gestützt werden. Zudem wäre als Teil von bestehenden, übergreifenden Gläubigervereinbarungen eine Gestaltung unter Rückgriff auf die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG möglich. Soweit allerdings die Gestaltung einer Rangvereinbarung weder als (neue) Regelung zwischen den Gläubigern auf § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG noch nur im Verhältnis zum Schuldner auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gestützt werden kann, tritt trotz unabweisbarem Bedarf eine „Gestaltungslücke“ hervor,174 die in vielen Fällen allerdings praktisch durch die Dynamik der übrigen zwangsweise durchsetzbaren Gestaltungsmöglichkeiten in den Hintergrund treten wird.

dd) Umtausch von Forderungen (insbesondere zum Debt-Equity-Swap) 72 Auf dem Weg über einen Restrukturierungsplan ist es möglich, Restrukturierungsforderungen

in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Restrukturierungsschuldner umzuwandeln. Ein damit angesprochener Debt-Equity-Swap kann durch einen Restrukturierungsplan begleitet und erforderliche Gestaltungen dort vorgesehen werden.175 Erforderlich ist im Gleichlauf zur insolvenzrechtlichen Vorbildvorschrift des § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO aber die Zustimmung der betroffenen Gläubiger, vgl. § 7 Abs. 4 Satz 2, § 15 Abs. 2 StaRUG, wodurch ihr Recht auf (negative) Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG gesichert wird. Stimmt ein planbetroffener Gläubiger einer Restrukturierungsforderung der Umwandlung nicht zu, ist für ihn eine Barabfindung vorzusehen.176 Zumeist erfolgt ein solcher Umtausch sodann im Zuge einer Sachkapitalerhöhung. Die Restrukturierungsforderungen werden sodann als Sacheinlage in die Gesellschaft eingebracht. Rechtstechnisch erfolgt die Erfüllung der Sacheinlageverpflichtung durch Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB) oder Abtretung (§§ 398 ff. BGB). Die Forderungen

172 Grundlegend BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, ZIP 2015, 638 Rz. 38; BGH v. 1.3.2010 – II ZR 13/09, ZIP 2010, 1078 Rz. 10. 173 Siehe BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, ZIP 2015, 638 Rz. 35, 42; ebenfalls Bußhardt in Braun, 8. Aufl. 2020, § 19 InsO Rz. 23 f. 174 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 32. 175 Insgesamt Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 30 ff.; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 20; s. ergänzend die gesellschaftsrechtliche Würdigung von Seibt/Bulgrin, DB 2020, 26. 176 BT-Drucks. 19/24181, S. 113; hierzu Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 70 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 74 § 2

gegen die Gesellschaft erlöschen durch Erfüllung bzw. Konfusion.177 Aufrechnungen oder Abtretungen können als unter die Generalklausel fallende „sonstige Regelungen“ i.S.v. § 7 Abs. 2 StaRUG im Restrukturierungsplan vorgesehen werden.178 Diese Generalklausel unterscheidet folglich nicht zwischen schuldrechtlichen Gestaltungen, schuldrechtlichen Verfügungen und sachenrechtlichen Rechtsgeschäften.179 Die (zwangsweise) Regelung der Umsetzungsschritte im Restrukturierungsplan kann sich anbieten, um Anfechtungsrisiken zu begegnen (§ 90 Abs. 1, §§ 129 ff. InsO, § 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4, 5 InsO).180 Zu den Risiken eines Debt-Equity-Swaps in Ansehung des Erwerbs einer Gesellschafterposition durch die betroffenen Restrukturierungsgläubiger s. Rz. 231 a.E. Der klassische Tausch von Fremd- gegen Eigenkapital zur Reduzierung der Passivseite und 73 Neuordnung der Kapitalstruktur wird in der Praxis eher selten in Reinform umgesetzt. Getrieben durch steuerrechtliche Gesichtspunkte oder durch die Scheu einzelner Restrukturierungsgläubiger, eine Gesellschafterstellung einzunehmen, gibt es in der Praxis sehr unterschiedliche Swap-Strukturen. Eine dieser Strukturen ist der Tausch einer besicherten gegen eine nachrangige Forderung, gegebenenfalls in Verknüpfung mit einer Wandelschuldverschreibung, die den Inhabern der nachrangigen Forderungen die Option auf den Eintausch in Gesellschaftsanteile am Restrukturierungsschuldner zusichert (sog. Debt-Debt-Swap). Können Restrukturierungsforderungen ausweislich § 7 Abs. 4 Satz 1 StaRUG in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte umgewandelt werden, muss erst recht ein Austausch einer besicherten gegen eine nachrangige Forderung, etwa durch deren gegenseitige Abtretung, möglich sein.181 Einer anderen Struktur zufolge erwirbt ein neuer Gesellschafter das Eigenkapital an der Gesellschaft und übernimmt im Gegenzug (teilweise) die zu reduzierenden Finanzverbindlichkeiten durch eine privative Schuldübernahme oder durch Ausgabe eines neuen (beschränkten) Schuldtitels. Für diese Umsetzungsformen wird in aller Regel mit Verpflichtungserklärungen (§ 15 Abs. 3, § 71 Abs. 2 StaRUG) und/oder, insbesondere zur Sicherstellung der notwendigen Chronologie der Restrukturierungsschritte, mit aufeinander bezogenen Bedingungen in den einzelnen Umsetzungsdokumenten oder einer übergreifenden Sanierungs(umsetzungs-)vereinbarung (Restructuring (Implementation) Agreement) gearbeitet, um die Komplexität der Restrukturierung zu reduzieren. Gegebenenfalls muss bei der Übernahme von Verbindlichkeiten zusätzlich die Zustimmung der betreffenden Gläubiger vorliegen. ee) Übernahme von Verbindlichkeiten Soweit im Restrukturierungsplan die Übernahme von Verbindlichkeiten, also sog. Debt-Push- 74 Up bzw. Debt-Push-Down, als Entschuldungsmaßnahme vorgesehen ist, handelt es sich um befreiende Schuldübernahmen i.S.v. §§ 414, 415 BGB. Sie können als Teil eines Gesamtkon177 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 50 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. Schlitt/Meiisel/ Hautkappe/Schmidt-Ehemann/Blöcker/Wilms in Theiselmann, PraxisHdb. des RestruktR, 4. Aufl. 2020, Kap. 11 Rz. 75 f. 178 Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 16; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 50 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 179 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 50 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 180 Zu den Anfechtungsrisiken im Zuge eines Debt-Equity-Swaps Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, 2020, Rz. 464 ff.; Wirsch, NZG 2010, 1131 ff. Zum Anfechtungsrecht im StaRUG Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 32 ff. Zur Umsetzung des Debt-EquitySwaps unter Einbeziehung von Zweckgesellschaften und (zwangsweisen) Abtretungen durch die Restrukturierungsgläubiger Rz. 67. 181 Insgesamt Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 26; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 21. Bei einem Debt-Debt-Swap geht es primär um den Gläubigerwechsel, also die Übertragung der Forderungsinhaberschaft, d.h. nicht um die mit dem Tausch verbundene Aufnahme in einen gesellschaftsrechtlichen Zusammenschluss z.B. die zwischen den Konsorten meist bestehende (Innen-)GbR. Mit Blick auf Art. 9 Abs. 1 GG ergeben sich daher keine Hürden.

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§ 2 Rz. 74 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse zepts z.B. für eine Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft oder eine die Konzernfinanzierung tragende Zwischengesellschaft, gegebenenfalls aber ebenso durch einen Dritten, angeboten werden und bedürften der Zustimmung der betroffenen Gläubiger.182 Denn damit wird tief in die bestehende Vertrags- und Sicherheitenstruktur eingegriffen, weil den beteiligten Restrukturierungsgläubigern ein neuer Vertragspartner und Schuldner aufgezwungen wird. Dies mag zwar verglichen zu einer der übrigen Gestaltungsmöglichkeiten (z.B. einer Forderungskürzung oder Gestaltung von Höhe, Fälligkeit oder Rang der Forderung) weniger einschneidend sein, doch kommt dem privativen Austausch des Haftungssubjekts aus Sicht des Gläubigers eine besondere Gestaltungsqualität zu. Aus diesem Grund steht die Möglichkeit, Schuldübernahmen i.S.v. §§ 414, 415 BGB im Restrukturierungsplan vorzusehen, zunächst in Frage, wenn nicht alle betreffenden Gläubiger zustimmen. Im Übrigen mögen auch regulatorische Hürden bestehen (z.B. bankeninterne Vorgaben, Know-Your-Customer-Checks), die hinsichtlich solcher Entschuldungsmaßnahmen neben weiteren bestehenden praktischen Umsetzungsschwierigkeiten betreffend die Berücksichtigung von Debt-Push-Up und -Down in der (bestehenden) multilateralen Finanzierungs- und Sicherheitenstruktur weitreichende Probleme aufwerfen.183 Zur Umsetzung von Entschuldungsmaßnahmen gegen eine blockierende Minderheit, die gerade die Übernahme von Verbindlichkeiten beinhalten, könnte allerdings auf Wahlmöglichkeiten zurückgegriffen werden, die neben einer – mehrheitlich getragenen – zwangsweisen Gestaltung aller Restrukturierungsforderungen eine freiwillige Alternativgestaltung vorhält. So könnte für alle Forderungen eine Kürzung vorgesehen werden, die erforderlich ist, wenn man die Restrukturierungsforderungen auf der Ebene des Restrukturierungsschuldners hält, und alternativ die erforderlichen (freiwilligen) Maßnahmen zur Umstrukturierung der Konzernfinanzierung. Regelmäßig wird das darin liegende wirtschaftliche Druckpotential ausreichen, die erforderliche Zustimmung der einzelnen am Debt-DebtSwap Beteiligten sicherzustellen. Zudem ließe sich über eine zusätzliche Besicherung der durch den Dritten als Schuldner zu übernehmenden Restrukturierungsforderung verbunden mit einer internen Freistellung in Höhe der mitübernommenen Schuld durch den übernehmenden Dritte (z.B. die Muttergesellschaft) nachdenken, wenn sich damit etwaige Bedenken hinsichtlich (der Gestaltbarkeit) des Schuldnerwechsels adressieren lassen. ff) Rechtswahl 75 Möglich soll es auch sein, das auf eine Restrukturierungsforderung anwendbare Recht für die

Zeit ab Bestätigung des Restrukturierungsplans zu bestimmen (grundlegend zum internationalen Recht im StaRUG Rz. 268).184 Die Brisanz einer solchen Gestaltungsmöglichkeit kraft Mehrheit zeigt sich allerdings eher mit Blick auf mehrseitige Rechtsverhältnisse und Verträgen zu gleichlautenden Bedingungen i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 StaRUG, da die Rechtswahl dort neue Restrukturierungsmöglichkeiten für die Zukunft eröffnen könnte (s. Rz. 194). gg) Einzelbestimmungen bilateraler Finanzierungen

76 Die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG lässt im Wechselspiel mit § 7 Abs. 1, 2

StaRUG zu, dass Restrukturierungsforderungen (oder Absonderungsanwartschaften) mittels Restrukturierungsplan gekürzt, gestundet oder gesichert oder sonstigen Regelungen unterworfen werden. Soweit im Übrigen die Gestaltung von Einzelbestimmungen und Bedingungen aus bilateralen Finanzierungen bereits im Rahmen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG angedacht wird, ist große Zurückhaltung angebracht. Das gilt jedenfalls außerhalb einer Überschnei182 Allgemein zur rechtlichen Struktur der Schuldübernahme in Form der Verfügungs- und Angebotstheorie Heinemeyer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2019, § 415 BGB Rz. 1. 183 Ausführlich Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 22. 184 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 50 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 78 § 2

dung mit der Gestaltungsbefugnis nach § 2 Abs. 2 StaRUG (zur Begriffsbestimmung der Einzelbestimmungen und Bedingungen Rz. 184) und damit vor allem für Finanzkennzahlen (Financial Covenants), Zusicherungen und allgemeine Verhaltenspflichten sowie Kündigungsgründe innerhalb von bilateralen Kreditverträgen. Sie können nicht, etwa aufgrund einer vorgehaltenen „sonstigen Regelung“, gestaltet und so den Erfordernissen des jeweils einschlägigen Restrukturierungssachverhalts angepasst werden. Das trifft dann auch auf die zwangsweise Erweiterung des Verwendungszwecks einer Kreditlinie sowie die Wiedereröffnung einer bilateralen Kreditlinie zu, wenn die vereinbarten Auszahlungsvoraussetzungen nach wie vor nicht erfüllt sind.185 Im Übrigen würden in beiden zuletzt genannten Fällen die in § 12 Satz 1 StaRUG gesetzten Grenzen der Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG i.V.m. § 7 Abs. 1, 2 StaRUG überschritten. Gegen die Gestaltbarkeit solcher Einzelbestimmungen und Bedingungen spricht zuerst § 7 77 Abs. 3 StaRUG, der die Gestaltung von Einzelbestimmungen dem Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 StaRUG zuweist.186 Zudem mag hierfür auch die Änderung des § 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 StaRUG mit dem RegE streiten. Nachdem in § 4 Abs. 2 Satz 1 StaRUG-RefE noch „vertragliche Nebenbestimmungen, denen die Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften unterliegen“, für gestaltbar erklärt wurden und sich auch eine weitere Differenzierung hinsichtlich der Verträge zu gleichen Bedingungen noch nicht fand, wurde mit § 4 Abs. 2 Satz 1 StaRUG-RegE, dessen Formulierung § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG entspricht, eine Beschränkung auf mehrseitige Rechtsverhältnisse und zugleich mit § 4 Abs. 2 Satz 2 StaRUG-RegE der jetzige § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG eingeführt.187 Dies könnte als eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers interpretiert werden, nach der Einzelbestimmungen und Bedingungen – vor dem Hintergrund etwaiger Überschneidungen mit Ausnahme der bereits nach § 7 Abs. 1, 2 StaRUG möglichen Gestaltungen z.B. von Fälligkeiten – vornehmlich auf Grundlage der Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 StaRUG gestaltbar sein sollen. Es müssen also entweder mehrseitige Rechtsverhältnisse vorliegen oder jedenfalls Verträge zu gleichlautenden Bedingungen, mit einer Vielzahl an Gläubigern geschlossen wurden. Ein mehrseitiges Rechtsverhältnis lässt sich im Fall bilateraler Finanzierungen in der Regel nicht direkt erkennen. Jedoch wird die Frage aufzuwerfen sein, ob von der Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG nicht auch solche Sachverhalte erfasst sein können, in denen eine Vielzahl von Verträgen mit Gläubigern abgeschlossen wurden, die zwar nicht inhaltlich identisch sind, doch (jedenfalls) hinreichend vergleichbar sind (s. Rz. 168 f.) und/oder zwar bilateral vereinbart, aber durch eine überspannende Sicherheiten- oder Gläubigervereinbarung risikotechnisch miteinander verbunden sind (s. Rz. 176).188 hh) Wahlrechte Als sonstige Planregelung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG i.V.m. § 7 Abs. 2 Satz 1 StaRUG dürf- 78 ten aber Wahlrechte gelten, die z.B. die Stundung von ungekürzten Restrukturierungsforderungen vorsehen und alternativ die Auszahlung unter Kürzung der betreffenden Restrukturierungsforderungen. Da jedem das Wahlrecht zusteht, verstoßen solche Regelungen nicht gegen § 10 Abs. 1 StaRUG (vgl. § 226 Abs. 1 InsO), der innerhalb jeder Gruppe die Gleichbehandlung der Planbetroffenen fordert.189 Ebenso dürfte möglich sein, im Ausgangspunkt zunächst eine planmäßige Kürzung oder Fälligkeitsverschiebung vorzusehen, es den Planbetroffenen 185 S. ergänzend Grell/Schormair in Theiselmann, PraxisHdb. des RestruktR, 4. Aufl. 2020, Kap. 11 Rz. 73, 75. 186 In diese Richtung Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 48. 187 Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 6; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 438; Wilkens, WM 2021, 573, 377. 188 Diese Frage zuerst aufwerfend Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 35 a.E. 189 Vgl. Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 217 InsO Rz. 109, § 222 InsO Rz. 42.

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§ 2 Rz. 78 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse als Teil eines Plan-Wahlrechts darüber hinaus freizustellen, ob sie anstelle dessen nicht die betroffenen Restrukturierungsforderungen (möglichst ungekürzt) in eine neuaufgesetzte Konsortialkreditfinanzierung gem. § 12 StaRUG zur Refinanzierung überführen wollen. Die mehrheitlich einführbare Wahlmöglichkeit erweitert die Gestaltungsvarianten eines Plans in den Bereich der Freiwilligkeit, indem neben die zwangsweise Gestaltung eine von Seiten des Planerstellers gewünschte und gegebenenfalls auf Seiten der interessierten Planbetroffenen mitgetragene Alternative gestellt wird, und ist daher gerade im Kontext von Refinanzierungen bzw. Amend and Extend-Lösungen von Bedeutung. 4. Sonderthema: Staatshilfen zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Covid19-Pandemie im Restrukturierungsplan 79 Eine andere Frage als nach der möglichen Einbeziehung und Gestaltung von Rückforderun-

gen europarechtswidriger staatlicher Beihilfen (s. Rz. 48), ist diejenige, ob und inwieweit sonstige Forderungen staatlicher Stellen am Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen teilnehmen können und sich im Restrukturierungsplan bspw. mit Forderungskürzungen und anderen weniger einschneidenden Gestaltungen adressieren lassen.190 Diese Fragen stellen sich bspw. mit Blick auf Steuerforderungen (s. Rz. 46 f.) oder die Staatshilfen zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie und daraus resultierende Rückzahlungsansprüche der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), ihren Finanzierungspartnern oder von anderen Institutionen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme.191 Gegenseitige Berührungspunkte des Restrukturierungsrechts und des Wettbewerbsrechts der Europäischen Union sowie damit des Beihilfenrechts erkennt auch ErwGr. 79 Restrukturierungs-RL, ohne allerdings die hier aufgeworfenen Fragen zu adressieren.192 Schließlich können § 7 Satz 1 COVInsAG sowie die insolvenzplanrechtlichen Erkenntnisse hierüber weiteren Aufschluss geben.

80 Grundsätzlich ist von der Möglichkeit auszugehen, auch im Rahmen von staatlichen Program-

men zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie gewährte Finanzierungen in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen einzubeziehen und die daraus resultierenden Restrukturierungsforderungen innerhalb eines Restrukturierungsplans zu gestalten. Dies bestätigt mittelbar § 7 Satz 1 COVInsAG, der vorsieht, dass der Zusammenhang einer Forderung mit einem staatlichen Covid-19 Hilfsprogramm (sozusagen die „Staatlichkeit der Finanzierung“)193 kein geeignetes Differenzierungskriterium innerhalb der Einbeziehungserwägungen (§ 8 StaRUG) und Gruppenbildung (§ 9, § 222 InsO) darstellt.194 Ersichtlich geht diese Norm im Ausgangspunkt davon aus, dass auch Forderungen staatlicher Stellen in ein Insolvenzverfahren oder den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen einbezogen und dort auch gestaltet werden können.

81 Werden Forderungen staatlicher Stellen in einem Insolvenzplan gestaltet und sind für sie

etwa Forderungskürzungen vorgesehen, besteht die Gefahr, dass dies als Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV verstanden wird und daher die Gestaltung der Notifizierungspflicht unterfällt. In diesen Fällen wäre eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Gestaltung im Notifizie190 Ausführlich Hölzle/Wendt, ZRI 2021, 953; Thole, ZIP 2022, 97. 191 Die KfW haftet teilweise allein im Innenverhältnis gegenüber der Hausbank und ist nicht planbetroffen, insg. Hunsalzer, ZInsO 2021, 1469. Gleichwohl handelt es sich insoweit jeweils um Forderungen staatlicher Stellen, jedenfalls vor dem Hintergrund des hier maßgeblichen Beihilferechts (vgl. Art. 107 Abs. 1 AEUV), s. hierzu Soltész/Hoffs, NZKart 2020, 189. 192 Hierzu Cranshaw in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, Kommentierung der Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz (EU) 2019/1023, Teil 1, VII. Konkurrenzen der RestruktRL (EU) 2019/1023 mit Problemfeldern des Primärrechts der EU außerhalb von Insolvenz und Sanierung, Rz. 54 f. 193 Thole, ZIP 2022, 97, 104. 194 Hunsalzer, ZInsO 2021, 1469, 1474.

84 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 83 § 2

rungsverfahren bis zur Insolvenzplanbestätigung abzuwarten bzw. insoweit der Insolvenzplan mit einer Bedingung i.S.v. § 249 InsO auszustatten, wodurch das Gelingen der vorgesehenen Restrukturierung im Insolvenzplanverfahren schon aufgrund der zeitlichen Verzögerung gefährdet werden kann. Eine vergleichbare Transaktionsgefahr entstünde, sollten die Implikationen des europäischen Beihilferechts missachtet werden und ein Insolvenzplan ohne weiteres zur Bestätigung gebracht werden, da die Europäische Kommission ein Prüfverfahren doch auch von Amts wegen einleiten und dieses schließlich zur Nichtigkeit des bestätigten Insolvenzplans führen kann.195 Bliebe aus diesen Gründen eine Gestaltung keine echte Option, wären gegebenenfalls beträchtliche Forderungen staatlicher Stellen und eine durch sie ausgelöste Existenzgefährdung des Insolvenzschuldners nicht mittels eines Insolvenzplans zu adressieren.

Diesem doch unbefriedigenden Ergebnis, dass allein die beihilferechtlichen Verfahrensabläufe 82 die Umsetzung des Insolvenzplans gefährden, tritt aber entgegen, dass die Notifizierungspflicht entfallen kann, wenn durch die jeweilige im Insolvenzplan vorgesehene Gestaltung schon keine Begünstigung des Insolvenzschuldners und damit keine Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt. Eine Begünstigung soll mit der Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich vorgesehener Zahlungserleichterungen allein vorliegen, wenn das „Unternehmen in Anbetracht der Bedeutung des hiermit gewährten wirtschaftlichen Vorteils derartige Erleichterungen offenkundig nicht von einem privaten Gläubiger erhalten hätte, der sich in einer möglichst ähnlichen Lage befindet wie der öffentliche Gläubiger und von einem Schuldner, der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet, die Zahlung der ihm geschuldeten Beträge zu erlangen sucht.“196 Beihilfen liegen danach also nicht vor, wenn die betreffenden Maßnahmen der staatlichen Stellen als Zahlungserleichterungen den sog. Private-Creditor-Test bestehen. Dieser fragt danach, ob das Verhalten der staatlichen Stellen mit demjenigen eines privaten Gläubigers vergleichbar ist, der sich in derselben Situation gegenüber seinem Schuldner befindet.197 Überträgt man diese Rechtsprechung des EuGH auf das Insolvenz- bzw. Restrukturierungs- 83 planverfahren kann auch dort trotz Zahlungserleichterungen etwa in Form von Forderungskürzungen oder Stundungen, welche im Plan vorgesehen werden, eine Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV mangels Begünstigung ausscheiden. Maßgeblich ist auch hier, dass sie durch die Übrigen privaten Gläubiger in gleicher Art und Weise mitgetragen werden, sie sich also aus (allein) wirtschaftlichen Gesichtspunkten auf den Insolvenzplan einlassen.198 Insoweit nehmen das Abstimmungsverhalten (vgl. § 244 InsO, § 25 StaRUG) sowie die Vergleichsrechnung (vgl. § 220 Abs. 2 Satz 2 InsO bzw. § 6 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) eine besondere Stellung bei der Beurteilung ein und damit die Frage, ob der Private-Creditor-Test die Zahlungserleichterungen durch die staatlichen Stellen zulässt. Denn in dieser Situation ist für einen privaten Gläubiger im Wesentlichen nur noch die Abwägung der Befriedigungsaussichten im Regelinsolvenzverfahren mit denen im Plan entscheidend. Diese der Entscheidung über die Annahme des Plans zugrunde liegende Frage ist sodann schon Gegenstand der Vergleichsrechnung, welche im darstellenden Teil des Insolvenzplans vorgehalten wird und ausschließen soll, dass ein Gläubiger durch den Plan schlechter gestellt wird als in einem alternativ zu durchlaufenden Regelinsolvenzverfahren. Weist die Vergleichsrechnung sodann eine bei Umsetzung des Plans zu erwartende Gläubigerbefriedigung aus, welche diejenige im Regelinsolvenzverfahren übersteigt, mag allein dies bedeuten, dass der Private-Creditor-Test als bestanden gilt.199 Ein Indiz

195 Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 133 f. 196 EuGH v. 24.1.2013 – C-73/11 P – Frucona Košice/Kommission, BeckRS 2013, 80149 Rz. 72; hierzu Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 140. 197 EU COM (2016) 723 final v. 22.11.2016, S. 12; s. auch Hunsalzer, ZInsO 2021, 1469, 1474. 198 Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 139. 199 Insg. Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 143 f.; vgl. auch Thole, ZIP 2022, 97, 104.

Herding/Krafczyk | 85

§ 2 Rz. 83 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse dafür, dass auch ein privater Gläubiger in der Situation Zahlungserlass gewähren würde, stellt dann das Abstimmungsverhalten der anderen Gläubiger in der Gruppe dar, in der auch staatliche Stellen eingeordnet sind.200 Nur wenn der Plan auch von den übrigen privaten Gläubigern innerhalb der Gruppe nicht mehrheitlich angenommen wurde und deren Zustimmung vielmehr im Rahmen der §§ 245 f. InsO bzw. § 26 f. StaRUG ersetzt wurde, mögen Zweifel am Bestehen des Private-Creditor-Tests aufkommen.201 Wird die Befriedigung im Plan schließlich plausibel hergeleitet, diese vom Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter mitgetragen und innerhalb der Vorprüfung nach § 231 InsO bzw. §§ 46, 47, 60, 63 StaRUG auch vom Insolvenzbzw. Restrukturierungsgericht nicht beanstandet, gilt die Zustimmung der privaten Gläubiger zum Insolvenzplan der Gruppe, in der auch die staatlichen Stellen abstimmen, als vorzugswürdige Entscheidung auch für die staatlichen Stellen. Damit wäre schließlich der Private-Creditor-Test bestanden und vorgesehene Gestaltungen mangels Begünstigung nicht als Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen. 84 Geht man diesen Weg für den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen also mit,202

sind Forderungen staatlicher Stellen – im Einklang mit § 7 Satz 1 COVInsAG – auch dort einzubeziehen und gestaltbar, jedoch ergeben sich aufgrund der Parallelbetrachtung zum Insolvenzplanverfahren weitere Beschränkungen und Hürden für die Gestaltbarkeit solcher Forderungen, insbesondere nach Maßgabe des Private-Creditor-Test (s. Rz. 47). Obgleich § 7 Satz 1 COVInsAG also eine geeignete Vergleichsgruppe an privaten Gläubigern sicherstellt, mit denen gemeinsam die wirtschaftliche Marktkonformität von Zahlungserleichterungen mittels Restrukturierungsplan überprüft wird, sollte aus Gründen der Rechts- und Transaktionssicherheit ein besonderer Fokus auf die auch hier notwendige Vergleichsrechnung, ggf. auf Basis der Annahme der Fortführung, gelegt (§ 6 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) und bereits in der (gemeinsamen) Gruppe der privaten Gläubiger und staatlichen Stellen die nach § 25 StaRUG erforderliche Mehrheit sichergestellt werden, also insoweit – will man sicher gehen – eine Ersetzung der Zustimmung in der Gruppe auf Grundlage der §§ 26 ff. StaRUG vermieden wird. 5. Wirkungen der Gestaltungen

85 Ist im Restrukturierungsplan nichts anderes bestimmt, wird der Restrukturierungsschuldner

gem. § 11 Satz 1 StaRUG mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen aus den in den Plan einbezogenen Restrukturierungsforderungen befreit.203 Diese Wirkungen sind aus § 227 InsO bekannt. Der Normzweck zeigt sich gerade, wenn parallel § 201 InsO betrachtet wird, der im Sinne eines Nachforderungsrechts für die restlichen Forderungen der Insolvenzgläubiger nach Aufhebung eines Regelinsolvenzverfahrens im Grundsatz bestimmt, dass sie im Anschluss fortbestehen. Diesem Regelungsansatz entgegen sollen § 11 Satz 1 StaRUG sowie § 227 InsO gewährleisten, dass dem Schuldner durch die angeordnete Bereinigung seiner Verbindlichkeiten ein Neuanfang ermöglicht wird.204

200 Vgl. Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 145. 201 Vgl. Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz. 145 f. 202 So etwa Cranshaw in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, Kommentierung der Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz (EU) 2019/1023, Teil 1, VII. Konkurrenzen der RestruktRL (EU) 2019/1023 mit Problemfeldern des Primärrechts der EU außerhalb von Insolvenz und Sanierung, Rz. 54. 203 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 117; ergänzend Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 35 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 204 Ausführlich Tasma in Flöther, 2021, § 12 StaRUG Rz. 23 unter Verweis auf die Kommentierung zur insolvenzrechtlichen Parallelkommentierung mit Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, § 227 InsO Rz. 1 (Stand: 71. EL April 2017).

86 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 87 § 2

II. Absonderungsanwartschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) Mit einem Restrukturierungsplan können gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG zudem Absonde- 86 rungsanwartschaften unter Einhaltung vor allem der Vorgaben aus § 7 Abs. 1, 2 StaRUG gestaltet werden, also die an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens bestehenden Rechte, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen würden. Voraussetzung der Gestaltbarkeit ist, dass die Absonderungsanwartschaft vor dem maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG begründet worden ist. Terminologisch nimmt das StaRUG vorinsolvenzlich die späteren insolvenzrechtlichen Wirkungen der Verfahrenseröffnung vorweg, indem der Begriff der Absonderung und die erfassten (Absonderungsanwartschafts-)Rechte im insolvenzrechtlichen Kontext erst dann bestimmbar werden.205 Für die Ermittlung der im Restrukturierungsplan gestaltbaren Absonderungsanwartschaften ist demnach eine „hypothetische Vergleichsbetrachtung“206 maßgeblich. Tatbestandlich nicht in § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG angesprochen, sind etwaige Voraussetzungen bzw. Besonderheiten in Cross-Border-Restrukturierungssachverhalten, insbesondere inwieweit Rechte an im Ausland belegenen Gegenständen gestaltbar sind, so dass hier eine erhöhte Aufmerksamkeit der Planersteller anzuraten ist (hierzu Rz. 283). Auch für Absonderungsanwartschaften können die Ausnahmeregelungen des § 4 StaRUG zu berücksichtigen sein, bspw. im Zusammenhang mit sog. Contractual Trust Agreements (CTA) für Pensionsverbindlichkeiten. Werden Absonderungsanwartschaften in den Restrukturierungsplan einbezogen und gestaltet, ist anzugeben, um welchen Bruchteil diese gekürzt, für welchen Zeitraum sie gestundet und welchen sonstigen Regelungen sie unterworfen werden sollen. Im Übrigen bilden die betroffenen Inhaber der Absonderungsanwartschaften gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StaRUG eine eigene Gruppe. Im Rahmen der Stimmrechtsverteilung ist zudem ihre Doppelstellung zu beachten, wenn sie sowohl mit ihrem bestehenden Sicherungsrecht – in der Gruppe der Absonderungsanwartschaftsberechtigten (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) – als auch mit ihrer gesicherten Forderung – in der Gruppe der einfachen Restrukturierungsgläubiger (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) – zu berücksichtigen sind. Insoweit wird bei der Stimmrechtsverteilung gem. § 24 Abs. 3 Satz 1, 2 StaRUG der durch die Absonderungsanwartschaft gesicherten Forderung in der Gruppe von Restrukturierungsgläubigern nur insoweit ein Stimmrecht zugeschrieben, wie der Schuldner für die gesicherte Forderung auch persönlich haftet und der Inhaber der Absonderungsanwartschaft auf diese verzichtet oder mit einer abgesonderten Befriedigung ausfällt. Eine Parallelvorschrift zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG und § 7 Abs. 1, 2 StaRUG findet sich in 87 § 223 Abs. 1, 2 InsO, der für das gesamtkollektive Insolvenzverfahren im Grundsatz davon ausgeht, dass Absonderungsrechte vom Plan nicht berührt werden. Soweit im Insolvenzplan eine abweichende Regelung getroffen werden kann (§ 223 Abs. 2 InsO), fußt dies auf der auch für das StaRUG tragenden Überlegung, dass Absonderungsberechtigte häufig trotz bestehender Sicherheiten nicht mit einer vollständigen Befriedigung rechnen können und deshalb ebenfalls zu Zugeständnissen bereit sind, soweit und solange der vorhergesehene Fortführungswert den aktuellen Einzelverwertungswert der Sicherheiten (erneut) übersteigt.207 Folglich kann hier das Schlechterstellungsverbot schon eingreifen, wenn der Einzelverwertungswert der Sicherheiten (einschließlich der Zins- oder Nutzungsentschädigung, vgl. §§ 169, 172 Abs. 1 InsO) durch den Plan unterschritten wird oder die Absonderungsanwartschaftsberechtigen einem erhöhten materiellem Kreditrisiko ausgesetzt werden. Letzteres stellt eine Hürde für Gestaltungen dar, wenn die Rangigkeit und damit die Wahrscheinlichkeit des Ausfalls relevanter Sicherheiten beeinträchtigt und nicht durch die Bereitstellung eines anderen Sicherheitenpakets oder durch Ausgleichszahlungen als festgelegte Rate oder Planquote kompensiert 205 BT-Drucks. 19/24181, S. 111; hierzu Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 3 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 23. 206 Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 2 StaRUG Rz. 7. 207 Smid, Kreditsicherheiten in der Insolvenz, 3. Aufl. 2015, § 27 Rz. 1.

Herding/Krafczyk | 87

§ 2 Rz. 87 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse wird.208 Entsprechendes gilt im Rahmen der § 26 Abs. 1 Nr. 1, § 64 Abs. 1 Satz 1 StaRUG, obgleich aufgrund von § 6 Abs. 2 Satz 2 StaRUG bei der Wertermittlung der Sicherheiten grundsätzlich eine Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen ist.209 Maßgeblich ist im Anschluss daran grundsätzlich der Vergleich zum „nächstbesten Alternativszenario“ und nicht ein im Insolvenzverfahren maßgebliches Liquidationsszenario.210 Im Gleichlauf zum Insolvenzplanverfahren kommt den Absonderungsanwartschaftsberechtigten fußend auf den Minderheitsschutzvorschriften deshalb ein nicht unerhebliches, voraussichtlich sogar im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen erhöhtes Störpotential zu. Eine enge Abstimmung ist mit ihnen daher unerlässlich (§ 26 Abs. 1 Nr. 1, § 64 Abs. 1 Satz 1 StaRUG), schon weil der wirtschaftliche Einigungsdruck für vollständig abgesicherte Gläubiger für die Umsetzungsaussichten gem. § 32 Abs. 4 StaRUG nicht künstlich unterstellt werden kann.211 1. Voraussetzungen a) Gegenstände des schuldnerischen Vermögens 88 Als Absonderungsanwartschaften kommen nur solche Rechte in Betracht, die an Gegenstän-

den des schuldnerischen Vermögens bestehen. Die Bestimmung der durch § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG erfassten Gegenstände stützt sich weder allein auf § 90 BGB noch allein auf § 453 BGB. Als Gegenstände des schuldnerischen Vermögens sind vielmehr alle körperlichen Gegenstände, also beweglichen und unbeweglichen Sachen, genauso wie Forderungen, sonstige Vermögensrechte und immaterielle Güter erfasst, wozu z.B. Grundstücke, (eingetragene) Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge, weiterhin Forderungen aus Lieferung und Leistung, Gesellschaftsanteile sowie Marken- und Patentrechte zählen.212

89 Nicht als Absonderungsrechte gestaltbar sind Rechte an Gegenständen von Dritten. In die-

sen Fällen kann allenfalls die gegen den Restrukturierungsschuldner gerichtete und gesicherte Forderung durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden. In Konstellationen mit Drittbeteiligung gilt es stets § 67 Abs. 3 StaRUG zu beachten. Nach dessen Satz 1 werden insbesondere die Rechte der Gläubiger an Gegenständen, die nicht zum Vermögen des Schuldners gehören, von dem Restrukturierungsplan nicht berührt. So begrenzt die Gestaltung der gesicherten Forderung im Rahmen des Restrukturierungsplans in Fällen akzessorischer Drittsicherheiten nicht die Vollstreckbarkeit der Sicherheit gegenüber dem Dritten. Allerdings wird der Restrukturierungsschuldner durch den Plan gegenüber dem Dritten, der infolge seiner Inanspruchnahme gegebenenfalls einen Rückgriffanspruch erwirbt, von diesen Ansprüchen befreit wie gegenüber dem Gläubiger (vgl. zur Regresssperre § 67 Abs. 3 Satz 2 StaRUG). So sollen die Drittsicherheiten gerade für die Fälle geschützt werden, in denen der Ausfall gegenüber dem Schuldner (und sei es erst infolge von Forderungskürzungen mittels Restrukturierungsplans) droht. Eine Sonderstellung nehmen gruppeninterne Drittsicherheiten ein. In der Praxis finden sich diese bspw. als Teil umfassender Sicherheitenpakete im Rahmen von CashFlow orientierten Finanzierungen im Sub-Investment Grade wieder, die kreditmateriell auf die Ertragskraft einer Unternehmensgruppe im Ganzen abstellen und daher neben den Sicherhei208 Sinz in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 251 InsO Rz. 30; Smid, Kreditsicherheiten in der Insolvenz, 3. Aufl. 2015, § 27 Rz. 1, dort mit Hinweis auf BT-Drucks. 12/2443, S. 200. 209 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 37 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. Rechtmann, WM 2021, 520, 521. 210 Spahlinger, NZI-Beilage 2021, 32, 33 f.; Wilkens, WM 2021, 573, 579. 211 Zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG (auch unter Einbeziehung von § 11 Satz 1 StaRUG) Fridgen in BeckOK/ StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 37 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); außerdem Mordhorst in Lwowski/Fischer/ Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, 10. Aufl. 2017, § 6 Rz. 88; für das Insolvenzplanverfahren nur Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 223 InsO Rz. 11. 212 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 52 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 25; außerdem Wilkens, WM 2021, 573, 576.

88 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 91 § 2

ten der zentral finanzierten Obergesellschaft(en) auch Up-, Cross- und Downstream-Drittsicherheiten durch verbundene Gesellschaften vorsehen. Wird durch den Kreditnehmer ein Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen durch Anzeige der Restrukturierungssache eingeleitet, sind gruppeninterne Drittsicherheiten im Anwendungsbereich von § 2 Abs. 4 Satz 1 StaRUG und zusätzlich unter Rückgriff auf § 7 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2, § 15 Abs. 4 StaRUG als solche gestaltbar (s. Rz. 237). § 67 Abs. 3 StaRUG findet im Fall des § 2 Abs. 4 StaRUG ausdrücklich keine Anwendung. Denn einer Regresssperre bedarf es aufgrund der unmittelbaren Gestaltung der Drittsicherheit – gegebenenfalls im „Austausch“ gegen eine angemessene Entschädigung (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG) – nicht. Schließlich zeigt die Einordnung der Absonderungsrechte in die Systematik aus Eigen-, gruppeninternen und anderen Drittsicherheiten, dass die Gestaltung der gegen den Restrukturierungsschuldner gerichteten und gesicherten Forderungen gleichzeitig mit einem Eingriff in die akzessorischen Eigensicherheiten einhergeht (s. hierzu Rz. 104). b) Rechte, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen aa) Gesetzliche Anknüpfung Der vorinsolvenzliche Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen spricht Absonderungs- 90 anwartschaften i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG als gestaltbare Rechtsverhältnisse an. So ist es möglich, die an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens bestehenden Rechte mit einem Restrukturierungsplan zu adressieren, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen würden.213 Welche Rechte von den vorgesehenen Planregelungen erfasst sein können, richtet sich nach den §§ 49–51 InsO, darüber hinaus nach verschiedenen spezialgesetzlichen Vorschriften, u.a. § 110 VVG, § 76 AO, § 10 ZVG sowie §§ 32 f. DepotG. Auch die dort geregelten Absonderungsanwartschaften können unterschiedslos in einen Restrukturierungsplan einbezogen und durch diesen gestaltet werden.214 bb) Absonderungsrechte (§§ 49–51 InsO) Innerhalb der §§ 49−51 InsO werden Absonderungsanwartschaften unterschieden, die an 91 Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten bestehen, an beweglichen Sachen oder aufgrund einer besonderen Rechtsgrundlage. Zur abgesonderten Befriedigung sind Gläubiger berechtigt, denen ein Grundpfandrecht zusteht (§ 49 InsO). Hierzu zählen Hypotheken (§ 1113 BGB), Grundschulden (§ 1191 BGB) und Rentenschulden (§ 1199 BGB), darüber hinaus auch Rechte an im Schiffsregister eingetragenen Schiffen oder Schiffsbauten (zur Schiffshypothek §§ 8, 76 f. SchiffsRG) und in der Luftfahrzeugrolle eingetragenen Luftfahrzeugen (zu den Registerpfandrechten §§ 1, 5 Abs. 1, § 98 f. LuftFzgG). Eine abgesonderte Befriedigung steht auch den Pfandgläubigern zu (§ 50 InsO). Ebenso als Absonderungsrechte und folglich Absonderungsanwartschaften gelten rechtsgeschäftliche und gesetzliche Pfandrechte an beweglichen Sachen (§ 1204 BGB), Rechten und Forderungen (§§ 1273, 1279 BGB) sowie Pfändungspfandrechte (§ 804 ZPO). Als gesetzliche Pfandrechte zählen bspw. Vermieter- (§ 562 BGB), Verpächter- (§§ 581 Abs. 2, 562 BGB) und Werkunternehmerpfandrechte (§ 647 BGB) sowie das Spediteurspfandrecht (§ 410 HGB). Den unter § 50 InsO fallenden Sicherheiten stehen die nicht-akzessorischen Sicherungsrechte gleich (§ 51 InsO), also insbesondere die Sicherungsübereignung z.B. des beweglichen Anlagevermögens oder Umlaufvermögens (§§ 929, 930, 868 BGB) oder die Sicherungsabtretung (§§ 398, 413 BGB). Letztere erfolgt häufig als 213 BT-Drucks. 19/24181, S. 110; ergänzend Desch, BB 2020, 2498, 2502; Thole, ZIP 2020, 1985, 1988; Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43. 214 Insgesamt Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 33 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Zum Insolvenzplan Beuck in Bork/Hölzle, Hdb. InsR, 2. Aufl. 2019, Kap. 9 Rz. 157 ff.

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§ 2 Rz. 91 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse Globalzession von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, gegen Versicherungen (bspw. aus einer Betriebsunterbrechungs-, Produkthaftpflicht- oder Sachversicherung) oder gruppeninternen Forderungen. Zudem können auch die für den Unternehmenswert ganz entscheidenden Marken-, Patent- und sonstigen gewerblichen Schutzrechte (§§ 398, 413 BGB) Gegenstand einer Sicherungsabtretung oder auch rechtsgeschäftlich bestellter Pfandrechte sein (§§ 1204, 1273 BGB). 92 In der Praxis sind vor allem Absonderungsanwartschaften in Bezug auf Kontoguthaben auf

im Inland geführten Bankkonten von Bedeutung. Sie sind regelmäßig Gegenstand von rechtsgeschäftlichen Verpfändungen oder auch solchen aufgrund der allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken (vgl. Nr. 14 AGB-Banken, Nr. 21 AGB-Sparkassen). Das AGB-Pfandrecht sichert alle bestehenden, künftigen und bedingten Ansprüche, die der Bank mit ihren sämtlichen in- und ausländischen Geschäftsstellen aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung gegen den Restrukturierungsschuldner zusteht. In der Praxis kann für die kontoführende Bank ein AGB-Pfandrecht an einem Kontoguthaben des Schuldners dann einer Einordnung der gesicherten Forderungen als „einfache Restrukturierungsforderungen“ im Weg stehen. Soweit für die notwendigen Mehrheiten in den Gruppen die Einordnung des entsprechenden Forderungsvolumens als Absonderungsanwartschaft oder Restrukturierungsforderung aus strategischen Gründen entscheidend ist,215 wäre eine enge Abstimmung unter Berücksichtigung der zeitliche Gestaltungsgrenze aus § 2 Abs. 5 StaRUG sowie gegebenenfalls auch der anfechtungsrechtlichen Besonderheiten mit den Inhabern der entsprechenden Pfandrechte empfehlenswert.

93 Anders als Realsicherheiten, welche an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens beste-

hen, können gegenüber dem Schuldner bestehende Personalsicherheiten (z.B. Bürgschaften, Schuldbeitritte und Garantien) nicht als Absonderungsanwartschaften gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG gestaltet werden, da sie schon nicht in §§ 49–51 InsO aufgelistet sind. Vielmehr sind solche Personalsicherheiten im Rahmen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG als (bedingte) Restrukturierungsforderungen oder – falls es sich um gruppeninterne Drittsicherheiten handelt – von § 2 Abs. 4 Satz 1 StaRUG erfasst. Dort findet sich eine Beschränkung auf Real(dritt-)sicherheiten nicht.216 cc) Anfechtbare Absonderungsanwartschaften (§§ 129 ff. InsO)

94 Terminologisch zeigt das StaRUG vorweggegriffene insolvenzrechtliche Wirkungen an, indem

sich die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG auf sog. Absonderungsanwartschaften bezieht, und berücksichtigt, dass die abgesonderte Befriedigung aufgrund eines Absonderungsrechts (zeitlich) erst im insolvenzrechtlichen Kontext greifbar wird. Zwar erfasst die Definition der Absonderungsanwartschaften sodann alle bestehenden Rechte an Gegenständen des schuldnerischen Vermögens, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen würden. Dabei spielt die Anfechtbarkeit nach Insolvenzanfechtungsrecht (§§ 129 ff. InsO) und gegebenenfalls Anfechtungsrecht (§§ 3 ff. AnfG) für die Frage des Vorliegens von Absonderungsanwartschaften i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG keine Rolle. Anderenfalls könnten nicht anfechtungsfest erworbene Sicherungsrechte einer Gestaltung als Absonderungsanwartschaft entzogen sein und es bliebe allein die durch sie gesicherten Forderungen als einfache Restrukturierungsforderungen gestaltbar, ohne dass die anfechtbaren Sicherungsrechte – infolge der hier vorgenommen rein hypothetischen Betrachtung des Anfechtungsrechts – aber in der Tat beschränkt würden (vgl. § 143 InsO). Anfechtbare Absonde215 Für den Insolvenzplan Bierbach in Kübler, Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz, 3. Aufl. 2019, § 28 Rz. 79 ff. 216 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 62 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); außerdem Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 70.

90 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 97 § 2

rungsanwartschaften würden vor dem Hintergrund der ansonsten eingreifenden Gestaltungsbefugnisse somit sogar privilegiert. Werden anfechtbar erworbene Absonderungsanwartschaften aber gestaltet, könnte – voraus- 95 gesetzt für den Schuldner bedeutet das „nächstbeste Alternativszenario“ den Einstieg in ein Insolvenzverfahren – ihre Anfechtbarkeit gem. §§ 129 ff. InsO innerhalb der Vergleichsrechnung zu berücksichtigen sein (§ 6 Abs. 2 Satz 1 StaRUG). Gestaltungen der Absonderungsanwartschaften könnten folglich unter erleichterten Voraussetzungen möglich sein, wenn und soweit die Anfechtbarkeit des Sicherungsrechts im konkreten Fall zu berücksichtigen ist und damit ein in der Vergleichsrechnung ansonsten liegendes Störpotential nicht durchgreift. dd) Sicherheiten zugunsten Parallelverpflichtungen (Parallel Debt) Sicherheiten für multilaterale Finanzierungen von Unternehmensgruppen, also insbesondere 96 für syndizierte Kreditverträge, werden regelmäßig von einem sog. Security Agent gehalten. Er verwaltet und hält die (akzessorischen) Sicherheiten treuhänderisch für das Bankenkonsortium. Rechtlich erfordern insbesondere die akzessorischen Sicherungsrechte unter deutschem Recht, dass der Security Agent eine eigene Forderung gegenüber dem Schuldner hält (Gläubigeridentität). Diese zentrale Stellung des Sicherheitentreuhänders wird in der Regel durch eine sog. Parallel Debt zugunsten des Sicherheitentreuhänders ergänzt (dazu Rz. 36 f.). Soweit die Sicherheiten zugunsten einer durch den Sicherheitentreuhänder gehaltenen Parallel Debt bestellt werden, ergeben sich in der Praxis keine Besonderheiten hinsichtlich der Gestaltbarkeit und den möglichen Gestaltungen. Dies gilt für § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG ebenso wie im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 4 StaRUG und damit der Gestaltungbefugnis hinsichtlich gruppeninterner Drittsicherheiten. Insgesamt führt die lediglich rechtstechnische Verdoppelung der Kreditforderungen und damit – durch Besicherung sowohl der Parallel Debt als auch Kreditforderungen – der Sicherheiten zwar zu weiteren Fragestellungen, bspw. zur Frage der Planbetroffenen, der Gruppeneinteilung oder auch mit Blick auf die zu vergebenen Stimmrechte, die in der Praxis für diesen Zweck aber häufig durch Rückgriff auf die Konstellation einer Gesamtgläubigerschaft eingeordnet werden können.217 c) Ausnahmen aa) Aussonderungsrechte (§ 47 InsO) Aussonderungsrechte bzw. „Aussonderungsanwartschaften“ sind im Restrukturierungsplan 97 nicht zwangsweise gestaltbar.218 Dies erklärt sich, wenn bedacht wird, dass Aussonderungsrechte zur haftungsrechtlichen Heraustrennung eines nicht zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstands berechtigten, während Absonderungsrechte insolvenzrechtlich betrachtet bloß auf eine bevorzugte Befriedigung aus dem Verwertungserlös eines massezugehörigen Gegenstands abzielen.219 Daraus ergeben sich im Gleichlauf zu den §§ 49–51 InsO vielzählige Abgrenzungsfragen.220 Dies betrifft vor allem unterschiedliche Fallgestaltungen des Eigentumsvorbehalts, der nur in seiner einfachen Form ein Aussonderungsrecht gem. § 47 InsO begründet.221 Allerdings können Gegenstände, an denen Aussonderungsrechte bestehen, auf freiwilliger Basis in die Restrukturierungsplanung miteinbezogen werden.

217 Hierzu auch Kowalewski/Praß in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 25 StaRUG Rz. 51. 218 BT-Drucks. 19/24181, S. 111; hierzu Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 24; Thole, ZIP 2020, 1985, 1988. 219 Vgl. Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 23. 220 Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 11; Thole, ZIP 2020, 1985, 1988. 221 Thole in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 47 InsO Rz. 38 f. Zum Eigentumsvorbehalt in der Insolvenz Saenger/Scholz, NZI 2021, 561 ff.

Herding/Krafczyk | 91

§ 2 Rz. 98 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse bb) Finanzsicherheiten nach dem Kreditwesengesetz (KWG) 98 Eine explizite Ausnahme beinhaltet § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG mit Blick auf bestimmte Finanz-

sicherheiten nach dem Kreditwesengesetz (KWG), die mit der Gesetzesbegründung auf die Finanzsicherheitenrichtlinie 2002/47/EG222 und die Finalitätsrichtlinie 1998/26/EG223 zurückzuführen sind.224 In Entsprechung zu § 223 Abs. 1 Satz 2 InsO sind Finanzsicherheiten i.S.v. § 1 Abs. 17 KWG sowie Sicherheiten, die dem Betreiber eines Zahlungs- bzw. Abwicklungssystems nach § 1 Abs. 16 KWG zur Absicherung seiner Ansprüche aus dem System, der Zentralbank eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder der Europäischen Zentralbank gestellt wurden, einer Plangestaltung unzugänglich.

d) Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5 StaRUG) 99 Auch wenn der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG nicht ausdrücklich auf die Begründet-

heit der Absonderungsanwartschaften eingeht, ist für ihre Gestaltbarkeit innerhalb eines Restrukturierungsplans grundsätzlich notwendig, dass sie bereits vor dem maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG bestehen. Nur diese Absonderungsanwartschaften sind einer Gestaltung zugänglich. Alle anderen Anwartschaften, die erst nach diesem Zeitpunkt entstehen, genießen Planimmunität. Sie können nicht durch die Regelungen eines Restrukturierungsplans z.B. gekürzt oder gestundet werden. Für sie mag dies allenfalls aufgrund von Einzelzustimmungen möglich sein. Muss das Absonderungsrecht in dem Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG bereits bestehen, bedeutet dies, dass die Sicherheit durch den Abschluss des jeweiligen Sicherheitendokuments bestellt wurde, unabhängig davon, ob – wie bei revolvierenden Sicherungsgütern oder mit Blick auf veränderliche besicherte Forderungen – das Absonderungsrecht an dem konkreten Sicherungsgut oder für eine zukünftige zu besichernde Forderung bereits entstanden ist.225 Damit reicht es nicht aus, dass ein Anspruch auf Sicherheitenbestellung, etwa ein Nachbesicherungsanspruch innerhalb von Konsortialkreditverträgen, besteht und ebenso wenig, dass der Erwerb des Absonderungsanwartschaftsrecht nur eingeleitet (einzelne Erwerbsvoraussetzungen also erfüllt sind), dieser aber noch nicht abgeschlossen ist.226

100 Auch wenn sich laut Gesetzesbegründung der Begriff der Absonderungsanwartschaft i.S.v. § 2

Abs. 1 Nr. 2 StaRUG erst im insolvenzrechtlichen Kontext erschließen lässt,227 ist für die Frage der Gestaltbarkeit von Absonderungsanwartschaften an zukünftigen Sicherungsgütern dennoch die gegenläufige Interessenlage der Inhaber von Absonderungsanwartschaften zu berücksichtigen. So schließt § 91 InsO in Fällen revolvierender Sicherheiten zwar die Entstehung eines Absonderungsrechts für erst zukünftig entstehende Sicherungsgüter aus, um den Abfluss von Vermögenswerten nach Insolvenzeröffnung zu Lasten der Gläubigergesamtheit zu verhindern.228 Dies kann aber in einem vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren für die Frage der Gestaltbarkeit nicht überzeugen, da dies zu einer Planimmunität für Absonderungsanwartschaften in Bezug auf nach dem Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG entstehende Sicherungsgüter führte. Gerade in Ansehung der angestrebten Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Fortführung im Interesse aller sollten die bereits begründeten Sicherheiten vollständig und gerade auch mit Blick auf zukünftige Sicherungsgüter einer Gestaltung mittels Restrukturierungsplan zugänglich sein. Denn nur so kann, sei es aus einer kollektiven, sei es aus einer teilkollektiven Betrachtung heraus jeder Restrukturierungsbeteiligte und -be-

222 223 224 225 226 227 228

ABl. EU Nr. L 168 v. 27.6.2002, S. 43. ABl. EU Nr. L 166 v. 11.6.1998, S. 45. BT-Drucks. 19/24181, S. 111; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 26. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 36. Insgesamt Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 27. BT-Drucks. 19/24181, S. 111. Vgl. Ganter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, Vor §§ 49–52 InsO Rz. 21 ff.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 103 § 2

troffene schließlich durch die „Verwaltung und Verwertung“ der Restrukturierungsmasse an deren Erfolg teilhaben. Die Gestaltbarkeit auch der Absonderungsanwartschaften an zukünftigen Sicherungsgütern stellt vor dem Hintergrund der angestrebten Fortführung damit das restrukturierungsermöglichende „Minus“ dar. Im (vorinsolvenzlichen) Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen orientiert sich die Fra- 101 ge der Gestaltbarkeit von Absonderungsanwartschaften also daran, ob eine Absonderungsanwartschaft zu dem maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG bereits ausreichend begründet ist, wobei gerade weil Sicherungsrechte an zukünftigen Forderungen für die Insolvenz durch § 91 InsO blockiert werden und die Zielrichtung (noch) die Fortführung des Schuldners darstellt, ausreicht, dass die Sicherungsabrede vor dem maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG abgeschlossen wurde.229 In Bezug auf vor dem Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG vereinbarte „revolvierende Sicherheiten“ (also bspw. eine Globalabtretung an Forderungen aus Lieferung und Leistung oder eine Sicherungsübereignung der Waren in einem Warenlager) umfasst die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG auch Absonderungsanwartschaften an einem Sicherungsgegenstand, der erst nach dem relevanten Zeitpunkt entsteht oder in den Sicherungsraum eingebracht wird.230 Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass § 91 InsO demgegenüber bei der Erstellung der Vergleichsrechnung gem. § 6 Abs. 2 StaRUG für ein Insolvenzszenario zu berücksichtigen wäre. Auch Sachverhalte, in denen nicht der Sicherungsgegenstand, sondern die gesicherte Forde- 102 rung erst nach dem Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG entsteht, sind für die Gestaltbarkeit unter Berücksichtigung der eigenständigen Stoßrichtung des vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahrens einzuordnen. Während für nicht-akzessorische Sicherheiten das Entstehen des Absonderungsrechts unabhängig von dem Bestehen der besicherten Forderung unbestritten ist, haftet einer akzessorische Sicherheit für die Forderung in deren jeweiligen Bestand (vgl. § 1210 Abs. 1 BGB). Diese streng akzessorische Sichtweise hat die Rechtsprechung für die Frage des Entstehens einer insolvenzfesten Sicherheit allerdings gelockert, da bei Pfandrechten und Hypotheken das Entstehen der gesicherten Forderung nicht zum Verfügungstatbestand gehören soll.231 Dann sollte die Gestaltbarkeit i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG allein an die übrigen Erwerbsvoraussetzungen (etwa für ein vertragliches Pfandrecht an Forderungen: die Einigung, das Bestehen einer verpfändeten Forderung, die Bestimmtheit und Berechtigung, das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen, etwa in Gestalt der § 1274 Abs. 2, § 399 BGB, die Anzeige gem. §§ 1279, 1280 BGB, die gegebenenfalls und so z.B. betreffend das AGB-Pfandrecht der Banken aber entbehrlich sein kann) anknüpfen, die vor dem Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG vorliegen müssten.232 2. Plangestaltungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1, 2 Satz 1, § 13 StaRUG) a) Einführung Absonderungsanwartschaften können gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG und unter Beachtung des 103 § 7 Abs. 1, 2 StaRUG mittels Restrukturierungsplan zwangsweise gestaltet werden.233 Der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans hat festzulegen, wie die Rechtsstellung der Inhaber der Absonderungsanwartschaften als Planbetroffene durch den Plan geändert werden soll. Dort ist anzugeben, um welchen Bruchteil die Absonderungsanwartschaften gekürzt, für wel229 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 36; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 28. 230 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 36; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 28. 231 Ganter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, Vor §§ 49–52 InsO Rz. 35 ff. 232 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 28. 233 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 29; Thole, ZIP 2020, 1985, 1988.

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§ 2 Rz. 103 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse chen Zeitraum sie gestundet, wie sie gesichert und welchen sonstigen Regelungen sie unterworfen werden soll. Hinsichtlich möglicher Gestaltungen findet die Generalklausel aus § 7 Abs. 2 Satz 1 StaRUG Anwendung.234 Weitere Angaben, die im Restrukturierungsplan notwendig werden, ergeben sich aus der Anlage zu § 5 Satz 2 StaRUG. Danach hat der Restrukturierungsplan weiterhin die Inhaber von Absonderungsanwartschaften anzugeben, die nicht in den Restrukturierungsplan einbezogen wurden und zudem eine Erläuterung der Gründe für die unterbliebene Einbeziehung zu enthalten (s. Anlage zu § 5 Satz 2 Nr. 5 StaRUG). Sind Willenserklärungen – gegebenenfalls auch von dritter Seite – etwa zur Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse und damit zur Begründung, Änderung, Übertragung oder Aufhebung von Rechten an Gegenständen notwendig, können sie gem. § 13 StaRUG in den gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans aufgenommen werden. So ist bspw. möglich, dass bestehende (Alt-)Sicherheiten gekürzt werden und entsprechend Verfügungsmasse zur Besicherung einer neuen Finanzierung entsteht. Denn eine neue Finanzierung i.S.v. § 12 Satz 1 StaRUG hat auf freiwilliger Basis zu erfolgen, entweder als Zusage im Restrukturierungsplan oder durch Planbedingung oder Verpflichtungserklärung mit dem Restrukturierungsplan verknüpft. Allerdings schafft § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG so – insbesondere im Rahmen komplexer Finanzierungsstrukturen im Zusammenspiel mit § 2 Abs. 2 Satz 1–3 StaRUG – die Möglichkeit, einer neuen Finanzierung aufgrund des damit neueingegangenen Risikos eine Vorrangstellung innerhalb einer bestehenden Finanzierungs- und Sicherheitenstruktur zu gewähren. Ist im Restrukturierungsplan nichts anderes bestimmt, wird der Restrukturierungsschuldner gem. § 11 Satz 1 StaRUG mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen aus den in den Plan einbezogenen Absonderungsanwartschaften befreit.235 104 Auf Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG werden unmittelbare Eingriffe in die Absonde-

rungsanwartschaften in Form unterschiedlicher Plangestaltungen möglich, die bei akzessorischen (bspw. Geschäftsanteilsverpfändung) oder nicht-akzessorischen (bspw. Globalzession, Sicherungsübereignung etc.) Sicherheiten, die im Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG begründet sind, die Sicherheiten als solche betreffen, das Sicherungsgut oder den Sicherungszweck verändern oder auch zur Kürzung der nominellen Höhe des Sicherungsbetrags führen können.236 Wie sich aus der Einordnung der Absonderungsrechte in die Systematik aus Eigen-, gruppeninternen und anderen Drittsicherheiten ergibt, kann eine Gestaltung gleichzeitig mit einem Eingriff in die akzessorischen Eigensicherheiten einhergehen (s. Rz. 104). Solche mittelbaren Eingriffe in die Absonderungsanwartschaften können aus der auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gestützten Gestaltung der gegen den Restrukturierungsschuldner gerichteten und gesicherten Forderungen als Restrukturierungsforderungen folgen. Grund dafür ist, dass bspw. Forderungskürzungen aufgrund der Akzessorietät zum Entfall des Sicherungsrechts führen oder den Sicherungsnehmer infolge der vereinbarten Sicherungsabrede dazu verpflichten, im Umfang der Kürzung Sicherungsgegenstände freizugeben.237 Zeitlich können die Gestaltungen auf Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG auch für die Zukunft wirken. So ist es z.B. möglich, den Umfang einer bestellten revolvierenden Sicherheit zu ändern, indem bestimmte Teile des Sicherungsguts der Sicherheitenbestellung, also bspw. bestimmte Forderungen der vereinbarten Globalabtretung oder Teile des Umlaufvermögens der vereinbarten Sicherungsübereignung, entzogen werden (s. Rz. 99 ff.).238 234 Hierzu Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 35 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 44. 235 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 117; ergänzend Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 35 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 236 Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 11; Balthasar in Kübler, Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz, 3. Aufl. 2019, § 26 Rz. 24 ff. 237 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 29. 238 Vgl. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 38.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 107 § 2

Die Gestaltungen der Absonderungsanwartschaften im Stabilisierungs- und Restrukturie- 105 rungsrahmen unterliegen dem Bestimmtheitsgrundsatz, so dass Eingriffe in die Sicherheiten parallel zu § 223 Abs. 2 InsO für jeden einzelnen betroffenen Gläubiger konkret bestimmbar sein müssen.239 Hiervon abzugrenzen ist der ebenfalls im allgemeinen Kreditsicherungsrecht insbesondere für Sicherungsübereignungen geltende sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz. Er stellt besondere Anforderungen an die Gestaltungen von entsprechenden Absonderungsanwartschaften. Danach muss sich aus den Regelungen des Restrukturierungsplans ergeben, welche von der Absonderungsanwartschaft einbezogenen Sicherungsgegenstände im Einzelfall von den jeweiligen Plangestaltungen betroffen sind. b) Kürzungen der Sicherheit Schon aufgrund von § 7 Abs. 2 Satz 1 StaRUG ist es ausdrücklich möglich, die Absonderungs- 106 anwartschaften zu kürzen. Hiernach und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Einfallstore für die Gestaltung von Sicherheiten, ist vorstellbar, dass im Restrukturierungsplan zuerst ein zwangsweiser teilweiser oder vollständiger Verzicht auf eine Sicherheit als solche vorgesehen wird.240 Es bedarf der Einhaltung der hierfür geltenden dinglichen Formvorschriften (für eine Hypothek bspw. §§ 1168, 1175, 1178, 1183, 875 BGB), wobei auch § 68 StaRUG erleichternd wirken dürfte. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG lässt zu, solche Verzichte (nur) aufschiebend oder auflösend bedingt vorzusehen, sie können also genau wie Kürzungen von Restrukturierungsforderungen in Verbindung mit Verfallklauseln oder Besserungsversprechen vorgesehen werden (s. auch Rz. 62). Haftet den Inhabern einer Absonderungsanwartschaft der Schuldner persönlich, bleibt die gesicherte Forderung vom Verzicht auf die Sicherheit unberührt, soweit sie nicht parallel als Restrukturierungsforderung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG mit in den Plan einbezogen wird. Andersherum allerdings beeinträchtigt die Gestaltung der Restrukturierungsforderung, bspw. deren Kürzung, die Absonderungsanwartschaft, soweit sie die nominelle Höhe des Sicherungsbetrags verkürzt.241 Verzichte sind mit der Ablösung der Sicherheiten durch Ausgleichszahlungen als festgelegte Rate oder Planquote zu verbinden, wenn und soweit infolge der Gestaltung eine Schlechterstellung droht (vgl. § 26 Abs. 1 Nr. 1, § 64 Abs. 1 Satz 1 StaRUG).242 Schließlich dürfte es einem (Teil-)Verzicht gleichstehen, wenn im Restrukturierungsplan erzielte Verwertungserlöse dem Restrukturierungsschuldner zugeschrieben werden.243 c) Fälligkeitsverschiebungen Auf Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StaRUG sowie § 7 Abs. 1, 2 Satz 1 StaRUG kommt 107 darüber hinaus eine Verzögerung der Sicherheitenverwertung für einen bestimmten Zeitraum in Betracht. Sie können sich sowohl auf die Absonderungsanwartschaft als solche (Nr. 2) als auch die gesicherte Forderung (Nr. 1) beziehen. Die Verzögerung der Sicherheitenverwertung durch Fälligkeitsverschiebungen erweist sich für gewöhnlich als weniger einschneidende Maßnahmen als die Kürzung der Sicherheit, bleibt die Sicherheit z.B. absonderungsberechtigter Kreditinstitute in diesen Fällen doch im Übrigen bestehen. Da Stundungen zumeist aber 239 Ausführlich Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 223 InsO Rz. 27 sowie Lüer/Streit in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 223 InsO Rz. 7. 240 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 29. Zum Insolvenzplan Breuer in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2020, § 223 InsO Rz. 12. 241 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 38. 242 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ergänzend Mordhorst in Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, 10. Aufl. 2017, § 6 Rz. 88. Zum Obstruktionsverbot und der Schlechterstellung von Absonderungsberechtigten eingangs sowie Kuder in Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl. 2016, Rz. 6.1157, 1159. 243 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 29.

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§ 2 Rz. 107 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse nur eine liquiditätsmäßige Wirkung entfalten, werden sie in aller Regel zur Stabilisierung und gegebenenfalls im Zusammenspiel mit anderen (freiwilligen) Sanierungsbeiträgen vorgesehen.244 108 Üblicherweise ist eine Verzögerung (oder sonstige Einschränkung, s. sogleich Rz. 110) der Si-

cherheitenverwertung eine Maßnahme zur Stabilisierung während der Vorbereitung der Restrukturierung und insbesondere eines Restrukturierungskonzepts. Dies erkennt auch der Gesetzgeber, wenn er in § 29 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG das Instrument der Stabilisierung vorsieht, welches sich vor allem in Fällen geeignet zeigt, in denen ein Entwurf eines Restrukturierungsplans nach dem Stand des angezeigten Vorhabens noch nicht ausgearbeitet bzw. ausgehandelt werden konnte (vgl. §§ 49 ff. StaRUG). Mit einer Stabilisierungsanordnung kann zugunsten des Schuldners eine Verwertungssperre eingerichtet werden, aufgrund derer insbesondere die Inhaber von Absonderungsanwartschaften ihre Sicherungsrechte nicht durchsetzen dürfen. So wird sichergestellt, dass dem Schuldner die weitere Nutzung aller Sicherungsgegenstände gewahrt bleibt und sie ihm nicht infolge des Zugriffs der Sicherungsnehmer entzogen werden. Sind die betreffenden Sicherungsgegenstände für die Betriebsfortführung geradezu unverzichtbar, wird zwischen dem Restrukturierungsschuldner und den Absonderungsanwartschaftsberechtigten in aller Regel eine entsprechende Vereinbarung über die zukünftige Nutzung und Verwertung getroffen (vgl. § 54 Abs. 2 StaRUG). Solche Vereinbarung sind ebenso zwangsweise innerhalb eines Restrukturierungsplans umsetzbar. Dies gilt insbesondere für Verwertungsvereinbarungen und Nutzungsvereinbarungen, jedenfalls wenn und soweit sie nicht mit neuen Verpflichtungen für die Restrukturierungsgläubiger einhergehen. Werden sie mehrheitlich akzeptiert, spricht vieles dafür, dass sie auch nicht im Rahmen des Minderheitenschutzes angreifbar sind.245 d) Besicherung der Absonderungsanwartschaften?

109 Laut § 7 Abs. 2 Satz 1 StaRUG kann als Planregelung auch vorgesehen werden, wie eine Ab-

sonderungsanwartschaft gesichert wird. Jedenfalls auf den ersten Blick scheint für eine „Besicherung der Absonderungsanwartschaft“ keine Notwendigkeit zu bestehen. Dies mag allerdings im Rahmen eines Sicherheitentauschs anders sein, da hier technisch betrachtet ein Sicherheitentausch durch die Kombination aus dem teilweisen oder vollständigen Verzicht auf Absonderungsanwartschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) und der Besicherung von Restrukturierungsforderungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) erfolgt. Ist allerdings der Restrukturierungsschuldner nur Sicherungsgeber (also nicht auch persönlicher Schuldner einer besicherten Restrukturierungsforderung) könnte der Sicherheitentausch entweder unter Rückgriff auf § 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 Satz 1 StaRUG als Besicherung (des Inhabers) der Absonderungsanwartschaft verstanden werden oder erfolgt (jedenfalls) als sonstige Regelung. Eine Gestaltung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 2 Satz 1 StaRUG als Besicherung einer Restrukturierungsforderung greift in diesem Fall nicht.246 e) Sonstige Planregelungen

110 Als sonstige Planregelungen können solche in den Restrukturierungsplan aufgenommen

werden, die sich (regelmäßig) als weniger einschneidend erweisen, als die Kürzung der Absonderungsanwartschaft und damit der Sicherheit als solchen. Die Kürzung gilt damit erneut als Abgleichpunkt für die Zulässigkeit weniger einschneidender Maßnahmen und deren Aufnah244 Insg. Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 30. Zum Insolvenzplan Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 223 InsO Rz. 13. 245 Vgl. auch Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 30. 246 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 31. Zum Insolvenzplan Breuer in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2020, § 223 InsO Rz. 14 f.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 112 § 2

me als sonstige Planregelung im Hinblick auf Absonderungsanwartschaften unter Rückgriff auf die Generalklausel aus § 7 Abs. 2 Satz 1 StaRUG (vgl. zu den Restrukturierungsforderungen schon Rz. 66). Bei aller gebotener Zurückhaltung, in Absonderungsanwartschaften einzugreifen, wird dieser Abgleich zur Kürzung die notwendige Orientierung geben, auch kreative Lösungsmöglichkeiten zu berücksichtigen und die Gestaltbarkeit von Absonderungsanwartschaften i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG nicht bereits pauschal als ausgeschlossen anzusehen. aa) Sicherheitentausch Anstelle eines (teilweisen) Verzichts auf Absonderungsanwartschaften kann auch der zwangs- 111 weise Austausch von Sicherheiten vorgesehen werden, stoßen erstere Maßnahmen doch regelmäßig an die Grenzen der Gestaltbarkeit und auf das Schlechterstellungsverbot (vgl. § 26 Abs. 1 Nr. 1, § 64 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Mit Hilfe eines Sicherheitentauschs im weiten Sinne kann eine Auswechslung alter durch neue (werthaltige) und nicht notwendigerweise absonderungsfähige Sicherheiten (z.B. Bürgschaften, Garantien) durchgeführt werden.247 Den Gläubigern verbleibt infolge dieses Tauschs ein werthaltiger Ersatz in Form der ihnen neu gestellten Sicherheit, womit in unterschiedlicher Ausgestaltung jeweils hinreichend auf die Stellung der Sicherungsnehmer und den Besonderheiten des Schlechterstellungsverbots reagiert werden dürfte.248 Unter Umständen kann im Zuge der Neuordnung auch eine Anpassung der Rangigkeit der Sicherheiten stattfinden, bspw. indem im Fall einer vorrangig zu besichernden Fresh Money-Finanzierung mit Blick auf bestehende Sicherheiten ein Rangtausch vorgesehen wird. Abseits dessen mag eine Abänderung der relativen Rangverhältnisse verschiedener Forderungen in Bezug auf die Durchsetzung oder Erlösverteilung durch eine schuldrechtliche Gläubigervereinbarung in den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG fallen. Denkbar ist ebenso, dass im Zuge der Neuordnung Verwertungserlöse innerhalb eines Restrukturierungsplans (teilweise) dem Restrukturierungsschuldner zugeschrieben werden.249 Anstelle einer neuen Sicherheit kommt auch jede andere Leistung in Betracht, die den Rechtsverlust im Austausch ausgleichen mag. So können z.B. auch Ausgleichszahlungen als festgelegte Rate oder Planquote festgelegt werden, die als Ersatz für die Absonderungsanwartschaft dienen soll.250 Aus der Perspektive des Sicherungs- und – mit Blick auf Anfechtungsrisiken (vgl. insbeson- 112 dere § 134 InsO) – insbesondere Drittsicherungsgebers ergeben sich Besonderheiten mit Blick auf § 12 StaRUG sowie den in § 90 StaRUG vorgehaltenen Safe Harbour. Als neue Finanzierung gilt nicht nur die Zusage von Darlehen oder sonstigen Krediten, sondern auch deren Besicherung (§ 12 Satz 2 StaRUG), d.h. sowohl die Vereinbarung der Sicherheitenbestellung und damit die Begründung eines schuldrechtlichen Anspruchs als auch die Gestellung von Sicherheiten. Beides stellt als Planregelung bzw. (unmittelbare) Vollzugshandlung privilegierte Handlungsformen im Schutzbereich des § 90 Abs. 1 StaRUG dar. Umgekehrt dürfte die bloße Nachbesicherung von Restrukturierungsforderungen oder eine Sicherheitenverstärkung ohne entsprechende Übernahme eines materiell neuen Kreditrisikos entsprechend dem Gesetzestext und der Zielrichtung der Restrukturierungs-RL keinen Anfechtungsschutz nach § 90 Abs. 1 StaRUG genießen, auch wenn die Vereinbarung und Bestellung von Sicherheiten for-

247 Vgl. Kuder in Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl. 2016, Rz. 6.1141 f.; Mordhorst in Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, 10. Aufl. 2017, § 6 Rz. 87 f. 248 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 31. 249 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); außerdem Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 39; ergänzend wohl auch Wilkens, WM 2021, 573, 578. 250 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 31.

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§ 2 Rz. 112 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse mal als Planregelung und Vollzugshandlung dargestellt werden könnten.251 Anders zu beurteilen könnte insoweit eine gegebenenfalls kompensatorische (zusätzliche oder nachrangige) Besicherung von Restrukturierungsforderungen im Zusammenhang mit der Übernahme eines zusätzlichen materiellen Kreditrisikos sein, bspw. als Folge von (zwangsweisen) Rangänderungen oder der Änderung von Einzelbestimmungen zur Umsetzung des Leitbilds der Sanierung geben.252 bb) Sicherheitenpool und -treuhand 113 Regelmäßig schließen sich die Finanzierer von mehrseitigen, besicherten Finanzierungsstruk-

turen, wie bspw. Konsortialbanken im Zusammenhang mit einer besicherten Konsortialkreditfinanzierung, in einem Sicherheitenpool bzw. -treuhand zusammen, der dazu dient, die innerhalb der Finanzierung bestellten oder zu bestellenden Sicherheiten zusammenzufassen und sie einer gemeinschaftlichen Übernahme, Verwaltung, Kontrolle und Verwertung zuzuführen. Mit ähnlicher Zielsetzung schließen sich auch Lieferanten oder Warenkreditversicherer in bestimmten Situationen in sog. Lieferanten- und Warenkreditversicherer-Poolvereinbarungen zusammen.

114 Werden die Sicherheiten in der bestehenden Finanzierungsstruktur in einem Sicherheitenpool

samt Sicherheitentreuhand gehalten und verwaltet, werden die Absonderungsanwartschaften durch die schuldrechtlichen Regelungen überlagert und es fragt sich, wie weit die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG reicht, wenn es nicht allein um die Gestaltung der Absonderungsanwartschaften, sondern um die Gestaltung der Sicherheitenstruktur, also der Rangverhältnisse, der Verwertungsrechte und der Erlösverteilung geht. Dabei kann unproblematisch festgehalten werden, dass die Gestaltung des Absonderungsrechtes selbst gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG erfolgen kann, soweit auf die relative Verwertungsgemeinschaft nicht eingewirkt wird. Letzteres ist allein unter Rückgriff auf § 2 Abs. 2 StaRUG möglich, soweit der Restrukturierungsschuldner entweder an der maßgeblichen Vertragsdokumentation (insbesondere dem Sicherheitentreuhandvertrag) als mehrseitigem Rechtsverhältnis i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG beteiligt ist oder diese als Gläubigervereinbarung i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG verstanden werden kann.

115 Offen ist zudem, ob die den Planbetroffenen angebotene Sicherheitenbestellung in Bezug auf

(wieder) unbelastete Vermögensgegenstände – sei es im Rahmen einer erstmaligen Besicherung oder Nachbesicherung von Restrukturierungsforderungen, sei es im Rahmen eines Sicherheitentauschs – ebenfalls unter (zwangsweisem) Zusammenschluss in einem Sicherheitenpool und unter Einrichtung einer Sicherheitentreuhand erfolgen kann.253 In komplexeren Finanzierungsstrukturen wird der Grund für die Zusammenfassung aller Sicherheiten in einer Sicherheitentreuhand häufig in der Vermeidung einer unkoordinierten Durchsetzung von Sicherungsrechten liegen und es wird deshalb der Sicherheitentreuhandvertrag mit Elementen einer Gläubigervereinbarung kombiniert. Ebenso versuchen sog. Lieferantenpool-Vereinbarungen durch gemeinsame Regelung und das Pooling der sonst ggf. im Streit stehenden und untereinander konkurrierenden Sicherheiten, die Sicherheitenposition von Lieferanten (und deren Warenkreditversicherungen) rechtlich abzusichern.

116 Rechtlich erscheint im Ausgangpunkt die zwangsweise Begründung eines Sicherheitenpools

oder einer Sicherheitentreuhand im Lichte des verfassungsrechtlichen Schutzes gegen Zwangszusammenschlüsse (s. nur Art. 9 Abs. 1 GG) zweifelhaft, so dass Absonderungsanwartschaftsberechtigte grundsätzlich wohl nicht gegen ihren Willen in eine Verwertungsgemeinschaft ein-

251 Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 31. 252 Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 31. 253 So auch Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 32.

98 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 117 § 2

bezogen werden können.254 Andererseits ist nicht zu verkennen, dass der Aspekt der Gemeinschaft hinter der technischen Vermittlung eines Sicherungsrechts zurücktritt, das in vielschichtigen Finanzierungsstrukturen schlechthin nicht individuell bestellt, gehalten oder verwaltet werden kann, so dass (nur) die Einbeziehung in einen Sicherheitenpool oder -treuhandvertrag einem Sicherungsnehmer ein „Mehr“ an Absicherung gewährt.255 Gerade weil die Sicherheitentreuhand in der konkreten Gestaltung auf Verpflichtungen unwilliger Sicherungsnehmer nahezu ganz verzichten kann,256 läge es also nahe, durch ein auf die Besicherung ausgerichtetes Regelungskonzept (bspw. bedingte Rechte aus einem Vertrag zugunsten Dritter) eine Zwangsverpflichtung zu vermeiden und dennoch unwillige Sicherungsnehmer in ein Sicherungskonzept zu integrieren. Darüberhinaus wäre, falls sich eine Verpflichtung nicht vermeiden lässt, zu überlegen, inwieweit diese nicht vor dem Hintergrund eines (Gesamt-)Ausgleichs aller kollidierenden Schutzgüter über eine Verhältnismäßigkeit im Einzelfall gerechtfertigt sein kann.257 Schließlich wird sich aber zeigen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Planbetroffenen zudem (zwangsweise) in einen bestehenden Zusammenschluss aufgenommen werden können und damit, ob die planbetroffenen Absonderungsanwartschaftsberechtigten in eine Beteiligung an einem bestehenden Sicherheitenpool oder -treuhandverhältnis gezwungen werden können, wenn eine Gestaltung auf Grundlage des § 2 Abs. 2 Satz 1 bzw. Satz 3 StaRUG erfolgt. cc) Weitere Planregelungen als Minus zur Kürzung Neben Kürzungen und Fälligkeitsverschiebungen der Absonderungsanwartschaften kommen 117 als sonstige Regelungen zahlreiche weitere Gestaltungen in Betracht.258 So können im Restrukturierungsplan auch sonstige Verwertungsbeschränkungen vorgesehen werden und auf diesem Weg z.B. die Voraussetzungen der Verwertung mit Blick auf den Eintritt finanzwirtschaftlicher Kennzahlen auf Seiten des Sicherungsgebers angepasst werden. Vor diesem Hintergrund ist es ebenso möglich, (nur) einzelne Sicherungsgegenstände freizugeben. Dies gilt nicht nur mit Blick auf bereits von der Sicherheit erfasste Sicherungsgegenstände, die nun im Restrukturierungsplan wieder freigegeben werden, sondern ebenfalls mit Blick auf solche Gegenstände, die erst in Zukunft von der Sicherheit erfasst wären und eigentlich dem Sicherungsnehmer zustünden (s. Rz. 99 ff.). Auch Freigaberegelungen können unter eine aufschiebende oder auflösende Bedingung gestellt werden. Sie mögen – wie Kürzungen oder die Anpassung der Sicherungsabrede und -zweck – notwendig werden, um eine im Restrukturierungsplan ebenfalls vorgesehene neue Finanzierung (§ 12 Satz 1 StaRUG) aufgrund des damit einhergehenden neuen materiellen Kreditrisikos zu besichern. Durch die Anpassung von Sicherungsabrede und -zweck kann die vorgesehene Zugriffsmöglichkeit auf Sicherungsgegenstände durch die Absonderungsanwartschaftsberechtigten beschränkt werden. Auf diesem Weg ist es möglich, die von dem Sicherungsrecht (auch zukünftig) erfassten bzw. nicht weiter erfassten Sicherungsgegenstände neu zu definieren und z.B. durch die gezielte Herausnahme bestimmter Forderungen aus einer Globalzession den Zugriff durch die neuen Finanzierer zu ermöglichen. Mit einer solchen Beschränkung mögen z.B. bei revolvierenden Sicherheiten (wie der Globalzession mit Einziehungsermächtigung) aber unter Umständen ähnlich einschneidende Wirkungen wie mit einer Kürzung einhergehen. Letzteres gilt auch, wenn im Restrukturierungsplan Anpassungen des Sicherungsbetrags vorgesehen werden. Ebenfalls als Minus zur Kürzung ist denkbar, dass die Rangigkeit von Sicherheiten (vgl. nur §§ 880, 1209

254 255 256 257 258

Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 32. Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 31 Rz. 43. Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 52 Rz. 11. Hierzu Brünkmans in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 31 Rz. 46. Zum Abgleich Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 37 ff.; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 32.

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§ 2 Rz. 117 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse BGB) angepasst wird (zum Schlechterstellungsverbot s. Rz. 86 f.). Dies bietet sich wie oben bereits angesprochen insbesondere an, wenn einer neuen Finanzierung aufgrund des mit ihr neueingegangenen materiellen Kreditrisikos eine Vorrangstellung innerhalb einer bestehenden Finanzierungs- und Sicherheitenstruktur gewährt werden soll (s. ergänzend zu § 2 Abs. 2 StaRUG, Rz. 200 ff.). Schließlich ist die Teilnahme von Absonderungsanwartschaften an einem Debt-Equity-Swap denkbar, indem der Gläubiger sein Sicherungsrecht realisiert und das durch Verwertung erworbene Sicherungsgut als Sacheinlage in das Unternehmen einbringt.259 3. Wirkungen der Gestaltungen 118 Auch mit Blick auf die Absonderungsanwartschaften gilt mit Blick auf die angestrebte Ent-

schuldung und Ermöglichung eines Neustarts für den Restrukturierungsschuldner, dass er mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern aus den in den Plan einbezogenen Absonderungsanwartschaften befreit wird, wenn und soweit im Restrukturierungsplan nichts anderes bestimmt ist, vgl. § 11 Satz 1 StaRUG.

III. Vertragliche Einzelbestimmungen und Bedingungen (§ 2 Abs. 2 StaRUG) 119 Die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 StaRUG ermöglicht die Gestaltung von Einzelbestim-

mungen oder Bedingungen aus mehrseitigen Rechtsverhältnissen, auf denen Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften beruhen (Satz 1), in Schuldtiteln i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG sowie Verträgen, die zu gleichlautenden Bedingungen mit einer Vielzahl von Gläubigern geschlossen wurden (Satz 2). Zudem sind Gläubigervereinbarungen über die Durchsetzung der gegenüber dem Schuldner bestehenden Forderungen oder Anwartschaften und das relative Rangverhältnis der aus der Durchsetzung resultierenden Erlöse gestaltbar (Satz 3). Damit wird im Restrukturierungsplan die Gestaltung von Einzelbestimmungen und Bedingungen aus den ihnen zugrunde liegenden, auch infolge des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens fortgeführten Rechtsverhältnissen zugelassen, also eine Abänderung bestimmter vertraglicher Abreden, denen die Forderungen und Anwartschaften, gegebenenfalls auch in Bezug auf das (Rang-)Verhältnis der betreffenden Gläubiger (als ihre Inhaber, vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 2, 3 StaRUG) untereinander, unterworfen sind. Mit diesem innovativen Instrument kann mittels eines Restrukturierungsplans über einen „isolierten Eingriff“260 in Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften hinaus (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StaRUG) auch in Vertragsverhältnisse für die Zukunft eingegriffen werden, wohingegen solchen Gestaltungen im Zusammenhang mit einem Insolvenzplan bislang eher zurückhaltend begegnet wird.261 Diese Erweiterung wird zur Attraktivität des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, insbesondere in direkter Konkurrenz zu den nationalen Alternativen unter der Insolvenzordnung (Insolvenzplan, Eigenverwaltung und Schutzschirm, vgl. §§ 217 ff. InsO) und ausländischen Restrukturierungsverfahren (z.B. Scheme of Arrangement, Restructuring Plan, WHOA-Verfahren), beitragen.262

259 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 34; zum Insolvenzplan Breuer in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2020, § 223 InsO Rz. 19 f. 260 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 41. 261 Hierzu Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 217 InsO Rz. 102 sowie einleitend Rz. 14. 262 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 5. Diese Erwägungen zum Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen im internationalen Vergleich sollten zudem die Grenzen der „Nutzbarkeit“ des Verfahrens berücksichtigen, die sich aus den Grundsätzen zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte ergeben. Hierzu Rz. 270 ff.

100 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 121 § 2

§ 2 Abs. 2 StaRUG reagiert auf die Komplexität kollektiver Finanzierungsarrangements, die 120 sich nicht allein aufgrund einer Vielzahl unterschiedlicher beteiligter Finanzierungsparteien ergibt. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen die Gläubiger durch § 2 Abs. 2 StaRUG davor geschützt werden, dass es aufgrund der in der Finanzpraxis gängigen engmaschigen Bedingungen und Nebenbestimmungen der Finanzierung (wie bspw. Pflichttilgungsereignisse, Finanzkennzahlen, Zusicherungen, (Negativ-)Verpflichtungen oder Kündigungsgründe) noch in einer Restrukturierungssituation zur Fälligstellung der gesamten Finanzierung kommt und der Schuldner deshalb insolvent wird.263 In der Praxis wird § 2 Abs. 2 StaRUG zukünftig vor allem im Kontext mehrheitlich getragener Amend and Extend-Lösungen eine Rolle spielen, die sich in der konsensualen Restrukturierung idealtypisch auf Laufzeitänderungen (Extend) und erforderliche (Folge-)Anpassungen (Amend) konzentrieren und die ausgereichte Finanzierung im Übrigen weitgehend unangetastet lassen, um damit die häufig ungleich schwierigere, zeit- und kostenintensive Übung einer alternativen, neuen (Re-)Finanzierung und eine damit verbundene Änderung des Risikoprofils einer Vielzahl der Beteiligten zu vermeiden.264 So ermöglicht § 2 Abs. 2 StaRUG anstelle der Gesamtfälligstellung (vgl. § 41 InsO) und Abwicklung eine zwar in die Vertragsautonomie eingreifende, aber – geradezu „chirurgisch“ – präzise Anpassung fortbestehender Finanzierungsverträge als weniger einschneidendes Mittel im Vergleich zur Kürzung der davon beeinträchtigten Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften (zu den Gestaltungsmöglichkeiten im Einzelnen Rz. 181 ff.).265 Solchen Anpassungen durch einen Restrukturierungsplan kommt deshalb eine eigenständige Gestaltungsqualität zu, die sich von den bisherigen Paradigmen des Insolvenzrechts löst, und damit die dort bestehenden Auffassungen sicher noch einmal in ein neues Licht rücken wird. Ihren Ursprung findet diese Art der Gestaltungsbefugnis in den Gestaltungsmöglichkeiten von Schuldverschreibungen nach dem SchVG und der rechtlichen Ausgestaltung und dem Bedingungszusammenhang komplexer multilateraler Finanzierungsarrangements.266 Es verwundert daher kaum, dass der Gesetzgeber insoweit selektiv vorgeht und diese Gestaltungsbefugnis bestimmten Arrangements vorbehält, nämlich mehrseitigen Rechtsverhältnissen wie bspw. Konsortialfinanzierungen, bei denen zwischen dem Schuldner und allen Gläubigern ein einheitliches Rechtsverhältnis besteht (§ 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG), Schuldtitel und gleichlautende Verträge mit einer Vielzahl von Gläubigern wie bspw. Schuldverschreibungen oder Schuldscheindarlehen, bei denen gleichlautende bilaterale Rechtsverhältnisse bestehen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG) und zuletzt überspannende Durchsetzungs- und Rangvereinbarungen zwischen Schuldner und Gläubigern (§ 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG). Auch wenn der selektive Ansatz des Gesetzgebers verständlich ist, das neuartige Gestaltungs- 121 instrument des § 2 Abs. 2 StaRUG nur für bestimmte Finanzierungsarrangements zur Verfügung zu stellen, werden die schablonenhaften Anwendungsvoraussetzungen der Sätze 1–3 der Vielgestaltigkeit der Finanzierungswelt nicht in allen Punkten gerecht. Denn im Einzelfall stellen sich in Anknüpfung an die konkrete Ausgestaltung von Rechtsverhältnissen noch Fragen und das nicht nur im Kontext der Anforderungen des § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG. Soweit eine Sicherheitenrang- oder Sanierungsvereinbarung eine überspannende Rahmenvereinbarung über unterschiedliche bilaterale Rechtsverhältnisse darstellt, steht vor allem in Frage, ob die von solchen Vereinbarungen betroffenen (Restrukturierungs-)Forderungen auf derselben beruhen (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) oder in welchen Fällen es sich um eine Durchsetzungs- und Erlösverteilungsvereinbarung handelt (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG). Auch hinsichtlich der Abgrenzung der absatzinternen Gestaltungsbefugnisse aus § 2 Abs. 2 Satz 1, 2 und Satz 3 StaRUG entstehen Fragen, bspw. im Kontext gleichlautender bilateraler Finanzierungs- oder Sanierungsvereinbarungen mit einer Vielzahl von Gläubigern, die unter § 2 Abs. 2 263 264 265 266

BT-Drucks. 19/24181, S. 111 f. S. nur Wilkens, WM 2021, 573, 377. BT-Drucks. 19/24181, S. 111 f. BT-Drucks. 19/24181, S. 112 f.

Herding/Krafczyk | 101

§ 2 Rz. 121 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse Satz 2 StaRUG fallen könnten. Wenn es sich nicht um gleichlautende, aber inhaltlich hinreichend vergleichbare Verträge handelt, stellt sich ebenfalls die Frage, ob und inwieweit man diese der Gestaltung auf Grundlage eines Restrukturierungsplans zuführt (s. Rz. 168). Nicht immer wird sich aus der fehlenden eindeutigen Zuordnung von Mischverträgen zu einer der Gestaltungsbefugnisse aus § 2 Abs. 2 StaRUG allerdings eine Einbuße hinsichtlich möglicher Gestaltungen mittels Restrukturierungsplan ergeben. Denn insbesondere die Unterschiede im Wortlaut in § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG („Einzelbestimmungen“) und § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG („Bedingungen“) führen hinsichtlich der Reichweite der Gestaltungsbefugnisse inhaltlich zu keinen Abweichungen.267 Da ohne Zustimmung des jeweiligen Gläubigers aber keine neue Verpflichtung eingeführt werden kann, wird es jedenfalls – soweit noch keine überspannende Gläubigervereinbarung i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG besteht – keine neue Gläubigervereinbarung kraft Mehrheit geben können, so dass insoweit eine „Gestaltungslücke“268 besteht. Unter Umständen ist zu überlegen, ob und inwieweit als weniger einschneidende Gestaltung gegenüber einer Kürzung der Restrukturierungsforderung eine Rangregelung nur in Bezug auf eine bestimmte Restrukturierungsforderung auf Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG zielführend ist. 122 Werden Einzelbestimmungen und/oder Bedingungen mit Hilfe eines Restrukturierungsplans

angepasst, ist gem. § 7 Abs. 3 StaRUG im gestaltenden Teil festzulegen, wie sie abgeändert werden sollen. Ist im Restrukturierungsplan nichts anderes bestimmt, wird der Restrukturierungsschuldner gem. § 11 Satz 1 StaRUG mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der planbetroffenen Gläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen aus den in den Plan einbezogenen Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften befreit.269 Für die Änderung von vertraglichen Einzelbestimmungen und/oder Bedingungen mag im Umkehrschluss ihr unberührter Fortbestand als Grundregel gelten. Sollen Einzelbestimmungen und Bedingungen im Restrukturierungsplan angepasst werden, sind die davon betroffenen Gläubiger jedenfalls über ihre Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften in den entsprechenden Gruppen gem. § 9 Abs. 1 StaRUG und hinsichtlich ihres Stimmrechts gem. § 24 StaRUG angesprochen. Sind in dem betroffenen Vertragsverhältnis, innerhalb dessen Anpassungen vorgenommen werden sollen, Dritte beteiligt (also bspw. weitere Verpflichtete in einer Konsortialfinanzierung neben dem Restrukturierungsschuldner oder Parteien außerhalb der Planbetroffenen, die keine Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften gegen den Schuldner halten), so ist ihre Zustimmung im Einzelfall einzuholen oder unter Ausklammerung des Dritten über eine nur relativ wirkende Gestaltung unter den Planbetroffenen und ihren vertragsrechtlichen Konsequenzen nachzudenken wäre. Im Übrigen sind die Besonderheiten zur Konzeption und Umsetzung solcher Gestaltungen von Einzelbestimmungen und Bedingungen auf Grundlage von § 2 Abs. 2 StaRUG innerhalb eines Restrukturierungsplans zu beachten (s. Rz. 220). 1. Mehrseitige Rechtsverhältnisse (§ 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG)

123 Innerhalb des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens sind gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 Sta-

RUG Einzelbestimmungen durch den Restrukturierungsplan gestaltbar, vorausgesetzt, dass sie in einem mehrseitigen Rechtsverhältnis vorgesehen sind, welches zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern besteht, und auf dem die Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften beruhen. Im Falle komplexer Finanzierungsstrukturen sind die Finanzierungsdokumente häufig mehrseitige Verträge auf Seiten der Finanzierungsparteien, so dass die Voraussetzung der Mehrseitigkeit hier regelmäßig vorliegen wird. Entsprechend er267 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 25; weiterhin Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 444. 268 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 32. 269 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 117; ergänzend Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 35 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

102 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 125 § 2

kennt auch der Gesetzgeber den Hauptanwendungsfall der Gestaltungsbefugnis in der Gestaltung von Einzelbestimmungen aus Konsortialkreditverträgen.270 Vertragsanpassungen auf Grundlage des § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG können aber natürlich Rechtsverhältnisse unterschiedlichster Vertragstypen betreffen.271 Beispielhaft kommt neben der Gestaltung von Einzelbestimmungen aus Konsortialkreditverträgen auch eine Anpassung solcher Bestimmungen in Sicherheitenpool- und -treuhandverträgen und Sanierungs- und Restrukturierungsvereinbarungen in Betracht.272 Denn für gewöhnlich handelt es sich bei diesen um mehrseitige Rechtsverhältnisse, weil sie von Anfang an oder später nach dessen Beitritt zwischen dem Restrukturierungsschuldner und mehreren Gläubigern bestehen.273 a) Erfasste (mehrseitige) Rechtsverhältnisse aa) Hauptanwendungsfall: Konsortialkreditverträge Konsortialkredite stellen eine besondere Art der Kreditgewährung dar, die unterschiedlichs- 124 ten Finanzierungszwecken dienen kann und je nach Produktbereich eigene Marktusancen kennt (Corporate Finance, Acquisition Finance, Real Estate Finance, Asset Finance, Project Finance etc.). Für sie ist charakteristisch, dass die Kreditgewährung durch mehrere Kreditgeber erfolgt, die gemeinsam das Konsortium bilden. In der Regel wird eine zentrale Verwaltungsstelle (Facility Agent) für den Konsortialkredit eingerichtet, über die nach Ziehungsersuchen durch den bzw. die Kreditnehmer alle Auszahlungen erfolgen, aber auch die Tilgungs- und Zinszahlungen abgewickelt werden, und der damit eine Kontroll- und Koordinierungsfunktion zukommt. Im Fall eines besicherten Konsortialkreditvertrags ist auch ein Sicherheitentreuhänder (Security Agent) beteiligt, der die durch den Kreditnehmer sowie im Regelfall weitere Konzerngesellschaften gestellten Sicherheiten verwaltet und verwertet. Auf Seiten der Kreditnehmer sind häufig weitere wesentliche Gruppengesellschaften (Material Companies) als Garantiegeber (Guarantors) oder Sicherungsgeber (Security Grantors) beteiligt, welche durch die jeweilige Garantie und/oder Sachsicherheit die Verbindlichkeiten der Kreditnehmer und Garantiegeber als sog. Verpflichtete (Obligors) unter den Finanzierungsdokumenten (Finance Documents) gegenüber den Finanzierungsparteien (Finance Parties) (quer-)besichern (Cross-/ Upstream Security).274 Ergänzend zum Umgang mit Dritten Rz. 139, 217 ff. Unter einem Konsortialkreditvertrag können unterschiedliche Fazilitäten eingeräumt und 125 Kredite ausgereicht werden.275 Es können Tilgungskredite mit vorgegebener Zweckbestimmung (sog. Term Loan Facilities) ausgereicht werden. Für sie ist eine feste Laufzeit und entweder eine Endfälligkeit oder eine Regeltilgung vorgesehen. Neben den langfristigen Tilgungskrediten sind auch Revolvierende Fazilitäten (sog. Revolving Credit Facilities) oder funktional Betriebsmittelkredite ein unverzichtbarer Teil einer üblichen Finanzierungsstruktur, die vereinbarungsgemäß wiederholt in Anspruch genommen und getilgt werden können. Solche Betriebsmittelkredite dienen der kurzfristigen Finanzierung des Umlaufvermögens bzw. aller Be270 BT-Drucks. 19/24181, S. 111; hierzu Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 6; Wilkens, WM 2021, 573, 577. Zu den Konsortialkreditverträgen und Sanierungsvereinbarungen AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 11 m. Anm. Thole = ZIP 2021, 806. 271 BT-Drucks. 19/24181, S. 111; außerdem Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 43; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 438. 272 BT-Drucks. 19/24181, S. 111; hierzu Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 6; Wilkens, WM 2021, 573, 577. Zu den Konsortialkreditverträgen und Sanierungsvereinbarungen AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 11 m. Anm. Thole = ZIP 2021, 806. 273 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 19; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 438. 274 Zum Ganzen Renner in Grundmann, Bankvertragsrecht, 2020, 4. Teil Rz. 342; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 40. 275 Ausführlich Kropf in Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2022, Rz. 6.36 ff., 6.175 ff.; außerdem Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 53.

Herding/Krafczyk | 103

§ 2 Rz. 125 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse triebsmittel und auch der Abwicklung des geschäftlichen Zahlungsverkehrs, weshalb sie oftmals als Kontokorrentkreditlinie über ein Konto bei der kreditierenden Bank ausgereicht werden. Insbesondere die Betriebsmittelkredite – wie auch die Aval- und Akkreditivkredite – können als Abzweiglinien (sog. Ancillary Facilities) vorgesehen werden, so dass Ziehungen aus dem Betriebsmittelkredit oder die Ausgabe der Avale und Akkreditive unter einer bilateral dokumentierten Abzweiglinie ohne Einbindung der Verwaltungsstelle des Konsortialkredits (Facility Agent) erfolgen. Die Abzweiglinien werden auf die Kreditzusage der kreditierenden Konsortialbank unter dem Konsortialkreditvertrag angerechnet. Ancillary Facilities unterliegen den bilateralen Kreditvereinbarungen, verweisen bzw. übernehmen aber für gewöhnlich die Regelungen des Konsortialkreditvertrages, der bestimmte Regelungsgegenstände ohnehin fest vorgibt (s. Rz. 144 ff., dort ebenfalls zur Frage, ob die bilateralen Kreditverträge zwischen Ancillary Bank und Kreditnehmer einer Gestaltung auf Grundlage eines Restrukturierungsplans zugänglich sind). 126 Unterschiede ergeben sich hinsichtlich des Risikoprofils der Fazilitäten insbesondere auf-

grund von Laufzeit, Rückzahlungsmodalitäten, Rangigkeit (einschließlich der Erlösverteilung nach Sicherheitenverwertung), die dann als Finanzierungsprodukt im Markt etwa durch Etiketten wie „Super Senior“, „Senior“, „Second Lien“, „Mezzanine“ risikoentsprechend als vorrangig, besichert, zweitrangig besichert oder nachrangig gekennzeichnet werden. Die für die Finanzierungsstruktur des jeweiligen Einzelfalls zwischen den Parteien geltende Vor- oder Nachrangigkeit wird zumeist in einer eigenen schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen den unterschiedlichen Finanzierungsgruppen sowie dem bzw. den Verpflichteten (also Kreditnehmern und Garanten) und den Gesellschaftern in einer Gläubigervereinbarung i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG (Intercreditor Agreement) festgehalten.

127 Auch für Konsortialkreditverträge gelten die allgemeinen Regelungen des Darlehensrechts

(vgl. § 488 BGB) mit der Besonderheit, dass Darlehen auf Grundlage eines Krediteröffnungsvertrags gewährt werden. Als Krediteröffnungsvertrag gelten vor allem die Muster der Loan Market Association (LMA), an deren grundsätzlicher Regelungssystematik (vorgezogener Definitionsteil, aufeinander aufbauende Gliederungsstruktur nebst Anlagen) und – je nach Finanzierungszweck differenzierenden – ausgefeilten Korsett von Verpflichtungen und Auflagen (bspw. einmalige oder wiederholte Zusicherungen, Negativ-Verpflichtung als Erlaubnisvorbehalt mit detaillierten Erlaubnistatbeständen, Finanzkennzahlen, Kündigungsgründe mit oder ohne Heilungspflichten und Bezugspunkten) sich inzwischen auch die sonstigen im deutschen Markt gebräuchlichen Muster grundsätzlich orientieren.276 Der Krediteröffnungsvertrag enthält die Vereinbarung zwischen Kreditnehmer und Kreditgebern (den Konsorten), dass im Rahmen der Kreditzusage und entsprechender Ziehung jeder Kreditgeber zur Ausreichung des auf ihn entfallenden Anteils der Ziehung in Form der entsprechenden Darlehensvaluta und der Kreditnehmer zur Rück- und Zinszahlung, letzteres entsprechend der gewählten Zinsperiode und des anzuwendenden Zinses, verpflichtet ist. Mit jeder Auszahlung eines Darlehens durch einen Kreditgeber entsteht ein neuer selbständiger Einzelkreditvertrag zwischen jedem einzelnen Kreditgeber und dem Kreditnehmer. Außerdem kann der Kreditnehmer dem Kreditgeber Provisionen, Gebühren etc. schulden.277 Konsortialkreditverträge enthalten darüber hinaus auch Konsortialbestimmungen, welche die Rechte und Pflichten der Konsorten untereinander sowie im Verhältnis zur Verwaltungsstelle (Facility Agent) betreffen.278

276 Hierzu Walgenbach in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechtskommentar, 3. Aufl. 2020, 16. Kapitel Rz. 3. 277 Etwa Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 35 Rz. 1. 278 Insgesamt Kropf in Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2022, Rz. 6.126; Renner in Grundmann, Bankvertragsrecht, 2020, 4. Teil Rz. 105 ff., 352 f.; ausführlich Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 41 ff.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 129 § 2

Der Hauptanwendungsfall des § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG ist die Gestaltung von Einzel- 128 bestimmungen aus Konsortialkreditverträgen. Dabei sind sowohl die Kreditbestimmungen als auch die Konsortialbestimmungen einer Gestaltung mittels Restrukturierungsplan zugänglich .279 Vor dem Hintergrund der innerhalb des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens erforderlichen 75 %-Mehrheit in den jeweiligen Gruppen (§ 25 StaRUG) mag dies zunächst verwundern, da nachträgliche Änderungen und Verzichte in Bezug auf Einzelbestimmungen in einem Konsortialkreditvertag mit Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit der Kreditgeber, üblicherweise einer Zweidrittelmehrheit, umsetzbar sind.280 Allerdings greift dieser Mehrheitsmechanismus nicht global in Bezug auf alle Regelungsgegenstände des Konsortialkreditvertrags, sondern es gibt für die Restrukturierungspraxis bedeutsame Ausnahmen, nach denen Änderungen und Verzichte wiederum nur auf Grundlage einer einstimmigen Entscheidung möglich sind. Dies betrifft vor allem die Änderung der Fälligkeit, die Reduzierung einer Forderung unter dem Kreditvertrag oder die Freigabe einer Sicherheit, die Erhöhung einer Kreditlinie oder des Gesamtbetrags aller Kreditlinien, die Verlängerung des Inanspruchnahmezeitraums oder die Änderung eines Kreditnehmers oder Garanten, einer Bestimmung über Pflichtsondertilgungen, die Art oder den Umfang der Sicherheiten oder die Tilgungsreihenfolge oder das anwendbare Recht und den Gerichtsstand. Schließlich kann auch die Freigabe von Sicherheiten in der Regel nur auf Grundlage einer einstimmigen Entscheidung erfolgen.281 Deshalb ist die Bedeutung der Gestaltbarkeit von Einzelbestimmungen eines Konsortialkreditvertrags durch die Mehrheiten des Restrukturierungsplans nicht zu unterschätzen. Aus einer umfassenden Gestaltung mittels Restrukturierungsplan können sich zudem Vorteile ergeben, wenn etwaigen Anfechtungsrisiken z.B. mit Blick auf Sicherheitenbestellungen und Nachbesicherungen begegnet werden kann. Eine Gestaltung des Konsortialkreditvertrags durch den Restrukturierungsplan kann im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen eine effiziente Umsetzungsweise sein, wenn parallel weitere Finanzierungsdokumente bspw. mit Sicherheitentreuhandvertrag und Gläubigervereinbarung im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG und auch Satz 3 gestaltet werden. Generell werden solche Plangestaltungen aber nur zum Einsatz kommen, wenn eine konsensuale Lösung nicht erreichbar scheint (zur Katalysatorwirkung der Gestaltungsbefugnis bereits Rz. 1). Dann wird die Kombination von Plangestaltungen – einerseits – und der sonstigen Restrukturierungsdokumentation (bspw. über Planbedingungen oder Verpflichtungserklärungen) – andererseits – die eigentliche Herausforderung darstellen. Sie erschöpft sich dabei nicht in zusätzlichen Transaktionskosten der Restrukturierung infolge der Einleitung eines Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, sondern zeigt sich auch in der Komplexität der Konzeption und Umsetzung.282 bb) Sicherheitenpool- und -treuhandverträge Kreditgeber, die bilateral oder im Zusammenhang mit einer Konsortialkreditfinanzierung ihre 129 Finanzierung mit Sicherheiten unterlegt haben, schließen sich regelmäßig in einem sog. Sicherheitenpool zusammen. Er dient dazu, die jeweils bilateral und/oder innerhalb einer Konsortialkreditfinanzierung bestellten oder zu bestellenden Mobiliar- und Immobiliar- sowie sonstigen Sicherheiten zusammenzufassen, die Wirksamkeit der Sicherheitenbestellung gegen Risiken aufgrund konkurrierender Sicherungsrechte abzusichern und die Sicherheiten einer

279 BT-Drucks. 19/24181, S. 111 f. Programmatisch dürfte insoweit auch eine der ersten Entscheidungen des AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 11 m. Anm. Thole = ZIP 2021, 806 zu verstehen sein. 280 Vgl. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 50; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 44; ergänzend Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 36 Rz. 1 ff. 281 Insg. Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 36 Rz. 3. 282 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 44.

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§ 2 Rz. 129 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse gemeinschaftlichen Übernahme, Verwaltung, Kontrolle und Verwertung zuzuführen.283 Ziel der Bildung des Sicherheitenpools bzw. der Vergemeinschaftung der Sicherungsrechte ist die Vermeidung von Beweisschwierigkeiten und die anteilige, gleich- oder vor/nachrangige oder unter Beachtung einer gegebenenfalls bestehenden Gläubigervereinbarung (Intercreditor Agreement) durchzuführende Befriedigung aus den Sicherheitenerlösen zu gewährleisten und rechtlichen sowie tatsächlichen Schwierigkeiten, die mit einer individuellen Geltendmachung der Sicherungsrechte einhergingen, vorab zu begegnen.284 Dagegen versuchen sog. Lieferantenpool-Vereinbarungen, die Sicherheitenposition von Lieferanten (und deren Warenkreditversicherungen) rechtlich abzusichern, indem durch die Zusammenschaltung von Eigentumsvorbehaltsrechten von Lieferanten (gegebenenfalls auch der aus einer Sicherungsübereignung entstehenden Sicherungsrechte von Finanzgläubigern) insbesondere die Grundlage geschaffen wird, den sog. Nämlichkeitsnachweis zu führen oder durch eine festgelegte Verteilung der Erlöse aus diesen Sicherungsrechten (Waterfall) eine größere Planungssicherheit zu gewinnen.285 Infolge eines solchen Zusammenschlusses (Pooling) kann eine zeit- und kostengünstigere Verwertung der Sicherheiten im Sicherungsfall gewährleistet werden.286 130 Im Zusammenhang mit multilateralen Finanzierungen werden Sicherheitenpools in der Re-

gel in Form einer Sicherheitentreuhand umgesetzt.287 Die Sicherheiten werden an den Sicherheitentreuhänder oder, im Fall der akzessorischen Sicherheiten (insbesondere Geschäftsanteils- und Kontoverpfändungen) zur Wahrung der Gläubigeridentität üblicherweise zudem parallel an alle Finanzierungsparteien als Pfandgläubiger mit dem Sicherheitentreuhänder als gemeinsam bestellten Verwalter bestellt, ergänzt in der Regel durch eine sog. Parallel Debt zugunsten des Sicherheitentreuhänders (dazu schon Rz. 36 f., 96). Neben der Übernahme und Verwaltung der Sicherheiten regelt der Sicherheitentreuhandvertrag oder die gegebenenfalls zusätzlich vorgesehene Gläubigervereinbarung auch die Freigabe oder Verwertung der Sicherheiten im Falle eines freihändigen Verkaufs bzw. einer Verwertung und unter welchen Voraussetzungen welche Mehrheit der Finanzierungsparteien (sog. Instructing Group) dem Sicherheitentreuhänder die Anweisung hierzu geben darf.288

131 Der Sicherheitentreuhandvertrag enthält auch die schuldrechtliche Vereinbarung zwischen

den Poolmitgliedern und dem Sicherheitentreuhänder und regelt die Treuhandverhältnisse zwischen Sicherungsgeber, Sicherheitentreuhänder und besicherten Gläubigern als Begünstigten der Sicherheitentreuhand. Die konkrete Ausgestaltung des Sicherheitentreuhandvertrags ist fallabhängig, insbesondere sind Vereinbarungen zum Sicherungszweck, zur Sicherheitenverwertung und -freigabe und zur Übernahme anfallender Kosten im Zuge der Verwaltung und Verwertung der Kreditsicherheiten üblich.289 cc) Sanierungs- und Restrukturierungsvereinbarungen

132 Im Beschluss des AG Köln vom 3.3.2021290 scheinen ebenfalls Sanierungs- und Restrukturie-

rungsvereinbarungen einer Gestaltung mittels Restrukturierungsplan für zugänglich erklärt zu werden. Sie müssen deshalb entweder (mehrseitige) Rechtsverhältnisse i.S.v. § 2 Abs. 2

283 Ganter in Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2022, § 69 Rz. 206; Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 55 Rz. 1; Wenzel/Gratias in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 4/284a (Stand: 156. EL Januar 2022). 284 Brinkmann in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 49 InsO Rz. 18. 285 Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 223 InsO Rz. 17. 286 Mit weiteren Nachweisen Schaffelhuber/Sölch in MünchHdb. GesR I, 5. Aufl. 2019, § 31 Rz. 2. 287 Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 6; Wilkens, WM 2021, 573, 377. 288 Insg. Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 56 Rz. 22 ff. 289 Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 58 Rz. 1 f. 290 AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 11 ff. m. Anm. Thole = ZIP 2021, 806.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 133 § 2

Satz 1 StaRUG291 oder – und so (wohl) die Auffassung des AG Köln292 – eine Gläubigervereinbarung i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG darstellen. Schließlich scheint im Einzelfall nicht ausgeschlossen, dass die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG eingreift und gleichlautende bilaterale Sanierungsvergleiche zum Gegenstand eines Restrukturierungsplans erhoben werden.

Im Einzelfall wird die inhaltliche Ausgestaltung solcher Vereinbarungen entscheidend sein, 133 die aufgrund der vielfältigen Gesamt- und Begleitumstände jeder Restrukturierung keineswegs einheitlich sind.293 Versteht man Sanierungsvereinbarungen als Vereinbarungen im Zusammenhang mit der konsensualen Sanierung, gehören dazu insbesondere Vereinbarungen in Bezug auf die bestehende Dokumentation und die Stabilisierung der Situation (also bspw. Stillhaltevereinbarungen unterschiedlicher Art), die Vorbereitung der Restrukturierung (Rahmenvereinbarung als Framework Agreement), ein Term Sheet für die Restrukturierung, gegebenenfalls in Verbindung mit einer Vereinbarung, weitere Übertragungen nur zuzulassen, wenn sich der neue Finanzierer ebenfalls diesem Term Sheet unterwirft, sog. Lock-up Agreement), die Umsetzung der Restrukturierung mittels eines Rahmenvertrags (Restructuring Master Deed, Restructuring Implementation Agreement etc.) bzw. verschiedener Umsetzungsdokumente (Global Amendment and Restatement Agreement, Debt Restructuring Agreement, etc.) sowie nicht abschließend die (Durch-)Finanzierung während der Vorbereitung und Umsetzung des Restrukturierungskonzepts (Brückenfinanzierung, Zwischenfinanzierung und Sanierungsfinanzierung). Entsprechend sind Sanierungsvereinbarungen anlassbezogene, maßgeschneiderte Einzelstücke, die zwischen Schuldner (und sonstigen Sicherungsgebern oder Garantiegebern), Gesellschaftern und insbesondere den verschiedenen Finanzierungsgruppen, die die Restrukturierung mittragen, verhandelt und abgeschlossen werden. Versucht man zu typisieren, dann enthalten Stillhaltevereinbarungen Regelungen zur Einschränkung oder Nichtausübung bestehender Rechte in laufenden Krediten sowie zur Nicht-Geltendmachung bzw. Stundung von Forderungen während der Stillhalteperiode, Term-Sheet-Vereinbarungen bzw. Lock-up Agreements die (bindende) Vereinbarung auf die Eckpunkte des (finanziellen) Restrukturierungskonzepts, gegebenenfalls mit Übertragungsbeschränkung, Umsetzungsdokumente die wesentlichen dokumentationsbezogenen Maßnahmen, die entweder durch wechselseitige Bedingungen oder durch einen Rahmenvertrag orchestriert werden sowie ein Brücken-, Zwischenfinanzierungs- oder Sanierungskreditvertrag oder sonstiges Finanzierungsdokument die für die Durchfinanzierung notwendige „frische“ Liquidität (Fresh Money), gegebenenfalls nebst Sicherheiten oder Rangvereinbarung.294 Begleitende operative und vor allem, personalwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen sind ebenso wie Desinvestments oder gesellschaftsrechtliche Reorganisationsmaßnahmen als Meilensteine angesprochen.295 Soweit kein umfassender, alle Parteien einbindender Rahmenvertrag zur Stabilisierung, Eckpunkten der Sanierung oder Umsetzung aufgesetzt wird, ist es möglich, dass einzelne Stabilisierungs-, Änderungs- und Umsetzungsdokumente vereinbart werden, die jeweils als Teil eines überspannenden Sanierungskonzepts begrifflich, regelungstechnisch und in der Abfolge der Schritte aufeinander bezogen, gegebenenfalls durch Bedingungen miteinander verknüpft sind und durch vorangehende Vereinbarungen (unter Umständen allein) der Gläubiger untereinander begleitet werden.296 291 Vgl. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 45. 292 Hierzu Thole, NZI 2021, 433, 436, der dort zurecht darauf hinweist, dass die konkrete Ausgestaltung der Sanierungsvereinbarung im Einzelfall offenbleibt. 293 Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, 2017, § 58 Rz. 36; Häuser in Schimansky/Bunte/ Lwowski, BankR-Hdb., 5. Aufl. 2017, § 85 Rz. 15. 294 Vgl. Häuser in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb., 5. Aufl. 2017, § 85 Rz. 19a. 295 Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, 2017, § 58 Rz. 35; Häuser in Schimansky/Bunte/ Lwowski, BankR-Hdb., 5. Aufl. 2017, § 85 Rz. 15 f. 296 Spahlinger/Schlott in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2 A. II. Rz. 3; Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, 2017, § 58 Rz. 35 f.

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§ 2 Rz. 133 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse In welcher Art solche Sanierungsvereinbarungen auch abgeschlossen werden, darüber kann jedenfalls eine hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit der Sanierungsbestrebungen von Beginn an sichergestellt werden, vor allem wenn die Sanierungsbeiträge so einer umfassenden Planbarkeit im Voraus zugeführt werden.297 Auf diesem Weg können auch einzelne Änderungs- und Umsetzungsdokumente vereinbart werden, die als Teil eines überspannenden Sanierungskonzepts begrifflich, regelungstechnisch und in der Abfolge der Schritte aufeinander bezogen, gegebenenfalls durch Bedingungen miteinander verknüpft sind und durch vorangehende Vereinbarungen (unter Umständen allein) der Gläubiger untereinander begleitet werden. dd) Weitere Rechtsverhältnisse 134 Es wird sich in der Praxis zeigen, welche (mehrseitigen) Rechtsverhältnisse in den Fokus der

Planersteller rücken. Denkbar ist, dass neben den vorstehenden Konsortialkreditverträgen, Sicherheitentreuhandverträgen, Gläubigervereinbarungen und Sanierungsvereinbarungen z.B. auch doppelnützige Treuhandstrukturen mit einer Vielzahl von Begünstigten, (nicht-)akzessorische Sicherheiten mit einem mehrere Finanzierungen umspannenden Sicherungszweck, EBV-Poolvereinbarungen als mehrseitige Rechtsverhältnisse i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG gelten könnten.

135 Spätestens wenn die Finanzierungsstruktur mehrere Finanzierungsinstrumente umfasst oder

es in Bezug auf Sicherheiten(-pakete) unterschiedliche Sicherungszweckvereinbarungen gibt, werden besondere Konzepte erforderlich, die nicht allein die Rangfolge betreffen, sondern mit zunehmender Komplexität auch detaillierte Verfahrens- und Zuständigkeitsregelungen bspw. zur Sicherheitenfreigabe und Erlösverteilung umfassen müssen. Die entsprechenden Klauseln werden häufig in einen Sicherheitentreuhandvertrag eingearbeitet, soweit – bspw. im Rahmen einer Refinanzierung – die Beteiligten mit weitgehend gleichgerichteten Interessen eher einfache Regelungen für ausreichend halten. Bei zunehmender Regelungstiefe oder heterogenen Gläubigerinteressen werden sie häufig – parallel zu einem Sicherheitentreuhandvertrag – in einer separaten Vereinbarung geregelt, die sich konzeptionell häufig an den Mustern der LMA orientiert. Unabhängig von der konkreten Bezeichnung spricht man hier von einer Gläubigervereinbarung, wenn sie das Rangverhältnis in Bezug auf Rechte unterschiedlicher Gläubiger aus Forderungen und/oder Sicherungsrechten gegenüber dem Schuldner und den Sicherungsgebern in einer Unternehmensgruppe betrifft. Auch Gläubigervereinbarungen sind mehrseitige Rechtsverhältnisse, allerdings beruhen die Restrukturierungsforderungen und Anwartschaften eventuell nicht darauf. Entsprechend wird für sie in § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG eine eigenständige Gestaltungsbefugnis vorgesehen, die – unabhängig von dem Beruhenserfordernis von Satz 1 und 2 – eine Gestaltung von Gläubigervereinbarungen ermöglicht. Je nach Ausgestaltung der Vereinbarung stellen sich insoweit im Ansatz vergleichbare Abgrenzungsprobleme wie bei Sanierungs- und Restrukturierungsvereinbarungen (vgl. Rz. 132 f.). b) Einbeziehung des Schuldners aa) Einführung

136 Grundsätzlich gelten als mehrseitige Rechtsverhältnisse i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG, alle

Rechtsverhältnisse, die zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern bestehen.298 Sollen sie – also mehrseitige Rechtsverhältnisse (zu Gläubigervereinbarungen nach § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG und der Parallelfrage einer dort notwenigen Beteiligung des Restrukturierungsschuldners Rz. 174) – mittels Restrukturierungsplan gestaltet werden, ist Grundvoraussetzung, dass 297 Häuser in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb., 5. Aufl. 2017, § 85 Rz. 19c; Spahlinger/Schlott in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2 A. II. Rz. 3. 298 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 19; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 438.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 139 § 2

der Restrukturierungsschuldner an dem mehrseitigen Vertrag von Anfang an oder später als Beitretender beteiligt ist und dies auch im Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG noch gilt.299 bb) Kredit- und Risikounterbeteiligungen Etwaige stille Unterbeteiligungen bzw. Kreditunterbeteiligungen (Subparticipation) werden 137 den Anforderungen des § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG nicht gerecht, so dass Einzelbestimmungen aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis nicht durch den Restrukturierungsplan gestaltbar sind.300 Mit Hilfe von Unterbeteiligungen können Kreditrisiken einzelner Konsortialbanken, welche mit der Beteiligung an der Kreditfinanzierung in Höhe des Konsortialanteils einhergehen, an einen Unterbeteiligten weitergeleitet werden, so dass der Unterbeteiligte das Bonitätsrisiko des Kreditnehmers übernimmt.301 Auch wenn die risikoabgebende Konsortialbank mit dem Unterbeteiligten Vereinbarungen treffen kann, denen zufolge die Entscheidungsfreiheit der Konsortialbank mit Blick auf Änderungen des Kreditvertrags eingeschränkt wird, so dass bspw. die Ausübung von Stimmrechten nach Maßgabe der Unterbeteiligung erfolgt, bleibt allein der Konsortialkreditvertrag bzw. die ihm unterliegenden Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften einer Gestaltung durch den Restrukturierungsplan zugänglich, soweit und solange derselbe den Anforderungen des § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG gerecht wird. Von den stillen Unterbeteiligungen bzw. Kreditunterbeteiligungen sind Risikounterbetei- 138 ligungen zu unterscheiden, die dazu dienen, die Abwicklung und den Verwaltungsaufwand insbesondere in Bezug auf Betriebsmittelkredite als Kontokorrent- oder Avalkredite zu erleichtern. Wenngleich innerhalb der Konsortialkredite grundsätzlich alle Konsorten zur Bereitstellung ihrer Beiträge verpflichtet sind (sog. Bareinschuss), wird infolge von Risikounterbeteiligungen der Kreditbetrag nur von einer Konsortialbank (Fronting Bank bzw. Issuing Bank) zur Verfügung gestellt und nur sie stellt die Kontokorrentlinie zur Verfügung, legt das Aval heraus und erhält nach Inanspruchnahme insbesondere den zurückgezahlten Darlehensbetrag einschließlich der Zinsen (Konsortialkredit ohne Bareinschuss). Die übrigen Konsortialbanken tragen allerdings das Risiko der zahlenden Konsortialbank mit.302 Entsprechend besteht hier – anders als im üblichen Fall eines unechten Konsortialkredits – allein zur Fronting Bank bzw. Issuing Bank das Einzelkreditverhältnis; da aber die Fronting Bank bzw. Issuing Bank intern zur Freistellung entsprechend ihres jeweiligen Anteils verpflichtet sind und die Ausreichung über eine Bank lediglich technisch erfolgt, sollten auch die Einzelbestimmungen und Bedingung dieser Finanzierung bzw. die ihr unterliegenden Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften einer Gestaltung durch den Restrukturierungsplan zugänglich sein, soweit und solange derselbe den Anforderungen des § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG gerecht wird. cc) Mehrere Schuldner und Zustimmungserfordernis Betriebsmittelrahmenkredite, Schuldscheindarlehen oder auch Immobilienfinanzierungen 139 stellen häufig nur auf eine Gesellschaft als Kreditnehmer ab. Soweit aber ein Konsortialkreditvertrag der allgemeinen (Re-)Finanzierung eines Unternehmens (oder auch seines Erwerbs als Akquisitionsfinanzierung) dient, stellt die Finanzierung auf die konsolidierte Ertragskraft der Unternehmensgruppe ab (Cash-Flow Based Lending) und entsprechend stützt sich die Finanzierung auf die wesentlichen Gruppengesellschaften (Material Companies) als Garantiegeber, 299 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 438. 300 Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2622; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 438. 301 Insg. Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 35 Rz. 1 ff. sowie Renner in Grundmann, Bankvertragsrecht, 2020, 4. Teil Rz. 504 ff. 302 Insg. Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 33 Rz. 45 ff.

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§ 2 Rz. 139 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse um den wesentlichen Teil von aggregierten Umsatz (ohne Innenumsatz), EBITDA und Bilanzsumme unter gesamtschuldnerische Deckung (Guarantor Coverage) zu nehmen. Ist ein solcher Konsortialkreditvertrag oder anderer mehrseitiger Finanzierungsvertrag also innerhalb eines Restrukturierungsplans angesprochen, so wird neben dem Restrukturierungsschuldner in der Regel eine Vielzahl von weiteren Verpflichteten unter dem Konsortialkreditvertrag zumindest mittelbar betroffen sein. Dann ist zu beachten, dass die wirksame Gestaltung von Einzelbestimmungen der Zustimmung aller am Rechtsverhältnis beteiligten Schuldner bedarf. Nur so kann die Vertragsanpassung mit umfassender Rechtswirkung auch für und gegen alle übrigen Schuldner neben dem Restrukturierungsschuldner erreicht werden, so dass unter Ausklammerung des Dritten über eine nur relativ wirkende Gestaltung unter den Planbetroffenen und ihren vertragsrechtlichen Konsequenzen nachzudenken wäre. Dies gilt unabhängig davon, ob sie wiederum ihren Mittelpunkt der wirtschaftlichen Interessen innerhalb von Deutschland haben oder außerhalb.303 Praktisch sollte die Zustimmung gesondert eingeholt und dem Restrukturierungsplan als Anlage beigefügt werden.304 Zustimmungserfordernisse sind folglich nicht nur zwingend, falls der bestätigte Plan Verpflichtungen von Dritten gegenüber den Gläubigern begründet (§ 15 Abs. 3 StaRUG) oder in Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten eingreift (§ 15 Abs. 4 StaRUG). c) Beteiligung mehrerer Gläubiger aa) Einführung 140 Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 StaRUG-RefE hätten auch „vertragliche Nebenbestimmungen, denen

die Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften unterliegen“ gestaltet werden können. Eine Beschränkung auf mehrseitige Rechtsverhältnisse war nicht vorgesehen.305 Danach hätten auch bilaterale Kreditverträge gestaltet werden können, die regelmäßig als Teil einer gewachsenen, häufig dezentralen Finanzierungsstruktur für ganz unterschiedliche Zwecke abgeschlossen werden (bspw. Betriebsmittelkredite mit Saisonlinien oder Tilgungsdarlehen für besondere Unternehmensakquisitionen oder Immobilienprojekte). Doch mit § 4 Abs. 2 Satz 1 StaRUG-RegE, dessen Formulierung § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG entspricht, erhielt die Beschränkung Einzug, dass Einzelbestimmungen nur gestaltbar sind, soweit der Schuldner Mittel von einer Mehrzahl von Gläubigern aufgenommen hat.306 Demnach reichen bilaterale Finanzierungen zwischen Kreditnehmer und -geber, die bspw. für Betriebsmittelrahmenkredite im deutschen Mittelstand oder bei einfachen Immobilienfinanzierungen vorliegen können, oder auch rein bilaterale Sanierungsvergleiche nicht aus. Vielmehr sind sie nun nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1, 2 StaRUG („sonstige Regelungen“) gestaltbar, was die Gestaltung von Einzelbestimmungen, also bspw. Financial Covenants oder „Reps and Warranties“, aber nicht umfasst. Zur Frage, ob und inwieweit Einzelbestimmungen aus solchen rein bilateralen Kreditverhältnissen – doch – einer Gestaltung zugänglich sind, s. Rz. 168.

141 Spricht § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG nun also von Mehrseitigkeit, erschöpft sie sich sodann in der

Beteiligung von mindestens zwei Gläubigern neben dem Schuldner am (erfassten) Rechtsverhältnis.307 Sind an einem Rechtsverhältnis nicht mehrere Gläubiger direkt beteiligt, ist dieses

303 Zu den sich daraus ergebenden Implikationen mit Blick auf das internationale Recht Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 51. 304 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 438. 305 Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 6; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 438; Wilkens, WM 2021, 573, 377. 306 BT-Drucks. 19/24181, S. 111; hierzu Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 438. 307 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 19; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 40; zudem Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 438; Wilkens, WM 2021, 573, 377.

110 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 143 § 2

einer Plangestaltung auf Grundlage von § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG nicht zugänglich. Das trifft bspw. auf Finanzierungsverträge zu, innerhalb derer mehrere Konzerngesellschaften auf Kreditnehmerseite, aber nur ein Gläubiger auftreten. Darüber hinaus sind einfache Sicherheitenverträge zwischen dem Schuldner und mehreren Sicherungsnehmern und Sicherheitentreuhandverträge im Kontext von Konsortialfinanzierungen mehrseitig i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG. An letzteren sind neben den Sicherungsgebern, unter denen gleichzeitig der Kreditnehmer des Konsortialkredits, aber vor allem bei Konzernfinanzierungen regelmäßig konzernangehörige Gesellschaften zu finden sind, die bspw. Upstream-Garantien stellen, auch die Sicherungsnehmer, also die Konsortialbanken, und der Sicherheitentreuhänder beteiligt.308 An der Mehrseitigkeit ändert sich auch dann nichts, wenn Sicherheiten allein beim Treuhänder gebündelt werden, aber mehrere Gläubiger besichern (bspw. nicht-akzessorische Sicherheiten wie Sicherungsübereignung, Globalabtretung aber auch doppelnützige Treuhandverträge).309 Gläubigervereinbarungen und umfassende Sanierungsvereinbarungen (z.B. in Form eines Restructuring Implementation Agreements) sind ebenfalls als mehrseitige Rechtsverhältnisse zwischen dem zukünftigen Restrukturierungsschuldner und mehreren Gläubigern ausgestaltet. bb) Ausgestaltung der Konsortialkreditverträge Mehrseitig sind insbesondere die praxisüblichen unechten Konsortialkreditverträge.310 Hier 142 tritt auf Kreditgeberseite das Konsortium auf, welches sich aus unterschiedlichen Konsortialbanken zusammensetzt und gemeinsam das Kreditarrangement dergestalt eingeht, dass zwischen Kreditnehmer und einer jeweiligen Konsortialbank unter dem Rahmenkreditvertrag (und administriert durch die Verwaltungsstelle) in Bezug auf die jeweilige Ziehung ein separates Kreditverhältnis gegenüber dem jeweiligen Kreditnehmer entsteht.311 cc) Verhältnis von Konsortial- und Einzelkreditvertrag Abseits der Finanzierungspraxis, die auf diese Fragestellungen selten einmal stößt, ist das Ver- 143 hältnis von Konsortial- und Einzelkreditvertrag infolge einzelner Kreditgewährungen nach Ziehung weithin umstritten. Hierzu wurde einerseits vertreten, dass der Konsortialkreditvertrag als Krediteröffnungs- und Grund- und Rahmenvertrag von den Einzelkreditverträgen zu trennen ist (Trennungstheorie). Andererseits findet sich auch die Auffassung, welche in einzelnen Ziehungen durch den Kreditnehmer und Entstehen von Einzelkrediten die Ausübung des Gestaltungsrechts innerhalb des ausfüllungsbedürftigen Krediteröffnungsvertrags und folglich dessen Durchführung sehen (Einheitstheorie).312 Auch wenn der Gesetzgeber diesen

308 BT-Drucks. 19/24181, S. 111; hierzu Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 6; Wilkens, WM 2021, 573, 377. 309 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 52. 310 BT-Drucks. 19/24181, S. 111; Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 6; Wilkens, WM 2021, 573, 577. 311 Die in der Literatur teilweise angesprochenen echten Konsortialkreditverträge spielen in der Praxis keine Rolle. Im Fall eines echten Konsortialkreditvertrags entsteht die Kreditbeziehung entweder mit dem als Außen-GbR gegenüber den einzelnen Konsortialbanken rechtlich verselbständigten Konsortium (eine Konstruktion, die mit einer akzessorischen Haftung einhergehen würde, vgl. § 719 Abs. 1, § 721 BGB n.F. nach MoPeG, in Kraft ab 1.1.2024, und daher nicht gewollt ist) oder zwischen Kreditnehmer und Konsortialführer, der den gesamten Kreditbetrag in eigenem Namen ausreicht und dann die übrigen Konsorten auf Zahlung ihrer Beiträge in der Höhe des jeweiligen Konsortialanteils in Anspruch nimmt (solche Gestaltungen sind selten und werden eher als Unterbeteiligung dokumentiert). Insg. Gesell/Seulen in Kessler, Unternehmensfinanzierung Mittelstand, 2015, Rz. 15. In beiden Fällen bestünde eine Mehrseitigkeit nicht. Hierzu Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2622; außerdem Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 438. 312 Zum Streitstand im Ganzen Renner in Grundmann, Bankvertragsrecht, 2020, 4. Teil Rz. 107.

Herding/Krafczyk | 111

§ 2 Rz. 143 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse historischen Streit nicht innerhalb des § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG lösen wird, zeigt schon der Wortlaut von § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG, dass der Gesetzgeber hier die Einheitstheorie zugrunde legt, wenn er vorgibt, dass Einzelbestimmungen innerhalb mehrseitiger Rechtsverhältnisse gestaltbar sind („in diesem Rechtsverhältnis“). Die Trennungstheorie würde unlösbare Fragen aufwerfen, weil so allein die im Krediteröffnungsvertrag als Grund- und Rahmenvertrag bestehenden Einzelbestimmungen einer Gestaltung zugeführt sein würden („in diesem Rechtsverhältnis“), nicht aber die bilateralen Einzelkreditverträge. Ein üblicher Konsortialkreditvertrag enthält dabei zwar auch die durch die Gesetzesbegründung in Bezug genommenen Regelungen (Financial/Negative Covenants, Events of Default), deren Anpassung bzw. Änderung nach den Vorstellungen des Gesetzgebers im Hauptanwendungsfall des § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG zur Erleichterung von Restrukturierungen führen soll. dd) Abzweiglinien (Ancillary Facilities) 144 Soweit die Gestaltungsbefugnis des § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG an die Mehrseitigkeit des zu gestal-

tenden Rechtsverhältnis anknüpft, könnte diese Voraussetzung gerade bei Abzweiglinien (Ancillary Facilities) in Frage stehen. Abzweiglinien bieten sich insbesondere als Avalkredite oder zur Finanzierung der Betriebsmittel als Kontokorrentkredite (Revolving Credit Facilities) an, weil es sich hier um „atmende Linien“ handelt und insbesondere bei ihrer Ausreichung die Einbindung des Agenten entbehrlich ist.313 Sind Abzweiglinien vorgesehen, haben sich ein oder mehrere Kreditgeber dazu bereit erklärt, einen Teil der im Konsortialkredit verfügbaren Kreditzusage in Form eines bilateralen Kredits als Abzweiglinie dem Kreditnehmer zur Verfügung zu stellen. Infolgedessen entsteht eine zusätzliche bilaterale Vereinbarung zwischen dem Kreditgeber als Ancillary Lender und dem Kreditnehmer; sie erfordert die Einwilligung des Kreditgebers und orientiert sich regelmäßig an dessen „Hausstandard“ für solche Kreditvereinbarungen. In ihr werden Details der Inanspruchnahme (bspw. Zinssatz und Zinsperiode) geregelt, stets im Einklang mit und unter dem Vorbehalt der Regelungen des Konsortialkreditvertrags.

145 Unterschiedliche Abzweiglinien werden daher regelmäßig keine Verträge zu gleichlautenden Be-

dingungen i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 darstellen und angesichts der bilateralen Vereinbarung könnte auch die Mehrseitigkeit und damit die Gestaltbarkeit nach § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG abgelehnt werden.314 Letzteres mag gelten, wenn Ancillary Facilities allein an Tochtergesellschaften des Kreditnehmers und zukünftigen Restrukturierungsschuldner ausgereicht wurden, denn dann bestehen diesem gegenüber regelmäßig keine Restrukturierungsforderungen i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG.315 Die genauere Betrachtung der Ausgestaltung von Ancillary Facilities zeigt abseits dieser Fälle aber, dass diese nicht im Ganzen selbständig sind, sondern durchaus in Abhängigkeit vom Konsortialkredit stehen. Die Dokumentation der Abzweiglinie wird zwar außerhalb des Konsortialkreditvertrags vorgenommen, die Kreditzusage und die Haftung der Verpflichteten verbleibt aber auf Ebene des Konsortialkreditvertrags. Auch kann die Ancillary Facility den Konsortialkreditanteil des Kreditgebers weder der Höhe nach noch in ihrer Laufzeit übersteigen.316 Bei Aufhebung der Abzweiglinie erhöht sich die verfügbare Kreditzusage unter der revolvierenden Kreditlinie entsprechend wieder. Die Abhängigkeit zeigt sich zudem daran, dass die Gewährung dem Agenten des Konsortialkredits mitgeteilt wird. Auch bestimmte Bedingungen bspw. Zusicherungen und Kündigungsgründe gelten entsprechend dem Konsortialkreditvertrag und sind nicht durch die bilaterale Vereinbarung abänderbar.317 313 Zu den Abzweiglinien insgesamt Castor in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankR-Kommentar, 3. Aufl. 2020, 16. Kap. Rz. 26; Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 5 Rz. 30 ff. 314 In diese Richtung Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 439. 315 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 439. 316 Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 5 Rz. 32. 317 Castor in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankR-Kommentar, 3. Aufl. 2020, 16. Kap. Rz. 26; vgl. auch Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 5 Rz. 34 f.

112 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 148 § 2

Die Ancillary Facility ist also trotz ihrer bilateralen Dokumentation ein Teil des mehrseitigen 146 Schuldrechtsorganismus des Konsortialkreditvertrags und daher ist ihre Gestaltung zulässig, wenn und soweit aufgrund der dargestellten funktionellen Wechselabhängigkeit der Ancillary Facility vom Konsortialkreditvertrag eine Gestaltung des Konsortialkreditvertrags allein nicht ausreicht und nur die gegebenenfalls parallele Anpassung von Einzelbestimmungen in Abzweiglinie und Konsortialkreditvertrag ein wirkungsvolles Mittel zur finanziellen Restrukturierung darstellt.318 So ist sichergestellt, dass die angestrebten Änderungen im Restrukturierungsplan Einzelbestimmungen betreffen, denen die Restrukturierungsforderungen (genauer: Rückzahlungsansprüche unter dem bilateralen Abzweiglinien-Dokument) unterworfen sind. Schließlich mögen die Restrukturierungsforderungen auch deshalb auf dem Konsortialkreditvertrag beruhen, weil darin die Kreditzusage enthalten ist. Allerdings: sollte der Restrukturierungsschuldner nicht Darlehensnehmer der Ancillary Facility sein, so ist allenfalls die dafür gestellte Garantie des Restrukturierungsschuldners gestaltbar und für die Ancillary Facility, die – soweit der konkrete Darlehensnehmer nicht Verpflichteter unter dem Konsortialkreditvertrag ist – auch als lokale Fazilität (Local Facility) bezeichnet wird, ist über parallele Restrukturierungsverfahren nachzudenken.319 ee) Gestaltungspraxis In der Gestaltungspraxis mag erforderlich werden, dass einzelne (bilaterale) Rechtsverhältnis- 147 se vor dem Hintergrund der darin vorgesehenen Einzelbestimmungen einer Gestaltung zugänglich sind. Insoweit kann in Rede stehen, bilaterale Rechtsverhältnisse durch Vertragsanpassungen zu mehrseitigen Rechtsverhältnissen aufzuwerten. Hierbei gilt es zum einen die bürgerlich-rechtlichen Anforderungen zum anderen die zeitliche Gestaltungsgrenze aus § 2 Abs. 5 StaRUG zu beachten. Außerdem muss Berücksichtigung finden, dass § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG an den Passus anknüpft, wonach ein mehrseitiges Rechtsverhältnis „zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern“ vorliegen muss. d) Beruhenserfordernis aa) Einführung Sollen Einzelbestimmungen mittels Restrukturierungsplan angepasst werden, müssen sie In- 148 halt eines (mehrseitigen) Rechtsverhältnisses sein, auf dem Restrukturierungsforderungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) oder Absonderungsanwartschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) beruhen. Das Beruhenserfordernis scheint darauf gerichtet zu sein, die Reichweite der Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG zu begrenzen. Schon die Gesetzesbegründung erlaubt darauf gestützt nur solche Maßnahmen, die sich unmittelbar auf eine Restrukturierungsforderung oder eine Absonderungsanwartschaft beziehen.320 Die Änderungen müssen danach Nebenbestimmungen adressieren, denen die Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis unterworfen sind.321 Das ausgemachte (mehrseitige) Rechtsverhältnis muss für diese Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften also jedenfalls Regelungen bereithalten, auch wenn sie nur hinsichtlich bestimmter Teilaspekte von Bedeutung sind.322 Daher mag es nicht ausreichen, dass ein „loser Zusammenhang“ zwischen „irgendwelchen Nebenbestimmungen mit irgend-

318 319 320 321 322

In diese Richtung Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 49. Ergänzend Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 439. BT-Drucks. 19/24181, S. 112. BT-Drucks. 19/24181, S. 112. Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 440.

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§ 2 Rz. 148 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse einer Zahlungspflicht in einem [anderen] Vertrag“323 besteht.324 Trotz der nachvollziehbaren Funktion des Beruhenserfordernisses, eine bildhafte Verknüpfung zwischen Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften mit einem mehrseitigen Rechtsverhältnis sicherzustellen und damit die Reichweite der Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG zu begrenzen, scheint die Anwendung des Kriteriums im Einzelfall doch einige Unsicherheiten auszulösen.325 149 Sicher beruhen Zins- und Tilgungsansprüche infolge der Inanspruchnahme bzw. Ziehung

einzelner Kredittranchen unter einem Konsortialkreditvertrag auf demselben Rahmenvertrag als mehrseitiges Rechtsverhältnis.326 Schwieriger sind Fälle zu beurteilen, in denen Restrukturierungsforderungen aus einer innerhalb eines bilateralen Rahmenkreditvertrags zur Verfügung gestellten Kontokorrentlinie bspw. als Betriebsmittelfinanzierung resultieren. Sie beruhen grundsätzlich allein auf diesem bilateralen Vertrag, es sei denn, es handelt sich bei dem bilateralen Vertrag um eine Abzweiglinie unter einem mehrseitigen Konsortialkreditvertrag. Denn in diesen Fällen kommt es für das Beruhenserfordernis entscheidend auf den zugrundeliegenden Konsortialkreditvertrag an. Ist die bilateral dokumentierte Rahmenkreditlinie nicht als Abzweiglinie gleichzeitig in einen Konsortialkreditvertrag eingepflegt, mögen im Übrigen Konstellationen denkbar sein, in denen die Rahmenkreditlinien als vorrangige Betriebsmittelfinanzierung vor Tilgungsdarlehen Teil einer gesamthaften und in einer Gläubigervereinbarung detailliert geregelten Finanzierungsstruktur verankert sind (bspw. Super Senior RCF/ Unitranche). Hier kann zwar bezweifelt werden, ob die Restrukturierungsforderung überhaupt auf einem mehrseitigen Rechtsverhältnis beruht. Bedenkt man aber, dass die Betriebsmittelfinanzierung kreditmateriell nur aufgrund der Vorrangigkeit nach Maßgabe der Gläubigervereinbarung zur Verfügung gestellt wird, ließe sich auch anführen, die daraus resultierenden Restrukturierungsforderungen beruhten darauf. Im Übrigen ließe sich argumentieren, die Gestaltung von Einzelbestimmungen sei auch innerhalb der von einer Gläubigervereinbarung betroffenen bilateralen Kreditverträge möglich. Dem allerdings steht fürs Erste der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG entgegen, indem die Gestaltung sich auf „die Bedingungen dieser Vereinbarung“, also der Gläubigervereinbarung i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG begrenzt. Bezüglich Absonderungsanwartschaften unterschiedlicher Gläubiger, die auf einen einheitlichen Sicherheitenvertrag zurückgeführt werden können, dessen Sicherungszweck mehrere Gläubiger umfasst, sollte das Beruhenserfordernis unproblematisch anzunehmen sein. Das Gleiche gilt, wenn die Sicherheiten in den Händen eines Sicherheitentreuhänders gebündelt werden.327

150 Für offene Einzelfragen und Wertungsentscheidungen, die durch verbleibende Unsicherheiten

mit Blick auf das Beruhenserfordernis erforderlich werden, mag schließlich eine Vorprüfung durch das Restrukturierungsgericht sinnvoll sein.328 bb) Restrukturierungsforderungen aus gegenseitigen Verträgen (§ 3 Abs. 2 StaRUG)

151 Einzelbestimmungen aus mehrseitigen Rechtsverhältnissen können auf Grundlage von § 2

Abs. 2 Satz 1 StaRUG angepasst werden, wenn sie Restrukturierungsforderungen und Abson323 Thole, ZIP 2020, 1985, 1988; Thole, NZI 2021, 433, 436 f. 324 In diese Richtung Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 19 („kausal und nicht nur zufällig verbunden“). 325 Vgl. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 19; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 440; Thole, ZIP 2020, 1985, 1988, der ausführt, dass trotz der Unschärfe des Beruhenserfordernisses „dieser Bezug zu Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften unverzichtbar [ist]“. 326 BT-Drucks. 19/24181, S. 112. 327 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 52. 328 Vgl. Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 67 StaRUG Rz. 25 f.; ausführlich Wilke in BeckOK/StaRUG, § 46 StaRUG Rz. 14 ff., § 47 StaRUG Rz. 6 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 152 § 2

derungsanwartschaften aus demselben Rechtsverhältnis betreffen. Das trifft bspw. auf den Hauptanwendungsfall der Konsortialkreditverträge zu, wenn darin vorgesehene Kreditzusagen bzw. -linien voll ausgeschöpft sind. Hier beruhen die Tilgungs- bzw. Rückzahlungsansprüche der Konsortialbanken auf dem Konsortialkreditvertrag, so dass dort vorgesehene Einzelbestimmungen angepasst werden können. Selbst wenn § 3 Abs. 2 StaRUG in diesen Fällen die Gestaltung gegenseitiger Verträge und damit auch von Kreditverträgen im Allgemeinen – im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen die Zinszahlungspflicht und die Pflicht zur Valutierung des Darlehens – begrenzt, ist mit der Valutierung die „dem anderen Teil obliegende Leistung“ erbracht (s. § 3 Rz. 13 ff.) und schließlich durch § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG die Gestaltung von darin bestehenden Einzelbestimmungen, also z.B. von Financial Covenants oder den Events of Default, ermöglicht. Damit und gegebenenfalls im Wechselspiel mit einer parallelen Verschiebung der (End-)Fälligkeiten wird im Kontext des Restrukturierungskonzepts – wie vom Gesetzgeber angestrebt – verhindert, dass die gesamte Finanzierung durch Vertragsverletzungen wenig später erneut in Frage gestellt wird und der Schuldner infolgedessen in die Insolvenz gerät.329 Offen ist allerdings, ob darüber hinaus Gestaltungen von Einzelbestimmungen zugelassen 152 sind, die denjenigen Teil einer Finanzierung betreffen, welcher noch nicht valutiert bzw. ausgereicht wurde, also z.B. eine (teilweise) nicht gezogene Kreditzusage (Commitment) unter einem Konsortialkreditvertrag. Hier könnten Gestaltungen bezwecken, (auch) zukünftige Inanspruchnahmen des Konsortialkredits den durch den Restrukturierungsplan abgeänderten Einzelbestimmungen zu unterwerfen. Insoweit kommt es maßgeblich auf die Stellung des § 3 Abs. 2 StaRUG an, der Restrukturierungsforderungen nur insoweit für gestaltbar erklärt, als die dem anderen Teil obliegende Leistung bereits erbracht ist. Er führt innerhalb der Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG dazu, dass zukünftige Rückzahlungsansprüche, die erst infolge einer noch ausstehenden Kreditausreichung entstehen, nicht mittels Restrukturierungsplan gestaltbar sind. Dies bedacht, könnte er im Rahmen des § 2 Abs. 2 StaRUG dazu führen, dass Einzelbestimmungen nur gestaltet werden können, soweit überhaupt gestaltbare Restrukturierungsforderungen vorliegen, die auf dem Konsortialkreditvertrag als mehrseitigem Rechtsverhältnis beruhen. Infolgedessen entfalteten Gestaltungen von Einzelbestimmungen keine Wirkungen im Hinblick auf noch nicht erfolgte Auszahlungen von zugesagten Krediten bzw. präziser auf erst nach dem Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG erfolgende Ziehungen unter einer Kreditlinie. Damit würde der einheitliche Schuldrechtsorganismus in einen gestaltbaren und nicht gestaltbaren Teil zerschnitten. Dieser Einschränkung der Gestaltungsbefugnis von Einzelbestimmungen, wenn und soweit „die dem anderen Teil obliegende Leistung“ nicht erbracht wurde, scheint die Gesetzesbegründung entgegenzutreten. Nachdem dort der Eingriff in das vertragliche Synallagma grundsätzlich abgelehnt wird, sollen Eingriffe in Vertragsverhältnisse unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 StaRUG „allein in Nebenbestimmungen“ eben möglich sein.330 Dies entspricht auch der allgemeinen Stoßrichtung des § 2 Abs. 2 StaRUG, die zur Umsetzung des Konzepts notwendigen Änderungen sowie die gegenüber einem Eingriff in die Substanz der Forderung weniger einschneidende Lösung durch die Abänderung der zugrunde liegenden Schuldrechtsorganismen zu ermöglichen (s. insbesondere Rz. 120).331 Da im Übrigen der Gesetzeswortlaut des § 2 Abs. 2 StaRUG hierzu keine Stellung nimmt, liegt es nahe, den § 3 Abs. 2 StaRUG in § 2 Abs. 2 StaRUG nicht als generelle Sperre zu verstehen und eine Gestaltbarkeit auch für noch nicht in Anspruch genommene Kreditzusagen zu bejahen.332 Hierfür spricht schließlich, dass sich der Kreditgeber einer noch nicht gezogenen Kre329 330 331 332

BT-Drucks. 19/24181, S. 111 f. BT-Drucks. 19/24181, S. 114. BT-Drucks. 19/24181, S. 112. Die Meinungsbildung scheint hier noch nicht abgeschlossen, soweit dieser Punkt bereits diskutiert wird. Dagegen: Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1127 f.; zurückhaltend Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 443; Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 62.

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§ 2 Rz. 152 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse ditlinie durch die Nichtausübung der auch nach Rechtshängigkeit grundsätzlich möglichen Kündigung einer solchen Gestaltung in gewisser Weise aussetzt (s. Rz. 186 ff.). 153 Dies vertiefend spricht dabei für die grundsätzliche Beachtung von § 3 Abs. 2 StaRUG auch

innerhalb des § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG zwar das für Restrukturierungslösungen allgemein wichtige Argument, dass (nur) der vorleistende Gläubiger bereits mit der bereits erbrachten Leistung im Risiko steht und daher einer Gestaltung ausgesetzt ist.333 Andererseits ist das StaRUG als Instrument gerade für komplexere Finanzierungsarrangements mit Gläubigern unterschiedlicher Risikoprofile im Kontext der tatsächlichen und rechtlichen Rahmenumstände zu verstehen; denn nur mit der notwendigen Unterstützung durch die wesentlichen Beteiligten, insbesondere der (75 % Mehrheit der) Betriebsmittelfinanzierer und besicherten Gläubiger, kann der Schuldner ein Restrukturierungskonzept erfolgreich umsetzen. Dabei entwickelt sich die Risikoposition der Beteiligten über die Zeit und ist davon abhängig, ob der Schuldner vor oder nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache eine Inanspruchnahme (nicht) durchgesetzt (vgl. § 55 Abs. 3 Satz 3 StaRUG) oder ein Darlehensgeber ein etwaiges Recht zur Kündigung der Kreditlinie (nicht) ausgeübt (vgl. § 44 Abs. 1 StaRUG) hat. Soweit in der Praxis bspw. Kreditzusagen noch vor dem Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG in Anspruch genommen werden, liegen gestaltbare Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften i.S.v. § 2 Abs. 1 StaRUG ohnehin vor (übrigens ohne dass eine Kündigung zwingend zu einer Aufhebung der Restrukturierungssache durch das Restrukturierungsgericht führt, wenn und soweit das Restrukturierungskonzept weiterhin durch die erforderlichen Mehrheiten getragen wird, vgl. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StaRUG, s. ausführlich. § 33 Rz. 12). Fand keine solche Ziehung statt oder wurde die Darlehensvaluta zurückgehalten, sind im Einklang mit § 3 Abs. 2 StaRUG die Ziehungen nach dem Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG nicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gestaltbar und mithin „planimmun“. Etwaige freie Kreditzusagen sind weiterhin (vorbehaltlich etwaiger vertraglicher Mehrheitserfordernisse für die Ausübung oder Stillhaltevereinbarungen) unter Verweis auf eine Vermögensverschlechterung (§ 490 Abs. 1 BGB) kündbar und der Gläubiger könnte die weitere Inanspruchnahme zusätzlich verweigern (sog. Draw Stop, vgl. § 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG). Ungekündigte Kreditzusagen sind dann als Teil der fortbestehenden Schuldrechtsorganismen gem. § 2 Abs. 2 StaRUG gestaltbar, gekündigte Kreditzusagen können nicht durch Plangestaltungen „revitalisiert“ werden, sondern – soweit für eine Durchfinanzierung die entsprechende Liquidität benötigt wird – ist der Schuldner auf eine freiwillig einzuräumende neue Finanzierung gem. § 12 StaRUG angewiesen. Unbeschadet der ohnehin erforderlichen Mehrheiten hängt damit die Erfolgsaussicht einer StaRUG-Restrukturierung mit Blick auf die Liquiditätssicherung maßgeblich von der Bereitschaft der bestehenden Finanzierer ab, ihre Linien offenzuhalten bzw. nicht zu kündigen bzw. Dritter, neue Finanzierungen i.S.v. § 12 Satz 1 StaRUG zusagen. Angesichts solcher Möglichkeiten einer Risikobegrenzung wird die Funktion des StaRUG als ergänzendes (Vergleichs-)Instrument der konsensualen Sanierung deutlich und es bedarf konkret im Rahmen des § 2 Abs. 2 StaRUG der Sperre des § 3 Abs. 2 StaRUG nicht.

154 Entsprechendes gilt gem. § 24 StaRUG für die Stimmrechtsverteilung, denn auch hier wird

auf die Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften abgestellt, ohne die Kreditzusagen zu berücksichtigen (vgl. § 24 Abs. 1 StaRUG). Auch wenn es fragwürdig erscheinen mag, trotz mittelbarer Gestaltung der offenen Kreditzusagen gem. § 2 Abs. 2 StaRUG kein Stimmrecht vorzusehen, bestätigt dies doch den Gedanken, dass sich in den offenen Kreditzusagen aus Sicht des Gesetzgebers kein vergleichbares Risiko eines Planbetroffenen spiegelt, zwangsweise gestaltet zu werden – anders als das Risiko der Inhaber von Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften, so dass damit auch § 3 Abs. 2 StaRUG nur hinsichtlich § 2 Abs. 1 StaRUG als Sperre zu begreifen ist. Da eine Kündigung mit Blick 333 Mit Zweifel an dieser Rechtfertigung Marotzke, ZInsO 2021, 21, 28 f.; dagegen Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1126 f.

116 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 156 § 2

auf offene Kreditlinien weiterhin möglich bleibt (§ 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG), gibt es insoweit kein oder ein zumindest weit eingeschränktes Schutzbedürfnis auf der Ebene des Restrukturierungsplans. cc) Sanierungs- und Restrukturierungsvereinbarungen Abgrenzungsfragen ergeben sich mit Blick auf das Beruhenserfordernis insbesondere bei Sa- 155 nierungs- und Restrukturierungsvereinbarungen. Es ist im Einzelfall zu entscheiden, ob diese Vereinbarungen nur einen flankierenden Charakter aufweisen oder einen so tiefgreifenden Regelungsgehalt in Bezug auf die Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften beinhalten, dass eine Gestaltungmöglichkeit als ein Minus zum Eingriff in die Substanz der Restrukturierungsforderung oder Absonderungsanwartschaft gerechtfertigt erscheint.334 Dass es durchaus Fälle geben kann, in denen Sanierungsvereinbarungen – sei es auf Grundlage von § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG, sei es auf Grundlage von Satz 3 – einer Gestaltung zugänglich sein können, scheint das AG Köln im Beschluss vom 3.3.2021 zu bestätigen, wenn dort die Möglichkeiten der Gestaltung von Sanierungsvereinbarungen ohne Einschränkung bejaht wird.335 Allerdings hat das AG Köln weder zum Inhalt noch zum Beruhenserfordernis Stellung bezogen.336 Entsprechend kann eine Gestaltungsmöglichkeit von Sanierungsvereinbarungen in Fällen bestehen, in denen die Vereinbarungen etwa Vertragsänderungen des Konsortialkreditvertrags zum Inhalt haben, enthalten sie dann doch unter Umständen weitreichende Eingriffe in die ursprüngliche Gesamtkonzeption des Arrangements und folglich neue Regelungen, denen die Restrukturierungsforderungen – wenn auch auf dem Umweg über diese zusätzlichen Vereinbarungen – unterliegen.337 2. Gleichlautende Bedingungen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG) § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG erstreckt die Gestaltungsbefugnis hinsichtlich mehrseitiger Rechts- 156 verhältnisse aus § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG auf die Bedingungen von Schuldtiteln i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG und aus Verträgen, die zu gleichlautenden Bedingungen mit einer Vielzahl von Gläubigern geschlossen wurden. Die Gestaltungsbefugnis setzt nicht voraus, dass ein mehrseitiges Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern vorliegt. Vielmehr rechtfertigt hier das Bestehen gleichlautender Bedingungen innerhalb einer Vielzahl mit unterschiedlichen Gläubigern einzeln geschlossener Verträge die Gestaltbarkeit von den vorgehaltenen Bedingungen.338 Bei den erfassten Verträgen handelt es sich jeweils um bilaterale Rechtsverhältnisse und kein einheitliches Gesamtwerk, wie z.B. bei Konsortialkreditverträgen. Sie alle sehen eigenständig Regelungen zu den Bedingungen vor, zu denen Kredit gewährt wird, aber es fehlen überspannende Konsortialbestimmungen, welche die Rechte und Pflichten der Kreditgeber unter den bilateralen Rechtsverhältnissen betreffen. Trotzdem erfolgt auch bei solchen Verträgen die Finanzierung erneut zu weitgehend einheitlichen Bedingungen mit Blick auf die Kreditbestimmungen.339 Vergleichbar zu Konsortialkreditverträgen besteht damit auch hier aus Sicht des Schuldners die praktische Notwendigkeit einer Änderung der Bestimmungen mittels Mehrheitsentscheidungen.340 Das gilt vor allem in Fällen der Schuldscheindarlehen-Restrukturierung.341

334 335 336 337 338 339 340 341

Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 440; in diese Richtung Thole, NZI 2021, 433, 436 f. AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 11 ff. m. Anm. Thole = ZIP 2021, 806. Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 440. Hierzu Thole, NZI 2021, 433, 436 f. BT-Drucks. 19/24181, S. 111. Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442 („identische[n] Klauselwerke[n]“). BT-Drucks. 19/24181, S. 111; ergänzend Westpfahl/Dittmer in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 45. Vgl. Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442.

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§ 2 Rz. 157 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse a) Schuldtitel i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 StaRUG) aa) Erfasste Schuldtitel 157 In § 2 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 StaRUG ist ein Verweis auf § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG enthalten. Da-

durch erstreckt sich die Gestaltungsbefugnis auf Schuldtitel, wie u.a. Genussscheine, Inhaberschuldverschreibungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a WpHG) und Optionsscheine (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b WpHG).342 Die hiernach gestaltbaren Rechtsverhältnisse unterscheiden sich in Abhängigkeit von ihrem Zweck vielfach. Im Regelfall sind an entsprechenden Anleihen der Emittent und die Anleihegläubiger sowie der Anleihetreuhänder (Trustee) und eine Zahlstelle (Paying Agent) beteiligt, gegebenenfalls auch ein gemeinsamer Vertreter der Gläubiger. Das Rechtsverhältnis wird maßgeblich durch umfangreiche Anleihebedingungen (Terms and Conditions) geregelt, also insbesondere Financial Covenants und Events of Default – vergleichbar zu denjenigen in Konsortialkreditverträgen (s. Rz. 124 ff.). Daneben bestimmen die Anleihebedingungen, ob und inwiefern kollektive Handlungen auf Seiten der Anleihegläubiger vorgenommen werden können. Sie sind abseits des StaRUG Voraussetzung von Mehrheitsbeschlüssen im Anwendungsbereich des SchVG. Nur dann kann der Schuldner zwischen der (isolierten) Restrukturierung nach dem SchVG oder einer Restrukturierung im Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen wählen.343 Schuldscheindarlehen fallen nicht unter § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG. Sie stellen keine Schuldverschreibungen dar, so dass ihre Bedingungen folglich nicht auf Grundlage von der Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 StaRUG oder dem SchVG angepasst werden können. Sie sind von § 2 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 StaRUG erfasst.344

bb) Restrukturierung von Schuldverschreibungen nach dem SchVG 158 In der Restrukturierung von Genussscheinen und Inhaberschuldverschreibungen, welche als

Schuldtitel i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG gelten, tritt das StaRUG neben das SchVG, dessen Anwendungsbereich § 1 Abs. 1 SchVG auch in vergleichbaren Fällen für eröffnet erkennt.345 Das Nebeneinander von Regelungen des SchVG und denjenigen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsverfahrens wird in § 19 Abs. 6 SchVG an die bereits insoweit bestehenden Regelungen für das Insolvenzverfahren angelehnt, bspw. können die Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss zur Wahrnehmung ihrer Rechte im StaRUG-Verfahren einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger nach Maßgabe des SchVG bestellen (§ 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG). Das SchVG sieht in §§ 5 ff. SchVG die Möglichkeit einer Restrukturierung auf Grundlage von Mehrheitsbeschlüssen mit unterschiedlichen möglichen Gegenständen vor. Solche Beschlüsse sind nach § 5 Abs. 1 SchVG allerdings nur möglich, wenn die Anleihebedingungen sie ausdrücklich zulassen.346 Ist dies vorgesehen, können durch sie auch Mitverpflichtete bspw. Garantiegeber betroffen werden.347 Ein derartiges Optionserfordernis ist dem StaRUG dagegen fremd, so dass etwa Inhaberschuldverschreibungen, die Gegenstand eines Restrukturierungsplans werden sollen, nicht explizit den Einstieg in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen erlauben müssen.348 Mit der Gestaltungbefugnis aus § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG ist de342 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 54; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 440. 343 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 46 ff.; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 440. 344 Vgl. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 75 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Wilkens, WM 2021, 573, 577. 345 Becker/Pospiech in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2 A. IV. Rz. 9; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 64 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 346 Thole in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, 2017, § 5 SchVG Rz. 6; Vogel in Preuße, Schuldverschreibungsgesetz, 2011, § 5 SchVG Rz. 13 ff. 347 Lürken, ZIP 2021, 1305, 1305 f.; Becker/Pospiech in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2 A. IV. Rz. 13. 348 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 22; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 2 StaRUG Rz. 24.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 160 § 2

ren Änderung mittels Restrukturierungsplan nun auch möglich, selbst wenn die Anleihebedingungen Mehrheitsentscheidungen nicht erlauben.349 Soweit nach einer Rechtfertigung hierfür gefragt wird,350 ist zu berücksichtigen, dass – mit einer Eingriffsschwelle wie für die Insolvenz – die Gestaltung kraft Mehrheit zur Abwendung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 Abs. 2 InsO vorgesehen ist (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG).351 Denkbare Gegenstände der Beschlüsse nach dem SchVG werden in § 5 Abs. 3 SchVG – al- 159 lerdings nicht abschließend – aufgelistet. Durch einen Mehrheitsbeschluss der Gläubiger können danach die Fälligkeiten von solchen Schuldverschreibungen bzw. -titeln verschoben, ihre Verringerung vorgesehen oder anfallende Zinsen angepasst werden (Nr. 1). Es kann aber auch die Fälligkeit und Höhe der Hauptforderung verändert bzw. verringert (Nr. 2, 3), für die Forderungen aus den Schuldverschreibungen der Nachrang im Insolvenzverfahren des Schuldners bestimmt werden (Nr. 4) und es kann sogar eine Umwandlung oder ein Umtausch der Schuldverschreibungen in Gesellschaftsanteile, andere Wertpapiere oder andere Leistungsversprechen auf Grundlage des Mehrheitsbeschlusses vereinbart werden (Nr. 5). Außerdem können Sicherheiten ausgetauscht oder freigegeben werden (Nr. 6). Schließlich ist es möglich, dass durch einen solchen Beschluss bestehende Kündigungsrechte beschränkt (Nr. 8) oder Änderungen und Aufhebungen von Nebenbestimmungen der Schuldverschreibungen beschlossen werden (Nr. 10).352 Die Reichweite der Gestaltungsmöglichkeiten auf Grundlage eines Mehrheitsbeschlusses nach den §§ 5 ff. SchVG entspricht damit weitgehend den Möglichkeiten, die Bedingungen von Schuldverschreibungen bzw. -titeln im Restrukturierungsplan anzupassen. Werden hinsichtlich Schuldverschreibungen solche Beschlüsse zur Abstimmung gestellt, die für eine Restrukturierung typischerweise erforderliche „wesentliche“ Änderung der Anleihebedingungen vorsehen (§ 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG), setzt deren Annahme unter Beteiligung von mindestens 50 % der ausstehenden Schuldverschreibungen in der ersten Versammlung eine Zustimmung von 75 % der an dieser Versammlung teilnehmenden Stimmrechte voraus (§ 15 Abs. 3 Satz 1, § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG). Weiterhin besteht, wenn das erforderliche Quorum nicht erreicht wurde, im Rahmen einer anschließenden zweiten Versammlung die Möglichkeit, die Änderungen noch mit einem Quorum von mindestens 25 % und einer Quote von 75 % der an der Versammlung teilnehmenden Stimmrechte diese doch noch herbeizuführen (§ 15 Abs. 3 Satz 3, § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG).353 Obwohl die Mehrheitserfordernisse nach dem StaRUG deutlich höher sind als nach dem 160 SchVG und insoweit aus der Praxis über eine Nachbesserung nachgedacht wird,354 bringen das StaRUG und die dort enthaltenen Restrukturierungsinstrumente Vorteile mit sich, die nicht allein darauf gründen, dass es auf die Zulassung von Mehrheitsentscheidungen in den Bedingungen der Schuldverschreibungen gar nicht ankommt.355 Vielmehr sind sie bspw. Folge der Regelungen zu Annahme und Bestätigung des Restrukturierungsplans. Anders als unter dem SchVG bestehen hier in Anknüpfung an § 66 StaRUG nur begrenzt Möglichkeiten sich als Planbetroffener gegen dessen Folgen zu erwehren.356 Demgegenüber entsteht aufgrund 349 350 351 352 353 354 355 356

BT-Drucks. 19/24181, S. 112. In diese Richtung Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 2 StaRUG Rz. 26. BT-Drucks. 19/24181, S. 112. Hierzu Borowski, Schuldverschreibungsgesetz, 2019, § 5 SchVG Rz. 14; außerdem Becker/Pospiech in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2 A. IV. Rz. 15. Insgesamt Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 69b (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Naujoks/ Schönen, ZRI 2021, 437, 440. So könnte für die Gruppe der von § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG erfassten Rechtsverhältnisse de lege ferenda auf 75 % der abstimmenden Planbetroffenen abgestellt werden, vgl. Lürken, ZIP 2021, 1305, 1306. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 25 sowie Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 440 f., dort auch zu den unterschiedlichen Mehrheitserfordernissen. Ausführlich Fendel in Braun, 2021, § 66 StaRUG Rz. 6 ff., 12; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 66 StaRUG Rz. 6 ff., 15 f.

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§ 2 Rz. 160 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse von § 20 Abs. 1 SchVG die Gefahr, dass ein Beschluss, der durch die Gläubiger mehrheitlich gefasst wurde, wegen Verletzung des Gesetzes oder der Anleihebedingungen durch einzelne Anleihegläubiger mittels Anfechtungsklage angegriffen wird, infolgedessen es zu langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen kann. Auch wenn es ein Freigabeverfahren gibt (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG), lässt sich Rechtsunsicherheit nicht vermeiden, die je nach Blockadepotential die gesamte Restrukturierung gefährden kann, mit Folgen auch für die Berater.357 Bietet es sich aus strategischen Gründen der Gruppen- und Mehrheitsbildung oder aus anderen Gründen an, die Restrukturierung der Schuldverschreibungen außerhalb des unter Umständen ohnehin komplexen Restrukturierungsplans unter Rückgriff auf das SchVG mit den dort vorgesehenen Mehrheiten durchzuführen, kann der erarbeitete Plan auch unter die Bedingung einer erfolgreichen Restrukturierung bestimmter Schuldverschreibungen nach dem SchVG gestellt werden (§ 62 StaRUG).358 161 Das Nebeneinander von SchVG und StaRUG kann zudem zum Zwecke der Vereinfachung

des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens genutzt werden, bspw. indem – wie auch kürzlich geschehen – für die Gläubiger der Schuldverschreibungen ein gemeinsamer Vertreter bestellt wird, der die Rechte der einzelnen Anleihegläubiger wahrnimmt, vgl. § 19 Abs. 3, 6 SchVG.359 Auf diesem Weg wird den Nachteilen des StaRUG begegnet, welches im Grundsatz eine individuelle Ansprache aller Gläubiger voraussetzt und nur im öffentlichen Verfahren die öffentliche Bekanntmachung einzelner Verfahrensschritte zulässt (vgl. § 85 StaRUG – die Möglichkeit eines öffentlichen Verfahrens ergibt sich allerdings erst mit Inkrafttreten der §§ 84–88 StaRUG zum 17.7.2022). Schon aufgrund der meist fehlenden namentlichen Kenntnis der einzelnen Inhaber von Schuldtiteln kann so die notwendige Einbindung aller Planbetroffener zentralisiert werden.360 b) Verträge zu gleichlautenden Bedingungen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 StaRUG)

162 § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG lässt neben der Gestaltung von Bedingungen von Schuldtiteln i.S.v.

§ 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG auch zu, dass Bedingungen angepasst werden, die in Verträgen vorgehalten sind, die zu gleichlautenden Bedingungen mit einer Vielzahl von Gläubigern geschlossen wurden. Mit dieser Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 StaRUG soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere die Handhabung der praktisch – gerade auch im Bereich der Mittelstandsfinanzierungen – wichtigen Schuldscheindarlehen erleichtert werden (s. Rz. 165, dort zu den Fallstricken in der Schuldscheindarlehen-Restrukturierung).361 Auf diese beschränkt ist § 2 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 StaRUG aber auch nicht. Vergleichbar zu der Frage, welche (mehrseitigen) Rechtsverhältnisse in den Fokus der Planersteller rücken werden, wird es sich auch hier in der Praxis zeigen, worauf sich die Gestaltungsbefugnis erstrecken wird und so bspw., ob auch hinreichend vergleichbare Verträge auf dieser Grundlage gestaltet werden können (s. Rz. 168).

357 S. hierzu das sog. Q-Cells Urteil des LG Frankfurt v. 7.5.2015, ZIP 2015, 1358; allgemein Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 73 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 358 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 71 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ergänzend Naujoks/ Schönen, ZRI 2021, 437, 442, die es hinsichtlich des Bedingungszusammenhangs für ratsam erachten, die Wirksamkeit des rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans von der Vollziehbarkeit des Mehrheitsbeschlusses der Anleihegläubigerversammlung abhängig zu machen und umgekehrt. 359 Hacker/Weber, WPg 2021, 258, 260; Lürken, ZIP 2021, 1305, 1307; Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1125; s. aber Becker/Pospiech in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2 A. IV. Rz. 42. 360 Insgesamt Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 441. 361 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 111; hierzu Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 24 sowie Wilkens, WM 2021, 573, 577.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 164 § 2

aa) Hauptanwendungsfall: Schuldscheindarlehen Für die Gestaltung von quasi-kollektiven Finanzierungsarrangements, also insbesondere Ver- 163 trägen, die zu gleichlautenden Bedingungen mit einer Vielzahl von Gläubigern geschlossen wurden (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 StaRUG), erwähnt die Gesetzesbegründung gleich zu Beginn des § 2 StaRUG die Schuldscheindarlehen ausdrücklich als Anwendungsfall.362 Denn hier reichen auf Basis eines gleichlautenden Vertragsmusters eine Vielzahl von unterschiedlichen Investoren in jeweils getrennter Stückelung die Gesamttranche des Schuldscheindarlehens aus. Infolgedessen entsteht der in der Gesetzesbegründung angesprochene „Schuldrechtsorganismus“ durch gleichlautende Einzelverträge. Schuldscheindarlehen sind anleiheähnliche Kredite, die oftmals durch ein als Arrangeur (und 164 gegebenenfalls Zahlstelle) mandatiertes Kreditinstitut vermittelt werden.363 Sie bieten Investoren einen Zugang zu Unternehmen, die für gewöhnlich nicht am Kapitalmarkt auftreten oder an syndizierten Krediten beteiligt sind und umgekehrt kann der Schuldner mit einem Schuldscheindarlehen neue Finanzierungsquellen erschließen.364 Rechtlich handelt es sich bei Schuldscheindarlehen um einzelne, bilaterale Darlehensverträge i.S.v. §§ 488 ff. BGB, die typischerweise auf gleichlautenden Klauselwerken basieren und für die ein ausgestellter Schuldschein die Beweisurkunde (§§ 371, 952 BGB) darstellt. Zusammen ergeben alle Einzelbeträge („Stückelung“) die Gesamtsumme der ausgegebenen Schuldscheindarlehenstranche. Meist handelt es sich um langfristige Großkredite, häufig ergibt sich für Unternehmen durch Schuldscheintranchen mit unterschiedlicher Fälligkeit ein anspruchsvolles Tilgungsprofil. Sie sind grundsätzlich mit Schuldverschreibungen vergleichbar, mangels Kapitalmarktanforderungen in Gestaltung und Abwicklung aber weitaus flexibler und verursachen vergleichsweise geringe Dokumentationskosten.365 Traditionell richtet sich diese Finanzierungsform nur an Unternehmen mit guter Bonität, weshalb oftmals auf eine Besicherung (und damit breite Dokumentation) verzichtet wird. In jüngerer Zeit dringen Schuldscheindarlehen auch in Bereiche niedrigerer Bonität vor, wo (Dritt-)Besicherungen notwendig werden.366 Für gewöhnlich gibt der Darlehensnehmer Negativerklärungen mit dem Inhalt ab, dass in Zukunft keine weiteren Kreditsicherheiten zugunsten anderer Engagements gestellt werden und auch wesentliche Werte des Anlagevermögens nicht ohne vorherige Zustimmung der Darlehensgeber veräußert werden. Negativerklärungen können durch eine Pari-Passu-Klausel ergänzt werden, wie es auch das Muster der LMA vorsieht. Zudem enthält der Schuldscheindarlehensvertrag regelmäßig einen Katalog an Gründen, die den Darlehensgeber zur außerordentlichen Kündigung berechtigen. Maßgebend können vor allem Zahlungsverzug und Insolvenz des Schuldscheindarlehensnehmers sein, daneben die gesetzlichen Kündigungsgründe aus § 490 Abs. 1, § 314 Abs. 1, § 313 Abs. 3 BGB. Soweit zusätzliche Regelungskonzepte aufgenommen werden, orientiert sich die Dokumentation von Schuldscheindarlehen mit zunehmender Verbreitung an den Regelungskonzepten der LMA-Standards zu syndizierten Krediten. Schließlich sehen Schuldscheindarlehen als anwendbares Recht meist deutsches Recht und die Zuständigkeit deutscher Gerichte vor (zum internationalen Recht Rz. 268 ff.).367 Schuldscheindarlehen sehen 362 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 111; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442. 363 Mülbert/Bernauer in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019, Rz. 26.1; außerdem Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442; Woesch/Dietrich, BKR 2019, 399. 364 Mülbert/Bernauer in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019, Rz. 26.1; Woesch/Dietrich, BKR 2019, 399, 400. 365 Etwa Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442; Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1125. 366 Weiß, Corporate Finance Law 2010, 64; Woesch/Dietrich, BKR 2019, 399, 400, 402. 367 Zur Dokumentation im Ganzen Mülbert/Bernauer in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019, Rz. 26.44 ff.; Wehrhahn, BKR 2012, 363; Woesch/Dietrich, BKR 2019, 399, 402. Zur Rechtswahl Glass in Schwintowski, Bankrecht, 6. Aufl. 2021, Kapitel 16 H. Rz. 40; Woesch/Dietrich, BKR 2019, 399, 400.

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§ 2 Rz. 164 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse Übertragungsregelungen vor, die eine leichte Übertragbarkeit ohne Zustimmungsvorbehalt ermöglichen, so dass Schuldscheindarlehen auch insoweit wirtschaftlich als kapitalmarktnah bzw. anleiheähnlich einzustufen sind.368 bb) Fallstricke in der Schuldscheindarlehen-Restrukturierung 165 Wenn ein Unternehmen Teile seines langfristigen Finanzbedarfs durch Schuldscheine – also

mittels bilateraler, jeweils wortgleicher Schuldscheindarlehensverträge mit einer Vielzahl von Investoren in unterschiedlicher Stückelung für die jeweilige Schuldscheintranche – gedeckt hat, sieht sich die Restrukturierung besonderen Herausforderungen gegenüber, die sich in der Vergangenheit für eine außerinsolvenzliche Restrukturierung häufig als „Fallstricke“ gezeigt haben.369 Neben den „restrukturierungsfernen“ Investoren,370 der freien Übertragbarkeit und insbesondere der damit einhergehenden Einkäufen alternativer Investoren mit Holdout-Potential371 sowie der fehlenden konsortialen Struktur, da es eben keine Verwaltungsstelle, sondern lediglich eine Zahlstelle gibt, ist die zentrale Herausforderung das Fehlen eines Mehrheitskonzepts aufgrund der jeweiligen bilateralen Einzelkreditverhältnisse. Denn ohne einen beigeordneten Rahmenvertrag – wie z.B. der Konsortialkreditvertrag mit den darin vorgesehenen Konsortialbestimmungen – sind die einzelnen Schuldscheindarlehensgeber nicht an Mehrheitsentscheidungen gebunden, soweit es um Änderungen der oder Verzichte in Bezug auf die vertraglichen Regelungen geht oder von (Kündigungs-)Rechten gebraucht gemacht wird.372 Entsprechend erfordert die Restrukturierung eine Verhandlung und Einigung mit allen Schuldscheindarlehensgläubigern.373 Da jedem Schuldscheindarlehensgeber ein individuelles Entscheidungsrecht in Bezug auf Kündigung und Fälligstellung des Darlehens eingeräumt wird, ergibt sich eine starke individuelle Blockademacht.374 Neben strategischen Holdout-Positionen, die durch die freie Übertragbarkeit auch für alternative Investoren attraktiv sein kann, treten unkontrollierbare Einzelgänge einzelner Schuldscheindarlehensgeber mittels DrohKündigungen oder solche im Kanon mit sonstigen Trittbrettfahren, die die konsensuale Restrukturierung erheblich behindern oder gar undenkbar werden lassen können.375 Der typische Schuldscheininvestor wird die Einbindung in ein komplexes Konsortialverhältnis grund368 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442; Woesch/Dietrich, BKR 2019, 399, 400. Zur Übertragung durch Abtretung (§§ 398 ff. BGB) und Vertragsübernahme Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, 2017, § 30 Rz. 68 f.; R. Müller in Kümpel/Mülberth/Früh/Seyfried, Bankrecht und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2022, Rz. 15.265. 369 Ausführlich Herding in Schalast/Keibel, Handbuch Deutsche Kreditmarkt-Standards, 2021, S. 123 ff.; Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 34; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 50; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442; Wilkens, WM 2021, 573, 577; außerdem (im Rechtsstand vor Geltung des StaRUG) Weiß, Corporate Finance Law 2010, 64; Woesch/Dietrich, BKR 2019, 399. 370 Weiß, Corporate Finance Law 2010, 64, 65. 371 Koller/Wöckener in Ekkenga, Handbuch der AG-Finanzierung, 2. Aufl. 2019, Teil 3 Kapitel 13 H. Rz. 103. 372 Anders mag dies nur sein, wenn schon die einzelnen Darlehensverträge eine Vertragsänderung mittels Mehrheitsbeschluss aller Gläubiger oder eine besondere Gläubigerversammlung regeln, was in der Praxis bisher aber nicht üblich ist: Mülbert/Bernauer in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019, Rz. 26.8; auch für die Zukunft ist dies nicht zu erwarten. Vgl. Herding in Schalast/Keibel, Handbuch Deutsche Kreditmarkt-Standards, 2021, S. 123 ff.; Weiß, Corporate Finance Law 2010, 64, 65; Woesch/Dietrich, BKR 2019, 399, 402. 373 Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1123. 374 Glass in Schwintowski, Bankrecht, 6. Aufl. 2021, Kapitel 16 H. Rz. 43; Koller/Wöckener in Ekkenga, Handbuch der AG-Finanzierung, 2. Aufl. 2019, Teil 3 Kapitel 13 H. Rz. 103; Warnecke/Becker, ZIP 2018, 1332, 1334; Schmitt, BB 2012, 2039, 2041. 375 Herding in Schalast/Keibel, Handbuch Deutsche Kreditmarkt-Standards, 2021, S. 123 f.; vgl. außerdem Weiß, Corporate Finance Law 2010, 64; Glass in Schwintowski, Bankrecht, 6. Aufl. 2021, Kapitel 16 H. Rz. 43.

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sätzlich skeptisch sehen und zudem mit einer wesentlich ausführlicheren und gegebenenfalls englischsprachigen Dokumentation Berührungsängste haben. Oftmals hilft auch der Verweis auf die Insolvenz als Worst-Case Scenario nicht, gerade wenn sich – was bei klein gestückelten Schuldscheindarlehen häufig vorkommt – Gläubiger gar nicht beteiligen (wollen).376 cc) StaRUG als Schlüssel für die Schuldscheindarlehen-Restrukturierung Das SchVG findet keine Anwendung auf Schuldscheindarlehen und kann ihre Restrukturie- 166 rung somit auch nicht durch die dort und insbesondere in §§ 5 ff. SchVG bereitgestellten „Instrumente“ erleichtern. Fehlte es daher bislang an speziellen Restrukturierungsinstrumenten und sind auch Mehrheitsklauseln nicht geläufig, bietet das StaRUG mit dem Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen nun neue Handlungsmöglichkeiten.377 Dabei ist zu berücksichtigen, dass das StaRUG auf die nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Fortführung des Unternehmens abzielt und daher nicht nur die Restrukturierungsforderungen selbst, sondern gem. § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG auch die gleichlautende Bedingungen aus den Schuldscheindarlehensverträgen mittels Restrukturierungsplan gestaltbar sind. Auf diese Weise kann Blockadepositionen einzelner Gläubiger begegnet werden und das insbesondere auch, weil bei der Gestaltung mittels Restrukturierungsplan einzelne betroffene Gläubiger, aber auch eine gesamte betroffene Gruppe mehrheitlich (vgl. § 26 StaRUG) überstimmt und dem Restrukturierungsplan unterworfen werden können.378 Letzterenfalls ist allerdings die modifizierte Regel der absoluten Priorität einzuhalten (vgl. insbesondere § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG). Behält der Gesellschafter seine Anteile und wird in die Rechte der Schuldscheindarlehensgeber bspw. durch einen Forderungserlass oder die Anpassung des Tilgungsprofils mit einer Fälligkeitsverschiebung von über 18 Monaten eingegriffen, kann diese verletzt sein (vgl. § 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG). Als „Selbstläufer“379 wird man die Schuldscheindarlehen-Restrukturierung im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen auch deshalb nicht verstehen dürfen. In der Praxis zeigt sich, dass sich Schuldscheindarlehensgeber bei rechtzeitiger, transparenter Einbindung durch einen Koordinator oder Treuhänder auf Basis eines belastbaren Restrukturierungskonzepts gegebenenfalls auch mit Blick auf eine (erstmalige Mit-)Besicherung in den konsensualen Restrukturierungsprozess einbinden lassen. Dabei wird zukünftig das StaRUG schon als Katalysator einer konsensualen Lösung mit der Möglichkeit einer Gestaltung kraft Mehrheit oder Stabilisierungsanordnung helfen. Idealerweise gelingt es, die weit überwiegende, wenn nicht alle Schuldscheindarlehensgeber von der Tragfähigkeit des Restrukturierungskonzepts zu überzeugen und ihre Zustimmungsbereitschaft möglichst vor Anzeige der Restrukturierungssache in einer eigenen Vereinbarung (sog. Lockup Agreement) festzuhalten, auch, um damit die notwendige Zustimmungsmehrheit für den Restrukturierungsplan zu hinterlegen.380 Neben die Gestaltungsbefugnisse aus § 2 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 StaRUG tritt innerhalb des 167 Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens die Stabilisierung (vgl. § 29 Abs. 2 Nr. 3, 49 ff. StaRUG) mitsamt ihren vertragsrechtlichen Wirkungen (§ 55 StaRUG) und allgemeiner das Verbot von Lösungsklauseln (§ 44 StaRUG). Gerade die vertragsrechtlichen Wirkungen der Stabilisierungsanordnung können die Restrukturierung von Schuldscheindarlehen während der Rechtshängigkeit (und Vorbereitung des Plans) erleichtern, wenn Drohkündigungen ein376 Herding in Schalast/Keibel, Handbuch Deutsche Kreditmarkt-Standards, 2021, S. 125. 377 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 24; Herding in Schalast/Keibel, Handbuch Deutsche Kreditmarkt-Standards, S. 123 ff.; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437; Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122. 378 BT-Drucks. 19/24181, S. 111 f.; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442 f.; Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1125. 379 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442. 380 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442.

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§ 2 Rz. 167 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse zelner Gläubiger ihr Störpotential genommen wird.381 Ist eine Stabilisierungsanordnung nicht ergangen oder ist eine Kündigung schließlich aus anderen Gründen weiterhin möglich oder wird eine Schuldscheintranche schlicht fällig, könnte § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 3 StaRUG eine Aufhebung der Restrukturierungssache vermeiden, auch wenn es durch die Kündigung oder sonstigen Fälligstellung zur materiellen Insolvenz kommt. Zwar soll sie in aller Regel die Aufhebung der Restrukturierungssache zur Folge haben (vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 1 StaRUG). Ist die fragliche Forderung – und damit in Bezug auf die Schuldscheindarlehen, der Rückzahlungsanspruch der Schuldscheindarlehensgeber als nicht fällige Forderung aus einem gegenseitigen Vertrag, bei dem die von § 3 Abs. 2 StaRUG angesprochene Leistung des anderen Teils bereits mit Auszahlung erbracht wurde – durch den angezeigten Restrukturierungsplan adressiert und die Erreichung des Restrukturierungsziels durch diesen Plan überwiegend wahrscheinlich, kann das Gericht – trotz Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsgrundes aufgrund der Kündigung – von der Aufhebung der Restrukturierungssache absehen. Infolgedessen unterliegt die fragliche, durch die Kündigung oder in sonstiger Weise (bspw. vertraglicher Rückzahlungstermin) fällig gestellte, Forderung weiterhin als Restrukturierungsforderung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG den Planwirkungen. Auf diese Weise nimmt § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 3 StaRUG Drohkündigungen einzelner Gläubiger ihr Störpotential in einer erfolgversprechenden Restrukturierung im Anschluss an die drohende Zahlungsunfähigkeit. c) Hinreichend vergleichbare Verträge – zugleich zur Vielzahl von Gläubigern 168 Die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG lässt Gestaltungen von Bedingungen

zu, wenn diese in Verträgen zu gleichlautenden Bedingungen vorgesehen und mit einer Vielzahl an Gläubigern abgeschlossen worden sind. Ausgangspunkt der Gestaltungsbefugnis ist, dass die Finanzierung des Restrukturierungsschuldners – vergleichbar zu den von § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG adressierten Fällen, in denen sich dies für alle aus dem mehrseitigen Rechtsverhältnis ergibt – zu einheitlichen Bedingungen erfolgt und die Umsetzung des Restrukturierungskonzepts und der Erfolg der Restrukturierung davon abhängt, sie im Ganzen zu adressieren. Infolgedessen mag die Frage naheliegen, ob von der Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG nicht auch solche Sachverhalte erfasst sein können, in denen eine Vielzahl an Verträgen mit Gläubigern abgeschlossen wurden, die zwar nicht inhaltlich identisch sind, doch (jedenfalls) hinreichend vergleichbar sind.382 Möglich sind Sachverhalte in denen bspw. eine Unternehmensfinanzierung über unterschiedliche bilaterale Kreditverträge erfolgt, die neben der praxisüblich kurzseitigen Dokumentation im Wesentlichen auf die AGB-Banken verweisen oder sich allein an den Mustern der LMA orientieren, und daher hinreichend vergleichbar sind, um sie den gleichlautenden Bedingungen im Licht des § 2 Abs. 2 StaRUG gleich zu stellen. Denkbar wäre es auch, dass bilaterale Sanierungsvergleiche mit unterschiedlichen Gläubigern geschlossen worden sind und einer nachträglichen Anpassung bedürfen. Als praktischer Fall für solch bilaterale, hinreichend vergleichbare Sanierungsvergleiche wäre bspw. an Schreiben zu denken, mit denen eine Vielzahl von Gläubigern angesprochen wird, deren Rechte aus einem Insolvenzplan (bspw. Anspruch auf Quotenzahlung) im Nachhinein neu gefasst werden müssen, um eine Folgeinsolvenz zu vermeiden.

169 Der Gestaltung von hinreichend vergleichbaren Verträgen in analoger Anwendung des § 2

Abs. 2 StaRUG ist der Ausnahmecharakter des § 2 Abs. 2 StaRUG sowie das Fehlen einer

381 Zu den Wirkungen und Grenzen der Stabilisierungsanordnung Schönfelder in Flöther, 2021, § 55 StaRUG Rz. 3 ff., 30. 382 In diese Richtung Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 35; ergänzend Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 439, dort ansatzweise: „Unter diesen Umständen wird ein besonderes Augenmerk darauf zu richten sein, im Einzelfall zu prüfen, ob und inwieweit eine Einbeziehung auch der bilateralen Darlehensverträge in den Restrukturierungsplan erforderlich ist, um das Restrukturierungsvorhaben erfolgreich umsetzen zu können.“

124 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 170 § 2

planwidrigen Regelungslücke entgegenzuhalten; zumindest lassen die selektiven Anforderungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 StaRUG den Eindruck entstehen, der Gesetzgeber habe bewusst, nur die angesprochenen Fallgruppen des § 2 Satz 1–3 StaRUG herausgegriffen. Wollte man dennoch auch hinreichend vergleichbare Verträge einbeziehen – möglicherweise, wenn und soweit diese zudem durch eine Gläubigervereinbarung überspannt werden (hierzu Rz. 176) – so stellt sich die Frage, was unter einer Vielzahl von Gläubigern zu verstehen ist und ob man insoweit davon ausgehen kann, dass es vergleichbar zum Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen und anderen Regelungen, die darauf hinweisen, ausreicht, wenn bilaterale Verträge mit mehr als zwei unterschiedlichen Gläubigern mit dem Restrukturierungsschuldner (zu den übrigen Verträgen) zu gleichlautenden Bedingungen abgeschlossen wurden.383 Zunächst ist eine gewisse Zurückhaltung mit Blick auf den Ausnahmecharakter des § 2 Abs. 2 StaRUG angezeigt, doch auch dazu wird sich eine Handhabe in der Praxis erst entwickeln müssen. Ein tragendes Argument könnte sich ergeben, wenn und soweit die hinreichend vergleichbaren Verträge de facto als Teil einer gemeinsamen Finanzierungsstruktur zu verstehen sind, in der sie für alle Finanzierer erkennbar einem gemeinsamen Zweck dienen und deren Finanzierungsentscheidungen insoweit aufeinander bezogen sind. Dann mag es – wie im Fall eines Konsortialkredits oder einer Schuldscheintranche – gerechtfertigt erscheinen, sie als „Schicksalsgemeinschaft“ zu begreifen und deshalb kraft Mehrheit zu gestalten. d) Beruhenserfordernis Sollen die Bedingungen von Schuldtiteln i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG oder Verträge zu gleichlautenden Bedingungen mittels Restrukturierungsplan angepasst werden, müssen auf diesen Restrukturierungsforderungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) oder Absonderungsanwartschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) beruhen. Das ergibt sich aus dem Verweis auf die Gestaltungsbefugnis des § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG, der wiederum das Beruhenserfordernis für Gestaltungsmöglichkeit von mehrseitigen Rechtsverhältnissen einführt und der Gesetzesbegründung die hervorhebt, dass in allen Fällen des § 2 Abs. 2 StaRUG nicht nur die den Gläubigern zustehenden Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften gestaltbar sind, „sondern auch die Bedingungen und Nebenbestimmungen, denen die zum Schuldner bestehende Kreditbeziehung unterliegt.“384 Hinsichtlich des Inhalts des Beruhenserfordernisses ist deshalb auf Rz. 148 ff. zu verweisen. Es ergibt sich eine gleichgelagerte Auslegung und inhaltlich stellen sich vergleichbare Probleme (insbesondere auch zur Bedeutung des § 3 Abs. 2 StaRUG). 3. Gläubigervereinbarungen (§ 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG) a) Einführung Beruhen Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften auf unterschiedli- 170 chen Rechtsverhältnissen und haben die Inhaber der Forderungen oder Anwartschaften untereinander und mit dem Schuldner Vereinbarungen über die Durchsetzung der gegenüber dem Schuldner bestehenden Forderungen oder Anwartschaften und das relative Rangverhältnis der aus der Durchsetzung resultierenden Erlöse getroffen, sind gem. § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG auch die Bedingungen dieser Vereinbarung mittels eines Restrukturierungsplans gestaltbar. Die Gestaltungsbefugnis greift danach weder die Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG noch § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG auf.385 Auch wenn Gläubigervereinbarungen häufig in Form eines Intercreditor Agreement nach dem LMA Standard dokumentiert werden und damit also meist mehrseitig sind, ist es nicht erforderlich, dass Restrukturierungsforde383 Vgl. zu § 305 BGB Grüneberg in Grüneberg, 81. Aufl. 2022, § 305 BGB Rz. 9. 384 BT-Drucks. 19/24181, S. 111. 385 BT-Drucks. 19/24181, S. 112; Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 9; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 2 StaRUG Rz. 33.

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§ 2 Rz. 170 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse rungen oder Absonderungsanwartschaften auf den Vereinbarungen beruhen. Zudem muss auch keine Vielzahl von Vereinbarungen zu gleichlautenden Bedingungen vorliegen. b) Erfasste (Gläubiger-)Vereinbarungen 171 Gläubigervereinbarungen (Intercreditor Agreement) sind ein wichtiger Baustein komplexer

Finanzierungsarrangements, in denen verschiedene Gläubiger(-gruppen) in Rangklassen eingeteilt werden und/oder Sicherheiten(-pakete) an gemeinsamen Sicherungsgütern der Unternehmensgruppe hinsichtlich der Durchsetzung, Freigabe und Erlösverteilung geregelt werden müssen. Auf diese Konstellationen nimmt die Gesetzesbegründung explizit Bezug.386 Sie ermöglichen, trotz der Besicherung unterschiedlicher Gläubiger durch gleiche Sicherheiten, ein Nebeneinander von risikoärmeren und -reicheren Finanzierungen.387 Um dieses Nebeneinander zu ermöglichen, sehen sie vertragliche Rangregelungen bzw. Änderungs- und Zustimmungsvorbehalte der (nachrangigen) Gläubiger mit ihren Forderungen und ihren Rechten aus den Sicherheiten vor, ohne dass es sich um schuldcharakterändernde Rangrücktritte i.S.d. § 39 Abs. 1 oder 2 InsO handelt. Um die Position der Finanzgläubiger im Einklang mit dem vereinbarten Wasserfall umfassend abzusichern, soll es für alle Gläubiger(-gruppen) weiterhin möglich sein, im Verwertungs- oder Insolvenzfall aus den vor- und nachrangigen Forderungen gegen den Schuldner vorzugehen. Durch unterschiedliche Regelungskonzepte ist es möglich, das im konkreten Fall kommerziell gewünschte Risikoprofil der unterschiedlichen Finanzierer abzubilden.

172 Entsprechende Klauseln können auch (auf das Wesentliche konzentriert) in einen Sicherhei-

tentreuhandvertrag eingearbeitet werden, soweit – bspw. im Rahmen einer Refinanzierung – die Beteiligten mit weitgehend gleichgerichteten Interessen eher einfache Regelungen für ausreichend halten. Bei zunehmender Regelungstiefe oder heterogenen Gläubigerinteressen werden sie aber – parallel zu einem Sicherheitentreuhandvertrag – in einer separaten Vereinbarung geregelt, die sich konzeptionell meist an den Mustern der LMA orientiert. Sie sehen in der Regel zusätzliche detaillierte Verfahrens- und Zuständigkeitsregelungen vor. Sie beziehen sich z.B. auf das Entstehen der Verwertungsbefugnis zugunsten einer bestimmten Gläubigergruppe oder die Befugnis und Bedingungen einer Verwertungsanweisung gegenüber dem Sicherheitenagenten. Letztere kann einzelnen Gläubigern zustehen, gegebenenfalls aber auch eine gemeinschaftliche Entscheidung voraussetzen. Möglich ist zudem, dass bspw. Änderungs- und Zustimmungsvorbehalte in Bezug auf die Finanzierungsdokumente einer bestimmten Gläubigergruppe oder die Freigabe von Sicherheiten eingefügt werden. Außerdem werden dort bestimmte Rechte (etwa Kündigung oder Aufrechnung) der nachrangingen Gläubiger suspendiert, bis die vorrangigen Gläubiger vollständig befriedigt wurden.388 Schließlich beinhalten diese Vereinbarungen zusätzliche Regelungen für den Fall, dass nachrangige Gläubiger gemessen an den Vorgaben der Gläubigervereinbarung und insbesondere Wasserfallregelung zu Unrecht Zahlungen oder Verwertungserlöse erhalten. Sie sind an die Berechtigten auszukehren.389 In der Praxis wird die Gestaltung außerhalb etablierter Finanzstrukturen und ihrer (Intercreditor-)Standards durch die Bedürfnisse der Finanzierung im Einzelfall getrieben, mit der Folge, dass es sich häufig um maßgeschneiderte Einzelstücke handelt und sie sich bspw. auch in Form sog. Nachrang- und Belassungsvereinbarungen in Bezug auf Gesellschaf-

386 BT-Drucks. 19/24181, S. 112 f. 387 Vgl. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 26; außerdem Plank/Prusko in Knecht/Hommel/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, 2. Aufl. 2018, S. 2064; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 51. 388 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 52. 389 Zu den Gläubigervereinbarungen, die üblicherweise im Zuge von Akquisitionsfinanzierung bestehen Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 40 Rz. 21 ff.

126 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 174 § 2

terdarlehen oder Vorrangvereinbarungen (Priority Agreement) zwischen Gläubigern – einschließlich der notwendigen Anpassungen – wiederfinden. Gläubigervereinbarungen können in Refinanzierungssachverhalten (neu-)vorgesehen und ins- 173 besondere notwendig werden, wenn der Schuldner neuer Liquidität bedarf und ein neuer Kredit aufgenommen wird.390 In letzteren Fällen regelt die Gläubigervereinbarung das Nebeneinander der alten und neuen Finanzierung mitsamt ihrer Besicherung. Wer eine neue Finanzierung zur Verfügung stellt, wird üblicherweise erwarten, dass dieses (Fresh Money) eine vorrangige Stellung (Super Senior Ranking) gegenüber den Altforderungen und die sie besichernden Sicherheiten erhält. Falls der Wert des Unternehmens bereits in der bestehenden Verschuldung bricht (sog. „In or Out of the Money-Test“), könnte für die bisher schon miteinander in unterschiedlichen Rangstufen zueinander stehenden Altforderungen mit diesem Zugeständnis an eine vorrangige Finanzierung entweder – im Falle einer bisher vorrangigen Position – eine entsprechende Entwertung oder zumindest Risikoerhöhung einhergehen oder – im Falle einer bisher nicht mehr sicher „im Geld“ befindlichen Position – die Möglichkeit einer Wertaufholung verbunden sein. Die sehr unterschiedlichen Perspektiven zeigen, dass die Gestaltungsmöglichkeit solcher Rangvereinbarungen kraft Mehrheit eine sehr sensible Stelle in Finanzierungsstrukturen berühren. c) Beteiligung des Schuldners Ausgehend vom klaren Wortlaut des § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG, der eine Gestaltung von Be- 174 dingungen von Gläubigervereinbarungen zulässt, die zwischen den Gläubigern „untereinander und mit dem Schuldner“ getroffen wurde, liegt es nah, Plangestaltungen auch nur dann zuzulassen, wenn eine Beteiligung des Schuldners an der betreffenden Gläubigervereinbarung gegeben ist.391 In diese Richtung geht auch die Gesetzesbegründung, wenn eine Gestaltbarkeit angenommen wird, „soweit zwischen dem Schuldner und den Gläubigern ein umfassendes vertragliches Rechtsverhältnis besteht“.392 In der Gesetzesbegründung wird allerdings auch hervorgehoben, dass innerhalb dieses Rechtsverhältnisses auch Vereinbarungsteile gestaltbar sind, die allein die Gläubiger untereinander betreffen und weiter heißt es, dass allein entscheidend ist, „dass zwischen den Gläubigern eine Vereinbarung besteht, mit welcher diese die Wahrnehmung der gegenüber dem Schuldner bestehenden Rechte koordinieren oder ihre Berechtigungen an den aus der Wahrnehmung dieser Rechte resultierenden Erlöse im Verhältnis zueinander abgrenzen, insbesondere durch die Vereinbarung relativer Vor- oder Nachränge. In solchen Fällen lassen sich – zumindest soweit es um die Risikoposition eines Gläubigers geht – die gegen den Schuldner gerichteten Einzelforderungen und die Berechtigungen an den am schuldnerischen Vermögen bestellten Sicherheiten nicht isoliert von den zwischen den Gläubigern getroffenen Vereinbarungen betrachten.“393 Auch wenn somit teilweise die Stellung des Schuldners als Vertragspartei der Gläubigervereinbarung für verzichtbar gehalten wird394, ist den Planerstellern vor dem Hintergrund des Ausnahmecharakters des § 2 Abs. 2 StaRUG und den selektiven Anforderungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 StaRUG, die den Eindruck entstehen lassen, der Gesetzgeber habe bewusst nur die angesprochenen Fallgruppen der Sätze 1–3 herausgegriffen, aus praktischer Sicht wohl bis zu einer weiteren Klärung

390 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 51. 391 In diese Richtung Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 2 StaRUG Rz. 32; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 82 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 5 sowie Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1125; Thole, NZI 2021, 433, 437; Wilkens, WM 2021, 573, 577. 392 BT-Drucks. 19/24181, S. 112. 393 Insg. BT-Drucks. 19/24181, S. 112. 394 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 27.

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§ 2 Rz. 174 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse zu empfehlen, eine Gestaltung von der Parteistellung des Schuldners als Voraussetzung abhängig zu machen. d) Beruhen auf „unterschiedlichen Rechtsverhältnissen“ 175 Mit § 2 Abs. 2 StaRUG zielt der Gesetzgeber darauf ab, die sachlich notwendigen Regelungen

zur Umsetzung des Restrukturierungskonzepts als weniger einschneidendes Mittel (auch) in „Konsortialvereinbarungen und Interkreditorenvereinbarungen im Rahmen komplexer Finanzierungsstrukturen“395 einer Gestaltung zuzuführen. Missverständlich ist daher die Eingangsformulierung des § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG, wenn dort als Anwendungsvoraussetzung formuliert wird, „beruhen Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften auf unterschiedlichen Rechtsverhältnissen“. Diese Formulierung erschließt sich zwar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Gläubigervereinbarung als separates Dokument neben mehreren Kreditverträgen oder Schuldtiteln nicht unter § 2 Abs. 2 Satz 1 oder 2 StaRUG fällt, da in diesem Fall die Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften auf den Kreditverträgen bzw. Schuldtiteln und nicht auf der Gläubigervereinbarung beruhen. § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG ist daher als Ergänzung der vorherigen zwei Sätze zu verstehen, so dass die Gläubigervereinbarung auch gestaltet werden kann, wenn diese neben den die Forderungen und Anwartschaften tragenden Finanzierungsdokumenten separat dokumentiert ist und daher nicht unter Satz 1 und 2 fällt. An dieses Verständnis anschließend lässt sich dann zunächst noch festhalten, dass Abänderungen in Bezug auf Bedingungen der Erlösverteilung und Durchsetzung, also rangbezogene Abänderungen, sowohl auf Basis von § 2 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 oder Satz 3 StaRUG erfolgen können, also auf Basis von Satz 1 bzw. 2 wenn solche Rang- und Durchsetzungsregelungen als Teil eines mehrseitigen Rechtsverhältnisses oder der Bedingungen von Schuldtiteln bzw. gleichlautenden Verträgen für eine Vielzahl von Gläubigern vorgesehen sind und auf Basis von Satz 3, wenn sie separat dokumentiert wurden. Weiter lässt sich festhalten, dass, auch wenn die Forderungen und Anwartschaften auf einem oder mehreren gleichen Rechtsverhältnissen beruhen (also bspw. einem Konsortialkreditvertrag mit mehreren Fazilitäten (Facilities Agreement)) und die Durchsetzungs- und Erlösverteilungsregelungen in einer separaten Gläubigervereinbarung geregelt wurden, sich letztere auf Basis von Satz 3 gestalten lassen.396

e) Gestaltbarkeit von Gläubigervereinbarungen und davon betroffenen bilateralen Kreditverträgen 176 Wenn der Gesetzgeber bei Vorliegen einer Gläubigervereinbarung mit dem Schuldner die

Durchsetzungs- und Rangbedingungen im Verhältnis der Gläubiger untereinander für gestaltbar erklärt, muss die Frage gestellt werden, ob nicht auch kreditvertragliche Einzelbestimmungen der zugrunde liegenden unterschiedlichen Rechtsverhältnisse ebenfalls als weniger einschneidendes Mittel gestaltbar sein sollen. Bestehen mehrere bilaterale Kreditfinanzierungen und schließen die Gläubiger und der Schuldner eine überspannende Vereinbarung hinsichtlich der Durchsetzung und Erlösverteilung, wäre es dann bspw. möglich, Financial Covenants, Negative Covenants (Negative Pledge, No Disposal, No Financial Indebtedness, No Acquisition etc.) oder Kündigungsrechte (Event of Default) mittels eines Restrukturierungsplans anzupassen, obgleich solche Bedingungen in den bilateralen, überspannten Finanzierungsverträge an und für sich nicht aufgrund von § 2 Abs. 2 Satz 1 oder Satz 2 StaRUG gestaltbar wären?397 Am Ende werden auch hier die Erwägungen zu berücksichtigen sein, die bei der Frage aufkommen, ob hinreichend vergleichbare Verträge nach Satz 2 gestaltbar sind. Auf395 BT-Drucks. 19/24181, S. 112 f. 396 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 443. 397 Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 15.

128 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 178 § 2

grund des praktischen Phänomens, dass wirtschaftlich vergleichbare Finanzierungsstrukturen (häufig aufgrund historischer Entwicklungen) zu unterschiedlichen Dokumentationen führen, erscheint es fragwürdig, zwar die rangbezogenen Abänderungen einer die bilateralen Finanzierungen überspannenden Sicherheitenpoolvereinbarung gem. § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG mit Blick auf Erlösverteilung und Durchsetzung gestalten zu können, aber die leistungs- und auflagenbezogenen Abänderungen der bestehenden bilateralen Finanzierungen nicht vornehmen zu können, obwohl erst dadurch der Gesetzeszweck erreicht wird, die bestehende Dokumentation zur Umsetzung des Restrukturierungskonzepts als weniger einschneidendes Mittel abzuändern. Entsprechend lassen sich durchaus Beispielsfälle finden, in denen die im Wortlaut des § 2 177 Abs. 2 StaRUG eventuell angelegte Entscheidung des Gesetzgebers nicht überzeugt, die Gläubigervereinbarungen aber nicht die überspannten bilateralen Finanzierungen für gestaltbar erklärt. So könnte ein Großhändler historisch gewachsene bilaterale Aval-Rahmenkreditverträge mit unterschiedlichen Banken abgeschlossen haben, um die Lieferanten mittels Bankgarantien abzusichern, und die Verbindlichkeiten unter den bilateralen Finanzierungen wären durch Verpfändung von Guthabenkonten bei den jeweiligen Banken sowie eine durch einen Sicherheitentreuhänder gehaltene Globalabtretung gesichert. Weiter könnte der Sicherheitentreuhänder unter einer übergreifenden Sicherheitentreuhandvereinbarung bestellt worden sein, die zusätzlich einen Erlösverteilungswasserfall und einen Saldenausgleich beinhaltet und für die bilateralen Finanzierungen gewisse Vorgaben hinsichtlich ihrer Endfälligkeit macht. Entscheidungen über die Kündigung der bilateralen Finanzierungen könnte zudem bei jedem Kreditgeber individuell verbleiben. Trotz der ehemals bilateralen Grundstruktur werden aufgrund der Sicherheitentreuhandvereinbarung inzwischen alle Kreditrisiken weitgehend geteilt. Hier scheint nicht unbedingt nachvollziehbar, warum § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG zwar rangbezogene Abänderungen in Bezug auf die Sicherheitentreuhandvereinbarung ermöglicht, aber nicht leistungs- oder auflagenbezogene Abänderungen der entsprechenden Bestimmungen der bilateralen Finanzierungsverträge, obwohl es doch auch letztere sein können, die eine vorinsolvenzliche Mehrheitslösung zur Abwendung entstandener wirtschaftlicher Schwierigkeiten seitens des Großhändlers tragen. f) Mehrere Betroffene und Zustimmungserfordernis Für die Gestaltung von Bedingungen aus Gläubigervereinbarungen kann unter Umständen 178 die Zustimmung weiterer Beteiligter erforderlich werden, wenn an einer mehrseitigen Gläubigervereinbarung unterschiedliche Kredit- und Sicherungsgeber beteiligt sind. Das Zustimmungserfordernis entsteht etwa, wenn ein Konsortialkredit an die Muttergesellschaft eines Konzernes ausgereicht worden ist, im Übrigen bilaterale Finanzierungen zugunsten einer oder mehrerer ihrer Tochtergesellschaften durch eine der beteiligten Konsortialbanken bestehen und sowohl die Mutter- als auch die Tochtergesellschaft für die Finanzierungen und insbesondere den Konsortialkredit Sicherheiten bestellt haben. Ist in diesem Fall über die Finanzierungen mitsamt den gestellten Sicherheiten eine Gläubigervereinbarung zwischen allen Beteiligten getroffen worden, könnte die Gestaltung dieser Vereinbarung innerhalb einer durch die Muttergesellschaft eingeleiteten Restrukturierungssache die Zustimmung sowohl des Drittsicherungsnehmers innerhalb der bilateralen Finanzierungen (im Ausgangssachverhalt, also eine der Konsortialbanken) als auch der Tochtergesellschaft als Drittsicherungsgeberin erfordern. Im konkreten Fall wird die Zustimmung des Sicherungsnehmers zum Restrukturierungsplan bereits angesichts der Absonderungsanwartschaft (also der an dem Vermögen des Schuldners bestellten Sicherheit) erfolgen, eine erneute Zustimmung durch die bilateral finanzierende Konsortialbank als Drittsicherungsnehmer scheint daher gegebenenfalls ebenfalls erreichbar. In der Praxis sollte die Zustimmung aller von der Gestaltung betroffenen Dritt-Beteiligten sicherheitshalber als Anlage zum Restrukturierungsplan aufgenommen werden (vgl. § 15 Abs. 3, 4 StaRUG sowie ergänzend Rz. 139). Ist eine Zustimmung des Dritten nicht erHerding/Krafczyk | 129

§ 2 Rz. 178 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse reichbar, wäre unter dessen Ausklammerung über eine nur relativ wirkende Gestaltung unter den Planbetroffenen und ihren vertragsrechtlichen Konsequenzen nachzudenken. 4. Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5 StaRUG) 179 Ausweislich des Wortlauts sind auch für den zeitlichen Anwendungsbereich der Gestaltung

gem. § 2 Abs. 2 StaRUG die Rechtsverhältnisse zum Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG maßgeblich. Für Restrukturierungsforderungen wurde in Anlehnung an § 38 InsO festgestellt, dass diese auf Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG nur gestaltet werden, wenn und soweit sie im maßgeblichen Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG bereits begründet sind. Für die Gestaltbarkeit von Absonderungsanwartschaften war entscheidend, dass die Sicherungsvereinbarung vor dem maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG bereits abgeschlossen wurde. Die zukünftigen Forderungen und Anwartschaften sind dagegen „planimmun“, entziehen sich also einer Gestaltung durch den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen. Überträgt man diese Grenzziehung auf § 2 Abs. 2 Satz 1–3 StaRUG, so sollen die dort angesprochenen Rechtsverhältnisse gestaltbar sein, wenn sie vor dem maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG abgeschlossen wurden. Umgekehrt sind Vereinbarungen, die erst danach, bspw. im Zusammenhang mit einer Zwischenfinanzierung während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache abgeschlossen werden, nicht gestaltbar, also planimmun.

180 Weitergehend stellt sich mit Blick auf die in § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG angesprochenen

mehrseitigen und mit einer Vielzahl von Gläubigern gleichlautend abgeschlossenen Rechtsverhältnisse die Frage, ob zum Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG bereits Restrukturierungsforderungen auf der relevanten Vereinbarung beruhen müssen. Denn § 2 Abs. 2 StaRUG greift nach dem Wortlaut nur hinsichtlich Einzelbestimmungen und Bedingungen aus Rechtsverhältnissen und Verträgen ein, auf denen Restrukturierungsforderungen beruhen oder, im Fall des Abs. 2 Satz 3, die solche Rechtsverhältnisse als Gläubigervereinbarung überspannen. Dabei ist zu bedenken, dass eine aus einer Ziehung nach dem Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG resultierende zukünftige Rückzahlungsforderung unter einem Finanzierungsvertrag nicht als Restrukturierungsforderung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gestaltet werden kann. Die Anschlussfrage, ob bei teilweise nicht gezogenen Kreditzusagen das Rechtsverhältnis, auf dem dann Restrukturierungsforderungen beruhen, gestaltet werden kann, wurde an anderer Stelle bereits bejaht und begründet (s. Rz. 151 ff.). Dies gilt auch hier und selbst dann, wenn die Kreditzusage noch überhaupt nicht in Anspruch genommen wurde und es zum Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG keine Restrukturierungsforderungen gibt. Denn das Beruhenserfordernis konkretisiert die Rechtsverhältnisse, die in den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 StaRUG fallen, muss aber für die Gestaltung nach § 2 Abs. 2 StaRUG nicht durch zum Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG bereits bestehende Restrukturierungsforderungen tatsächlich ausgefüllt sein. In der Praxis wird ein Rechtsverhältnis ohne darauf beruhende Restrukturierungsforderung allerdings keine Rolle spielen, insbesondere da im Rahmen einer Inanspruchnahme ein Kreditgeber sich auf den Ziehungsstopp gem. § 490 Abs. 1 BGB berufen kann (§ 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG). 5. Plangestaltungen (§ 2 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 StaRUG) a) Einführung

181 Wenn § 2 Abs. 2 StaRUG bestimmt, dass Einzelbestimmungen und Bedingungen aus unter-

schiedlichen Rechtsverhältnissen und Vereinbarungen mittels eines Restrukturierungsplans gestaltbar sind, so ist diese Gestaltungsbefugnis im Licht der eigenständigen Stoßrichtung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens und insbesondere des Restrukturierungsplans als vorinsolvenzlichem Sanierungsverfahren zur Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu verstehen. Denn Restrukturierungsforderungen und Absonderungs130 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 183 § 2

anwartschaften sind im Rahmen der jeweils zugrunde liegenden Schuldrechtsorganismen zu gestalten und selbst wenn weitreichende Gestaltungen vorgesehen sind, bestehen die betroffenen Rechtsverhältnisse im Übrigen unverändert fort. Die zwangsweise Gestaltung von Einzelbestimmungen und Bedingungen für die Zeit nach der Restrukturierungssache ist also einerseits eine sich konzeptionell ergebende Notwendigkeit, da mit den fortbestehenden Rechtsverhältnissen umzugehen ist; andererseits erscheint diese Gestaltungsbefugnis aus Sicht des Gesetzgebers auch gerechtfertigt, da solche Gestaltungen und die mit ihr in der Praxis erreichbaren Restrukturierungslösungen häufig weniger einschneidend sind, als die ebenfalls zulässige Gestaltung der Forderung oder Anwartschaft auf Grundlage von § 2 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 StaRUG und damit insbesondere als ihre Kürzung. Das soll zum einen mit Blick auf die mehrseitigen Rechtsverhältnisse und damit insbesondere Konsortialkreditverträge gelten, zum anderen für Verträge zu gleichlautenden Bedingungen, also vornehmlich Schuldscheine bzw. Schuldscheindarlehen. Die in den jeweiligen Finanzierungsdokumenten enthaltenen gängigen Einzelbestimmungen und Bedingungen regeln die Rechte und Pflichten des Schuldners und der Gläubiger und sehen insbesondere auch kreditmaterielle Auflagen zur Absicherung der Stellung der Gläubiger und ihres (Ausfall-)Risikos vor. Gerade die Abänderung solcher Einzelbestimmungen und Bedingungen kann in einer Restrukturierungssituation zweckmäßig oder gar als Teil eines umfassenderen Fortführungskonzepts erforderlich sein.398 § 2 Abs. 2 StaRUG bietet damit einen alternativen Weg, die Befriedigungsmöglichkeiten der 182 betreffenden Restrukturierungsgläubiger in der Zukunft sicherzustellen und geht damit insoweit über das bislang von der Mehrheit getragene Verständnis des Insolvenzplans hinaus (s. bereits Rz. 8).399 Im Gegensatz zu einem Eingriff in die Substanz der Forderungen bleibt es hier bei einer Anpassung derjenigen Einzelbestimmungen und Bedingungen, die einer Umsetzung des Restrukturierungskonzepts entgegenstünden und damit zur Destabilisierung der gesamten Finanzierungsstruktur führten. Dabei streben nach richtigem Verständnis auch solche Gestaltungen der Einzelbestimmungen und Bedingungen auf Grundlage von § 2 Abs. 2 StaRUG – wie im Rahmen von § 217 InsO – die bestmögliche Befriedigung der planbetroffenen Gläubiger an, allerdings auch indem die Forderungen und Anwartschaften unter den fortgeführten Rechtsverhältnissen mit den notwendigen Abänderungen möglichst weitgehend erfüllt werden. Die Abänderungen beschäftigen sich eben nicht unmittelbar mit Auszahlungen an die Rechte- oder Forderungsinhaber und deren Höhe,400 sondern mit der Aufrechterhaltung der vertraglichen Befriedigungsmöglichkeiten. Ein klassisches Beispiel der Restrukturierungspraxis für solche Befriedigungsmöglichkeiten sind Amend and Extend-Lösungen, also die Streckung des Fälligkeitsprofils (ohne Kürzung der Forderungen) unter gleichzeitiger Adjustierung der Auflagen der Finanzierung, um dem Schuldner die Zeit zu geben, in die Schuldenlast „hineinzuwachsen“. Solche Gestaltungen lassen sich systematisch als Kombination leistungsbezogener und auflagenbezogener Abänderungen verstehen, es werden gegebenenfalls – wenn etwa Gläubigervereinbarungen aufgrund (neu) einzubeziehender Sicherheiten bestehen – aber auch rangbezogene Abänderungen erforderlich (s. zur Systematisierung Rz. 193 ff.). Soweit vertragliche Einzelbestimmungen und Bedingungen nach § 2 Abs. 2 Satz 1–3 StaRUG 183 gestaltet werden, legt der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans fest, wie diese abgeändert werden sollen (§ 7 Abs. 3 StaRUG). Auch für Gestaltungen auf Grundlage von § 2 Abs. 2 StaRUG sind die §§ 3, 4 StaRUG zu berücksichtigen, wobei insbesondere die Reichweite des § 3 Abs. 2 zu hinterfragen ist (s. Rz. 151 ff.). Denn selbst wenn Restrukturierungsforderungen aus gegenseitigen Verträgen herrühren, bei denen die dem anderen Teil obliegende Leistung noch nicht erbracht wurde und so z.B. zugesagte Kredite noch nicht ausgereicht wur398 BT-Drucks. 19/24181, S. 111 f. 399 S. auch Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 3 und 35. 400 Vgl. Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 217 InsO Rz. 102.

Herding/Krafczyk | 131

§ 2 Rz. 183 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse den, sind die Einzelbestimmungen und Bedingungen umfassend gestaltbar. Für die betroffenen Rechtsverhältnisse und Verträge aus § 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 StaRUG bedeutet dies, dass Änderungen und Anpassungen der Einzelbestimmungen und Bedingungen auch für die Zukunft wirken und – soweit bspw. der in § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG angesprochene Konsortialkreditvertrag betroffen ist – damit die angepassten Einzelbestimmungen nicht nur den valutierten Teil, sondern auch zukünftige Ziehungen unter dem fortbestehenden Konsortialkreditvertrag betreffen. Zudem sind Gestaltungen bspw. von Einzelbestimmungen aus mehrseitigen Rechtsverhältnissen nicht zugelassen, wenn an diesen Arbeitnehmer des Restrukturierungsschuldners beteiligt sind (s. § 4 Rz. 5). Schließlich sind im Fall der Beteiligung mehrerer Parteien die oben aufgeführten Zustimmungserfordernisse und weiterhin die Besonderheiten hinsichtlich der Konzeption und Umsetzung solcher Gestaltungen von Einzelbestimmungen und Bedingungen zu beachten. b) Begriffsbestimmung 184 Die Begriffe der Einzelbestimmungen und Bedingungen führen § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 Sta-

RUG ein und § 7 Abs. 3 StaRUG erlaubt daran anknüpfend ihre Abänderung als Gestaltung mittels Restrukturierungsplan. Auch wenn dem Gesetz keine Legaldefinition entnommen werden kann, lassen die Gestaltungsbeispiele der Gesetzesbegründung Rückschlüsse für eine Begriffsbestimmung der Einzelbestimmungen zu, denn dort sind bspw. die (Unterlassungs-) Verpflichtungen des Schuldners in Bezug auf „Finanzzahlen-Relationen ... sowie bestimmte Geschäftsführungs- oder Finanzierungsmaßnahmen“ oder die „Verlängerung der Fälligkeiten und dem Ausschluss bestehender Kündigungsrechte“ genannt.401 Mit Blick auf die Bedingungen nimmt die Gesetzesbegründung die nach § 5 Abs. 1 und 3 SchVG zulässigen Änderungen der Anleihebedingungen mittels Mehrheitsbeschluss in Bezug, also bspw. die Verringerung der Hauptforderungen, die Veränderung der Fälligkeiten, die Beschränkung des Kündigungsrecht, die Freigabe von Sicherheiten oder auch allgemein die Änderung von Nebenbestimmungen.402 Der weitgehende Gleichlauf zwischen den zulässigen Maßnahmen nach § 5 Abs. 3 SchVG und denjenigen, die in der Gesetzesbegründung als im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 StaRUG möglich angeführt werden (ohne zwischen Einzelbestimmungen und Bedingungen zu unterscheiden), legt nahe, die Definition der Einzelbestimmungen und Bedingungen in Anlehnung an die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Satz 1 SchVG zu formulieren. Dafür spricht zudem, dass § 7 Abs. 3 StaRUG keine weitere Differenzierung vornimmt. Also werden als Einzelbestimmungen und Bedingungen alle Regelungen aus den betreffenden Rechtsverhältnissen (i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG), Vereinbarungen und Verträgen (i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 2, 3 StaRUG) adressiert, die der Beschreibung der geschuldeten Leistung sowie der Rechte und Pflichten des Schuldners und der Gläubiger einschließlich ihrer Neben- und auch Informationspflichten dienen. Sie sind einer Gestaltung auf Grundlage von § 2 Abs. 2 StaRUG zugänglich, was sich zuletzt mit dem Ziel deckt, den Begriff der „Gestaltbarkeit“ für die Praxis weit auszulegen. c) „Abänderungen“ als Gestaltungen von Einzelbestimmungen und Bedingungen aa) Einführung

185 Die besondere Funktion der Gestaltung gem. § 2 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 StaRUG ist im Lichte

des Charakters des Restrukturierungsrahmens als „Resolvenzverfahren“ zu verstehen: Die nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StaRUG der Gestaltung durch den Plan unterworfenen Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften beruhen auf Rechtsverhältnissen, die

401 BT-Drucks. 19/24181, S. 112. 402 BT-Drucks. 19/24181, S. 112.

132 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 187 § 2

nach Aufhebung der Restrukturierungssache fortbestehen. Im Licht der jeweils fortbestehenden Schuldrechtsorganismen stellt es das ausdrückliche Ziel des § 2 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 StaRUG dar, eine Abänderung der Einzelbestimmungen und Bedingungen zu ermöglichen, soweit diese im Rahmen des Restrukturierungskonzepts notwendig ist oder wird. Neben leistungswirtschaftlichen Maßnahmen sind vielfältige finanzielle Restrukturierungsmaßnahmen denkbar, bspw. Laufzeitverlängerungen hinsichtlich ausgereichter Kredite, Forderungskürzungen sowie Zins- und/oder Ranganpassungen, aber auch die Einführung eines komplexen Desinvestitionskonzepts. Häufig ist eine neue Kreditaufnahme oder auch die Bestellung von (zusätzlichen) Sicherheiten erforderlich, die als freiwillige Kreditzusage gem. § 12 StaRUG in die bestehende Finanzierungs- und Sicherheitenstruktur einzupassen sind.403 Die entsprechenden Maßnahmen können das ursprünglich übernommene kreditmaterielle Risiko der Gläubiger, auch im Vergleich zu anderen Beteiligten, betreffen und eine Gestaltung der jeweils relevanten vertraglichen Einzelbestimmungen und Bedingungen erforderlich machen.404 Soweit also die wesentlichen Finanzierungs- und Sicherheitenverträge im Anschluss an die Restrukturierung fortgeführt werden,405 ergeben sich notwendigerweise Hindernisse und Hürden aus den bestehenden Regelungen, aber auch Wechselwirkungen und Spannungsfelder mit Blick auf das jeweilige Risiko der Planbetroffenen, denen mittels leistungs-, auflagenoder rangbezogener Abänderung zu begegnen ist.406 Das gilt für die von § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG als Hauptanwendungsfall angesprochenen Konsortialkreditverträge ebenso wie für die Schuldtitel i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG und Schuldscheindarlehen als „Verträge zu gleichlautenden Bedingungen“ i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG und natürlich auch für übergreifende Gläubigervereinbarungen i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG.407 bb) Abänderung und/oder Einführung von Einzelbestimmungen und Bedingungen? Gemäß § 7 Abs. 3 StaRUG ist im gestaltenden Teil vorzusehen, wie die Einzelbestimmungen 186 und Bedingungen „abgeändert“ werden sollen. Der gewählte Begriff der Abänderung scheint auf eine bestehende Regelung als Anknüpfungspunkt für die Gestaltung hinzudeuten, so dass auf Grundlage von § 2 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 StaRUG eine gewisse Zurückhaltung anzuraten ist, Einzelbestimmungen und Bedingungen einzuführen, die zuvor ungeregelte Materien betreffen. Dies berührt praxisrelevante Punkte, bspw. Mehrheitskonzepte in bislang bilaterale Schuldscheindarlehensverträge, eine Rangregelung für unterschiedliche Fazilitäten neu in einen Konsortialkreditvertrag oder in eine eher schlichte Sicherheitentreuhand anspruchsvolle Intercreditor-Konzepte einzuführen. Für die Einschätzung, ob es sich bei der Einführung neuer Einzelbestimmungen und Bedingungen noch um eine Gestaltung handelt, wie sie durch § 2 Abs. 2 StaRUG zugelassen wird, mag – gerade im Fall der Verträge zu gleichlautenden Bedingungen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG) – zu berücksichtigen sein, dass der Gesetzgeber eine Anlehnung an das SchVG anspricht und § 5 SchVG allein von einer Änderung der Bedingungen spricht.408 Diese Art der Änderungen scheint auch der Wortlaut von § 7 Abs. 3 StaRUG mit möglichen „Abänderungen“ zu adressieren, was gegen die Möglichkeit einer gänzlichen Neuaufnahme weiterer Regelungen sprechen könnte. Obwohl es in der Praxis in vielen Fällen schwierig sein dürfte, zu beurteilen, wann eine bloße 187 Abänderung und/oder wann bereits eine Neugestaltung vorliegt, spricht der Wortlaut und die 403 404 405 406 407 408

Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442. Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442. BT-Drucks. 19/24181, S. 112; hierzu Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442. BT-Drucks. 19/24181, S. 111 f. Vgl. Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 442 f. BT-Drucks. 19/24181, S. 112; in diese Richtung Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 16 ff.; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 2 StaRUG Rz. 18 ff. („Umgestaltung“); Skauradszun/ Kümpel, WM 2021, 1123, 1125.

Herding/Krafczyk | 133

§ 2 Rz. 187 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse Parallelwertung zu § 5 Abs. 1 SchVG also dafür, die Neugestaltung nicht unter Rückgriff auf die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 StaRUG zuzulassen und im Zweifel von einer Gestaltbarkeit nur auszugehen, wenn Änderungen ihrem Inhalt nach in der bestehenden Finanzierungs- und Sicherheitendokumentation wenigstens angelegt sind.409 Darüber hinaus sollte allerdings überlegt werden, im Einzelfall auch Gestaltungen als zulässig anzusehen, die Einzelbestimmungen und Bedingungen neu einführen, wenn diese jedenfalls praxisüblich sind, sich als Variante einer bestehenden Regelung denken lassen oder sonstige gute Gründe dafür sprechen, dass sie – unter Einwertung aller Umstände – bereits bei Vertragsabschluss vorgesehen worden wären. Da sich häufig das kommerziell Gewollte regelungstechnisch auch in anderer Form erreichen lässt, bspw. indem zwar im Fall gleichlautender bilateraler Finanzierungen kein Mehrheitskonzept neu eingeführt wird, aber ein bestehendes individuelles Recht mit entsprechendem Effekt modifiziert wird (bspw. indem im Fall eines Schuldscheindarlehens ein individuelles Kündigungsrecht erst ausgeübt werden kann, wenn als objektive Bedingung dem Schuldner ein Mehrheitsvotum nachgewiesen wird), sollte hier nicht formal vorgegangen werden, sondern eine Grenzziehung sich eher daran orientieren, dass die Abänderung von Einzelbestimmungen und Bedingungen ihre Grenze dort findet, wo die Gestaltung die Grundlage der ursprünglichen kreditmateriellen Entscheidung gänzlich verlässt und dem Planbetroffenen letztlich die Übernahme einer neuen Verpflichtung zumutet. Gerade mit Blick auf die Wirkung für die Zukunft erfordert eine neue Finanzierung die freiwillige Zusage (§ 12 StaRUG) und dient somit als Abgrenzung für eine kreditmaterielle Gestaltung auf Grundlage des § 2 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 StaRUG. 188 Für die Frage der Grenze etwaiger Gestaltungen auf Grundlage von § 2 Abs. 2 StaRUG lässt

sich vertiefend sagen, dass sich die Intensität des Eingriffs in die Privatautonomie auch mit Blick auf eine mögliche Risikobegrenzung durch die vertraglich vereinbarten Schutzmechanismen (bspw. Financial Covenants, „Reps and Warranties“, Events of Default) und damit letztlich die Kündigung bestehender Zusagen und Durchsetzung der vertraglichen Rechte bestimmen lässt. Ist eine Risikobegrenzung in Form der Kündigung eines ausgereichten Kredits unterblieben, mag man darin grundsätzlich eine Bereitschaft erkennen, sich weiter an den Schuldner zu binden. Zudem erscheint dann angesichts der Alternativen die Abänderung als weniger einschneidende Maßnahme gerechtfertigt. Hinsichtlich einer noch offenen Kreditzusage gilt Entsprechendes, denn soweit keine Kündigung erfolgt ist, bleibt eine Gestaltung von Einzelbestimmungen und Bedingungen möglich, auch wenn sie dann zukünftige Ziehungen betreffen.

189 Die Risikobegrenzung durch Kündigung geht bei ausgereichten Krediten – soweit rechtlich

möglich – weitgehend ins Leere, bleibt aber für offene Kreditzusagen auch ab Rechtshängigkeit grundsätzlich möglich. Denn unabhängig von der Ausübung einer Kündigung vor oder nach dem Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG hat die Kündigung eines ausgereichten Kredits zur Folge, dass eine zu diesem maßgeblichen Zeitpunkt begründete Rückzahlungsforderung als Restrukturierungsforderung zu gestalten ist, aber der ihn bislang tragende Schuldrechtsorganismus kraft Kündigung insoweit beendet wurde; eine erfolgte Kündigung kann im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen auch entsprechend nicht „rückgängig“ gemacht werden, da eine Umqualifizierung als neue Finanzierung von der Zustimmung des jeweiligen Kreditgebers abhängig wäre. Dabei bleibt die Kündigung eines ausgereichten Kredits ab Rechtshängigkeit außerhalb des Verbots von Lösungsklauseln (§ 44 StaRUG) zwar grundsätzlich möglich, kann aber durch eine Stabilisierungsanordnung aufgrund ihrer vertragsrechtlichen Wirkungen eingeschränkt werden (§ 55 Abs. 1 StaRUG). Offene Kreditzusagen können dagegen vor und nach Rechtshängigkeit gekündigt werden, denn auch ab Eintritt der Rechtshängigkeit und ergangener Stabilisierungsanordnung wird das Recht einer Kündigung wegen 409 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 80 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Westpfahl/Dittmer in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 54.

134 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 192 § 2

Vermögensverschlechterung oder Gefährdung der Werthaltigkeit einer Sicherheit (§ 490 Abs. 1 BGB) nicht berührt (§ 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG). So kann sich ein Kreditgeber auch nach Rechtshängigkeit mit einem sog. Ziehungsstop (Draw Stop) gegen die Ausweitung des Risikos wehren oder gar kündigen. Umgekehrt würde die Ausreichung weiterer Kredite nach dem Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG als neues Risiko akzeptiert, gegebenenfalls mit Blick auf die Planimmunität von Ziehungen nach dem Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG oder da als Teil des Restrukturierungskonzepts diese sog. Zwischenfinanzierung als neue Finanzierung i.S.v. § 12 StaRUG verortet wird. Wendet man sich weiter der Frage zu, welche Folge eine Kündigung für die anhängige Re- 190 strukturierungssache hat, so ist mit Blick auf § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG festzustellen, dass das Gericht von einer Aufhebung absehen kann, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellungen einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen werden soll, sofern die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist. Dies betrifft zunächst – so ist zu präzisieren – die ausstehenden Kredite, soweit diese durch eine Kündigung oder anderweitig fällig gestellt werden (können) und dennoch – aufgrund der ihnen im Rahmen der bevorstehenden Restrukturierung zugedachten Gestaltung – die positive Fortbestehensprognose nicht entfällt bzw. eine etwaige Zahlungsunfähigkeit dennoch nicht zu einer Aufhebung der Restrukturierungssache führen muss. Soweit dagegen offene Kreditzusagen gekündigt werden (vor oder nach Rechtshängigkeit bzw. dem Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG), ist für die Entscheidung über die Aufhebung der Restrukturierungssache auch unter Einbeziehung der Wirkungen eines Restrukturierungsplans gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG zu bedenken, dass diese Kreditzusagen nicht als Gestaltung gem. § 2 StaRUG „zurückgeholt“ werden können, sondern allenfalls als Kreditzusage gem. § 12 StaRUG. Insgesamt kommt also zum Ausdruck, dass soweit keine Kündigung erfolgt ist, die Möglich- 191 keiten einer Gestaltung für die Zukunft weitreichender sind, als wenn eine Kündigung erfolgt ist, so dass das StaRUG dem wachsamen Gläubiger nicht den Lohn seiner Sorgfalt nimmt. Denn soweit bis zum Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG die Schutzmöglichkeiten der Finanzierungs- und Sicherheitendokumentation durch eine Kündigung seitens des Gläubigers zur Risikobegrenzung genutzt wurde, bleibt grundsätzlich nur das im Risiko stehende Arrangement gestaltbar. Danach ist wiederum zu unterscheiden: Der bereits ausgereichte Kredit ist nunmehr nur noch eingeschränkt kündbar und ein ungekündigter, ausgereichter Kredit kann gegebenenfalls als fortgeführter Schuldrechtsorganismus gem. § 2 Abs. 2 StaRUG gestaltet werden. Eine noch offene Kreditzusage kann dagegen zwar durch Berufung auf einen DrawStop gesperrt (und damit eine Ausweitung des Risikos vermieden) oder gar gekündigt werden, aber bleibt – soweit ungekündigt – für zukünftige Ziehungen einer Gestaltung zugänglich, indem für den fortbestehenden Schuldrechtsorganismus abgeänderte Einzelbestimmungen oder Bedingungen im Plan vorgesehen werden können. Abschließend ist mit Blick auf die Gestaltung der Einzelbestimmungen und Bedingungen 192 auch für zukünftige Ziehungen also ein Zusammenspiel von (Nicht-)Ausübung vertraglicher Rechte und Zwang durch Plangestaltung zu beobachten, dessen Dynamik für das StaRUG als Instrument zwischen konsensualer Sanierung und Insolvenzverfahren prägend ist. Dies umso mehr, als jede Restrukturierungssache nur mit Unterstützung der relevanten Mehrheiten erfolgreich umgesetzt werden kann. Wenn also ein von der Mehrheit unterstütztes und von dem Schuldner verhandeltes Restrukturierungskonzept gegen einzelne Blockierer zwangsweise umgesetzt wird, so hinsichtlich der Abänderung des Schuldrechtsorganismus für zukünftige Ziehungen nur, soweit die relevanten Kreditgeber sich bewusst gegen die Kündigung entschieden haben oder – bspw. aufgrund Mehrheitserfordernissen – nicht kündigen konnten und daher die zwangsweise Gestaltung lediglich ihre vertragliche Gebundenheit spiegelt.

Herding/Krafczyk | 135

§ 2 Rz. 193 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse cc) Systematik möglicher Plangestaltungen 193 Die auf Grundlage von § 2 Abs. 2 Satz 1–3 StaRUG möglichen Abänderungen als Gestaltung

von Einzelbestimmungen und Bedingungen lassen sich einer übergeordneten Systematik zuführen, die sich von den schablonenhaften Tatbestandvoraussetzungen der Sätze 1–3 löst und stattdessen die Änderungsgegenstände in den Blick rückt. Abänderungen von Einzelbestimmungen und Bedingungen von relevanten Rechtsverhältnissen sowie Gläubigervereinbarungen lassen sich danach als leistungsbezogene Abänderungen, auflagenbezogene Abänderungen oder, soweit Gläubigervereinbarungen bspw. aufgrund einzubeziehender Sicherheiten bestehen, rangbezogene Abänderungen verstehen. (1) Leistungsbezogene Abänderungen

194 Ausgangspunkt ist die Abänderung von Einzelbestimmungen und Bedingungen in bestehen-

den Rechtsverhältnissen und dadurch in Bezug auf darunter bestehende oder zukünftige Forderungen, die damit eine gewisse Deckung mit der Gestaltungsbefugnis des § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG hat, ihre Eigenständigkeit aber dadurch erfährt, dass die Nebenbestimmungen und Bedingungen des der Forderung zugrunde liegenden und fortzuführenden Schuldrechtsorganismus gestaltet werden410 und damit die Modalitäten der (zukünftig) geschuldeten Leistung abgeändert werden. Solche leistungsbezogenen Abänderungen knüpfen an die Einzelbestimmungen und Bedingungen an, die die Restrukturierungsforderungen oder – im Lichte der fortzuführenden Rechtsverhältnisse – die wesentlichen darunter zu erbringenden Leistungen direkt oder indirekt betreffen, also bspw. Regelungen zur Tilgung, Verzinsung, Kapitalisierung oder Fälligkeit.411 Konkret werden also bspw. durch die Abänderungen der entsprechenden Bestimmungen eines fortbestehenden Konsortialkreditvertrags auch etwaige zukünftige Rückzahlungsansprüche in Folge von im weiteren Restrukturierungsverlauf erfolgenden Auszahlungen unter den fortbestehenden Fazilitäten bspw. einem neuen Tilgungsprofil unterworfen. Erst die aus Sicht der Beteiligten notwendige differenzierende Abänderung der bestehenden Einzelbestimmungen und Bedingungen mag den Grundstein für eine Umsetzung des von der Mehrheit getragenen Restrukturierungskonzept legen, bspw. eine Amend and Extend-Lösung (s. ausführlich Rz. 200 ff.). Auch für leistungsbezogene Abänderungen kann die Forderungskürzung als Abgleichpunkt für die Zulässigkeit weniger einschneidender Maßnahmen dienen (ähnlich wie für sonstige Planregelungen i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG i.V.m. § 7 Abs. 2 Satz 1 StaRUG, s. dazu Rz. 66 ff.).412

410 BT-Drucks. 19/24181, S. 112. 411 S. auch Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 13; Wilkens, WM 2021, 573, 577. 412 Denkbar wäre bspw., dass das auf einen Schuldrechtsorganismus anwendbare Recht für die Zeit ab Bestätigung des Restrukturierungsplans (neu) bestimmt wird, vgl. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 50 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Ein Grund für eine geänderte Rechtswahl kraft Mehrheit könnte sein, neue Restrukturierungsmöglichkeiten für die Zukunft zu eröffnen. Entsprechend behält der LMA Standard für Konsortialkreditverträge diesen Regelungsgegenstand inzwischen der Einstimmigkeit vor – in den Restrukturierungsfällen Rodenstock und Primacom hatte erst die (durch Mehrheitsentscheidung) ins englische Recht gedrehte Rechtswahl den Weg zu den Londoner Gerichten und in das Scheme of Arrangement unter englischem Recht eröffnet, hierzu Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 36 Rz. 3. Grundsätzlich ist nicht ersichtlich, warum dieser Regelungsgegenstand nicht als Gestaltung einer Nebenbestimmung oder Vereinbarung i.S.v. § 7 Abs. 3 StaRUG gelten könnte, auch wenn sich gegen ein „prophylaktisches“ Forum Shopping ein rechtlich begründetes Störgefühl entwickeln könnte.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 196 § 2

(2) Auflagenbezogene Abänderungen Die Abänderung von Einzelbestimmungen und Bedingungen gem. § 2 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 195 StaRUG lässt sich – auch in Abgrenzung zur zuvor angesprochenen leistungsbezogenen Gestaltung – als auflagenbezogene Gestaltung begreifen, soweit sie insbesondere den Finanzierungszweck und die entsprechende kreditmaterielle Grundlage der Kreditentscheidung betrifft. Damit ist die restrukturierungsermöglichende Gestaltung von solchen Einzelbestimmungen und Bedingungen angesprochen, die für die ursprüngliche Kreditentscheidung von entscheidender Bedeutung waren und es daher in Form von Auflagen (im weiteren Sinne) auch für die fortgeführte Finanzierung sind, da sie das Ausfallrisiko des Gläubigers bspw. in Form von Auszahlungsvoraussetzungen, Finanzierungszweck, Pflichttilgungsereignissen, Finanzkennzahlen, Zusicherungen, Unterlassungs- bzw. allgemeinen Verhaltenspflichten oder Kündigungsrechte eingrenzen. Konkret können als auflagenbezogene Abänderungen zur Umsetzung des Restrukturierungskonzepts nach § 2 Abs. 2 StaRUG für den fortzuführenden Schuldrechtsorganismus – um nur einige Fälle exemplarisch vorzustellen – im Fall eines Konsortialkreditvertrags die Financial Covenants der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Restrukturierungsschuldners angepasst werden (oder mit Blick auf die Restrukturierung bspw. eine liquiditätsbezogene Finanzkennzahl eingeführt werden), hinsichtlich der Unterlassungs- bzw. allgemeinen Verhaltenspflichten mit Blick auf einzelne Restrukturierungsmaßnahmen explizite Ausnahmen vorgesehen werden (bspw. die Einführung von spezifischen Erlaubnistatbeständen für Negativverpflichtungen, bspw. eines Permitted Disposal-Tatbestands für die Umsetzung eines Desinvestitionsmaßnahme), bestehende Pflichttilgungsereignissen so adjustiert werden, auch um gegebenenfalls zusätzlich entstehenden Vorfälligkeitsentschädigungen zu entgehen (s. ergänzend § 90 Abs. 2 StaRUG), oder hinsichtlich der Events of Default zeitweise Verzichte auf Kündigungsrechte vorgesehen werden oder eine Einschränkung von Kündigungsrechten in bzw. auf bestimmte Fälle.413 Zudem mag es im Einzelfall zulässig sein, den Verwendungszwecks umzustellen und so zu erlauben, dass die bereitgestellten Mittel zur Refinanzierung bzw. Ablösung bestimmter bestehender Verbindlichkeiten oder im Zuge einer Restrukturierung zur Umsetzung im Restrukturierungkonzept vorgesehener Maßnahmen verwendet werden dürfen. Auch für auflagenbezogene Abänderungen können sich sensible Grenzfälle in Bezug auf die Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 StaRUG ergeben, insbesondere wenn die Abänderung eine Qualität erreicht, die die Grundlage der ursprünglichen kreditmateriellen Entscheidung gänzlich verlässt (s. Rz. 187). (3) Rangbezogene Abänderungen Soweit sich die Inhaber der Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften 196 auch über Bedingungen zur Durchsetzbarkeit und Erlösverteilung, also letztlich ihren jeweiligen Rang im Wasserfall der Erlöse oder ihren Einfluss auf Durchsetzungsentscheidungen geeinigt haben, wird die Umsetzung des Restrukturierungskonzepts auch Abänderungen der Bedingungen solcher Gläubigervereinbarungen, also zusammenfassend rangbezogene Abänderungen, erfordern. Dabei spiegeln sich die kreditmateriellen Kriterien der ursprünglichen Kreditentscheidung auch (und gerade) in der Rangposition im Erlöswasserfall oder Zustimmungsvorbehalte bzw. Mitspracherechte, so dass sich die rangbezogenen Abänderungen von den leistungsbezogenen und auflagenbezogenen Abänderungen nicht trennen lassen. Die Leistungsmodalitäten und Auflagen der Finanzierung verbinden sich mit den Rangfragen zu einem Kreditrisiko oder – anders gesagt – bei einer erstrangigen Position im Wasserfall lässt sich auch mit einem weniger (scharfen) Verpflichtungs-Korsett (Covenant Set) und Kündigungsrechten leben und umgekehrt. Falls es mehrere Gläubiger gibt, die Teil eines gemein-

413 Vgl. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 77 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ebenfalls Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 4.

Herding/Krafczyk | 137

§ 2 Rz. 196 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse samen Finanzierungsarrangements sind (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG), so ist die Gläubigervereinbarung also ein wesentlicher Teil der Gesamtstruktur und ihre Regelungen müssen zur Umsetzung des Restrukturierungskonzepts abgeändert werden können. 197 Technisch schafft § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG diese Möglichkeit, soweit die Gläubigerverein-

barung getrennt von Konsortialkreditvertrag oder Schuldtitel- bzw. Schuldscheinen vereinbart wurde und daher Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften nicht auf der Gläubigervereinbarung beruhen und § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG keine Gestaltungsbefugnis vorsehen. Soweit sich Rangvereinbarungen innerhalb des Konsortialkreditvertrags oder in den Schuldtiteln oder Schuldscheinen finden, sind rangbezogene Abänderungen insoweit auf Grundlage von § 2 Abs. 2 Satz 1 oder 2 StaRUG möglich. Rangbezogene Abänderungen sind grundsätzlich nur als Planregelung möglich, soweit bereits Gläubigervereinbarungen angelegt waren. Soweit es also zwischen den Inhaber von Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften bislang keine Gläubigervereinbarung gibt, kann die Neueinführung solcher Regelungen grundsätzlich nur mit Zustimmung der jeweiligen Gläubiger erfolgen, da aus einer bilateralen dadurch eine multilaterale Finanzierung mit neuen Verpflichtungen wird – man quasi in eine neue Finanzierung einsteigt (s. nur Rz. 207).

198 Indem der Gesetzgeber auf „die Bedingungen“ abstellt, eröffnet er für eine bestehende Gläubi-

gervereinbarung die Möglichkeit, grundsätzlich alle Bedingungen der Gläubigervereinbarung zu gestalten und nicht nur Erlösverteilung und Durchsetzung.414 Inhaltliche Beschränkungen gibt es grundsätzlich nicht, also sind die großen Regelungsbereiche einer Gläubigervereinbarung erfasst, insbesondere Rangregelungen (inklusive Änderungs- und Zustimmungsvorbehalte, Erlösverteilungswasserfälle und Saldenausgleiche), Durchsetzungs- bzw. Standstill-Regelungen (inklusive gestufte Mehrheitskonzepte, Einschränkung der Kündigungsrechte, gegebenenfalls differenzierend nach Kündigungsgründen (Major Event of Default))415 oder auch Freigabeermächtigung im Zusammenhang mit Verkaufsprozessen in und außerhalb der Krise.

199 Wird in die bisherige Finanzierungsstruktur eine neue Finanzierung eingeflochten, sind An-

passungen auch der Rangverhältnisse, also Entscheidungs- und Weisungsrechte, Änderungsund Zustimmungsvorbehalte, Stillhalteverpflichtungen, die das Rangverhältnis unterschiedlicher Gläubigergruppen konkretisieren, sowie die Rangstellen im Verteilungswasserfall unverzichtbar. Soweit eine überspannende Gläubigervereinbarung besteht, könnte dies durch rangbezogene Abänderungen als Teil eines Restrukturierungsplans gem. § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG erfolgen. Soweit keine Gläubigervereinbarung besteht, lässt sich grundsätzlich auch nichts zwangsweise ändern oder verpflichtend für die Gläubiger einführen. d) Plangestaltungen im Einzelnen

200 Die unterschiedlichen Aspekte der Gestaltungsbefugnisse können anhand praktischer Fälle

nachvollzogen werden. Maßgebend sind dann zunächst einige typische Plangestaltungen in Anknüpfung an ein skizziertes Restrukturierungskonzept. Ihre Vorstellung bereitet den notwendigen Raum zur Beschreibung möglicher Lösungskonzepte der Praxis, bestehender Grenzen und für ergänzende Überlegungen. aa) Abänderung als „weniger einschneidende“ Lösungen

201 Das StaRUG ergänzt die konsensuale Verhandlung(-sdynamik) eines Restrukturierungskon-

zepts, indem zur Abwendung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit die Möglichkeit einer Ge414 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 444 mit Verweis auf AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 11 m. Anm. Thole = ZIP 2021, 806. 415 Vgl. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 77 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ebenfalls Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 4.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 203 § 2

staltung kraft Mehrheit geboten wird, um so – notfalls auf Basis eines mehrheitlich getragenen Restrukturierungskonzepts – zu einer Fortführungslösung außerhalb der Insolvenz zu kommen. Im Einklang mit dieser Stoßrichtung des StaRUG gibt es keine Gesamtfälligstellung wie in der Insolvenz, sondern der Restrukturierungsplan des StaRUG ermöglicht neben der Gestaltung der Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften grundsätzlich auch die Abänderung von Einzelbestimmungen und Bedingungen innerhalb im Übrigen fortzuführender Rechtsverhältnisse als weniger einschneidende Lösung.416 Bestünden diese unverändert fort, könnten umzusetzende Restrukturierungsmaßnahmen möglicherweise den bisher bestehenden und in aller Regel noch in besseren Zeiten verhandelten und konzipierten Einzelbestimmungen oder Bedingungen der Sicherheiten- und Finanzierungsdokumentation widersprechen. Dies führte – falls auf Grundlage eines Restrukturierungsplans nichts abgeändert würde – unweigerlich zu Vertragsverletzungen und schließlich einer (weiteren) Destabilisierung des Restukturierungsschuldners und gegebenenfalls weiteren Konzerngesellschaften. Mithin können die Abänderungen nicht nur als „weniger einschneidende“ Lösung, sondern auch notwendige Zwischenschritte der Restrukturierung verstanden werden. bb) Amend and Extend-Lösungen als Ausgangsfall Als exemplarischer Ausgangsfall empfiehlt sich die Umsetzung eines Restrukturierungskon- 202 zepts heranzuziehen, welches eine umfassende Amend and Extend-Lösung verfolgt. Das Konzept dieses Beispielfalls baut also nicht auf einer Kürzung der Restruktrierungsforderungen auf. Vielmehr geht es von einer Aufrechterhaltung der (teilweisen freien) Kreditzusagen und Betriebsmittellinien aus, allerdings nicht ohne das Zinszahlungs- und Tilgungsprofil der ausgereichten und nicht ausgereichten Tilgungskredite zu strecken (Extend). Gleichzeitig sieht es neben einer vorzeitigen Rückführung der ausstehenden Forderungen durch verpflichtend vorgesehene Veräußerungserlöse aus Desinvestments (Desinvestitionskonezpt mit Pflichttilgung), die Anpassung bestehender und Einführung neuer restrukturierungsspezifischen Finanzkennzahlen und einige weitere restruktrierungsspezifische Auflagen vor (z.B. rollierende Liquiditätsvorschau, Sanierungsgutachten). Die Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen eines Restrukturierungsplans des StaRUG hängen 203 von der konkreten Finanzierungsstruktur ab: Beruhen die Restrukturierungsforderungen auf einem Konsortialkreditvertrag, so lässt sich die skizzierte Amend and Extend-Lösung – falls eine konsensuale Lösung durch einen einzelnen Konsortialkreditgeber blockiert wird – kraft Mehrheit durch einen Restrukturierungsplans umsetzen, insbesondere durch leistungs- und auflagenbezogene Abänderungen des Konsortialkreditvertrags (§ 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG – s. zu dieser Systematik Rz. 193 ff.). Dabei ist zu beachten, dass die bereits ausstehenden Darlehen und Ziehungen (unabhängig von ihrer Fälligkeit) sowie angefallene und anfallende Zinsen als zum Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG begründete (Restrukturierungs-)Forderungen auch im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gestaltbar sind, etwaige erst nach dem Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG ausgereichte Darlehen und Ziehungen sich dort als zukünftige Forderungen aber einer Gestaltung entziehen. So bleibt die Möglichkeit, die Einzelbestimmungen und Bedingungen des Konsortialkreditvertrags in Bezug auf die im Restrukturierungskonzept vorgesehene Endfälligkeit, Zinszahlungspflichten (gegebenenfalls mit PIKKonzepten), Pflichttilgungsereignisse, Negativverpflichtungen, Informationsverpflichtungen etc. auch für die (teilweise) ungezogenen Kreditzusagen und Betriebsmittellinien (als revolvierende Fazilität, gegebenenfalls mit eingeräumter Kontokorrentlinie als Abzweiglinie) verbindlich abzuändern (§ 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 3 StaRUG – zu der Möglichkeit sich aus diesen zwangsweisen Gestaltungen „herauszukündigen“ Rz. 186 ff.). Letztere Gestaltungsoptionen bestehen freilich nur mit Blick auf die von dem Gesetzgeber vorbestimmten Fälle. In

416 Im Ausgangspunkt BT-Drucks. 19/24181, S. 112.

Herding/Krafczyk | 139

§ 2 Rz. 203 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse bilateralen Verhältnissen sind die nicht ausgereichten Darlehen insoweit planimmun und allenfalls konsensual in die neue Finanzierungsstruktur einzupassen, jedenfalls soweit sich die Darlehensausreichungen und Ziehungen einem Ziehungsstopp gegenübersehen (§ 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG) und deshalb nur im Einverständnis des Kreditgebers erfolgen können. In Betracht kommt ihre Einbeziehung aber bspw. als neue Finanzierung gem. § 12 StaRUG. 204 Ist schließlich kein Konsortialkreditvertrag betroffen, sondern soll das oben skizzierte Re-

strukturierungskonzept mit Amend and Extend-Lösungen hinsichtlich bilateraler Betriebsmittel- und/oder Tilgungskreditverträge umgesetzt werden, so zeigen sich Grenzen der Gestaltbarkeit durch den Restrukturierungsplan, da bilaterale Kreditverträge nicht in die schablonenhaften Tatbestände des § 2 Abs. 2 Satz 1–3 StaRUG subsumiert werden können. Mit diesen liegen weder mehrseitige Rechtsverhältnisse vor noch gleichlautende Verträge, die mit einer Vielzahl von Gläubigern geschlossen wurden. Allenfalls könnte überlegt werden, ob Gestaltungen von Einzelbestimmungen und Bedingungen nicht in analoger Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG auch auf hinreichend vergleichbare Verträge zulässig sind (s. dazu Rz. 168 ff.). In jedem Fall wäre es im Rahmen eines Restrukturierungsplans möglich, die zum Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG bereits ausgereichten Darlehen und Ziehungen (jedenfalls) im Einklang mit dem beabsichtigten Fälligkeits- und Tilgungsprofil zu stunden (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG). Soweit die übrigen leistungs- und auflagenbezogenen Abänderungen im Zuge der Amend and Extend-Lösung mangels Gestaltungsbefugnis aus § 2 Abs. 2 StaRUG nicht umgesetzt werden können, ist klarzustellen, dass die Stundung in Bezug auf bereits begründeten Restrukturierungsforderungen – mit Blick auf etwaig entstehende und dann ausgeübte Kündigungsgründe in den bilateralen Kreditverträgen – auch zukünftige, aufgrund einer etwaigen Kündigung fälliggestellte Forderungen erfassen kann (entsprechend können bspw. begründete Garantien, die noch nicht eingefordert wurden, gestundet werden). Natürlich ist eine solche Stundungslösung ohne Gestaltung der Einzelbestimmungen und Bedingungen unbefriedigend und starr. Daher sollte die Planregelung zur zwangsweisen Stundung mit einer freiwillig ausübbaren Option kombiniert werden, durch die jeder bilaterale Kreditgeber in eine konsensual gestaltete und an das Restrukturierungskonzept angepasste Finanzierung optieren kann. Je mehr bilaterale Kreditgeber sich freiwillig für diese Option entscheiden, desto eher wird dies auch ein Blockierer tun; aufgrund der Stundungsmöglichkeit (die hier nur exemplarisch herausgegriffen ist) greift zusätzlich die sog. Katalysator-Wirkung der zwangsweisen Gestaltungsmöglichkeiten zur Ermöglichung einer konsensualen Lösung (s. dazu Rz. 1).

205 Durchdenkt man das Amend and Extend-Konzept für Schuldscheindarlehen, so lassen sich

die oben skizzierten Aspekte des Restrukturierungskonzepts durch Abänderung der Einzelbestimmungen und Bedingungen der Schuldscheindarlehen unproblematisch umsetzen, da Schuldscheindarlehen als gleichlautende Rechtsverhältnisse mit einer Vielzahl von Gläubigern in die Gestaltungsbefugnis des § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG fallen und die genannten Regelungsgegenstände des Restrukturierungskonzepts als leistungs- und auflagenbezogene Abänderungen der bestehenden Bedingungen verstanden werden können (zur Gestaltung von Schuldscheindarlehen Rz. 162 ff.).

206 Sowohl für bilaterale Kreditverträge als auch Schuldscheindarlehen erscheint neben der Um-

setzung des Amend and Extend-Konzepts die Einführung von Mehrheitskonzepten naheliegend, um für die Zukunft die notwendige Transaktionssicherheit zu erlangen und grundsätzlich mit der Mehrheit Entscheidungen treffen zu können. Grundsätzlich lassen sich aber – wenn es noch keine überspannenden Vereinbarungen mit Mehrheitskonzepten gibt – keine neuen Verpflichtungen durch den Restrukturierungsplan einführen, weder nach § 2 Abs. 1 StaRUG noch nach § 2 Abs. 2 StaRUG. Natürlich gibt es die Möglichkeit, bspw. im Zusammenhang mit einer zusätzlichen gemeinsamen Besicherung und einem dann erforderlichen Sicherheitentreuhandvertrag, Mehrheitsregelungen und sonstige überspannende Gläubiger bezogene Regelungen (konsensual) einzuführen (bspw. als Angebot, dass man annehmen

140 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 209 § 2

kann, aber nicht muss) und dabei auf den Sog-Effekt der unterstützenden Mehrheit zu vertrauen. Dieses Konzept ist in der Praxis durchaus erfolgreich, wenn die weit überwiegende Mehrzahl der bilateralen Kreditgeber und/oder Schuldscheindarlehensgeber das Restrukturierungskonzept unterstützt und allgemein auf eine transparente Einbindung, gegebenenfalls durch einen Koordinator oder ein Steering Committee geachtet wird. Insoweit scheint auch die Einbindung eines Restrukturierungsbeauftragten willkommen (§ 77 Abs. 1 StaRUG). Schließlich könnte eine weitere mögliche Gestaltungsoption in Anlehnung an Mehrheitsregelungen sein, gem. § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG das Kündigungsrecht des Schuldscheindarlehensvertrags dergestalt abzuändern, dass eine vorherige Mehrheitsentscheidung als objektive Tatbestandsvoraussetzung vorgesehen und damit indirekt eine Mehrheitsbindung erreicht wird. Soweit neben einem Konsortialkreditvertrag ein oder mehrere bilaterale Kreditverträge bestehen und überlegt wird, die bilateralen Kreditverträge in den Konsortialkreditvertrag zu integrieren, erfordert dieser Beitritt im Übrigen die Zustimmung aller Parteien des Konsortialkreditvertrags und der betroffenen bilateralen Finanzierungen, da sich die Änderung der Parteien eines mehrseitigen Rechtsverhältnisses wohl im Regelfall der Plangestaltung entzieht. cc) Amend and Extend-Konzept mit Sicherheiten und/oder Gläubigervereinbarungen Sind die durch das Restrukturierungskonzept samt Amend and Extend-Lösung betroffenen 207 Finanzierungen durch Personal- und/oder Sachsicherheiten besichert, so wird die Plangestaltung zusätzliche Aspekte berücksichtigen müssen. Dies betrifft bspw. die Absonderungsanwartschaften als neu hinzutretende Gestaltungsgegenstände (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG), bei denen Gestaltungen vor allem den erhöhten Anforderungen im Rahmen des Schlechterstellungsverbots genügen müssen, daneben (gruppeninterne) Drittsicherheiten (§ 2 Abs. 4 StaRUG), infolge deren Gestaltung es die Entschädigungspflicht zu beachten gilt (§ 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG). Ergänzt man also das oben skizzierte Restrukturierungskonzept um die Bedingung oder Auflage einer (zusätzlichen oder erstmaligen) Sicherheitenbestellung bzw. -bestätigung, erhöht sich die Komplexität, auch weil zusätzlich eine Sicherheitentreuhand- und/oder Gläubigervereinbarung anzupassen oder abzuschließen ist. Soweit es bereits eine Gläubigervereinbarung gibt, die entweder Teil des Konsortialkredit- 208 vertrags ist oder die unterschiedliche Rechtsverhältnisse überspannt, so kann diese je nach Regelungsort durch rangbezogene Abänderungen von Einzelbestimmungen gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG oder von Bedingungen, falls die Restrukturierungsforderungen nicht ihren Ursprung mit der Gläubigervereinbarung teilen und daher auf unterschiedlichen Rechtsverhältnissen beruhen, gem. § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG umfassend abgeändert werden („die Bedingungen dieser Vereinbarung“). Gibt es noch keine Gläubigervereinbarung, so kann – wie oben bereits festgestellt (s. Rz. 206, ergänzend Rz. 186) – eine neue Sicherheitentreuhandoder Gläubigervereinbarung grundsätzlich nur mit Zustimmung der jeweiligen Gläubiger eingeführt werden, da neue Verbindlichkeiten nicht zwangsweise begründet werden können (s. Rz. 16, 214). Es könnte allenfalls für Konsortialkreditverträge und Schuldscheine gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 StaRUG eine rangbezogene Abänderung vorgenommen werden, die sich dann aber auf den jeweiligen Schuldrechtsorganismus bezieht und nicht eine überspannende Gläubigervereinbarung begründet. Für bilaterale Finanzierungen stellt sich wieder die Frage, ob solche Gestaltungen auch für sie als hinreichend vergleichbare Rechtsverhältnisse möglich sind (s. dazu Rz. 168). Schließlich dürfte – über die offenen Fragen dieser Möglichkeit hinweggesehen – dort im Hinblick auf die Einführung einer Gläubigervereinbarung dann aber nichts Anderes gelten. Da ein Sicherheitenkonzept für eine Vielzahl von Gläubigern nur sehr begrenzt ohne Sicher- 209 heitentreuhand- und/oder Gläubigervereinbarung eingeführt werden kann, aber die entsprechenden Gestaltungsbefugnis zu fehlen scheint, wäre bei einer Blockade einzelner zu überlegen, die Sicherheitenstruktur (inkl. Sicherheitentreuhand) mit der willigen Mehrheit konHerding/Krafczyk | 141

§ 2 Rz. 209 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse sensual aufzusetzen und den Unwilligen (zunächst) lediglich das Angebot einer Mitbesicherung zu machen. Im Einzelfall zu klären wäre, ob diese Lösung vor dem Hintergrund der Anforderungen des Schlechterstellungsverbots (§ 64 Abs. 1 StaRUG) und dem Erfordernis innerhalb der zu bildenden Gruppen, den Gläubigern gleiche Rechte anzubieten (§ 10 Abs. 1 StaRUG), konkret einen gangbaren Weg darstellt. dd) Amend and Extend-Konzept mit neuer Finanzierung 210 Um die Durchfinanzierung während der Restrukturierung zu gewährleisten, kann es vor,

während und nach der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache erforderlich sein, neue Liquidität zur Verfügung zu stellen. Soweit bereits vor Rechtshängigkeit, bspw. während der Verhandlung des konsensualen Restrukturierungskonzepts und der Vorbereitung eines Sanierungsgutachtens aus bestehenden Linien oder unter einer Brückenfinanzierung neue Liquidität zur Verfügung gestellt wurde, so sind die entsprechenden Rückzahlungsforderungen und Sicherheiten begründet und damit als Restrukturierungsforderungen bzw. Absonderungsanwartschaften gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Satz 2 StaRUG gestaltbar. Mit Blick auf etwaige noch offene Kreditzusagen ist der Kreditgeber der Brückenfinanzierung allerdings nicht schutzlos. Denn auch während der Rechtshängigkeit und selbst im Falle einer Stabilisierungsanordnung bleibt es grundsätzlich möglich, zu kündigen (vgl. für die Wirkung der Fälligstellung aber § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) und damit weitere Ziehungen infolge eines Draw Stops aus offenen Kreditlinien zu verweigern (vgl. § 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG s. dazu Rz. 195 ff.). Auch ist es nicht möglich, in Restrukturierungsforderungen gestaltend einzugreifen, soweit der andere Teil seine Leistung noch nicht erbracht hat (§ 3 Abs. 2 StaRUG), d.h. erst nach dem Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG erfolgende Ziehungen oder Darlehensausreichungen sind nicht gestaltbar und somit planimmun. Um einen etwaigen Ziehungsstopp zu überwinden und auch während der Planvorbereitung ausreichend Liquidität zu sichern, könnte mit den betroffenen Kreditgebern nach dem Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG eine Zwischenfinanzierung auf Grundlage dann planimuner (Sicherungs-)Abreden vereinbart werden, gegebenenfalls unter Refinanzierung der vorherigen Brückenfinanzierung und auch mit Blick auf eine Einbindung der Zwischenfinanzierung in das Restrukturierungskonzept als neue Finanzierung gem. § 12 StaRUG.

211 Wird das oben skizzierte Restrukturierungskonzept nun mit einer neuen Finanzierung er-

gänzt, so kann diese durch planbetroffene Gläubiger oder einen Dritter gestellt werden, indem in den Restrukturierungsplan eine Regelung zur Zusage von Darlehen oder sonstigen Krediten aufgenommen wird, die zur Finanzierung der Restrukturierung auf Grundlage des Plans erforderlich sind (§ 12 Satz 1 StaRUG). Eine solche neue Finanzierung kann also nicht durch eine mehrheitliche Plangestaltung als Verpflichtung aufgezwungen werden. „Fresh Money“ während der Restrukturierung bedeutet neues Risiko und wird nur zur Verfügung gestellt werden, wenn für eine ausreichende und gegebenenfalls vorrangige Ab- bzw. Besicherung gesorgt ist. Entsprechend könnten unbelastete Vermögensgegenstände, soweit vorhanden, als Sicherheit durch den Schuldner als Teil der neuen Finanzierung (vgl. § 12 Satz 1 StaRUG) bestellt werden. Alternativ oder ergänzend könnten auch – falls das Vermögen bereits mit Sicherheiten für die bestehenden Finanzierungen belastet ist – die Sicherheiten freigegeben oder gegen Sicherheiten in einem nachrangigen Rang getauscht werden (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) und damit die erstrangige Besicherung für die neue Finanzierung (§ 12 Satz 2 StaRUG) durch entsprechende Sicherheitenbestellung zwischen Schuldner und (Neu-)Finanzierer ermöglicht werden. Während Freigabe und Sicherheitentausch als Gestaltung von Absonderungsanwartschaften gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG erfolgen kann, kann die Austausch-Besicherung der Restrukturierungsforderung auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gestützt werden (§ 7 Abs. 2 Satz 1 StaRUG). In diesem Zusammenhang wäre es sicher einfacher, wenn man den Eingriff auf (Eigen-)Sicherheiten des Restrukturierungsschuldners beschränken könnte, andernfalls stellen sich zusätzlich Fragen im Kontext der Gestaltung von Drittsicherheiten und einer entspre142 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 214 § 2

chenden Entschädigung. Auch wäre es vorzugswürdig, in Deutschland belegene Sicherheiten anzusprechen, um die Hindernisse und Hürden, welche durch das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht im StaRUG bereitgehalten werden, zu vermeiden (s. Rz. 268 ff.). Die kommerziell gewollte Vorrangstellung wird neben der Einräumung einer (erstrangigen) 212 Besicherung in der Regel durch eine Wasserfall-Regelung oder auch andere Rang- und Durchsetzungsaspekte (also bspw. die Frage, wer über Verwertung als sog. Instructing Group entscheidet) abgesichert. Dies kann als Abänderung einer bestehenden Gläubigervereinbarung (Intercreditor Agreement) auf Basis der Gestaltungsbefugnis gem. § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG umgesetzt werden. Ergänzend muss in der Regel ein bestehender Sicherheitentreuhandvertrag – falls es ihn gibt – angepasst werden. Abgesehen von Fällen, in denen eine „zwangsweise“ Besicherung ausnahmsweise für denkbar gehalten werden könnte, bleibt auch hier die erstmalige Einführung einer Sicherheitentreuhand- oder Gläubigervereinbarung nur wünschenswert, aber allenfalls auf freiwilliger Basis umsetzbar. e) Grenzen der Gestaltungsbefugnis Die durch den Restrukturierungsplan angestrebten Gestaltungen müssen zur Erreichung des 213 Restrukturierungsziels geeignet sein, weitere Grenzen etwa mit Blick auf die Beschränkung auf typische Gestaltungen oder die Erforderlichkeit der Anpassungen sind weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung angelegt.417 Zu beachten sind allerdings die Implikationen der fehlenden Möglichkeit, zwangsweise neue Verpflichtungen, z.B. in Form von neuen Finanzierungen, für die Restrukturierungsgläubiger einzuführen und, daran anschließend gilt, dass eine Grenze der Gestaltung dort erreicht sein mag, wo die Gestaltung die Grundlage der ursprünglichen kreditmateriellen Entscheidung gänzlich verlässt. Als Folge der nun möglichen Gestaltbarkeit von Einzelbestimmungen und Bedingungen von fortlaufenden Verträgen stellt sich zudem die praktisch sehr bedeutsame Frage, ob und wie übergreifende Vereinbarungen mit mehreren Schuldnern und Gläubigern (also Gläubiger, die Partei der Vereinbarung sind, aber mangels Restrukturierungsforderung oder Absonderungsanwartschaft gegen den relevanten Restrukturierungsschuldner, nicht Planbetroffene) zwangsweise gestaltet werden können (hierzu Rz. 217 ff.). aa) Neue Finanzierungen (§ 12 StaRUG) Die Gestaltungsmöglichkeit des § 2 Abs. 2 StaRUG findet ihre Grenze dort, wo eine neue Fi- 214 nanzierung gem. § 12 StaRUG in Restrukturierungsplänen nur auf freiwilliger Basis aufgenommen werden kann. § 2 Abs. 2 StaRUG zielt gerade nicht darauf ab, den Restrukturierungsbeteiligten ein neues Risiko aufzuzwingen, sondern durch die Anpassung von Einzelbestimmungen und Bedingungen (bspw. Verlängerung der Fälligkeiten und dem Ausschluss bestehender Kündigungsrechte) eine im Abgleich zur Kürzung weniger einschneidende Gestaltung zu ermöglichen und damit den Eingriff in die Substanz der Forderung selbst zu vermeiden.418 Die Grenzwirkung des § 12 StaRUG gilt es also auch bei der Gestaltung von Einzelbestimmungen und Bedingungen zu berücksichtigen (s. eingangs Rz. 14). Wann erreichen also Abänderungen von Fälligkeitsabreden, Kreditlaufzeiten, Kündigungsgründen (Events of Default), Financial Covenants sowie den darauf beruhenden Zinsgestaltungen (Margin Ratchet) und der Zusicherungen (Representations and Warranties) die Qualität einer von der ursprünglichen Finanzierungsentscheidung losgelösten eigenständigen Entscheidung, die den Betroffenen nicht zwangsweise auf Grundlage des § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG oktruiert werden

417 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 161; hierzu Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 5 sowie Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 444. 418 BT-Drucks. 19/24181, S. 111.

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§ 2 Rz. 214 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse kann? Diese Qualität dürfte erst vorliegen, wenn den Planbetroffenen eine neue Finanzierungsentscheidung abgerungen wird, die sie in ein neues Kreditrisiko zwingt, welches die Grundlage der ursprünglichen kreditmateriellen Entscheidung gänzlich verlässt und daher einer erstmaligen Kreditausreichung nahe- oder gleichkommt (vgl. auch Rz. 64). bb) Beschränkung auf „typische vertragliche Einzelbestimmungen“ 215 Das AG Köln hat keine Begrenzung der Gestaltungbefugnis auf typische vertragliche Einzel-

bestimmungen angenommen.419 Diese Frage wird in der Literatur sowohl für Einzelbestimmungen wie auch für Bedingungen teils anders beantwortet. Schließlich seien § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG sehr weit formuliert, wodurch die Gestaltung zu Handlungspflichten führen könnte, die die Gläubiger vertraglich nicht zugesichert hatten. Daher bedürfe es einer einschränkenden Auslegung und gestaltbar seien folglich typische Bestimmungen, die finanzielle Themen betreffen, um die gesetzgeberische Rechtfertigung einer geringeren Eingriffsintensität (s. Rz. 119 ff.) zu wahren.420 Allerdings findet sich eine solche Grenze weder im Gesetzeswortlaut noch der Gesetzesbegründung. Auch eine teleologische Herleitung ist vor dem Hintergrund der angestrebten Attraktivität des StaRUG anzuzweifeln. Daneben erscheint fraglich, anhand welcher Kriterien in der Praxis eine solche Grenze „typischer Bestimmungen“ überhaupt zu ziehen wäre. Das würde nicht zuletzt eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die Planersteller bedeuten. Schließlich findet sich eine Begrenzung der Gestaltungsbefugnis auf typische Einzelbestimmungen und Bedingungen im Einklang mit der ersten inhaltlichen Befassung durch das AG Köln nicht. cc) Erforderlichkeit der Anpassungen

216 Es hat sich gezeigt, dass umfassende Gestaltungen möglich sind. Zur Begrenzung dieser Mög-

lichkeiten kann die zwingende Erforderlichkeit für die Erreichung des Restrukturierungsziels nicht verlangt werden. Zwar könnte eine solche Einschränkung auf verfassungsrechtliche Anforderungen der Verhältnismäßigkeit und des Eigentumsschutz Bezug nehmen.421 Allerdings ist eine solche Beschränkung weder dem Gesetz noch der Gesetzesbegründung zu entnehmen.422 Es ist folglich zulässig auch solche Änderungen mit „überschießender Tendenz“ vorzusehen, die für die Umsetzung der Restrukturierung (nur) zweckmäßig sind.423 Aus praktischer Sicht scheint diese großzügige Linie zutreffend, wäre im Übrigen kaum justiziabel zu beurteilen, wann eine Maßnahme zwingend erforderlich oder nur zweckmäßig ist. Schon deshalb könnte ein unnötiges Obstruktionspotential entstehen.424 Einer Einengung der Gestaltungsbefugnis bedarf es im Ergebnis im Übrigen angesichts des durch das Schlechterstellungsverbot gesicherten Schutzes nicht, sind für die Beurteilung des nächstbesten Alternativszenarios im Rahmen der maßgeblichen Vergleichsrechnung doch ohnehin die Befriedigungsaussichten und damit die Höhe sowie das Ausfallrisiko der betreffenden Forderungen entscheidend.425 Deshalb bedarf es keiner weiteren Berücksichtigung des Kriteriums der Erforderlichkeit als Ausfluss des Schlechterstellungsverbots. Mangels gefestigter Rechtsprechung ist in der Praxis insgesamt aber Zurückhaltung geboten.426

419 420 421 422 423 424 425 426

AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 13 m. Anm. Thole = ZIP 2021, 806. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 78 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Vgl. Arlt/Brägelmann/Ludwig, ZInsO 2021, 1485, 1486 mit Blick auf § 2 Abs. 1. AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 11 f. m. Anm. Thole = ZIP 2021, 806. Außerdem Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 5, 43. AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 12 m. Anm. Thole = ZIP 2021, 806. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 5; Thole, NZI 2021, 433, 436. Hierzu Knapp in Flöther, 2021, § 26 StaRUG Rz. 22. Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 444 f.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 219 § 2

dd) Gestaltungsdefizite in Konzernsachverhalten Eine weitere Grenze der Gestaltbarkeit zeigt sich auf der nächsten Komplexitätsstufe bei mehr- 217 stöckigen Konzernfinanzierungen mit mehreren Kreditnehmern und wechselseitigen Querbesicherungen (Cross-Collateralisation). Dort gibt es in der Regel neben dem Restrukturierungsschuldner weitere Kreditnehmer als Partei in den Finanzierungsverträgen und die von der Restrukturierung betroffenen Gläubiger sind nicht nur Inhaber von Restrukturierungsforderungen und/oder Absonderungsanwartschaften gegenüber dem relevanten Restrukturierungsschuldner, sondern gleichzeitig auch und/oder allein gegenüber anderen Unternehmen des Konzerns. Diese Vielseitigkeit der Finanzierungsdokumentation ist in der Praxis eher die Regel als die Ausnahme und stellt eine große Herausforderung dar, der sich durch möglichst weitgehende Kooperation und Koordination (idealerweise durch die Fokussierung nur auf ein oder zwei StaRUG-Restrukturierungssachen in Kombination mit konsensualer Restrukturierung im Übrigen), aber natürlich auch durch Konzentration paralleler Verfahren bei einem Gruppengerichtsstand und gegebenenfalls einem identischen Restrukturierungsbeauftragten für die Gruppe begegnen lässt. Eine erste Erleichterung stellen mit Blick auf die Querbesicherung (Cross-Collateralisation) auch die neuen Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG für gruppeninterne Drittsicherheiten dar (s. aber Rz. 251). Schließlich muss diesen Begebenheiten aber auch die Reichweite des § 2 Abs. 2 Satz 1–3 Sta- 218 RUG gerecht werden. Noch ungelöst scheint insoweit die Abänderung von Einzelbestimmungen i.S.v. § 2 Abs. 2 StaRUG mit Blick auf fortbestehende Schuldrechtsorganismen mit einer solchen Vielzahl von Parteien auf (Gläubiger- und) Schuldnerseite. Denn der Gesetzeswortlaut ist eng gefasst und spricht hinsichtlich der Einfallstore für mögliche Gestaltungen, bspw. mit den mehrseitigen Rechtsverhältnissen, stets nur einen (Restrukturierungs-)Schuldner und seine Gläubiger an. Auch die Gesetzesbegründung schweigt hierzu, obwohl ein Erfordernis für Lösungen im Konzernverbund auch mit der neuen Gestaltsbefugnis mit Blick auf gruppeninterne Drittsicherheiten erkannt wurde. Der Grund für die Zurückhaltung mag darin liegen, dass das StaRUG – orientiert am Insolvenzrecht – die konzernrelevanten Fragestellungen zwar teilweise aufgreift (vgl. § 2 Abs. 4 oder § 37 StaRUG), aber konzeptionell für jeden Rechtsträger mit zu gestaltenden Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften eine Restrukturierungssache voraussetzt und dies im Grundsatz auch beibehalten will. Dies greift für eine zwangsweise Gestaltung von Einzelbestimmungen und Bedingungen i.S.v. § 2 Abs. 2 StaRUG in solch übergreifenden Vereinbarungen teils zu kurz, so dass vielfach die Zustimmung der mitbeteiligten Personen auf Schuldner- und/oder Gläubigerseite beizubringen ist (s. schon Rz. 139 sowie 178). In aller Regel wird die Zustimmung auf Seiten der Verpflichteten aufgrund der gegebenen Ver- 219 flechtungen im Konzern (insbesondere der Leitungsmacht) erreichbar sein; anders wären auch parallele Verfahren auf initiative der unterschiedlichen Kreditnehmer kaum denkbar. Rechtstechnisch bieten zudem parallele Restrukturierungssachen vielzählige Gestaltungsoptionen – namentlich die Gestaltung von Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften sowie gruppeninternen Drittsicherheiten für bzw. gegenüber den jeweiligen Restrukturierungsschuldnern. Dennoch mag es Unsicherheiten geben, die mit Blick auf die Reichweite des § 2 Abs. 2 Satz 1–3 StaRUG in diesen Konzernsachverhalten verbleiben. Diese mögen sich insbesondere in Fällen mehrstöckiger Finanzierungen zeigen, die neben schuldnerspezifischen Gestaltungsmaßnahmen auch gruppenübergreifende Regelungen erfordern, bspw. die Abänderung einzelner Bedingungen einer Gläubigervereinbarung mit Wirkung für und gegen sowohl die Seniorkreditgeber auf OpCo- als auch die Juniorkreditgeber auf HoldCo-Ebene sowie darüberhinaus gegebenenfalls beteiligte (nur) bilaterale Finanzierer auf HoldCo- oder OpCo-Ebene, die aber Teil der Gläubigervereinbarung sind und eine obstruierende Haltung einnehmen.

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§ 2 Rz. 220 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse 6. Konzeption und Umsetzung 220 Ist im Restrukturierungsplan nichts anderes bestimmt, wird der Schuldner gem. § 11 Satz 1

StaRUG mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Gläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen aus den in den Plan einbezogenen Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften befreit. Hieraus mag im Anschluss für § 2 Abs. 2 StaRUG abgeleitet sein, dass die dort adressierten z.B. mehrseitigen Rechtsverhältnisse allein einer Gestaltung durch den Restrukturierungsplan unterliegen, wenn und soweit dort Regelungen enthalten sind und es im Übrigen bei den Regelungen der fortbestehenden Rechtsverhältnisse bleibt. Werden Einzelbestimmungen und Bedingungen aber gestaltet, stellt sich weiter die Frage, inwieweit die pauschal durch § 7 Abs. 3 StaRUG zugelassenen „Änderungen“ in den Restrukturierungsplan eingeflochten werden. Insoweit sollte ein einzelfallabhängiger Bestimmtheitsgrundsatz gelten, welcher grundsätzlich allen Gläubigerschutzanforderungen und vor allem dem Informationsbedürfnis der Gläubiger gerecht wird, im Speziellen aber den Kreis der einbezogenen Gläubiger berücksichtigen mag, schließlich kann dies zu mehr Flexibilität führen, welche den Erfordernissen der Restrukturierungspraxis gerecht wird.

221 Grundsätzlich mag sich hieraus ein gewisser Gestaltungsspielraum für den Schuldner herlei-

ten.427 Ob tatsächlich die angepasste bzw. geänderte Finanzierungsdokumentation Einzug in den Restrukturierungsplan und dessen Anlagen erhält, hängt sehr vom Einzelfall ab. Offensichtlich würde der Restrukturierungsplan mit der gesamten neue Finanzierungsdokumentation auch allzu umfangreich, was nicht gerade der Übersichtlichkeit und Akzeptanz des Plan zuträglich sein würde.428 Einen gangbaren Weg scheint es darzustellen, im darstellenden Teil sowohl die ursprünglichen als auch die veränderten Regelungen, gegebenenfalls mit ihrem jeweiligen Sinn und Zweck beschrieben, aufzuführen und dies mit Hilfe einer im Anhang beigefügten Vergleichsversion (Redline-Version) zu präzisieren.429 Gleichzeitig sind im gestaltenden Teil stets die Änderungen im Detail erkenntlich festzulegen.430 Um nach der Bestätigung ein einheitliches Vertragsdokument zu erhalten, das alle Änderungen berücksichtigt, sollte im Regelfall aber nicht darauf verzichtet werden, auch dieses als Anlage dem Plan anzuhängen.431

222 Gegebenenfalls können einzelne Fragen der Umsetzung bzw. Dokumentation durch die Be-

reitschaft der unterstützenden Mehrheit der Finanzierer dazu begegnet werden, die Finanzierungsdokumentation an das Restrukturierungskonzept konsensual mit dem Schuldner anzupassen. Diese Bereitschaft könnte dann durch eine Verpflichtungserklärung oder Planbedingung in den Plan Einzug erhalten. Ist eine neue Finanzierung i.S.v. § 12 Satz 1 StaRUG im Plan zugesagt, fragt sich hier, ob ein Term Sheet für die unmittelbare Umsetzung kraft Restrukturierungsplan ausreicht. Ein solches mag jedenfalls als Aufsatzpunkt für die Umsetzungsverpflichtung dienen. Obstruierende Gläubiger, die sich trotz des sich ankündigenden Zwanges eines Restrukturierungsplans nicht einbinden lassen, würden schließlich über im Plan enthaltende Regelungen oder vorgegebene Vollzugsmaßnahmen kraft Mehrheitsentscheidung berücksichtigt.

427 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 445. 428 Zum Ganzen Bork, ZInsO 2020, 2177, 2181; Thole, ZIP 2020, 1985, 1999; zur Abbildung im Restrukturierungsplan Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 21 f. 429 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 445. 430 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 78 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 431 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 446.

146 | Herding/Krafczyk

Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 224 § 2

IV. Anteils- und Mitgliedschaftsrechte (§ 2 Abs. 3 StaRUG) Auf der Grundlage eines Restrukturierungsplans können gem. § 2 Abs. 3 StaRUG Anteils- 223 und Mitgliedschaftsrechte gestaltet werden. Gemeinsam mit § 7 Abs. 4 StaRUG reagiert der nationale Gesetzgeber auf Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 Restrukturierungs-RL und Art. 12 Restrukturierungs-RL. Sie lassen die Einbeziehung der Anteilseigner in die Restrukturierung offen und stellen nationale Regelungen mit der Vorgabe weitgehend in die Entscheidungsfreiheit der nationalen Gesetzgeber, dass die Anteilseigner „die Annahme und Bestätigung eines Restrukturierungsplans nicht grundlos verhindern oder erschweren dürfen“, vgl. Art. 12 Abs. 1 Restrukturierungs-RL. Der deutsche Gesetzgeber nimmt sich dabei § 217 Satz 2, § 225a InsO zum Vorbild, welcher für das Insolvenzplanverfahren die Reichweite möglicher Gestaltung hinsichtlich der Rechte der Anteilsinhaber vorgibt. Anders als zu § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder Abs. 2 StaRUG legt § 7 Abs. 4 StaRUG nicht fest, welche Angaben im Restrukturierungsplan in Gestaltungsfällen vorzuhalten sind. Vielmehr zeigt dieser beispielhaft auf, welche Gestaltungen grundsätzlich möglich sind. Danach können Restrukturierungsforderungen in Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte an dem Schuldner umgewandelt werden (allerdings nicht gegen den Willen der betroffenen Gläubiger). Außerdem kann eine Kapitalherabsetzung oder -erhöhung ebenso wie die Leistung von Sacheinlagen, der Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende an dem Schuldner beteiligte Personen vorgesehen werden. Zudem kann der Restrukturierungsplan regeln, dass Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte übertragen werden. Im Übrigen kann jede Regelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist. Weitere Angaben, die im Restrukturierungsplan notwendig werden, ergeben sich aus der Anlage zu § 5 Satz 2 StaRUG. Weiterhin sind § 225a Abs. 4 und 5 InsO zu beachten, die gem. § 7 Abs. 4 Satz 5 StaRUG entsprechend anzuwenden sind. Werden die Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten in den Restrukturierungsplan mit einbezogen, ist für sie eine eigene Gruppe zu bilden (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StaRUG) und ihnen ist jeweils ein Stimmrecht in Höhe des Anteils am gezeichneten Kapital bzw. Vermögen des Schuldners zu gewähren (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG). Stimmrechtsbeschränkungen, Sonder- oder Mehrstimmrechte bleiben außer Betracht. Besonderheiten ergeben sich infolge ihrer Einbeziehung insbesondere auch mit Blick auf die gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidungen (s. vornehmlich § 26 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StaRUG). Außerdem gelten die vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 GG für die Inhaber der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte vorgehaltenen Schutzmechanismen vor allem mit dem Schlechterstellungsverbot. Zudem ist die breit diskutierte Erforderlichkeit der Einbindung des Gesellschafters bei Einleitung eines Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens zu beachten (hierzu § 29 Rz. 42 sowie ausführlich zum Rechtsschutz Rz. 236). Nicht im Wortlaut von § 2 Abs. 3 StaRUG enthalten sind schließlich die Voraussetzungen bzw. Besonderheiten für das Vorliegen und die Gestaltbarkeit von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten, die das internationale Recht in Cross-Border-Restrukturierungssachverhalten bereithält (allgemein Rz. 260 ff.). Die Gestaltungsbefugnis wird vom Gesetzgeber darauf gestützt, dass die Gesellschafter im 224 Zeitpunkt der Anzeige und Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nicht mehr schutzbedürftig sind. Der Eingriff ist schließlich an das Stadium drohender Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 Abs. 2 InsO geknüpft, in welchem auch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit vergleichbaren Eingriffsmöglichkeiten denkbar wäre.432 Scheut der Gesellschafter in einer finanziellen Krise der Gesellschaft davor zurück, zusätzliche Liquidität bereitzustellen oder verfügt er nicht über die notwendigen Mittel, nähert sich die Position der Fremdkapitalgeber faktisch derjenigen eines wirtschaftlichen Eigentümers des Unternehmens an. Für diesen Fall sollten sie, (jedenfalls) wenn der Gesellschafter seine Gesellschafterstellung nicht freiwillig zur Verfügung stellt, zumindest über die Änderung der Kapitalstruktur (mit-)entscheiden können

432 BT-Drucks. 19/24181, S. 113.

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§ 2 Rz. 224 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse und ihre Entscheidungen gegebenenfalls auch gegen den Willen der Gesellschafter durchsetzen.433 Mit Blick auf potentielle Eingriffe in die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte und damit verbunden in Art. 14 Abs. 1 GG434 wird – neben einem grundsätzlichen Zustimmungserfordernis hinsichtlich des Einstiegs in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (s. sogleich) – also vornehmlich auf die drohende Zahlungsunfähigkeit verwiesen und angeführt, Eingriffe seien ab diesem Zeitpunkt auch im Insolvenzverfahren möglich.435 Auch wenn dieser Rechtfertigung grundsätzlich nicht widersprochen werden kann, wird mit Blick auf die lange, nun für den Regelfall geltende 24-Monate-Prognose dennoch kritisch zu hinterfragen sein, ob die Anteile im Fall einer drohenden Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens tatsächlich (schon) wertlos sind.436 Auslöser für diese Frage mag auch sein, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit unterschiedlich scharfe Liquiditätskrisen umfasst und – gerade mit Blick auf den recht langen Prognosezeitraum von 24 Monaten (§ 18 Abs. 2 Satz 2 InsO) – nicht zwingend bereits eine Entwertung des Eigenkapitals bedeuten muss. Liegt einerseits an einem Tag noch eine drohende Zahlungsunfähigkeit vor, mag sie aber mit der Zeit – geradezu von einem Tag auf den anderen − in eine Überschuldung i.S.v. § 19 Abs. 2 InsO umschlagen. Aufgrund der unterschiedlichen Prognosezeiträume der § 18 Abs. 2 Satz 2 und § 19 Abs. 1 Satz 1 InsO mag für einen zukünftigen Sachverhalt in mehr als 12 Monaten zwar eine drohende Zahlungsunfähigkeit, keinesfalls aber eine Überschuldung im Raum stehen, eben da der relevante Sachverhalt noch nicht von dem Prognosezeitraum der positiven Fortbestehensprognose (und damit die Überschuldung) erfasst ist. Gerade in den zuletzt beschriebenen Fällen kann nicht automatisch auf eine vollständige Entwertung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte geschlossen werden (zu den Implikationen, die sich aus den unterschiedlichen Betrachtungszeitpunkten – insbesondere mit Blick auf das Zustimmungserfordernis – ergeben, s. § 29 Rz. 16 ff., 42 ff.).437 Unbeschadet dieser Frage ist aber festzuhalten, dass sich mit der Einstiegsschwelle der (wenigstens) drohenden Zahlungsunfähigkeit des Restrukturierungsschuldners nach Auffassung des Gesetzgebers innerhalb eines eingeleiteten Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen auch Eingriffsbefugnisse in Anteils- und Mitgliedschaftsrechte rechtfertigen lassen. Etwaige Bedenken hiergegen lösen sich vor dem Hintergrund der parallel vorgesehenen Schutzmechanismen für die betroffenen Inhaber der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte auf. 225 Die Gesellschafter sind nicht (gänzlich) schutzlos gestellt, sondern im Gegenteil haben im

Vorfeld eines Restrukturierungsverfahrens häufig das Heft des Handelns fest in der Hand. Denn die weit überwiegende Mehrzahl aller Stimmen hält vor Anzeige gem. § 31 Abs. 1 StaRUG einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss für erforderlich, der auf die Einleitung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens durch Anzeige beim Restrukturierungsgericht lautet.438 Dieses Erfordernis wird nicht allein durch Verweis auf die vergleichbare Diskussion zur Stellung eines fakultativen Insolvenzantrags bei drohender Zahlungsunfähigkeit gem. § 18 InsO begründet.439 Vielmehr wird auch auf die Streichung des noch in § 2 Abs. 1 StaRUG433 434 435 436

Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 56; Westpfahl, ZRI 2020, 157, 160. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit s. Tresselt in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 73 ff. BT-Drucks. 19/24181, S. 113. H.-F. Müller, ZGR 2018, 56, 60; Schäfer, ZIP 2019, 1645; Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2168; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236; Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1194. 437 Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2233; Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2166 f. 438 Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2233, 2236, die dort von dem „gesellschaftsrechtlichen Eingangsschutz“ sprechen; ergänzend Herweg/Wirth, DB 2021, 886, 887; Korch, ZIP 2020, 446; Rauhut, NZIBeilage 2021, 52; Ristelhuber, NZI 2021, 417, 419; Thole, BB 2021, 1347. Zu den Implikationen der Solvenzsicherungspflicht der Geschäftsleiter Brinkmann, KTS 2021, 303, 315 ff. 439 Für die GmbH: OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, NZI 2013, 542, 545 = GmbHR 2013, 590 m. Anm. Leinekugel; LG München I v. 22.5.2015 – 14 HK O 867/14, NZG 2015, 954 = ZIP 2015, 1634; vgl. auch AG Mannheim vom 21.2.2014 – 4 IN 115/14, NZI 2014, 412, 413 = ZIP 2014, 484. Ergänzend Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 60 GmbHG Rz. 29; Leinekugel/Skauradszun, GmbHR 2011, 1121, 1126; Saenger/Al-Wraikat, NZG 2013, 1201, 1204; Wertenbruch, DB

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 226 § 2

RefE vorgesehenen Shift of fiduciary duties verwiesen, also die Verpflichtung der Geschäftsleitung, bereits in der Phase der drohenden Zahlungsunfähigkeit primär die Interessen der Gläubiger und nicht der Gesellschafter zu wahren. Diese Verschiebung hätte eine wesentliche Stärkung der Gläubigerrechte im Vorfeld eines Restrukturierungsverfahrens mit sich gebracht, auch und gerade gegenüber den Gesellschaftern. Diese Streichung ist im Rahmen der Gesamtkonzeption bemerkenswert, als die Gestaltbarkeit auch der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte zwar für neue Investitionen bzw. eine Neuordnung der Kapitalstruktur aus Sicht der (Finanz-)Gläubiger und Investoren unverzichtbar sein kann, aber umgekehrt diese Gestaltbarkeit von Gesellschaftern als bedrohliche Eingriffskompetenz im Rahmen eines Restrukturierungsplans verstanden werden kann, so dass die Geschäftsführung sich in diesem Spannungsverhältnis häufig unüberwindbaren Hürden zur Verfahrenseinleitung gegenüber sieht.440 Denn infolge der Streichung lässt sich vermutlich noch schwerer vertreten, die Erforderlichkeit eines auf die Einleitung eines Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens lautenden Gesellschafterbeschlusses sei aufgrund daneben bestehender Gründe verdrängt. An diesen Hürden ändert auch der abgeschwächte Shift of fiduciary Duties aus § 32 StaRUG nichts, knüpft dieser zeitlich an „die Restrukturierungssache“ an und damit deren Rechtshängigkeit, § 31 Abs. 3 StaRUG. Erst ab Anzeige begrenzt sich damit das Mitgliedschaftsrecht auf die Vermögenskomponente ohne parallele Mitverwaltungskomponente, so dass die Gesellschafter erst dann wie sonstige Gläubiger zu behandeln sind.441 Unumstößlich scheint der Zustimmungsvorbehalt schließlich aber auch nicht, wenn die Intention der RestrukturierungsRL auch darin liegt, Holdout-Positionen der Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten zu begegnen (vgl. Art. 12 und Art. 19 Buchst. a Restrukturierungs-RL).442 1. Juristische Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit Von den Gestaltungen auf Grundlage von § 2 Abs. 3 StaRUG können Anteils- und Mitglied- 226 schaftsrechte betroffen sein, die am restrukturierungsfähigen Schuldner als juristische Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit bestehen. Eingriffe in ihre Anteils- und Mitgliedschaftsrechte droht bei den juristischen Personen damit vor allem den Gesellschaftern einer GmbH und den Aktionären einer Aktiengesellschaft sowie bei den Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit den Gesellschaftern einer Handelsgesellschaft oder Gesellschaft bürgerlichen Rechts und in gleichem Maß den Kommanditisten und Komplementären einer Kommanditgesellschaft. Ausländische Gesellschaften können zwar grundsätzlich als Restrukturierungsschuldner am Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen teilnehmen (vgl. § 30 Abs. 1 StaRUG), für sie ergeben sich aber einige Besonderheiten aufgrund der grenzüberschreitenden Verflechtungen. Eigenheiten ergeben sich zusätzlich hinsichtlich Stiftungen und juristischen Personen des öffentlichen Rechts – hier gilt es insbesondere ihre Restrukturierungsfähigkeit als Vorfrage in den Blick zu nehmen.443

440 441 442 443

2013, 1592, 1593; Wortberg, ZInsO 2004, 707, 710. Die Erforderlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses ist allerdings nicht unbestritten. S. etwa Eidenmüller, ZIP 2014, 1197, 1203; Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1850; Meyer-Löwy/Pickerill, GmbHR 2013, 1065, 1068 ff. Ergänzend Korch, ZIP 2020, 446; Rauhut, NZI-Beilage 2021, 52; Thole, BB 2021, 1347. S. auch Seibt/ Bulgrin, DB 2020, 2226, 2235 ff., die trotz des Shift of fiduciary Duties einen Gesellschafterbeschluss zur Einleitung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens für erforderlich halten. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2233. Vgl. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 86 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), dort mit einer umfassenden Darstellung des Meinungsstands; außerdem Müller, ZIP 2020, 2253, 2255 f.; Wilhelm/ Richter/Hoffmann, DB 2021, 381, 383. Ergänzend Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 33.

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§ 2 Rz. 227 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse 2. Erfasste Anteils- und Mitgliedschaftsrechte 227 Gemäß § 2 Abs. 3 StaRUG sind die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der an dem Schuldner

beteiligten Personen gestaltbar. Der Gesetzgeber definiert die Begriffe Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte wie auch im Rahmen von § 225a InsO nicht. Die Regelung ist im Zusammenspiel mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 Restrukturierungs-RL zu betrachten. Er definiert den Anteilsinhaber als „eine Person, die eine Beteiligung an einem Schuldner oder an einem Unternehmen des Schuldners hält“. Im Gleichlauf zu § 225a InsO werden darunter auch im Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen grundsätzlich alle Verwaltungs- und Vermögensrechte verstanden, die aus der Mitgliedschaft am Schuldner resultieren.444 Anteilsrechte können weiter als Beteiligungen an Kapitalgesellschaften und deren gezeichneten Kapital angesehen werden und dies gilt auch für Personengesellschaften, wenn dort Anteilsinhaber keine Vermögensbeteiligung halten.445 Keinen Einfluss hat die Frage, ob und inwieweit die Anteile Arbeitnehmern zustehen, weil die Ausnahme des § 4 Nr. 1 StaRUG Anteilsrechte nicht betrifft (§ 4 Rz. 5).446 Schließlich wird bei Gesellschaftern zu differenzieren sein, ob ihnen die betreffenden Rechte als Anteilsinhaber oder Gläubiger zustehen. Sie können in Fällen einer Häufung von unterschiedlich zuzuordnenden Rechten folglich in mehreren Gruppen vertreten sein.447

228 Sind für die Auslegung des § 2 Abs. 3 StaRUG der Inhalt und die bestehenden Wertungen zu

§ 225a InsO maßgeblich, können von den Gestaltungen auf dessen Grundlage beispielhaft Mitverwaltungsrechte, Bezugsrechte, Sonderrechte und Vermögensstammrechte betroffen sein.448 Gleiches gilt für als Splitter des Anteils- oder Mitgliedschaftsrechts bestehende Verwertungsrechte, bspw. aus einer Anteilsverpfändung, oder ein insoweit treuhänderisch gehaltenes (Sicherungs-)Eigentum.449 Nicht als Anteils- und Mitgliedschaftsrechte können demgegenüber Aufwendungsersatzansprüche gem. § 110 HGB oder aus einer beschlossenen Gewinnausschüttung gestaltet werden.450 Gleiches gilt für schuldrechtliche Ansprüche aus Gewinnoder Wandelschuldverschreibungen.451 Für letztere mag es dann allerdings zu Gestaltungen auf Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG kommen, wenn diese Ansprüche doch als begründete Restrukturierungsforderungen zählen können. 3. Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5 StaRUG)

229 Auch in Bezug auf die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte gem. § 2 Abs. 3 StaRUG gelten die

Anforderungen des § 2 Abs. 5 StaRUG zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Gestaltbarkeit. Dabei soll es in hiesigem Kontext auf die zum Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG bestehenden Anteils- und Mitgliedschaftsrechte ankommen. In der Folge sollen bspw. diejenigen Aktien auf Grundlage eines Restrukturierungsplans gesellschaftsrechtlich zulässigen Regelungen unterworfen werden können, die der Restrukturierungsschuldner zum maßgeblichen Zeitpunkt ausgegeben hat. Die Frage, wer die Aktien zu dieser Zeit als Aktionär hält, soll demgegenüber

444 Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 20. 445 Ausführlich Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 7 f.; Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 225a InsO Rz. 15 f. 446 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 33. 447 Vgl. zu § 225a InsO Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 225a InsO Rz. 17; Haas in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 5. 448 Haas in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 5. 449 Für den Insolvenzplan Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 6; Hölzle/Beyß, ZIP 2016, 1461, 1463 ff. 450 Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 21; Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 6. 451 Tresselt in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 103; zum Insolvenzplan Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 21.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 231 § 2

eine untergeordnete Rolle spielen, auch wenn die Inhaberschaft freilich mit Blick auf die Stimmrechtsverteilung und -ausübung einer weitergehenden Aufklärung bedarf.452 4. Plangestaltungen im Einzelnen (§ 2 Abs. 3 i.V.m. § 7 Abs. 1, 4, § 15 Abs. 2 StaRUG) Steht also fest, dass Plangestaltungen in Bezug auf die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte an 230 einem Unternehmen möglich sind, etwa, weil sie in der Krise wertlos sind und die Gesellschafter nicht mehr vor Eingriffen zu schützen, hat der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans festzulegen, wie die Rechtsstellung der Inhaber der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte als Planbetroffene durch den Plan geändert werden soll, § 7 Abs. 1 StaRUG. Entlang der § 2 Abs. 3 StaRUG und § 7 Abs. 4 StaRUG kann der Restrukturierungsplan insoweit verschiedene Plangestaltungen vorsehen. Hierzu zählen Umwandlungen von Restrukturierungsforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte, die allerdings die Zustimmung der betroffenen Gläubiger voraussetzt (§ 7 Abs. 4 Satz 1, 2 StaRUG). Innerhalb eines Restrukturierungsplans kann auch eine Kapitalherabsetzung oder -erhöhung vorgesehen werden, die Leistung von Sacheinlagen, der Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende an dem Schuldner beteiligte Personen (§ 7 Abs. 4 Satz 3 StaRUG).453 Im Übrigen kann im Restrukturierungsplan die Übertragung der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte bestimmt werden (§ 7 Abs. 4 Satz 4 StaRUG).454 Neben der offenkundigen Anwendungsvariante, den Einstieg eines neuen Investors durch Übertragung der bestehenden Anteile zu ermöglichen, wäre damit grundsätzlich auch eine (Sanierungs- bzw. Verwertungs-)Treuhand auf diesem Wege zwangsweise einzurichten, ohne das Risiko, Change-of-Control-Klauseln unter den Finanzierungsverträgen des Schuldners auszulösen (vgl. § 7 Abs. 4 Satz 6 StaRUG i.V.m. § 224a Abs. 4 und 5 InsO). Schließlich können im Restrukturierungsplan auch alle sonstigen gesellschaftsrechtlich zulässigen Regelungen getroffen werden (§ 7 Abs. 4 Satz 5 StaRUG). Bei der Gestaltung sind stets die zwingenden Grundsätze des Gesellschaftsrechts zu beachten, innerhalb dieses Korridors sind aber alle gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen auch im Rahmen des Plans möglich, wenn und soweit diese nicht durch das StaRUG als lex specialis überlagert werden. Eine Überlagerung ist bspw. beim Ausschluss des Bezugsrechts im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung gegeben,455 aber auch hinsichtlich des Verfahrens, der Beschlussfassung und des Minderheitenschutzes.456 Von praktischer Bedeutung wird vor allem die Möglichkeit eines Debt-Equity-Swaps sein, d.h. 231 die Umwandlung von Restrukturierungsforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Restrukturierungsschuldner und das auf dem Weg über einen Restrukturierungsplan auch gegen den Willen einzelner Gesellschafter. Ein solcher Debt-Equity-Swap kann durch einen Restrukturierungsplan begleitet und erforderliche Gestaltungen insbesondere der teilnehmenden Forderungen und Gesellschaftsbeschlüsse (vgl. § 2 Abs. 3, § 7 Abs. 4 StaRUG, s. auch § 68 StaRUG) dort vorgesehen werden.457 Schließlich werden so die den bestehenden Restrukturierungsforderungen anhaftenden Zins- und Tilgungslasten reduziert, eine neue Finanzierung bzw. Liquiditätszuführung ist damit aber nicht unmittelbar verbunden.458 Seitens der Gesell-

452 Insgesamt Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 109 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 453 Hierzu Tresselt in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 110; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 59. 454 Hierzu Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 90 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 455 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 89 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Tresselt in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 36 ff. 456 Tresselt in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 110. 457 Insgesamt Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 30 ff.; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 20; s. ergänzend die gesellschaftsrechtliche Würdigung von Seibt/Bulgrin, DB 2020, 26. 458 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 20.

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§ 2 Rz. 231 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse schafter hat ein Debt-Equity-Swap die Verwässerung oder gar den Verlust ihrer Beteiligung zur Folge und kann daher einen erheblichen Rechtseingriff darstellen, der allerdings durch die Zugangsvoraussetzung der drohenden Zahlungsunfähigkeit – wie in der Insolvenz (vgl. § 18 Abs. 2 InsO) – gerechtfertigt werden kann und durch das Schlechterstellungsverbot auf seine Verhältnismäßigkeit überprüft wird.459 Praktisch geht eine „Kontrolle über den Eingriff“ faktisch von den Gesellschaftern aus, haben sie die Einleitung doch (weitgehend) in der Hand. Meist erfolgt ein solcher Umtausch (Swap) im Zuge einer Sachkapitalerhöhung. Die Sachkapitalerhöhung setzt insbesondere einen Kapitalerhöhungsbeschluss durch die Gesellschafter bzw. Aktionäre voraus, daneben die Anmeldung der Sachkapitalerhöhung (und gegebenenfalls des Kapitalerhöhungsbeschlusses) zum Handelsregister. Erleichterungen hinsichtlich erforderlicher Beschlüsse und sonstiger Willenserklärungen ergeben sich aufgrund von § 68 StaRUG und so etwa für die Übernahmeerklärung.460 Im Gleichlauf zur insolvenzrechtlichen Vorbildvorschrift § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO ist die Zustimmung der betroffenen Gläubiger erforderlich (vgl. § 7 Abs. 4 Satz 2, § 15 Abs. 2 StaRUG), wodurch ihr Recht auf (negative) Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG gesichert wird. Stimmt ein planbetroffener Gläubiger einer Restrukturierungsforderung der Umwandlung nicht zu, ist für ihn eine Barabfindung vorzusehen.461 Die Restrukturierungsforderungen werden sodann als Sacheinlage in die Gesellschaft eingebracht. Infolge des Erwerbs einer Gesellschafterstellung durch einen DebtEquity-Swap kann sowohl eine gegebenenfalls bestehende Restforderung, die nicht an der Umwandlung teilgenommen hat, sowie eine als freiwilliger Beitrag vorgesehene neue Finanzierung durch den betroffenen Restrukturierungsgläubiger in einer möglichen (Folge-)Insolvenz als nachrangig gelten (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO), soweit nicht das Sanierungs- bzw. Kleinbeteiligtenprivileg aus § 39 Abs. 4 StaRUG oder die in § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG angesprochene Privilegierung für Gesellschafterdarlehen eingreifen.462 232 Vergleichbar zu § 7 Abs. 2 StaRUG, der in Bezug auf Restrukturierungsforderungen und Ab-

sonderungsanwartschaften auch „sonstige[n] Regelungen“ im Restrukturierungsplan zulässt, enthält auch § 7 Abs. 4 StaRUG eine eigene Art „Generalklausel“ für alle gesellschaftsrechtlich zulässigen Regelungen. Ihr unterliegen weitere in der Praxis wichtige Gestaltungsanwendungen, durch die der Restrukturierungsplan zu einem „umfassenden gesellschaftsrechtlichen Regelungsinstrument“463 ausgebaut wurde. Die Auslegung, was im Detail eine solche sonstige Regelung i.S.v. § 2 Abs. 3 StaRUG darstellt, hat sich an der Parallelnorm des § 225a Abs. 3 InsO zu orientieren.464 Dies greift weiter als die bloße Gestaltung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte selbst und stellt vielmehr ein weitreichendes gesellschaftsrechtliches Universalinstrument dar.465 Denkbar sind so u.a. Sitzverlegungen, Änderungen der Firmierung, gesellschaftsrechtliche Umwandlungen nach UmwG,466 Personalmaßnahmen wie die Bestellung/

459 Tresselt in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 84 f.; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 59. 460 Vgl. Wilke in BeckOK/StaRUG, § 68 StaRUG Rz. 10 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 461 BT-Drucks. 19/24181, S. 113; hierzu Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 70 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 462 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 32; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 20. Zu den rechtstechnischen Umsetzungsschritten mit Blick auf die einbezogenen Restrukturierungsforderungen sowie zum Anfechtungsschutz des § 90 StaRUG s. Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 16. 463 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 59. 464 Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 10; s. ausführlich Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 85 ff. 465 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 59; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2234, Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 10. 466 Zu den Umwandlungen i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1–4 UmwG Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 7 StaRUG Rz. 30–41.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 234 § 2

Abberufung eines Geschäftsführers oder CRO.467 Zu einer Überlagerung zwingender Vorgaben des Gesellschaftsrechts kommt es jedoch, wenn und soweit die betreffende Materie in den entsprechenden Normen des StaRUG geregelt ist.468 Da im Plan grundsätzlich jede Regelung getroffen werden kann, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist (vgl. § 7 Abs. 4 Satz 5 StaRUG), sind auch Maßnahmen in Bezug auf die strukturelle Verfassung der Mitgliedschaft möglich, also insbesondere Änderungen des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung, der Rechte und Pflichte in Bezug auf die Gesellschafterstellung oder der Parteistellung des Gesellschafters, also Ein- oder Austrittsregelungen.469 5. Vorgaben des § 225a Abs. 4, 5 InsO Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 6 StaRUG sind die Vorgaben der § 225a Abs. 4 und Abs. 5 InsO inner- 233 halb von Gestaltungen von Anteils- und Mitgliedschaftsrechte entsprechend anzuwenden. § 225a Abs. 4 InsO reagiert auf die in der Praxis üblichen Change of Control-Klauseln die in den gängigen Finanzierungsverträgen und insbesondere auch den von § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG adressierten Konsortialkreditverträgen vorgehalten sind, welche ihrerseits von existenzieller Bedeutung für den Restrukturierungsschuldner sind. Grundsätzlich reagieren diese Klauseln auf Veränderungen in der Gesellschafterstruktur bzw. den Beteiligungsverhältnissen und berechtigen die Kreditgeber in Fällen wesentlicher Änderungen zur Kündigung, wenn sie nicht schon eine automatische Beendigung der Vertragsverhältnisse auslösen. Diese Klauseln werden in Fällen, in denen gesellschaftsrechtliche Maßnahmen auf Grundlage von § 225a InsO durchgeführt werden – und die für gewöhnlich das Potential haben, diese Klauseln auszulösen – suspendiert.470 Das gilt jedenfalls mit Blick auf entstehende Rücktritts- oder Kündigungsrechte in Bezug auf (Finanzierungs-)Verträge, an denen der Schuldner beteiligt ist, § 225a Abs. 4 Satz 1 InsO. Sie führen gem. § 225a Abs. 4 Satz 2 InsO auch nicht zu einer anderweitigen Beendigung dieser Verträge. Dem entgegenstehende (vertragliche) Vereinbarungen sind unwirksam, soweit sie nicht als Vereinbarung i.S.v. § 225a Abs. 4 Satz 4 InsO gelten, also an eine Pflichtverletzung des Schuldners anknüpfen, wenn sich diese zudem nicht darin erschöpft, dass eine gesellschaftsrechtlich zulässige Gestaltung mittels Insolvenzplan in Aussicht genommen oder durchgeführt wird.471 Das Gleiche gilt aufgrund von § 7 Abs. 4 Satz 6 StaRUG nun auch im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen. Der ebenso zur Anwendung gelangende § 225a Abs. 5 InsO reagiert auf Fälle, in denen Maß- 234 nahmen nach § 225a Abs. 2 oder 3 InsO einen wichtigen Grund zum Austritt aus einer juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit darstellen und von diesem Austrittsrecht Gebrauch gemacht wird. Hier soll dem Austretenden ein Abfindungsanspruch nach § 225a Abs. 5 InsO zustehen, für dessen Höhe die Vermögenslage maßgeblich ist, die sich bei einer Abwicklung des Schuldners eingestellt hätte. Damit sollen insbesondere Fälle adressiert sein, in denen Plangestaltungen vorsehen, dass Altgesellschafter zu Leistungen über das Halten ihrer gegebenenfalls bestehenbleibenden Mitgliedschaftsrechte hinaus verpflichtet werden sollen. Das aber kann von ihnen nicht zwangsweise abverlangt werden, so dass solche Gestaltungen immer auch das Wahlrecht bereithalten müssen, welches den Altgesellschaftern freistellt, anstelle der Bereitstellung neuer Liquidität aus der Gesellschaft auszutreten.472

467 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, 1. Ed. 2021, § 2 StaRUG Rz. 90. 468 Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 10. 469 Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 91 ff.; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 59; Tresselt in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 106. 470 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 59. 471 Statt vieler Braun/Frank in Braun, 9. Aufl. 2021, § 225a InsO Rz. 24 f. 472 Statt vieler Braun/Frank in Braun, 9. Aufl. 2021, § 225a InsO Rz. 26 ff.

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§ 2 Rz. 235 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse 6. Zwingende Einbeziehung? 235 § 8 legt allein die Sachgerechtigkeit als entscheidendes Kriterium für die Auswahl der Plan-

betroffenen fest. Weitere (zwingende) Vorgaben finden sich dort nicht. Vor diesem Hintergrund ist es grundsätzlich denkbar, einen Restrukturierungsplan aufzustellen, ohne auch die Gesellschafter einzubeziehen.473 Allerdings liegt es ebenso nah, dass gerade die Gesellschafter als (Eigen-)Kapitalgeber, denen im Falle einer erfolgreichen Restrukturierung eine sog. Restrukturierungsdividende durch Aufwertung ihrer Anteile zufließt, primär einen Beitrag zur finanziellen Restrukturierung beitragen. Tun sie dies nicht und steuern vorrangig einzelne oder die Gesamtheit der übrigen einbezogenen Gläubiger etwas zur finanziellen Restrukturierung bei, liegt ein Eingriff in die Rechte der (nachrangigen) Gesellschafter nahe, um einen Mitnahmeeffekt zu vermeiden.474 Andererseits mag aber auch ein Plan, der die Gesellschafter nicht einbezieht und ihnen damit ihre gegebenenfalls (derzeit) wertlose Gesellschafterstellung belässt, im Licht der wirtschaftlichen Erwägungen des konkreten Falles die Unterstützung der weit überwiegenden Gläubiger finden, etwa aufgrund einer fehlenden Alternative oder anderweitigen Erfolgswahrscheinlichkeit der Restrukturierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens. Die fehlende Einbeziehung der Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten würde der erfolgreichen Restrukturierung dann nicht im Weg stehen. Daran mag sich weiterhin nur im Einzelfall etwas ändern, wenn die Mehrheitsbildung nicht in jeder vorgesehenen Gruppe gelingt und es auf eine gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung ankommt. Denn für diesen Fall gibt die absolute Prioritätsregel aus § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG vor, dass eine Gläubigergruppe in Anknüpfung an § 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG nicht angemessen an dem wirtschaftlichen Wert des Restrukturierungsplans beteiligt ist, wenn eine nachrangige Gruppe unter dem Plan einen nicht vollständig durch Leistung in das Vermögen des Schuldners ausgeglichenen wirtschaftlichen Wert erhält.475 Die absolute Prioritätsregel stellt gerade für den Fall einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung dar, was hier allgemein zur Beteiligung der Gesellschafter bzw. Anteilseigner vorangestellt wurde – alle erforderlichen Restrukturierungsmaßnahmen müssen wirtschaftlich auch bzw. gerade von den Gesellschaftern getragen werden. Schließlich führt der Umstand, dass Gläubiger oder Anteilseigener ihre formale Rechtposition beibehalten zwar allein noch nicht dazu, dass diese einen Wert erhalten, so dass ihre Herausnahme aus dem Kreis der Planbetroffenen nicht an und für sich auf Zweifel stößt. Im Fall einer gruppenüberschreitenden Mehrheitsentscheidung sollte man allerdings auch sie einbeziehen, auch, um am Ende Ausgleichsmechanismen zu schaffen, die auf Zuflüsse eines wirtschaftlichen Werts an die betreffenden Planbetroffen reagieren kann;476 denn Durchbrechungen der absoluten Prioritätsregel sind nur in engen Grenzen vorgesehen, wenn die Mitwirkung des Schuldners für die Restrukturierung unerlässlich ist oder allein geringfügige Eingriffe in die Gläubigerechte vorgesehen sind (vgl. § 28 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 StaRUG).477 Schließlich wird mit Ausnahme der Fälle, in denen eine solche komplexe Mehrheitsbildung über die § 26 ff. StaRUG erforderlich ist, eine Beteiligung der Gesellschafter bzw. Anteilseigner allein im Rahmen des wirtschaftlich zu Erwartenden liegen, rechtlich zwingende Vorgaben bestehen demgegenüber nicht. 7. Rechtsschutz

236 Die betroffenen Gesellschafter sind zunächst durch ihr Stimmrecht in einer eigenen Gruppe

bei der Planabstimmung geschützt, § 25 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StaRUG. Weiterhin ist 473 474 475 476 477

Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 63. Vgl. Korch, NZG 2020, 1299, 1300 f. Ausführlich Knapp in Flöther, 2021, § 27 StaRUG Rz. 8. Knapp in Flöther, 2021, § 27 StaRUG Rz. 15; ergänzend Bork, ZRI 2021, 345, 358. Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 63; ergänzend Kowalewski/Praß in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 28 StaRUG Rz. 21 ff.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 237 § 2

die Überwindung einer mehrheitlichen Ablehnung im Cross-Class Cram-Down durch die Vorgaben der §§ 26–28 StaRUG erschwert.478 Zudem steht auch dem Gesellschafter der Minderheitenschutz oder die sofortige Beschwerde bei drohender Schlechterstellung offen (vgl. § 64 Abs. 3, § 66 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG).479 Für die damit gleichzeitig erforderliche Vergleichsrechnung zur Ermittlung einer möglichen Schlechterstellung, ist nicht immer die Liquidation des Unternehmens relevant, sondern es mögen auch andere Fortführungsszenarien zu beachten sein, wenn und soweit diese das nächstbeste, hinreichend wahrscheinliche Alternativszenario sind (§ 6 Abs. 2 StaRUG).480 So ist gerade möglich, dass betroffene Anteilsinhaber im Rahmen des Schlechterstellungsverbots die Werthaltigkeit ihrer Rechte vorbringen, deren Entziehung durch den Restrukturierungsplan droht.481 Ihre Rechtsschutzmöglichkeiten erschöpfen sich dann allerdings, wenn Ausgleichsmittel für den Fall einer etwaigen Schlechterstellung bereitstehen. Auch diese Absicherung eines umsetzungssicheren „Freigabeverfahrens“ wird mit Blick auf die zurückhaltende Rechtsprechung in Bezug auf das Hinausdrängen von Gesellschaftern aus GmbH und Personengesellschaften und etwaige Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des aktienrechtlichen Squeeze-out (§ 327a AktG) in ihrer Rechtfertigung angezweifelt. Diesen jedenfalls im Ansatzpunkt nachvollziehbaren Zweifeln ist dann allerdings das bekannte und durch die Restrukturierungs-RL und das StaRUG adressierte Problem einer ungerechtfertigten und mittels Mehrheitsinstrumenten aufzulösenden Holdout-Position entgegenzuhalten. Die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens ist damit als vorgelagerte Frage zu betrachten, die der Gesetzgeber bewusst im Sinne einer praxistauglichen Restrukturierungslösung beantwortet hat.482 Erwähnenswert ist abschließend auch der mit den Einstiegsvoraussetzungen einhergehende Rechtsschutz, der gerade sichtbar wird, wenn Instrumente des Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmens tatsächlich in Anspruch genommen werden. Nicht von minderer Bedeutung ist die viel diskutierte Erforderlichkeit eines auf die Einleitung eines Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens lautenden Gesellschafterbeschlusses.

V. Gruppeninterne Drittsicherheiten (§ 2 Abs. 4 Satz 1 StaRUG) 1. Einführung § 2 Abs. 4 StaRUG dient der Erleichterung von Konzernrestrukturierungen, indem der Blick 237 auch auf durch Dritte für Verbindlichkeiten des Schuldners gestellte Sicherheiten als tatsächliches Phänomen der Konzernfinanzierung gerichtet wird. Solche sog. Drittsicherheiten sind Teil der Finanzierungs- und Sicherheitenstruktur, weil die Wertschöpfung in Unternehmen in der Regel als arbeitsteiliger Prozess unterschiedlicher Gesellschaften unter der Leitungsmacht einer Obergesellschaft (Holding) stattfindet und die erforderliche Finanzierung häufig zentral über die Obergesellschaft strukturiert wird. Entsprechend stützen sich zentrale Konzernfinanzierungen auf eine konsolidierte Finanzplanung für die Gruppe und sehen meist eine zusätzliche gesamtschuldnerische Haftung der wesentlichen Tochtergesellschaften als Garantiegeber (Guarantor Coverage) und Up-, Cross- sowie Downstream-Drittsicherheiten zugunsten der Finanzierer vor. In Fällen einer gewachsenen dezentralen Finanzierungsstruktur, die meist aus einem Bündel bilateraler Arrangements besteht, mag dies anders sein, auch wenn 478 Ausführlich Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 35 f.; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 60 f. 479 Vgl. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 35; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 62. 480 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 62. 481 BT-Drucks. 19/24181, S. 113; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 88 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 482 Mit weiteren Nachweisen Mulert/Steiner, NZG 2021, 673, 679; außerdem Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2167 f.

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§ 2 Rz. 237 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse auch hier im Einzelfall Garantien oder Sachsicherheiten der Ober- oder Schwestergesellschaft als Down- und Crossstream-Drittsicherheit der Schlüssel für eine Finanzierung der operativ tätigen Tochter- oder Schwestergesellschaft ist. Auf der Grundlage eines Restrukturierungsplans können gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG nunmehr auch gruppeninterne Drittsicherheiten gestaltet werden, also all diese Sicherheiten, die von verbundenen Unternehmen i.S.v. § 15 AktG zugunsten von Inhabern von Restrukturierungsforderungen gestellt wurden.483 Anknüpfungspunkt für Gestaltungen sind – in Abgrenzung zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG – daher gerade nicht die gegenüber dem Restrukturierungsschuldner bestehenden (Eigen-)Sicherheiten. 238 Die Einbeziehung der von Konzerngesellschaften bestellten Drittsicherheiten stellt ein „syste-

matisches Novum“484 dar, welches – seit Jahren gewünscht oder als Herausforderung benannt485 – den Bedürfnissen der Restrukturierungspraxis hinsichtlich multilateraler Konzernfinanzierungen nun begegnet und Teil des sich entwickelnden Rechts der Konzernsanierung ist.486 Denn könnten sich die Restrukturierungsgläubiger wegen etwaiger Ausfälle aufgrund der Umsetzung des Restrukturierungskonzepts an ihre Dritt-Sicherheitengeber wenden, drohte entweder eine Schmälerung des im Konzernverbund liegenden Werts (durch Inanspruchnahme der Material Companies) oder im ungünstigeren Fall eine Insolvenz der jeweiligen Tochtergesellschaft und damit als Kettenreaktion möglicherweise der Zusammenbruch des gesamten Konzerns (sog. Melt Down Szenario).487 Ohne die Gestaltbarkeit von gruppeninternen Drittsicherheiten wie sie § 2 Abs. 4 StaRUG nun ermöglicht, wäre alternativ als Teil des Restrukturierungskonzepts zwingend eine Einigung mit den Restrukturierungsgläubigern hinsichtlich der (Nicht-)Inanspruchnahme der Drittsicherheiten oder zur zwangsweisen Durchsetzung ein weiteres Restrukturierungsverfahren auf der Ebene des Drittsicherungsgebers vorzubereiten.488 Vor diesem Hintergrund ist die Gestaltungsbefugnis des § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG sehr zu begrüßen, durch die nun die Drittsicherheiten gestaltet werden können, ohne dass gleichzeitig parallele Verfahren notwendig werden.489 Damit kann in vielen Fällen die Komplexität – und damit einhergehend Zeit und Kosten – der Restrukturierung verringert werden, auch weil konsensuale Lösungen in dieser Hinsicht durch die Gestaltungsmöglichkeit wahrscheinlicher werden (zu diesem Katalysator-Effekt des StaRUG allgemein s. Rz. 1). Eine Abkehr vom Trennungsprinzip in Richtung einer materiellen Konsolidierung liegt hierin allerdings nicht.490 Da gleichgelagerte Problemstellungen auch dem Insolvenzplanverfahren nicht fremd sind, führt der Gesetzgeber parallel zu der im StaRUG getroffenen Regelung in § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG die § 217 Abs. 2, §§223a, 238b InsO ein, so dass die Gestaltung gruppeninterner Drittsicherheiten jetzt auch dort möglich ist.

239 Schutzlos werden die betroffenen Restrukturierungsgläubiger, deren Drittsicherheiten gegen-

über verbundenen Unternehmen gestaltet werden, allerdings nicht gestellt. Denn soweit mittels eines Restrukturierungsplans in die gruppeninternen Drittsicherheiten eingegriffen wird, trifft den Restrukturierungsschuldner eine Entschädigungspflicht aus § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG. Sie schützt die Rechte der Sicherungsnehmer, indem eine angemessene Kompensation für einen Eingriff in eine werthaltige Sicherheit im Restrukturierungsplan vor483 BT-Drucks. 19/24181, S. 113. 484 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 38. 485 Huber/Madaus in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 254 InsO Rz. 32; Hoegen/Kranz in Flöther, SanierungsR, 2019, I. Rz. 10; Schröder, ZInsO 2015, 1040, 1047. 486 Im Überblick Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105. 487 Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 107 f.; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 65; ergänzend Pleister, ZIP 2015, 1097; Westpfahl/Dittmar, NZI 2021, 46 ff. 488 BT-Drucks. 19/24181, S. 113. 489 Gehrlein, BB 2021, 66, 68; Ringelspacher/Ruch, ZRI 2020, 636, 639; Desch, BB 2020, 2498, 2502; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 65; Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108. 490 Kritisch Müller, ZIP 2020, 2253, 2256.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 241 § 2

zusehen ist. Die Entschädigung muss schon laut Gesetzesbegründung die Werthaltigkeit und tatsächliche Durchsetzbarkeit der Sicherheit berücksichtigen.491 Die besondere Sensibilität, die der Gesetzgeber der Gestaltung von Drittsicherheiten beimisst, wird darin deutlich, dass für diesen Fall für die betroffenen Gläubiger eine eigene Gruppe zu bilden ist (§ 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG)492 und eine Gestaltung ohne die Mehrheit dieser Gruppe kraft gruppenübergreifender Mehrheit nur denkbar ist, wenn insbesondere eine angemessene Entschädigung vorgesehen wird (§ 26 Abs. 2 StaRUG).493 Einzelne Sicherungsnehmer können sich außerdem auf das Schlechterstellungsverbot berufen (§ 64 Abs. 1, § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG).494 Bei Gestaltung von gruppeninternen Drittsicherheiten ist im gestaltenden Teil des Restruk- 240 turierungsplan gem. § 7 Abs. 1 StaRUG anzugeben, wie die Rechtsstellung der Inhaber der gruppeninternen Drittsicherheiten geändert werden soll. Hierzu gibt § 7 Abs. 2 Satz 2 StaRUG vor, dass entsprechend der Regelung zu Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften anzugeben ist, um welchen Bruchteil sie gekürzt, für welchen Zeitraum sie gestundet, wie sie gesichert und welchen sonstigen Regelungen sie unterworfen werden sollen. Weitere im Restrukturierungsplan auch insoweit vorzusehende Angaben mögen sich aus der Anlage zu § 5 Satz 2 StaRUG ergeben. Um eine Einschätzung der Werthaltigkeit und des Verlustes der Sicherheit und damit der Höhe der Entschädigungspflicht überhaupt zu ermöglichen, muss der darstellende Teil des Restrukturierungsplans gem. § 6 Abs. 3 StaRUG die Verhältnisse des verbundenen Unternehmens als Sicherungsgeber aufnehmen.495 Sieht der Restrukturierungsplan Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten vor, sind dem Restrukturierungsplan gem. § 15 Abs. 4 StaRUG die Zustimmungen der betroffenen verbundenen Unternehmen beizufügen, das die Sicherheit gestellt hat. Ergänzend insbesondere für die Stabilisierung während der Planvorbereitung bestimmt § 49 241 Abs. 3 StaRUG, dass gruppeninterne Drittsicherheiten einer Stabilisierungsanordnung unterfallen können. Diese Regelung wird für Konzernrestrukturierungen von nicht unerheblicher Bedeutung sein.496 Soweit insbesondere mit Blick auf eine Verwertungssperre gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG gerade im Vergleich zu den Regelungen in der Insolvenz Kritik geäußert wird,497 ist zwar neben dem allgemeinen Interesse an einer Going-Concern Lösung sowie der vorgesehenen Zahlung laufender Zinsen und gegebenenfalls des Ausgleichs eines Wertverlusts (§ 54 Abs. 1 StaRUG) zu berücksichtigen, dass Erlöse aus der Verwertung von mit Absonderungsanwartschaften belasteten Umlaufvermögen zu separieren sind und daher in der Praxis der Schuldner häufig auf eine Vereinbarung mit dem Absonderungsberechtigten angewiesen sein wird (§ 54 Abs. 2 StaRUG). Überträgt man diese Überlegungen auf die Anordnung einer Verwertungssperre für gruppeninterne Drittsicherheiten stellen sich aber weitere Fragen der Umsetzung und der angemessenen Kompensation. Das gilt gerade in Fällen, in denen der Drittsicherungsgeber im Zeitpunkt der Anordnung nicht drohend zahlungsunfähig ist, doch insoweit ist in § 51 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG nur eine Negativprüfung der Erforderlichkeit der Anordnung durch das Gericht vorgesehen.498

491 492 493 494 495 496 497 498

BT-Drucks. 19/24181, S. 113, 114. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 40; Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108. Knapp in Flöther, 2021, § 26 StaRUG Rz. 27; Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage 2021, 46, 47. Insgesamt auch Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 66. Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108. Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 16. Schönfelder in Flöther, 2021, § 54 StaRUG Rz. 20 ff. Insg. Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108.

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§ 2 Rz. 242 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse 2. Gestaltungsbefugnis (§ 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG) a) Erfasste Sicherheiten 242 Der Begriff der gruppeninternen Drittsicherheiten ist an § 254 Abs. 2 InsO angelehnt und sie

werden in § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG als „Rechte der Inhaber von Restrukturierungsforderungen [...], die diesen aus einer von einem verbundenen Unternehmen i.S.d. § 15 AktG als Bürge, Mitschuldner oder aufgrund einer anderweitig übernommenen Haftung oder an Gegenständen des Vermögens dieses Unternehmens zustehen“, legaldefiniert. Soweit damit Abweichungen zur insolvenzrechtlichen Vorbildvorschrift bestehen (dort nur „andere Rückgriffsberechtigten“), sollen sie keine inhaltliche Abweichung begründen.499 Schließlich ist in beiden Fällen der Anwendungsbereich weit zu verstehen und es werden alle Arten von Personal- und Realsicherheiten einbezogen.500 Im Einklang mit dem Verständnis der verbundenen Unternehmen sind weiterhin alle Up-, Down- und Sidestream-Drittsicherheiten erfasst.501

243 Vergleichbar zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG können von Gestaltungen auf Grundlage von § 2

Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG alle Realsicherheiten an Gegenständen des verbundenen Unternehmens betroffen sein und damit insbesondere Pfandrechte, Sicherungsabtretungen und Sicherungsübereignungen. Unterschiedslos erfasst sind Grundpfandrechte (ausführlich Rz. 90 ff.). Die dinglichen Rechte müssen sicherungsweise bestehen, nicht erfasst sind daher reine Nutzungsrechte wie bspw. Lizenzen oder Vollrechte, die zur Aussonderung berechtigen.502 In Abweichung zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG werden hier auch Personalsicherheiten, wie Bürgschaften, Schuldbeitritte und Garantien erfasst, die als Eigensicherheiten allein im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG adressiert sind (ausführlich Rz. 34). Die Haftung muss unmittelbar gegenüber dem Restrukturierungsgläubiger übernommen worden sein. Eine Haftung gegenüber dem Schuldner, die nur mittelbar gegenüber dem Restrukturierungsgläubiger besteht, wie etwa eine (interne) Patronatserklärung des Gesellschafters, wird daher nicht als Drittsicherheit erfasst.503 Auch eine gesellschaftsrechtlich bestehende akzessorische Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft ist nicht als gruppeninterne Drittsicherheit zu verstehen (zur Gestaltung der persönlichen Haftung und einer daraus folgenden Entschädigungspflicht gem. § 2 Abs. 4 Satz 2 Rz. 262).504 b) Verbundene Unternehmen

244 Gruppeninterne Sicherheiten liegen vor, wenn sie von verbundenen Unternehmen i.S.v. § 15

AktG bestellt wurden. Maßgeblich für die Einordnung als verbundenes Unternehmen sind die §§ 15 ff. AktG. Dazu gehören Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung i.S.v. § 16 AktG, abhängige und herrschende Unternehmen i.S.v. § 17 AktG, verbundene Unternehmen unter einheitlicher Leitung eines herrschenden Unternehmens als Konzernunternehmen i.S.v. § 18 AktG sowie auch wechselseitig beteiligte Unternehmen i.S.v. § 19 AktG. Schließlich stellen die Parteien eines Unternehmensvertrags nach §§ 291, 292 AktG verbundene Unternehmen dar.505 Grundsätzlich erfasst § 15 AktG inländische und (EU-)ausländische Unternehmen gleicher-

499 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 70. 500 Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 107. 501 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 101 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 107. 502 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 46. 503 Zur Parallelnorm des § 254 Abs. 2 InsO Huber/Madaus in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 254 InsO Rz. 29. 504 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 45. 505 Ausführlich Koch in Hüffer/Koch, 15. Aufl. 2021, § 15 AktG Rz. 2; Bayer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 15 AktG Rz. 1 ff. Zum Ganzen auch Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 96 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 247 § 2

maßen, was in der Folge ebenso in § 2 Abs. 4 StaRUG gelten muss.506 Werden die Sicherheiten aber durch ein solches Unternehmen mit COMI im (EU-)Ausland gestellt, ergeben sich dann allerdings einige Besonderheiten mit Blick auf das internationale Recht im StaRUG (s. Rz. 268 ff.), (insbesondere) wenn Drittsicherheiten nicht in Deutschland belegen sind oder diese Sicherheiten durch Gesellschaften mit Center of Main Interest (COMI) im Ausland gestellt wurden. Hier scheint insbesondere fraglich, wonach sich das anwendbare Recht bemisst und unter welchem Regime die Gestaltungen innerhalb eines Restrukturierungsplans im europäischen Ausland und Drittstaaten anerkannt werden. Unter Verweis auf die §§ 15 ff. AktG sind als gruppeninterne Drittsicherheiten nun auch sog. 245 Cross- und Downstream-Drittsicherheiten innerhalb eines Restrukturierungsplans gestaltbar, nachdem noch der Referenten- und Regierungsentwurf den Anwendungsbereich auf sog. Upstream-Drittsicherheiten beschränkt hatten.507 Dieser beschränkte Anwendungsbereich wurde allerdings noch vor dem Inkrafttreten hinlänglich kritisiert.508 Es wird nicht verlangt, dass das verbundene Unternehmen selbst profitiert (etwa in Folge der 246 Weiterleitung (On-Lending) einer im Plan vorgesehenen neuen Finanzierung) oder selbst drohend zahlungsunfähig ist und damit für ihn StaRUG-Verfahren eingeleitet werden könnte. Zunächst scheint es zu weitgreifend, dass Eingriffe in Rechte von Gläubigern zulässig sind, auch wenn das verbundene Unternehmen gesund und die Sicherheit entsprechend werthaltig ist. Doch die Gestaltbarkeit von Drittsicherheiten dient der Transaktionssicherheit, ohne dem Begünstigten der Drittsicherheit durch die Gestaltungsmöglichkeit einen Sanierungsbeitrag für den Restrukturierungsschuldner zuzumuten. Denn die betroffenen Gläubiger werden geschützt, indem sie eine eigene Abstimmungsgruppe bilden und ihr Rechtsverlust angemessen zu kompensieren ist (s. Rz. 252 ff.).509 c) Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5 StaRUG) Auch hinsichtlich der Gestaltungsbefugnis in Bezug auf gruppeninterne Drittsicherheiten aus 247 § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG gilt der maßgebliche Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG. Dieser bezieht sich einerseits auf das Bestehen bzw. die Begründetheit der Personal- und Realsicherheiten. Es kommt dabei wie innerhalb von § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG auf das Bestehen bzw. die Begründetheit der Realsicherheiten an und es werden sich auch diesbezüglich die aufgeführten Besonderheiten mit Blick auf den Entstehungszeitpunkt von Sicherungsgut und zu sichernder Forderung ergeben (s. Rz. 99). Für Personalsicherheiten indes dürfte es auf deren Begründetheit zum Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG ankommen, so dass insoweit entsprechend auf die Ausführungen zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG verwiesen werden kann (s. Rz. 55). Andererseits betrifft § 2 Abs. 5 StaRUG in Bezug auf die gruppeninternen Drittsicherheiten auch die Stellung der sicherungsgebenden Unternehmen. Dabei soll es mit Blick auf § 2 Abs. 4 Satz 1 StaRUG für die Einbeziehung gruppeninterner Drittsicherheiten in zeitlicher Hinsicht nicht darauf ankommen, dass das verbundene Unternehmen bereits bei Sicherheitenbestellung als solches in den Konzern aufgenommen wurde. Es soll ausreichen, dass es im maßgeblichen Zeitpunkt als verbundenes Unternehmern i.S.v. § 15 AktG einzuordnen ist.510

506 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-KonzernR, 9. Aufl. 2019, § 15 AktG Rz. 5; Keßler in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 15 AktG Rz. 1 sowie im Anwendungsbereich des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 68. 507 BT-Drucks. 19/24181, S. 15. 508 Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage 2021, 46. 509 Insg. Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 107. 510 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 138; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 85; kritisch Thole, ZIP 2020, 1985, 1988.

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§ 2 Rz. 248 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse 3. Plangestaltungen (§ 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1, 2 Satz 2, § 13 StaRUG) 248 Hinsichtlich gruppeninterner Drittsicherheiten können im Restrukturierungsplan gem. § 7

Abs. 2 Satz 2 StaRUG die gleichen Gestaltungen vorgenommen werden, wie mit Blick auf Restrukturierungsforderungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1) und Absonderungsanwartschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG). Es gilt § 7 Abs. 2 Satz 1 StaRUG, so dass zu bestimmen ist, um welchen Bruchteil die gruppeninternen Drittsicherheiten gekürzt, für welchen Zeitraum sie gestundet, wie sie gesichert und welchen sonstigen Regelungen sie unterworfen werden sollen. Letzten Endes wird es damit auf eine parallele Betrachtung zu dort vorgehaltenen Gestaltungen von Realund Personalsicherheiten ankommen.511 Praktisch relevant werden damit im Hinblick auf Realsicherheiten und in Anlehnung an mögliche Gestaltungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG Kürzungen akzessorischer oder nicht-akzessorischer Sicherheiten und Verzögerungen von Sicherheitenverwertungen. Zudem ist es möglich auch in Bezug auf Drittsicherheiten einen Sicherheitentausch vorzusehen (s. ergänzend Rz. 65, 111). Für diesen Fall gilt es insbesondere den vorgehaltenen Gegenwert im Rahmen des Sicherheitentauschs mit der alternativen Sicherheit bei der Bestimmung der Entschädigungspflicht gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG infolge des Eingriffs in die ursprünglich bestehende Sicherheit zu berücksichtigen. Demgegenüber kann mit Blick auf Personalsicherheiten in Anlehnung an mögliche Gestaltungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG insbesondere vorgesehen werden, dass Garantie- und Bürgschaftsforderungen, die gegen ein verbundenes Unternehmen als Sicherungsgeber (Garant oder Bürge) gerichtet sind gekürzt oder gestundet werden und gleichzeitig weitergehenden Regelungen wie Besserungsscheinen, Verfallsklauseln oder auch Zins- oder Rangregelungen unterworfen werden.

249 Als Folge des Grundsatzes des Fortbestands der Drittsicherheit (§ 67 Abs. 3 Satz 1 StaRUG)

bzw. der unmittelbaren Gestaltung auch der Drittsicherheit mit der Pflicht zur angemessenen Entschädigung (§ 7 Abs. 2 Satz 1, 2 i.V.m. § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. StaRUG 2) ist der Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten in der Regel nur im Rahmen eines Restrukturierungskonzepts vorstellbar, das für die gesamte finanzierte Unternehmensgruppe entwickelt wird und die unterschiedlichen Finanzierungsbausteine umfassend berücksichtigt. Der Restrukturierungsplan kann für den Restrukturierungsschuldner eine solche zentral geplante Finanzierungsstruktur mit entsprechenden leistungs- auflagen- und rangbezogenen Abänderungen der bestehenden Finanzierungsverträgen umsetzen, im Übrigen wird aber die Zustimmung sonstiger Vertragsparteien auf Gesellschaftsseite gegebenenfalls eingeholt werden müssen und müssen gegebenenfalls weitere Restrukturierungsmaßnahmen als Planbedingung oder Verpflichtungserklärung mit dem Plan verknüpft werden. 4. Zustimmung des verbundenen Unternehmens (§ 15 Abs. 4 StaRUG)

250 Die Zustimmungserklärung des verbundenen Unternehmens als Drittsicherungsgeber ist

dem Restrukturierungsplan beizufügen, § 15 Abs. 4 StaRUG. Das Gesetz sieht insofern keine Ausnahmen vor. Wenn das verbundene Unternehmen die Sicherheit voll erfüllen kann und will, soll es daran nicht gehindert werden.512 Der Drittsicherungsgeber soll in seiner Entscheidung frei sein. Vertreten wird allerdings, dass für den Fall, in dem der Eingriff in die gruppeninterne Drittsicherheit für den Drittsicherungsgeber lediglich vorteilhaft ist, eine fehlende Zustimmung zu einem pflichtwidrigen Handeln des Geschäftsleiters des Drittsicherungsgebers führen kann.513 Wann in der fehlenden Zustimmung allerdings tatsächlich eine Pflichtverlet-

511 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 50; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 73; ergänzend Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 107. 512 BT-Drucks. 19/24181, S. 121. 513 Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 253 § 2

zung gesehen werden kann, wird indessen einzelfallabhängig zu beurteilen sein.514 Für gruppeninterne Drittsicherheiten und insbesondere Upstream-Drittsicherheiten liegt in der Praxis nahe, dass die schuldnerische Muttergesellschaft ihren gesellschaftsrechtlichen Einfluss auf die Zustimmungserteilung durch die sicherungsgebende Tochtergesellschaft nutzt.515 5. Grenzen der Gestaltungsbefugnis An ihre Grenzen gerät die Gestaltungsbefugnis des § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG in Fäl- 251 len einer Konzernfinanzierung, bei der nicht nur der Planschuldner als Darlehensnehmer fungiert, sondern – gegebenenfalls in Verbindung mit einem gemeinsamen Garantie- und (Sach)Sicherheitenpaket – auch weitere Konzerngesellschaften als Darlehensnehmer vorgesehen sind. Da ein isoliertes Restrukturierungskonzept aufgrund der wechselseitigen Haftung nicht denkbar ist, ist in Abhängigkeit von der Ansässigkeit (COMI) für jeden Darlehensnehmer ein gesondertes StaRUG-Verfahren oder ein entsprechendes ausländisches Pendant hierzu anzustreben.516 Diese parallelen Verfahren erhöhen die Komplexität und stellen damit den Vorzug, auch Drittsicherheiten gestalten zu können, nicht per se in Frage. Die Restrukturierung von Konzernfinanzierungen mit Quer-Besicherungen (Cross-Collateralization) ist Teil des sich entwickelnden Konzern-Restrukturierungsrechts:517 Mit parallelen Verfahren im Rahmen eines koordinierten Prozesses und übergreifenden Konzepts werden – gegebenenfalls mit einem Gruppen- Restrukturierungsgericht (vgl. § 37 StaRUG) und wechselseitigen Bedingungen (vgl. § 62 StaRUG) oder einer auch auf die Sperrung gruppeninterner Drittsicherheiten erstreckbaren Stabilisierungsanordnung (vgl. § 49 Abs. 3 StaRUG) – jeweils auch die für die Inhaber der jeweiligen Restrukturierungsforderungen insoweit von anderen Gruppengesellschaften bestellten Personal- und Sachsicherheiten angesprochen. Ergänzend Rz. 220. 6. Entschädigung (§ 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG) Werden gruppeninterne Drittsicherheiten gestaltet und kommt es im Zuge dessen zu Eingrif- 252 fen, ist aus dem Schuldnervermögen eine angemessene Entschädigung zu leisten (§ 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG). Diese Entschädigungspflicht dient der Kompensation des Rechtsverlusts und damit – zusammen mit den Vorkehrungen innerhalb der Gruppenbildung, zum Minderheitenschutz und dem Schlechterstellungsverbot – dem Schutz der Sicherungsnehmer.518 Die Pflicht zur angemessenen Entschädigung wird in § 26 Abs. 2 StaRUG nochmals als zusätzliche Voraussetzung angesprochen, sofern die Gruppe der Inhaber der Drittsicherheiten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG) mittels Cross-Class Cram-Down überstimmt wird. Dieser Voraussetzung kommt insofern eine klarstellende Funktion zu und stellt keine materiell-rechtliche Erweiterung des § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG dar.519 Bisher noch nicht geklärt ist die Qualifikation der Entschädigungspflicht. Die Formulierung „Eingriff“ in § 2 Abs. 4 Satz 1, Halbs. 2 StaRUG meint die Gestaltung der 253 Drittsicherheit und entsprechend könnte man den Entschädigungsanspruch haftungsausfüllend in das Schadensersatzrecht einordnen.520 Unabhängig davon, ob dies den entstehenden Anforderungen der Praxis stets gerecht wird, erscheint es haftungsausfüllend für die Bestimmung der Entschädigung sinnvoll, sich die Differenzhypothese des allgemeinen Schadens514 Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 15. 515 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 94 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. auch Cranshaw/ Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2623. 516 Wilkens, WM 2021, 573, 577 f. 517 Überblick bei Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105. 518 BT-Drucks. 19/24181, S. 113. 519 Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage 2021, 46, 47. 520 In diese Richtung (wohl) Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 63.

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§ 2 Rz. 253 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse rechts (§ 249 Abs. 1 BGB) nutzbar zu machen521 und auch hier zu fragen, welche Befriedigung der Sicherungsnehmer hätte erwarten dürfen, wäre der Eingriff nicht erfolgt. So wird im Folgenden zunächst der durch den Eingriff entzogene Wert der Sicherheit, dann die Art der Entschädigung und der Schuldner der Entschädigung ermittelt und schließlich nach der Angemessenheit der Entschädigung gefragt. a) Werthaltigkeit der Sicherheit und Wertverlust durch Eingriff 254 Laut Gesetzesbegründung soll die Entschädigungspflicht im Umfang auf die Werthaltigkeit

der von der Gestaltung betroffenen Drittsicherheit begrenzt sein.522 Bei einer wertlosen Sicherheit wäre dann eine Entschädigung nicht zu leisten,523 aber in aller Regel wird der Sicherheit ein Wert zugemessen werden. Im Lichte der hypothetischen Überlegung, wie der Sicherungsnehmer ohne Eingriff in die Drittsicherheit gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 StaRUG befriedigt worden wäre (§ 67 Abs. 3 Satz 1 StaRUG), ist dann zweistufig nach der (hypothetischen) Werthaltigkeit der Sicherheit zu fragen und inwieweit der Eingriff (hypothetisch) zu einem Verlust der werthaltigen Sicherheit führt. Dabei sind für die Bestimmung der Werthaltigkeit alle Aspekte in Bezug auf die Beschaffenheit des Sicherungsgutes, der Verwertung des Sicherungsrechts und des Erlöszuflusses zu berücksichtigen, also bspw. die die Durchsetzbarkeit der Sicherheit, der Wert des Sicherungsgutes oder im Fall der Personalsicherheit die Bonität des Schuldners, aber auch das hypothetische Szenario der Sicherheitenverwertung. Für die Bestimmung des Verlustes der werthaltigen Sicherheit durch die Gestaltung ist zu fragen, welchen Verwertungserlös der Sicherungsnehmer hätte erzielen könnten, wenn der Restrukturierungsplan eine Verwertung der gruppeninternen Drittsicherheit nicht verhindert oder erschwert hätte.

255 Bei der Beurteilung der Werthaltigkeit sind alle wirtschaftlichen sowie rechtlichen Aspekte

einzubeziehen, welche die gestellten Sicherheiten und den daraus im Rahmen einer Verwertung zu erzielenden Verwertungserlös betreffen. Im Ausgangspunkt mag es sich dann anbieten, bei der wirtschaftlichen Betrachtung nach der Art des betroffenen Sicherungsrechts und der einbezogenen Sicherungsgegenstände zu unterscheiden. Bei Realsicherheiten ist der tatsächliche Wert des Sicherungsgegenstandes entscheidend (nicht der Buchwert nach HGB), so dass es bspw. bei Grundpfandrechten auf den Verkehrswert der relevanten Grundstücke ankommen wird und bei Geschäftsanteilsverpfändungen der Unternehmenswert entscheidet;524 dabei sind alle realistischen Verwertungsalternativen zu bedenken und vorrangige Rechte Dritter oder Mitberechtigter zu berücksichtigen525 und in der Regel sollte ein Bewertungsgutachten in Auftrag gegeben werden (vgl. IDW S 10). Für Personalsicherheiten, also bspw. die Garantie einer Gruppengesellschaft, wird man zunächst auf die Bonität des Sicherungsgebers abstellen, dann aber im Fall einer integrierten Unternehmensgruppe auf eine Bewertung der Unternehmensgruppe insgesamt abstellen und hierbei das Szenario unter Berücksichtigung der Implikationen einer Inanspruchnahme aus der Garantie zugrunde legen müssen; insofern könnte die Werthaltigkeit gemindert sein, wenn z.B. die Zahlungsunfähigkeit des Sicherungsgebers droht, besteht oder in Folge der Inanspruchnahme aus der Personalsicherheit eintreten würde.526 Aus rechtlicher Perspektive sind etwaige Verwertungsbeschränkungen, Gegenrechte oder Anfechtungsrisiken zu berücksichtigen, so bspw. etwaige Vinkulierungen im Fall von Geschäftsanteilsverpfändungen oder Einwendungen aus der Sicherheit selbst, wie bspw. aufgrund einer Limitation Language, die vor dem Hintergrund einer möglichen persönlichen 521 522 523 524 525 526

Oetker in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2019, § 249 BGB Rz. 18. BT-Drucks. 19/24181, S. 113. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 103 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage 2021, 46, 47. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 59; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 75. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 103 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 258 § 2

Haftung der Geschäftsleiter aufgrund der Verletzung von Stammkapitalerhaltungsvorgaben für GmbH, GmbH & Co. KG und Aktiengesellschaft die Durchsetzbarkeit von Up- oder Crossstream-Sicherheiten regelmäßig begrenzen.527 Wenn sie also den Zugriff auf die Sicherheit beschränkt, ist auch die konkrete Durchsetzungsbeschränkungdurch die Limitation Language zu berücksichtigen.528 Generell ist an Stelle des Restrukturierungsplans mit Gestaltung der Drittsicherheit auf das 256 nächstbeste Alternativszenario abzustellen. Nur bei einem gesunden Drittsicherungsgeber ist der volle wirtschaftliche Wert zu entschädigen, nicht aber, wenn bspw. die Verwertung der Drittsicherheit ohnehin beeinträchtigt ist.529 Das Verwertungsszenario ist also richtig zu bestimmen, indem auf das nächstbeste Alternativszenario abgestellt wird,530 denn auch wenn bei isolierter Betrachtung der Verwertung der Sicherheit ein bestimmter Wert zugemessen werden kann, kann dieser Wert für eine Entschädigung im Rahmen des Restrukturierungsplans keine Bedeutung haben, falls die isolierte Verwertung (also ohne den Restrukturierungsplan und die mit diesem verbundenen Maßnahmen) in einem Szenario stattfindet, das die Insolvenz des Dritt-Sicherungsgebers oder gar den Zusammenbruch (Melt Down) der gesamten Unternehmensgruppe zur Folge hat und damit dieses Szenario einer isolierten Verwertung so nicht denkbar ist.531 Wenn der Wert der Drittsicherheit so (hypothetisch) ermittelt wurde, ist weiter zu fragen, in- 257 wieweit die Gestaltung der Drittsicherheit (hypothetisch) zu einem Verlust der werthaltigen Sicherheit führt. Im Fall einer vollständigen Kürzung der Drittsicherheit, entspricht der Verlust dem ermittelten Wert der Drittsicherheit. Daneben lässt § 7 Abs. 2 Satz 2 StaRUG allerdings vielfältige Gestaltungen einer Drittsicherheit zu, die weit weniger intensiv sind und eine Bestimmung der Entschädigung herausfordernd machen – bspw. die Ausweitung einer gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 StaRUG umgesetzten Amend and Extend-Lösung für eine bestehende Finanzierung mit Fälligkeitsverschiebungen auf die Drittsicherheit, die damit ebenfalls erst nach Maßgabe der gestalteten Restrukturierungsforderungen und Einzelbestimmungen des Kreditvertrags verwertet werden können. Der Verlust des Sicherungswertes besteht hier in einem späteren Zufluss des Verwertungserlöses und die Entschädigung könnte in Form einer zusätzlichen Verzinsung der Darlehensschuld bestehen.532 b) Formen der Entschädigung (insbesondere zur Zulässigkeit eines Sicherheitentauschs) Als Art und Weise der Entschädigung kommen verschiedene Varianten in Betracht, auch 258 wenn diese weder im Gesetz vorausgesetzt sind noch in der Gesetzesbegründung adressiert werden. Da eine Naturalrestitution nicht möglich ist,533 wäre an eine Ablösezahlung als Entschädigung zu denken. Sie kann „aus dem Vermögen des Schuldners“534 erfolgen. Zurecht wird insoweit eingewendet, diesem dürfte es praktisch „äußerst schwer fallen, liquide Mittel zur Ablöse der auf einem Vermögensgegenstand einer verbundenen Gesellschaft lastenden Sicherheit bereitzustellen.“535 Denkbar wäre, im Restrukturierungsplan eine neue Finanzierung 527 BT-Drucks. 19/24181, S. 113. 528 Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 3 Rz. 13; s. auch Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2622; Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 60; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 104 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 529 Insg. Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 107. 530 Stets für das Liquidationsszenario Tresselt in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 131. 531 In diese Richtung auch Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 80. 532 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 71. 533 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 55. 534 BT-Drucks. 19/24181, S. 113. 535 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 62.

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§ 2 Rz. 258 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse (§ 12 StaRUG) vorzusehen, deren Verwendungszweck (auch) die Ablösung der Drittsicherheiten vorsieht. In vielen Fällen wird es aber ein solch frühzeitiger Exit nicht unterstützt werden. Erst recht wird der Restrukturierungsschuldner in der Regel nicht in der Lage sein, die Entschädigung aufzubringen. Daher stellt sich zwangsläufig die Frage nach alternativen Formen der Entschädigung („an Ablösezahlung statt“). Hier wäre insbesondere an einen Sicherheitentausch zu denken,536 der – gerade mit Blick auf die Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StaRUG – auch in Kombination mit einem Eingriff in die Drittsicherheit im Rahmen des Restrukturierungsplans umgesetzt werden kann (s. ergänzend Rz. 65 und 111, dort zum Ablauf eines Sicherheitentauschs als Gestaltungskombination unter Rückgriff sowohl auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG als auch Nr. 2). Gerade wenn die Finanzierung fortgeführt wird, bspw. im Rahmen einer Amend and Extend-Lösung, kann die „unbare“ und damit liquiditätsschonende Möglichkeit eines Sicherheitentauschs im Rahmen der neuen Finanzierungsund Sicherheitenstruktur eingeplant werden.537 c) Aufbringung der Finanzmittel „aus dem Vermögen des Schuldners“ 259 Die Gesetzesbegründung sieht vor, dass die Kompensation aus dem Vermögen des Schuld-

ners, nicht etwa des Drittsicherungsgebers, erfolgt.538 Die Aufbringung der Entschädigung aus dem Vermögen des Schuldners ist allerdings nicht im Gesetzeswortlaut vorgeschrieben, so dass schon im Interesse einer praxistauglichen Regelung auch andere, pragmatische Gestaltungen in Betracht kommen könnten, die bspw. die Leistung der Entschädigung durch oder auf Rechnung eines Dritten vorsehen.539 Die Einbindung bspw. eines leistungsfähigen Drittsicherungsgeber, der von der zentralen Konzernfinanzierung zuvor – z.B. durch Weiterreichung von Finanzierungsteilen – profitiert hat und auch an einer Restrukturierung interessiert ist, erscheint durchaus interessengerecht, da der Erlass der Sicherheit im Austausch gegen eine Entschädigungszahlung durch den Restrukturierungsschuldner einen Windfall Profit zugunsten des Sicherungsgebers darzustellen würde. Es mag dann – auch praktisch – naheliegen, dass der Sicherungsgeber die Entschädigung trägt.540 d) Angemessenheit

260 Die Entschädigung muss angemessen sein, aber wie dies zu prüfen ist, legt das Gesetz nicht

fest. Das dürfte zu Bewertungsschwierigkeiten in der Praxis führen, auch wenn sich für die Angemessenheit eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anbietet. Für die Frage, ob der Eingriff für die Umsetzung des Restrukturierungskonzepts geeignet, erforderlich und angemessen ist, sind die Einzelheiten der Entschädigung im Einzelfall, also das anhand der Wertermittlung erbrachte Vermögensopfer, die Form (bar, unbar) und Struktur der Entschädigung (wann, wer, wie) im Licht der überhaupt verfügbaren Alternativen zu beachten.541 Die Entschädigung hat sich im Übrigen an der Einbuße des Sicherungsnehmers zu orientieren, die es zu kompensieren gilt.542 Auch wenn das Verhältnis der Entschädigungspflicht im Vergleich zum allgemeinen Schlechterstellungsverbot des § 64 Abs. 1 StaRUG offen bleibt,543 erlangt das Schlechterstellungsverbot im Rahmen der Angemessenheitsprüfung eine Bedeutung, wenn der Siche536 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 62 f.; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 104 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 537 Insg. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 62 f. 538 BT-Drucks. 19/24181, S. 113. 539 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 62. Dagegen im Sinn der Gesetzesbegründung Desch in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, § 3 Rz. 14; Paulus/Bähr/Hackländer, ZIP 2021, 1085, 1088. 540 Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108. 541 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 55. 542 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 55. 543 Vgl. Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage 2021, 46, 48; Thole, ZIP 2020, 1985, 1988.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 262 § 2

rungsnehmer durch die vorgesehene Entschädigung schlechter gestellt wird, als er ohne den Plan stünde (§ 64 Abs. 1 Satz 1 StaRUG).544 Als Mindesthöhe einer angemessenen Entschädigung könnte insofern die ohne Restrukturierungsplan zu erwartende Befriedigung gelten,545 teilweise wird i.S. einer sanierungsfreundlichen Auslegung darunter der Liquidationswert verstanden.546 Wenn eine Entschädigung auch in Form der Regelungen im Rahmen des Restrukturierungsplanes „unbar“, also auch in Form eines Sicherheitentauschs erfolgen kann, gilt es im Gegenzug aber auch darauf zu achten, dass es nicht zur doppelten Entschädigung kommt. Zudem, wurde der Schaden des Gläubigers z.B. mit einer Ablösevereinbarung als Teil der Refinanzierung bereits kompensiert, fehlt es an einer Vermögenseinbuße und dem Gläubiger steht keine weitere Entschädigung aus § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG zu.547 Insgesamt kann die Bestimmung der Entschädigung im Einzelfall äußerst komplexe Berech- 261 nungsmodelle auf Basis unterschiedlicher Szenarien und rechtlicher Bewertungen erforderlich machen, so dass sie gegebenenfalls als „Prognoseentscheidungen“ angreifbar werden und den weiteren Verlauf der Restrukturierung erheblich stören, bspw. wenn der Sicherungsnehmer eine Schlechterstellung durch Restrukturierungsplan glaubhaft zu machen sucht (§ 64 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Entsprechend ist dem Schuldner zu empfehlen, die betroffenen Gläubiger proaktiv auf das Konzept der Gestaltung der Drittsicherheiten und die vorgesehene Entschädigung anzusprechen. Andernfalls wird ein betroffener Gläubiger wohl gegen das Planangebot stimmen, was unter Umständen einen Cross-Class Cram-Down (§§ 26 ff. StaRUG) und jedenfalls eine gerichtliche Planbestätigung (§ 60 StaRUG), die gegebenenfalls einen Minderheitenschutzantrag des Gläubigers zu überwinden hat, erforderlich macht.548 Zudem kann das Restrukturierungsgericht, dem der Restrukturierungsplan mit der entsprechenden Entschädigungsregelung vorgelegt wird, einen Restrukturierungsbeauftragen beauftragen, die Angemessenheit der Entschädigung zu überprüfen (§ 73 Abs. 3 Nr. 2 StaRUG).

VI. Persönlich haftende Gesellschafter (§ 2 Abs. 4 Satz 2 StaRUG) § 2 Abs. 4 Satz 2 StaRUG erweitert die Entschädigungspflicht, welche nach Satz 1 infolge 262 der Gestaltung von gruppeninternen Drittsicherheiten eintritt, auf die ähnlich gelagerten Fälle, in denen der Schuldner eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (Personengesellschaft) ist und die persönliche Haftung eines persönlich haftenden Gesellschafters beschränkt wird. Der gesetzgeberische Hintergrund dieser Regelung ist, dass die Begrenzung oder gar der gänzliche Ausschluss der persönlichen Haftung eines Gesellschafters eine Verringerung der Haftungsmasse bewirkt und ohne Kompensation eine unangemessene Benachteiligung der Gläubiger darstellen könnte – eben vergleichbar zum Eingriff in durch Dritte gestellte Sicherheiten.549 Mit § 2 Abs. 4 Satz 2 StaRUG wird § 11 Satz 2 StaRUG ergänzt, der mit der Befriedigung der Gläubiger im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans eine Haftungsbefreiung der Gesellschafter vorsieht.550 Die dort ausdrücklich einbezogene KGaA ist von der Entschädigungspflicht allerdings nicht betroffen.551 Der Höhe nach ist die Entschädigung sodann auf die Werthaltigkeit der Forderungen gegenüber dem oder den Gesellschaftern begrenzt – ver-

544 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 107 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 80. 545 Thole, ZIP 2020, 1985, 1988; vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 163. 546 Tresselt in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 131. 547 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 58, 61. 548 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 107 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 549 BT-Drucks. 19/24181, S. 114. 550 Vgl. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 64 f.; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 93 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 551 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 68.

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§ 2 Rz. 262 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse mittelt die Gesellschafterhaftung doch auch nur in dieser Höhe eine zusätzliche „Sicherheit“.552 Praktisch könnte die Entschädigungspflicht auch infolge der Beschränkung der persönlichen Gesellschafterhaftung ein merkliches Restrukturierungshindernis darstellen. Insbesondere mit Blick auf die drohende Zahlungsunfähigkeit ist die Fähigkeit und Bereitschaft der Gesellschaft, eine solche Leistung aufzubringen, in der Regel zu bezweifeln. Hier könnte eine Entschädigung mittels Gewährung einer ersatzweisen Sicherheit oder von Anteilsrechten durch die Gesellschafter Abhilfe leisten.553

C. Zeitpunkt (§ 2 Abs. 5 StaRUG) 263 § 2 Abs. 5 StaRUG bestimmt den Zeitpunkt, in dem die in § 2 Abs. 1–4 StaRUG genannten

Rechtsverhältnisse, Rechte und Forderungen vorliegen müssen, damit diese gestaltbar sind. Diesem zufolge hängt die Gestaltbarkeit der Rechtsverhältnisse, Rechte und Forderungen in zeitlicher Hinsicht von dem Zeitpunkt der Unterbreitung des Planangebots (§ 17 StaRUG) und im Fall einer Abstimmung im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren dem Zeitpunkt der Antragstellung (§ 45 StaRUG) ab. Soweit der Schuldner zuvor eine Stabilisierungsanordnung (§ 49 StaRUG) erwirkt, ist der Zeitpunkt der Erstanordnung maßgeblich. Grundsätzlich wird hinsichtlich der Planzugänglichkeit von Rechtsverhältnissen, Rechten und Forderungen damit auf den Zeitpunkt abgestellt, an dem sich der Schuldner zu dem Zweck äußert, eine Planabstimmung durchzuführen bzw. alternativ die Anordnung einer Stabilisierung, wenn diese (noch) einen Restrukturierungsplan vorbereitend erwirkt wird.554

264 Äquivalent zur Regelung des § 38 InsO hinsichtlich der Insolvenzforderungen käme in Be-

tracht, die Anzeige der Restrukturierungssache (§ 31 StaRUG) als maßgebend zu erachten. Durch die Anzeige der Restrukturierungssache wird diese zwar rechtshängig, eine Entscheidung des Restrukturierungsgerichts – vergleichbar zur Insolvenzverfahrenseröffnung (vgl. § 27 InsO) – ist im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen allerdings nicht vorgesehen. Anders als im Insolvenzverfahren kann das Vorliegen von gestaltbaren Rechtsverhältnissen, Rechten und Forderungen daher nicht an diesen Eröffnungszeitpunkt geknüpft werden.555 Es wiederspräche dem Sinn und Zweck einer Restrukturierung innerhalb des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, würde der maßgebliche Zeitpunkt für die Frage der Gestaltbarkeit ein konkretes Auslöse- bzw. Eröffnungsereignis darstellen.556 Schließlich sollen keine abschreckenden bzw. negativen Auswirkungen auf die Gläubiger und (zukünftige) Geschäftsbeziehungen des Restrukturierungsschuldners entstehen, sondern die Neuausrichtung die Gläubiger und sonst alle Planbetroffenen vor weiteren Einbußen im Abgleich zur Liquidation oder dem nächstbesten Alternativszenario ohne Plan bewahren. Der Schein einer drohenden Insolvenz oder eines Insolvenzbeschlags, mit dem mittelbare Kosten durch die negativ konnotierte Publizität von Insolvenzverfahren und ein erheblicher Reputationsverlust einhergehen, soll gerade verhindert werden.557 Dennoch zeigen die systematischen Überschneidungen von § 2 StaRUG zu § 38 InsO, dass eine gewisse zeitliche Zäsur auch im StaRUG unerlässlich ist.558 Schließlich ist ein maßgeblicher Zeitpunkt für die Abgrenzung der gestaltbaren von den planimmunen Rechtsverhältnissen, Rechten und Forderungen unabdingbar, da es 552 553 554 555 556

BT-Drucks. 19/24181, S. 114. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 67. BT-Drucks. 19/24181, S. 114. Vgl. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 108 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Vgl. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 69; BT-Drucks. 19/24181, S. 84; außerdem ABI. EU Nr. L 172/18 v. 20.6.2019, S. 2, 5. 557 BT-Drucks. 19/24181, S. 84; ABI. EU Nr. L 172/18 v. 20.6.2019, S. 2; Begr. RegE BT-Drucks. 19/ 24181, S. 84. 558 Thole, ZIP 2020, 1985, 1988.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 267 § 2

sonst einer klaren Grenze ermangelt, inwieweit deren Inhaber mit Plangestaltungen rechnen müssen oder auch abseits des § 4 StaRUG davon ausgehen dürfen, nicht von den Planregelungen betroffen zu sein.559 Bei einem außergerichtlichen Planabstimmungsverfahren äußert sich der Entschluss des 265 Schuldners, eine Planabstimmung durchführen zu wollen, in der Unterbreitung eines Planangebots (§ 17). Durch diesen werden die Gläubiger informiert, mit welchen Forderungen oder Rechten der jeweilige Planbetroffene in den Restrukturierungsplan einbezogen ist560 und dass der Plan im Falle seiner mehrheitlichen Annahme und gerichtlichen Bestätigung auch gegenüber denjenigen wirksam wird, die das Angebot nicht annehmen (§ 67 Abs. 1 StaRUG).561 Erfolgt zudem die Anzeige der Restrukturierungssache an das Restrukturierungsgericht, etwa um parallel zur außergerichtlichen Planabstimmung eine Stabilisierungsanordnung zu erwirken, könnte die erste Entäußerung des Schuldners bereits früher vorliegen. Eine solche potentielle Entäußerung im Vorfeld im Rahmen vorbereitender Maßnahmen ist hingegen nicht maßgeblich, sondern das Restrukturierungsvorhaben und der Rückgriff auf das „Mehrheitsinstrument“ Restrukturierungsplan müssen sich hinreichend konkretisiert haben, was erst im maßgeblichen Zeitpunkt des Planangebots der Fall ist oder alternativ, wenn die übrigen Zeitpunkte des § 2 Abs. 5 StaRUG doch vorauseilen. Bei einer angestrebten gerichtlichen Planabstimmung muss dem Erörterungs- und Abstim- 266 mungsterminantrag nach § 45 Abs. 2 StaRUG der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen beigefügt werden. Dies gewährleistet zum einen die frühzeitige und vollständige Information des Restrukturierungsgerichts, zum anderen die der Planbetroffenen über den Gegenstand des Erörterungs- und Abstimmungstermins, wodurch Überrumpelungseffekte vermieden werden sollen.562 Für die Inanspruchnahme des Instruments der gerichtlichen Planabstimmung ist eine Anzeige erforderlich (vgl. § 31 Abs. 1, § 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StaRUG). Zur Vorbereitung der Anzeige sind im Regelfall die Gläubiger einzubeziehen, insbesondere, weil der Verhandlungsstand mit den Gläubigern über Maßnahmen zur Krisenbewältigung dargestellt werden muss und anzugeben ist, ob ein Cross-Class Cram-Down (§§ 26–28 StaRUG) erforderlich ist und damit vorherzusehen ist, inwieweit mit Widerstand in einzelnen zu bildenden Gruppen zu erwarten ist. Auch, wenn es im Zuge der Vorbereitung der Anzeige zu einem ersten Austausch über die mögliche Einleitung eines Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen kommt, bestimmt § 2 Abs. 5 StaRUG, dass es hier auf die erste (ernsthafte) Äußerung des Schuldners, eine Planabstimmung durchführen zu wollen, ankommt. Dies ist der Zeitpunkt der Antragstellung (§ 45 StaRUG) oder evtl. des Antrags eines Vorprüfungstermins (§ 46 StaRUG).563 Nicht tauglich wäre es dagegen, erst auf die Entscheidung des Antrags oder den Termin selbst abzustellen, da deren Zeitpunkt außerhalb des Einflusses des Schuldners liegt.564 Eine Stabilisierungsanordnung dient dazu, die laufenden Restrukturierungsmaßnahmen zu 267 unterstützen, indem sie den Schuldner vor laufenden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen schützt und die Befriedigung von potentiellen Ab- und Aussonderungsrechten aussetzt.565 Ihre Wirkung komplettiert sich durch die Aussetzungswirkung für laufende Insolvenzeröffnungsverfahren (§ 58 InsO) und den Kündigungsstopp sowie die Suspendierung von 559 560 561 562 563

Vgl. Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 69. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 113 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 17 StaRUG Rz. 33. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 45 StaRUG Rz. 11. In diese Richtung Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 71. Mit dem Wortlaut des § 2 Abs. 5 StaRUG scheint der Gesetzgeber allerdings von gestaffelten, nacheinander erfolgenden Anträgen gem. § 45 Abs. 1 und § 46 Abs. 1 StaRUG auszugehen – zwingend ist dies indes nicht. 564 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 114 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 565 Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 49 StaRUG Rz. 1.

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§ 2 Rz. 267 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse Leistungsverweigerungsrechten (§ 55 InsO).566 Da diese Gestaltungsresistenz notwendig ist, um gewährleisten zu können, dass das Restrukturierungskonzept umgesetzt werden kann und die Gläubiger nicht vom Schuldner Abstand nehmen, ist auch bei mehreren Anordnungen auf die Erstanordnung der Stabilisierung abzustellen.567 Für den Schuldner kann es daher unter Umständen empfehlenswert sein, mit einem Antrag auf Stabilisierungsanordnung abzuwarten.568 Der maßgebliche Zeitpunkt kann dabei allerdings nicht hinter einem Planangebot oder einem Erörterungs- und Abstimmungsterminantrags liegen, sondern lediglich nach vorne verlagert werden.569

D. Gestaltungsbefugnisse und internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht 268 Für § 2 StaRUG und insgesamt die Erstellung eines Restrukturierungsplan ergeben sich aus

dem internationalen Privat- und Verfahrensrecht zahlreiche Implikationen, die durch die Planersteller berücksichtigt werden sollten. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass tragende Maßnahmen des vorgesehenen Restrukturierungskonzepts (bspw. Forderungskürzungen) oder gesellschaftsrechtliche Maßnahmen), für einzelne Gläubiger „nicht gelten“ und das im Restrukturierungsplan angelegte Konzept dadurch im Ganzen in Frage gestellt wird. Die maßgebenden Implikationen ergeben sich aus einer dreistufigen Gesamtbetrachtung betreffend die internationale Zuständigkeit, das anzuwendende Recht sowie die Anerkennung deutscher Restrukturierungspläne im Ausland. Von letzterer Frage ist umgekehrt abzugrenzen, ob und inwieweit ausländische Restrukturierungsverfahren (wie bspw. das niederländische Wet homologatie onderhands akkoord (WHOA) oder ein englischer Restructuring Plan) und ihre Regelungen in Deutschland anzuerkennen sind. Freilich befindet sich die Diskussion diesbezüglich am Anfang und ist äußerst bewegt. Aus diesem Grund führt dieser Abschnitt unter Verweis auf die einschlägige Literatur570 kursorisch in die Grundlagen ein und adressiert die aus Sicht der Ersteller eines Restrukturierungsplans aufkommenden Einzelfragen in Form von Hinweisen zu den Gestaltungsbefugnissen.

269 Grundsätzlich gilt es eine Unterscheidung zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Ver-

fahren vorzunehmen und innerhalb der Betrachtung sodann EU-Auslandssachverhalte von Sachverhalten mit Drittstaatenbezug zu trennen. Die Möglichkeit, ein öffentliches StaRUGVerfahren zu durchlaufen, ist in den §§ 84–88 StaRUG vorgesehen, die zum 17.7.2022 in Kraft treten (vgl. Art. 25 Abs. 3 SanInsFoG). Kürzlich wurden die öffentlichen Verfahren als Insolvenzverfahren i.S.v. Art. 2 Nr. 4 der EuInsVO571 in Anhang A aufgenommen.572 Einige von 566 567 568 569 570

Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 49 StaRUG Rz. 4. Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 86. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 116 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). BT-Drucks. 19/24181, S. 114; s. auch Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 71. Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105; Hoos/Schwartz/Schlander, ZIP 2021, 2214; Kahlert/Schumann, DStR 2021, 2741; Madaus, Stellungnahme zum SanInsFoG-RegE v. 12.11.2020, insbesondere S. 9 f.; Madaus, Blogbeitrag v. 24.3.2021, European Insolvency & Restructuring, TLE-008-2021; Madaus, Blogbeitrag vom 31.8.2021 (abrufbar unter: https://stephanmadaus.de/tag/internationale-zustaendigkeit/, zuletzt abgerufen am: 3.8.2022); Morgen/Arends/Schierhorn, ZRI 2021, 305; Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041; J. Schmidt, ZInsO 2021, 654; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 84–88 StaRUG (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Skauradszun, NZI 2021, 568; Thole, ZIP 2021, 2153; Westpfahl/Dittmar, NZI 2021, 46. 571 Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2015 über Insolvenzverfahren, ABl. EU Nr. L 141 v. 5.6.2015, S. 19 ff., im Folgenden EuInsVO. 572 Verordnung (EU) 2021/2260 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.2021 zur Änderung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren im Hinblick auf die Ersetzung der Anhänge A und B, ABl. EU Nr. L 455 v. 20.12.2021, S. 4.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 272 § 2

den im Kontext des internationalen Rechts bestehenden Zweifelsfragen werden damit – das Inkrafttreten der §§ 84–88 StaRUG vorausgesetzt – über die EuInsVO einer rechtspraktikablen Lösung zugeführt. Bis dahin gelten allein die Ausführungen zum nichtöffentlichen Verfahren (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 1 StaRUG), für die die EuInsVO eben nicht gilt. Im Übrigen gilt Vergleichbares auch für andere der infolge der Restrukturierungs-RL eingeführten Restrukturierungsverfahren und so z.B. für niederländische WHOA-Verfahren. Auch dort ist zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Verfahren zu unterscheiden und nur erstere haben kürzlich Einzug in den Anhang A der EuInsVO gefunden.

I. Internationale Zuständigkeit Von der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte hängt die Möglichkeit ab, die im 270 deutschen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen bereitgestellten Instrumente aus § 29 Abs. 2 StaRUG in Anspruch zu nehmen und auch die sonstigen Erleichterungen einer vorinsolvenzlichen Restrukturierung zu nutzen. Bestimmungsregelungen der internationalen Zuständigkeit sind in der InsO und im StaRUG nicht direkt enthalten. Vielmehr setzt die Anwendung des StaRUG die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte als weitgehend losgelöste Vorfrage voraus.573 Seit dem 17.7.2022 kann auf Antrag gem. § 84 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ein öffentliches Verfah- 271 ren betrieben werden, auf welches die Regelungen der EuInsVO und vor allem auch Art. 3 Abs. 1 EuInsVO Anwendung finden. In diesen Fällen folgt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte dem Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners.574 Er muss sich in einem Mitgliedstaat befinden. Liegt der Center of Main Interest (COMI) nicht in einem Mitgliedstaat, sondern in einem Drittstaat, ist die EuInsVO nicht anwendbar. Hinsichtlich des Umgangs mit einem Drittstaatenverfahren und auch der internationalen Zuständigkeit gilt dann das autonome nationale Recht. Die internationale Zuständigkeit richtet sich sodann nach § 3 Abs. 1 InsO (analog) bzw. nun § 35 Satz 2 StaRUG (analog), womit man aufgrund des weitgehenden Gleichlaufs des COMI mit dem „Mittelpunkt einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners“ allerdings kaum ein abweichendes Ergebnis für die Zuständigkeit finden wird.575 Im Anwendungsbereich der EuInsVO bestehen hilfreiche Parallelvorschriften mit Art. 7 EuInsVO als kollisionsrechtlicher Grundnorm, die die Anwendbarkeit des Rechts des Staates der Verfahrenseröffnung jedenfalls für die dort genannten Regelungsgegenstände vorsieht, und Art. 19, 32 EuInsVO, die für eine automatische Anerkennung in den übrigen Mitgliedstaaten sorgen.576 Die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit kann sich für nichtöffentliche Verfahren 272 nicht nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO richten, setzt dessen Anwendbarkeit gem. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3 und Art. 2 Nr. 4 EuInsVO doch die Nennung solcher Verfahren in Anhang A voraus. Dort sind allerdings allein die öffentlichen Verfahren genannt und auch perspektivisch scheint die Aufnahme der nichtöffentlichen Verfahren aufgrund von ErwGr. 12 f. EuInsVO aus-

573 Hierzu Laroche in Flöther, 2021, § 35 StaRUG Rz. 4; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 84 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 574 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 84 StaRUG Rz. 60 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); außerdem Thole, ZIP 2021, 2153; J. Schmidt, ZInsO 2021, 654, 656; Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041. Zur Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen etwa Knof in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2020, Art. 3 EuInsVO Rz. 6 ff. 575 Thole in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2021, Art. 3 EuInsVO Rz. 10, 20; ergänzend AG Münster v. 23.11.1999 – 77 IN 50/99, ZInsO 2000, 49. 576 Dazu bspw. Knof in Uhlenbruck Art. 7 EuInsVO Rz. 2, Art. 19 Rz. 1.

Herding/Krafczyk | 169

§ 2 Rz. 272 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse geschlossen.577 Für die nicht-öffentlichen Verfahren haben sich hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit deshalb unterschiedliche Standpunkte entwickelt, deren Ursprünge sich einerseits in der EuGVVO (Brüssel Ia-Verordnung), andererseits dem autonomen nationalen Recht finden. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH zum Verhältnis zwischen EuInsVO und EuGVVO mit der sog. „Lückenlosigkeitsdoktrin“578 wird es für möglich gehalten, dass die internationale Zuständigkeit der EuGVVO folgt (Art. 4 ff. EuGVVO) und sich auch die Anerkennung hiernach richtet (vgl. Art. 36 EuGVVO).579 Dies wird allerdings aufgrund der Insolvenzausnahme aus Art. 1 Abs. 2 Buchst. b EuGVVO weitläufig in Frage gestellt. Denn ein nichtöffentliches Restrukturierungsverfahren gleicht in vielerlei Hinsicht nicht nur einem öffentlichen Restrukturierungsverfahren, sondern auch einem Insolvenzplanverfahren. Wenn es sich nun bei Letzteren um ein Insolvenzverfahren i.S.v. Art. 2 Nr. 4 EuInsVO handelt, leuchtet es sodann kaum ein, nichtöffentliche Verfahren nicht wenigstens als ein einem Insolvenzverfahren „ähnlichen Verfahren“ anzusehen.580 Ist der Anwendungsbereich der EuGVVO aber aufgrund dieses Wertungswiderspruchs nicht eröffnet, kann damit weder die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit, noch die Anerkennung im In- und Ausland deren Regelungen folgen. Schließlich scheint sich die Zuständigkeit deutscher Gerichte nach dem (jeweiligen) autonomen nationalen Recht zu richten. Ihre Bestimmung folgt in Deutschland § 35 Satz 2 StaRUG analog, wird die internationale Zuständigkeit durch diesen doch parallel zu der örtlichen Zuständigkeit gleichsam (mit-)geregelt.581

II. Anwendbares Recht 273 Ist ein deutsches Restrukturierungsgericht zur Erkenntnis gelangt, es sei international zustän-

dig, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, welches Restrukturierungsrecht es anwendet. Dies bezieht sich auf das anwendbare materielle Recht und Verfahrensrecht. Im Grundgedanken soll das anwendbare Verfahrensrecht dem Recht desjenigen Staates folgen, in welchem das betreffende Verfahren eröffnet wird, soll doch kein zuständiges Gericht dazu gezwungen sein, ausländisches Verfahrensrecht anzuwenden (Grundsatz des lex fori). Im Übrigen ist es sinnvoll, dass das materielle Recht desjenigen Staates zur Anwendung kommt, zu welchem hinsichtlich des betreffenden Sachverhalts die größte Sachnähe besteht. In Restrukturierungsverfahren mit vielzähligen parallel zu regelnden Rechtsverhältnissen, Rechten und Forderun577 Thole, ZIP 2021, 2153, 2154. Eine Aufnahme als nichtöffentliches Verfahren in Anhang A der EuInsVO wurde allerdings durchaus für denkbar gehalten, s. Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041, 1042. 578 Zur Lückenlosigkeitsdoktrin nur ErwGr. 7, S. 3 f. EuInsVO; EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13 – Nickel & Goeldner, ZIP 2015, 96 Rz. 21; EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16 − Tünkers, ZIP 2017, 2275 Rz. 17; EuGH v. 4.10.2018 – C-337/17 − Feniks, ZIP 2019, 142 Rz. 30. Inwieweit die Lückenlosigkeitsdoktrin für sich aber umfassende Geltung beanspruchen kann, erscheint fraglich. Hierzu Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041, 1045; Thole, ZIP 2021, 2153, 2155. 579 In diese Richtung Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 84 StaRUG Rz. 63 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der hinsichtlich der Zuständigkeit auf die Art. 4 Abs. 1 (i.V.m. Art. 63 EuGVVO) und Art. 8 Nr. 1 EuGVVO verweist, sowie J. Schmidt, ZInsO 2021, 654, 656 f., die in Ansehung der Gestaltungsbefugnisse aus § 2 Abs. 3 StaRUG für die Bestimmung der Zuständigkeit Art. 24 Nr. 2 EuGVVO heranzieht. Schon diese unterschiedliche Zuständigkeitsbestimmung zeigt, dass die EuGVVO für die Bestimmung der Zuständigkeit in vorinsolvenzlichen, teilkollektiven Restrukturierungsverfahren kaum praktikable Lösungen bereithält. Hierzu Hoos/Schwartz/Schlander, ZIP 2021, 2214, 2218; Schlöder/ Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041, 1047. 580 Morgen/Arends/Schierhorn, ZRI 2021, 305; Thole, ZIP 2021, 2153, 2154. 581 Laroche in Flöther, 2021, § 35 StaRUG Rz. 4; Madaus, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) sowie zum diesbezüglichen Antrag der Fraktion der FDP v. 12.11.2020, S. 10; Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041, 1047.

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 275 § 2

gen, wird diese Sachnähe regelmäßig zentral über die Zuständigkeitsbestimmung hergestellt, folgt letztere doch dem COMI bzw. dem „Mittelpunkt einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners“– auch um auf diesem Weg eine Einzelbestimmung des anwendbaren Rechts hinsichtlich jeden „Sachverhalts“ zu vermeiden. Nachdem sich öffentliche Restrukturierungsverfahren in Anhang A der EuInsVO wiederfin- 274 den, ist für das anwendbare Recht Art. 7 Abs. 1 EuInsVO maßgeblich, womit sich die Wirkungen des Restrukturierungsverfahrens und das anwendbare Kollisionsrecht nach dem Restrukturierungsrecht des Mitgliedstaats richten, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird. Mit dem damit geltenden Grundsatz des lex fori concursus wird ein umfassendes Restrukturierungsstatut vorgehalten. Dieses stellt sicher, dass das verfahrenseröffnende Gericht betreffend die überwiegenden Regelungsmaterien kein ausländisches Recht anzuwenden hat. Denn für die Verfahrenseröffnung kommt es entscheidend auf die internationale Zuständigkeit als Vorbedingung an.582 Blickt man nun auf den in Art. 7 Abs. 2 EuInsVO bereitgehaltenen Beispielkatalog der Regelungsmaterien, welche durch den lex fori concursus-Grundsatz erfasst werden, insbesondere dessen Buchst. k (Nachforderungsrechte und Restschuldbefreiung – oder: Rechte der Gläubiger nach der Verfahrensbeendigung) und Buchst. j (Beendigung des Insolvenzverfahrens), ist erkennbar, dass durch diesen auch die „Restrukturierungs- und Entschuldungswirkungen eines von der Verordnung erfassten Verfahrens (Anhang A)“ kollisionsrechtlich gewährleistet werden sollen.583 Folglich sehen sich die anderenfalls anstelle der lex fori concursus anzuwendenden Statute, bspw. das Forderungs- oder Gesellschaftsstatut, wenn es um die Gestaltung von Restrukturierungsforderungen bzw. Anteils- und Mitgliedschaftsrechten geht, durch das sachnähere Restrukturierungsstatut überlagert.584 Damit richten sich insbesondere Forderungsmodifikationen durch einen Restrukturierungsplan, z.B. Regelungen über das Erlöschen einer Restrukturierungsforderung durch ihre Kürzung, nach dem Restrukturierungsstatut (zur Gestaltbarkeit ausländischer Restrukturierungsforderungen zusammenfassend Rz. 282).585 Ansonsten würde auch das Ziel, einen Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit (Art. 3 EuInsVO) und anwendbarem Recht (Art. 7 Abs. 1 EuInsVO) herzustellen, in öffentlichen Restrukturierungsverfahren kaum erreicht.586 Zu Art. 7 EuInsVO enthält Art. 8 EuInsVO eine Sonderregelung für dingliche Rechte. Diesen gilt es insbesondere zu beachten, wenn eine Gestaltung von Sicherheiten und Drittsicherheiten im Raum steht, die in einem anderen Mitgliedstaat belegen sind (s. Rz. 283). Für nichtöffentliche Restrukturierungsverfahren stellt sich die Frage des anwendbaren 275 Rechts neu, da für nichtöffentliche Verfahren auf die Regelungen der EuInsVO mangels Aufführung in deren Anhang A nicht zurückgegriffen werden kann. Auch wenn der Gesetzgeber den Vorteil eines öffentlichen Verfahrens gerade in der Anerkennungsfähigkeit der erzielten Ergebnisse sieht,587 ist nicht davon auszugehen, dass er für nichtöffentliche Restrukturierungsverfahren die Planersteller darauf verweisen wollte, die Maßgeblichkeit des deutschen Rechts für die Gestaltungen nach § 2 StaRUG – die eine Vielzahl unterschiedlicher Restrukturierungsgläubiger, Inhaber von Absonderungsanwartschaften und Anteils- und Mitgliedschafts582 Vgl. Knof in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2020, Art. 3 EuInsVO Rz. 17. 583 Madaus in Kübler/Prütting/Bork, Art. 7 EuInsVO Rz. 35 (Stand: 90. EL Dezember 2021). 584 Madaus in Kübler/Prütting/Bork, Art. 7 EuInsVO Rz. 35 (Stand: 90. EL Dezember 2021); Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 14 und § 84 StaRUG Rz. 39 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); außerdem Paulus/Bär/Hackländer, ZIP 2021, 1085, 1089; J. Schmidt, ZInsO 2021, 654, 656. Zur Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut bei gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen aber Thole in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 40 Rz. 30 ff. 585 Vgl. Thole in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 40 Rz. 27, dort ebenfalls zu Forderungsmodifikationen im Anwendungsbereich des Grundsatzes des lex fori concursus. 586 Zu den Zielen des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO Knof in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2020, Art. 3 EuInsVO Rz. 2, 17. 587 BT-Drucks. 19/24181, S. 178.

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§ 2 Rz. 275 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse rechten einbeziehen – entlang der Rom-VO, dem EGBGB und internationalen Gesellschaftsrecht zu begründen. Denn dies führte aufgrund des zusätzlichen Planungs- und Begründungsaufwands letztlich dazu, dass auf ein nichtöffentliches Restrukturierungsverfahren verzichtet wird und allenfalls Alternativen innerhalb der Insolvenzordnung gesucht werden. Zur Auflösung dieser Problemstellung werden unterschiedliche Ansätze diskutiert. 276 Einer von ihnen hält hinsichtlich nichtöffentlicher Verfahren das Gesellschaftsstatut des Re-

strukturierungsschuldners für maßgebend, wodurch mit der im europäischen Ausland zumeist geltenden Gründungstheorie das Recht des Satzungssitzes der Gesellschaft anwendbar wäre.588 Liegt der Satzungssitz in Deutschland, käme einheitlich das deutsche Recht zur Anwendung. Andere Ansätze greifen den Grundgedanken des Art. 7 EuInsVO auf und versuchen einen Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht auf dem Weg über den Grundsatz des lex fori bzw. die autonomen nationalen Regeln des internationalen Insolvenzrechts herzustellen. Es wird vertreten, dass die Reichweite des Grundsatzes des lex fori, welcher sich auf die Bestimmung des anwendbaren Verfahrensrechts im formellen Sinne beschränkt, im Restrukturierungsrecht erweitert werden muss. Grund dafür soll die enge Verknüpfung des Verfahrensrechts mit den materiellen im Restrukturierungsplan vorgehaltenen Gestaltungen sein.589 Andererseits wird als (Behelfs-)Lösung auf § 335 InsO analog verwiesen.590 Schließlich wird unter Verweis darauf, dass die etablierten Grundsätze des internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht viele Fragen unbeantwortet lassen oder nur unzureichende Antworten bereithalten, aus der pragmatischen Handhabe englischer Gerichte zur Zuständigkeitsbegründung in Cross-Border-Restrukturierungssachverhalten ein auch für die deutsche Praxis bedenkenswerter Ansatz abgeleitet: Im Sinne eines pragmatischen Vorgehens sollen die Gerichte in nichtöffentlichen Restrukturierungsverfahren die Bestimmung des anwendbaren Rechts für sämtliche zu gestaltende Rechtsverhältnisse zunächst offenlassen und vielmehr die Maßgeblichkeit des deutschen Rechts unterstellen, wenn bei gegebener internationaler Zuständigkeit die Anerkennung des Restrukturierungsplans in den zur Verwirklichung des Restrukturierungsvorhabens relevanten Mitglieds- und Drittstaaten hinreichend wahrscheinlich scheint und (etwa mit dem Sachrecht der Mehrzahl der zu restrukturierenden Rechtsverhältnisse oder auch Gerichtsstandsvereinbarungen oder -klauseln) relevante Anknüpfungspunkte für das anwendbare Recht zumindest im Schwerpunkt nach Deutschland verweisen (sog. „Notwendigkeitsdoktrin“).591

277 Die Praxis hat aufgrund der derzeit nicht auflösbaren Rechtsfrage mit den dargestellten Un-

wägbarkeiten zu leben, sollte aber grundsätzlich davon ausgehen dürfen, dass – sollte es zu einer Entscheidung über das anzuwendende Recht kommen – die zuständigen Gerichte vom Grundsatz des lex fori concursus kaum abweichen werden, auch wenn die Begründung für dieses Vorgehen unterschiedlich sein mag. Denn nur so kann das nichtöffentliche Restrukturierungsverfahren seine praktische Bedeutung erlangen, die der deutsche Gesetzgeber ihm durch die eröffnete Wahlmöglichkeit offenkundig zuweisen wollte, auch und gerade – wie der Vergleich mit dem niederländischen WHOA-Verfahren mit ähnlicher Wahlmöglichkeit zeigt – um im internationalen Wettbewerb der Rechtsordnungen zu bestehen.

588 J. Schmidt, International Insolvency Review 2022, 81, 87; J. Schmidt, ZInsO 2021, 654, 661. 589 Thole, ZIP 2021, 2153, 2158 f. 590 Für eine analoge Anwendung Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 13 und § 84 StaRUG Rz. 98 ff. (2. Ed. 1.9.2021); Skauradszun, NZI 2021, 568, 571 f.; für eine direkte Anwendung Bornemann in Graf-Schlicker InsO, § 335 Rn. 25. 591 Madaus, Blogbeitrag v. 31.8.2021 (abrufbar unter: https://stephanmadaus.de/tag/internationale-zustaendigkeit/, zuletzt abgerufen am: 3.8.2022).

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 280 § 2

III. Anerkennung Eine andere Frage als nach der internationalen Zuständigkeit und dem anwendbaren Recht ist 278 diejenige danach, ob Restrukturierungspläne die infolge eines Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Deutschland bestätigt wurden, im EU-Ausland und in Drittstaaten anerkannt werden, sie also auch dort mit Blick auf die von ihm betroffenen Rechtsverhältnisse, Rechte und Forderungen umfassende Rechtswirkungen entfalten. Andersherum ist zu ermitteln, ob gerichtlich bestätigte Restrukturierungspläne (also solche die aus Verfahren herrühren, die auf der Restrukturierungsrichtlinie fußen oder ihnen jedenfalls vergleichbar sind) aus dem EU-Ausland oder Drittstaaten in Deutschland anerkannt werden. Diese fehlende Anerkennung kann im Einzelfall gravierende Folgefragen auslösen. Ist z.B. erkennbar, dass einem Restrukturierungsplan in einigen Mitglieds- und Drittstaaten keine umfassenden Rechtswirkungen zuteilwerden, sind auf den ersten Blick parallele (sekundäre) Restrukturierungsverfahren im Ausland erforderlich. Wie sie allerdings zu behandeln sind und insbesondere wie sie sich mit dem ersten Verfahren im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen vertragen, ist nicht geklärt – das gilt insbesondere im Anwendungsbereich der Art. 34–52 EuInsVO. 1. Anerkennung im Ausland Steht die Anerkennung öffentlicher Verfahren im EU-Ausland im Raum, genauer des bestä- 279 tigten Restrukturierungsplans, gelten Art. 19 ff. EuInsVO.592 Danach wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach Art. 3 EuInsVO zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist (Art. 19 EuInsVO). Die automatische Anerkennung, ohne weitere Anerkennungsprüfung oder weiteres -verfahren, wird auf die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen eines Gerichts sowie ein bestätigten Vergleich erstreckt (Art. 32 EuInsVO).593 Eine Grenze der Anerkennung liegt in Ordre Public-Verstößen (Art. 33 EuInsVO). Sie stellen eine „letzte Notbremse“ dar und liegen nur in ganz eng begrenzten Ausnahmefällen vor, in denen fundamentale Normen und Prinzipien des Anerkennungsstaates missachtet würden.594 Die mangelnde Einhaltung des anwendbaren Rechts dürfte dazu nicht zählen. Sie ist im Ausgangsverfahren anzugreifen und es ist dort auf die verfügbaren Rechtsmittel zurückzugreifen. Die Art. 19 ff. EuInsVO gelten allein in EUAuslandssachverhalten. Demgegenüber ist die Anerkennung öffentlicher Verfahren in Drittstaaten nicht ausdrücklich geregelt. Die EuInsVO und EuGVVO setzen sich mit ihren Anerkennungsregimen jedenfalls nicht durch, so dass es auf das autonome nationale Recht ankommt. Für die Anerkennung von Restrukturierungsplänen wird für Großbritannien zwar auf die Cross-Border Insolvency Regulations 2006 (CBIR 2006) verwiesen, dies aber nicht ohne im selben Zuge auf die Rule in Gibbs hinzuweisen.595 In den Vereinigten Staaten könnte demgegenüber eine Anerkennung gem. Chapter 15 U.S. Bankruptcy Code erfolgen.596

Stellt sich die Frage der Anerkennung nichtöffentlicher Verfahren im Ausland, kann mangels 280 dessen Aufnahme in Anhang A der EuInsVO erneut nicht auf die Art. 19 ff. EuInsVO verwiesen werden und auch das Anerkennungsregime der Art. 36 ff. EuGVVO mag aufgrund der Insolvenzausnahme aus Art. 1 Abs. 2 Buchst. b EuGVVO (erneut) nicht einschlägig sein. Dann folgt die Anerkennung erneut dem autonomen nationalen Recht. Für Großbritannien und die 592 Paulus/Bähr/Hackländer, ZIP 2021, 1085, 1089; Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041, 1042; Thole, ZIP 2021, 2153, 2154. 593 Madaus in Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO 2015 Rz. 2 (Stand: 90. EL Dezember 2021). 594 Hermann in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2020, Art. 33 EuInsVO Rz. 1, dort mit Hinweis auf EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04 − Eurofood, ZIP 2006, 907. 595 Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041, 1048 f.; Wells/Aconley, BJIBFL, 187, 188 f. 596 Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041, 1050 f.

Herding/Krafczyk | 173

§ 2 Rz. 280 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse Vereinigten Staaten bleibt es dann bei der möglichen Anerkennung über die CBIR und Chapter 15 U.S. Bankruptcy Codes, denn dort wird eine Unterscheidung nach öffentlichen und nichtöffentlichen Verfahren soweit ersichtlich nicht getroffen.597 Besonderer Aufmerksamkeit ist demnach erneut der Rule in Gibbs zu schenken, die auch hier eine Anerkennung des bestätigten Restrukturierungsplans verhindern kann, wenn die gestalteten Forderungen nicht demjenigen Recht unterliegen, welches auch für die entsprechende Gestaltung/Modifikation angewendet wurde. In Cross-Border-Restrukturierungssachverhalten sollten die Anerkennungsfragen bereits im Rahmen der Vorbereitung der Restrukturierungssache adressiert werden (bspw. durch die Einholung von Sachverständigen-Gutachten) und das – gerade in Sachverhalten mit Drittstaatenbezug – unabhängig davon, ob ein öffentliches oder nichtöffentliches Verfahren angestrebt wird. Nur so kann dem aufkommenden Planungs- und Prüfungsaufwand und im Zweifelsfall weiterhin entstehendem Abstimmungsbedarf begegnet werden. 2. Anerkennung im Inland 281 Eine andere Frage ist, ob und nach welchem Regime die Anerkennung von Restrukturierungs-

plänen aus dem EU-Ausland oder Drittstaaten in Deutschland erfolgt. Für ausländische Restrukturierungsverfahren, die in Anhang A der EuInsVO aufgenommen wurden, gelten Art. 19 ff. EuInsVO. Die Anerkennung von solchen Restrukturierungsplänen aus dem EUAusland folgt den Ausführungen aus Rz. 278 f. Sie treffen insbesondere auf öffentliche WHOA-Verfahren zu. Eine automatische Anerkennung wird auch hier nur durch Ordre Public-Verstöße in Frage gestellt. Schwieriger zu beurteilen ist, wonach sich die Anerkennung von Restrukturierungsplänen aus Verfahren richtet, die zwar auf der Restrukturierungsrichtlinie fußen, aber – wie z.B. das nichtöffentlichen WHOA-Verfahren – nicht in Anhang A der EuInsVO aufgenommen wurden. Hier folgt die Anerkennung nicht der EuInsVO. Zudem kann im Einklang mit den Ausführungen zur internationalen Zuständigkeit hinsichtlich der nichtöffentlichen Verfahren die Frage gestellt werden, ob sie sich nach dem Anerkennungsregime der EuGVVO richtet oder ihr Anwendungsbereich aufgrund der Insolvenzausnahme aus Art. 1 Abs. 2 Buchst. b EuGVVO nicht eröffnet ist (s. Rz. 272). Falls der Anwendungsbereich der EuGVVO nicht eröffnet ist, bleibt eine Anerkennung über das autonome nationale Recht. In diesen Fällen folgt die Anerkennung § 343 InsO oder § 328 ZPO. Das hängt schließlich davon ab, ob man die ausländischen Restrukturierungsverfahren als „Insolvenzverfahren“ (§ 343 InsO) versteht oder deren Ergebnisse als „Entscheidung“ (§ 328 ZPO).598 Die Ergebnis597 Insbesondere Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041, 1048 ff. 598 Dem Anerkennungsregime des § 343 InsO unterliegen nur „Insolvenzverfahren“, wozu Auslandsverfahren nicht völlig schrankenlos zählen, sondern nur, wenn damit in etwa die gleichen Ziele verfolgt werden wie mit den in der InsO vorgesehenen Verfahren (§ 1 InsO). Den Zielen eines Insolvenzverfahrens dienen zuerst Verfahren, die in erster Linie auf alsbaldige Liquidation des Schuldnervermögens angelegt sind. Gleiches gilt aber auch für Verfahren, durch die – wie bereits im früheren deutschen Vergleichsverfahren – der Bestand eines Unternehmens trotz des Vorliegens von Insolvenzgründen erhalten werden soll, (jedenfalls) wenn mit ihnen zugleich das Ziel der Befriedigung der Gläubiger verfolgt wird. In der InsO ist diese Zielsetzung durch Anerkennung solcher Verfahren als Insolvenzverfahren verwirklicht, bei denen die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger nicht nur in der Weise bewirkt wird, dass das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird, sondern auch dadurch, dass in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Insgesamt zu § 343 InsO BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 Rz. 8 = ZIP 2009, 2217 sowie Thole in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 343 InsO Rz. 13 ff. Demgegenüber unterfallen dem Anerkennungsregime des § 328 ZPO als „Urteile“ alle Entscheidungen ausländischer Gerichte unabhängig von ihrer formalen Bezeichnung als Urteil, Beschluss oder ähnlichem, und unabhängig von ihrem (zusprechenden oder abweisenden) Inhalt, wenn und soweit es sich nur um eine endgültige Entscheidung über einen aus deutscher Sicht zivilrechtlichen Streitgegenstand (vgl. § 13 GVG) handelt. Mit weiteren Nachweisen zu § 328 ZPO Gottwald in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, § 328 ZPO Rz. 60).

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Gestaltbare Rechtsverhältnisse | Rz. 282 § 2

se der Zuordnung scheinen zwar auf den ersten Blick kaum von Bedeutung zu sein, stellen doch sowohl § 343 InsO als auch § 328 ZPO auf die nach den deutschen Gesetzen bestehende Zuständigkeit des befassten ausländischen Gerichts ab. Dies mag allerdings insoweit täuschen, als dass sich zum einen die Zuständigkeitsbestimmung innerhalb der Insolvenz- und Zivilprozessordnung (vgl. z.B. § 29a ZPO – Stichwort: Vertragsbeendigungen) unterscheiden und damit nach § 343 InsO bspw. für die Anerkennung eines niederländischen nichtöffentlichen WHOA-Verfahrens ganz im Gegensatz zu den dort vorgesehenen, niedrigschwelligen Zuständigkeitsregelungen der COMI des Schuldners in den Niederlanden erforderlich wird. Zum anderen sieht § 328 ZPO die Reziprozität als Voraussetzung der automatischen Anerkennung vor, die – so könnte argumentiert werden – durch die Anwendung der Rule in Gibbs durch englische Gerichte auf einen deutschen Restrukturierungsplan in Frage gestellt werden könnte (vgl. demgegenüber auch § 353 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 723 Abs. 1 ZPO sowie § 723 Abs. 2, § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO).599 Zudem scheint auch die Übertragungsfähigkeit der Wertungen der §§ 343 ff. InsO und insbesondere des § 351 InsO im Rahmen einer Prüfung nach § 328 ZPO fragwürdig.

IV. Hinweise zu den Gestaltungsbefugnissen 1. Gestaltung ausländischer Restrukturierungsforderungen Ausländische Restrukturierungsforderungen (wie in § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG beschrieben – 282 erfasst werden unterschiedslos Steuerforderungen600) sind mit einem Restrukturierungsplan grundsätzlich im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gestaltbar. Ansonsten hätten ausländische Forderungen ihren Platz schließlich in § 4 Satz 1 StaRUG finden können. Die Gestaltbarkeit erstreckt sich sicherlich auf gegen den Schuldner mit COMI in Deutschland gerichtete Restrukturierungsforderungen, die europäischem Recht unterliegen, und das auch allein im öffentlichen Verfahren (vgl. §§ 84–88 StaRUG). Denn hier mögen die Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, Art. 7 EuInsVO und Art. 19, 32 EuInsVO vielen Zweifelsfragen des internationalen Rechts begegnen. Unterliegen die Restrukturierungsforderungen nicht dem Recht eines europäischen Mitgliedsstaates, mag der Weg in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen zwar nicht von vornherein und final versperrt sein, aber sowohl das anwendbare Recht als auch die Anerkennungsfragen mögen sodann Fallstricke bereithalten. Für Großbritannien ergibt sich dies etwa, weil dort ein Anerkennungsregime unter den CBIR 2006 zwar grundsätzlich bestehen mag, aber sich ein Ausschluss der Anerkennung regelmäßig aus der Rule in Gibbs ergibt. Vergleichbares gilt für nichtöffentliche Verfahren. Zwar mag man auch hier über die Fragen des anwendbaren Rechts unter Verweis auf die Notwendigkeit eines Restrukturierungsstatus (vergleichbar zum Grundsatz des lex fori concursus, vgl. Art. 7 EuInsVO, § 335 InsO) hinweggehen, doch zeichnen sich sodann erneut Fallstricke mit Blick auf die Anerkennung der deutschen Restrukturierungspläne im EU-Ausland und in Drittstaaten ab. Denn die Anerkennung unterliegt weder der EuInsVO noch – mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit – der EuGVVO. Vielmehr ist auch hier das autonome nationale Recht der einzelnen Mitgliedsund Drittstaaten maßgeblich. Abschließend sollten die betreffenden Anerkennungsregime für öffentliche und nichtöffentliche Verfahren im EU-Ausland und in Drittstaaten einzeln ermittelt und mit den Erfordernissen des jeweiligen Einzelfalls abgeglichen werden. Es wird damit in Cross-Border-Restrukturierungssachverhalten generell ein weitgehender Planungs- und Prüfungsaufwand entstehen.

599 Vgl. etwa Thole, ZIP 2021, 2153, 2161; Herding/Kranz, ZRI 2021, 123, 128 f. 600 Hierzu: Kahlert/Schumann, DStR 2021, 2741.

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§ 2 Rz. 283 | Gestaltbare Rechtsverhältnisse 2. Gestaltung von im Ausland belegenen (Dritt-)Sicherheiten – zu Art. 8 EuInsVO 283 Weitere Fallstricke können in Cross-Border-Restrukturierungssachverhalten entstehen, wenn

die Gestaltung im Ausland belegener dinglicher Sicherheiten angestrebt wird. Dies adressiert zunächst Fälle, in denen zugunsten einer Finanzierung der Konzernmutter als Restrukturierungsschuldnerin eine Hypothek oder Grundschuld an einem im Ausland belegenen Betriebsgrundstücks bestellt wurde. Für öffentliche Verfahren mag sich dies aus der Regelungssystematik der Art. 7 f. EuInsVO ableiten. Im Grundsatz stellt Art. 7 EuInsVO und der dort geregelte Grundsatz des lex fori concursus sicher, dass sich z.B. Forderungsmodifikationen durch einen Restrukturierungsplan, z.B. ihre Kürzung, nach dem Restrukturierungsstatut richten.601 Dies betrifft bspw. Gestaltungen der gegen den Restrukturierungsschuldner gerichteten, gesicherten Forderung. Hierzu enthält allerdings Art. 8 EuInsVO eine Sonderregelung für dingliche Rechte. Danach bestimmt sich ihre Behandlung und damit vor allem von Kreditsicherungsrechten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen der Verfahrenseröffnung belegen sind, nicht nach dem Grundsatz des lex fori concursus. Vielmehr werden sie „von der Eröffnung des Verfahrens nicht berührt“, vgl. Art. 8 Abs. 1 EuInsVO. Maßgebend hinsichtlich des auf sie anzuwendenden Rechts scheint danach (jedenfalls) nicht das Recht des Mitgliedstaates, in dem das Verfahren eröffnet wurde.602 Ist die Gestaltung im Ausland belegener Sicherheiten erforderlich, stellt sich demzufolge die Frage, wie dies vor dem Hintergrund aller europäischen Implikationen umgesetzt wird und dies vor allem auch, weil die Inhaber von Absonderungsanwartschaften nach alle dem wohl nicht mit einer Gestaltung ihrer Rechte durch den Restrukturierungsplan im (deutschen) Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen rechnen müssen.603 Grundsätzlich wird in diesen Fällen aber mit einem weitergehenden Planungs- und Prüfungsaufwands sowie zunehmender Abstimmungsbedarf zu rechnen sein, der nur durch eine frühzeitige Einleitung der Restrukturierung zu adressieren sein wird.

284 Fraglich ist, ob das zu der Gestaltung von in einem anderen Mitgliedstaat belegenen (ding-

lichen) Sicherheiten Beschriebene auch für Drittsicherheiten gilt und damit, ob Art. 8 EuInsVO und die Ausnahme vom Grundsatz des lex fori concursus als anwendbarem Recht auch in Sachverhalten zur Anwendung gelangt, in denen die Drittsicherheiten an im EU-Ausland belegen Gegenständen bestehen. In Abweichung zum eingangs umschriebenen Ausgangsfall handelt es sich nicht um ein im Eigentum der Konzernmutter, sondern im Eigentum eines verbunden (ausländischen) Unternehmens i.S.v. § 15 AktG stehendes Betriebsgrundstück.604 Auslöser eines unterschiedlichen Ergebnisses hinsichtlich des anwendbaren Rechts auf Drittsicherheiten könnte Art. 8 Abs. 1 EuInsVO darstellen. Dieser bestimmt, dass dingliche Gläubigerrechte an in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Gegenständen des Schuldners, von einem im Inland durchgeführten Verfahren nicht berührt werden. Scheinbar erfasst der Wortlaut daher keine Sicherheiten an schuldnerfremden Gegenständen. Insoweit wird vertreten, dass ausgehend vom Sinn und Zweck des Art. 8 Abs. 1 EuInsVO, der in der Tat im Schutz von Sicherungsnehmern davor liegt, keinen ausländischen („fremden“) gesetzlichen Regelungen, die ihnen nicht vertraut sind, zu unterfallen, dieser Zweck nicht auf internationale Konzern601 Vgl. Thole in Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 40 Rz. 27, dort ebenfalls zu Forderungsmodifikationen im Anwendungsbereich des Grundsatzes des lex fori concursus. 602 Zur Einordnung von Art. 8 Abs. 1 EuInsVO als Kollisions- oder Sachnorm und den daraus resultierenden Implikationen auf mögliche Gestaltung innerhalb eines deutschen Restrukturierungs- bzw. Insolvenzplans Bork in Kübler/Prütting/Bork, Art. 8 EuInsVO Rz. 2, 6 (Stand: 77. EL August 2018); Knof in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, Art. 8 EuInsVO Rz. 41. 603 Skauradszun, NZI 2021, 568, 570, der diese Folge für die Inhaber von solcherart Absonderungsanwartschaften auch hinsichtlich einer gegebenenfalls ergehenden Stabilisierungsanordnung nach § 49 StaRUG aufzeigt. 604 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 68. Zu § 15 AktG Keßler in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 15 AktG Rz. 1; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-KonzernR, 9. Aufl. 2019, § 15 AktG Rz. 5.

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Bedingte und nicht fällige Forderungen; gegenseitige Verträge | § 3

sachverhalte passte und das erst recht nicht, wenn im Recht des (EU-)Auslands ein zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen vergleichbares Verfahren bestünde.605 Für Drittsicherheiten stellt sich sodann, überwindet man die Hürde des anwendbaren Rechts unter Verweis auf die Reichweite von Art. 8 EuInsVO, dann allenfalls die Frage, ob ihre Gestaltung in Drittstaaten anerkannt wird, gelten für das EU-Ausland doch im Übrigen Art. 19, 32 EuInsVO. 3. Gestaltung von Personalsicherheiten von verbundenen Unternehmen mit COMI im EU-Ausland Schließlich bedarf abschließend einer Klarstellung, dass die in Rz. 283 f. umschriebenen Fall- 285 stricke in Anknüpfung an das Bestehen dinglicher Rechte entstehen können. Davon zu unterscheiden sind Fallkonstellationen, in denen keine dinglichen (Dritt-)Sicherheiten durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen, sondern Personalsicherheiten z.B. in Form einer typischen Upstream-Guarantee durch eine Tochter- oder Enkelgesellschaft. Freilich richtet sich das anwendbare Recht nach dem Grundsatz des lex fori concursus aus Art. 7 EuInsVO, wenn der Restrukturierungsschuldner Garantiegeber ist und Gestaltungen der gegen ihn gerichteten (bedingten) Garantieforderungen im Plan vorgesehen werden. Sollen nun aber die Personalsicherheiten von Dritten bspw. in Form der im Ausgangsfall bestehenden UpstreamGuarantees auf Grundlage von § 2 Abs. 4 Satz 1 StaRUG gestaltet werden, ist fraglich, ob Art. 7 EuInsVO überhaupt Anwendung findet. Insoweit könnte auf Art. 7 Abs. 2 Satz 2 Buchst. b EuInsVO verwiesen sein, nach dem das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung insbesondere auch regelt, welche Vermögenswerte zur Insolvenzmasse gehören. Das entspräche dem Grundsatz, dass Drittsicherheiten, wenn sie schon nicht zur Insolvenzmasse des Schuldners gehören, doch nach deutschem Restrukturierungsrecht plangestaltbar sind und damit in die Regelungsmacht des Verfahrens gezogen werden.

§3 Bedingte und nicht fällige Restrukturierungsforderungen; Forderungen aus gegenseitigen Verträgen (1) Restrukturierungsforderungen sind auch dann gestaltbar, wenn sie bedingt oder noch nicht fällig sind. (2) Restrukturierungsforderungen aus gegenseitigen Verträgen sind nur insoweit gestaltbar, als die dem anderen Teil obliegende Leistung bereits erbracht ist. I. 1. 2. II.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normherkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norminhalt und -zweck . . . . . . . . . . . . . . Bedingte und nicht fällige Forderungen (§ 3 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedingte Forderungen (§ 3 Abs. 1 Alt. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nicht fällige Forderungen (§ 3 Abs. 1 Alt. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 2 8 8 11

III. Gegenseitige Verträge (§ 3 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtfertigung der Beschränkung . . . . . . 2. Einbezogene gegenseitige Verträge . . . . . 3. Teilleistungen und Teilbarkeit . . . . . . . . . 4. Zeitpunkt der Gegenleistung . . . . . . . . . . 5. Zum Beruhenserfordernis aus § 2 Abs. 2 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 14 16 17 19 20

605 In diese Richtung Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 69; s. auch Wilkens, WM 2021, 573, 578.

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§ 3 | Bedingte und nicht fällige Forderungen; gegenseitige Verträge Schrifttum: Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Marotzke, Gegenseitige Verträge im künftigen Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, ZInsO 2021, 21; Marotzke, Die restrukturierungsrechtliche Plangestaltbarkeit nicht fälliger und nicht auf Geld gerichteter Forderungen, ZInsO 2021, 643; Marotzke, Einfluss des StaRUG auf Geschäftsbesorgungsverträge und Vollmachten, ZInsO 2021, 353; Marotzke, Die restrukturierungsrechtliche Plangestaltbarkeit von Darlehens-, Miet-, Pacht- und Lizenzverträgen, ZInsO 2021, 1099; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985.

I. Einführung 1. Normherkunft 1 Die Regelungen des § 3 StaRUG lassen sich nur teilweise auf die Vorgaben der Restrukturie-

rungs-RL zurückführen. Den Mitgliedstaaten wird es in ErwGr. 25 Restrukturierungs-RL freigestellt, ob nicht fällige Forderungen in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen einbezogen werden. Zusätzlich sieht ErwGr. 46 Restrukturierungs-RL vor, dass die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass das nationale Recht Vorschriften enthält, die sich mit Eventualforderungen und streitigen Forderungen befassen, also insbesondere mit Verbindlichkeiten aus Bürgschaften sowie der Bestellung anderer Sicherheiten für fremde Verbindlichkeiten.1 Entsprechend trifft § 3 Abs. 1 StaRUG vor allem Regelungen zur Gestaltbarkeit nicht fälliger und bedingter Forderungen und damit zur Einordnung von Garantie- und Bürgschaftsforderungen sowie darauffolgenden Regressansprüchen in die Systematik der §§ 2 ff. StaRUG. Anders als für § 3 Abs. 1 StaRUG finden sich für § 3 Abs. 2 StaRUG keine Anknüpfungspunkte in der Restrukturierungs-RL. Mit § 3 StaRUG werden schließlich wichtige Vorfragen zur Gestaltbarkeit unterschiedlicher „Forderungstypen“ adressiert.2

2. Norminhalt und -zweck 2 Schon § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gibt vor, dass Restrukturierungsforderungen nur einer Gestaltung

mittels Restrukturierungsplan zugänglich sind, wenn sie im nach § 2 Abs. 5 StaRUG maßgeblichen Zeitpunkt begründet sind. Hierunter fallen den insolvenzrechtlichen Maßstäben zu § 38 InsO entsprechend alle Forderungen, deren schuldrechtliche Grundlage zu diesem Zeitpunkt bereits entstanden ist und damit auch all solche, die begründet, aber noch nicht fällig waren (s. § 2 Rz. 29).3 Insoweit stellt § 3 Abs. 1 StaRUG ihre Gestaltbarkeit nur deklaratorisch heraus.4

3 Aufgrund der besonderen Ausrichtung des vorinsolvenzlichen Stabilisierungs- und Restrukturie-

rungsrahmens wird – anders als im Insolvenzverfahren durch § 41 InsO – auf eine automatische Fälligstellung aller Forderungen verzichtet, so dass die Klarstellung des § 3 Abs. 1 StaRUG eine

1 Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 3 StaRUG Rz. 3. Zum Begriff der Eventualverbindlichkeiten Uhlenbruck in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. 5.174; Mock in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 19 InsO Rz. 158. Siehe zu den streitigen Forderungen und dem im StaRUG gewählten Regelungskonzept nur § 70 Rz. 9 ff. 2 Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 3 StaRUG Rz. 1; ergänzend Desch, BB 2020, 2498; Thole, ZIP 2020, 1985. 3 Statt vieler Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 11; ergänzend BGH v. 22.9.2011 – IX ZB 121/11, NZI 2011, 953 Rz. 3. 4 Ausdrücklich BT-Drucks. 19/24181, S. 127; ergänzend Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 3 StaRUG Rz. 4; Schröder in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 3 StaRUG Rz. 1; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 3 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Bedingte und nicht fällige Forderungen; gegenseitige Verträge | Rz. 6 § 3

„eigenständige Bedeutung“ erhält.5 Während ein kollektives Insolvenzverfahren auf die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger des Schuldners ausgerichtet ist (§ 1 Satz 1 InsO), strebt der teilkollektive Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen an, die drohende Zahlungsunfähigkeit durch Umsetzung eines mehrheitlich unterstützten Restrukturierungskonzepts zu beseitigen. Die Stoßrichtung insbesondere des Restrukturierungsplans zielt schließlich auf Gestaltungen im Rahmen des jeweils zugrunde liegenden Schuldrechtsorganismus ab. Selbst wenn weitreichende Gestaltungen vorgesehen sind, soll er im Übrigen – unverändert (vgl. aber § 2 Abs. 2 StaRUG, s. § 2 Rz. 59) – fortbestehen.6 Negative Auswirkungen auf den Schuldrechtsorganismus zwischen Restrukturierungsschuldner und seinen Gläubigern sollen ausbleiben, insbesondere indem zukünftige Forderungen von einer prinzipiellen Planimmunität ausgehen können (ähnlich wie Masseverbindlichkeiten i.S.v. §§ 53, 55 InsO, die sich einer Gestaltung durch den Insolvenzplan entziehen).7 In Abgrenzung zum Insolvenzverfahren wird damit einem etwaigen „Makel der Restrukturierung“ und negativen Auswirkungen innerhalb der einzelnen Geschäftsbeziehung sowie dem Auflaufen indirekter Kosten einer Restrukturierungssache entgegengewirkt. Insoweit spricht nichts gegen die Gestaltung bereits im Risiko stehender noch nicht fälliger 4 Forderungen, wenn ihre Rechtsgrundlage bereits (hinreichend) gelegt ist und sie daher im Restrukturierungskonzept kaum ignoriert werden können. Es trägt am Ende der Gedanke, dass sie Teil der Krisenlage sind, werden sie doch auch im Rahmen der Ermittlung der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 2 InsO) berücksichtigt. Noch nicht fällige Forderungen können mithin in ihrer jeweils bestehenden Form und Ausgestaltung mittels eines Restrukturierungsplans adressiert werden. Ebenfalls in § 3 Abs. 1 StaRUG enthalten ist eine zu § 42 InsO vergleichbare Regelung, wo- 5 nach bedingte Restrukturierungsforderungen als gestaltbar gelten. Auch für bedingte Forderungen kann aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Anpassung erforderlich sein, da sie die finanzielle Lage des Schuldners erheblich belasten können – das mag schon auf gegebenenfalls erforderliche Rückstellungen zurückzuführen sein.8 Vor diesem Hintergrund müssen Forderungen, deren Entstehung erst absehbar ist, gestaltbar sein. Auch ihre Rechtsgrundlage ist bereits gelegt, sodass sie für das Restrukturierungskonzept von besonderer Bedeutung sind. Das trifft vor allem auf Garantie- und Bürgschaftsforderungen zu. Sie können nicht nur für den Fall einer Inanspruchnahme, sondern auch zuvor mit ganz erheblichen Beeinträchtigungen des Restrukturierungsschuldners einhergehen. Um bestandskräftige Lösungen zu gewährleisten (vgl. § 14 Abs. 1 StaRUG), sind folglich bedingte Forderungen einzubeziehen, drohen bei Bedingungseintritt doch ansonsten Anschluss- bzw. Folge-Restrukturierungen, denen schon die § 31 Abs. 2 Satz 4, § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Satz 2–4 StaRUG erste Grenzen setzen.9 Weiterhin werden durch § 3 Abs. 2 StaRUG die Gestaltungsbefugnisse aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 6 StaRUG beschränkt, indem Restrukturierungsforderungen aus gegenseitigen Verträgen für nicht gestaltbar erklärt werden, wenn und soweit die dem anderen Teil obliegende Leistung noch nicht erbracht wurde. Eingriffe in das vertragliche Synallagma sollen schließlich den Gestaltungen nach Maßgabe der § 2 Abs. 2 Satz 1–3 StaRUG vorbehalten sein.10 5 Esser in Braun, 2021, § 3 StaRUG Rz. 5; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFOG, §§ 2–4 Rz. 12; Westpfahl/ Dittmar in Flöther, 2021, § 3 StaRUG Rz. 1. 6 BT-Drucks. 19/24181, 110, S. 122 f.; hierzu Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 3 StaRUG Rz. 5. 7 Zur Übertragung der insolvenzrechtlichen Privilegierung von Masseverbindlichkeiten auf die Frage der Planimmunität von Restrukturierungsforderungen Marotzke, ZInsO 2021, 1099, 1104. Siehe zudem Herweg/Wirth, DB 2021, 886, 887 f.; Thole, ZIP 2020, 1985, 1988. 8 Esser in Braun, 2021, § 3 StaRUG Rz. 1; Desch in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 3 Rz. 18. 9 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 3 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 10 BT-Drucks. 19/24181, S. 114; hierzu Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFOG, §§ 2–4 StaRUG Rz. 13; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 3 StaRUG Rz. 2. Ergänzend zum Insolvenzverfahren Keller, NZI 2022, 416.

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§ 3 Rz. 7 | Bedingte und nicht fällige Forderungen; gegenseitige Verträge 7 Übergeordnetes Ziel des § 3 StaRUG ist es, umfassende Rechtssicherheit zu schaffen und den

Inhalt und die Wirkungen eines Restrukturierungsplans zu konkretisieren. Er bestimmt, ob und inwieweit die Restrukturierungsbeteiligten mit einer anteiligen Kürzung und anderen einschränkenden Gestaltungen ihrer Forderungen rechnen können bzw. müssen. Diese Einordnung der Rechtsstellung ist dann auch innerhalb der Bemessung des Stimmrechts als Planbetroffener von Bedeutung. Für nicht fällige und bedingte Forderungen ergeben sich die Stimmrechte unter Beachtung der Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts (§ 24 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) oder dem der Forderung zukommenden Wert (§ 24 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG). Hinsichtlich unverzinslicher nicht-fälliger Restrukturierungsforderungen bestimmt sich das Stimmrecht nach deren auf den Tag der Planvorlage abgezinsten Wert (§ 24 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG).11

II. Bedingte und nicht fällige Forderungen (§ 3 Abs. 1 StaRUG) 1. Bedingte Forderungen (§ 3 Abs. 1 Alt. 1 StaRUG) 8 Gemäß § 3 Abs. 1 Alt. 1 StaRUG sind bedingte Restrukturierungsforderungen gestaltbar. Von

dieser Anordnung werden sowohl aufschiebend als auch auflösend bedingte Forderungen erfasst.12 Das Vorliegen einer Bedingung richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen aus § 158 BGB.13 Infolgedessen sind Forderungen erfasst, die in Abhängigkeit zu einem zukünftigen, objektiv ungewissen Ereignis stehen. Während Forderungen aufschiebend bedingt sind, wenn ihr Entstehen von diesem Ereignis abhängt, entscheidet bei auflösend bedingten Forderungen das Ereignis über ihren Fortbestand.14 Ob eine Bedingung oder eine vertragliche Nebenabrede vorliegt, ist im Einzelfall zu ermitteln, wobei die unter Umständen schwierige Auslegung nach dem Wortlaut, Zusammenhang und Zweck der Abrede sowie dem Willen der Parteien hinsichtlich der Wirkungen der Bedingung im Rechtssinne zu erfolgen hat.15 Unterschiedslos gestaltbar sind befristete Forderungen, die gem. § 163 BGB den bedingten Forderungen gleichgestellt werden.16 Für sie ist kennzeichnend, dass ihre Entstehung (aufschiebend) bzw. ihr Fortbestand (auflösend) von einem Anfangs- oder Endtermin abhängig gemacht wird.17

9 Aufschiebend bedingte Forderungen i.S.v. § 3 Abs. 1 Alt. 1 StaRUG liegen danach bspw. vor,

wenn der Restrukturierungsschuldner selbst als Garantiegeber für eine andere Konzerngesellschaft eingetreten ist und nun die Inanspruchnahme aus der Garantie den zukünftigen, objektiv noch ungewissen Eintritt des Garantiefalls voraussetzt. Als bedingte Forderungen gestaltbar sind damit Forderungen unter einer in der üblichen Kreditdokumentation vorgesehenen Garantie (auf erstes Anfordern) und entsprechendes gilt für die Inanspruchnahme aus gestellten Bürgschaften (ergänzend § 2 Rz. 34).18 Rechtstechnische Erwägungen, die einer Einordnung als bedingte Forderungen entgegenstehen könnten und gegebenenfalls eine Beachtung als noch nicht fällige Forderungen nahelegen, erscheinen hier nicht tragend. Das gilt ins11 Zur Stimmrechtsverteilung Schröder in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 5; Spahlinger, NZI-Beilage 2021, 32. 12 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 3 StaRUG Rz. 3; Desch, BB 2020, 2498, 2502. 13 Esser in Braun, 2021, § 3 StaRUG Rz. 3. 14 Vgl. BGH v. 19.5.2016 – III ZR 274/15, NJW-RR 2016, 842 Rz. 19 = MDR 2016, 830; ergänzend Rövekamp in BeckOK/BGB, § 158 BGB Rz. 3 f. (Stand: 62. Ed. 1.5.2022); Westermann in MünchKomm/ BGB, 9. Aufl. 2021, § 158 BGB Rz. 8. 15 Rövekamp in BeckOK/BGB, § 158 BGB Rz. 6 (Stand: 62. Ed. 1.5.2022); Westermann in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 158 BGB Rz. 13 sowie im Abgleich nur BGH v. 6.3.2018 – II ZR 1/17, NZG 2018, 658 Rz. 17 = DB 2018, 1078. 16 Mit weiteren Nachweisen Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 3 StaRUG Rz. 10; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 3 StaRUG Rz. 4. 17 Hierzu Westermann in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 163 BGB Rz. 4 ff. 18 Vgl. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 3 StaRUG Rz. 9.

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Bedingte und nicht fällige Forderungen; gegenseitige Verträge | Rz. 12 § 3

besondere vor dem Hintergrund des § 24 StaRUG zur Stimmrechtsverteilung. Insoweit liegt es nahe, Personalsicherheiten und die hier angesprochenen daraus resultierenden Forderungen vor dem Hintergrund des stets erforderlichen Sicherungsfalls als bedingte Forderungen zu verstehen und infolgedessen innerhalb der Stimmrechtsverteilung mit einem Stimmrecht entlang der Eintrittswahrscheinlichkeit des Sicherungsfalls auszustatten (vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG). Demgegenüber bieten sich die Alternativen zur Stimmrechtsbestimmung in § 24 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 StaRUG ersichtlich nicht an. Ist der Restrukturierungsschuldner bspw. eine operativ tätige Gesellschaft als alleiniger Kredit- 10 nehmer und wird der Rückzahlungsanspruch aus dem Kreditvertrag durch eine Garantie ihrer Muttergesellschaft (Parent Guarantee) oder durch eine Tochtergesellschaft (Upstream Guarantee) besichert, hat die Gestaltung der gesicherten Forderung zur Folge, dass der Restrukturierungs- und Primärschuldner auch von dem Regress des Drittsicherungsgebers befreit wird (§ 67 Abs. 3 Satz 2 StaRUG). Überdies kommt eine Gestaltung der Drittsicherheit selbst gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG in Betracht. Ungeachtet dieser Möglichkeiten besteht mit einer möglichen Regressforderung des Garanten gegenüber dem Restrukturierungsschuldner eine auf die Inanspruchnahme aus der Garantie aufschiebend bedingte Restrukturierungsforderung. Das Gleiche gilt für die Bürgschaft und auch dort mögliche Regressansprüche des Bürgen gegen den Hauptschuldner (ergänzend § 2 Rz. 38). Auch hier ergeben sich Besonderheiten mit Blick auf die Stimmrechtsverteilung: Stellt sich nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Stimmrechtsfestlegung (vgl. § 2 Abs. 5 StaRUG) heraus, dass die aufschiebende Bedingung, die über das Bestehen einer Regressforderung entscheidet, sicher nicht mehr eintritt und wurde diese aber als Restrukturierungsforderung mitsamt eines nach der Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts berechneten Stimmrechts berücksichtigt, soll diese nachträgliche Änderung jedenfalls für die Verteilung der Stimmrechte unbeachtlich sein.19

2. Nicht fällige Forderungen (§ 3 Abs. 1 Alt. 2 StaRUG) Gemäß § 3 Abs. 1 Alt. 2 StaRUG sind Restrukturierungsforderungen auch dann gestaltbar, 11 wenn sie zum maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG nicht fällig sind. Dies ergibt sich schon aus der vagen und in Anlehnung an die insolvenzrechtlichen Maßstäbe zu bestimmenden Erfordernis der Begründetheit im Rahmen der Legaldefinition der Restrukturierungsforderung (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG). Auch im Zuge von § 38 InsO wird die Fälligkeit für die Begründetheit nicht vorausgesetzt. Insoweit kommt § 3 Abs. 1 Alt. 2 StaRUG eine deklaratorische Wirkung zu. Er stellt die Gestaltbarkeit nicht fälliger Forderungen bloß klar.20 Die inhaltliche Ausrichtung von § 3 Abs. 1 Alt. 2 StaRUG – und gleiches gilt im Zuge der 12 Begründetheit (s. § 2 Rz. 29) – folgt dabei der insolvenzrechtlichen Parallelvorschrift aus § 41 InsO. Nicht fällige Forderungen sind solche, die bereits entstanden sind, aber deren Erfüllung noch nicht verlangt werden kann.21 Der genaue Zeitpunkt des Fälligkeitseintritts muss nicht feststehen, gleichwohl muss sicher sein, dass die Forderung fällig werden wird.22 Gestaltbar sind damit bspw. Lieferantenforderungen mit verlängertem Zahlungsziel oder Kreditforderungen, für die eine Fälligkeit am Ende der laufenden Zinsperiode (revolvierende Darlehen) 19 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 34 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Spahlinger, NZI-Beilage 2021, 32, 33. 20 S. eingangs BT-Drucks. 19/24181, S. 127; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 3 StaRUG Rz. 4; Schröder in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 3 StaRUG Rz. 1; Skauradszun in BeckOK/ StaRUG, § 3 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ergänzend Marotzke, ZInsO 2021, 643. 21 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 3 StaRUG Rz. 5; ergänzend Jungman in BeckOK/InsO, § 41 InsO Rz. 2 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022). 22 Mit weiteren Nachweisen Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 3 StaRUG Rz. 5.

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§ 3 Rz. 12 | Bedingte und nicht fällige Forderungen; gegenseitige Verträge oder per Tilgungsplan vorgesehen ist oder für die eine Endfälligkeit vereinbart wurde. Denkbar ist zudem, dass für eine Forderung eine Stundung vorgesehen ist und die Fälligkeitsverschiebung über den Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG hinaus reicht. Stillhaltevereinbarungen führen zunächst zur zeitlich beschränkten Suspendierung vertraglich vereinbarter Kündigungsrechte, so dass eine Fälligstellung (jedenfalls zeitweise) nicht erfolgen kann. Dennoch sind auch die von einer solchen Vereinbarung betroffenen Forderungen mittels Restrukturierungsplan gestaltbar.23 Von einer fehlenden Gestaltbarkeit ist dagegen vor allem für die zum maßgeblichen Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG nicht begründeten und damit zukünftigen Restrukturierungsforderungen auszugehen (s. § 2 Rz. 263).

III. Gegenseitige Verträge (§ 3 Abs. 2 StaRUG) 13 Nach § 3 Abs. 2 StaRUG sind Restrukturierungsforderungen i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG

aus gegenseitigen Verträgen nur insoweit gestaltbar, als die dem Vertragspartner des Restrukturierungsschuldners obliegende Leistung zum Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG bereits erbracht wurde.24 Der Restrukturierungsplan ist damit kein Instrument für Eingriffe in das vertragliche Synallagma zwischen dem Restrukturierungsschuldner und seinem jeweiligen Vertragspartner – Eingriffe in Vertragsverhältnisse sollen nach der Gesetzesbegründung zum RegE vielmehr allein unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 StaRUG in Nebenbestimmungen möglich sein.25

1. Rechtfertigung der Beschränkung 14 Da Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften durch den Restrukturie-

rungsplan gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 Abs. 2 Satz 1 StaRUG gestaltet und gegebenenfalls gekürzt werden können und damit ohne Frage auch Eingriffe in das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung erfolgen, ist zunächst nachzuvollziehen, ob die Beschränkung der Gestaltungsbefugnis in den durch § 3 Abs. 2 StaRUG angesprochenen Fallgestaltungen gerechtfertigt ist.26 Denn die Regelung aus § 3 Abs. 2 StaRUG wird teilweise kritisch gesehen,27 vereinzelt wird sogar vorgebracht, sie verstoße gegen das allgemeine Willkürverbot.28 Denn durch die Einschränkung der Gestaltbarkeit würde sich derjenige privilegiert sehen, der – aufgrund von Zurückbehaltungsrechten oder aus anderen Gründen und damit berechtigter- oder unberechtigterweise29 – seine ihm obliegende Leistung nicht erbringt. Das erscheint jedenfalls insoweit 23 So auch Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 3 StaRUG Rz. 6 f., dort mit weiteren Beispielen. 24 Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 3 StaRUG Rz. 8; außerdem Desch, BB 2020, 2498, 2502; Marotzke, ZInsO 2021, 21, 27. 25 Insgesamt BT-Drucks. 19/24181, S. 114. 26 Hierzu Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 11 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Marotzke, ZInsO 2021, 21, 27 ff. 27 Madaus, Working Paper v. 25.3.2021, S. 4, 8. 28 Marotzke, ZInsO 2021, 21, 29; Marotzke, ZInsO 2021, 353, wonach die „für § 3 Abs. 2 StaRUG angeführte Begründung [...] derart fehlerhaft“ ist, dass „sogar die Frage der Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG gestellt werden muss“. 29 Es erscheint misslich, dass § 3 Abs. 2 StaRUG die Berechtigung zur Leistungsverweigerung im Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG nicht mit in die Abwägung der Gestaltbarkeit von Forderungen aus gegenseitigen Verträgen einbezieht. Es wäre zumindest erwägenswert, ob vertragswidrig nicht leistende Vertragspartner des Restrukturierungsschuldners nicht unter gewissen Umständen der Plangestaltung unterfallen, damit „Leistungsmuffel“ nicht privilegiert werden (vgl. Marotzke, ZInsO 2021, 21, 29), sondern nur diejenigen, denen etwaige allgemeine Leistungsstörungs- und verweigerungsrechte – und insbesondere durch §§ 320 f. BGB und die individualvertraglichen Regelungen z.B. ausverhandelter Kreditkonditionen tatsächlich zur Seite springen. Unabhängig davon, dass § 3 Abs. 2 StaRUG

182 | Herding/Krafczyk

Bedingte und nicht fällige Forderungen; gegenseitige Verträge | Rz. 16 § 3

misslich, als derjenige, der vertragsgemäß leistet, schlechter behandelt würde, da er sich – anders als derjenige, dessen Leistung schuldig bleibt – einer Gestaltung mittels Restrukturierungsplan ausgesetzt sehen kann.30 Für die Ratio des § 3 Abs. 2 StaRUG spricht aber, dass sich die Gläubiger des späteren Restrukturierungsschuldners in diesen Fällen mangels erbrachter Leistung nicht einem – wie auch immer gearteten – Kreditausfallrisiko ausgesetzt haben. So nimmt § 3 Abs. 2 StaRUG denjenigen von den Wirkungen einer Plangestaltung aus, der seine vertragliche Leistung im Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG nicht „ins Risiko“ gestellt hat.31 Damit wird eine eigene Art Stichtagsprinzip eingeführt, welches abhängig von der Leistungserbringung an den Restrukturierungsschuldner (z.B. in Form der Auszahlung eines Darlehens) die Forderungen aus gegenseitigen Verträgen für gestaltbar oder eben nicht gestaltbar erklärt.32 Aufgrund von § 3 Abs. 2 StaRUG (i.V.m. § 2 Abs. 5 StaRUG) kann folglich derjenige, der seine 15 Leistung am Stichtag nicht oder nur teilweise erbracht hat, z.B. weil er die Inanspruchnahme weiterer Darlehen unter einer bestehenden Fazilität unter Berufung auf einen eingetretenen Draw-Stop verhindert hat, darauf vertrauen, dass seine Forderungen gegen den Restrukturierungsschuldner (bspw. eine Zins- und Darlehensrückzahlungsforderung) eben nur im Verhältnis zu den durch ihn erbrachten Leistungen (nun in Form der vorherigen Darlehensgewährung) mittels eines Restrukturierungsplans gestaltbar sind. Forderungen aus gegenseitigen Verträgen genießen, wenn und soweit die dem anderen Teil obliegende Leistung noch nicht erbracht wurde, also „Planimmunität“.33 Für diese Sachverhalte ergeben sich weiterhin zahlreiche Besonderheiten, ob und inwieweit die Gläubiger, die ihre Leistung noch nicht erbracht haben, dennoch in die Restrukturierung einbezogen werden können (s. Rz. 20, dort zur Gestaltbarkeit von Einzelbestimmungen aus mehrseitigen Rechtsverhältnissen, in denen die Gegenleistung noch nicht erbracht wurde).

2. Einbezogene gegenseitige Verträge Die Einschränkung aus § 3 Abs. 2 StaRUG trifft Forderungen aus gegenseitigen Verträgen. 16 Besondere Aufmerksamkeit ist dadurch bei solchen Verträgen geboten, bei denen sich die einzelnen vertraglichen Verpflichtungen wie bei §§ 320 ff. BGB synallagmatisch gegenüberstehen, die also in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Gegenseitigkeit liegt vor, wenn jede Partei die betreffende Leistungspflicht nur zu dem Zweck übernommen hat, von der anderen Partei dafür die vereinbarte Gegenleistung zu erhalten („do ut des“).34 Die Begriffsbestimmung erfolgt also wie bei §§ 320 ff. BGB und § 103 InsO. Als gegenseitige Ver-

30 31 32 33

34

solchen Überlegungen einen Riegel vorschiebt, wäre zu berücksichtigen, dass eine dann erforderliche Prüfung einzelner Forderungen nach diesen Gesichtspunkten praktikable Restrukturierungslösungen mit dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen erschweren würde. In diese Richtung (wohl) auch Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 3 StaRUG Rz. 9. Marotzke, ZInsO 2021, 21, 29; Marotzke, ZInsO 2021, 353. In diese Richtung auch Schröder in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 7; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 3 StaRUG Rz. 13; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 3 StaRUG Rz. 9. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 20 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1126 f.; kritisch zur Frage eines einheitlichen Stichtages im Rahmen des Restrukturierungsverfahrens Madaus, Working Paper v. 25.3.2021, S. 8. Marotzke, ZInsO 2021, 353, der dort herausstellt, dass eine Planimmunität von Forderungen im Insolvenzverfahren nur dann besteht, „wenn der Insolvenzverwalter bzw. der eigenverwaltende (§ 270 Abs. 1 InsO) Schuldner die Erfüllung des Vertrags verlangt (§ 103 Abs. 1 InsO) und dadurch die eigentlich eine plangestaltbare (§ 217 Abs. 1 Satz 1 InsO) Insolvenzforderung (§ 38 InsO) darstellende Forderung des Vertragspartners in eine Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 2, Alt. 1. InsO) verwandelt hätte, die als solche, wie ein Gegenschluss aus § 217 InsO zeigt, nicht plangestaltbar wäre.“ Wegener in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 103 InsO Rz. 25.

Herding/Krafczyk | 183

§ 3 Rz. 16 | Bedingte und nicht fällige Forderungen; gegenseitige Verträge träge gelten damit vor allem Kauf-, Miet- und Werkverträge, darüber hinaus insbesondere Darlehensverträge.35 Außerdem werden von § 3 Abs. 2 StaRUG auch Sicherungsverträge, Gewinnabführungsverträge und Warenkreditsicherungsverträge erfasst.36

3. Teilleistungen und Teilbarkeit 17 Aus dem in § 3 Abs. 2 StaRUG bemühten Begriff „insoweit“ ergibt sich, dass die Regelung auf

Teilleistungen Anwendung findet. Damit ist es grundsätzlich möglich, solche Forderungen zu gestalten, die auf gegenseitigen Verträgen beruhen und auf die durch den Vertragspartner des Restrukturierungsschuldners zum maßgeblichen Zeitpunkt teilweise geleistet wurde. In Anlehnung an § 105 InsO, dessen Regelungsgehalt auf § 3 Abs. 2 StaRUG übertragbar ist, ist insoweit allerdings vorausgesetzt, dass die vertraglich geschuldeten Leistungen beider Seiten ihrem Gegenstand nach teilbar sind. Jedenfalls hinsichtlich des insolvenzrechtlichen Pendants wird im Zuge der Begriffsbestimmung eine weite Auslegung des Teilbarkeitsbegriffes für richtig gehalten. Auch wenn innerhalb der Insolvenzordnung ein umfassender Masseschutz angestrebt wird und hier der Schutz des vertraglichen Synallagmas im Vordergrund steht (s. Rz. 13, 14 f.), scheint eine eigenständige Fortentwicklung des Begriffs der Teilbarkeit kaum erforderlich; in beiden Fällen geht es um die Grenze der (teil-)kollektiven Regelungsmacht. Die Grenzziehung des § 3 Abs. 2 StaRUG hinsichtlich Teilleistungen unter einem gegenseitigen Vertrag lässt sich schließlich anhand Finanzierungen gut nachvollziehen: Nur soweit ein Darlehen ausgereicht und damit die Leistung erbracht wurde, können die begründeten Forderungen einer Plangestaltung unterfallen.

18 Während sich daraus in der Praxis für Darlehensverträge – jedenfalls in Bezug auf Gestaltun-

gen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG – durchaus Einschränkungen ergeben mögen, gilt etwas anderes für Schuldverschreibungen und Schuldscheindarlehen. Denn zeichnende Anleihegläubiger werden durch die Zahlung des Ausgabepreises die Vorleistung regelmäßig erbracht haben.37 Zudem ist § 3 Abs. 2 StaRUG nicht auf § 2 Abs. 2 StaRUG anzuwenden, sodass insbesondere auch die Abänderung von Einzelbestimmungen und Bedingungen auch und gerade für zukünftige Ziehungen aus zum Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG freien Kreditzusagen möglich ist; sie können daher verbindlich gestaltet werden. Diese Anwendungsausnahme relativiert etwaige Gestaltungsbeschränkungen aufgrund der Überschneidungen der Gestaltungsbefugnisse auf Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 1 und § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG jedenfalls mit Blick auf mehrseitige Rechtsverhältnisse, Schuldverschreibungen und Schuldscheindarlehen. Vgl. zu den Möglichkeiten, die nicht ausgereichten Kredite aus der Restrukturierung „herauszukündigen“ und sich damit der Verhandlungsdynamik zu entziehen § 2 Rz. 202 ff.

4. Zeitpunkt der Gegenleistung 19 Damit Restrukturierungsforderungen aus gegenseitigen Verträgen gestaltbar sind, muss die

dem anderen Teil obliegende Leistung bereits im Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG erbracht worden sein. Erfolgt eine Leistung also z.B. nach Erstanordnung einer Stabilisierungsanordnung (also gegebenenfalls auch aufgrund der Wirkungen des § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG), ist der entsprechende Anspruch auf die Gegenleistung nicht als Restrukturierungsforderung mittels eines Restrukturierungsplans gestaltbar.38 35 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 3 StaRUG Rz. 14 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Marotzke, ZInsO 2021, 1099, 1102. 36 Mit weiteren auf § 3 Abs. 2 StaRUG übertragbaren Beispielen Huber in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 103 InsO Rz. 67 ff. 37 Ausführlich Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1127. 38 Ebenfalls Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 30 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Ausgenommene Rechtsverhältnisse | § 4

5. Zum Beruhenserfordernis aus § 2 Abs. 2 StaRUG § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG geht davon aus, dass die Restrukturierungsforderungen und Abson- 20 derungsanwartschaften auf den benannten Rechtsverhältnissen „beruhen“, während § 3 Abs. 2 StaRUG eine Gestaltung nur insoweit zulässt, als die dem anderen Teil obliegende Leistung bereits im Zeitpunkt aus § 2 Abs. 5 StaRUG erbracht wurde. Wie bereits an anderer Stelle erarbeitet (s. § 2 Rz. 151 ff.), sind diese Formulierungen nicht so zu verstehen, dass eine Abänderung von mehrseitigen Rechtsverhältnissen und Verträgen zu gleichlautenden Bedingungen gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG nur ermöglicht wird, wenn und soweit es bereits Restrukturierungsforderungen gibt bzw. der andere Teil seine Leistung erbracht hat. Das sog. „Beruhenserfordernis“ dient der Eingrenzung, welche Schuldrechtsorganismen gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG gestaltbar sind, unabhängig davon, ob und inwieweit darauf beruhende Restrukturierungsforderungen tatsächlich bereits begründet wurden. Die Vorgabe des § 3 Abs. 2 StaRUG wird umgesetzt, indem zukünftige Ziehungen nicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG gestaltbar und damit planimmun sind. Sowohl mit Blick auf das Ziel des § 2 Abs. 2 StaRUG, die notwendigen Abänderungen der fortgeführten Rechtsverhältnisse als weniger einschneidenden Eingriff zu ermöglichen, als auch unter Hinweis auf die Möglichkeiten, einer zwangsweisen Gestaltung mit Blick auf zukünftige Ziehungen zu abgeänderten Bedingungen durch Kündigung auszuweichen, ist eine Gestaltung gem. § 2 Abs. 2 StaRUG auch mit Blick auf die offenen Kreditzusagen möglich.

§4 Ausgenommene Rechtsverhältnisse 1Einer

Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan sind unzugänglich: 1. Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung, 2. Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen und 3. Forderungen nach § 39 Absatz 1 Nummer 3 der Insolvenzordnung. 2Handelt es sich bei dem Schuldner um eine natürliche Person, gilt dies auch für Forderungen und Absonderungsanwartschaften, die mit dessen unternehmerischer Tätigkeit in keinem Zusammenhang stehen. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. 1. 2. II.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normherkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norminhalt und -zweck . . . . . . . . . . . . . . Ausgenommene Rechtsverhältnisse (§ 4 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Forderungen von Arbeitnehmern (§ 4 Satz 1 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen (§ 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 2 5 5

3. Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO (§ 4 Satz 1 Nr. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . 10 III. Besonderheiten für natürliche Personen (§ 4 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 IV. Versagung der Bestätigung (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

9

Schrifttum: Benkert, Präventives Sanierungsverfahren und arbeitsrechtliche Aspekte, NJW-Spezial 2021, 178; Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes

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§ 4 | Ausgenommene Rechtsverhältnisse (StaRUG) nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht – Teil 1, ZInsO 2020, 2561; Giese/Jungbauer, Arbeitsrechtliche Implikationen des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens nach der Restrukturierungsrichtlinie und dem StaRUG-Regierungsentwurf, BB 2020, 2679; Göpfert/Giese, Der Arbeitnehmer im Gefüge des StaRUG, NZI-Beilage 2021, 55; Lingscheid/Kunz, Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie im StaRUG – Neue Rechte für Arbeitnehmer und Betriebsräte bei vorinsolvenzlichen Restrukturierungsplänen?, DB 2021, 677; Marotzke, Die Justiziabilität von Restrukturierungsplänen, dargestellt am Beispiel planbasierter Übergriffe auf nicht plangestaltbare Rechtspositionen, ZInsO 2021, 2540; Salamon/ Krimm, Arbeitsrechtliche Aspekte und Herausforderungen im außerinsolvenzlichen Sanierungsverfahren, NZA 2021, 235.

I. Einführung 1. Normherkunft 1 Mit § 4 Satz 1 StaRUG werden einerseits in Umsetzung der Vorgaben aus Art. 1 Abs. 5

Buchst. a Restrukturierungs-RL sowie Art. 1 Abs. 6 Restrukturierungs-RL Altersversorgungsansprüche und andere Forderungen aus bzw. im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis vor ihrer Gestaltung mittels eines Restrukturierungsplans geschützt (§ 4 Satz 1 Nr. 1 StaRUG). Andererseits macht der deutsche Gesetzgeber dort von seinen Wahlrechten aus Art. 1 Abs. 5 Buchst. a, c Restrukturierungs-RL Gebrauch und nimmt weitere Forderungen aus unterschiedlichen Erwägungsgründen von den innerhalb der §§ 2, 3 StaRUG gewährten Gestaltbarkeitsbefugnissen aus (§ 4 Satz 1 Nr. 2, 3 StaRUG).1 § 4 Satz 2 StaRUG geht demgegenüber auf die Regelung aus Art. 1 Abs. 2 Buchst. h Restrukturierungs-RL zurück, der natürliche Personen, die keine Unternehmer sind, aus dem Anwendungsbereich des präventiven Restrukturierungsrahmens ausschließt.2

2. Norminhalt und -zweck 2 In § 4 StaRUG werden Rechtsverhältnisse aufgeführt, die einer Gestaltung durch einen Re-

strukturierungsplan aus unterschiedlichen Gründen nicht zugänglich sind. Hierzu gehören nicht nur Forderungen von Arbeitnehmern (§ 4 Satz 1 Nr. 1 StaRUG) und aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen (§ 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG, vgl. § 302 Abs. 1 Nr. 1 InsO), sondern auch Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO und damit „Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten“ (§ 4 Satz 1 Nr. 3 StaRUG, vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Für Arbeitnehmerforderungen folgt die fehlende Gestaltbarkeit hauptsächlich aus der Annahme einer besonderen Schutzwürdigkeit der Arbeitnehmer, die schon von der Restrukturierungs-RL betont wird. Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen sind im Einklang mit der Wertung aus § 302 Nr. 1 InsO ausgenommen, damit durch sie angestrebte Steuerungswirkungen nicht unterlaufen werden. Das Gleiche gilt für Sanktionszahlungen i.S.v. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO, die in Einklang mit den Wertungen aus § 225 Abs. 3 InsO ebenso nicht gestaltbar sind. Da § 2 StaRUG als Zentralnorm auf die Instrumente des StaRUG ausstrahlt, nehmen die hier in § 4 StaRUG vorgehaltenen Einschränkungen hinsichtlich der gestaltbaren Rechtsverhältnisse, Rechte und Forderungen vor allem auch auf die Reichweite der Stabilisierungsanordnung (§ 49 Abs. 2 StaRUG) Einfluss (s. § 2 Rz. 5).

1 Zum Ganzen BT-Drucks. 19/24181, S. 114 f. 2 BT-Drucks. 19/24181, S. 115.

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Ausgenommene Rechtsverhältnisse | Rz. 6 § 4

§ 4 Satz 2 StaRUG adressiert die Besonderheiten, welche damit einhergehen, dass die Instru- 3 mente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nicht auf natürliche Personen und all ihre Rechtsverhältnisse, Rechte und Forderungen zugeschnitten sind, sondern sich ihre Restrukturierungsfähigkeit nur auf die unternehmerische Tätigkeit bezieht (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG).3 Konsequenterweise werden von der Plangestaltbarkeit solche Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften ausgenommen, die mit der unternehmerischen Tätigkeit der natürlichen Person in keinem Zusammenhang stehen. Die recht eindeutigen und begrenzten Ausnahmen in § 4 Satz 1 und Satz 2 StaRUG bieten 4 sich als argumentative Erstanlaufstelle an, um im Umkehrschluss die Gestaltbarkeit nicht explizit ausgenommener, besonderer Forderungen und Rechte zu begründen. Dies Argument gewinnt an Kraft, wenn der Gesetzgeber die Ausnahme bestimmter Forderungen und Anwartschaften aus dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen vor Augen hatte, aber letztlich keine Ausnahmeregelung vorgesehen hat. So kann – auch wenn sich gegebenenfalls überlagernde, letztlich maßgebende Wertungen zeigen mögen – etwa aus der fehlenden Ausnahme von Steuerforderungen (s. § 2 Rz. 46 ff.), staatlichen Beihilfen (s. § 2 Rz. 48 ff.) und ausländischen Forderungen (s. § 2 Rz. 282) aus der Gestaltungsmacht eines Restrukturierungsplans durch bzw. in § 4 Satz 1 StaRUG grundsätzlich auf ihre Gestaltbarkeit geschlossen werden.

II. Ausgenommene Rechtsverhältnisse (§ 4 Satz 1 StaRUG) 1. Forderungen von Arbeitnehmern (§ 4 Satz 1 Nr. 1 StaRUG) Einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan unzugänglich sind Forderungen von Ar- 5 beitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis.4 Die Begrifflichkeit des Arbeitsverhältnisses muss weit verstanden werden und kann an § 611a Abs. 1 BGB angelehnt werden.5 Folglich umfasst § 4 Satz 1 Nr. 1 StaRUG alle Primär- und Sekundäransprüche, also bspw. Ansprüche auf rückständiges Gehalt als Lohnzahlungsansprüche gem. § 611a Abs. 2 BGB, Schadensersatzforderungen gegen den Arbeitgeber, Urlaubsabgeltungsansprüche gem. § 7 Abs. 4 BurlG, vertragliche, gesetzliche (§ 1a KSchG) und gerichtlich zugesprochene (§§ 9, 10 KSchG) Abfindungsansprüche und insbesondere auch Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung. Schlussendlich kommt es nicht darauf an, ob die betreffenden Forderungen kollektiv- oder individualarbeitsrechtlichen Regelungen entspringen.6 Nicht erfasst hingegen sind Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der Arbeitnehmer am schuldnerischen Unternehmen, die – unterschiedslos – gem. § 2 Abs. 3 i.V.m. § 7 Abs. 1, 4, § 15 Abs. 2 StaRUG gestaltbar verbleiben (s. § 2 Rz. 227).7 Während im Insolvenzverfahren für Arbeitnehmer eine eigene Gruppe zu bilden ist (vgl. 6 § 222 Abs. 3 InsO), und ihre Insolvenzforderungen gegenüber dem Insolvenzschuldner mittels 3 BT-Drucks. 19/24181, S. 115. 4 Zur Stellung der Arbeitnehmer in der vorinsolvenzlichen Restrukturierung Benkert, NJW-Spezial 2021, 178; Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561; Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679; Göpfert/Giese, NZI-Beilage 2021, 55; Lingscheid/Kunz, DB 2021, 677; Salamon/Krimm, NZA 2021, 235. Ausführlich zum Arbeitsrecht in der Sanierung Krause/von Saenger in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, Anhang 2. 5 Esser in Braun, 2021, § 4 StaRUG Rz. 5; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 4 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679, 2681. 6 Hierzu Esser in Braun, 2021, § 4 StaRUG Rz. 6; Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 4 StaRUG Rz. 14; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 4 StaRUG Rz. 2; ergänzend Gehrlein, BB 2021, 66, 68; Salamon/Krimm, NZA 2021, 235, 237. 7 Esser in Braun, 2021, § 4 StaRUG Rz. 6.

Herding/Krafczyk | 187

§ 4 Rz. 6 | Ausgenommene Rechtsverhältnisse eines Insolvenzplans durchaus gestaltet werden können,8 sind Arbeitnehmer aufgrund von § 4 Satz 1 Nr. 1 StaRUG im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen weitgehend privilegiert.9 Denn dort werden Gestaltungen durch einen Restrukturierungsplan gesperrt. Damit fehlen im StaRUG wichtige Instrumente der leistungswirtschaftlichen Sanierung, die im Insolvenzverfahren, bspw. innerhalb der Eigenverwaltung, genutzt werden können. Dort sind Kündigungen von Dienstverhältnissen unter Einhaltung von kurzen Sonderkündigungsfristen möglich (vgl. § 113 Satz 2 InsO) oder im Rahmen von Sozialplänen umsetzbar und Betriebsvereinbarungen können im Lichte einer drohenden Kündigung (vgl. § 120 InsO) gem. § 77 BetrVG gestaltet werden.10 Auch die Möglichkeit für Unternehmen im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen Insolvenzgeld nach den Regelungen der §§ 165 ff. SGB III („bei einem Insolvenzereignis“) in Anspruch zu nehmen, besteht tatbestandlich im Restrukturierungsrahmen des StaRUG nicht und zudem kommt eine analoge Anwendung mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht.11 7 Weiter haben Zusagen der betrieblichen Altersversorgung als zweite Säule der Alterssiche-

rung eine erhebliche Bedeutung und, soweit die Zusagen nicht kapitalgedeckt sind, können sie die Finanzkraft eines Unternehmens ähnlich wie Finanzverbindlichkeiten belasten.12 Und dennoch scheidet ihre Gestaltung aufgrund der ausdrücklichen Einschränkung des § 4 Satz 1 Nr. 1 StaRUG aus. Entsprechend hat der Gesetzgeber auch den Sicherungsfall des BetrAVG nicht auf das Stabilisierungs- und Restrukturierungsverfahren erweitert (vgl. § 7 Abs. 1 BetrAVG) und es lässt sich auch eine analoge Anwendung des BetrAVG auf im Rahmen des StaRUG ausgefallende Versorgungszusagen nicht begründen.13 Durch diesen Ausschluss von einer Gestaltung laufen die Betriebsrenten unberührt weiter, womit im Rahmen des StaRUG ihr Schutz deutlich stärker akzentuiert ist, als im Insolvenzplan. Dort ist eine Gestaltung auch der Zusagen auf betriebliche Altersversorgung möglich, wenngleich vorzusehen ist, dass bei einer nachhaltigen Besserung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers die vom Pensions-Sicherungs-Verein zu erbringenden Leistungen ganz oder zum Teil vom Arbeitgeber wieder übernommen werden (sog. Besserungsschein, § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG).14

8 Diese doch gravierenden Unterschiede und mithin die fehlenden Gestaltungsbefugnisse im

Rahmen des StaRUG basieren auf der Annahme, dass eine Fortführung des Unternehmens ohne die Mitwirkung der Arbeitnehmer als Teil eines funktionierenden operativen Betriebs kaum denkbar ist und, wenn schon die gegenüber den Arbeitnehmern bestehenden Forderungen nicht erfüllt werden können, zumeist eine „derart vertiefte Krise vorliegt, dass sich diese mit den teilkollektiven Verfahrenshilfen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nicht angemessen bewältigen lässt.“15 Aus diesen Gründen sollen personalwirtschaftliche Restrukturierungsmaßnahmen unter Geltung der allgemeinen kollektiv- und individualarbeitsrechtlichen Regelung ohne Unterstützung durch das StaRUG durchgeführt werden.16 8 Vgl. Ehricke/Behme in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 38 InsO Rz. 84; vgl. Herweg/Wirth, DB 2021, 886, 887. 9 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 4 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Desch, BB 2020, 2498, 2502 f.; ergänzend Lingscheid/Kunz, DB 2021, 677. 10 Vgl. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 4 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); außerdem Herweg/Wirth, DB 2021, 886, 887; Salomon/Krimm, NZA 2021, 235, 237. 11 BT-Drucks. 19/24181, S. 115; hierzu Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 4 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); außerdem Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2578; Desch, BB 2020, 2498, 2503. 12 Vgl. Westpfahl, ZRI 2020, 157, 170. 13 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 4 StaRUG Rz. 4; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 4 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 14 Hierzu Molkenbur in BeckOK/ArbR, § 7 BetrAVG Rz. 11 (Stand: 64. Ed. 1.6.2022). 15 BT-Drucks. 19/24181, S. 114; krit. Wilhelm/Richter/Hoffmann, DB 2021, 381, 383. 16 BT-Drucks. 19/24181, S. 115; hierzu Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2561, 2578; Herweg/Wirth, DB 2021, 886, 887; Salomon/Krimm, NZA 2021, 235, 237. Zu den noch möglichen Plangestaltungen

188 | Herding/Krafczyk

Ausgenommene Rechtsverhältnisse | Rz. 9 § 4

Das StaRUG liegt damit nicht fernab der Erwägungen der Restrukturierungs-RL. Sie betont in ErwGr. 60 den Schutz von Arbeitnehmern in der Restrukturierung, heißt es dort doch ausdrücklich: „Arbeitnehmer sollten während der gesamten Dauer der präventiven Restrukturierungsverfahren den vollen arbeitsrechtlichen Schutz genießen“. Dies ist für die Restrukturierungspraxis hinzunehmen, auch wenn dadurch die Möglichkeit einer eigenen ArbeitnehmerGruppe versagt bleibt, eine Gruppe, die in einer übergreifenden Mehrheit das Sanierungskonzept trotz Sanierungsbeitrag stützen könnte. Darin wird zum Teil eine doch verpasste Chance gesehen.17 Sind Arbeitnehmer schließlich zu freiwilligen Beiträgen zur Unterstützung der Restrukturierung bereit, sollten ihnen hierzu grundsätzlich Wege eröffnet werden.18

2. Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen (§ 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG) Art. 1 Abs. 5 Buchst. c Restrukturierungs-RL lässt ausdrücklich zu, Forderungen aus vorsätz- 9 lich begangenen unerlaubten Handlungen aus dem präventiven Restrukturierungsrahmen auszuschließen und folglich für nicht gestaltbar zu erklären.19 Dadurch sollen in Parallelität zu der Wertung aus § 302 Nr. 1 InsO, der entsprechende Forderungen von der Restschuldbefreiung gem. §§ 286 ff. InsO ausnimmt, durch die Haftung bestrebte Steuerungswirkungen nicht unterlaufen werden.20 Grundsätzlich erstreckt sich § 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG auf alle deliktischen Forderungen und so z.B. §§ 823, 826 BGB.21 Dazu zählen auch Forderungen aus der Verletzung von Schutzgesetzten bspw. nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 264, 264a StGB. Wie sich dem Gesetzeswortlaut entnehmen lässt, muss die Forderung aus einem Delikt entstanden sein, das mindestens auf bedingtem Vorsatz und nicht (nur) auf grober Fahrlässigkeit beruht.22 Forderungen aus vorsätzlichen Vertragspflichtverletzungen fallen dagegen nicht unter § 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG und bleiben mittels Restrukturierungsplan zu adressieren.23 Gleiches gilt in Abweichung zu § 302 Nr. 1 InsO für unerlaubte Handlungen im Steuerschuldverhältnis. So sind auch Verbindlichkeiten aus einem solchen Steuerschuldverhältnis, in dessen Zusammenhang der Schuldner wegen einer Steuerstraftat rechtskräftig verurteilt wurde, weiterhin gestaltbar.24 Der Umfang ist sodann nicht auf die Hauptforderung begrenzt, sondern es sind auch solche erfasst, die sich aus dieser ableiten und ihre Natur teilen.25 Das sind v.a. ver-

17

18 19 20 21 22 23 24 25

Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 4 StaRUG Rz. 30 ff. Freilich mag im Einzelnen eine anfechtungsrechtliche Beachtlichkeit (vgl. § 90 Abs. 1 StaRUG) in Frage stehen. Hierzu Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 32 ff. und im Besonderen auch Rz. 28, s. dort zur anfechtungsrechtlichen Privilegierung „andere[r] Restrukturierungsmaßnahmen“ i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 3 StaRUG. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 4 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zudem Skauradszun, KTS 2019, 161, 169; Haarmeyer/Lissner/Rombach, ZInsO 2021, 368, 372 f. Ergänzend Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 4 StaRUG Rz. 6, dort zur Motivation und Mitwirkung der Arbeitnehmer an bzw. während der Restrukturierungssache. Für Erleichterungen hinsichtlich der Einbeziehung von Arbeitnehmern Wilhelm/Richter/Hoffmann, DB 2021, 381, 383. Dies mag im Einzelfall über Stundungen von Arbeitnehmerforderungen gelingen, s. etwa Krafczyk, ZRI 2021, 313, 319. BT-Drucks. 19/24181, S. 115; Art. 1 Abs. 5 Buchst. c Restrukturierungs-RL. BT-Drucks. 19/24181, S. 115, dort auch zu Abweichungen mit Blick auf §§ 370, 373 f. AO; Esser in Braun, 2021, § 4 StaRUG Rz. 7. Esser in Braun, 2021, § 4 StaRUG Rz. 9. Esser in Braun, 2021, § 4 StaRUG Rz. 9; zum Sonderfall der Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination s. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 4 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 4 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). BT-Drucks. 19/24181, S. 115; Esser in Braun, 2021, § 4 StaRUG Rz. 8; Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 4 StaRUG Rz. 8. Ergänzend Schröder in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 4 StaRUG Rz. 8. BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 151/10, NJW 2011, 2966, 2967 = MDR 2011, 1139.

Herding/Krafczyk | 189

§ 4 Rz. 9 | Ausgenommene Rechtsverhältnisse ursachte Nebenforderungen wie bspw. Zinsen und Anwaltskosten, um einen vollständigen Schutz des Geschädigten zu gewährleisten.26 Schließlich können die Wirkungen des § 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG aufgrund von § 404 BGB auch nicht durch eine Forderungsabtretung an einen Dritten umgangen werden.27

3. Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO (§ 4 Satz 1 Nr. 3 StaRUG) 10 Zunächst § 4 Satz 1 Nr. 3 StaRUG regelt die fehlende Gestaltbarkeit staatlicher Sanktionen i.S.v.

§ 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO, also Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten.28 Diese Ausnahme wird auch durch einen Erst-Recht-Schluss in Anknüpfung an Art. 1 Abs. 5 Buchst. c Restrukturierungs-RL bestätigt: Sind privatrechtliche deliktische (Schadensersatz-)Ansprüche nach § 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG von einer Gestaltung mittels Restrukturierungsplan ausgenommen, mögen erst recht staatliche Sanktionszahlungen i.S.v. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO als taugliche Gestaltungsgegenstände ausscheiden. Durch den Ausschluss von einer Gestaltbarkeit wird vermieden, dass der durch staatliche Sanktionen bezweckte Sanktionscharakter durch die Gestaltung im Restrukturierungsplan abgeschwächt wird oder verloren geht.29 Die fehlende Gestaltbarkeit setzt zudem die Wertungen aus § 225 Abs. 3 InsO für den Restrukturierungsplan fort. Dieser sieht für solche Verbindlichkeiten auch Gestaltungshürden im Insolvenzplan.30 § 4 Satz 1 Nr. 3 StaRUG erfasst alle Forderungen i.S.v. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Bespielhaft zählen hierzu als Geldstrafen solche nach §§ 40, 41 StGB; als Geldbußen solche nach § 17 OWiG, § 81 GWB; als Ordnungsgelder solche nach § 141 Abs. 3, § 380 Abs. 1, § 390 Abs. 1, § 890 Abs. 1 ZPO; als Zwangsgelder solche nach § 328 f. AO sowie als Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit solche nach § 73a, § 73d Abs. 2, §§ 74a, 74c StGB.31

III. Besonderheiten für natürliche Personen (§ 4 Satz 2 StaRUG) 11 § 4 Satz 2 StaRUG steht in einer Wechselabhängigkeit zu § 30 StaRUG, so dass dessen Inhalt

und Wertungen hier mitzudenken sind. In Umsetzung des Art. 1 Abs. 2 Buchst. h Restrukturierungs-RL begrenzt § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG die Restrukturierungsfähigkeit natürlicher Personen auf unternehmerisch tätige Schuldner (s. § 30 Rz. 4 f.). Diese Einschränkung weiterführend schließt § 4 Satz 2 StaRUG Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften ohne Bezug zur unternehmerischen Tätigkeit der natürlichen Person von der Gestaltbarkeit durch einen Restrukturierungsplan aus. Das StaRUG ist nicht auf privat tätige, drohend zahlungsunfähige natürliche Personen zugeschnitten. Insoweit bleibt es bei den Mitteln des Insolvenzrechts und den dort vorgehaltenen Reaktionsmöglichkeiten mit einem Insolvenzplan (§ 217 ff. InsO) und insbesondere der Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO).32

12 Bei der Qualifizierung der unternehmerischen Tätigkeit i.S.v. § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ist

§ 304 Abs. 1 InsO maßgeblich, der für die Verbraucherinsolvenz Anwendungsvoraussetzungen

26 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 4 StaRUG Rz. 6 mit Verweis auf BGH v. 18.11.2010 – IX ZR 67/10, WM 2011, 131, 132 = MDR 2011, 195. 27 Esser in Braun, 2021, § 4 StaRUG Rz. 9; Schröder in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 4 StaRUG Rz. 7. 28 Esser in Braun, 2021, § 4 StaRUG Rz. 10. 29 BT-Drucks. 19/24181, S. 115; ergänzend Esser in Braun, 2021, § 4 StaRUG Rz. 10. 30 BT-Drucks. 19/24181, S. 115. 31 Vgl. Ehricke/Behme in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 39 InsO Rz. 24; Posteder/Dachner in BeckOK/InsO, § 39 InsO Rz. 28 f. (Stand: 27. Ed. 15.10.2021). 32 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 4 StaRUG Rz. 12 mit Verweis auf Wegener, ZVI 2018, 43, 45; Dahlmann/Dittmer, ZVI 2018, 244.

190 | Herding/Krafczyk

Ausgenommene Rechtsverhältnisse | Rz. 15 § 4

definiert. Dort allerdings steht die generelle Eigenschaft der betreffenden Personen in Frage und damit die Abgrenzung allein privat von auch unternehmerisch tätigen Personen.33 Innerhalb des § 4 Satz 2 StaRUG geht es demgegenüber darum, die Gestaltungsmacht eines als tauglich ausgemachten Restrukturierungsplans hinsichtlich konkreter Forderungen und Anwartschaften zu begrenzen. Insoweit mag es naheliegen, den Ermittlungsmaßstab hinsichtlich der gestaltbaren Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften den §§ 13, 14 BGB zu unterstellen. Schließlich stehen hier doch in vergleichbarer Weise – und nachgelagert zur generellen Einordnung des Restrukturierungsschuldners als unternehmerisch tätige Person i.S.v. § 30 StaRUG – konkrete Forderungen und Anwartschaften dieser Person im Fokus der Einordnung.34 Im Ergebnis mögen den Gestaltungen eines Restrukturierungsplan nur solche Forderungen 13 der natürlichen Personen unterfallen, die situativ aus der Unternehmerstellung heraus entstanden sind. Sie müssen also vergleichbar zu § 14 BGB in einem konkreten Bezug zu dem Schuldner und der Ausübung seiner unternehmerischen Tätigkeit stehen. Für die Herstellung dieses Bezugs mag dann grundsätzlich die objektiv zu bestimmende Zweckrichtung des Rechtsgeschäfts entscheidend sein, wobei es maßgeblich auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls ankommen muss (und nicht etwa auf ein subjektives Empfinden).35 Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften für die jener Bezug sodann abzulehnen ist, sind den Gestaltungsbefugnissen aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StaRUG entzogen. Sie können nicht durch einen Restrukturierungsplan gestaltet werden. Dass sich hierdurch ein faktisches Störpotential durch einzelne Planbetroffene ergeben könnte, die sich darauf berufen, dass ihre Forderung oder Absonderungsanwartschaft gerade den Anforderungen des § 14 BGB nicht genügt, lässt sich in der Konsequenz nicht vermeiden.

IV. Versagung der Bestätigung (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) Gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG ist die Bestätigung des Restrukturierungsplans zu ver- 14 sagen, wenn „die Vorschriften über den Inhalt [...] des Restrukturierungsplans [...] in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind und der Schuldner den Mangel nicht beheben kann“. Zu diesen Vorschriften gehören auch die §§ 2–4 StaRUG. Innerhalb der Planbestätigung wird daher entscheidend sein, ob die vorgesehenen Gestaltungen im Restrukturierungsplan durch die Befugnis des StaRUG getragen werden. Kommt es folglich dazu, dass ausgenommene Forderungen dennoch einbezogen werden, droht gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG die Versagung der Bestätigung.36 Darüber hinaus setzt sich die Ausnahme der in § 4 StaRUG angesprochenen Rechtsverhältnis- 15 se von den Gestaltungswirkungen eines Restrukturierungsplans insbesondere auch bei der Stabilisierung durch (vgl. § 29 Abs. 2 Nr. 3, §§ 49 ff. StaRUG). Wird eine Vollstreckungs- oder Verwertungssperre angeordnet, bleiben die in § 4 Satz 1 StaRUG genannten Forderungen gem. § 49 Abs. 2 Satz 1 StaRUG von der Stabilisierungsanordnung selbst und ihren vertragsrechtlichen Wirkungen unberührt. Nichts anderes gilt für die an Gegenständen des privaten Vermögens der natürlichen Person bestehenden Absonderungsanwartschaften, obwohl § 49 Abs. 2 Satz 1 StaRUG bloß die nach § 4 Satz 2 StaRUG einer Gestaltung entzogenen (Restrukturierungs-)„Forderungen“ von den Wirkungen einer Stabilisierungsanordnung ausnimmt.37

33 Vgl. Sabel in Graf-Schlicker, 5. Aufl. 2020, § 304 InsO Rz. 11; ebenfalls; Sternal in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 304 InsO Rz. 9. 34 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 57 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 35 Vgl. Martens in BeckOK/BGB, § 14 BGB Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) sowie kürzlich BGH v. 7.4.2021 – VIII ZR 49/19, NJW 2021, 2281 Rz. 75 ff. 36 Ergänzend Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 4 StaRUG Rz. 28 f.; Marotzke, ZInsO 2021, 2540. 37 Westpfahl/Dittmer in Flöther, 2021, § 4 StaRUG Rz. 12.

Herding/Krafczyk | 191

§ 5 Rz. 1 | Gliederung des Restrukturierungsplans

Abschnitt 2 Anforderungen an den Restrukturierungsplan (§§ 5-16)

§5 Gliederung des Restrukturierungsplans 1Der

Restrukturierungsplan besteht aus einem darstellenden und einem gestaltenden Teil. enthält mindestens die nach der Anlage zu diesem Gesetz erforderlichen Angaben. 3Dem Restrukturierungsplan sind die nach den §§ 14 und 15 erforderlichen Anlagen beizufügen. 2Er

In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historie und EU-Richtlinien Grundlage Zwingende Gliederung des Plans (§ 5 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Darstellender Teil, Mindestangaben (§ 5 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenstand der Mindestangaben (Anlage des Gesetzes zu § 5 Satz 2 StaRUG) . a) Unterscheidungsfähige Individualisierung des Schuldners (Nr. 1) . . . . . . . . . b) Wirtschaftliche Lage des Schuldners und Darstellung des Vermögens (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vermögenswerte und Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 6 9 11 16 16 18 19 21 22

bb) Beschreibung der wirtschaftlichen Situation und des Umfangs der wirtschaftlichen Schwierigkeiten . cc) Position der Arbeitnehmer . . . . . . c) Angabe der Planbetroffenen (Nr. 3) . . d) Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen und der jeweils zugewiesenen (Stimm-)Rechte (Nr. 4) . . . . . . . . . . . . e) Individualisierung der Nicht-Planbetroffenen (Nr. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Benennung des Restrukturierungsbeauftragten (Nr. 6) . . . . . . . . . . . . . . . g) Auswirkungen auf Arbeitnehmer (Nr. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Neue Finanzierungen (Nr. 8) . . . . . . . . 3. Ungeschriebene Mindestangaben . . . . . VI. Anlagen (§ 5 Satz 3 StaRUG) . . . . . . . . .

26 29 31 34 36 38 39 41 43 47

Schrifttum: Hölzle, Zur Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens in Deutschland, ZIP 2020, 585; Skauradszun, Grundfragen zum StaRUG – Ziele, Rechtsnatur, Rechtfertigung, Schutzmechanismen, KTS 2021, 1.

I. Regelungsgegenstand 1 In § 5 StaRUG legt der Gesetzgeber den grundsätzlichen Planaufbau, die Mindestanfor-

derungen an den Inhalt eines Restrukturierungsplans sowie die dem Plan beizufügenden Anlagen fest. Der Restrukturierungsplan ist, ähnlich dem Vorbild des § 219 InsO, grundsätzlich in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil zu untergliedern. Hinzu kommen als Pflichtinhalt, anders als nach dem insolvenzrechtlichen Vorbild, die nach Satz 2 und 3 der Norm geforderten Anlagen, womit der Restrukturierungsplan verpflichtend aus drei obligatorischen Teilen besteht.

2 Der darstellende Teil dient der umfassenden und vollständigen Information der Planbetrof-

fenen über alle entscheidungserheblichen Umstände; er muss diesen daher eine sachgerechte 192 | Hölzle

Gliederung des Restrukturierungsplans | Rz. 5 § 5

Bewertung des Restrukturierungsplans sowie dessen Einordnung in das Gesamtkonzept am Maßstab ihrer eigenen Interessen ermöglichen.1 Damit kommt dem darstellenden Teil des Restrukturierungsplans, genau wie dem darstellenden Teil des Insolvenzplans, eine erhebliche und deutlich über die Wahrung des Transparenzgebots2 und die reine Erläuterung des geplanten Vorhabens hinausgehende Wirkung zu. Insbesondere durch die konkreten Anforderungen an die Ausgestaltung der Vergleichsrechnung bildet der darstellende Teil den Rechtsgrund für die mit dem gestaltenden Teil zu vollziehenden Gestaltungswirkungen des Plans, was insbesondere auch darin zum Ausdruck kommt, dass ein Mangel im darstellenden Teil ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Bestätigungshindernis nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG begründet.3 Im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans sind die Vollzugswirkungen des Plans im 3 Sinne der mit ihm zu vollziehenden rechtsgestaltenden Erklärungen und der mit dem Plan zu erreichenden Verfügungswirkungen im Sinne ihrer zivilrechtlichen Definition, mithin sämtliche Veräußerungen, Aufhebungen, Belastungen oder Inhaltsänderungen von Rechten und Ansprüchen enthalten. Die klare Trennung zwischen dem darstellenden und dem gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans dient dazu, Unsicherheiten darüber zu vermeiden, ob bestimmte Passagen des Plans der Erläuterung mit ihm zu erreichen gesuchter Rechtsänderungen dienen oder diese bereits enthalten sollen.4 Mithin erwachsen nach § 67 Abs. 1 Satz 1 StaRUG auch nur die im gestaltenden Teil des Plans festgelegten Wirkungen in Rechtskraft. Aus Gründen der zu fordernden Rechtsklarheit ist eine ergänzende Auslegung des gestaltenden Teils unter Berücksichtigung der im darstellenden Teil enthaltenen Ausführungen nur in engen Grenzen möglich und vor allem an die Auslegungsgrenze des Wortsinns der im gestaltenden Teil enthaltenen Erklärungen gebunden. Eine über den Wortsinn der im gestaltenden Teil enthaltenen verfügenden Bestimmungen hinausgehende Interpretation unter Hinweis auf Rechtswirkungen, die nach dem darstellenden Teil vorgesehen, im gestaltenden Teil aber nicht hinreichend umgesetzt sind, ist daher unzulässig. In seinen Sätzen 2 und 3 ordnet § 5 StaRUG darüber hinaus an, dass der Restrukturierungs- 4 plan einerseits die in der Anlage des Gesetzes zu § 5 StaRUG vorgesehenen Angaben enthalten muss, andererseits die nach den §§ 14 und 15 StaRUG erforderlichen Anlagen beizufügen sind. Die Auslagerung bestimmter Pflichtangaben in die Anlage zu § 5 StaRUG dient der leichteren Lesbarkeit des Gesetzes. Die geforderten Angaben können sowohl im Plan selbst als auch ihrerseits in Anlagen zum Plan enthalten sein. Maßgeblich ist, dass die Aufbereitung der geforderten Informationen den Geboten der Transparenz, der Rechtsklarheit und der Verständlichkeit genügen, da es sich um Angaben handelt, die zu den Mindestanforderungen des darstellenden Teils gehören. Die Anlagen nach §§ 14 und 15 StaRUG stellen in der Gliederung des Plans neben dem dar- 5 stellenden und dem gestaltenden Teil den dritten Bestandteil der Pflichtgliederung des Plans dar. Mit diesen Anforderungen geht § 5 StaRUG über den Inhalt von § 219 InsO hinaus, begründet damit aber kein wesentliches, an den Verfahrenszielen orientiertes Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Restrukturierungs- und dem Insolvenzplan.5 Zwar trägt die obligatorisch dem Restrukturierungsplan beizufügende Erklärung zur Sicherstellung bzw. Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des Schuldners nach § 14 Abs. 1 StaRUG dem Umstand 1 BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640. 2 So aber Desch, DB 2020, 2498; Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 5 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 3 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 63 StaRUG Rz. 21, § 6 StaRUG Rz. 6; Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2021, § 5 StaRUG Rz. 33. 4 Ähnlich für den Insolvenzplan Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, § 219 InsO Rz. 2 (Stand: 92. EL Juni 2022). 5 So aber Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2021, § 5 StaRUG Rz. 4; Hofmann, NZI-Beilage 2019, 22.

Hölzle | 193

§ 5 Rz. 5 | Gliederung des Restrukturierungsplans Rechnung, dass das Verfahren auf den Erhalt des Unternehmens und die Vermeidung einer Insolvenz ausgerichtet ist, jedoch bildet § 5 Satz 3 StaRUG mit diesem Verweis lediglich den Regelungsgehalt von § 229 InsO ab. Dies ist konsequent, weil die von § 229 InsO erfasste Fallgestaltung des „earn out-Plans“ die Blaupause für den Restrukturierungsplan darstellt, der gerade auf den Erhalt des Unternehmens und dessen nachhaltige Bestandssicherung abzielt und somit die Befriedigung der Gläubiger mit ihren durch den Plan nicht gestalteten Forderungen aus den künftigen Erträgen vorsieht. Das Verbindende in beiden Normenkomplexen ist daher größer als das Trennende.

II. Normzweck 6 Die Trennung zwischen dem den Informationszwecken der Beteiligten dienenden und die

Grundlage für die Bindungswirkung schaffenden darstellenden Teil und dem die Gestaltungswirkung bindend umsetzenden gestaltenden Teil des Restrukturierungsplan dient zunächst der Transparenz, der Verständlichkeit und der Rechtsklarheit.6

7 Wenn auch die Vorschriften der §§ 5 ff. StaRUG offenkundig an die Vorschriften der §§ 217 ff.

InsO angelehnt – und in Teilen auch wortgleich übernommen – sind, sich das Recht des Restrukturierungsplans daher methodisch an der Insolvenzordnung orientiert, so darf dies nicht dazu verleiten, die insolvenzrechtliche Dogmatik schablonenhaft auch zum Primat der Auslegung und des Verständnisses der Vorschriften über den Restrukturierungsplan zu machen.7 Obgleich zu erwarten ist, dass in der Praxis ein Gleichlauf in der Entwicklung und ein wechselseitiger Verweis auf die zum jeweils anderen Rechtsgebiet ergangene Rechtsprechung stattfinden wird,8 darf nicht übersehen werden, dass beide Regelungswerke im Grundsatz verschiedenen Zielen verpflichtet sind: Während das Insolvenzverfahren unter Verwaltung des Mangels auf die gleichmäßige und bestmögliche Befriedigung sämtlicher Gläubiger abzielt, ist – nach Maßgabe der Restrukturierungs-RL9 – vorrangiges Ziel der Restrukturierung der Erhalt und die nachhaltige Sicherung der Bestandsfähigkeit des Schuldners. Während das Insolvenzverfahren demnach also gläubigerorientiert ausgestaltet ist, liegt die Restrukturierungs-RL den Fokus auf ein schuldnerorientiertes Verfahren. In Übertragung der überkommenen insolvenzrechtlichen Tradition hat der deutsche Gesetzgeber mit dem StaRUG die Richtlinienziele aber überschießend umgesetzt und in wesentlichen Vorschriften den Gläubigerschutz und die Gläubigerorientierung in den Fokus auch des schuldnergetriebenen Verfahrens gestellt. Dadurch wird das StaRUG zum Diener mehrerer Herren,10 was einerseits seine Auslegung verkompliziert, andererseits die Übertragbarkeit insolvenzrechtlicher Dogmatik in weiten Teilen wiederum legitimiert. Hierbei sind jedoch stets diejenigen Besonderheiten zu berücksichtigen, durch welche sich das StaRUG von der InsO unterscheidet, insbesondere die grundsätzliche Teilkollektivität und der modulare Aufbau des Restrukturierungsverfahrens. Dort wo diese differenzierenden Merkmale im Vordergrund stehen, ist eine schablonenhafte Übertragung der insolvenzrechtlichen Dogmatik auf das Restrukturierungsverfahren nur eingeschränkt möglich.

8 Mit den besonderen Transparenzanforderungen, die § 5 StaRUG im Unterschied zu seinem

insolvenzrechtlichen Vorbild enthält, wird den umfangreichen Anforderungen der Restrukturierungs-RL an die Information der Planbetroffenen Rechnung getragen. Die formalen An-

6 Ebenso Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2021, § 5 StaRUG Rz. 2. 7 Vor dieser Gefahr zu Recht warnend Skauradszun, KTS 2021, 1, 10 ff. 8 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 5 StaRUG Rz. 1, sowie zum Auslegungsprimat des StaRUG allgemein Vor § 1 StaRUG. 9 RL (EU) 2019/1023. 10 Vgl. grundlegend Skauradszun, KTS 2021, 1 ff.

194 | Hölzle

Gliederung des Restrukturierungsplans | Rz. 12 § 5

forderungen an den Restrukturierungsplan übersteigen daher die Anforderungen an einen Insolvenzplan, wenn auch die Gestaltungsfreiheit in materiell-rechtlicher Hinsicht identisch ist.

III. Historie und EU-Richtlinien Grundlage Die Vorschriften zur Gliederung und zum Mindestinhalt des Restrukturierungsplans sind im 9 Wesentlichen von deutscher Seite in die europäischen Verhandlungen zum Entwurf der Restrukturierungs-Richtlinie eingebracht worden.11 Es überrascht daher nicht, dass sich Art. 8 Restrukturierungs-RL am Vorbild des Insolvenzplans deutschen Rechts orientiert, wenn sich auch aus den durch die Richtlinie an den Restrukturierungsplan gestellten Mindestanforderungen Abweichungen ergeben, die für das dogmatische Verständnis des Restrukturierungsverfahrens grundlegend sind. Letzteres kommt z.B. darin zum Ausdruck, dass sich die Möglichkeit einer teilkollektiven Ge- 10 staltung der Regelungswirkungen des Plans lediglich auf die Auswahl und Anwendung der Instrumente (§ 29 StaRUG) des Restrukturierungsverfahrens bezieht, aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass diese Teilkollektivität gerade nicht dazu verwendet werden darf, die Interessen einzelner Gläubiger hinter denjenigen gleichgerichteter Gläubiger zurückzusetzen und die Auswahl der Planbetroffenen als Feigenblatt opportunistischer oder gar missbräuchlicher Gestaltungen zu nutzen.12 Aus diesem Grund sieht Nr. 5 der Anlage zu § 5 Satz 2 StaRUG ausdrücklich vor, dass der Restrukturierungsplan nicht allein die Planbetroffenen zu benennen, sondern auch sämtliche nicht in den Restrukturierungsplan einbezogenen Gläubiger, Inhaber von Absonderungsanwartschaften sowie Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten zusammen mit einer Erläuterung der Grunde für die unterbliebene Einbeziehung anzugeben hat. Gleichzeitig sind nach Nr. 2 der Anlage sämtliche Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Schuldners anzugeben. Beide Vorschriften dienen der Ausrichtung des Verfahrens auf das Gesamtgläubigerinteresse und der Vermeidung von missbräuchlichen Gestaltungen.13

IV. Zwingende Gliederung des Plans (§ 5 Satz 1 StaRUG) Der Aufbau von Insolvenz- und Restrukturierungsplan gleichen sich in ihrer Grundstruktur, 11 wobei jedoch an den darstellenden Teil des Restrukturierungsplans besondere und weitergehende Anforderungen gestellt werden. Außerdem besteht der Restrukturierungsplan zwingend aus einem dritten Teil, nämlich den Anlagen nach § 5 Satz 3 StaRUG. Die Untergliederung des Restrukturierungsplan in (i) einen darstellenden Teil, (ii) einen ge- 12 staltenden Teil und (iii) die Anlagen nach §§ 14, 15 StaRUG ist zwingend und steht damit nicht zur Disposition des Planerstellers.14 In dieser Untergliederung kommt der Normbefehl der Planklarheit zum Ausdruck, an dem sich der Aufbau des Restrukturierungsplans zu orientieren hat. Es gelten wegen der ähnlichen Schutzrichtung dieselben Grundsätze, wie sie auch für die Aufstellung des Lageberichts nach §§ 238 ff., 289 HGB (z.B. i.V.m. § 42a GmbHG) gelten. Die Schutzrichtung des Lageberichts – vor allem in der Krise der Gesellschaft, in der in besonderem Maße eine den Grundsätzen der Wahrheit, Klarheit und Vollständigkeit entsprechende Darstellung der Lage gefordert ist – und des darstellenden Teils des Restrukturierungsplans sind vergleichbar, wobei die Gefahr eines Vertrauensverlusts bei zu-

11 12 13 14

Thole in Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, 2. Aufl. 2020, § 30 Rz. 2. Ausführlich Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, Vor § 1 StaRUG Rz. 7 f. Hölzle, ZIP 2020, 585. Ebenso Friel/Ellers in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 5 StaRUG Rz. 3.

Hölzle | 195

§ 5 Rz. 12 | Gliederung des Restrukturierungsplans treffender Darstellung der Lage der Gesellschaft freilich gerade nicht eine unklare, unvollständige oder einseitige Darstellung rechtfertigt.15 Das Gebot der Klarheit und Verständlichkeit verlangt demzufolge eine dem Wissensstand der Adressaten angepasste und eindeutige, insb. nicht missverständliche oder irreführende Ausdrucksweise, eine aus sich heraus nachvollziehbare Darstellung und eine übersichtliche Gestaltung in Aufbau und Struktur.16 Die Wahrnehmung der Rechte der Planbetroffenen darf nicht dadurch erschwert werden, dass die Bedeutung und die Auswirkungen der Umsetzung des Plans auf deren individuelle Rechte durch den Aufbau, die Gliederung und die Darstellung des Plans tatsächlich oder potentiell beeinträchtigt werden, insbesondere weil es an einer geordneten Übersicht über die wirtschaftliche Situation des Schuldners, deren Ursachen, die daraus abzuleitenden Maßnahmen und deren Auswirkung auf die jeweils individuellen Rechte der Planbetroffenen fehlt oder die Erlangung der entsprechenden Erkenntnisse durch die Art der Darstellung erschwert wird. Darüber hinaus dient das Klarheitsgebot auch der Information des Restrukturierungsgerichts, das im Rahmen der optionalen Planbestätigung in der Lage sein muss, die Einhaltung der formellen Anforderungen an den Plan in der gebotenen Schnelligkeit zu prüfen. 13 Die zwingende Untergliederung des Plans in den darstellenden, den gestaltenden Teil und die

Anlagen ist daher durch entsprechende Benennung der Überschriften kenntlich zu machen17 und deutlich voneinander abzusetzen. Die Reihenfolge, wie im Gesetz vorgegeben, ist grundsätzlich einzuhalten, da die Bewertung der Gestaltungswirkungen und ihrer Erforderlichkeit nur vor dem Hintergrund eines Verständnisses der wirtschaftlichen Situation, ihrer Ursachen und der daraus abgeleiteten Handlungen möglich ist. Eine Umkehr der Darstellungsreihenfolge im Plan wäre daher potentiell geeignet, die individuellen Auswirkungen der zunächst zur Kenntnis genommenen Gestaltungswirkung und ihrer Erforderlichkeit bei nachgelagerter Begründung falsch zu gewichten und zu bewerten. Zugleich dienen die klaren Vorgaben des Gesetzes zur Gliederung des Plans auch einer gewissen Typisierung des Aufbaus und damit der Schaffung von Vergleichs- und Erfahrungswerten, die nicht dadurch unterminiert und die Bewertung des Plans erschwert werden soll, dass von dem vorgegebenen Aufbau abgewichen wird.

14 Die vorgegebene weitere Untergliederung des darstellenden Teils ergibt sich insbesondere

auch aus den nötigen Angaben nach § 5 Satz 2 i.V.m. der Anlage zu § 5 StaRUG.

15 Eine darüberhinausgehende Untergliederung in weitere Teile ist unzulässig;18 die weitere

Ausdifferenzierung der vorgegebenen Abschnitte des Plans steht demgegenüber grundsätzlich im Ermessen des Planerstellers. Sie muss sich aber stets an dem Gebot der Planklarheit und Verständlichkeit messen lassen. Eine jede Untergliederung muss sich daher dem Zweck unterordnen, die Lesbarkeit und das Verständnis des Plans und seiner Gestaltungswirkungen zu fördern und darf nicht dem (verdeckten) Ziel einer im Interesse der Planklarheit nicht gebotenen Verschachtelung der Regelungswirkungen und ihrer Motive dienen.

V. Darstellender Teil, Mindestangaben (§ 5 Satz 2 StaRUG) 1. Bedeutung 16 Aufbau und notwendiger Inhalt des darstellenden Teils, die dem Planbetroffenen die Beurtei-

lung der Maßnahmen in Ansehung der Bedeutung für dessen individuellen Rechte ermöglichen muss, sind in § 6 StaRUG (§ 6 Rz. 9) geregelt. § 5 Satz 2 StaRUG enthält in Abgrenzung 15 16 17 18

Rieser in Beck’sches Hdb. der GmbH, § 17 Rz. 172. Langseder in Beck’sches Hdb. der GmbH, § 9 Rz. 175. Ebenso Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 5 StaRUG Rz. 5. Friel/Ellers in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 5 StaRUG Rz. 3.

196 | Hölzle

Gliederung des Restrukturierungsplans | Rz. 18 § 5

davon durch Verweis auf die Anlage des Gesetzes zu § 5 StaRUG weitere Pflichtangaben, die im Plan zu machen sind. Hierbei handelt es sich um solche Pflichtangaben, die vor dem Hintergrund der gläubigerschützenden Fokussierung des auf die Interessen des Schuldners ausgerichteten Verfahrens19 unabhängig von der konkreten Krisensituation und den zu ihrer Bewältigung vorgesehenen Maßnahmen in jedem Plan enthalten sein müssen, um die dem Schuldner durch das Planinitiativrecht eingeräumte Rechtsmacht, in individuelle Rechtspositionen seiner Gläubiger einzugreifen, zu legitimieren. Die Pflichtangaben nach § 5 Satz 2 StaRUG sind daher Teil des gesetzgeberischen Eingriffs- und Legitimationskonzepts, weshalb das Fehlen einer dieser Angaben stets und unabhängig von ihrer konkreten Auswirkung im Einzelfall ein Bestätigungshindernis nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG nach sich zieht. Die nach § 5 Satz 2 StaRUG geforderten Mindestangaben können ihrerseits in Anlagen zum 17 Plan gemacht werden (z.B. Vermögensaufstellung, Liste aller Gläubiger). In diesem Fall muss sich jedoch in dem darstellenden Teil ein deutlicher Hinweis auf die Anlage und die darin gemachten Informationen finden.

2. Gegenstand der Mindestangaben (Anlage des Gesetzes zu § 5 Satz 2 StaRUG) Anlage (zu § 5 Satz 2) Notwendige Angaben im Restrukturierungsplan Neben den sich aus den §§ 5 bis 15 ergebenden Angaben hat der Restrukturierungsplan mindestens die folgenden Angaben zu enthalten: 1. Firma oder Namen und Vornamen, Geburtsdatum, Registergericht und Registernummer, unter der der Schuldner in das Handelsregister eingetragen ist, Geschäftszweig oder Beschäftigung, gewerbliche Niederlassungen oder Wohnung des Schuldners und bei mehreren Niederlassungen die Hauptniederlassung; 2. die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Schuldners zum Zeitpunkt der Vorlage des Restrukturierungsplans, einschließlich einer Bewertung der Vermögenswerte, eine Beschreibung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners und der Position der Arbeitnehmer sowie eine Beschreibung der Ursachen und des Umfangs der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners; 3. die Planbetroffenen, die entweder namentlich zu benennen oder unter hinreichend konkreter Bezeichnung der Forderungen oder Rechte zu beschreiben sind; 4. die Gruppen, in welche die Planbetroffenen für die Zwecke der Annahme des Restrukturierungsplans unterteilt wurden, und die auf deren Forderungen und Rechte entfallenden Stimmrechte; 5. die Gläubiger, Inhaber von Absonderungsanwartschaften sowie Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten, die nicht in den Restrukturierungsplan einbezogen wurden, zusammen mit einer Erläuterung der Gründe für die unterbliebene Einbeziehung; eine Beschreibung unter Bezugnahme auf Kategorien gleichartiger Gläubiger, Inhaber von Absonderungsanwartschaften sowie Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten genügt, wenn dadurch die Überprüfung der sachgerechten Abgrenzung nach § 8 nicht erschwert wird; 6. Name und Anschrift des Restrukturierungsbeauftragten, sofern ein solcher bestellt ist; 7. die Auswirkungen des Restrukturierungsvorhabens auf die Beschäftigungsverhältnisse sowie Entlassungen und Kurzarbeiterregelungen und die Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertretung; 8. sofern der Restrukturierungsplan eine neue Finanzierung (§ 12) vorsieht, die Gründe für die Erforderlichkeit dieser Finanzierung.

Die Einzelheiten der durch Art. 8 Restrukturierungs-RL vorgegebenen Mindestinhalte sind 18 zur Entlastung und besseren Lesbarkeit des Gesetzestextes in die Anlage zum Gesetz ausgela-

19 Dazu ausführlich Skauradszun, KTS 2021, 1.

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§ 5 Rz. 18 | Gliederung des Restrukturierungsplans gert worden.20 An der Qualifikation, gesetzliche Vorgabe zum Mindestinhalt zu sein, ändert dies nichts. Als Teil der gesetzlichen Pflichtangaben gilt auch für die nach der Anlage zum Gesetz verlangten Angaben das Gebot der Planklarheit und der Vollständigkeit. Unter Geltung dieses Gebots muss der Restrukturierungsplan im Einzelnen zusätzlich folgende Angaben enthalten: a) Unterscheidungsfähige Individualisierung des Schuldners (Nr. 1) 19 Nach Nr. 1 der Anlage muss der Restrukturierungsplan sämtliche Angaben enthalten, die

sich bei einem in das Handelsregister eingetragenen Rechtsträger aus dem Handelsregister ergeben, bei natürlichen Personen ergänzt um das Geburtsdatum. Im Einzelnen muss der Plan also angeben: die Firma oder den Namen und Vornamen, das Geburtsdatum, das Registergericht und die Registernummer, unter der der Schuldner das Handelsregister eingetragen ist, den Geschäftszweig oder die Beschäftigung, gewerbliche Niederlassungen oder die Wohnung des Schuldners und bei mehreren Niederlassungen die Hauptniederlassung. Da es sich ausdrücklich um einen Pflichtinhalt des Restrukturierungsplans handelt, reicht bei eingetragenen Schuldnern allein die Bezugnahme auf die Firma und die Handelsregisternummer im Plan nicht aus.21 Ausreichend für die zweifelsfreie Individualisierung des Schuldners durch Inhalt des Planes selbst ist es aber, in dem Plan unmissverständlich auf einen dem Plan als Anlage beigefügten aktuellen Handelsregisterauszug hinzuweisen.

20 Da die Angaben nach Nr. 1 der eindeutigen Identifizierung des Schuldners dienen und die

Planbetroffenen durch die Identifizierung in die Lage versetzt werden sollen, die Auswirkungen für sich selbst zweifelsfrei beurteilen zu können, folgt aus dem Gebot der Planklarheit, der Vollständigkeit und der Verständlichkeit, dass bei z.B. kurzfristig erfolgten Umfirmierungen das Beifügen allein eines aktuellen Handelsregisterauszuges und der Verweis hierauf im Plan nicht genügt, sondern ein historischer Ausdruck beizufügen ist, aus dem sich die Umfirmierung ergibt. Darüber hinaus ist im Plan ausdrücklich und erkennbar auf die erfolgte Umfirmierung hinzuweisen, um auszuschließen, dass aus der Umfirmierung Fehlinterpretationen auf Seiten der Planbetroffenen entstehen. b) Wirtschaftliche Lage des Schuldners und Darstellung des Vermögens (Nr. 2)

21 Bei der in Nr. 2 der Anlage normierten Verpflichtung zur Angabe der Vermögenswerte und

Verbindlichkeiten des Schuldners zum Zeitpunkt der Vorlage des Restrukturierungsplans, einschließlich einer Bewertung der Vermögenswerte, einer Beschreibung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners und der Position der Arbeitnehmer sowie einer Beschreibung der Ursachen und des Umfangs der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners, handelt es sich am ehesten um solche Angaben, die nicht vollständig in eine Anlage zum Plan ausgelagert werden, sondern zum Teil auch im darstellenden Teil des Plans selbst dargestellt werden. Insbesondere die Beschreibung der Ursachen und des Umfangs der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners dürfte dem Gebot der Verständlichkeit des Plans aus sich heraus folgend im Plan selbst vorzunehmen sein. Soweit ein an dem Standard des IDW S 6 orientiertes Sanierungsgutachten erstellt worden ist, genügt die Bezugnahme im Plan auf ein solches Gutachten und dessen Beifügung als Anlage zwar grundsätzlich den Angaben nach Nr. 2;22 allerdings muss dies nicht bedeuten, dass auch dem Gebot der Planklarheit und der Verständlichkeit hinreichend Rechnung getragen ist. Ein Plan, der ausschließlich auf Anlagen verweist und aus der Lektüre des Plans selbst heraus in sich nicht verständlich ist, ge-

20 BT-Drucks. 19/24181, S. 116. 21 A.A. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 5 StaRUG Rz. 9. 22 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 5 StaRUG Rz. 10.

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Gliederung des Restrukturierungsplans | Rz. 25 § 5

nügt diesen Geboten gerade nicht. Der Planersteller kann sich daher nicht allein auf den Verweis auf umfangreiche Anlagen zurückziehen, sondern muss deren wesentlichen Inhalt jedenfalls in verständlicher Form im Plan selbst zusammenfassend erläutern, damit die im Plan daraus abgeleiteten Maßnahmen und angestrebten Gestaltungswirkungen aus sich heraus verständlich bleiben. aa) Vermögenswerte und Verbindlichkeiten Der Plan muss die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Schuldners darstellen. Das Re- 22 strukturierungsverfahren ist, anders als das Insolvenzverfahren, zwar kein Gesamtvollstreckungsverfahren und kann teilkollektiv ausgestaltet werden. Diese Teilkollektivität des Verfahrens hat jedoch keinen Einfluss darauf, dass sich die Befriedigungssituation der Gläubiger des Schuldners nach dessen Vermögenslage insgesamt richtet, also selbstverständlich das gesamte Vermögen des Schuldners im Plan zu berücksichtigen ist.23 Zur Darstellung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Schuldners genügt der Verweis auf den Jahresabschluss und den darin enthaltenen Anlagenspiegel nicht. Die Vermögensübersicht hat insbesondere die Aufgabe, über das vorhandene Vermögen und die zu erwartenden (Verwertungs-)Erlöse zu informieren und stellt damit einerseits ein Planungsinstrument bzw. eine Prognoserechnung für die Verfahrensbeteiligten, andererseits ein Kontrollinstrument für die Planbetroffenen und das Restrukturierungsgericht dar. Schon aus diesen Aufgaben wird deutlich, dass die Vermögensübersicht nicht mit der handelsrechtlich zu erstellenden Bilanz der werbenden Gesellschaft gleichgesetzt werden kann. Die handelsrechtlichen Ansatz- und Bewertungsvorschriften für Vermögensgegenstände und Schulden sind nicht zu beachten. Vielmehr ist das Vermögensverzeichnis restrukturierungsspezifisch zu erstellen.24 Dem sich aus § 6 Abs. 2 Satz 2 StaRUG ergebenden Kongruenzgebot für die Vergleichsrech- 23 nung folgend, hat sich das Vermögensverzeichnis hinsichtlich des Wertansatzes der einzelnen Vermögensgegenstände daran zu orientieren, ob für das Unternehmen oder einzelne Betriebsteile die Fortführung oder deren Liquidation vorgesehen ist. Soweit der Restrukturierungsplan von der Fortführung ausgeht, sind zwingend Fortführungswerte anzusetzen; soweit der Plan eine Liquidation vorsieht, darf auch das Vermögensverzeichnis die Liquidationswerte ansetzen, sind diesen dann aber die Fortführungswerte nachrichtlich gegenüberzustellen, um die Beurteilung der Auswirkungen der Schließungs- bzw. Liquidationsabsicht zu ermöglichen. Da der Informationszweck des Vermögensverzeichnisses nach Nr. 2 der Anlage derselbe ist, wie derjenige der Verzeichnisse der Massegegenstände, der Gläubiger und des Vermögens nach §§ 151–153 InsO, kann zur Auslegung von § 5 Satz 2 StaRUG i.V.m. Anlage Nr. 2 auf §§ 151– 153 InsO einschließlich der Berechtigung zur Hinzuziehung eines Sachverständigen zur Bewertung des Vermögens entsprechend § 151 Abs. 2 InsO zurückgegriffen werden. Für die Aufstellung des Vermögensverzeichnisses gelten daher die allgemeinen Bewertungsgrundsätze der Richtigkeit, Willkürfreiheit, Vollständigkeit, Klarheit und der neutralen Wertermittlung.25 Zu diesen Bewertungsgrundsätzen gehört auch der Grundsatz der Einzelbewertung und der 24 Nachvollziehbarkeit der Bewertungsansätze. Dies schließt allerdings nicht aus, soweit sinnvoll und nicht auf Kosten der Nachvollziehbarkeit gehend, dass auch Gruppenbewertungen erfolgen können.26 Diese sind dann allerdings gesondert zu erläutern. Wie sich bereits aus dem Text von Nr. 2 der Anlage ergibt, gilt überdies das bewertungsrecht- 25 liche Stichtagsprinzip. Die Bewertung hat auf den Zeitpunkt der Vorlage des Restrukturie23 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 5 StaRUG Rz. 6. 24 So für das Insolvenzverfahren Niemann/Lohmann in Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2019, Rz. 34.139 f. 25 Vgl. z.B. Depré in Kayser/Thole, 11. Aufl. 2022, § 153 InsO Rz. 7. 26 Niemann/Lohmann in Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2019, Rz. 34.149 ff.

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§ 5 Rz. 25 | Gliederung des Restrukturierungsplans rungsplans zu erfolgen. Dies schließt nicht aus, dass insbesondere eine sachverständige Bewertung im Vorfeld eingeholt und dem Plan beigefügt wird; jedoch muss in diesem Zusammenhang erläutert werden, dass sich durch den zwischenzeitlichen Zeitablauf keine Veränderungen ergeben haben, die Einfluss auf die Vergleichsrechnung nehmen. Soweit dies doch der Fall ist, ist die vorgenommene Bewertung fortzuschreiben. bb) Beschreibung der wirtschaftlichen Situation und des Umfangs der wirtschaftlichen Schwierigkeiten 26 Mit dem Erfordernis der Beschreibung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners und des

Umfangs der wirtschaftlichen Schwierigkeiten konkretisiert Nr. 2 der Anlage die Vorgabe aus § 6 Satz 2 StaRUG, wonach im darstellenden Teil des Plans die Krisenursachen darzustellen sind. Die Darstellung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners führt zu Überschneidungen mit der Erklärung zur Bestandsfähigkeit, der vorzulegenden Vermögensübersicht und der Ergebnis- und Finanzplanung nach § 14 StaRUG (§ 14 Rz. 1 f.). Dem Prinzip der Planklarheit und Verständlichkeit folgend, darf und soll der Restrukturierungsplan Redundanzen vermeiden. Eine mehrfache Darstellung und Beschreibung der wirtschaftlichen Situation in der Vergangenheit, der Gegenwart und prognostisch auf Grundlage der im Plan vorgesehenen Maßnahmen ist daher nicht erforderlich. Allerdings muss sich die Darstellung an den strengsten Anforderungen messen lassen, weshalb insoweit § 14 StaRUG die Detailtiefe der Beschreibung vorgibt. Da nach § 14 Abs. 1 StaRUG eine Erklärung zur Sicherung bzw. Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des Schuldners geschuldet ist und das Gesetz in § 33 Abs. 2 Satz 3 StaRUG typisiert davon ausgeht, dass die Bestandssicherung erst nach Ablauf von drei Jahren als nachhaltig zu beurteilen ist,27 reicht die Vorlage einer mittelfristigen Gewinn- und Verlustrechnung sowie einer Liquiditätsplanung für die kommenden 24 Monate grundsätzlich nicht aus,28 sondern muss diese sich auf jedenfalls 36 Monate erstrecken.

27 Dabei darf sich die Darstellung nicht allein in der Vorlage der Zahlen- und Rechenwerke er-

schöpfen, sondern muss auch daraus abzuleitende Umstände (erläuternd) berücksichtigen. Hierzu gehören insbesondere der zu erwartende Bruch von Covenants, die Darstellung der in Bezug auf etwaig erforderliche Vertragsverlängerungen zugrunde gelegten Prämissen sowie die Erläuterung der jeweils berücksichtigten Finanzierungsquellen.

28 Die Ausführungen zu Umfang und Ursachen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten sowie zur

aktuellen wirtschaftlichen Situation müssen in der Tiefe ausreichen, die Beurteilung der Geeignetheit und die Erforderlichkeit der im Plan vorgesehenen Maßnahmen durch einen branchenkundigen Dritten zu ermöglichen. cc) Position der Arbeitnehmer

29 Die Notwendigkeit, die Position der Arbeitnehmer im Restrukturierungsplan gesondert dar-

zustellen, geht ebenfalls auf Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b Restrukturierungs-RL zurück. Da Forderungen der Arbeitnehmer nicht mit den Mitteln des StaRUG restrukturierungsfähig sind (§ 4 Satz 1 Nr. 1 StaRUG) und das Gesetz keine den §§ 120–128 InsO entsprechenden Erleichterungen zur arbeitsrechtlichen Gestaltung enthält, kommt diesem Gliederungspunkt des Restrukturierungsplans regelmäßig lediglich nachrichtliche Funktion zu.

30 Anders ist dies, wenn parallel zu der Umsetzung des Restrukturierungsplans auch eine ar-

beitsrechtliche Restrukturierung durchgeführt wird. Über eine solche ist nach § 6 Abs. 1 Satz 3 StaRUG im darstellenden Teil des Restrukturierungsplans ausdrücklich zu berichten.

27 Dazu Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 31, 33 StaRUG Rz. 51. 28 So aber Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 5 StaRUG Rz. 13.

200 | Hölzle

Gliederung des Restrukturierungsplans | Rz. 36 § 5

In diesem Fall stellt sich das Erfordernis nach Nr. 2 der Anlage lediglich als Konkretisierung des § 6 Abs. 1 Satz 3 StaRUG dar. Die arbeitsrechtlichen Maßnahmen sind in diesem Fall, auch wenn nicht Bestandteil des Restrukturierungsplans, detailliert zu beschreiben und mit ihren Auswirkungen auf den Restrukturierungsplan sowie etwaigen Risiken für seine Umsetzung zu bewerten. c) Angabe der Planbetroffenen (Nr. 3) Der Restrukturierungsplan hat die Planbetroffenen entweder namentlich konkret zu indivi- 31 dualisieren oder ihre Individualisierung anhand einer konkreten Bezeichnung der Forderungen oder Rechte zu ermöglichen. Dies ist schon deshalb erforderlich, weil die gestaltenden Rechtswirkungen des Plans sich gegen die Planbetroffenen richten, diese also nach dem Bestimmtheitsgebot individualisierbar sein müssen. Soweit eine namentliche Nennung möglich ist, ist diese, dem Gebot der Planklarheit folgend, vorrangig. Soweit möglich und dem Schuldner zumutbar, dürfen die Planbetroffenen nicht durch Verzicht auf ihre namentliche Nennung und eine Umschreibung lediglich ihrer Rechte im Ungewissen darüber gelassen werden, ob sie von den Regelungswirkungen des Plans erfasst sind oder nicht. Eine Umschreibung lediglich der Rechtsposition ist dort unumgänglich, wo dem Schuldner die individuellen Gläubiger nicht bekannt sind, wie z.B. bei der Begebung von Schuldverschreibungen. Da die Planbetroffenen nicht zwingend mit ihren sämtlichen Rechten/Forderungen erfasst 32 sein müssen, erfordert die Individualisierung und Konkretisierung neben der Benennung des Gläubigers auch die konkrete Bezeichnung der von den Regelungswirkungen des Plans erfassten Forderungen und Rechte.29 Unter Berücksichtigung der im Gesetz allgemein angelegten Risikoverteilung zu Lasten des 33 Schuldners (vgl. § 63 Abs. 3 Satz 1 StaRUG) gehen auch Zweifel an der Einbeziehung einzelner Gläubiger oder ihrer Rechte/Forderungen in den Plan zu Lasten des Schuldners. d) Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen und der jeweils zugewiesenen (Stimm-) Rechte (Nr. 4) Nr. 4 der Anlage ergänzt § 9 StaRUG und stellt klar, dass den Anforderungen an die Klarheit 34 des Plans nicht allein durch Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen und Erläuterung der Gruppenzuordnung Genüge getan ist, sondern die Planbetroffenen namentlich der jeweiligen Gruppe zuzuordnen und die ihnen jeweils in der Gruppe zugeordneten Forderungen/ Rechte und das daraus abgeleitete Stimmrecht anzugeben sind. Die namentliche Einteilung der Planbetroffenen in die Gläubigergruppen ist daher unerlässlich. Die Einzelheiten der Zulässigkeit und nötigen Begründung der Bildung der Gruppen ergeben 35 sich unmittelbar aus § 9 StaRUG (§ 9 Rz. 2 f.). e) Individualisierung der Nicht-Planbetroffenen (Nr. 5) Besondere Bedeutung für die Beurteilung der Angemessenheit und Sachgerechtigkeit des Re- 36 strukturierungsplans hat die Auswahl der Planbetroffenen bzw. deren in den Plan einbezogenen Forderungen, die das Verfahren wesentlich charakterisiert. Die Kriterien hierfür sind in § 8 StaRUG (§ 8 Rz. 9) geregelt. Mit dem Erfordernis, auch die nicht vom Restrukturierungsplan betroffenen Gläubiger bzw. die nicht betroffenen Forderungen in anderem Zusammenhang planbetroffener Gläubiger zu benennen, folgt der Gesetzgeber Forderungen in der Lite-

29 Madaus in Flöther, SanierungsR, Rz. 173.

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§ 5 Rz. 36 | Gliederung des Restrukturierungsplans ratur.30 In der Gesamtschau von § 5 Satz 2 StaRUG i.V.m. Nr. 5 der Anlage, § 8 und § 10 StaRUG bringt der Gesetzgeber das Prinzip zum Ausdruck, dass der Restrukturierungsplan im Grundsatz alle einbeziehungsfähigen Gläubiger als Planbetroffene einzubeziehen und zu berücksichtigen hat und eine sachliche Beschränkung des Anwendungsbereichs des Restrukturierungsplans durch Außerachtlassung einzelner Gläubiger der besonderen sachlichen Rechtfertigung bedarf;31 die Teilkollektivität des Restrukturierungsverfahrens ist daher ein Privileg, dessen Inanspruchnahme durch den Schuldner mit einer besonderen Begründungslast verbunden ist. Nur die Benennung sämtlicher nicht planbetroffenen Gläubiger erlaubt die Beurteilung, ob das aus § 8 StaRUG folgende Sachgerechtigkeitskriteriums und das aus § 10 StaRUG folgende Gleichbehandlungsgebots erfüllt sind.32 Die Transparenz in Bezug auf sämtliche nicht einbezogenen Gläubiger ist daher wesentlicher Bestandteil des gesetzgeberischen Konzepts zur Missbrauchsvermeidung.33 37 Für die Ausgestaltung der Individualisierung der nicht Planbetroffenen gelten dieselben

Grundsätze wie für die Individualisierung der Planbetroffenen (Rz. 31).

f) Benennung des Restrukturierungsbeauftragten (Nr. 6) 38 Ist bereits ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, gleich in welcher Funktion, so ist dieser

im Restrukturierungsplan einschließlich seiner Kontaktinformationen konkret zu bezeichnen, um es einem jeden Planbetroffenen zu ermöglichen, sich für etwaige Rückfragen an diesen zu wenden. g) Auswirkungen auf Arbeitnehmer (Nr. 7)

39 Nr. 7 der Anlage ist in Zusammenhang mit dem Erfordernis, bereits im Rahmen der Darstel-

lung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners nach Nr. 2 auch die Position der Arbeitnehmer darzulegen, zu lesen. Die Vorschrift dient im Wesentlichen der Transparenz, kann in Zusammenhang mit § 6 Abs. 1 Satz 3 StaRUG jedoch auch unmittelbaren Einfluss auf die Umsetzung des Restrukturierungsplans haben, was sodann gesondert darzustellen ist (Rz. 29 f.).

40 Ferner trägt die Vorschrift dem Umstand Rechnung, dass es sich bei dem Restrukturierungs-

verfahren um ein weitgehend konsensuales Verfahren handelt, weshalb auch die Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertretung darzustellen sind. Dies dient nicht zuletzt der Sensibilisierung des Schuldners dafür, alle wesentlichen Stakeholder transparent in die Umsetzung des Restrukturierungskonzepts einzubinden. h) Neue Finanzierungen (Nr. 8)

41 Nach § 12 StaRUG kann der Restrukturierungsplan die Aufnahme neuer Finanzierungen vor-

sehen. Dabei handelt es sich nicht um eine Öffnungs-, sondern um eine materielle Beschränkungsvorschrift (§ 12 Rz. 2). Die Norm stellt weniger klar, dass neue Finanzierungen zum Bestandteil des Restrukturierungskonzepts und damit des Restrukturierungsplans gemacht werden können, als sie vielmehr die Zulässigkeit solcher neuen Finanzierungen als Bestandteil des Konzepts von besonderen Voraussetzungen abhängig macht.34 Daraus folgt dann aber

30 31 32 33 34

Hölzle, ZIP 2020, 585, 594 f. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 20, 6 ff. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 8 f. Hölzle, ZIP 2020, 585, 594 f. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 12 StaRUG Rz. 13.

202 | Hölzle

Gliederung des Restrukturierungsplans | Rz. 47 § 5

unweigerlich, dass die für die sachliche Rechtfertigung erforderlichen Gründe im Plan anzugeben sind. Nr. 8 der Anlage stellt dies sicher. Da das Erfordernis neuer Finanzierungen für die Umsetzungsfähigkeit des Plans regelmäßig 42 von besonderer Bedeutung sein dürfte, das Restrukturierungsgericht die Planbestätigung aber zu versagen hat (§ 63 Abs. 2 StaRUG), wenn das Restrukturierungskonzept unschlüssig ist, sollte auf die Begründung der Erforderlichkeit und der Umsetzbarkeit der neuen Finanzierungen – einschließlich ihrer Besicherung – große Sorgfalt verwendet und diese detailliert ausgestaltet werden.35

3. Ungeschriebene Mindestangaben Neben den geschriebenen Mindestangaben des Plans hat dieser, folgend aus dem Trans- 43 parenzgebot und dem modularen Aufbau der Instrumente des Verfahrens auch weitere, ungeschriebene Mindestangaben zu enthalten, um den Gläubigern die effektive Wahrnehmung ihrer Rechte zu ermöglichen. Die Planbetroffenen haben im Verfahren verhältnismäßig geringe Einflussnahmemöglich- 44 keiten. Ihnen die wenigen Möglichkeiten bestmöglich zu erhalten, liegt daher auch in der Verantwortung des Schuldners und in der Natur des Verfahrens als grundsätzlich konsensualem Restrukturierungsverfahren. Das Gebot der Planklarheit und Vollständigkeit erfordert daher, dass der Schuldner im Plan auch Angaben dazu macht, welchen prozeduralen Weg er für die Umsetzung des Restrukturierungsplans wählt. Das Gesetz eröffnet die privatautonome Abstimmung im schriftlichen Verfahren, im Rahmen einer Planbetroffenenversammlung oder im Rahmen eines gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermins. Außerdem muss der Schuldner im Plan angegeben, ob und ggf. mit welchem Ergebnis eine 45 Vorprüfung stattgefunden hat. Weder darf der Schuldner das Ergebnis einer Vorprüfung verschweigen, noch darf er unterschlagen, in welchen Punkten er den Plan infolge der gerichtlichen Vorprüfung geändert hat. Nur unter Berücksichtigung der Planexegese ist den Planbetroffenen eine umfassende Beurteilung des Konzepts und seiner Umsetzung möglich. Schließlich soll der Schuldner angeben, ob er beabsichtigt, den Plan gerichtlich bestätigen zu 46 lassen oder erwartet, dass dies erforderlich werden wird.

VI. Anlagen (§ 5 Satz 3 StaRUG) Der Restrukturierungsplan ist zwingend um die in §§ 14 und 15 StaRUG genannten Anlagen 47 zu ergänzen. Deren Ausgestaltung und Inhalt ergibt sich aus den dortigen Vorschriften selbst. Bei den Anlagen handelt es sich damit um den verpflichtenden dritten Teil des Restrukturierungsplans neben dem darstellenden und dem gestaltenden Teil. Die Vorlage der nach § 5 Satz 3 StaRUG geschuldeten Anlagen ist nicht verzichtbar. Der Vorschrift ist nur durch solche Anlagen genüge getan, welche die inhaltlichen Anforderungen der §§ 14 und 15 StaRUG erfüllen. Die Vorlage inhaltlich ungenügender Anlagen führt zu einem formalen Verstoß gegen die gesetzlich vorgegebene Gliederung des Restrukturierungsplans und damit zu einem von Amts wegen zu beachtenden Bestätigungshindernis.

35 Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 5 StaRUG Rz. 30.

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§ 6 Rz. 1 | Darstellender Teil

§6 Darstellender Teil (1) 1Der darstellende Teil beschreibt die Grundlagen und die Auswirkungen des Restrukturierungsplans. 2Der darstellende Teil enthält alle Angaben, die für die Entscheidung der von dem Plan Betroffenen über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind, einschließlich der Krisenursachen und der zur Krisenbewältigung vorzunehmenden Maßnahmen. 3Soweit Restrukturierungsmaßnahmen vorgesehen sind, die nicht über den gestaltenden Teil des Plans umgesetzt werden können oder sollen, sind sie im darstellenden Teil gesondert hervorzuheben. (2) 1Der darstellende Teil enthält insbesondere eine Vergleichsrechnung, in der die Auswirkungen des Restrukturierungsplans auf die Befriedigungsaussichten der Planbetroffenen dargestellt werden. 2Sieht der Plan eine Fortführung des Unternehmens vor, ist für die Ermittlung der Befriedigungsaussichten ohne Plan zu unterstellen, dass das Unternehmen fortgeführt wird. 3Dies gilt nicht, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist. (3) Sieht der Restrukturierungsplan Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Absatz 4) vor, sind in die Darstellung auch die Verhältnisse des die Sicherheit gewährenden verbundenen Unternehmens und die Auswirkungen des Plans auf dieses Unternehmen einzubeziehen. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). Schrifttum: Brinkmann, Zur Haftungs- und Organisationsverfassung der juristischen Person nach dem StaRUG, KTS 2021, 303; Hölzle, Zur Begründung und Ausgestaltung einer Restrukturierungsverschleppung, in FS Gehrlein, 2022, S. 261–283; Kuntz, Geschäftsleiterhaftung bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach StaRUG, ZIP 2021, 597; Skauradszun, Grundfragen zum StaRUG – Ziele, Rechtsnatur, Rechtfertigung, Schutzmechanismen, KTS 2021, 1; Skauradszun, Die Vergleichsrechnung nach § 220 II InsO nF, ZIP 2021, 1091; Tan/Lambrecht, Die Quotenvergleichsrechnung im Insolvenzplan als Instrument der Interessenverfolgung, NZI 2019, 249; Thole, Anm. zu AG Köln, Beschluss vom 3.3.2021 – 83 RES 1/21, Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach StaRUG – Gegenstände des Restrukturierungsplans, NZI 2021, 436.

I. Regelungsgegenstand 1 Die Vorschrift knüpft an § 220 InsO und an die in dessen Anwendungsbereich geltende

Rechtsprechung1 an, wonach der darstellende Teil alle Angaben zu den Grundlagen und den Auswirkungen des Plans enthalten muss, die für die Entscheidung der Gläubiger über die Zustimmung zum Plan und für dessen etwaige gerichtliche Bestätigung erheblich sind. Hierzu muss der Plan zwingend eine Vergleichsrechnung enthalten, die den Umfang der Gläubigerbefriedigung bei Annahme und alternativ im Falle der Ablehnung des Plans erläutert und die Beteiligten so darüber unterrichtet, inwieweit der Plan ihre Befriedigungsaussichten verändert. Über die zu § 220 InsO bekannte Rechtsprechung hinaus stellt die Restrukturierungsrichtlinie besondere Anforderungen an den Inhalt des Restrukturierungsplans, die der besseren Lesbarkeit wegen in die Anlage zu § 5 Satz 2 StaRUG (§ 5 Rz. 18) ausgelagert ist. Die Vorschrift ist des § 6 StaRUG ist daher nicht abschließend. Weitere Anforderungen an den Inhalt des darstellenden Teils ergeben sich insbesondere auch aus § 8 StaRUG (§ 8 Rz. 1).2

1 BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 2 Wie hier Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 1.

204 | Hölzle

Darstellender Teil | Rz. 5 § 6

Die Information der Planbetroffenen und gegebenenfalls des Restrukturierungsgerichts im 2 Rahmen des darstellenden Teils beschränkt sich allerdings nicht auf die mit dem Plan umzusetzenden Restrukturierungsmaßnahmen und deren unmittelbaren Auswirkung auf die Befriedigungsaussichten der Gläubiger. Vielmehr ist im darstellenden Teil auch umfassend darzulegen, welche weiteren außerhalb des Restrukturierungsplans umzusetzenden Maßnahmen geplant oder bereits vollzogen sind. Darzustellen sind sämtliche Maßnahmen, die mittelbar oder unmittelbar bei abstrakt-genereller Betrachtung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines verständigen durchschnittlichen Planbetroffenen potentiell oder tatsächlich geeignet sein können, Einfluss auf die Entscheidung über die Zustimmung zum Restrukturierungskonzept zu nehmen. Im Gleichlauf mit der in § 220 Abs. 2 InsO eingefügten Klarstellung, dass der Insolvenzplan 3 eine Vergleichsrechnung enthalten muss, ist deren Darstellung auch im Restrukturierungsplan obligatorisch. Die Vergleichsrechnung muss dabei grundsätzlich ein kongruentes Vergleichsszenario3 bilden, darf also bei Fortführung des Unternehmens in Umsetzung des Restrukturierungsplans im Alternativszenario die Liquidation des Unternehmens nur unter besonderen, vom Schuldner darzulegenden und nötigenfalls glaubhaft zu machenden Umständen unterstellen. Hierdurch sollen nach dem Willen des Gesetzgebers Gestaltungsspielräume für Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen eingeschränkt werden.4 Die strengen Anforderungen an den Mindestinhalt des darstellenden Teils des Restrukturie- 4 rungsplans, die über die im Anwendungsbereich des § 220 InsO bekannten Vorgaben hinausgehen, stehen nicht zur Disposition des Schuldners. Fehlen Angaben oder genügen diese nicht den strengen Anforderungen an die dem Schuldner auferlegte Informationslast, so ist dem Plan die gerichtliche Bestätigung von Amts wegen zu versagen (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG).

II. Normzweck Durch den Restrukturierungsplan als Kernstück des StaRUG erhält der Schuldner die Mög- 5 lichkeit, rechtsgestaltend in Rechte seiner Gläubiger einzugreifen. Diese ihm eingeräumte Rechtsmacht ist gesetzlich dadurch legitimiert, dass der Schuldner erstens bereits drohend zahlungsunfähig ist,5 die Rechte der Gläubiger daher bei typisiert-objektivierter Betrachtung bereits gefährdet sind, zweitens die betroffenen Gläubiger durch den Restrukturierungsplan nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne den Plan stünden6 und drittens nicht tiefer in ihre Rechte eingegriffen wird, als zur nachhaltigen Bestandssicherung des schuldnerischen Unternehmens nötig.7 Ein jeder Planbetroffener und das Restrukturierungsgericht müssen in die Lage versetzt werden, diese drei Legitimationsansätze zu prüfen, jedenfalls aber zu plausibilisieren. An diesem Zweck muss sich der darstellende Teil des Restrukturierungsplans messen lassen. Der Normzweck des § 6 StaRUG besteht daher darin, dem betroffenen Gläubiger und dem Restrukturierungsgericht die Prüfung der Legitimation der den Planbetroffenen abgerungenen Eingriffe zu ermöglichen. Der darstellende Teil des Restrukturierungsplans muss daher alle Angaben zu den Grundlagen und den Auswirkungen des Plans enthalten, die für die Entscheidung der Gläubiger über die Zustimmung zum Plan und für dessen etwaige

3 4 5 6

Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 17. BT-Drucks. 19/24181, S. 116. BT-Drucks. 19/24181, S. 90. BT-Drucks. 19/24181, S. 116, s. auch § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG, für dessen Subsumtion die Vergleichsrechnung nach § 6 StaRUG die Grundlage bildet, vgl. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 25–28 StaRUG Rz. 16 ff. 7 Sog. „Verbot der Übersanierung“, ausf. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 15; in der Sache ebenso Skauradszun, KTS 2021, 1, 24 f.

Hölzle | 205

§ 6 Rz. 5 | Darstellender Teil Bestätigung durch das Restrukturierungsgericht erheblich sind.8 Aus diesem Grund darf sich der darstellende Teil, anders als der Gliederungstitel vermuten lässt, nicht allein in der Darstellung der Maßnahmen erschöpfen, sondern muss diese auch in hinreichend prüfbarer Form begründen. 6 Begründungsmängel gehen zu Lasten des Schuldners. Berücksichtigungsfähig im Rahmen

der Legitimationsprüfung sind dabei allein die im Plan angegebenen Kriterien.9 Andere als die im Plan angegebenen Kriterien und Gründe dürfen im Rahmen der Legitimationsprüfung – sei es von Amts wegen, sei es im Rahmen eines Minderheitenschutzantrages oder einer Beschwerde gegen die Planbestätigung – nicht berücksichtigt werden. Ein Begründungsmangel wirkt sich daher unmittelbar als Legitimationsmangel aus, unabhängig davon, ob die betreffende Maßnahme bei hinreichender Begründung legitimierbar gewesen wäre.

III. Historie und EU-Richtlinien Grundlage 7 § 6 StaRUG ist Teil des nach Art. 8 Restrukturierungs-RL geforderten Mindestinhalts von

Restrukturierungsplänen. Die Umsetzung des von Art. 8 Restrukturierungs-RL geforderten Inhalts erfolgt insgesamt durch die §§ 5–15 StaRUG einschließlich der Anlage zu § 5 Satz 2 des Gesetzes.

8 Durch die Anforderungen des Art. 8 Restrukturierungs-RL gehen die formalen Anforderun-

gen an den Restrukturierungsplan über die geschriebenen Anforderungen an einen Insolvenzplan hinaus. Zudem hat der deutsche Gesetzgeber im Interesse des Gläubigerschutzes mit § 6 Abs. 2 Satz 2 StaRUG die Richtlinie sogar überschießend umgesetzt, da die Richtlinie die Unterstellung der Fortführung des Unternehmens im Vergleichsszenario gerade nicht verlangt.10

IV. Anforderungen an den Inhalt des darstellenden Teils (§ 6 Abs. 1 StaRUG) 1. Gebot der Planklarheit, der Verständlichkeit und der Vollständigkeit a) Allgemeine Anforderungen 9 Der Normzweck des § 6 Abs. 1 StaRUG verlangt eine an den Grundsätzen der Wahrheit,

Klarheit, Vollständigkeit und Verständlichkeit ausgerichtete Darstellung, die ihrerseits eine an den Wissensstand der Adressaten angepasste und eindeutige, insbesondere nicht missverständliche oder irreführende Ausdrucksweise, eine aus sich heraus nachvollziehbarer Darstellung und eine übersichtliche Gestaltung in Aufbau und Struktur erfordert.11 Die Anforderungen an den darstellenden Teil des Restrukturierungsplans sind dabei strenger, als an denjenigen des Insolvenzplans.12 Die insoweit geforderte Transparenz ist Ausdruck des den das Gesetz beherrschenden Gedankens, dass die Rechtsordnung die Verfahrenshilfen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ernsthaft betriebenen Restrukturierungsvorhaben vorbehält, die mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit vorbereitet und umgesetzt werden. Dazu gehört ein planmäßiges und nachvollziehbares Vorgehen, welches den Gläubigern und dem Gericht gegenüber transparent zu machen ist.13 8 9 10 11 12 13

BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. Skauradszun, KTS 2021, 1, 23. Vgl. dazu ausführlich bereits § 5 StaRUG Rz. 12 f. Wienberg/Dellit in Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, Rz. 13.44 ff. BT-Drucks. 19/24181, S. 134.

206 | Hölzle

Darstellender Teil | Rz. 14 § 6

Der konkret zu verlangende Umfang der geforderten Darstellung ist im Gesetz zu Recht nicht 10 geregelt, da dieser vom Umfang und der jeweiligen wirtschaftlichen Bedeutung des Unternehmens, dem Ausmaß der beabsichtigten Maßnahmen und den konkreten, durch den Plan ausgelösten Folgen abhängig ist.14 Die Darstellung hat dabei in einer Tiefe zu erfolgen, die aus dem objektivierten Empfängerhorizont des durchschnittlichen Planbetroffenen ausreichend ist, um eine informierte Entscheidung zu treffen und so die Grundlage für die Abstimmung oder jedenfalls für Nachfragen und die Möglichkeit einer sachgerechten Erörterung zu schaffen.15 Somit sind sämtliche Angaben zu den Umständen erforderlich, die potentiell Einfluss auf die Befriedigungschancen der Gläubiger in dem vorgeschlagenen Planszenario ebenso wie in dem Alternativszenario der Vergleichsberechnung haben können.16 Der potentielle Einfluss bestimmter Umstände auf das Abstimmungsverhalten beschränkt 11 sich nicht auf solche, die Gegenstand des durch den Plan umzusetzenden Restrukturierungskonzepts sind. Vielmehr gebietet das Gebot der Vollständigkeit, dass den Planbetroffenen die Gesamtschau des Restrukturierungskonzepts darzustellen ist,17 um ihnen eine sachgerechte Bewertung des Restrukturierungsplans sowie dessen Einordnung in das Gesamtkonzept am Maßstab ihrer eigenen Interessen zu ermöglichen.18 Dies gilt insbesondere, wenn die Umsetzungsfähigkeit und der Erfolg des Restrukturierungsplans (auch) von Umständen und Maßnahmen abhängig ist, die außerhalb des Planverfahrens selbst umzusetzen sind. Dies schließt die Darstellung sämtlicher Begleitmaßnahmen, insbesondere auch solcher im Plan nicht regelungsfähiger personalwirtschaftlicher Maßnahmen, aber auch die umfassende Darlegung möglicher Haftungsverhältnisse ein.19 Die Regelungen des Restrukturierungsplans sind zwar grundsätzlich auslegungsfähig,20 müs- 12 sen aber in sich widerspruchsfrei sein, weshalb mehrdeutige und folglich irreführende Regelungen, die einen falschen Eindruck erwecken können, gegen den Grundsatz der Planklarheit verstoßen. Der Plan erfordert eine widerspruchsfreie Konzeption und muss seinem Inhalt nach so gefasst werden, dass er weder Widersprüche noch Zweifel aufkommen lässt, welche den Gegenstand und Umfang der Rechte der Planbetroffenen betreffen oder etwa die künftige Vollstreckbarkeit (§ 71 StaRUG) beeinträchtigen können.21 b) Besondere Anforderungen an die Darstellung des Restrukturierungskonzepts Dem Normzweck (Rz. 5 f.) folgend ist die Darstellung des Restrukturierungskonzepts nur 13 dann geeignet, die sachgerechte Bewertung des Restrukturierungsplans durch die Planbetroffenen zu ermöglichen, wenn sich diese zumindest an den von der Rechtsprechung für Restrukturierungskonzepte aufgestellten Mindestanforderungen orientiert.22 Zwar muss das Sanierungskonzept keinen bestimmten formalen Erfordernissen genügen, 14 wie sie beispielsweise vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) aufgestellt werden,23 jedoch muss das Konzept ungeachtet der Form der Darstellung (i) auf Grundlage einer Analyse des Ist-Zustandes und der erkannten und erkennbaren Tatsachen in sich schlüssig aufgestellt wer-

14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499. BGH v. 3.12.2009 – IX ZB 30/09, ZIP 2010, 341. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499. BT-Drucks. 19/24181, S. 116. BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640. Ausführlich auch Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 7, § 32 StaRUG Rz. 36. BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, ZIP 2006, 39. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 6. Dazu z.B. Lachmann in MünchAnwHdb. Insolvenz und Sanierung, 3. Aufl. 2019, § 8 Rz. 4. BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, NZI 2016, 636 = ZIP 2016, 1235.

Hölzle | 207

§ 6 Rz. 14 | Darstellender Teil den und darf nicht offensichtlich undurchführbar sein, (ii) auf der Beurteilung eines branchenkundigen Fachmanns beruhen, dem die vorgeschriebenen oder üblichen Buchhaltungsunterlagen zeitnah vorlagen, (iii) aus diesen Unterlagen eine branchenspezifische Analyse der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens hergeleitet werden, welche die Krisenursache sowie die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage des Unternehmens erfasst.24 Auf Basis dieser umfassenden Analyse muss (iv) die ex ante-Beurteilung eines objektiven Dritten die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens und die objektive Eignung der in Aussicht genommenen Maßnahmen, die Sanierung in überschaubarer Zeit bewältigen zu können, ergeben.25 Das Konzept muss daher die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigen.26 Der zu erreichende Erfolg definiert sich dabei durch das Restrukturierungsziel, nämlich die nachhaltige Sanierung im Sinne einer mindestens dreijährigen Bestandssicherung des Unternehmens. Das weitere Erfordernis aus der Rechtsprechung des BGH,27 dass das Sanierungskonzept in den Anfängen bereits in die Tat umgesetzt worden sein muss, tritt im Rahmen der Beurteilung des Restrukturierungsplans demgegenüber in den Hintergrund, weil die (Vorbereitung der) Unterbreitung des Planangebots den Beginn der Umsetzung regelmäßig hinreichend dokumentiert.28 Dabei ist, wie sich aus Nr. 2 der Anlage zu § 5 Satz 2 StaRUG ergibt (§ 5 Rz. 22 f.), auf das Gesamtvermögen des Schuldners ab- und dieses vollständig und fehlerfrei darzustellen. 15 Hat der Schuldner durch einen fachkundigen Dritten ein umfassendes Sanierungskonzept

erstellen lassen, z.B. auf Grundlage des Standards IDW S 6, so genügt dies zwar grundsätzlich den inhaltlichen Anforderungen; jedoch ist es nicht genügend, dieses lediglich als Anlage dem Restrukturierungsplan beizufügen und darauf zu verweisen, da damit den Anforderungen an das Gebot der Planklarheit und Verständlichkeit nicht hinreichend Rechnung getragen würde. Der Grundsatz der Planklarheit verlangt, dass die wesentlichen Erläuterungen im Restrukturierungsplan selbst unter deutlichem Hinweis auf die Anlage jedenfalls noch einmal zusammengefasst werden (§ 5 Rz. 21).

16 Der darstellende Teil des Restrukturierungsplans kann sich daher nicht auf die Erläuterung

einzelner Maßnahmen beschränken, sondern muss ein ganzheitliches, integriertes Sanierungskonzept substantiiert in einer Weise darstellen, die es den Planbetroffenen ermöglicht, die Schlüssigkeit des vorgesehenen Konzepts jedenfalls zu plausibilisieren, nötigenfalls auch zu prüfen.29 Fehlt die Darstellung eines Umstandes, der Einfluss auf die Annahme des Plans gehabt haben kann,30 so führt dies bereits dazu, dass die Bestätigung des Plans nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG von Amts wegen zu versagen ist. c) Bestimmung der Folgen der Planannahme

17 Dem Gebot der Planklarheit und der Verständlichkeit ist es auch geschuldet, dass § 6 Abs. 1

Satz 1 StaRUG ausdrücklich verlangt, dass die Auswirkungen des Plans auf die Rechte der Gläubiger klar benannt werden. Der darstellende Teil darf sich daher nicht in der Beschreibung der Krisenursachen und der Maßnahmen zu ihrer Bewältigung sowie der nachvollziehbaren Begründung für die Erforderlichkeit dieser Maßnahmen erschöpfen, sondern muss auch die jeweiligen Folgen der Umsetzung der Maßnahmen unmissverständlich benennen. 24 Zu diesen Voraussetzungen insgesamt BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561 = ZIP 1998, 248; zuletzt auch BGH v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, NZI 2018, 840 = ZIP 2018, 1794. 25 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279. 26 BGH v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, NZI 2018, 840 = ZIP 2018, 1794. 27 BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276; BGH v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, NZI 2018, 840 = ZIP 2018, 1794. 28 Wie hier Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 8. 29 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 9. 30 So für den Insolvenzplan BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640.

208 | Hölzle

Darstellender Teil | Rz. 21 § 6

Aus der Darstellung der Folgen der Planumsetzung muss jeder Planbetroffene in der Lage 18 sein, die individuellen Auswirkungen der Umsetzung des Restrukturierungsplans auf seine Rechte zweifelsfrei zu erkennen.31 d) Begründung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Darstellung von potentiellen Haftungsansprüchen

Aus dem Normzweck, dass die Erläuterungen im darstellenden Teil die Prüfung der Legitimati- 19 on des durch den Plan zu vollziehenden Eingriffs in Gläubigerrechte ermöglichen soll (Rz. 5 f.) und der Tatsache, dass nicht nur Legitimations- und Bestätigungsvoraussetzung, sondern Voraussetzung für die Einleitung des Verfahrens insgesamt der Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ist, folgt, dass der darstellende Teil sich in prüfbarer Weise zu dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 18 InsO zu verhalten und die der Zahlungsfähigkeitsprognose zugrundeliegenden Prämissen begründet darzustellen hat. Die Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit verlangt – im Bestätigungsverfahren (§ 63 StaRUG) – die vollständige richterliche Überzeugung von dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit.32 Auf die Darstellung und Begründung des Tatbestandes des § 18 InsO ist daher besondere Sorgfalt zu verwenden.33 Der ausdrückliche und erläuternde Verweis auf eine Anlage, z.B. in Gestalt einer gutachterlichen Ermittlung, ist nicht nur zulässig sondern ratsam. Gleichzeitig erfordert die Darstellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch begründete 20 Ausführungen dazu, weshalb die drohende Zahlungsunfähigkeit nicht auch eine Überschuldung i.S.d. § 19 InsO begründet, da der Restrukturierungsrahmen bereits überschuldeten Schuldnern nicht zur Verfügung steht.34 Regelmäßig wird der Restrukturierungsplan daher plausibel darzustellen haben, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 24 Monate (Prognosezeitraum § 18 InsO), nicht jedoch vor Ablauf von zwölf Monaten bzw. – im Zeitraum vom 9.11.2022 bis 31.12.2023 aufgrund der durch das SanInsKG temporär geltenden Verkürzung des Prognosezeitraums in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO – vier Monaten (Prognosezeitraum § 19 InsO) droht („Sanierungsfenster“). Allerdings schließt dies erfolgreiche Restrukturierungsverfahren auch innerhalb des letzten Jahres vor prognostischem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nicht aus, da der überwiegend wahrscheinliche erfolgreiche Abschluss des Restrukturierungsverfahrens im Rahmen der Fortbestehensprognose nach § 19 InsO berücksichtigt werden darf.35 In diesem Fall muss der Restrukturierungsplan jedoch begründete und belegbare Ausführungen dazu enthalten, weshalb der erfolgreiche Abschluss des Verfahrens überwiegend wahrscheinlich ist. Dies kann z.B. unter Hinweis auf den nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG darzustellenden Stand der Verhandlungen mit den Gläubigern geschehen. Aus der Verpflichtung zur sorgsamen Darstellung des Eintritts der drohenden Zahlungsunfä- 21 higkeit i.S.d. § 18 InsO folgt zugleich, dass sich der darstellende Teil des Restrukturierungsplans auch zu möglichen Haftungsansprüchen gegen Organe des Schuldners verhalten muss.36 Da nämlich bei zutreffender Auslegung des § 1 StaRUG mit dem Zeitpunkt des Eintritts der drohenden Zahlungsunfähigkeit von den Geschäftsleitern vorrangig das Gläubigerinteresse zu berücksichtigen ist („shift of duties“),37 ist bei Einleitung des Verfahrens das Be31 32 33 34 35

Nochmals BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640. AG Köln v. 3.3.2021 – 83 REs 1/21, ZIP 2021, 806. Friel/Ellers in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 17. Vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG; s. auch BT-Drucks. 19/24181, S. 90. BT-Drucks. 19/24181, S. 91, 137, 197; vgl. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 8. 36 Vgl. für die Darstellung von Anfechtungsansprüchen in der Vergleichsrechnung des Insolvenzplans AG Hamburg v. 20.5.2014 – 67c IN 232/13, ZIP 2014, 1601. 37 Str., vgl. ausführlich zum Streitstand und zur Begründung des „shift of duties“ und einer daraus folgenden Restrukturierungsverschleppungshaftung Hölzle in FS Gehrlein, 2022, S. 261, 269; zum Streit-

Hölzle | 209

§ 6 Rz. 21 | Darstellender Teil stehen solcher Ansprüche jedenfalls denkbar. Da der Plan jedoch vollständig, richtig und transparent über das gesamte Vermögen des Schuldners zu informieren hat, gehören dazu eben auch mögliche Haftungsansprüche. Dringend anzuraten ist, hierzu auch dann im Sinne einer Negativmeldung Stellung zu nehmen, wenn und soweit sich die Geschäftsleitung, wie regelmäßig zunächst zu unterstellen, lege artis verhalten hat.

2. Begrenzung des Eingriffs auf das erforderliche Maß (Verbot der Übersanierung) 22 Die strengen Anforderungen an die Darstellung des Restrukturierungsvorhabens und die in sei-

ner Umsetzung vorzunehmenden Maßnahmen und Eingriffe in die Gläubigerrechte verfolgen gerade auch das Ziel, dass der Schuldner sich nicht ohne eine fundierte Begründung größere Spielräume für Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen soll verschaffen können, als für die nachhaltige Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens erforderlich.38 Der Eingriff in Rechte der Gläubiger zur Verwirklichung ernsthafter und gewissenhafter Restrukturierungsvorhaben steht daher unter dem Vorbehalt, dass der Schuldner von den zur Verfügung gestellten Instrumentarien verantwortungsvollen Gebrauch im Interesse der Gläubigerschaft macht.39 Das aber hat zur Folge, dass nicht wie in der Insolvenz eine Maximierung der Eingriffe bis zur Grenze des – auch gestückelten – Verkaufs des Unternehmens ausgereizt werden kann, sondern die Eingriffe in die Beteiligtenrechte so gering wie möglich zu halten sind.40

23 Aus dieser Beschränkung der Eingriffsmacht des Schuldners auf das im Gläubigerinteresse er-

forderliche Maß folgt ein Verbot der Übersanierung durch den Restrukturierungsplan.41

24 Danach muss einerseits die Bestimmung des Restrukturierungsziels in Relation zu dem Aus-

maß der Krise, müssen andererseits die im Restrukturierungsplan vorgesehenen Maßnahmen in Ansehung des zu erreichenden Restrukturierungsziels verhältnismäßig sein, also den Maßstäben der Erforderlichkeit, Geeignetheit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne genügen. In Ansehung der in § 14 Abs. 1 StaRUG klar bestimmten Zielsetzung, wonach dem Restrukturierungsplan die begründete Erklärung zu den Aussichten darauf beizufügen ist, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners durch den Plan beseitigt wird, und dass die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicher- oder wiederhergestellt wird, ist damit allein die Bestandsfähigkeit des Schuldners das nach der Vorstellung des Gesetzgebers mit der präventiven Restrukturierung zu erreichende Ziel. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.42

25 Die Bindung des Schuldners an das Gläubigerinteresse vor allem auch bei Ausgestaltung der

Tiefe des mit dem Restrukturierungsplan vorgesehenen Eingriffs in die Rechte der Betroffenen findet seine Rechtfertigung auch darin, dass den Gesellschaftern gerade kein über die reine Bestandssicherung des Unternehmens hinausgehender Sanierungsmehrwert zugewiesen werden soll. Eine solche Zuweisung von Werten an die Gesellschafter ist nur im Ausnahmefall zulässig und gerechtfertigt, wie in § 28 Abs. 2 StaRUG deutlich zum Ausdruck kommt. Durch den Restrukturierungsplan dürfen daher keine größeren Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen vorgenommen werden, als für die Überwindung der konkreten Krise erforderlich. Der Gestaltungsfreiheit des Schuldners hinsichtlich der Art der vorzunehmenden Eingriffe sind damit keine Grenzen gesetzt. Die Wahl der Sanierungsmittel obliegt nach wie vor allein der Gestaltungsfreiheit des Schuldners. Lediglich die Eingriffstiefe, nämlich der Um-

38 39 40 41 42

stand außerdem Thole, BB 2021, 1347; Kuntz, ZIP 2021, 597; Bitter, ZIP 2021, 321; Skauradszun/ Amort, DB 2021, 1317; Skauradszun, ZIP 2021, 1091; Brinkmann, KTS 2021, 303. BT-Drucks. 19/24181, S. 116. BT-Drucks. 19/24181, S. 135. Skauradszun, KTS 2021, 1, 24. Ausführlich Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 15 ff. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 20.

210 | Hölzle

Darstellender Teil | Rz. 29 § 6

fang des Eingriffs in die Rechte der Gläubiger und die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Unternehmen sind durch das Verbot der Übersanierung begrenzt. Die Bestimmung des (noch) zulässigen Maßes der Sanierung wird in der Praxis freilich 26 Schwierigkeiten begegnen. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass es nicht auf die Prüfung jeder einzelnen, im Plan vorgesehenen Maßnahme hinsichtlich ihrer Erforderlichkeit ankommt, da die Gestaltungsfreiheit in Bezug auf die Wahl der Mittel gerade unbegrenzt ist, sondern lediglich die Wirkung der Summe aller Maßnahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten muss. Ziel des Verfahrens ist die nachhaltige Sicherung bzw. Wiederherstellung der Bestands- 27 fähigkeit des Schuldners, wie sich aus § 14 Abs. 1 StaRUG ergibt. Nachhaltig ist die Bestandssicherung in Anlehnung an § 33 Abs. 2 Satz 3 StaRUG, wenn sie prognostisch den Bestand des Unternehmens für jedenfalls drei Jahre gewährleistet. Mit einer solchen Prognose gehen immer auch Unwägbarkeiten einher, die in der Vorausschau selbstverständlich mit entsprechenden Risikoabschlägen berücksichtigt werden dürfen. Hinzu kommt, dass die nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit regelmäßig einen Zustand des Unternehmens erfordert, der es ihm ermöglicht, sich die benötigte Liquidität am Kapitalmarkt zu beschaffen.43 Es ist dem Schuldner daher zuzugestehen, dass mit dem Restrukturierungsplan ein Zustand erreicht werden soll, der einem Benchmarking mit Unternehmen im Wettbewerbsumfeld (peer group) standhält und das Unternehmen so für die Zukunft wettbewerbsfähig erscheinen lässt. Die mehrheitliche Zustimmung der Planbetroffenen in der jeweiligen Gruppe liefert zwar ein Indiz dafür, dass von einer Übersanierung nicht auszugehen, sondern der Plan auf ein marktkonformes Maß begrenzt ist;44 legt der widersprechende Gläubiger jedoch dar und macht nötigenfalls glaubhaft, dass die nachhaltige Bestandssicherung auch mit geringeren Eingriffen gewährleistet ist, so ist dieser Widerspruch nicht erst im Rahmen des Minderheitenschutzes nach § 64 StaRUG oder der sofortigen Beschwerde nach § 66 StaRUG zu berücksichtigen, sondern begründet bereits einen Versagungsgrund nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG.

V. Vergleichsrechnung (§ 6 Abs. 2 StaRUG) 1. Grundlagen § 6 Abs. 2 StaRUG stellt klar, dass das Kernelement des darstellenden Teils die Vergleichs- 28 rechnung ist. Es sind die Befriedigungsaussichten der Planbetroffenen bei unterstellter Umsetzung des in Aussicht genommenen Restrukturierungsziels durch den Restrukturierungsplan mit den hypothetischen Befriedigungsaussichten in dem nächst wahrscheinlichen Realisationsszenario zu vergleichen. Mit anderen Worten: Es ist nachvollziehbar darzustellen, wie sich die Befriedigungsaussichten der Planbetroffenen bei Annahme des Restrukturierungsplans und bei dessen Ablehnung voraussichtlich darstellen, wie also der Plan ihre Befriedigungsaussichten verändert.45 Das alternative Vergleichsszenario muss dabei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit er- 29 reichbar sein. Hypothetische Szenarien muss der Restrukturierungsplan nicht in Betracht ziehen.46 Ebenso wenig ist der Vergleich mit einem alternativen Restrukturierungsplan geboten; 43 Vgl. insoweit grundlegend die frühere Definition des Krisenbegriffs im Rahmen des unlängst gestrichenen Eigenkapitalersatzrechts (§§ 32a, 32b GmbHG a.F.) durch den BGH v. 28.9.1987 – II ZR 28/ 87, ZIP 1987, 1541. 44 Zu dem in der Zustimmung liegenden Marktkonformitätstest Skauradszun, KTS 2021, 1, 56 ff. 45 BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 46 AG Hamburg v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZRI 2021, 473.

Hölzle | 211

§ 6 Rz. 29 | Darstellender Teil das Planinitiativrecht liegt alleine beim Schuldner, weshalb der vorgelegte Restrukturierungsplan sich nicht dem Vergleich mit anderen, gegebenenfalls ebenfalls möglichen Restrukturierungsplänen stellen muss.47 30 Das Alternativszenario muss berücksichtigen, was das Schuldnerunternehmen bei Unterblei-

ben der Umsetzung des zur Abstimmung gestellten Restrukturierungsplans mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Zukunft bei alternativ bestmöglicher Wahrung des Gläubigerinteresses zu erwirtschaften in der Lage ist.48 Das Spektrum der zu eruierenden Alternativszenarien ist vielfältig: Es reicht von der Sanierung aus eigener Kraft durch operative und/ oder Reorganisationsmaßnahmen – die regelmäßig aber nicht überwiegend wahrscheinlich sein dürfte, da die Geschäftsleiter in Wahrnehmung ihrer Krisenmanagementpflicht aus § 1 Abs. 1 StaRUG49 (§ 1 Rz. 1) diese Maßnahmen bereits ausgeschöpft haben dürften und es offenkundig nicht gelungen ist, dadurch den Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu verhindern – über den Verkauf außerhalb eines Insolvenzverfahrens bis zu der insolvenzgestützten Fortführung und Sanierung, sei es durch Insolvenzplan oder Verkauf aus dem Insolvenzverfahren heraus.50 Dabei sind vor allem auch sämtliche Sanierungsinstrumente, die (ausschließlich) im Insolvenzverfahren zur Verfügung stehen, zu berücksichtigen und zu bewerten.51 Eine Darstellung sämtlicher Alternativszenarien ist weder erforderlich, noch zu leisten. Sie ist aber vom Gesetz auch nicht gefordert. Der darstellende Teil des Restrukturierungsplans soll den Planbetroffenen die Abwägung der individuellen Folgen einer Planannahme im Vergleich zu demjenigen Szenario ermöglichen, das ohne Planannahme überwiegend wahrscheinlich eintreten wird. Überwiegend wahrscheinlich ist aber in aller Regel nur ein, nämlich das nächstwahrscheinliche Szenario.52 Sind ausnahmsweise einmal zwei oder mehr Alternativszenarien gleichwahrscheinlich, so sind diese dann aber tatsächlich alternativ dem Planszenario gegenüberzustellen.

31 Da der Schuldner definitionsgemäß bereits drohend zahlungsunfähig ist und bei unterstelltem

Verhalten lege artis zu vermuten ist, dass in Ausübung der Krisenmanagementpflicht aus § 1 Abs. 1 StaRUG vor Einleitung des Restrukturierungsverfahrens alle außerinsolvenzlichen Gestaltungsoptionen jedenfalls erwogen worden sind, wird regelmäßig anzunehmen sein, dass ohne Unterbrechung der Entwicklung durch erfolgreiche Umsetzung des Restrukturierungsplans der Eintritt eines Insolvenzgrundes, ggf. gepaart mit einer Insolvenzantragspflicht und damit der Eintritt in das Insolvenzverfahren die nächst- und überwiegend wahrscheinliche Alternative ist. Regelmäßig wird die Vergleichsrechnung daher die Befriedigungsaussichten der Gläubiger bei Umsetzung des Restrukturierungsplans mit denjenigen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens darzustellen haben.53 Der Schuldner sollte allerdings darlegen, weshalb ohne Umsetzung des Restrukturierungsplans eine Insolvenzabwendung nicht überwiegend wahrscheinlich erscheint.

47 Friel/Ellers in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 33; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 16. 48 Skauradszun, KTS 2021, 1, 65. 49 Ausführlich Hölzle in FS Gehrlein, 2022, S. 61, 262 ff. 50 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 6 StaRUG Rz. 60 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Friel/Ellers in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 34; Skauradszun, KTS 2021, 1, 65. 51 Vgl. mit einem „ABC“ der typischerweise vergleichend zu berücksichtigenden Maßnahmen Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, Vor § 32 StaRUG Rz. 26 ff. 52 Ebenso Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 15; a.A. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 6 StaRUG Rz. 59 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); nicht ganz eindeutig AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/ 21, ZIP 2021, 806, insoweit wiederum zu Recht kritisch Thole, NZI 2021, 436, 437. 53 Davon scheint auch der Gesetzgeber auszugehen, wie in § 8 Satz 1 Nr. 1 StaRUG zum Ausdruck kommt.

212 | Hölzle

Darstellender Teil | Rz. 35 § 6

2. Kongruente Vergleichspaarbildung und Pflicht zum „dual track“ Wie § 6 Abs. 2 Satz 2 StaRUG ausdrücklich klarstellt, bedeutet der regelmäßig nächst wahr- 32 scheinliche Vergleich der Auswirkungen des Restrukturierungsplans mit dem Insolvenzszenario (Rz. 31) nicht, dass die Gläubigerinteressen dadurch beschränkt und der Gestaltungsspielraum des Schuldners erhöht werden darf,54 das dem Fortführungsszenario des Restrukturierungsplans ein Liquidationsszenario im Insolvenzverfahren gegenübergestellt wird. Vielmehr ordnet das Gesetz in überschießender Umsetzung der Richtlinie55 an, dass das Vergleichsszenario grundsätzlich kongruent zu dem dem Restrukturierungsplan zugrunde liegenden Szenario zu bilden ist. Sieht der Restrukturierungsplan daher die Fortführung des Unternehmens oder von Teilen desselben vor, so ist auch im Alternativszenario die Fortführung in demselben Umfang zu unterstellen. Etwas anderes gilt nur, wenn der Schuldner fundiert56 begründet, weshalb eine Fortführung außerhalb des Restrukturierungsverfahrens nicht möglich ist. Richtigerweise handelt es sich daher nicht um ein Verbot des Ansatzes von Liquidationswerten im Vergleichsszenario, sondern um ein Gebot der kongruenten Vergleichspaarbildung. Auch im Rahmen des Vergleichs mit einem Insolvenzszenario darf also grundsätzlich nicht 33 unterstellt werden, dass durch die präventive Restrukturierung mittelbar oder unmittelbar Vorteile erzielt werden, die im Rahmen einer insolvenzgestützten Sanierung nicht erzielbar wären. Insbesondere darf der Restrukturierungsplan daher grundsätzlich z.B. nicht unterstellen, dass für die Fortsetzung des Geschäftsbetriebes wesentliche Lieferanten oder sonstige Vertragspartner zwar als Planbetroffene im Rahmen einer präventiven Restrukturierung zur Vertragsfortsetzung bereit sind, dies aber im Rahmen einer insolvenzverfahrensgestützten Sanierung nicht wären. Anders, wenn wesentliche Lieferanten wegen ihrer herausgehobenen Stellung gerade nicht – und in den Grenzen des § 8 StaRUG (§ 8 Rz. 3) zulässig – in die Wirkungen des Planes einbezogen werden, von den Wirkungen eines kollektiven Insolvenzverfahrens aber erfasst würden und genau die sich daraus ergebenden negativen Folgewirkungen vermieden werden sollen. Dies bedarf wegen des Ausnahmecharakters aber einer gesonderten und nachvollziehbaren Begründung.57 Nach § 6 Abs. 2 Satz 3 StaRUG ist ein Abstellen auf Liquidationswerte im Vergleichsszena- 34 rio trotz unterstellter Fortführung im Restrukturierungsplan nur dann zulässig, wenn der Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist.58 Hierfür ist der Schuldner darlegungsverpflichtet. Zweifel gehen zu seinen Lasten.59 Insbesondere hat der Planersteller zu erläutern, weshalb alternative Sanierungs- und Fortführungsszenarien nicht (rechtzeitig) eingeleitet oder erfolglos geblieben sind;60 diese Darstellung muss dann kongruent zu der Darstellung möglicher Haftungsansprüche insbesondere in Ansehung der Krisenmanagementpflicht aus § 1 StaRUG erfolgen. Wegen des Ausnahme- und – vor dem Hintergrund des Verbots der Übersanierung (Rz. 22 ff.) 35 – gläubigerschützenden Charakters der Norm dürfte regelmäßig eine allein gutachterliche Feststellung, dass im gegebenen Marktumfeld die Verkaufsfähigkeit des Unternehmens oder seiner Teile nicht gegeben ist, nicht ausreichen. Die Gesetzesbegründung verlangt ausdrücklich, dass die Unterstellung der Unmöglichkeit der anderweitigen Fortführung oder des Ver-

54 55 56 57 58 59 60

BT-Drucks. 19/24181, S. 116. Skauradszun, KTS 2021, 1, 23. BT-Drucks. 19/24181, S. 116. So Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 17. BT-Drucks. 19/24181, S. 116. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 19. Ebenso Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 21.

Hölzle | 213

§ 6 Rz. 35 | Darstellender Teil kaufs des Unternehmens einer „fundierten Begründung“ bedarf.61 Schon der Wortsinn des Wortes „fundiert“ legt nahe, dass die Begründung entsprechend untermauert und sichergestellt sein muss.62 Dies ist durch eine theoretische Betrachtung der Marktverhältnisse und Fortführungs- bzw. Verwertungsaussichten regelmäßig nur schwer möglich.63 Soweit bereits vor Inkrafttreten des SanInsFoG richtigerweise für die sachgerechte Darstellung von Verwertungsalternativen im darstellenden Teil eines Insolvenzplans die Durchführung eines Verkaufsprozesses (sog. „dual track“) verlangt worden ist,64 so gilt dies nach § 6 Abs. 2 StaRUG und der entsprechenden Änderung des § 220 Abs. 2 InsO de lege lata umso mehr. Für den Ausschluss der Fortführungsfähigkeit, die der Gesetzgeber als unmöglich betitelt, ist daher im absoluten Regelfall der Nachweis eines ergebnislos durchgeführten Verkaufsprozesses erforderlich („obligatorischer dual-track“).65 Dem Einwand, dass ein Verkaufsprozess im Restrukturierungsverfahren keine realistischen Ergebnisse zutage fördert, weil Interessenten regelmäßig nicht an die Ernsthaftigkeit des Prozesses glaubten, ist mit dem Argument zu begegnen, dass die Einbeziehung der Gesellschafter in das Restrukturierungsverfahren grundsätzlich obligatorisch (§ 8 Rz. 40, 42) und deren weitere Beteiligung nur gegen Zahlung eines wertausgleichenden Betrages zulässig ist (§ 28 StaRUG). Dann aber muss sich die Fortsetzung der Gesellschaft in der Hand des bisherigen Gesellschafters an dem Vergleichsangebot des Dritten messen lassen, weshalb jedem das Ergebnis des Restrukturierungsplans übertreffenden Angebot definitionsgemäß eine vom Gesellschafterwillen unabhängige Ernsthaftigkeit zukommt.66 Auch das weitere Argument gegen einen obligatorischen dual-track, das StaRUGVerfahren sei ein nicht öffentliches Verfahren, weshalb ihm durch einen verpflichtenden M&A-Prozess eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Publizität zukomme,67 vermag nicht zu überzeugen: Richtig ist zwar, dass das Restrukturierungsverfahren im Interesse des Schuldners als nicht öffentliches Verfahren ausgestaltet ist. Die konzeptionelle Ausrichtung auf das Schuldnerinteresse ist im Gesetz aber gerade nicht konsequent durchgehalten und tritt in der praktischen Konkordanz mit gläubigerschützenden Vorschriften an zahlreichen Stellen in den Hintergrund.68 Da es sich bei § 6 Abs. 2 StaRUG aber um eine zentrale Norm des Gläubigerschutzes handelt, sind konzeptionelle Erwägungen im Schuldnerinteresse nicht als Auslegungskriterium geeignet. Dasselbe gilt für Zumutbarkeitserwägungen zugunsten des Schuldners69 – der Schutz der Gläubiger im Verfahren ist dem Schuldner nicht nur zumutbar, sondern von ihm unbedingt zu gewährleisten.

VI. Konzerninterne Drittsicherheiten (§ 6 Abs. 3 StaRUG) 36 Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StaRUG darf der Restrukturierungsplan auch in gruppeninterne Dritt-

sicherheiten eingreifen und diese in seinen Anwendungsbereich einbeziehen. Nach § 2 Abs. 4 61 62 63 64

65

66 67 68 69

BT-Drucks. 19/24181, S. 116. Ähnlich Friel/Ellers in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 32. Ebenso Skauradszun, KTS 2021, 1, 67 f., der im Einzelfall jedoch Ausnahmen für zulässig erachtet. Tan/Lambrecht, NZI 2019, 249, 252; Hölzle in Kübler, HRI, 3. Aufl. 2018, § 30 Rz. 48 ff.; in der Sache ähnlich Lüer/Streit in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 220 InsO Rz. 16; Drukarczyk/Schüler in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 245 InsO Rz. 80; a.A. LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, NZI 2019, 31; dagegen wiederum Rendels, EWiR 2018, 345. Nochmals Skauradzun, KTS 2021, 1, 68: „Hier ist aber nicht entscheidend, was rechnerisch ermittelt werden kann, sondern was „hinreichend wahrscheinlich“ am Markt realisierbar ist. Denn mit einem bloßen Rechenwerk kann kein Gläubiger befriedigt werden.“; a.A. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 19. Wie hier Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 20. So Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 19. Vgl. nochmals ausführlich Skauradzun, KTS 2021, 1 ff.: Das StaRUG ist „Diener vieler Herren!“ So aber Böhm in Braun, § 6 StaRUG Rz. 24.

214 | Hölzle

Darstellender Teil | Rz. 41 § 6

Satz 2 StaRUG ist ein solcher Eingriff durch angemessene Entschädigung zu kompensieren (§ 2 Rz. 244). § 2 Abs. 4 StaRUG beinhaltet daher mehr eine verfahrensrechtliche als eine materiell-rechtliche Eingriffsbefugnis, ermöglicht nämlich die koordinierte Verwertung bestellter Sicherheiten in einer Hand und soll so die unkoordinierte Zerschlagung von Unternehmensgruppen zum Nachteil aller betroffenen Gläubiger verhindern.70 Gerade wegen der Kompensationspflicht, die sich nicht nach dem Nominalbetrag der gegen 37 den restrukturierungswilligen Schuldner gerichteten Forderung, sondern nach der Werthaltigkeit der Sicherheit bemisst, das die Sicherheit gewährende verbundene Unternehmen aber nicht Betroffener des Restrukturierungsverfahrens und daher an diesem Verfahren nicht beteiligt ist, hätten die planbetroffenen Drittsicherheitennehmer keine Möglichkeit, sich über die Angemessenheit der im Plan vorgesehenen Entschädigung sachgerecht zu informieren, würde nicht § 6 Abs. 3 StaRUG anordnen, dass der darstellende Teil des Restrukturierungsplans auch die Verhältnisse des sicherheitengewährenden verbundenen Unternehmens und die Auswirkung des Plans auf dieses Unternehmens umfänglich darzustellen hat. Das Maß der Darstellung hat den allgemeinen Kriterien zu genügen (Rz. 9 ff.). Der in Ansatz gebrachte Marktwert ist im darstellenden Teil des Restrukturierungsplans 38 nachvollziehbar darzulegen und zu begründen, gegebenenfalls durch Unterlegung mit einem Sachverständigengutachten.

VII. Weitere Pflichtbestandteile § 6 StaRUG beschreibt die Pflichtinhalte des Restrukturierungsplans nicht abschließend. Ob- 39 ligatorische Planinhalte ergeben sich auch aus § 5 StaRUG (§ 5 Rz. 16 ff.) und der Anlage zu dieser Norm, ebenso wie aus § 8 StaRUG (§ 8 Rz. 4), wonach die Auswahl der Planbetroffenen nachvollziehbar zu begründen und sachlich zu rechtfertigen ist, und schließlich aus § 9 StaRUG (§ 9 Rz. 3, 12), der vorgibt, dass die Bildung der Gläubigergruppen zu erläutern ist. Letzteres muss nicht zwingend im darstellenden Teil erfolgen, sondern kann auch im gestaltenden Teil dargestellt werden.71

VIII. Rechtsfolgen bei Verstoß Die Vorschriften zum Inhalt und Aufbau des darstellenden Teils sind zwingend. Es handelt 40 sich bei § 6 StaRUG um eine Vorschrift über den Inhalt des Plans i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, deren Einhaltung das Gericht im Rahmen der Planbestätigung von Amts wegen zu prüfen hat. Das Risiko, das die Darstellung unvollständig, verkürzt oder sonst unzureichend ist, trägt der Schuldner. Fehlt die Darstellung eines Umstandes, der Einfluss auf die Annahme des Plans gehabt haben kann,72 so führt dies dazu, dass die Bestätigung des Plans nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG von Amts wegen zu versagen ist. Berücksichtigungsfähig im Rahmen der Bestätigungsprüfung sind dabei allein die im Plan 41 angegebenen Kriterien.73 Andere als die im Plan angegebenen Kriterien und Gründe dürfen im Rahmen der Prüfung, ob der Plan die formellen Anforderungen erfüllt, nicht berücksichtigt werden (s. bereits Rz. 6).

70 71 72 73

Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 6 StaRUG Rz. 28. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. So für den Insolvenzplan BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346.

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§ 7 | Gestaltender Teil

§7 Gestaltender Teil (1) Der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans legt fest, wie die Rechtsstellung der Inhaber der Restrukturierungsforderungen, der Absonderungsanwartschaften, der Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten und der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte (Planbetroffenen) durch den Plan geändert werden soll. (2) 1Soweit Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften gestaltet werden, ist zu bestimmen, um welchen Bruchteil diese gekürzt, für welchen Zeitraum sie gestundet, wie sie gesichert und welchen sonstigen Regelungen sie unterworfen werden sollen. 2Satz 1 gilt entsprechend für die Gestaltung der Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Absatz 4). (3) Soweit vertragliche Nebenbestimmungen oder Vereinbarungen nach § 2 Absatz 2 gestaltet werden, legt der gestaltende Teil fest, wie diese abgeändert werden sollen. (4) 1Restrukturierungsforderungen können auch in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an dem Schuldner umgewandelt werden. 2Eine Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger ist ausgeschlossen. 3Insbesondere kann der Plan eine Kapitalherabsetzung oder -erhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende an dem Schuldner beteiligte Personen vorsehen. 4Der Plan kann vorsehen, dass Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte übertragen werden. 5Im Übrigen kann jede Regelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist. 6§ 225a Absatz 4 und 5 der Insolvenzordnung ist entsprechend anzuwenden. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). A. B. C. D. I.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historie und EU-Richtlinien Grundlage Gestaltbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Beschränkung des rechtlichen Könnens durch ein restrukturierungsrechtliches Dürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbot der Übersanierung . . . . . . . . . . II. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . III. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . 1. Vollzug der Rechtsänderung . . . . . . . . 2. Restrukturierungsforderungen . . . . . . 3. Absonderungsanwartschaften . . . . . . . 4. Gruppeninterne Drittsicherheit . . . . . . 5. Vertragliche Nebenbestimmungen (§ 7 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gesellschaftsrecht (§ 7 Abs. 4 StaRUG) a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Norminhalt, systematische Stellung und Normzweck . . . . . . . (1) Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Systematische Stellung . . . . . . . (3) Normzweck und Vergleich mit § 225a InsO . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 4 6 12 12 12 15 26 34 34 38 45 56 67 75 75 75 75 76 77

bb) Vorgaben der Restrukturierungs-RL und StaRUG-Umsetzung (Gesetzgebungshistorie) . 80 cc) Inkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Einbeziehung von Anteilsinhaberrechten in den Restrukturierungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 aa) Notwendigkeit einer Reglung im Restrukturierungsplan . . . . 82 bb) Regelungen für Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte . . . . . . . . 83 c) Umwandlung von Forderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte (Debt-Equity-Swap; § 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 StaRUG) . . . . . . . . . . 84 aa) Rechtlicher Vorgang und wirtschaftlicher Hintergrund . . . . . 84 bb) Zustimmungsvorbehalt der Gläubiger (§ 7 Abs. 4 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 d) Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen (§ 7 Abs. 4 Satz 3 StaRUG) . . 93 aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 bb) Kapitalherabsetzung . . . . . . . . 93 cc) (Sach-)Kapitalerhöhung . . . . . 94 dd) Bezugsrechtsausschluss . . . . . . 96 ee) Abfindung für Alt-Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Gestaltender Teil | Rz. 2 § 7 ff) Übertragung von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten (§ 7 Abs. 4 Satz 4 StaRUG) . . . . . . . gg) Weitere gesellschaftsrechtlich zulässige Regelung (§ 7 Abs. 4 Satz 5 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . e) Unwirksamkeit von Change of Control-Klauseln (§ 7 Abs. 4 Satz 6 StaRUG i.V.m. § 225a Abs. 4 InsO) f) Austritt und Abfindungsanspruch (§ 7 Abs. 4 Satz 6 StaRUG i.V.m. § 225a Abs. 5 InsO) . . . . . . . . . . . .

105 106 109

7. Neue Finanzierungen (§ 12 StaRUG) und Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse (§ 13 StaRUG) und sonstige Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 8. Ausbleiben einer Regelung . . . . . . . . . . 119 IV. Bestimmtheitsgebot und Anforderungen an die Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . 122 E. Fehlerfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

112

Schrifttum: Bitter, Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz – Alles neu durch SanInsFoG und StaRUG?, ZIP 2021, 321; Brinkmann, Zur Haftungs- und Organisationsverfassung der juristischen Person nach dem StaRUG, KTS 2021, 303; de Bruyn/Ehmke, StaRUG & InsO: Sanierungswerkzeuge des Restrukturierungsund Insolvenzverfahrens NZG 2021, 661; Hölzle, Zur Begründung und Ausgestaltung einer Restrukturierungsverschleppung in FS Gehrlein, 2022, S. 261; Hölzle, Zur Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens in Deutschland, ZIP 2020, 585; Hölzle, Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch das Insolvenzrechts und die Schlechterstellungsprüfung zu Lasten des (Minderheits-)Gesellschafters, ZIP 2014, 1819; Hölzle/Curtze, Eine Krise – Ein Verfahren! – Folgen eines vorangegangenen Restrukturierungsverfahrens nach StaRUG in der späteren Insolvenz, ZIP 2021, 1293; Jungmann, Die Konsequenzen einer erfolgreichen sofortigen Beschwerde gegen die Planbestätigungsentscheidung des Restrukturierungsgerichts, ZIP 2022, 253; Längsfeld, Anmerkung zu einer Entscheidung des BGH, Urteil vom 28.1.2020 (II ZR 10/ 19) – Zur Abfindungsforderung eines vor Insolvenz ausgeschiedenen Gesellschafters, WuB 2020, 275; Looschelders, Sanierungsinstrument "Vertragsbeendigung" – Unter welchen Voraussetzungen sind Eingriffe in Vertragsverhältnisse zulässig? – Zugleich ein Beitrag zu den Grundlagen und Grenzen des pacta sunt servanda-Grundsatzes, ZIP 2021, 2461; Naujoks/Schönen, Die Anpassung von Einzelbestimmungen in Finanzierungsverträgen nach dem StaRUG, ZRI 2021, 437; Wilkens, Der präventive Restrukturierungsrahmen – Eine Bestandsaufnahme aus Sicht der Finanzgläubiger, WM 2021, 573.

A. Regelungsgegenstand § 7 StaRUG enthält die Ermächtigungsgrundlage für die Aufnahme rechtsgestaltender Fest- 1 setzungen in den Restrukturierungsplan und ist damit verfahrensrechtliche Grundlage für das Recht des Schuldners, in Rechtspositionen seiner Gläubiger einzugreifen. Materiell-rechtliche Begrenzungen dieser Ermächtigungsgrundlage ergeben sich aus den §§ 2–4 StaRUG, welche die materiellen Grenzen der Gestaltungsmacht und Eingriffsbefugnis des Schuldners regeln.1 § 7 StaRUG enthält damit die Rechtsgrundlage für die konstitutiven Regelungen des Restrukturierungsplans, durch welche die mit ihm zu bewirkenden Verfügungswirkungen umgesetzt und durch privatautonome Planannahme, anderenfalls durch gerichtliche Planbestätigung wirksam werden. Der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans ist damit das Herzstück des Plans.2 Die Unterteilung des Restrukturierungsplans in einen darstellenden und einen gestaltenden 2 Teil ist an die §§ 219 ff. InsO angelehnt, wobei § 7 StaRUG über § 221 InsO hinausgeht, weil er zugleich die Vorschriften der §§ 223, 225a InsO aufnimmt und auch die Regelungsgrundlage für Eingriffe in gruppeninterne Drittsicherheiten (entsprechend § 223a InsO) und den Eingriff in vertragliche Nebenbestimmungen (§ 2 Abs. 2 StaRUG) enthält.3 1 Vgl. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 1. 2 Ebenso Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 1; Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 3 Ähnlich Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 1.

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§ 7 Rz. 3 | Gestaltender Teil 3 Die mit dem Restrukturierungsplan zu erreichenden Gestaltungs- und Verfügungswirkungen

müssen im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans vollständig und hinreichend bestimmt enthalten sein. Fehlende Regelungen können nicht über eine ergänzende (Vertrags-) Auslegung des Plans (Rz. 124) oder erst den gerichtlichen Bestätigungsbeschluss ergänzt werden;4 ebenso wenig kann das Restrukturierungsgericht im Rahmen der Planbestätigung nur einzelne Gestaltungswirkungen bestätigen oder deren Bestätigung versagen. Das Gericht ist an den Plan in seiner Gesamtheit gebunden, weshalb sich dessen Bestätigung oder Versagung stets auf den Plan als Ganzes bezieht.5

B. Normzweck 4 Der Zweck des § 7 StaRUG besteht in Abgrenzung von § 6 StaRUG darin, eine deutliche

Trennung im Restrukturierungsplan zwischen der Darstellung der Motive und den Erläuterungen insbesondere der wirtschaftlichen Hintergründe auf der einen Seite (Informationsebene) und der Regelung der gestaltenden Eingriffe auf der anderen Seite (Vollzugsebene) herzustellen. Der gestaltende Teil ist daher nach Möglichkeit auf die Regelung der Gestaltungs- und Verfügungswirkungen bzw. die hierauf zielenden Erklärungen zu beschränken; auf Erläuterungen ist grundsätzlich zu verzichten.6

5 Neben den materiell-rechtlichen Vollzugswirkungen enthält der gestaltende Teil aber auch

verfahrensrechtliche Vollzugswirkungen, namentlich die abschließende Bestimmung – und Legaldefinition – der Planbetroffenen aus dem Kreise aller Gläubiger des Schuldners und damit die verbindliche Anwendung der Abgrenzungskriterien nach § 8 StaRUG und die Einteilung der Gläubiger in Gruppen nach Maßgabe des § 9 StaRUG. Bei beiden Normen handelt es sich um Vorschriften über den Inhalt und die verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans und damit um solche, deren Nichtbeachtung zur Versagung der Planbestätigung von Amts wegen nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG führt. Zu den Gründen insbesondere für die Einbeziehung der Planbetroffenen bzw. die Nichteinbeziehung der übrigen Gläubiger ist nach Möglichkeit aber im darstellenden Teil auszuführen. Für die Rechtswirkung und die Bestätigungsfähigkeit kommt es jedoch nicht darauf an, ob die maßgeblichen Gründe im darstellenden oder im gestaltenden Teil angegeben sind.7

C. Historie und EU-Richtlinien Grundlage 6 Grundlage des § 7 StaRUG ist Art. 8 Abs. 1 Restrukturierungs-RL, der den zwingenden In-

halt von Restrukturierungsplänen vorgibt. Dass sich die Norm dabei eng an dem insolvenzplanrechtlichen Vorbild orientiert, resultiert auch daraus, dass der deutsche Gesetzgeber in diesem Punkt wesentlichen Einfluss auf den Normtext der Richtlinie genommen hat (ausf. § 5 Rz. 9 f.). Auch wenn im Wesentlichen auf die Rechtsentwicklung und die Rechtsprechung zum Recht des Insolvenzplans (§§ 219–225a InsO) zurückgegriffen werden kann,8 so dürfen dabei die konzeptionellen Unterschiede zwischen dem Restrukturierungsplan auf der einen und dem Insolvenzplan auf der anderen Seite nicht aus dem Blick verloren werden, die insbesondere in dem fehlenden gesamtvollstreckungsrechtlichen Charakter und der (gegebenenfalls) nur teilkollektiven Ausgestaltung des Restrukturierungsplans zum Ausdruck kommen.9 4 5 6 7 8 9

BT-Drucks. 19/24181, S. 116. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Ebenso Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 6. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, NZI 2015, 697 = ZIP 2015, 1346. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 4. Ebenso Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 3.

218 | Hölzle

Gestaltender Teil | Rz. 11 § 7

Dies kann zu deutlich strengeren Anforderungen hinsichtlich Rechtfertigung und Bestimmtheit der im Restrukturierungsplan enthaltenen Regelungen führen, weshalb im Restrukturierungsverfahren ein grundsätzlich noch restriktiverer Auslegungs- und Anwendungsspielraum als im Insolvenzplanverfahren anzuwenden ist. Für die Auslegung des Restrukturierungsplans und der im gestaltenden Teil enthaltenen Re- 7 geln gelten dabei grundsätzlich die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften. Das Wirksamwerden des Restrukturierungsplans und damit der Vollzug der im gestaltenden Teil enthaltenen Regelungen kann auf zweierlei Weise hergestellt werden: Durch Konsens aller Planbetroffenen und rechtswirksame Zustimmung zum Plan oder wirksamen Mehrheitsbeschluss nach §§ 25 ff. StaRUG und anschließend rechtskräftige Planbestätigung nach §§ 60 ff. StaRUG, durch welche die Gestaltungs- und Bindungswirkung auch gegenüber den dissentierenden (oder nicht abstimmenden) Gläubigern herbeigeführt wird. Mit dieser im Gesetz angelegten Konstruktion ist die Vorlage des Restrukturierungsplans dog- 8 matisch grundsätzlich anders zu beurteilen, als die Vorlage eines Insolvenzplans. Im Insolvenzplanverfahren beinhaltet die Vorlage des Insolvenzplans nach § 218 InsO noch kein Angebot i.S.d. § 145 BGB, sondern lediglich eine an die Gläubiger gerichtete invitatio ad offerendum. Der Vertrag zwischen dem Schuldner und den Gläubigern kommt nicht durch korrespondierende Erklärungen, sondern im Wege der Zustimmung aller Beteiligten zu einer Vertragsvorlage zustande, was den Anforderungen der §§ 145 ff. BGB genügt.10 Diese dogmatische Einordnung der Vorlage des Insolvenzplans ist insbesondere vor dem Hintergrund des Zustimmungserfordernisses auch des Schuldners aus § 247 InsO richtig, weshalb die Planvorlage allein noch keine Bindungswirkung entfalten kann. Anders allerdings bei der Vorlage des Restrukturierungsplans. Zwar hat der Gesetzgeber die 9 rechtliche Konstruktion des Restrukturierungsplans ausdrücklich dahinstehen lassen.11 Er macht unabhängig davon aber deutlich, dass die für die Bindung an die Planbestätigung anknüpfenden Regeln das Resultat einer Willensbetätigung der Beteiligten sind, die auf die Herbeiführung der im Plan vorgesehenen Rechtsfolgen gerichtet sind, weshalb ungeachtet der Konstruktion jedenfalls die Regelungen über Willenserklärungen anzuwenden sind, sofern sich nicht aus den §§ 17 ff. StaRUG ausdrücklich etwas anderes ergibt.12 Damit ist die Grundlage dafür geschaffen, bereits die Planvorlage als bindendes Angebot i.S.d. § 145 BGB zu verstehen, das unter einer aufschiebenden Bedingung gem. § 158 Abs. 1 BGB steht. Hierfür spricht zunächst, dass das StaRUG keine dem § 247 InsO entsprechende Regelung 10 enthält. D.h., ein Zustandekommen des Restrukturierungsplans durch gleichlautende auf den Planentwurf bezogene Zustimmungserklärungen, wie sie die dogmatische Grundlage für den Vertragsschluss im Insolvenzplanverfahren bilden,13 scheidet im Restrukturierungsverfahren aus. Die Vorlage des Restrukturierungsplans ist die einzige und damit auch letzte verfahrensförmliche Erklärung des Schuldners im Abstimmungs- und Bestätigungsverfahren, weshalb diese den alleinigen dogmatischen Anknüpfungspunkt für die mit ihr verbundene Bindungswirkung gegenüber dem Schuldner begründet. Auch die Pflichtenbindung des Schuldners gem. § 32 StaRUG, insbesondere gem. § 32 Abs. 1 Satz 2, 3 StaRUG lässt sich dogmatisch ohne weiteres als spezialgesetzliche Ausprägung der §§ 160, 162 BGB interpretieren und rechtfertigen, begreift man bereits die Planvorlage als aufschiebend bedingte Willenserklärung (Angebot, § 145 BGB) des Schuldners. Daraus folgt, dass der Schuldner mit dem Zugang des formgerechten Planangebots nach 11 §§ 17 ff. StaRUG – und dogmatisch insoweit zwingend – bereits an das Planangebot und den 10 11 12 13

Ausf. Madaus, Der Insolvenzplan, 2011, S. 174 ff., 424 ff. BT-Drucks. 19/24181, S. 121. BT-Drucks. 19/24181, S. 121. Vgl. Madaus, Der Insolvenzplan, 2011, S. 183.

Hölzle | 219

§ 7 Rz. 11 | Gestaltender Teil Inhalt des Restrukturierungsplans, wie von ihm vorgeschlagen, gebunden ist. Eine Einschränkung erfährt diese Bindungswirkung durch § 20 Abs. 4 StaRUG, der die inhaltliche Änderung des Plans in einzelnen Punkten als Ergebnis der Erörterung für zulässig erklärt. Aus der Bindung des Schuldners an den angebotenen Restrukturierungsplan i.S.d. §§ 17, 18 StaRUG i.V.m. § 145 BGB folgt zugleich, dass der Schuldner den Plan einseitig nicht zurückziehen kann, sondern das Abstimmungsverfahren durchzuführen hat und im Falle der Annahme des Plans auch materiell an diesen gebunden ist. Ebenso ist es dem Schuldner versagt, den Eintritt der Planwirkungen dadurch zu vereiteln, dass er die Abstimmung faktisch unterläuft, z.B. indem er trotz Aufforderung nicht zu einer Planbetroffenenversammlung (§ 20 StaRUG) einlädt oder nach nicht einstimmiger Beschlussfassung über den Plan es unterlässt, die gerichtliche Planbestätigung zu betreiben. Hierin läge eine pflichtwidrige Verhinderung des Bedingungseintritts i.S.d. § 162 BGB und damit ein Verstoß gegen die Pflichten auch aus § 32 StaRUG,14 die nach § 43 StaRUG schadensersatzbewährt ist.15

D. Gestaltbarkeit I. Keine Beschränkung des rechtlichen Könnens durch ein restrukturierungsrechtliches Dürfen 1. Grundsatz 12 Aus der Formulierung des § 7 Abs. 1 StaRUG, dass der Restrukturierungsplan festlegt, wie die

Rechtsstellung der Planbetroffenen durch den Plan geändert werden soll, folgt, dass die Gestaltbarkeit der Gläubigerrechte, in die eingegriffen werden soll, grundsätzlich dem Primat der bürgerlich-rechtlichen Vertragsautonomie folgt.16 Es gilt daher im Grundsatz, dass jede Regelung erlaubt ist, die zivilrechtlich nicht verboten ist. Eine Beschränkung des zivilrechtlichen Könnens durch ein restrukturierungsrechtliches Dürfen, also eine Beschränkung des Regelungsinhalts auf den Restrukturierungszweck,17 besteht nach dem Wortlaut des Gesetzes ausdrücklich nicht.18 Wie sich aus dem Zusammenspiel mit § 20 Abs. 3 Satz 3 StaRUG, wonach die Planbetroffenen lediglich das Recht haben, Vorschläge zur Änderung des Plans zu unterbreiten, die jedoch für den Schuldner nicht verbindlich sind, ferner ergibt, liegt die Gestaltungshoheit allein beim Schuldner. Dieser hat daher nicht nur das alleinige Planinitiativrecht, sondern bestimmt auch Inhalt und Reichweite des Plans. Die Gläubigerautonomie beschränkt sich inhaltlich auf das Vorschlagsrecht und hinsichtlich der materiell-rechtlichen Bindung auf das Recht, die Zustimmung zum Plan zu verweigern, das seinerseits durch die Bestimmungen zum Minderheitenschutz in §§ 64, 66 StaRUG abgesichert wird.

13 Die in den Plan aufzunehmenden Gestaltungen sind dabei nicht auf die in § 7 Abs. 1 StaRUG

genannten Gestaltungsoptionen gegenüber Planbetroffenen beschränkt, sondern können auch Begleitmaßnahmen sonstiger Art, insbesondere (Teil-)Betriebsveräußerungen19 umfassen,

14 Zur Anwendbarkeit des § 32 StaRUG bereits mit der faktischen Einleitung des Restrukturierungsverfahrens und nicht erst mit der Anzeige nach § 31 StaRUG gegenüber dem Restrukturierungsgericht vgl. Hölzle in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2, II. Rz. 34 ff.; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 31, 33 StaRUG Rz. 5 ff., 9 ff.; § 32 StaRUG Rz. 5. 15 Wie hier (Rz. 7–11) ebenso Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 17–19, 23 Rz. 6 ff. 16 Ähnlich Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 10; Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 10. 17 So aber wohl Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 21 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 18 In diesem Sinne AG Köln v. 3.3.2021 – 83 REs 1/21, ZIP 2021, 806; in der Sache ebenso für den Insolvenzplan BGH v. 17.7.2014 – ZB 13/14, ZIP 2014, 1442, dazu Hölzle, ZIP 2014, 1819. 19 Kritisch dazu im Gesetzgebungsverfahren Hölzle, ZIP 2020, 585. Zur Schutzwirkung des § 90 Abs. 2 StaRUG vgl. Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293.

220 | Hölzle

Gestaltender Teil | Rz. 18 § 7

wie sich insbesondere aus § 90 Abs. 2 StaRUG ergibt. Der Schuldner ist daher frei, in den Plan alle beliebigen Rechtsgeschäfte aufzunehmen, solange und soweit die jeweils andere Vertragspartei dem zustimmt;20 sei es als Planbetroffener, sei es als außenstehender Dritter gem. § 15 Abs. 3 StaRUG. Eingeschränkt wird der Grundsatz der privatautonomen Gestaltungsfreiheit des Restrukturie- 14 rungsplans durch die in § 4 StaRUG ausdrücklich ausgenommenen Rechtsverhältnisse. In die dort genannten Rechte kann durch den Restrukturierungsplan nicht eingegriffen werden, weder konsensual noch durch gerichtlichen Bestätigungsbeschlusses. Wohl aber bleibt es möglich, in die in § 4 StaRUG genannten Rechtsverhältnisse durch Begleitmaßnahmen außerhalb des Restrukturierungsplans einzugreifen bzw. diese einer Regelung zuzuführen, z.B. neben der durch den Restrukturierungsplan zu vollziehenden Sanierung auch einen Interessenausgleich und Sozialplan zur Umsetzung einer parallelen arbeitsrechtlichen Restrukturierung auf den Weg zu bringen oder sich mit Gläubigern von Forderungen aus unerlaubter Handlung außerhalb des Restrukturierungsplans zu vergleichen. Auch solche Begleitmaßnahmen sind, obgleich nicht Gegenstand der Regelungswirkung des Plans, im darstellenden Teil ausführlich zu beschreiben, um den Planbetroffenen die Einschätzung zu ermöglichen, welche Erfolgsaussichten die angestrebte Restrukturierung hat (§ 6 Rz. 11). 2. Verbot der Übersanierung Ungeachtet der durch § 7 StaRUG gewährleisteten gegenständlichen Gestaltungsfreiheit des 15 Schuldners bei Bestimmung von Struktur, Inhalt und Regelungstiefe des Restrukturierungsplans und unbeschadet des Fehlens einer durch den Restrukturierungszweck gezogenen Gestaltungsgrenze ergeben sich aus dem Gesamtkontext des StaRUG abzuleitende implizite Gestaltungsgrenzen im Sinne eines Übermaßverbots.21 In richtlinienkonformer Auslegung des § 1 StaRUG i.V.m. der jeweiligen gesellschaftsrecht- 16 lichen Haftungsnorm (insb. § 43 GmbHG) haben die Geschäftsleiter vom Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit an die Führung des Unternehmens vorrangig am Interesse der Gläubiger auszurichten.22 Nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache setzt sich diese Pflicht gemäß ausdrücklicher Anordnung in § 32 Abs. 1 StaRUG (§ 32 Rz. 2 f.) fort. Insbesondere ist bei Führung der Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers das Interesse der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren und sind sämtliche Maßnahmen zu unterlassen, die mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbar sind.23 Das Restrukturierungsziel ist nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG legaldefiniert als das der Re- 17 strukturierung zugrundeliegende Konzept, das auf Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise das nach ihrer Überwindung zu erreichende Ergebnis beschreibt. Definitorischer Bestandteil des Restrukturierungsziels, an dessen Erreichung die Geschäftsleiter ihr Handeln auszurichten haben, ist daher auch das Ausmaß der der Einleitung der Restrukturierungssache zugrundeliegenden Krise. Dass das Krisenausmaß bei der Beurteilung der vom Schuldner im Zusammenhang mit der 18 Restrukturierungssache angestrebten Maßnahmen Beachtung finden muss, kommt auch in anderen Vorschriften zum Ausdruck. So ordnet § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StaRUG an, dass eine Stabilisierungsanordnung nicht ergehen darf, wenn diese nicht erforderlich ist, um das Re20 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 21 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 21 Ähnlich Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 22 Ausführlich mit zahlreichen weiteren Nachweisen Hölzle in FS Gehrlein, 2022, S 261, 269. Grundlegend auch Brinkmann, KTS 2021, 303; Bitter, ZIP 2021, 321; Brünkmanns, ZInsO 2021, 125. 23 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 9.

Hölzle | 221

§ 7 Rz. 18 | Gestaltender Teil strukturierungsziel zu verwirklichen. Nach § 6 Abs. 2 StaRUG ist in der Vergleichsrechnung des darstellenden Teils des Restrukturierungsplans für das Alternativszenario die Fortführung des Unternehmens zu unterstellen, wenn diese auch Gegenstand des Restrukturierungkonzepts ist. Hierdurch wollte der Gesetzgeber gezielt Gestaltungsspielräume für übermäßige Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen durch die Gegenüberstellung der Folgen des Restrukturierungsplans mit denen eines Liquidationsszenarios schließen (§ 6 Rz. 32). Im Kontext zu § 6 Abs. 2 StaRUG steht auch § 14 Abs. 1 StaRUG, wonach der Restrukturierungsplan eine Begründung enthalten muss, aus der sich ergibt, wie sich auf Grundlage des Plans die Insolvenz verhindern und die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gewährleisten lässt. Hierin kommt insgesamt klar zum Ausdruck, dass das Ziel des Verfahrens auf das notwendige, zur Überwindung der Krise erforderliche Maß ausgerichtet aber auch beschränkt ist und übermäßige Eingriffe, die durch das Restrukturierungskonzept nicht veranlasst sind, gerade nicht toleriert werden sollen.24 19 In diesem Kontext ist auch § 51 Abs. 1 Satz 2 StaRUG von Bedeutung, wonach eine Restruk-

turierungsplanung nur dann schlüssig ist, wenn nicht offensichtlich ist, dass sich das Restrukturierungsziel auf Grundlage der in Aussicht genommenen Maßnahmen nicht erreichen lässt.

20 Im Umkehrschluss dieser Schlüssigkeitsprüfung und unter Zugrundelegung des in § 51 Abs. 1

Satz 1 Nr. 4 StaRUG mit dem Hinweis auf die Erforderlichkeit zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsprinzips sowie unter Beachtung der allgemeinen Ausrichtung sämtlicher Maßnahmen am Gesamtgläubigerinteresse und schließlich der Haftungsanordnung gegenüber den Geschäftsleitern für übermäßige, durch das Restrukturierungskonzept nicht gerechtfertigte Eingriffe in die Gläubigerrechte gem. § 57 StaRUG lässt sich aus dem Gesetz eine Gesamtanalogie ableiten, wonach einerseits die Bestimmung des Restrukturierungsziels in Relation zu dem Ausmaß der Krise, andererseits die im Restrukturierungsplan vorgesehenen Maßnahmen im Verhältnis zu dem zu erreichenden Restrukturierungsziel verhältnismäßig sein müssen, also den Maßstäben der Erforderlichkeit, Geeignetheit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne genügen müssen. In Ansehung der in § 14 Abs. 1 StaRUG klar bestimmten Zielsetzung, wonach dem Restrukturierungsplan die begründete Erklärung zu den Aussichten darauf beizufügen ist, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners durch den Plan beseitigt wird und dass die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicher- oder wiederhergestellt wird, ist damit allein die Bestandsfähigkeit des Schuldners das nach der Vorstellung des Gesetzgebers mit der präventiven Restrukturierung zu erreichende Ziel. Nur zur Erreichung dieses Ziels sind Eingriffe in die Gläubigerrechte zu rechtfertigen, übermäßige Eingriffe sind zu verhindern.

21 Aus dieser Gesamtanalogie folgt aber zugleich, dass es nicht um das Gestaltungsspektrum in

der Breite, sondern um die Gestaltungstiefe, nämlich darum geht, die wirtschaftlichen Eingriffe in die Rechte der Gläubiger an dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auszurichten. Welche Maßnahmen zur Erreichung eines (noch) verhältnismäßigen Restrukturierungsziels mit dem Plan umgesetzt werden sollen, obliegt der Gestaltungsfreiheit des Schuldners (vgl. dazu auch Rz. 38 ff.).

22 Daraus folgt ein Verbot der wirtschaftlichen Übersanierung, die nicht mehr vorrangig der

Sanierung dient, sondern im Ergebnis allein den (bisherigen oder neuen) Gesellschaftern zugutekäme, ohne durch die besonderen Erfordernisse der zugrundeliegenden Krise gerechtfertigt zu sein. Dass eine solche Zuweisung von Werten an die Gesellschafter aber grundsätzlich nicht gerechtfertigt und nur im Ausnahmefall zulässig ist, kommt in § 28 Abs. 2 StaRUG (§ 28 Rz. 23) deutlich zum Ausdruck. Durch den Restrukturierungsplan dürfen daher keine größeren Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen vorgenommen werden, als für die Überwindung der zugrundeliegenden Krise erforderlich. Insbesondere darf die Restrukturierung nicht 24 Ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

222 | Hölzle

Gestaltender Teil | Rz. 25 § 7

zur betriebswirtschaftlichen Überoptimierung dienen. Die Eingriffe dürfen daher nicht über das Maß hinausgehen, dass erforderlich ist, die nachhaltige Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit (vgl. § 14 Abs. 1 StaRUG) zu sichern. Diese kann im besten Fall als nachhaltige Wiederherstellung der Ertragsfähigkeit der Gesellschaft als einem Mehr gegenüber der reinen Bestandsfähigkeit verstanden werden. Die Begrenzung der Gestaltungstiefe durch ein solcherart definiertes Verbot der Übersanie- 23 rung ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil bereits durch die obligatorische Vergleichsberechnung gem. § 6 StaRUG (vgl. dort Rz. 28 ff.) sichergestellt wäre, dass der Restrukturierungsplan keine übermäßigen Eingriffe in die grundsätzlich geschützten Rechtspositionen der Planbetroffenen vorsieht. Denn die Vergleichsrechnung des Restrukturierungsplans unterscheidet sich von der Ver- 24 gleichsrechnung des Insolvenzplans in einem wesentlichen Punkt: Im bisherigen Recht des Insolvenzplans war Vergleichsmaßstab für die Prüfung, dass der Insolvenzplan für die Insolvenzgläubiger nicht nachteilig ist, die bestmögliche Verwertungsalternative in der Regelabwicklung (Zerschlagung oder übertragende Sanierung, wenn entsprechende Möglichkeit dargelegt). Auch nach der Neufassung des § 220 Abs. 1 InsO ist zwar die Fortführung des Unternehmens auch im Zerschlagungsszenario grundsätzlich zu unterstellen; der Vergleich mit einem alternativen, für die Gläubiger vielleicht „besseren“ Insolvenzplan ist aber gerade nicht geboten.25 Daraus folgt, dass die im Insolvenzplan vorgesehenen Eingriffe in die Rechte der Gläubiger bis an die Grenze des Residualwertes der Gläubigerforderungen im bestmöglichen, regelmäßig die Fortführung unterstellendem Regelabwicklungsszenario gestaltet werden können, ohne dass die Gläubiger hierdurch schlechter gestellt würden und die Bestätigungsfähigkeit des Insolvenzplans gefährdet würde. Obwohl auch in der Vergleichsrechnung des Restrukturierungsplans gem. § 6 Abs. 2 StaRUG 25 (§ 6 Rz. 28) mit identischer Formulierung die Fortführung des Unternehmens regelmäßig zu unterstellen ist – hierbei gleichzeitig aber regelmäßiges Alternativszenario dennoch die Einleitung eines Insolvenzverfahrens sein muss, weil der Insolvenzantragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit bereits erfüllt ist –, ist ein Eingriff in Gläubigerrechte gem. § 7 StaRUG bis zur Grenze des Residualwertes der Gläubigerforderung in der (hypothetischen) Insolvenz gerade nicht gerechtfertigt. Denn anders als im Insolvenzplanverfahren muss im präventiven Restrukturierungsverfahren unter Wahrung der Gläubigerinteressen und der Verhältnismäßigkeit ein Vermögensvorteil aus der Wahl des präventiven Restrukturierungsverfahrens (an Stelle des Insolvenzverfahrens) allein den Gläubigern und nicht etwa den Gesellschaftern zugutekommen. Anders als im Insolvenzplanverfahren ist im Restrukturierungsplan daher Maßstab für die Zulässigkeit des Eingriffs nicht allein die Besserstellung gegenüber der nächstwahrscheinlichen Sanierungsoption, welche regelmäßig die Insolvenz (wenn auch mit grundsätzlich zu unterstellender Fortführung) ist. Stattdessen ist auch im Falle einer alternativ drohenden Insolvenz diejenige Sanierungsoption mit der geringsten Eingriffsintensität in die Gläubigerrechte, die gleichermaßen geeignet ist, das legitime Sanierungsziel zu erreichen, als Vergleichsmaßstab heranzuziehen. Der sich aus der Vermeidung der mit der Insolvenz verbundenen negativen Folgen ergebende Vermögensvorteil und damit der Mehrwert der präventiven Restrukturierung gegenüber einem Insolvenzverfahren muss im Rahmen der Ausübung des grundsätzlich freien Gestaltungsermessens zugunsten der Gläubiger allokiert werden, weshalb die Beschränkung der Vergleichsrechnung allein auf die Folgen für die Gläubiger insbesondere im alternativen Insolvenzszenario ungenügend ist. Mit anderen Worten: Wenn zwischen dem alternativen Insolvenz-Fortführungsszenario und der Summe der notwendigen Eingriffe zur Sicherung allein der nachhaltigen Bestandsfähigkeit (im Sinne bestenfalls einer nachhaltigen Ertragsfähigkeit, Rz. 22) ein Unterschiedsbetrag besteht, darf der Insolvenzplan

25 Vgl. zum Ganzen Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 245 InsO Rz. 6 ff.

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§ 7 Rz. 25 | Gestaltender Teil diesen voll zugunsten des Schuldners ausschöpfen, der Restrukturierungsplan gerade nicht. Ein Ausreizen der im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans vorgesehenen Eingriffe bis an die Grenze des Residualwertes in der Insolvenz ist damit grundsätzlich unzulässig, sofern nicht gleichzeitig dargestellt und erläutert ist, dass die Regelung einer geringeren Eingriffsintensität das Restrukturierungsziel gefährdet und damit ein milderes, gleich effektives Gestaltungsmittel nicht zur Verfügung steht.26

II. Persönlicher Anwendungsbereich 26 § 7 Abs. 1 StaRUG legaldefiniert den Begriff der Planbetroffenen und bestimmt als solche die

Inhaber derjenigen Rechtsverhältnisse, die nach § 2 StaRUG gestaltbar sind und nach dem Inhalt des konkreten Restrukturierungsplans gestaltet werden sollen. Planbetroffen sind danach nur die Gläubiger dieser Rechte, soweit durch den Plan in die Rechte eingegriffen werden soll. Ob dies der Fall ist, bestimmt die Auswahl der Planbetroffenen nach § 8 StaRUG, inwieweit dies der Fall ist, richtet sich nach der konkreten Bestimmung des Rechts, in das eingegriffen werden soll, durch die Festsetzungen des gestaltenden Teils.

27 Die allein mittelbare Betroffenheit von Gläubigern oder anderen Stakeholdern durch Begleit-

maßnahmen (Rz. 14), wie z.B. (Teil-)Betriebsveräußerungen reicht nicht aus, um sie nach § 8 StaRUG als Planbetroffene in den Plan aufnehmen und an der Abstimmung über diesen beteiligen zu müssen.27

28 Wie sich aus § 11 Satz 1 StaRUG ergibt, ist Gegenstand der Individualisierung das konkrete

Recht eines Planbetroffenen, nicht die Person des Rechtsinhabers. Planbetroffener ist der Rechtsinhaber mit dem konkreten, durch den Plan zu gestaltenden Recht. Hält der Planbetroffene mehrere Rechte gegen den Schuldner, wird im Plan aber nur ein oder werden nur einzelne unter mehreren Rechten konkretisierbar und bestimmbar bezeichnet, so nehmen die übrigen Rechte am Plan nicht teil und findet ein Eingriff in diese nicht statt. Dies folgt aus der Formulierung des § 11 Satz 1 StaRUG, wonach der Schuldner von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern „aus den in den Plan einbezogenen“ Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften befreit wird. Auf die nicht in den Plan einbezogenen Rechte bleibt dieser ohne Einfluss. Zweifel bei der Bestimmbarkeit der in den Plan einbezogenen Rechte gehen zu Lasten des Schuldners, da diesen nach allgemeinen Grundsätzen die Substantiierungslast für die Änderung des Rechtsverhältnisses durch den Plan zu seinen Gunsten trifft.

29 Aus dem Gesetz selbst ergeben sich Einschränkungen sowie Erweiterungen des persönlichen

Anwendungsbereichs:

30 Eingeschränkt wird der persönliche Anwendungsbereich durch § 4 StaRUG in sachlicher und

§ 2 Abs. 5 StaRUG in zeitlicher Hinsicht. Die Gläubiger der in § 4 StaRUG bezeichneten Rechtsverhältnisse können mit diesen Rechten (wohl aber mit anderen) nicht Planbetroffene sein. Ist streitig, ob eine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung resultiert (§ 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG), so geht das Risiko einer rechtlichen Fehleinschätzung zu unterliegen, abermals zu Lasten des Schuldners. Hält der Schuldner den Deliktstatbestand nicht für erfüllt und bezieht er den Gläubiger mit seiner Forderung ein, so steht es dem Gläubiger frei, gegen die gerichtliche Bestätigung zunächst Versagungsantrag nach § 64 Abs. 1 StaRUG und sodann gegebenenfalls sofortige Beschwerde nach § 66 StaRUG einzureichen. Minderheitenschutzantrag und Beschwerde sind denknotwendig erfolgreich, da der Gläubiger, der nicht in den Plan hätte einbezogen werden dürfen, durch dessen Vollzug stets schlechter steht als 26 Wie hier (Rz. 16–25) auch Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 15 ff. 27 Ebenso Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 6.

224 | Hölzle

Gestaltender Teil | Rz. 34 § 7

ohne den Plan. Lässt sich ein Anspruch auf parallele Anspruchsgrundlagen stützen und ist nur eine davon deliktsrechtlicher Natur, so genügt dies für den Ausschluss aus dem persönlichen Anwendungsbereich nach § 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG. Dass es sich um eine monokausale deliktsrechtliche Anspruchsverwirklichung handelt, ist gerade nicht erforderlich. In zeitlicher Hinsicht gelten die Beschränkungen des § 2 Abs. 5 StaRUG. Ein Eingriff in künf- 31 tige Rechte ist nicht möglich; weder in künftige Restrukturierungsforderungen noch in künftig entstehende Absonderungsanwartschaften.28 Dies folgt auch aus dem Umkehrschluss aus § 3 Abs. 1 StaRUG. Maßgeblich sind danach Bestand und Umfang des jeweiligen Rechts im Zeitpunkt der Unterbreitung des Planangebots (§ 17 StaRUG) bzw. im Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf gerichtliche Planbestätigung (§ 45 StaRUG). Entscheidend ist jeweils der Zugang beim Empfänger. Soll ein zunächst im privatautonomen Verfahren nach §§ 17 ff. StaRUG zur Abstimmung gestellter Plan später gerichtlich bestätigt werden, so kommt es auf den ersten der beiden maßgeblichen Zeitpunkte, regelmäßig also auf die Vorlage des Planangebots an. Dass der Schuldner von seinem Recht Gebrauch macht, das Verfahren modular aufzubauen und nicht sämtliche verfahrensleitenden Entscheidungen bereits zu Beginn des Verfahrens zu treffen, sondern diese abzuschichten, darf erstens nicht zu Lasten der Gläubiger gehen und zweitens nicht Gewicht als strategische Maßnahme erlangen, um in ihrer Entwicklung befindliche dynamische Rechte noch in größerem Umfang einbeziehen zu können. Dass das Prioritätsprinzip maßgeblich ist, zeigt auch § 2 Abs. 5 Satz 2 StaRUG, wonach im Falle der Erwirkung einer Stabilisierungsanordnung vor Unterbreitung des Planangebots oder Zugang des Antrags auf gerichtliche Planbestätigung bereits dieser frühere Zeitpunkt bestimmend ist. Eine weitere Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs enthält § 43 Abs. 2 Sta- 32 RUG, wonach Vergleiche über Schadensersatzansprüche aus der Verletzung der Pflicht, die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Interesse der Gläubiger zu betreiben, grundsätzlich unzulässig sind. Ansprüche aus solchen (etwaigen) Pflichtverletzungen können daher im Restrukturierungsplan nicht miterledigt werden. Eine Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs eröffnet § 15 Abs. 3 StaRUG nach 33 dem Vorbild des § 230 Abs. 3 InsO. Hiernach können auch nicht planbetroffene Dritte Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern – und insoweit über den Wortlaut der Norm hinaus: gegenüber dem Schuldner – übernehmen, die mit der Bestätigung des Restrukturierungsplans wirksam werden.29 Die Erklärung des Dritten ist dem Plan zwingend als Anlage beizufügen. Einen Spezialfall von § 15 Abs. 3 StaRUG bildet die Zusage neuer Finanzierungen nach § 12 StaRUG.

III. Sachlicher Anwendungsbereich 1. Vollzug der Rechtsänderung Die im Restrukturierungsplan vorgesehenen Rechtsänderungen treten mit dessen (einstimmi- 34 ger) Annahme im privatautonomen Verfahren nach §§ 17 ff. StaRUG oder durch die gerichtliche Bestätigung nach § 67 StaRUG ein. Die hierzu erforderlichen Willenserklärungen und Beschlüsse sind in den gestaltenden Teil des Plans aufzunehmen und dort, um Auslegungsspielräume soweit wie möglich zu schließen, so genau wie möglich wiederzugeben.30 Die Er-

28 Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 8. 29 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 30 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Martini in HambKomm/ RestruktR, 3. Aufl 2022, § 7 StaRUG Rz. 9; ähnlich Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 10.

Hölzle | 225

§ 7 Rz. 34 | Gestaltender Teil klärungen entfalten nur dann Gestaltungs- und Verfügungswirkung, wenn sie hinreichend bestimmt sind und die erforderlichen essentialia negotii enthalten. 35 Aus der grundsätzlichen Geltung der zivilrechtlichen Vertragsschlusslehre (Rz. 7 ff.) für das

rechtswirksame Zustandekommen des Restrukturierungsplans folgt, dass der Eintritt der Gestaltungswirkung bei Zustimmung sämtlicher Gläubiger und gegenüber den Zustimmenden unproblematisch ist; gegenüber den ablehnenden Gläubigern wird die Gestaltungswirkung erst und nur durch den gerichtlichen Bestätigungsbeschluss herbeigeführt, der nur ergehen darf, soweit keine Bestätigungshindernisse vorliegen. Die Einhaltung der durch das StaRUG vorgegebenen Verfahrensordnung ist damit Legitimation für die Wirkungen einer aufgezwungenen Willenserklärung oder, in zivilrechtlicher Terminologie, eines Kontrahierungszwangs zu Lasten auch der ablehnenden Gläubiger.

36 Beachtlich ist, und insoweit unterscheidet sich das Verfahren von dem Bestätigungsverfahren

im Recht des Insolvenzplans, dass die Rechtswirkungen des Restrukturierungsplans bereits mit Erlass des Bestätigungsbeschlusses und nicht erst mit dessen Rechtskraft eintreten. Komplexe Fragen der Rückabwicklung für den Fall einer nachfolgend erfolgreichen sofortigen Beschwerde (§ 66 StaRUG) sind die zwingende Folge dieser gesetzlichen, auf die Restrukturierungsrichtlinie31 zurückgehenden Konstruktion.32 Sind sofortige Beschwerden absehbar, so kann es zur Vermeidung unübersehbarer Rückabwicklungsprobleme geboten sein, die rechtsgestaltenden Erklärungen des Plans – oder durch Planvollzugsbedingung dessen Wirkungen insgesamt – abweichend von der Gesetzeslage auf die Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses zu bedingen.33

37 Die Geltung der zivilrechtlichen Regeln für Willenserklärungen und das Zustandekommen

von Verträgen in Ansehung des Restrukturierungsplans legt nahe, dass den in den Plan aufgenommenen Willenserklärungen auch uneingeschränkt deren zivilrechtliche Bedeutung beizumessen ist. Dies würde bedeuten, dass die Vereinbarung eines Erlasses nach § 397 BGB tatsächlich zum Untergang der erlassenen Forderung und nicht, wie im Insolvenzplanverfahren, nur zur Begründung einer unvollkommenen, gegen den Schuldner nicht mehr durchsetzbaren Verbindlichkeit führt.34 Dieser Schluss allerdings wäre falsch. Der BGH35 stützt in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre die Auffassung von der Entstehung nur einer unvollkommenen Verbindlichkeit entgegen auch einer ausdrücklichen Erlass-Erklärung im Insolvenzplan auf einen Gegenschluss aus § 254 Abs. 3 InsO und § 255 Abs. 1 Satz 1 InsO. Beide Vorschriften haben wortgleiche Pendants im StaRUG, § 244 Abs. 3 InsO in § 67 Abs. 4 StaRUG und § 255 Abs. 1 Satz 1 InsO in § 69 Abs. 1 Satz 1 StaRUG. Außerdem bleiben, wie nach § 254 Abs. 2 InsO auch die Rechte eines Gläubigers gegen Mitschuldner und Bürgen des Restrukturierungsschuldners nach § 67 Abs. 3 StaRUG, von den Regelungen des Restrukturierungsplans unberührt. Die Rechtsprechung und herrschende Lehre zum insolvenzplanbedingten Erlass ist daher auf einen Erlass durch Restrukturierungsplan vollständig zu übertragen. Jedes andere Ergebnis wäre mit dem Übermaßverbot (Rz. 15) auch schwerlich zu vereinbaren, weil nicht erforderlich, um das Restrukturierungsziel zu erreichen.

31 Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 1 Restrukturierungs-RL. 32 Ausführlich Jungmann, ZIP 2022, 253; außerdem Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 67 StaRUG Rz. 5 ff. 33 Siehe dazu Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 4. 34 So Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 28 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der die Erlasswirkung nur im Fall der ausdrücklichen Aufnahme einer entsprechenden Erklärung in den Plan anerkennen will, ohne eine solche aber vom Entstehen einer unvollkommenen Verbindlichkeit ausgeht. 35 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271.

226 | Hölzle

Gestaltender Teil | Rz. 44 § 7

2. Restrukturierungsforderungen Hinsichtlich des möglichen Umfangs eines Eingriffs in die Rechtsstellung von Gläubigern mit 38 Restrukturierungsforderungen macht das Gesetz keine Vorgaben. Jede Form der Einflussnahme auf die Rechtsstellung des betroffenen Gläubigers eines Rechts bewirkt einen Eingriff, der diesen zum Planbetroffenen macht und damit zwingend in den Anwendungsbereich des Plans einbezieht. Restrukturierungsforderungen können demnach – in den Grenzen des Verbots der Übersanie- 39 rung (Rz. 15 ff.) – beliebig gestaltet werden. Es liegt daher in der Gestaltungsfreiheit des Schuldners, Restrukturierungsforderungen insbesondere einem (anteiligen) Erlass (§ 397 BGB), der allerdings nur die Umwandlung in eine unvollkommene Verbindlichkeit bewirkt (Rz. 37), einer Stundung, einem Rangrücktritt oder auch der Umwandlung in Gesellschaftsrechte zu unterwerfen. Sämtliche Zwischenlösungen sind möglich. Gestaltungsgrenzen ergeben sich allein aus dem persönlichen Anwendungsbereich, zivilrechtlichen Gestaltungsverboten oder dem StaRUG immanenten Gestaltungsgrenzen, wie insbesondere dem Verbot der Übersanierung. Der Umfang des Eingriffs in die Rechte der Gläubiger muss dabei den Grundsätzen zivilrecht- 40 licher Bestimmbarkeit genügen, wobei die Bestimmbarkeit im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Plans genügt, ohne dass damit die Grenzen der zeitlichen Erstreckung aus § 2 Abs. 5 StaRUG (Rz. 31) erweitert würden. Unbeschadet der Tatsache, dass in künftige Restrukturierungsforderungen nicht eingegriffen 41 werden kann, ist es nach § 3 Abs. 1 StaRUG für die Restrukturierungsfähigkeit einer Forderung unerheblich, ob diese noch bedingt oder noch nicht fällig ist. Maßgeblich ist allein das zivilrechtliche Begründetsein, wie es auch im Anwendungsbereich des § 38 InsO zur Anwendung kommt,36 also das Vorliegen aller zum Entstehen der Forderung dem Grunde nach erforderlichen Umstände. Beschränkungen der Gestaltbarkeit einer Restrukturierungsforderung können sich aber aus 42 anderen Rechtsgebieten, wie z.B. dem Beihilferecht37 ergeben. In Bezug auf die Frage, ob die Gestaltungswirkung positiv oder negativ zu formulieren ist, ist 43 das Gesetz widersprüchlich. Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 2 StaRUG scheint der Betrag der Kürzung anzugeben zu sein.38 Andererseits legt § 11 Satz 1 StaRUG nahe, dass für die Bestimmung der durch den Plan zu vollziehenden Gestaltungs- oder Verfügungswirkung die genaue Angabe des Umfangs erforderlich ist, in welchem das Recht bestehen bleibt und vom Gläubiger auch künftig nach Umfang und Inhalt geltend gemacht werden kann. Denn § 11 Satz 1 StaRUG sieht vor, dass der Schuldner mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Gläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen aus den in den Plan einbezogenen Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften befreit wird. Danach wäre der Umfang der Aufrechterhaltung, nicht der Kürzung anzugeben. Aus diesem Widerspruch des Gesetzes folgt, dass es dem Schuldner als Planarchitekten frei- 44 steht, ob er den Eingriff positiv oder negativ formuliert. Wichtig ist, dass sowohl die Höhe der Kürzung als auch Inhalt und Umfang des bestehen bleibenden Rechts eindeutig bestimmbar sind.39 Im Ergebnis muss feststellbar sein, in welchem Umfang der Plan die künftige Befriedigung des Gläubigers bestimmt, in welchem Umfang also das Recht mit welchem Inhalt (Fälligkeit, ratierliche Rückzahlung, Nebenbestimmungen, Besicherung etc.) bestehen bleibt. So36 Statt Vieler Lüdtke in HambKomm/InsO, 9. Aufl. 2021, § 38 InsO Rz. 30 m.w.N.; Büteröwe in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 38 InsO Rz. 16; Ries in Kayser/Thole, 11. Aufl. 2022, § 38 InsO Rz. 27. 37 Ausführlich Thole, ZIP 2022, 97; Hölzle/Wendt, ZRI 2022, 953. 38 So Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 10. 39 Im Ergebnis ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 28 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 7 Rz. 44 | Gestaltender Teil weit ein fortwährender Befriedigungsanspruch des Gläubigers im Plan nicht geregelt ist, wird der Schuldner nach § 11 Satz 1 StaRUG frei. Es empfiehlt sich daher, die Formulierung der aufzunehmenden Willenserklärungen und Gestaltungswirkungen eher an § 11 StaRUG als an § 7 StaRUG zu orientieren. Wirksamkeits- bzw. Bestätigungsvoraussetzung ist dies allerdings nicht. 3. Absonderungsanwartschaften 45 Der Restrukturierungsplan kann gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG auch den Eingriff in Gegen-

stände des schuldnerischen Vermögens vorsehen, die im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen würden. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG beinhaltet eine Rechtsgrundverweisung auf die §§ 49 ff. InsO und auf die insolvenzrechtliche Definition des Absonderungsrechts. Aus diesem Grunde unterfallen auch Sicherungsrechte an Rechten, insbesondere an Forderungen (§ 51 Nr. 1 InsO) der Definition der Absonderungsanwartschaft und ist die Gestaltungsbefugnis durch den Plan trotz der Bezugnahme in § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG nur auf „Gegenstände“ nicht auf dingliche Rechte beschränkt. Der Katalog der Absonderungsrechte in §§ 49–51 InsO ist abschließend und nicht dispositiv,40 weshalb zwar ein Eingriff in und ein Verzicht auf begründete Absonderungsanwartschaften möglich ist, nicht aber eine parteiautonome Erweiterung des Katalogs möglicher Absonderungsanwartschaften und nicht die Anerkennung von Sicherungsrechten, die sich nicht unter §§ 49–51 InsO subsumieren lassen. Künftige Aussonderungsrechte sind einer Gestaltung durch den Restrukturierungsplan ebenso wie der Gestaltung durch Insolvenzplan entzogen.41

46 Eine dem § 223 Abs. 1 InsO entsprechende Regelung, wonach Absonderungsrechte in ihrem

Bestand von dem Insolvenzplanverfahren grundsätzlich unberührt bleiben, solange der Plan etwas anderes nicht ausdrücklich vorsieht, war dem gegenüber entbehrlich, da in den Restrukturierungsplan ohnehin nur die ausdrücklich genannten Rechte einbezogen werden.

47 Die Absonderungsanwartschaft muss an Vermögensgegenständen des Schuldners bestehen.

Die Besicherung einer gegen den Schuldner gerichteten Forderung am Vermögen Dritter, z.B. also die Besicherung durch den Gesellschafter, ist einer Gestaltung im Plan nicht zugänglich, soweit nicht die Ausnahme der Gestaltbarkeit gruppeninterner Drittsicherheiten nach § 2 Abs. 4 StaRUG (sogleich Rz. 56 ff.) greift. Das Bestehen auch einer persönlichen Forderung gegen den Schuldner ist indes nicht Voraussetzung;42 auch die Bestellung einer Sicherheit durch den Schuldner für die Verbindlichkeit eines Dritten ist gestaltbar.

48 Ein Eingriff in die Absonderungsanwartschaft liegt nur insoweit vor, wie der Nominalbetrag

der persönlichen Forderung durch die Sicherheit werthaltig gedeckt ist. Ist der Gläubiger nicht vollständig gesichert, so begründet der ungesicherte Teil der Restrukturierungsforderung kein Sicherungsrecht und ist der Planbetroffene unter Geltung des insolvenzplanrechtlichen Verbots der Mischgruppenbildung43 mit seinem gesicherten Anspruch in der Gruppe der Absonderungsanwartschaftsgläubiger und mit dem ungesicherten Teil seiner Forderung in der Gruppe der Restrukturierungsforderungsgläubiger einzugruppieren.

49 Das Verbot der Mischgruppenbildung hat dabei auch Einfluss auf die Gestaltung des Ein-

griffs in das Sicherungsrecht, vor allem bei akzessorischen Sicherheiten. Wird die akzessorisch gesicherte schuldrechtliche Verpflichtung des Schuldners, die Restrukturierungsforderung also durch die Festsetzungen des Plans für Restrukturierungsforderungen gekürzt, so hätte dies nach § 11 Satz 1 StaRUG grundsätzlich zur Folge, dass die akzessorische Sicherheit 40 41 42 43

Statt Vieler Hölzle in Vallender/Undritz, Praxis des InsR, 3. Aufl. 2022, Kap. 5 Rz. 222. Ebenso Tasma in Flöther, § 7 StaRUG Rz. 16. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 34 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648.

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Gestaltender Teil | Rz. 52 § 7

ohne Planregelung erlischt.44 Das aber verstieße gegen das Teilhaberecht des Absonderungsanwartschaftsberechtigten und gegen die Grundsätze der Gruppenbildung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG, wonach bei Eingriffen in Absonderungsanwartschaften für diese eine eigenständige Gruppe zu bilden ist (§ 9 Rz. 21 ff.). Der Planersteller darf sich daher gerade nicht auf die Akzessorietät (oder bei nicht akzessorischen Sicherungsrechten auf den durch Verzicht auf die gesicherte Forderung entstehenden Rückübertragungsanspruch) zurückziehen und von einer ausdrücklichen Regelung für die Absonderungsanwartschaften absehen, sondern muss der Regelung der Absonderungsanwartschaft zwingend Priorität vor der Regelung der gesicherten Forderung einräumen. Gläubiger mit gesicherten Ansprüchen sind nur insoweit als Restrukturierungsgläubiger zu qualifizieren, wie der schuldrechtliche Anspruch über den Wert der Sicherheit hinausgeht. Sie nur mit der gesicherten Forderung als Planbetroffene auszuwählen, nicht aber mit dem Sicherungsrecht, würde zudem auch ein Verstoß gegen § 8 StaRUG begründen, weil es hierfür an einer sachlichen Rechtfertigung fehlt (§ 8 Rz. 2). Ähnlich, wie nach der Rechtsprechung des BGH,45 wonach die Zahlung des Schuldners auf das Sicherungsrecht auch die persönliche Schuld tilgt, gilt auch für die Gestaltbarkeit im Restrukturierungsplan: Jede Gestaltung erfolgt nach §§ 8, 9 StaRUG zwingend zunächst mit Blick auf das Sicherungsrecht und führt dadurch zugleich zum Erlöschen des gesicherten schuldrechtlichen Anspruchs in diesem Umfang. Aus diesen Regeln des Minderheitenschutzes in § 64 StaRUG folgt, dass die Gestaltung einer 50 Absonderungsanwartschaft in Höhe des werthaltigen Teils einer Sicherheit regelmäßig nur mit Zustimmung der betroffenen Gläubiger, also in aller Regel nur durch einen konsensualen Eingriff möglich ist.46 Allerdings wird der gesicherte Gläubiger allein durch die Prolongation einer gesicherten Forderung unter Aufrechterhaltung des Zinsdienstes grundsätzlich noch nicht benachteiligt,47 weshalb eine Gestaltung im Restrukturierungsplan, die allein darauf abzielt, den Eintritt der Verwertungsreife einer Sicherheit zu verhindern, innerhalb der Gruppe der Restrukturierungsforderungsgläubiger möglich ist und keine Einbeziehung der Absonderungsanwartschaften in den Plan erfordert,48 ohne dass hierdurch eine Schlechterstellung i.S.d. § 64 StaRUG verwirklicht würde. Gerade vor dem Hintergrund dieses faktischen Konsensprinzips kommt der Bewertung der 51 Sicherheit im Restrukturierungsplan zur Bewertung des Teilhaberechts des gesicherten Gläubigers erhebliche Bedeutung zu. Unter der gebotenen Feststellung sowohl des Fortführungsals auch des Zerschlagungswertes ist zunächst grundsätzlich der höhere von beiden maßgeblich,49 es sei denn, der Restrukturierungsplan legt in der Vergleichsrechnung zulässig als Alternativszenario die Zerschlagung (§ 6 Rz. 34) zugrunde; in diesem Fall ist allein der Zerschlagungswert zur Bewertung des Sicherungsrechts heranzuziehen. Für die Frage, ob der Absonderungsanwartschaftsberechtigte durch den Restrukturierungs- 52 plan i.S.d. § 64 StaRUG schlechter gestellt wird, als in dem nächstbesten Alternativszenario (§ 6 Rz. 30), kommt es in zeitlicher Hinsicht auf den Zeitpunkt an, zu dem der Sicherungsgläubiger das Sicherungsrecht nächstmöglich oder (strategisch) realistisch hätte verwerten können. Der Zeitpunkt der wirtschaftlichen Bewertung der Absonderungsanwartschaft unter44 In diesem Sinne Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 11; ähnlich Tasma in Flöther, § 7 StaRUG Rz. 17. 45 BGH v. 9.5.1980 – V ZR 89/79, WM 1980, 982. 46 Für den Insolvenzplan Hölzle in Kübler, HRI, 3. Aufl. 2018, § 30 Rz. 12 ff. 47 LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461 = RPfleger 1999, 561. 48 Wohl aber sollte mit Blick auf § 11 Satz 1 StaRUG in diesem Fall ausdrücklich klargestellt werden, dass die Absonderungsanwartschaften unverändert bestehen bleiben und sich deren Realisierung nach der Fälligkeit der gestalteten Forderung richtet. Eine Kürzung der Forderung außerhalb der Gruppe der Absonderungsanwartschaftsgläubiger ist demgegenüber nicht möglich (Rz. 49). 49 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 45 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 7 Rz. 52 | Gestaltender Teil scheidet sich daher von dem für ihre Gestaltungsfähigkeit maßgeblichen Zeitpunkt nach § 2 Abs. 5 StaRUG.50 53 Unter Beachtung der vorstehenden Grundlagen gilt für die Gestaltungsmöglichkeiten in Be-

zug auf Sicherungsrechte ebenso wie für die Restrukturierungsforderungen der Grundsatz der privatautonomen Gestaltungsfreiheit. Jede zivilrechtlich erlaubte Gestaltung kann im Plan umgesetzt werden, soweit sich nicht aus dem StaRUG selbst oder aus anderen Gesetzen Beschränkungen (Rz. 40 ff.) ergeben.

54 Den weitreichendsten Eingriff stellt dabei die Kürzung des Sicherungsrechts und damit das

(anteilige) Freiwerden der werthaltigen Sicherheit dar (aus der zugleich die entsprechende Kürzung des schuldrechtlichen Anspruchs folgt Rz. 49). Hierzu werden Gläubiger insbesondere dann bereit sein, wenn der freiwerdende Teil der Sicherheit sogleich zur Besicherung neuer Kredite oder zugunsten sonstiger Planbegünstigter verwendet wird, um die Bereitstellung neuer Liquidität gegen Sicherheitenbestellung für das Unternehmen zu ermöglichen.51 Häufig wird dies dann mit einer Übertragung der zur Sicherung belasteten Gegenstände auf einen Treuhänder verbunden werden, um die – erforderliche (Rz. 50) – Zustimmung der Sicherungsgläubiger zu erlangen.

55 Daneben kann der Plan aber auch jede sonstige Regelung wie Stundungen, Prolongationen

und auch die vollständige Neuordnung der Sicherheitenstruktur, z.B. durch Pooling von Sicherheiten in der Hand mehrerer Berechtigter vorsehen. Dabei ist erneut darauf zu achten, innerhalb welcher Gruppe der Eingriff zu regeln ist, ob er nämlich nur den Eintritt der Verwertungsreife in Ansehung des gesicherten schuldrechtlichen Anspruchs ohne Einfluss auf Inhalt und Umfang der Absonderungsanwartschaft betrifft, oder ob tatsächlich ein Eingriff in das Sicherungsrecht vorliegt (Rz. 50). 4. Gruppeninterne Drittsicherheit

56 Ein Novum, dass in der Restrukturierungspraxis für deutliche Erleichterung sorgt, ist die

Möglichkeit eines koordinierten Zugriffs auch auf konzerninterne Drittsicherheiten gem. § 2 Abs. 4 StaRUG.

57 § 2 Abs. 4 StaRUG enthält eine Klammerdefinition, wonach gruppeninterne Drittsicherhei-

ten solche Rechte von Gläubigern einer Restrukturierungsforderung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG sind, die sich aus einer von einem Tochterunternehmen i.S.d. § 290 HGB übernommenen persönlichen Haftung als Bürge, Mitschuldner oder einer aus sonstigem Rechtsgrund übernommenen Haftung oder aus Sicherheiten an Gegenständen des Vermögens dieses Unternehmens ergeben.

58 Erfasst sind daher nur Tochterunternehmen, die unmittelbar oder mittelbar unter beherr-

schendem Einfluss der zu strukturierenden Muttergesellschaft stehen, gleichgültig, auf welcher Beteiligungsstufe; ob der beherrschende Einfluss auch ausgeübt wird ist unerheblich.52 Die entsprechende Anwendung der Vorschrift auf andere konzernangehörige Unternehmen, die in der Konzerngliederung über (Mutter- oder Großmuttergesellschaften, downstream Sicherheiten) oder neben (Schwestergesellschaften oder deren Töchter, sidestream Sicherheiten) der zu restrukturierenden Gesellschaft angeordnet sind, ist nicht möglich. Zwar spricht die Gesetzesbegründung allgemein davon, dass durch die Vorschrift die Restrukturierung von Konzernen erleichtert und die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder die Inanspruchnahme der Instrumente der präventiven Restrukturierung auf Ebene der Sicherheiten stellenden Kon-

50 Ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 47 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 51 Westpfahl/Dittmar in Flöther, § 2 StaRUG Rz. 33. 52 Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 290 HGB Rz. 7.

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Gestaltender Teil | Rz. 62 § 7

zerngesellschaft vermieden wird;53 allerdings liegt die Rechtfertigung für den Eingriff auch in solche Drittsicherheiten gerade in der infolge der Beherrschung vermittelten Einflussnahmemöglichkeit der zu restrukturierenden Gesellschaft auf das Vermögen der Tochtergesellschaft und die Einbeziehung der Beteiligung an der Tochtergesellschaft in das der Gläubigerbefriedigung dienende Vermögen. Die Beteiligung an (sämtlichen) Tochtergesellschaften ist im darstellenden Teil des Restrukturierungsplans nach § 6 StaRUG darzustellen und zu bewerten. Würde die Tochtergesellschaft infolge der Inanspruchnahme der Sicherheiten ebenfalls die präventive Restrukturierung in Anspruch nehmen (müssen) oder sogar Insolvenzantrag stellen, würde sich dies auf den Wertansatz im Rahmen der Vergleichsrechnung negativ auswirken. Die Eröffnung der Möglichkeit, auf von diesen Gesellschaften gestellte Sicherheiten zuzugreifen, liegt daher in der abstrakten Vorteilhaftigkeit dieser Möglichkeit auch für die betroffenen Gläubiger, da hierdurch eine kollektive Wertsteigerung bzw. ein Werterhalt im solidarisierten Gläubigergesamtinteresse ermöglicht wird. Dies ist bei Beteiligungen, die nicht im Vermögen der zu restrukturierenden Gesellschaft liegen, nicht der Fall, weshalb eine Erstreckung der Norm auf andere Gesellschaften im Konzernverbund außerhalb der von der betroffenen Schuldnerin mittelbar oder unmittelbar beherrschten Beteiligungskaskade nicht möglich ist. Soweit die Sicherheiten stellende Tochtergesellschaft selbst nicht insolvenzgefährdet oder der 59 Sicherheit auch in diesem Fall ein Wert beizumessen ist, ist der Eingriff gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG durch eine angemessene Entschädigung zu kompensieren. Der kompensationslose Eingriff in Drittsicherheiten ist demgemäß nicht möglich. § 2 Abs. 4 Satz 1 StaRUG beinhaltet daher in der Sache lediglich eine Verfügungsermächtigung, nicht jedoch ein materielles Eingriffsrecht, vergleichbar mit den Befugnissen nach § 166 InsO. Ziel ist es, Folgeinsolvenzen zu vermeiden, gesellschaftsübergreifende Restrukturierungen auch in Konzernen einheitlich zu ermöglichen und so Werte zu erhalten. Mehr als ein verfahrensrechtliches Zugriffsrecht zur Eröffnung einer koordinierten Gläubigerbefriedigung und gegebenenfalls Sicherheitenverwertung ist hierfür allerdings nicht erforderlich. Der materielle Kompensationsanspruch kann nach § 64 Abs. 1 StaRUG bei nicht zureichen- 60 der Berücksichtigung oder Bemessung als individueller Nachteil geltend gemacht und so zum Planbestätigungshindernis werden. Die Bemessung des Kompensationsanspruchs wird in der Praxis, gerade weil das Risiko in 61 Form des Scheiterns der Planbestätigung bei einer zu geringen Bemessung erheblich ist, Schwierigkeiten bereiten. Solange die Tochtergesellschaft nicht selbst drohend zahlungsunfähig ist, wird bei persönlichen Sicherheiten (Bürgschaften, Schuldbeitritten, Garantien) jeweils der Nominalbetrag der Forderung als Kompensationsanspruch anzusetzen sein. Bei dinglichen Sicherheiten bemisst sich der Anspruch nach dem Markt-/Veräußerungswert, also dem steuerlichen Teilwert. Dieser sollte, bleibt er hinter dem Nominalbetrag des gesicherten Anspruchs zurück, tunlichst durch ein Sachverständigengutachten eines vereidigten Industrieauktionators nachgewiesen sein. Ist zu besorgen, dass ohne den Eingriff in die konzerninterne Drittsicherheit die Tochtergesellschaft selbst in die Insolvenz gerät, so ist für die Bemessung des Kompensationsanspruchs – soweit es sich um eine dingliche Sicherung handelt – der Erwartungswert aus der Absonderung des betreffenden Vermögensgegenstandes, bzw. – soweit es sich um eine persönliche Sicherheit des Tochterunternehmens handelt – die voraussichtliche Insolvenzquote im dortigen Verfahren maßgeblich. Die grundsätzliche Ausrichtung des Kompensationsanspruchs an der nominellen Höhe der 62 gesicherten Forderung unterstreicht einmal mehr, dass es sich bei § 2 Abs. 4 StaRUG um eine prozedurale Koordinationsvorschrift und nicht um ein materielles Eingriffsrecht handelt.

53 BT-Drucks. 19/24181, S. 113.

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§ 7 Rz. 63 | Gestaltender Teil 63 Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Bemessung des Kompensationsanspruchs frei von ma-

teriell-rechtlichen Erwägungen außerhalb des Rechts der präventiven Restrukturierung ist. Dies gilt insbesondere für kapitalerhaltungsrechtliche Bindungen des Vermögens des sicherheitengewährenden Tochterunternehmens, die einen Zugriff materiell-rechtlich beschränken oder ausschließen und damit der Gewährung eines Kompensationsanspruchs überhaupt entgegenstehen, jedenfalls aber Einfluss auf dessen Bemessung haben können.54 Was den maßgeblichen Zeitpunkt angeht, auf welchen kapitalerhaltungsrechtliche Einwendungen zu prüfen sind, ist zwischen Personal- und Realsicherheiten zu unterscheiden.

64 Für dingliche Sicherheiten hat der BGH55 entschieden, dass es für die Prüfung der Unter-

bilanz durch die sicherungshalber vorgenommene Belastung des Vermögens der Gesellschaft auf den Bestellungszeitpunkt und nicht auf den Zeitpunkt der Verwertung der Sicherheit ankommt. Die Unterbilanz und der Angriff auf das gebundene Kapital im Zeitpunkt der Verwertung schadet daher nicht, wenn ein solcher im Zeitpunkt der Bestellung nicht nachweisbar ist.

65 Anders bei persönlichen Sicherheiten: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob eine

Zahlung zu einer Unterbilanz oder Überschuldung führt oder diese vertieft, ist im Rahmen der Kapitalerhaltungsvorschriften nach dem BGH56 nämlich nicht der Zeitpunkt, in dem die Forderung begründet worden ist, sondern der Zeitpunkt der Auszahlung. Aus dieser Klarstellung des BGH folgt zugleich, dass auch vertragliche Verwertungsbeschränkungen zum Schutze des gebundenen Kapitals der sicherheitengewährenden Tochtergesellschaft (sog. limitation languages) entgegen insbesondere der Auffassung des OLG Frankfurt57 in der Insolvenz ihren Zweck nicht verlieren und daher anwendbar und berücksichtigungsfähig bleiben.58 Für die Berücksichtigungsfähigkeit bei Eingriffen in die Sicherheit durch einen Restrukturierungsplan gilt dann a maiore ad minus dasselbe.

66 Kann der Verwertung der Sicherheit daher eine gesetzliche Einwendung aus den Kapital-

schutzvorschriften oder eine daraus abgeleitete vertragliche Einwendung aus einer limitation language entgegengehalten werden, so hat dies unmittelbaren Einfluss auf die Bemessung des Kompensationsanspruchs bis hin zu dessen vollständigen Entfalls.59

5. Vertragliche Nebenbestimmungen (§ 7 Abs. 3 StaRUG) 67 Das durch § 2 Abs. 2 StaRUG eröffnete Gestaltungspotential, das der Gesetzgeber in das

Recht des Insolvenzplans nicht ebenfalls übernommen hat, ist für die Restrukturierungspraxis erheblich. Die Gestaltbarkeit vertraglicher Nebenbestimmungen eröffnet den zwangsweisen Eingriff in Vertrags- und insbesondere Kreditbedingungen, welche die Modalitäten der Durchsetzbarkeit und Durchsetzung im Verhältnis zum Schuldner (§ 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) oder allein im Verhältnis mehrerer Gläubiger untereinander (§ 2 Abs. 2 Satz 2, 3 StaRUG) regeln. Letzteres ist deshalb bemerkenswert, weil mit dem Restrukturierungsplan auf diese Weise in Vertragsverhältnisse eingegriffen werden kann, an welchen der Schuldner überhaupt nicht beteiligt ist.60 Entscheidend ist allein, dass zwischen den Gläubigern eine Vereinbarung besteht, mit welcher diese die Wahrnehmung der gegenüber dem Schuldner bestehenden 54 55 56 57

BT-Drucks. 19/24181, S. 113. BGH v. 21.3.2017 – II ZR 93/16, BGHZ 214, 258 = ZIP 2017, 971. BGH v. 28.1.2020 – II ZR 10/19, ZIP 2020, 511. OLG Frankfurt v. 8.11.2013 – 24 U 80/13, NZI 2014, 363, mit krit. Anm. Undritz/Degenhardt, NZI 2015, 348. 58 Vgl. dazu Längsfeld, WuB 2020, 275. 59 Wie hier (Rz. 56–66) insgesamt Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 2–4 StaRUG Rz. 31-41. 60 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 2–4 StaRUG Rz. 22; ebenso Wilkens, WM 2021, 573; de Bruyn/Ehmke, NZG 2021, 661.

232 | Hölzle

Gestaltender Teil | Rz. 71 § 7

Rechte koordinieren oder ihre Berechtigungen an den aus der Wahrnehmung dieser Rechte resultierenden Erlösen im Verhältnis zueinander abgrenzen, insbesondere durch die Vereinbarung relativer Vor- oder Nachränge.61 Durch solche Maßnahmen kann die Liquidität des Unternehmens maßgeblich geschützt und verbessert werden. § 7 Abs. 3 StaRUG eröffnet ungeachtet der im Recht des Insolvenzplans streitigen Frage, ob 68 die Änderung von Vertragsinhalten möglich ist,62 einen Eingriff in mehrseitige Vertragsverhältnisse auch mit Wirkung für die Zukunft,63 insbesondere soweit Covenants, Kündigungsrechte, Besicherungen und Verwertungsrangfolgen betroffen sind. Damit hat die Norm vor dem Hintergrund des Verzichts des Gesetzgebers, Vertragsbeendigungsmöglichkeiten als Restrukturierungsinstrument vorzusehen,64 sowie unter Berücksichtigung der nur eingeschränkten Gestaltbarkeit von Forderungen aus gegenseitigen Verträgen nach § 3 Abs. 2 StaRUG einen Ausnahmecharakter. Dies ist durch Anwendung eines strengen Auslegungsmaßstabs zu würdigen. Dieser strenge Auslegungsmaßstab schlägt sich insbesondere bei der Beurteilung nieder, in 69 welchem Umfang auf vertragliche Nebenbestimmungen durch den Plan (zwangsweise) Einfluss genommen werden kann. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG sind in den Bedingungen mehrseitiger Rechtsverhältnisse „Einzelbestimmungen“ gestaltbar. Daraus kann angesichts der Gesetzesbegründung zwar nicht geschlossen werden, dass sich die Gestaltbarkeit auf (unbedeutende) Nebenbestimmungen beschränkt;65 jedoch darf der Charakter des Vertrages durch die Summe der vorzunehmenden Änderungen nicht verändert und dürfen die aus dem Vertrag resultierenden Rechte der Vertragspartner nicht derart beschränkt werden, dass dies wirtschaftlich einem Eingriff in künftige Ansprüche aus dem Vertrag (Verstoß gegen § 3 Abs. 2 StaRUG) oder gar einer Vertragsaufhebung oder grundsätzlichen Neugestaltung gleichkommt, weil dies mit der Streichung der Vertragsbeendigungsoption, die in der Entwurfsfassung des Gesetzes66 noch vorgesehen war, nicht zu vereinbaren wäre. Eingriffe in die das Wesen des Vertrages bestimmenden Elemente und Klauseln sind daher nicht möglich, die Gestaltung von Bestimmungen, welche den das Wesen des Vertrages bestimmenden Kern unangetastet lassen, insbesondere von Vertragsausführungsbestimmungen, ist, auch in größerem Umfang, möglich. Die Beschränkung auf Einzelbestimmungen bedeutet nämlich nicht, dass nicht auch eine Mehr- oder Vielzahl von Einzelbestimmungen gestaltet werden könnte. Damit dient und ermöglicht der Eingriff in vertragliche Nebenbestimmungen vor allem die 70 Sicherung der künftigen Liquidität insbesondere durch die Lockerung der Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Bilanzkennzahlen (Covenants) und Zusicherungen (Reps and Warranties) sowie die Beschränkung von Kündigungsrechten (Events of default) und das Hinausschieben von Fälligkeiten.67 Außerdem kann der Restrukturierungsplan Vereinbarungen zwischen den Gläubigern (Intercreditor Agreements) und darin enthaltene Befriedigungsreihenfolgen (Waterfalls) neu gestalten.68 Besondere Bedeutung hat § 7 Abs. 3 StaRUG vor allem aber auch bei der Restrukturierung 71 von Anleihen, weil mit der Abstimmung über den Restrukturierungsplan und dessen Mehrheitserfordernissen die Anleiherestrukturierung häufig einfacher wird gestaltet werden können, als nach den Anleihebedingungen und dem SchVG, weil Eingriffe in Anleiheforderungen 61 62 63 64 65

BT-Drucks. 19/24181, S. 112. Vgl. Westpfahl/Dittmer in Flöther, § 2 StaRUG Rz. 37. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 55a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Zustimmend Bork, ZRI 2021, 345, 351; grundlegend Looschelders, ZIP 2021, 2461. Ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 55 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); wohl auch Schröder in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 32. 66 Vgl. §§ 51–55 RegE-StaRUG, BT-Drucks. 19/24181. 67 BT-Drucks. 19/24181, S. 112. 68 Wilkens, WM 2021, 573; de Bruyn/Ehmke, NZG 2021, 661.

Hölzle | 233

§ 7 Rz. 71 | Gestaltender Teil auch unterhalb der Voraussetzungen für eine kollektive Änderung der Anleihebedingungen nach dem SchVG möglich sind.69 72 Das StaRUG enthält für die Restrukturierung von Anleihen allerdings keine besonderen Vor-

schriften. Es ist daher grundsätzlich nicht möglich, in einer präventiven Restrukturierung entsprechend § 5 Abs. 1 Satz 1, Fall 2, § 7 SchVG einen gemeinsamen Vertreter für alle Anleihegläubiger zu bestellen. Zwar ist mit Art. 18 des SanInsFoG70 dem § 19 SchVG ein neuer Abs. 6 angefügt worden, wonach § 19 Abs. 1–5 SchVG im Falle der Einbeziehung von Forderungen aus Schuldverschreibungen in einen Restrukturierungsplan entsprechend gelten, allerdings wäre insbesondere die Pflicht zur unverzüglichen Einberufung einer Anleihegläubigerversammlung durch das Restrukturierungsgericht entsprechend § 19 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 6 SchVG mit dem Wesen des StaRUG als zur Disposition des Schuldners stehendem, modularen Verfahren kaum vereinbar.71 Die Wahl eines gemeinsamen Vertreters im Rahmen einer Anleihegläubigerversammlung findet daher ungeachtet der Möglichkeit des § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG kraft Gesetzes nicht statt.

73 Ein bereits in den Anleihebedingungen oder durch einen Beschluss der Anleihegläubiger be-

stellter gemeinsamer Vertreter erstarkt nach den Regelungen des § 19 Abs. 3 i.V.m. § 19 Abs. 6 SchVG mit Einbeziehung von Forderungen aus Schuldverschreibungen in ein Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens indes zum sog. „starken“ gemeinsamen Vertreter und ist allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Planbetroffenen geltend zu machen.

74 Soweit Nebenbestimmungen zu Verträgen geändert werden, sind diese Änderungen freilich

konkret anzugeben, um den künftigen Inhalt des Vertrages zweifelsfrei bestimmen zu können. Es empfiehlt sich, die Neufassung der maßgeblichen Bestimmungen als Anlage dem Restrukturierungsplan beizufügen und hierauf im gestaltenden Teil zu verweisen; bei umfangreichen Änderungen empfiehlt sich zudem die Beifügung einer Vertragssynopse.72 6. Gesellschaftsrecht (§ 7 Abs. 4 StaRUG) a) Überblick aa) Norminhalt, systematische Stellung und Normzweck (1) Norminhalt

75 Der Restrukturierungsplan als Kernelement des StaRUG bildet die Grundlage für Eingriffe

in die Rechte von Gläubigern und Anteilseignern auf Basis einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung. Nach § 2 Abs. 3 StaRUG können, sofern der Schuldner eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ist, „auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der an dem Schuldner beteiligten Personen durch den Restrukturierungsplan gestaltet, sonstige gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen getroffen sowie Anteils- und Mitgliedschaftsrechte übertragen werden“ (entspricht im Übrigen § 217 Satz 2 InsO). Die Gesellschafter können mithin als sog. Planbetroffene (vgl. § 7 Abs. 1 StaRUG) in einen Restrukturierungsplan mit einbezogen werden. Die Vorschrift des § 7 Abs. 4 StaRUG regelt nun, in welcher Weise im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans die Rechtsstellung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte durch den Plan geändert werden kann. Restrukturierungsforderungen können beispielsweise in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an dem Schuldner umgewandelt werden (sog. Debt-Equity-Swap (Satz 1), wobei jedoch eine Umwandlung gegen den Willen der betrof69 BT-Drucks. 19/24181, S. 112. 70 BGBl. I 2020, S. 3256. 71 Becker/Pospiech in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 A IV, Rz. 145 ff. 72 Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437; Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 15.

234 | Hölzle und Seibt

Gestaltender Teil | Rz. 77 § 7

fenen Gläubiger ausgeschlossen ist (Satz 2). Der Restrukturierungsplan kann insbesondere auch eine Kapitalherabsetzung oder Kapitalerhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an Ausscheidende an dem Schuldner beteiligte Personen vorsehen (Satz 3). Der Plan kann weiter vorsehen, dass Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte übertragen werden (Satz 4). Im Übrigen, und dies ist die Generalklausel, kann jede Regelung im Plan getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist (Satz 5). Durch Verweis auf § 225a Abs. 4 und 5 InsO wird schließlich geregelt, dass (i) vertragliche Change of Control-Klauseln, die durch den Inhalt von Planregelungen ausgelöst werden, unbeachtlich sind und Planregelungen auch ansonsten nicht zu einer anderweitigen Beendigung von Verträgen mit Change of Control-Klauseln führen; (ii) zudem gibt es eine Begrenzung von Abfindungsansprüchen für Alt-Gesellschafter des Schuldners, die Austrittsrechte aus wichtigem Grund wegen des Inhalts von Planregelungen wahrnehmen (Satz 6). (2) Systematische Stellung Die Zulässigkeit der Einbeziehung von Rechten der Gesellschafter des Schuldners („Anteils- 76 oder Mitgliedschaftsrechte“) in die Vorschrift des gestaltenden Teils des Restrukturierungsplans in § 7 Abs. 2 StaRUG („Anforderungen an den Restrukturierungsplan“) des Kapitel 1 („Restrukturierungsplan“) von Teil 2 StaRUG („Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen“) ist überzeugend. Die systematische Stellung entspricht im Wesentlichen der Regelung der Gesellschafterrechte im Insolvenzplan durch § 225a InsO, dort als eigenständige Norm, aber als möglicher Inhalt des gestaltenden Teils des Insolvenzplans (vgl. §§ 219, 221 InsO). (3) Normzweck und Vergleich mit § 225a InsO Vor dem Hintergrund unterschiedlicher rechtspolitischer Positionen73 hatte bereits das BMJ 77 (mit dem RefE) und dann die Bundesregierung (mit dem RegE) die Grundsatzentscheidung getroffen, wie beim Insolvenzplan nach der Insolvenzordnung auch für den Restrukturierungsplan die Möglichkeit zu eröffnen, Eingriffe in die Rechte von Anteilseignern zuzulassen. Die Entwurfsverfasser haben dies mit der „Parallelität der Zwecksetzungen“ von InsO einerseits und StaRUG andererseits74 und mit „funktionalen Übereinstimmungen“ zwischen dem Insolvenzplan einerseits und dem Restrukturierungsplan andererseits75 begründet; die enge Normenanbindung bei der Ausgestaltung des Restrukturierungsplans an die Bestimmungen zum Insolvenzplan solle nach deren Willen vermeiden, dass die Auswahl zwischen präventivem Restrukturierungsrahmen und Insolvenzplanverfahren durch sachlich nicht gebotene Unterschiede in der Ausgestaltung beeinflusst wird.76 Die im Lichte von Art. 14 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 GG problematischen Zwangseingriffe in die Rechte der Anteilsinhaber, die anders als im Falle der materiellen Insolvenz jedenfalls nicht damit gerechtfertigt werden können, dass den Anteilen kein Wert mehr zukomme und sie somit „verspielt“ hätten,77 73 Gegen eine zwangsweise Einbeziehung der Gesellschafter in einen Restrukturierungsplan z.B. H.F. Müller, ZGR 2018, 56, 52 ff.; Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1197; C. Schäfer, ZIP 2019, 1645, 1646 ff.; Korch, ZIP 2020, 446, 552; zurückhaltend auch Deppenkemper, ZIP 2020, 595, 601 („Eingriff in Mitgliedschaft bedarf besonderer Zurückhaltung und Rechtfertigung“); für eine Einbeziehung der Gesellschafter in den Restrukturierungsplan z.B. Spahlinger, NZI-Beilage 2019, 69, 70; Thole, NZIBeilage 2019, 61, 64; wohl auch Sax/Ponseck/Swierczok, DB 2017, 323, 327. 74 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 85 f. 75 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 87, 90 und S. 109. 76 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116 f.; vgl. auch Begr. RefE SanInsFoG v. 19.9.2020, S. 117. 77 Deswegen kritisch im Hinblick auf eine zwangsweise Einbeziehung der Gesellschafter in den Restrukturierungsplan: H.-F. Müller, ZGR 2018, 56, 52 ff.; C. Schäfer, ZIP 2019, 1645, 1646; Seibt/ v. Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1197.

Seibt | 235

§ 7 Rz. 77 | Gestaltender Teil werden hier damit begründet, dass der präventive Restrukturierungsrahmen des StaRUG ebenso wie die InsO an den Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit anknüpfe.78 Die maßgebliche Rechtfertigung für die auch verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer zwangsweisen Einbeziehung der Gesellschaft in den Restrukturierungsplan, und damit vor Eintritt der materiellen Insolvenz, kann (nur) darin gesehen werden, dass die Gesellschafter der Einleitung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss zwingend zustimmen müssen (sog. gesellschaftsrechtlicher Eingangsschutz).79 78 Aus der Gesetzessystematik der StaRUG-Regelungen lässt sich schlussfolgern, dass sich das

verbandsrechtliche Mitgliedschaftsrecht, das im Grundsatz eine Vermögens- und Mitverwaltungskomponente besitzt, während der Rechtshängigkeit eines Restrukturierungsverfahrens – wie im Insolvenzplanverfahren80 – allein auf die Vermögenskomponente beschränkt. Denn das StaRUG enthält an verschiedenen Stellen spezialgesetzliche Regelungen über die Ausgestaltung des Stimmrechts, das Abstimmungsverfahren, die Gleichbehandlung der Verfahrensbeteiligten und den Minderheitenschutz; die entsprechenden verbandsrechtlichen Regelungen, insbesondere auch das Erfordernis eines zustimmenden Gesellschafterbeschlusses (während der Rechtshängigkeit des Verfahrens), werden hierdurch verdrängt (s. auch Rz. 106). Vielmehr werden die Gesellschafter lediglich wie die sonstigen Gläubiger am Planabstimmungsverfahren beteiligt (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG). Die ordnungsgemäße Auswahl der Planbetroffenen sowie die gruppenbezogene Gleichbehandlung der Gesellschafter wird sodann von § 8 bzw. § 10 StaRUG sichergestellt. Dem Planabstimmungsverfahren (§§ 24 ff. StaRUG) wiederum liegt eine rein vermögensrechtliche Denkweise zugrunde: Die Gesellschafter können zwar für die Beeinträchtigung oder den Verlust ihrer Mitgliedschaft eine Entschädigung verlangen, den Eingriff selbst aber nicht verhindern. Entsprechend beurteilt sich das Stimmrecht bei Anteils- und Mitgliedschaftsrechten allein nach dem Anteil am gezeichneten Kapital oder dem Vermögen der Schuldnerin. Stimmrechtsbeschränkungen, Sonder- oder Mehrstimmrechte bleiben dagegen außer Betracht (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG). Die rein wirtschaftliche Betrachtungsweise gilt auch für gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidungen (§ 26 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 3 und 5 StaRUG) sowie den Minderheitenschutz (§ 66 StaRUG). Im Ergebnis werden die Gesellschafter daher ebenso wie im Insolvenzplanverfahren nicht mehr als Mitglieder eines Verbandes, sondern als grundsätzlich nachrangig zu befriedigende Gläubiger (vgl. § 26 Abs. 5 StaRUG) eingeordnet.81 Allerdings ist die Vermögenskomponente der Mitgliedschaft im Vergleich zum Insolvenzplanverfahren konsequenterweise (!) stärker ausgestaltet: So hat der darstellende Teil des Restrukturierungsplans gem. § 6 Abs. 2 Satz 1 StaRUG eine Vergleichsrechnung zu enthalten, welche die Auswirkungen der Planregelungen auf die Befriedigungsaussichten der Planbetroffenen darstellt und begründet. Der Vergleichsrechnung kommt deswegen eine besondere Bedeutung zu, weil die gerichtliche Planbestätigung gegen den Willen einzelner Beteiligter (vgl. z.B. § 26 Abs. 1 Nr. 1, § 66 Abs. 1 StaRUG) voraussetzt, dass diese durch den Plan nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne den Plan stünden. Dabei sind Vergleichsrechnungen grundsätzlich Fortführungswerte zugrunde zu legen, wenn die Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Restrukturierungsplans angestrebt wird (§ 6 Abs. 2 Satz 2 StaRUG). Liquidationswerte dürfen dagegen nur ausnahmsweise und mit fundierter Begründung dann angesetzt werden, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist (§ 6 Abs. 2 Satz 3 StaRUG). Diese besondere Absicherung der Vermögenskomponente der Gesellschafter ist zutreffend und notwendig, da den Anteilen im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit – eben

78 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 87 f. und S. 105; vgl. auch Begr. RefE SanInsFoG v. 19.9.2020, S. 121 f. 79 Hierzu ausf. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2233 und 2235 ff. 80 Hierzu z.B. Seibt/Bulgrin, ZIP 2017, 353, 355 f. 81 Zu alledem bereits Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2233.

236 | Seibt

Gestaltender Teil | Rz. 79 § 7

anders als nach Eintritt der materiellen Insolvenz – regelmäßig noch ein Wert zukommen wird, dessen vollständiger Ausgleich im Lichte von Art. 14 Abs. 1 GG geboten ist.82 Der Regelungsumfang der gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsmacht im gestaltenden Teil 79 des Restrukturierungsplans orientiert sich – auch nach dem ausdrücklichen Willen der StaRUG-Entwurfsverfasser83 – an der entsprechenden Regelung zum Insolvenzplanverfahren in § 225a Abs. 2 und 3 InsO: Nach § 7 Abs. 4 Satz 5 StaRUG kann im Restrukturierungsplan „jede Regelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist“ (Grundsatz). Bei den Regelungen in § 7 Abs. 4 Sätze 1 und 2 StaRUG zum Debt-Equity-Swap sowie der Aufzählung weiterer gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsoptionen in § 7 Abs. 4 Satz 4 StaRUG handelt es sich dagegen – wie auch bei § 225a Abs. 2 InsO – lediglich um deklaratorische und nicht abschließende Regelungen, welche vom Regelungsgehalt des § 7 Abs. 4 Satz 5 StaRUG konsumiert werden. Eine synoptische Darstellung der Parallelnormen der §§ 225a InsO und § 7 Abs. 1 und 4 StaRUG ist abgedruckt: § 225a InsO

§ 7 StaRUG

(1) Die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen bleiben vom Insolvenzplan unberührt, es sei denn, dass der Plan etwas anderes bestimmt.

(1) Der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans legt fest, wie die Rechtsstellung (...) der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte (Planbetroffenen) durch den Plan geändert werden soll.

(2)1 Im gestaltenden Teil des Plans kann vorgese- (4)1 Restrukturierungsforderungen können auch hen werden, dass Forderungen von Gläubigern in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an dem in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuld- Schuldner umgewandelt werden. ner umgewandelt werden. 2

Eine Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger ist ausgeschlossen.

2

3 Insbesondere kann der Plan eine Kapitalherabsetzung oder -erhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende Anteilsinhaber vorsehen.

3

Eine Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger ist ausgeschlossen. Insbesondere kann der Plan eine Kapitalherabsetzung oder -erhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende an dem Schuldner beteiligte Personen vorsehen.

4 (3) Im Plan kann jede Regelung getroffen werDer Plan kann vorsehen, dass Anteils- oder Mitden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist, insgliedschaftsrechte übertragen werden. besondere die Fortsetzung einer aufgelösten Ge- 5 Im Übrigen kann jede Regelung getroffen wersellschaft oder die Übertragung von Anteilsden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist. oder Mitgliedschaftsrechten.

(4) Maßnahmen nach Abs. 2 oder 3 berechtigen 6 § 225a Abs. 4 und 5 der Insolvenzordnung ist nicht zum Rücktritt oder zur Kündigung von Ver- entsprechend anzuwenden. trägen, an denen der Schuldner beteiligt ist. Sie führen auch nicht zu einer anderweitigen Beendigung der Verträge. Entgegenstehende vertragliche Vereinbarungen sind unwirksam. Von den Sätzen 1 und 2 bleiben Vereinbarungen unberührt, welche an eine Pflichtverletzung des Schuldners anknüpfen, sofern sich diese nicht darin erschöpft, dass eine Maßnahme nach Abs. 2 oder 3 in Aussicht genommen oder durchgeführt wird.

82 Hierzu bereits Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2234; Korch, ZIP 2020, 446, 447 f.; H.-F. Müller, ZGR 2018, 56, 71 f.; Skauradszun, KTS 2019, 161, 186 f.; Balthasar, ZHR 183 (2019), 662, 687 f. 83 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 115 f.; Begr. RefE SanInsFoG v. 19.9.2020, S. 124.

Seibt | 237

§ 7 Rz. 79 | Gestaltender Teil (5) Stellt eine Maßnahme nach Abs. 2 oder 3 für eine am Schuldner beteiligte Person einen wichtigen Grund zum Austritt aus der juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit dar und wird von diesem Austrittsrecht Gebrauch gemacht, so ist für die Bestimmung der Höhe eines etwaigen Abfindungsanspruches die Vermögenslage maßgeblich, die sich bei einer Abwicklung des Schuldners eingestellt hätte. Die Auszahlung des Abfindungsanspruches kann zur Vermeidung einer unangemessenen Belastung der Finanzlage des Schuldners über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren gestundet werden. Nicht ausgezahlte Abfindungsguthaben sind zu verzinsen.

bb) Vorgaben der Restrukturierungs-RL und StaRUG-Umsetzung (Gesetzgebungshistorie) 80 Die Restrukturierungs-RL überlässt die Frage nach der Einbeziehung der Anteilsinhaber in

das Verfahren über den Restrukturierungsplan dem nationalen Umsetzungsgesetzgeber (vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 2, Art. 12 Abs. 1 Restrukturierungs-RL). Bereits der BMJ-RefE (damals noch als § 9 Abs. 4) sowie der RegE (insoweit unverändert gegenüber dem RefE als § 9 Abs. 4) sahen die Einbeziehung der Anteilsinhaber in den gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans bereits vor. Der wortlautgleiche Text von RefE und RegE war – mit nur einer Abweichung – identisch von dem letztlich Gesetz gewordenen § 7 Abs. 4 StaRUG. Abweichend von der Gesetzesfassung sah § 9 Abs. 4 Satz 3 RefE/RegE vor: „Für Gläubiger, die einer Umwandlung in Anteils- und Mitgliedschaftsrechte widersprechen, ist eine Barabfindung vorzusehen“. Dieser Satz 3 wurde durch Einfügung von § 7 Abs. 4 Satz 2 („Eine Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger ist ausgeschlossen“) ersetzt. Die Änderung erfolgte auf der Basis der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss).84 Durch diese Änderung wurde ein vollständiger Gleichlauf mit den Regelungen zum Insolvenzplan in § 225a InsO hergestellt. Eine Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger ist hierdurch auch beim präventiven Restrukturierungsrahmen ausdrücklich ausgeschlossen. Die Änderung erfolgte, da die frühere Regelung im RefE bzw. RegE, der zufolge für widersprechende Gläubiger eine Barabfindung vorzusehen ist, „Probleme bei der Konkretisierung des angemessenen Maßstabs zur Bestimmung der Höhe des Abstimmungsanspruchs aufgeworfen hätte“.85 cc) Inkrafttreten

81 § 7 StaRUG ist am 1.1.2021 in Kraft getreten (Art. 25 Abs. 1 SanInsFoG). Änderungen hat es

an dieser Norm seitdem nicht gegeben. Reformvorschläge zu § 7 StaRUG sind nach Inkrafttreten der Norm bislang nicht vorgebracht worden.

84 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/25303, S. 20 f. 85 So Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) v. 16.12.2020, BTDrucks. 19/25353, S. 7.

238 | Seibt

Gestaltender Teil | Rz. 84 § 7

b) Einbeziehung von Anteilsinhaberrechten in den Restrukturierungsplan aa) Notwendigkeit einer Reglung im Restrukturierungsplan Die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldnerunternehmen beteiligten Personen 82 werden vom Restrukturierungsplan nur dann geändert, wenn der Restrukturierungsplan hierzu etwas Ausdrückliches bestimmt (vgl. § 7 Abs. 1 StaRUG). Allerdings sieht § 7 Abs. 1 StaRUG – insoweit rechtstechnisch abweichend von § 225a Abs. 1 InsO – vor, dass der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans festlegt, „wie“ die Rechtsstellung der Inhaber der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte durch den Plan geändert werden soll. Daher ist zu empfehlen, dass selbst für den Fall, dass das StaRUG-Sanierungskonzept keinen Eingriff in die Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte vorsieht, auch dies im gestaltenden Teil des Insolvenzplans ausdrücklich festgestellt wird und es hierzu auch Ausführungen im darstellenden Teil des Restrukturierungsplans gibt. bb) Regelungen für Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte Anknüpfungspunkt in § 7 Abs. 1 und 4 StaRUG (sowie § 2 Abs. 3 StaRUG) sind die „Anteils- 83 oder Mitgliedschaftsrechte“ der am Schuldner beteiligten Personen. Dieses Begriffspaar ist § 217 Satz 2, § 225a Abs. 1 InsO entnommen und wird weder dort in der InsO noch im StaRUG legal definiert. Es sollen mit diesem Begriffspaar alle Rechtspositionen umfasst sein, die aus der Mitgliedschaft in einem Verband resultieren.86 Hierzu gehören auch Verwaltungsund Vermögensrechte, die aus einer mittelbaren Beteiligung am Rechtsträger wie stille Beteiligung, Nießbrauch oder Treuhandverhältnis herrühren.87 Demgegenüber unterfallen dem Begriffspaar „Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte“ nicht von der Mitgliedschaft getrennte Ansprüche, die ursprünglich aus der Mitgliedschaft entstanden sind, also z.B. das Gläubigerrecht auf Gewinnausschüttung nach einem entsprechenden Gewinnverwendungsbeschluss der Gesellschafter sowie erfolgsabhängige schuldrechtliche Ansprüche gegen das Schuldnerunternehmen, wie z.B. Zahlungsansprüche aus Gewinnschuldverschreibungen und „Wandel-Genussrecht“.88 c) Umwandlung von Forderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte (Debt-EquitySwap; § 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 StaRUG) aa) Rechtlicher Vorgang und wirtschaftlicher Hintergrund Regelungsgegenstand von § 7 Abs. 4 Satz 1 StaRUG ist die Umwandlung von Forderungen 84 (d.h. schuldrechtlichen Positionen, unabhängig von der Personenzugehörigkeit der Gläubiger) in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte. Die „Umwandlung“ erfolgt rechtstechnisch mittels einer Sachkapitalerhöhung, bei der als Sacheinlage die Forderung gegen die Schuldnergesellschaft fungiert, auf die entweder verzichtet (Erlassvertrag i.S.v. § 397 BGB) oder die in die Schuldnergesellschaft mit der Folge der Konfusion eingelegt wird (sog. echter Debt-EquitySwap). Ein wirtschaftlich vergleichbares Ergebnis ist dadurch erreichbar, dass im Plan eine Übertragung von Anteilen der Alt-Gesellschafter auf die Gläubiger geregelt ist, die ihrerseits auf Forderungen gegenüber der Schuldnergesellschaft verzichten (Erlassvertrag i.S.v. § 397 BGB) oder diese in die Schuldnergesellschaft mit der Folge der Konfusion einlegen (sog. unechter Debt-Equity-Swap). 86 Zu § 225a InsO vgl. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 9; Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 20. 87 Zu § 225a InsO vgl. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 9; Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 21. 88 Zu § 225a InsO vgl. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 9; Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 21.

Seibt | 239

§ 7 Rz. 85 | Gestaltender Teil 85 Die wesentlichen Transaktionsschritte für einen „idealtypischen“ Debt-Equity-Swap bei Kapi-

talgesellschaften sind auch in § 7 Abs. 4 Satz 3 StaRUG stichworthaft aufgeführt: – Demnach wird regelmäßig im Restrukturierungsplan eine Kapitalherabsetzung geregelt, um eine Unterbilanz des Unternehmens zu beseitigen, dem Wertverlust der Anteilsrechte der Alt-Gesellschafter bis zur Planaufstellung Rechnung zu tragen und damit den Gläubigern als Neu-Investoren einen wirtschaftlich adäquaten und attraktiven Eigenkapitalaufsatzpunkt zu bieten. Die Kapitalherabsetzung dient damit der Unternehmenswertverteilung zum Zeitpunkt der Planaufstellung zwischen Alt-Gesellschaftern und Gläubigern/ Neu-Investoren. – Wird durch die Kapitalherabsetzung das Mindestgrund- oder Mindeststammkapital unterschritten (z.B. bei der sog. Kapitalherabsetzung auf Null) muss mit der Kapitalherabsetzung eine Barkapitalerhöhung in einer Höhe verbunden werden, die für die Deckung des Mindestgrund- oder Mindeststammkapitals ausreicht (vgl. § 228 AktG, § 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG). – Kernstück des Debt-Equity-Swaps ist die nachfolgende Sachkapitalerhöhung, bei der die gegen die Schuldnergesellschaft gerichtete Forderung des am Debt-Equity-Swap teilnehmenden Gläubigers Gegenstand der Sacheinlage ist. Die Einbringung der Forderung erfolgt entweder durch einen Forderungserlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB) oder im Wege einer Abtretung der Forderung an die Gesellschaft mit anschließender Konfusion bzw. Entwertung im Falle verbriefter Forderungen. Dabei kann die Kapitalerhöhung mit einem Bezugsrechtsausschluss für die Alt-Gesellschafter versehen werden (was in der Praxis auch der Regelfall ist).

86 Der Debt-Equity-Swap ist aus wirtschaftlichen Gründen eine wichtige Sanierungsmaßnahme,

und zwar prinzipiell sowohl aus Sicht des zu sanierenden Zielunternehmens als auch aus der Sicht der Forderungsgläubiger (potentielle Win-Win-Situation): (1) Zielunternehmen: Durch den Debt-Equity-Swap werden die Verbindlichkeiten und damit der Verschuldensgrad des Unternehmens reduziert; das Risiko einer finanziellen Überschuldung kann damit abgewendet werden. Daneben wird die Liquiditätslage des Unternehmens verbessert, da im Hinblick auf die umgewandelten Forderungen zukünftig weder Tilgungs- noch Zinsleistungen geschuldet sind. (2) Forderungsgläubiger: Für Forderungsgläubiger ist ein Debt-Equity-Swap gegenüber Auszahlung einer gegenüber dem Nennbetrag verringerten Leistung (oder im Fall einer späteren Insolvenz: der Auskehrung der Insolvenzquote) wirtschaftlich vorzugswürdig, insofern sie davon ausgehen können, dass (i) die Unternehmenssanierung erreicht wird und der Unternehmenswert mittels dieser Sanierung erheblich gesteigert wird und (ii) später ein Liquiditätszufluss des in dem Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten gebundenen Sanierungsmehrwertes (über Gewinnausschüttung, Anteilseinziehung und/oder Anteilsveräußerung) erfolgt. Der Debt-Equity-Swap ist aufgrund der wirtschaftlichen Wirkungsweisen eine wichtige Sanierungsmaßnahme, die vom Gesetzgeber zurecht (und an sich in unsystematischer Weise gegenüber dem in Satz 5 geregelten Grundsatz) in § 7 Abs. 4 Satz 2 StaRUG herausgehoben wurde.

87 Vor einer Haftung des am Debt-Equity-Swap teilnehmenden Gläubigers wegen Unterbewer-

tung der einzubringenden Forderung schützt § 76 Abs. 5 StaRUG, wonach die sog. Differenzhaftung im Falle des über einen Restrukturierungsplan umgesetzten Debt-Equity-Swap suspendiert ist. bb) Zustimmungsvorbehalt der Gläubiger (§ 7 Abs. 4 Satz 2 StaRUG)

88 Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 StaRUG ist eine Umwandlung von Forderungen in Anteils- und Mit-

gliedschaftsrechte „gegen den Willen der betreffenden Gläubiger (...) ausgeschlossen“, d.h. kein rechtlich zulässiger Inhalt des Restrukturierungsplans. Dementsprechend ist einem Restruktu240 | Seibt

Gestaltender Teil | Rz. 90 § 7

rierungsplan als Anlage die zustimmende Erklärung eines jeden Gläubigers beizufügen, der plangemäß Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen an einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit übernehmen soll (vgl. § 68 Abs. 1 StaRUG). Gesetzgeberischer Hintergrund dieser Regelung ist das Grundrecht auf negative Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) und der hierdurch gebotene Schutz eines Gläubigers vor einer Zwangsbeteiligung an einem Verband.89 Inhaltlich ist die Regelung damit begründet, dass die Gesellschafterstellung als Mitgliedschaft mit einem Bündel nicht nur von Rechten sondern auch von Pflichten verbunden ist, die einem Gläubiger nicht gegen seinen Willen auferlegt werden dürfen.

Bei einem Debt-Equity-Swap mit Einlage von unter das SchVG unterfallenden Anleihen ist 89 fraglich, ob und ggf. in welcher Form die Zustimmung der betroffenen Anleihegläubiger erforderlich ist. Denn nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG können Anleihegläubiger durch Mehrheitsbeschluss die Umwandlung von Schuldverschreibungen in „Gesellschaftsanteile, andere Wertpapiere oder andere Leistungsversprechen“ beschließen, und ein entsprechender Mehrheitsbeschluss wirkt auch zu Lasten von Anleihegläubigern, die nicht zugestimmt haben, also „gegen ihren (aktuellen) Willen“ (aber bei Akzeptanz des Mehrheitsbeschlussmechanismus; hierzu sogleich). Diese Regelung ist vor dem Hintergrund des Grundrechts auf negative Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) unbedenklich, da die Anleihegläubiger sich diesem Mechanismus bei Zeichnung oder Erwerb ausdrücklich unterworfen haben. Die Anwendbarkeit von § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 SchVG setzt nämlich eine vorherige Regelung in den Anleihebedingungen voraus. Dem Restrukturierungsplan sind bei einem § 5 Abs. 3 SchVG-Beschluss nicht die zustimmenden Erklärungen der betroffenen Gläubiger beizufügen, sondern es reicht die Beifügung des Mehrheitsbeschlusses. SchVG und StaRUG sind nämlich so zu verzahnen, dass zwar für die Umwandlung der Anleiheforderung in Eigenkapital nur mit Zustimmung des Forderungsinhabers zulässig ist, allerdings im Innenverhältnis zwischen den Anleihegläubigern einer Gesamtemission nach § 19 Abs. 3 SchVG ein gemeinsamer Vertreter bestellt werden kann, der für die Gesamtheit der Anleihegläubiger an der Planabstimmung ggf. als Zustimmung eines jeden Anleihegläubigers zu werten ist. Der Weisungsbeschluss, mit dem der gemeinsame Vertreter zur Abstimmung von den Anleihegläubigern angewiesen wird, bedarf dann nur der qualifizierten Mehrheit des § 5 Abs. 3 Nr. 5 SchVG. Die Überwindung des „Einzelwiderspruchs einzelner Anleihegläubiger“ wird allein durch die entsprechende Bindung der Anleihegläubiger im Innenverhältnis nach dem SchVG bewirkt, ohne dass dies im Wiederspruch zu § 7 Abs. 4 Satz 2 StaRUG stünde. Dieses Ergebnis entspricht auch der überwiegenden Auffassung zu § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO90 und der ESUG-Gesetzesbegründung zu § 225a InsO.91 Für die Frage, ob Gläubiger außerhalb der Sondervorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 90 SchVG frei in ihrer Entscheidung sind, einem für die Unternehmenssanierung vorgesehenen Debt-Equity-Swap zuzustimmen, gelten folgende Grundsätze: – Öffentlich-rechtliche Körperschaften haben die haushaltsrechtlichen Vorgaben zu beachten und werden nur in seltenen Ausnahmefällen am Debt-Equity-Swap teilnehmen.92 – Gläubiger sind frei, sich mit der Schuldnergesellschaft oder mit anderen Gläubigern in dieser Frage vorab zu binden, sich z.B. der Schuldnerentscheidung oder einer Mehrheits89 Zur inhaltsgleichen Regelung in § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 15; Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 33, § 230 InsO Rz. 48; Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, § 225a InsO Rz. 31 (Stand: 92. EL Juni 2022); Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 225a InsO Rz. 27; Hölzle, NZI 2011, 124, 128. 90 Vgl. Westpfahl/Seibt in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, Anh. zu § 39 InsO Rz. 188 ff.; Bliesener/H. Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, 3. Aufl. 2020, § 19 SchVG Rz. 43; Thole, ZIP 2014, 2365, 2368. 91 Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 31. 92 Vgl. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 17.

Seibt | 241

§ 7 Rz. 90 | Gestaltender Teil entscheidung der Gläubiger zu unterwerfen. Bestehen solche Vorabbindungen nicht, so sind Gläubiger – unter Einhaltung der allgemeinen Rechtsausübungsgrenzen des Schikaneverbots (§ 226 BGB) – in ihrer Entscheidung über den Debt-Equity-Swap frei.93 – Während Gläubiger von dem SchVG unterfallenden Anleihen untereinander aus der gesellschaftsähnlichen Verbindung erwachsenen, bestimmten (sehr begrenzten) Treuebindungen unterliegen,94 gibt es ansonsten zwischen den Gläubigern der Schuldnerunternehmen keine rechtlichen Sonderverbindungen, die diese dazu zwingen könnte, an einem präventiven Restrukturierungsrahmen mit einem Restrukturierungsplan einer bestimmten inhaltlichen Ausrichtung mitzuwirken.95 91 Der Zustimmungsvorbehalt des § 7 Abs. 4 Satz 2 StaRUG ist wortlautgebunden, eng und

analogiefeindlich auszulegen. Dieser Vorschrift kann insbesondere kein allgemeines Prinzip entnommen werden, Gläubiger generell vor „Nicht-Barangeboten“ zu schützen. Es lässt sich hieraus auch kein Verbot herleiten, die Gläubiger durch die spezifische Ausgestaltung des Plans zur Zustimmung zum und Teilnahme am Debt-Equity-Swap zu incentiveren. So ist es z.B. zulässig, Gläubigern das Wahlrecht einzuräumen, eine Wahlleistung in Höhe einer bestimmten Betragsquote oder nach Umwandlung der Forderung in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte Anteile mit einem annahmegemäß deutlich über dieser Quote liegenden Wert zu erhalten. d) Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen (§ 7 Abs. 4 Satz 3 StaRUG) aa) Überblick

92 Der Restrukturierungsplan kann im gestaltenden Teil „insbesondere (...) eine Kapitalherabset-

zung oder -erhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende an dem Schuldner beteiligte Personen vorsehen“ (§ 7 Abs. 4 Satz 3 StaRUG). Mit dieser nicht abschließenden (Wortlaut: „insbesondere“) Aufführung gesellschaftsrechtlicher Einzelmaßnahmen sind solche genannt, die typischerweise zur Umsetzung eines Debt-Equity-Swaps erforderlich sind, die aber auch unabhängig von der Umsetzung eines Debt-Equity-Swaps genutzt werden können. In keinem Fall hat die Regelung in Abs. 4 Satz 3 eine für die Ausgestaltung eines Debt-Equity-Swaps begrenzende Funktion, wie sich bereits aus der Generalnorm des § 7 Abs. 4 Satz 5 StaRUG („jede gesellschaftsrechtliche Maßnahme“) ergibt. bb) Kapitalherabsetzung

93 Einer Sanierung durch Debt-Equity-Swap geht in der Regel zur Unternehmenswertverteilung

zum Zeitpunkt der Planaufstellung zwischen Alt-Gesellschaftern und Gläubigern/Neu-Investoren andererseits eine Kapitalherabsetzung voraus, für die die entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Vorschriften über die Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung zu beachten sind, d.h. wegen des in der Regel verfolgten Sanierungszwecks sind die Vorschriften für eine vereinfachte Kapitalherabsetzung gem. §§ 229 ff. AktG bzw. §§ 58a ff. GmbHG zu beachten. Bei der Kapitalherabsetzung ist zu beachten, dass im Grundsatz eine – bezogen auf die jeweiligen Beteiligungen der Alt-Gesellschafter – proportionale Herabsetzung zu erfolgen hat. Eine disproportionale Herabsetzung der Beteiligungen der Alt-Gesellschafter ist ausnahmsweise nur zulässig, wenn mit sachlicher Rechtfertigung unterschiedliche Gesellschaftergruppen gebildet werden können oder die benachteiligten Gesellschafter der Ungleichbehandlung zugestimmt haben. 93 Vgl. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 17. 94 Hierzu und zum Streitstand Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401, 410 f. 95 BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 Leitsatz 1 – Akkordstörer = ZIP 1992, 191; Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 17 m.w.N.

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Gestaltender Teil | Rz. 96 § 7

cc) (Sach-)Kapitalerhöhung Kernelement des Debt-Equity-Swaps ist die Sachkapitalerhöhung, bei der der Gegenstand der 94 Sacheinlage die gegen die Schuldnergesellschaft gerichtete Forderung des am Debt-EquitySwap teilnehmenden Gläubigers ist. Die gegen die Schuldnergesellschaft gerichtete Forderung ist ein sacheinlagefähiger Gegenstand.96 Die Einbringung der Forderung kann auf zwei unterschiedlichen Wegen erfolgen, nämlich durch (i) einen Forderungserlass (Erlassvertrag i.S.v. § 397 BGB) oder (ii) eine Abtretung der Forderung an die Gesellschaft mit anschließender Konfusion bzw. Entwertung durch die Gesellschaft im Falle von verbrieften Forderungen (z.B. Schuldverschreibungen). Die Wahl des Einbringungsweges wird häufig durch die Forderung der Finanzverwaltung bestimmt, eine verbindliche Auskunft betreffend die Qualifikation von außerordentlichen Beträgen als sog. steuerfreie Sanierungsgewinne nur bei Forderungsverzichten bzw. Forderungserlassen (Erlassvertrag i.S.v. § 397 Abs. 1 BGB), nicht aber bei der Forderungsübertragung zu gewähren.97 Es ist zur Umsetzung eines Debt-Equity-Swaps zum einen auch möglich, eine gemischte 95 Sach- und Barkapitalerhöhung zu nutzen. So kann z.B. der Kapitalerhöhungsbeschluss die Zulassung bestimmter Gläubiger zur Zeichnung und Übernahme der neuen Aktien gegen (i) Einbringungen von Forderungen und zusätzlich (ii) einer baren Zuzahlung vorsehen, wobei geregelt werden kann, dass die zu leistende bare Zuzahlung als schuldrechtliches Agio in die freie Kapitalrücklage (§ 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB) der Schuldnerin eingestellt werden soll (zur Vermeidung einer Kapitalaufbringungshaftung).98 Der zusätzlich zur Sacheinlage (Forderung gegen die Schuldnergesellschaft) zu leistende Barbetrag kann z.B. verwandt werden, um im Restrukturierungsplan vorgesehene Barleistungen an bestimmte Gläubiger erfüllen zu können. Eine weitere Gestaltungsmöglichkeit kann die Kombination einer Barkapitalerhöhung mit der freiwilligen Nebenleistung (nicht Teil der kooperativen Kapitalerhöhung) sein, auf die Forderung im Wege des Erlassvertrages (§ 397 BGB) zu verzichten oder die Forderung in die Gesellschaft mit der Folge einzulegen, dass diese kraft Konfusion bzw. Entwertung erlischt. dd) Bezugsrechtsausschluss

Das Bezugsrecht der Gesellschafter ist sowohl bei der AG (vgl. § 186 Abs. 1 AktG) als auch bei 96 der GmbH99 ein Kardinalrecht, durch das die Gesellschafter vor Beteiligungsquoten- sowie Beteiligungswertverwässerungen geschützt werden sollen. Allerdings kann das Bezugsrecht der Alt-Gesellschafter bei Bestehen einer sachlichen Rechtfertigung ausgeschlossen werden, wobei hierfür indes nicht die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Maßstäbe,100 sondern spezifische, das allgemeine Gesellschaftsrecht modifizierende, sanierungsrechtliche StaRUG-Grundsätze (die nicht mit den Grundsätzen nach § 225a InsO identisch sind) heranzuziehen sind. Dabei 96 Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 25; Altmeppen in FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 9; Priester, DB 2010, 1445. 97 Zu Fällen aus der Insolvenzpraxis vgl. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 25 und Fn. 71. 98 Zur Zulässigkeit, einen Teil der Leistung auf die Kapitalerhöhung als sog. schuldrechtliches Agio zu bestimmen, s. BGH v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, ZIP 2012, 73 – Babcock Borsig; hierzu Seibt/Schulz, CFL 2012, 313, 328 f. m.w.N.; vgl. auch Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 26. 99 Vgl. Servatius in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 55 GmbHG Rz. 20; Priester/Tebben in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 55 GmbHG Rz. 42 ff.; Lieder in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 55 Rz. 116; Fleischer, GmbHR, 2008, 673, 680. 100 Hierzu z.B. Schürnbrand/Verse in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, § 186 AktG Rz. 73 ff.; Servatius in BeckOGK/AktG, § 186 AktG Rz. 54 (Stand: 1.7.2022); Veil in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 186 AktG Rz. 30 ff.; Bayer, ZHR 168 (2004), 132; Lieder in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 55 GmbHG Rz. 125 ff.; Priester/Tebben in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 55 GmbHG Rz. 54 f.

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§ 7 Rz. 96 | Gestaltender Teil ist dogmatisch zu berücksichtigen, dass das Bezugsrecht der Gesellschafter nach dem allgemeinen Verbandsrecht ein Schutzinstrument für das umfassende Mitgliedschaftsrecht des Gesellschafters (also der Verwaltungs- und Vermögensrechte) und eine Verlängerung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots ist. Im präventiven Restrukturierungsrahmen nach dem StaRUG werden die Gesellschafter allerdings nur im Hinblick auf den mit ihrer Mitgliedschaft verbundenen Vermögenswerte geschützt, und zwar durch die Sonderregelungen des StaRUG. Dabei ist das gesetzliche Ziel des präventiven Restrukturierungsrahmens in Ansatz zu bringen, die Schuldnergesellschaft zu sanieren und die Insolvenz der Gesellschaft zu vermeiden, und dabei den dem Restrukturierungsplan unterworfenen Beteiligten eine weitgehende Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit, die eben auch den Eingriff in die Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte der Gesellschaft ermöglicht, zuzubilligen. In diesem Zusammenhang regelt § 7 Abs. 4 Satz 3 StaRUG ausdrücklich, dass das Bezugsrecht der Alt-Gesellschafter im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans ausgeschlossen werden kann. Beim typischen Sanierungsinstrument des Debt-Equity-Swaps geht die (Sach-)Kapitalerhöhung rechtstechnisch in der Regel mit einem Bezugsrechtsausschluss für die Alt-Gesellschafter einher. 97 Bei Regelung des Bezugsrechtsausschlusses im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans

gilt dann Folgendes: – Die gesellschaftsrechtlich erforderliche qualifizierte Dreiviertel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen (vgl. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG (für die GmbH: analog)) wird durch die Mehrheitserfordernisse des StaRUG überlagert. Auch die übrigen formellen Anforderungen gelten nach § 86 Abs. 2 Satz 2 StaRUG als in der vorgeschriebenen Form bewirkt. – Nach allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsätzen unterliegt der Bezugsrechtsausschluss außerhalb der Insolvenz einer materiellen Inhaltskontrolle, d.h. dem Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung. Danach muss der Bezugsrechtsausschluss dem Gesellschaftsinteresse entsprechend, zur Erreichung des beabsichtigten Ziels geeignet und erforderlich sein sowie in einem angemessenen Verhältnis zu den Nachteilen der betroffenen Alt-Gesellschafter stehen.101 Nach zutreffender Auffassung bedarf der Bezugsrechtsausschluss bei einem im Restrukturierungsplan vorgesehenen Debt-Equity-Swap keiner zusätzlichen sachlichen Rechtfertigung (d.h. er unterliegt keiner zusätzlichen materiellen Inhaltskontrolle).102 Von einer inneren sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses für den im StaRUG-Restrukturierungsplan geregelten Debt-Equity-Swap ist offenkundig auch der Gesetzgeber ausgegangen, wie sich aus dem einschränkungslosen Wortlaut von § 7 Abs. 4 Satz 3 StaRUG (vierter Fall: „Ausschluss von Bezugsrechten“) ergibt. Der Gesetzgeber hat zudem auf die „Parallelität der Zwecksetzungen“ von InsO einerseits und StaRUG andererseits, auf die „funktionalen Übereinstimmungen“ zwischen Insolvenzplan einerseits und Restrukturierungsplan andererseits und dem Vorbildcharakter von § 225a InsO für § 7 Abs. 4 StaRUG hingewiesen. Im Rahmen von § 225a Abs. 2 Satz 3 InsO ist allerdings weitgehend anerkannt (und dies entspricht auch der Insolvenzplanpraxis), dass der Bezugsrechtsausschluss bei Debt-Equity-Swaps keiner weiteren sachlichen Rechtfertigung über die Planregelung hinaus bedarf.103 Danach hätte es nahe gelegen, wenn der Gesetz101 Grundlegend BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, NJW 1978, 1316 = MDR 1978, 908; BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, NJW 1997, 2815 = ZIP 1997, 1499; vgl. auch Veil in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 186 AktG Rz. 24 f.; Koch, 16. Aufl. 2022, § 186 AktG Rz. 25; Servatius in BeckOGK/ AktG, § 186 AktG Rz. 54 ff. (Stand: 1.7.2022). 102 Ebenso Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 30; Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2365; Skauradszun, ZRI 2020, 625, 630 f.; Mulert/Steiner, NZG 2021, 673, 676. 103 Vgl. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 28; Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, § 225a InsO Rz. 25 (Stand: 92. EL Juni 2022); Hess in Hess, 3. Aufl. 2016, § 225a InsO Rz. 76; Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 105 f.; Altmeppen in FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 17 ff.; Landfermann, WM 2012, 821, 828; Pleister, GWR 2013, 220, 221; a.A. Brinkmann, WM 2011, 97, 100; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125.

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Gestaltender Teil | Rz. 99 § 7

geber eine weitere sachliche Rechtfertigung für den Bezugsrechtsausschluss verlangen wollte, dass dies ausdrücklich im Gesetzeswortlaut oder jedenfalls in der Gesetzesbegründung seinen Ausdruck gefunden hätte. Zudem war bereits vor Inkrafttreten des StaRUG anerkannt, dass in außerinsolvenzlichen, allein dem allgemeinen Gesellschaftsrecht unterliegenden Debt-Equity-Swaps, die der insolvenzabwendenen Unternehmenssanierung dienen, eine sachliche Begründung des Bezugsrechtsausschlusses für den praktischen Regelfall besteht.104 Denn im Regelfall werden die zur Teilnahme an einem die Bestandsgefahr abwendenden Debt-Equity-Swap berechtigten Gläubiger die vorgesehenen Kapitalmaßnahmen (und das Sanierungskonzept insgesamt) nur unterstützen, sofern nur dieser Gläubigerkreis zur Übernahme der neuen Gesellschaftsanteile zugelassen wird und die Schuldnerin realistischerweise nicht aus eigener Kraft oder über eine alternative Plangestaltung in der Lage ist, sich von den Finanzverbindlichkeiten in einem ausreichenden Umfang zu befreien. Aus der Regelung in § 7 Abs. 4 Satz 5 StaRUG („jede Regelung (...), die gesellschaftsrechtlich zulässig ist“) ergibt sich nichts für weitergehende Anforderungen beim Bezugsrechtsausschluss, sondern dies ist umgekehrt die Generalklausel für die Zulässigkeit sämtlicher gesellschaftsrechtlich per se zulässiger Strukturen und Instrumente für eine Regelung im Insolvenzplan; ausgeschlossen sind nur Strukturen und Instrumente, die das deutsche Gesellschaftsrecht gar nicht kennt (vgl. Rz. 107 ff.).105 Der Schutz der Gesellschafter wird also nicht über eine zusätzliche materielle Inhaltskontrolle des Bezugsrechtsausschlusses gewährt, sondern insbesondere über den StaRUG-spezifischen Schutz des notwendigen Gesellschafterbeschlusses beim Verfahrenseingang.106 Beim Bezugsrechtsausschluss im Rahmen von Barkapitalerhöhungen ist zu differenzieren: 98 – Bei der für StaRUG-Sanierungen eher seltenen Kapitalherabsetzung auf Null (oder einem unter dem Mindeststamm- bzw. Mindestgrundkapital liegenden Betrag) gesetzlich erforderlichen Barkapitalerhöhung ist ein Bezugsrechtsausschluss der Alt-Gesellschafter jedenfalls dann zulässig, wenn dies den nachfolgenden Debt-Equity-Swap ermöglicht oder wesentlich erleichtert. – Wird der Debt-Equity-Swap durch eine gemischte Bar- und Sachkapitalerhöhung in der Weise durchgeführt, dass neben der Forderungseinlage eine bare Zuzahlung erfolgt, so ist der Bezugsrechtsausschluss der Alt-Gesellschafter in Bezug auf die gesamte Kapitalmaßnahme sachlich gerechtfertigt, und zwar jedenfalls dann, wenn anderenfalls der Debt-Equity-Swap nicht durchgeführt oder wesentlich erschwert wird. – Der Bezugsrechtsausschluss kann dann allerdings unzulässig sein, wenn nur bestimmte Alt-Gesellschafter zur Barkapitalerhöhung zugelassen werden, ohne dass es hierfür einen sachlichen Grund gibt. Sachliche Gründe können aber z.B. sein die Bereitschaft zur Leistung von im Restrukturierungsplan geregelter Beiträge, die konkrete Aussicht auf die Erhöhung der Sanierungsaussichten durch die Teilnahme gerade dieser Alt-Gesellschafter („Reputationsleuchttürme“, Bereitschaft zur Übernahme von Organfunktionen). Eine Differenzierung zwischen Alt-Gesellschaftern ist an dem Verbot der Ungleichbehandlung (vgl. § 10 StaRUG) und dem Obstruktionsverbot (vgl. § 26 Abs. 1 StaRUG) zu messen. Der Restrukturierungsplan muss zur Kompensation des Bezugsrechtsausschlusses der Alt-Ge- 99 sellschafter keine Regelung enthalten, die den Alt-Gesellschaftern über eine zum Debt-Equity-Swap parallele Barkapitalerhöhung Gelegenheit einräumt, einer an Schuldnergesellschaft (mit vergleichbarer Beteiligungsquote) beteiligt zu bleiben und damit die Chance auf eine at104 Hierzu z.B. Schlitt/Ries in Theiselmann, Praxis-Hdb. des RestruktR, 4. Aufl. 2020, Kap. 9 Rz. 24 (S. 461 f.); Veil in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 186 AktG Rz. 35; Schürnbrand/Verse in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, § 186 AktG Rz. 133; Koch, 16. Aufl. 2022, § 186 AktG Rz. 35. 105 Ebenso Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 30. 106 Vgl. Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2235 f.; folgend Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 30 a.E.

Seibt | 245

§ 7 Rz. 99 | Gestaltender Teil traktive Teilnahme an einem zukünftig möglichen Sanierungsmehrwert zu erhalten.107 Hierfür gibt es weder eine einfach-gesetzliche Rechtsgrundlage noch zwingt der Eigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 GG hierzu. Vielmehr schützt das StaRUG über die Bewertung der Anteilsund Mitgliedschaftsrechte (die ja in der Phase vor materieller Insolvenz nicht Null beträgt!) ausreichend. 100 Für Gläubiger anderer Gruppen besteht kein Anspruch auf eine Beteiligung am Debt-Equi-

ty-Swap, selbst wenn eine wirtschaftliche Vergleichbarkeit zwischen den Gläubigergruppen besteht. Ein Gleichbehandlungsgebot besteht nur gruppenintern (vgl. § 10 StaRUG), nicht gruppenübergreifend.108

101 Der Sanierungspraxis wird nichtsdestotrotz zu empfehlen sein, einen Bezugsrechtsausschluss

im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans sachlich zu begründen. Dies schließt bis zu einer höchstrichterlichen Klärung dieser Frage mögliche verbleibende Rechtsrisiken aus.109

102 Beim vorinsolvenzlichen Debt-Equity-Swap außerhalb des StaRUG-Restrukturierungsrah-

mens ist die Frage nach den Bewertungsmethoden von Forderungen gegen die Gesellschaft als Sacheinlage sehr umstritten und wegen der gesetzlichen Differenzhaftung des Inferenten (und subsidiär der Organmitglieder der Gesellschaft) besonders virulent.110 Weder der ESUGGesetzgeber (im Rahmen von § 225 Abs. 2 oder §§ 217 ff. InsO) noch der StaRUG-Gesetzgeber haben Vorschriften zur Bewertung der als Sacheinlage in die Schuldnergesellschaft eingelegten Gläubigerforderungen geregelt. Allerdings ist in beiden Fällen eine gesetzliche Ausnahme zur Differenzhaftung vorgesehen: Entsprechend § 254 Abs. 4 InsO regelt § 67 Abs. 5 StaRUG, dass der Schuldner nach der gerichtlichen Planbestätigung keine Ansprüche mehr wegen einer Überbewertung der Forderung gegen den früheren Forderungsinhaber (und nunmehr Anteilseigner) geltend machen kann. Dieser Ausschluss der Differenzhaftung, der den Grundsatz der realen Kapitalaufbringung einfach-gesetzlich ausschließt, dient dem Schutz der Gläubiger und ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass der Debt-Equity-Swap als Sanierungsinstrument überhaupt in der Praxis umgesetzt werden kann.

103 Die Planbestätigung setzt allerdings voraus, dass die Forderung gegen die Gesellschaft zutref-

fend bewertet wird, da bei einer unsachgemäßen Forderungsbewertung das Restrukturierungsgericht die Planbestätigung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG versagen kann. Die Frage der zutreffenden Bewertungsmethode ist sowohl im Insolvenzkontext als auch im außerinsolvenzlichen Sanierungskontext umstritten. Die Nennwert-These, der zufolge die einzulegende Forderung immer mit ihrem Nennwert angesetzt werden kann,111 ist im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens de lege ferenda unterstützenswert,112 im Rahmen des StaRUG-Restrukturierungsplans ist dies nicht in gleicher Weise klar. Denn in der vorinsolvenzlichen Krisensituation, in der den Gesellschaftern noch ein materieller Vermögenswert am Unternehmen über das Anteils- oder Mitgliedschaftsrecht zukommt, bedarf es zu deren Schutz der Feststellung 107 Zur Paralleldiskussion im Rahmen von § 225a InsO s. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 30 auch mit Hinweisen auf die Gegenansicht. 108 Zur Paralleldiskussion im Rahmen von § 225a InsO s. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 31; Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 225a InsO Rz. 31. 109 Ebenso Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 30 a.E. 110 Hierzu Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 33 m.w.N. 111 Hierzu insb. Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238, 247; Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629 ff.; Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501 ff.; Simon, CFL 2010, 448, 450; folgend Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225 InsO Rz. 53 a.E. („sprechen gute Gründe für Nennwert-These“); Wansleben, WM 2012, 2083, 2086 ff.; Maier-Reimer, VGR 17 (2012), 107, 113 f.; Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 225a InsO Rz. 24 (mit dem Hinweis, dass sich ein Planinitiator zur Vermeidung von Verzögerungen an der h.M. [realer Forderungswert] orientieren muss); Thies/Lieder in HambKomm/InsO, 9. Aufl. 2021, § 225a InsO Rz. 26. 112 Hierzu ausf. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 34.

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Gestaltender Teil | Rz. 105 § 7

des tatsächlichen Werts der Forderung.113 Es gilt insoweit die gefestigte BGH-Rechtsprechung, die von der überwiegenden Literaturauffassung geteilt wird, dass eine Forderung auf die Einlage nur eingerechnet werden darf, „soweit sie vollwertig, fällig und liquide ist“.114 Da der Restrukturierungsplan auf einer Vergleichsrechnung beruht, die aufgrund des vorinsolvenzlichen Sanierungskontextes grundsätzlich anhand von Fortführungswerten zu erstellen ist (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 2 StaRUG), sind auch für die Forderungsbewertung die Fortführungswerte zugrunde zu legen.115 In dem Fall, dass die einzubringende Forderung besichert ist, bildet der Wert der Sicherheit den anzusetzenden Mindestwert, sofern der Wert der Sicherheit den tatsächlichen Forderungswert übersteigt.116 Auch nachrangige Gesellschafterdarlehen oder streitige Forderungen können Teil des Restrukturierungsplans sein; sie können demgemäß auch in einem im StaRUG-Restrukturierungsplan geregelten Debt-Equity-Swap niedergelegt sein. Besondere praktische Herausforderungen stellen sich bei der Umsetzung eines Debt-Equity- 104 Swaps unter Einlage von Anleihen in Form marktüblicher Inhaberschuldverschreibungen, die als Kapitalmarktinstrumente im Rahmen des regelmäßig vollständig anonym abgewickelten Börsenverkehrs gehandelt werden.117 Bei börsennotierten Schuldnern sind zudem die kapitalmarkt- und übernahmerechtlichen Anforderungen zu berücksichtigen (Stichworte: Ad hoc-Publizität, Prospektpflicht, übernahmerechtliches Pflichtangebot und Sanierungsbefreiung nach § 37 Abs. 2 WpÜG i.V.m. § 9 Satz 1 Nr. 3 WpÜG-AngebotsVO).118 ee) Abfindung für Alt-Gesellschafter Als möglichen Inhalt des gestaltenden Teils des Restrukturierungsplans sieht § 7 Abs. 4 Satz 3 105 5. Fall StaRUG „die Zahlung von Abfindung an ausscheidende an dem Schuldner beteiligte Personen“ vor. Dieser abbreviierte Hinweis verweist darauf, dass § 7 Abs. 4 StaRUG mit seiner Möglichkeit des Eingriffs in die grundrechtlich geschützten Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der Alt-Gesellschafter eine Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ist und demgemäß gefordert ist, die Alt-Gesellschafter für den vollständigen oder teilweisen Wertverlust ihrer Rechte mit einer Abfindung zu kompensieren.119 Das ist im Rahmen des StaRUG-Restrukturierungsplans in besonderer Weise erforderlich, da diesen Rechten – entgegen dem Regelfall beim Insolvenzplan – noch ein wirtschaftlicher Vermögenswert zukommt. Verfassungsrechtlich ist eine „volle Wertentschädigung“ als Abfindung geschuldet, also der wahre wirtschaftliche Wert der bestehenden Anteile.120 Dabei ist hier – anders als im 113 I.E. ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 75 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 32. 114 Vgl. BGH v. 16.9.2002 – II ZR 1/00, GmbHR 2002, 1193, 1194; BGH v. 21.2.1994 – II ZR 60/93, GmbHR 1994, 394, 395; Altmeppen in FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 13 ff.; Hölzle, NZI 2011, 124, 129; H.-F. Müller, KTS 2012, 419, 445; Priester, DB 2010, 1445 ff.; K. Schmidt, ZGR 2012, 566, 573. 115 Ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 75 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 32 a.E. 116 Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 33; zu § 225a InsO vgl. Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 225a InsO Rz. 25; Andres in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 225a InsO Rz. 5. 117 Hierzu im Rahmen von § 225a InsO ausf. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 47 ff. 118 Hierzu im Rahmen von § 225a InsO ausf. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 54 ff. 119 Zur Parallelregelung in § 225a Abs. 2 Satz 3 InsO s. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a Rz. 32; Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 44 f.; Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, § 225a InsO Rz. 36 (Stand: 92. EL Juni 2022); Thies/Lieder in HambKomm/InsO, 9. Aufl. 2021, § 225a InsO Rz. 31; Bay/Seeburg/Böhmer, ZInsO 2011, 1927, 1936 ff. 120 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289, 306 – DAT/Altana.

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§ 7 Rz. 105 | Gestaltender Teil Rahmen von § 225a InsO für den Insolvenzplan – von der Fortführung des Unternehmens nach Maßgabe des im Restrukturierungsplan vorgesehenen Sanierungskonzepts auszugehen; der (mögliche) Mehrwert der Unternehmenssanierung sollte alle Interessenträger des Unternehmens zukommen, die die Sanierung ermöglichen. Dies erhöht auch die Attraktivität einer StaRUG-Sanierung und wird den Gesellschaftern erlauben, der StaRUG-Verfahrenseröffnung durch Gesellschafterbeschluss zuzustimmen. ff) Übertragung von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten (§ 7 Abs. 4 Satz 4 StaRUG) 106 Als zulässigen Inhalt des gestaltenden Teils eines Restrukturierungsplans nennt § 7 Abs. 4

Satz 4 StaRUG ausdrücklich „die Übertragung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten“. Dabei sind – wie bei der Parallelnorm in § 225a Abs. 3 InsO – drei Fallgestaltungen zu unterscheiden, nämlich die Übertragung (i) von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten der Alt-Gesellschafter an der Schuldnergesellschaft selbst, (ii) von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten, die die Schuldnergesellschaft an Drittgesellschaften hält, sowie (iii) von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten, die ein Drittunternehmen hält bzw. die Personen an einem Drittunternehmen halten.121 Bei der Übertragung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten am Schuldnerunternehmen selbst ist den Alt-Gesellschaftern eine angemessene Abfindung zu gewähren (§ 7 Abs. 4 Satz 6 StaRUG i.V.m. § 225a Abs. 5 InsO). Eines gesonderten zustimmenden Gesellschafterbeschlusses zu der Übertragung bedarf es nicht, da die Zustimmung durch die Planannahme erteilt wird. Der Gesellschafterschutz wird zudem und vor allem durch das Erfordernis eines mit qualifizierter Mehrheit zu fassenden Gesellschafterbeschlusses vor StaRUG-Verfahrenseinleitung gewährleistet. Die für die Übertragung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte an sich geltenden gesellschaftsrechtlichen Formerfordernisse gelten nach Maßgabe des § 68 Abs. 2 StaRUG als gewahrt.122 Die entsprechenden Erklärungen der Übernehmenden sind dem Plan nach Maßgabe des § 15 Abs. 3 StaRUG beizufügen.123

gg) Weitere gesellschaftsrechtlich zulässige Regelung (§ 7 Abs. 4 Satz 5 StaRUG) 107 Nach § 7 Abs. 4 Satz 5 StaRUG kann im Restrukturierungsplan „jede Regelung getroffen wer-

den, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist“. Die Entwurfsbegründung enthält keine ausdrückliche Stellungnahme zum Verständnis dieser Generalnorm, verweist allerdings auf § 225a Abs. 3 InsO und den Grundsatz des „Auslegungsgleichlaufs“.124 Diese Gleichlaufthese wird dogmatisch damit begründet, dass durch die Parallelanknüpfung an den Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit Eingriffe in gleichem Maße wie im Insolvenzplanverfahren gerechtfertigt werden können. Ein derartiges extensives Verständnis ist auch durch die Restrukturierungs-RL gedeckt, welche in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. ErwGr. 2 Restrukturierungs-RL („alle erforderlichen operativen Maßnahmen“) sowie in Art. 32 i.V.m. ErwGr. 96 Restrukturierungs-RL (Möglichkeit, von den Bestimmungen der EU-Gesellschaftsrechtsrichtlinie abzuweichen) weitgehende Eingriffsmöglichkeiten in die Gesellschaftsrechte ermöglicht.

108 Vor diesem Hintergrund sind alle Strukturen und Maßnahmen zulässig, die nicht gegen

den gesellschaftsrechtlichen Typenzwang (numerus clausus) verstoßen.125 Dazu zählen neben den bereits in § 7 Abs. 4 Satz 3 StaRUG aufgeführten Strukturen und Regelungen vor allem 121 Vgl. zur Parallelnorm des § 225a Abs. 3 InsO z.B. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 102; vgl. auch Mulert/Steiner, NZG 2021, 673, 679. 122 Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 34. 123 Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 34. 124 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 117; Begr. RefE SanInsFoG v. 19.9.2020, S. 126; vgl. auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1988; Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 35. 125 Ebenso Mulert/Steiner, NZG 2021, 673, 675; Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 35.

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Gestaltender Teil | Rz. 109 § 7

– Umwandlungsmaßnahmen, wie Formwechsel, Verschmelzung oder Ausgliederung und Abspaltung;126 – Satzungsänderungen;127 – die Einrichtung oder Abschaffung fakultativer Gesellschaftsorgane (z.B. eines nicht gesetzlich zwingend vorgegebenen Aufsichtsrats oder eines Beirats);128 – die Bestellung bzw. Abberufung von Organmitgliedern, sofern dies in die Kompetenz der Anteilseignerversammlung fällt (nicht also bei der Bestellung oder Abberufung von Vorstandsmitgliedern einer AG, bei der der Aufsichtsrat ausschließlich zuständig ist);129 – reguläre Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzung (mit/ohne Gewährung von Bezugsrechten) oder eine Kombination hiervon sowie die durch Satzungsänderungen vorzusehene Aufhebung bzw. Schaffung genehmigter Kapitalia und bedingter Kapitalia;130 – ein Gesellschafterausschluss, Gesellschafteraustritt und Gesellschafterbeitritt oder die Einziehung von Geschäftsanteilen;131 – eine Neuregelung von Gesellschafterrechten und Gesellschafterpflichten sowie von Nachschusspflichten;132 sowie – eine Übertragung von Vermögensgegenständen des Unternehmens (sog. Asset Deal).133 Die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Strukturen und Instrumente („Regelungen“) gelten 109 allerdings nur insoweit, als das StaRUG bei ihrer Ausgestaltung keine Sonderregelungen vorsieht (lex specialis-Grundsatz): Danach kommt es zu einer Überlagerung zwingender gesellschaftsrechtlicher Anforderungen, wenn und soweit eine bestimmte Materie in den §§ 8 ff. StaRUG explizit oder implizit einer restrukturierungsrechtlichen Spezialregelung unterworfen ist.134 So ist – wie im Recht des Insolvenzplans135 – anzunehmen, dass es zu einer umfassenden Überlagerung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht durch spezifische Schutzregelungen des StaRUG kommt: Dies wird zum einen von § 24 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG unterstrichen, welcher gesellschaftsrechtliche Beschränkungen und Sonderregelungen des Stimmrechts bei der Planabstimmung ausklammert und das Stimmrecht allein kapitalbezogen ausgestaltet. Davon ist auch die mitgliedschaftliche Treuepflicht umfasst, denn auch bei dieser handelt es sich um eine gesellschaftsrechtliche Stimmrechtsbeschränkung. Darüber hinaus kommt der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht aufgrund ihres ungeschriebenen und offenen

126 Zu § 225a InsO ausf. Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a Rz. 107 ff.; vgl. auch Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2021, 179, 185; Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 35. 127 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a StaRUG Rz. 113 f.; vgl. auch Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 35. 128 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 89; Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 96; Haas, NZG 2012, 961, 965. 129 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 90; Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, § 225a InsO Rz. 90 (Stand: 92. EL Juni 2022). 130 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 93 ff.; vgl. auch Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 35. 131 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 98 ff.; vgl. auch Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 35; Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 82 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 132 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 101; vgl. auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 81 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 133 Hierzu überzeugend Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 36; vgl. auch Bork, ZRI 2021, 345, 347. 134 Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2234; wohl folgend Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 35; für eine weitergehende Überlagerung des Gesellschaftsrechts allerdings Mulert/Steiner, NZG 2021, 673, 675. 135 Hierzu Seibt/Bulgrin, ZIP 2017, 353, 358 f.; Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 84.

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§ 7 Rz. 109 | Gestaltender Teil Charakters systematisch ohnehin nur eine Auffangfunktion zu, die dann zurückzustehen hat, wenn der jeweilige Sachkontext bereits durch ein vorhandenes Normgeflecht geregelt ist.136 Den Interessen der Gesellschafter wird im StaRUG-Restrukturierungsverfahren jedoch bereits durch die Spezialregelung zur gruppenbezogenen Gleichbehandlung (§ 10 StaRUG) der Regelung zur gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung (§ 26 StaRUG) sowie dem Minderheitenschutz (§ 66 StaRUG) hinreichend Rechnung getragen.137 e) Unwirksamkeit von Change of Control-Klauseln (§ 7 Abs. 4 Satz 6 StaRUG i.V.m. § 225a Abs. 4 InsO) 110 Nach § 7 Abs. 4 Satz 6 StaRUG i.V.m. § 225a Abs. 4 InsO sind vertragliche Kündigungs- und

Rücktrittsbestimmungen für den Fall, dass bei der Schuldnergesellschaft ein Kontrollwechsel oder eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse eintritt (sog. Change of Control-Klauseln), bei der Umsetzung eines Debt-Equity-Swaps oder anderer Kapitalmaßnahmen auf der Grundlage eines StaRUG-Restrukturierungsplans suspendiert; entgegenstehende vertragliche Vereinbarungen sind unwirksam. Der Hintergrund dieser Regelung ist wie folgt: Häufig finden sich in Verträgen, die für die Gegenseite der Schuldnergesellschaft aus finanziellen, wettbewerblich-strategischen oder sonstigen Gründen von außerordentlicher Bedeutung sind, Change of Control-Klauseln, die in der Regel keine Bereichsausnahmen für Kontroll- oder Mehrheitswechsel durch Regelungen in einem Insolvenzplan oder einem StaRUG-Restrukturierungsplan vorsehen. Daher könnte das Risiko ihrer Ausübung durch die Gegenpartei der Schuldnergesellschaft erhebliche Abschreckungsfunktionen für die Durchführung von Debt-EquitySwaps sowie sonstiger Kapitalmaßnahmen haben, da die Übernahme des Schuldner-Rechtsträgers mit sämtlichen Vermögens- und Rechtspositionen verunmöglicht werden konnte.

111 Der Gesetzgeber hat sowohl im Hinblick auf den Insolvenzplan (vgl. § 225a Abs. 4 InsO) als

auch im Hinblick auf den StaRUG-Restrukturierungsplan diese Sonderregelung vorgesehen, die dreistufig aufgebaut ist: 1. Gesellschaftsrechtliche Regelungen i.S.v. § 7 Abs. 4 Sätze 1–5 StaRUG können keine vertraglichen Rücktritts- oder Kündigungsrechte gegenüber der Schuldnergesellschaft auslösen (§ 225a Abs. 4 Satz 1 StaRUG). 2. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen nach § 7 Abs. 4 Sätze 1–5 StaRUG führen auch nicht zu einer anderweitigen Beendigung der Verträge mit Change of Control-Klauseln (§ 225a Abs. 4 Satz 2 InsO). 3. Entgegenstehende vertragliche Vereinbarungen sind unwirksam (§ 225a Abs. 4 Satz 3 InsO). Ausdrücklich (klarstellend) nicht erfasst sind Vereinbarungen, die an eine Pflichtverletzung des Schuldners anknüpfen, solange diese nicht darin besteht, gesellschaftsrechtliche Maßnahmen nach § 7 Abs. 4 Sätze 1–5 StaRUG anzustreben oder durchzuführen (§ 225a Abs. 4 Satz 4 InsO).

112 Die Reichweite dieser Sonderregelung ist einerseits umfassend (sie differenziert nämlich nicht

nach bestimmten Vertragstypen oder anhand einer bestimmten Wesentlichkeitsschwelle) und andererseits auch beschränkt, da Kündigungs-, Rücktritts- oder sonstige Lösungs- bzw. Beendigungsklauseln, die durch andere Ereignisse als gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen i.S.v. § 7 Abs. 4 Sätze 1–5 StaRUG ausgelöst werden, unberührt bleiben.138 Vertragliche Change of Control-Klauseln können selbst nicht Gegenstand einer Regelung im Restrukturierungs-

136 Seibt/Bulgrin, ZIP 2017, 353, 359; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2234; Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 84. 137 Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2234. 138 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 117.

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plan sein.139 Auch ist die Schuldner-Schutzvorschrift des § 225a Abs. 4 InsO (die ja über § 7 Abs. 4 Satz 6 StaRUG gilt) nicht plandispositiv (arg. e§ 225a Abs. 4 Satz 3 InsO).140 f) Austritt und Abfindungsanspruch (§ 7 Abs. 4 Satz 6 StaRUG i.V.m. § 225a Abs. 5 InsO) Stellt eine gesellschaftsrechtliche Maßnahme im Restrukturierungsplan nach § 7 Abs. 4 Sät- 113 ze 1–5 StaRUG für einen Anteilseigner einen wichtigen Grund zum Austritt aus der Schuldnergesellschaft dar, und macht er von diesem Austrittsrecht gebraucht, wird die Höhe der Abfindung nach Maßgabe von § 7 Abs. 4 Satz 6 StaRUG i.V.m. § 225a Abs. 5 InsO begrenzt. Durch diese Sonderregelung soll sichergestellt werden, dass Abfindungsansprüche von AltGesellschaftern nicht zu einer die Sanierungsabsichten gefährdenden Belastung der Schuldnergesellschaft führen, was wiederum die Nicht-Durchführung des Plans und dann sogar die Insolvenz der Gesellschaft zur Folge haben könnte.141 Die Regelung führt materiell dazu, dass dem ausscheidenden Alt-Gesellschafter der prognostizierte Sanierungsgewinn nicht zugeordnet wird. Vom Regelungsbereich nicht erfasst werden Austritte aus der Schuldnergesellschaft, die auf anderen Rechtsgrundlagen beruhen, also ihre Ursache nicht in einer gesellschaftsrechtlichen Maßnahme nach § 7 Abs. 4 Sätze 1–5 StaRUG haben. Ob die im Restrukturierungsplan geregelte gesellschaftsrechtliche Maßnahme ein Austrittsrecht aus wichtigem Grund gewährt, richtet sich allein nach dem auf die Rechtsform der Schuldnergesellschaft (beim Formwechsel: Vorplanregelung) anwendbaren Gesellschaftsrecht.142 Der Gebrauch des Austrittsrechts kann – mit Zustimmung des Austrittsberechtigten – bereits im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans erfolgen. Der Austritt wird (erst) mit rechtskräftiger Planbestätigung (gleichzeitig mit den sonstigen Planregelungen) wirksam. Der Begriff des „wichtigen Grundes“ ist nicht formal, sondern materiell-rechtlich weit zu verstehen; er erfasst z.B. gesetzliche Austrittsrechte wie §§ 29, 207 UmwG.143 Die Höhe des Abfindungsanspruchs des Austretenden ist dadurch begrenzt, dass die Ver- 114 mögenslage maßgeblich ist, die sich bei einer Abwicklung des Schuldners eingestellt hätte. Das ist die Konsequenz aus der einschränkungslosen Verweisung auf § 225a Abs. 5 Satz 1 InsO in § 7 Abs. 4 Satz 6 StaRUG. Danach steht dem Austretenden lediglich der Residualanteil am Liquidationserlös zu, nachdem die vorrangigen Gläubigeransprüche befriedigt wurden. Diese Regelung ist unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertung (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht unproblematisch, denn es liegt ja gerade kein Fall der materiellen Insolvenz vor, bei dem der mögliche Sanierungsgewinn den Gesellschaftern nicht mehr wirtschaftlich zuzuordnen ist. Die Auszahlung eines Abfindungsanspruchs kann verzinslich auf bis zu drei Jahre gestundet 115 werden (§ 225a Abs. 5 Sätze 2 und 3 InsO). Dabei gehen gesellschaftsrechtliche Regelungen der Schuldnergesellschaft vor, wenn sie den ausscheidenden Gesellschafter zulässigerweise

139 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 119; Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 112. 140 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 119; Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 113. 141 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 120; vgl. auch Rechtsausschuss zum RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36. 142 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 121; Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 225a InsO Rz. 57; Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 116; a.A. Haas, NZG 2012, 961, 965 f. (Verdrängung durch das Insolvenzrecht). 143 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 121; Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, § 225a InsO Rz. 96 (Stand: 92. EL Juni 2022).

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§ 7 Rz. 115 | Gestaltender Teil schlechter stellen.144 Zwar enthält § 225a Abs. 5 InsO keine Regelung über den Zinssatz, allerdings kann – auch in einer Zinsniedrigphase – nur die allgemeine handelsrechtliche Zinsvorschrift des § 352 Abs. 2 HGB (also 5 % p.A.) herangezogen werden.145 Obwohl den Austrittswilligen mit der Stundung der Abfindungsforderung das wirtschaftliche Risiko einer fehlschlagenden Sanierung oder gar Insolvenz der Schuldnergesellschaft trifft, besteht kein Anspruch auf Sicherheitsleistung; ein solcher Anspruch ist weder verfassungsrechtlich geboten, noch ist eine (Gesamt-)Analogie zu § 327b Abs. 3 AktG, § 13 WpÜG angängig.146 Die Abfindungszuwendung an den austretenden Gesellschafter muss sich bei Kapitalgesellschaften auch in diesem Fall an den Kapitalerhaltungsvorschriften messen, d.h. die Abfindung darf nur aus einem das Nennkapital übersteigende Vermögen gezahlt werden (§ 30 GmbHG, § 57 AktG).147 116 Die Bewertungsmethodik in § 225a Abs. 5 Satz 1 InsO sowie die Verzinsungsregel in § 225a

Abs. 5 Satz 3 InsO sind nicht plandispositiver Natur, d.h. im Plan können keine abweichenden Regeln getroffen werden; die Stundungsvorschrift des § 225a Abs. 5 Satz 2 InsO ist allerdings nur eine Kann-Vorschrift.148 7. Neue Finanzierungen (§ 12 StaRUG) und Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse (§ 13 StaRUG) und sonstige Regelungen

117 Die Vorschrift des § 7 StaRUG ist hinsichtlich des notwendigen Inhalts des gestaltenden Teils

nicht abschließend. Dies liegt vor allem daran, dass der Restrukturierungsplan neben den Eingriffen in die Rechte der Planbetroffenen auch Begleitmaßnahmen (Rz. 13) vorsehen kann, die sodann selbstverständlich ebenfalls im gestaltenden Teil umzusetzen sind. Zu den Einzelheiten vergleiche §§ 12, 13 StaRUG.

118 Daneben sind in den gestaltenden Teil auch die verfahrensrechtlichen Begleiterklärungen,

wie etwaige Bedingungen, sei es in Form einer echten Planbedingung i.S.d. § 62 StaRUG oder nur als Planvollzugsbedingung,149 Regelungen zur Bereitstellung von Mitteln zur Abwendung eines Minderheitenschutzantrages nach § 64 Abs. 3 StaRUG, Regelungen zum Wiederaufleben nach § 69 StaRUG oder zur Planüberwachung nach § 72 StaRUG aufzunehmen.

119 Anders als im Insolvenzplanverfahren150 darf der Restrukturierungsplan in Anwendung der

§ 80 Satz 2, § 83 Abs. 2 StaRUG auch Vereinbarungen zur Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten enthalten. Eine solche Vereinbarung ist vom Restrukturierungsgericht bei der Festsetzung der Vergütung nach § 82 Abs. 1 StaRUG zu berücksichtigen.151 Im Interesse der Planbarkeit und Vorhersehbarkeit der Vergütung für alle Verfahrensbeteiligten ist diese Öffnung gegenüber dem Insolvenzplanverfahren sehr zu begrüßen.

144 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 123; Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 225a InsO Rz. 59. 145 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 123 m.w.N. auch zu den Gegenansichten. 146 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 123. 147 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 123; Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 225a InsO Rz. 62; a.A. Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 225a InsO Rz. 121 a.E. 148 Zu § 225a InsO Seibt/Westpfahl in A. Schmidt, SanierungsR, 2. Aufl. 2019, § 225a InsO Rz. 125. 149 Zur Differenzierung vgl. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 4. 150 BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482. 151 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 80–83 StaRUG Rz. 6, 45 ff.

252 | Seibt und Hölzle

Gestaltender Teil | Rz. 124 § 7

8. Ausbleiben einer Regelung Enthält der Plan in Bezug auf einzelne Rechte keine Regelung, so ist zu differenzieren: War 120 das betreffende Recht in den Restrukturierungsplan einbezogen, ist es also planbetroffen, so hält § 11 StaRUG grundsätzlich eine Auffangklausel bereit, wonach der Schuldner vorbehaltlich einer abweichenden Regelung im Plan von seinen restlichen, im Plan nicht ausdrücklich als fortbestehend geregelten Verpflichtungen befreit wird. Anwendbar ist die Befreiungsnorm des § 11 StaRUG allerdings nur auf tatsächlich in den 121 Plan einbezogene Rechte, nicht aber auf sämtliche Forderungen eines planbetroffenen Gläubigers. Ist ein Gläubiger nur mit einzelnen von mehreren Forderungen und Rechten in den Plan einbezogen, so sind die übrigen nicht planbetroffen und unterfallen nicht der Befreiungsregelung des § 11 StaRUG. Zweifel gehen zu Lasten des Schuldners. Umso bedeutsamer ist die eindeutige Bestimmung der in den Plan einbezogenen Forderungen und Rechte für den Fall, dass ein Gläubiger nicht mit seinen sämtlichen Ansprüchen gegen den Schuldner von der Gestaltungswirkung des Plans erfasst werden soll. Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus dem Vorrang der Regelung der Absonderungs- 122 anwartschaft vor der Regelung des schuldrechtlichen Anspruchs (Rz. 49). Soll durch den Plan nur der schuldrechtliche Anspruch gestaltet und – insbesondere im Falle akzessorischer Sicherheiten – hierdurch auch die Sicherheit beeinträchtigt werden, ohne dass dies ausdrücklich klargestellt wird, so entfaltet § 11 StaRUG in Ansehung der Sicherheit keine Wirkung, weil diese nicht in den Plan einbezogen ist. Die Restrukturierungsforderung ist dem gegenüber unzulässigerweise in den Plan einbezogen worden, weshalb § 11 StaRUG auch der Anwendung des Akzessorietätsgrundsatzes entgegen steht, da die Erlasswirkung nur in Ansehung rechtmäßig in den Plan einbezogener Forderungen gelten kann. Zudem sind die Vorschriften über den Inhalt und die verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG wegen eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Gruppenbildung nicht eingehalten (§ 9 StaRUG). Ein solcher Plan ist nicht bestätigungsfähig.

IV. Bestimmtheitsgebot und Anforderungen an die Vollstreckbarkeit Der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans muss die in ihm vorgesehenen Eingriffe in 123 und Änderungen von Rechten eindeutig bezeichnen und bestimmen. Es gilt der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz.152 Vorzugsweise werden aufzunehmende Willenserklärungen, Beschlüsse etc. auch als solche ausdrücklich formuliert und in den gestaltenden Teil aufgenommen. Wenngleich wünschenswert ist, dass alle Regelungen im gestaltenden Teil des Restrukturie- 124 rungsplans klar, ohne weiteres verständlich und deshalb nicht auslegungsbedürftig abgefasst werden, leitet sich daraus kein Auslegungsverbot ab, falls es im Einzelfall an dieser Klarheit fehlt. Die Bestimmungen des Restrukturierungsplans bleiben unter diesen Voraussetzungen nach den allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB auslegungsfähig.153 Allerdings gehen Zweifel hinsichtlich der Bestimmtheit zu Lasten des Schuldners. Für die Auslegung ist das individuelle Verständnis derjenigen maßgebend, die ihn beschlossen haben. Eine objektive Auslegung ist wegen der Anwendbarkeit der bürgerlich-rechtlichen Vertragsschlusslehre auf die Annahme des Restrukturierungsplans (Rz. 9 ff.) nicht geboten.154

152 Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 9. 153 So für den Insolvenzplan BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, ZIP 2006, 39. 154 Wenn dies nach BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, ZIP 2006, 39, bereits für den Insolvenzplan gilt, gilt es a maiore ad minus für den Restrukturierungsplan erst recht.

Hölzle | 253

§ 7 Rz. 125 | Gestaltender Teil 125 Von der Auslegungsfähigkeit zu unterscheiden ist das Erfordernis der Vollstreckungsfähig-

keit der gestaltenden Bestimmungen des Plans, das stets erfüllt sein muss. Nach § 71 Abs. 1 StaRUG findet aus dem Restrukturierungsplan die Zwangsvollstreckung wegen der im Plan festgesetzten Leistungen und Forderungen, soweit diese nicht bestritten sind, wie aus einem rechtskräftigen Endurteil statt. Es gelten daher die §§ 704 ff. ZPO. Die Vollstreckung aus dem Plan setzt danach voraus, dass der Plan über einen vollstreckungsfähigen Inhalt verfügt. Dafür wiederum ist erforderlich, dass der Titel bestimmt genug und zur Zwangsvollstreckung geeignet ist. Dazu muss er den Anspruch des Gläubigers ausweisen – der Gläubiger ist als Planbetroffener ohnehin bestimmbar benannt – und den Inhalt und Umfang der Leistungspflicht bezeichnen.155 Bei einem Zahlungstitel muss der zu vollstreckende Zahlungsanspruch betragsmäßig festgelegt sein oder sich zumindest aus dem Titel ohne weiteres errechnen lassen.156 Ausreichend ist, dass der Inhalt des Titels durch Auslegung festzustellen ist, wenn sämtliche Kriterien für die Bestimmbarkeit eindeutig festgelegt sind. Ist für die Auslegung und Bestimmbarkeit der Rückgriff auf weitere Urkunden erforderlich, schadet dies nicht, soweit diese Teil des Titels und mit diesem zu einer rechtlichen Einheit verbunden sind.157 Auf dieser Linie liegt auch die Feststellung des BGH,158 dass es einer Vollstreckung aus einem Insolvenzplan nicht entgegensteht, wenn die Durchsetzung des Anspruchs noch von dem Eintritt einer bestimmten Tatsache abhängt, die Planregelungen daher noch aufschiebend bedingt sind. Voraussetzung hierfür ist allein, dass die Bedingung in der Zukunft tatsächlich eintreten kann.

126 Denkt man dies konsequent weiter, so ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Festsetzung auch

von variablen Quoten im Restrukturierungsplan ebenso wie nach richtiger Ansicht im Insolvenzplan zulässig ist,159 soweit sich die Methode und die Durchführung der Quotenberechnung aus dem Plan selbst ergeben und spätestens im Rahmen der Abstimmung (schriftlich, §§ 17–19 StaRUG, in einer Planbetroffenenversammlung, § 20 StaRUG, oder in einem gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin, § 45 StaRUG) die wesentlichen Determinanten zur Quotenberechnung festgeschrieben werden, also z.B. Rückstellungen beziffert und die Methode zur Bestimmung freibleibender Variablen in eindeutig bestimmbarer und ihrerseits vollstreckbarer Art und Weise festgeschrieben sind.160

127 Wenngleich das Bedürfnis für variable Quoten im Restrukturierungsplan geringer ist als im

Insolvenzplan, weil es das Nachzüglerproblem des § 259b InsO nicht gibt, stellt sich das Problem des Zeitablaufs zwischen der nach § 2 Abs. 5 StaRUG maßgeblichen Forderungshöhe und dem Verfahrensabschluss durch Planannahme oder Planbestätigung in derselben Weise. Während dieser Zeit wird das Unternehmen fortgeführt und können sich aus der Fortführung Änderungen in der wirtschaftlichen Situation ergeben. Außerdem ermöglicht die Bereitstellung variabler Quoten zugunsten der Gläubiger auch die Auflösung von Rückstellungen z.B. zur Abgeltung von Minderheitenschutzanträgen nach § 64 Abs. 3 StaRUG; zu diesem Zweck zurückgestellte und nicht benötigte Mittel können auf diese Weise nachträglich den Gläubigern zuerkannt werden.

155 156 157 158

BGH v. 7.12.2005 – XII ZR 94/03, BGHZ 165, 223 = MDR 2006, 637. BGH v. 30.6.1983 – V ZB 20/82, BGHZ 88, 62 = ZIP 1983, 1128. Wie hier Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 71 StaRUG Rz. 6. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141; dazu Madaus, EWiR 2018, 401, der die Rückkehr zu größeren Spielräumen bei der Bestimmung von Planquoten ausdrücklich begrüßt. 159 Tasma in Flöther, § 7 StaRUG Rz. 10 ff.; a.A. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 28a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 160 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 10.

254 | Hölzle

Auswahl der Planbetroffenen | § 8

E. Fehlerfolge Werden die Vorschriften über Inhalt und Ausgestaltung des gestaltenden Teils des Restruktu- 128 rierungsplans nicht beachtet, so trägt grundsätzlich der Schuldner das Risiko und gehen die Folgen zu seinen Lasten. Fehlt es z.B. an der Bestimmbarkeit der Eingriffsregelungen, so ist im Zweifel für den Gläubiger anzunehmen, dass sein Recht nicht oder lediglich in der für ihn im Plan zum Ausdruck kommenden günstigsten Weise gekürzt worden ist. Ist nicht eindeutig, mit welchen von mehreren Rechten ein Gläubiger einbezogen ist, so ist im Zweifel davon auszugehen, dass der Gläubiger mit dem betreffenden Recht nicht als Planbetroffener einbezogen wurde, § 11 StaRUG in Ansehung dieses Rechts daher keine Anwendung findet.

Die Bestätigung eines Restrukturierungsplans ist gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG zu versagen, 129 wenn Vorschriften über den Inhalt und die verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans sowie über die Annahme durch die Beteiligten und die Zustimmung des Schuldners in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet wurden und der Mangel nicht behoben werden kann. Insoweit hat das Gericht zu prüfen, ob die Vorschriften über den Inhalt des Plans (§§ 5 ff. StaRUG), das Planabstimmungsverfahren (§§ 17–23, §§ 46–48 StaRUG) und die Annahme durch die Beteiligten (§§ 24–28, § 45 StaRUG) beachtet wurden.161 Hingegen ist dem Insolvenzgericht eine Prüfung, ob der Plan wirtschaftlich zweckmäßig gestaltet ist und ob er voraussichtlich Erfolg haben wird, versagt.162 Greifen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, hat das Insolvenzgericht ohne Ermessensspielraum die Bestätigung des Restrukturierungsplans von Amts wegen abzulehnen. Voraussetzung ist, dass der Fehler potentiell Einfluss auf die Entscheidung der Planbetroffenen, dem Plan zuzustimmen oder ihn abzulehnen gehabt haben kann.163 Nach diesen Grundsätzen führen Verstöße vor allem gegen die Vorschriften über die Auswahl 130 der Planbetroffenen (§ 8 StaRUG) und über die Gruppenbildung (§ 9 StaRUG) stets zu einer amtswegigen, ermessensunabhängigen Versagung der Planbestätigung.

§8 Auswahl der Planbetroffenen 1Die

Auswahl der Planbetroffenen hat nach sachgerechten Kriterien zu erfolgen, die im darstellenden Teil des Plans anzugeben und zu erläutern sind. 2Die Auswahl ist sachgerecht, wenn 1. die nicht einbezogenen Forderungen auch in einem Insolvenzverfahren voraussichtlich vollständig erfüllt würden, 2. die in der Auswahl angelegte Differenzierung nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und den Umständen angemessen erscheint, insbesondere, wenn ausschließlich Finanzverbindlichkeiten und die zu deren Sicherung bestellten Sicherheiten gestaltet werden oder die Forderungen von Kleingläubigern, insbesondere Verbrauchern, Klein- und Kleinstunternehmen oder mittleren Unternehmen, unberührt bleiben oder 3. mit Ausnahme der in § 4 genannten Forderungen sämtliche Forderungen einbezogen werden. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256).

161 BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 162 BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, WM 2015, 1291 = ZIP 2015, 1346. 163 BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, WM 2010, 1509 = ZIP 2010, 1499; BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/ 11, WM 2012, 1640.

Hölzle | 255

§ 8 Rz. 1 | Auswahl der Planbetroffenen I. II. III. IV. V. 1. 2. 3.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historie und EU-Richtlinien Grundlage Grundlagen der Auswahl der Planbetroffenen (§ 8 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . Regelbeispiele (§ 8 Satz 2 StaRUG) . . . . Keine abschließende Enumeration . . . . . . Vollständige Befriedigung im Insolvenzverfahren (§ 8 Satz 2 Nr. 1 StaRUG) . . . . Konzeptbezogene, sachgerechte Beschränkung (§ 8 Satz 2 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3 7 9 16 16 18

b) Regelbeispiel Finanzverbindlichkeiten und hierfür bestellte Sicherheiten . . . . c) Regelbeispiel Klein- und Kleinstgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Notwendige Einbeziehung von Anteilsrechten (Gesellschaftern) . . . . . . . . . . . 4. Gesamtrestrukturierung (§ 8 Satz 2 Nr. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtsfolgen der nicht sachgerechten oder intransparenten Auswahl . . . . . . . .

31 35 39 43 45

24 24

Schrifttum: Hölzle, Zur Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens in Deutschland, ZIP 2020, 585; Madaus, Anm. zu LG Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2019 – 25 T 665/19, NZI 2020, 436; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes (StaRuG-RefE), ZIP 2020, 1985.

I. Regelungsgegenstand 1 Bei dem Restrukturierungsverfahren nach StaRUG handelt es sich um ein teilkollektives Ver-

fahren. § 8 StaRUG enthält dazu mit der Regelung der Kriterien für die Auswahl der Planbetroffenen die rechtliche Grundlage. Diese Regelung allerdings darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Auswahl der Planbetroffenen nicht im freien Ermessen des Schuldners steht. Vielmehr ist in der Systematik des Gesetzes ein gegenüber dem in der Qualifikation des Verfahrens als teilkollektivem Verfahren vermeintlich begründeten Dispositionsfreiheit des Schuldners gegenteiliges Regel-Ausnahme-Prinzip angelegt. Aus der Anknüpfung der Auswahlentscheidung an das Tatbestandsmerkmal der Sachgerechtigkeit knüpft das Gesetz über § 10 StaRUG hinaus ein auch gruppenübergreifendes Gleichbehandlungsgebot an. Aus der Pflicht, die Einbeziehung der Planbetroffenen in den Plan sachgerecht begründen zu müssen, folgt zugleich die Pflicht der Sachgerechtigkeit der Nichteinbeziehung der übrigen Gläubiger. Dies folgt nicht zuletzt aus Nr. 5 der Anlage zu § 5 Satz 2, wonach die Nennung sämtlicher Gläubiger, Inhaber von Absonderungsanwartschaften sowie Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten, die nicht in den Plan einbezogen werden sowie die Begründung für die Nichteinbeziehung obligatorisch sind. Ein ungebundenes Ermessen steht dem Schuldner bei der Auswahl gerade nicht zu, da in diesem Fall der Gefahr von Manipulationen Tür und Tor geöffnet wäre.1

2 Bei der sachgerechten Begründung der Auswahlentscheidung handelt es sich um eine verfah-

rensrechtliche Vorschrift i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, weshalb ein Verstoß gegen § 8 StaRUG zwingend die Versagung der Bestätigung des Plans zur Folge hat. Ein Verstoß gegen das Gebot der Sachgerechtigkeit ist nicht heilbar;2 selbstverständlich kann im Rahmen der Vorprüfung das Gericht aber entsprechende Hinweise erteilen und gegebenenfalls Stabilisierungsmaßnahmen vorläufig anordnen.3

1 BT-Drucks. 19/24181, S. 117; ebenso Hölzle, ZIP 2020, 585. 2 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 24. 3 AG Hamburg v. 18.1.2022 – 61c RES 1/21, ZRI 2022, 234 = ZIP 2022, 915.

256 | Hölzle

Auswahl der Planbetroffenen | Rz. 6 § 8

II. Normzweck Die Vorschrift des § 8 StaRUG gehört zu den wesentlichen materiell-rechtlichen Schranken 3 der Plangestaltung und hat daher für die gerichtliche Vorprüfung und die Prüfung zur Planbestätigung eine erhebliche Bedeutung. Auf die sorgsame Auswahl der Planbetroffenen und vor allem die Begründung derselben sollte daher erhebliches Gewicht sowohl bei der Gestaltung als auch bei der Prüfung des Plans gelegt werden.4 Die Überschrift der Norm führt mit der Bezeichnung „Auswahl der Planbetroffenen“ allerdings in die Irre, da die Auswahl und die Gestaltbarkeit der Rechte nicht gläubiger-, sondern forderungsbezogen ist. Auszuwählen ist daher nicht, welche Gläubiger in den Plan einbezogen werden, sondern welche Forderungen und Rechte. Es ist daher durchaus möglich, dass Gläubiger mit verschiedenen Forderungen und Rechten mit einzelnen von ihnen in den Plan einbezogen werden, mit anderen aus sachlich gerechtfertigtem Grund nicht. Die Auswahl der Planbetroffenen bzw. besser der planbetroffenen Rechte unterliegt wegen sei- 4 ner besonderen Bedeutung dem Transparenzgebot und ist im darstellenden Teil des Restrukturierungsplans zu erläutern und zu begründen.5 Dies hat nachvollziehbar und erkennbar sowie zwingend im darstellenden Teil zu erfolgen; eine Verlagerung in andere Gliederungspunkte des Plans oder gar in die Anlagen ist unzulässig.6 Da sich die Gestaltungswirkung des Plans auf die in den Plan einbezogenen Forderungen der 5 planbetroffenen Gläubiger beschränkt (§ 67 Abs. 1 Satz 1, § 11 Satz 1 StaRUG), erfordert die transparente Darstellung der Auswahlkriterien die vollständige Angabe sämtlicher gegen den Schuldner gerichteter Forderungen aller Gläubiger (§ 5 Rz. 36) und muss sich die Erläuterung gerade auch darauf beziehen, weshalb bestimmte Forderungen nicht einbezogen worden sind. Wegen der Beschränkung der Gestaltungswirkung auf die in den Plan einbezogenen Forderungen ist bei der Planerstellung insbesondere in Fällen der Anspruchskonkurrenz zu gewährleisten, dass die Forderung des Gläubigers ausdrücklich aus sämtlichen parallelen Anspruchsgrundlagen erfasst wird; die (konkludente) Erstreckung der Planwirkung auf eine parallele, nicht genannte Anspruchsgrundlage ist nicht möglich. Dies kann Fälle einer rein schuldrechtlichen Anspruchsgrundlagenkonkurrenz (z.B. Regressanspruch des Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner aus cessio legis sowie aus Auftragsverhältnis), aber auch Fälle der Konkurrenz von schuldrechtlichen und gesetzlichen Ansprüchen (z.B. vertraglicher, quasi-vertraglicher und deliktischer Anspruch bei betrügerischer Vertragsanbahnung) betreffen. Im letztgenannten Beispiel kann wegen § 4 Satz 1 Nr. 2 StaRUG nur der schuldrechtliche Anspruch der Gestaltungswirkung des Plans unterworfen werden, wohingegen der deliktische Anspruch im Verfahren nicht regelbar ist und weder von der Gestaltungswirkung des § 67 Abs. 1 Satz 1 StaRUG noch von der Erlasswirkung des § 11 Satz 1 StaRUG erfasst wird. Maßstab für die Prüfung der Sachgerechtigkeit der Auswahl der Planbetroffenen durch das 6 Restrukturierungsgericht ist allein die Tragfähigkeit der im Plan genannten Kriterien.7 Andere als die in der Begründung angegebenen Kriterien dürfen der Beurteilung nicht zugrunde gelegt und vom Schuldner z.B. in einem etwaigen Beschwerdeverfahren auch nicht nachgeschoben werden.8 Dem Restrukturierungsgericht ist es weder gestattet, andere als die vom Schuldner für maßgeblich gehaltenen Erwägungen der Beurteilung zugrunde zu legen, noch

4 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 2; a.A. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 10. 5 BT-Drucks. 19/24181, S. 117; Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 6 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 3. 7 BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. 8 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 10.

Hölzle | 257

§ 8 Rz. 6 | Auswahl der Planbetroffenen die vom Schuldner dargelegten Gründe zu ergänzen oder die anerkannten Grenzen der Auslegungsmethodik zu überschreiten. Anderenfalls könnte nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das Stimmverhalten der Planbetroffenen (auch) durch die unvollständige oder unklare Begründung beeinflusst worden ist.9

III. Historie und EU-Richtlinien Grundlage 7 Art. 8 Abs. 1 Buchst. e Restrukturierungs-RL setzt durch die Vorgabe, dass in dem Restruktu-

rierungsplan die von diesem nicht betroffenen Parteien zu benennen und die Gründe, warum sie nicht betroffen sein sollen, zu erläutern sind, voraus, dass dem Schuldner ein gewisses Auswahlermessen zusteht, dass dieses aber einer tragfähigen Begründung bedarf. Das in der Richtlinie angelegte Begründungserfordernis bliebe nämlich ohne Anwendungsbereich, wären an die Tragfähigkeit der Begründung keine Anforderungen zu stellen. ErwGr. 46 der Richtlinie sieht daher vor, dass spätestens im Rahmen der Planbestätigung auch die Auswahl der vom Plan betroffenen Gläubiger durch die zuständige Justiz- oder Verwaltungsbehörde zu prüfen ist.

8 Die Koppelung der Auswahlentscheidung an das Sachgerechtigkeitskriterium trägt daher

dem von der Richtlinie vorgegebenen Begründungserfordernis umfassend Rechnung.

IV. Grundlagen der Auswahl der Planbetroffenen (§ 8 Satz 1 StaRUG) 9 Die Auswahl der in die Gestaltungswirkung des Plans einbezogenen Rechte der Planbetroffe-

nen muss nach sachgerechten Kriterien erfolgen. Diese müssen im Plan transparent dargelegt und begründet werden (Rz. 4 ff.). Die Auswahl der Planbetroffenen ist sachgerecht, wenn sie zu einer sachlichen und angemessenen Verteilung der wirtschaftlichen Lasten führt.10 Dabei gilt kein strenger Gleichbehandlungsgrundsatz über alle Gläubiger, sondern ist freilich die jeweils unterschiedliche Rechtstellung der Gläubiger zu berücksichtigen (relative Gleichbehandlung). Es gilt also ein Gleichbehandlungsgebot nur unter denjenigen Gläubigern bzw. Gläubigerrechten mit vergleichbarer rechtlichen Stellung und Interessenlage. Dieses Gleichbehandlungsgebot ist mit dem Gleichbehandlungsgebot in § 10 StaRUG eng verknüpft, geht aber darüber hinaus, weil es sich nicht nur auf die Planbetroffenen einer Gruppe, sondern auf alle Gläubiger des Schuldners bezieht. Das Gleichbehandlungsgebot ist daher nicht erst im Rahmen der Gestaltung der Rechte der Planbetroffenen in der jeweiligen Gruppe (§ 10 StaRUG), sondern bereits bei der Auswahl der Planbetroffenen sowie der Gruppenbildung selbst zu beachten („gruppenübergreifendes Gleichbehandlungsgebot“).11

10 Die Nichteinbeziehung einzelner Gläubiger bzw. einzelner Gläubigerrechte oder einzelner

Gläubigergruppen bedarf der positiven Herleitung und Begründung und unterliegt deshalb nicht dem freien Ermessen des Schuldners.12 Die Teil-Kollektivität des Verfahrens ist somit nicht als Ausgangspunkt des Restrukturierungsverfahrens, sondern als Privileg zu verstehen, das nur unter der Voraussetzung einer sachgerechten Begründung in Anspruch genommen

9 Mit ähnlicher Erwägung Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 6, wonach die Homogenität optimal informierter Gläubiger an der Realität vorbeigeht, weshalb gerade dem Begründungszwang die wesentliche Bedeutung zukommt. 10 BT-Drucks. 19/24181, S. 117. 11 Ähnlich für das Zusammenwirken des Gleichbehandlungsgebot aus § 226 InsO mit den Grundsätzen einer sachlich gerechtfertigten Gruppenbildung nach § 222 InsO bereits BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/ 14, ZIP 2015, 1346. 12 Ebenso Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 5.

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Auswahl der Planbetroffenen | Rz. 12 § 8

werden darf,13 wobei sich die Begründung zunächst an den typisierten Kriterien des § 8 Satz 2 StaRUG zu orientieren hat, aber mangels abschließenden Charakters der Aufzählung (Rz. 16)14 auch darüber hinausgehen darf. Dies gilt umso mehr, als § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG die Durchbrechung der absoluten Prioritätsregel (§ 28 Rz. 2) und die Relativierung des strikten Gleichbehandlungsgebots (nur) dort erlaubt, wo dies angesichts der konkreten Restrukturierungsaufgabe und den Umständen angemessen erscheint, um so flexible Lösungen unter möglichst breiter Einbeziehung der Gläubiger zu ermöglichen.15 In der Gesamtauslegung folgt daraus, dass einer Einbeziehung unter einer an sachlich qualifizierte Begründungsanforderungen geknüpften Ungleichbehandlung grundsätzlich der Vorrang vor einer Nicht-Einbeziehung einzelner Gläubiger(gruppen) zu gewähren ist.16 Mit anderen Worten: Dort, wo eine Ungleichbehandlung im Plan sachlich vor allem nach §§ 9, 10 StaRUG nicht zu rechtfertigen wäre, ist auch die Nicht-Einbeziehung in den Plan regelmäßig sachlich nicht gerechtfertigt. Dieser Einbeziehungstest kann als Kontrollüberlegungen der Auswahl der Planbetroffenen(rechte) dienen. Dem steht nicht entgegen, dass es sich nach der Konzeption der dem Gesetz zugrundeliegen- 11 den Richtlinie um ein teilkollektives Verfahren handelt. Zwar mag bei der Ausgestaltung des Restrukturierungsverfahrens in erster Linie das gesetzliche Ziel Modell gestanden haben, die berechtigten wirtschaftlichen Interessen des Schuldners und seiner restrukturierungswilligen Gläubiger gegen obstruierende Gläubigerminderheiten durchzusetzen, während das Insolvenzverfahren vorrangig auf die Bewältigung der Mangelsituation des Schuldners zugunsten sämtlicher Gläubiger (§ 1 InsO) ausgerichtet ist;17 jedoch geht der deutsche Gesetzgeber selbst davon aus, dass das Gesetz der kollektiven Bewältigung einer wirtschaftlichen Schieflage des Schuldners dient,18 was aber vor allem auch darin zum Ausdruck kommt, das Eintrittsvoraussetzung für das Verfahren die Feststellung des Bestehens einer drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 18 InsO und damit gerade die Gefährdung der Vermögensinteressen sämtlicher Gläubiger ist. Aus dieser ganzheitlichen Gefährdungslage für die wirtschaftlichen Interessen sämtlicher Gläubiger folgt die Entstehung einer Solidargemeinschaft im Sinne einer zivilrechtlichen Sonderverbindung,19 deren Bestehen dogmatische Grundlage des gruppenübergreifenden Gleichbehandlungsgebots und damit der nur sachlich gerechtfertigten Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung innerhalb wie außerhalb des Restrukturierungsplans ist. Gleichzeitig stellt die Gesetzesbegründung jedoch klar, dass die Sachgerechtigkeit sich auch an 12 dem Verhältnis von Eingriff und Nutzen orientieren kann und soll.20 Die Auswahl der Planbetroffenen hat sich damit auch an dem im Plan zu definierenden Restrukturierungsziel zu orientieren. Beiträge von potentiell Planbetroffenen, die nur einen relativ geringen Nutzenbeitrag zu dem Erreichen des Restrukturierungsziels bei einer gleichzeitig jedoch individuell ab-

13 A.A. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 10, die an das Tatbestandsmerkmal der Sachgerechtigkeit „keine überhöhten Anforderungen“ stellen und „das Ermessen des Schuldners nicht zu sehr einengen“ wollen. Dies ist mit dem Charakter der Norm und dem Ziel insbesondere die Waffengleichheit der Beteiligten zu schützen, vgl. Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 6, nicht zu vereinbaren. 14 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 47 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Böhm in Braun, § 8 StaRUG Rz. 11; Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 26. 15 BT-Drucks. 19/24181, S. 130. 16 Wie hier Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 5. 17 Vgl. ausführlich Skauradzsun, KTS 2021, 1, 9 ff., der diese entgegenstehenden Ziele als Bewältigung des Common-Pool-Problems gegenüber dem Holdout-Problem beschreibt. 18 BT-Drucks. 19/24181, S. 87. 19 Für die Insolvenzgläubiger Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, 2000, S. 114; zur Justitiabilität der aus der Sonderverbindung resultierenden Schutz- und Rücksichtnahmepflichten bereits Gottwald in FS Giger, 1989, S. 195, 198. 20 BT-Drucks. 19/24181, S. 117.

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§ 8 Rz. 12 | Auswahl der Planbetroffenen solut hohen Eingriffsintensität zeitigen, rechtfertigen demnach eine Differenzierung, während die Einbeziehung auch solcher Gläubiger umgekehrt niemals die Sachgerechtigkeit in Frage stellen kann (vgl. auch § 8 Satz 2 Nr. 3 StaRUG), da kein Gläubiger einen Anspruch darauf hat, an der Lastentragung nicht beteiligt zu werden. 13 Anders sieht es aber aus, wenn das zugrundeliegende Restrukturierungskonzept die Einbezie-

hung einzelner Gläubiger(gruppen) nicht erfordert, weil deren Beiträge für das Erreichen des Restrukturierungsziels nicht maßgeblich sein können. Zielt das Restrukturierungskonzept z.B. auf eine – nach § 8 Satz 2 Ziff. 2 StaRUG ausdrücklich sachgerechte (zu Einschränkungen Rz. 33) – ausschließlich finanzwirtschaftliche Restrukturierung des Schuldners ab, so hielte die Einbeziehung auch der Lieferantengläubiger der Anwendung des Sachgerechtigkeitskriteriums mitunter nicht stand. Denn: Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen sind nach dem Verbot der Übersanierung (§ 7 Rz. 15) nur insoweit zulässig, wie sie zur Erreichung des Restrukturierungsziels erforderlich sind. Dies gilt dann jedoch a maiore ad minus nicht nur für diejenigen Beiträge, die den Planbetroffenen abverlangt werden, sondern erst recht bereits auf der Stufe der Einbeziehung der Gläubiger als Planbetroffene in das Restrukturierungsvorhaben überhaupt.

14 Leitlinien für die Auslegung des Sachgerechtigkeitskriteriums sind damit das Verbot der

Übersanierung (§ 7 Rz. 15) einerseits und das Gebot der Gleichbehandlung andererseits, dabei wiederum aller Gläubiger (gruppenübergreifende Gleichbehandlung Rz. 9) auf der einen und innerhalb einer jeden Gläubigergruppe (§ 10 StaRUG) auf der anderen Seite. Die Auswahl muss sich daher daran messen lassen, ob sie unter Berücksichtigung der konkreten Umstände erforderlich erscheint, um die Restrukturierungslösung überhaupt realisieren zu können21 und die Nichteinbeziehung der Nichtplanbetroffenen gegenüber den von den Planbetroffenen eingeforderten Beiträgen durch an dem konkreten Restrukturierungsziel orientierte Sachgründe gerechtfertigt ist, die nicht vorrangig durch eine Einbeziehung der Nicht-Planbetroffenen unter gleichzeitiger Durchbrechung der absoluten Vorrangregel nach § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG erreichbar gewesen wären.

15 Da die absolute Vorrangregel der §§ 26, 27 StaRUG die wirtschaftliche Beteiligung nur der

Planbetroffenen in Relation zueinander setzt, hat die Prüfung der Sachgerechtigkeit besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass die Auswahl der Planbetroffenen nicht – vorrangig – der strategischen Beschaffung von Mehrheiten oder Minderheiten im Abstimmungsverfahren dient und die Lasten unter rechtlich und wirtschaftlich gleichrangigen Gläubigern nicht unterschiedlich verteilen darf.22

V. Regelbeispiele (§ 8 Satz 2 StaRUG) 1. Keine abschließende Enumeration 16 Obgleich die Regierungsbegründung des Gesetzes, anders als noch die Begründung des Refe-

rentenentwurfs23 nicht mehr gesondert herausstellt, dass die Regelbeispiele des § 8 Satz 2 StaRUG keine abschließende Enumeration darstellen, handelt es sich lediglich um Regelbeispiele, die weitere sachgerechte Differenzierungskriterien zulassen.24 Dies folgt bereits aus der offenen Formulierung von § 8 Satz 2 Nr. 2 StaRUG, in welcher das unbestimmte Tatbestands21 22 23 24

BT-Drucks. 19/24181, S. 118. Wie hier Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 8 f. RefE-SanInsFoG, S. 127. Ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 47 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Böhm in Braun, § 8 StaRUG Rz. 11; Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 26; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 14.

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Auswahl der Planbetroffenen | Rz. 20 § 8

merkmal der Sachgerechtigkeit lediglich durch das ebenfalls unbestimmte Tatbestandsmerkmal der an den konkreten Umständen des Einzelfalls ausgerichteten Angemessenheit ersetzt25 und dadurch das Einfallstor für weitere Differenzierungskriterien geöffnet wird. Gleichwohl dienen die Regelbeispiele in § 8 Satz 2 StaRUG als Leitlinie und Richtschnur der 17 Auslegung des Sachgerechtigkeitskriteriums. Sie typisieren die Auswahl der Planbetroffenen bzw. der in den Plan einzubeziehenden Rechte am Maßstab der gleichartigen Berücksichtigung aller Beteiligten, deren wichtigsten – auf das Restrukturierungsziel bezogenen – wirtschaftlichen Interessen übereinstimmen.26 Die Anwendung weiterer, unbenannter Kriterien erfordert vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Planbetroffenheit zunächst sämtlicher Gläubiger mit ihren Rechten (Rz. 10) die positivrechtliche Begründung der Vergleichbarkeit mit der in den Regelbeispielen jeweils zum Ausdruck kommenden Interessenlage.

2. Vollständige Befriedigung im Insolvenzverfahren (§ 8 Satz 2 Nr. 1 StaRUG) Nach Auffassung des Gesetzgebers ist die Nichteinbeziehung solcher Forderungen, die in ei- 18 nem Insolvenzverfahren voraussichtlich vollständig erfüllt werden, stets und ohne weiteres angemessen.27 Die dahinterstehende Annahme, dass ein Gläubiger, der auch in einem Insolvenzverfahren mit einem Ausfall nicht zu rechnen hat, in der Gestaltung seiner Rechte in einem Restrukturierungsverfahren voraussichtlich nicht zustimmen wird,28 ist zwar richtig. Auch stellt es regelmäßig keine unangemessene Privilegierung dar, einen Gläubiger, der auch im Insolvenzverfahren voraussichtlich vollständige Befriedigung erlangen würde, nicht an den Lasten des Restrukturierungsverfahrens zu beteiligen.29 Jedoch können diese Erwägungen nur greifen, solange und soweit das Insolvenzverfahren tatsächlich – wie allerdings regelmäßig (§ 6 Rz. 30 f.) – das der Vergleichsrechnung zulässigerweise zugrundeliegende nächstwahrscheinliche Alternativszenario darstellt. Ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, versagt die Rechtfertigung des Regelbeispiels, weil dann auch bei allen übrigen Gläubigern nicht davon ausgegangen werden kann, dass deren Vermögensinteressen bereits in einer Weise unmittelbar gefährdet sind, die es rechtfertigt, ihnen die Restrukturierungslasten anteilig aufzuerlegen. Das Regelbeispiel rechtfertigt im Grundsatz die Nichteinbeziehung von trotz der drohenden 19 Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht gefährdeter Vermögenspositionen des Gläubigers. Werden solche Vermögensrechte einzelner Gläubiger dennoch in den Plan einbezogen, so stellt dies keinen Verstoß gegen § 8 StaRUG dar,30 sondern ist ausschließlich eine Frage der individuellen Schlechterstellung, die von dem Planbetroffenen nach § 64 StaRUG im Rahmen des Bestätigungsverfahrens geltend zu machen ist.31 Der Wortlaut, wonach voraussichtlich die vollständige Befriedigung im Insolvenzverfahren zu 20 erwarten sein muss, scheint eine Prognoserechnung zu erfordern, die dem Vorbild der Vergleichsrechnung und des Schlechterstellungsverbots nachempfunden ist.32 Das allerdings ist 25 26 27 28 29 30 31 32

Ebenso Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 10. So für den Insolvenzplan BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. BT-Drucks. 19/24181, S. 118. So Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 10; ähnlich Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 11; Tasma in Flöther, § 8 StaRUG Rz. 9. So Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). A.A. offenbar Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Ohne gerichtliche Bestätigung des Plans wirkt dieser nicht gegen Gläubiger, die dem Plan nicht zugestimmt haben, § 67 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. In diesem Sinne Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2021, § 8 StaRUG Rz. 12; Tasma in Flöther, § 8 StaRUG Rz. 10.

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§ 8 Rz. 20 | Auswahl der Planbetroffenen nicht der Fall. Wie gesehen (Rz. 17), ist die Auswahlentscheidung an den gleichgerichteten, auf das Restrukturierungsziel bezogenen wirtschaftlichen Interessen der Gläubiger gleicher Rechtsstellung auszurichten. Die voraussichtlich vollständige Befriedigung muss sich daher zunächst aus einer von den gleichgerichteten Interessen der sonstigen Gläubiger abhebenden Rechtsstellung ergeben. Diese kann sich insbesondere aus der fehlenden Beteiligung an dem Insolvenzverfahren mit Aussonderungsrechten (§ 47 Satz 1 InsO) oder vollwertigen Sicherheiten, die im Insolvenzverfahren die vollständige Befriedigung auf Grundlage eines Absonderungsrechts sicher erwarten lassen, ergeben. Obgleich von Dritten gestellte Sicherheiten, die auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners uneingeschränkt geltend gemacht werden können (§ 254 Abs. 2 InsO), nicht zu einer Befriedigung „in einem Insolvenzverfahren“, wie es § 8 Satz 2 Nr. 1 StaRUG verlangt, führen, sondern vielmehr Befriedigung trotz des Insolvenzverfahrens ermöglichen, rechtfertigt auch die vollständige Befriedigungsaussicht aus einer Drittsicherheit die Nichteinbeziehung solcher Gläubiger. Die Möglichkeit des Eingriffs in Drittsicherheiten (§ 223a InsO) ist dabei selbstverständlich zu berücksichtigen. Die zu erwartende vollständige Befriedigung aus der Stellung als Massegläubiger herzuleiten, dürfte demgegenüber nicht möglich sein,33 da § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG nur die Gestaltung solcher Forderungen zulässt, die bereits begründet und damit in einem etwaigen Insolvenzverfahren als Insolvenzforderung (§ 38 InsO) zu qualifizieren sind. Auf welche Weise eine restrukturierungsfähige Forderung in einem alternativen Insolvenzverfahren als Masseverbindlichkeiten einzuordnen sein sollte, ist nicht erkennbar. Denn auch oktroyierte Masseverbindlichkeiten aus zu erfüllenden Verträgen (z.B. Mietverbindlichkeiten) können im Restrukturierungsverfahren gem. § 3 Abs. 2 StaRUG nur insoweit gestaltet werden, wie die dem anderen Teil obliegende Leistung bereits erbracht ist. Auch insoweit ist bei einem zeitlich nachgelagerten Insolvenzantrag die Qualifizierung der Forderung des Gläubigers als Masseverbindlichkeit allerdings ausgeschlossen. 21 Erst wenn die rechtliche Sonderstellung, aus welcher heraus die vollständige Befriedigungs-

erwartung abzuleiten ist, festgestellt ist, erfolgt auf zweiter Stufe die Prognoseentscheidung, ob die Rechtsposition auch wirtschaftlich die Befriedigungserwartung deckt. Hier steht die Bewertung von Sicherungsrechten, gleich ob Absonderungsrechten oder Drittsicherheiten, im Vordergrund. Deckt die Realisierungserwartung aus der Sicherheit den Anspruch nur anteilig, so ist eine vollständige Befriedigung des Gläubigers in einem Insolvenzverfahren nicht zu erwarten und ist die Nichteinbeziehung des Gläubigers nicht sachgerecht. Das anteilige Sicherungsrecht und der Ausfall des Gläubigers im Übrigen sind im Rahmen der Gruppenbildung (Verbot von Mischgruppen, § 9 StaRUG) sowie im Rahmen des Schlechterstellungsverbots zu berücksichtigen, rechtfertigen aber gerade nicht die vollständige Außerachtlassung der Forderungen der betreffenden Gläubiger bei der Auswahl der Planbetroffenen. Nicht zuletzt aus diesem Grunde unterliegt die Feststellung der voraussichtlich vollständigen Befriedigung des Gläubigers, die Tatbestandsmerkmal des § 8 Satz 2 Nr. 1 StaRUG ist, der Amtsermittlung34 nach § 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG und muss zur vollständigen richterlichen Überzeugung gegeben sein.35

22 Die Bewertung unterliegt daher der richterlichen Kontrolle und Überzeugungsbildung am

Maßstab des § 38 StaRUG i.V.m. § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Zweifelsfälle gehen zu Lasten des die Darlegungslast tragenden Schuldners.36 Im Rahmen der Begründung der Nichteinbezie-

33 So aber Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 19 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ähnlich wohl auch Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 14. 34 Für die Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit im Verfahren mit denselben Grundsätzen AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZIP 2021, 806. 35 Ähnlich Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 11 („kein vernünftiger Zweifel“). 36 Dies folgt nicht zuletzt aus dem insoweit verallgemeinerungsfähigen Gedanken des § 63 Abs. 3 Satz 1 StaRUG.

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Auswahl der Planbetroffenen | Rz. 25 § 8

hung ist daher regelmäßig anzuraten, dass die Werthaltigkeit des Sicherungsrechts gutachterlich unterlegt wird. Auf welchen Zeitpunkt für die Prognose abzustellen ist, sagt das Gesetz nicht. Da es dem 23 Schuldner bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 18 InsO freigestanden hätte, statt des Restrukturierungsverfahrens auch ein Insolvenzverfahren einzuleiten, und da § 8 StaRUG gerade der Missbrauchsvermeidung dient, muss auf den für die Vergleichsrechnung maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Bestätigungsentscheidung abgestellt werden.37 Stünde es dem Schuldner frei, auf einen hypothetisch späteren Insolvenzantrag abzustellen, so würde das gläubigerschützende Gleichbehandlungsgebot seiner Disposition unterworfen, was mit dem gesetzgeberischen Zweck nicht vereinbar ist.

3. Konzeptbezogene, sachgerechte Beschränkung (§ 8 Satz 2 Nr. 2 StaRUG) a) Grundlagen Gemäß § 8 Satz 2 Nr. 2 StaRUG ist die Auswahl der Planbetroffenen bzw. der in den Plan 24 einzubeziehenden Rechte auch dann sachgerecht, wenn die angelegte Differenzierung nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und den Umständen angemessen erscheint. Die Prüfung ist damit mehrstufig aufgebaut. Zunächst ist zu prüfen, ob die Auswahl nach der Art der wirtschaftlichen Schwierigkeiten angemessen ist. Ist dies der Fall, so hat eine Prüfung nach den Umständen des Einzelfalls zu erfolgen. Beide Tatbestandsmerkmale müssen daher kumulativ vorliegen. Im Halbs. 2 der Vorschrift werden sodann Regelbeispiele genannt, unter deren Erfüllung grundsätzlich von einer nach Art und Umständen angemessenen Auswahl auszugehen sein soll. Mit der Anknüpfung an die Art der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens 25 nimmt das Gesetz Bezug auf § 14 Abs. 1 StaRUG, wonach dem Restrukturierungsplan eine Erklärung zu den Aussichten darauf beizufügen ist, dass durch den Plan die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicher- oder wiederhergestellt wird. Dass diese Erklärung von der konkreten Feststellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise auszugehen hat, ergibt sich aus § 32 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG. Eine nach der Art der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners getroffene Auswahl der planbetroffenen Rechte ist demnach dann angemessen, wenn und soweit deren Gestaltung erforderlich und geeignet ist,38 ausgehend von den konkreten Krisenursachen die nachhaltige Bestandsfähigkeit des Unternehmens zu sichern oder wiederherzustellen. Nach der jüngeren Tendenz in der Rechtsprechung des BGH39 darf sich das Sanierungskonzept, auf welches sich die Gestaltung der planbetroffenen Rechte stützt, grundsätzlich nicht auf die finanzwirtschaftliche Seite beschränken, sondern muss auch die Ursachen einbeziehen, die zur Zahlungsunfähigkeit geführt haben. Erforderlich sind eine Analyse der Verluste und der Möglichkeit deren künftiger Vermeidung, eine Beurteilung der Erfolgsaussichten und der Rentabilität des Unternehmens in der Zukunft und die Darstellung der Maßnahmen zur Vermeidung oder Beseitigung der drohenden Insolvenzreife.40 Ein Konzept darf sich danach grundsätzlich nicht darauf beschränken, dass alle oder ein Teil der Gläubiger quotal auf ihre Forderungen verzichten. Dies ist nur dann erfolgversprechend, wenn die Krise allein auf einem Finanzierungsproblem beruht, etwa dem Ausfall berechtigter Forderun37 A.A. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 26 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); wie hier Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 13. 38 Ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 31 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 39 BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, BGHZ 210, 249 = ZIP 2016, 1235; BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, ZIP 2022, 589. 40 BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, BGHZ 210, 249 = ZIP 2016, 1235.

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§ 8 Rz. 25 | Auswahl der Planbetroffenen gen des Schuldners, das Unternehmen aber grundsätzlich profitabel arbeitet. Insbesondere muss das Konzept nachweisen, sieht es allein die Entschuldung des schuldnerischen Unternehmens vor, dass diese für sich genommen geeignet ist, die Zahlungsfähigkeit dauerhaft zu erhalten.41 26 Die Begründung der Auswahl der planbetroffenen Rechte im darstellenden Teil (Rz. 4)

muss sich daher konkret an der Feststellung der Krisenursachen und den dargestellten Maßnahmen zu ihrer Beseitigung mit dem Ziel der nachhaltigen Wiederherstellung der Ertragsfähigkeit des Unternehmens orientieren,42 um ihrer Art nach angemessen zu sein. Insbesondere genügt es daher für die Sachgerechtigkeit der Auswahl nicht, nur die innerhalb der für die Prognose der drohenden Zahlungsunfähigkeit maßgeblichen Frist fällig werdenden Forderungen in die Restrukturierung einzubeziehen,43 weil hierdurch eine nachhaltige Bestandssicherung des Unternehmens gerade nicht gewährleistet wird.

27 Ist die Auswahl der planbetroffenen Rechte nach der Art der wirtschaftlichen Schwierigkeiten

des Schuldners angemessen, also erforderlich und geeignet, so ist zu prüfen, ob sie auch nach den Umständen des konkreten Einzelfalls sachgerecht ist. Dies setzt vor allem eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gerade auch unter Berücksichtigung des gruppenübergreifenden Gleichbehandlungsgebots (Rz. 9 ff.) voraus. Die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit nach den Umständen des Einzelfalls formt daher das Sachgerechtigkeitskriterium des § 8 Satz 1 StaRUG weiter aus, ohne dabei jedoch das Maß der Bestimmtheit zu erhöhen. Die Auslegungskriterien sind daher dieselben, wie sie oben allgemein für die Bestimmung der Sachgerechtigkeit dargestellt wurden. Insbesondere geht es deshalb um die angemessene Verteilung der Lasten der Restrukturierung auf die Gläubiger und Gläubigergruppen, wobei die Zuweisung von Sonderlasten oder die Gewährung von Sondervorteilen vermieden werden muss. Auslegungs- und Kontrollmerkmal ist hier wiederum die Prüfung am Maßstab der Gleichbehandlung gem. §§ 9, 10 StaRUG (Rz. 10) sowie einer möglichen Durchbrechung der absoluten Priorität nach §§ 27, 28 StaRUG (Rz. 14).

28 Die Umstände des Einzelfalls können es aber z.B. verhältnismäßig erscheinen lassen, einzelne

Gläubigergruppen vollständig aus der Restrukturierung herauszuhalten, um das Restrukturierungsziel nicht zu gefährden oder die Chancen des Gelingens der Restrukturierung jedenfalls zu erhöhen.44 So kann die Restrukturierung auf typischerweise ausschließlich professionelle Gläubiger beschränkt werden45 oder von dem Bestreben getragen sein, den operativen Geschäftsbetrieb von den mit der Restrukturierung stets verbundenen Friktionen freizuhalten.46 Wegen des kumulativen Erfordernisses der Sachgerechtigkeit nach der Art der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und den Umständen des Einzelfalls darf die Bestimmung nach den Umständen des Einzelfalls aber nicht dazu führen, dass die Auswahl der von der Gestaltung durch den Plan betroffenen Rechte in einer Weise beschränkt wird, welche die Geeignetheit des Restrukturierungsplans zur Erreichung des Sanierungsziels der nachhaltigen Wiederherstellung oder Sicherung der Bestandsfähigkeit des Unternehmens gefährdet.

41 BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, ZIP 2022, 589. 42 Ähnlich die Gesetzesbegründung, wonach der Verfahrenszweck in der Ermöglichung der insolvenzfreien Sanierung des Unternehmens liegt, BT-Drucks. 19/24181, S. 3; an diesem Ziel der nachhaltigen Insolvenzvermeidung und nicht nur der kurzfristigen Beseitigung einer drohenden Antragspflicht muss das Sanierungsziel und damit die Auswahl der Planbetroffenen dann aber auch ausgerichtet sein. 43 A.A. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 34 a.E. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 44 Ähnlich Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 38 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 45 BT-Drucks. 19/24181, S. 117. 46 BT-Drucks. 19/24181, S. 118; Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 18; Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 17.

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Auswahl der Planbetroffenen | Rz. 32 § 8

Der Schutz der Lieferantenbeziehungen, z.B. durch Ausschluss der Lieferanten aus der Ge- 29 staltungswirkung des Plans, ist nur dann den Umständen nach angemessen, wenn die Fragilität der Lieferantenbeziehungen im Einzelfall festzustellen ist, gleichzeitig aber die nachhaltige Beseitigung der wirtschaftlichen Probleme des schuldnerischen Unternehmens eine leistungswirtschaftliche Sanierung auf der Beschaffungsseite durch Umgestaltung der Lieferantenbeziehungen nicht erfordert. Je größer die Beschränkung der Reichweite des Restrukturierungsplans in der Breite durch 30 starke Individualisierung der in die Gestaltungswirkung einzubeziehenden und planbetroffenen Rechte, desto höher sind die Anforderungen an die Prüfung des Sachgerechtigkeitskriteriums und der Angemessenheit nach den Umständen im Einzelfall. Beide Kriterien sind der vollständigen richterlichen Prüfung im Rahmen derer Planbestätigung zugänglich. Es handelt sich um unbestimmte objektive Tatbestandsmerkmale, die (ausschließlich) anhand der im Plan dargestellten Umstände und der im Plan angegebenen Begründung auszufüllen und zu subsumieren sind. Dem Ermessen des Schuldners obliegt daher ausschließlich die Auswahl der planbetroffenen Rechte; die Prüfung der Sachgerechtigkeit dieser Auswahl ist allerdings gerade kein subjektives Tatbestandsmerkmal, das in das Ermessen des Schuldners gestellt wäre und deshalb auch nicht der Beurteilungsprärogative des Schuldners überlassen. Die Sachgerechtigkeitsprüfung durch das Gericht im Rahmen der Bestätigungsprüfung (§ 63 StaRUG) ist aus diesem Grund auch nicht auf eine Plausibilitätsprüfung der schuldnerischen Angaben beschränkt.47 Vielmehr muss die Sachgerechtigkeit der Auswahl nach den hier angegebenen Prüfungskriterien zur freien richterlichen Überzeugung (§ 38 StaRUG i.V.m. § 286 ZPO) feststehen. b) Regelbeispiel Finanzverbindlichkeiten und hierfür bestellte Sicherheiten Bereits im Gesetzgebungsverfahren war vorgeschlagen worden, den Anwendungsbereich des 31 Restrukturierungsverfahrens auf Finanzverbindlichkeiten zu beschränken.48 Demgemäß liegt es nahe, dass der Gesetzgeber eine Beschränkung auf die zumeist professionellen Gläubiger von Finanzverbindlichkeiten ausdrücklich als Gestaltungsoption zulässt.49 Dies ist im Grundsatz vor allem deshalb zu begrüßen, weil sich ein Restrukturierungsvor- 32 haben, das sich allein auf die Kapitaldienstfähigkeit des Schuldners und dessen Finanzgläubiger bezieht und so den operativen Geschäftsbetrieb weitgehend unbehelligt lässt, zunächst im Kernbereich der Anwendung und des Nutzens der präventiven Restrukturierung und ihrer möglichen Vorteilhaftigkeit gegenüber einem Insolvenzverfahren bewegt.50 Gleiche Überlegungen kommen bereits in ErwGr. 2 der Restrukturierungs-RL zum Ausdruck, in der es heißt, dass die präventive Restrukturierung den Schuldner in finanziellen Schwierigkeiten in die Lage versetzen soll, die Geschäftstätigkeit ganz oder teilweise fortzusetzen, wobei die Einflussnahme auf operative Maßnahmen der Geltung der allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen unterliegen soll. Schon die Richtlinie legt daher einen Schwerpunkt bei der finanzwirtschaftlichen Restrukturierung zum Schutze des operativen Geschäftsbetriebes, weshalb die Beschränkung auf eine solche bei richtlinienkonformer Auslegung im Grundsatz keinen Bedenken begegnet.51

47 A.A. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 26 ff. 48 Hölzle, ZIP 2020, 585. 49 Thole, ZIP 2020, 1985, meint hierin – nicht ganz zu Unrecht – gar eine gewisse Präferenz des Gesetzgebers für die Beschränkung auf finanzwirtschaftliche Sanierungen zu erkennen. Ähnlich Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 17 f. 50 Hölzle, ZIP 2020, 585. 51 Ebenso Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 19.

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§ 8 Rz. 33 | Auswahl der Planbetroffenen 33 Da es sich bei dem Regelbeispiel allerdings nur um ein solches zur beispielhaften Bestimmung

des unbestimmten Tatbestandsmerkmals der nach der Art und den Umständen sachgerechten Auswahl handelt, müssen die an diese Tatbestandsmerkmale anzulegenden Anforderungen (Rz. 24 ff.) auch bei der Beschränkung des Restrukturierungskonzepts allein auf Finanzgläubiger erfüllt bleiben. Insbesondere darf die Beschränkung auf Finanzgläubiger die Erreichbarkeit des Ziels der nachhaltigen Wiederherstellung oder Sicherung der Bestandsfähigkeit des Unternehmens nicht gefährden.52 Sie muss daher im Sinne eines tauglichen Sanierungskonzepts geeignet bleiben, die Ursache für die Krise zu beseitigen.53 Dies ist bei einer ausschließlich auf die Entschuldung des Unternehmens gerichteten Sanierung regelmäßig aber gerade nicht der Fall,54 weshalb die Beschränkung auf Finanzgläubiger besonderen Begründungsaufwand hinsichtlich der auch in diesem Fall erreichbaren nachhaltigen Sanierung des Unternehmens erfordert.

34 Angesichts des Motivs für die grundsätzlich eröffnete Beschränkung der Wirkungen des Re-

strukturierungsplans auf Finanzverbindlichkeiten (Rz. 32) sind Finanzverbindlichkeiten in diesem Sinne nur solche, die aus der originären zeitlich befristeten Überlassung des Nutzungswertes zur Verfügung gestellten Kapitals resultieren und nicht auch solche Restrukturierungsforderungen, die sich aus (stehengelassenen) Lieferantenverbindlichkeiten ergeben. Ebenso wenig fallen Warenkredite in diese Kategorie, da im Falle der Einbeziehung von Warenlieferanten und Dienstleistern, die freiwillig oder gezwungenermaßen auch zu Finanzgläubigern wurden, der Zweck der unbehelligten Fortführung des operativen Geschäftsbetriebes nicht mehr uneingeschränkt verwirklicht werden kann und allein die abstrakte Gefährdung des operativen Betriebes durch Einbeziehung von Lieferanten und Dienstleistern die Sachgerechtigkeit der Begrenzung auf nur diejenigen, die Forderungen haben stehen lassen, entfallen lässt.55 c) Regelbeispiel Klein- und Kleinstgläubiger

35 Die grundsätzliche Annahme einer sachlichen Rechtfertigung, Klein- und Kleinstgläubiger so-

wie Kleinunternehmen von der Erbringung von Sanierungsbeiträgen zu verschonen, stützt sich auf zwei, auf die allgemeinen Sachprüfungskriterien für die Auswahlentscheidung zurückgehende Erwägungen: Zum einen ist bei diesen Gläubigern die Geeignetheit der einzufordernden Sanierungsbeiträge fraglich, wenn die Forderungen und z.B. ihr anteiliger Erlass in Summe keine nennenswerte Rolle spielen und auf die Entschuldung des Unternehmens ohne nennenswerten Einfluss bleiben.56 Zum anderen steht die Verhältnismäßigkeit von Sanierungsbeiträgen auch von Kleingläubigern in Frage, da diese Gläubiger in aller Regel nicht den institutionellen oder professionellen Gläubigern zuzurechnen sind, weshalb die Erfassung des Planinhalts und dessen Prüfung durch diese Gläubiger regelmäßig ohne fachkundige Beratung kaum geleistet werden kann.57 Die Inanspruchnahme rechtlicher Beratung steht regelmäßig aber in keinem Verhältnis zu der wirtschaftlichen Bedeutung des Eingriffs,58 weshalb diese Gläubiger bei typisierter Betrachtung drohen übervorteilt zu werden.

36 Dieser letztgenannte Schutzgedanke kommt auch in § 73 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG zum Ausdruck,

wonach bei der Einbeziehung von Klein- und Kleinstgläubigern sowie Verbrauchern die Be-

52 A.A. offenbar Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 41 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der die Angemessenheit der Beschränkung auf Finanzgläubiger auch in dem Fall annimmt, dass die Ursache der wirtschaftlichen Schwierigkeiten unabhängig von den Finanzverbindlichkeiten begründet ist. 53 BGH. v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, BGHZ 210, 249 = ZIP 2016, 1235. 54 BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, ZIP 2022, 589. 55 Ebenso Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 19. 56 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 127. 57 So auch Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 19. 58 BT-Drucks. 19/24181, S. 118.

266 | Hölzle

Auswahl der Planbetroffenen | Rz. 39 § 8

stellung eines Restrukturierungsbeauftragten obligatorisch ist, auf welche verzichtet werden kann, wenn ausschließlich institutionelle Gläubiger am Verfahren beteiligt werden.59 Mit Ausnahme der Qualifikation des Verbrauchers, für die auf § 13 BGB zurückgegriffen wer- 37 den muss, definiert das Gesetz die verwendeten Begriffe des Kleinst- und Kleingläubigers sowie des Kleinunternehmens nicht. Ob auch im Rahmen von § 8 Satz 2 Nr. 2 StaRUG, wie im Rahmen des § 73 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG60 für die Definition des Kleinunternehmens auf die Definitionskriterien für ein „KMU“ gemäß der Empfehlung der EU-Kommission vom 6.5.2003 zurückgegriffen werden kann, wonach KMU solche Unternehmen sind, die weniger als 250 Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro erzielen oder deren Jahresbilanz sich auf höchstens 43 Mio. Euro beläuft, ist fraglich. Obwohl das Gesetz denselben Wortlaut verwendet, gehen die Schutzzwecke auseinander. Während bei der Einbeziehung von KMU in den Plan wesentliches Kriterium für die obligatorische Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten das erkannte Bedürfnis nach der Herstellung einer Waffengleichheit und des Ausgleichs von Informationsasymmetrien ist,61 das bei notwendig typisierter Betrachtung auch bei Unternehmen der genannten Größenordnung besteht, besteht bei der sachlichen Rechtfertigung der Nichteinbeziehung gem. § 8 Satz 2 Nr. 2 StaRUG die fehlende Geeignetheit von Sanierungsbeiträgen kleinster Gläubiger und die fehlende Verhältnismäßigkeit im Mittelpunkt. Letztere beiden Kriterien können bei Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitern und bis zu 50 Mio. Euro Umsatz allerdings nicht mehr ohne weiteres angenommen werden. Trotz identischer Formulierung beider Vorschriften sind die unbestimmten Tatbestandsmerkmale der Klein- und Kleinstgläubiger sowie der Kleinunternehmen wegen des unterschiedlichen Schutzzwecks daher jeweils normspezifisch auszulegen, was zwangsläufig auseinanderlaufende inhaltlichen Definitionen zur Folge hat. Klein- und Kleinstgläubiger sowie Kleinunternehmen i.S.v. § 8 Satz 2 Nr. 2 StaRUG sind daher 38 nur solche, deren Sanierungsbeiträge in Ansehung des von ihnen repräsentierten Forderungsvolumens im Verhältnis zu den Gesamtverbindlichkeiten des Unternehmens nicht nennenswert ins Gewicht fällt. Insbesondere müsste ein hypothetisch gleichlaufender gestalterischer Eingriff in diese Forderungen mit Forderungen gleicher Rechtsstellung aber größerer Valuta auf das Sanierungsergebnis ohne Einfluss bleiben, darf die Erfüllung oder Nichterfüllung dieser Forderungen daher auf den Bestandserhalt des Unternehmens keinen Einfluss haben. Eine absolute quantitative Bestimmung verbietet sich aber, da die Qualifikation als Klein- oder Kleinstgläubiger nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und der Bedeutung der Forderungen dieser Gläubiger für das Unternehmen im konkreten Restrukturierungsumfeld zu erfolgen hat.62 d) Notwendige Einbeziehung von Anteilsrechten (Gesellschaftern) Umstritten ist, ob die sachgerechte Auswahl der planbetroffenen Rechte stets die Einbezie- 39 hung auch der Gesellschafter mit ihrer Beteiligung an dem schuldnerischen Unternehmen erfordert.63 Hiergegen könnte argumentiert werden, dass erstens das Gesetz die zwingende Einbeziehung nicht ausdrücklich anordnet und die Gläubiger gegen die Nichteinbeziehung der Gesellschafter über § 64 StaRUG und im Fall einer gruppenübergreifenden Mehrheitsent-

59 In diesem Sinne auch Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 21. 60 Vgl. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 73 StaRUG Rz. 21. 61 BT-Drucks. 19/24181, S. 170; s. auch Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 73 StaRUG Rz. 20. 62 Ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 42 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 63 Vgl. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 18; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 21.

Hölzle | 267

§ 8 Rz. 39 | Auswahl der Planbetroffenen scheidung über die absolute Prioritätsregel in § 26 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG geschützt sind.64 40 Dem ist Folgendes entgegenzuhalten: Dass das Gesetz die Einbeziehung der Gesellschafter

nicht zwingend anordnet, ist kein Argument. Denn aus der Gesamtauslegung des Gesetzes folgt, dass die Teilkollektivität des Verfahrens keine Grundannahme, sondern Privileg ist, dessen Inanspruchnahme sachlich gerechtfertigt werden muss (Rz. 10). Ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung des Gegenteils folgt daher aus dieser Grundkonzeption bereits die grundsätzliche Notwendigkeit der Einbeziehung auch der Gesellschafter. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber die Nichteinbeziehung der Gesellschafter in § 8 Satz 2 Nr. 2 StaRUG nicht ausdrücklich als sachgerecht aufführt, begründet damit vielmehr ein argumentum e contrario im Sinne der grundsätzlichen Einbeziehungsnotwendigkeit.65

41 Auch das Argument der Bezugnahme auf die in den § 27 Abs. 1 Nr. 2, § 28 Abs. 2 StaRUG

zum Ausdruck kommenden Wertung lässt sich umkehren. Nach dem Wortlaut dieser Vorschriften steht der Eingriff in die Rechte der Gläubiger unter dem Vorbehalt, dass die am Schuldner beteiligten Personen nicht kompensationslos an diesem beteiligt bleiben dürfen, soweit nicht die besonderen Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 StaRUG erfüllt sind. Dies ist auch nachvollziehbar: Es wäre nicht zu erklären, dass die Gläubiger die wirtschaftlichen Lasten der Restrukturierung vollständig tragen und damit die in ihrem wirtschaftlichen Wert jedenfalls gefährdete Beteiligung der Anteilseigner im Werte aufholen, ohne dass die Anteilseigner hierzu einen Beitrag leisten müssen. Dementsprechend ist die Wertung des § 28 Abs. 2 in § 8 Satz 1 StaRUG im Allgemeinen wie auch in § 8 Satz 2 Nr. 2, Alt. 1 StaRUG („den konkreten Umständen angemessene Auswahl“) hineinzulesen und ist die Nichteinbeziehung der Anteilseigner in die Auswahl der Planbetroffenen nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 StaRUG erfüllt sind. Hierzu muss sich der darstellende Teil in der Darlegung und Begründung besonders verhalten.66

42 Schließlich und nicht zuletzt folgt die grundsätzliche Notwendigkeit der Einbeziehung auch

der Gesellschafter aus der Alternativität des Restrukturierungsverfahrens und des wegen drohender Zahlungsunfähigkeit auf Eigenantrag des Schuldners eingeleiteten Insolvenzverfahrens und der Tatsache, dass die Auswahl zwischen beiden zur Verfügung stehenden Verfahrensalternativen vorrangig im Gläubigerinteresse zu treffen ist.67 Da der Gesellschafter im Insolvenzverfahren seiner Anteile aber regelmäßig verlustig geht und auf deren Einbeziehung auch im Falle einer Sanierung mittels Insolvenzplans keinen Einfluss hat, muss die obligatorische Einbeziehung der Anteilsrechte auch im Restrukturierungsverfahren gewährleistet sein, um eine opportunistischen Verfahrensauswahl im Gesellschafterinteresse zu vermeiden.

4. Gesamtrestrukturierung (§ 8 Satz 2 Nr. 3 StaRUG) 43 Die Feststellung des Gesetzes in § 8 Satz 2 Nr. 3 StaRUG, wonach die Auswahl stets sachge-

recht ist, wenn mit Ausnahme der gem. § 4 StaRUG nicht gestaltbaren Forderungen sämtliche Rechte aller Gläubiger in den Plan einbezogen werden, ist rein deklaratorischer Natur. Werden sämtliche Rechte einbezogen, hat der Schuldner das Privileg der möglichen Teilkollektivität des Verfahrens gerade nicht in Anspruch genommen und demgemäß auch keine Auswahl getroffen. Wenn die Nichteinbeziehung einzelner Forderungen der sachlichen Rechtfertigung

64 So Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 18; im Ergebnis wohl auch AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZIP 2021, 806. 65 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 21. 66 Ebenso Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 22. 67 Dazu ausführlich Hölzle in FS Gehrlein, 2022, S. 261 ff.

268 | Hölzle

Auswahl der Planbetroffenen | Rz. 48 § 8

bedarf (Rz. 10), dann folgt daraus im Umkehrschluss, dass die Einbeziehung sämtlicher gestaltbaren Rechte gerade nicht gesondert gerechtfertigt werden muss. Aus § 8 Satz 2 Nr. 3 StaRUG folgt aber zugleich, dass aus der möglichen sachlichen Rechtfer- 44 tigung der Nichteinbeziehung einzelner Rechte nach § 8 Satz 2 Nr. 2 StaRUG kein Anspruch auf Nichteinbeziehung hergeleitet werden kann und die Möglichkeit der Nichteinbeziehung im Umkehrschluss gerade nicht bedeutet, dass auch ihre Einbeziehung sachlich gerechtfertigt werden müsste. Das ist gerade nicht der Fall.

VI. Rechtsfolgen der nicht sachgerechten oder intransparenten Auswahl Die für die Auswahl maßgeblichen Kriterien sind im darstellenden Teil des Plans anzugeben. 45 Die Darlegungslast trifft den Schuldner. Das Gericht darf der Prüfung ausschließlich die im Plan angegebenen Kriterien unter Beachtung der allgemeinen Regeln der Auslegung zugrunde legen (Rz. 6). Daraus folgt, dass ein Begründungsmangel dieselbe Rechtsfolge nach sich zieht wie ein materieller Auswahlfehler, die fehlende oder unvollständige Begründung einer sachgerechten Auswahl sich daher in der Fehlerfolge von einer nicht sachgerechten Auswahl nicht unterscheidet. Ein Verstoß gegen das Gebot der Sachgerechtigkeit bei der Auswahl der planbetroffenen Rech- 46 te ist nicht heilbar, die fehlende oder unvollständige Begründung nicht nachschiebbar (Rz. 6). Einem solchen Restrukturierungsplan ist die Bestätigung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG zwingend von Amts wegen zu versagen.68 Eine Änderung der Auswahl der Planbetroffenen im Erörterungs- und Abstimmungstermin 47 gem. § 45 StaRUG oder in der Planbetroffenenversammlung gem. § 20 StaRUG auf Grundlage des § 45 Abs. 4 StaRUG i.V.m. § 240 InsO bzw. auf Grundlage des § 20 Abs. 4 StaRUG ist nicht möglich. Die Änderung der Auswahl der von dem Plan Betroffenen und der in dessen Regelungswirkung einbezogenen Rechte nämlich berührt nicht nur die Ziel- und Stoßrichtung des Restrukturierungskonzepts und damit den „Kern des Plans“, sondern vor allem die verfahrensmäßigen Beteiligungsrechte dieser Personen;69 der – vom Schuldner determinierte – subjektive Anwendungsbereich des Restrukturierungskonzepts ist im Erörterungs- und Abstimmungstermin nicht mehr abänderbar.70 Der Plan müsste zurückgenommen und das Verfahren unter Ingangsetzung einer neuen Annahmefrist nach § 19 StaRUG mit dem geänderten Plan neu eingeleitet werden.71 Im Rahmen einer Vorprüfung nach §§ 46, 47 StaRUG hat das Gericht auf die fehlende Bestä- 48 tigungsfähigkeit eines solchen Plans insbesondere wegen der ausdrücklichen Nennung der Auswahl der Planbetroffenen als Vorprüfungskriterium in § 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StaRUG zwingend hinzuweisen.72 Behebt der Schuldner den Mangel trotz des gerichtlichen Hinweises nicht, so ist die Restrukturierungssache nach § 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG aufzuheben.73

68 Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 27; Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 50 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); deutlich zu großzügig Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 26 ff., 31. 69 Vgl. für das Insolvenzverfahren Laroche in Brünkmanns/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 16 Rz. 37. 70 Wie hier Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 25. 71 Für das Insolvenzverfahren instruktiv Anm. Madaus zu LG Düsseldorf, NZI 2020, 436. 72 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 24. 73 Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 8 StaRUG Rz. 27; Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 8 StaRUG Rz. 50 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 9 Rz. 1 | Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen

§9 Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen (1) 1Bei der Festlegung der Rechte der Planbetroffenen im Restrukturierungsplan sind Gruppen zu bilden, soweit Planbetroffene mit unterschiedlicher Rechtsstellung betroffen sind. 2Es ist zu unterscheiden zwischen 1. den Inhabern von Absonderungsanwartschaften, 2. den Inhabern von Forderungen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als nicht nachrangige Insolvenzforderungen geltend zu machen wären, nebst darauf entfallender Zinsen und Säumniszuschläge (einfache Restrukturierungsgläubiger), 3. den Inhabern von Forderungen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach§ 39 Absatz 1 Nummer 4, 5 oder Absatz 2 der Insolvenzordnung als nachrangige Insolvenzforderungen anzumelden wären (nachrangige Restrukturierungsgläubiger), wobei für jede Rangklasse eine Gruppe zu bilden ist, und 4. den Inhabern von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten. 3sieht der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten vor, bilden die davon betroffenen Gläubiger eigenständige Gruppen. (2) 1Die Gruppen können nach Maßgabe wirtschaftlicher Interessen in weitere Gruppen unterteilt werden. 2Sie müssen sachgerecht voneinander abgegrenzt werden. 3Die Kriterien für die Abgrenzung sind im Plan anzugeben. 4Kleingläubiger sind im Rahmen der nach Absatz 1 zu bildenden Gruppen zu eigenständigen Gruppen zusammenzufassen. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV. 1. 2.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historie und EU-Richtlinien Grundlage Gruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Obligatorisch zu bildende Gruppen . . . . . a) Absonderungsanwartschaftsberechtigte (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StaRUG) . . . . . b) (Einfache) Restrukturierungsgläubiger (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG) . . . . . c) (Nachrangige) Restrukturierungsgläubiger (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StaRUG) d) Anteils- und Mitgliedschaftsrechte (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StaRUG) . . . . . . . . .

1 3 8 11 11 14 21 28 34

e) Gruppeninterne Drittsicherheiten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . 3. Bildung von Untergruppen (§ 9 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines/Transparenzgebot . . . . . . b) Bildung fakultativer Untergruppen (§ 9 Abs. 2 Satz 1–3 StaRUG) . . . . . . . . . . . c) Obligatorische Untergruppen für Kleingläubiger (§ 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Differenzierungsverbot (negative Vorgabe zur Gruppenbildung) . . . . . . . . . V. Fehlerfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42 47 47 52 61 69 72

36

I. Regelungsgegenstand 1 Die Vorschrift des § 9 StaRUG folgt dem insolvenzrechtlichen Vorbild des § 222 InsO, in dem

sie die Pflichtgruppen festlegt, in welche die Rechte der Planbetroffenen jedenfalls einzuteilen sind.1 Wie in § 8 StaRUG (§ 8 Rz. 3) erfolgt daher auch die Einteilung nach § 9 StaRUG rechte- und nicht personenbezogen.2 Mit unterschiedlichen durch den Plan zu gestaltenden 1 BT-Drucks. 19/24181, S. 119. 2 Ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 9 StaRUG Rz. 42 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

270 | Hölzle

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen | Rz. 5 § 9

Rechten können und müssen einzelne Planbetroffene daher gegebenenfalls in unterschiedlichen Gruppen erfasst werden, was ihnen die Möglichkeit zur mehrfachen Einflussnahme auf das Abstimmungsergebnis gibt (Rz. 12). Dies gilt nicht nur hinsichtlich verschiedener Rechte des jeweiligen Planbetroffenen, sondern kann auch zur Differenzierung innerhalb desselben Rechts führen, etwa wenn eine Forderung nur teilweise werthaltig gesichert ist. Der betreffende Gläubiger ist dann mit dem gesicherten Teil in der Gruppe der Absonderungsanwartschaftsberechtigten und mit dem ungesicherten Teil der Forderung in der Gruppe der Restrukturierungsgläubiger zu beteiligen (Verbot der Mischgruppenbildung3 Rz. 26). Wie auch im Insolvenzplan können nach § 9 Abs. 2 Satz 1 StaRUG innerhalb der vorgege- 2 benen Pflichtgruppen aufgrund sachlicher – im Plan anzugebender und zu begründender – Differenzierungskriterien zusätzliche Gruppen auch innerhalb der Planbetroffenen gleicher Rechtsstellung gebildet werden.4 Die Differenzierung richtet sich dabei nach einer sachlichdifferenzierten Interessenlage der jeweiligen Planbetroffenen, ist also gläubiger- und nicht schuldnerbezogen. Im Vordergrund steht das gleichgerichtete wirtschaftliche Interesse der in einer Gruppe zusammengefassten Planbetroffenen, wodurch die Legitimationskraft des Abstimmungsergebnisses dieser Gruppe gleichgerichteter rechtlicher und wirtschaftlicher Interessen steigt,5 es können aber auch andere als wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen (z.B. bei der Beteiligung öffentlich-rechtlicher Gläubiger).

II. Normzweck Wie im Insolvenzplanverfahren auch liegt der Zweck einer sachgerechten und sachlich be- 3 gründeten Gruppenbildung und Differenzierung innerhalb der Gruppen von Planbetroffenen gleicher Rechtsstellung in der Vermeidung von Missbräuchen und Willkür. Die Gruppenbildung unterliegt lediglich in den von § 9 StaRUG gezogenen Grenzen dem insoweit eingeschränkten Ermessen des Schuldners und hat erhebliche strategische Bedeutung,6 da die Erfolgsaussichten der Annahme des Restrukturierungsplans durch die Planbetroffenen nicht selten von der Gruppenarchitektur des Plans abhängig sind.7 So können absehbar dissentierende Gläubiger z.B. in einer eigenen Gläubigergruppe isoliert werden, um eine gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung nach § 26 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG (Mehrheit der abstimmenden Gruppen) zu erreichen; alternativ können diese Gläubiger in einer größeren Gruppe minorisiert werden, in welcher die übrigen, voraussichtlich zustimmenden gruppenangehörigen Planbetroffenen Dreiviertel der Stimmrechte gem. § 25 Abs. 1 StaRUG auf sich vereinen. Die vorgegebene Einteilung nach Pflichtgruppen ist daher an den typisiert unterschiedlichen 4 wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten ausgerichtet und unterliegt gem. § 9 Abs. 2 Satz 2 StaRUG einer gerichtlichen Sachgerechtigkeitskontrolle8 entweder bereits in der gerichtlichen Vorprüfung nach § 46 StaRUG, jedenfalls aber im Rahmen der Planbestätigungsentscheidung gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Wegen der besonderen (strategischen) Bedeutung der Gruppeneinteilung gilt auch im Anwen- 5 dungsbereich des § 9 StaRUG das Transparenzgebot. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 StaRUG hat der Planersteller – auch insoweit gleicht die Vorschrift ihrem insolvenzrechtlichen Vorbild – die zugrunde gelegten Abgrenzungskriterien im Restrukturierungsplan anzugeben. Dies dient 3 4 5 6

Für den Insolvenzplan BGH v. 7.5.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648. BT-Drucks. 19/24181, S. 119. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 9 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Ebenso Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 5; Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 9 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 7 Ähnlich Böhm in Braun, § 9 StaRUG Rz. 1. 8 BT-Drucks. 19/24181, S. 119.

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§ 9 Rz. 5 | Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen der Information der Planbetroffenen sowie der Ermöglichung der Überprüfung durch das Restrukturierungsgericht.9 Ob die Erläuterung der Gruppenbildung im darstellenden oder im gestaltenden Teil des Plans erfolgt, ist unerheblich.10 6 Ferner sieht das Gesetz – insoweit abweichend vom insolvenzplanrechtlichen Vorbild – den

besonderen Schutz von Kleingläubigern vor. Im Grundsatz ist gem. § 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG zu einer jeden Planbetroffenengruppe auch die Bildung einer Kleingläubigergruppe vorgegeben, soweit in der jeweiligen Gruppe Kleingläubiger tatsächlich enthalten sind. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber von dem durch die Richtlinie gewährten Umsetzungsspielraum, in Restrukturierungsplänen, die von KMU vorgelegt werden, auf die Gruppenbildung insgesamt zu verzichten, keinen Gebrauch gemacht.

7 Die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG findet in der InsO keine Entsprechung. Dies liegt

in den vom Insolvenzrecht abweichenden Mehrheitserfordernissen begründet (ausführlich Rz. 62): Während im Insolvenzplanverfahren gem. § 244 Abs. 1 InsO jeweils eine kumulative Kopf- und Summenmehrheit in den einzelnen Gruppen erforderlich ist, bedarf es nach § 27 Abs. 1 StaRUG lediglich einer Summenmehrheit von 75 % in der jeweiligen Gruppe, ohne dass es auch auf die Kopfmehrheit ankäme.11 Allein durch die qualifizierten Anforderungen an die zu erreichende Summenmehrheit würde zwar das Risiko einer Minorisierung von Kleingläubigern durch Großgläubiger vermindert, aber nicht ausgeschlossen.12 Effektiv kann dem Risiko der nicht hinreichenden Beachtung der wirtschaftlichen Interessen der Kleingläubiger im Verfahren daher nur durch die Bildung einer separaten Gruppe für diese begegnet werden, in welcher diese sodann den Schutz der §§ 26, 27 StaRUG genießen.

III. Historie und EU-Richtlinien Grundlage 8 Die Vorschrift geht auf Art. 9 Abs. 4 Restrukturierungs-RL zurück, wonach die Mitgliedstaa-

ten sicherzustellen haben, dass die betroffenen Parteien im Einklang mit dem nationalen Recht in unterschiedlichen Klassen behandelt werden, die auf der Grundlage überprüfbarer Kriterien in ausreichendem Maße gemeinsame Interessen abbilden. Nach ErwGr. 46 der Richtlinie muss die Sachgerechtigkeit der Klassen-, bzw. im nationalen Recht: der Gruppenbildung, durch die zuständige Justiz- oder Verwaltungsbehörde spätestens überprüfbar sein, wenn der Plan der Behörde zur Bestätigung vorgelegt wird. Dies ist durch § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG gewährleistet. Allerdings stellt die Richtlinie frei, dass die Überprüfung auch zu einem früheren Zeitpunkt stattfinden kann. Hiervon hat der deutsche Gesetzgeber mit der Möglichkeit der Überprüfung der Gruppenbildung auch im Rahmen der Vorprüfung nach §§ 46 ff. StaRUG Gebrauch gemacht.

9 Die Richtlinie gibt in ErwGr. 46 ferner vor, dass das nationale Recht sich mit den Besonder-

heiten der Behandlung von streitigen Forderungen und von Eventualforderungen befassen muss. Dies hat der deutsche Gesetzgeber für die Eventualforderungen mit der Anordnung ihrer Gestaltbarkeit in § 3 Abs. 1 StaRUG und für die streitigen Forderungen in § 70 Abs. 1 StaRUG umgesetzt.

10 Auch der besondere Schutz der Kleingläubiger geht unmittelbar auf die Richtlinie zurück. Die

Grundlage dieser Sonderregelung findet sich in Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 4 RestrukturierungsRL, die Sondervorschriften zur Sicherstellung des Schutzes schutzwürdiger Gläubigergrup-

9 10 11 12

BT-Drucks. 19/24181, S. 119. Für den Insolvenzplan BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. BT-Drucks. 19/24181, S. 119. BT-Drucks. 19/24181, S. 119.

272 | Hölzle

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen | Rz. 13 § 9

pen wie insbesondere kleiner Lieferanten, ausdrücklich zulässt. Die Vorschrift wertet das Stimmgewicht der Kleingläubiger damit erheblich auf.13

IV. Gruppenbildung 1. Allgemeines Die für die Abstimmung über den Plan strategisch bedeutsame Gruppenarchitektur erfolgt 11 durch den Schuldner im Rahmen der Vorlage des Plans. Die Planbetroffenen selbst und auch das Restrukturierungsgericht können auf die Gruppenbildung unmittelbar keinen Einfluss nehmen, sondern allenfalls die fehlende Sachgerechtigkeit der Gruppenbildung rügen, die, wird sie vom Schuldner nicht behoben, ein zwingendes, von Amts wegen zu berücksichtigendes Planbestätigungshindernis i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG begründet. Wegen des maßgeblichen Einflusses auf das Abstimmungsergebnis über den Restrukturie- 12 rungsplan kommt der Erläuterung und der Angabe der Gründe für die Gruppenbildung im konkreten Fall besondere Bedeutung zu. Die Erläuterung dient der Information der Planbetroffenen und der Ermöglichung der Überprüfung durch das Restrukturierungsgericht gleichermaßen.14 Ob die Erläuterung der Gruppenbildung im darstellenden oder im gestaltenden Teil des Plans erfolgt, ist grundsätzlich unerheblich;15 die Erläuterung bereits im darstellenden Teil dürfte regelmäßig passender erscheinen und die Lesbarkeit des Plans erleichtern.16

Rügt das Restrukturierungsgericht die fehlende Sachgerechtigkeit der Gruppenbildung im 13 Rahmen der Vorprüfung nach §§ 46 ff. StaRUG, hat der Schuldner Gelegenheit, die Gruppenbildung nachzubessern, ehe der Plan zur Abstimmung gestellt wird. Findet ein Vorprüfungstermin nicht statt und macht das Restrukturierungsgericht – gegebenenfalls auf Vorhalt eines Planbetroffenen – erst im Erörterungstermin deutlich, dass es die Gruppenbildung für nicht sachgerecht hält, so hat der Schuldner ggf. keine Möglichkeit mehr, die Gruppenbildung im Erörterungs- und Abstimmungstermin noch zu ändern.17 Dies jedenfalls dann nicht, wenn durch die Umgestaltung der Gruppenbildung der Kreis der Planbetroffenen erweitert oder eingeschränkt werden soll und damit bisher Planbetroffene ausscheiden oder bisher nicht Planbetroffene zusätzlich einbezogen werden sollen.18 Der Plan ist in diesem Fall gescheitert. Zwar findet gem. § 45 Abs. 4 StaRUG auf den Erörterungs- und Abstimmungstermin im Restrukturierungsverfahren § 240 InsO entsprechende Anwendung. Danach kann der Plan auch im Erörterungstermin noch in einzelnen Regelungen geändert werden. Dabei darf der Kern des Plans und sein wesentlicher Regelungsgehalt allerdings nicht angetastet werden. Maßstab ist hierbei der Gesichtspunkt des Schutzes der Planbetroffenen, der erforderlichen Vorbereitungs- und gegebenenfalls Abstimmungszeit innerhalb zu befassender Gremien und die Fähigkeit, auf die Änderung und die zu ihrer Legitimation angegebene Begründung noch im Termin reagieren und sich eine Meinung bilden zu können. Die Änderung der Gruppenbildung ist von dieser Legitimationsgrundlage nur dann erfasst, wenn hierdurch der Kern des Plans und des ihm zugrundeliegenden Restrukturierungskonzepts unangetastet bleiben. Dies gilt insbesondere, wenn durch die Änderung der Kreis der insgesamt Planbetroffenen nicht ver13 14 15 16

Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 1. BT-Drucks. 19/24181, S. 119. Für den Insolvenzplan BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. Strenger und die Erläuterung im darstellenden Teil offenbar für zwingend haltend Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 9 StaRUG Rz. 45 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 17 So für den Insolvenzplan LG Düsseldorf v. 20.12.2019 – 25 T 665/2019, NZI 2020, 436 = ZIP 2020, 2144; AG Hamburg v. 19.10.2016 – 41 T 109/16, NZI 2016, 1002 = ZIP 2016, 2492. 18 In diesem Sinne auch für den Insolvenzplan zu Recht differenzierend Madaus, NZI 2020, 436, 438 (Anm. zu LG Düsseldorf v. 20.12.2019 – 25 T 665/2019, NZI 2020, 436).

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§ 9 Rz. 13 | Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen ändert wird. Die Umgruppierung einzelner Planbetroffener oder die erkannte Notwendigkeit oder auch nur Zweckmäßigkeit, eine Gruppe wegen unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen aufzuteilen oder zwei Gruppen mangels hinreichend differenzierbar wirtschaftlicher Interessen zusammenzulegen, nimmt jedoch keinen Einfluss auf den Kern des Plans im Sinne des mit ihm zu erreichenden Restrukturierungsziels. Solche Änderungen sind daher zulässig.19

2. Obligatorisch zu bildende Gruppen 14 Maßgeblich für die Gruppenbildung ist zunächst die jeweilige Rechtsstellung der Planbetroffe-

nen. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 StaRUG sind im Restrukturierungsplan bei der Festlegung der Rechte der Planbetroffenen Gruppen zu bilden, soweit Planbetroffene mit unterschiedlicher Rechtsstellung betroffen sind. In § 9 Abs. 1 Satz 2 StaRUG sind in Nr. 1–4 die obligatorisch zu bildenden Planbetroffenengruppen genannt, wobei sich das Gesetz an der hypothetischen Befriedigungsreihenfolge im Insolvenzverfahren orientiert. Die Vorschrift gibt damit vor, welche unterschiedlichen Rechtsstellungen i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 1 StaRUG zwingend die Einordnung in verschiedene Planbetroffenengruppen erfordern. Danach sind zunächst vier Pflichtgruppen zu unterscheiden. Da diese im Wesentlichen den Pflichtgruppen des § 222 InsO entsprechen, kann für die Auslegung dieser Vorschrift auf die Rechtsprechung und den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu § 222 InsO zurückgegriffen werden.

15 § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 StaRUG sind, was die Differenzierung der Planbetroffenen nach ihrer

Rechtsstellung angeht, abschließend.20 Andere als die dort genannten Rechte erlauben keine weitere Differenzierung, soweit damit nicht auch ein abweichendes wirtschaftliches Interesse verbunden ist, das die Differenzierung innerhalb der jeweiligen Rechtsstellung gestattet.

16 Um einen gesetzlich geregelten Sonderfall der Differenzierung nach dem wirtschaftlichen In-

teresse innerhalb der Gruppe der Planbetroffenen mit nicht nachrangigen, (am Vermögen des Schuldners) ungesicherten Restrukturierungsforderungen („einfache“ Restrukturierungsforderungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) handelt es sich bei § 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG, wonach die Inhaber von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten eine eigenständige Gruppe bilden, wenn in deren Rechte eingegriffen wird, da sich deren Interesse regelmäßig wirtschaftlich von demjenigen sowohl der sonstigen ungesicherten Gläubiger als auch demjenigen der Absonderungsanwartschaftsgläubiger unterscheidet.

17 Insgesamt ergeben sich damit aus § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 StaRUG fünf obligatorische Plan-

betroffenengruppen.

18 Neben der obligatorischen Gruppenbildung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 StaRUG ist die Zahl

der obligatorischen Gruppen um die in der jeweiligen Gruppe enthaltenen Kleingläubiger zu erhöhen, da für die Kleingläubiger einer jeden Gruppe nach § 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG zwingend jeweils eine weitere eigene Gruppe zu bilden ist (Rz. 61 ff.).

19 Einer Klarstellung nach dem Vorbild des § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Halbs. 2 InsO, wonach eine

Gruppenbildung nur zu erfolgen hat, wenn durch den Plan in die Rechte der betreffenden Gläubiger eingegriffen wird, bedurfte es nicht, da in der Restrukturierung an dem Planverfahren ohnehin nur diejenigen Planbetroffenen beteiligt werden, deren Rechte durch den Plan gestaltet werden.21 19 Im Ergebnis ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 9 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 20 A.A. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 9 StaRUG Rz. 24 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der auf die Möglichkeit z.B. der Bildung einer Planbetroffenengruppe für solche Gläubiger hinweist, die im Insolvenzverfahren als Massegläubiger zu befriedigen wären. Dazu dass die Beteiligung solcher Gläubiger aber ausgeschlossen ist, vgl. bereits § 8 Rz. 20. 21 Tasma in Flöther, § 9 StaRUG Rz. 7.

274 | Hölzle

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen | Rz. 25 § 9

Für die Feststellung der der Gruppenbildung zugrunde zu legenden Rechte ist der in § 2 Abs. 5 20 StaRUG definierte Zeitpunkt maßgeblich. a) Absonderungsanwartschaftsberechtigte (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StaRUG) Sieht der Restrukturierungsplan einen Eingriff in Rechte der Inhaber von Absonderungs- 21 anwartschaften vor, so ist gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StaRUG für diese eine Gruppe zu bilden. Der Begriff der Absonderungsanwartschaft ist in § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG legaldefiniert (§ 2 22 Rz. 94). Absonderungsanwartschaften sind danach solche Rechte eines Planbetroffenen, die in einem Insolvenzverfahren zur Absonderung gem. §§ 49 ff. InsO berechtigen würden. Da die Gruppenbildung rechtebezogen zu erfolgen hat und sich gerade an der hypothetischen Befriedigungsrangfolge in einem Insolvenzverfahren orientiert, sind Planbetroffene in die Gruppe der Absonderungsanwartschaftsberechtigten mit ihren Rechten nur insoweit einzugruppieren, wie die persönliche Forderung durch den tatsächlichen Wert des mit dem Sicherungsrecht belasteten Gegenstandes gesichert ist.22 Verfügt ein Gläubiger über eine Sicherheit, ohne jedoch gegenüber dem Schuldner auch eine 23 persönliche Forderung zu haben und steht der Sicherheit daher z.B. eine Einrede des Schuldners, gerichtet auf Rückübertragung der Sicherheit entgegen, so handelt es sich nicht um eine Absonderungsanwartschaft, welche die Eingruppierung in der Gruppe der Absonderungsanwartschaftsberechtigten rechtfertigt.23 Anders stellt sich dies allerdings dar, wenn das Sicherungsrecht trotz der fehlenden persönlichen Schuld gegenüber dem Schuldner geltend gemacht werden kann (z.B. im Fall der sog. entkleideten Hypothek24). Die Gruppenbildung der Absonderungsanwartschaftsberechtigten stellt daher grundsätzlich auf das Bestehen des dinglichen Rechts und die Forderungsinhaberschaft ab. Nur im Ausnahmefall kann auch die forderungslose Sicherheit als Absonderungsanwartschaft geltend gemacht werden und zu einer entsprechenden Berücksichtigung im Restrukturierungsplan führen. Die Bildung einer Gruppe für die Absonderungsanwartschaftsberechtigten ist allerdings nicht 24 nur dann zulässig und geboten, wenn die der Sicherheit zugrunde liegende schuldrechtliche Forderung durch den Plan gestaltet wird, sondern auch bereits dann, wenn isoliert in die Sicherheit eingegriffen, also z.B. Ausübungsregeln, Regeln zur Verwertungsreife oder ähnliche gestaltende Eingriffe in das Sicherungsrecht und das Recht zu seiner Ausübung vorgenommen werden, ohne dass der zu sichernde Anspruch selbst beeinträchtigt werden müsste.25 Ein Eingriff in die Absonderungsanwartschaft liegt dabei nicht erst dann vor, wenn durch den 25 Restrukturierungsplan die Absonderungsanwartschaften Regelungen unterworfen werden, die von denjenigen des Regelinsolvenzverfahrens zu Lasten des (künftigen) Absonderungsberechtigten abweichen.26 Danach läge eine negative Abweichung, die eine Gruppenbildung für die Absonderungsanwartschaftsberechtigten erforderte, erst dann vor, wenn das aus § 173 Abs. 1 InsO folgende Verwertungsrecht oder der Vorrang der Erlösverteilung gem. § 170 Abs. 1 InsO beschnitten würde, Verzinsungs- oder Wertersatzansprüche nach §§ 169, 172 InsO gekürzt oder ausgeschlossen würden, nicht jedoch, wenn durch den Restrukturierungsplan ausschließlich in die bereits durch die Insolvenzordnung beschränkten bürgerlich-rechtlichen, aus der

22 Tasma in Flöther, § 9 StaRUG Rz. 8. Zum Insolvenzplanverfahren BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, NZI 2005, 619, 621 = ZIP 2005, 1648. 23 Ähnlich Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 9 StaRUG Rz. 54 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 24 Vgl. z.B. Lieder in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 1138 BGB Rz. 16. 25 A.A. Böhm in Braun, § 9 StaRUG Rz. 4. 26 So aber Kowalewski/Praß in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 33, mit Hinweis u.a. auf Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 222 InsO Rz. 53.

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§ 9 Rz. 25 | Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen Absonderungsanwartschaft herrührenden Rechte eingegriffen wird. So ist das Recht des absonderungsrechten Gläubigers in der Insolvenz durch die Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters aus § 166 InsO beschränkt, ungeachtet einer dem Gläubiger bürgerlich-rechtlich nach Eintritt der Verwertungsreife selbst zustehen Verwertungsbefugnis. Nimmt der Restrukturierungsplan Einfluss auf die Entstehung der Verwertungsreife, Einfluss auf die Verwertungszuständigkeit oder das Verwertungsrecht, so weicht er möglicherweise nicht von auch im Falle eines Insolvenzverfahrens bestehenden Beschränkungen der bürgerlich-rechtlichen Rechtszuständigkeit ab, greift aber sehr wohl in das Sicherungsrecht ein. Dass der Gläubiger kraft Gesetzes in einem alternativen Insolvenzverfahren Beschränkungen im Interesse der Solidargemeinschaft der Gläubiger hinnehmen muss, bedeutet nicht, dass eine dieses insolvenzrechtliche Leitbild im Restrukturierungsverfahren nachzeichnende Plangestaltung keinen Eingriff in das Sicherungsrecht begründet. Die Definition der Absonderungsanwartschaft nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG dient allein der Qualifizierung derjenigen bürgerlich-rechtlichen Sicherungsrechte, die als Absonderungsanwartschaft im Sinne des Restrukturierungsrechts einzuordnen sind. Daraus folgt indes nicht, dass die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintretenden Beschränkungen des Sicherungsrechts auch im Restrukturierungsverfahren den Vergleichsmaßstab bildeten, ob überhaupt ein Eingriff vorliegt. Die Frage des Eingriffs und der Eingruppierung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG ist vielmehr klar zu beantworten, wobei sich die Frage des Vergleichs mit einem alternativen Insolvenzverfahren erst im Rahmen der möglichen Schlechterstellung dieser Gläubiger stellt.27 26 Übersteigt der Nominalbetrag der gesicherten Forderung den tatsächlichen Wert des mit dem

Sicherungsrecht belasteten Gegenstandes und ist die Forderung daher nur teilweise werthaltig gesichert, so folgt aus der rechtebezogenen Einteilung in die Gruppen der Planbetroffenen, dass der gesicherte Gläubiger nur mit dem gesicherten Teil seiner Forderung der Gruppe nach § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StaRUG zuzuordnen ist. Der schuldrechtliche Anspruch ist daher ungeachtet seiner rechtlichen Natur aufzuteilen in einen gesicherten und einen ungesicherten Forderungsteil, wobei nur der gesicherte Teil in der Gruppe der Absonderungsanwartschaftsberechtigten teilnimmt, während der Planbetroffene mit dem ungesicherten Teil seiner Forderung zusätzlich in der entsprechenden Gruppe der ungesicherten Restrukturierungsforderungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) einzugruppieren ist. Dies folgt aus dem für den Insolvenzplan entwickelten, hier aber gleichermaßen geltenden Verbot der Bildung von Mischgruppen.28

27 Der Wert des Sicherungsrechts bestimmt sich nach dem Szenario, das der Vergleichsrech-

nung des Plans zugrunde gelegt wird. Soll der mit dem Sicherungsrecht behaftete Gegenstand im Unternehmen verbleiben und dort für die Fortsetzung des Unternehmens Verwendung finden, so ist der Fortführungswert im Sinne des Wiederbeschaffungswertes maßgeblich; soll der Gegenstand isoliert oder als Teil einer Sachgesamtheit aus dem Unternehmensvermögen ausscheiden, also insbesondere verwertet werden, so ist der Anteil am Gesamtverwertungserlös (z.B. bei Teilbetriebsveräußerung) oder der isolierte Liquidationswert maßgeblich. b) (Einfache) Restrukturierungsgläubiger (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG)

28 Anders als § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG, der einheitlich von Restrukturierungsforderungen

spricht, differenziert § 9 StaRUG betreffs die Gruppenbildung in § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 StaRUG nach Restrukturierungsgläubigern, deren Forderungen im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als nicht nachrangige Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) geltend zu machen wären und definiert diese als „einfache Restrukturierungsgläubiger“ (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG), während die Gläubiger mit Forderungen, die im Fall der Eröffnung 27 Dies verkennen Kowalewski/Praß in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 33, wenn sie die insolvenzrechtliche Kommentarliteratur im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG referenzieren. 28 BGH v. 7.5.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648.

276 | Hölzle

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen | Rz. 33 § 9

eines Insolvenzverfahrens nach § 39 Abs. 1 Nr. 4, 5 oder Abs. 2 InsO als nachrangige Insolvenzforderungen anzumelden wären, auch für Zwecke des Restrukturierungsplans als „nachrangige Restrukturierungsgläubiger“ definiert werden (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StaRUG). Diese in § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG zunächst nicht angelegte Differenzierung der Restrukturie- 29 rungsforderungen folgt dem für die Gruppenbildung maßgeblichen Leitmotiv der Orientierung an der insolvenzrechtlichen Befriedigungsreihenfolge. Für die Abgrenzung der einfachen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG) Restrukturierungsgläubi- 30 ger von nachrangigen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StaRUG) Restrukturierungsgläubigern, verweist § 9 StaRUG auf die InsO. Es bedarf insoweit einer hypothetischen Betrachtung: Soweit eine Restrukturierungsforderung in einem Insolvenzverfahren als nicht nachrangige Insolvenzforderung (§ 38 InsO) geltend zu machen wäre, ist der Inhaber dieser Forderung in die Gruppe der einfachen Restrukturierungsgläubiger (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG) einzuordnen. Abzugrenzen sind diese Forderungen zum einen von den nachrangigen Restrukturierungsforderungen, deren Einordnung sich ebenfalls nach einer hypothetischen Insolvenz richtet und für die nach § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StaRUG für jede Rangklasse des § 39 InsO eine eigenständige Gruppe zu bilden ist.29 § 9 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG stellt jedoch keinen vollständigen Gleichlauf mit der insolvenzrecht- 31 lichen Qualifizierung als Nachrangforderung her.30 Während im Rahmen eines Insolvenzverfahrens Zinsen und Säumniszuschläge auf Insol- 32 venzforderungen im Rang des § 38 InsO, die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufen, gem. § 39 InsO nachrangige Forderungen darstellen und Inhaber dieser Forderungen als nachrangige Insolvenzgläubiger gelten, die, soweit es im Plan nicht bei der Regelungswirkung des § 225 Abs. 1 InsO verbleibt, nach § 222 Abs. 2 Nr. 3 InsO eine eigenständige Gruppe bilden, wird der Inhaber einer Restrukturierungsforderung, der zugleich Zinsen und Säumniszuschläge auf die Forderung geltend macht, mit der Hauptforderung und sämtlichen Nebenforderungen gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG (nur) der Gruppe der einfachen Restrukturierungsgläubiger zugeordnet. Während der Inhaber der Hauptforderung, der zugleich Zinsen und Säumniszuschläge auf die Hauptforderung geltend macht, im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens damit stets zwei unterschiedlichen Gruppen zugeordnet wird, findet er sich im Restrukturierungsplanverfahren nur in der Gruppe der einfachen Restrukturierungsgläubiger wieder. Eine Trennung zwischen Haupt- und Nebenforderungen findet nicht statt.31 Der Gesetzgeber sah für die unter der InsO etablierte Trennung insbesondere deshalb keinen Anlass, weil das StaRUG auch die Gestaltbarkeit künftiger Zinsansprüche ermöglicht (§ 3 Abs. 2 StaRUG), weshalb kein Grund besteht, die Zinsansprüche anders zu behandeln als die Hauptforderung.32 In § 9 StaRUG findet sich kein Hinweis darauf, auf welchen Zeitpunkt der hypothetischen 33 insolvenzrechtlichen Betrachtung für die Einordnung der Planbetroffenen in die Gruppen abzustellen ist. Obgleich § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG nicht nach einfachen und nachrangigen Restrukturierungsforderungen differenziert, ist gleichwohl für die Gruppenbildung auf den in § 2 Abs. 5 StaRUG definierten Zeitpunkt abzustellen. In § 2 Abs. 5 StaRUG heißt es nämlich, dass maßgeblich für die § 9 Abs. 1–4 StaRUG die Rechtsverhältnisse zum Zeitpunkt der Unterbreitung des Planangebots, im Fall einer Abstimmung im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren zum Zeitpunkt der Antragstellung (§ 45 StaRUG) sind. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG sind Restrukturierungsforderungen solche, die gegen den Schuldner (bereits) begründet sind. Restrukturierungsfähig sind daher solche Forderungen, die im Zeitpunkt des 29 30 31 32

Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 9 StaRUG Rz. 61 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 6. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 8. BT-Drucks. 19/24191, S. 119.

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§ 9 Rz. 33 | Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen Planangebots bzw. des Antrages auf gerichtliche Abstimmung bereits begründet sind. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 StaRUG nehmen inhaltlich Bezug auf die restrukturierungsfähigen Forderungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG. Dass diese Restrukturierungsforderungen sodann (allein) für Zwecke der Gruppenbildung weiter zu unterteilen sind, ändert an dem für die Beurteilung der Restrukturierungsforderung bzw. ihres Bestehens maßgeblichen Zeitpunkt nichts. Bei § 9 StaRUG handelt es sich nämlich nicht um eine materiell-rechtliche Vorschrift, sondern um eine verfahrensrechtliche. Die Vorgabe zur verfahrensrechtlichen Behandlung kann jedoch nicht zu einer materiell-rechtlich abweichenden Qualifizierung der Forderung führen, was allerdings möglich wäre, wäre im Anwendungsbereich des § 9 StaRUG auf einen anderen Zeitpunkt abzustellen, als im Anwendungsbereich des § 2 StaRUG. c) (Nachrangige) Restrukturierungsgläubiger (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StaRUG) 34 Die Differenzierung zwischen den einfachen und den nachrangigen Restrukturierungsgläubi-

gern vollzieht sich nach hypothetisch insolvenzrechtlichen Qualifikationskriterien bezogen auf den nach § 2 Abs. 5 StaRUG maßgeblichen Zeitpunkt (Rz. 26 ff.).

35 Nachrangige Restrukturierungsforderungen sind gemäß der gesetzlichen Definition all jene

Forderungen, die in einem Insolvenzverfahren nur nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 5 oder Abs. 2 InsO als nachrangige Insolvenzforderungen geltend zu machen wären.33 § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsO findet keine Erwähnung, da die dort genannten Strafen und sonstigen Sanktionen gem. § 4 Satz 1 Nr. 3 StaRUG einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan nicht zugänglich sind.34 Zins- und Nebenforderungen zu einer nicht nachrangigen Restrukturierungsforderung sind anders als im Insolvenzverfahren ebenfalls keine nachrangigen Restrukturierungsforderungen, sondern in Gruppe 2 einzuordnen (Rz. 30). d) Anteils- und Mitgliedschaftsrechte (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StaRUG)

36 Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StaRUG ist für die Inhaber von Anteils- und Mitgliedschafts-

rechten eine eigene Gruppe zu bilden, wenn diese Rechte durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden.

37 Die Gestaltbarkeit auch der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte durch den Restrukturierungs-

plan folgt unmittelbar aus § 2 Abs. 3, § 7 Abs. 4 StaRUG (§ 7 Rz. 75 ff.). Dies ermöglicht innerhalb der Geltung des numerus clausus der Gesellschaftsrechte und -formen die Aufnahme jeder gesellschaftsrechtlich abstrakt zulässigen Regelung in den Restrukturierungsplan (§ 7 Abs. 4 Satz 5 StaRUG). Eine Beschränkung des gesellschaftsrechtlichen Könnens auf ein restrukturierungsrechtliches Dürfen findet nicht statt.35

38 Die Gestaltung der mitgliedschaftlichen Rechte setzt einen Eingriff in die untrennbar an die

Mitgliedschaft geknüpften Rechte voraus.36 Dies bedeutet nicht, dass die Abgrenzung danach vorgenommen werden könnte, ob der Anspruch causa societatis oder causa mutui entstanden ist,37 da z.B. Abfindungsansprüche ausgeschiedener Gesellschafter oder auch Aufwendungsersatzansprüche, obwohl causa societatis entstanden, nicht in der Gruppe der Anteilseigner, sondern, je nach Ausgestaltung, bei den nicht nachrangigen einfachen Restrukturierungsfor-

33 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 9. 34 BT-Drucks. 19/24191, S. 119. 35 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 12; in diesem Sinne auch AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZIP 2021, 806. 36 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 9 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Martini in HambKomm/ RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 22. 37 So aber Madaus, ZIP 2010, 1214, 1216, 1220.

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Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen | Rz. 44 § 9

derungen oder den nachrangigen Restrukturierungsforderungen einzugruppieren sind.38 Untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden sind nur solche Rechte, die als mitgliedschaftliche Verwaltungs- oder Beteiligungsrechte vermögensrechtlicher und nichtvermögensrechtlicher Art dem gesellschaftsrechtlichen Abspaltungsverbot39 unterliegen, also von dem Stammrecht der Mitgliedschaft nicht getrennt werden können. Was abgespalten werden kann, insbesondere also nicht (mehr) unmittelbar in der Mitgliedschaft wurzelnde Vermögensrechte (wie z.B. der Auszahlungsanspruch auf Grundlage eines Gewinnverwendungsbeschlusses), ist in einer anderen Gruppe als derjenigen der Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten zu erfassen. Ein Eingriff in diese Mitgliedschaftsrechte liegt immer dann vor, wenn in die Verwaltungs- 39 kompetenzen der Gesellschafter eingegriffen wird. Für die Bildung einer Gruppe der Anteilsund Mitgliedschaftsrechte reicht daher jeder in den Plan aufgenommene gesellschaftsrechtliche Beschluss aus. Hierbei kann es sich um jede Form von Vorbehaltsgeschäften im Sinne z.B. des § 46 GmbHG, aber auch um satzungsgemäß erforderliche Zustimmungen der Gesellschafter zu besonderen oder auch Grundlagengeschäften handeln, wie z.B. (Teil-)Betriebsveräußerungen etc.40 Das Stimmrecht der Gesellschafter richtet sich gem. § 24 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG nach dem no- 40 minellen Anteil am gezeichneten Kapital oder Vermögen des Schuldners, wobei jede Form von Stimmrechtsbeschränkungen, Sonder- oder Mehrheitsstimmrechten, Stimmrechtsbindungen etc. außer Betracht bleiben.41 Wird der Restrukturierungsplan gerichtlich bestätigt, gelten sämtliche in den Plan aufgenom- 41 menen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen, Beschlüsse und Willenserklärungen der Gesellschafter gem. § 68 Abs. 1, 2 StaRUG als in der vorgeschriebenen Form abgegeben und vollzogen. Gesellschaftsrechtlich erforderliche Ladungen, Bekanntmachungen und sonstige Maßnahmen zur Vorbereitung von Beschlüssen gelten als in der vorgeschriebenen Form bewirkt. e) Gruppeninterne Drittsicherheiten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG) Sieht der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans Eingriffe in die Rechte von Gläubigern 42 aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Abs. 4 StaRUG) vor, sind gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG für die davon betroffenen Gläubiger eigenständige Gruppe zu bilden. Dass die Gläubiger mit Restrukturierungsforderungen gegen den restrukturierungswilligen 43 Schuldner, die nicht durch den Schuldner selbst, sondern durch konzernangehörige Gesellschaften besichert wurden, nicht der Gruppe der Absonderungsanwartschaftsberechtigten zuzuordnen sind, folgt bereits aus der Tatsache, dass die Geltendmachung der Rechte aus einer für die Restrukturierungsforderung gewährten Drittsicherheiten weder im Restrukturierungs- (§ 67 Abs. 3 StaRUG) noch im Insolvenzrecht (§ 254 Abs. 2 InsO) von der Gestaltung der Hauptschuld beeinträchtigt wird. Die Drittsicherheit unterliegt daher nicht den für Absonderungsrechte im Insolvenzverfahren geltenden Beschränkungen. An dieser materiell-rechtlichen Einordnung ändert auch die Einbeziehung von gruppeninter- 44 nen Drittsicherheiten nach § 2 Abs. 4 StaRUG bzw. § 223a InsO nichts, da es sich wegen der mit einem Eingriff in solche Sicherheiten stets verbundenen wirtschaftlichen Kompensationspflicht bei diesen Vorschriften nicht um materiell-rechtliche, sondern um formelle Eingriffs38 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 217, 223a u.a., 225a, 245 u.a. InsO Rz. 39. 39 Für Personengesellschaften wurzelt das Abspaltungsverbot in § 717 Satz 1 BGB; für Kapitalgesellschaften vgl. z.B. OLG München v. 23.11.2006 – 23 U 2306/06, ZIP 2006, 2370. 40 Zu einem „ABC“ der gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen vgl. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 217, 223a u.a., 225a, 245 u.a. InsO Rz. 41 ff. 41 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 9 StaRUG Rz. 73 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 9 Rz. 44 | Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen befugnisse in Gestalt allein einer dem § 166 InsO entsprechenden Verfügungsbefugnis ohne Einfluss auf den materiell-rechtlichen Zuweisungsgehalt des Sicherungsrechts handelt.42 § 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG spiegelt daher die unterschiedliche Wirkungsweise von Dritt- und Eigensicherheiten sowie die unterschiedliche wirtschaftliche Stellung der durch die jeweiligen Sicherheiten begünstigten Gläubiger wider43 und trägt den wirtschaftlichen Verknüpfungen bei Konzernrestrukturierungen Rechnung. 45 Aus dem Wortlaut des Gesetzes könnte zu schließen sein, dass für jeden Gläubiger mit einer

gruppeninternen Drittsicherheit eine eigenständige Gläubigergruppe zu bilden ist, weil es in § 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG heißt, dass die von Eingriffen in gruppeninterne Drittsicherheiten betroffenen Gläubiger „eigenständige Gruppen“ bilden.44 Weder dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzesbegründung kann jedoch entnommen werden, dass der Gesetzgeber mit dieser Formulierung eine von dem Primat der sachgerechten Gruppeneinteilung nach der rechtlichen Stellung und sodann nach den wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten abweichende Anordnung treffen und per gesetzlicher Vermutung anordnen wollte, dass die wirtschaftlichen Interessen eines jeden durch gruppeninterne Drittsicherheit gesicherten Gläubigers stets individuell zu betrachten wären. Die Verwendung des Plurals im Gesetzestext ist vielmehr als Öffnungsklausel dahingehend zu verstehen, dass nicht stets für sämtliche Gläubiger aus gruppeninternen Drittsicherheiten nur eine Gruppe zu bilden wäre, sondern das Kriterium des § 9 Abs. 2 StaRUG für die Unterteilung in weitere Gruppen auch für die Gläubiger aus gruppenintern Drittsicherheiten gilt. Dies folgt insbesondere daraus, dass § 9 Abs. 2 StaRUG allgemein von „den Gruppen“ und nicht von „den Gruppen nach § 9 Abs. 1 Satz 2 StaRUG“ spricht. Letzteres wäre aber erforderlich, wäre nach § 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG für jeden Gläubiger bereits eine eigene Gruppe zu bilden. Eine weitere Unterteilung wäre dann nämlich wegen der daraus entstehenden „Ein-Personen-Gruppen“ nicht möglich.

46 Ein Eingriff in die gruppeninterne Drittsicherheit ist unter denselben Voraussetzungen anzu-

nehmen, wie ein Eingriff in eine Absonderungsanwartschaft begründet ist (Rz. 25).

3. Bildung von Untergruppen (§ 9 Abs. 2 StaRUG) a) Allgemeines/Transparenzgebot 47 § 9 Abs. 2 StaRUG gestattet nach dem insolvenzplanrechtlichen Vorbild des § 222 Abs. 2 InsO

die Bildung von weiteren Untergruppen für Beteiligte mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen mit der Maßgabe, dass die Gruppen sachgerecht voneinander abgegrenzt und die Kriterien für die Abgrenzung im Plan angegeben werden (§ 9 Abs. 2 Satz 1–3 StaRUG).

48 Bei der weiteren Unterteilung nach den Sätzen 1−3 handelt es sich um ein Plangestaltungs-

recht des Schuldners und somit um fakultative Gläubigergruppen. Ein Anspruch der Planbetroffenen auf weitere Differenzierung, insbesondere aus Art. 3 GG, besteht nicht. Für das Kriterium der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung wesentlich Gleichens bzw. des Verbots der Gleichbehandlung wesentlich Ungleichens genügt die durch § 9 Abs. 1 StaRUG vorgegebene Unterteilung nach der rechtlichen Stellung der Beteiligten. Die wirtschaftlichen Interessen sind häufig und regelmäßig subjektiv geprägt und stark individualisiert, was einen dem Schuldner aufzuerlegenden Fraktionierungszwang ausschließt.45

42 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 2–4 StaRUG Rz. 34. 43 BT-Drucks. 19/24181, S. 119. 44 Fridgen in BeckOK/StaRUG § 9 StaRUG Rz. 78 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Kowalewski/Praß in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 49; diesen Umstand nicht weiter problematisierend Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 24. 45 Im Ergebnis ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 69.

280 | Hölzle

Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen | Rz. 55 § 9

Neben der Bildung weiterer fakultativer Gläubigergruppen sieht § 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG die 49 obligatorische Bildung von zusätzlichen Gläubigergruppen für Kleingläubiger (Rz. 61 ff.) vor. Für die weitere Unterteilung gilt wegen des erheblichen strategischen und des damit verbun- 50 denen Missbrauchspotentials uneingeschränkt das Transparenzgebot. Gemäß § 9 Satz 3 StaRUG sind die Kriterien für die Abgrenzung der Gruppen daher im Plan zwingend anzugeben. Dabei ist unerheblich, ob die Erläuterung der Gruppenbildung im darstellenden oder im gestaltenden Teil erfolgt.46 Die Begründung muss allerdings differenziert erkennen lassen, weshalb die wirtschaftlichen Interessen der Planbetroffenen in der gebildeten Untergruppe als gleichartig angesehen werden, und weshalb und auf Basis welcher Gründe die Differenzierung für sachgerecht gehalten wird. Die Gruppenbildung ist durch das Restrukturierungsgericht vollständig überprüfbar (§ 63 51 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG). Maßstab der Prüfung der die Gruppenbildung legitimierenden Gründe sind allein die im Plan angegebenen. Das Gericht darf seine eigenen Erwägungen nicht an die Stelle derjenigen des Schuldners setzen oder einer vom Schuldner unzureichend vorgelegten Begründung eine Bedeutung jenseits der anerkannten Grenzen der Auslegung beimessen und so eine vom Schuldner nicht begründete Gruppenbildung dennoch legitimieren. Ein Nachschieben von Gründen durch den Schuldner ist in den Grenzen des § 45 Abs. 4 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 240 InsO anders als bei der Angabe der Gründe für die Auswahl der Planbetroffenen (§ 8 Rz. 6) zulässig, da es allein auf die objektive Sachgerechtigkeit und die gläubigerbezogenen Interessen, nicht das schuldnerische Ermessen ankommt. b) Bildung fakultativer Untergruppen (§ 9 Abs. 2 Satz 1–3 StaRUG)

Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1, 2 StaRUG können innerhalb einer jeden Pflichtgruppe nach § 9 Abs. 1 52 Satz 2 StaRUG unter Anwendung sachgerechter Abgrenzungskriterien (Satz 2) Untergruppen von Beteiligten mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen (Satz 1) gebildet werden. Die Voraussetzungen für die Bildung weiterer Untergruppen sind daher zweigeteilt: Zunächst 53 müssen die wirtschaftlichen Interessen der in der Gruppe zusammengefassten Gläubiger gleichgerichtet sein; sodann muss sich die weitere Differenzierung an sachgerechten Kriterien messen lassen. Beide Tatbestandsmerkmale sind zwar sachlich miteinander verknüpft, jedoch unabhängig voneinander zu begründen und zu prüfen.47 Da sich das Recht der fakultativen Gruppenbildung jeweils auf die Pflichtgruppen nach § 9 Abs. 1 Satz 2 StaRUG bezieht, ist die Vergleichbarkeit der Rechtsstellung der in Untergruppen aufzuteilenden Gläubiger bereits aus der zunächst gebotenen Einordnung in dieselbe Pflichtgruppe gewährleistet. Weitere Ausführungen zur Vergleichbarkeit der Rechtsstellung sind daher nicht erforderlich. Für die erforderliche Gleichgerichtetheit der wirtschaftlichen Interessen der Planbetroffe- 54 nen maßgeblich ist die wesentliche wirtschaftliche Vergleichbarkeit der restrukturierungsbezogenen Interessen der Planbetroffenen. Dabei kommt es allerdings nicht auf die für den Schuldner regelmäßig nicht erkennbaren konkret-individuellen restrukturierungsbezogenen Interessen des Gläubigers, sondern auf eine abstrakt-generelle Betrachtung der typisiert aus der wirtschaftlichen Stellung des Planbetroffenen abzuleitenden Interessen am Maßstab eines objektiven Gläubigers an.

Diese abstrakt-generellen wirtschaftlichen Interessen eines objektiven Gläubigers sind bei typi- 55 sierter Betrachtung gleichartig, wenn sie über das bloße Interesse an der Maximierung der eigenen Befriedigungsaussichten hinausgehen und einen besonderen restrukturierungsrechtlichen

46 So zu der Parallelvorschrift in § 222 Abs. 2 InsO, BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, NZI 2015, 697 = ZIP 2015, 1346. 47 Ähnlich Kowalewski/Praß in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 67.

Hölzle | 281

§ 9 Rz. 55 | Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen Bezug aufweisen. Dies ist aus den objektiven und dokumentierbaren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des konkreten Einzelfalls, regelmäßig auch unter Rückgriff auf in Praxis des Insolvenzplans etablierte Fallgruppen abzuleiten. Als da wären z.B. die unterschiedliche wirtschaftliche Werthaltigkeit der Rechte einschließlich etwaiger Vereinbarungen zu Befriedigungsrängen, Wasserfall-Regelungen etc., die Berücksichtigung reiner Befriedigungsinteressen gegenüber auch wirtschaftlich rationalen Fortführungsinteressen (z.B. bei langfristigen auch für den Gläubiger absehbar erhaltenswerten Lieferbeziehungen), die unterschiedliche Eingriffs- und Gestaltungsintensität in das betreffende Recht durch den Plan, unterschiedliche Befriedigungsaussichten in dem der Vergleichsrechnung zugrunde gelegten nächst realistischen Alternativszenario oder auch die legitime Verfolgung übergeordneter Interessen, wie z.B. durch öffentlich-rechtliche Gläubiger. 56 Die Einwendung eines einzelnen Gläubigers, dass seine konkret-individuellen Interessen im

konkreten Fall mit den typisiert abstrakt-generellen Interessen nicht deckungsgleich seien, ist unerheblich. Der Schuldner ist nicht verpflichtet, das bürgerlich-rechtlich grundsätzlich unbeachtliche Motiv eines jeden Gläubigers für Zwecke der Gruppenbildung zu hinterfragen.

57 Im Restrukturierungsplan ist demnach nicht nur anzugeben, nach welchen Vorschriften die

Untergruppen gebildet wurden, sondern auch welche restrukturierungsbezogenen Interessen der weiteren Differenzierung zugrunde gelegt wurden. Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung und gleichartigen wirtschaftlichen Interessen dürfen nicht mehreren Untergruppen zugeordnet werden, weil dann eine sachgerechte Abgrenzung nicht möglich ist.48 Bei der Bildung fakultativer Gruppen ist daher zu erläutern, auf Grund welcher gleichartigen restrukturierungsbezogenen wirtschaftlichen Interessen die Gruppe gebildet wurde und inwiefern alle Planbetroffenen, deren wichtigste restrukturierungsbezogene wirtschaftliche Interessen übereinstimmen, in den Plan einbezogen und derselben Gruppe zugeordnet wurden.49

58 Ist festgestellt, dass die wirtschaftlichen Interessen der in einer Untergruppe zusammengefass-

ten Planbetroffenen gleichartig sind, so ist in einem zweiten Schritt die Sachgerechtigkeit der Bildung der Untergruppen zu prüfen. Wesentliches Ziel der Sachgerechtigkeitsprüfung ist die Verhinderung einer sachlich nicht begründeten Gruppenbildung zur Mehrheitsbeschaffung.50

59 Die Differenzierung der Planbetroffenen hat demgemäß willkürfrei und unter Beachtung des

gruppenübergreifenden Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 8 Rz. 9) zu erfolgen, da die Gruppenbildung nicht zum Unterlaufen des innerhalb einer jeden Gruppe zu wahrenden Gleichbehandlungsgrundsatzes nach § 10 StaRUG führen darf.

60 § 9 Abs. 2 StaRUG entspricht somit weitgehend § 222 Abs. 2 InsO, weshalb auf die Recht-

sprechung und die Kommentierung zur Sachgerechtigkeit der Gruppenbildung im Plan grundsätzlich zurückgegriffen werden kann, wobei allerdings die Besonderheiten, die sich aus der nicht notwendigen Einbeziehung sämtlicher Gläubiger und aus der Auswahl der Planbetroffenen ergeben, zu berücksichtigen sind. Denn bereits in der Auswahl der Planbetroffenen liegt ein ähnliches strategisches Gestaltungspotential zur Einflussnahme auf das Abstimmungsergebnis, wie in der Gruppenbildung selbst (§ 8 Rz. 9 ff.). c) Obligatorische Untergruppen für Kleingläubiger (§ 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG)

61 Abweichend von dem insolvenzplanrechtlichen Vorbild, das die Bildung einer gesonderten

Gruppe für Kleingläubiger (lediglich) zulässt, schreibt § 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG vor, dass in jeder einzelnen Pflichtgruppe nach § 9 Abs. 1 Satz 2 StaRUG zwingend jeweils eine gesonderte Untergruppe für die Kleingläubiger dieser Pflichtgruppe zu bilden ist.

48 So für den Insolvenzplan LG Neuruppin v. 19.4.2013 – 2 T 33/13, ZIP 2013, 1541. 49 So für den Insolvenzplan BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. 50 Vgl. Madaus, Anm. zu LG Neuruppin v. 19.4.2013 – 2 T 33/13, NZI 2013, 647.

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Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen | Rz. 65 § 9

Für die fakultativen Gruppen nach § 9 Abs. 2 Satz 1–3 StaRUG scheint die weitere Untertei- 62 lung zum Schutze der Kleingläubiger nicht vorgegeben, weil § 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG ausdrücklich nur auf die im Rahmen der nach § 9 Abs. 1 StaRUG zu bildenden Gruppen verweist. Dies allerdings wäre ein Trugschluss: Durch § 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG setzt der Gesetzgeber die Vorgabe aus Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 4 Restrukturierungs-RL (Rz. 10) um, wonach Kleingläubiger besonders zu schützen sind. Würde dies im Rahmen der Bildung fakultativer Untergruppen nicht gelten, so würde dieser durch die Richtlinie vorgegebene Schutzzweck unterlaufen. Das Kriterium des Schutzes von Kleingläubigern ist daher bereits in die Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Gleichrichtung der wirtschaftlichen Interessen und der Sachgerechtigkeit der Differenzierung hinein zu lesen und schließt die gemeinsame Einordnung von Kleingläubigern und den übrigen Gläubigern in einer Gruppe gerade auch im Rahmen der fakultativen Gruppenbildung aus. Damit ist im Rahmen jeder Gruppenbildung, gleich, ob obligatorische Pflichtgruppe oder fa- 63 kultative Untergruppe, zwingend zu prüfen, ob in dieser Gruppe auch Kleingläubiger vertreten sind und bejahendenfalls zwingend jeweils eigenständige Kleingläubiger(unter)gruppen zu bilden.51 Die auf diese Art gebildeten Untergruppen stellen „vollwertige Gruppen“ i.S.d. § 25 Abs. 1 StaRUG dar.52 Die Zusammenfassung sämtlicher Kleingläubiger in lediglich einer Kleingläubigergruppe ist 64 nicht zulässig. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG, wonach „eigenständige Gruppen“ (Plural!) zu bilden sind. Auch Systematik und Zweck bzw. Historie stützen dieses Ergebnis. Zum einen würde durch eine Zusammenfassung sämtlicher Kleingläubiger die zwingende Differenzierungsvorgabe des § 9 Abs. 1 StaRUG unterlaufen,53 zum anderen dient die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG gerade der Begrenzung des Majorisierungsrisikos von Kleingläubigern durch Großgläubiger,54 das bei einer Zusammenfassung sämtlicher Kleingläubiger in einer Gruppe bestehen bliebe. Die Isolierung der Kleingläubiger in einer einzelnen Gruppe hätte schließlich denselben Majorisierungseffekt, zwar nicht innerhalb der Gruppe, wohl aber in Ansehung der erforderlichen Gruppenmehrheiten.55 Das StaRUG definiert den Begriff der Kleingläubiger ebenso wenig wie die Gesetzesmateria- 65 lien oder die InsO. Die Qualifizierung von Gläubigern als Kleingläubiger bestimmt sich auch nicht nach einheitlichen Kriterien, sondern ist von den Umständen des Einzelfalls und den Verhältnissen des konkreten schuldnerischen Unternehmens abhängig; Referenzmaßstab ist dabei die Gesamtgläubigerschaft.56 Als Differenzierungskriterien können sowohl solche absoluter (z.B. die Forderungshöhen) als auch solche relativer (z.B. das Verhältnis zu den bestehenden Gesamtverbindlichkeiten57) Natur gewählt werden.58 Damit ist der Begriff des Kleingläubigers auch im Anwendungsbereich des § 9 StaRUG wie bereits im Anwendungsbereich des § 8 StaRUG (§ 8 Rz. 37) und des § 73 StaRUG jeweils normspezifisch auszulegen. Eine einheitliche Begriffsdefinition für das gesamte StaRUG verbietet sich daher. 51 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 10. 52 Vgl. Tasma in Flöther, § 9 StaRUG Rz. 15; Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 9 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 53 Siehe zum Verbot der Bildung von Mischgruppen im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens auch BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648. 54 BT-Drucks. 19/24181, S. 119. Siehe schon Rz. 2. 55 Vgl. auch Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 11. Daher scheidet auch eine teleologische Reduktion der Vorschrift aus. 56 BT-Drucks. 19/24181, S. 119. 57 Auch bei einer relativen Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob der betreffende Gläubiger im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern seiner Gruppe über nur geringe Forderung verfügt, sondern wie sich das relative Verhältnis zur Gesamtgläubigerschaft darstellt, s. auch Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 11. 58 BT-Drucks. 19/24181, S. 119.

Hölzle | 283

§ 9 Rz. 66 | Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen 66 In Anlehnung an die auch im Anwendungsbereich des § 222 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 InsO vorzugs-

würdige Auffassung59 sind Kleingläubiger im Ausgangspunkt nur diejenigen, die, sortiert nach aufsteigender Forderungshöhe, zusammen in der Summe nicht mehr als einen definierten Prozentsatz der insgesamt gegen den Schuldner gerichteten Forderungen erreichen. Für Zwecke des § 222 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 InsO wird eine Grenze von 10 % vorgeschlagen.60 Allein dort ist die Bildung einer Gruppe der Kleingläubiger erstens fakultativ und zweitens in der Grundstruktur nur als Bildung einer Gruppe für alle Kleingläubiger vorgesehen. Demgegenüber ist im Rahmen des § 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG für jede der gebildeten Planbetroffenengruppen obligatorisch eine eigene Kleingläubigergruppe zu bilden, was das Kräfteverhältnis in den Gruppenmehrheiten deutlich zugunsten der Kleingläubiger verschiebt.61 Um insoweit kein Ungleichgewicht und keine wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Blockadeposition der Kleingläubiger zu provozieren, sollte die Grenze für die Qualifizierung als Kleingläubiger deutlich unterhalb derjenigen ansetzen, wie sie im Rahmen des § 222 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 InsO angewendet wird.62 Um ausgeglichene Restrukturierungsplanstrukturen nicht zu gefährden, sollten Kleingläubiger daher nur solche sein, die in aufsteigender Reihenfolge sortiert nicht mehr als 5 % der Summe der insgesamt gegen den Schuldner gerichteten Gläubigerforderungen erreichen.63

67 Neben der quantitativen Bestimmung der Einordnung als Kleingläubiger im konkreten Fall

folgt aus dem eindeutigen Schutzzweck des Gesetzes, der aus der Richtlinie abgeleitet ist, dass im Rahmen der normspezifischen Auslegung des Tatbestandsmerkmals Kleingläubiger auch qualitative Erwägungen angestellt werden dürfen und müssen. So sind institutionelle Gläubiger auch dann, wenn sie nur mit absolut oder relativ sehr geringen Forderungen am Verfahren beteiligt sind, keine Kleingläubiger im Sinne der Norm. Der Schutz kleiner Gläubiger ist nur dort erforderlich, wo diese Gefahr laufen, ihre Interessen und Rechte im Verfahren nicht angemessen wahrnehmen zu können. Für institutionelle Gläubiger wie insbesondere Finanzinstitute, gilt dies gerade nicht. Ein besonderes Schutzbedürfnis ist hier regelmäßig nicht erkennbar, weshalb eine besondere Unterteilung in der Gruppenbildung unterbleiben kann.64

68 Die fehlende Bestimmtheit des Rechtsbegriffs und die fehlende Vorgabe von Einordnungskri-

terien durch das Gesetz birgt aber ein Restrisiko für den Schuldner, weshalb auch die Kriterien für das Unterbleiben einer gesonderten Gruppenbildung im Plan ausführlich erläutert werden sollten, um dem Gericht jedenfalls die Prüfung zu ermöglichen, dass die weitere Fraktionierung nicht aus mehrheits-strategischen, missbräuchlichen oder jedenfalls nicht sachgerechten Gründen unterblieben ist. d) Differenzierungsverbot (negative Vorgabe zur Gruppenbildung)

69 Im Rahmen der staatlichen Maßnahmen zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pande-

mie sind umfangreiche staatliche Förderprogramme aufgelegt worden. Diese wurden zum Teil in Gestalt einer durch die KfW (mittelbar) bereitgestellten Kreditfinanzierung oder -besicherung dargestellt.

70 Der Gesetzgeber hat die Gefahr erkannt, dass hiervon begünstigte Unternehmen das Restruk-

turierungsverfahren nutzen könnten, um sich von diesen pandemiebedingten Förderprogrammen zu entlasten und die Restrukturierung auf die staatlich geförderten Finanzierungsprogramme zu beschränken. Eine sachgerechte Auswahl der Planbetroffenen (§ 8 StaRUG) bei Beschränkung auf die staatlich geförderten Kreditmittel oder ein sachlicher Rechtfertigungs59 60 61 62 63 64

Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 222 Rz. 139; a.A. Lojowsky, NZI 2013, 647, 648. Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 222 Rz. 139. Vgl. auch Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 12. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 12. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 12. Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 9 StaRUG Rz. 55.

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Gleichbehandlung von Planbetroffenen | § 10

grund für die Bildung einer Untergruppe für diese Gläubiger, um diese unter Beachtung des §§ 10 StaRUG anders als die Hausbanken mit z.B. laufenden Betriebsmittelfinanzierungen behandeln zu können, wäre jedenfalls nicht von vorneherein als sachwidrig oder gar willkürlich ausgeschlossen. In § 7 Satz 1 COVInsAG ist daher ausdrücklich geregelt, dass der Umstand, dass Forderun- 71 gen im Zusammenhang mit staatlichen Leistungen stehen, die im Rahmen von staatlichen Programm zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie gewährt wurden, für sich allein kein geeignetes Kriterium für die Einbeziehung in den Restrukturierungsplan nach § 8 StaRUG oder die Abgrenzung der Gruppen nach § 9 StaRUG oder § 222 InsO ist. Die Vorschrift stellt daher ein negatives Abgrenzungskriterium dar, das unbeschadet der Möglichkeit anderer Abgrenzungskriterien jedenfalls für sich alleine nicht geeignet ist, eine Sonderbehandlung staatlich geförderter Finanzierungen zu legitimieren.

V. Fehlerfolge Das Ermessen des Schuldners bei Gestaltung der Planarchitektur und Bildung der Planbetrof- 72 fenengruppen ist eingeschränkt (Rz. 3, 10). Die Sachgerechtigkeit der Gruppenbildung und insbesondere die Willkürfreiheit ist sowohl im Rahmen der Vorprüfung nach §§ 46 ff. StaRUG als auch im Rahmen der Planbestätigung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG vollständig gerichtlich überprüfbar. Die Überprüfung erfolgt im Grundsatz zunächst anhand der im Plan angegebenen Kriterien, wobei anders als im Anwendungsbereich des § 8 StaRUG ein partielles Nachschieben von Gründen im Erörterungs- und Abstimmungstermin möglich ist (Rz. 51). Ist der Termin geschlossen und hat das Gericht allein noch die Planbestätigungsentscheidung zu treffen, ist eine Korrektur nicht mehr möglich.65 Erweist sich nach Auffassung des Gerichts die Gruppenbildung als nicht sachgerecht, so ist die Planbestätigung von Amts wegen zu versagen. Der formelle Mangel einer unzutreffenden Gruppenbildung allein berechtigt den einzelnen 73 Planbetroffenen jedoch nicht, zulässig sofortige Beschwerde gegen den Bestätigungsbeschluss gem. § 66 Satz 1 StaRUG zu erheben. Voraussetzung für die sofortige Beschwerde ist die individuelle Schlechterstellung des planbetroffenen Beschwerdeführers. Nur wenn die fehlerhafte Gruppenbildung oder die fehlerhafte Eingruppierung eines beschwerdeführenden Planbetroffenen zu einer wirtschaftlichen Schlechterstellung gegenüber dem nächstbesten Alternativszenario führt, kann hierauf eine sofortige Beschwerde erfolgversprechend gestützt werden. Im Übrigen gehören die verfahrensrechtlichen und formellen Anforderungen an den Plan nicht zu den individuellen Schutzgütern zugunsten der Planbetroffenen.

§ 10 Gleichbehandlung von Planbetroffenen (1) Innerhalb jeder Gruppe sind allen Planbetroffenen gleiche Rechte anzubieten. (2) 1Eine unterschiedliche Behandlung der Planbetroffenen in einer Gruppe ist nur mit Zustimmung aller Planbetroffenen, zu deren Lasten die unterschiedliche Behandlung geht, zulässig. 2In diesem Fall ist dem Restrukturierungsplan die zustimmende Erklärung eines jeden Planbetroffenen, zu dessen Lasten die unterschiedliche Behandlung geht, beizufügen. 65 So ebenfalls Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 9 StaRUG Rz. 92 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 10 Rz. 1 | Gleichbehandlung von Planbetroffenen (3) Jedes Abkommen des Schuldners oder Dritter mit einzelnen Planbetroffenen, durch das diesen für ihr Verhalten bei Abstimmungen oder sonst im Zusammenhang mit dem Restrukturierungsverfahren ein nicht im Plan vorgesehener Vorteil gewährt wird, ist nichtig. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richtlinienumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . Gruppeninterner Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 10 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . .

1 4 7 9

V. Konsensuale Ungleichbehandlung (§ 10 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Schutz des Abstimmungsprozesses (§ 10 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fehlerfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20 25 30

I. Regelungsgegenstand 1 § 10 Abs. 1 und Abs. 2 StaRUG bilden gemeinsam den Maßstab der zulässigen Gestaltungs-

regelungen innerhalb der zu bildenden Gruppen1 und wirken damit mittelbar auch auf die Gruppenbildung ein. Gemäß § 10 Abs. 1 StaRUG sind die Mitglieder einer jeden Gruppe grundsätzlich gleich zu behandeln („gruppeninterne Gleichbehandlung“). § 10 Abs. 2 StaRUG sieht vor, dass die Ausnahme einer unterschiedlichen Behandlung innerhalb einer Gruppe die Zustimmung der hiervon benachteiligten Gläubiger erfordert.

2 Die Vorschrift des § 10 StaRUG ist in allen drei Absätzen weitgehend § 226 InsO nachgebil-

det.2 Ein über die verschiedenen Terminologien hinausgehender Unterschied findet sich lediglich in § 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG, jeweils in deren Halbs. 2, die – anders als im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens – nicht die Zustimmung aller betroffenen Beteiligten verlangen, sondern lediglich diejenige aller Planbetroffenen „zu deren Lasten die unterschiedliche Behandlung geht“. Zwar soll sich ausweislich der Gesetzesbegründung3 hieraus keine gegenüber der Insolvenzordnung abweichende Regelung ergeben. Der Unterschied in der Formulierung dürfte vielmehr dem nur begrenzten Betroffenenkreis im Rahmen des Restrukturierungsplanverfahrens geschuldet sein. Allerdings ergibt sich aus der insoweit nicht interpretationsfähigen Gesetzesformulierung, dass im Rahmen des Restrukturierungsverfahrens auch die Zustimmung der übrigen Planbetroffenen zu einer Schlechterstellung einzelner Planbetroffener nicht erforderlich ist.4

3 § 10 Abs. 3 StaRUG schließlich erklärt Vereinbarungen, die als Gegenleistung für ein be-

stimmtes Stimmverhalten Vorteile versprechen, für nichtig (§ 134 BGB). Hierunter fallen insbesondere Stimmenkäufe oder der Erwerb von Forderungen (allein) zum Zwecke der Stimmrechtsausübung.5

II. Normzweck 4 Ähnlich wie im Insolvenzplanverfahren dient der gruppeninterne Gleichbehandlungsgrund-

satz der partiellen Aufrechterhaltung des par conditio creditorum6 und rechtfertigt zu1 Tasma in Flöther, § 10 StaRUG Rz. 1. 2 Siehe auch BT-Drucks. 19/24181, S. 119 f., wonach sich die Vorschriften an dem insolvenzrechtlichen Vorbild „orientieren“. 3 BT-Drucks. 19/24181, S. 119. 4 So auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 10 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 5 Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 10 StaRUG Rz. 15. 6 Vgl. zur Vorschrift des § 226 InsO Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 226 InsO Rz. 2.

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Gleichbehandlung von Planbetroffenen | Rz. 8 § 10

gleich die zwangsweise Unterwerfung etwaig überstimmter Gläubiger unter die Planregelungen: Zwar umfasst das Restrukturierungsverfahren nicht sämtliche Gläubiger, sondern nur die Planbetroffenen und zwar sieht der Restrukturierungsplan ebenso wie der Insolvenzplan häufig gerade eine ungleiche Behandlung verschiedener Gläubigergruppen vor; die Gleichbehandlung der Gruppenmitglieder rechtfertigt es aber, die unterliegende Minderheit an den Willen der Mehrheit zu binden7. Da nach § 9 StaRUG sämtliche Planbetroffenen gleicher Rechtsstellung und mit vergleich- 5 baren wirtschaftlichen Interessen in einer Gruppe einzugruppieren sind und § 8 StaRUG gewährleistet, dass Gläubiger gleicher Rechtsstellung und mit vergleichbaren wirtschaftlichen Interessen nicht ohne Sachgrund von der Aufnahme in den Plan und damit der Beteiligung an den Restrukturierungslasten verschont bleiben dürfen, ist durch das gruppeninterne Gleichbehandlungsgebot gewährleistet, dass den Anforderungen des Art. 3 GG Genüge getan wird, nämlich die Gläubiger gleicher Rechtsstellung auch grundsätzlich gleich behandelt werden. Die Beschränkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die in einer Gruppe zusammenge- 6 fassten Planbetroffenen steht daher unter dem Vorbehalt, dass die Grenzen des Ermessens des Schuldners, insbesondere alle die Plandispositivität einschränkenden Vorschriften zur Auswahl der Planbetroffenen in § 8 StaRUG und zur Sachgerechtigkeit der Gruppenbildung in § 9 StaRUG eingehalten werden. Denn weder durch eine nicht sachgerechte Auswahl der Planbetroffenen noch durch eine nicht sachgerechte Gruppenbildung darf das gruppeninterne Gleichbehandlungsgebot unterlaufen werden. Die Beschränkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf ein gruppeninternes Gleichbehandlungsgebot findet seine Rechtfertigung daher in der parallelen Geltung eines gruppenübergreifenden Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 8 Rz. 9).8

III. Richtlinienumsetzung Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b Restrukturierungs-RL gibt vor, dass die Mitgliedstaaten 7 sicherzustellen haben, dass ein Restrukturierungsplan von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde nur bestätigt werden kann, wenn und soweit die Gläubiger mit ausreichenden gemeinsamen Interessen in derselben Klasse und im Verhältnis zu ihren Forderungen gleich behandelt werden. Die Richtlinienvorgaben zur Gleichbehandlung stehen damit in unmittelbarem Zusammenhang zu Art. 9 Abs. 4, 5 Restrukturierungs-RL, auf dessen Grundlage die Klassenbildung nach dem Kriterium der gemeinsamen Interessen ebenfalls gerichtlich geprüft wird.9 Das Zusammenspiel beider Richtlinienvorgaben bewirkt insbesondere, dass die Klassenbildung nicht dazu missbraucht werden darf, den gruppeninternen Gleichbehandlungsgrundsatz zu unterlaufen. Die Öffnungsklausel des § 10 Abs. 2 Satz 1 StaRUG, wonach eine unterschiedliche Behand- 8 lung der Planbetroffenen in einer Gruppe mit Zustimmung aller Planbetroffenen, zu deren Lasten die unterschiedliche Behandlung geht, zulässig ist, verstößt nicht gegen die Richtlinienvorgabe, weil nicht erkennbar wäre, dass die Richtlinie einen freiwilligen Verzicht auf den Schutz durch den Gläubiger ausschließen möchte.10 Durch das Erfordernis des § 10 Abs. 2 Satz 2 StaRUG, dass dem Plan in diesem Fall eine schriftliche Erklärung des Betroffenen 7 Vgl. auch Tasma in Flöther, § 10 StaRUG Rz. 1. 8 In der Sache ähnlich Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 10 StaRUG Rz. 2, der aus der Durchbrechung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Gruppenbildung die zwangsläufige Tragweite des § 9 StaRUG als einer der zentralen Vorschriften des Restrukturierungsplans ableitet. 9 Backes/Blankenburg in Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rz. 27. 10 Ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 10 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 10 Rz. 8 | Gleichbehandlung von Planbetroffenen Gläubigers beizufügen ist, mit der Schlechterstellung einverstanden zu sein, ist das Schutzkriterium hinreichend erfüllt und sichergestellt, dass eine Schlechterstellung durch Passivität (Fernbleiben von der Abstimmung) oder Überrumpelung ausgeschlossen bleibt. Die konkrete Ausgestaltung der Disponibilität des gruppeninternen Gleichbehandlungsgrundsatzes steht daher im Einklang mit den Richtlinienvorgaben.

IV. Gruppeninterner Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 10 Abs. 1 StaRUG) 9 Den planbetroffenen Gläubigern derselben Gruppe sind – so der Wortlaut der Norm – die

„gleichen Rechte anzubieten“. Die Formulierung orientiert sich an ihrem insolvenzrechtlichen Vorbild in § 226 InsO.11

10 Das Anbieten gleicher Rechte erfordert allerdings keine absolut gleiche Behandlung. Vielmehr

genügt es, wenn jedem Planbetroffenen in der Gruppe dieselbe Möglichkeit eingeräumt wird, an dem Residualvermögen des Schuldners zu partizipieren, auch wenn diese Teilhabe differenziert ausgestaltet ist und dem Planbetroffenen in der Gruppe Wahlrechte angeboten werden.12 Die unterschiedliche Ausübung von Wahlrechten führt dann nicht zu einer Ungleichbehandlung i.S.d. § 10 Abs. 1 StaRUG, weil jeder Planbetroffene dieselbe Wahlmöglichkeit gehabt hat und die Ausübung zu seiner Disposition stand.13 Die Ungleichbehandlung ist dann nicht Folge eines ungleichen Angebots durch den Schuldner, wie es der Tatbestsand des § 10 Abs. 1 StaRUG verlangt, sondern Folge der Wahlrechtsausübung des jeweiligen Planbetroffenen.

11 Aus der weitgehenden Formulierungsidentität und dem ausdrücklichen Verweis in der Geset-

zesbegründung14 auf § 226 InsO folgt, dass sich die Auslegung des § 10 StaRUG weitgehend an derjenigen des § 226 InsO orientieren sollte.

12 Hier wie dort stellt sich daher die Frage, ob die Gleichbehandlung tatbestandlich eine norma-

tive oder eine wirtschaftliche Gleichheit erfordert.

13 Die Vertreter einer wirtschaftlichen Betrachtung15 legen sehr großzügige Maßstäbe an eine

Gleichbehandlung an, weil sie eine normative Ungleichbehandlung nicht für tatbestandlich halten, soweit für diese eine wirtschaftliche Kompensationsleistung angeboten werde, etwa wenn ein Ausgleich durch längere oder kürzere Bemessungen der Zahlungsfristen vorgenommen wird.16

14 Dieser Auffassung ist entschieden zu widersprechen. Die Gleichbehandlung erfordert das An-

gebot formal gleicher Rechte und damit eine normative Gleichbehandlung ungeachtet der individuellen wirtschaftlichen Folgen einschließlich z.B. steuerlicher Folgen,17 welche die Gestaltung beim jeweiligen Planbetroffenen auslöst. Anderenfalls müssten nämlich zur Prüfung der Gleichbehandlung für alle Planbetroffenen die individuellen vermögensrechtlichen Auswirkungen in die Beurteilung des Plans einbezogen werden. Dies ist weder durch den Planersteller zu leisten, noch überhaupt durch die par conditio creditorum (Rz. 4) gedeckt: Deren Grundlage ist eine gleichmäßige Beteiligung an dem Residualvermögen des Schuldners, die in der Mangelsituation beim Schuldner in Gestalt der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 11 BT-Drucks. 19/24181, S. 119. 12 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 10 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. auch Böhm in Braun, § 10 StaRUG Rz. 7; Tasma in Flöther, § 10 StaRUG Rz. 4. 13 AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZIP 2021, 806. 14 BT-Drucks. 19/24181, S. 119. 15 Für § 10 StaRUG: Böhm in Braun, § 10 StaRUG Rz. 3; für § 226 InsO: Braun/Frank in Braun, 9. Aufl. 2022, § 226 InsO Rz. 6. 16 Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 226 InsO Rz. 8. 17 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 10 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Gleichbehandlung von Planbetroffenen | Rz. 19 § 10

InsO) begründet ist, also aus der Schuldnerperspektive die prospektiv vorhandenen Zahlungsmittel in das Verhältnis zu der Nominale der Zahlungspflichten setzt, ohne dass dabei die wirtschaftlichen Auswirkungen bei den Gläubigern in Betracht zu ziehen sind. Ist aber die Rechtfertigung des gestaltenden Eingriffs allein aus der Vermögenssituation des Schuldners heraus zu beurteilen, so kann für die aus ihr erwachsenden Anwendungsgrundsätze, wie insbesondere der Gleichbehandlung, kein anderer Maßstab gelten. Dasselbe Ergebnis folgt außerdem aus dem Wortlaut der Norm, der nicht von „gleichwerti- 15 gen“ oder „wirtschaftlich gleichen“ Rechten, sondern schlicht von „den gleichen“ Rechten spricht.18 Schließlich sprechen erhebliche Anwendungs- und damit Transaktionsunsicherheiten gegen 16 eine wirtschaftliche Betrachtungsweise, da z.B. die Feststellung, wann eine normative Ungleichbehandlung wirtschaftlich kompensiert ist, mit Rechts- und Vollzugssicherheit kaum zu gewährleisten ist.19 So stellt sich etwa die Frage, wie viel höher die Quote sein müsste, um ein kürzeres Zahlungsziel zu legitimieren und wie sich diese wirtschaftliche Gleichheit transparent darlegen und überprüfen ließe. Das Erfordernis einer normativen Gleichheit schafft auch für den Planarchitekten keine un- 17 überwindbaren Hürden: Eine formal differenzierende Regelung der Rechte verschiedener Gläubiger lässt sich gestalterisch durch eine Untergruppenbildung gem. § 9 Abs. 2 StaRUG erreichen. Diese Unterscheidung ist dabei nicht nur formaler Natur; sie ist aus Gründen des Minderheitenschutzes von ganz entscheidender Bedeutung.20 Denn auf diese Weise wird verhindert, dass die normativ schlechter gestellten Betroffenen durch die normativ besser gestellten Betroffenen in ihrer Gruppe überstimmt werden; ein Szenario, welches keinerlei minderheitenschützende Mechanismen auslöste. Gruppiert man die normativ schlechter gestellten Gläubiger dagegen richtigerweise in eine eigene Untergruppe ein, bedarf es einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung gem. § 26 Abs. 1 StaRUG, welche zum einen erhöhte materielle Anforderungen an den Restrukturierungsplan bzw. die in diesem vorgesehene Behandlung der zu überstimmenden Gruppe (keine Schlechterstellung, angemessene Beteiligung am Planwert und Zustimmung der Mehrheit der abstimmenden Gläubiger, § 26 Abs. 1 Nr. 1–3 StaRUG) erfordert und zum anderen auch weitere Schutzmechanismen, wie etwa die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten gem. § 73 Abs. 2 Satz 1 StaRUG auslöst. Schließlich spricht für die formale Betrachtung, dass nur auf diese Weise das Sachgerechtig- 18 keitskriterium des § 9 Abs. 2 Satz 2 StaRUG vollständig zur Geltung gelangt: Die formale Ungleichheit auch zwischen den Untergruppen kann unter Geltung des § 9 Abs. 2 StaRUG nicht willkürlich vorgenommen werden, sondern ist der Sachgerechtigkeitskontrolle zu unterwerfen, was vor dem Hintergrund der drohenden zwangsweisen Eingriffe in Rechte der Planbetroffenen systemisch zwingend ist. Unter diesen Voraussetzungen bleibt daher die unterschiedliche Behandlung von Planbetroffe- 19 nen, die unterschiedlichen Gruppen angehören, möglich. Ebenso wird zwischen den Planbetroffenen und den nicht in den Plan einbezogenen Beteiligten stets eine Ungleichbehand-

18 Wie hier Böhm in Braun, § 10 StaRUG Rz. 3; Tasma in Flöther, § 10 StaRUG Rz. 2; Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 10 StaRUG Rz. 6. Zu § 226 InsO Breuer in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2020, § 226 InsO Rz. 8; Geiwitz/von Danckelmann in BeckOK/InsolvenzR, § 226 InsO Rz. 2 (Stand: 26. Ed. 15.10.2021); Lüer/Streit in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 226 InsO Rz. 3; Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, § 226 InsO Rz. 6 (Stand: 71. EL April 2017); Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 226 InsO Rz. 2; Thies in HambKomm/InsO, 9. Aufl. 2022, § 226 InsO Rz. 2. 19 Siehe hierzu auch Lüer/Streit in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 226 InsO Rz. 3; Spahlinger in Kübler/ Prütting/Bork, § 226 InsO Rz. 5 (Stand: 71. EL April 2017). 20 Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2020, § 10 StaRUG Rz. 2.

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§ 10 Rz. 19 | Gleichbehandlung von Planbetroffenen lung bestehen.21 Deren Rechtfertigung ist Gegenstand der Prüfung der sachgerechten Auswahl der Planbetroffenen (vgl. § 8 Rz. 10).

V. Konsensuale Ungleichbehandlung (§ 10 Abs. 2 StaRUG) 20 Die unterschiedliche Behandlung der Planbetroffenen innerhalb einer Gruppe ist gem. § 10

Abs. 2 Satz 1 StaRUG nur dann zulässig, wenn alle Planbetroffenen, zu deren Lasten die unterschiedliche Behandlung geht, zustimmen.

21 Im Falle einer einverständlichen Ungleichbehandlung muss der Restrukturierungsplan un-

missverständlich, klar und drucktechnisch deutlich ausweisen, worin die unterschiedliche Behandlung liegt und welche Gläubiger in welchem Ausmaß von ihr betroffen sind (qualitative und quantitative Bestimmung der Ungleichbehandlung).22 Zweifel betreffend die Einhaltung des Gleichheitssatzes gehen zu Lasten des Planerstellers.

22 Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 StaRUG sind die Zustimmungserklärungen der betroffenen Gläu-

biger dem Restrukturierungsplan als obligatorische Anlagen beizufügen. Hierdurch wird eine besondere Transparenz gewahrt und ein Überrumpelungsschutz gegenüber den schlechter gestellten Planbetroffenen gewährleistet. Die Erklärung muss daher den allgemeinen Anforderungen an das Transparenzprinzip genügen. Insbesondere muss aus der Erklärung deutlich hervorgehen, dass sich der jeweilige Planbetroffene darüber im Klaren ist, dass und inwieweit er schlechter behandelt wird, als die übrigen Planbetroffenen seiner Gruppe. Pauschale Zustimmungserklärungen, aus welchen nicht hervorgeht, dass dem erklärenden Planbetroffenen bewusst gewesen ist, welchen Umfang und welches Ausmaß seine Schlechterstellung hat, genügen dem Schutzzweck des § 10 Abs. 2 Satz 2 StaRUG nicht. Wegen der großen Bedeutung des § 10 StaRUG im Zusammenspiel mit §§ 8, 9 StaRUG ist eine strenge Auslegung des § 10 Abs. 2 Satz 2 StaRUG geboten.

23 Änderungen, die Einfluss auf das Ausmaß bzw. den Umfang der Schlechterstellung haben,

können im Erörterungs- und Abstimmungstermin gem. § 20 Abs. 4 bzw. § 45 Abs. 4 StaRUG i.V.m. § 240 InsO grundsätzlich nicht mehr vorgenommen werden. Einzig zulässig wäre eine Änderung, soweit der schlechtergestellte Planbetroffene im Termin anwesend ist und gleichzeitig auch seine als Anlage zum Plan zu nehmende Zustimmungserklärung entsprechend zu Protokoll anpasst und dabei gewährleistet ist, dass er sich über das Ausmaß dieser Erklärung im Klaren ist (keine Überrumpelung).

24 Den Planbetroffenen steht es damit frei, auf den gruppeninternen normativen Gleichbehand-

lungsgrundsatz zu verzichten. Die Gleichbehandlung ist für sie dispositiv. Der Gesetzgeber sah für den Fall, dass ein Planbetroffener mit einer ungünstigeren Behandlung einverstanden und dies durch eine dem Restrukturierungsplan beigefügte Zustimmungserklärung dokumentiert ist, keinen Grund, eine solche Ungleichbehandlung zum Anlass zu nehmen, dem Plan die Bestätigung zu versagen.23

VI. Schutz des Abstimmungsprozesses (§ 10 Abs. 3 StaRUG) 25 § 10 Abs. 3 StaRUG schützt – wie auch § 226 Abs. 3 InsO – die Transparenz und Integrität

des Abstimmungsprozesses über den Plan.24 Es gelten dieselben Grundsätze, wie sie der

21 22 23 24

BT-Drucks. 19/24181, S. 119. Ausführlich Tasma in Flöther, § 10 StaRUG Rz. 4. BT-Drucks. 19/24181, S. 119. BT-Drucks. 19/24181, S. 120.

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Gleichbehandlung von Planbetroffenen | Rz. 31 § 10

BGH25 für die Nichtigkeit von das Abstimmungsverhalten beeinflussenden Maßnahmen im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens, insbesondere für Fälle des Forderungskaufs zum Zwecke der Stimmrechtsausübung, entwickelt hat.26 Allerdings ist der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 3 StaRUG weiter als derjenige des § 226 26 Abs. 3 InsO. Denn anders als im Insolvenzplanverfahren können Vorteile i.S.d. § 10 Abs. 3 StaRUG im Rahmen der präventiven Restrukturierung auch dadurch gewährt werden, dass einzelnen Gläubigern zugesagt wird, sie nicht in die Restrukturierung einzubeziehen, obgleich dies nach § 8 StaRUG geboten wäre, da auch in der strategischen Auswahl der Planbetroffenen eine gezielte Beeinflussung des Abstimmungsergebnisses liegen kann.27 Der Plan leidet dann neben dem formellen Mangel der fehlerhaften Auswahl der Planbetroffenen nach § 8 StaRUG zusätzlich an dem Mangel des Verstoßes gegen § 10 Abs. 3 StaRUG. Unzulässig ist daher jede Einflussnahme auf die unabhängige und an den eigenen, restruktu- 27 rierungsspezifischen Interessen des Planbetroffenen ausgerichtete Stimmabgabe in Gestalt der Gewährung von Vorteilen – oder der Drohung mit erheblichen Nachteilen. Der Begriff des Abkommens ist weit zu verstehen. Hierunter fallen nicht nur förmliche Verträge, sondern auch einseitige Zusagen, Auslobungen und jede sonstige Form von Erklärungen, Versprechungen oder Zusagen, auch soweit ihnen ein verbindlicher Rechtsbindungswille im Einzelfall nicht nachgewiesen werden kann. Der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 3 StaRUG ist im Zweifel weit auszulegen. Ob der zugesagte Vorteil aus dem Vermögen des Schuldners oder aus anderer Quelle her- 28 rührt, ist unerheblich,28 solange die Vorteilsgewährung Einfluss auf das Stimmverhalten des Planbetroffenen gehabt haben kann. Schutzgut des § 10 Abs. 3 StaRUG ist allein die Integrität des Abstimmungsprozesses und nicht die Gleichbehandlung der Planbetroffenen. Die Rechtsfolge stellt in beiden Fällen die (anfängliche und endgültige) Nichtigkeit des ent- 29 sprechenden Verpflichtungsgeschäfts dar. Das Restrukturierungsgericht darf einen solchen Plan nicht bestätigen, wenn dessen Annahme auf dem nichtigen Geschäft beruhen kann.29 Da die Vorschrift auch der Gewährleistung des Transparenzprinzips gilt, kann etwas anderes nur dann gelten, wenn das der Stimmausübung zugrunde liegende Geschäft offen und transparent im Restrukturierungsplan ausgewiesen wird.30 Anderenfalls leidet der Plan an einem wesentlichen Mangel i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, weshalb die gerichtliche Bestätigung von Amts wegen zu versagen ist.31

VII. Fehlerfolge Verstöße gegen die gruppeninterne Gleichbehandlung selbst (materieller Verstoß) oder gegen 30 das in § 10 Abs. 2 Satz 2 StaRUG verankerte Transparenzprinzip (unzureichende oder fehlende schriftliche Zustimmungserklärung, formeller Verstoß) begründen einen wesentlichen Mangel i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, der die Versagung der Planbestätigung von Amts wegen zwingend zur Folge hat. Daneben steht es dem durch eine materiell nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung schlech- 31 ter gestellten Planbetroffenen frei, Minderheitenschutzantrag nach § 64 StaRUG zu stellen. 25 26 27 28 29 30 31

BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, ZIP 2005, 719. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 10 StaRUG Rz. 4. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 10 StaRUG Rz. 5. Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 10 StaRUG Rz. 14. BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, ZIP 2005, 719. BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, ZIP 2005, 719. Ausführlich zur gerichtlichen Überprüfbarkeit Tasma in Flöther, § 10 StaRUG Rz. 9.

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§ 10 Rz. 31 | Gleichbehandlung von Planbetroffenen Die Schlechterstellung gegenüber anderen Gläubigern der Gruppe indiziert dabei die Schlechterstellung auch im nächst besten Alternativszenario. Zwar stellt § 64 StaRUG darauf ab, dass der Gläubiger durch den angegriffenen Restrukturierungsplan schlechter steht, als er ohne den Plan stünde. Dies zielt allerdings darauf ab, dass Maßstab der Beurteilung einer Schlechterstellung regelmäßig das im darstellenden Teil gem. § 6 StaRUG begründet dargelegte Alternativszenario ist. Hat ein Planbetroffener bereits Anspruch auf Gleichbehandlung nach § 10 StaRUG, der ihm durch eine materiell oder formell nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung verwehrt wird, so muss Maßstab für die Prüfung des Schlechterstellungsverbots nach § 64 StaRUG die im Restrukturierungsplan selbst erreichbare Befriedigungssituation des Gläubigers sein. Aus der Prüfung, wie der Gläubiger ohne den Plan stünde, wird die Prüfung, wie der Gläubiger bei Abfassung eines rechtmäßigen Plans stünde. 32 Ein Verstoß gegen § 10 StaRUG wird daher, obgleich das Gesetz eine Möglichkeit der indivi-

duellen Verfolgung formeller Mängel grundsätzlich nicht kennt, regelmäßig einen erfolgreichen Minderheitenschutzantrag nach § 64 StaRUG begründen können.

§ 11 Haftung des Schuldners 1Ist

im Restrukturierungsplan nichts anderes bestimmt, wird der Schuldner mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Gläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen aus den in den Plan einbezogenen Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften befreit. 2Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit [ab 1.1.2024: „rechtsfähige Personengesellschaft“] oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, so gilt Satz 1 entsprechend für die persönliche Haftung der unbeschränkt haftenden Gesellschafter. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256); Satz 2 mit Wirkung v. 1.1.2024 geändert durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. II. III. IV. 1.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Richtlinienumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . 8 Auslegungsregel und Reichweite . . . . . . 10 Gegenüber dem Schuldner (§ 11 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2. Gegenüber dem persönlich haftenden (Personen-)Gesellschafter (§ 11 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung einer Naturalobligation . . . . . 2. Zeitpunkt der Befreiungswirkung . . . . . .

18 22 22 26

Schrifttum: Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66.

I. Regelungsgegenstand 1 Die Vorschrift des § 11 StaRUG ist dem § 227 InsO nachgebildet und enthält eine Aus-

legungsregel, nach welcher der Schuldner (§ 11 Satz 1 StaRUG) bzw. die persönlich haftenden Gesellschafter (§ 11 Satz 2 StaRUG) von dem durch den Plan nicht gestalteten Teil der in den Plan einbezogenen Verbindlichkeiten bzw. von ihrer Haftung für den nicht durch den Plan 292 | Hölzle

Haftung des Schuldners | Rz. 6 § 11

gestalteten Teil der Verbindlichkeiten befreit werden, sofern der Restrukturierungsplan keine andere Bestimmung vorsieht.1 § 11 StaRUG enthält damit die Klarstellung, dass auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Plan derjenige Teil der Verbindlichkeiten, der nach den Festzugzungen des Plans nicht, wenn auch in modifizierter Form (gestundet, prolongiert etc.) fortbestehen soll, als erlassen gilt. Rechtsdogmatisch handelt es sich um eine Auslegungsvorschrift, nach welcher ohne entgegenstehende Anhaltspunkte im Plan grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der nach den Festsetzungen des Plans nicht zu erfüllende Teil der in ihn einbezogenen Verbindlichkeiten sich in eine zwar noch erfüllbare, jedoch nicht mehr einforderbare Naturalobligation wandelt. Aus der Rechtsnatur der Vorschrift als reine Auslegungsregelung folgt, dass diese nicht selbst 2 die materielle Erlasswirkung begründet; diese ergibt sich vielmehr aus den in den Restrukturierungsplan aufgenommenen Willenserklärungen, deren Auslegung durch § 11 StaRUG vorgegeben wird, i.V.m. § 67 Abs. 1 StaRUG und – im Falle des § 11 Satz 2 – § 67 Abs. 2 StaRUG. Wie die Gesetzesbegründung ausdrücklich klarstellt, beschränkt sich die Vorschrift auf die Haftung für die in den Plan einbezogenen Verbindlichkeiten und berührt Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern, die nicht vom Plan betroffen sind, nicht.2 Aus der Einordnung als Auslegungsvorschrift folgt ferner, dass § 11 StaRUG nur insoweit An- 3 wendung finden kann, wie sich aus dem Wortlaut des Plans i.V.m. den anerkannten Regeln und Grenzen der Auslegung nicht ein anderes Ergebnis ableitet. Vor der Anwendung einer Auslegungsregel steht stets die notwendige Feststellung einer Auslegungsbedürftigkeit. Trotz der durch § 11 StaRUG begründeten Erleichterung ist daher dringend anzuraten, die Regelungs- und Gestaltungswirkungen des Plans vor allem auch in Ansehung des jeweils nicht bestehenbleibenden Teils der Verbindlichkeiten so bestimmt wie möglich im Plan zu bezeichnen und zu regeln.

II. Normzweck Die gesetzgeberische Notwendigkeit der Regelung in § 11 Satz 1 StaRUG ergibt sich daraus, 4 dass sich die Restrukturierung nach dem StaRUG vor- bzw. außerinsolvenzlich vollzieht, weshalb sich die Entschuldungswirkung nicht kraft Gesetzes vollzieht, sondern auf rechtsgeschäftlicher Grundlage fußt,3 daher eine entsprechende Einigung mit den Planbetroffenen erfordert; (nur) für den Fall deren Fehlens sieht § 11 StaRUG eine ergänzende, ggf. die Sanierung sichernde Auslegung vor.4 Demgegenüber hätte es der Vorschrift des § 11 Satz 2 StaRUG nicht bedurft, da bereits § 67 5 Abs. 2 StaRUG, dem materielle Regelungswirkung zukommt, vorbehaltlich einer abweichenden Regelung im Restrukturierungsplan die Befreiung der persönlich haftenden Gesellschafter in dem Umfang anordnet, in dem auch der Schuldner befreit wird.

Zu fragen bleibt allerdings, ob der Restrukturierungsplan auslegungsfähig bleibt, wenn die auf 6 Grundlage der Richtlinie durch das Gesetz vorgegebenen Planziele nicht erreichbar sind und deshalb die Voraussetzungen für eine auslegungsfähige Willenserklärung der Planbetroffenen nicht gegeben sind. ErwGr. 3 der Richtlinie stellt klar, dass nicht bestandsfähige Unternehmen ohne Überlebenschance so schnell wie möglich abgewickelt werden und keinen Zugang zu dem Restrukturierungsverfahren auf Grundlage der Richtlinie haben sollen. So heißt es dort, dass ein Schuldner in finanziellen Schwierigkeiten, der nicht wirtschaftlich bestandsfähig ist oder seine 1 2 3 4

BT-Drucks. 19/24181, S. 120. BT-Drucks. 19/24181, S. 120. Ausführlich Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 17–19, 23 Rz. 6 ff. Vgl. auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 11 StaRUG Rz. 2 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Hölzle | 293

§ 11 Rz. 6 | Haftung des Schuldners wirtschaftliche Bestandsfähigkeit nicht ohne weiteres wiederherstellen kann, deshalb keinen Zugang zum Restrukturierungsverfahren erhalten soll, weil Restrukturierungsmaßnahmen bei einem solchen Schuldner zu einer Beschleunigung und Anhäufung von Verlusten zum Nachteil der Gläubiger, der Arbeitnehmer und sonstiger Interessenträger sowie der Wirtschaft als Ganzes führen können. Diese Vorgabe der Richtlinie ist in § 14 StaRUG umgesetzt, wonach dem Restrukturierungsplan eine begründete Erklärung zu den Aussichten darauf beizufügen ist, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners durch den Plan beseitigt wird und dass die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicher- oder wiederhergestellt wird. 7 Fehlt es an dieser Voraussetzung und ist die Möglichkeit zur Wiederherstellung der Bestands-

fähigkeit nicht plausibel dargestellt, so ist unbeschadet der in diesem Fall fehlenden Bestätigungsfähigkeit des Plans das vom Gesetzgeber vorgegebene Planziel nicht erreichbar. Fehlt es jedoch an der Erreichbarkeit des obligatorischen Planziels, so verfehlt auch der Forderungsverzicht den erforderlichen Zweck. Dann aber fehlt es an den Voraussetzungen für eine Auslegung, da die Auslegung stets dem Ziel dienen muss, der Erklärung eine rechtserhebliche Bedeutung beizumessen und nicht zu dem Ergebnis führen soll, dass die Regelung sich als sinnlos erweist;5 ist aber das Restrukturierungsziel nicht erreichbar, so kann auch die Auslegung nach § 11 StaRUG, wonach im Zweifel die Befreiung des Schuldners von den übrigen Verbindlichkeiten eintritt, ihren Zweck nicht erfüllen, weshalb die Voraussetzung für eine Auslegung in diesem Fall ungeachtet der aus anderem Grund fehlenden Bestätigungsfähigkeit des Plans nicht erfüllt sind. Die Anwendung der Auslegungsregel des § 11 StaRUG setzt daher die sachund zweckgerechte Ausrichtung des Plans an legitimen Planzielen voraus.

III. Richtlinienumsetzung 8 Die Auslegungsregel des § 11 StaRUG geht nicht auf eine konkrete Richtlinienvorgabe zurück,

sondern folgt der Zwecksetzung der Richtlinie insgesamt,6 die bereits in ErwGr. 2 zum Ausdruck bringt, dass die Restrukturierung des Schuldners u.a. durch eine Änderung der Zusammensetzung, der Bedingungen oder der Struktur der Verbindlichkeiten zu bewältigen sein soll. In ErwGr. 39 und 48 ist ausdrücklich erwähnt, dass die Kürzung von Forderungen der Planbetroffenen gegen den Schuldner probates Mittel der Plangestaltung ist, soweit die Kürzung der Forderungen der Gläubiger in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der Restrukturierung verbunden Vorteilen steht.

9 Mit dieser Orientierung an dem Zweck der Richtlinie genügt die Vorschrift ohne weiteres den

Richtlinienvorgaben und setzt sich insbesondere nicht in Widerspruch zu diesen. Dies umso mehr, als die Richtlinie in ErwGr. 29 ausdrücklich vorsieht, dass der nationale präventive Restrukturierungsrahmen zur Förderung der Effizienz und zur Verringerung von Verzögerungen und Kosten flexible Verfahren – und damit auch Regeln – enthalten soll. Genau diesem Ziel entspricht § 11 StaRUG.

IV. Auslegungsregel und Reichweite 1. Gegenüber dem Schuldner (§ 11 Satz 1 StaRUG) 10 Als Auslegungsregel unterstellt § 11 StaRUG, dass, soweit der Plan keine anderslautenden

Festsetzungen enthält, der über die im Plan geregelte – auch modifizierte – Erfüllung hinaus5 BGH v. 7.3.2005 – II ZR 194/03, ZIP 2005, 1068. 6 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 11 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Martini in HambKomm/ RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 11 StaRUG Rz. 4.

294 | Hölzle

Haftung des Schuldners | Rz. 14 § 11

gehende Teil der planbetroffenen Restrukturierungsforderung und Absonderungsanwartschaften untergeht. Dogmatisch soll den in den Plan aufgenommenen Erklärungen zur modifizierten oder Teilerfüllung der in den Plan einbezogenen Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwartschaften daher nach der Auslegungsregel stets der Erklärungsinhalt beigemessen werden, dass der verbleibende Teil der betroffenen Rechte (die sog. „Deltahaftung“7) ) nicht länger soll geltend gemacht werden können und der Schuldner insoweit befreit wird. Freilich gilt dies nur für diejenigen Restrukturierungsforderungen und Absonderungsanwart- 11 schaften, die in den Plan einbezogen sind.8 Stehen einem Planbetroffenen mehrere Forderungen zu und erstreckt sich die Regelungswirkung nach den Festsetzungen des Plans nur auf einige von ihnen, so tritt im Übrigen die Befreiungswirkung nicht ein.9 Zweifel hinsichtlich der Einbeziehung einzelner oder sämtlicher Forderungen und Rechte ei- 12 nes Planbetroffenen in die Regelungswirkung des Plans unterfallen nicht der Auslegungsregel des § 11 StaRUG und gehen zu Lasten des Schuldners.10 Dies ergibt sich bereits aus dem klaren Wortlaut des § 11 Satz 1 StaRUG, wonach sich die Vorschrift nur auf die „in den Plan einbezogenen Restrukturierungsforderungen“ bezieht. Darüber hinaus sieht § 63 Abs. 3 StaRUG eine Zweifelsregelung vor, wonach Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Restrukturierungsplans grundsätzlich zu Lasten des Schuldners gehen. Genau solche Zweifel bestehen aber, wenn unklar bleibt, mit welcher Forderung ein Planbetroffener am Plan beteiligt ist und demgemäß an der Abstimmung teilgenommen hat.11 Es ist dem Planarchitekten daher dringend anzuraten, trotz der Auslegungsregel des § 11 StaRUG einerseits die betroffenen Rechte bestimmt und zweifelsfrei zu bezeichnen, andererseits den Regelungsumfang und das Schicksal des im Plan nicht geregelten Teils der Rechte genau zu bestimmen. Soweit die Hauptforderung allerdings hinreichend bestimmt in den Plan einbezogen ist, er- 13 streckt sich die Auslegungsregel und damit die Vermutungswirkung auch auf Nebenforderungen zu dieser Hauptforderung, insbesondere also Zinsen und Kosten, ohne dass diese explizit genannt sein müssten.12 Die Miterfassung derselben folgt dabei aus einer systematischen Zusammenschau mit § 9 Abs. 2 StaRUG, der die Zinsen und Säumniszuschläge explizit den einfachen Restrukturierungsforderungen zuordnet und diese damit abweichend von der entsprechenden Regelung in der InsO nicht als nachrangige Restrukturierungsforderungen ansieht.13 Besteht für eine Forderung ein Sicherungsrecht, dass zur Begründung einer Absonderungs- 14 anwartschaft i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG führt, muss diese im Restrukturierungsplan gesondert erfasst und gestaltet sein. Verhält sich der Restrukturierungsplan betreffs eine gesicherte Forderung nur zu dem schuldrechtlichen Anspruch selbst, ohne etwaig für sie bestellte Sicherheiten zu erwähnen, kann nicht auf Grundlage des § 11 StaRUG angenommen werden, dass der Schuldner auch von der Absonderungsanwartschaft befreit werden soll.14 Dies folgt bereits aus dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz,15 aber auch daraus, dass Absonderungsanwartschaften nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG einer eigenständigen Gestaltung im Plan zugänglich sind und gerade nicht ausschließlich über die etwaig begründete Akzessorietät mitgestaltet werden. Der Wortlaut des § 11 Satz 1 StaRUG stellt eindeutig klar, dass die 7 8 9 10 11 12 13

Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 11 StaRUG Rz. 1. Hierzu auch Gehrlein, BB 2021, 66, 70. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 11 StaRUG Rz. 4. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 11 StaRUG Rz. 4. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 11 StaRUG Rz. 4. Wie hier Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 11 StaRUG Rz. 5. A.A. wohl Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 11 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) der zur exakten Bezeichnung auch der Nebenforderungen rät, da andernfalls wohl eine Nichtberücksichtigung drohe. 14 A.A. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2021, § 11 StaRUG Rz. 5. 15 Siehe auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 11 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 11 Rz. 14 | Haftung des Schuldners Auslegungsregel nur in Ansehung der in den Plan einbezogenen Absonderungsanwartschaften Anwendung findet. Fehlt es an einer Einbeziehung, kann diese aus Gründen der Planklarheit, der notwendigen Bestimmtheit und des gebotenen Gläubigerschutzes nicht über eine etwaige Akzessorietät und die Auslegungsregel des § 11 Satz 1 StaRUG in den Plan hineininterpretiert werden. Der Gläubiger bleibt in diesem Fall berechtigt, aus dem dinglichen Recht vorzugehen; bei dem bestehenbleibenden Sicherungsrecht handelt es sich auch nicht um eine forderungsentkleidete Sicherheit, weil die Gestaltung des schuldrechtlichen Anspruchs durch den Plan ungeachtet der konkreten Formulierung im Plan keinen Erlass i.S.d. § 397 BGB, sondern lediglich die Entstehung einer Naturalobligation bewirkt (sogleich Rz. 16 ff.). 15 Diese hier vertretene Ansicht erweist sich auch deshalb als richtig, weil eine (nur mittelbare)

Einwirkung auf die Absonderungsanwartschaft, ohne dass diese ausdrücklich in die Regelungswirkung des Plans aufgenommen wird, auch deshalb nicht anzuerkennen ist, weil dadurch die nach § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StaRUG zwingend vorgegebene Gruppenbildung unterlaufen würde.

16 Von der Regelungswirkung des § 11 Satz 1 StaRUG ebenfalls nicht erfasst werden im Plan

nicht geregelte Ansprüche der Restrukturierungsgläubiger aus gruppeninternen Drittsicherheiten, soweit diese nicht ausdrücklich in den Plan einbezogen werden. Eine Befreiung des gruppenangehörigen Sicherheitengebers aus der gewährten Drittsicherheit tritt nur in dem Umfang ein, in dem die gruppeninterne Drittsicherheit durch den Plan gem. § 2 Abs. 4 StaRUG gestaltet wird. Eine über die ausdrückliche und sachenrechtlich bestimmte Gestaltung hinausgehende Befreiung des gruppenangehörigen Drittsicherheitengebers über § 11 Satz 1 StaRUG ist nicht möglich.16 Dies folgt bereits daraus, dass es sich zum einen bei § 2 Abs. 4 StaRUG dogmatisch nicht um eine materielle Eingriffsbefugnis, sondern lediglich um eine dem § 166 InsO angenäherte Verfügungsermächtigung handelt,17 und zum Zweiten daraus, dass eine Gestaltung der gruppenintern Drittsicherheit gem. § 2 Abs. 4 StaRUG nur gegen angemessene Entschädigung zulässig ist. Dieses Erfordernis würde bei Anwendung der Auslegungsregel aber unterlaufen. Schließlich folgt aus § 67 Abs. 3 StaRUG, dass die Rechte der Restrukturierungsgläubiger an Gegenständen, die nicht zum Vermögen des Schuldners gehören, bestehen bleiben, soweit sie nicht nach § 2 Abs. 4 StaRUG gestaltet worden sind. Auch der Wortlaut des § 67 Abs. 3 StaRUG setzt daher eine ausdrückliche und damit hinreichend bestimmte Gestaltung voraus.

17 Aus dem Vorstehenden folgt unmittelbar, dass gruppenexterne Sicherheiten keinesfalls dem

Anwendungsbereich des § 11 Satz 1 StaRUG unterfallen, sondern es freilich stets bei der Anwendung des § 67 Abs. 3 StaRUG bleibt.

2. Gegenüber dem persönlich haftenden (Personen-)Gesellschafter (§ 11 Satz 2 StaRUG) 18 Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (Fassung

bis zum 31.12.2023) oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, so erstreckt § 11 Satz 2 StaRUG die Wirkung des § 11 Satz 1 StaRUG auch auf die persönliche Haftung der unbeschränkt haftenden Gesellschafter. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), das bereits am 17.8.2021 im Bundesgesetzblatt (2021 Teil I Nr. 53) verkündet worden ist und am 1.1.2024 in Kraft treten wird, wird die Rechtsfähigkeit der GbR in § 705 Abs. 2 BGB n.F. in Gesetzesform gegossen. § 11 Satz 2 StaRUG n.F. nimmt diese Gesetzesänderung

16 Ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 11 StaRUG Rz. 21 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); a.A. Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 11 StaRUG Rz. 5. 17 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 2–4 StaRUG Rz. 34.

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Haftung des Schuldners | Rz. 23 § 11

auf, indem die Vorschrift statt auf den Schuldner als Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit nunmehr auf den Schuldner als „rechtsfähige Personengesellschaft“ Bezug nimmt. Damit sind zugleich GbR (§ 705 Abs. 2 BGB n.F.), OHG und KG (§ 105 Abs. 2 HGB n.F. bei der KG i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB) erfasst. Eine Erfassung der mit dem MoPeG erstmals auch ausdrücklich geregelten nichtrechtsfähigen GbR war nicht erforderlich, da diese in Ermangelung ihrer Fähigkeit, eigenes Vermögen zu bilden, nicht insolvenzfähig ist (§ 740 Abs. 1 BGB n.F.). Einer Ergänzung der Auslegungsregel hätte es indes nicht bedurft, weil die mit ihr zu bewir- 19 kende Rechtsfolge materiell-rechtlich unmittelbar in § 67 Abs. 2 StaRUG geregelt ist, daher auch eintreten würde, wenn die Erklärungen im Plan nicht entsprechend ergänzend auszulegen wären. § 11 Satz 2 StaRUG gilt ebenso wie § 67 Abs. 2 StaRUG, was sich bereits aus § 67 Abs. 3 Satz 1 20 StaRUG ergibt, nur für die unmittelbar gesellschaftsrechtlich begründete persönliche Haftung. Eine aus anderem Rechtsgrund begründete Mithaft der Gesellschafter, insbesondere eine auf schuldrechtlichem Haftungsgrund beruhende Mitverpflichtung des Gesellschafters (Schuldbeitritt, Bürgschaft etc.), wird von beiden Vorschriften nicht erfasst.18 Ebenfalls von der Wirkung der § 11 Satz 2, § 67 Abs. 2 StaRUG nicht erfasst wird die (etwaige 21 wiederaufgelebte) Haftung der grundsätzlich beschränkt haftenden Gesellschafter,19 insbesondere die Haftung der Kommanditisten aus § 172 Abs. 4 HGB. Der Wortlaut beider Vorschriften stellt eindeutig ausschließlich auf die persönlich haftenden Gesellschafter und nicht auch auf die beschränkt haftenden Gesellschafter ab. Eine erweiterte Auslegung ist nicht möglich; dies schon deshalb nicht, weil es hierfür an einem Bedürfnis und für eine analoge Anwendung auch an einer Regelungslücke fehlt. Die wiederaufgelebte Haftung ist Rechtsfolge unberechtigter Ausschüttung, weshalb der Gesellschaft ein zwar im Gesellschaftsverhältnis gründender, jedoch nicht auf dem Rechtsgrund der persönlichen Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten beruhender Anspruch auf Wiederauffüllung der Einlage zusteht.

V. Rechtswirkungen 1. Entstehung einer Naturalobligation Während § 11 Satz 1 StaRUG die Auslegungsregel zur Bestimmung des Planinhalts enthält, 22 folgt die rechtsgestaltende Umsetzung dieses (unterstellten) Planinhalts aus § 67 Abs. 2 StaRUG, der die entsprechende Befreiung des Schuldners in dem durch den Plan bestimmten Umfang als Planwirkung anordnet. Unbeschadet der konkreten Formulierung der Gestaltung der Rechte in dem Plan und des da- 23 mit einhergehenden Erlasses der Restforderung, sei er auch gem. § 397 BGB formuliert, kommt es – ebenso wie im Insolvenzplanverfahren – nicht zu einem Untergang des die Quote übersteigenden Teils der Forderung, sondern lediglich zur Begründung einer sog. unvollkommenen Verbindlichkeit (Naturalobligation).20 Die Forderung ist nicht mehr erzwingbar, bleibt aber erfüllbar.21

18 Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 11 StaRUG Rz. 16; Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 11 StaRUG Rz. 29 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 19 Ebenso Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 11 StaRUG Rz. 30 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 20 Für das Insolvenzverfahren BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271. 21 Vgl. Böhm in Braun, 2021, § 11 StaRUG Rz. 3; Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 11 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Martini in HambKomm/InsO, 3. Aufl. 2022, § 11 StaRUG Rz. 6; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 11 StaRUG Rz. 10; Tasma in Flöther, 2021, § 11 StaRUG Rz. 2.

Hölzle | 297

§ 11 Rz. 24 | Haftung des Schuldners 24 Die Übertragbarkeit dieser zum Insolvenzplan ergangenen Rechtsprechung auch auf das

Restrukturierungsverfahren ist angesichts der unterschiedlichen dogmatischen Konstruktion beider Verfahren zwar nicht frei von Zweifeln.22 Da auf die Willensbildung der Planbetroffenen die Vorschriften über Abgabe, den Zugang und die Wirksamkeit von Willenserklärungen nach §§ 116 ff. BGB anwendbar sind und dasselbe auch für die Anwendung der anerkannten Regeln der Auslegung gilt, sowie nach § 67 Abs. 1 StaRUG mit der Bestätigung des Restrukturierungsplans die auf seine Annahme gerichteten Willenserklärungen Wirksamkeit entfalten,23 könnte zu schließen sein, dass der Erklärung der Planbetroffenen keine andere Wirkung beigemessen werden kann, als im Plan ausdrücklich vorgesehen. Regelt der Plan nun ausdrücklich einen Erlass gem. § 397 BGB, so fällt es schwer, dem im Wege der Auslegung eine abweichende Bedeutung beizumessen.

25 Allein letzteres ist nicht erforderlich, da sich die Wandlung der gestalteten Forderung in eine

unvollkommene Verbindlichkeit anstelle eines Erlasses nicht aus einer abweichenden Auslegung der Erklärung der Planbetroffenen, sondern aus der gesetzlichen Systematik unmittelbar ergibt. Wie im Recht des Insolvenzplans auch, folgt die beschränkte rechtliche Wirkung der auf einen Erlass gerichteten Willenserklärung mittelbar aus § 67 Abs. 4 StaRUG, der seine Entsprechung in § 254 Abs. 3 InsO findet, wonach der Gläubiger, der weitergehend befriedigt worden ist, als er nach dem Restrukturierungsplan zu beanspruchen hat, nicht zur Rückgewähr des erlangten verpflichtet ist, sowie aus § 69 Abs. 1 Satz 1 StaRUG, der § 255 Abs. 1 Satz 1 InsO entspricht, wonach im Falle des Verzugs des Schuldners mit den ihm aus dem Plan obliegenden Leistungen ein Wiederaufleben möglich ist.24 Beide Regelungen wären systematisch nicht zu erklären, würde der Erlass als solcher zivilrechtlich wirken.

2. Zeitpunkt der Befreiungswirkung 26 Für die Anwendung der insolvenzplanrechtlichen Parallelvorschrift des § 227 InsO ist um-

stritten, zu welchem Zeitpunkt die Entschuldung eintritt. § 11 Satz 1 StaRUG formuliert gleichlautend mit § 227 InsO, dass die Wirkung „mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Gläubiger“ eintritt. Dies deutet auf den Eintritt der Befreiungswirkung erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Erfüllung (§ 262 BGB) der sich aus dem Restrukturierungsplan ergebenden Verpflichtungen hin.25

27 Richtigerweise muss aber bereits auf den Zeitpunkt der Verkündung der Planbestätigungs-

entscheidung abgestellt werden.26 Dafür streiten insbesondere systematische Argumente:27 Gemäß § 69 Abs. 1 StaRUG ist die Beschränkung des Forderungsrechts im Falle eines im Restrukturierungsplan vorgesehenen Teilerlasses hinfällig, wenn der Schuldner mit der Erfüllung des nicht erlassenen Teils in Rückstand gerät; träte die Erlasswirkung aber erst mit der vollständigen Erfüllung ein, bedürfte es dieser Regelung nicht. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber diesen Widerspruch übersehen hat. Vielmehr ergibt sich aus § 67 Abs. 1 StaRUG eindeutig, dass die Wirkungen des Restrukturierungsplans bereits mit

22 23 24 25

Ebenso Martini in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 11 StaRUG Rz. 6 f. Zum Ganzen Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 17–19, 23 Rz. 3, 6 ff., § 67 Rz. 4. BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271. So zur InsO Rugullis, KTS 2012, 269, 274; Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, § 227 InsO Rz. 3 und § 254 InsO Rz. 8 m.w.N. (Stand: 71. EL April 2017). 26 Wie hier Böhm in Braun, 2021, § 11 StaRUG Rz. 5; Tasma in Flöther, 2021, § 11 StaRUG Rz. 3. Zur InsO statt aller Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 227 InsO Rz. 8 (dort allerdings zu recht mit der Rechtskraft der Planbestätigungsentscheidung als entscheidenden Bezugspunkt, da erst dieser im Insolvenzplanverfahren die Rechtswirkungen des Plans auslöst). 27 Wie hier insbesondere Tasma in Flöther, 2021, § 11 StaRUG Rz. 3.

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Neue Finanzierung | § 12

dessen Bestätigung eintreten. Allein dieser Zeitpunkt ist daher für den Eintritt der mit dem Plan zu erreichenden Gestaltungswirkung entscheidend. Jede andere Auffassung wäre auch mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbar: Träte die 28 Befreiungswirkung erst mit der vollständigen Erfüllung ein und sieht der Restrukturierungsplan z.B. neben einem Teilerlass die ratierliche und insoweit gestundete Befriedigung des bestehen bleibenden Teils der Verbindlichkeit vor, so würde die Befreiungswirkung hinsichtlich des zu erlassenden Teils erst mit vollständiger Befriedigung des gestundeten Teils der Verbindlichkeit, also zum Ende der Prolongation eintreten. Der zu erlassende Teil wäre solange weiterhin zu passivieren. Die bilanzielle Entschuldung wäre (vorerst) nicht erreicht. Da zudem das Ruhen der Insolvenzantragspflicht aus § 15a InsO nach § 42 StaRUG gem. § 33 Abs. 4 Nr. 2 StaRUG mit der rechtskräftigen Planbestätigung endet, würde der Schuldner daher, obgleich der Plan bestätigt worden ist, gegebenenfalls wieder insolvenzantragspflichtig. Anders als im Insolvenzplanverfahren ist der Zeitpunkt der Rechtskraft28 der Bestätigungsent- 29 scheidung unerheblich. In Umsetzung der Richtlinie treten die Gestaltungswirkungen des Plans bereits mit der Verkündung29 der Planbestätigungsentscheidung ein.30

§ 12 Neue Finanzierung 1

In den Restrukturierungsplan können Regelungen zur Zusage von Darlehen oder sonstigen Krediten aufgenommen werden, die zur Finanzierung der Restrukturierung auf der Grundlage des Plans erforderlich sind (neue Finanzierung). 2Als neue Finanzierung gilt auch deren Besicherung. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Richtlinienkonformität . . . . . . . . . . . . . V. Kein gesetzlicher Vorrang für neue Finanzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertraglicher Vorrang . . . . . . . . . . . . . . . 2. Struktureller Vorrang . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorrang durch Besicherung . . . . . . . . . . VI. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neue Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 5 5 12 15 19 20 26 29 33 33 34

3. VII. 1. 2. 3. VIII.

a) Darlehenszusagen (§ 12 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Kreditzusagen (§ 12 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Besicherung (§ 12 Satz 2 StaRUG) . . d) Stundungen, Prolongationen und Novationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Erforderlichkeit zur Finanzierung . . Nicht erfasste Vereinbarungen . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufnahme in den Restrukturierungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtungsprivileg gem. § 90 StaRUG Rechtsfolgen für Zwischenfinanzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 38 40 42 47 59 62 63 66 67 69

28 So aber Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 11 StaRUG Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 29 Böhm in Braun, 2021, § 11 StaRUG Rz. 5; Tasma in Flöther, 2021, § 11 StaRUG Rz. 3. 30 So auch BT-Drucks. 19/24181, S. 165.

Hölzle und Grell/Klockenbrink | 299

§ 12 Rz. 1 | Neue Finanzierung Schrifttum: Bork, Präventive Restrukturierungsrahmen: „Komödie der Irrungen“ oder „Ende gut, alles gut“?, ZIP 2017, 1441; Eckelt, Der präventive Restrukturierungsrahmen, 2020; Grell/Klockenbrink, Auswirkungen der Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen auf Fremdkapitalgeber, DB 2019, 1498; Heß, Die Restrukturierung des Insolvenzrechts: eine Analyse des Richtlinienentwurfs COM(2016) 723 final, 2019; Hoegen, Schutz für Sanierungsfinanzierungen: Zu Art. 16 und 17 des Richtlinienvorschlags der Europäischen Kommission vom 22.11.2016, COM(2016) 723 final, NZI-Beilage 2017, 30; Kayser, Eingriffe des Richtlinienvorschlags der Europäischen Union in das deutsche Vertrags-, Insolvenzund Gesellschaftsrecht, ZIP 2017, 1393; Krafczyk, Stundung und Prolongation als neue Finanzierung gem. § 12 StaRUG, ZRI 2021, 313; Madaus/Knauth, Die Wirkungsweise des Schutzes von Sanierungsfinanzierungen durch eine Restrukturierungsrichtlinie am Beispiel des unechten Massekredits, ZIP 2018, 149; Parzinger, Der Vorrang für neues Geld nach der Restrukturierungsrichtlinie, ZIP 2019, 1748; Sax/ Ponseck/Swierczok, Ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren für europäische Unternehmen, BB 2017, 323; Schluck-Amend/Hacker, Revolution der vorinsolvenzlichen Unternehmenssanierung?, WPg 2019, 737; Schmidt, Der Richtlinienvorschlag für präventive Restrukturierungsrahmen aus Bankensicht, WM 2017, 1735; Schoppmeyer, Sanierungsprivilegien im Insolvenzanfechtungsrecht nach dem StaRUG, ZIP 2021, 869; Zuleger, Kreditsicherheiten nach dem StaRUG, NZI-Beilage 2021, 43.

I. Regelungsgegenstand 1 § 12 StaRUG enthält eine Definition des Begriffs der „neuen Finanzierung“. Liegt eine solche

neue Finanzierung vor, hat der Schuldner sie mit in den Restrukturierungsplan aufzunehmen (dazu Rz. 63 f.). Darüber hinaus kommt der Norm kein eigener Regelungsgehalt zu. Sie schafft vielmehr die Basis für die anfechtungsrechtliche Privilegierung des § 90 StaRUG und ist deshalb auch im Zusammenhang mit dieser Vorschrift zu sehen. Auch § 63 Abs. 2 StaRUG knüpft an die Legaldefinition der neuen Finanzierung des § 12 StaRUG an, indem er besondere Prüfvorgaben für das den Plan bestätigende Gericht enthält (dazu § 63 Rz. 112 ff.). Während es im Restrukturierungsplan vornehmlich um Rechtsbeschränkungen der Planbetroffenen und um organisatorische Veränderungen geht, wird mit dem Normenkomplex der §§ 12, 89, 90 StaRUG die für den Sanierungserfolg oft unerlässliche Thematik des frischen Geldes1 adressiert, indem bestimmte Privilegierungen in §§ 89, 90 StaRUG im Hinblick auf Anfechtungs- und Haftungsrisiken geschaffen werden.2 Das Erfordernis einer gerichtlichen Planbestätigung für die Inanspruchnahme der Anfechtungsprivilegierung befindet sich direkt in § 90 StaRUG, nicht in § 12 StaRUG.3

II. Normzweck 2 Die Norm hat – anders als die meisten Vorschriften des StaRUG und insbesondere solche

zum Restrukturierungsplan – kein Vorbild im Insolvenzplanrecht. § 12 StaRUG steht innerhalb des Abschnitts zu den Anforderungen an den Restrukturierungsplan und beschränkt sich daher auch auf formelle Aspekte wie die Definition der neuen Finanzierung und die obligatorische Aufnahme in den Restrukturierungsplan. § 12 StaRUG schafft damit die Grundlage für die anfechtungsrechtliche Privilegierung nach § 90 StaRUG, die jedoch nicht explizit an die Begrifflichkeit der neuen Finanzierung, sondern generell an im Plan enthaltene Rege1 Zum Begriff des Fresh Money vgl. Fröhlich/Bächstädt in Buth/Hermanns, RSI, 5. Aufl. 2022, § 22 Rz. 17; Sax/Amer in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, Anh. 1 Abschn. 4 Rz. 516 ff.; Häuser in Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb., 6. Aufl. 2022, § 65 Rz. 7 ff. 2 Zur Bedeutung der neuen Finanzierung in der Unternehmenssanierung grundlegend Baums, Unternehmensfinanzierung, 2017, § 60 Rz. 1 ff.; Aleth/Wilkens in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, H., III., Rz. 65 ff.; Knops in Knops/Bamberger/Lieser, Recht der Sanierungsfinanzierung, 2. Aufl. 2019, § 14. 3 Anders wohl Tashiro in Braun, 2021, § 12 StaRUG Rz. 3.

300 | Grell/Klockenbrink

Neue Finanzierung | Rz. 6 § 12

lungen anknüpft. Die in § 12 StaRUG enthaltene Definition dient damit einerseits der Ermöglichung der Privilegierung, andererseits aber auch der Ein- und Begrenzung der safe-harbour-Regelung in § 90 StaRUG, indem sie die Voraussetzungen festlegt, unter denen die Bereitstellung neuer finanzieller Mittel planfähig ist.4 Erfüllt eine Vereinbarung zwischen dem Schuldner und einem Gläubiger nicht die Anforderungen des § 12 StaRUG, ist sie nicht planfähig und unterliegt folglich auch uneingeschränkt den Regeln zur Insolvenzanfechtung. Die bloße Aufnahme in den Restrukturierungsplan durch den Planersteller ersetzt – weder 3 bei der neuen Finanzierung noch generell – den wirksamen Vertragsschluss zwischen Schuldner und Gläubiger. Es sind daher zwei Möglichkeiten für einen rechtsverbindlichen Abschluss einer neuen Finanzierung denkbar: – Der Schuldner einigt sich mit einem bestehenden oder neuen Gläubiger außerhalb des Plans verbindlich auf die Bereitstellung neuer Mittel – diese Vereinbarung kann dabei die aufschiebende Bedingung der Annahme des Plans enthalten – und sie nehmen die Vereinbarung in den Plan auf, soweit sie den Anforderungen des § 12 StaRUG entspricht. Die Rechtsfolge einer Annahme des Plans und einer anschließenden Bestätigung wäre die Privilegierung nach § 90 StaRUG. – Der Planersteller nimmt auf Basis einer unverbindlichen Zusage die neue Finanzierung in den Plan auf und lässt hierüber abstimmen. Stimmt der planbetroffene Gläubiger, für den im Plan die Ausreichung neuer finanzieller Mittel vorgesehen ist, mit „Ja“, erklärt er damit auch seine zivilrechtliche Annahme nach §§ 145 ff. BGB. Dabei bietet es sich für den Planersteller an, eine ausdrückliche Regelung in den Plan aufzunehmen, wonach die Zustimmung zum Plan auch die Bereitstellung der in ihm ausgemachten Finanzierung beinhaltet. Weder § 12 StaRUG noch eine andere Vorschrift des StaRUG begründen eine Vorrangstel- 4 lung in einem anschließenden Insolvenzverfahren für Forderungen von Gläubigern, die eine neue Finanzierung begeben haben. Der Gesetzgeber hat keinen Gebrauch von der unionsrechtlichen Option für eine solche Vorrangstellung in Art. 17 Abs. 4 der RestrukturierungsRL gemacht (hierzu Rz. 19 ff.).

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage 1. Entstehungsgeschichte der relevanten Vorgaben der Richtlinie § 12 StaRUG geht – wie die meisten Normen des StaRUG – im Kern auf Vorgaben aus der 5 Restrukturierungs-RL zurück. Der gesamte Komplex der Privilegierung von neuen Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen basiert auf den Art. 10, 17, 185 der RestrukturierungsRL. Ergänzend sind dazu die ErwGr. 48 und 66–68 heranzuziehen.6 Da § 12 StaRUG insofern lediglich die Definition der neuen Finanzierung in deutsches Recht umsetzt, wird in Bezug auf die Entstehungsgeschichte der Art. 17, 18 auf die Kommentierung der §§ 89, 90 StaRUG verwiesen (s. dazu § 89 Rz. 11 ff.; § 90 Rz. 8 ff.). Die Definition der neuen Finanzierung war im Kommissionsvorschlag vom 22.11.2016 noch 6 in Art. 2 Nr. 11 enthalten und lautete in der deutschen Fassung: „von einem bestehenden oder einem neuen Gläubiger bereitgestellte neue Mittel, die für die Umsetzung eines Restrukturierungsplans erforderlich sind, in diesem Restrukturierungsplan vereinbart und anschließend von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde bestätigt wurden“. Ausgangsvoraussetzung für die Defi4 So auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 5 Vgl. hierzu die Kommentierung zu § 89 Rz. 11 ff., § 90 Rz. 8 ff. 6 Etwas abweichend Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Tashiro in Braun, 2021, § 12 StaRUG Rz. 1.

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§ 12 Rz. 6 | Neue Finanzierung nition der neuen Finanzierung sind demnach die neuen Mittel, die dem Schuldner bereitgestellt werden müssen. Die Reichweite dieses Begriffs wurde bereits im Rahmen der Restrukturierungs-RL diskutiert. Zwar gibt ErwGr. 66 Restrukturierungs-RL insgesamt vor, den Begriff weit auszulegen und beispielsweise darunter auch die Bereitstellung von Bürgschaften Dritter sowie von Waren, Vorräten, Rohstoffen oder Versorgungsdienstleistungen zu fassen. Einzelheiten waren allerdings trotzdem Gegenstand von Diskussionen, insbesondere im Hinblick auf den erfassten Katalog von Finanzierungsmitteln, die Verlängerung oder Ausweitung bestehender Finanzierungsmittel und eine eventuelle Besicherung.7 7 Erwähnt werden auch die potentiellen Quellen einer neuen Finanzierung, nämlich bestehen-

de und neue Gläubiger. Auch Anteilsinhaber können dabei Neufinanzierungsgeber sein. Das wird bei einem Blick in die Definition des Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 deutlich, die Anteilsinhaber als Personen, die am Unternehmen beteiligt sind, soweit sie keine Gläubiger sind, bestimmt. Anteilsinhabern wird nach der Richtlinie also eine Doppelrolle zugedacht, soweit sie zusätzlich als Gläubiger des Unternehmens auftreten.8 Sie können damit – wohlgemerkt nach der Richtlinie (zur Situation im StaRUG vgl. Rz. 36 sowie § 90 Rz. 45 ff.) – auch Gläubiger einer neuen Finanzierung sein.

8 Schließlich enthält die Begriffsdefinition noch drei weitere Voraussetzungen für eine neue Fi-

nanzierung: Sie muss für die Umsetzung des Restrukturierungsplans erforderlich sein (Erforderlichkeit), in ihm enthalten sein (Inkorporation) und der Plan muss von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde bestätigt werden (Bestätigungserfordernis).

9 Bereits im Kommissionsvorschlag war eine Differenzierung zwischen „neuer Finanzierung“

(Art. 2 Nr. 11) und „Zwischenfinanzierung“ (Art. 2 Nr. 12) angelegt.9 Zwar bezogen sich sowohl Art. 16 als auch Art. 17 insgesamt auf beide Finanzierungsarten, die Definitionen wurden aber getrennt. Diese formal-begriffliche Trennung hat der deutsche Gesetzgeber nicht vollständig in das StaRUG implementiert (zur Abgrenzungsfrage im StaRUG vgl. Rz. 59 ff.).

10 In der finalen Fassung der Richtlinie haben sich im Vergleich zum Kommissionsvorschlag bei

genauem Blick noch einige Dinge geändert: Einerseits wurde das Bestätigungserfordernis für Pläne mit neuer Finanzierung aus der Definition der neuen Finanzierung ausgenommen. Es wurde allerdings nicht vollständig entfernt, sondern lediglich verschoben (in der finalen Fassung befindet es sich in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b). Inhaltlich ergibt sich diesbezüglich damit kein Unterschied zur Fassung des Kommissionsvorschlags. Darüber hinaus ist auch das Erforderlichkeitskriterium in der Definition der neuen Finanzierung nicht mehr vorhanden. Auch dieses ist nicht vollständig gestrichen, sondern lediglich in den Art. 10 Abs. 2 Buchst. e verschoben worden. Die Definition der neuen Finanzierung befindet sich nun in Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 und lautet: „von einem bestehenden oder einem neuen Gläubiger zur Umsetzung eines Restrukturierungsplans bereitgestellte neue finanzielle Unterstützung, die in diesem Restrukturierungsplan enthalten ist“. Im Unterschied zum Kommissionsvorschlag ist durch die neue Formulierung der Definition „zur Umsetzung“ („in order to implement“) allerdings ein weiteres Kriterium in Form einer Zweckbindung (zur Umsetzung des Restrukturierungsplans) hinzugekommen.10

11 Sowohl im Kommissionsvorschlag (Art. 16 Abs. 2) als auch in der späteren finalen Richtlinie

(Art. 17 Abs. 4) ist die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten vorgesehen, den Neufinanzierungsgebern oder Zwischenfinanzierungsgebern eine Vorrangstellung gegenüber gleich- oder nachrangigen Gläubigern einzuräumen (zum Nichtgebrauch dieser Option in Deutschland vgl. Rz. 19 ff.). 7 Vgl. Hoegen, NZI-Beilage 2017, 30, 30 f.; Sax/Ponseck/Swierczok, BB 2017, 323, 328; Heß, Restrukturierung des Insolvenzrechts, S. 211 ff.; Eckelt, Präventiver Restrukturierungsrahmen, S. 1166 ff. 8 Zutreffend so auch Eckelt, Präventiver Restrukturierungsrahmen, S. 1163 ff. 9 Vgl. dazu Fannon in Paulus/Damman, European Preventive Restructuring, 2021, Art. 2 Rz. 37 ff. 10 Vgl. dazu Eckelt, Präventiver Restrukturierungsrahmen, S. 1180 ff.

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Neue Finanzierung | Rz. 16 § 12

2. Entstehungsgeschichte der deutschen Umsetzung Die nun in § 12 StaRUG normierte Regelung war bereits in § 14 StaRUG des am 18.9.2020 12 veröffentlichten Referentenentwurfs in einer ganz ähnlichen Weise enthalten. In Satz 1 war die Definition der neuen Finanzierung geregelt („Regelungen zur Zusage von Darlehen oder sonstigen Krediten [...], die zur Finanzierung der Restrukturierung auf der Grundlage des Plans erforderlich sind“), in Satz 2 waren weitere vertragliche Vereinbarungen vorgesehen, die als neue Finanzierung im Sinne des Satz 1 gelten sollten („Prolongation oder Stundung von Forderungen und die Übernahme von Bürgschaften, die Abgabe von Garantien oder die Eingehung einer Mithaftung zur Absicherung einer neuen Finanzierung“). Im Vergleich zur Richtlinienvorgabe (dazu Rz. 10) engte der Entwurfsverfasser die Definition der neuen Finanzierung also insoweit ein, als dass statt der europarechtlich vorgesehenen „neuen finanziellen Unterstützung“ nur noch „Darlehen und sonstige Kredite“ umfasst sein sollten.11 In Satz 2 sollten als neue Finanzierung explizit auch die Prolongation und die Stundung von Forderungen, sowie die Übernahme von Bürgschaften, die Abgabe von Garantien oder die Eingehung einer Mithaftung zur Absicherung einer neuen Finanzierung nach Satz 1 – also nur Personalsicherheiten – gelten. Neben geringen sprachlichen Änderungen in Satz 1 wurde im Regierungsentwurf vom 13 9.11.2020 der Satz 2 dann bedeutend verändert: Die Prolongation und die Stundung von Forderungen wurden aus dem Satz 2 gestrichen (zur Bedeutung Rz. 42 ff.). Ferner wurde nach Kritik der TMA Deutschland e.V.12 an der Beschränkung auf Personalsicherheiten im RefE die Aufzählung der Bürgschafts-, Garantie- und Mithaftungsbesicherung durch den deutlich weiteren Begriff der „Besicherung“ ersetzt (hierzu Rz. 40 ff.). Schließlich änderte sich durch die Streichung der §§ 2, 3 RegE die finale Position der Norm zu 14 § 12 StaRUG.

IV. Richtlinienkonformität In zwei Punkten ist der deutsche Gesetzgeber auf den ersten Blick den europäischen Vor- 15 gaben der Restrukturierungs-RL nicht vollständig gefolgt. Während in Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 und in Art. 8 Abs. 1 Buchst. g Ziff. vi Restrukturierungs-RL vorgesehen ist, dass neue Finanzierungen zwingend im Restrukturierungsplan aufzunehmen sind, erweckt § 12 Satz 1 StaRUG den Eindruck, dies stünde im Ermessen des Planerstellers (so der Wortlaut des Satz 1 „können“). Diese Formulierung ist misslich, kann aber im Wege einer europarechtsfreundlichen Auslegung in Einklang mit der Richtlinie gebracht werden (ausführlich unter Rz. 63 ff.). Ein weiterer – damit zusammenhängender – Punkt ist die im StaRUG vorgesehene Möglich- 16 keit, Pläne mit einer neuen Finanzierung nicht vom Restrukturierungsgericht nach §§ 60 ff. 11 Dies wurde vom Deutschen Factoring Verband e.V. in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) v. 2.10.2020 ausdrücklich kritisiert, S. 2 f., abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/100220_Stellungnahme_DFV_RefE_Fortenwicklung_Insolvenzrecht.pdf;jsessionid=0B6D9E7AE93829B1504035C05D16472A.2_cid324?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 22.7.2022). 12 Stellungnahme der Gesellschaft für Restrukturierung – TMA Deutschland e.V. zum Referentenentwurf v. 18.9.2020 eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), S. 3, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/ 100220_Stellungnahme_TMA_RefE_Fortenwicklung_Insolvenzrecht.pdf;jsessionid=0B6D9E7AE93829B1504035C05D16472A.2_cid324?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 22.7.2022).

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§ 12 Rz. 16 | Neue Finanzierung StaRUG bestätigen zu lassen. Das widerspricht Art. 10 Abs. 1 Buchst. b RestrukturierungsRL, nach dem Restrukturierungspläne zu ihrer Verbindlichkeit zwingend von einer Justizoder Verwaltungsbehörde zu bestätigen sind, wenn sie eine neue Finanzierung enthalten („[...] zumindest folgende Restrukturierungspläne für die Parteien nur verbindlich sind, wenn sie von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde bestätigt werden: b) Restrukturierungspläne, die eine neue Finanzierung vorsehen“).13 Die europäische Norm beinhaltet dabei auch keine der vielen Öffnungsklauseln,14 die den Mitgliedstaaten Ermessensspielraum bei der Umsetzung einräumen. Unterstrichen wird diese Aussage noch einmal von ErwGr. 48 der RestrukturierungsRL. Das hat daher auch für den Fall zu gelten, in dem alle Planbetroffenen dem Restrukturierungsplan einstimmig zustimmen. Die Vorgaben der Restrukturierungs-RL sind insoweit eindeutig: Einigen sich die Parteien auf eine neue Finanzierung, ist sie nicht nur zwingend in den Restrukturierungsplan aufzunehmen, sondern auch über die Planbestätigung vom Gericht konsentieren zu lassen. Die Ratio dieses Erfordernisses ist, die in der Restrukturierungs-RL vorgesehene Justiz- oder Verwaltungsbehörde (im Falle von Deutschland: das Restrukturierungsgericht) die Voraussetzungen für eine Privilegierung der neuen Finanzierung prüfen zu lassen.15 Das soll missbräuchlichen Gestaltungen im Restrukturierungsplan vorbeugen, bei denen neue Finanzierungsmittel unberechtigt von den Anfechtungs- und Haftungserleichterungen sowie von der für die Mitgliedstaaten optionalen Vorrangregelung (dazu Rz. 19 ff.) profitieren. Laut Art. 10 Abs. 2 Buchst. e Restrukturierungs-RL soll ein Plan mit neuer Finanzierung nur bestätigbar sein, wenn die neue Finanzierung zur Umsetzung des Restrukturierungsplans erforderlich ist und die Interessen der Gläubiger nicht in unangemessener Weise beeinträchtigt werden. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es den Mitgliedstaaten von Seiten des Richtliniengebers offengelassen wurde, einen weitergehenden Vorrang der neuen Finanzierung bis hin zu einer sog. Super-Senior-Stellung zu regeln. Das Bestätigungserfordernis der Richtlinie mit seinen strengen Prüfvorgaben musste also auch antizipieren, dass die Mitgliedstaaten von dieser weitreichenden Besserstellung Gebrauch machen, und rechtfertigt sich auch nur vor diesem Hintergrund. 17 Im StaRUG ist in § 63 Abs. 2 StaRUG (zu Einzelheiten vgl. § 63 Rz. 112 ff.) ein spezielles

Prüfprogramm für das Restrukturierungsgericht vorgesehen, wenn es einen Restrukturierungsplan konsentieren soll. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass ein Restrukturierungsplan mit neuer Finanzierung zwingend dem Restrukturierungsgericht zur Bestätigung vorzulegen wäre.16 Auch im Wege einer europarechtsfreundlichen Auslegung ist ein solches Ergebnis nicht zu erreichen, ohne sich einer Auslegung praeter legem zu bedienen. Auch sonst enthält weder der Gesetzestext noch die Regierungsbegründung Hinweise auf ein Planbestätigungserfordernis für die genannten Fälle. Es ist daher davon auszugehen, dass es bei der allgemeinen Regel bleiben soll, wonach eine Planbestätigung für die Wirksamkeit des Plans nur dann notwendig ist, wenn zumindest ein Planbetroffener gegen den Plan gestimmt hat, sich enthalten hat oder nicht an der Abstimmung teilgenommen hat, § 67 Abs. 1 StaRUG. In den Fällen der einstimmigen Annahme benötigt es kein Planbestätigungsverfahren, unabhängig von der Aufnahme einer neuen Finanzierung.

18 Relevant wird dies zwar nur in den Fällen der einstimmigen Planannahme. Für die Gläubiger

ergibt sich allerdings in diesen Fällen eine missliche Situation: Dem Schuldner obliegt es gem. § 60 StaRUG grundsätzlich, ob er eine Planbestätigung beantragt oder nicht. Tut er dies nicht, profitiert die neue Finanzierung nicht von der Privilegierung in § 90 StaRUG und ist unter

13 So auch zutreffend Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 4 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ausführlich Jungmann, WM 2022, 353, 354 ff. 14 Laut Dahl/Linnenbrink, NJW-Spezial 2020, 21 enthält die Restrukturierungs-RL ca. 70 Öffnungsklauseln. 15 Garcimartin in Paulus/Damman, European Preventive Restructuring, 2021, Art. 10 Rz. 25. 16 So auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

304 | Grell/Klockenbrink

Neue Finanzierung | Rz. 21 § 12

den Voraussetzungen der einschlägigen Normen ohne Einschränkungen in einer Folgeinsolvenz anfechtbar.17 Gleichzeitig riskiert der Schuldner aber auch keine Zurückweisung des Plans durch das Gericht. Aufgrund der einstimmigen Annahme braucht es zur Wirksamkeit des Plans inklusive der in ihm enthaltenen neuen Finanzierung (das schließt auch deren Besicherung mit ein) keine Planbestätigung, sie ist also in Gänze wirksam.18 Um sich vor dem Risiko einer nicht privilegierten Mittelgewährung zu schützen, empfiehlt es sich aus Sicht der Gläubiger, den Schuldner im Finanzierungsvertrag zu verpflichten, eine Planbestätigung durchführen zu lassen oder den Finanzierungsvertrag unter die aufschiebende Bedingung der Planbestätigung zu stellen.19

V. Kein gesetzlicher Vorrang für neue Finanzierungen Der deutsche Gesetzgeber hat sich trotz der in Art. 17 Abs. 4 Restrukturierungs-RL eröffneten 19 Möglichkeit gegen die Regelung einer gesetzlichen Vorrangstellung für neue Finanzierungen in einem späteren Insolvenzverfahren des Schuldners entschieden.20 Den mannigfaltigen Privilegierungsvorschlägen in der Literatur21 zum Trotz, bleibt nur der gesetzliche Haftungsund Anfechtungsschutz im Rahmen der §§ 89, 90 StaRUG.

1. Vertraglicher Vorrang Das bedeutet auf der anderen Seite jedoch nicht, dass eine vorrangige Befriedigung nicht auf 20 vertraglicher Ebene zwischen den Beteiligten vereinbart werden könnte, sowohl für die außerinsolvenzliche Phase als auch für die Insolvenz.22 Dies wird vor dem Hintergrund, dass das deutsche Insolvenzrecht für unbesicherte Gläubiger keine gesetzliche Vorrangstellung23 kennt – sieht man einmal von den §§ 264, 265 InsO ab, die wiederum eine entsprechende Insolvenzplanregelung voraussetzen und nicht automatisch privilegieren24 –, in der Praxis bereits mithilfe sog. „Wasserfallregelungen“ gelöst. Im Folgenden sollen daher denkbare Vertragsgestaltungen vorgestellt werden, mit denen den Neufinanzierungsgebern eine vorrangige Befriedigung verschafft werden kann. Da das deutsche Insolvenzrecht keine vertragliche Vorrang-, sondern nur Nachrangstellun- 21 gen kennt (§ 39 Abs. 2 InsO),25 muss eine vertragliche Gestaltung immer die anderen Gläubiger in den Blick nehmen, die im Verhältnis zu den Neufinanzierungsgebern zurücktreten können. Richtig ist, dass im Plan keine dem § 264 InsO entsprechende pauschale Besserstellung

17 So auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 18 A.A. in Bezug auf die Sicherheiten Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 19 Ebenso Jungmann, WM 2022, 353, 354 ff. 20 Kritisch dazu Knauth, NZI 2021, 158, 162; Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 45; in diese Richtung auch Bismarck/Schulz/Steiger in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierungen und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2 B. IX., Rz. 6. 21 S. nur Parzinger, ZIP 2019, 1748 m.w.N.; Grell/Klockenbrink, DB 2019,1498, 1493; Brömmekamp, ZInsO 2016, 500, 505; Kayser, ZIP 2017, 1393, 1400; Madaus/Knauth, ZIP 2018, 149, passim; Madaus/ Wessels, KTS 2018, 247, 259; Bork, ZIP 2017, 1441, 1446 f.; Mock, NZI 2016, 977, 980 f.; Schmidt, WM 2017, 1735, 1743; Schluck-Amend/Hacker, WPg 2019, 737, 743. 22 Vgl. auch Bismarck/Schulz/Steiger in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierungen und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2 B. IX., Rz. 6. 23 Dazu bereits Grell/Klockenbrink, DB 2019, 1498, 1493; Bork, ZIP 2017, 1441, 1446 f. 24 Zu einer solchen automatischen Privilegierung in Polen Madaus/Wessels, KTS 2018, 247, 259. 25 Vgl. Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 22 Rz. 60.

Grell/Klockenbrink | 305

§ 12 Rz. 21 | Neue Finanzierung einer Gläubigergruppe vorgesehen werden kann,26 möglich ist aber durchaus, im Plan konkret zu gestaltende Forderungen hinter die Forderungen, die sich aus seiner neuen Finanzierung ergeben, zurücktreten zu lassen. 22 In der Regel wird es sich anbieten, an bereits bestehende Interkreditorenvereinbarungen (In-

tercreditor Agreements) zwischen den Gläubigern, die im Falle von Konsortialfinanzierungen oftmals in der ein oder anderen Ausprägung bereits vorliegen werden, anzusetzen. Deren Gestaltbarkeit ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Satz 3 StaRUG (dazu § 2 Rz. 170 ff.). Soweit Interkreditorenvereinbarungen zwischen den Gläubigern noch nicht existieren, muss in die einzelnen bilateralen Verträge eingegriffen werden (dazu Rz. 25). Eine Interkreditorenvereinbarung kann zwischen den Gläubigern jedenfalls nicht zwangsweise abgeschlossen werden. In einem ersten Schritt müssen die Neufinanzierungsgeber in der vertraglichen Befriedigungsreihenfolge der Interkreditorenvereinbarung erst einmal aufgeführt werden, soweit sie in der Rangfolge noch nicht vorgesehen sind, beispielsweise weil sie nicht Teil des Konsortiums sind. Die Rangvereinbarung müsste also so angepasst bzw. neu geregelt (zur Neuaufnahme von Klauseln Rz. 23) werden, dass klar ist, welche der an der Vereinbarung teilnehmenden Gläubiger in welcher Weise bessergestellt werden sollen. Eine Vorrangstellung kann deswegen auch nur im Verhältnis zu den anderen an der Vereinbarung beteiligten Gläubigern realisiert werden (dazu Rz. 24). In einem zweiten Schritt muss sichergestellt werden, dass die Bevorzugung der Neufinanzierungsgeber auch faktisch stattfindet und nicht durch Zahlungen des Schuldners an nachrangige Gläubiger unterlaufen werden kann. Hierfür sind im Wesentlichen vier Optionen denkbar: (1.) Es kann ein Abtretungsmodell vorgesehen werden, das nachrangige Gläubiger bei Erhalt einer dem Rangverhältnis widersprechenden Zahlung verpflichtet, dem Neufinanzierungsgeber eine Forderung abzukaufen, die dieser dem nachrangigen Gläubiger dann abtritt.27 (2.) Genauso kann ein Erfüllungsmodell vereinbart werden, das Zahlungen entgegen der festgelegten Reihenfolge keine Erfüllung zukommen lässt (antizipierte Tilgungszweckbestimmung). Die so erhaltenen Mittel müsste der Gläubiger dann an den Sicherheitentreuhänder auskehren, der sie dann entsprechend verteilen kann. (3.) Auch sog. Turnover Provisions, die den nachrangigen Gläubiger verpflichten, die erhaltenen Mittel zu separieren, treuhänderisch für den Neufinanzierungsgeber zu verwahren und – ggf. mittelbar über den Konsortialführer oder den Sicherheitentreuhänder – an ihn auszukehren, sind möglich. (4.) Schließlich könnte auch eine generelle Einziehungsermächtigung für den Sicherheitentreuhänder geregelt werden, der die Mittel in der Folge dann pari passu an die jeweiligen Gläubiger entsprechend der Rangfolge auskehrt.

23 Diese Gestaltungen sind auch möglich, wenn die bestehende Interkreditorenvereinbarung bis-

lang keine Aussagen zu einer Rangfolge enthält (s. hierzu auch § 2 Rz. 186 ff.).28 Mit dem Restrukturierungsplan können also auch völlig neue Bestimmungen in das Vertragsverhältnis aufgenommen werden. Dies wird teilweise zwar deswegen bestritten, weil die Gestaltungsoptionen im Plan sonst zu weit gingen und die Beteiligten ihr Vertragsverhältnis sonst nicht „wiedererkennen“ würden.29 Dabei muss jedoch gesehen werden, dass der Gesetzgeber die Gestaltungsoptionen in den §§ 2, 7, 13 StaRUG bewusst sehr weit gefasst hat30 und der Wortlaut „Gestaltung“ auch die Neuaufnahme von Einzelbestimmungen einschließt. Praktisch lässt sich oft zudem gar nicht auseinanderhalten, was eine Änderung bestehender Regelungen und 26 So auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 40 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 27 Dazu generell Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl. 2019, § 35 Rz. 15 f. 28 A.A. Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 54; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 80 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1125 f. 29 Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 54. 30 Mit Verweis auf die weite Definition der Restrukturierung in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 RestrukturierungsRL; vgl. auch Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 1, die zurecht darlegen, dass das Instrumentarium des Restrukturierungsplans in zweifacher Hinsicht über die Möglichkeiten im Insolvenzplan hinausgeht.

306 | Grell/Klockenbrink

Neue Finanzierung | Rz. 26 § 12

was eine Neuaufnahme ist. Auch aus Schutzgesichtspunkten ist eine solche Differenzierung nicht notwendig, denn die Änderung bestehender Regelungen kann für den Planbetroffenen belastender sein als die Neuaufnahme. In jedem Falle werden mit dem Restrukturierungsplan Änderungen herbeigeführt, auf die sich die Vertragspartner so bisher nicht geeinigt haben; das „Nicht-Wiedererkennen“ kann daher kein Argument für die Beschränkung auf bereits existierende Einzelbestimmungen sein. In Bezug auf die Planabstimmung hätte eine gesetzliche Regelung im Ergebnis keinen we- 24 sentlichen Unterschied zu einer vertraglichen Gestaltung bedeutet, denn – geht man davon aus, dass der Gesetzgeber die Vorrangstellung ohnehin nur unter der Voraussetzung einer entsprechenden Planregelung und einer gerichtlichen Bestätigung vorgesehen hätte – dann hätten die Planbetroffenen genauso über den Plan abstimmen müssen. Auch ein solcher Plan hätte die notwendigen Mehrheiten erreichen müssen. Im Vergleich zur gesetzlichen Privilegierung müssen jedoch die einzelnen Rechtsverhältnisse – seien es die Interkreditorenvereinbarungen oder die Kreditverträge zwischen Schuldner und Gläubiger – jeweils separat gestaltet werden, was für den Schuldner und dessen Berater einen höheren Aufwand bei der Ausarbeitung des Plans bedeutet. Darüber hinaus ist es nur möglich, einen subjektiven Vorrang gegenüber den Gläubigern in der Interkreditorenvereinbarung bzw. gegenüber den bestehenden Gläubigern, in deren Forderung eingegriffen werden kann, einzuräumen. Zukünftige oder nicht einbezogene Gläubiger stehen als reguläre unbesicherte Gläubiger in einer späteren Insolvenz in demselben Rang wie die vertraglich privilegierten Neufinanzierungsgeber; auch das hätte mittels einer gesetzlichen Regelung anders geordnet werden können.

Besteht zum Zeitpunkt der Planabstimmung keine Interkreditorenvereinbarung, kann der ver- 25 tragliche Vorrang nur mit Eingriffen in die jeweiligen bilateralen Verträge umgesetzt werden. Zwar sind Nebenbestimmungen nach § 2 Abs. 2 StaRUG ausdrücklich nur in multilateralen Verträgen gestaltbar, bei der Regelung eines Rangrücktritts wird aber die Durchsetzbarkeit der Hauptforderung an sich berührt, so dass Rangrücktritte richtigerweise auch in bilateralen Verträgen gestaltbar sind, ggf. als Vertrag zugunsten Dritter. Insoweit bestehen gewisse Parallelen zu einer Fälligkeitsregelung, die unstreitig möglich ist.31 In die jeweiligen Verträge kann daher sowohl ein in der späteren Insolvenz des Schuldners relevanter qualifizierter Rangrücktritt wie auch ein nur vorinsolvenzlich relevanter relativer Rangrücktritt geschrieben werden.32 Als Alternative hierzu bleibt nur die – gleichwohl in der Insolvenz nicht durchgreifende – Privilegierung des last in first out, indem die Fälligkeiten der Neufinanzierungsgeber früher eintreten als die der anderen Gläubiger. So kann zumindest in Form eines zeitlichen Vorrangs33 erreicht werden, dass die Forderungen der bessergestellten Gläubiger nicht in die Insolvenz des Schuldners fallen.

2. Struktureller Vorrang Eine andere Option wäre es, die Gläubiger einer neuen Finanzierung dadurch besserzustellen, 26 indem man ihnen einen strukturellen Vorrang gegenüber den anderen Gläubigern des Schuldners einräumt. Ein solcher liegt dann vor, wenn die Gläubiger der neuen Finanzierung im Vergleich zu den übrigen Gläubigern einen Schuldner erhalten, der sich näher am operativen Geschäft des Unternehmens befindet. Das sind typischerweise Gesellschaften, die sich in der Konzernstruktur weiter „unten“ befinden. Der Vorteil läge darin, dass die Gläubiger von einem besseren Zugriff auf die Zahlungszuflüsse aus dem operativen Geschäft in den Unter-

31 Im Ergebnis so auch Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 7 StaRUG Rz. 10; Tasma in Flöther, 2021, § 7 StaRUG Rz. 8; wohl auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 7 StaRUG Rz. 29 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 32 Vgl. zu beidem Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, 2017, § 39 Rz. 26 ff. 33 Begriff angelehnt an Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, 2017, § 66 Rz. 19.

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§ 12 Rz. 26 | Neue Finanzierung gesellschaften profitieren, ohne dass entsprechende Mittel an die insoweit strukturell nachrangigen Obergesellschaften und deren Gläubiger fließen. 27 Als erste Variante einer solchen strukturellen Vorranggestaltung könnte die neue Finanzie-

rung in der Konzernstruktur weiter „unten“ angesetzt werden. Das würde bedeuten, die Gläubiger müssten die neuen Mittel an eine der Tochtergesellschaften geben. Diese Mittel könnten dann innerhalb der Konzernstruktur so eingesetzt werden, dass sie der Restrukturierung des StaRUG-Schuldners dienen (z.B. mittels Upstream-Darlehen oder im Rahmen eines Cashpools). Soweit andere Gesellschaften als die im StaRUG befindliche Gesellschaft Vertragspartner der Finanzierung werden, handelt es sich allerdings nicht mehr um neue Finanzierungen i.S.v. § 12 StaRUG. Zwar ist der Wortlaut von §§ 12, 90 StaRUG insoweit offen und auch der Regierungsbegründung ist ein solcher Ausschluss nicht zu entnehmen. Aber Sinn und Zweck der §§ 12, 90 StaRUG stehen einer solchen Konstruktion im Wege: Beide Normen treffen eine Grundsatzentscheidung im Interessenkonflikt zwischen den potentiellen Neufinanzierungsgebern und den späteren Insolvenzgläubigern des Schuldners. Würde man es zulassen, dass Kreditierungen an Tochtergesellschaften als neue Finanzierungen anfechtungsrechtlich (dann in einer Insolvenz der jeweiligen Tochtergesellschaft) privilegiert würden, würde man in die Rechtsposition der späteren Insolvenzgläubiger der Tochtergesellschaft eingreifen. Damit würde man das Eingriffspotential der §§ 12, 90 StaRUG erheblich ausweiten: Während bei den späteren Insolvenzgläubigern des StaRUG-Schuldners zumindest eine gewisse Nähe zum Restrukturierungsgeschehen besteht, ist das bei den späteren Insolvenzgläubigern von Tochtergesellschaften weniger der Fall. Die Gestaltungsvariante der neuen Finanzierung „weiter unten“ kann im Ergebnis also selbstverständlich vereinbart werden, profitiert dann aber nicht von der Anfechtungsprivilegierung der §§ 12, 90 StaRUG.

28 Die zweite Variante der Gestaltung eines strukturellen Vorrangs für die Neufinanzierungs-

geber nimmt die Forderungen anderer Gläubiger in den Blick. Ist es – wie eben gezeigt (Rz. 27) – nicht gewinnbringend, die neue Finanzierung weiter „unten“ anzubringen, dann könnten die anderen Forderungen ggf. auch weiter nach „oben“, d.h. weiter entfernt vom operativen Geschäft des Unternehmens, geschoben werden. Das würde einen sog. Debt-PushUp bedeuten, also die Übernahme der Verbindlichkeiten durch die Muttergesellschaft bzw. den Gesellschafter der StaRUG-Gesellschaft. Dies kann jedoch im Restrukturierungsplan nicht ohne die Zustimmung des Gläubigers durchgeführt werden (§ 414 Abs. 1 BGB).34 Man könnte zwar argumentieren, die Zustimmung des jeweiligen Gläubigers zu einem Schuldneraustausch ist auch nur eine Willenserklärung, die im Rahmen der Planabstimmung in den Grenzen der §§ 25 ff. StaRUG ersetzt werden kann. Auf der anderen Seite können die Rechtswirkungen des Plans eben nur so weit reichen, wie es das StaRUG zulässt. Wollte man argumentieren, dass ein Schuldnertausch als mildere Gestaltung, gewissermaßen als MinusMaßnahme, zur Forderungskürzung auf 0 zulässig sei, die ihrerseits unstreitig möglich ist, vgl. § 2 Rz. 61, so ließe man die möglichen Rechtsfolgen eines Schuldnertauschs außer Betracht. Zwingt man einem Gläubiger einen anderen Schuldner auf, können für ihn weitere Rechtspflichten entstehen, wie beispielsweise KYC-Pflichten oder aufsichtsrechtliche Anforderungen.35 Richtigerweise ist ein Schuldnertausch also keine Minus-Maßnahme, sondern ein rechtliches aliud, das nicht im Gestaltungskatalog der §§ 2, 7 StaRUG umfasst ist (zu Einzelheiten § 2 Rz. 74). Es bleibt damit nur, die Zustimmung der Gläubiger für eine solche Konstruktion einzuholen. Die Gestaltung über einen Debt-Push-Up kann somit nur dann weiterhelfen, wenn sich die Beteiligten ohnehin auf eine Vorrangstellung der Neufinanzierungsgeber geeinigt haben. 34 Im Ergebnis so auch Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 22; nicht ganz klar ist die Lage beim Insolvenzplan, wohl für eine Gestaltbarkeit Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 224 InsO Rz. 19. 35 So auch Westpfahl/Dittmar in Flöther, 2021, § 2 StaRUG Rz. 2.

308 | Grell/Klockenbrink

Neue Finanzierung | Rz. 33 § 12

3. Vorrang durch Besicherung Eine weitere Möglichkeit, eine bessere Position für die Neufinanzierungsgeber herzustellen, ist 29 ihre vorteilhaftere Besicherung. Unabhängig davon, dass die Besicherung einer neuen Finanzierung selbst über Satz 2 und § 90 StaRUG anfechtungsprivilegiert wird und diese Variante damit incentiviert wird, bestehen zwei Möglichkeiten zur besseren Besicherung: Zunächst können die Neufinanzierungsgeber im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern recht- 30 lich vorteilhafter besichert werden. Eine solche rechtlich bessere Besicherung könnte einerseits über eine bessere Rangstellung bei den jeweiligen Sicherheiten erreicht werden: – Bei Grundpfandrechten ist eine erstmalige Rangvereinbarung nach den Voraussetzungen des § 879 BGB und eine nachträgliche Rangänderung gem. dem § 880 BGB möglich. Die Zustimmung des im Rang zurücktretenden Sicherungsnehmers kann im Wege eines gruppeninternen Cram-down nach § 25 StaRUG oder gruppenübergreifenden Cram-down nach §§ 26 ff. StaRUG ersetzt werden. – Bei sonstigen Pfandrechten muss aufgrund des Prioritätsprinzips (für Pfandrechte an beweglichen Sachen in § 1209 BGB angeordnet) ggf. eine Neubestellung des zu privilegierenden Pfandrechts erfolgen. – Diese Vorgehensweise würde bei Sicherungszessionen allerdings nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen, denn zeitlich nachgelagerte Abtretungen sind grundsätzlich nichtig.36 Andererseits könnte eine rechtliche Besserstellung auch dadurch erfolgen, dass Neufinanzie- 31 rungsgeber im Vergleich zu den anderen Gläubigern überhaupt besichert werden. Sind andere Gläubiger bereits besichert, könnte über eine im Plan vorgesehene – je nach Situation notfalls auch zwangsweise durchgesetzte – Sicherheitenfreigabe der übrigen Gläubiger erreicht werden, dass die Neufinanzierungsgeber als einzige besicherte Gläubiger übrig bleiben. Als zweite Möglichkeit zur besseren Besicherung von Neufinanzierungsgebern käme es in Be- 32 tracht, zwar keine rechtliche, gleichwohl aber eine wirtschaftlich bessere Besicherung zu vereinbaren. Aus rechtlicher Perspektive bestünde zwar formal kein Unterschied zwischen den Neufinanzierungsgebern und den anderen Gläubigern, aber für erstere könnte durch Stellung wirtschaftlich aussichtsreicherer Sicherheiten ein Vorteil gewährt werden. Immobiliarsicherheiten oder Sicherungsübereignungen von Gegenständen des Umlaufvermögens sind in der Regel im Insolvenzfalle werthaltiger als Pfandrechte an Anteilen ebendieser insolventen Gesellschaft. Auch möglich wäre die Besicherung durch operativ tätige Tochtergesellschaften, die gewissermaßen einen strukturellen Vorrang auf Sicherheitenebene gewähren würden.

VI. Tatbestand 1. Überblick Die Norm enthält neben einer Aufzählung der inhaltlich planfähigen Vereinbarungen (Dar- 33 lehen, sonstige Kreditzusagen und deren Besicherung) das Kriterium der Erforderlichkeit. Liegen beide Voraussetzungen vor, ist die Vereinbarung in den Restrukturierungsplan aufzunehmen (s. unter Rz. 63 f.).

36 Sie können zwar im Wege der Konvaleszenz unter gewissen Umständen nachträglich wieder neu entstehen, es kann so aber ein Vorrang vor der anderen Abtretung erreicht werden, vgl. Ganter in Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb., 6. Aufl. 2022, § 75 Rz. 177.

Grell/Klockenbrink | 309

§ 12 Rz. 34 | Neue Finanzierung

2. Neue Finanzierung 34 In § 12 Satz 1 StaRUG wird zwischen der Zusage von Darlehen und sonstigen Krediten unter-

schieden. Satz 2 erweitert den Begriff der neuen Finanzierung auf die Besicherung von Forderungen aus den in Satz 1 genannten Vereinbarungen im Wege einer unwiderlegbaren Fiktion. Weder das Gesetz noch die Regierungsbegründung enthalten Definitionen für diese Begrifflichkeiten.

a) Darlehenszusagen (§ 12 Satz 1 StaRUG) 35 Mangels nationaler Vorgaben zur Auslegung des Begriffs ist der erste Ansatzpunkt die Anwei-

sung zur extensiven Interpretation des Begriffs der „finanziellen Hilfen“ in ErwGr. 66 der Restrukturierungs-RL, da der Gesetzgeber ausweislich der Regierungsbegründung die korrespondierende Norm in Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 Restrukturierungs-RL umsetzt. Der Darlehensbegriff ist daher nicht ausschließlich auf Gelddarlehen i.S.v. §§ 488 ff. BGB zu beziehen, sondern auch auf Sachdarlehen gem. §§ 607 ff. BGB.37 Das gilt unabhängig von deren konkreter Ausgestaltung (Seniorität, Fristigkeit, Verwendungszweck, etc.), erforderlich ist jedoch stets, dass der Schuldner Darlehensnehmer ist. Unerheblich ist auch die Anzahl der Parteien, so dass auch Konsortialstrukturen erfasst sind. Da auch Schuldscheindarlehen38 Darlehen im zivilrechtlichen Sinne darstellen, fallen auch diese unter den Begriff des Darlehens nach Satz 1. Auch umfasst sind die vom Gesetz in § 54 Abs. 2 StaRUG a.E. als „anderweitige Vereinbarungen“ bezeichneten Verträge zwischen Restrukturierungsschuldner und Gläubiger zur Einsetzung der zu separierenden/auszukehrenden Erlöse aus der Verwertung revolvierender Kreditsicherheiten (bereits als „unechte Restrukturierungs-39 oder Stabilisierungskredite“40 bezeichnet) während einer Stabilisierungsanordnung. Da die Stabilisierungsanordnung spätestens mit der rechtskräftigen Planbestätigung endet (§ 59 Abs. 4 Alt. 1 StaRUG, ausführlich dazu § 59 Rz. 49) und mit ihr auch die Auskehr- bzw. Separierungsverpflichtung des § 54 Abs. 2 StaRUG, kann es jedoch sein, dass die angesprochene Kreditierung nicht mehr „zur Finanzierung der Restrukturierung auf der Grundlage des Plans erforderlich“ ist. Im Ergebnis betrifft das die Frage nach der Abgrenzung zwischen neuer Finanzierung und Zwischenfinanzierung (dazu Rz. 59 ff.). Als neue Finanzierung kann ein solcher Kredit eingestuft werden, wenn er beispielweise über den Zeitpunkt der Bestätigung hinausläuft und für die weitere Restrukturierung notwendig ist.

36 Anders als die europäische Definition der neuen Finanzierung (dazu Rz. 10) geht die deutsche

nicht auf die Person des Darlehensgebers ein. Es ist demnach zumindest für den § 12 StaRUG unerheblich, ob das neue Darlehen von einem bestehenden Gläubiger, einem neuen Gläubiger, einem Gesellschafter oder einem verbundenen Unternehmen zugesagt wird. Das widerspricht nicht der europäischen Vorgabe, da auch diese eine Gläubigerstellung eines Gesellschafters zulässt (dazu Rz. 7). Gesellschafterdarlehen werden auf Ebene des § 90 StaRUG allerdings grundsätzlich nicht privilegiert (vgl. dazu § 90 Rz. 45 ff.).

37 Aus der Formulierung „Zusage“ ergibt sich, dass nicht die gesamte Finanzierungsdokumenta-

tion selbst planfähig sein soll, sondern lediglich die grobe Darstellung der wesentlichen Ver-

37 So auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); bereits zum RefE Thole, ZIP 2020, 1985, 1989. 38 Hierzu Steffek in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankR-Kommentar, 3. Aufl. 2020, 12. Kapitel IV Rz. 32; Hüther in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, C., Rz. 225 ff.; Wehrhahn, BKR 2012, 363. 39 Knauth, NZI 2021, 158; Trowski, NZI 2021, 297. 40 Hölzle in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierungen und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2 B. V., Rz. 76 f.

310 | Grell/Klockenbrink

Neue Finanzierung | Rz. 40 § 12

tragsinhalte wie Vertragsparteien, Art der Kreditierung, Laufzeiten, Verzinsung, Besicherung, usw.41 b) Sonstige Kreditzusagen (§ 12 Satz 1 StaRUG) Der Begriff der sonstigen Kreditzusagen fungiert als Auffangtatbestand für alles, was formal- 38 rechtlich nicht unter den Begriff des Darlehens subsumiert werden kann, dem Schuldner aber trotzdem Mittel im Wege der Kreditierung überlässt.42 Entsprechend der in ErwGr. 66 der Restrukturierungs-RL aufgezählten Beispiele zählen zu den sonstigen Krediten auch Warenbzw. Lieferantenkredite, die dem Schuldner ein Zahlungsziel für die Erbringung der Gegenleistung gewähren.43 Die Leistung des zugrunde liegenden Vertrags kann also auch in der Lieferung von Waren, Vorräten oder Rohstoffen sowie in der Erbringung von Versorgungsdienstleistungen liegen. Stundet der Gläubiger des jeweiligen Vertrages die ihm zustehende Forderung also in einer Weise, die dem Schuldner einen wirtschaftlichen Wert beschert, liegt eine neue Finanzierung vor. Das kann sowohl die erstmalige Einräumung eines Zahlungsziels wie auch die nicht unerhebliche Erweiterung eines bestehenden Zahlungsziels sein. Der Kreditierung muss dabei ein wirtschaftlich relevanter Wert zukommen. Vereinbarungen, die ein marktübliches oder unerhebliches Hinausschieben der Fälligkeit vorsehen, können nicht als neue Finanzierung eingestuft werden.44 Auch Haftungskredite, bei denen der Gläubiger dem Schuldner dadurch mittelbar finanzielle 39 Mittel gewährt, indem er die Haftung für einen anderen Kredit des Schuldners übernimmt, fallen unter den Begriff der sonstigen Kredite. Dazu gehören Akzept-, Aval- und auch Akkreditivkredite.45 Da es sich in der Regel um Geschäftsbesorgungsverträge i.S.v. §§ 675 ff. BGB handelt, fallen diese nicht unter den Darlehensbegriff, sondern unter die sonstigen Kredite.46 c) Besicherung (§ 12 Satz 2 StaRUG) Der Begriff der neuen Finanzierung wird in § 12 Satz 2 StaRUG im Wege einer unwiderleg- 40 baren Fiktion („gilt“) auf deren Besicherung ausgeweitet. Die Beschränkung des RefE, in dem in Satz 2 ausschließlich Personalsicherheiten genannt waren, ist nach Kritik der TMA Deutschland e.V.47 im Regierungsentwurf aufgehoben worden. Daher spricht Satz 2 nun allgemein von „Besicherung“ und meint damit sämtliche Personal- und (auch revolvierende) Sachsicherheiten. Erforderlich ist allerdings, dass die Besicherung für eine neue Finanzierung im Sinne von Satz 1 bestellt wird. Der Besicherungsbegriff knüpft damit an die Definition in Satz 1 an und folgt ihm gewissermaßen. Ist eine Stundung oder Prolongation im Sinne des Satz 1 als neue Finanzierung zu bewerten, ist die neue oder erweiternde Besicherung hier41 42 43 44 45

Vgl. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). So auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). So schon zum RefE Thole, ZIP 2020, 1985, 1989. So im Ergebnis auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Vgl. Pamp in Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb., 6. Aufl. 2022, § 75, Rz. 5; generell dazu Binder in BeckOGK/BGB, § 488 BGB Rz. 4 (Stand: 15.6.2022); Steffek in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankRKommentar, 3. Aufl. 2020, 12. Kap. Rz. 6; Fandrich/Hofmann in MünchAnwHdb. Bank- und KapitalmarktR, 2. Aufl. 2018, § 6 Rz. 35 ff. 46 So auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 47 Vgl. die Stellungnahme der Gesellschaft für Restrukturierung – TMA Deutschland e.V. zum Referentenentwurf v. 18.9.2020 eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), S. 3, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/ 100220_Stellungnahme_TMA_RefE_Fortenwicklung_Insolvenzrecht.pdf;jsessionid=024DE4411741011D7AE321C5F17E5C62.2_cid324?__blob=publicationFile&v=2 (Zuletzt abgerufen am 22.7.2022).

Grell/Klockenbrink | 311

§ 12 Rz. 40 | Neue Finanzierung für auch eine Besicherung im Sinne des Satz 2. Insgesamt können daher nur solche Besicherungen von einer Anfechtungsprivilegierung profitieren, die ein Darlehen oder einen sonstigen Kredit besichern, der zur Finanzierung der Restrukturierung erforderlich ist. Stellt das Gericht im Rahmen der Planbestätigung fest, dass die aufgenommene Finanzierung nicht erforderlich ist, fällt damit automatisch auch die Privilegierung der Besicherung weg. Wie auch in Satz 1 ist die konkrete Ausgestaltung der Besicherung unerheblich. 41 Die Sicherheiten können sowohl vom Schuldner selbst, wie auch von Dritten (z.B. Tochter-

oder Muttergesellschaften) gestellt werden. Insoweit wird der Sicherungsnehmer auch in einer Insolvenz des Drittsicherungsgebers vor einer Anfechtung geschützt (dazu § 90 Rz. 72 ff.). Die auf den Abschluss des Sicherungsvertrags gerichtete Willenserklärung des Dritten ist nach § 15 Abs. 3 StaRUG in den Plan mitaufzunehmen. d) Stundungen, Prolongationen und Novationen

42 Während in § 14 Satz 2 StaRUG des Referentenentwurfs die Stundung und Prolongation von

Forderungen noch explizit als neue Finanzierung fingiert wurde, strich man diesen Passus im Regierungsentwurf ersatzlos (dazu Rz. 12 f.). Auch die Erläuterung dieser Gleichstellung im Begründungsteil wurde entfernt.48

43 Bislang teilen sich die Auffassungen darüber, ob Stundungen und Prolongationen trotz dieser

Streichung im Gesetzestext noch als neue Finanzierung anzusehen sind. Diejenigen, die dies verneinen, deuten die Streichung, die selbst in keiner Gesetzesmaterialie begründet wurde, als eine Richtungsentscheidung des Gesetzgebers dahingehend, dass Stundungen und Prolongationen nicht mehr erfasst werden sollen.49 Wohl überwiegend wird aber vertreten, dass trotz der zwischenzeitlichen Streichung auch Stundungen und Prolongationen erfasst sind.50 Das ist erst einmal deswegen überhaupt möglich, weil es sich bei dem RefE eben nur um einen vorläufigen Entwurf gehandelt hat, der nicht zwingend Aufschluss über den gesetzgeberischen Willen geben kann – zumal aus den Begründungen nicht hervorgeht, warum die Streichung erfolgte. Klar ist allerdings, dass der Gesetzgeber das Erfassen der Stundungen und Prolongationen weder im Gesetz noch in der Regierungsbegründung ausgeschlossen hat. Es ist daher grundsätzlich offen und eine Sache der Auslegung, ob man diese auch als neue Finanzierung behandeln will.

44 Inhaltlich sprechen für die Einbeziehung die besseren Argumente: Zunächst bildet das Ziel

der §§ 12, 90 StaRUG, die Bereitstellung finanzieller Mittel für die Restrukturierung zu incentivieren, den Ausgangspunkt (vgl. § 90 Rz. 3).51 Da die den Mitgliedstaaten eröffnete Möglichkeit einer Vorrangstellung für neue Finanzierungen bereits in Deutschland nicht wahrgenommen wurde, ist jede Herausnahme von Privilegierungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund einer für den Restrukturierungserfolg oft kritischen neuen Finanzierung sorgsam zu bedenken. In diese Richtung ist auch der ErwGr. 66 der Restrukturierungs-RL zu verstehen, der ausdrücklich von einem weiten Verständnis der „finanziellen Hilfen“ ausgeht. Wollte man daher den Gesetzgebungsprozess als Argument anführen, läge es näher, in Anbetracht des Schweigens des § 12

48 Vgl. im RefE SanInsFoG, S. 129 und im RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120. 49 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 38 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Tashiro in Braun, 2021, § 12 StaRUG Rz. 14 ff.; die Einbeziehung bereits im Rahmen des RefE als „nicht unbedingt erforderlich“ bezeichnend Thole, ZIP 2020, 1985, 1989. 50 Leithaus in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 12 StaRUG Rz. 2; Krafczyk, ZRI 2021, 313; Bismarck/ Schulz/Steiger in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2 B. IX., Rz. 8; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 12 StaRUG Rz. 7, wobei letzterer noch von der Version des RefE auszugehen scheint; die Nichterfassung von Prolongationen und Stundungen als „möglicherweise nicht richtlinienkonform“ bezeichnend Proske/Streit, NZI 2020, 969, 970. 51 Dazu bereits Grell/Klockenbrink, DB 2019, 1489, 1493; vgl. auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 90 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Neue Finanzierung | Rz. 47 § 12

StaRUG zu dieser Frage von einem Gleichlauf mit der dahinterstehenden Richtlinie auszugehen und ein weites Verständnis zugrunde zu legen. In der Sache kann das deswegen überzeugen, da Stundungen und Prolongationen wirtschaftlich denselben Effekt wie eine Neukreditierung haben, zumal der § 12 StaRUG mit dem Begriff „neue Finanzierung“ gerade nicht fordert, dass zusätzliche Mittel i.S.v. fresh money bereitgestellt werden müssen. Es ist schlicht nicht ersichtlich, warum Schuldner und Gläubiger gezwungen sein sollten, die zeitweise Überlassung von Kapital in einen neuen Vertrag zu schreiben und einen Hin- und Herzahlungs- oder Aufrechnungsmechanismus für Alt- und Neukredite aufzunehmen, wenn sie dasselbe Ergebnis auch einfacher im Rahmen eines bestehenden Kreditvertrags regeln könnten. Es ist darüber hinaus inkonsistent, wenn die Gegenansicht Stundungen und Prolongationen zwar herausnehmen will, diesen wiederum wirtschaftlich gleichgestellte Novationen dann aber unter § 12 StaRUG fassen will.52 Schließlich ergibt sich nach der Gegenauffassung auch ein Widerspruch zu den unter die „sonstigen Kredite“ fallenden Warenkrediten, bei denen einheitlich davon ausgegangen wird, dass Stundungen – also die Einräumung oder Verlängerung von Zahlungszielen – erfasst sind. Warum dies bei Warenkrediten, nicht jedoch bei Geldkrediten der Fall sein soll, ist unklar. Der angeführte53 Gleichlauf des § 12 StaRUG zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG, der bestimmte 45 neue Kredite in der Zeit der coronabedingten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht von der Anfechtung ausnimmt, kann in der Sache auch nicht weiterhelfen, da es sich insoweit um eine zwar dem Rechtsgedanken nach ähnliche, gleichwohl aber um eine Norm handelt, die andere Tatbestandsvoraussetzungen und eine andere Rechtsfolge hat. Im Gegenteil, die Nichterfassung von Stundungen und Prolongationen ist auch dort bereits jetzt unter dem Gesichtspunkt von Abgrenzungsproblemen kritisiert worden.54 Auch Überschneidungen mit den §§ 2, 7 StaRUG, in denen jeweils die gestaltbaren Rechtsverhältnisse und die zulässigen Gestaltungen aufgeführt sind, können zu keiner anderen Auslegung zwingen, da diese Überschneidung unstreitig auch bei Warenkrediten gegeben ist. Diese sind in der Literatur mit Verweis auf die Beispiele in ErwGr. 66 der Restrukturierungs-RL zutreffend als unter die „sonstigen Kredite“ fallend eingestuft worden (dazu Rz. 38) und können fraglos auch im Restrukturierungsplan als bestehende Rechtsverhältnisse gestaltet werden. Die formalistische Trennung von old money und fresh money gibt es damit ohnehin nicht. Im Ergebnis sollten Stundungen, Prolongationen und Novationen damit unter § 12 Satz 1 StaRUG fallen.

Inwiefern Gläubiger und insbesondere Schuldner die Stundung oder Prolongation einer beste- 46 henden Kreditierung als gestaltbare Forderung oder als neue Finanzierung aufnehmen, unterliegt damit ihrer Entscheidungsfreiheit. Die Gestaltung i.S.v. § 7 StaRUG bietet dem Schuldner die Möglichkeit, den Gläubiger auch gegen seinen Willen an die Vereinbarung zu binden, die Aufnahme als neue Finanzierung bietet dem Gläubiger dafür den Vorteil des Anfechtungsprivilegs. e) Erforderlichkeit zur Finanzierung Das in Satz 1 enthaltene Erforderlichkeitskriterium findet seinen Ursprung sowohl in der De- 47 finition der neuen Finanzierung in Art. 2 Nr. 11 im Kommissionsvorschlag (dazu Rz. 6 ff.) als auch in Art. 10 Abs. 2 Buchst. e der finalen Restrukturierungs-RL. Wenn bereits angemerkt wurde, dass der Gesetzgeber mit dem Erforderlichkeitskriterium in § 12 StaRUG über das von der Richtlinie Geforderte hinausgeht,55 ist das lediglich insoweit richtig, als dass in Art. 10

52 So Tashiro in Braun, 2021, § 12 StaRUG Rz. 16; a.A. zu Novationen Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 38 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 53 So bereits zum RefE Thole, ZIP 2020, 1985, 1989. 54 Vgl. Römermann, 2. Aufl. 2022, § 2 COVInsAG Rz. 183 ff. 55 So bei Tashiro in Braun, 2021, § 12 StaRUG Rz. 19 mit dem Hinweis auf das fehlende Erforderlichkeitskriterium in Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 der Restrukturierungs-RL. Tatsächlich befindet sich das Kriterium aber in Art. 10 Abs. 2 Buchst. e, nur eben ausschließlich in Bezug auf die Planbestätigung.

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§ 12 Rz. 47 | Neue Finanzierung Abs. 2 Buchst. e die gerichtliche Planbestätigung an die Erforderlichkeit der neuen Finanzierung geknüpft wurde. Dadurch, dass der deutsche Gesetzgeber dieses Kriterium nicht bei der Planbestätigung (z.B. als Versagungsgrund in § 63 StaRUG) verortet, sondern es allgemein als Voraussetzung für das Vorliegen einer neuen Finanzierung etabliert, geht er ausschließlich in Fällen einer einstimmigen Planannahme über die Anforderungen der Richtlinie hinaus. Da das Erforderlichkeitskriterium insgesamt der Beschränkung der Privilegierungswirkung des § 90 StaRUG dient,56 führt diese überschießende Umsetzung zur stärkeren Verhinderung von ungerechtfertigten Vorteilen des Sicherungsnehmers gegenüber den anderen Gläubigern in einem späteren Insolvenzverfahren. Ob es dieses Schutzes bei einstimmig angenommenen Restrukturierungsplänen bedurft hätte, oder ob es nicht genügt hätte, das Kriterium als weitere Bestätigungsvoraussetzung in § 63 StaRUG aufzuführen, lassen wir dahinstehen. 48 Die neue Finanzierung muss zur Finanzierung der Restrukturierung auf der Grundlage des

Plans erforderlich sein. Wann sie dies ist, verrät weder das Gesetz noch die Regierungsbegründung. Da mit Nichtumsetzung der Vorrang-Option für neue Finanzierungen (dazu Rz. 19 ff.) die Privilegierung des § 90 StaRUG den einzigen gesetzlichen Anreiz zur Bereitstellung neuer finanzieller Mittel darstellt, sollte das Erforderlichkeitskriterium insgesamt nicht restriktiv ausgelegt werden, um die Suche nach Neufinanzierungsgebern am Ende nicht zu stark zu erschweren bzw. unmöglich zu machen.

49 Das Kriterium der Erforderlichkeit ist daher unseres Erachtens auch maximal weit zu verste-

hen. Es sollten nur Extremfälle und solche Finanzierungen ausgelassen werden, die zur Restrukturierung offensichtlich keinen Bezug haben (dazu noch in Rz. 53). Das Kriterium darf keinesfalls so eng gefasst werden, dass es, wie bereits anderweitig vorgeschlagen,57 lediglich um die Verhinderung einer Zahlungsunfähigkeit des Schuldners geht. Das ist allgemein zu kurz gegriffen und wird dem Begriff der Restrukturierung nicht gerecht. Die Vermeidung einer Insolvenzreife ist zwar notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung einer erfolgreichen Restrukturierung. Richtigerweise ist der Kreis privilegierungsberufener Finanzierungen damit viel weiter zu fassen. Eine Zweckbindung der neu gewonnenen Liquidität für bestimmte Restrukturierungsmaßnahmen oder für bestimmte Betriebsausgaben sieht § 12 StaRUG nicht vor und muss daher auch vertraglich nicht vereinbart werden.

50 Die dem Erforderlichkeitskriterium inhärente ex ante-Perspektive birgt die Gefahr von mögli-

chen Rückschauverzerrungen (hindsight bias) bei späterer Betrachtung. Operative und finanzielle Maßnahmen werden nur aufgrund von den im Plan befindlichen Informationen und darauf aufbauenden Prognosen getroffen. Da die zukünftige Entwicklung des Schuldners und die auf ihr aufbauenden Finanzierungsbedarfe von zahlreichen unsicheren Parametern abhängen, darf beim Erforderlichkeitskriterium in Satz 1 auf keinen Fall vom (insoweit ggf. unrealistischen) best-case-Szenario ausgegangen werden. Auch medium cases erweisen sich immer wieder – ggf. nur temporär – als nicht umsetzbar. Es kann weder vom Schuldner noch vom Gläubiger erwartet werden, dass sie sich unter dem Gesichtspunkt des § 12 StaRUG auf eine Finanzierung einigen, die sich direkt bei Eintreten des ersten Negativereignisses als unzureichend herausstellt. Folge dessen wäre eine faktische Aushebelung des Incentivierungsgedankens, der den §§ 12, 90 StaRUG innewohnt, denn die Privilegierungsreichweite dieser beiden Normen wäre beschränkt und würde zu knappen und damit risikoreichen Finanzierungen incentivieren. Richtigerweise muss also für die Frage der Erforderlichkeit mindestens das worst-case-Szenario zugrunde gelegt werden.58

56 So auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 57 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 58 Übereinstimmend insoweit Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 24 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

314 | Grell/Klockenbrink

Neue Finanzierung | Rz. 55 § 12

Das zeigt sich auch an den in der Praxis in Finanzierungsverträgen vorkommenden excess- 51 cash-Klauseln, nach denen der Schuldner bei Überschreiten einer Liquiditätsgrenze zu einem bestimmten Prüfdatum überschüssige Mittel an den Gläubiger abführen muss. Fasste man den Begriff der Erforderlichkeit restriktiv, wären die abzuführenden Mittel in einer konsequenten ex ante-Betrachtung nicht mehr von § 12 StaRUG erfasst. Das würde den ausreichenden Gläubiger nachträglich einer Anfechtung aussetzen, obwohl die Klausel gerade i.S.d. § 12 StaRUG dazu führt, dass überflüssige Mittel zurückgeführt werden müssen. Die unerwarteten Krisen der letzten Jahre, wie beispielsweise die Corona-Pandemie ab dem 52 Frühjahr 2020, aber auch die Halbleiter-Engpässe seit Mitte 2021 haben eindrucksvoll gezeigt, dass Liquiditätszuführungen, die aus einer ex ante-Perspektive ein substantielles Overfunding bedeutet hätten, ex post noch nicht einmal als ausreichend zu bewerten sein können. Um für den Schuldner, die Neufinanzierungsgeber und auch die späteren Insolvenzgläubiger des Schuldners Rechtssicherheit herzustellen, ist es notwendig, Finanzierungen grundsätzlich als erforderlich einzustufen. Da das Erforderlichkeitskriterium eines der wenigen Schutzvorkehrungen für die späteren In- 53 solvenzgläubiger darstellt, darf es aber auch nicht bedeutungslos werden. Daher sollte vom Grundsatz der prinzipiellen Erforderlichkeit in zwei Fallgruppen eine Ausnahme gemacht werden: Einerseits sollten Extremfälle, bei denen der Betrag der Finanzierung in keiner Weise mehr gerechtfertigt werden kann, nicht mehr als erforderlich gelten. Andererseits sind auch Fälle abzugrenzen, bei denen die Finanzierung offensichtlich keinen Bezug zur Restrukturierung mehr aufweist. Das können beispielsweise Mittel sein, bei denen sich – auch ex post – herausstellt, dass sie zur privaten Verwendung des Gesellschafters gedacht waren und verwendet wurden. Als Praxishinweis ist daher zu empfehlen, in den Verträgen der neuen Finanzierung vertrag- 54 liche Klauseln aufzunehmen, nach denen Ziehungen nur soweit erfolgen dürfen, wie es gemäß Liquiditätsplanung zur Finanzierung erforderlich aber auch hinreichend ist.59 Dass eine Finanzierung der Restrukturierung dient, kann durch Covenants abgesichert werden. Der Schuldner muss dazu bei jedem Ziehungsgesuch nachweisen, dass er nicht nur über eine ausreichende Durchfinanzierung verfügt, sondern auch, dass er die angefragte Kreditierung im Rahmen seiner Liquiditätsplanung benötigt. Dabei sind ihm zwingend Spielräume (sog. headroom) (s. dazu bereits unter Rz. 48 ff.) zu gewähren. Alternativ könnte als Ziehungsvoraussetzung der Nachweis aufgenommen werden, dass die Ziehung zur Finanzierung der Restrukturierung erfolgt.60 Eine solche Gestaltung ermöglicht nicht nur eine flexible Handhabung der neuen Finanzierung, sondern sorgt auf der anderen Seite auch für einen ausreichenden Schutz für die späteren Insolvenzgläubiger. Für den Gläubiger bietet das gleichzeitig den Vorteil, dass bereits bei Planbestätigung die Privilegierung rechtssicher feststeht. Die Erforderlichkeit wird – um einen Zirkelschluss zu vermeiden – nicht allein dadurch aus- 55 geschlossen, dass es einen anderen Kreditgeber gegeben hätte, der zu den gegebenen Konditionen die Finanzierungszusage gegeben hätte. Zu berücksichtigen ist allerdings, wenn der Schuldner auch ohne die Privilegierung frisches Geld erhalten hätte, er also generell noch kreditwürdig ist.61 Dann ist er angehalten, eine solche Finanzierung außerhalb des Plans und ohne die insoweit spätere Gläubiger benachteiligende Wirkung des § 90 StaRUG aufzunehmen. Dabei dürfen jedoch keine unangemessen hohen Anforderungen an die Suche nach einem solchen Kreditgeber gestellt werden, um den Restrukturierungsprozess nicht zu belasten. Auch die grundsätzliche Verfügbarkeit einer Finanzierung mit relevant anderen Konditio59 So auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 60 Das setzt dann aber auch vertraglich ein weites Verständnis des Begriffes „Finanzierung der Restrukturierung“ voraus. 61 So zurecht Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 12 Rz. 55 | Neue Finanzierung nen sollte die Erforderlichkeit etwa einer Prolongation nicht entfallen lassen. Die Gläubiger sind hier durch die Schutzmechanismen des StaRUG geschützt. 56 Der Finanzierungsbedarf ist auf der Grundlage des Restrukturierungsplans zu ermitteln.

Das zielt vordergründig auf die darin vorgesehenen leistungs- und finanzwirtschaftlichen Restrukturierungsmaßnahmen ab, zwingt aber auch dazu, nicht nur die durch sie verursachten finanziellen Gegebenheiten zu berücksichtigen, sondern auch die prognostizierten Entwicklungen des Schuldners. Informationen, die außerhalb des Plans bestehen, können zur Bestimmung des erforderlichen Finanzierungsbedarfs nicht herangezogen werden. Das ist deswegen notwendig, weil der Plan die gemeinsame Informationsgrundlage der Planbetroffenen darstellt, die auch als Entscheidungsgrundlage für ihr Abstimmungsverhalten fungiert. Das Gericht wird die Planbestätigung dann versagen, wenn ihm Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass das dem Plan zugrunde liegende Restrukturierungskonzept unschlüssig ist oder nicht auf den tatsächlichen Gegebenheiten beruht. Insoweit wird – wenn auch eingeschränkt – im Rahmen der Planbestätigung die Tatsachengrundlage des Plans überprüft (näher dazu § 63 Rz. 116 ff.).

57 Die Gründe, aus denen sich die Erforderlichkeit ergibt, sind gem. § 5 Satz 2 StaRUG i.V.m.

Nr. 8 der Anlage zum StaRUG im darstellenden Teil des Plans anzugeben.62

58 Das Erforderlichkeitskriterium steht in § 12 Satz 1 StaRUG und bezieht sich ausweislich des

Wortlauts nur auf Darlehenszusagen und sonstige Kreditzusagen, nicht jedoch auf Satz 2 und die dort erwähnte Besicherung. Tatsächlich setzt die Besicherung, um als neue Finanzierung zu gelten, aber eine neue Finanzierung in Form eines Darlehens oder eines sonstigen Kredites voraus, sie folgt gewissermaßen der Einordnung in Satz 1. Klar ist daher, dass die Besicherung nur dann von Satz 2 erfasst wird, soweit sie sich auf ein erforderliches Darlehen oder einen erforderlichen sonstigen Kredit bezieht. Unter Anwendung der oben beschriebenen Definition darf sich die Besicherung also nicht auf eine der beiden Fallgruppen beziehen, die nicht mehr von der Erforderlichkeit gedeckt sind. Dass die Besicherung selbst nicht erforderlich sein muss, ergibt sich einerseits daraus, dass das Kriterium ausschließlich in Satz 1 vorhanden ist. Andererseits wäre es auch gar nicht notwendig, denn eine in diesem Sinne nicht erforderliche Besicherung würde eine Übersicherung bedeuten. Hierzu gelten ohnehin die von der Rechtsprechung im Rahmen von § 138 BGB auskonturierten Grenzen, jeweils unter Differenzierung zwischen anfänglichen und nachträglichen Übersicherungen.63

3. Nicht erfasste Vereinbarungen 59 Vor dem Hintergrund, dass die Restrukturierungs-RL noch eine strikte Trennung zwischen

neuer Finanzierung, Zwischenfinanzierung und sonstigen Transaktionen vorsah (dazu Rz. 9), liegt es nahe, die Definition des § 12 StaRUG gerade von der Zwischenfinanzierung abgrenzen zu wollen. Da die Differenzierung der Richtlinie im StaRUG allerdings keine Entsprechung findet – das StaRUG definiert lediglich die neue Finanzierung und erwähnt die anderen Begrifflichkeiten nicht einmal –, bedarf es auf deutscher Ebene gar keiner Abgrenzung.64 Eine Trennlinie zwischen neuer Finanzierung und Zwischenfinanzierung ist letztlich nur eine Konkretisierung dessen, was nicht unter § 12 StaRUG fällt.

62 Die Verortung im darstellenden Teil ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz, wird aber in der Regierungsbegründung so kommentiert, RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 120. 63 Dazu generell Armbrüster in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 138 BGB Rz. 170 ff.; s. auch BGH v. 27.11.1997 – GSZ 1 u. 2/97, NJW 1998, 671; BGH v. 12.3.1998 – IX ZR 74-95, NJW 1998, 2047. 64 Etwas unklar insoweit Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Neue Finanzierung | Rz. 63 § 12

Nach Maßgabe der entsprechenden Definitionen der Richtlinie, läge ein Abgrenzungskriteri- 60 um in der zeitlichen Abfolge: Zwischenfinanzierungen sind solche Kreditierungen, die in der Zeit der Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen (im StaRUG die Stabilisierungsanordnung) oder zumindest vor der Planbestätigung erfolgen, neue Finanzierungen solche, die erst ab der Planbestätigung erfolgen. Diese Trennung kann im Rahmen des StaRUG nicht mehr überzeugen, denn weder § 12 StaRUG noch § 90 StaRUG geben vor, dass die neue Finanzierung zwingend erst nach der Planbestätigung ausgereicht werden muss. Die – praktische, da einfach festzustellende – zeitliche Trennung entfällt damit. Neue Finanzierungen können auch solche sein, die bereits vor der Planbestätigung ausgereicht wurden, aber unter dem Plan fortwirken,65 da (a) der Wortlaut dies einerseits zulässt, (b) kein Grund für eine diesbezügliche Einschränkung ersichtlich ist und (c) die Vorschriften vielmehr ein anderes Kriterium vorgeben: die Erforderlichkeit zur Restrukturierungsfinanzierung. Damit bleibt am Ende nur die Zweckrichtung der Finanzierung als Abgrenzungskriterium. 61 Neue Finanzierung dient dem Ziel des Restrukturierungsvorhabens insgesamt: der dauerhaften Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des Schuldners. Zweck und Erforderlichkeit der Kreditierung müssen sich gerade aus dem Plan ergeben. Solange dieses Kriterium erfüllt ist, ist es unerheblich, wann die entsprechende Auszahlung vorgenommen wurde.

VII. Rechtsfolgen § 12 StaRUG enthält bis auf die zwingende Aufnahme in den Restrukturierungsplan (dazu 62 Rz. 63 ff.) keine eigenständigen Rechtsfolgen. Soweit es sich um planfähige neue Finanzierungen handelt, enthält § 90 StaRUG – jeweils aber auch nur bei Vorliegen der dort geregelten Tatbestandsvoraussetzungen (dazu § 90 Rz. 27 ff.) – weitergehende Rechtsfolgen zur Anfechtungsfestigkeit.

1. Aufnahme in den Restrukturierungsplan Die erwähnten Rechtsgeschäfte (s. Rz. 35 ff.) „können“ laut Satz 1 in den Restrukturierungs- 63 plan aufgenommen werden. Diese Formulierung ist im Hinblick auf den europarechtlichen Hintergrund der Vorschrift (dazu Rz. 5 ff.) unklar.66 Art. 2 Nr. 7 Restrukturierungs-RL definiert nur finanzielle Unterstützungen, die im Restrukturierungsplan enthalten sind, als neue Finanzierung. Im Umkehrschluss: Von einer neuen Finanzierung außerhalb des Restrukturierungsplans kann begrifflich schon nicht gesprochen werden. Das wird von Art. 8 Abs. 1 Buchst. G Ziff. vi Restrukturierungs-RL dadurch unterstrichen, dass eine neue Finanzierung zwingend im Restrukturierungsplan auszuweisen ist.67 Die deutsche Umsetzung dieser Vorgaben ist insoweit misslich erfolgt. In Satz 1 wird der Eindruck erweckt, es könne auch eine neue Finanzierung in diesem Sinne außerhalb des Restrukturierungsplans geben, eine Aufnahme in den Restrukturierungsplan sei also bloß fakultativ, z.B. um eine Privilegierung nach § 90 StaRUG zu erreichen.68 Auch Nr. 8 der Anlage zum StaRUG vermag in dieser Sache keinen Aufschluss zu geben.69 Hier wird lediglich der Planersteller verpflichtet, die Gründe für 65 66 67 68 69

So im Ergebnis auch Schoppmeyer, ZIP 2021, 869, 879. Kritisch in dieser Hinsicht auch Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 12 StaRUG Rz. 5. Eckelt, Präventiver Restrukturierungsrahmen, S. 696, 1182. So wohl auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Anders wohl Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 12 StaRUG Rz. 5, der in Nr. 8 der Anlage zum StaRUG das zwingende Erfordernis sieht, dass bei Vorliegen einer neuen Finanzierung diese im Restrukturierungsplan aufzunehmen ist.

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§ 12 Rz. 63 | Neue Finanzierung die Erforderlichkeit der neuen Finanzierung im Restrukturierungsplan anzugeben, sofern eine solche überhaupt im Restrukturierungsplan vorgesehen ist. 64 Um der Norm in diesem Punkt zur Europarechtskonformität zu verhelfen, ist Satz 1 – und

mit ihm auch Nr. 8 der Anlage zum StaRUG – so auszulegen, dass eine neue Finanzierung zwingend im Restrukturierungsplan aufzunehmen ist. Eine solche Interpretation ist nach hiesiger Auffassung vom Wortlaut dann gedeckt, wenn man die in Klammern stehende Legaldefinition auch auf den Teil der Einbeziehung in den Restrukturierungsplan erstreckt. Die Formulierung „können“ drückt damit lediglich aus, dass eine neue Finanzierung kein zwingender Bestandteil eines StaRUG-Verfahrens sein muss, sondern es den Beteiligten obliegt, ob sie sich auf eine solche verständigen wollen. Sie können sich auf eine neue Finanzierung einigen. Wenn sie es jedoch tun, ist die Finanzierungsvereinbarung im Restrukturierungplan auszuweisen, erst dann wird sie zu einer neuen Finanzierung im Sinne von Satz 1. Das ist auch deshalb plausibel, weil der Gesetzgeber in der Regierungsbegründung ausdrücklich auf die Konformität mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 und Art. 8 Abs. 1 Buchst. g Ziff. vi Restrukturierungs-RL hinweist. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass er die europäischen Vorgaben übersehen hat oder sie bewusst nicht hat umsetzen wollen. Für dieses Ergebnis spricht insgesamt, dass der Restrukturierungsplan die gemeinsame Datengrundlage für die Planbetroffenen zur Beurteilung des Restrukturierungsvorhabens als Ganzes und zur Bedeutung ihres eigenen Restrukturierungsbeitrags sein soll. Wie sich u.a. aus § 6 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ergibt, dient der Plan auch der – zumindest teilweisen – Beseitigung von Informationsasymmetrien und der Schaffung von Transparenz, die beide wesentliche Elemente für ein reflektiertes Abstimmungsverhalten sind. Dazu gehört es dann auch, dass die Planbetroffenen Kenntnis von allen wesentlichen Restrukturierungsmaßnahmen haben, inklusive neu auszureichender finanzieller Mittel.

65 Es wird nicht ausdrücklich klargestellt, in welchen Abschnitt des Restrukturierungsplans die

Regelungen zur neuen Finanzierung aufzunehmen sind. Zumindest die Erläuterung der Erforderlichkeit soll nach der Regierungsbegründung im darstellenden Teil stattfinden. Da die Gewährung einer neuen Finanzierung ein neues Rechtsverhältnis begründet und kein bereits bestehendes ändert, kann nicht von einer Gestaltung in der Terminologie des Gesetzes gesprochen werden (vgl. §§ 2, 7 StaRUG). Damit bleibt es dem Planersteller überlassen, ob er die neue Finanzierung im darstellenden Teil aufführt oder ob er ihr einen eigenen Abschnitt widmet.70 Um in der im Gesetz vorgesehenen Zweiteilung des Plans zu bleiben, dürfte die erste Variante vorzugswürdig sein.

2. Anfechtungsprivileg gem. § 90 StaRUG 66 Die relevanteste Folge des § 12 StaRUG ist die mögliche (und gleichzeitig zwingende) Aufnah-

me der neuen Finanzierung in den Plan, die wiederum überhaupt erst Voraussetzung für eine Anfechtungsprivilegierung nach § 90 StaRUG ist. Zum weiteren Tatbestandsmerkmal der Planbestätigung und den Rechtsfolgen des § 90 StaRUG s. § 90 Rz. 28 ff.

3. Rechtsfolgen für Zwischenfinanzierungen 67 Wie zuvor bereits erläutert (Rz. 59 ff.) übernimmt das StaRUG die Terminologie der Restruk-

turierungs-RL zu „Zwischenfinanzierungen“ nicht und knüpft an diesen Begriff damit auch keine weiteren Rechtsfolgen. Gleichwohl greift § 89 StaRUG Handlungen auf, die während der Restrukturierungssache erfolgen. Wollte man die Terminologie der Richtlinie also fortfüh70 Für ersteres Kemper in Buth/Hermanns, RSI, 5. Aufl. 2022, § 3 Rz. 67; für letzteres wohl Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

318 | Grell/Klockenbrink

Neue Finanzierung | Rz. 71 § 12

ren, wird die dort beschriebene Zwischenfinanzierung im StaRUG eher unter § 89 StaRUG fallen, eher selten unter § 12 StaRUG und § 90 StaRUG (zur nicht erforderlichen Abgrenzung von neuen Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen im StaRUG Rz. 59 ff.). Für Finanzierungen, die typischerweise als Zwischenfinanzierungen aufgefasst werden, gelten 68 damit auch im StaRUG-Verfahren vornehmlich die hergebrachten Grundsätze für Überbrückungskredite, die von der Rechtsprechung auskonturiert worden sind (dazu im Einzelnen § 89 Rz. 23 ff.).

VIII. Prozessuales Nicht geregelt ist, inwiefern die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 12 StaRUG einer 69 gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Im Rahmen der gerichtlichen Planbestätigung, die bei Vorliegen einer neuen Finanzierung in der Praxis wohl immer durchgeführt werden wird, da sie für eine Privilegierungswirkung nach § 90 StaRUG unerlässlich ist, wird ausdrücklich nur in § 63 Abs. 2 StaRUG (dazu § 63 Rz. 112 ff.) auf neue Finanzierungen Bezug genommen. Hiernach hat das Gericht die Bestätigung des Plans (nur) zu versagen, wenn das Restrukturierungkonzept unschlüssig ist oder wenn Umstände vorliegen, nach denen das Konzept nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder keine begründete Aussicht auf Erfolg vermittelt. Gleichwohl verdrängt der § 63 Abs. 2 StaRUG das allgemeine Prüfprogramm des § 63 Abs. 1 StaRUG nicht. Das Gericht hat also auch nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG zu prüfen, ob Vorschriften über den Inhalt des Plans in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind. Da § 12 StaRUG die Aufnahme neuer Finanzierungen in den Plan regelt (damit also eine Vorschrift zum Inhalt des Plans ist) und die Erforderlichkeit das wohl bedeutendste Kriterium hierfür ist, muss die fehlende Erforderlichkeit auch zwingend zu einer Versagung der Planbestätigung nach § 63 StaRUG führen.71 Bestätigt das Restrukturierungsgericht den Plan auf der anderen Seite, ist diese Entscheidung auch für andere Gerichte bindend. Die maßgebliche Kontrolle des § 12 StaRUG erfolgt damit im Rahmen der Planbestätigung der §§ 60 ff StaRUG. Diese Lösung hat insbesondere für die Gläubiger den Vorteil, dass sie schnelle Rechtssicher- 70 heit über die Anfechtungsprivilegierung erhalten. Scheitert nach der Planbestätigung die Restrukturierung später und kommt es zu einer Folgeinsolvenz des Schuldners, ist für alle Beteiligten inklusive des Insolvenzverwalters klar, dass die im Plan aufgeführten neuen Finanzierungen – jeweils natürlich im Rahmen des § 90 StaRUG – nicht anfechtbar sind. Das im Rahmen eines Anfechtungsprozesses angerufene ordentliche Gericht würde dementsprechend nicht noch einmal – mit erheblicher zeitlicher Verzögerung – sämtliche Voraussetzungen des § 12 StaRUG überprüfen. Das hat insoweit auch den Vorteil, als dass das Restrukturierungsgericht zeitlich viel näher am Geschehen ist als das spätere Gericht des Anfechtungsprozesses und damit auch die Problematik der ex ante-Betrachtung etwas abgemildert wird. Da die Frage der Erforderlichkeit für die spätere Planbestätigung nach § 63 StaRUG also er- 71 heblich ist, kann der Schuldner in dieser Sache auch eine Vorprüfung gem. den §§ 46 ff. StaRUG durch das Restrukturierungsgericht durchführen lassen. Da die Vorprüfungsentscheidung allerdings nicht bindend ist (dazu § 46 Rz. 19), kann die Planbestätigung trotz positiver Vorprüfung später versagt werden.

71 Das übersieht Jungmann, WM 2022, 353, 357, der stattdessen für eine Ausweitung des § 63 Abs. 4 StaRUG plädiert.

Grell/Klockenbrink | 319

§ 13 Rz. 1 | Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse

§ 13 Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse 1 Sollen Rechte an Gegenständen begründet, geändert, übertragen oder aufgehoben werden, so können die erforderlichen Willenserklärungen der Beteiligten in den gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans aufgenommen werden. 2Sind im Grundbuch eingetragene Rechte an einem Grundstück oder an eingetragenen Rechten betroffen, so sind diese Rechte unter Beachtung des § 28 der Grundbuchordnung genau zu bezeichnen. 3Für Rechte, die im Schiffsregister, im Schiffsbauregister oder im Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen eingetragen sind, gilt Satz 2 entsprechend.

In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 III. Historie und EU-Richtlinien-Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 IV. Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse (§ 13 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . 7 1. Dingliche Rechtsänderungen . . . . . . . . . . 7 2. Willenserklärungen i.S.d. § 13 StaRUG . 12 3. Grenzen der Rechtsgestaltung . . . . . . . . . 14

4. Aufnahme der Willenserklärungen in den Restrukturierungsplan . . . . . . . . . . . . . . . V. Bestimmtheitsgrundsatz § 13 Satz 2 und 3 StaRUG und allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Weitere Voraussetzungen . . . . . . . . . . . VII. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18 23 26 27

Schrifttum: Haedicke, Der bürgerlich-rechtliche Verfügungsbegriff, JuS 2001, 966.

I. Regelungsgegenstand 1 Die Vorschrift enthält in ihrem Satz 1 die Umsetzungsanordnung für die nach dem gestalten-

den Teil (§ 7 StaRUG) mögliche Änderung auch sachenrechtlicher Verhältnisse durch den Restrukturierungsplan.1 Ohne die Vorschrift wäre es nicht möglich, andere als schuldrechtliche Wirkungen im Restrukturierungsplan vorzusehen.2 § 13 StaRUG entspricht wortwörtlich § 228 InsO, so dass für die Auslegung weitgehend auf die aus dem Insolvenzplan bekannten Grundsätze verwiesen werden kann.

2 § 13 StaRUG trifft dabei selbst weder Aussagen zum restrukturierungsrechtlichen Können,

noch zum restrukturierungsrechtlichen Dürfen. Das restrukturierungsrechtliche Können, also die Möglichkeit entsprechende Rechtsänderungen herbeizuführen, ist allein durch den sachenrechtlichen Typenzwang begrenzt.3 Das restrukturierungsrechtliche Dürfen folgt demgegenüber der möglichen Gestaltungstiefe des Restrukturierungsplans und dem Verbot einer Übersanierung (§ 7 Rz. 15), ergibt sich also insbesondere aus § 7 StaRUG (näher Rz. 13 ff.).4

1 2 3 4

Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 13 StaRUG Rz. 1. Böhm in Braun, 2021, § 13 StaRUG Rz. 1. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 13 StaRUG Rz. 2. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 13 StaRUG Rz. 2.

320 | Hölzle/Schulenberg

Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse | Rz. 7 § 13

II. Normzweck Durch § 13 StaRUG wird erreicht, dass der Restrukturierungsplan nicht nur die schuldrecht- 3 lichen Verpflichtungserklärungen enthalten kann, sondern auch die zu seinem Vollzug erforderlichen dinglichen Erklärungen sogleich aufgenommen werden können. Hierdurch wird sichergestellt, dass Restrukturierungspläne keine reinen Verpflichtungspläne sind, sondern mit ihrem Vollzug die beabsichtigten Rechtswirkungen auch sogleich eintreten. Dies dient der Vereinfachung, Beschleunigung und Kostenersparnis,5 was insbesondere auch durch § 67 Abs. 1, § 68 Abs. 1 StaRUG flankiert wird, wonach sämtliche Erklärungen im Plan als formgerecht abgegeben gelten. Jedoch müssen im Übrigen, wie auch im Insolvenzplanverfahren, die allgemeinen zivilrecht- 4 lichen und sonstigen Voraussetzungen der Wirksamkeit sichergestellt sein.6 § 13 StaRUG ermöglicht lediglich die als formgerecht abgegeben geltende Aufnahme der dinglichen Willenserklärung in den Plan; die Vorschrift ersetzt aber nicht sachenrechtliche Wirksamkeits- oder Bestimmtheitserfordernisse.

III. Historie und EU-Richtlinien-Umsetzung Die Richtlinie schreibt die Aufnahme einer sachenrechtlichen Umsetzungsnorm nicht vor. Die 5 in manchen Mitgliedstaaten bestehende Trennung zwischen Schuldrecht und Sachenrecht wird in der Richtlinie nicht näher berücksichtigt; die Einpassung in die allgemein zivilrechtlichen Vorgaben obliegt insoweit den Mitgliedstaaten. § 13 StaRUG stellt damit keine Richtlinienumsetzungsnorm dar. Die Vorschrift ist vielmehr 6 eine Organisations- und Vereinfachungsvorschrift.7 Sie steht damit auch im Einklang mit den Vorgaben und Zielen der Richtlinie, die in ErwGr. 5 und 6 die angestrebte Förderung der Verfahrensbeschleunigung benennt und in ErwGr. 15 auch die Erzielung von Kostenersparnissen im Rahmen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in den Fokus rückt.

IV. Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse (§ 13 Satz 1 StaRUG) 1. Dingliche Rechtsänderungen Ebenso wenig wie § 228 InsO spricht § 13 StaRUG von „Verfügungen“. Der Paragraph eröff- 7 net vielmehr die Möglichkeit der Aufnahme von Willenserklärungen zur Begründung, Änderung, Übertragung oder Aufhebung von Rechten an Gegenständen in den Plan, was – unter Ausblendung des weiteren Verfügungstatbestandes der „Belastung“ – der heute herrschenden Definition8 einer zivilrechtlichen Verfügung entspricht. § 13 StaRUG unterscheidet sich insoweit nicht von seinem insolvenzplanrechtlichen Vorbild. Beide Vorschriften dienen nach ihren amtlichen Überschriften sowie den jeweiligen Gesetzesbegründungen der „Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse“. Erfasst sind nach allgemeinem Verständnis alle sachenrechtlichen Rechtsänderungen durch und aufgrund von Willenserklärungen.9 Der Anwendungsbereich richtet sich insoweit allein nach dem sachenrechtlichen Typenzwang. 5 Vgl. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 13 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, § 13 StaRUG Rz. 3; Tasma in Flöther, 2021, § 13 StaRUG Rz. 1. 6 BT-Drucks. 19/24181, S. 110. 7 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 13 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 8 BGH v. 15.3.1951 – IV ZR 9/50, BGHZ 1, 294, 304; BGH v. 3.3.1954 – VI ZR 259/52, BGHZ 13, 1, 3. 9 Vgl. Tasma in Flöther, 2021, § 13 StaRUG Rz. 2. Zur InsO statt aller Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 228 InsO Rz. 1.

Hölzle/Schulenberg | 321

§ 13 Rz. 8 | Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse 8 Die Regelung spiegelt das im deutschen Zivilrecht verankerte Trennungs- und Abstraktions-

prinzip zwischen dem schuldrechtlichen Verpflichtungs- und dem sachenrechtlichen Verfügungsgeschäft wider.10

9 Dabei stellt der Wortlaut der Norm klar, dass nicht nur Rechtsänderungen auf dem Gebiet des

Sachenrechts im engeren Sinne (bewegliche und unbewegliche körperliche Gegenstände) von der Vorschrift erfasst sein sollen: Mit der Verwendung des Begriffs des „Gegenstandes“ als taugliches Verfügungsobjekt erfasst die Vorschrift – auch insoweit entsprechend der allgemeinen zivilrechtlichen Lehre – auch unkörperliche Gegenstände und damit insbesondere Forderungen und sonstige Rechte, wie sich aus einem Umkehrschluss zu § 90 BGB ergibt.11 Die Vorschrift ermöglicht damit insgesamt „dingliche“ Rechtsänderungen, also solche, die Verfügungsmacht voraussetzen, sich auf einen konkreten Vermögensgegenstand beziehen, abstrakt von einem etwaig zugrunde liegenden Grundgeschäft sind und eine absolute Wirkung gegenüber jedermann entfalten.12 Der Gegenstand muss dabei nicht zum Vermögen des Schuldners gehören.13 Die Vorschrift erfasst insoweit wie ihr insolvenzrechtliches Vorbild auch Gegenstände, die es für die Betriebsfortführung sinnvollerweise zu erlangen gilt.14 Steht der Schuldner dagegen auf Veräußererseite muss der Gegenstand nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen der Verfügungsbefugnis des Schuldners unterfallen.

10 Die dingliche Rechtsänderung selbst wird nicht durch den Plan, also nicht restrukturierungs-

rechtlich bewirkt, sondern vollzieht sich auf Grundlage der in den Plan aufgenommenen Willenserklärungen.15 Es gelten die Vorgaben und der Typenzwang des allgemeinen Zivilrechts.

11 Alle weiteren Voraussetzungen der Wirksamkeit des jeweiligen Rechtsgeschäfts richten sich

nach den allgemeinen Vorschriften. Insbesondere die entsprechenden Real- bzw. Publizitätsakte (z.B. Übergabe, Registereintragungen) müssen stets neben dem Planvollzug vorgenommen werden. So wird im Falle einer im Restrukturierungsplan vorgesehenen Eigentumsübertragung an einer Immobilie die Rechtsänderung erst mit der Eintragung im Grundbuch wirksam (§ 873 Abs. 1 BGB), bei der Übereignung beweglicher Sachen gem. § 929 Satz 1 BGB mit der Übergabe derselben. Ist zum Eigentumsübergang an einer beweglichen Sache hingegen die Wahrung der Publizität durch ein Übergabesurrogat vorgesehen, kann die entsprechende Einigung (§ 929 Satz 2, § 930 BGB) bzw. die auf Abtretung (§ 931 BGB) gerichteten Willenserklärungen in den Restrukturierungsplan aufgenommen werden. Ebenso liegt der Fall bei einer Abtretung (§§ 398 ff. BGB).

2. Willenserklärungen i.S.d. § 13 StaRUG 12 Vor dem Hintergrund der Wortlaut- und Zweckidentität von § 13 StaRUG und § 228 InsO

erfasst die Norm neben den auf die Herbeiführung dinglicher Rechtsänderungen gerichteten Willenserklärungen auch entsprechende Verfahrenserklärungen.16 Für die Eintragungsbewil-

10 Vgl. für § 228 InsO Geiwitz/von Danckelmann in BeckOK/InsR, § 228 InsO Rz. 1 (Stand: 26. Ed. 15.10.2021); für das StaRUG Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 13 StaRUG Rz. 1. 11 Siehe auch Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 13 StaRUG Rz. 5. 12 Allgemein zur Verfügung Haedicke, JuS 2001, 966, 969 f. 13 So aber Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 13 StaRUG Rz. 3. 14 Für die InsO Thies/Lieder in HambKomm/InsO, 9. Aufl. 2022, § 228 InsO Rz. 3; Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 228 InsO Rz. 4; 15 Böhm in Braun, 2021, § 13 StaRUG Rz. 2. 16 Wie hier Tasma in Flöther, 2021, § 13 StaRUG Rz. 3. Zur InsO Lüer/Streit in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 228 InsO Rz. 1; Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 228 InsO Rz. 7; Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 228 InsO Rz. 6; Knapp/Wilde in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 13 StaRUG Rz. 8; a.A. Braun/Frank in Braun, 9. Aufl. 2022, § 228 InsO Rz. 6.

322 | Hölzle/Schulenberg

Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse | Rz. 17 § 13

ligung gem. § 19 GBO stellt die Gesetzesbegründung zur InsO dies ausdrücklich klar.17 Gleiches gilt auch für den Eintragungsantrag gem. § 13 GBO18 und für die Zustimmung zur Löschung eines Grundpfandrechts (§ 27 GBO).

Die Wirksamkeit der Willenserklärung bestimmt sich dabei – vorbehaltlich dem Formerforder- 13 nis der § 67 Abs. 1, § 68 Abs. 1 StaRUG – allein nach den allgemeinen Voraussetzungen des Zivilrechts.19 Durch Art. 13 SanInsFoG wurde § 925 Abs. 1 Satz 3 BGB dahingehend geändert, dass die Auflassung nunmehr auch wirksam im Restrukturierungsplan erklärt werden kann.

3. Grenzen der Rechtsgestaltung Die Grenzen der Wirksamkeit von in den Plan aufgenommenen Erklärungen i.S.d. § 13 Sta- 14 RUG (rechtliches Können) werden (allein) durch die allgemeinen zivilrechtlichen Vorgaben, insbesondere den sachenrechtlichen Typenzwang, gesetzt. Fehlt es an der erforderlichen Verfügungsmacht des Erklärenden oder wird die Willenserklärung eines Nichtberechtigten aufgenommen, sind diese Erklärungen zunächst (schwebend) unwirksam, aber durch den Berechtigte gem. § 185 Abs. 2 BGB genehmigungsfähig.20 Es stellt sich in diesem Fall allerdings die Frage, ob der Plan gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG bestätigungsfähig ist, da nicht auszuschließen ist, dass die schwebende Unwirksamkeit wesentlicher Verfügungen Einfluss auf das Stimmverhalten der Planbetroffenen hat. Ist die schwebende Unwirksamkeit daher nicht transparent und im Plan offen kommuniziert, so dürfte sie, wird sie vor der Bestätigungsentscheidung offenbar, ein Planbestätigungshindernis begründen. Grenzen der Gestaltbarkeit ergeben sich zudem aus dem aus § 7 StaRUG abzuleitenden Ver- 15 bot der Übersanierung (§ 7 Rz. 15) sowie aus der Teilkollektivität des Verfahrens, weil die Aufnahme von Willenserklärungen selbstverständlich nur im Verhältnis zu tatsächlich planbetroffenen Gläubigern möglich ist. Die Erklärung nicht planbetroffener Gläubiger kann nach § 13 StaRUG weder in den Plan aufgenommen werden, noch diesen gegenüber Wirkung entfalten (Rz. 20). Hinsichtlich des rechtlichen Dürfens unterscheidet sich die Auslegung des § 13 StaRUG da- 16 her restrukturierungsspezifisch von derjenigen des § 228 InsO.

Auch soweit das Verbot der Übersanierung greift, bestehen allerdings keine Grenzen des recht- 17 lichen Dürfens hinsichtlich der Etablierung von Treuhandverhältnissen zugunsten der Planbetroffenen. Aufgrund der insoweit gleich gerichteten Rechts- und Interessenlage kann die zu § 228 InsO etablierte Rechtsprechung21 übertragen werden, wonach der Plan die Abtretung von Vermögenswerten zugunsten der (planbetroffenen) Gläubiger an den Insolvenzverwalter vorsehen kann, um deren Durchsetzung zugunsten der Gläubiger zu ermöglichen oder zu befördern und von dem Risiko des weiteren Wirtschaftens des Schuldners und des Hinzutretens neuer Gläubiger zu entlasten.22 Das Restrukturierungsverfahren kann daher auch Mittel zu dem Zweck sein, doppelnützige Treuhandkonstruktionen23 rechts- und transaktionssicher, gegebenenfalls auch gegen den Widerstand von Akkordstörern, zu implementieren. 17 BT-Drucks. 12/2443, S. 203. 18 Siehe auch Tasma in Flöther, 2021, § 13 StaRUG Rz. 3; zur InsO Breuer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 228 InsO Rz. 6; Lüer/Streit in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 228 InsO Rz. 1; Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 228 InsO Rz. 7. 19 BT-Drucks. 19/24181, S. 110. 20 Tasma in Flöther, 2021, § 13 StaRUG Rz. 3. 21 BGH v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86 Rz. 9. 22 Wie hier Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 13 StaRUG Rz. 4. 23 Dazu ausführlich Bieg in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2 A III.

Hölzle/Schulenberg | 323

§ 13 Rz. 18 | Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse

4. Aufnahme der Willenserklärungen in den Restrukturierungsplan 18 Gemäß § 13 Satz 1 StaRUG können die erforderlichen Willenserklärungen in den Restruktu-

rierungsplan „aufgenommen werden“. Hierbei ist hinsichtlich der Anforderungen an eine solche „Aufnahme“ nach der Person des Erklärenden zu differenzieren.

19 Soweit der Erklärende zu den Planbetroffenen gehört, kann seine Willenserklärung grund-

sätzlich (ausnahmsweise sind weitergehende Erklärungen unter den Voraussetzungen des § 15 StaRUG, dort Rz. 3, erforderlich) unmittelbar in den Plan aufgenommen werden, da dieser den Planwirkungen unmittelbar unterworfen ist.24 Es empfiehlt sich in diesem Fall, den ausdrücklichen Wortlaut der abzugebenden Erklärung im Plan abzudrucken. Die Abgabe der zum sachenrechtlichen Vollzug erforderlichen Willenserklärung wird gem. § 13 StaRUG durch die im Plan enthaltene Erklärung „ersetzt“, ohne dass es einer über die Abstimmung hinausgehenden individuellen Erklärung bedürfte.

20 Willenserklärungen nicht planbetroffener Gläubiger können in den Plan nicht aufgenom-

men werden. Sie sind dem Schuldner gegenüber individuell nach den allgemeinen Bestimmungen der Rechtsgeschäftslehre abzugeben und müssen diesem zugehen. Haben sie Bezug zu dem Restrukturierungsverfahren und sind vor allem für die Erreichbarkeit des Sanierungsziels und die Erfüllbarkeit des Plans von Bedeutung, so sind sie dem Restrukturierungsplan als Anlage gem. § 15 StaRUG beizufügen.25

21 Willenserklärungen des Schuldners können hingegen in den Plan aufgenommen werden.

Der Restrukturierungsplan kommt nach den für die Abgabe, die Wirksamkeit und die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen zustande.26 Dies gilt insgesamt für das Verhältnis der Planbetroffenen zum Schuldner. § 13 StaRUG erfasst daher nicht nur die Willenserklärungen der Planbetroffenen, sondern auch diejenigen des Schuldners. Dies kommt bereits im Wortlaut des § 13 StaRUG zum Ausdruck, der nicht von den Willenserklärungen der Planbetroffenen, sondern der Beteiligten spricht. Dasselbe gilt für etwaige Erklärungen der Gesellschafter, da auch diese am Verfahren beteiligt sind.

22 Nicht Verfahrensbeteiligter ist hingegen der Restrukturierungsbeauftragte. Erklärungen von

diesem können in den Plan nicht aufgenommen werden. Dies gilt sowohl für rein schuldrechtliche als auch für sachenrechtliche Willenserklärungen.

V. Bestimmtheitsgrundsatz § 13 Satz 2 und 3 StaRUG und allgemeine Grundsätze 23 § 13 Satz 2 StaRUG statuiert im Rahmen der Rechtsänderungen an im Grundbuch eingetrage-

nen Rechten die Relevanz des Bestimmtheitsgrundsatzes. § 13 Satz 3 StaRUG ordnet die entsprechende Geltung dieser Regelung auch im Anwendungsbereich anderer eingetragener Rechte an.

24 Die Geltung des Bestimmtheitserfordernisses für sämtliche Rechtsänderungen dinglicher Art

ergibt sich bereits aus den allgemeinen Grundsätzen. Nach dem allgemeinen sachenrechtlichen Bestimmtheits- und Spezialitätsgrundsatz müssen die Objekte der Rechtsänderung stets hinreichend bestimmt und konkret bezeichnet sein. Sieht der Restrukturierungsplan die Abtretung einer zukünftigen Forderung, insbesondere im Rahmen von Globalzessionen vor, ge-

24 Tasma in Flöther, 2021, § 13 StaRUG Rz. 5. 25 Tasma in Flöther, 2021, § 13 StaRUG Rz. 5. 26 Ausführlich Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 17–19, 23 Rz. 6 ff.

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Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht | § 14

nügt nach den allgemeinen Grundsätzen die Bestimmbarkeit der Forderung;27 dies gilt auch im Rahmen des § 13 StaRUG. Eine mangelnde Bestimmtheit nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen führt nicht nur 25 zur Unwirksamkeit der entsprechenden Rechtshandlung nach allgemeinen Kriterien, sondern begründet darüber hinaus regelmäßig ein Planbestätigungshindernis i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG (Rz. 28 ff.).

VI. Weitere Voraussetzungen Etwaige Erklärungen bzw. Vollmachten, die nicht unmittelbar in den Plan aufgenommen wer- 26 den können (insbesondere solche nicht in den Plan einbezogener Dritter oder des Restrukturierungsbeauftragten, Rz. 20 und Rz. 22), sind dem Plan als Anlagen beizufügen. Gleiches gilt für die entsprechenden Zustimmungserklärungen Planunterworfener unter den Voraussetzungen des § 15 StaRUG (§ 15 Rz. 17).

VII. Rechtsfolgen Gemäß § 67 Abs. 1, § 68 Abs. 1 StaRUG gelten die in den Restrukturierungsplan aufgenom- 27 menen Willenserklärungen im Zeitpunkt der Planbestätigung als formgerecht abgegeben. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die entsprechenden Willenserklärungen dem Restrukturierungsplan als Anlage beigefügt sind oder ob diese bereits unmittelbar durch die Planregelungen ersetzt werden (hierzu Rz. 18 ff.). Bei Verstößen gegen zivilrechtliche Vorgaben sind die Regelungen (zivilrechtlich) unwirk- 28 sam, d.h. sachenrechtlich wirkungslos; auch eine gerichtliche Planbestätigung kann diese Unwirksamkeit nicht heilen, da § 67 Abs. 6 StaRUG lediglich Mängel im Verfahren der Planabstimmung sowie Willensmängel von Planangebot und Planannahme erfasst, nicht jedoch die im Plan enthaltenen Erklärungen zur Herbeiführung sachenrechtlicher Änderungen. Verstöße gegen restrukturierungsrechtliche Vorgaben stellen, im Fall ihrer „Wesentlichkeit“, 29 die im Einzelfall zu prüfen ist, Planbestätigungshindernisse i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG dar. Verstöße gegen allgemeine zivilrechtliche Vorgaben können dabei ebenfalls Planbestätigungs- 30 hindernisse darstellen, wenn sie zugleich restrukturierungsrechtliche Vorgaben in wesentlichen Punkten verletzen.

§ 14 Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht; Ergebnis- und Finanzplan (1) Dem Restrukturierungsplan ist eine begründete Erklärung zu den Aussichten darauf beizufügen, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners durch den Plan beseitigt wird und dass die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicher- oder wiederhergestellt wird.

27 Allgemein BGH v. 25.10.1952 – I ZR 48/52, NJW 1953, 21, 22.

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§ 14 Rz. 1 | Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht (2) 1Dem Restrukturierungsplan ist eine Vermögensübersicht beizufügen, in der die Vermögensgegenstände und die Verbindlichkeiten, die sich bei Wirksamwerden des Plans gegenüberstünden, mit ihren Werten aufgeführt sind. 2Zudem ist aufzuführen, welche Aufwendungen und Erträge für den Zeitraum, während dessen die Gläubiger befriedigt werden sollen, zu erwarten sind und durch welche Abfolge von Einnahmen und Ausgaben die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens während dieses Zeitraums gewährleistet werden soll. 3Dabei sind neben den Restrukturierungsforderungen auch die vom Plan unberührt bleibenden Forderungen sowie die künftig nach dem Plan zu begründenden Forderungen zu berücksichtigen. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Regelungsgegenstand und Normzweck . II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Historie und EU–Richtlinien-Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gegenstand und Form der beizufügenden Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aussichten der Bestandssicherung (§ 14 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Person des Erklärenden . . . . . . . . . . . . b) Inhalt der Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . c) Maß der Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . d) Prognosezeitraum für die nachhaltige Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 4 7 10 10 12 13 18

e) Rechtliche Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermögens- und Restrukturierungsplanung (§ 14 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . a) Vermögensübersicht (§ 14 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergebnis- und Finanzplan (§ 14 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 und 2 StaRUG) . . . . . . . . aa) Anforderungen an die Planung . . bb) Begründungserfordernis . . . . . . . . cc) Planungshorizont . . . . . . . . . . . . . . c) Klarstellung des § 14 Abs. 2 Satz 3 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22 24 29 30 32 33 35 36 41

20

Schrifttum: Fischer, Fortbestehensprognose und Sanierung, NZI 2016, 665; Röper/Denkhaus, Finanzierungsoptionen im Restrukturierungsverfahren ZRI 2021, 1043; Vallender, Die Amtsermittlungspflicht nach dem StaRUG, ZRI 2021, 165.

I. Regelungsgegenstand und Normzweck 1 § 14 StaRUG steht im Zusammenhang mit § 15 StaRUG. Beide Vorschriften ordnen die ob-

ligatorische Beifügung bestimmter Unterlagen zum Restrukturierungsplan an. Aus § 14 StaRUG ergibt sich die Erforderlichkeit der Beifügung einer begründeten Erklärung zur Bestandsfähigkeit (§ 14 Abs. 1 StaRUG), einer Vermögensübersicht (§ 14 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) und eines Ergebnis- und Finanzplans (§ 14 Abs. 2 Satz 2 StaRUG). Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 3 StaRUG haben Vermögensübersicht und Ergebnis- und Finanzplanung dabei sämtliche Forderungen, d.h. auch vom Plan unberührte und durch den Plan neu begründete künftige Forderungen zu berücksichtigen.

2 Mit diesem Regelungsgegenstand enthalten beide Vorschriften einen Kern des Sanierungsver-

fahrens, der auch in der jüngeren Rechtsprechung des BGH1 zum Ausdruck kommt, wonach die transparente Darstellung des Sanierungskonzepts auf die Wiederherstellung der nachhaltigen Bestandsfähigkeit des Schuldners gerichtet sein muss. Hieran hat sich der Inhalt der vorzulegenden Erklärungen und Verzeichnisse auszurichten.

1 BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385 = GmbHR 2022, 575.

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Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht | Rz. 8 § 14

Die Erklärung zur Bestandsfähigkeit muss daher zwar nicht zwingend z.B. an der Gliederung 3 und dem Aufbau eines Sanierungsgutachtens nach IDW S 6 orientiert sein, muss aber den wesentlichen Inhalt einer solchen Begutachtung widerspiegeln.2 Die Erklärung zur Bestandsfähigkeit muss auf Basis einer umfassenden Analyse die ex-ante Beurteilung eines objektiven Dritten zum Bestehen der Sanierungsfähigkeit des Unternehmens ermöglichen und die objektive Eignung der in Aussicht genommenen Maßnahmen, die Sanierung in überschaubarer Zeit bewältigen zu können, ergeben.3

II. Normzweck Aus dieser Vorgabe erschließt sich auch der Normzweck. § 14 StaRUG trägt dem im gesamten 4 Recht der präventiven Restrukturierung maßgeblichen Transparenzprinzip Rechnung und dient dazu, den Gläubigern und dem Gericht eine Einschätzung der Folgen der ihnen abverlangten Restrukturierungsbeiträge, sowie die Erfolgsaussichten4 der Restrukturierung vorzunehmen. Zudem soll die Vorschrift einen Beitrag zum Überrumpelungsschutz der Planbetroffenen leisten.5 Insgesamt soll den Planbetroffenen auf diese Weise eine informierte Entscheidung über die Planannahme ermöglicht werden.6 § 14 Abs. 1 StaRUG ist darüber hinaus auch die weitere Aussage zu entnehmen, dass die Sa- 5 nierung unter Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nicht über die Sicher- bzw. Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des Schuldners hinausgehen darf. In der Zusammenschau mit anderen Vorschriften, insbesondere § 7 StaRUG, ergibt sich auch aus dieser Norm, das der Restrukturierung nach dem StaRUG immanente Verbot der Übersanierung (§ 7 Rz. 15).7 Ein insolvenzrechtliches Pendant zu § 14 Abs. 1 StaRUG fehlt. § 14 Abs. 2 StaRUG ist dem- 6 gegenüber § 229 Satz 1 und 2 InsO nachgebildet; auf die Rechtsprechung und Kommentierung zu dieser Vorschrift kann daher grundsätzlich verwiesen werden.

III. Historie und EU–Richtlinien-Umsetzung Die Aufzählung der zwingend beizufügenden Erklärungen und Unterlagen findet ihre Grund- 7 lage in Art. 8 Abs. 1 Buchst. b, g, v, sowie h Restrukturierungs-RL, die in diesem Artikel die zwingend erforderlichen Mindestvorgaben eines Restrukturierungsplans festschreibt. § 14 Abs. 1 StaRUG dient der Umsetzung des Art. 8 Abs. 1 Buchst. h Satz 1 Restrukturie- 8 rungs-RL, wonach der Restrukturierungsplan eine Begründung zu enthalten hat, in der erläutert wird, warum eine begründete Aussicht besteht, dass dieser die Insolvenz des Schuldners verhindern und die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gewährleisten wird, einschließlich der notwendigen Voraussetzungen für den Erfolg des Plans. Art. 8 Abs. 1 Buchst. h Satz 2 Restrukturierungs-RL stellt dem nationalen Gesetzgeber frei, die mit dem Plan vorzulegende Begründung von einem externen Experten oder von dem Restrukturierungbeauftragten

2 BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, NZI 2016, 636; BGH v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, NZI 2018, 840; BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561 = ZIP 1998, 248 = DB 1998, 817. 3 BGH v. 21.11. 2005 – II ZR 277/03, NJW 2006, 1283. 4 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 14 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 5 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 1; Koch/Müller in Braun, 2021, § 14 StaRUG Rz. 4; Wolf in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 14 StaRUG Rz. 4. 6 Tasma in Flöther, 2021, § 14 StaRUG Rz. 1. 7 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 2.

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§ 14 Rz. 8 | Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht vorlegen oder bestätigen zu lassen.8 Der deutsche Gesetzgeber hat dies in Gestalt des § 76 Abs. 4 StaRUG umgesetzt, wonach im Falle eines Planbestätigungsantrags des Schuldners bei Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten dieser obligatorisch auch zu der Begründung des Schuldners nach § 14 Abs. 1 StaRUG Stellung zu nehmen hat.9 Bei dieser Pflichtaufgabe des Restrukturierungsbeauftragten handelt es sich um die spezialgesetzliche Ausformung der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen i.S.d. § 73 Abs. 3 StaRUG, weshalb sich dieser nicht auf eine bloße Plausibilitätsprüfung der Restrukturierungsmaßnahmen und der Planrechnung zurückziehen kann, sondern die begründete Erklärung des Schuldners gem. § 14 Abs. 1 StaRUG sachverständig zu begutachten und zu beurteilen hat.10 9 Die Grundlage des § 14 Abs. 2 StaRUG findet sich in Art. 8 Abs. 1 Buchst. b Halbs. 1 und

Buchst. g, v Restrukturierungs-RL.

IV. Gegenstand und Form der beizufügenden Erklärungen 1. Aussichten der Bestandssicherung (§ 14 Abs. 1 StaRUG) 10 Eine informierte Abstimmungsentscheidung der Planbetroffen setzt voraus, dass diese die

Erfolgswahrscheinlichkeiten des Gelingens der Sanierungsbemühungen auf Basis des zur Abstimmung gestellten Restrukturierungsplans prüfen können.11 Gleichzeitig gibt § 6 Abs. 1 StaRUG vor, dass im darstellenden Teil des Restrukturierungsplans zur Gewährleistung der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit des Plans lediglich die Darstellung der „Grundlagen“ des Restrukturierungskonzeptes geschuldet ist.12 Um die entsprechende eigenständige Prüfung der Planbetroffenen – und im Rahmen eines gerichtlichen Bestätigungsverfahrens auch des Restrukturierungsgerichts – zu ermöglichen, bedarf es somit der Zurverfügungstellung ergänzender Informationen darüber, wie die Krisenursachen und -folgen (eingetretene drohende Zahlungsunfähigkeit gem. § 18 InsO) beseitigt und der dauerhafte Bestand des Schuldners gesichert bzw. wiederhergestellt werden soll. Zudem bedarf es Informationen darüber, auf welche Art und Weise das Maß der künftigen Verbindlichkeiten des zu sanierenden Unternehmens zurückgeführt werden kann und inwieweit bzw. auf welcher Grundlage die künftig fällig werdenden Verbindlichkeiten aus den Erträgen erfüllbar sind.13 Dem dient § 14 StaRUG.

11 Dieser Zweck gebietet eine strenge Auslegung des § 14 Abs. 1 StaRUG. Das Gebot einer stren-

gen Auslegung wird auch durch den Richtlinientext gestützt, der in Art. 8 Abs. 1 Buchst. h Restrukturierungs-RL vorsieht, dass in dem Restrukturierungsplan zu erläutern ist, warum eine begründete Aussicht besteht, dass die Restrukturierungsmaßnahme die Insolvenz des Schuldners verhindern und die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gewährleisten kann, einschließlich einer Erläuterung der notwendigen Voraussetzungen für den Erfolg des Plans. Gleichzeitig stellt die Richtlinie bereits in ErwGr. 3 klar, dass ein Schuldner in finanziellen Schwierigkeiten, der nicht wirtschaftlich bestandfähig ist oder seine wirtschaftliche Bestandsfähigkeit nicht ohne weiteres wiederherstellen kann, keinen Zugang zum Restrukturierungsrahmen haben soll. Der Rahmen dient gerade nicht der (weiteren) Verschleppung einer unausweichlichen Insolvenz. § 14 Abs. 1 StaRUG statuiert damit deutlich strengere Anforderun8 Koch/Müller in Braun, 2021, § 14 StaRUG Rz. 2. 9 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 16; Tasma in Flöther, 2021, § 14 StaRUG Rz. 2. 10 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 16. 11 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 4; Koch/Müller in Braun, 2021, § 14 StaRUG Rz. 9. 12 Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 14 StaRUG Rz. 5. 13 Ähnlich für § 229 InsO Eilenberger in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 229 InsO Rz. 3.

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Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht | Rz. 15 § 14

gen im Anwendungsbereich des Restrukturierungsplanverfahrens als § 229 InsO für das Insolvenzplanverfahren. a) Person des Erklärenden Aussagen zur Person des Erklärenden sind weder § 14 Abs. 1 StaRUG noch Art. 8 Restruktu- 12 rierungs-RL zu entnehmen.14 Die Erklärung kann daher sowohl vom Schuldner bzw. dessen Organen als auch von einem Sachverständigen oder anderen Dritten abgegeben werden.15 Im letzteren Fall sind die der Erklärung zugrunde gelegten Informationen bzw. Dokumente zu benennen, um ihre Vollständigkeit und Aktualität sicherstellen zu können. In der Regel wird sich die Erstellung durch einen unabhängigen Fachmann anbieten, um eine hinreichende Kredibilität und Validität erzielen zu können.16 In jedem Fall erforderlich ist eine Angabe zur Person des Erklärenden sowie zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung.17 Hat ein Dritter die Erklärung erstellt, so ist dieser eine vom Schuldner bzw. dessen Organen unterzeichnete Vollständigkeitserklärung zwingend beizufügen. b) Inhalt der Erklärung Die Erklärung i.S.d. § 14 Abs. 1 StaRUG kann sich vor dem Hintergrund ihres Zwecks (Rz. 10) 13 nicht darauf beschränken, bloße Maßnahmen zu beschreiben oder singuläre Planrechnungen vorzulegen, sondern muss in Anlehnung an § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG, der insoweit als Auslegungshilfe heranzuziehen ist, auf Grundlage der Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise die zu deren Bewältigung beabsichtigten Maßnahmen und die Herleitung der aus ihnen abzuleitenden wirtschaftlichen Folgen und Aussichten begründet darlegen (näher § 31 Rz. 8). Die in § 14 Abs. 1, § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG vorgesehenen Anforderungen stehen dabei im 14 Einklang mit den vom BGH18 auch im Rahmen des Insolvenzrechts bereits in ständiger Rechtsprechung geforderten Anforderungen an taugliche Sanierungskonzepte. Die Vorschriften des StaRUG scheinen diese Rechtsprechung nun zu kodifizieren, jedenfalls aber aufzunehmen. Ihnen können insoweit verallgemeinerungsfähige Grundgedanken zu den Anforderungen an Sanierungskonzepte entnommen werden. Der BGH19 hat sich jüngst erneut mit den Anforderungen an ein taugliches Sanierungskonzept beschäftigt und dabei die nach seiner ständigen Rechtsprechung erforderlichen Kriterien zusammengefasst. In der Entscheidung kommt zum Ausdruck, dass der BGH künftig für die Tauglichkeit von Sanierungskonzepten auch im Rahmen seiner insolvenzanfechtungsrechtlichen Rechtsprechung die begründete Darstellung der Wiederherstellung der Ertragsfähigkeit des Unternehmens verlangen könnte, wie sie von §§ 14, 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG vorausgesetzt wird. Dies würde zu einem begrüßenswerten Gleichlauf zwischen der außer- und vorinsolvenzlichen, der im Restrukturierungsverfahren vollzogenen und der insolvenzgestützten, Sanierung führen. Da sich die in der ständigen Rechtsprechung des BGH zugrunde gelegten Kriterien für Sanierungskonzepte aber jedenfalls in den Anforderungen des § 14 Abs. 1 StaRUG widerspiegeln, können diese für die Auslegung des § 14 StaRUG bedenkenlos herangezogen werden. Das Sanierungskonzept darf sich danach nicht auf die finanzwirtschaftliche Seite beschränken, 15 sondern muss stets auch die Ursachen einbeziehen, die zur Zahlungsunfähigkeit geführt ha-

14 15 16 17 18 19

Vgl. Frind, ZInsO 2020, 2241, 2241. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 14 StaRUG Rz. 15 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Koch/Müller in Braun, 2021, § 14 StaRUG Rz. 11. So auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 12 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 14 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 392 f.

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§ 14 Rz. 15 | Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht ben.20 Erforderlich ist eine Analyse der Verluste und der Möglichkeit deren künftiger Vermeidung, eine Beurteilung der Erfolgsaussichten und der Rentabilität des Unternehmens in der Zukunft und Maßnahmen zur Vermeidung oder Beseitigung der (drohenden) Insolvenzreife.21 Sofern die Krise nicht ausnahmsweise lediglich auf einem Zahlungsausfall (in diesem Ausnahmefall kann ein Forderungsverzicht der Gläubiger als Inhalt des Sanierungskonzepts genügen) beruht, muss die Beseitigung der Ursachen der Krise die Grundlage jeder erfolgversprechenden Sanierung sein.22 Diese Umstände sind entsprechend in die Erklärung nach § 14 Abs. 1 StaRUG aufzunehmen. Daraus folgt, dass ein reiner Schuldenschnitt grundsätzlich nicht ausreicht, die nachhaltige Bestandsfähigkeit des Unternehmens wiederherzustellen, da der Schuldenschnitt allein die Krisenursache regelmäßig nicht beseitigt. Ausnahmsweise ist dies nur dann anzunehmen, wenn die Krise auf einen isolierten exogenen Umstand, wie z.B. einen erhöhten Forderungsausfall zurückzuführen ist, das Unternehmen im Übrigen aber grundsätzlich profitabel arbeitet. 16 Dabei hat die Erklärung auch die wesentlichen Erfolgsvoraussetzungen und damit verbundenen

Risiken darzustellen, die der erfolgreichen Sanierung entgegen stehen könnten.23 Die erforderliche Prognose wird dabei regelmäßig auf Basis einer Überleitungsrechnung zu erfolgen haben, die unter Zuhilfenahme einer integrierten Finanz- und Ertragsplanung zunächst ohne und sodann mit den beabsichtigten Restrukturierungsmaßnahmen deren Wirkung in Bezug auf die nachhaltige Bestandssicherung des Schuldners aufzeigt.24 Die Erklärung wird dabei regelmäßig die Ergebnis- und Finanzplanung gem. § 14 Abs. 2 Satz 1 StaRUG in Bezug nehmen (s. Rz. 32 ff.).

17 Die erforderliche Begründungstiefe orientiert sich zum einen an Umfang, Maß und Eintritts-

wahrscheinlichkeit der bestehenden Unwägbarkeiten sowie zum anderen an der Komplexität der vorgesehenen Maßnahmen.25 In diesem Zusammenhang ist auch darzulegen, welche Voraussetzungen (Darstellung und Herleitung der zugrunde liegenden Planungsprämissen, notwendige Beiträge Dritter oder sonstige Bedingungen, wie z.B. Erteilung einer verbindlichen Auskunft der Finanzverwaltung) für den Eintritt der vorgestellten Planung erforderlich sind und weshalb die begründete Aussicht besteht, dass diese auch eintreten werden.26 Nach den allgemeinen Grundsätzen zu den Anforderungen an Sanierungskonzepte nach dem BGH muss die Erklärung des Konzepts dabei auch eine taugliche Prognose darüber enthalten, ob sich die Zustimmung der Beteiligten im erforderlichen Maß erreichen lässt.27 Ist die Erzielung der erforderlichen Mehrheiten (auch unter Berücksichtigung der Möglichkeiten des § 26 StaRUG, s. § 26 Rz. 1) von vorn herein fraglich oder gar ausgeschlossen oder ist nicht abzusehen, dass die für die Sanierung erforderlichen Erklärungen Dritter (dazu § 15 Rz. 23) erlangt werden können, bietet das Sanierungskonzept keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.28

20 BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 392 f. Rz. 83 sowie bereits BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, BGHZ 210, 249 Rz. 29 ff. = ZIP 2016, 1235 = MDR 2016, 852 = DB 2016, 1490. 21 BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 393 Rz. 83; BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, BGHZ 210, 249 Rz. 18 = ZIP 2016, 1235 = MDR 2016, 852 = DB 2016, 1490. 22 BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 393 Rz. 83; BGH v. 21. 2. 2013 − IX ZR 52/10, NZI 2013, 500 Rz. 13; BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, BGHZ 210, 249 Rz. 34 ff. = ZIP 2016, 1235 = MDR 2016, 852 = DB 2016, 1490. 23 BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 393 Rz. 86: Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 14 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 24 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 4; Koch/Müller in Braun, 2021, § 14 StaRUG Rz. 10. 25 Vgl. auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 14 StaRUG Rz. 19 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 26 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 4; Tasma in Flöther, 2021, § 14 StaRUG Rz. 8. 27 BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 393 Rz. 87. 28 Vgl. auch BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 393 Rz. 87; BGH v. 21.1.2016 − IX ZR 84/ 13, NZI 2016, 355, 357 Rz. 17.

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Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht | Rz. 22 § 14

c) Maß der Wahrscheinlichkeit Vor dem Hintergrund der notwendig prognostischen Entscheidung stellt sich die Frage nach 18 dem Maß der zu tolerierenden Unwägbarkeiten, d.h. der erforderlichen Wahrscheinlichkeit des Erreichens der Restrukturierungsziele. Die Richtlinie verhält sich hierzu ausdrücklich nicht näher. In ErwGr. 24 wird lediglich formuliert, dass es sich als wahrscheinlich erweisen soll, dass die Insolvenz abgewendet und die Bestandsfähigkeit der Geschäftstätigkeit gesichert werden kann. Art. 8 Abs. 1 Buchst. h Restrukturierungs-RL spricht von der „begründeten Aussicht“ des Erreichens der Restrukturierungsziele. Die Beifügung des Adjektivs „begründet“ zeigt dabei bereits, dass die reine „Aussicht“ auf Erfolg nicht genügt; es sind vielmehr qualifizierte Anforderungen an die Prognose zu stellen. Art. 10 Abs. 3 Restrukturierungs-RL sieht spiegelbildlich vor, dass die Mitgliedstaaten die Ablehnungsmöglichkeit des Planes vorsehen müssen, wenn „keine vernünftige Aussicht“ besteht, dass der Plan die Insolvenz des Schuldners verhindern oder die Bestandsfähigkeit des Unternehmens „gewährleisten“ würde. Aus der Zusammenschau des Verbs „gewährleisten“ und des weiteren Adjektivs der „vernünftigen“ Aussicht wird diese Wertung der Richtlinie noch verstärkt. Aus den Richtlinienvorgaben folgt damit klar, dass eine bloße Möglichkeit eines Erfolgseintritts im Sinne eines non liquet nicht genügen kann, sondern es einer qualifizierten Erfolgsaussicht bedarf, ohne dass die Richtlinie sich näher zu der erforderlichen Qualifikation verhält. Erforderlich sein dürfte daher nach einer an Wortlaut und Zweck orientierten Auslegung je- 19 denfalls ein Überwiegen der Erfolgsaussichten gegenüber der Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns. Dementsprechend wird auch in der Gesetzesbegründung29 der Begriff der Wahrscheinlichkeit in diesem Zusammenhang gemeinsam mit dem Adjektiv „überwiegend“ verwendet. Die Erfolgsaussichten müssen somit „überwiegen“, im Sinne einer Wahrscheinlichkeit von jedenfalls mehr als 50 %. d) Prognosezeitraum für die nachhaltige Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit Die nachhaltige Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des Schuldners erfordert einen Prog- 20 nosezeitraum, während dessen die drohende Insolvenz des Schuldners in Umsetzung der durch das Restrukturierungskonzept verfolgten Maßnahmen beseitigt bleibt, von jedenfalls 3 Jahren. Dies folgt daraus, dass § 33 Abs. 2 Satz 3 StaRUG unterstellt, dass für den Fall eines Wieder- 21 auflebens der Krise innerhalb von 3 Jahren im Zweifel anzunehmen ist, dass eine nachhaltige Sanierung nicht erfolgt ist. Die vorgelegten Unterlagen zur Bestandsfähigkeit des Schuldners müssen sich daher mindestens auf diesen 3-jährigen Zeitraum beziehen und einen entsprechenden Prognosehorizont abdecken. e) Rechtliche Risiken Bestehende rechtliche Risiken im Rahmen des vorgesehenen Restrukturierungskonzepts ste- 22 hen der Planbestätigung nicht von vornherein entgegen. Die Erklärung muss etwaige rechtliche Risiken der Umsetzung aber ausdrücklich adressieren und eine Bewertung der rechtlichen Risiken vornehmen.30 Auch insoweit kann auf das BGH-Urteil31 aus März 2022 rekurriert werden. Danach darf das vorgesehene Restrukturierungskonzept und darf die hierauf gerichtete Erklärung i.S.d. § 14 Abs. 1 StaRUG auf den Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertrauen.32 Fehlt es an einer höchstrichterlichen Rechtsprechung, muss die Erklä29 30 31 32

BT-Drucks. 19/24181, S. 91, 137, 197, 204 und 206. So BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 393 Rz. 86 zur InsO. BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 393 Rz. 86. BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 393 Rz. 86.

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§ 14 Rz. 22 | Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht rung eine Prüfung beinhalten, ob der vorgesehene Weg nach dem Meinungsstand in veröffentlichter Literatur und Rechtsprechung Aussicht auf Erfolg hat.33 Beantwortet eine deutlich überwiegende Meinung die Rechtsfrage zum Nachteil des Schuldners, scheidet eine Sanierung auf dieser Grundlage aus, wenn dem Schuldner die Zeit für eine verbindliche Klärung zu seinen Gunsten nicht zur Verfügung steht.34 Mit anderen Worten: Auf eine Mindermeinung darf ein Restrukturierungskonzept nicht gestützt werden. 23 Ergeben sich aus der Anwendung neuer gesetzlicher Regelungen, z.B. dieser oder anderer

Vorschriften des StaRUG, Rechtsfragen, die bislang noch nicht in der Rechtsprechung und der Literatur eindeutig beantwortet worden sind, muss die Erklärung eine dahingehende Prüfung enthalten, ob die im Sanierungskonzept unterstellte Antwort rechtlich vertretbar ist und der Sanierungsversuch daher voraussichtlich nicht aus Rechtsgründen scheitern wird.35 Hinsichtlich der rechtlichen Einschätzung ist dabei zwar vor dem Hintergrund der bei neuen gesetzlichen Regelungen bestehenden Unsicherheiten ein großzügiger Maßstab anzulegen,36 die rechtliche Prüfung muss aber eine derartige Begründungstiefe aufweisen, dass es den Gläubigern, einem etwaigen Restrukturierungsbeauftragten und dem Restrukturierungsgericht ermöglicht wird, die entsprechende Argumentation nachzuvollziehen und zu überprüfen. f) Rechtsfolgen

24 Im gerichtlichen Planbestätigungsverfahren hat das Restrukturierungsgericht zu prüfen, ob

die Erklärung den gesetzlichen Anforderungen entspricht; andernfalls hat es die Bestätigung gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG zwingend zu versagen.37 Die Vorschrift basiert auf Art. 10 Abs. 3 Restrukturierungs-RL, wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass die Bestätigung eines Restrukturierungsplans durch die Justiz- oder Verwaltungsbehörden abgelehnt werden kann, wenn keine vernünftige Aussicht besteht, dass der Plan die Insolvenz des Schuldners verhindern oder die Bestandsfähigkeit des Unternehmens gewährleisten würde.38 Diese Gewährleistung ist nicht sichergestellt, wenn die Erklärung fehlt oder nicht den Anforderungen an ein taugliches Sanierungskonzept entspricht.

25 Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG und § 63 Abs. 1 Halbs. 1 StaRUG hat das Restrukturie-

rungsgericht die entscheidenden Umstände dabei zwar grundsätzlich von Amts wegen zu ermitteln.39 Die Beurteilung der Erklärung gem. § 14 Abs. 1 StaRUG erfolgt aber ausschließlich auf Grundlage der im Plan bzw. dessen Anlagen enthaltenen Begründung.40 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, wonach die Beachtung der Vorschriften über den Inhalt des Restrukturierungsplans Prüfungsgegenstand sind.

26 Weist die Erklärung Mängel auf, kann das Gericht gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG dem

Schuldner Hinweise dazu erteilen, an welchen Stellen die Erklärung nachgebessert werden muss und eine entsprechende Frist setzen. Im Hinblick auf die tatsächlichen Gegebenheiten und die Erfolgsaussichten ist die Prüfung aber auf die bereits bekannten Umstände zu beschränken; insbesondere trifft das Gericht keine eigene Nachforschungsplicht und ist dieses

33 BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 393 Rz. 86. 34 Vgl. BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 393 Rz. 86; siehe auch Fischer, NZI 2016, 665, 670. 35 BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 393 Rz. 86. 36 BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, NZI 2022, 385, 393 Rz. 86; vgl. auch Thole, ZIP 2015, 2145, 2150. 37 Es handelt sich um eine Pflichtversagung, vgl. Röper/Denkhaus, ZRI 2021, 1043, 1045. Ausführlich dazu § 63 Rz. 35 ff. 38 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 14 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 39 Ausführlich zum geltenden Amtsermittlungsgrundsatz Vallender, ZRI 2021, 165. 40 Weitergehender wohl Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 14 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht | Rz. 31 § 14

auch nicht zur Bestellung eines Sachverständigen verpflichtet.41 Das Gericht kann zudem auch lediglich Hinweise bzgl. der Mängel der begründeten Erklärung erteilen, die Begründung aber nicht selbst anstelle des Schuldners vornehmen oder durch einen Sachverständigen vornehmen lassen. Es gelten dieselben Erwägungen wie hinsichtlich der vom Schuldner darzulegenden Begründung für die Auswahl der Planbetroffenen (vgl. § 8 Rz. 9 ff.). Dabei kommen Nachbesserungen aber nur insoweit in Betracht, wie eine Erreichung der Re- 27 strukturierungsziele überhaupt möglich erscheint. Ergibt sich demgegenüber aus der begründeten Erklärung bereits, dass die Restrukturierungsziele, also die Sicher- bzw. Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit und die Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht erreicht werden können, ist dem Restrukturierungsplan die Bestätigung endgültig zu versagen.42 Dies folgt zwingend aus den Vorgaben des Art. 10 Abs. 3 Restrukturierungs-RL. Bestehen hieran hingegen lediglich Zweifel, kann das Gericht dem Schuldner gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG darauf hinweisen und eine Frist zur Nachbesserung setzen; verbleiben die Zweifel dergestalt, dass die Erreichung der Restrukturierungsziele nicht überwiegend wahrscheinlich erscheint, ist dem Plan die Bestätigung zu versagen.43 Dem Plan ist die Bestätigung auch dann zu versagen, wenn sich die in den Liquiditätsplanun- 28 gen, Planrechnungen und Plan-Bilanzen enthaltenen Zahlen aus anderen als vom Schuldner angegebenen Gründen als richtig erweisen. Denn in diesem Fall ist anzunehmen, dass das Restrukturierungskonzept des Schuldners nicht schlüssig ist, da die vom Schuldner dargelegten Zahlen sich gerade nicht aus der begründeten Darlegung des Konzepts ableiten, sondern sich aus anderen, mehr oder minder zufälligen Gründen möglicherweise dennoch als richtig bzw. plausibel erweisen.44 Denn in dem Fall bietet die Erklärung nicht die nach ihrem Zweck erforderliche Grundlage zur (transparenten) Prüfbarkeit des Sanierungskonzepts.

2. Vermögens- und Restrukturierungsplanung (§ 14 Abs. 2 StaRUG) Gemäß § 14 Abs. 2 StaRUG ist dem Restrukturierungsplan weiter beizufügen: 1. eine Ver- 29 mögensübersicht (Satz 1), 2. ein Ergebnisplan (Satz 2 Alt. 1) und 3. ein Finanzplan (Satz 2 Alt. 2). Die Vorschrift orientiert sich an § 229 InsO. a) Vermögensübersicht (§ 14 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) Neben den durch die begründete Erklärung nach § 14 Abs. 1 StaRUG erlangten Informatio- 30 nen erfordert die Beurteilung der Auswirkungen für die Planbetroffenen auch die Einschätzung der Vermögenslage des Schuldners. Deshalb ist gem. § 14 Abs. 2 Satz 1 StaRUG auch eine Gegenüberstellung des Vermögens und der Schulden des Schuldners für den gesamten Sanierungs-/Restrukturierungszeitraum45 geboten.46 § 14 Abs. 2 StaRUG entspricht in seiner systematischen Stellung der Vorschrift des insolvenz- 31 planverfahrensrechtlichen § 229 Satz 1 InsO, wonach die vermögensrechtlichen Auswirkungen des Restrukturierungsplans durch Fortschreibung einer auf den Zeitpunkt der Planer41 Röper/Denkhaus, ZRI 2021, 1043, 1045; s. auch Laroche in Flöther, 2021, § 63 StaRUG Rz. 22. Ausführlich s. § 63 Rz. 38 ff. 42 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 14 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 43 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 14 StaRUG Rz. 33 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 44 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 17. 45 Vgl. i.R.d. § 229 InsO Eilenberger in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 229 InsO Rz. 6; näher zum zeitlichen Horizont i.R.d. StaRUG-Verfahrens s. Rz. 35 ff. 46 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 5; Tasma in Flöther, 2021, § 14 StaRUG Rz. 15.

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§ 14 Rz. 31 | Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht stellung aufgestellten Vermögensübersicht über den gesamten Restrukturierungszeitraum in Form von Plan-Bilanzen darzustellen sind.47 Diese Darstellung hat, da sie die Wirksamkeit des Restrukturierungsplans voraussetzt, zu Fortführungswerten zu erfolgen.48 b) Ergebnis- und Finanzplan (§ 14 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 und 2 StaRUG) 32 Darüber hinaus verlangt § 14 Abs. 2 Satz 2 StaRUG in Anlehnung an § 229 Satz 2 InsO die

begründete Darstellung auch der Sicherung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners über den gesamten Restrukturierungszeitraum. Auf diese Weise soll anhand der Zahlenwerke und damit klar prüfbar der Nachweis der Umsetzungsfähigkeit des Restrukturierungskonzepts geführt und für die Planbetroffenen ein nachvollziehbares und umfassendes Bild über die prognostizierte finanzielle Fortentwicklung gezeichnet werden.49 aa) Anforderungen an die Planung

33 Die Darstellung im Rahmen der Ergebnis- und Finanzplanung erfordert eine ebenfalls in ent-

sprechende Zeitabschnitte (regelmäßig monatlich, mindestens quartalsweise; s. zu den Anforderungen für den Zeitraum vor der Planannahme Rz. 38) untergliederte (integrierte) PlanGewinn- und Verlustrechnung sowie Liquiditätsplanung des Schuldners. Aus ihr muss sich die Erfüllbarkeit des Restrukturierungkonzepts im Sinne einer nachhaltigen Bestandssicherung durch jedenfalls nachhaltige Sicherung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners für drei Jahre (Rz. 20) als Mindestziel der Restrukturierung ergeben.50 Die Erklärung zur Bestandsfähigkeit gem. § 14 Abs. 1 StaRUG wird dabei regelmäßig diese Darstellungen in Bezug nehmen, um die in ihrem Rahmen getätigten Prognosen zu stützen.

34 Die prognostizierte geschäftliche Entwicklung ist grundsätzlich aus Vergangenheitswerten ab-

zuleiten. Ergeben sich Abweichungen zwischen der bisherigen Entwicklung und der Prognose, sind diese zu erläutern und die Annahme ihrer Entwicklung zu begründen. Besondere, sich aus dem Betreiben des Restrukturierungsverfahrens ergebende oder in dessen Zusammenhang zu erwartende Umstände, wie z.B. die anfallenden Verfahrenskosten oder erforderliche Sicherheitsleistungen, aber auch das regelmäßig zu erwartende Umstellen der Lieferanten von Rechnungsstellung auf Vorkasseleistung (s. hierzu § 44 Rz. 41), sind dabei in die Planung aufzunehmen.51

bb) Begründungserfordernis 35 Über den Wortlaut des § 14 Abs. 2 StaRUG hinaus, sind auch die integrierte Plan-Gewinn-

und-Verlust-Rechnung sowie die Liquiditätsplanung zu begründen und die zugrunde liegenden Prämissen plausibel darzustellen, um den Gläubigern einerseits die Beurteilung zu ermöglichen, wie sich die Restrukturierungsmaßnahmen entwickeln und was ihre Umsetzung für die jeweils eigenen wirtschaftlichen Interessen bedeutet, andererseits eine Überprüfungsmöglichkeit zu eröffnen, ob das Restrukturierungsziel erreichbar scheint und ob sich im weiteren Verlauf das Restrukturierungsvorhaben plangemäß entwickelt.52 Der Umfang der Er47 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 5; Koch/Müller in Braun, 2021, § 14 StaRUG Rz. 4. 48 Die Auswirkungen bei Scheitern des Restrukturierungsplans, die gegebenenfalls den Ansatz von Liquidationswerten erfordern, sind der Vergleichsrechnung im darstellenden Teil vorbehalten (vgl. § 6 Rz. 3). Wolf in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 14 StaRUG Rz. 36. 49 Vgl. Koch/Müller in Braun, 2021, § 14 StaRUG Rz. 17 f. 50 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 6. 51 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 11. 52 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2021, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 10; Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 14 StaRUG Rz. 46 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht | Rz. 39 § 14

läuterungen hat sich dabei am vorgenannten Zweck zu orientieren. So muss es einem fachkundigen Dritten anhand der Erläuterungen möglich sein, die vorgelegten Planungen in angemessener Zeit jedenfalls zu plausibilisieren.53 cc) Planungshorizont Obwohl § 14 Abs. 2 Satz 2 StaRUG formuliert, dass die Aufwendungen und Erträge „für den 36 Zeitraum, während dessen die Gläubiger befriedigt werden sollen“ aufzuführen sind, kann hieraus nicht geschlossen werden, dass die Planung sich auf diesen Zeitraum, also regelmäßig einen solchen erst nach Planbestätigung beschränken darf, weil vorher regelmäßig nicht mit der Gläubigerbefriedigung begonnen wird (vgl. § 32 Abs. 1 Satz 3 StaRUG).

Die Liquiditätsplanung muss vielmehr auch den Zeitraum zwischen Planvorlage und Plan- 37 bestätigung erfassen.54 Dieses Ergebnis folgt klar aus dem Zweck der Vorschrift sowie einer systematischen Betrachtung; es wird zudem auch von der Richtlinie gestützt: Wäre der Schuldner bereits vor Annahme des Restrukturierungsplans nicht mehr in der Lage, seine laufenden Verpflichtungen zu erfüllen, ergäbe sich aus § 32 Abs. 3 StaRUG unmittelbar die Anzeigepflicht wegen einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit und damit aus § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG die grundsätzliche Rechtsfolge der Aufhebung des Verfahrens.55 Darüber hinaus kann auch die Erreichbarkeit des Restrukturierungsziels nur dann beurteilt werden, wenn der Schuldner auch während des eingeleiteten Verfahrens in der Lage ist, seinen laufenden Verpflichtungen nachzukommen.56 Schließlich hat der Schuldner gem. § 31 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG mit der für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens erforderlichen Anzeige bei dem zuständigen Restrukturierungsgericht darzustellen, welche Vorkehrungen er getroffen hat, um seine Fähigkeit sicherzustellen, seine Pflichten nach diesem Gesetz zu erfüllen (vgl. § 31 StaRUG). Diese Pflichten sind in § 32 StaRUG näher ausgestaltet. Sie erfassen u.a. die ordentliche und gewissenhafte Betreibung der Restrukturierungssache im Interesse der Gläubigergesamtheit (§ 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) sowie die Anzeige an das Gericht im Falle wesentlicher Änderungen (§ 32 Abs. 2 StaRUG), dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (§ 32 Abs. 3 StaRUG) oder anderer Gründe, die eine Umsetzung des Restrukturierungsvorhabens zu gefährden drohen (§ 32 Abs. 4 StaRUG). Die Abs. 2–4 setzen dabei voraus, dass der Schuldner den Restrukturierungsplan nur dann und solange zur Abstimmung stellt, wie das Restrukturierungsziel erreichbar erscheint und noch keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Dies setzt voraus, dass im laufenden Verfahren bestehende Verpflichtungen, soweit nicht von einer Stabilisierungsanordnung betroffen, vertragsgerecht erfüllt werden. Der Planungshorizont muss damit auch die Zwischenphase bis zur Planannahme erfassen 38 und folglich seinen Startpunkt im Vorlagezeitpunkt setzen. Dabei genügt eine Darstellung auf Monatsebene aufgrund der im Falle des Eintritts von Veränderungen nicht mehr bestehenden Bestätigungsfähigkeit des Restrukturierungsplans nicht; vielmehr ist insoweit regelmäßig eine Darstellung auf Wochenebene zu verlangen.57 Für die Frage nach der zeitlichen Begrenzung des Planhorizonts bzgl. dessen Endpunktes ist 39 die Beurteilung erforderlich, ob das Restrukturierungskonzept zur nachhaltigen Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des Schuldners und damit zur Vermeidung einer Folgeinsolvenz58 geeignet ist. Hierzu muss sich die Mindestlaufzeit der Prognose unabhängig von dem 53 54 55 56 57 58

Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 11. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 8. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 8. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 8. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 8. Zu den Wirkungen eines vorangegangenen Restrukturierungsverfahrens in der Folgeinsolvenz ausführlich Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293.

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§ 14 Rz. 39 | Erklärung zur Bestandsfähigkeit; Vermögensübersicht Restrukturierungskonzept an der Vermutungswirkung des § 33 Abs. 2 Satz 3 StaRUG orientieren (Rz. 20); der Planungshorizont von drei Jahren darf daher grundsätzlich nicht unterschritten werden.59 Im Übrigen wird die Laufzeit der Ergebnis- und Finanzplanung durch das dargestellte Restrukturierungskonzept und die Laufzeit der Restrukturierung bestimmt. 40 Im Übrigen kann auf die Rechtsprechung zu § 229 InsO verwiesen werden. Da aufgrund der

Teilkollektivität des Restrukturierungsplans nach dem StaRUG nur die Planbetroffenen von dem Restrukturierungsplan erfasst sind, bedurfte es keiner dem § 229 Satz 3 InsO vergleichbaren Regelung.60 Der Vermögensübersicht nach § 14 StaRUG kommt daher im Vergleich zum Insolvenzrecht eine besondere Stellung zu.61 c) Klarstellung des § 14 Abs. 2 Satz 3 StaRUG

41 § 14 Abs. 2 Satz 3 StaRUG ist die Klarstellung zu entnehmen, dass neben den Restrukturie-

rungsforderungen auch die vom Plan unberührt bleibenden Forderungen sowie die künftig nach dem Plan zu begründenden Forderungen zu berücksichtigen sind. Dies ist vor dem Hintergrund des Zwecks, einen Gesamtüberblick über die Finanzlage zur Beurteilung der Restrukturierungsfähigkeit ermöglichen zu können, unabdingbar und daher rein klarstellend zu verstehen.

§ 15 Weitere beizufügende Erklärungen (1) Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit [ab 1.1.2024: „rechtsfähige Personengesellschaft“] oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, so ist dem Restrukturierungsplan eine Erklärung der Personen beizufügen, die nach dem Plan persönlich haftende Gesellschafter des Unternehmens sein sollen, dass sie zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Plans bereit sind. (2) Sollen Gläubiger Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen an einer juristischen Person, einem nicht rechtsfähigen Verein oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit [ab 1.1.2024: „rechtsfähige Personengesellschaft“] übernehmen, so ist dem Restrukturierungsplan die Zustimmungserklärung eines jeden dieser Gläubiger beizufügen. (3) Hat ein Dritter für den Fall der Bestätigung des Restrukturierungsplans Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern übernommen, so ist dem Plan die Erklärung des Dritten beizufügen. (4) Sieht der Restrukturierungsplan Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten vor, so ist dem Plan die Zustimmung des verbundenen Unternehmens beizufügen, das die Sicherheit gestellt hat. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256); Abs. 1 und 2 mit Wirkung v. 1.1.2024 geändert durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).

59 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 7. 60 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 14 StaRUG Rz. 35 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 61 Wolf in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 14 StaRUG Rz. 29.

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Weitere beizufügende Erklärungen | Rz. 5 § 15

I. Regelungsgegenstand und Normzweck . 1 II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 III. Historie und EU-Richtlinien-Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 IV. Die beizufügenden Erklärungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Fortführungsbereitschaft der persönlich haftenden Gesellschafter (§ 15 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2. Zustimmungserklärung der Neugesellschafter (§ 15 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . 3. Verpflichtungen externer Dritter (§ 15 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gruppeninterne Drittsicherheiten (§ 15 Abs. 4 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Form der Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . .

17 23 29 32

I. Regelungsgegenstand und Normzweck § 15 StaRUG steht im Zusammenhang mit § 14 StaRUG. Beide Vorschriften ordnen die Bei- 1 fügung bestimmter Unterlagen zum Restrukturierungsplan an und dienen der Herstellung von Transparenz im Restrukturierungsverfahren, um den planbetroffenen Gläubigern sowie dem Restrukturierungsgericht eine informierte Entscheidung zu ermöglichen (§ 14 Rz. 1). § 15 StaRUG dient zudem der Implementierung von nicht durch den Restrukturierungsplan 2 selbst regelbaren zivilrechtlichen Verpflichtungserklärungen; insoweit dient die Vorschrift auch der Konzentration und Vereinfachung. Während § 14 StaRUG die Beifügung von Erklärungen über objektive Tatsachen bzw. Prog- 3 nosen verlangt, die keine Aussagen oder Verpflichtungen über bzw. für den Erklärenden treffen, so dass es auf die Person des Erklärenden auch nicht ankommt, betrifft § 15 StaRUG persönliche Absichts- bzw. Verpflichtungserklärungen bestimmter – am Verfahren nicht zwingend beteiligter – Personen, deren – durch die Erklärungen übernommenen bzw. zugesagten – Beiträge für die Umsetzung des Restrukturierungplans erforderlich sind. Dies umfasst die Fortführungsbereitschaft der persönlich haftenden Gesellschafter einer zu restrukturierenden Gesellschaft (§ 15 Abs. 1 StaRUG), die Zustimmung von Gläubigern zur Übernahme der Geschäftsanteile (§ 15 Abs. 2 StaRUG), die Verpflichtungserklärungen Dritter betreffend im Restrukturierungsplan vorgesehenen Verpflichtungen (§ 15 Abs. 3 StaRUG) sowie schließlich die Zustimmung der Sicherungsgeber gruppeninterner Drittsicherheiten im Falle eines Eingriffes in solche (§ 15 Abs. 4 StaRUG).

II. Normzweck § 15 Abs. 1 StaRUG dient dem Schutz der persönlich haftenden Gesellschafter vor einer 4 „aufgedrängten“ Fortführung des Unternehmens entgegen deren Willens.1 Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Person, die (fortwährend) persönliche Haftung übernimmt, auch zur Fortführung bereit ist.2 Eine § 230 Abs. 1 Satz 1 InsO entsprechende Erklärung des Schuldners ist vor dem Hintergrund, dass allein dieser im Rahmen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens planvorlageberechtigt ist, nicht erforderlich. Demgegenüber handelt es sich in den Fällen der § 15 Abs. 2–4 StaRUG um Konstellationen, 5 in welchen in den Plan aufgenommene materiell-rechtliche Gestaltungen die Abgabe von hierauf gerichteten Willenserklärungen konkreter Parteien erfordern, die über die Planannahme hinausgehen oder von dieser aus anderem Grunde nicht erfasst werden können, etwa weil es sich um die Erklärung eines nicht planbetroffenen Dritten handelt. 1 Siehe zu § 230 InsO BT-Drucks. 12/2443, S. 203. 2 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 15 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 15 Rz. 6 | Weitere beizufügende Erklärungen 6 Dabei sind die in § 15 Abs. 2 StaRUG adressierten Gläubiger, deren Forderungen im Rahmen

eines Debt-Equity-Swaps in Beteiligungen am schuldnerischen Unternehmen umgewandelt werden sollen zwar gem. § 7 Abs. 2 StaRUG Planunterworfene und als solche bereits durch die Planannahmeentscheidung an die im Plan vorgesehenen Regelungen gebunden; die Übernahme der jeweiligen Anteilsrechte aber setzt die jeweilige Zustimmung des Neugesellschafters voraus, da ihnen die Anteilsrechte nicht aufgedrängt werden können. Dem trägt § 15 Abs. 2 StaRUG Rechnung.

7 In den § 15 Abs. 3 und 4 StaRUG schließlich sind Konstellationen adressiert, in welchen nicht

planunterworfene Dritte Sanierungsbeiträge leisten. Mangels Planunterworfenheit der Erklärenden können die entsprechenden Rechtswirkungen, die mit den Erklärungen nach § 15 Abs. 3 und 4 StaRUG herbeigeführt werden sollen, nicht bereits durch den Regelungsgehalt und die Planannahme selbst herbeigeführt werden (vgl. § 68 Abs. 1 StaRUG). Insoweit sind die entsprechenden Verträge außerhalb des Restrukturierungsplans zu schließen bzw. die auf ihren Abschluss gerichteten Willenserklärungen (zu den Anforderungen an die Erklärungen nach § 15 Abs. 3 und 4 StaRUG s. Rz. 23, 29) außerhalb desselben abzugeben und diesem zur Herbeiführung der von §§ 14, 15 StaRUG intendierten Transparenz und Überprüfbarkeit dem Restrukturierungsplan beizufügen.

8 Insgesamt enthält die Vorschrift keine nennenswerten, von § 230 InsO abweichenden Bestim-

mungen, weshalb weitgehend auf die Rechtsprechung und Kommentierung zu § 230 InsO verwiesen werden kann.

III. Historie und EU-Richtlinien-Umsetzung 9 § 15 StaRUG findet kein Vorbild in der Restrukturierungsrichtlinie. Die Vorschrift lehnt

sich vielmehr unmittelbar an § 230 InsO an.

10 Die in den verschiedenen Absätzen adressierten Rechtsgestaltungen sind vollständig mit den

Vorgaben der Richtlinie vereinbar, bzw. werden von dieser vorausgesetzt. So ist die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens (§ 15 Abs. 1 StaRUG) gerade Ziel und Zweck der Richtlinie, die auf die Sicherung bzw. Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des Unternehmens, und nicht auf eine Liquidierung desselben gerichtet ist.3 Die Richtlinie sieht auch die Umwandlung von Forderungen in Anteilsrechte4 vor. Sie setzt zudem voraus, dass die Wirkungen des Restrukturierungsplans gerade nicht die Gläubigergesamtheit, sondern lediglich die Planunterworfenen erfassen,5 so dass sie die Erforderlichkeit weitergehender Erklärungen Dritter bzw. Vertragsschlüsse mit diesen ebenfalls voraussetzt, wenn sie gleichzeitig etwa die Aufnahme neuer Finanzierungen6 oder andere Gestaltungsmöglichkeiten mit Drittbeteiligung7 vorsieht. Dass die erforderlichen Erklärungen insoweit nach § 15 StaRUG unmittelbar dem Plan angefügt werden müssen, stärkt die Ziele der Richtlinie, die der Herstellung von Vorhersehbarkeit und Transparenz dienen, wie sie etwa in Art. 8 Restrukturierungs-RL zum Ausdruck kommen.

3 Siehe z.B. ErwGr. 1, 2, 3, 4, 7, 12, 15, 16, 22, 24, 26, 47, 50, 57, 70, 85, 96. Art. 1 Abs. 1 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1, Abs. 3, Art. 8 Abs. 1 Buchst. h, Art. 10 Abs. 3 und Art. 19 Buchst. C Restrukturierungs-RL. 4 Siehe bereits ErwGr. 2 Restrukturierungs-RL. 5 Siehe eindrücklich etwa in ErwGr. 39, und 46 sowie in Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 Restrukturierungs-RL. 6 Siehe Art. 2 Abs. 1 Nr. 7, Art. 8 Abs. 1 Buchst. g, vi, Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, Art. 17 Restrukturierungs-RL. 7 Z.B. die in Art. 17 Restrukturierungs-RL vorgesehene Zwischenfinanzierung.

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Weitere beizufügende Erklärungen | Rz. 15 § 15

IV. Die beizufügenden Erklärungen im Einzelnen 1. Fortführungsbereitschaft der persönlich haftenden Gesellschafter (§ 15 Abs. 1 StaRUG) § 15 Abs. 1 StaRUG dient dem Schutz der persönlich haftenden Gesellschafter des Schuld- 11 ners vor einer aufgedrängten Fortführung des Unternehmens. Die eine persönliche Haftung begründete Geschäftsführung soll insoweit nicht vom entsprechenden Willen des Haftenden losgelöst werden. Die Norm gilt auch im Falle eines Formwechsels.8 Anwendung findet die Vorschrift ausweislich ihres aktuellen – bis Ende 2023 gültigen – Wort- 12 lautes auf „Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit“ sowie Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA). Das in der bis Ende 2023 gültigen Fassung des § 15 Abs. 1 StaRUG ausdrücklich genannte Tatbestandsmerkmal der „fehlenden Rechtspersönlichkeit“ dürfte insoweit lediglich als Korrelat zur persönlichen Haftung betrachtet werden, da diese beiden Merkmale im deutschen Gesellschaftsrecht bislang grundsätzlich – die Ausnahme stellt gerade die ausdrücklich genannte KGaA dar – miteinander einhergehen. Die Vorschrift erfasst neben der ausdrücklich genannten KGaA insbesondere auch die (Außen-)GbR, die OHG, die KG und die PartG. Erfasst sind aber auch sämtliche andere Gesellschaftsformen, die eine persönliche Haftung jedenfalls eines Gesellschafters voraussetzen, etwa die Partenreederei, die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung sowie sämtliche andere ausländische Gesellschaftsformen, die über das entsprechende Wesensmerkmal der persönlichen Haftung verfügen.9 Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), das am 13 17.8.2021 im Bundesgesetzblatt (2021 Teil I Nr. 53) verkündet worden ist und am 1.1.2024 in Kraft treten wird, wird die (mögliche) Rechtsfähigkeit der GbR in § 705 Abs. 2 BGB n.F. in Gesetzesform gegossen und klar zwischen der rechtsfähigen und der nichtrechtsfähigen GbR differenziert. Indem auch die neue Fassung des § 15 Abs. 1 StaRUG statt von „Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit“ von „rechtsfähigen Personengesellschaften“ spricht, greift sie diese Änderung auf und beschränkt den Anwendungsbereich schon ihrem Wortlaut nach auf die rechtsfähige GbR. Eine Änderung des Anwendungsbereiches der Vorschrift dürfte damit indes nicht einhergehen, da auch unter der a.F. lediglich die Außen-GbR in den Anwendungsbereich der Vorschrift gefallen ist, da die reinen Innen-GbR mangels eigenen Vermögens schon keine taugliche Restrukturierungsschuldnerin darstellt. Die Änderung dient insoweit der Anpassung an die mit dem MoPeG eintretenden Änderungen des Gesellschaftsrecht ohne in der Sache restrukturierungsrechtliche Änderungen vornehmen zu wollen. Nach dem Zweck der Vorschrift (Rz. 4) muss diese jedenfalls weiterhin alle Gesellschaftsformen erfassen, die die persönliche Haftung jedenfalls eines Gesellschafters vorsehen. Die KGaA musste als juristische Person (§ 278 Abs. 1 AktG) gesondert erwähnt werden, da 14 sie nicht unter das Tatbestandsmerkmal einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (a.F.) bzw. Personengesellschaft (n.F.) gefasst werden kann. Da auch bei einer KGaA aber mindestens ein Gesellschafter unbeschränkt nach außen haftet (§ 278 Abs. 1 Halbs. 1 AktG), gebietet der Zweck der Norm (Rz. 4) auch insoweit zwingend die Erfassung des Komplementärs bzw. der Komplementäre der KGaA. Für die Erforderlichkeit der Erklärung kommt es nicht darauf an, ob die jeweiligen Gesell- 15 schafter begrenzt oder unbegrenzt haften; entscheidend ist allein die unmittelbare persönliche Außenhaftung, so dass auch der Kommanditist, der seine Hafteinlage bereits vollständi-

8 Böhm in Braun, 2021, § 15 StaRUG Rz. 3. 9 Vgl. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 15 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 15 Rz. 15 | Weitere beizufügende Erklärungen ge erbracht hat, trotz § 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB seine Fortführungsbereitschaft erklären muss.10 16 § 15 Abs. 1 StaRUG findet zudem auch dann Anwendung, wenn es sich bei dem persönlich

haftenden Gesellschafter seinerseits nicht um eine natürliche, sondern um eine juristische Person,11 oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, handelt.

2. Zustimmungserklärung der Neugesellschafter (§ 15 Abs. 2 StaRUG) 17 Sieht der Restrukturierungsplan die Übernahme von Gesellschaftsanteilen durch Gläubiger

(sog. Debt-Equity-Swap) vor, so sind dem Restrukturierungsplan nach § 15 Abs. 2 StaRUG die Zustimmungserklärungen dieser Gläubiger beizufügen.

18 Einem Gläubiger kann die Übernahme von Anteilen nicht gegen dessen Willen aufgedrängt

werden. Dies folgt nicht zuletzt auch aus der negativen Schutzkomponente des Art. 9 Abs. 1 GG (Vereinigungsfreiheit).12 Zwar sieht die grundsätzliche Konstruktion des Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmens – wie auch des Vorbilds im Rahmen der InsO – vor, dass über das die entsprechenden Regelungen enthaltenen Planregelungen im Abstimmungstermin abgestimmt und auf diese Weise die Zustimmung erteilt wird und gerade nicht die Zustimmung jedes einzelnen Gläubiger erforderlich ist; § 15 Abs. 2 StaRUG will insoweit aber gerade verhindern, dass einem Gläubiger eine Beteiligung mit den damit einhergehenden Verpflichtungen an dem schuldnerischen Unternehmen gegen seinen Willen zugewiesen wird.13

19 Darüber hinaus liegt in dem Debt-Equity-Swap auch eine Leistung an Erfüllungs statt i.S.d.

§ 364 Abs. 1 BGB, die zur Herbeiführung der Erfüllungswirkung die Annahme des Gläubigers und damit dessen Einverständnis mit der Ersetzung voraussetzt. Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen des § 230 Abs. 2 InsO auch in anderen Fällen, in denen der Plan Leistungen an Erfüllung statt an einzelne Gläubiger vorsieht, eine analoge Anwendung der Vorschrift angenommen worden.14 Dies lässt sich auch auf § 15 Abs. 2 StaRUG übertragen.15 Die Zustimmung der Neugesellschafter ist daher Planbestätigungsvoraussetzung (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG). Um hier bereits im Abstimmungstermin Klarheit über die Umsetzbarkeit der vorgesehenen Swaps erzielen zu können, sind die entsprechenden Zustimmungserklärungen dem Plan bereits beizufügen.

20 Anders als im Rahmen des § 15 Abs. 1 StaRUG beschränkt sich der Anwendungsbereich des

§ 15 Abs. 2 StaRUG nicht auf bestimmte Gesellschaftsformen. Erfasst sind vielmehr sämtliche Personenvereinigungen, unabhängig davon, ob diese über eine eigene Rechtspersönlichkeit oder persönlich haftende Gesellschafter verfügen. Das Tatbestandsmerkmal der Übernahme von Beteiligungen bzw. Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten ist demgegenüber eng auszulegen und erfasst nur „echte“ Beteiligungen im engeren Sinn.16 Insbesondere die stille Beteiligung

10 Siehe auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 15 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Zum damit verbundenen Störpotential insbesondere im Bereich von Publikumsgesellschaften s. Fridgen in BeckOK/ StaRUG, § 15 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 11 Vgl. auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 15 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 12 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 15 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 13 Böhm in Braun, 2021, § 15 StaRUG Rz. 4. 14 Spliedt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 230 InsO Rz. 6; Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 230 InsO Rz. 4. 15 Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 15 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 15 StaRUG Rz. 8. 16 Siehe auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 15 StaRUG Rz. 28 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

340 | Hölzle/Schulenberg

Weitere beizufügende Erklärungen | Rz. 25 § 15

ist nicht vom Anwendungsbereich des § 15 Abs. 2 StaRUG erfasst, da diese nicht die Übernahme von Anteilen an dem Unternehmen selbst begründet.17 Aus der im Gesetzestext verwendeten Formulierung „übernehmen sollen“ kann geschlossen 21 werden, dass die Erklärungen dann nicht Planbestätigungsvoraussetzung sind, wenn der Restrukturierungsplan den Gläubigern lediglich die Option auf Anteilsrechte, etwa in Gestalt eines Wahlrechts zwischen der Anteilsübertragung und einer quotalen Befriedigung, einräumt.18 Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck der Vorschrift, da kein Scheitern des Restrukturierungskonzepts droht, sofern das Sanierungskonzept auch in dem Fall einer vollständigen Ablehnung der Anteilsübertragung durch die entsprechende Gläubigergruppe, aufgeht, was wiederum in der Erklärung gem. § 14 Abs. 1 StaRUG darzulegen wäre. Etwaig bestehende Formerfordernisse, etwa gem. § 55 Abs. 1 GmbHG, können durch die 22 Planaufnahme gem. § 68 Abs. 2 Satz 1 StaRUG ersetzt werden, da die vom Debt-EquitySwap betroffenen Gläubiger Planunterworfen sind (§ 7 Abs. 2 StaRUG).19

3. Verpflichtungen externer Dritter (§ 15 Abs. 3 StaRUG) Mangels Planunterworfenheit können Dritte im Restrukturierungsplan selbst nicht zur Erbrin- 23 gung von Sanierungsbeiträgen verpflichtet werden. Beiträge Dritter, etwa in Form der Gewährung neuer Finanzierungen, sind aber häufig unentbehrlich für die Durchführung von in Restrukturierungsplänen vorausgesetzten bzw. umzusetzenden Sanierungskonzepten. Um hier sowohl für die abstimmenden Gläubiger als auch den etwaig prüfenden Restrukturierungsbeauftragten und das Restrukturierungsgericht im Falle der vorgesehenen Übernahme von Sanierungsbeiträgen durch externe Dritte transparent aufzeigen zu können, dass bzw. inwieweit die entsprechenden Beiträge zugesagt und damit die auf ihnen beruhenden Planrechnungen und -regelungen umsetzbar sind, ist die entsprechende Zusage dem Plan gem. § 15 Abs. 3 StaRUG zwingend beizufügen. Aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 3 StaRUG und der Systematik der § 67 Abs. 1, § 68 Abs. 1 24 StaRUG folgt dabei, dass es für einen wirksamen Vertragsschluss mit dem Dritten sogar genügt, wenn lediglich dessen Willenserklärung dem Restrukturierungsplan beigefügt wird. Die korrespondierende (Annahme-)Erklärung des Schuldners kann im Restrukturierungsplan selbst geregelt werden, da der Schuldner als Planunterworfener an die im Plan vorgesehenen Erklärungen gebunden ist. In diesem Fall ist die Erklärung des Schuldners gem. § 68 Abs. 1 StaRUG auch von etwaigen Formerfordernissen befreit, wohingegen sich die Erklärung des Dritten mangels Planunterworfenheit an den Formvorgaben nach den allgemeinen Vorschriften zu messen hat. Dem Erfordernis des § 15 Abs. 3 StaRUG ist aber ebenso Genüge getan, wenn dem Restruktu- 25 rierungsplan ein außerhalb desselben bereits nach allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen geschlossener Vertrag beigefügt wird. In diesem Fall gilt § 68 Abs. 1 StaRUG allerdings nicht: Beide Willenserklärungen unterliegen dann den allgemeinen Formvoraussetzungen. Diese Gestaltung dürfte vor dem Hintergrund der durch das StaRUG insoweit nicht verdrängten – aber in der entsprechenden Willenserklärung durchaus abdingbaren – §§ 145 ff. BGB, häufig die rechtssichere Lösung darstellen.20 17 Siehe auch Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 15 StaRUG Rz. 29 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 18 So für § 230 InsO Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 230 InsO Rz. 57. Im Ergebnis wie hier auch Böhm in Braun, 2021, § 15 StaRUG Rz. 5. 19 Siehe hierzu ausführlich Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 15 StaRUG Rz. 32–35 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 20 Vgl. beispielsweise zur im Insolvenzplanverfahren bestehenden Diskussion um die im Zweifel anzunehmende Einräumung eines Widerrufsvorbehalts Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 230 InsO Rz. 90.

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§ 15 Rz. 26 | Weitere beizufügende Erklärungen 26 Da § 68 Abs. 1 StaRUG lediglich über etwaige Formerfordernisse hinweg hilft, gilt in allen

Konstellationen, dass im Übrigen die allgemeinen zivilrechtlichen Voraussetzungen des jeweiligen Rechtsgeschäfts erfüllt sein müssen. Eine etwaige Bedingungsfeindlichkeit des entsprechenden Rechtsgeschäfts steht dabei der Aufnahme einer Bedingung der Wirksamkeit auf die Planannahme nach den allgemeinen Grundsätzen über innerprozessuale Bedingungen21 aber nicht entgegen.

27 Aus § 71 Abs. 2 StaRUG ergibt sich, dass in dem Fall, in dem der Dritte Verpflichtungen für

die Erfüllung des Plans neben dem Schuldner ohne Vorbehalt der Einrede der Vorausklage übernommen hat, sogar auf dieser Grundlage vollstreckt werden kann, wenn der Restrukturierungsplan gerichtlich bestätigt worden ist. Ist diese Rechtsfolge beabsichtigt, ist besonders auf die Formulierung der Verpflichtungserklärung dahingehend zu achten, dass diese auch derart bestimmt formuliert ist, dass sie eine Vollstreckung auf ihrer Grundlage ermöglicht.

28 Fehlt es an der Erklärung, obwohl der Restrukturierungsplan die Übernahme von Verpflich-

tungen Dritter vorsieht, dürfte regelmäßig ein wesentlicher Mangel und damit ein Planbestätigungshindernis i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG vorliegen; dies gilt in jedem Fall dann, wenn die Verpflichtung auf die Bereitstellung einer neuen Finanzierung oder eine Mithaftung gerichtet ist. Doch auch in den anderen Fällen von Verpflichtungen Dritter dürfte eine Wesentlichkeit anzunehmen sein, da die entsprechende Zusage für die Abstimmungsentscheidung der Gläubiger regelmäßig von entscheidender Bedeutung sein wird. Eine Ausnahme dürfte etwa dann gelten, wenn lediglich ein in Ansehung des Gesamtsanierungskonzepts derartig unwesentlicher Beitrag durch einen Dritten übernommen wird, dass dieser in der Gesamtbetrachtung überhaupt nicht ins Gewicht fällt und ihm insbesondere keinerlei Bedeutung für das grundsätzliche Gelingen des Sanierungskonzepts zukommt.

4. Gruppeninterne Drittsicherheiten (§ 15 Abs. 4 StaRUG) 29 Gemäß § 2 Abs. 4 StaRUG kann der Restrukturierungsplan auch die Rechte der Inhaber von

Restrukturierungsforderungen gestalten, die diesen aus einer von einem verbundenen Unternehmen als Bürge, Mitschuldner oder aufgrund einer anderweitig übernommenen Haftung oder an Gegenständen des Vermögens dieses Unternehmens zustehen, sog. „gruppeninterne Drittsicherheiten“. Da der Eingriff in die bilateralen Vertragsverhältnisse zwischen dem Planbetroffenen und dem Drittsicherheitengeber durch den Restrukturierungsplan ohne Beteiligung des Sicherungsgebers zivilrechtlich nicht möglich wäre, erfordert dieser Eingriff die Zustimmung des gruppeninternen Drittsicherheitengebers.22 Zur Wahrung der Transparenz und Überprüfbarkeit sieht § 15 Abs. 4 StaRUG folgerichtig die Beifügung der entsprechenden Erklärung des verbundenen Drittsicherheitengebers vor.

30 Da die Drittsicherheitengeber nicht – oder jedenfalls nicht ohne das Vorliegen eigener Forde-

rungen gegen den Schuldner und die Einbeziehung derselben in den Restrukturierungsplan – planunterworfen sind, kann ihre Erklärung weder durch die Planregelungen ersetzt, noch ein etwaiges Formerfordernis gem. § 68 Abs. 1 StaRUG überwunden werden.

31 Die Rechtsfolge des Fehlens der Erklärung nach § 15 Abs. 4 StaRUG richtet sich nach § 63

Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Ob der Mangel wesentlich ist, richtet sich dabei nach den Umständen des Falles insbesondere die Bedeutung der Gestaltung der Drittsicherheit für die Erfolgsaussichten des Sanierungskonzepts sowie die Auswirkungen auf die Befriedigungsaussichten der Gläubiger.

21 Dazu statt aller Musielak in Musielak/Voit, 19. Aufl. 2022, Einl. Rz. 62. 22 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 13.

342 | Hölzle/Schulenberg

Checkliste für Restrukturierungspläne | Rz. 1 § 16

V. Form der Erklärungen Die Erklärungen i.S.d. § 15 Abs. 1–4 StaRUG sind dem Restrukturierungsplan in vollständi- 32 ger Ausfertigung der jeweiligen Erklärung beizufügen.23 Dazu, ob mit „den Erklärungen“ in § 15 StaRUG die jeweiligen Originale gemeint und gefordert sind, verhält sich weder der Gesetzestext noch die Gesetzesbegründung. Bei der Übermittlung des Restrukturierungsplans an die Planbetroffenen kann schon auf- 33 grund fehlender Praktikabilität24 nicht die Übersendung von Originalen, sondern lediglich die Übersendung von Kopien verlangt werden.25 Die Originale der Erklärungen sind aber der zu bestätigenden Originalausfertigung des Restrukturierungsplans beizufügen.26 Dieses ist erforderlich, da nur auf der Grundlage einer vorliegenden Erklärung im Original die Wahrung der etwaig vorgeschriebenen Form gem. § 68 Abs. 2 StaRUG als Wirkung der Planbestätigung eintreten kann (arg. e contrario aus § 127 Abs. 2 BGB: wenn bei der gewillkürten Form die telekommunikative Übermittlung der Erklärung grundsätzlich ausreichend ist, gilt dies bei gesetzlich vorgeschriebenen Formerfordernissen gerade nicht).27 Zudem spricht auch der Zweck des § 15 StaRUG, den Planbetroffenen Gelegenheit zur Prüfung der Wirksamkeit und Richtigkeit der Erklärungen einzuräumen, für das Erfordernis der Beifügung des Originals.28

§ 16 Checkliste für Restrukturierungspläne 1

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz macht eine Checkliste für Restrukturierungspläne bekannt, welche an die Bedürfnisse von kleinen und mittleren Unternehmen angepasst ist. 2Die Checkliste wird auf der Internetseite www.bmjv.bund.de veröffentlicht. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Richtlinienumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . .

1 4 8

IV. Entwurf der Checkliste . . . . . . . . . . . . . . .

9

Schrifttum: IDW, Stellungnahme zur Checkliste des BMJ zu Restrukturierungsplänen, BB 2022, 682.

I. Regelungsgegenstand § 16 StaRUG delegiert die Verpflichtung, eine Checkliste für Restrukturierungspläne, die an 1 die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) angepasst ist, an das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Dieses wird eine solche Checkliste zeitnah auf

23 24 25 26 27 28

Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 18. Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 15 StaRUG Rz. 7. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 18. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 18. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 14, 15 StaRUG Rz. 18. Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 15 StaRUG Rz. 7.

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§ 16 Rz. 1 | Checkliste für Restrukturierungspläne seiner Homepage veröffentlichen. Derzeit (Juli 2022) befindet sich der Entwurf der Checkliste (Rz. 9) in der Fachabstimmung.1 2 § 16 StaRUG enthält keine Vorgaben zum Inhalt der Checkliste, weshalb dieser sich aus-

schließlich nach den Vorgaben der Richtlinie richtet. Dabei kann die Checkliste, worauf das BMJ in seinem Entwurf zur Recht ausdrücklich hinweist, nicht Formular, sondern allenfalls Orientierungshilfe sein. Die Checkliste systematisiert die sämtlichen Anforderungen des Gesetzes an Form und Inhalt von Restrukturierungsplänen in Gestalt einer Mustergliederung. Dass eine solche nicht den Anforderungen des jeweiligen Einzelfalls gerecht werden kann, liegt auf der Hand, insbesondere da die z.T. hochkomplexen inhaltlichen Anforderungen an Restrukturierungspläne sich nicht allein schematisch abarbeiten lassen und das Wohl und Wehe des Planerfolgs nicht selten in der konkreten Planarchitektur liegt.

3 Dessen ungeachtet gibt die Checkliste jedoch einen Überblick über die im Plan regelmäßig

abzubildenden Mindestinhalte und die Anforderungen hinsichtlich Transparenz, Planklarheit (§ 6 Rz. 9) und ggf. auch Darstellungstiefe. Insoweit ist die Checkliste auch Auslegungshilfe für die Beurteilung von Plänen.

II. Normzweck 4 Der Zweck der Norm besteht zunächst allein in der Delegation der Aufgabe der Bereitstellung

der Checkliste an das BMJ. Gleichzeitig kommt der Gesetzgeber mit der Delegation aber auch der übergeordneten Verpflichtung nach, eine Checkliste überhaupt bereitzustellen.

5 Die Checkliste soll nach der Vorstellung des Richtliniengebers vor allem kleinen und mittleren

Unternehmen (KMU) eine Hilfestellung bei der Erstellung von Restrukturierungsplänen geben und so helfen, Beraterkosten zu reduzieren und die Hürden für die Inanspruchnahme einer präventiven Restrukturierung zu reduzieren. Dazu enthält die Checkliste notwendigerweise (hierzu Rz. 8) auch Leitlinien, also Erläuterungen dazu, wie ein Restrukturierungsplan nach nationalem Recht zu erstellen ist. Dass dieses Ziel angesichts der Komplexität von Sanierungsvorhaben im Allgemeinen und der Aufstellung von Restrukturierungsplänen im Besonderen gelingen kann, ist zweifelhaft. In der Bereitstellung einer Checkliste als Orientierungshilfe liegt vielmehr die Gefahr der Fehlinterpretation als Formular und einer Simplifizierung des Vorhabens, was zu beraterlosen Restrukturierungsverfahren einerseits, zur Erbringung von Beratungsleistungen durch im Restrukturierungsrecht nicht hinreichend erfahrene Berater andererseits verleiten kann. Scheitern solche Verfahren, ist regelmäßig nicht nur die Chance der präventiven Restrukturierung vertan, sondern der gesamtwirtschaftliche Schaden auch deutlich größer, als bei einem sogleich adäquat vorbereiteten Verfahren. Das BMJ tut daher gut daran, deutlich auf den lediglich möglichen Leitschnur-Charakter der Checkliste hinzuweisen und deutlich zu machen, dass die Verwendung der Checkliste weder Garant für die Annahme und ggf. Bestätigung des Restrukturierungsplans ist, noch eine auf den Einzelfall ausgerichtete Beratung ersetzen kann.2

6 Demgemäß kann auch der Hinweis auf die Verwendung der Checkliste bei Erstellung des

Restrukturierungsplans nicht für die nach § 31 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG geschuldete Darstellung genügen, welche Vorkehrungen der Schuldner getroffen hat, seine nach dem Gesetz bestehenden Pflichten zu erfüllen.

7 Aus der Qualifikation lediglich als Leitschnur für Mindestinhalt, Transparenz und Plan-

klarheit folgt zugleich, dass sich ein Restrukturierungsplan nicht an der Checkliste orientieren

1 BMJ, Entwurf einer Checkliste für Restrukturierungspläne gem. § 16 StARUG, ZRI 2022, 191. 2 In der Sache ebenso Stellungnahme des IdW zum Entwurf der Checkliste, BB 2022, 682.

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Checkliste für Restrukturierungspläne | Rz. 10 § 16

muss. Die zwingenden Vorgaben an Form, Aufbau und Inhalt des Plans ergeben sich aus dem Gesetz (§§ 5–15 StaRUG); § 16 StaRUG hat demgegenüber keinerlei materiell-rechtlichen Inhalt. Auch eine von der Checkliste vollständig abweichende Form der Darstellung bleibt, solange sie die gesetzlichen Vorgaben erfüllt, selbstverständlich möglich. Da die Praxis jedoch voraussichtlich dazu übergehen wird, jedenfalls die Prüfung des Mindestinhalts unter Zuhilfenahme der Checkliste vorzunehmen, sprechen Gesichtspunkte der Verfahrenssicherheit und Verfahrensbeschleunigung dafür, sich an dem Aufbau der Checkliste jedenfalls insoweit zu orientieren, als keine konkreten Anforderungen des Einzelfalls dagegensprechen oder einen grundlegend abweichenden Aufbau erfordern. Dies erleichtert es allen Beteiligten, sich binnen kürzester Zeit einen Überblick über das Restrukturierungsvorhaben und – jedenfalls prima vista – die Vollständigkeit und formelle Rechtmäßigkeit des Plans zu verschaffen. Dieser Vorteil sollte nicht leichtfertig durch Abweichung von der Checkliste aufgegeben werden.

III. Richtlinienumsetzung Mit § 16 StaRUG setzt der Gesetzgeber Art. 8 Abs. 2 Restrukturierungs-RL um. Danach 8 sind KMU mit der Checkliste praktische Leitlinien für die Erstellung von Restrukturierungsplänen nach nationalem Recht an die Hand zu geben, weshalb sich die Checkliste in richtlinienkonformer Umsetzung gerade nicht allein auf die Auflistung der Mindestinhalte beschränken darf, sondern hierzu auch erläuternde Hinweise zu geben hat. Dem wird der vorliegende Entwurf der Checkliste vollumfänglich gerecht. Gerade darin liegt aber die Gefahr der Simplifizierung des Verfahrens (s. Rz. 5), weshalb das BMJ in seinem Entwurf zu Recht ebenso deutlich darauf hinweist, dass die Checkliste allein eine vom Einzelfall unabhängige Orientierungshilfe sein kann.

IV. Entwurf der Checkliste Bis zum Redaktionsschluss war die Checkliste noch nicht veröffentlicht. Der vom BMJ ver- 9 öffentlichte Entwurf3 befand sich noch in der Fachabstimmung. Der Entwurf enthält eine kommentierte und mit Erstellungshinweisen versehene Muster-Gliederung eines Restrukturierungsplans, die alle (denkbaren) Mindestinhalte abdeckt. Die Muster-Gliederung des Plans schlägt das BMJ wie folgt vor:

10

Deckblatt und ggf. eine Zusammenfassung des Plans Darstellender Teil – Schuldnerbezogene Angaben – Firma/Name, Geburtsdatum, Adresse – Unternehmensgegenstand – Registergericht, Registernummer – Vertretungsberechtigung – Verfahrensbezogene Angaben – Restrukturierungsgericht, Aktenzeichen – Ggf. Angaben zum Restrukturierungsbeauftragten (Name und Anschrift) – Ggf. Angaben zu Verfahrenshilfen – Ggf. Angaben zu einer vorangegangenen Sanierungsmoderation – Unternehmens- und krisenbezogene Angaben – Wirtschaftliche Situation des Schuldners und Krisenanalyse – Angaben zur Vermögenslage des Schuldners 3 ZRI 2022, 191.

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§ 16 Rz. 10 | Checkliste für Restrukturierungspläne





– –

– Angaben zu Arbeitnehmern – Ggf. Angaben zur Unternehmensgruppe – Allgemeine Angaben (Struktur der Gruppe, rechtliche und wirtschaftliche Verbindungen) – Zusätzliche Angaben zu verbundenen Unternehmen, wenn von ihnen gestellte Sicherheiten in den Plan einbezogen werden Restrukturierungsbezogene Angaben – Beschreibung der Maßnahmen zur Bewältigung der Krise – Planbasierte Maßnahmen – Ggf. Maßnahmen außerhalb des Restrukturierungsplans – Neue Finanzierung i.S.v. § 12 StaRUG – Auswirkungen auf Arbeitnehmer – Ggf. zusätzliche Angaben zu Auswirkungen auf verbundene Unternehmen, wenn von ihnen gestellte Sicherheiten in den Plan einbezogen werden Angaben zu den Planbetroffenen – Identität der Planbetroffenen – Auswahl der Planbetroffenen – Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen – Vorgesehene Restrukturierungsbeiträge nach Gruppen – Angaben zu den Stimmrechten Vergleichsrechnung zu den Befriedigungsaussichten mit und ohne den Restrukturierungsplan Ggf. Erläuterung weiterer Regelungen des gestaltenden Teils des Plans

Gestaltender Teil – Gruppenbildung – Regelung zur Änderung der Rechtsstellung der Planbetroffenen nach Gruppen – Ggf. (sonstige) gesellschaftsrechtliche Maßnahmen – Ggf. Erklärungen zur Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse – Ggf. weitere Regelungen – Regelung zur Haftung des Schuldners und persönlich haftender Gesellschafter – Regelung zu einer neuen Finanzierung – Regelung zum Inkrafttreten des Restrukturierungsplans – Planbedingungen – Regelung zur Planüberwachung – Regelung zum Wiederaufleben gestundeter oder erlassener Forderungen – Bereitstellung von Mitteln für den Fall einer nachgewiesenen Schlechterstellung Anlagen – Erklärung zur Bestandsfähigkeit – Vermögensübersicht für Zeitpunkt der Wirksamkeit des Restrukturierungsplans – Ergebnis- und Finanzplan – Ggf. Verpflichtungserklärung – Ggf. Zustimmungserklärungen von unterschiedlich behandelten Planbetroffenen – Ggf. Zustimmungserklärungen zur Übernahme von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten oder Beteiligungen – Ggf. Erklärung zur Fortführungsbereitschaft der designierten persönlich haftenden Gesellschafter – Ggf. Zustimmungserklärungen verbundener Unternehmen, wenn von ihnen gestellte Sicherheiten in den Plan einbezogen werden

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Planangebot | § 17

Abschnitt 3 Planabstimmung (§§ 17-28) Unterabschnitt 1 Planangebot und Planannahme (§§ 17-23)

§ 17 Planangebot (1) 1Das an die Planbetroffenen gerichtete Angebot des Schuldners, den Restrukturierungsplan anzunehmen (Planangebot), hat den deutlichen Hinweis darauf zu enthalten, dass der Plan im Fall seiner mehrheitlichen Annahme und gerichtlichen Bestätigung auch gegenüber Planbetroffenen wirksam wird, die das Angebot nicht annehmen. 2Dem Planangebot ist der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen sowie eine Darstellung der bereits angefallenen und der noch zu erwartenden Kosten des Restrukturierungsverfahrens einschließlich der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten beizufügen. (2) Aus dem Planangebot muss hervorgehen, mit welchen Forderungen oder Rechten der jeweilige Planbetroffene in den Restrukturierungsplan einbezogen ist, welchen Gruppen der Planbetroffene zugeordnet ist und welche Stimmrechte die ihm zustehenden Forderungen und Rechte gewähren. (3) Hat der Schuldner vor Abgabe des Planangebots nicht allen Planbetroffenen Gelegenheit zur gemeinschaftlichen Erörterung des Plans oder des Restrukturierungskonzepts gegeben, das durch den Plan umgesetzt werden soll, hat das Planangebot den Hinweis darauf zu enthalten, dass auf Verlangen eines Planbetroffenen oder mehrerer Planbetroffener eine Versammlung der Planbetroffenen zwecks Erörterung des Plans abgehalten wird. (4) 1Sofern im Verhältnis zu einzelnen Planbetroffenen nichts anderes vereinbart ist, unterliegt das Planangebot der Schriftform. 2Bestimmt der Schuldner im Planangebot keine andere Form, unterliegt auch die Planannahme der Schriftform. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV. 1.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normhistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnatur des Plans . . . . . . . . . . . . . . b) Vorschriften über Willenserklärungen c) Vorschriften des AGB-Rechts . . . . . . . d) Rechtsfolgen von Willensmängeln . . . e) Form des Planangebots (§ 17 Abs. 4 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Abgabe und Zugang des Planangebots g) Bindung an das Planangebot . . . . . . . .

1 4 5 10 10 11 13 15 16 19 23 26

2. Befugnis zur Abgabe des Planangebots . . a) Befugnis im Innenverhältnis . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Planangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Notwendiger Inhalt des Planangebots . . . a) Hinweis auf Bindungswirkung (§ 17 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . b) Beizufügende Dokumente (§ 17 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . c) Angabe der Kosten (§ 17 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beschreibung der Planbetroffenheit und Stimmrechte (§ 17 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 29 35 46 47 48 50 52 56

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§ 17 | Planangebot e) Hinweis auf Möglichkeit einer Erörterungsversammlung (§ 17 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 V. Planannahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

1. Form der Planannahme (§ 17 Abs. 4 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Weitere Ausgestaltung des Planannahmeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Schrifttum: Balthasar, Allgemeine Zugangsvoraussetzungen zu den Restrukturierungsinstrumenten, NZI-Beilage 2021, 18; Bea/Dressler, Business Judgement Rule versus Gläubigerschutz? Praktische Erwägungen zur Organhaftung im Kontext des StaRUG, NZI 2021, 67; Bitter, Reform des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts zum 1.1.2021 in Kraft getreten, GmbHR 2021, R16; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG, ZInsO 2021, 125; Eckert/Holze/ Ippen, StaRUG aus dem Gleichgewicht? Verfehlung des Ziels der rechtzeitigen Einleitung von Sanierungsmaßnahmen, NZI 2021, 153; Eidenmüller, Strategische Insolvenz: Möglichkeiten, Grenzen, Rechtsvergleichung, ZIP 2014, 1197; Fama/Jensen, Separation of Ownership and Control, Journal of Law & Economics 1983 (Vol. 26(2)), 301; Fuhrmann/Heinen/Schilz, Die gesellschaftsrechtlichen Aspekte des StaRUG. Drei Fragen an die Restrukturierungsanzeige nach § 31 Abs. 1 StaRUG, NZG 2021, 684; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG). Ein Überblick, BB 2021, 66; Guntermann, StaRUG: Neuausrichtung der Geschäftsleiterpflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit?, WM 2021, 214; Herweg/Wirth, Der Restrukturierungsplan – Kernstück der präventiven Sanierung, DB 2021, 886; Hofmann, Der Restrukturierungsplan im künftigen deutschen Restrukturierungsverfahren. Restrukturierungs- vs. Insolvenzplan?, NZI-Beilage 2019, 23; Jungmann, Die Ausrichtung der Pflichten von Gesellschaftsorganen an den Interessen der Residualberechtigten. Zur Notwendigkeit eines rechtsdogmatisch tragfähigen Fundaments des Restrukturierungsrechts, ZRI 2021, 209; Korch, Restrukturierungshaftung der Geschäftsleiter nach dem StaRUG, GmbHR 2021, 793; Korch, Die Rolle der Gesellschafter im künftigen Restrukturierungsverfahren, ZIP 2020, 446; Korch, Sanierungsverantwortung von Geschäftsleitern. Krisenpflichten im Lichte des Art. 19 der Restrukturierungsrichtlinie, ZGR 2019, 1050; Kuntz, Geschäftsleiterhaftung bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach StaRUG, ZIP 2021, 597; Madaus, Die (begrenzte) Insolvenzfestigkeit des Restrukturierungsplans, der Planleistungen sowie unterstützender Rechtshandlungen während der Restrukturierungssache, NZI-Beilage 2021, 35; Morgen/Arends/Schierhorn, Sanierungsmittel der Wahl: Insolvenzplan nach InsO n.F. oder Restrukturierungsplan nach StaRUG?, ZRI 2021, 305; Müller, Sanierung nach der geplanten EU-Restrukturierungs-Richtlinie. Eine Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive, ZGR 2018, 56; Pospiech/Noack, Krisenpflicht und Haftung des Geschäftsleiters nach dem StaRUG, NJW-Spezial 2021, 207; Ristelhuber, Gläubigerinteresse versus Gesellschafterweisung. Das Weisungsrecht der Gesellschafter nach § 37 Abs. 1 GmbHG im Lichte der Regelungen des StaRUG, NZI 2021, 417; Saenger/Al-Wraikat, Insolvenzrecht versus Gesellschaftsrecht: Wer darf bei der GmbH wann den Schutzschirm öffnen?, NZG 2013, 1201; Schäfer, Muss die Hauptversammlung einem Schutzschirmverfahren zustimmen?, ZIP 2020, 1950; Schäfer, Einbeziehung der Gesellschafter in ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren? Empfehlungen zur Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie (RR), ZIP 2019, 1645; Scholz, Die Krisenpflichten von Geschäftsleitern nach Inkrafttreten des StaRUG, ZIP 2021, 219; Seibt/Bulgrin, Entwurf zum Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) – Kritische Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, DB 2020, 2226; Skauradszun, Grundfragen zum StaRUG – Ziele, Rechtsnatur, Rechtfertigung, Schutzinstrumente, KTS 2021, 1; Skauradszun, Anteilsinhaberrechte im präventiven Restrukturierungsrahmen, NZG 2019, 761; Skauradszun, Ein Umsetzungskonzept für den präventiven Restrukturierungsrahmen, KTS 2019, 161; Smid, Wert und Unwert vertragstheoretischer Begründungen des Insolvenzplans, DZWIR 2011, 446; Smid, Anforderungen an das außergerichtliche Planangebot und seine Annahme. Essentialia der §§ 17 ff. StaRUG, DZWIR 2021, 119; Thole, Die Geschäftsleiterhaftung im StaRUG und nach § 15b InsO n.F., BB 2021, 1347; Tresselt/Glöckler, Gesellschafterrechte und Geschäftsführerpflichten. Kollision von Restrukturierungs- und Gesellschaftsrecht im präventiven Restrukturierungsrahmen, Teil 2, NWB-Sanieren 4/2021, 109; Tresselt/Glöckler, Gesellschafterrechte und Geschäftsführerpflichten. Kollision von Restrukturierungs- und Gesellschaftsrecht im präventiven Restrukturierungsrahmen, Teil 1, NWB-Sanieren 3/2021, 80; Wertenbruch, Gesellschafterbeschluss für Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit?, DB 2013, 1592; Westpfahl, Wesentliche Elemente eines vorinsolvenzlichen Sanierungsregimes für Deutschland, ZRI 2020, 157.

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Planangebot | Rz. 5 § 17

I. Regelungsgegenstand Der Schuldner hat die Wahl, ob er die Abstimmung über den Restrukturierungsplan in eige- 1 ner Verantwortung durchführt oder unter gerichtlicher Aufsicht (§ 23 StaRUG). Während auf das außergerichtliche Planabstimmungsverfahren die §§ 17–28 StaRUG Anwendung finden, ist das gerichtliche Planabstimmungsverfahren in §§ 45 f. StaRUG geregelt, wonach die Vorschriften über die gerichtliche Abstimmung über den Insolvenzplan (§§ 239–242 InsO) sowie die §§ 24–28 StaRUG entsprechend gelten (§ 45 Abs. 4 Satz 1 StaRUG). Demgegenüber finden die §§ 17–22 StaRUG in diesem Fall kraft ausdrücklicher Anordnung keine Anwendung (§ 23 StaRUG). Aus diesem Regelungszusammenhang mag sich in systematischer Hinsicht die Schlussfolgerung ergeben, dass das außergerichtliche Abstimmungsverfahren die Regel (und das gerichtliche die Ausnahme) darstellt.1 In der Praxis werden sich Schuldner demgegenüber nach Kriterien entscheiden, die sich noch herausbilden werden (vgl. § 23 Rz. 4 f.). Entscheidet sich der Schuldner für eine außergerichtliche Durchführung, erfolgt sie in privater 2 Selbstorganisation mit dem Ziel der privatautonomen Gestaltung der vom Plan berührten Rechtsverhältnisse und damit in den Handlungsformen des Privatrechts.2 Allerdings ist der Schuldner in der Gestaltung des außergerichtlichen Planabstimmungsverfahren nicht völlig frei, da in § 17 StaRUG (formelle) Mindestanforderungen, denen ein außergerichtliches Planangebot unterliegt, normiert sind. Diese Anforderungen beziehen sich indes allein auf das Abstimmungsverfahren durch das individuelle Versenden von Planangebot und Planannahme und folglich nicht auf die Unterbreitung eines Planangebots im Rahmen der außergerichtlichen Versammlung der Planbetroffenen i.S.d. § 20 StaRUG. § 17 StaRUG legt in Abs. 1 und 2 die Mindestinhalte für das zu unterbreitende Planangebot 3 sowie Hinweispflichten fest, damit die Planbetroffenen hinreichend über den Plan, die mit ihm verbundenen Kosten sowie ihre Verfahrensrechte informiert sind. § 17 Abs. 3 StaRUG sieht darüber hinaus eine Hinweispflicht für den Fall vor, dass der Schuldner den Planbetroffenen vor der Abgabe des Planangebots nicht die Gelegenheit gegeben hat, den Plan oder das Restrukturierungskonzept gemeinschaftlich zu erörtern; für diesen Fall sollen sie verlangen können, dass eine diesem Zweck dienende Versammlung abgehalten wird (auf die dann wiederum § 21 StaRUG Anwendung findet). § 17 Abs. 4 StaRUG legt schließlich dispositiv die Schriftform sowohl für das Planangebot (Satz 1) als auch für die Planannahme (Satz 2) fest.

II. Normzweck Die Vorschrift enthält den Mindestschutzstandard für die Planbetroffenen für den Fall der 4 Abgabe des Planangebots in einem außergerichtlichen Abstimmungsverfahren. Nur auf dieser Grundlage kann der außergerichtliche Weg von den Beteiligten auch tatsächlich als gegenüber dem gerichtlichen gleichwertig angesehen werden. Insbesondere sollen die Planbetroffenen in die Lage versetzt werden, eine fundierte Entscheidung über den Plan zu treffen.3

III. Normhistorie Die Vorlage von Restrukturierungsplänen ebenso wie die Abstimmung über sie sind in Art. 9 5 Restrukturierungs-RL geregelt. Nach dessen Abs. 1 Unterabs. 1 hat zunächst der Schuldner das Recht, den Planbetroffenen einen Restrukturierungsplan zur Abstimmung vorzulegen, 1 So in der Tat Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 2 BT-Drucks. 19/24181, S. 121. 3 BT-Drucks. 19/24181, S. 122.

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§ 17 Rz. 5 | Planangebot wobei Schuldner im Sinne der Vorschrift entweder das vertretungsberechtigte Organ oder eine festzulegende Mehrheit von Anteilsinhabern sein kann (ErwGr. 53 Satz 2). Nach Art. 9 Restrukturierungs-RL können Mitgliedstaaten auch Gläubigern und Restrukturierungsbeauftragten die Möglichkeit einräumen, einen Plan vorzulegen (Abs. 1 Unterabs. 2). Im Gegensatz etwa zum deutschen Insolvenzplanrecht (§ 218 Abs. 1 und 2 InsO) soll die Planvorlage unmittelbar gegenüber den Planbetroffenen und nicht erst gegenüber dem Gericht erfolgen (Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 Restrukturierungs-RL). Alle weiteren Details zur Planvorlage sollen hingegen den Mitgliedstaaten überlassen bleiben (ErwGr. 51). 6 Nach Art. 9 Abs. 7 Restrukturierungs-RL ist es den Mitgliedstaaten des weiteren erlaubt, die

„förmliche“ Abstimmung über die Annahme des Plans durch eine Vereinbarung mit der erforderlichen Mehrheit zu ersetzen. Dabei hat der Richtliniengeber für die Annahme des Plans etwa an ein Verfahren, in dem die Planbetroffenen in Form einer Konsultation und Zustimmung mit der erforderlichen Mehrheit den Plan annehmen können, gedacht (ErwGr. 43 Satz 6).

7 Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben aus Art. 9 Restrukturierungs-RL richtlinienkon-

form umgesetzt. Dabei hat er richtigerweise davon abgesehen, einer Gesellschaftermehrheit die Befugnis zur Vorlage eines Plans einzuräumen. Gleiches gilt für Gläubiger und einen Restrukturierungsbeauftragten. Das ist überzeugend. Ein Planinitiativrecht für Dritte hätte den Charakter des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens verändert. Neben einem nicht zu unterschätzenden Missbrauchspotential verspricht eine Sanierung gegen den Willen der Gesellschafter „mit der Brechstange“ keinen Erfolg.4 Allenfalls hätte man an ein gestaffeltes Planvorlagerecht mit einer zunächst exklusiven Befugnis des Schuldners denken können.5

8 Auch die Möglichkeit, dass der Schuldner die Abstimmung in Eigenverantwortung, d.h. ohne

gerichtliche Involvierung, durchführen kann, entspricht der Restrukturierungs-Richtlinie. Ein derart schlankes Verfahren ist sogar gewünscht.6

9 Im deutschen Gesetzgebungsverfahren ist § 17 StaRUG (zunächst noch § 19 StaRUG) weit-

gehend unverändert geblieben. Die einzig nennenswerte Änderung war, dass im Planangebot auch die zu erwartenden Kosten des Verfahrens aufzuführen sind.

IV. Planangebot 1. Anwendbare Vorschriften 10 Nach der Legaldefinition in § 17 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ist ein „Planangebot“ das an die Plan-

betroffenen gerichtete Angebot des Schuldners, den Restrukturierungsplan anzunehmen. Ausweislich der Gesetzesbegründung vollzieht sich die vom Schuldner in Eigenverantwortung durchgeführte Planabstimmung „nicht in vom Verfahrensrecht vorgegebenen Bahnen und Formen“, sondern „ausschließlich in den Handlungsformen des Privatrechts.“7 Damit stellt sich die Frage, welche Vorschriften konkret auf Angebot und Annahme des Plans anzuwenden sind.

a) Rechtsnatur des Plans 11 Nach Auffassung des Gesetzgebers soll es insoweit nicht auf die Rechtsnatur des Restrukturie-

rungsplans ankommen; vielmehr lässt er dessen dogmatische Einordnung ausdrücklich of4 5 6 7

Siehe dazu Westpfahl, ZRI 2020, 157, 165 m.w.N. So Westpfahl, ZRI 2020, 157, 165. So auch Madaus in Flöther, Sanierungsrecht, F. Rz. 202. BT-Drucks. 19/24181, S. 121.

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Planangebot | Rz. 14 § 17

fen.8 Tatsächlich ist schon die Rechtsnatur des Insolvenzplans umstritten. Ausweislich der diesbezüglichen Gesetzesmaterialien soll der Insolvenzplan kein Vergleich sein, sondern eine „privatautonome, den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Übereinkunft der mitspracheberechtigten Beteiligten über die Verwertung des haftenden Schuldnervermögens unter voller Garantie des Werts der Beteiligtenrechte.“9 Die Auffassungen in der Literatur reichen vom Rechtsnormcharakter10 über die Einordnung als Vertrag11 bis hin zur gemischt materiell- und verfahrensrechtlichen Vereinbarung.12 Der BGH wiederum sieht den Insolvenzplan als ein spezifisch verfahrensrechtliches Instrument an.13 Die Diskussion über die Rechtsnatur des Restrukturierungsplans hat auch bereits begonnen. 12 Während Madaus konsequenterweise auch dieses Instrument als Vertrag ansieht,14 wird es auch als Vergleich eingeordnet.15 Nicht auszuschließen ist, dass der BGH in Anlehnung an die dogmatische Einordnung des Insolvenzplans von einem spezifisch (restrukturierungs-)verfahrensrechtlichen Instrument ausgehen wird.16 Jede dieser Einordnungen dürfte jedoch für Angebot und Annahme des Plans auf die Vorschriften über Willenserklärungen in den §§ 116–144 BGB zurückgreifen wollen.17 b) Vorschriften über Willenserklärungen Der Gesetzgeber sieht den Plan als das Resultat einer Willensbetätigung der Beteiligten an, die 13 auf das Zustandekommen der in seinem gestaltenden Teil vorgesehenen Rechtsfolgen gerichtet ist.18 Daher sollen auf das Planangebot und die Erklärungen zur Annahme die Regelungen über Willenserklärungen anwendbar sein, soweit sich nicht aus den §§ 17 ff. StaRUG etwas anderes ergibt.19 Das wiederum soll unabhängig davon gelten, wie die Planannahme organisiert wird, d.h. im Wege einer formalen Abstimmung, im Rahmen einer Versammlung oder anderweitig nach Maßgabe der im Planangebot festgelegten Modalitäten. Nach alledem finden auf Angebot und Annahme des Plans jedenfalls die §§ 116 ff. BGB An- 14 wendung (s. zu den Konsequenzen bei Willensmängeln sogleich unter Rz. 16 ff.). Allerdings sollten daneben auch die übrigen Vorschriften zur Rechtgeschäftslehre, d.h. die §§ 104 ff. BGB und die §§ 145 ff. BGB gelten.20 Die Gesetzesbegründung erwähnt zwar ausdrücklich nur die §§ 116 ff. BGB. Aus der Aussage, dass das außergerichtliche Abstimmungsverfahren ausschließlich in den Handlungsformen des Privatrechts erfolgt, lassen sich jedoch keine gegenteiligen Rückschlüsse ziehen. Vielmehr zielt dieser Hinweis auf eine vollständige Berücksichtigung sämtlicher Vorschriften zum Willenserklärungsrecht und zur Rechtsgeschäftslehre. Dies gilt aber nur insoweit, als die §§ 17 ff. StaRUG keine eigenständigen Regelungen treffen.

8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

BT-Drucks. 19/24181, S. 121. BT-Drucks. 12/2443, S. 91. Smid, DZWiR 2011, 446, 449. Siehe dazu nur Madaus, Der Insolvenzplan, S. 424 ff. Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 217 InsO Rz. 12 f. BGH v. 9.1.2014 – IX ZR 209/11, ZIP 2014, 330; BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, ZIP 2006, 39 Rz. 15. Madaus, NZI-Beilage 2021, 35, 36. Smid, DZWiR 2021, 119, 121 f.; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, § 17 StaRUG Rz. 19. Ähnlich Hofmann, NZI-Beilage 2019, 23; Skauradszun, KTS 2021, 1, 36. So etwa Madaus in Flöther, § 17 StaRUG Rz. 2. BT-Drucks. 19/24181, S. 121. BT-Drucks. 19/24181, S. 121. Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 21 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 17 Rz. 15 | Planangebot c) Vorschriften des AGB-Rechts 15 Die Vorschriften des AGB-Recht (§§ 305 ff. BGB) sind auf das Planangebot hingegen nicht

anwendbar. Ein expliziter Ausschluss ergibt sich zwar weder aus dem StaRUG selbst noch aus der Gesetzesbegründung. Bei dem Planangebot handelt es sich jedoch nicht um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB.21 Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt. Zwar ist das Planangebot i.d.R. an eine Vielzahl von Planbetroffenen gerichtet; es soll indes nicht zu einer Vielzahl gleichgelagerter Verträge führen, sondern zum Zustandekommen eines Restrukturierungsplans. Selbst wenn man dies anders sehen würde und von einem Vertragsschluss zwischen Schuldner und dem jeweiligen Planbetroffenen ausgehen wollte, würde dies den Anforderungen des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht genügen,22 weil die Aufspaltung eines einheitlichen Vorhabens in mehrere Verträge mit gleichen Bedingungen nicht erfasst ist.23 d) Rechtsfolgen von Willensmängeln

16 Bei Planangebot und -annahme kann es zu beachtlichen Willensmängeln kommen. Hierzu

zählen vor allem der Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB), der Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB) und der Eigenschaftsirrtum (§ 119 Abs. 2 BGB). Zudem stellen auch die falsche Übermittlung einer Willenserklärung (§ 120 BGB) sowie die Abgabe einer Willenserklärung aufgrund arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung (§ 123 Abs. 1 BGB) Willensmängel dar, die sich auf das Planangebot oder die -annahme beziehen können. Grundsätzlich denkbar sind auch Mängel hinsichtlich der Vertretungsmacht und zwar sowohl Formmängel, sofern die Vertretungsmacht einer bestimmten Form bedarf, als auch die Überschreitung von Grenzen der Vertretungsmacht, unabhängig davon, ob diese lediglich intern oder auch extern wirken.

17 Die Geltung der §§ 116 ff. BGB unterliegt indes einer wesentlichen Einschränkung. Wird der

Restrukturierungsplan durch das Restrukturierungsgericht rechtskräftig bestätigt, sind damit etwaige Willensmängel von Planangebot und -annahme geheilt (§ 67 Abs. 6 StaRUG). Soweit der Plan bereits vor seiner Rechtskraft Wirkungen entfaltet, stehen dem etwaige Willensmängel nicht entgegen, da auch anfechtbare Willenserklärungen bis zu ihrer Anfechtung wirksam sind.24 Anders ist es bei nichtigen Willenserklärungen; diese werden erst mit der Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses geheilt, dann aber mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Wirksamwerden des Plans.25

18 Da die Heilungswirkung nur bei (rechtskräftiger) Planbestätigung eintritt, werden auch jene

Schuldner, deren Plan von allen Planbetroffenen angenommen worden ist, zu erwägen haben, ob sie nicht trotzdem eine Planbestätigung beantragen. § 60 StaRUG enthält insoweit keine Einschränkung und das berechtigte Interesse an der Planbestätigung dürfte sich für den Schuldner schon daraus ergeben, dass durch sie Rechtssicherheit für alle Beteiligten geschaffen wird.26 Denkbar ist aber auch eine salvatorische Klausel dahingehend, dass die Unwirksam-

21 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 22 Ebenso Tresselt in Morgen, § 17 StaRUG Rz. 25. 23 BGH v. 2.10.1991 – XII ZR 792/90, BeckRS 1991, 06806 Rz. 16; Fornasier in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 305 BGB Rz. 18. 24 BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 143/17, NJW 2019, 1446, 1447 Rz. 19 = ZIP 2019, 679; BGH v. 1.7.1987 – VIII ZR 331/86, NJW-RR 1987, 1456 = ZIP 1987, 1256. 25 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 26 Ähnlich Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 19 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Planangebot | Rz. 23 § 17

keit gegenüber einzelnen Planbetroffenen aufgrund möglicher Willensmängel die Wirksamkeit des Plans gegenüber den anderen Planbetroffenen nicht berührt (vgl. § 18 Rz. 18). e) Form des Planangebots (§ 17 Abs. 4 Satz 1 StaRUG) Das Planangebot unterliegt nach § 17 Abs. 4 Satz 1 StaRUG der Schriftform, sofern im Ver- 19 hältnis zu einzelnen Planbetroffenen nichts anderes vereinbart ist Somit gilt grundsätzlich die Schriftform nach § 126 BGB.27 § 126 Abs. 3 BGB eröffnet zudem die Möglichkeit, die schriftliche Form durch die elektronische Form nach § 126a BGB zu ersetzen, wobei die qualifizierte elektronische Signatur kaum praktische Relevanz besitzt.28. Welche Abweichungen im Einzelnen möglich sind, wird durch das Gesetz nicht geregelt. 20 Auch eine Vereinbarung dahingehend, dass ein Plannagebot formfrei gemacht werden kann, ist daher möglich. Jedoch ist insbesondere aus Schuldnersicht zu bedenken, dass nach § 63 Abs. 4 Satz 1 StaRUG Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Restrukturierungsplans durch die Planbetroffenen zu Lasten des Schuldners gehen.29 Besondere praktische Relevanz dürfte dabei die Textform (§ 126b BGB) erlangen, auf welche 21 die Gesetzesbegründung beispielhaft verweist.30 Der Versand des Planangebots per E-Mail spart Zeit und ermöglicht es, selbst umfangreiche Dokumente ohne Mehrkosten zu versenden. Denkbar ist auch, den Planbetroffenen das Planangebot über einen virtuellen Datenraum zur Verfügung zu stellen. Diese Vorgehensweise empfiehlt sich vor allem bei besonders umfangreichen Dokumenten. Konkret erhält jeder Planbetroffene dann eine E-Mail mit einem Link und Zugangsdaten zu dem entsprechenden Datenraum. Wichtig ist dabei, dass der Zugang den Planbetroffenen vor keine besonderen Herausforderungen stellt; insbesondere muss ausgeschlossen sein, dass sich ein Planbetroffener für den Zugang eine weitere Software herunterladen muss. Auch muss er das Dokument speichern und drucken können; kann es nur in dem Datenraum gelesen werden, reicht dies nicht.31 Letztlich wird man die Zugänglichmachung des Planangebots über einen virtuellen Datenraum nur im Verkehr mit Unternehmen empfehlen können.32 Sieht der Restrukturierungsplan formbedürftige Willenserklärungen vor, gilt die Form im 22 Falle der gerichtlichen Planbestätigung als eingehalten (§ 68 Abs. 1 StaRUG). Ist demgegenüber – aus welchem Grund auch immer – keine Planbestätigung angestrebt, hat der Schuldner auf die Einhaltung der vorgeschriebenen Form zu achten. f) Abgabe und Zugang des Planangebots Der Schuldner hat naturgemäß ein großes Interesse daran, dass das Planangebot, nachdem es 23 (form)wirksam abgegeben wurde, allen Planbetroffenen zugeht. Das folgt schon daraus, dass es nach § 18 StaRUG im Zweifel unter der Bedingung steht, dass sämtliche Betroffene dem Plan zustimmen. Der Schuldner hat also dafür zu sorgen, dass das Planangebot derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass unter gewöhnlichen Umständen mit dessen Kenntnisnahme zu rechnen ist.33

27 28 29 30 31 32 33

BT-Drucks. 19/24181, S. 122. So auch Tresselt in Morgen, § 17 StaRUG Rz. 15. Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 49 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). BT-Drucks. 19/24181, S. 122. Siehe zum gesetzlichen Formerfordernis nur Hertel in Staudinger, 2017, § 126b BGB Rz. 28 m.w.N. So auch Tresselt in Morgen, § 17 StaRUG Rz. 17. Siehe dazu nur BGH v. 3.11.1976 – VIII ZR 140/75, BGHZ 67, 271, 275 = NJW 1977, 194 = MDR 1977, 388.

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§ 17 Rz. 24 | Planangebot 24 Allerdings sollte der Schuldner den Zugang nachweisen können, um einer diesbezüglichen

Unsicherheit oder Auseinandersetzung vorzubeugen. Bei Schriftform ist an den Versand per Einschreiben mit Rückschein oder die Übergabe durch Boten gegen Empfangsbestätigung zu denken; genügt die Textform oder die elektronische Form, kommt der elektronische Versand per E-Mail mit Lesebestätigung in Betracht.34

25 Ist von vorneherein klar, dass der Zugang nicht bei allen Planbetroffenen sichergestellt werden

kann, sollte das gerichtliche Abstimmungsverfahren nach § 45 StaRUG gewählt werden. Die Herausnahme einzelner Planbetroffener erscheint demgegenüber nicht als zielführend,35 da es dann an einer sachgerechten Auswahl der Planbetroffenen nach § 8 StaRUG fehlen dürfte. Das spricht auch gegen die Formulierung des Planangebots dahingehend, dass die Wirkungen nur gegenüber denjenigen Planbetroffenen eintreten soll, denen das Planangebot zugegangen ist.36 g) Bindung an das Planangebot

26 Der Schuldner ist an sein einmal unterbreitetes Planangebot gebunden. Das ergibt sich aus

der Anwendbarkeit der Vorschriften über Willenserklärungen (hier: § 130 Abs. 1, § 145 BGB). Allerdings kann der Schuldner einen Änderungsvorbehalt aufnehmen, der jene Fälle erfasst, in denen nachträglich Änderungen erforderlich werden (§ 145 Halbs. 2 BGB).37 Handelt es sich indes um wesentliche Änderungen, wird dadurch der Neubeginn der Annahmefrist ausgelöst.

2. Befugnis zur Abgabe des Planangebots 27 Zur Abgabe eines Planangebotes ist ausschließlich der Schuldner befugt. Dies folgt aus dem

Wortlaut von § 17 Abs. 1 Satz 1 StaRUG („Angebot des Schuldners“). Zwar hätte die Restrukturierungs-Richtlinie es den Mitgliedsstaaten auch erlaubt, dass Gläubiger und Restrukturierungsbeauftragte einen Plan vorlegen können (Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 RestrukturierungsRL). Hiervon hat der deutsche Gesetzgeber jedoch keinen Gebrauch gemacht, so dass Gläubigern nur die Möglichkeit bleibt, im Rahmen der Erörterung des Planangebotes Änderungen vorzuschlagen oder gegen den Plan zu stimmen.

28 Ist der Schuldner keine natürliche, sondern eine juristische Person oder eine Gesellschaft

ohne Rechtspersönlichkeit, stellt sich die Frage, wer konkret zur Vorlage des Planangebotes befugt ist. Im Außenverhältnis gelten in Ermangelung spezieller Regelungen hierzu im StaRUG die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vertretungsregeln. Für das Innenverhältnis könnten demgegenüber aus den sogleich darzulegenden Gründen Besonderheiten mit Blick auf Zustimmungs- und Mehrheitserfordernisse sowie die Beachtlichkeit von Weisungsbeschlüssen zu berücksichtigen sein. Diese würden dann nicht nur die Abgabe des Planangebotes i.S.v. § 17 StaRUG betreffen, sondern die Anzeige des Vorhabens beim Restrukturierungsgericht und die darauffolgende Vorlage des Restrukturierungsplans sowie seinen Inhalt. Eine Abweichung von den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regeln kommt deshalb in Betracht, weil in der Unternehmenskrise zunehmend auch die Interessen weiterer Stakeholder, insbesondere der Gläubiger, in das Blickfeld geraten.

34 35 36 37

Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 53 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). So aber Jensen in HambKomm/RestruktR, § 17 StaRUG Rz. 29. A.A. Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 56 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Sehr restriktiv insoweit Jensen in HambKomm/RestruktR, § 17 StaRUG Rz. 81.

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Planangebot | Rz. 32 § 17

a) Befugnis im Innenverhältnis Im Ausgangspunkt ist festzustellen, dass das StaRUG auch für das Innenverhältnis bis zur 29 Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache, in dieser Phase noch Restrukturierungsvorhaben genannt, keine speziellen Regelungen vorsieht. Lediglich für die Zeit nach Rechtshängigkeit der – dann auch so genannten – Restrukturierungssache bestimmt § 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG, dass der Schuldner diese mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers zu betreiben und dabei die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren hat. Außerdem sind Geschäftsleiter des Schuldners gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass der Schuldner die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahrt. Für die Zeit vor Rechtshängigkeit würde sich im Umkehrschluss ergeben, dass hinsichtlich der 30 Mitwirkungspflichten der Gesellschafter auf die gesellschaftsvertraglichen Regelungen, zwingende gesetzliche Bestimmungen und darauf beruhende Weisungen bzw. Beschlüsse der Gesellschafter oder Gesellschaftsorgane abzustellen ist. Da bei Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit auch die freiwillige Insolvenzantragstellung nach § 18 InsO möglich ist, würde es naheliegen, auch für die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht nach § 31 StaRUG auf die diesbezügliche Rechtslage abzustellen. Zwar ist die freiwillige Insolvenzeinleitung bisher wegen der Überlappung mit der im Regelfall gleichzeitig anzutreffenden Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung in der Praxis wenig relevant gewesen. Dies könnte sich jedoch nach der mit dem SanInsFoG eingeführten Abgrenzung zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO und der Überschuldung gem. § 19 InsO ändern.38 Für den Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit bei einer GmbH gilt nach 31 herrschender Auffassung für das Innenverhältnis eine Zustimmungspflicht der Gesellschafterversammlung mit 75%iger Mehrheit.39 Dies wird insbesondere damit begründet, dass eine freiwillige Insolvenzantragsstellung keine Geschäftsführungsmaßnahme, sondern ein den Gesellschaftszweck änderndes Grundlagengeschäft darstelle. Zwar ist das Meinungsbild bei der Aktiengesellschaft differenzierter. Nach überwiegender Auffassung soll aber auch bei dieser Rechtsform eine Zustimmungspflicht gegeben sein, sei es durch die Hauptversammlung oder den Aufsichtsrat. Soweit die Notwendigkeit einer Zustimmung der Hauptversammlung gesehen wird, soll sich dies daraus ergeben, dass der Insolvenzantrag eine Maßnahme darstelle, welche mit einer Satzungsänderung vergleichbar sei.40 Andere halten zwar eine Hauptversammlungszustimmung für nicht erforderlich, da sie insbesondere bei Publikumsgesellschaften zu Verzögerungen führe, die einer Sanierung abträglich seien. Erforderlich sei stattdessen aber eine Zustimmung des Aufsichtsrats gem. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG.41 Entsprechend dieser Rechtslage wird von einer durchaus verbreiteten Auffassung auch für die 32 Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens nach § 31 StaRUG die Notwendigkeit einer Zustimmung der Gesellschafter oder Gesellschaftsorgane ebenso wie die Beachtlichkeit von dem Vorhaben der Geschäftsleitung entgegenstehenden Weisungen gesehen.42 38 Vgl. Hoffmann/Braun in Flöther, § 29 StaRUG Rz. 2; Hischberger/Siepmann in Morgen, § 29 StaRUG Rz. 33. 39 OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121; Liebscher in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 49 GmbHG Rz. 51; Haas in Noack/Servatius/Haas, § 60 GmbHG Rz. 29; Saenger/AlWraikat, NZG 2013, 1201; Schäfer, ZIP 2020, 1950, 1952. 40 Vgl. nur Saenger/Al-Wraikat, NZG 2013, 1201; Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1594 jeweils m.w.N. 41 Eidenmüller, ZIP 2014, 1197, 1203 f.; K. Schmidt in K. Schmidt, § 18 InsO Rz. 31. 42 Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 127; Demisch/Schwencke in Morgen, § 43 StaRUG Rz. 91 ff.; Eckert/ Holze/Ippen, NZI 2021, 153, 157; Fuhrmann/Heinen/Schilz, NZG 2021, 684, 688; Goetker in Flöther, § 1 StaRUG Rz. 77 ff.; Guntermann, WM 2021, 214, 221; Herweg/Wirth, DB 2021, 886, 878; Jung-

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§ 17 Rz. 33 | Planangebot 33 Andere wollen demgegenüber den Werdegang des StaRUG bei der Beurteilung der Rechtslage

nicht unberücksichtigt lassen. Gemeint ist, dass noch der Regierungsentwurf in § 2 Abs. 1 eine Regelung vorgesehen hatte, nach der die Geschäftsleiter des Schuldners bei drohender Zahlungsunfähigkeit verpflichtet gewesen wären, vorrangig die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Außerdem wären die Mitglieder der Überwachungsorgane dazu verpflichtet gewesen, über die Einhaltung dieser Pflicht der Geschäftsleiter zu wachen und Beschlüsse und Weisungen, die der Wahrung der Interessen der Gläubiger entgegengestanden hätten, wären unbeachtlich gewesen (§ 2 Abs. 1 StaRUG-RegE). Auf der Grundlage dieser Bestimmung hätten Gesellschafter und Gesellschaftsorgane die Anzeige eines Vorhabens bzw. die Vorlage eines Plans durch die Geschäftsleiter des Schuldners, die im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen, nicht verhindern können. Allerdings wurde § 2 StaRUG-RegE bekanntermaßen letztlich gestrichen. An dessen Stelle sollen nunmehr die „gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen“ bzw. die im „im Gesellschaftsrecht verankerten Sanierungspflichten“ treten; eine Haftungslücke entstehe dadurch nicht.43

34 Trotz dieser Streichung wird von einer ebenfalls verbreiteten Auffassung bereits de lege lata

zumindest im Einzelfall von einer Einschränkung der Einwirkungsmöglichkeiten der Gesellschafter und Gesellschaftsorgane auf die Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens ausgegangen.44 Dabei wird vor allem auf die Bedeutung von Art. 19 Buchst. a RestrukturierungsRL (i.V.m. Art. 12 Restrukturierungs-RL) verwiesen. Nach dieser Regelung haben die Mitgliedsstaaten sicherzustellen, dass die Unternehmensleitung bei einer wahrscheinlichen Insolvenz die Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstige Interessenträger gebührend berücksichtigt. Mit dieser Vorgabe erscheint es in der Tat schwer vereinbar, wenn Gesellschafter oder Gesellschaftsorgane einen Restrukturierungsplan, der im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegt, obstruieren oder blockieren können. Vereinzelt wird daher auch wegen der Streichung von § 2 StaRUG-RegE von einem Umsetzungsdefizit mit Blick auf Art. 19 Restrukturierungs-RL ausgegangen.45 Ein Vorschlag geht z.B. dahin, § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG analog schon auf die Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens anzuwenden.46 Es erscheint aber fraglich, ob tatsächlich von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden kann. Denn die Streichung von § 2 StaRUG-RegE und die Einführung von § 43 Abs. 1 StaRUG sind eine wenn auch übereilte, aber dennoch bewusste Entscheidung des Gesetzgebers.47

43 44

45 46 47

mann, ZRI 2021, 209, 2013; Ristelhuber, NZI 2021, 417, 420; Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2168; Scholz, ZIP 2021, 219, 226; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236; differenzierend Hoffmann/Braun in Flöther; § 29 StaRUG, wonach es zwar der Zustimmung der Gesellschafterversammlung der GmbH bedürfe (Rz. 14), nicht aber der Hauptversammlung oder des Aufsichtsrats der AG (Rz. 15). Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss), BT-Drucks. 19/25353, S. 6. Gehrlein, BB 2021, 66, 71 f.; Morgen/Arends/Schierhorn, ZRI 2021, 305, 309; Pospiech/Noack, NJWSpezial 2021, 207 f.; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 31 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Skauradszun, KTS 2021, 1, 49; Tresselt in Morgen, § 17 StaRUG Rz. 11; Tresselt/Glöckler, NWB-Sanieren 3/2021, 80, 85 sowie Tresselt/Glöckler, NWB-Sanieren 4/2021, 109, 111 f.; tendenziell auch Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18, 22; Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 69 (jedenfalls bei zunehmend heranrückender Krise); Bitter, GmbHR 2021, R16, R17; Korch, GmbHR 2021, 793, 795 f.; Thole, BB 2021, 1347, 1349 (für Fälle der Existenzvernichtung). So insbesondere Tresselt/Glöckler, NWB-Sanieren 3/2021, 80, 85 sowie Tresselt/Glöckler, NWB-Sanieren 4/2021 109, 111 f.; ebenfalls, wenn auch mit anderer Schlussfolgerung de lege lata Guntermann, WM 2021, 214, 221 ff. und Jungmann, ZRI 2021, 209, 212 f. Kuntz, ZIP 2021, 597, 610. Korch, GmbHR 2021, 793, 798. Zu Recht weist Jungmann (ZRI 2021, 209, 212) darauf hin, dass sich die in § 43 Abs. 1 StaRUG normierte Pflicht des Geschäftsleiters vor dem Hintergrund von § 32 Abs. 1 StaRUG bereits aus der Legalitätspflicht ergeben hätte.

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Planangebot | Rz. 38 § 17

b) Stellungnahme Nach der Streichung von § 2 StaRUG-RegE muss im Ausgangspunkt – ähnlich wie für die 35 freiwillige Einleitung eines Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit – eine Zustimmungspflicht zur Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens nach § 31 StaRUG der zuständigen Gesellschaftsorgane gelten, sofern diese für ein Grundlagengeschäft gegeben ist. Das gilt auch dann, wenn das bereits hinreichend konkretisierte Vorhaben keine Eingriffe in Gesellschafterrechte vorsieht. Denn die Anzeige beim Restrukturierungsgericht hat insofern eine „Türöffnerfunktion“,48 als mit der Rechtshängigkeit die Wirkungen des § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG und damit die Wahrung der Gesamtgläubigerinteressen eintritt und damit ein Automatismus verbunden sein kann, dass schließlich doch noch in die Gesellschafterrechte eingegriffen wird. Steht ausnahmsweise mit Sicherheit fest, dass es keinesfalls zu Eingriffen in Gesellschafterrechte kommen wird, sind diese zwar auch nicht betroffen; allerdings dürfte ihre Zustimmung dann auch nur eine Formalität sein. Bei der GmbH müssen daher die Geschäftsführer vor der Anzeige eines Restrukturierungs- 36 vorhabens grundsätzlich einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss einholen.49 Konsequenterweise muss für diesen Beschluss dann auch ein Mehrheitserfordernis von mindestens 75 % der abgegebenen Stimmen gelten, wie es auch für Satzungsänderungen und Kapitalmaßnahmen erforderlich ist.50 Bei der Aktiengesellschaft ist demgegenüber zu berücksichtigen, dass deren Vorstand grund- 37 sätzlich nicht weisungsabhängig ist, § 76 Abs. 1 AktG. Zwar könnte argumentiert werden, dass die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens nach dem StaRUG eine Entscheidung sei, die mit einer Satzungsänderung vergleichbar ist.51 Danach müsste ein Beschluss der Hauptversammlung herbeigeführt werden, für den erneut ein Mehrheitserfordernis von mindestens 75 % des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals gelten würde.52 Zwingend ist diese Sichtweise indes nicht. Auch ist zu beachten, dass die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache – anders als die Insolvenzeröffnung – nicht automatisch zur Auflösung der Gesellschaft führt. Schließlich sprechen Praktikabilitätsgründe dafür, von dem Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung abzusehen. Nur selten dürfte ausreichend Zeit für die Durchführung einer außerordentlichen Hauptversammlung sein und je nach Fallgestaltung und Verhandlungsdynamik könnten auch taktische Erwägungen gegen eine zu weit im Vorfeld liegende, öffentlichkeitswirksame Befassung mit dem Vorhaben sprechen. Lehnt man demnach die Notwendigkeit der Zustimmung der Hauptversammlung ab, liegt auch im Innenverhältnis die Zuständigkeit zur Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Vorstand, es sei denn, die Satzung sieht eine Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats vor (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Ist dies nicht der Fall, sollte der Aufsichtsrat aber zumindest vorab informiert werden. Die Prämisse der Zustimmungspflicht der GmbH-Gesellschafter und – je nach Satzung – des 38 AG-Aufsichtsrats kann aber nicht uneingeschränkt gelten, weil mit fortschreitender Unternehmenskrise auch die Interessen der Gläubiger ebenso wie die des Unternehmens und seiner sonstigen Stakeholder zunehmend betroffen sind. Davon ist vor allem dann auszugehen, wenn die Beteiligung der Gesellschafter wertlos ist. In diesem Fall gibt es keinen an die Anteilsinhaber auszukehrenden Überschuss und sind somit die Fremdkapitalgeber die wirt-

48 Goetker in Flöther, § 1 StaRUG Rz. 78. 49 OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121; Liebscher in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 49 GmbHG Rz. 51; Haas in Noack/Servatius/Haas, § 60 GmbHG Rz. 29; Saenger/AlWraikat, NZG 2013, 1201; Schäfer, ZIP 2020, 1950, 1952. 50 Ebenso ausdrücklich Goetker in Flöther, § 1 StaRUG Rz. 78; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236. 51 So in der Tat Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236. 52 Ebenso Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2236.

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§ 17 Rz. 38 | Planangebot schaftlichen Eigentümer des Unternehmens. Im anglo-amerikanischen Raum ist insoweit auch vom Übergang der Residualberechtigung am Unternehmenswert (sog. transfer of residual ownership)53 die Rede, der zu einer Verschiebung der Interessenwahrungspflichten (sog. shift of fiduciary duties) führen müsse.54 Die Wertlosigkeit der Anteile wird wesentlich häufiger vorkommen als verbreitet angenommen. Zwar ist es natürlich richtig, dass außerhalb der Insolvenz nicht die Grundannahme gelten kann, dass die Anteile „aus dem Geld“ sind.55 Aber gerade in den Fällen, in denen die Gläubiger ihren Beitrag von der Aufgabe ihrer Beteiligung durch die Gesellschafter oder zumindest einem erheblichen Beitrag von ihnen abhängig machen, wird dem so sein. Insbesondere bei den sog. LBOs,56 für deren Finanzierung die Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens erwogen wird, besteht in aller Regel kein Zweifel daran, dass sie selbst unter Zugrundelegung von Fortführungswerten rechnerisch überschuldet sind. Es liegt in diesen Konstellationen mithin das sog. Common Pool-Problem vor und genau aus diesem Grund sind Gläubiger in der Praxis auch bereit, wirtschaftliche Zugeständnisse zu machen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Anteilseigner entweder einen eigenen Beitrag zur Restrukturierung leisten oder ihre Anteile ganz oder teilweise zur Verfügung stellen.57 39 Demgegenüber dürfte es für die Einschränkung der Gesellschafterprärogative nicht schon per

se ausreichen, wenn ein Restrukturierungsplan die einzige hinreichend erfolgversprechende Alternative zur Insolvenz ist.58 Denn diese Voraussetzung könnte auch schon dann erfüllt sein, wenn die Beteiligung noch werthaltig ist bzw. Streit darüber besteht, bestimmte Gläubiger ihre Zustimmung aber trotzdem von weitreichenden Zugeständnissen der Gesellschafter abhängig machen.

40 Verweigern Gesellschafter oder Aufsichtsräte ihrer Geschäftsleitung die Zustimmung zur In-

anspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, obwohl nur dadurch eine den Interessen des Unternehmens und seiner Gläubiger zuwiderlaufende Insolvenz vermieden werden kann und sind die Anteile wertlos, bedarf es zunächst aus rechtsökonomischer und -politischer Perspektive einer Korrektur zum Schutz der Gläubiger.59 Ohne Frage wäre es wünschenswert, wenn sich der Gesetzgeber schnellstmöglich der Frage annehmen und festlegen würde, ab welchem Zeitpunkt ein sog. shift of fiduciary duties eintreten soll, mithin die Geschäftsleiter nunmehr vorrangig die Interessen der Gläubiger mit der Folge zu berücksichtigen haben, dass es für die Anzeige eines Restrukturierungvorhabens gem. § 31 StaRUG kei-

53 Siehe dazu Fama/Jensen, Journal of Law & Economics 1983 (Vol. 26(2)), 302 f.; Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 1991, S. 10 f.; ausführlich zu den rechtsökonomischen Implikationen Jensen, A Theory of the Firm: Governance, Residual Claims, and Organizational Forms, 2003, S. 140 ff. 54 Siehe dazu ausführlich Jungmann, ZRI 2021, 209, passim, der allerdings verkennt, dass es keine ökonomische Rechtfertigung dafür gibt, dass die Residualberechtigung am Unternehmenswert vor Eintritt der Wertlosigkeit der Gesellschafterbeteiligung übergehen sollte. 55 So insbesondere Schäfer, zuletzt in ZIP 2019, 1645, 1646, der diesen Standpunkt sogar für den Fall der Insolvenz vertreten hat, ähnlich Guntermann, WM 2021, 214, 216 f.; Korch, ZIP 2020, 446, 448; Müller, ZGR 2018, 56, 72; Skauradszun, KTS 2019, 161, 187. 56 LBO steht für Leveraged Buy Out und es handelt sich dabei verkürzt gesagt um eine fremdkapitalfinanzierte Übernahme, bei welcher der Übernahmekandidat seine Übernahme gleichsam selbst finanziert. 57 Vgl. dazu Westpfahl, ZRI 2020, 157, 160 m.w.N. 58 So aber Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 31a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ähnlich Skauradszun, NZG 2019, 761, 765; Skauradszun, KTS 2021, 1, 49; Tresselt in Morgen, § 17 StaRUG Rz. 11. 59 So auch Guntermann, WM 2021, 214, 216, die zu Recht darauf hinweist, dass die Selbstschutzmöglichkeiten der Gläubiger in aller Regel nicht genügen, um ihren Interessen in angemessener Weise zur Geltung zu verhelfen.

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Planangebot | Rz. 43 § 17

ner vorherigen Zustimmung der GmbH-Gesellschafterversammlung oder des AG-Aufsichtsrats mehr bedarf und auch entgegenstehende Weisungen unbeachtlich sind.60 Gleichwohl kann man nach der hier vertretenen Auffassung auch schon für diesen Fall, also 41 dass Gesellschafter oder Aufsichtsräte ihrer Geschäftsleitung die Zustimmung zur Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens verweigern, obwohl nur dadurch eine den Interessen des Unternehmens und seiner Gläubiger zuwiderlaufende Insolvenz vermieden werden kann und die Anteile wertlos sind, de lege lata zu einer Einschränkung des Gesellschaftereinflusses gelangen. Denn im deutschen Gesellschaftsrecht ist schon heute selbst außerhalb der Krise die Berücksichtigung der Interessen der Gläubiger (sowie anderer Stakeholder) stärker verankert, als dies vielfach angenommen wird.61 Zum einen sind die Legalitäts- und bestimmte Unternehmensorganisationspflichten zu beachten, was regelmäßig auch im Gläubigerinteresse liegt. Zum anderen zeigen das Kapitalerhaltungsrecht, das Verbot insolvenzverursachender Zahlungen an Gesellschafter nach § 15b Abs. 5 InsO und auch die Rechtsprechung zu existenzvernichtenden Eingriffen, dass selbst bei wirtschaftlich noch gesunden Unternehmen die Wahrung von Gläubigerinteressen eine Rolle spielt.62 Hinzu kommt, dass insbesondere für die Aktiengesellschaft das Schrifttum bereits heute über- 42 wiegend einem interessenpluralistischen Ansatz folgt, wenn auch die Festlegung auf ein Rangverhältnis der Interessen in der Regel vermieden und die Notwendigkeit eines Ausgleichs im Einzelfall betont wird.63 Allerdings wird auch ein Vorrang der Aktionärsinteressen vertreten, ohne dabei jedoch die Belange der anderen Stakeholder völlig unberücksichtigt zu lassen (sog. moderater Shareholder-Value-Ansatz).64 Für den Krisenfall müssten die Gläubigerinteressen konsequenterweise noch stärker betont werden. Demgegenüber wird für die GmbH zwar ganz überwiegend ein Vorrang der Gesellschafterinteressen vertreten (sog. interessenmonistisches Modell).65 Allerdings ist eben auch dort anerkannt, dass eine Weisung oder ein Entlastungsbeschluss durch die Gesellschafter unbeachtlich ist, wenn ein Fall der Existenzvernichtung oder des § 43 Abs. 3 GmbHG vorliegt, also im Bereich der Unterbilanz oder bei Entziehung des existenznotwendigen Vermögens.66 Richtigerweise wird man zwar die Gläubigerinteressen ohne entsprechende gesetzgeberische 43 Anordnung nicht schon bei dem Vorliegen einer bloßen drohenden Zahlungsunfähigkeit derart berücksichtigen können, dass gesellschaftsrechtliche Zustimmungserfordernisse entbehrlich und entgegenstehende Weisungen unbeachtlich sind.67 Bei nachweisbarer Wertlosigkeit der Beteiligung hingegen gibt es keine Rechtfertigung für eine Bevorzugung der Gesellschafterinteressen vor denen der Gläubiger oder auch nur ihrer Gleichbehandlung, so dass die bereits heute im deutschen Gesellschaftsrecht verankerte Berücksichtigung der Interessen der

60 Siehe dazu ausführlich Jungmann, ZRI 2021, 209 ff.; ähnlich Guntermann, WM 2021, 214, 218, 221. 61 Siehe hierzu bereits Westpfahl, ZRI 2020, 157, 181 m.w.N. 62 Siehe für einen ausführlichen Überblick Fleischer in BeckOGK/AktG, § 76 AktG Rz. 37 ff. (Stand: 1.7.2022). 63 Siehe dazu nur Dauner-Lieb in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 76 AktG Rz. 10; Koch, 16. Aufl. 2022, § 76 AktG Rz. 30. 64 Siehe dazu nur Grigoleit in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 76 AktG Rz. 19 ff.; Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 76 AktG Rz. 40 f.; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 76 AktG Rz. 75 ff. 65 Siehe dazu nur Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 27 f.; Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 16 ff.; einschränkend Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 54 ff. 66 Z.B. BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, ZIP 2008, 1232 Rz. 39; BGH v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, ZIP 2001, 1458, 1459; BGH v. 22.12.1999 – VIII ZR 124/99, ZIP 2000, 493 f.; BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92, 95 = ZIP 1999, 1352, 1353. 67 Insoweit noch zutreffend Jungmann, ZRI 2021, 209, 214.

Westpfahl | 359

§ 17 Rz. 43 | Planangebot Gläubiger vor und in der Krise ein ausreichendes Fundament bietet.68 Rechtstechnisch wäre an eine Einordnung der Sanierungspflicht aus § 1 StaRUG als gläubigerschützend,69 an ein entsprechendes Verständnis der § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG oder aber eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung des existenzvernichtenden Eingriffs, konkret der Fallgruppe (unbeachtlicher) existenzgefährdender Weisungen70 zu denken. 44 Für ein solches Verständnis streitet auch der bereits erwähnte Art. 19 Buchst. a Restrukturie-

rungs-RL. Auch wenn sich aus ErwGr. 71 ergibt, dass es grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, wie sie im Falle einer „wahrscheinlichen Insolvenz“ sicherstellen, dass „die Interessen der Gläubiger, Anteilsinhaber und sonstigen Interessenträger“ durch die Geschäftsleiter „gebührend berücksichtigt“ werden. Insbesondere schreibt Art. 19 Buchst. c Restrukturierungs-RL für den Fall der „wahrscheinlichen Insolvenz“ eben noch keine zwingende Rangfolge der Interessen vor, auch nicht den Vorrang der Gläubigerinteressen. Sind die Anteile indes wertlos, kann es den Gesellschaftern nicht länger überlassen bleiben, darüber zu entscheiden, ob ein Restrukturierungsvorhaben angezeigt werden soll, um den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen in Anspruch zu nehmen und dadurch das Überleben der Gesellschaft zu sichern und die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger zu erreichen.71

45 Auch wenn die Anteile nachweisbar wertlos sind, ist zu erwarten, dass obstruktive Gesellschaf-

ter argumentieren werden, dass die Gläubiger auch ohne die im Restrukturierungsplan vorgesehenen Konzessionen bereit gewesen wären, einer außerinsolvenzlichen Sanierung zuzustimmen. In diesem Fall sollten an die Behauptung des Gegenteils durch die Geschäftsleitung keine allzu hohen Maßstäbe angelegt werden. Zwar werden Gläubiger in den Verhandlungen im Zweifel zunächst weitgehende Positionen vertreten und schließlich zu Konzessionen bereit sein. Davon indes, dass sie bereit sind, den Anteilsinhabern ihre Gesellschaft ohne adäquate Konzessionen zu sanieren, kann eben nicht ohne weiteres ausgegangen werden. c) Planangebot

46 Die Vorlage eines Planangebots i.S.v. § 17 StaRUG berührt die Gesellschafterinteressen nicht,

solange sie nicht mit der Anzeige des entsprechenden Restrukturierungsvorhabens nach § 31 StaRUG einhergeht. Gleichwohl handelt es sich bei der GmbH aus den genannten Gründen (Rz. 35 f.) im Zweifel um ein Grundlagengeschäft, das der vorherigen Zustimmung der Gesellschafter mit 75 %iger Mehrheit bedarf. Bei einer Aktiengesellschaft bedarf es aus den genannten Gründen (Rz. 37) zwar keines Hauptversammlungsbeschlusses, aber der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats, sofern dies in § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG so vorgesehen ist. Sind die Anteile indes wertlos und bietet nur ein Restrukturierungsplan Gewähr dafür, dass eine den Interessen des Unternehmens und seiner Gläubiger widersprechende Insolvenz vermieden werden kann, gilt entsprechend der Rechtslage bei der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach § 31 StaRUG (vgl. § 31 Rz. 2 Fn. 2), dass es keiner vorherigen Zustimmung bedarf und auch entgegenstehende Weisungen unbeachtlich sind. 68 In die gleiche Richtung Thole, BB 2021, 1347, 1349, der indes darauf warten möchte, dass sich der BGH den Gläubigerinteressen weiter öffnet. Ebenfalls in die gleiche Richtung, wenn auch nicht auf die Wertlosigkeit der Anteile abstellend: Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 31a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Skauradszun, NZG 2019, 761, 765; Skauradszun, KTS 2021, 1, 49; Tresselt in Morgen, § 17 StaRUG Rz. 11; Tresselt/Glöckler, NWB-Sanieren 3/2021, 80, 85 und Tresselt/Glöckler, NWB-Sanieren 4/2021, 109, 111 f. 69 Siehe zu diesem Vorschlag auch Thole, BB 2021, 1347, 1349. 70 Ähnlich Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 31a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) unter Verweis auf Thole, BB 2021, 1347, 1349. 71 Das übersehen Jungmann, ZRI 2021, 209, 218; Korch, ZGR 2019, 1050, 1057 ff., die zu sehr auf die drohende Zahlungsunfähigkeit fokussiert sind. Dafür, dass die aktuelle Rechtslage hinter den Anforderungen der Richtlinie zurückbleibt demgegenüber Guntermann, WM 2021, 214, 221.

360 | Westpfahl

Planangebot | Rz. 53 § 17

3. Notwendiger Inhalt des Planangebots Die § 17 Abs. 1–3 StaRUG legen den Mindestinhalt fest, den ein Planangebot haben muss.

47

a) Hinweis auf Bindungswirkung (§ 17 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) In dem Planangebot ist deutlich darauf hinzuweisen, dass der Plan im Falle seiner gericht- 48 lichen Bestätigung auch gegenüber jenen Planbetroffenen wirksam wird, die das Angebot nicht annehmen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Dieser Hinweis soll den Planbetroffenen vergegenwärtigen, dass sich die Angelegenheit für sie nicht erledigt hat, wenn sie gegen den Plan gestimmt haben bzw. den Vorgang ignorieren. Vielmehr kann es trotzdem zur Annahme und Bestätigung des Plans und daher gem. § 67 Abs. 1 Satz 2 StaRUG einer Bindungswirkung auch ihnen gegenüber kommen. Wie der deutliche Hinweis zu erfolgen hat, gibt § 17 Abs. 1 Satz 1 StaRUG nicht vor. Empfeh- 49 lenswert, wenn auch nicht zwingend, ist die Aufnahme des Hinweises in ein Anschreiben an die Planbetroffenen oder eine drucktechnische Hervorhebung im Text.72 Hierdurch kann eine strikte Trennung zwischen dem Planinhalt mit seinen beabsichtigten Wirkungsweisen und anderen für die Planbetroffenen relevanten Informationen herbeigeführt werden. b) Beizufügende Dokumente (§ 17 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 StaRUG) Der Schuldner hat dem Planangebot den vollständigen Restrukturierungsplan nebst Anlagen 50 beizufügen, wobei sich die Anforderungen an den Inhalt des Plans aus den §§ 5 ff. StaRUG und die Anlagen aus den §§ 14 und 15 StaRUG ergeben. Den Planbetroffenen soll hierdurch die Möglichkeit gegeben werden, ihre Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Plans auf einer informierten Grundlage treffen zu können.73 Da die Dokumente einen erheblichen Umfang annehmen können und überdies in Verfahren 51 mit vielen Planbetroffenen potentiell an eine große Anzahl von Adressaten zu versenden sind, wäre die Zurverfügungstellung über einen elektronischen Datenraum eine erhebliche Erleichterung.74 Dieser Weg ist auch zulässig, bedarf aber, weil er eine Abweichung der in § 17 Abs. 4 Satz 1 StaRUG vorgeschriebenen Form darstellt, einer entsprechenden Vereinbarung. Kommt diese zustande, sollte der Schuldner darauf achten, dass tatsächlich auch alle Planbetroffenen Zugang haben und dieser technisch leicht zu handhaben ist (s. dazu auch Rz. 19 ff.). c) Angabe der Kosten (§ 17 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StaRUG) Des Weiteren hat der Schuldner dem Planangebot eine Übersicht der Kosten des Verfahrens 52 einschließlich der Vergütung eines etwaig bestellten Restrukturierungsbeauftragten beizufügen. Da die Kosten erheblich sein können und letztlich die für eine Befriedigung der Planbetroffenen zur Verfügung stehenden Mittel reduzieren, kann dies durchaus eine für die Entscheidungsfindung relevante Information darstellen. Außerdem können die Planbetroffenen dann auch eher einen Vergleich mit den Kosten von alternativen (Restrukturierungs-)Lösungen vornehmen. Es besteht aber keine Verpflichtung, diese auch darzustellen. Zu den darzustellenden Kosten zählen nur jene, die auch tatsächlich vom Schuldner zu tragen 53 sind. Gibt es etwa in einem Kreditvertrag die Verpflichtung zur Übernahme von Beratungs-

72 Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 34 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 73 BT-Drucks. 19/14181, S. 122. 74 So Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Westpfahl | 361

§ 17 Rz. 53 | Planangebot kosten der Kreditgeber, so sind diese aufzuführen. Außerdem sind nur jene Kosten darzustellen, die konkret im Zusammenhang mit dem Verfahren nach dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen anfallen. Kosten, die im Rahmen vorheriger Sanierungsbemühungen angefallen sind bzw. ohnehin notwendig sind, zählen hierzu nicht. Deshalb dürften die Kosten eines Chief Restructuring Officer (CRO) nicht aufzuführen sein.75 Im Einzelnen: 54 Aufzuführen sind zunächst die bereits angefallenen und voraussichtlich noch anfallenden Ge-

richtskosten (§§ 3, 25a, 34 GKG i.V.m. KV-Nr. 2510 ff.) für die Anzeige des Vorhabens, die Vorprüfung, die Stabilisierungsanordnung, die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten, des Planbestätigungsverfahrens sowie die Kosten eines Restrukturierungsbeauftragten (Vergütung und Auslagen). Ferner sind die Kosten für die rechtliche Beratung darzustellen. Kosten für die Rechtsberatung können für die Vorbereitung des Vorhabens, die Erstellung von Planangebot und Restrukturierungsplan, die Beantragung einer Stabilisierungsanordnung, die Durchführung des Planabstimmungsverfahrens sowie die sonstige im Zusammenhang mit dem Vorhaben notwendige Kommunikation entstehen. Schließlich sind auch die Kosten für eine etwaige betriebswirtschaftliche Beratung, z.B. für die Erstellung des Sanierungskonzepts oder die Erstellung des Restrukturierungsplans nebst Anlagen (bspw. eine Ergebnis- und Liquiditätsplanung) aufzuführen.

55 Die angefallenen Kosten sind möglichst genau zu beziffern. Voraussichtlich noch anfallende

Kosten können demgegenüber nur geschätzt werden, wobei ein realistischer Maßstab anzulegen ist.

d) Beschreibung der Planbetroffenheit und Stimmrechte (§ 17 Abs. 2 StaRUG) 56 Nach § 17 Abs. 2 StaRUG muss aus dem Planangebot hervorgehen, mit welchen Forderungen

oder Rechten der jeweilige Planbetroffene in den Restrukturierungsplan einbezogen wird, welchen Gruppen er zugeordnet ist und welche Stimmrechte die ihm zustehenden Forderungen und Rechte gewähren. Die Notwendigkeit für diese zusätzliche Verpflichtung des Schuldners sieht der Gesetzgeber darin, dass nicht alle Forderungen, Anwartschaften, gruppeninternen Drittsicherheiten und Anteils- und Mitgliedschaftsrechte eines Planbetroffenen notwendigerweise vollständig in den Restrukturierungsplan einbezogen werden müssen. Auch können mehrere Forderungen und Rechte eines Planbetroffenen gleichzeitig verschiedenen Gruppen zugeordnet sein.76 Die Planbetroffenen sollen aus dem Planangebot daher zweifelsfrei ersehen können, wie ihre Forderungen und Rechte durch den Restrukturierungsplan verändert werden und in welchen Gruppen sie jeweils mit welchem Stimmrecht abstimmen dürfen.77

57 Ob sich die in § 17 Abs. 2 StaRUG genannten Vorgaben bereits aus dem Plan selbst ergeben,

wird kontrovers diskutiert. So wird vertreten, notwendig sei eine individuelle Beschreibung, die vom Restrukturierungsplan und dessen darstellenden Teil formal getrennt ist.78 Da es dem Gesetzgeber darum gehe, dass Planbetroffene ihre Einbeziehung in den Restrukturierungsplan im Überblick dargestellt bekommen sollen, sei es mit dem Verweis auf den Restrukturierungsplan nicht zwingend getan; es fehle an dem notwendigen Individualisierungsgrad.79

58 Dem kann indes nicht zugestimmt werden. Zwar muss sich aus einem ordnungsgemäß ver-

fassten Restrukturierungsplan nebst Anlagen zweifelsfrei ergeben, inwieweit ein Planbetroffener in den Plan einbezogen ist. Eine zusätzliche, individualisierte Darstellung im Planangebot, die nicht nur den Planinhalt wiedergibt, stellt demgegenüber eine unnötige Förmelei dar, 75 76 77 78 79

A.A. Jensen in HambKomm/RestruktR, § 17 StaRUG Rz. 56. BT-Drucks. 19/24181, S. 122. BT-Drucks. 19/24181, S. 122. Jensen in HambKomm/RestruktR, § 17 StaRUG Rz. 40a f.; Madaus in Flöther, § 17 StaRUG Rz. 9. Vgl. Jensen in HambKomm/RestruktR, § 17 StaRUG Rz. 40 f.

362 | Westpfahl

Planangebot | Rz. 64 § 17

bringt einen unnötigen Arbeitsaufwand mit sich und birgt sogar die Gefahr einer Divergenz zwischen Plan und Planangebot, die bestenfalls eine Auslegung notwendig machen, im ungünstigeren Fall zu Widersprüchen bzw. Perplexität führen kann.80 Sollten die Restrukturierungsgerichte demgegenüber eine individualisierte Darstellung for- 59 dern, sollten die Anforderungen jedenfalls nicht überspannt werden. Ist der Plan klar und nachvollziehbar verfasst, sollte eigentlich jeder Planbetroffene, auch der nicht professionelle Kleingläubiger, in der Lage sein, seine Planbetroffenheit und seine Möglichkeit, auf den Plan Einfluss zu nehmen, hinreichend einschätzen können. Die Darstellung nach § 17 Abs. 2 StaRUG sollte daher kurz ausfallen können und, sofern sich keine Besonderheiten ergeben, im Wesentlichen in einer Bezugnahme auf den Plan bestehen. De lege ferenda wäre darüber nachzudenken, § 17 Abs. 2 StaRUG in der Tat zu streichen.81 e) Hinweis auf Möglichkeit einer Erörterungsversammlung (§ 17 Abs. 3 StaRUG) Sofern der Schuldner vor Abgabe des Planangebots nicht allen Planbetroffenen die Möglich- 60 keit eingeräumt hat, den Plan oder das Restrukturierungskonzept gemeinschaftlich zu erörtern, hat das Planangebot nach § 17 Abs. 3 StaRUG den Hinweis darauf zu enthalten, dass auf Verlangen bereits eines Planbetroffenen eine Versammlung der Planbetroffenen zur Erörterung des Plans abgehalten werden kann. Dabei handelt es sich dann um eine Versammlung i.S.d. § 21 StaRUG, so dass sich die Vorgaben für die Einberufung, den Ablauf und die maßgeblichen Fristen aus dieser Vorschrift ergeben (s. dazu § 21 Rz. 8). Aus § 17 Abs. 3 StaRUG folgt zugleich, dass die Abstimmung über einen Plan und dessen 61 Annahme grundsätzlich auch ohne die vorherige Durchführung eines gerichtlichen Erörterungstermins möglich sind.82 § 17 Abs. 3 StaRUG enthält keine Aussage dazu, welche Voraussetzungen eine vorherige Gele- 62 genheit zur gemeinschaftlichen Erörterung erfüllen muss. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn es zuvor eine Versammlung gegeben hat, die nach den Vorgaben von § 21 StaRUG durchgeführt worden ist. Der Sinnzusammenhang ergibt jedoch, dass es auch ausreichen können muss, wenn den Planbetroffenen auf andere Weise die Gelegenheit zur gemeinschaftlichen Erörterung gegeben wurde.83 Jedenfalls kann der Schuldner das Risiko, doch noch einen Erörterungstermin abhalten zu 63 müssen, faktisch dadurch reduzieren, dass im Vorfeld Fragen der Planbetroffenen antizipiert und diese mit entsprechenden Antworten veröffentlicht werden. Hierfür bietet sich wie bei einer Abstimmung ohne Versammlung im Rahmen des SchVG die Einstellung auf der Internetseite des Schuldners an.84

V. Planannahme Die §§ 17 ff. StaRUG machen nur sehr wenige Vorgaben zum Verfahren der Planannahme. 64 Diese beschränken sich auf die Formvorschrift in § 17 Abs. 4 Satz 2 StaRUG und die Mindestfrist in § 19 StaRUG.

80 81 82 83

Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 41 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). So in der Tat das IDW in seiner Stellungnahme zum StaRUG-RefE v. 2.10.2020, S. 4. BT-Drucks. 19/24181, S. 122. So etwa Jensen in HambKomm/RestruktR, § 17 StaRUG Rz. 44; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 46 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 84 Siehe dazu etwa v. Wissel/Diehn in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 18 SchVG Rz. 170 ff., 179.

Westpfahl | 363

§ 17 Rz. 65 | Planangebot

1. Form der Planannahme (§ 17 Abs. 4 Satz 2 StaRUG) 65 Auch für die Planannahme gilt, sofern nichts Abweichendes geregelt wurde, im Grundsatz die

Schriftform (§ 17 Abs. 4 Satz 2 StaRUG). Anders als beim Planangebot bedarf es für eine Abweichung jedoch keiner bilateralen Vereinbarung zwischen dem Schuldner und Planbetroffenen. Vielmehr ist der Schuldner befugt, im Planangebot eine andere Form für die Planannahme zu bestimmen.

66 Eine Abweichung vom Schriftformerfordernis erscheint sowohl aus Zeit- als auch aus Praktikabi-

litätsgründen sinnvoll. Vorzugswürdig wäre daher die Textform (§ 126b BGB). In jedem Fall hat der Schuldner sowohl die Abgabe (nebst Zugang) des Planangebots als auch die Annahme umfassend zu dokumentieren, da gem. § 63 Abs. 4 Satz 1 StaRUG Zweifel zu seinen Lasten gehen.

2. Weitere Ausgestaltung des Planannahmeverfahrens 67 Hinsichtlich der weiteren Ausgestaltung des Planannahmeverfahrens ist im Gesetz lediglich

die Annahmefrist geregelt (§ 19 StaRUG). Sie soll mindestens 14 Tage betragen (§ 19 Satz 2 StaRUG), es sei denn, dem Plan liegt ein Restrukturierungskonzept zugrunde, das bereits seit mindestens 14 Tagen in Textform zugänglich gemacht worden ist (§ 19 Satz 3 StaRUG; vgl. § 19 Rz. 10 ff.). Soll die Abstimmung im Rahmen einer Planbetroffenenversammlung erfolgen, gelten die Vorgaben in § 20 StaRUG.

68 Die Planbetroffenen können das Planangebot nur entweder annehmen oder ablehnen. Wird

die Annahme unter einer Ergänzung oder Änderung des Planangebots abgegeben, würde dies grundsätzlich nach § 150 Abs. 2 BGB eine Ablehnung verbunden mit einem neuen Angebot darstellen. Da die Planbetroffenen jedoch kein eigenes Planinitiativrecht haben, wirkt diese Form der Annahme wie eine Ablehnung.85 Änderungsvorschläge können nur im Rahmen einer Abstimmungsversammlung nach § 20 (Abs. 3 Satz 3) StaRUG oder einer Erörterungsversammlung nach § 21 (Abs. 3 i.V.m. § 20 Abs. 3 Satz 3) StaRUG unterbreitet werden.

69 Ist eine Ablehnung intendiert, muss sie nicht einmal explizit erklärt werden. Denn da es nach

§ 25 Abs. 1 StaRUG zur Annahme des Plans stets der erforderlichen Mehrheit aller Planbetroffenen und nicht nur die der am Abstimmungsprozess Beteiligten bedarf, wirkt sich jede Enthaltung wie eine Ablehnung des Planangebots aus.

§ 18 Auslegung des Planangebots Im Zweifel ist anzunehmen, dass das Planangebot unter der Bedingung steht, dass sämtliche Planbetroffene zustimmen oder dass der Plan gerichtlich bestätigt wird. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Normhistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 3

IV. Bedingtes Planangebot . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedingungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedingungsfeindliche Rechtsgeschäfte als Teil des Planangebots . . . . . . . . . . . . . . . .

85 Jensen in HambKomm/RestruktR, § 17 StaRUG Rz. 77.

364 | Westpfahl

4 5 8

Auslegung des Planangebots | Rz. 4 § 18 3. Ergänzende Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 4. Fehlerhaftes Planangebot . . . . . . . . . . . . . 12

a) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 b) Zulässigkeit salvatorischer Klauseln . . 15

I. Regelungsgehalt § 18 StaRUG enthält eine Auslegungsregel für das Planangebot. Danach ist im Zweifel eine 1 Bindung an das Angebot nur für den Fall gewollt, dass dieses von allen Planbetroffenen angenommen oder aber der Plan gerichtlich bestätigt wird.

II. Normzweck § 18 StaRUG soll den Schuldner vor einer isolierten Bindung an den Plan im Verhältnis zu 2 einzelnen Planbetroffenen bewahren, wenn es mangels Zustimmung aller Planbetroffenen oder gerichtlicher Bestätigung nicht zur Verbindlichkeit des Plans kommt. Dahinter steht die Erwägung, dass das dem Plan zugrunde liegende Sanierungskonzept im Zweifel nur dann umgesetzt werden kann, wenn der Plan für bzw. gegen alle dafür vorgesehenen Beteiligten Wirkung entfaltet.1

III. Normhistorie Die Restrukturierungs-Richtlinie enthält keine ausdrücklichen Vorgaben hinsichtlich der Aus- 3 legung des Planangebots, sodass die Restrukturierungs-Richtlinie nur bedingt zur Interpretation des § 18 StaRUG herangezogen werden kann. Die Art. 10 Abs. 1 und 11 Restrukturierungs-RL sind insoweit mittelbar relevant, als sie vorgeben, dass Planbetroffene, die dem Plan nicht zugestimmt haben, durch ihn nur dann gebunden sind, wenn er gerichtlich bestätigt wurde. Im deutschen Gesetzgebungsverfahren ist die Vorschrift durchgehend unverändert geblieben.

IV. Bedingtes Planangebot § 18 StaRUG ist eine Auslegungsregel und enthält demnach eine widerlegbare Vermutung. 4 Der Gesetzgeber hat mit der Vorschrift eine Zweifelsregelung getroffen, in der zum Ausdruck kommt, wann ein Rechtsbindungswille des Schuldners im Hinblick auf das den Planbetroffenen unterbreitete Planangebot angenommen werden kann. Es steht dem Schuldner jedoch grundsätzlich frei, auch andere Bedingungen in das Planangebot aufzunehmen. Insoweit finden die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften zu Willenserklärungen und zur Rechtsgeschäftslehre ergänzende Anwendung.2 So kann es ausnahmsweise im Interesse des Schuldners sowie bestimmter Planbetroffener liegen, dass der Plan nur gegenüber jenen ganz oder teilweise wirksam wird, die dem Plan zugestimmt haben, den ablehnenden Planbetroffenen gegenüber hingegen nicht. Da eine solche Konstruktion aber nicht dem Grundgedanken des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens entspricht, müsste sie hinreichend klar und deutlich im Planangebot zum Ausdruck kommen.

1 BT-Drucks. 19/24181, S. 122. 2 Vgl. Jensen in HambKomm/RestruktR, § 18 StaRUG Rz. 3; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 18 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Westpfahl | 365

§ 18 Rz. 5 | Auslegung des Planangebots

1. Bedingungsarten 5 In § 18 StaRUG wird zwischen zwei unterschiedlichen Bedingungsarten unterschieden. Bei

der in § 18 Alt. 1 StaRUG abgebildeten Variante handelt es sich um eine (rechtsgeschäftliche) aufschiebende Bedingung i.S.v. § 158 Abs. 1 BGB.3 Bei derartigen Bedingungen stehen die Wirkungen eines Rechtsgeschäfts nach dem Willen der Parteien immer in Abhängigkeit zu einem zukünftigen Ereignis, dessen Eintritt objektiv ungewiss ist.4 Das zukünftige Ereignis ist im Fall der Alt. 1 die Zustimmung sämtlicher Planbetroffener zu dem Planangebot des Schuldners. Ob diese erreicht werden kann, ist im Zeitpunkt der Unterbreitung des Planangebots in aller Regel ungewiss. Das gilt selbst dann, wenn sich eine hinreichende Mehrheit von Planbetroffenen im Vorfeld, etwa im Rahmen einer sog. Lock up-Vereinbarung, dazu verpflichtet hat, dem Plan zuzustimmen. Denn insoweit handelt es sich nur um eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung, die gebrochen werden kann.

6 Die in § 18 Alt. 2 StaRUG abgebildete Variante stellt demgegenüber eine Rechtsbedingung

dar.5 Rechtsbedingungen unterfallen nach ganz herrschender Auffassung nicht dem Anwendungsbereich der §§ 158 ff. BGB.6 Sie knüpfen an gesetzliche Vorgaben an, von deren Eintritt es abhängt, ob ein Rechtsgeschäft oder einzelne seiner Teile wirksam ist bzw. sind. Im Fall der Alt. 2 ist diese gesetzliche Vorgabe die gerichtliche Planbestätigung nach den §§ 60 ff. StaRUG.

7 Der Plan kann auch weitere Bedingungen dafür enthalten, dass er wirksam bzw. gerichtlich

bestätigt wird. Das ergibt sich bereits aus § 62 StaRUG, wonach im Plan vorgesehen werden kann, dass vor seiner Bestätigung bestimmte Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht werden sollen.

2. Bedingungsfeindliche Rechtsgeschäfte als Teil des Planangebots 8 Die Auslegungsregel des § 18 StaRUG ist insoweit problematisch, als der Plan bedingungs-

feindliche Rechtsgeschäfte enthält. Gesetzliche Anordnungen der Bedingungsfeindlichkeit ergeben sich beispielsweise aus § 388 Satz 2 BGB für die Aufrechnung oder aus § 925 Abs. 2 BGB für die Auflassung von Grundstücken. Die Bedingungsfeindlichkeit betrifft in diesen Fällen indes nur rechtsgeschäftliche Bedingungen (oder Befristungen) i.S.d. §§ 158 ff. BGB, nicht hingegen Rechtsbedingungen. Letztere wiederholen lediglich die gesetzlichen Wirksamkeitserfordernisse eines Rechtsgeschäfts, die auch ohne eine ausdrückliche Erwähnung der Parteien greifen würden.

9 Daraus folgt, dass solche Planangebote unwirksam sind, die die Vornahme eines bedingungs-

feindlichen Rechtsgeschäfts durch den Schuldner vorsehen und gleichzeitig unter der (rechtsgeschäftlichen) aufschiebenden Bedingung in § 18 Alt. 1 StaRUG stehen, dass sämtliche Planbetroffene dem Planangebot zustimmen.7 Die Unwirksamkeit des Planangebots wird in diesen Fällen auch nicht durch eine gerichtliche Bestätigung des Plans gem. § 67 Abs. 6 StaRUG geheilt werden können, da die Heilungswirkung nicht bei Planregelungen greift, die aufgrund

3 Jensen in HambKomm/RestruktR, § 18 StaRUG Rz. 6a; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 18 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 4 Westermann in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 158 BGB Rz. 8. 5 Jensen in HambKomm/RestruktR, § 18 StaRUG Rz. 6a; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 18 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 6 Reymann in BeckOGK/BGB, § 158 Rz. 37 (Stand: 1.6.2022); Westermann in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 158 BGB Rz. 54. 7 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 18 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

366 | Westpfahl

Auslegung des Planangebots | Rz. 13 § 18

ihrer Nichtigkeit ohnehin zu einer Versagung der Planbestätigung nach § 63 Abs. 1 StaRUG führen würden.8 Um die Unwirksamkeit des Planangebots zu vermeiden und damit eine rechtgeschäftliche 10 Durchführbarkeit des Restrukturierungsplans zu ermöglichen, ist dem Schuldner daher zu raten, das Planangebot ausschließlich unter die Rechtsbedingung der gerichtlichen Planbestätigung (§ 18 Alt. 2 StaRUG) zu stellen. Für den insoweit vermutlich relevantesten Fall der Auflassungserklärung sieht nunmehr § 925 Abs. 1 Satz 3 BGB vor, dass sie auch in einem rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplan erklärt werden kann. Dem Schuldner ist es demnach nicht möglich, die Erklärung allein durch einen außergerichtlich angenommenen und gerichtlich nicht bestätigten Plan herbeizuführen.

3. Ergänzende Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB Neben der gesetzlichen Sonderregelung des § 18 StaRUG finden bei der Auslegung des Plan- 11 angebots auch die Vorschriften zur Rechtsgeschäftslehre und damit die §§ 133, 157 BGB ergänzende Anwendung (vgl. § 17 Rz. 14). Dabei sind sowohl der subjektive Wille des Schuldners als auch das Verständnis der Erklärungsempfänger zu berücksichtigen. Zu beachten ist auch, dass das Planangebot an die Planbetroffenen und damit eine Mehrheit von Personen gerichtet ist. Entsprechend den Grundsätzen der Rechtsprechung des BGH zu Insolvenzplänen sollte die Auslegung insoweit einheitlich anhand des Empfängerhorizonts der den Plan annehmenden Planbetroffenen erfolgen.9 Anders als beispielsweise bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen, deren Regelungen sich im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärungen an eine noch nicht bestimmbare Anzahl an Erklärungsempfängern richtet, steht im Fall von Insolvenz- bzw. Restrukturierungsplänen der Kreis an Adressaten fest. Eine Auslegung nach einem (weiten) objektiven Erklärungsbefund ist hierbei weder angemessen noch zulässig.

4. Fehlerhaftes Planangebot a) Rechtsfolgen Etwaige Fehler oder Mängel, die dem Planangebot des Schuldners oder einzelner seiner Be- 12 standteile anhaften, unterliegen den Rechtsfolgen zu fehler- oder mangelhaften Willenserklärungen und Rechtsgeschäften nach Maßgabe der §§ 104 ff., 116 ff., 125, 134, 138, 139 und 142 BGB. Erweisen sich einzelne oder mehrere Bestandteile oder Erklärungen im Rahmen des außerge- 13 richtlichen Planangebots als nichtig, ist auf die Vermutungsregelung des § 139 BGB zu rekurrieren,10 wonach sich eine Teilnichtigkeit auf das gesamte Rechtsgeschäft erstrecken kann. Im Zweifel wird dann davon auszugehen sein, dass auch die zustimmenden Planbetroffenen dem Plan ohne den nichtigen Bestandteil oder die nichtigen Erklärungen nicht zugestimmt hätten. In diesem Fall ist auch die gerichtliche Bestätigung des Plans nach § 63 Abs. 1 StaRUG zu versagen.

8 Hoffmann/Braun in Flöther, § 67 StaRUG Rz. 26; Wilke in BeckOK/StaRUG, § 67 StaRUG Rz. 59 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 9 Siehe dazu BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, NJW-RR 2006, 491, 493 Rz. 16 = ZIP 2006, 39; außerdem Jensen in HambKomm/RestruktR, § 18 StaRUG Rz. 5; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 18 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 10 Ebenso Jensen in HambKomm/RestruktR, § 18 StaRUG Rz. 10; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 18 StaRUG Rz. 14 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 18 Rz. 14 | Auslegung des Planangebots 14 Verfahrens- und Formfehler sowie Willensmängel, die im Planabstimmungsprozess nicht er-

kannt oder durch die Beteiligten nicht (gerichtlich) geltend gemacht worden sind, werden nach den § 67 Abs. 6, § 68 StaRUG durch einen rechtskräftigen Bestätigungsbeschluss des Gerichts geheilt. b) Zulässigkeit salvatorischer Klauseln

15 Um die gravierende Folge einer Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB zu vermeiden, werden in

der allgemeinen Vertragspraxis häufig sog. salvatorische Klauseln verwendet, die einen geltungserhaltenden Austausch der unwirksamen oder undurchführbaren vertraglichen Regelung oder die geltungserhaltende Schließung einer ungewollten Regelungslücke durch eine wirksame Regelung ermöglichen sollen, die dem tatsächlich von den Parteien Gewollten am nächsten kommt. Derartige Klauseln werden grundsätzlich als zulässig erachtet.11 Auch für die erfolgreiche Umsetzung von Vorhaben nach dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen wäre die Zulässigkeit von salvatorischen Klauseln von erheblicher Bedeutung. Restrukturierungspläne können äußerst komplexe Dokumente sein, die nicht selten unter großem Zeitdruck zu erstellen sind. Auch wird es häufig nicht möglich sein, den Plan im Vorfeld mit allen Planbetroffenen zu erörtern.

16 Wegen der großen Ähnlichkeit mit dem Insolvenzplan kann bei der Beantwortung der Frage

nach der Zulässigkeit salvatorischer Klauseln die dortige Rechtslage nicht völlig unbeachtet gelassen werden. Nach Auffassung des BGH aber sollen Erhaltungs- und Ersetzungsklauseln in Insolvenzplänen unzulässig sein. Begründet wird dies damit, dass § 139 BGB im Insolvenzplanverfahren aufgrund vorrangiger insolvenzrechtlicher Regelungen (§§ 231, 248, 250, 254 ff. InsO) nicht anwendbar sei, so dass auch keine Regelung zu seinem Ausschluss aufgenommen werden könne. Insbesondere schreibe § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO die Vermutung des § 139 BGB unwiderlegbar fest, indem ein Insolvenzplan von Amts wegen zurückzuweisen ist, wenn die Vorschriften über das Recht zur Vorlage und dem Inhalt des Plans nicht beachtet wurden. Auch beruhe der Insolvenzplan zwar weitgehend auf einer Willensübereinkunft der Beteiligten; diese würden sich aber nicht aus freien Stücken zusammenfinden, sondern eine durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zusammengefügte Schicksalsgemeinschaft darstellen.

17 Allerdings wird diese Entscheidung auch kritisch gesehen.12 Hinzu kommt, dass seit Einfüh-

rung des § 251 Abs. 3 InsO die Aufnahme kompensatorischer salvatorischer Klauseln (sog. Nachbesserungsklauseln) in den Insolvenzplan, die eine Schlechterstellung einzelner Beteiligter und damit einen diesbezüglichen Minderheitenschutzantrag vermeiden, erlaubt ist. Die Rechtsprechung des BGH sollte also nicht ohne weiteres auf den Restrukturierungsplan übertragen und die Zulässigkeit salvatorischer Klauseln unabhängig hiervon beurteilt werden.

18 Maßgeblich gegen eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung des BGH zum Insolvenzplan auf

den Restrukturierungsplan spricht jedoch, dass das Planabstimmungsverfahren nach den §§ 17 ff. StaRUG – anders als im Insolvenzrecht – auch außergerichtlich durchgeführt werden kann. Einer gerichtlichen Planbestätigung nach den §§ 60 ff. StaRUG bedarf es immer nur dann, wenn der Plan nicht einheitlich durch die Planbetroffenen angenommen wurde. Richtigerweise können daher aus dem Vorrang insolvenzspezifischer Regelungen wie dem § 231 11 BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, NZI 2015, 697, 700 Rz. 23 ff. = ZIP 2015, 1346. 12 Ablehnend insbesondere Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, § 217 InsO Rz. 50l, 53a, § 254 InsO Rz. 6c (Stand: 92. EL Juni 2022). Siehe außerdem Spliedt in K. Schmidt, § 221 InsO Rz. 8 und BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, NZI 2015, 697 m. Anm. Madaus, NZI 2015, 702, 703, die sich aufgrund der vorrangigen Regelung des § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO zwar grundsätzlich für eine Wirkungslosigkeit von salvatorischen Klauseln aussprechen. Dies führe aber nicht zwingend zu einer Zurückweisung des Insolvenzplans, da es fragwürdig erscheine, wirkungslose Klauseln als Planmangel i.S.d. § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO zu erachten.

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Annahmefrist | Rz. 1 § 19

Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO keine weiterführenden Erkenntnisse gewonnen werden. Die Vorschrift bezieht sich auf die Annahme eines Insolvenzplans, der gem. § 248 Abs. 1 InsO zwingend gerichtlich zu bestätigen ist. Hinzu kommt, dass das außergerichtliche Planabstimmungsverfahren der §§ 17 ff. StaRUG vertragsähnlicher ausgestaltet ist als das Insolvenzplanrecht. Ausweislich der Regierungsbegründung zum StaRUG erfolgt die außergerichtliche Planabstimmung ausschließlich in den Handlungsformen des Privatrechts und unter Anwendung der rechtsgeschäftlichen Regelungen und Grundsätze.13 Dies verdeutlicht, dass das StaRUG einer Zulässigkeit salvatorischer Klauseln nicht entgegenstehen sollte.14

§ 19 Annahmefrist 1 Für die Annahme des Restrukturierungsplans setzt der Schuldner eine Frist. 2Die Frist beträgt mindestens 14 Tage. 3Sie kann kürzer sein, wenn dem Plan ein Restrukturierungskonzept zugrunde liegt, das allen Planbetroffenen seit mindestens 14 Tagen in Textform zugänglich gemacht ist.

In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV. 1.

Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Normhistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Annahmefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Mindestfrist (§ 19 Satz 2 StaRUG) . . . . . . 5 a) Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 b) Fristberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Verkürzung der Annahmefrist (§ 19 Satz 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 a) Restrukturierungskonzept . . . . . . . . . . 11 b) Zugänglichmachen des Restrukturierungskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

c) Mindestfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verlängerung der Annahmefrist . . . . . . . 4. Neubestimmung der Annahmefrist bei wesentlichen Änderungen des Planangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Annahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fehlerhafte Fristbestimmung . . . . . . . . . . 2. Verspätete Annahme . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 14 16 19 21 21 23

I. Regelungsgehalt § 19 StaRUG bestimmt die Frist zur Annahme eines Planangebots, über das in einem außerge- 1 richtlichen Verfahren und außerhalb einer Versammlung der Planbetroffenen nach § 20 StaRUG abgestimmt wird. Danach kann der Schuldner den Planbetroffenen eine Frist zur Annahme des Restrukturierungsplans setzen (§ 19 Satz 1 StaRUG), die mindestens 14 Tage beträgt (§ 19 Satz 2 StaRUG). Eine Verkürzung dieser Frist ist nur dann zulässig, wenn dem Restrukturierungsplan ein Restrukturierungskonzept zugrunde liegt, das allen Planbetroffenen seit mindestens 14 Tagen in Textform zugänglich ist (§ 19 Satz 3 StaRUG).

13 BT-Drucks. 19/24181, S. 121. 14 Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 18 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) und Tresselt in Morgen, § 18 StaRUG Rz. 6; ablehnend demgegenüber Jensen in HambKomm/RestruktR, § 18 StaRUG Rz. 18 f.

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§ 19 Rz. 2 | Annahmefrist

II. Normzweck 2 Die Festlegung einer Mindestfrist für die Planannahme stellt sicher, dass die Planbetroffenen

für ihre Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Plans ausreichend Bedenkzeit erhalten. Auch soll verhindert werden, dass der Schuldner durch das Setzen einer unangemessen kurzen Frist Druck auf die Planbetroffenen ausübt, um sie so zu einer voreiligen und nicht ausreichend durchdachten Zustimmung zu bewegen.1 Eine ausreichende Bedenk- und Reaktionszeit für die Planbetroffenen liegt aber auch im Interesse des Schuldners, da sich die Mehrheit von 75 % i.S.v. § 25 Abs. 1 StaRUG auf alle Stimmrechte und nicht nur die teilnehmenden Planbetroffenen dieser Gruppe bezieht und es daher wichtig ist, so viele von ihnen wie möglich zur Zustimmung zu bewegen.

III. Normhistorie 3 Nach Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 der Restrukturierungs-RL sollen die Mitgliedsstaaten sicher-

stellen, dass die Planbetroffenen das Recht haben, über den Plan abzustimmen. Ausdrückliche Vorgaben für die für die Annahme maßgeblichen Fristen macht die Richtlinie indes nicht. Zu berücksichtigen ist jedoch der Wille des Richtliniengebers, ein zügiges Verfahren zur Verfügung zu stellen, welcher in ErwGr. 86; Art. 10 Abs. 4 und Art. 25 Buchst. b Restrukturierungs-RL zum Ausdruck kommt.2 In den Grenzen dieses Beschleunigungsgebots liegt die nähere Ausgestaltung damit im Ermessen der nationalen Gesetzgeber. Im deutschen Gesetzgebungsverfahren hat die Vorschrift (zunächst § 21 StaRUG) nur eine redaktionelle Änderung erfahren. So sah § 21 Satz 3 StaRUG-RefE noch vor, dass die 14-tägige Frist in Satz. 2 nicht gilt, wenn das Restrukturierungskonzept allen Planbetroffenen seit mindestens 14 Tagen in Textform zugänglich gemacht ist.3 Seit § 21 Satz 3 StaRUG-RegE heißt es, dass die 14-Tagesfrist kürzer sein kann, wenn das Restrukturierungskonzept allen Planbetroffenen seit mindestens 14 Tagen in Textform zugänglich gemacht ist.4

IV. Annahmefrist 4 Nach § 19 Satz 2 StaRUG beträgt die Mindestfrist zur Annahme des Planangebots 14 Tage.

Eine Verkürzung ist nur dann möglich, wenn allen Planbetroffenen das dem Plan zugrunde liegende Restrukturierungskonzept seit mindestens 14 Tagen in Textform zugänglich gemacht wurde (§ 19 Satz 3 StaRUG).

1. Mindestfrist (§ 19 Satz 2 StaRUG) a) Fristbeginn 5 Der Beginn der 14-tägigen Frist wird in § 19 StaRUG nicht festgelegt und auch in der Ge-

setzesbegründung finden sich keine sachdienlichen Hinweise. Für den Fristbeginn kommt die Versendung des Planangebots durch den Schuldner oder der Zugang des Planangebots bei den Planbetroffenen in Betracht. Beide Varianten sind denkbar, beide bringen indes Schwierigkeiten mit sich.

1 2 3 4

BT-Drucks. 19/24181, S. 122 f. So Tresselt in Morgen, § 19 StaRUG Rz. 2. RefE des BMJ v. 19.9.2019, S. 20. BT-Drucks. 19/24181, S. 20.

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Annahmefrist | Rz. 8 § 19

Stellt man auf den individuellen Zugang bei jedem einzelnen Planbetroffenen ab und knüpft 6 demnach subjektiv an, gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Zeitpunkte, die ggf. erheblich voneinander abweichen können. Gerade bei Beteiligung von Planbetroffenen mit Sitz im Ausland ist die zügige Zustellung und der Nachweis dieser Zustellung je nach Standort mitunter schwierig. Auch durch zwischenzeitlich verzogene Planbetroffene können die einzelnen Zustellungen erheblich voneinander abweichen.5 Damit kann ein erheblich vermindertes Maß an Planungs- und Rechtssicherheit einhergehen. Bei der Festlegung einer objektiven Frist ist für den Fristbeginn gegenüber allen Planbetroffenen einheitlich auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem das Planangebot den Planbetroffenen unter Berücksichtigung des zur Übermittlung des Planangebots genutzten Verfahrens und der unter gewöhnlichen Umständen für das Zugänglichmachen des Planangebots benötigten Zeit i.d.R. zugegangen ist.6 Legt man die Frist objektiv fest, trägt der Schuldner das Risiko, dass das Planangebot den Planbetroffenen tatsächlich rechtzeitig zugeht. Ist das nicht der Fall und können Planbetroffene daher nicht bis zum Ablauf der Annahmefrist zustimmen (selbst wenn sie es gewollt hätten), gilt ihre fehlende Zustimmung als Ablehnung, es sei denn, sie können nach allgemeinen zivilrechtlichen Wertungen noch als rechtzeitig zugegangen gewertet werden.7 Daran, dass eine subjektive Anknüpfung zulässig ist, sollten keine Zweifel bestehen.8 Weni- 7 ger eindeutig ist dies für eine objektive Anknüpfung. So wird vorgebracht, sie müsse in Ermangelung der gesetzlichen Zulassung einer solchen Fiktionsregel im Vorfeld vereinbart werden, womit sich wiederum die Zugangsfrage stelle.9 Dagegen spricht indes die gesetzliche Ausgestaltung des Abstimmungsverfahrens in einer Abstimmungsversammlung oder unter Zwischenschaltung einer Erörterungsversammlung (§§ 20 f. StaRUG). Denn aus der Festlegung des jeweiligen Termins, der nur zu einem bestimmten Zeitpunkt für alle Planbetroffenen stattfinden kann, ergibt sich zwingend eine objektive Anknüpfung.10 Richtigerweise ist somit die Fristbestimmung sowohl nach subjektiven als auch nach objektiven Kriterien zulässig und damit in das Ermessen des Schuldners gestellt, welchen Weg er wählt.11 Hierfür spricht auch, dass die Ausgestaltung des Abstimmungsverfahrens generell in das Ermessen des Schuldners gestellt ist. Der Schuldner wird daher im jeweiligen Fall abzuwägen haben, welchen Weg er wählt. Ein 8 Abstellen auf den (subjektiven) Zugang bei jedem Planbetroffenen wird primär in solchen Konstellationen in Betracht kommen, in denen die Anzahl der Planbetroffenen überschaubar ist. Allerdings ist diese Vorgehensweise auch in anderen Konstellationen denkbar, denn wenn eine elektronische Zustellung gewählt wird, kann auch der Zugang schnell bewirkt und zuverlässig festgestellt werden. Legt der Schuldner für die Annahme des Plans demgegenüber eine objektive Frist fest und erfolgt die Zustellung postalisch, sollte auf den Tag abgestellt werden, an dem nach der üblichen Postlaufzeit spätestens mit dem Zugang des Planangebots gerechnet werden kann. Gegebenenfalls kann der Schuldner noch für unvorhergesehene Verzögerungen einige weitere Werktage hinzuaddieren.12

5 6 7 8 9 10 11 12

So auch Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 19 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 19 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) Siehe dazu Madaus in Flöther, § 19 StaRUG Rz. 5. Ebenso Jensen in HambKomm/RestruktR, 19 StaRUG Rz. 11; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 19 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zweifelnd jedoch Tresselt in Morgen, § 19 StaRUG Rz. 7 ff. Jensen in HambKomm/RestruktR, § 19 StaRUG Rz. 10. So zurecht Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 19 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). A.A. ist Jensen in HambKomm/RestruktR, § 19 StaRUG Rz. 11. Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 19 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 19 Rz. 9 | Annahmefrist b) Fristberechnung 9 Die Berechnung der Frist ist nach Maßgabe der §§ 186 ff. BGB vorzunehmen. Im Regelfall der

Mindestfrist nach § 19 Satz 2 StaRUG von 14 Tagen endet sie frühestens mit dem Ablauf des 14. Tages nach Zugang des Planangebots (§ 188 Abs. 1 BGB). Sonn- und Feiertage sowie Sonnabende zählen bei der Ermittlung der Frist mit, sind aber dann außer Betracht zu lassen, wenn das Fristende auf einen solchen Tag fällt. Maßgeblich ist sodann der nächste Werktag (§ 193 BGB).

2. Verkürzung der Annahmefrist (§ 19 Satz 3 StaRUG) 10 Die Mindestfrist aus § 19 Satz 2 StaRUG kann verkürzt werden, wenn dem Plan ein Restruk-

turierungskonzept zugrunde liegt, das allen Planbetroffenen seit mindestens 14 Tagen in Textform zugänglich gemacht worden ist (§ 19 Satz 3 StaRUG). In diesem Fall ist dem Erfordernis, den Planbetroffenen ausreichend Bedenkzeit zur Annahme des Planangebots zu gewähren und eine Überrumpelung zu vermeiden, bereits genügt.13 a) Restrukturierungskonzept

11 In § 19 Satz 3 StaRUG werden keine Angaben dazu gemacht, welche Anforderungen an das

Vorliegen eines Restrukturierungskonzepts im Sinne dieser Vorschrift zu stellen sind. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich indes, dass das Restrukturierungskonzept den Planbetroffenen mit allen wesentlichen Planinhalten vorgelegen haben muss und sich aus den Bestimmungen und Erläuterungen ergibt, wie die Rechtsstellung der Planbetroffenen durch den Plan gestaltet werden soll.14 Der Rückgriff auf § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG dürfte dem ebenso wenig genügen wie der auf § 50 Abs. 2 StaRUG.15 Soll mit dem Vorliegen des Konzepts eine Verkürzung der Annahmefrist gerechtfertigt werden, muss es dem ausformulierten Plan sehr nahe kommen, was am Maßstab der § 31 Abs. 2 Nr. 1 und § 50 Abs. 2 StaRUG nicht gewährleistet ist. Zielführender ist demgegenüber der Hinweis auf die zu § 240 InsO entwickelte Plankerntheorie.16 Zwar geht es im Anwendungsbereich dieser Vorschrift um Änderungen des Plans aufgrund einer Erörterung im Termin und damit eine andere Ausgangskonstellation. Allerdings hat sie einen zustimmungs- und bestätigungsfähigen Plan zum Gegenstand. b) Zugänglichmachen des Restrukturierungskonzepts

12 § 19 Satz 3 StaRUG bestimmt die Textform (§ 126b BGB) als Mindeststandard für das Zu-

gänglichmachen des Restrukturierungskonzepts. Neben der Zurverfügungstellung eines Ausdrucks des Konzepts ist damit auch die Übermittlung an die Planbetroffenen per E-Mail, Fax oder auf einem dauerhaften Speichermedium möglich.17 Anders als bei der Unterbreitung des Planangebots nach § 17 StaRUG bedarf es im Rahmen von § 19 Satz 3 StaRUG jedoch keines Zugangs. Ausreichend ist die Einräumung einer Möglichkeit der Kenntnisnahme, die auch durch die Zurverfügungstellung eines Datenraums sichergestellt werden kann, der allen Planbetroffenen innerhalb der Frist von 14 Tagen dauerhaft und uneingeschränkt zur Verfügung steht. Zur Wahrung der Textform müssen Planbetroffene das Dokument speichern und drucken können; kann es nur in dem Datenraum gelesen werden, reicht dies nicht.18 13 14 15 16 17 18

BT-Drucks. 19/24181, 123. BT-Drucks. 19/24181, 123. A.A. Jensen in HambKomm/RestruktR, § 19 StaRUG Rz. 24. Madaus in Flöther, § 19 StaRUG Rz. 6. Jensen in HambKomm/RestruktR, § 19 StaRUG Rz. 29. Hertel in Staudinger, 2017, § 126b BGB Rz. 28 m.w.N.

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Annahmefrist | Rz. 18 § 19

c) Mindestfrist In welchem Maße die Mindestfrist aus § 19 Satz 2 StaRUG verkürzt werden kann, wird sich 13 jeweils aus den Umständen ergeben. Relevante Kriterien werden die Komplexität des Vorhabens und die Form der Übermittlung des Planangebots sein.

3. Verlängerung der Annahmefrist Der Schuldner kann die Annahmefrist auch nach Abgabe des Planangebots und vor deren 14 Ablauf verlängern. Allerdings bedarf es hierfür eines entsprechenden Verlängerungsvorbehalts im Planangebot.19 Denkbar ist auch ein Vorbehalt dahingehend, dass der Schuldner den Planbetroffenen das (im Zweifel ablehnende) Ergebnis der Abstimmung bei Fristablauf mitteilt und sodann noch eine Nachfrist setzt, um doch noch eine Annahme zu erreichen. Daneben gibt es eine gesetzliche Form der Fristverlängerung (§ 21 Abs. 4 Satz 1 StaRUG). 15 Danach verlängert sich im Fall der Erörterungsversammlung die Frist zur Annahme des Planangebots immer dann, wenn die Versammlung nach der vom Schuldner ursprünglich gesetzten Annahmefrist stattfindet. Die Frist verlängert sich sodann entweder bis zum Ablauf des Tages der Versammlung oder bis zu dem Termin, den der Schuldner bis zum Ende der Versammlung bestimmt hat.

4. Neubestimmung der Annahmefrist bei wesentlichen Änderungen des Planangebots Möglicherweise ergibt sich während des Abstimmungsverfahrens die Notwendigkeit für Än- 16 derungen des Restrukturierungsplans und damit des Planangebots. Richtigerweise sollte für die sich daraus ergebenden Konsequenzen zwischen wesentlichen und unwesentlichen Änderungen unterschieden werden:20

Wann eine Änderung wesentlich ist oder nicht, lässt sich nicht abstrakt bestimmen. Der Gesetz- 17 geber verweist für die vergleichbare Fragestellung im Rahmen von § 20 Abs. 4 StaRUG auf die Rechtsprechung zu § 240 InsO und damit die sog. Plankerntheorie.21 Danach soll es darauf ankommen, ob die Änderungen den Kern des Plans betreffen oder nicht.22 In diesem Zusammenhang wird immer wieder behauptet, dass zum Kern des Plans insbesondere dessen „Zielrichtung“ gehöre.23 Dem ist auch zuzustimmen; allerdings sollte daraus nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, die Änderung einzelner Regelungen sei demgegenüber unwesentlich. Auch Planinhalte wie etwa die Gruppeneinteilung, die Erhöhung von Eingriffen in Absonderungsanwartschaften und die Änderung der Quotenhöhe werden im Zweifel wesentlich sein.24 Sind die Planänderungen so unübersichtlich bzw. so vielfältig, dass der Plan für den einzelnen Planbetroffenen nicht mehr nachvollziehbar ist, liegt ebenfalls eine wesentliche Änderung vor.25 Liegt eine wesentliche Änderung vor, ist den Planbetroffenen ein neues Planangebot i.S.v. § 17 18 StaRUG zu unterbreiten und eine neue Annahmefrist nach § 19 StaRUG zu setzen, die dann

19 Ebenso Jensen in HambKomm/RestruktR, § 19 StaRUG Rz. 33; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 19 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 20 So auch Jensen in HambKomm/RestruktR, § 19 StaRUG Rz. 36 ff. 21 BT-Drucks. 19/24181, 124. 22 Siehe dazu etwa Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 240 InsO Rz. 4. 23 Vgl. nur Hintzen in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 240 Rz. 8 f. m.w.N. 24 A.A. Hintzen in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 240 Rz. 9. 25 Braun in Nerlich/Römermann, § 240 InsO Rz. 8 (Stand: 44. EL November 2021).

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§ 19 Rz. 18 | Annahmefrist wiederum mindestens 14 Tage betragen muss. Bei unwesentlichen Änderungen hat der Schuldner den Planbetroffenen die Änderungen lediglich mitzuteilen und ihnen zum Schutz vor Überrumpelung zwar eine neue Annahmefrist zu setzen, die aber nach dem Rechtsgedanken des § 19 Satz 3 StaRUG kürzer bemessen sein kann.26 Jedenfalls aber sollte der Schuldner die Umstände und Beweggründe seines Vorgehens im Hinblick auf seine Darlegungs- und Beweislast gem. § 63 Abs. 4 Satz 1 StaRUG sorgfältig dokumentieren.

V. Annahme 19 Die Annahme des Planangebots hat innerhalb der vom Schuldner nach § 19 Satz 1 StaRUG

gesetzten Frist zu erfolgen. Maßgeblich ist dabei nicht die Abgabe der Erklärung; vielmehr muss die Annahme dem Schuldner, soweit das Planangebot nichts anderes bestimmt, innerhalb der gesetzten Frist zugegangen sein (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB).27 Die Form der Annahmeerklärung hängt von der Form bzw. der Vorgaben des Planangebots ab (vgl. § 17 Abs. 4 Satz 2 StaRUG).

20 Ist einem Planbetroffenen das Planangebot verspätet zugegangen, ist seine Annahme trotzdem

wirksam, weil die Annahme den konkludenten Verzicht auf die ansonsten gesetzlich vorgesehene Bedenkzeit bedeutet.28

VI. Rechtsfolgen 1. Fehlerhafte Fristbestimmung 21 Sofern der Schuldner von den Vorgaben des § 19 StaRUG abweicht, d.h. den Planbetroffenen

keine oder eine zu kurze Annahmefrist gesetzt hat, verstößt er formell gegen diese Verfahrensvorschrift. Stimmen jedoch alle Planbetroffenen für den Plan, entfaltet der Verstoß keine Folgen. Sowohl die Planannahme als auch der Plan selbst bleiben wirksam.29 Gleiches gilt, wenn der Schuldner den Restrukturierungsplan, dem alle Planbetroffenen zugestimmt haben, nachträglich gerichtlich bestätigen lassen möchte.

22 Anderes gilt, wenn dem Plan nicht alle Planbetroffenen zugestimmt haben. In diesem Fall

kann der Plan seine Wirkungen nur dann entfalten, wenn er gerichtlich bestätigt wird. Der Verstoß gegen § 19 StaRUG stellt dann aber einen wesentlichen Verfahrensfehler dar mit der Folge, dass die gerichtliche Planbestätigung gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG zu versagen ist.30

2. Verspätete Annahme 23 Eine verspätete Annahme des Planangebots gilt als Ablehnung. § 150 Abs. 1 BGB gilt in die-

sem Fall nicht mit der Folge, dass die nicht fristgerechte Erklärung eines Planbetroffenen nicht als ein neues Angebot zu werten ist. Dies folgt daraus, dass mangels Planinitiativrechts der Gläubiger die Befugnis zur Abgabe eines Planangebots nach § 17 Abs. 1 Satz 1 StaRUG allein beim Schuldner liegt (s. hierzu § 17 Rz. 68). 26 Jensen in HambKomm/RestruktR, § 19 StaRUG Rz. 39. 27 Madaus in Flöther, § 19 StaRUG Rz. 8; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 19 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 28 Jensen in HambKomm/RestruktR, § 19 StaRUG Rz. 44; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 19 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 29 Jensen in HambKomm/RestruktR, § 19 StaRUG Rz. 41; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 19 StaRUG Rz. 24 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 30 Jensen in HambKomm/RestruktR, § 19 StaRUG Rz. 42; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 19 StaRUG Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen | § 20

§ 20 Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen (1) 1Der Schuldner kann den Restrukturierungsplan im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen zur Abstimmung stellen. 2Die Einberufung erfolgt schriftlich. 3Die Einberufungsfrist beträgt 14 Tage. 4Räumt der Schuldner die Möglichkeit einer elektronischen Teilnahme ein, beträgt die Frist sieben Tage. 5Der Einberufung ist der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen beizufügen. (2) Das Planangebot kann vorsehen, dass Planbetroffene auch ohne Anwesenheit an dem Versammlungsort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können (elektronische Teilnahme). (3) 1Den Vorsitz der Versammlung führt der Schuldner. 2Er hat jedem Planbetroffenen auf Verlangen Auskunft über den Restrukturierungsplan und die für die sachgemäße Beurteilung des Plans relevanten Verhältnisse sowie im Fall des § 2 Absatz 4 Satz 1 jeder betroffenen Tochtergesellschaft zu erteilen. 3Planbetroffene haben das Recht, Vorschläge zur Abänderung des Plans zu unterbreiten. 4Die Vorschläge sind dem Schuldner mindestens einen Tag vor dem Beginn der Versammlung in Textform zugänglich zu machen. (4) In der Versammlung kann auch dann über den Plan abgestimmt werden, wenn dieser aufgrund der Erörterungen in der Versammlung inhaltlich in einzelnen Punkten abgeändert wird. (5) 1Jede Gruppe der Planbetroffenen stimmt gesondert ab. 2Im Übrigen legt der Schuldner die Modalitäten der Abstimmung fest. 3Üben Planbetroffene ihr Stimmrecht elektronisch aus, ist diesen der Zugang der elektronisch abgegebenen Stimme elektronisch zu bestätigen. 4Die Stimmabgabe ist auch ohne Teilnahme an der Versammlung bis zum Ende der Abstimmung möglich. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV. 1. 2. 3. 4. V. 1.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normhistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einberufung der Versammlung (§ 20 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einberufung durch den Schuldner (§ 20 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . Form der Einberufung (§ 20 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frist zur Einberufung (§ 20 Abs. 1 Satz 3 und 4 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt der Einberufung (§ 20 Abs. 1 Satz 5 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung der Versammlung . . . . . Physische oder elektronische Teilnahme (§ 20 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 3 7 7 9 10 14 17

2. Teilnahmerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ablauf der Versammlung (§ 20 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Änderungen des Restrukturierungsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abstimmungsfähiger Restrukturierungsplan (§ 20 Abs. 4 StaRUG) . . . . . . . . . . . 2. Ablauf der Abstimmung (§ 20 Abs. 5 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abstimmungsverfahren . . . . . . . . . . . b) Bindungswirkung abgegebener Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 25 28 31 31 37 37 41

17

Schrifttum: Harig/Stamme, Aktiengesetz und COVMG als Vorbild für die elektronische Abstimmung über den Restrukturierungsplan, ZIP 2021, 2105; Seibt/Danwerth, Die Zukunft der virtuellen Hauptversammlung während und nach der COVID-19-Pandemie. Erkenntnisse der Hauptversammlungssaison 2020, Trends und Ausblick, NZG 2020, 1241; Smid, Anforderungen an das außergerichtliche Planangebot

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§ 20 Rz. 1 | Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen und seine Annahme. Essentialia der §§ 17 ff. StaRUG, DZWIR 2021, 119; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985.

I. Regelungsgegenstand 1 § 20 StaRUG hat die Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen zum

Gegenstand. Sie wird vom Schuldner organisiert und durchgeführt und es gibt keine gerichtliche Involvierung. In § 20 Abs. 1 StaRUG sind die Modalitäten für die Einberufung der Versammlung geregelt. Sie erfolgt schriftlich, wobei die Einberufungsfrist 14 Tage beträgt, die aber auch verkürzt werden kann. Nach § 20 Abs. 2 StaRUG kann das Planangebot auch eine elektronische Teilnahme der Planbetroffenen vorsehen. § 20 Abs. 3 StaRUG hat die Durchführung der Versammlung zum Gegenstand und räumt dem Schuldner, der den Vorsitz führt, einen großen Spielraum ein, den Ablauf der Versammlung zu gestalten. Insbesondere werden dort Auskunftsrechte sowie das Recht, Vorschläge zur Änderung des Plans zu unterbreiten, geregelt. Nach § 20 Abs. 4 StaRUG kann in der Versammlung auch dann noch über den Plan abgestimmt werden, wenn er in einzelnen Punkten abgeändert worden ist. § 20 Abs. 5 StaRUG schließlich macht Vorgaben zur Abstimmung selbst, räumt dem Schuldner aber auch insoweit einen großen Spielraum ein.

II. Normzweck 2 § 20 StaRUG stellt dem Schuldner alternativ zum schriftlichen Verfahren nach den §§ 17–19

StaRUG die Abstimmung über den Restrukturierungsplan im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen zur Verfügung. Sie kann dann sinnvoll sein, wenn der Schuldner den Plan in den vorangegangenen Verhandlungen noch nicht abschließend mit den Planbetroffenen erörtert hat oder wenn er ohnehin damit rechnet oder rechnen muss, dass Planbetroffene die Durchführung einer Erörterungsversammlung nach § 21 StaRUG verlangen.1 Entscheidet sich der Schuldner für die Abstimmungsversammlung, besteht auch keine Verpflichtung mehr, eine Erörterungsversammlung durchzuführen; die §§ 20 und 21 StaRUG stehen insoweit in einem Alternativverhältnis.2 Denkbar ist auch, dass der Schuldner erst nach Unterbreitung des Planangebots, aber vor Ablauf der Annahmefrist zu einer Abstimmungsversammlung einberuft.

III. Normhistorie 3 Die für die Durchführung der Abstimmung maßgeblichen Vorgaben ergeben sich im Wesent-

lichen aus einem Zusammenspiel von Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 und Abs. 7 RestrukturierungsRL i.V.m. ErwGr. 43 S. 6. Nach Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 Restrukturierungs-RL sind die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet sicherzustellen, dass die betroffenen Parteien das Recht haben, über die Annahme des Restrukturierungsplan abzustimmen. Das Abstimmungsverfahren wiederum ist nach Art. 9 Abs. 7 Restrukturierungs-RL i.V.m. ErwGr. 43 Satz 6 im Grundsatz als förmliches Abstimmungsverfahren durchzuführen, kann aber auch durch eine Vereinbarung mit der erforderlichen Mehrheit ersetzt werden.

1 BT-Drucks. 19/24181, S. 123. 2 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Tresselt in Morgen, § 20 StaRUG Rz. 5.

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Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen | Rz. 8 § 20

Da die Restrukturierungs-Richtlinie keine weiteren Vorgaben zur Ausgestaltung des förmli- 4 chen Abstimmungsverfahren macht, muss es sich dabei nicht zwingend um ein gerichtliches Verfahren handeln.3 Demzufolge konnte sich der deutsche Gesetzgeber für einen zweigleisigen Weg entscheiden. Das Abstimmungsverfahren kann entweder gerichtlich (§§ 45 ff. StaRUG) oder aber außergerichtlich durchgeführt werden. Letzteres regelt § 20 StaRUG. Diese Systematik entspricht auch dem Grundsatz minimaler Gerichtsbeteiligung, wie er in Art. 4 Abs. 6 Restrukturierungs-RL niedergelegt ist.4 Schließlich entspricht die in § 20 Abs. 2 StaRUG eingeräumte Möglichkeit der elektronischen 5 Teilnahme an der Abstimmungsversammlung den Vorgaben aus Erwägungsgrund (90), wonach die Mitgliedsstaaten Vorkehrungen zu treffen haben, damit Schuldnern, Gläubigern, Verwaltern sowie Justiz- und Verwaltungsbehörden die Nutzung elektronischer Kommunikation ermöglicht wird. Im deutschen Gesetzgebungsverfahren hat sich gegenüber der Ausgangsfassung im Referen- 6 tenentwurf (dort noch § 22) nur eine Änderung ergeben. Hinzugefügt wurde in Abs. 3 Satz 2 die Verpflichtung, auch über die Verhältnisse von Tochtergesellschaften Auskunft zu erteilen, wenn es zu einer Gestaltung gruppeninterner Drittsicherheiten nach § 2 Abs. 4 Satz 1 kommt. Richtigerweise hätte anstelle von Tochtergesellschaften auf verbundene Unternehmen i.S.v. § 15 AktG abgestellt werden müssen, weil es insoweit noch eine Änderung in der finalen Fassung von § 2 Abs. 4 Satz 1 gegeben hat.

IV. Einberufung der Versammlung (§ 20 Abs. 1 StaRUG) 1. Einberufung durch den Schuldner (§ 20 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) Das Recht zur Einberufung der Abstimmungsversammlung und damit auch die Entschei- 7 dungsbefugnis, ob sie durchgeführt werden soll, liegen beim Schuldner (§ 20 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Für den Fall, dass ein Restrukturierungsbeauftragter zu bestellen ist (§ 73 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 StaRUG), muss indes differenziert werden. Denn nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG steht dem Restrukturierungsbeauftragten das Recht zur Entscheidung darüber zu, wie der Plan zur Abstimmung gebracht wird. Er entscheidet also darüber, ob eine Abstimmungsversammlung durchzuführen ist oder nicht. Demgegenüber verbleibt die Organisation der Versammlung einschließlich der Einberufung beim Schuldner, da dem Restrukturierungsbeauftragten ansonsten nur die Leitung der Versammlung nach § 20 Abs. 3 Satz 1 StaRUG und die Dokumentation nach § 22 Abs. 1 StaRUG zugewiesen sind (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG).5 Die Weichenstellung zwischen individuellem Annahmeverfahren nach den §§ 17–19 StaRUG 8 einerseits und Abstimmungsversammlung nach § 20 StaRUG andererseits wird maßgeblich von Effizienz- und Zweckmäßigkeitserwägungen geleitet sein. Eine Versammlung der Planbetroffenen zur Abstimmung wird vor allem immer dann sinnvoll sein, wenn der Schuldner den Plan in den vorangegangenen Verhandlungen noch nicht abschließend mit den Planbetroffenen erörtert hat oder wenn er ohnehin damit rechnet oder rechnen muss, dass Planbetroffene die Durchführung einer Erörterungsversammlung nach § 21 StaRUG verlangen.6 Die Einberufung kann auch dann Sinn ergeben, wenn sich bei der individuellen Planannahme eine geringe Rücklaufquote abzeichnet und damit die Gefahr einer Ablehnung droht. Der 3 Madaus in Flöther, § 20 StaRUG Rz. 2; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 4 Madaus in Flöther, § 20 StaRUG Rz. 2. 5 Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 7. 6 BT-Drucks. 19/24181, S. 123.

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§ 20 Rz. 8 | Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen Schuldner kann dann die Versammlung dazu nutzen, zweifelnde Planbetroffene zu überzeugen,7 notfalls mit Zugeständnissen. Allerdings ist zu beachten, dass Planbetroffene regelmäßig dazu neigen werden, die ihnen gesetzte Frist auszuschöpfen, so dass eine zunächst geringe Rücklaufquote noch nicht zwingend darauf hindeuten muss, dass der Plan nicht angenommen wird. Idealerweise hat der Schuldner ohnehin in den Vorgesprächen bzw. -verhandlungen einen zuverlässigen Eindruck darüber gewonnen, wie das Abstimmungsergebnis ausfallen wird. Nicht selten wird der Schuldner auch von der notwendigen Mehrheit Erklärungen eingeholt haben, die eine Verpflichtung enthalten, für den Plan zu stimmen (sog. Lock up-Vereinbarung). Gegen die Durchführung einer Abstimmungsversammlung könnte es sprechen, wenn es aktive Opponenten gibt, bei denen damit zu rechnen ist, dass sie die Versammlung dazu nutzen werden, andere Planbetroffene von ihrer Ansicht zu überzeugen. Letztlich wird es also auf die konkreten Rahmenbedingungen ankommen.

2. Form der Einberufung (§ 20 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) 9 Die Einberufung der Versammlung erfolgt gem. § 20 Abs. 1 Satz 2 StaRUG schriftlich und

damit in der Form des § 126 BGB. Der Schuldner hat den Planbetroffenen demnach eine eigenhändig unterschriebene Ladung zukommen zu lassen. Anders als bei der Übermittlung des Planangebots gem. § 17 Abs. 4 Satz 1 StaRUG sieht die Vorschrift keine Formerleichterungen vor. Der Versand der Ladung mittels einer E-Mail kommt demnach nicht in Betracht.8 Die Ersetzung der Schriftform durch die elektronische Form ist aber unter den Vorgaben des § 126a BGB möglich.

3. Frist zur Einberufung (§ 20 Abs. 1 Satz 3 und 4 StaRUG) 10 Die Frist zur Einberufung der Abstimmungsversammlung beträgt nach § 20 Abs. 1 Satz 3 Sta-

RUG mindestens 14 Tage. Diese Frist soll wie die gleichlautend in § 19 StaRUG geregelte sicherstellen, dass den Planbetroffenen eine ausreichende Überlegungszeit für ihre Entscheidung eingeräumt wird; auch soll einer Überrumpelung mit dem Plan entgegengewirkt werden.9 Gleichzeitig wird es den Planbetroffenen ermöglicht, ihre Anreise zu der Abstimmungsversammlung in angemessener Weise zu organisieren.10

11 Die Regelfrist von 14 Tagen kann nach § 20 Abs. 1 Satz 4 StaRUG auf sieben Tage verkürzt

werden, wenn der Schuldner den Planbetroffenen die Möglichkeit einer elektronischen Teilnahme nach § 20 Abs. 2 StaRUG einräumt. Diese Regelung bezieht sich indes ausweislich der Gesetzesbegründung nur auf die Einberufung der Abstimmungsversammlung; der Schuldner hat in entsprechender Anwendung des § 19 Satz 2 und 3 StaRUG den Planbetroffen gleichwohl den Restrukturierungsplan oder das Restrukturierungskonzept mindestens 14 Tage vor dem Termin zur Verfügung zu stellen.11 Zwar entfällt auch bei elektronischer Teilnahme die Organisation der Anreise zur Versammlung; gleichwohl muss es dabei bleiben, dass den Planbetroffenen genügend Zeit bleibt, das Planangebot inhaltlich zu prüfen und zu bewerten.

12 Zu beachten ist, dass es sich bei den in § 20 Abs. 1 Satz 3 und 4 StaRUG bestimmten Einberu-

fungsfristen um Mindestfristen handelt. Sofern es die wirtschaftliche Situation des Schuldners

7 Madaus in Flöther, § 20 StaRUG Rz. 4. 8 Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 12; Madaus in Flöther, § 20 StaRUG Rz. 5; Thole, ZIP 2020, 1985, 1989. 9 BT-Drucks. 19/24181, S. 123. 10 BT-Drucks. 19/24181, S. 123. 11 BT-Drucks. 19/24181, S. 123.

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Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen | Rz. 15 § 20

erlaubt, sollte er bei besonders komplexen Restrukturierungsplänen auch eine längere Frist erwägen. Anders als bei der Frist zur Planannahme nach § 19 Satz 2 StaRUG kann der Fristbeginn zur 13 Einberufung der Abstimmungsversammlung nicht subjektiv und damit anhand des individuellen Zugangs der Einberufung bei den Planbetroffen bestimmt werden (vgl. § 19 Rz. 7).12 Für den Fristbeginn ist daher auf den Zeitpunkt des regelmäßig zu erwartenden Zugangs abzustellen.13 Insoweit entspricht die Rechtslage derjenigen bezüglich der Einberufungsfrist für die Gesellschafterversammlung einer GmbH (§ 51 Abs. 1 Satz 2 GmbHG).14 Die Fristberechnung richtet sich ebenso wie bei § 19 StaRUG nach den §§ 186 ff. BGB (vgl. § 19 Rz. 9).

4. Inhalt der Einberufung (§ 20 Abs. 1 Satz 5 StaRUG) Nach § 20 Abs. 1 Satz 5 StaRUG ist der Einberufung der vollständige Restrukturierungsplan 14 nebst Anlagen beizufügen. Erfolgt die Einberufung erst, nachdem das Planangebot nach § 17 StaRUG zur Verfügung gestellt wurde, erscheint es indes nicht mehr notwendig, den Plan noch einmal beizufügen; er liegt den Planbetroffenen bereits vor. Vielmehr genügt dann der Hinweis in der Einberufung, dass sich im Vergleich zu der mit dem Planangebot zur Verfügung gestellten Fassung des Plans keine Änderungen ergeben haben.15 Gewährt der Schuldner den Planbetroffenen die Möglichkeit zur elektronischen Teilnahme, kann zwar die Frist nach § 20 Abs. 1 Satz 4 StaRUG auf sieben Tage verkürzt werden. Allerdings soll der Schuldner den Planbetroffenen in diesem Fall ausweislich der Gesetzesbegründung den vollständigen Restrukturierungsplan oder das Restrukturierungskonzept entsprechend § 19 Satz 3 StaRUG und mindestens 14 Tage vor der Abstimmungsversammlung zur Verfügung stellen.16 Die Verkürzung kommt also nur in Betracht, wenn den Planbetroffenen der Plan im Zeitpunkt des Abstimmungstermins bereits 14 Tage vorgelegen hat. Das ist dann der Fall, wenn die Einberufung in der zweiten Woche nach Unterbreitung des Planangebotes erfolgt oder aber der Plan den Planbetroffenen bereits aus anderen Gründen vorliegt.17 § 20 Abs. 1 StaRUG macht im Übrigen keine Vorgaben zum notwendigen Inhalt der Einberu- 15 fung. Anders als im gerichtlichen Abstimmungsverfahren muss in die Einberufung auch nicht der Hinweis aufgenommen werden, dass die Abstimmung auch dann durchgeführt werden kann, wenn nicht alle Planbetroffenen an der Versammlung teilnehmen. Ob der Hinweis in die Einberufung zur Durchführung einer Abstimmungsversammlung nach § 20 StaRUG aufzunehmen ist, stellt primär eine taktische Frage dar.18 Auf jeden Fall sollte aber der Hinweis darauf aufgenommen werden, dass ein Antrag auf Minderheitenschutz nach § 64 StaRUG nur dann zulässig ist, wenn der Antragsteller bereits im Abstimmungsverfahren dem Plan widersprochen und geltend gemacht hat, dass er durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt wird als er ohne den Plan stünde (§ 64 Abs. 2 Satz 1 StaRUG). Denn ohne diesen Hinweis kann ein Planbetroffener auch später noch, d.h. ohne die Geltendmachung im Abstimmungsverfahren, die Versagung der Bestätigung des Plans beantragen. Gleichermaßen sollte der Hinweis aufgenommen werden, dass die sofortige Beschwerde gegen eine etwaige spätere 12 Dies übersieht Madaus in Flöther, § 20 StaRUG Rz. 6. 13 So auch Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 16; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); a.A. Madaus in Flöther, § 20 StaRUG Rz. 6. 14 Vgl. BGH v. 30.3.1987 – II ZR 180/86, NJW 1987, 2580, 2581 = ZIP 1987, 1117; OLG Hamm v. 28.10.2015 – 8 U 73/15, ZIP 2016, 1071; Liebscher in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 52 GmbHG Rz. 25; Seibt in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 51 GmbHG Rz. 14. 15 So auch Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 17. 16 BT-Drucks. 19/24181, S. 123. 17 Vgl. zu dieser Inkonsistenz auch Tresselt in Morgen, § 20 StaRUG Rz. 5. 18 Für die Aufnahme generell Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 9.

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§ 20 Rz. 15 | Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen gerichtliche Bestätigung des Plans nur dann zulässig ist, wenn der Beschwerdeführer dem Plan im Abstimmungsverfahren widersprochen und gegen den Plan gestimmt hat (§ 66 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 66 Abs. 3 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StaRUG).19 16 Wird gem. § 20 Abs. 2 StaRUG eine elektronische Teilnahme angeboten, hat der Schuldner

den Planbetroffenen alle Modalitäten hinsichtlich Ort und Zeit der Abstimmungsversammlung mitzuteilen. Aus der Einberufung muss sich im Übrigen ergeben, wie diese umgesetzt werden soll. Dazu gehört die Information über die Art des zu nutzenden elektronischen Mediums sowie die Übermittlung der Zugangs- bzw. Einwahldaten einschließlich der entsprechenden Passwörter. Beabsichtigt der Schuldner, die Versammlung durch Videokonferenz durchzuführen, sollten den Planbetroffenen die Zugangs- bzw. Einwahldaten nebst Link zusätzlich zu der Ladung per E-Mail zugesandt werden. Dadurch haben sie den unkompliziertesten Zugang zu der virtuellen Veranstaltung und wird Unsicherheiten im Hinblick auf einen reibungslosen Ablauf der Abstimmung bestmöglich vorgebeugt.

V. Durchführung der Versammlung 1. Physische oder elektronische Teilnahme (§ 20 Abs. 2 StaRUG) 17 Nach § 20 StaRUG stehen zwei Möglichkeiten dafür zur Verfügung, wie Planbetroffene an der

Abstimmungsversammlung teilnehmen und ihre Rechte ausüben können: die physische und die elektronische Teilnahme (§ 20 Abs. 2 StaRUG). Der Schuldner kann die Teilnahmemöglichkeit nicht auf elektronische Kommunikationswege beschränken, sodass jeder Planbetroffene das Recht hat, persönlich am Versammlungsort der Abstimmung teilzunehmen.20 Die Möglichkeit der elektronischen Teilnahme ergänzt also die der physischen Teilnahme, ersetzt diese aber nicht. § 20 Abs. 2 StaRUG stellt daher auch keine Reaktion auf die Herausforderungen der COVID-19-Pandemie dar. Ansonsten hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit einer ausschließlich elektronischen Versammlung zur Verfügung gestellt.21 Vielmehr war es gesetzgeberisches Ziel, den Planbetroffenen die Teilnahme an der Versammlung mit so wenig Aufwand wie nötig zu ermöglichen. Dies ist vor dem Hintergrund des Mehrheitserfordernisses in § 25 Abs. 1 StaRUG (75 %) zu sehen, das sich nicht nur auf die teilnehmenden Planbetroffenen bezieht, sondern auf alle Stimmrechte in der jeweiligen Gruppe.22

18 Entscheidet sich der Schuldner dafür, eine elektronische Teilnahme zu ermöglichen, hat er

dies den Planbetroffenen im Planangebot anzukündigen, wobei es sich richtigerweise wohl um die Einberufung handeln muss.23 Der Schuldner hat den Planbetroffenen also nicht nur den Ort und die Zeit der Abstimmungsveranstaltung mitzuteilen, sondern alle für die elektronische Teilnahme relevanten Informationen.

19 § 20 Abs. 2 StaRUG enthält keine Vorgaben dazu, wie die elektronische Teilnahme konkret

auszugestalten ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung hat der Schuldner jedoch die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alle auf elektronischem Wege teilnehmenden Planbetroffenen durchgängig alle wesentlichen Vorgänge der Verhandlungen wahrnehmen und sich wie anwesende Planbetroffene äußern und auch mit anderen Teilnehmern kommunizieren können.24 Notwendig ist demnach eine Teilnahme im Wege der sog. Zwei-Wege19 20 21 22

Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 11. BT-Drucks. 19/24181, S. 123. So bspw. die rein digitale Hauptversammlung in § 1 Abs. 2 CovMG. BT-Drucks. 19/24181, S. 123 („zur Stärkung der Teilnahmebereitschaft“); Smid, DZWiR 2021, 119, 128; Tresselt in Morgen, § 20 StaRUG Rz. 9. 23 So auch Madaus in Flöther, § 20 StaRUG Rz. 10. 24 BT-Drucks. 19/24181, S. 123.

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Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen | Rz. 22 § 20

Verbindung, bei der die Teilnehmenden Fragen und Anregungen gemeinsam erörtern können. Eine reine Bild- oder Tonübertragung der Abstimmungsversammlung reicht hingegen nicht aus.25 Empfehlenswert erscheint die auch in der Gesetzesbegründung erwähnte Ausgestaltung als 20 Videokonferenz. Sie bietet den Planbetroffenen die Möglichkeit eines direkten Austausches, der einer physischen Versammlung durchaus nahekommt und ohne größeren technischen Aufwand umsetzbar sein sollte. Sie wird spätestens seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie im Grunde von allen am Wirtschaftsleben Beteiligten genutzt, aber auch Privatpersonen dürften regelmäßig Zugang haben oder sich diesen ohne Probleme verschaffen können. Schwieriger wird der direkte Austausch zwar dann, wenn die Anzahl der Planbetroffenen hoch und das Potential möglicher Nachfragen nicht absehbar oder gar unüberschaubar ist. Die gerade im Zusammenhang mit der virtuellen Ausgestaltung von Aktionärshauptversammlungen aufgrund der COVID-19-Pandemie einhergehende Kritik fehlender Generaldebatten26 ist jedoch nicht uneingeschränkt auf (virtuelle) Abstimmungsversammlungen nach § 20 StaRUG übertragbar. Während an Hauptversammlungen regelmäßig hunderte oder tausende Aktionäre teilnehmen, wird die Anzahl der Planbetroffenen regelmäßig überschaubarer sein. Um das Risiko einer gestörten Durchführung so weit wie möglich zu verringern, ist zu emp- 21 fehlen, dass der Schuldner einen gängigen, sowohl web- als auch clientbasiert nutzbaren Cloud-Dienst (z.B. Microsoft Teams, Zoom Video Communications oder Cisco Webex) wählt und mit der Einberufung mitteilt, welcher genutzt werden soll. Auch sollten die Planbetroffenen aufgefordert werden, vorab zu testen, ob der Zugang mit ihrem Endgerät funktioniert.27 Hierfür bieten die Cloud-Dienste in aller Regel Testmöglichkeiten an. Ergibt sich dabei, dass eine störungsfreie Teilnahme nicht gesichert ist, hat der Planbetroffene immer noch die Möglichkeit, physisch teilzunehmen. Die Gewährleistung einer ungehinderten und durchgängigen Teilnahme an der Abstim- 22 mungsversammlung ist für den Schuldner wegen der Darlegungs- und Beweislastregel in § 63 Abs. 4 Satz 1 StaRUG von besonderer Bedeutung. Danach gehen Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Restrukturierungsplans zu Lasten des Schuldners. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll diese Risikoverteilung auch für die elektronische Teilnahme an der Versammlung gelten.28 Macht also ein Planbetroffener im gerichtlichen Bestätigungsverfahren geltend, an der durchgängigen Teilnahme gehindert gewesen zu sein, hat der Schuldner nachzuweisen, dass dies entweder nicht der Fall war oder aber Gründe vorgelegen haben, die nicht in seinem Verantwortungsbereich liegen. Während der Schuldner für die technische Bereitstellung der Konferenzdienste sowie die Übertragung der Daten von seinem Endgerät an den jeweiligen Dienst verantwortlich ist, gilt dies aber nicht für die Funktionsfähigkeit und ordnungsgemäße Verwendung des Endgeräts des jeweiligen Planbetroffenen.29 Zwar sieht es zunächst so aus, als könne dem Schuldner der erforderliche Nachweis im Bestreitensfalle kaum gelingen.30 Hat aber die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer störungsfrei an der Versammlung elektronisch teilnehmen können, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die technischen Probleme nicht im Verantwortungsbereich des Schuldners liegen.31 25 Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 21. 26 Vgl. zu den ersten Erkenntnissen pandemiebedingter virtueller Hauptversammlungen im Jahr 2020 Seibt/Danwerth, NZG 2020, 1241, 1243. 27 Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 21; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 28 BT-Drucks. 19/24181, S. 123. 29 Harig/Stamme, ZIP 2021, 2105, 2107. 30 So Tresselt in Morgen, § 20 StaRUG Rz. 10. 31 Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 23; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 20 Rz. 23 | Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen

2. Teilnahmerecht 23 An der Abstimmungsversammlung können alle Planbetroffenen teilnehmen. Um die ord-

nungsgemäße organschaftliche Vertretung zu überprüfen, kann und sollte die Vorlage eines aktuellen Handelsregisterauszuges verlangt werden. Lassen sich Planbetroffene rechtsgeschäftlich vertreten, kann und sollte der Schuldner die Vorlage der entsprechenden Vollmachtsurkunde verlangen.

24 Darüber hinaus sollte der Schuldner keine überspannten Anforderungen an die Teilnahme

stellen, zumal ihm selbst wegen der Mehrheitsregel in § 25 Abs. 1 StaRUG an einer möglichst hohen Beteiligung gelegen sein muss.32 Ob sich Planbetroffene durch Dritte wie anwaltliche oder sonstige Berater begleiten lassen dürfen, kann demgegenüber vom Schuldner vorgegeben werden. In aller Regel dürfte nichts dagegensprechen.

3. Ablauf der Versammlung (§ 20 Abs. 3 StaRUG) 25 Der Schuldner führt den Vorsitz der Versammlung (§ 20 Abs. 3 Satz 1 StaRUG). Ihm steht

damit grundsätzlich das Recht zu, die Veranstaltung zu leiten. Wurde nach § 73 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 StaRUG von Amts wegen ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, leitet dieser die Versammlung an Stelle des Schuldners (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG).

26 Zwar steht dem Schuldner ein gewisser Gestaltungsspielraum hinsichtlich des Ablaufs der

Abstimmungsversammlung zu. Gleichwohl dürfte sie in aller Regel wie folgt ablaufen: Nach der Feststellung der Teilnehmenden wird zunächst die Teilnahmeberechtigung geprüft; für den Fall einer physischen Versammlung wird dies indes schon bei Einlass erledigt worden sein dürfte. Sodann wird der Schuldner den Restrukturierungsplan vorstellen, wobei er für den Fall, dass auch in gruppeninterne Drittsicherheiten eingegriffen werden soll (§ 2 Abs. 4 Satz 1 StaRUG), auf die davon betroffenen Gesellschaften33 gem. § 20 Abs. 3 S. 2 StaRUG einzugehen hat. Im Anschluss wird den Planbetroffenen die Gelegenheit zur Erörterung des Plans und etwaiger Änderungsvorschläge gegeben und schließlich das Abstimmungsverfahren eingeleitet. Sind die Stimmrechte, die der Schuldner im Restrukturierungsplan festgelegt hat, streitig, können auch diese, bevor mit der Abstimmung selbst begonnen wird, erörtert werden. Etwaige Anträge von Planbetroffenen, die auf einen abweichenden Ablauf gerichtet sind, muss der Schuldner nicht berücksichtigen.

27 Im Rahmen der Erörterung sollen sich die Planbetroffenen zum Restrukturierungsplan selbst

oder zu sonstigen, für die Abstimmung relevanten Umständen äußern und zu den angesprochenen Punkten diskutieren können.34 Diese Diskussion wird im Interesse des Schuldners liegen, wenn sie dazu dient, noch unentschlossene Planbetroffene zu überzeugen. Haben die Planbetroffenen Fragen zum Plan und zu den für seine sachgemäße Beurteilung relevanten Verhältnissen (§ 20 Abs. 3 Satz 2 StaRUG), hat er hierüber Auskunft zu erteilen. Allerdings richtet sich die Zulässigkeit von Redebeiträgen und Fragemöglichkeiten nicht etwa nach dem aktienrechtlichen Vorbild, sondern nach dem insolvenzrechtlichen (§ 235 Abs. 1 InsO). Der Schuldner muss demnach zwar ausreichend Gelegenheit zur Erörterung geben; die zweckwid32 Darauf weist Spahlinger (in BeckOK/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 19 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) zu Recht hin und nennt in diesem Zusammenhang etwa die Unzulässigkeit des Nachweises einer rechtzeitigen Anmeldung. 33 Anstelle von Tochtergesellschaften muss in § 20 Abs. 3 Satz 2 StaRUG richtigerweise auf verbundene Unternehmen i.S.v. § 15 AktG abgestellt werden. Es handelt sich insoweit um einen redaktionellen Fehler, der dem Umstand geschuldet ist, dass § 2 Abs. 4 Satz 1 StaRUG in der finalen Fassung noch entsprechend geändert worden ist. 34 BT-Drucks. 19/24181, S. 123.

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Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen | Rz. 30 § 20

rige Ausnutzung eines Informationsrechts muss er hingegen nicht dulden und kann sein Hausrecht in der Versammlung in der Weise ausüben, dass er die störenden Planbetroffenen von der Versammlung ausschließt oder die Erörterung beendet.35 Sind einzelne Planbetroffene der Ansicht, dass ihre Fragen unzureichend diskutiert oder beantwortet wurden, hindert dies den Schuldner nicht daran, die Abstimmung über den Restrukturierungsplan einzuleiten.36

VI. Änderungen des Restrukturierungsplans In der Abstimmungsversammlung sind auch Änderungsvorschläge zu erörtern. Diese können 28 vom Schuldner stammen oder von Planbetroffenen. Denkbar ist zunächst, dass der Schuldner in Gesprächen mit Planbetroffenen im Vorfeld der Versammlung den Eindruck gewonnen hat, dass er nur dann die notwendige Mehrheit erreichen wird, wenn bestimmte Zugeständnisse gemacht werden. Diese wird er im Rahmen der Versammlung vorstellen und zur Diskussion stellen. Ob über den veränderten Plan dann noch in demselben Termin abgestimmt werden kann, richtet sich nach § 20 Abs. 4 StaRUG. Es kommt mithin darauf an, ob nur „einzelne Punkte“ im Sinne dieser Vorschrift geändert wurden (dazu sogleich unter Rz. 31 ff.). Nach § 20 Abs. 3 Satz 3 StaRUG sind aber auch die Planbetroffenen dazu berechtigt, dem 29 Schuldner Vorschläge zur Änderung des Restrukturierungsplans zu unterbreiten. Diese sind dem Schuldner mindestens einen Tag vor dem Beginn der Versammlung in Textform zugänglich zu machen sind (§ 20 Abs. 3 Satz 4 StaRUG). Die Kürze dieser Vorlauffrist zeigt, dass sich der Gesetzgeber des Umstandes bewusst ist, dass Restrukturierungen häufig unter großem Zeitdruck ablaufen, was zu begrüßen ist. Ob jedoch ein Tag ausreicht, um die Änderungsvorschläge zu prüfen, zu bewerten und den Restrukturierungsplan sowie die Präsentation für die Versammlung anzupassen, darf bezweifelt werden.37 Es ist zu befürchten, dass Planbetroffene dieses Recht nutzen werden, um dem Schuldner noch in „letzter Minute“ Zugeständnisse abzuringen. Zwar steht es dem Schuldner ausweislich der Gesetzesbegründung frei, rechtzeitige ebenso wie verspätete Änderungsvorschläge zu berücksichtigen oder nicht.38 Ist aber nicht mehr genügend Zeit für eine Verlängerung der Abstimmung vorhanden und ist der Schuldner auf die Zustimmung der die Vorschläge unterbreitenden Planbetroffenen angewiesen, hat er keine Wahl. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass es in einem Restrukturierungsplan nicht nur um das 30 Verhältnis zwischen Schuldner und Planbetroffenen geht, sondern auch jenes zwischen verschiedenen Gruppen von Planbetroffenen. Es hilft einer durch die Änderungsvorschläge benachteiligten Gruppe von Planbetroffenen nicht, wenn der Schuldner die Vorschläge, selbst wenn sie verspätet unterbreitet werden, berücksichtigt. Ihnen bleibt dann nur, gegen den Plan zu stimmen und dadurch das für alle Beteiligten schlechteste Ergebnis herbeizuführen. Rechtlichen Schutz haben sie allerdings insoweit, als die Abstimmung über den veränderten Plan nur dann noch in derselben Versammlung erfolgen kann, wenn nur „einzelne Punkte“ im Sinne von § 20 Abs. 4 StaRUG geändert wurden (dazu sogleich unter Rz. 31 ff.).

35 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 243 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 36 Ebenso Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 28; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 23 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); so zum Insolvenzplan BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, NJW-RR 2011, 51, 53 Rz. 37 = ZIP 2010, 1499. 37 Das verkennt Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 31. 38 BT-Drucks. 19/24181, S. 123.

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§ 20 Rz. 31 | Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen

VII. Abstimmung 1. Abstimmungsfähiger Restrukturierungsplan (§ 20 Abs. 4 StaRUG) 31 Entschließt sich der Schuldner, den Restrukturierungsplan trotz Erörterung gegenüber der

mit dem Planangebot oder der Einberufung der Versammlung versandten Fassung unverändert zu lassen, stellt er diese zur Abstimmung. Denkbar ist aber auch, dass ein inhaltlich veränderter Plan vorgelegt wird. Änderungsvorschläge können vom Schuldner oder von Planbetroffenen kommen oder das Ergebnis der Erörterung sein, ohne dass es vor der Versammlung entsprechende Vorschläge gegeben hat. Beziehen sich diese Änderungen nur auf „einzelne Punkte“, kann nach § 20 Abs. 4 StaRUG gleichwohl in derselben Versammlung über den Plan abgestimmt werden. Nach seinem Wortlaut erfasst § 20 Abs. 4 StaRUG zwar nur den zuletzt genannten Fall, d.h. dass Änderungen das Ergebnis der Erörterung sind. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich jedoch, dass auch die anderen beiden Fälle unter § 20 Abs. 4 StaRUG fallen sollen.39 Von den Änderungen betroffen sein kann sowohl der darstellende als auch der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans.40

32 Nach § 20 Abs. 4 StaRUG ist ein Restrukturierungsplan dann abstimmungsfähig, wenn er in-

haltlich (nur) in „einzelnen Punkten“ abgeändert wird, wobei Maßstab der den Planbetroffenen mit dem Planangebot oder der Einberufung zur Verfügung gestellte Plan ist. Da in der Gesetzesbegründung diesbezüglich auf die Rechtsprechung zur Änderung des Insolvenzplans nach § 240 InsO verwiesen wird,41 ist sie für die Beurteilung der Frage, ob ein Plan noch abstimmungsfähig ist, heranzuziehen.42 Wesentlicher Inhalt der Rechtsprechung zu § 240 InsO ist wiederum die sog. Plankerntheorie. Danach sind Änderungen solange unschädlich, wie der Kern des Plans erhalten bleibt. Was darunter zu verstehen ist, kann nach Auffassung des BGH nicht abstrakt bestimmt werden, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtkonzeption des Plans.43

33 Allerdings wird die Definition des Kernbereichs eines Insolvenzplans zuletzt zunehmend un-

einheitlich beurteilt. Eine Auffassung legt einen eher großzügigen Maßstab an, um das Zustandekommen von Plänen nicht zusätzlich zu erschweren. Danach sollen zulässige Änderungen sowohl die Befriedigungsquote als auch Fälligkeiten von Forderungen und sogar die Gruppenstruktur umfassen können.44 Demgegenüber war die untergerichtliche Rechtsprechung zuletzt zurückhaltender.45

34 Bei der Auslegung von § 20 Abs. 4 StaRUG sollte ebenfalls ein eher großzügiger Maßstab

angelegt werden.46 Restrukturierungspläne dürften in aller Regel zeitkritischer sein als Insolvenzpläne und das Summenmehrheitserfordernis ist wesentlich höher als beim Insolvenzplan. Wenn sich eine derart große Mehrheit trotz (oder wegen) der Änderungen für den Plan entscheidet, spricht das für die Angemessenheit des Plans. In Grenzfällen sollte daher eher zugunsten der Abstimmungsfähigkeit entschieden werden. 39 BT-Drucks. 19/24181, S. 124. 40 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 26 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. auch Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 35. 41 BT-Drucks. 19/24181, S. 124. 42 Dabei ist unbeachtlich, dass in § 240 InsO anstelle von „Punkten“ von „Regelungen“ die Rede ist. 43 Zum Umfang der Planänderungsbefugnis nach § 240 InsO s. ausführlich Hintzen in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2020, § 240 InsO Rz. 6 ff.; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 240 InsO Rz. 4 f.; Spliedt in K. Schmidt, § 240 InsO Rz. 3 f. 44 So etwa ausdrücklich Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 240 InsO Rz. 4; ähnlich Hintzen in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2020, § 240 InsO Rz. 9 jeweils m.w.N. 45 So etwa AG Düsseldorf v. 8.10.2019 – 513 IK 220/17 Rz. 12, NZI 2020, 435; AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13 Rz. 26, ZIP 2016, 2492. 46 Ebenso Tresselt in Morgen, § 20 StaRUG Rz. 15.

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Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen | Rz. 39 § 20

Gehen die Änderungen über einzelne Punkte im Sinne von § 20 Abs. 4 StaRUG hinaus, ist ein 35 neues Planangebot erforderlich oder hat der Schuldner zu einer weiteren Abstimmungsversammlung einzuberufen.47 Der Vollständigkeit halber sei noch festgehalten, dass immer nur ein einziger Restrukturie- 36 rungsplan Gegenstand der Abstimmung sein kann.48 Das ergibt sich zunächst daraus, dass den Planbetroffenen kein Planinitiativrecht zusteht (vgl. § 17 Rz. 68). Zugleich würde es aus Sicht des Schuldners keinen Sinn machen, mehrere Pläne zur Abstimmung zu stellen. Vielmehr sollte er nach der Erörterung wissen, welche Planfassung die größten Aussichten auf Zustimmung hat. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass er nach Ablehnung des vorgeschlagenen Plans noch in derselben Versammlung eine modifizierte Fassung zur Abstimmung stellt, solange die Voraussetzungen von § 20 Abs. 4 StaRUG erfüllt sind.49

2. Ablauf der Abstimmung (§ 20 Abs. 5 StaRUG) a) Abstimmungsverfahren § 20 Abs. 5 StaRUG legt die Modalitäten der Abstimmung in die Hände des Schuldners (so 37 ausdrücklich § 20 Abs. 5 Satz 2 StaRUG). Das gilt auch für den Fall der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG).50 Sofern in § 20 Abs. 5 Satz 1 StaRUG bestimmt wird, dass jede Gruppe der Planbetroffenen gesondert abstimmt, ist dies eine Selbstverständlichkeit. Sind Planbetroffene mit unterschiedlichen Rechten in unterschiedlichen Gruppen vertreten, stimmen sie mehrfach ab.51 Anders als bei der Annahme des Planangebots nach § 17 Abs. 4 StaRUG muss die Stimm- 38 abgabe im Rahmen der Abstimmungsversammlung nicht in Schriftform erfolgen. Vielmehr legt der Schuldner fest, in welcher Form abgestimmt wird. Die Gesetzesbegründung nennt beispielhaft die Abstimmung per Handzeichen oder Wahlzettel.52 Für diejenigen, die nicht an der Versammlung teilnehmen, ist die Stimmabgabe weiterhin, d.h. bis zum Ende der Versammlung möglich (§ 20 Abs. 5 Satz 4 StaRUG). Auch in diesem Fall muss die Stimmabgabe indes nicht schriftlich erfolgen.53 Möglich sind alle gängigen Optionen von der schriftlichen Stimmabgabe über eine elektronische Erklärung bis hin zu einer kurzfristigen Teilnahme zum Ende der Abstimmungsversammlung samt der entsprechenden Erklärung per Handzeichen oder Wahlzettel. Sofern Planbetroffene ihr Stimmrecht in elektronischer Form ausüben, hat der Schuldner ih- 39 nen den Zugang der Stimmabgabe elektronisch zu bestätigen (§ 20 Abs. 5 Satz 3 StaRUG). Hierdurch soll sichergestellt werden, dass alle abgegebenen Stimmen auch zutreffend berücksichtigt werden.54 Das liegt wegen der Darlegungs- und Beweislast des Schuldners nach § 63 Abs. 3 Satz 1 StaRUG nicht zuletzt auch im Interesse des Schuldners. Eine elektronische Stimmabgabe könnte beispielsweise mittels E-Mail, Bildschirmformular, Fernabstimmung oder remote-voting vollzogen werden.55 47 48 49 50 51 52 53 54 55

BT-Drucks. 19/24181, S. 124. BT-Drucks. 19/24181, S. 123. Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 28 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 29 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 42. BT-Drucks. 19/24181, S. 124. BT-Drucks. 19/24181, S. 124. Ebenso Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 43. BT-Drucks. 19181, S. 124. Vgl. zur elektronischen Stimmabgabe bei Hauptversammlungen gem. § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG Harig/Stamme, ZIP 2021, 2105, 2108.

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§ 20 Rz. 40 | Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen 40 Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch im Falle einer Teilnahme ohne physi-

sche Anwesenheit die Abstimmung nicht zwingend elektronisch erfolgen muss. Denkbar ist auch, dass Planbetroffene ihre Annahme oder Ablehnung mündlich oder im Fall einer Videokonferenz visuell per Handzeichen erklären. Andersherum kann die Stimmabgabe auch im Falle einer physischen Abstimmungsversammlung elektronisch erfolgen. b) Bindungswirkung abgegebener Stimmen

41 Bereits aus § 20 Abs. 5 Satz 4 StaRUG wird deutlich, dass die Stimmabgabe der Planbetroffe-

nen immer bis zum Ende des Abstimmungstermins möglich ist. Die Ausgestaltung der Abstimmungsmodalitäten durch den Schuldner gem. § 20 Abs. 5 Satz 2 StaRUG hat hierauf keinen Einfluss. Zu beachten ist aber, dass eine während der Versammlung endgültig abgegebene Stimme nicht mehr zurückgenommen werden kann, auch dann nicht, wenn der Restrukturierungsplan während des Termins noch in einzelnen Punkten inhaltlich geändert worden ist.56 Dies gilt unabhängig davon, ob Planbetroffene an der Abstimmungsversammlung teilnehmen oder nicht. Eine notwendige Differenzierung ist an dieser Stelle weder sachgerecht noch ausdrücklich aus dem Gesetz ableitbar.57 Dem Schuldner wurde mit § 20 Abs. 4 StaRUG die Möglichkeit eingeräumt, noch während der Abstimmungsversammlung über abgeänderte Restrukturierungspläne abstimmen zu lassen, sofern diese nur in einzelnen Punkten inhaltlich geändert wurden. Dieser Wertung folgend, kann es keinen Unterschied machen, ob Planbetroffene der Abstimmungsversammlung beiwohnen oder nicht. Es liegt an ihnen, sich an dem Termin zu beteiligen und sich über etwaige Erörterungen und einzelne Änderungen des Restrukturierungsplans in Kenntnis zu setzen.

42 Eine andere Bewertung ist hingegen vorzunehmen, wenn Planbetroffene ihre Stimme bereits

vor Einberufung der Abstimmungsversammlung abgegeben haben, der Schuldner den Planbetroffenen bisher aber nicht die Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Erörterung des Restrukturierungsplans eingeräumt hat. Dazu kann es kommen, wenn zunächst ein schriftliches Planabstimmungsverfahren nach den §§ 17–19 StaRUG angestrebt wurde, der Schuldner dann aber eine Abstimmungsversammlung nach § 20 StaRUG einberuft. In diesem Fall bietet sich eine Analogie zu § 21 Abs. 4 Satz 2 StaRUG an, der die Bindungswirkung abgegebener Stimmen entfallen lässt, wenn nach der Abgabe der entsprechenden Erklärung auf Verlangen eines Planbetroffenen eine Erörterungsversammlung nach § 21 Abs. 1 StaRUG einberufen wird und der Schuldner den Planbetroffenen vor Abgabe des Planangebots keine Gelegenheit zur gemeinschaftlichen Erörterung eingeräumt hat. Ob die Initiative zur Einberufung einer Versammlung der Planbetroffenen vom Schuldner oder den Planbetroffenen ausgeht, kann im Ergebnis keinen Unterschied machen, so dass auch für den Fall der Durchführung einer Abstimmungsversammlung nach § 20 StaRUG die Bindungswirkung abgegebener Stimmen entfallen muss.58 Für den unwahrscheinlichen Fall, dass der Restrukturierungsplan vor der Einberufung zur Abstimmungsversammlung bereits erörtert und bis zur Einberufung nicht mehr inhaltlich geändert worden ist, sollte nichts anderes gelten.59

56 57 58 59

Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 52. A.A. wohl Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 50. Vgl. hierzu Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 46. Offenlassend Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 47 unter Verweis auf die Diskussion über den Widerruf der Stimmabgabe nach § 242 InsO, z.B. Hintzen in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 241 InsO Rz. 7 und Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 241 InsO Rz. 7.

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Erörterung des Restrukturierungsplans | Rz. 2 § 21

§ 21 Erörterung des Restrukturierungsplans (1) Findet eine Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen nicht statt, ist unter den Voraussetzungen des § 17 Absatz 3 auf Verlangen eines Planbetroffenen eine Versammlung der Planbetroffenen zur Erörterung des Plans abzuhalten. (2) 1Die Einberufung erfolgt schriftlich. 2Die Frist zur Einberufung beträgt mindestens 14 Tage. 3Räumt der Schuldner die Möglichkeit einer elektronischen Teilnahme ein, beträgt die Frist sieben Tage. (3) § 20 Absatz 3 gilt entsprechend. (4) 1Findet die Versammlung nach Ablauf einer zur Planannahme gesetzten Frist statt, verlängert sich diese bis zum Ablauf des Tags der Versammlung oder bis zu dem Termin, den der Schuldner bis zum Ende der Versammlung bestimmt. 2Hatte sich ein Planbetroffener bereits zum Planangebot erklärt, entfällt die Bindung an diese Erklärung, wenn er sich binnen der verlängerten Frist erneut erklärt. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normhistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verlangen eines Planbetroffenen (§ 21 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Einberufung durch den Schuldner (§ 21 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Frist der Einberufung (§ 21 Abs. 2 Satz 2, 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 3 4 7

2. Form (§ 21 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) . . . . VI. Ablauf der Erörterungsversammlung (§ 21 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . VII. Verlängerung der Planannahmefrist und Bindungswirkung abgegebener Stimmen (§ 21 Abs. 4 StaRUG) . . . . . . VIII. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10 11 15 19

8

I. Regelungsgegenstand § 21 StaRUG regelt die Einberufung und Durchführung einer Erörterungsversammlung im 1 außergerichtlichen Abstimmungsverfahren. Sie findet auf Verlangen eines Planbetroffenen statt, wenn der Schuldner den Planbetroffenen vor Abgabe des Planangebots keine Gelegenheit zur gemeinschaftlichen Erörterung des Restrukturierungsplans eingeräumt hat (§ 21 Abs. 1 StaRUG). Für die Einberufung und Durchführung der Erörterungsversammlung gelten im Wesentlichen jene Regelungen über die Einberufung und Durchführung einer Abstimmungsversammlung (§ 21 Abs. 2 und 3 StaRUG). Da die Versammlung auch nach Ablauf der Annahmefrist gem. § 19 StaRUG stattfinden kann, verlängert sich diese Frist bis zum Ablauf des Tages der Versammlung oder bis zu dem Termin, den der Schuldner bis zum Ende der Versammlung bestimmt (§ 21 Abs. 4 StaRUG).

II. Normzweck Die Vorschrift soll sicherstellen, dass die Planbetroffenen auch außerhalb einer Abstimmungs- 2 versammlung die Möglichkeit haben, den Restrukturierungsplan oder das zugrunde liegende Restrukturierungskonzept vor der Annahmeentscheidung gemeinschaftlich zu erörtern.1 Da-

1 BT-Drucks. 19/24181, S. 124.

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§ 21 Rz. 2 | Erörterung des Restrukturierungsplans für nimmt der Gesetzgeber in Kauf, dass sich die Annahme des Plans verzögern kann. Allerdings steht es dem Schuldner frei, selbst mit der Vorlage des Planangebots eine Versammlung einzuberufen, die dann entweder nur der Erörterung des Plans oder auch gleich der Abstimmung über ihn (§ 20 StaRUG) dient.

III. Normhistorie 3 Die Restrukturierungs-Richtlinie sieht zwar in Art. 9 Abs. 7 Restrukturierungs-RL die Annah-

me des Plans in einem außergerichtlichen Verfahren vor.2 Vorgaben für die konkrete Ausgestaltung dieses Verfahrens finden sich dort indes nicht. Im nationalen Gesetzgebungsverfahren hat § 21 StaRUG (zunächst noch § 23 StaRUG) keine Änderung erfahren.

IV. Verlangen eines Planbetroffenen (§ 21 Abs. 1 StaRUG) 4 Das Recht, eine Versammlung der Planbetroffenen zur gemeinschaftlichen Erörterung zu ver-

langen, steht nach § 21 Abs. 1 StaRUG allein den Planbetroffenen zu. Die Befugnis ist an die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 StaRUG geknüpft und bringt damit deutlich zum Ausdruck, dass § 21 und § 20 StaRUG in einem Alternativverhältnis zueinanderstehen.3 Nach § 17 Abs. 3 StaRUG kann dieses Verlangen dann geäußert werden, wenn den Planbetroffenen vor Abgabe des Planangebots keine Gelegenheit zur gemeinschaftlichen Erörterung des Restrukturierungsplans oder des Restrukturierungskonzepts eingeräumt wurde. Hat sich der Schuldner für eine Planannahme im Rahmen einer Abstimmungsversammlung nach § 20 StaRUG entschieden, wird der Restrukturierungsplan nach dessen Abs. 3 ohnehin mit allen Planbetroffenen gemeinschaftlich erörtert.

5 In Ermangelung weiterer Vorgaben bedarf das Verlangen weder einer Begründung4 noch einer

besonderen Form.5 Planbetroffene können dem Schuldner demnach formlos mitteilen, dass sie von ihrem Recht nach § 21 Abs. 1 StaRUG Gebrauch machen. In zeitlicher Hinsicht ist zu beachten, dass Planbetroffene dieses Recht immer nur bis zum Ablauf der nach § 19 StaRUG gesetzten Annahmefrist ausüben können. Nach deren Ablauf gilt der Restrukturierungsplan entweder als angenommen oder abgelehnt.

6 Wird die Durchführung einer Erörterungsversammlung verlangt, ist der Schuldner zur Ein-

berufung des Termins verpflichtet.

V. Einberufung durch den Schuldner (§ 21 Abs. 2 StaRUG) 7 Die Vorgaben für die Einberufung einer Erörterungsversammlung entsprechen jenen für die

Einberufung einer Abstimmungsversammlung nach § 20 StaRUG. Soll in der Versammlung zugleich über den Plan abgestimmt werden, ist zu empfehlen, dass in die Einberufung auch die Hinweise für eine solche Versammlung aufgenommen werden.

2 Sie wird dort als Annahme des Plans durch eine Vereinbarung mit der erforderlichen Mehrheit bezeichnet. 3 Radunz in HambKomm/RestruktR, § 21 StaRUG Rz. 4. 4 BT-Drucks. 19/24181, S. 124. 5 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 21 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Erörterung des Restrukturierungsplans | Rz. 14 § 21

1. Frist der Einberufung (§ 21 Abs. 2 Satz 2, 3 StaRUG) Die Einberufungsfrist beträgt nach § 21 Abs. 2 Satz 2 StaRUG 14 Tage, es sei denn, der 8 Schuldner räumt die Möglichkeit zur elektronischen Teilnahme (entsprechend § 20 Abs. 2 StaRUG) ein; dann kann sie auf sieben Tage verkürzt werden. Denn diese Frist dient nicht als Bedenkzeit für die Entscheidung über die Annahme (oder Ablehnung) des Plans, sondern der Vorbereitung auf die Versammlung sowie der Organisation der Anreise.6 § 21 Abs. 2 StaRUG entspricht inhaltlich § 20 Abs. 1 Satz 2, 3 und 4 StaRUG, so dass im 9 Übrigen, einschließlich Fristberechnung und Organisation einer elektronischen Teilnahme, auf die dortige Kommentierung verwiesen werden kann (vgl. § 20 Rz. 9 ff.).

2. Form (§ 21 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) Nach § 21 Abs. 2 Satz 1 StaRUG erfolgt die Einberufung schriftlich (§ 126 BGB) und ent- 10 spricht damit § 20 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Die Schriftform des § 126 BGB kann unter den Voraussetzungen des § 126a BGB durch eine elektronische Form ersetzt werden. Eine E-Mail reicht zur Wahrung der Schriftform nicht aus.7 Anders als bei der Einberufung einer Abstimmungsversammlung muss aber der Restrukturierungsplan nebst Anlagen nicht mehr beigefügt werden; er wurde den Planbetroffenen in diesem Fall bereits mit dem Planangebot vorgelegt.

VI. Ablauf der Erörterungsversammlung (§ 21 Abs. 3 StaRUG) Für den Ablauf der Erörterungsversammlung verweist § 21 Abs. 3 auf § 20 Abs. 3 StaRUG. Es 11 gelten dementsprechend die diesbezüglichen Regeln über den Versammlungsort, das Teilnahmerecht und die Form der Teilnahme (physisch oder elektronisch) (vgl. § 20 Rz. 25 ff.). Nach § 20 Abs. 3 Satz 1 StaRUG führt der Schuldner den Vorsitz in der Erörterungsver- 12 sammlung. Das dürfte indes dann nicht gelten, wenn ein Restrukturierungsbeauftragter von Amts wegen bestellt worden ist. Zwar wird ihm die Leitungsbefugnis in § 76 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG ausdrücklich nur für die Abstimmungsversammlung zugewiesen. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum er diese Befugnis nicht auch für die Erörterungsversammlung haben sollte.8 Den Planbetroffenen stehen in der Erörterungsversammlung dieselben Auskunfts-, Äuße- 13 rungs- und Erörterungsrechte zu wie im Rahmen der Abstimmungsversammlung (§ 20 Abs. 3 Satz 2 und 3 StaRUG) (vgl. § 20 Rz. 26 f.).9 Planänderungswünsche sind rechtzeitig vor der Versammlung einzubringen.10 § 21 Abs. 3 StaRUG verweist nur auf § 20 Abs. 3 StaRUG, nicht hingegen auf dessen Abs. 4, 14 wonach auch dann noch während der Abstimmungsversammlung über den Restrukturierungsplan abgestimmt werden kann, wenn er während des Termins in einzelnen Punkten geändert wurde. Daraus folgt, dass der Schuldner den Planbetroffenen immer dann ein neues Planangebot nach § 17 StaRUG vorzulegen hat, wenn der Plan innerhalb der Erörterungsver6 BT-Drucks. 19/24181, S. 124; Madaus in Flöther, § 21 StaRUG Rz. 6. 7 Radunz in HambKomm/RestruktR, § 20 StaRUG Rz. 12; Madaus in Flöther, § 20 StaRUG Rz. 5; Thole, ZIP 2020, 1985, 1989. 8 A.A. Radunz in HambKomm/RestruktR, § 21 StaRUG Rz. 11; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 21 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 9 BT-Drucks. 19/24181, S. 124. 10 BT-Drucks. 19/24181, S. 124.

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§ 21 Rz. 14 | Erörterung des Restrukturierungsplans sammlung abgeändert wird. Dies gilt indes nicht für geringfügige inhaltliche Änderungen wie etwa Klarstellungen, sprachliche Änderungen oder die Korrektur offensichtlicher Fehler.11 Nehmen alle Planbetroffenen an der Erörterungsversammlung teil und sind mit der Abstimmung einverstanden, kann in analoger Anwendung von § 20 Abs. 4 und 5 StaRUG auch noch während der Erörterungsversammlung über den (nur in einzelnen Punkten geänderten) Restrukturierungsplan abgestimmt werden.12

VII. Verlängerung der Planannahmefrist und Bindungswirkung abgegebener Stimmen (§ 21 Abs. 4 StaRUG) 15 Verlangt ein Planbetroffener nach § 21 Abs. 1 StaRUG die Einberufung einer Erörterungsver-

sammlung, wird diese in aller Regel erst nach Ablauf der mit dem Planangebot gesetzten Annahmefrist stattfinden.13 Für diesen Fall verlängert sich die Frist bis zum Ablauf des Tages der Erörterungsversammlung (§ 21 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 StaRUG) oder aber bis zu dem Termin, den der Schuldner bis zum Ende der Versammlung bestimmt (§ 21 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 StaRUG). Planbetroffene, die noch nicht über den Plan abgestimmt haben, können dies innerhalb der so neubestimmten Frist nachholen.

16 Aber auch jene Planbetroffenen, die bereits abgestimmt haben, sind nach § 21 Abs. 4 Satz 2

StaRUG nicht mehr an ihre Erklärung gebunden und können sich nunmehr anders entscheiden. Ihnen wird damit die Gelegenheit gegeben, ihre Meinungen zum Restrukturierungsplan aufgrund der in der Erörterungsversammlung gewonnenen Erkenntnisse zu reflektieren und sich entsprechend neu zu positionieren.14 Diese Korrekturmöglichkeit besteht nach zutreffender Auffassung auch dann, wenn die Erörterungsversammlung innerhalb der mit dem Planangebot gesetzten Annahmefrist stattfindet, weil auch in diesem Fall die Möglichkeit bestehen sollte, neu gewonnene Erkenntnisse noch zu berücksichtigen.15

17 Da es nicht ausgeschlossen ist, dass auch solche Planbetroffenen, die nicht an der Erörte-

rungsversammlung teilgenommen haben, über den Inhalt der Erörterung informiert werden, erscheint es überzeugender, auch ihnen die Korrekturmöglichkeit einzuräumen.16 Richtigerweise hat der Schuldner daher auch alle Planbetroffenen über die Verlängerung der Annahmefrist nach § 21 Abs. 4 Satz 1 StaRUG in Kenntnis zu setzen, wobei ein Schreiben in Textform gem. § 126b BGB an alle anderen (abwesenden) Planbetroffenen ausreichend sein sollte.

18 Soweit deshalb Kritik an der mit dem Einberufungsverlangen einhergehenden Korrekturmög-

lichkeit geäußert wird, weil sie einen vergleichsweise einfachen Weg darstelle, sich von einer aus freien Stücken angegebenen Willenserklärung zu lösen,17 kann dem nicht gefolgt werden. Insbesondere stellt diese Möglichkeit keinen weitreichenden Eingriff in die Privatautonomie dar, sondern ist die konsequente Ergänzung des Rechts, sich ein komplexes Vorhaben wie den Restrukturierungsplan in einer eigens dafür abgehaltenen Versammlung erläutern zu lassen bzw. diesen zu erörtern.

11 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 21 StaRUG Rz. 19 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 12 Radunz in HambKomm/RestruktR, § 21 StaRUG Rz. 12; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 21 StaRUG Rz. 12 u. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 13 Tresselt in Morgen, § 21 StaRUG Rz. 6. 14 BT-Drucks. 19/24181, S. 124. 15 Radunz in HambKomm/RestruktR, § 21 StaRUG Rz. 15; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 21 StaRUG Rz. 12 u. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Tresselt in Morgen, § 21 StaRUG Rz. 7. 16 Ebenso Radunz in HambKomm/RestruktR, § 21 StaRUG Rz. 16; a.A. demgegenüber Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 21 StaRUG Rz. 23 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 17 Tresselt in Morgen, § 21 StaRUG Rz. 8.

390 | Westpfahl

Dokumentation der Abstimmung | Rz. 2 § 22

VIII. Rechtsfolgen Kommt der Schuldner dem Einberufungsverlangen nicht nach, handelt es sich insoweit um 19 einen wesentlichen Verfahrensmangel, der im gerichtlichen Planbestätigungsverfahren zu einer Planversagung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG führen muss.18

§ 22 Dokumentation der Abstimmung (1) 1Der Schuldner dokumentiert den Ablauf des Planannahmeverfahrens und hält das Ergebnis der Abstimmung nach Ablauf der Annahmefrist oder nach Durchführung der Abstimmung unverzüglich schriftlich fest. 2Ist die Auswahl der Planbetroffenen, deren Einteilung in Gruppen oder die Zuweisung von Stimmrechten streitig geworden, ist dies in der Dokumentation zu vermerken. (2) Die Dokumentation ist den Planbetroffenen unverzüglich zugänglich zu machen. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normhistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentation des Planannahmeverfahrens und des Abstimmungsergebnisses (§ 22 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . .

1 2 3

1. 2. 3. V.

Umfang der Dokumentationspflicht . . . . 4 Form der Dokumentation . . . . . . . . . . . . 8 Zeitpunkt der Dokumentation . . . . . . . . . 9 Zugänglichmachung (§ 22 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

4

I. Regelungsgegenstand Nach § 22 StaRUG hat der Schuldner Ablauf und Ergebnis des außergerichtlichen Planannah- 1 meverfahrens zu dokumentieren (§ 22 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Besonders erwähnt werden etwaige Streitigkeiten im Hinblick auf die Auswahl der Planbetroffenen, deren Einteilung in Gruppen oder die Zuweisung von Stimmrechten (§ 22 Abs. 1 Satz 2 StaRUG); sie sind in der Dokumentation zu vermerken. Im Anschluss ist die Dokumentation den Planbetroffenen unverzüglich zugänglich zu machen (§ 22 Abs. 2 StaRUG).

II. Normzweck Die Dokumentationspflicht nach § 22 StaRUG hat mehrere Funktionen. Zunächst dient sie 2 der Information der Planbetroffenen über das Abstimmungsergebnis. Sodann sollen sie kontrollieren können, ob die für die Abstimmung maßgeblichen Vorschriften eingehalten worden sind.1 Denn nur dadurch werden sie in die Lage versetzt, ihre Rechte im weiteren (gerichtlichen) Verfahren zu wahren. Diesem Schutzzweck dient auch die Vorgabe, wonach die Dokumentation den Planbetroffenen unverzüglich zugänglich zu machen ist (§ 22 Abs. 2 StaRUG).2 Schließlich bildet die Dokumentation die Grundlage für die gerichtliche Überprü18 BT-Drucks. 19/24181, S. 124. 1 BT-Drucks. 19/24181, S. 124. 2 BT-Drucks. 19/24181, S. 125.

Westpfahl | 391

§ 22 Rz. 2 | Dokumentation der Abstimmung fung des Planabstimmungsprozesses, dessen Ordnungsgemäßheit nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG Voraussetzung für die Planbestätigung ist.3

III. Normhistorie 3 Die Restrukturierungs-Richtlinie macht keine Vorgaben dazu, ob und welche Dokumentati-

ons- und Informationspflichten den Schuldner hinsichtlich der Durchführung des außergerichtlichen Planabstimmungsverfahren treffen. Im deutschen Gesetzgebungsprozess wurde die Ausgangsfassung (zunächst § 24 StaRUG) nur insoweit verändert, als im Regierungsentwurf das Merkmal der Unverzüglichkeit in § 24 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ergänzt wurde.

IV. Dokumentation des Planannahmeverfahrens und des Abstimmungsergebnisses (§ 22 Abs. 1 StaRUG) 1. Umfang der Dokumentationspflicht 4 Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 StaRUG soll der Schuldner den Ablauf des Planannahmeverfahrens

dokumentieren und das Ergebnis der Abstimmung unverzüglich schriftlich festhalten. Ist ein Restrukturierungsbeauftragter zu bestellen (§ 73 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 StaRUG), nimmt dieser die Dokumentationspflichten anstelle des Schuldners wahr (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG). Ausweislich der Regierungsbegründung handelt es sich bei der Dokumentation um eine reine Wissenserklärung, die keine besondere Beweiskraft entfaltet.4 Ihr kommt daher keine konstitutive Wirkung zu.

5 § 22 Abs. 1 Satz 1 StaRUG macht keine Vorgaben zur Reichweite der Dokumentationspflicht

und auch die Gesetzesbegründung enthält keine sachdienlichen Hinweise. Da sie aber vor allem die Grundlage für die gerichtliche Überprüfung des Planabstimmungsprozesses bildet, ergibt sich das Mindestmaß aus § 60 Abs. 1 Satz 3 StaRUG, wo festgelegt ist, welche Unterlagen der Schuldner dem Antrag auf Planbestätigung beizufügen hat. Das sind neben der Dokumentation über das Abstimmungsergebnis sämtliche Urkunden und sonstigen Nachweise, aus denen sich ergibt, wie die Abstimmung durchgeführt wurde und zu welchem Ergebnis sie geführt hat. Dabei ist auch die Beweislastregel des § 63 Abs. 4 Satz 1 StaRUG zu beachten, wonach Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Restrukturierungsplans zu Lasten des Schuldners gehen. Ihm ist daher zu empfehlen, alles zu dokumentieren, was für die gerichtliche Planbestätigung von Relevanz sein und potentiell zu einer Versagung der Bestätigung führen könnte.

6 Zu dokumentieren sind zunächst die Abgabe des Planangebots sowie der Zugang bei den

Planbetroffenen. Die konkreten Voraussetzungen richten sich danach, wie der Zugang bewirkt worden ist. Sodann sind die dem Schuldner zugegangenen Annahme- bzw. Ablehnungserklärungen und das sich daraus ergebende Abstimmungsergebnis zu dokumentieren. Der Schuldner sollte es außerdem dokumentieren, wenn er den Planbetroffenen die Gelegenheit zur gemeinschaftlichen Erörterung des Restrukturierungsplans oder -konzepts gegeben hat (§ 17 Abs. 3 StaRUG). Nur, wenn dies nicht der Fall ist, können Planbetroffene eine Erörterungsversammlung verlangen (§ 21 Abs. 1 StaRUG). Wird sie durchgeführt, sind Einladungsmodalitäten, Beginn, Verlauf und das Ende der Versammlung sowie etwaige Fristverlängerungen und neue Erklärungen der Planbetroffenen (§ 21 Abs. 4 StaRUG) zu dokumentieren. Entscheidet sich der Schuldner für die Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Plan3 BT-Drucks. 19/24181, S. 124. 4 BT-Drucks. 19/24181, S. 124.

392 | Westpfahl

Dokumentation der Abstimmung | Rz. 10 § 22

betroffenen nach § 20 StaRUG, hat er wiederum Einladungsmodalitäten, Beginn und Verlauf der Versammlung, die zugegangenen Annahme- bzw. Ablehnungserklärungen und damit das Abstimmungsergebnis sowie das Ende der Versammlung festzuhalten.5 Darüber hinaus muss der Schuldner nach § 22 Abs. 1 Satz 2 StaRUG in der Dokumentation 7 vermerken, wenn die Auswahl der Planbetroffenen (§ 8 StaRUG), die Einteilung in Gruppen (§ 9 StaRUG) oder aber die Zuweisung von Stimmrechten (§ 24 StaRUG) streitig geworden ist. Etwaige Streitigkeiten werden insbesondere während der gemeinschaftlichen Erörterung des Planangebots oder vor bzw. bei der Abstimmung in einer Versammlung ausgetragen werden.6 Denkbar ist aber natürlich auch, dass die Auseinandersetzung außerhalb einer Versammlung stattfindet. Zu dokumentieren sind neben dem Umstand, dass es überhaupt zu einem Streit gekommen ist, vor allem auch die wesentlichen sachlichen Argumente, die von den Beteiligten vorgebracht werden.7

2. Form der Dokumentation Der Schuldner hat das Abstimmungsergebnis nach § 22 Abs. 1 Satz 1 StaRUG schriftlich 8 und damit in der Form des § 126 BGB festzuhalten. Für die Form der Dokumentation des Ablaufs des Planannahmeverfahrens macht das Gesetz demgegenüber keine Vorgabe.8 Im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast nach § 63 Abs. 4 Satz 1 StaRUG zur ordnungsgemäßen Annahme des Restrukturierungsplans ist aber zu empfehlen, den Ablauf des Planannahmeverfahrens zumindest in Textform (§ 126b BGB) zu dokumentieren. Eine eidesstattliche Versicherung ist hingegen weder für den Ablauf des Planannahmeverfahrens noch für das Abstimmungsergebnis erforderlich.9

3. Zeitpunkt der Dokumentation Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ist das Abstimmungsergebnis unverzüglich schriftlich fest- 9 zuhalten. Unverzüglich ist dabei als „ohne schuldhaftes Zögern“ i.S.v. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB zu verstehen. Nach dem Wortlaut von § 22 Abs. 1 Satz 1 StaRUG erstreckt sich das Erfordernis der Unverzüglichkeit nicht auf die Dokumentation des Ablaufs des Planannahmeverfahrens sowie von Streitigkeiten über die Auswahl von Planbetroffenen, deren Einteilung in Gruppen oder die Zuweisung von Stimmrechten. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum der Schuldner nicht die gesamte Dokumentation unverzüglich erstellen sollte. Zwar lässt sich das Abstimmungsergebnis sicherlich schneller festhalten; allerdings kann die Dokumentation aller vorhergehenden Schritte schon vorher erfolgen. Zu berücksichtigen ist auch, dass sie den Planbetroffenen nach § 22 Abs. 2 StaRUG unverzüglich zugänglich zu machen ist.

V. Zugänglichmachung (§ 22 Abs. 2 StaRUG) Der Schuldner hat die Dokumentation den Planbetroffenen nach § 22 Abs. 2 StaRUG unver- 10 züglich zugänglich zu machen, mithin auch hier „ohne schuldhaftes Zögern“ (§ 121 Abs. 1 5 Vgl. hierzu Madaus in Flöther, § 22 StaRUG Rz. 6; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 22 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 6 Madaus in Flöther, § 22 StaRUG Rz. 7. 7 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 22 StaRUG Rz. 14 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 8 Das wird zuweilen übersehen, s. z.B. Madaus in Flöther, § 22 StaRUG Rz. 4; Tresselt in Morgen, § 22 StaRUG Rz. 3. 9 Madaus in Flöther, § 22 StaRUG Rz. 4.

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§ 22 Rz. 10 | Dokumentation der Abstimmung Satz 1 BGB). Dabei sind jedoch stets die Umstände des Einzelfalls wie z.B. die Anzahl der Planbetroffenen, die Komplexität des Restrukturierungsplans und -verfahrens sowie sämtliche Umstände, die aus der Person oder Situation des Schuldners resultieren, zu berücksichtigen. 11 § 22 Abs. 2 StaRUG lässt offen, wie der Schuldner den Planbetroffenen die Dokumentation

zugänglich zu machen hat. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass es einer besonderen Zustellung oder eines Zugangsnachweises nicht bedarf.10 Ausreichend dürfte eine Mitteilung in Textform (§ 126b BGB) sein, solange ein schriftliches Original existiert.11 Allerdings genügt es nicht, die Planbetroffenen nur darüber zu informieren, dass die Dokumentation vor Ort eingesehen werden kann.12 Wurde den Planbetroffenen im Falle der Durchführung einer Abstimmungsversammlung nach § 20 StaRUG das Ergebnis am Ende der Versammlung mündlich bekanntgegeben, bedarf es trotzdem noch einer Mitteilung.13 Das ergibt sich schon daraus, dass nicht alle Planbetroffenen an der Versammlung teilgenommen haben müssen.

12 Wurde das Planangebot nicht mit der notwendigen Mehrheit angenommen oder stellt der

Schuldner aus anderen Gründen keinen Antrag auf gerichtliche Planbestätigung, reicht es hingegen aus, wenn den Planbetroffenen lediglich das Abstimmungsergebnis in Textform (§ 126b BGB) mitgeteilt wird. Da das außergerichtliche Planannahmeverfahren in diesen Fällen als gescheitert gilt, kann den Schuldner keine Verpflichtung treffen, den Planbetroffenen die Dokumentation über den Ablauf des Verfahrens zugänglich zu machen.14

§ 23 Gerichtliches Planabstimmungsverfahren Der Schuldner kann den Restrukturierungsplan in einem gerichtlichen Verfahren zur Abstimmung stellen, welches nach den §§ 45 und 46 durchzuführen ist; die §§ 17 bis 22 finden in diesem Fall keine Anwendung. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV. 1.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normhistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungskriterien . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensrechtliche Grundlagen . . . . . . . a) Planangebot und -annahme . . . . . . . . . b) Festsetzung von Stimmrechten . . . . . .

1 2 3 4 6 6 8

c) Vorprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang und Komplexität des Restrukturierungsvorhabens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10 11 13 17 19

Schrifttum: Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985.

10 11 12 13 14

Madaus in Flöther, § 22 StaRUG Rz. 10. Madaus in Flöther, § 22 StaRUG Rz. 10. A.A. Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 22 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). A.A. wohl Madaus in Flöther, § 22 StaRUG Rz. 9. Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 22 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Gerichtliches Planabstimmungsverfahren | Rz. 5 § 23

I. Regelungsgegenstand § 23 StaRUG gibt den rein deklaratorischen Hinweis, dass der Schuldner den Restrukturie- 1 rungsplan wahlweise in einem gerichtlichen oder in einem außergerichtlichen Verfahren zur Abstimmung stellen kann. Entscheidet sich der Schuldner für ein gerichtliches Abstimmungsverfahren, finden allein die Vorschriften zum gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin sowie zum Vorprüfungstermin Anwendung (§§ 45 und 46 StaRUG). Ein Rückgriff auf die §§ 17–22 StaRUG ist in diesem Fall ausgeschlossen. Demgegenüber gelten die §§ 24–28 StaRUG auch im gerichtlichen Verfahren.

II. Normzweck Es entspricht dem modularen Ansatz des Gesetzgebers, dem Schuldner mehrere Optionen für 2 die Abstimmung über den Restrukturierungsplan einzuräumen. Je nach Konstellation können sich gerichtliche und außergerichtliche Verfahren jeweils mehr oder weniger eignen. Da § 23 StaRUG für die Entscheidung keine weitere Vorgaben macht, kann der Schuldner seine Entscheidung ausschließlich an Zweckmäßigkeitserwägungen orientieren.1

III. Normhistorie Mit § 23 StaRUG wird keine konkrete Vorgabe aus der Restrukturierungs-RL umgesetzt. Al- 3 lerdings steht es den Mitgliedstaaten nach Art. 9 Abs. 7 Restrukturierungs-RL frei, die förmliche Abstimmung über den Restrukturierungsplan durch eine konsensuale Vereinbarung der Planbetroffenen zu ersetzen. Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber Gebrauch gemacht. Im deutschen Gesetzgebungsverfahren ist die Norm durchgehend unverändert geblieben.

IV. Entscheidungskriterien § 23 StaRUG macht keine Vorgaben für die Entscheidung des Schuldners zwischen den zur 4 Verfügung stehenden Abstimmungsvarianten. Eine außergerichtliche Planabstimmung kommt für den Schuldner aber überhaupt nur dann in Betracht, wenn er organisatorisch in der Lage ist, ein derartiges Verfahren durchzuführen. Das sollte nicht unterschätzt werden, denn es ist ein nicht unerheblicher organisatorischer Aufwand zu betreiben, bei dem keine Fehler unterlaufen dürfen. Da sich das schuldnerische Unternehmen im Krisenmodus befinden wird, ist die Organisation typischerweise ohnehin schon Herausforderungen ausgesetzt, für die sie eigentlich nicht konzipiert ist. Allerdings können Berater, die mit der Durchführung einer außergerichtlichen Abstimmung Erfahrung haben, einen sinnvollen Beitrag leisten. Kommt die außergerichtliche Abstimmung grundsätzlich in Betracht, muss der Schuldner sei- 5 ne Entscheidung zwischen den zur Verfügung stehenden Varianten daran orientieren, welches Verfahren für den konkreten Fall geeigneter ist. Dabei sind zunächst verfahrensrechtliche Unterschiede zwischen gerichtlichem und außergerichtlichem Abstimmungsverfahren zu berücksichtigen (dazu unter Rz. 6 ff.). Außerdem können weitere Erwägungen wie Umfang und Komplexität des Vorhabens, die zur Verfügung stehende Zeit sowie Kosten (dazu unter Rz. 13 ff.) gehören.

1 Laroche in Flöther, § 23 StaRUG Rz. 4; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 23 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 23 Rz. 6 | Gerichtliches Planabstimmungsverfahren

1. Verfahrensrechtliche Grundlagen a) Planangebot und -annahme 6 Im außergerichtlichen Abstimmungsverfahren hat der Schuldner dafür Sorge zu tragen,

dass die Planbetroffenen das Planangebot ordnungsgemäß annehmen. In diesem Zusammenhang stellt sich eine Vielzahl von Fragen und zwar unabhängig davon, ob die Annahme im schriftlichen Verfahren oder im Rahmen einer Abstimmungsversammlung erfolgt. Zu nennen ist insbesondere der Beginn der Annahmefrist nach § 19 StaRUG, der wiederum vom Zugang des Planangebots bei den Planbetroffenen abhängt. Nach der hier vertretenen Auffassung kann der Schuldner dabei sowohl subjektiv als auch objektiv anknüpfen, aber es gibt auch Stimmen, die letzteres ablehnen (vgl. § 19 Rz. 5 ff.). Auch finden auf das Planangebot und dessen Annahme grundsätzlich die Vorschriften über Willenserklärungen Anwendung (vgl. § 17 Rz. 13 f.), so dass sich die Frage nach den Rechtsfolgen von Willensmängeln stellen kann (vgl. § 17 Rz. 16 ff.). Die Frage des Zugangs ist auch für die Ladung zur Abstimmungsversammlung nach § 20 StaRUG und zur Erörterungsversammlung nach § 21 StaRUG relevant. Kommt es zur gerichtlichen Bestätigung des Plans, werden zwar Mängel im Verfahren der Planabstimmung sowie Willensmängel von Planangebot und Planannahme geheilt (§ 67 Abs. 6 StaRUG); gleichzeitig gehen Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Restrukturierungsplans durch die Planbetroffenen im außergerichtlichen Abstimmungsverfahren zu Lasten des Schuldners (§ 63 Abs. 4 Satz 1 StaRUG).

7 Im gerichtliche Planabstimmungsverfahren erfolgt die Zustellung des Planangebots statt-

dessen über die Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin (§ 45 Abs. 3 StaRUG). Zwar regelt § 45 Abs. 3 StaRUG nicht ausdrücklich, dass der Ladung auch ein Abdruck des Restrukturierungsplans beizufügen ist. Da die Planbetroffenen jedoch alle relevanten Informationen benötigen, die für ihre Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Plans von Bedeutung sind, ist davon auszugehen, dass sie ihn mit der Ladung erhalten sollen.2 Der rechtssichere Zugang der Ladung bei den Planbetroffenen wird sodann mittels der mit der Aufgabe zur Post eintretenden Fiktionswirkung erreicht (§ 41 Abs. 1 StaRUG i.V.m. § 184 Abs. 2 ZPO). Bei einer Zustellung im Inland gilt die Ladung zur Erörterungs- und Abstimmungsversammlung drei Tage nach der Aufgabe zur Post als zugegangen (§ 41 Abs. 1 Satz 3 StaRUG). Ist der Aufenthalt eines Planbetroffenen unbekannt, muss die Ladung nicht zugestellt werden (§ 41 Abs. 2 StaRUG), was im Ergebnis zwar bedeutet, dass die entsprechende Enthaltung des Planbetroffenen wie eine Ablehnung des Restrukturierungsplans zu werten ist; das wirksame Zustandekommen des Restrukturierungsplans wird dadurch indes nicht tangiert. Beauftragt das Gericht stattdessen den Schuldner mit der Zustellung, ist unklar, ob die Fiktionswirkung greift. § 41 Abs. 3 StaRUG verweist für die Zustellung auf die §§ 191 ff. ZPO, allerdings nicht auf § 41 Abs. 1 StaRUG. Vor allem gilt die bereits erwähnte Regelung in § 63 Abs. 4 Satz 1 StaRUG nicht für den Fall des gerichtlichen Abstimmungsverfahrens. b) Festsetzung von Stimmrechten

8 Im außergerichtlichen Abstimmungsverfahren legt der Schuldner die Stimmrechte fest. Be-

steht Uneinigkeit darüber, wie hoch das auf eine Forderung oder ein Recht entfallende Stimmrecht ist, kann der Schuldner der Abstimmung das Stimmrecht zugrunde legen, das er den Planbetroffenen zugewiesen hat (§ 24 Abs. 4 Satz 1 StaRUG). Er hat lediglich in der Dokumentation zu vermerken, dass, inwieweit und aus welchem Grund das Stimmrecht streitig ist

2 Vgl. Laroche in Flöther, § 45 StaRUG Rz. 6.

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Gerichtliches Planabstimmungsverfahren | Rz. 11 § 23

(§ 24 Abs. 4 Satz 2 StaRUG). Ein etwaiger Streit über die Stimmrechtshöhe soll die Abstimmung nicht verzögern, sondern vielmehr, sofern notwendig, einer späteren gerichtlichen Klärung zugeführt werden.3 Nach § 63 Abs. 4 Satz 2 StaRUG unterliegt demzufolge das der Abstimmung zugrunde gelegte Stimmrecht der gerichtlichen Prüfung. Legt das Gericht ein abweichendes Stimmrecht zugrunde, wird die Stimmrechtszuweisung durch den Schuldner rückwirkend ersetzt und es kann zu einem anderen Abstimmungsergebnis kommen. Demgegenüber legt im gerichtlichen Verfahren das Gericht das Stimmrecht im Streitfall im 9 Termin vor der Abstimmung verbindlich fest, sofern zwischen den Beteiligten keine Einigung erzielt werden konnte (§ 45 Abs. 4 Satz 2 StaRUG).4 c) Vorprüfung Der Schuldner kann auch im außergerichtlichen Abstimmungsverfahren eine gerichtliche 10 Vorprüfung beantragen (§ 47 StaRUG). Gegenstand der Prüfung kann jede Frage sein, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich ist (§ 47 Satz 2 StaRUG). Dazu gehören auch die Anforderungen, die an das Planabstimmungsverfahren nach den §§ 17−22 StaRUG zu stellen sind. Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass das Restrukturierungsgericht bei der späteren Bestätigung nicht an das Ergebnis seiner Vorprüfung gebunden ist.5 Allerdings dürfte das Risiko einer abweichenden Entscheidung im Rahmen des Bestätigungsbeschlusses bei entsprechendem Vortrag durch den Schuldner praktisch eher gering sein.6 d) Verfahrensdauer Im außergerichtlichen Verfahren bestimmen verschiedene Faktoren die Geschwindigkeit des 11 Prozesses. Zunächst muss sich der Schuldner entscheiden, ob er zur Reduzierung verfahrensrechtlicher Risiken eine gerichtliche Vorprüfung nach den §§ 47 f. StaRUG beantragt. Sie wird sinnvollerweise vor der Unterbreitung des Planangebots erfolgen. Auch wenn das Gericht die von der jeweiligen Vorprüfungsfrage berührten Planbetroffenen anzuhören hat (§ 48 Abs. 1 StaRUG), soll der vom Gericht zu erstellende Hinweis innerhalb von zwei Wochen nach Antragstellung oder, sofern ein Anhörungstermin stattfindet, innerhalb von zwei Wochen nach diesem Termin ergehen (§ 48 Abs. 2 Satz 2 StaRUG). Für die Dauer des Verfahrens ist des Weiteren der Umstand relevant, ob eine Erörterungsversammlung nach § 21 StaRUG notwendig wird. Hält der Schuldner dies für wahrscheinlich, ist ihm zu empfehlen, von vorneherein mit 14-tägiger Frist eine Abstimmungsversammlung nach § 20 StaRUG einzuberufen und die Abstimmung in diesem Rahmen durchzuführen.7 Verlangt ein Planbetroffener erst nach Unterbreitung des Planangebots die Durchführung einer Erörterungsversammlung und findet sie daher realistischerweise erst nach Ablauf der zur Planannahme gesetzten Frist statt, verlängert sich die Frist jedenfalls bis zum Ablauf des Tages der Versammlung oder bis zu dem Termin, den der Schuldner bestimmt (§ 21 Abs. 4 Satz 1 StaRUG). Allerdings kann der Schuldner die Annahmefrist von mindestens 14 Tagen auch verkürzen, wenn das dem Plan zugrunde liegende Restrukturierungskonzept den Planbetroffenen seit mindestens 14 Tagen in Textform zugänglich gemacht worden ist (§ 19 Satz 3 StaRUG). Wurde der Plan angenommen und will der Schuldner die gerichtliche Bestätigung herbeiführen, muss er diese

3 4 5 6 7

BT-Drucks. 19/24181, S. 126. Vgl. hierzu Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 23 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). BT-Drucks. 19/24181, S. 149. Ähnlich Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 23 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Tresselt in Morgen, § 23 StaRUG Rz. 6.

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§ 23 Rz. 11 | Gerichtliches Planabstimmungsverfahren nach der Planabstimmung beantragen (§ 60 Abs. 1 StaRUG) und hat das Gericht nach § 61 Satz 2 StaRUG einen Termin zur Anhörung der Planbetroffenen durchzuführen, was weitere Zeit in Anspruch nimmt. 12 Das gerichtliche Abstimmungsverfahren beginnt mit dem Antrag des Schuldners an das Ge-

richt, einen Erörterungs- und Abstimmungstermin zu bestimmen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Die Ladungsfrist beträgt nach § 45 Abs. 1 Satz 2 StaRUG mindestens 14 Tage, beginnt aber wegen der Zustellungsfiktion nach § 41 Abs. 1 Satz 3 StaRUG (bei Zustellungen im Inland) zwingend drei Tage nach der Aufgabe zur Post. Maßgeblichen Einfluss auf die Zeitschiene hat dann, ob der Schuldner die Durchführung eines gesonderten Termins zur Vorprüfung des Plans vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 46 StaRUG beantragt. In diesem Fall beträgt die Ladungsfrist mindestens sieben Tage (§ 46 Abs. 1 Satz 4 StaRUG). Der Erörterungs- und Abstimmungstermin ist dann nicht nur auf die beiden genannten Gegenstände beschränkt; vielmehr kann in diesem Termin auch gleich der Antrag auf gerichtliche Planbestätigung gestellt (§ 60 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) und der Plan gerichtlich bestätigt werden (§ 65 Abs. 1 StaRUG).

2. Umfang und Komplexität des Restrukturierungsvorhabens 13 Im Zweifel wird sich eine außergerichtliche Abstimmung dann anbieten, wenn die Anzahl

an Planbetroffenen gering und damit weitestgehend überschaubar ist. Eine wichtige Rolle kommt dabei auch der Professionalität der Planbetroffenen zu.8 Sind die Planbetroffenen mehrheitlich oder ausschließlich Finanzgläubiger mit restrukturierungs- und insolvenzrechtlicher Erfahrung bzw. entsprechender Beratung, kann dies den Planabstimmungsprozess beschleunigen und die Effizienz des Restrukturierungsvorhabens steigern. Die mit einer privatautonomen Gestaltung des Planabstimmungsverfahrens verbundenen Komplexitäten und Hürden sind ihnen regelmäßig bekannt oder stellen sie zumindest nicht vor allzu große Herausforderungen.

14 Sollte die Mehrheit der Planbetroffenen hingegen aus (zahlreichen) Kleingläubigern beste-

hen, kann es sich anbieten, das Planabstimmungsverfahren justizförmig auszugestalten und dessen Schwierigkeiten in die Hände des Restrukturierungsgerichts zu legen. Der Verfahrensablauf wird in diesen Fällen insbesondere im Hinblick auf die Formalia deutlich unübersichtlicher und komplexer sein.9 Die sich in diesem Zusammenhang stellenden Aufgaben gehören zu den täglichen Aufgaben der Gerichte.

15 Für die gerichtliche Variante dürfte es auch sprechen, wenn sich in besonderem Maße formel-

le Fragen stellen wie die Ladung von im Ausland ansässigen Planbetroffenen oder komplizierte Vertretungsverhältnisse. Die Gerichte können das Verfahren an dieser Stelle zwar nicht beschleunigen; schon wegen der Zweifelsregelung in § 63 Abs. 4 Satz 1 StaRUG, die ausschließlich für die außergerichtliche Planabstimmung Anwendung findet, besteht aber mehr Rechtssicherheit.

16 Auch wenn sich abzeichnet, dass es Auseinandersetzungen über die Stimmrechtszuweisung

geben wird bzw. ablehnende Planbetroffene das Vorhaben obstruieren oder, positiver formuliert, ihre Rechtsmittel ausschöpfen werden, empfiehlt es sich, den gerichtlichen Weg zu beschreiten. Bedarf es aus diesem Grund etwa einer Stabilisierungsanordnung nach den §§ 49 ff. StaRUG, ist das Gericht ohnehin schon involviert. Gegebenenfalls kann die Gerichtsbetei-

8 Laroche in Flöther, § 23 StaRUG Rz. 4; Thole, ZIP 2020, 1985, 1994. 9 Vgl. hierzu Laroche in Flöther, § 23 StaRUG Rz. 4.

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Gerichtliches Planabstimmungsverfahren | Rz. 19 § 23

ligung auch die Akzeptanz des Vorhabens bei den Planbetroffenen erhöhen. Das dürfte vor allem für Kleingläubiger gelten, kann aber auch dann helfen, wenn Misstrauen gegenüber den Vertretern des Schuldners besteht.10 Sofern Planbetroffene auch nicht durch eine gerichtliche Beteiligung befriedet werden können, wird eine gerichtliche Entscheidung ohnehin unvermeidbar sein.

3. Zeit Restrukturierungsvorhaben sind in aller Regel zeitkritisch. Die Ausführungen zur Durchfüh- 17 rung der beiden Abstimmungsvarianten haben gezeigt, dass ihre jeweilige Dauer von den Bedingungen des konkreten Falles abhängen. Es ist daher zwar richtig, dass das gerichtliche Abstimmungsverfahren schneller sein kann als das außergerichtliche;11 aber auch der umgekehrte Fall ist denkbar.12 Kommt nach alledem die Durchführung des Abstimmungsverfahrens ohne gerichtliche Invol- 18 vierung in Betracht, kann der Eintritt in das förmliche Verfahren auf der Zeitschiene nach hinten geschoben werden; einer Anzeige des Vorhabens nach § 31 StaRUG bedarf es in diesem Fall zunächst noch nicht, sondern erst, wenn eine Verfahrenshilfe wie die gerichtliche Planbestätigung in Anspruch genommen werden soll.13 Das kann vom Schuldner als Vorteil wahrgenommen werden, zumal vor der Anzeige die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen ausscheidet und auch die Pflichtenbindung und Haftung nach § 43 Abs. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 StaRUG noch nicht besteht.14

4. Kosten Für die Kostenseite sind die Gerichtsgebühren von untergeordneter Bedeutung.15 Im Ver- 19 gleich dürften die Beraterkosten wesentlich mehr ins Gewicht fallen. Diese werden sich erhöhen, wenn der Schuldner die Planabstimmung autonom durchführt, jedenfalls wenn, wovon auszugehen ist, der Schuldner in dieser Hinsicht auf die Unterstützung insbesondere seiner anwaltlichen Berater angewiesen ist. Gleichzeitig ist aber auch zu konstatieren, dass der Großteil der Beratungsaufwendungen für das Restrukturierungsvorhaben unabhängig von der Wahl des Abstimmungsverfahrens anfällt. Zu nennen sind Kosten für die Vorbereitung der Entscheidung, ob der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen überhaupt in Anspruch genommen werden soll, Kosten für die Erstellung von Planangebot und Restrukturierungsplan, für die Erstellung des Sanierungskonzepts, der Restrukturierungsplanung und der Ergebnis- und Liquiditätsplanung sowie für begleitende Beratung und die Kommunikation bzw. Verhandlung mit sonstigen Beteiligten.

10 So auch Pehl in Braun, § 23 StaRUG Rz. 2; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 23 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 11 So Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 23 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 12 Siehe dazu auch Tresselt in Morgen, § 23 StaRUG Rz. 5 ff. 13 Ebenso Tresselt in Morgen, § 23 StaRUG Rz. 5. 14 Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 23 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 15 Siehe dazu nur Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 23 StaRUG Rz. 14 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Westpfahl | 399

§ 24 | Stimmrecht

Unterabschnitt 2 Stimmrecht und erforderliche Mehrheiten (§§ 24-28)

§ 24 Stimmrecht (1) Das Stimmrecht richtet sich 1. bei Restrukturierungsforderungen nach deren Betrag, soweit sich aus Absatz 2 nichts anders ergibt, 2. bei Absonderungsanwartschaften und gruppeninternen Drittsicherheiten nach deren Wert und 3. bei Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten nach dem Anteil am gezeichneten Kapital oder Vermögen des Schuldners; Stimmrechtsbeschränkungen, Sonder- oder Mehrstimmrechte bleiben außer Betracht. (2) Für Zwecke der Bestimmung des Stimmrechts, das Restrukturierungsforderungen gewähren, werden angesetzt: 1. bedingte Forderungen mit dem ihnen unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts zukommenden Wert; 2. unverzinsliche Forderungen mit dem Betrag, der sich in Anwendung des § 41 Absatz 2 der Insolvenzordnung durch Abzinsung auf den Tag der Planvorlage ergibt; 3. Forderungen, die auf Geldbeträge unbestimmter Höhe gerichtet oder in ausländischer Währung oder einer Rechnungseinheit ausgedrückt sind, mit dem nach § 45 der Insolvenzordnung zu bestimmenden Wert; 4. auf wiederkehrende Leistungen gerichtete Forderungen mit dem nach Maßgabe des § 46 der Insolvenzordnung bestimmten Wert. (3) 1Durch Absonderungsanwartschaften oder gruppeninterne Drittsicherheiten gesicherte Forderungen vermitteln in einer Gruppe von Restrukturierungsgläubigern nur insoweit ein Stimmrecht, wie der Schuldner für die gesicherten Forderungen auch persönlich haftet und der Inhaber der Absonderungsanwartschaft auf diese verzichtet oder mit einer abgesonderten Befriedigung ausfallen würde. 2Solange der Ausfall nicht feststeht, ist die Forderung mit dem mutmaßlichen Ausfall zu berücksichtigen. (4) 1Ist das auf eine Forderung oder ein Recht entfallende Stimmrecht streitig, kann der Schuldner der Abstimmung das Stimmrecht zugrunde legen, das er den Planbetroffenen zugewiesen hat. 2In der Dokumentation der Abstimmung vermerkt er, dass, inwieweit und aus welchem Grund das Stimmrecht streitig ist. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV. 1.

Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normhistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stimmrecht (§ 24 Abs. 1 StaRUG) . . . . Restrukturierungsforderungen (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . .

400 | Seibt/Westphal und Westpfahl

1 2 3 5 6

2. Absonderungsanwartschaften und gruppeninterne Drittsicherheiten (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Anteils- und Mitgliedschaftsrechte (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . 13 V. Sonderbestimmungen für Restrukturierungsforderungen (§ 24 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Stimmrecht | Rz. 3 § 24 1. Bedingte Forderungen (§ 24 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unverzinsliche Forderungen (§ 24 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Höhe nach unbestimmte und Fremdwährungsforderungen (§ 24 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auf wiederkehrende Leistungen gerichtete Forderungen (§ 24 Abs. 2 Nr. 4 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Stimmrecht bei gesicherten Restrukturierungsforderungen (§ 24 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Streitiges Stimmrecht (§ 24 Abs. 4 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 35

25 29

Schrifttum: Bitter, Bedeutung des § 3 Abs. 2 StaRUG für Kreditverträge, FS Gehrlein, 2022, 27; Madaus, Schutzschirme für streitende Gesellschafter? Die Lehren aus dem Suhrkamp-Verfahren für die Auslegung des neuen Insolvenzrechts, ZIP 2014, 500; Marotzke, Die restrukturierungsrechtliche Plangestaltbarkeit nicht fälliger und nicht auf Geld gerichteter Forderungen, ZInsO 2021, 643; Seibt/Bulgrin, Entwurf zum Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) – Kritische Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, DB 2020, 2226; Skauradszun/Kümpel, Restrukturierungen von Schuldverschreibungen und weiteren Finanzierungsarrangements nach § 2 Abs. 2 StaRUG, WM 2021, 1122; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985.

I. Regelungsgehalt § 24 StaRUG regelt die Zuteilung der Stimmrechte für die Planbetroffenen und bestimmt da- 1 mit, wer mit welchem Stimmrecht über den Restrukturierungsplan und seine Annahme mitentscheiden darf. Während in § 24 Abs. 1 StaRUG festgelegt wird, wonach sich das Stimmrecht im Ausgangspunkt bei Restrukturierungsforderungen, Absonderungsanwartschaften und gruppeninternen Drittsicherheiten sowie Anteils- und Mitgliedschaftsrechten richtet, finden sich hierzu in den § 24 Abs. 2 und 3 StaRUG Ergänzungen und Modifizierungen. § 24 Abs. 4 StaRUG gibt schließlich vor, wie der Schuldner das Stimmrecht im Streitfall festlegen kann. § 24 StaRUG orientiert sich an den §§ 237–238a InsO, die wiederum allgemeinen insolvenzrechtlichen Grundsätzen folgen. Anders als im Insolvenzplanrecht, wo der Regelungskomplex über mehrere Vorschriften verteilt ist, kommt das StaRUG mit einer Norm aus.

II. Normzweck Die Vorschrift steht am Beginn des Unterabschnittes, der das Stimmrecht und die erforderli- 2 chen Mehrheiten zum Gegenstand hat. Sie ist für das Gelingen des Restrukturierungsplans von grundlegender Bedeutung, weil sie den Einfluss der Planbetroffenen auf die Annahme und Ablehnung des Restrukturierungsplans bestimmt.

III. Normhistorie § 24 StaRUG dient der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 Restrukturierungs-RL.1 Da- 3 nach sollen die Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass betroffene Parteien das Recht haben, über die Annahme des Restrukturierungsplans abzustimmen. Gleichzeitig wird den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit eingeräumt, bestimmten Beteiligten kein Stimmrecht zuzuweisen. Ausdrücklich genannt sind dort Anteilsinhaber, nachrangige Gläubiger und Personen, die dem 1 Von Bedeutung sind außerdem die ErwGr. 43 und 46.

Westpfahl | 401

§ 24 Rz. 3 | Stimmrecht Schuldner oder dem Unternehmen des Schuldners nahestehen. Schließlich sollen die Mitgliedsstaaten selbst regeln können, wie mit streitigen Forderungen umzugehen ist (ErwGr. 46 Satz 2). 4 Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgaben richtlinienkonform umgesetzt. Von der Mög-

lichkeit, den in Art. 9 Abs. 3 Restrukturierungs-RL Genannten kein Stimmrecht zuzuweisen, hat er keinen Gebrauch gemacht und in § 24 Abs. 4 StaRUG den Umgang mit streitigen Forderungen oder Rechten geregelt.

IV. Stimmrecht (§ 24 Abs. 1 StaRUG) 5 In § 24 Abs. 1 StaRUG werden die Stimmrechtszuweisungen für die maßgeblichen Kategorien

im Grundsatz geregelt.

1. Restrukturierungsforderungen (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) 6 Bei Restrukturierungsforderungen richtet sich die Höhe des Stimmrechts nach dem Forde-

rungsbetrag. Dieser setzt sich aus der Hauptforderung und den bis zur Planvorlage (§ 2 Abs. 5 StaRUG) aufgelaufenen Zinsen zusammen. Soweit bei Kreditverträgen noch nicht der volle Betrag valutiert wurde, gewährt nur der bereits ausgereichte Teil ein Stimmrecht (s. § 2 Rz. 33).2 Zinsen ab Planvorlage gewähren kein Stimmrecht und sind, anders als in der Insolvenz (dort § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO), auch nicht in einer nachrangigen Gruppe zu berücksichtigen.3

7 Die Stimmrechtszuweisung erfolgt unabhängig von Art und Umfang der Gestaltung. Selbst

wenn der Eingriff nur geringfügig ist, bleibt es beim Stimmrecht in Höhe der Forderung.4

8 Den Fall, dass eine Restrukturierungsforderung nicht auf Zahlung eines Geldbetrages ge-

richtet ist, regelt § 24 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG nicht. Zu denken ist etwa an Lieferansprüche (vgl. § 2 Rz. 25).5 Insoweit bleibt nur, den Wert der Forderung zu schätzen, so wie es auch in § 45 Satz 1 InsO für den Insolvenzfall vorgesehen ist.6

2. Absonderungsanwartschaften und gruppeninterne Drittsicherheiten (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) 9 Absonderungsanwartschaften und gruppeninterne Drittsicherheiten können nach § 2 Abs. 1

Nr. 2 und Abs. 4 StaRUG über den Restrukturierungsplan gestaltet werden (vgl. § 2 Rz. 86 ff.). In diesem Fall sind für die vom Restrukturierungsplan Betroffenen gesonderte Gruppen zu bilden (§ 9 Abs. 1 StaRUG). Nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG richtet sich das Stimmrecht nach dem jeweiligen Wert im nach § 2 Abs. 5 StaRUG maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. § 2 Rz. 233 ff.).7

10 Der Wert wiederum bemisst sich danach, in welcher Höhe aus der Verwertung der Sicherheit

eine Befriedigung zu erwarten wäre.8 Maßgeblich ist also der Verwertungsfall, für den grund-

2 3 4 5 6

Bitter in FS Gehrlein, 2022, S. 27, 40; Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1127. BT-Drucks. 19/24181, S. 118 f.; Thole, ZIP 2020, 1985, 1989. Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Westpfahl/Dittmar in Flöther, § 2 StaRUG Rz. 8 sowie ausführlich Marotzke, ZInsO 2021, 643 ff. Herzig in Braun, § 24 StaRUG Rz. 20; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Marotzke, ZInsO 2021, 643, 652. 7 Westpfahl/Dittmar in Flöther, § 2 StaRUG Rz. 82 ff. 8 BT-Drucks. 19/24181, S. 125 f.

402 | Westpfahl

Stimmrecht | Rz. 15 § 24

sätzlich die Fortführung des Unternehmens zu unterstellen und damit der Fortführungswert anzusetzen ist.9 Das gilt im Zweifel selbst dann, wenn die Verwertung im Einzelfall zur Insolvenz des Schuldners führen würde.10 Auch für den Insolvenzplan wird angenommen, dass der Fortführungswert anzusetzen ist, sofern der Plan auf eine Unternehmensfortführung gerichtet ist; ansonsten ist es der Liquidationswert.11 Gleichwohl kann die Ermittlung des maßgeblichen Wertes Schwierigkeiten bereiten. Das gilt 11 zunächst in faktischer Hinsicht, wobei dann der mit überwiegender Wahrscheinlichkeit realisierbare Wert zugrunde zu legen ist.12 Zu berücksichtigen sind aber auch vertragliche Beschränkungen wie etwa eine in der Sicherheitendokumentation vorgesehene sog. Limitation Language.13 Dabei handelt es sich um vertraglich vereinbarte Zugriffsbeschränkungen, die kapitalerhaltungsrechtlichen Bindungen des Vermögens des Sicherheiten gewährenden Tochterunternehmens geschuldet sind und die sich wertmindernd bis hin zu wertausschließend auswirken können.14 In dem in § 24 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG geregelten Fall wird das Stimmrecht unabhängig von der 12 persönlichen Haftung des Schuldners gewährt. Haftet der Schuldner – wie regelmäßig – dem Sicherungsinhaber zugleich persönlich, kann es zur Aufspaltung des Stimmrechts kommen (s. dazu § 24 Abs. 3 StaRUG, § 24 Rz. 31 ff.).

3. Anteils- und Mitgliedschaftsrechte (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) Auch Anteils- und Mitgliedschaftsrechte können über den Restrukturierungsplan gestaltet 13 werden (§ 2 Abs. 3 StaRUG, § 7 Abs. 1 und Abs. 4 StaRUG) (vgl. § 2 Rz. 223 ff.). Bei einem Anteilsrecht handelt es sich um die gesellschaftsrechtliche und vermögensmäßige Beteiligung eines Planbetroffenen am Rechtsträger. Ein Mitgliedschaftsrecht bezieht sich demgegenüber auf die Beteiligung an einem Rechtsträger, an dem es keine Gesellschaftsanteile gibt (z.B. Vereine oder Genossenschaften). Nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG soll es entsprechend der Regelung in § 238a InsO auf den 14 Anteil am gezeichneten Kapital oder am Vermögen des Schuldners ankommen. Darüber hinaus bestehende, der Beteiligung zuzurechnende Vermögenspositionen bleiben unberücksichtigt.15 Auch Stimmrechtsbeschränkungen und Sonder- oder Mehrstimmrechte sollen nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut außer Betracht bleiben. Diese können sich aus der Satzung, aus sonstigen vertraglichen Abreden, aus dem Gesetz oder aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht16 ergeben. Dieser Eingriff in das Verhältnis der Gesellschafter untereinander wird vom Gesetzgeber 15 nicht weiter begründet. Stattdessen wird nur auf die wortgleiche Parallelnorm § 238a InsO verwiesen.17 Tatsächlich hätte aber Veranlassung bestanden, die Angemessenheit dieser

9 Westpfahl/Knapp in Flöther, § 24 StaRUG Rz. 5; i.E. ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der das in der Vergleichsrechnung zugrundeliegende Szenario für maßgeblich erklärt. 10 Westpfahl/Knapp in Flöther, § 24 StaRUG Rz. 5. 11 BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, NZI 2005, 619, 621 = ZIP 2005, 1648; Spliedt in K. Schmidt, § 237 InsO Rz. 6. 12 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 13 Siehe dazu auch BT-Drucks. 19/24181, S. 113; Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierung, Teil G Rz. 95 ff. 14 Ebenso Westpfahl/Knapp in Flöther, § 24 StaRUG Rz. 4. 15 So auch zur Parallelnorm für den Insolvenzplan Spliedt in K. Schmidt, § 238a InsO Rz. 1. 16 Siehe dazu Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2234. 17 BT-Drucks. 19/24181, S. 126.

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§ 24 Rz. 15 | Stimmrecht Stimmrechtszuweisung zu hinterfragen. Denn schon gegen § 238a InsO werden ernst zu nehmende Bedenken vorgebracht: So sei es zwar richtig, dass im Verhältnis zu den (vorrangigen) Gläubigern lediglich die Kapitalbeteiligung maßgeblich sein könne.18 Das Verhältnis der Gesellschafter untereinander sei davon jedoch zu unterscheiden und ein Eingriff in die durch Art. 9 GG geschützte verbandsautonome Organisation durch andere Schutzgüter nicht gerechtfertigt, zumal die Funktionsfähigkeit des Insolvenzverfahrens durch eine Berücksichtigung verbandsinterner Klauseln nicht beeinträchtigt werde.19 Im Gegenteil: Dem Sanierungsanliegen des ESUG einschließlich der Einbeziehung der Gesellschafter würde sogar besser entsprochen, wenn dieselben Mitwirkungsbefugnisse berücksichtigt würden, die auch außerhalb des Insolvenzverfahrens zu beachten sind.20 16 Dies dürfte erst recht für den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gelten, der ja auf

die Fortführung des Unternehmens durch die bisher unternehmenstragende Gesellschaft ausgerichtet ist und auch die Funktionsfähigkeit des Restrukturierungsplanverfahrens wäre durch die Berücksichtigung von Mitverwaltungsrechten der Gesellschafter bei der Stimmrechtszuweisung nicht gefährdet; allenfalls würde sie komplizierter. Der Gesetzgeber sollte also de lege ferenda überlegen, ob nicht zukünftig die Berücksichtigung von sonstigen, der Beteiligung zuzurechnenden Positionen angemessener wäre. Anderenfalls müsste über eine Entschädigung von stimmberechtigten Anteilseignern, denen nur ein Stimmrecht entsprechend ihrer Kapitalbeteiligung zugewiesen wird, nachgedacht werden.21 De lege lata hingegen gilt § 24 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG seinem Wortlaut entsprechend.

17 Für die Frage, ob die Kapital- oder Vermögensbeteiligung maßgeblich sein soll, kann sinnvol-

lerweise nur auf die Art des Rechtsträgers abgestellt werden.22 Bei Kapitalgesellschaften ist also das im Handelsregister eingetragene Stamm- oder Grundkapital zu ermitteln.23 Demgegenüber ist bei Personengesellschaften die Feststellung nicht gleichermaßen klar. Jedenfalls sollte der Gesellschaftsvertrag maßgeblich sein und ansonsten zu Vereinfachungszwecken nur auf den festen Kapitalanteil (Kapitalkonto I) abgestellt werden. Außer Betracht gelassen werden sollte demgegenüber eine aktuelle Veränderung der vermögensrechtlichen Position des jeweiligen Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft in Folge des Stehenlassens von Gewinnen oder des Nichtausgleichens von Verlusten (Kapitalkonto II) oder in Folge sonstiger Geschäfte mit der Gesellschaft (Privatkonto).24

18 Handelt es sich beim Schuldner um eine Aktiengesellschaft und hält diese eigene Aktien, er-

gibt sich daraus kein Stimmrecht (vgl. § 71b AktG). Es gibt keine „Mitgliedschaft in sich selbst“.25

18 So auch die Gesetzesbegründung zu § 238a InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 19 Siehe dazu Hirte in Uhlenbruck, § 238a InsO Rz. 3; Spliedt in K. Schmidt, § 238a InsO Rz. 2. Demgegenüber die Vereinfachung der Stimmrechtszuteilung hervorhebend Madaus, ZIP 2014, 500, 504. 20 Spliedt in K. Schmidt, § 238a InsO Rz. 2. 21 Siehe zu einer solchen Überlegung im Rahmen von § 238a InsO Hirte in Uhlenbruck, § 238a InsO Rz. 3. 22 Siehe dazu Gesetzesbegründung zu § 238a InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 23 Münzel in Wolgast/Grauer, § 24 StaRUG Rz. 59; für den Insolvenzplan Madaus in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2020, § 238a InsO Rz. 10. 24 Ebenso Münzel in Wolgast/Grauer, § 24 StaRUG Rz. 65; für den Insolvenzplan Madaus in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 238a InsO Rz. 8. 25 Münzel in Wolgast/Grauer, § 24 StaRUG Rz. 60; für den Insolvenzplan Madaus in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2020, § 238a InsO Rz. 11 m.w.N.

404 | Westpfahl

Stimmrecht | Rz. 22 § 24

V. Sonderbestimmungen für Restrukturierungsforderungen (§ 24 Abs. 2 StaRUG) § 24 Abs. 2 StaRUG enthält gesonderte Regeln zur Bestimmung des Stimmrechts bei bedingten, 19 unverzinslichen, ihrer Höhe nach noch nicht bestimmbaren oder auf wiederkehrende Leistungen gerichteten Forderungen. Demgegenüber gibt es keine derartige Sonderregel für nicht fällige Forderungen; eine dem § 41 Abs. 1 InsO vergleichbare Vorschrift fehlt. Das ist jedoch auch nachvollziehbar, bedarf es doch im Anwendungsbereich des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens keiner dem § 87 InsO vergleichbaren Zäsur. Deshalb ist auch keine Unterscheidung zwischen Insolvenzforderungen einerseits und Masseforderungen andererseits vorgesehen.26

1. Bedingte Forderungen (§ 24 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) Gemäß § 3 Abs. 1 StaRUG können auch bedingte oder sonst nicht fällige Forderungen durch 20 den Restrukturierungsplan gestaltet werden (vgl. § 3 Rz. 8 ff.). Das gilt sowohl für aufschiebend als auch für auflösend bedingte Forderungen. Anders als im Insolvenzrecht, wo für die Bestimmung des Stimmrechts zwischen aufschiebend bedingten Forderungen einerseits und auflösend bedingten Forderungen andererseits unterschieden wird,27 sieht § 24 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG eine einheitliche Regelung für beide Fälle vor. In der Gesetzesbegründung findet sich der Hinweis, dass die wirtschaftliche Belastung des Schuldners durch bedingte Forderungen nicht allein durch den Nominalbetrag, sondern auch durch die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Bedingung bestimmt wird.28 Dem ist ebenso zuzustimmen wie der Gleichbehandlung von auflösend und aufschiebend bedingten Forderungen.

Für die Bestimmung der Stimmrechtshöhe ist der Nominalwert der Forderung mit der Wahr- 21 scheinlichkeit des Bedingungseintritts zu gewichten.29 Diese Gewichtung kann schwierig sein, insbesondere wenn der Bedingungseintritt weit in der Zukunft liegt. Gegebenenfalls wird einer aufschiebend bedingten Forderung dann gar kein gegenwärtiger Vermögenswert zugemessen werden können (s. dazu § 191 Abs. 2 Satz 1 InsO),30 wohingegen eine auflösend bedingte Forderung mit ihrem vollen Wert anzusetzen sein kann. Jedenfalls muss der Schuldner im Restrukturierungsplan seine Annahme zur (fehlenden) Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Bedingung erläutern und begründen, wobei ihm insoweit ein Beurteilungsspielraum zusteht.

2. Unverzinsliche Forderungen (§ 24 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) Nicht fällige, unverzinsliche Forderungen sind mit dem gesetzlichen Zinssatz auf den Tag der 22 Planvorlage abzudiskontieren. Das ist auch gerechtfertigt, da unverzinsliche Forderungen dadurch eine Werterhöhung erfahren, dass sie vor dem vereinbarten Fälligkeitszeitpunkt als fällig behandelt werden.31 Zinseszinsen sind nicht zu berücksichtigen.32 Insoweit gilt nichts anderes als bei § 41 Abs. 2 InsO.33 26 Münzel in Wolgast/Grauer, § 24 StaRUG Rz. 17. 27 Gemäß § 42 InsO sind auflösend bedingte Forderungen bis zum Bedingungseintritt mit ihrem vollen Wert zu berücksichtigen, wohingegen für aufschiebend bedingte Forderungen gem. § 77 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1 InsO grundsätzlich eine Einigung und hilfsweise eine Entscheidung des Gerichts erforderlich ist. 28 BT-Drucks. 19/24181, S. 126. 29 BT-Drucks. 19/24181, S. 126. 30 Siehe dazu Westpfahl/Knapp in Flöther, § 24 StaRUG Rz. 11. 31 BGH v. 12.1.2017 – IX ZR 130/16, NZI 2017, 352 Rz. 6 = ZIP 2017, 489. 32 Ausführlich Bitter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 41 InsO Rz. 21 ff. 33 BT-Drucks. 19/24181, S. 126.

Westpfahl | 405

§ 24 Rz. 23 | Stimmrecht 23 Die Berechnung des Zinsabzugs richtet sich nach der sog. Hoffmann’schen Formel.34 Danach

ist der Betrag maßgeblich, der zzgl. der gesetzlichen Zinsen bis zur Fälligkeit den Nennbetrag der Forderung ergibt.35

24 Konsequenterweise müssen dann auch die noch nicht fälligen, aber verzinslichen Forderungen

wirtschaftlich gleichbehandelt werden.36 Das könnte entweder durch Abzinsung der Gesamtforderung einschließlich Zinsen geschehen oder durch Ansatz des Nominalbetrages der Forderung abzgl./zzgl. eines eventuellen Vorfälligkeitsgewinns/Zinsausfallschadens.37

3. Der Höhe nach unbestimmte und Fremdwährungsforderungen (§ 24 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG) 25 Für Forderungen, die auf Geldbeträge unbestimmter Höhe gerichtet oder in ausländischer

Währung oder einer Rechnungseinheit ausgedrückt sind, wird in § 24 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG auf § 45 InsO verwiesen. Nach § 45 Satz 1 InsO sind Forderungen mit unbestimmter Höhe zu schätzen,38 wobei der maßgebliche Zeitpunkt die Unterbreitung des Planangebots bzw. der Antrag auf Abstimmung über den Restrukturierungsplan oder die erstmalige Stabilisierungsanordnung ist (§ 2 Abs. 5 StaRUG). Der Höhe nach oftmals unbestimmt sind Schadensersatzansprüche gegen den Schuldner, wenn die Schadensersatzpflicht zwar dem Grunde nach feststeht, der konkret ersatzfähige Schaden jedoch (noch) nicht exakt beziffert werden kann. Daneben kommen Forderungen in Betracht, bei denen (noch) nicht bestimmt ist, ab bzw. bis wann die Leistung geschuldet wird, etwa weil sich dieser Termin überhaupt nur durch ein (nur) der Zeit nach ungewisses Ereignis bestimmen lässt (z.B. bei bis zum Lebensende des Geschädigten zu zahlenden Geldrenten).39

26 Forderungen, die nicht auf Geld gerichtet sind, werden weder von § 24 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG

ausdrücklich erfasst, noch sind sie – anders als in § 45 Satz 1 InsO – in § 24 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG erwähnt. Allerdings können grundsätzlich alle Vermögensforderungen, d.h. all jene, die im Wege der Einzelzwangsvollstreckung aus dem Vermögen beigetrieben werden können, durch einen Restrukturierungsplan gestaltet werden. Ausgenommen sind damit lediglich höchstpersönliche Ansprüche, Gestaltungsrechte, Ansprüche auf unvertretbare Handlungen und Unterlassungsansprüche (vgl. dazu auch § 2 Rz. 54).40 Auch bei nicht auf Geld gerichteten Vermögensansprüchen besteht aber die Notwendigkeit einer Schätzung, wobei es auf den nach § 2 Abs. 5 StaRUG maßgeblichen Zeitpunkt ankommt (s. dazu bereits Rz. 8).41

27 Forderungen, die in einer ausländischen Währung ausgedrückt sind, sind gem. § 24 Abs. 2

Nr. 3 StaRUG i.V.m. § 45 Satz 2 InsO in Euro umzurechnen. Dabei sollte auf den EZB-Referenzkurs zum nach § 2 Abs. 5 StaRUG maßgeblichen Zeitpunkt abgestellt werden.42 Mit dem Begriff der Rechnungseinheit sind solche „Währungen“ gemeint, derer sich der internationale

34 Herzig in Braun, § 24 StaRUG Rz. 17; Münzel in Wolgast/Grauer, § 24 StaRUG Rz. 19; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 23 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 35 Ausführlich zur Hoffmann’schen Formel Bitter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 41 InsO Rz. 21 ff. 36 Münzel in Wolgast/Grauer, § 24 StaRUG Rz. 20. 37 Für letzteres Münzel in Wolgast/Grauer, § 24 StaRUG Rz. 20. 38 Siehe dazu Bitter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 45 InsO Rz. 26 ff. 39 Siehe ausführlich zu denkbaren Kategorien Bitter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 45 InsO Rz. 10 ff. m.w.N. 40 Westpfahl/Dittmar in Flöther, § 2 StaRUG Rz. 8. 41 Ebenso Herzig in Braun, § 24 StaRUG Rz. 20; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 42 Siehe dazu Bitter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 45 InsO Rz. 17 ff.

406 | Westpfahl

Stimmrecht | Rz. 31 § 24

Wirtschaftsverkehr zunehmend bedient, um Geldforderungen zu bestimmen. Dazu dürften auch virtuelle Währungen wie Bitcoin zählen. Auch diese sind in Euro umzurechnen. Während die Schätzung im Insolvenzverfahren vom Gläubiger selbst vorzunehmen ist, obliegt 28 sie im Rahmen des Restrukturierungsplans dem Schuldner; er hat die Forderung und das ihr beigemessene Stimmrecht bei Planvorlage auszuweisen.43

4. Auf wiederkehrende Leistungen gerichtete Forderungen (§ 24 Abs. 2 Nr. 4 StaRUG) Für die Bestimmung des Stimmrechts bei auf wiederkehrende Leistungen gerichteten Forde- 29 rungen verweist § 24 Abs. 2 Nr. 4 StaRUG auf § 46 InsO und die zu dieser Norm entwickelten Grundsätze.44 Dabei handelt es sich um Forderungen, denen das gleiche Rechtsverhältnis – typischerweise Dauerschuldverhältnis – zugrunde liegt wie etwa bei Vergütungsansprüchen aus Dienst- oder Geschäftsbesorgungsverträgen. Vor diesem Hintergrund wird zu Recht bezweifelt, ob § 24 Abs. 2 Nr. 4 StaRUG einen relevanten Anwendungsbereich haben wird.45 Das gilt auch vor dem Hintergrund der Einschränkungen des § 3 Abs. 2 StaRUG. Sind sowohl Betrag als auch Dauer der wiederkehrenden Leistungen bestimmt, findet Nr. 4 30 unmittelbare Anwendung und sind die künftigen Leistungen nach der Hoffmann’schen Formel abzuzinsen und danach zu addieren.46 Ist demgegenüber nur der Betrag, nicht aber die Dauer der wiederkehrenden Leistungen bestimmt, sind nach § 46 Satz 2 InsO der Gesamtbetrag der wiederkehrenden Leistungen entsprechend § 45 Satz 1 InsO zu schätzen, die durchschnittliche Dauer der wiederkehrenden Leistungen nach Wahrscheinlichkeitsgrundsätzen zu ermitteln und die Einzelleistungen schließlich noch auf den maßgeblichen Zeitpunkt abzuzinsen.47 Ist der Betrag unbestimmt, die Dauer hingegen bestimmt, bedarf es ebenfalls einer Schätzung in entsprechender Anwendung des § 45 InsO mit anschließender Abzinsung.48 Schließlich bedarf es einer Kombination von Schätzungen mit erneuter anschließender Abzinsung, wenn sowohl Betrag als auch Dauer unbestimmt sind.49

VI. Stimmrecht bei gesicherten Restrukturierungsforderungen (§ 24 Abs. 3 StaRUG) § 24 Abs. 3 StaRUG regelt die Verteilung des Stimmrechts bei besicherten Restrukturierungsfor- 31 derungen, sofern nicht nur in eine Absonderungsanwartschaft oder gruppeninterne Drittsicherheit, sondern auch in die dadurch gesicherte Forderung desselben Gläubigers eingegriffen wird.50 Planbetroffene, die Inhaber sowohl einer Restrukturierungsforderung gegen den Schuldner als auch einer Absonderungsanwartschaft und/oder gruppeninternen Drittsicherheit sind, steht in Anbetracht der Restrukturierungsforderung nur insoweit ein Stimmrecht zu, als sie auf die Absonderungsanwartschaft oder die gruppeninterne Drittsicherheit verzichten oder mit diesen ausfallen würden. § 24 Abs. 3 StaRUG ist an § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO angelehnt.

43 Herzig in Braun, § 24 StaRUG Rz. 19; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 28 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Westpfahl/Knapp in Flöther, § 24 StaRUG Rz. 13. 44 BT-Drucks. 19/24181, S. 126. 45 Münzel in Wolgast/Grauer, § 24 StaRUG Rz. 30. 46 Vgl. zu Hoffmann’schen Formel Bitter in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 20191, § 41 InsO Rz. 21 ff. 47 Ebenso Herzig in Braun, § 24 StaRUG Rz. 25. 48 Ebenso Herzig in Braun, § 24 StaRUG Rz. 25. 49 Ebenso Herzig in Braun, § 24 StaRUG Rz. 25. 50 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 31 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022)

Westpfahl | 407

§ 24 Rz. 32 | Stimmrecht 32 Soweit am Ende von § 24 Abs. 3 Satz 1 StaRUG nur die Absonderungsanwartschaft, nicht

aber die gruppeninterne Drittsicherheit erwähnt wird, kommt dem keine weitere Bedeutung zu, da es sich um ein Redaktionsversehen handelt. Die gruppeninterne Drittsicherheit muss nach dem eindeutigen Gesetzeszweck und dem entsprechenden Verweis zu Beginn von § 24 Abs. 3 StaRUG erfasst sein.51

33 Indem einem Planbetroffenen nur insoweit ein Stimmrecht im Hinblick auf seine Restruktu-

rierungsforderung zusteht, als er keine Befriedigung aus der Absonderungsanwartschaft oder der gruppeninternen Drittsicherheit erwarten kann, wird vermieden, dass ihm ein den Nominalbetrag der Restrukturierungsforderung übersteigendes Stimmrecht zukommt. Das ist auch die Zielsetzung von § 24 Abs. 3 StaRUG.52 Daraus ergibt sich zugleich, dass das Stimmrecht insgesamt durch den Nominalbetrag der gesicherten Restrukturierungsforderung begrenzt ist.53

34 Deckt der Wert der Absonderungsanwartschaft oder der gruppeninternen Drittsicherheit die

Restrukturierungsforderung der Höhe nach ab, nimmt der Planbetroffene nur mit der Sicherheit, nicht aber mit seiner gesicherten Forderung an der Abstimmung teil. Bleibt der Wert der Sicherheit hinter der Restrukturierungsforderung zurück, kommt es zur Aufspaltung und entsprechenden Teilnahme in beiden Gruppen an der Abstimmung. Weil im Zusammenhang mit einem Restrukturierungsplan in aller Regel keine Verwertung von Sicherheiten zu erwarten ist, wird üblicherweise gem. § 24 Abs. 3 Satz 2 StaRUG auf den mutmaßlichen Ausfall abzustellen sein. Der Ausfall ergibt sich aus dem Wert der Absonderungsanwartschaft oder gruppeninternen Drittsicherheit, für den wiederum der zu erwartende Verwertungserlös zu ermitteln oder ggf. zu schätzen ist. Insoweit gelten dieselben Maßstäbe wie im Rahmen von § 24 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG (s. dazu soeben Rz. 22 ff.).

VII. Streitiges Stimmrecht (§ 24 Abs. 4 StaRUG) 35 § 24 Abs. 4 StaRUG hat den Umgang mit Streitigkeiten über Grund und/oder Höhe des

Stimmrechts zum Gegenstand. Indem der Schuldner im außergerichtlichen Abstimmungsverfahren das Stimmrecht des Planbetroffenen festsetzen kann, wird verhindert, dass Streitigkeiten die Planabstimmung verzögern.54 Damit dient § 24 Abs. 4 StaRUG der Beschleunigung des außergerichtlichen Abstimmungsverfahrens.

36 Der Schuldner kann also der Abstimmung das Stimmgewicht zugrunde legen, welches er

dem Inhaber der streitigen Forderung oder des streitigen Rechts in dem mit dem Planangebot übermittelten Restrukturierungsplan zugewiesen hatte (§ 17 Abs. 2 StaRUG).55 Er kann der Abstimmung aber auch ein anderes Stimmgewicht zugrunde legen. Dazu kann er sich dann veranlasst sehen, wenn er sich von einem Planbetroffenen hat überzeugen lassen, dass das zunächst angenommene Stimmgewicht nicht richtig ist, oder wenn er auf Grund neuer Erkenntnisse zu diesem Ergebnis gelangt ist.

37 Allerdings muss der Schuldner den Planbetroffenen die Änderung des Stimmrechts im Zuge

der Abstimmung offenlegen.56 Das gilt sowohl für die Abstimmung in einer Versammlung

51 Ebenso Münzel in Wolgast/Grauer, § 24 StaRUG Rz. 53; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 32a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Westpfahl/Knapp in Flöther, § 24 StaRUG Rz. 19. 52 BT-Drucks. 19/24181, S. 126. 53 Herzig in Braun, § 24 StaRUG Rz. 27; Westpfahl/Knapp in Flöther, § 24 StaRUG Rz. 21. 54 BT-Drucks. 19/24181, S. 126. 55 BT-Drucks. 19/24181, S. 126. 56 BT-Drucks. 19/24181, S. 126.

408 | Westpfahl

Stimmrecht | Rz. 40 § 24

der Betroffenen als auch außerhalb.57 Außerdem hat der Schuldner in der Dokumentation der Abstimmung zu vermerken, dass, inwieweit und aus welchem Grund das Stimmrecht streitig ist (§ 24 Abs. 4 Satz 2 StaRUG). Diese Dokumentation ermöglicht es dem Restrukturierungsgericht, die Zuweisung des Stimmrechts nachzuprüfen. Nach § 63 Abs. 4 Satz 2 StaRUG unterliegt das der außergerichtlichen Abstimmung zugrunde 38 gelegte Stimmgewicht der gerichtlichen Prüfung und hat das Restrukturierungsgericht bei seiner Entscheidung über die Bestätigung des Restrukturierungsplans das nach Maßgabe des § 24 StaRUG zu bestimmende Stimmrecht zugrunde zu legen. Daraus folgt, dass das Restrukturierungsgericht nicht an die vorläufige Festlegung durch den Schuldner gebunden ist.58 Damit besteht das Risiko, dass das Restrukturierungsgericht die Stimmrechtszuweisung durch den Schuldner rückwirkend ersetzt und ein abweichendes Abstimmungsergebnis erzielt. Inwieweit dem Schuldner insoweit ein Beurteilungsspielraum zugestanden hat, an den das Restrukturierungsgericht gebunden ist, wird eine Frage des Einzelfalls sein.59 Der Schuldner kann das Risiko einer rückwirkend abweichenden Stimmrechtsfestsetzung 39 durch das Gericht dadurch erheblich reduzieren, dass er gem. § 47 StaRUG einen Antrag auf Vorprüfung stellt, da nach § 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG auch die Frage, welches Stimmrecht einer Restrukturierungsforderung, einer Absonderungsanwartschaft oder einem Anteilsoder Mitgliedschaftsrecht gewährt werden soll, Gegenstand einer Vorprüfung sein kann. Eine solche Vorprüfung wird zwar im Zweifel zu einer zeitlichen Verzögerung des Verfahrens führen;60 bei problematischen Fällen wird es sich aber trotzdem empfehlen, diesen Weg zu gehen. Allerdings verbleibt selbst für den Fall, dass das Restrukturierungsgericht im Rahmen der Vorprüfung einen Hinweisbeschluss nach § 48 Abs. 2 StaRUG erlässt, ein Restrisiko, weil dieser keine Bindungswirkung entfaltet.61 Demgegenüber unterliegt die gerichtliche Stimmrechtsentscheidung in einem gerichtlichen Abstimmungsverfahren nach § 45 Abs. 4 Satz 2 StaRUG nicht der sofortigen Beschwerde und kann daher nicht angegriffen werden. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist in diesem Zusammenhang auch § 70 Abs. 1 StaRUG a.E. 40 zu berücksichtigen. Danach unterliegen streitige Restrukturierungsforderungen den auf sie anwendbaren Regelungen eines Restrukturierungsplans nicht über den Betrag hinaus, der dem Restrukturierungsplan zugrunde gelegt wurde. Mit anderen Worten können Planbetroffene Forderungen auch über den Betrag hinaus geltend machen, der dem Stimmrecht zugrunde gelegt wurde, sofern sich im nachfolgenden zivilrechtlichen Prozess herausstellt, dass die Forderung in dieser Höhe besteht. Der Gesetzgeber hat § 70 Abs. 1 StaRUG a.E. mit dem Bedürfnis einer Missbrauchskontrolle begründet.62 Vorgebeugt werden soll einem „bewusst zu niedrigen Ansatz“ einer Forderung durch den Schuldner. Allerdings wird zu Recht kritisiert, dass eine derartige Missbrauchsgefahr eher gering ist, zumal sich die Frage im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens in gleicher Weise stellt und es dort nicht zu entsprechenden Manipulationen gekommen sein soll (vgl. § 70 Rz. 5).63

57 A.A. Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der dies für den Fall einer Abstimmung außerhalb einer Versammlung für nicht erforderlich hält und es genügen lässt, wenn der Schuldner die Planbetroffenen nach Durchführung der Abstimmung über die Änderung informiert. 58 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 38 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Tresselt in Morgen, § 24 StaRUG Rz. 15; Westpfahl/Knapp in Flöther, § 24 StaRUG Rz. 26. 59 Siehe dazu auch Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 38 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 60 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 24 StaRUG Rz. 40 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Tresselt in Morgen, § 24 StaRUG Rz. 16. 61 Siehe dazu BT-Drucks. 19/24181, S. 149. 62 BT-Drucks. 19/24181, S. 167. 63 So Tresselt in Morgen, § 24 StaRUG Rz. 20.

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§ 25 Rz. 1 | Erforderliche Mehrheiten

§ 25 Erforderliche Mehrheiten (1) Zur Annahme des Restrukturierungsplans ist erforderlich, dass in jeder Gruppe auf die dem Plan zustimmenden Gruppenmitglieder mindestens drei Viertel der Stimmrechte in dieser Gruppe entfallen. (2) 1Planbetroffene, denen eine Forderung oder ein Recht gemeinschaftlich zusteht, werden bei der Abstimmung als ein Planbetroffener behandelt. 2Entsprechendes gilt, wenn an einem Recht ein Pfandrecht oder ein Nießbrauch besteht. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV. 1. 2.

V. 1.

Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Normhistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Erforderliche Mehrheiten (§ 25 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Zustimmung aller Gruppen . . . . . . . . . . . 6 Mehrheit innerhalb einer Gruppe . . . . . . 7 a) Summenmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 b) Keine Kopfmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . 10 Gemeinschaftliche Forderungen und Rechte (§ 25 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . 12 Gläubigermehrheiten (§ 25 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2. Pfandrecht und Nießbrauch (§ 25 Abs. 2 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Mehrseitige Finanzierungsverträge . . . . 1. Finanzierungsforderungen . . . . . . . . . . . . a) Konsortialkredite . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schuldscheine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besicherung einer Parallelschuld . . . . . c) Sicherheitenpool . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16 18 19 20 24 29 30 30 31 35

Schrifttum: Josenhans/Danzmann, Das Future-Pledgee- und das Parallel-Debt-Konzept in der Kreditfinanzierung – Theoretische und praktische Aspekte, WM 2017, 1588; Korch, Insolvenzrecht und Marktgesetze – Eine Standortbestimmung im Angesicht des EU-Kommissionsvorschlags für einen präventiven Restrukturierungsrahmen, ZHR 182 (2018), 440; Lürken, Das StaRUG aus schuldverschreibungsrechtlicher Sicht, ZIP 2021, 1305; Schelo, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), WM 2021, 513; Schluck-Amend/Hacker, Revolution der vorinsolvenzlichen Unternehmenssanierung?, WPg 2019, 737; Skauradszun/Kümpel, Restrukturierungen von Schuldverschreibungen und weiteren Finanzierungsarrangements nach § 2 Abs. 2 StaRUG, WM 2021, 1122; J. Schmidt, Präventiver Restrukturierungsrahmen: Internationale Zuständigkeit, Anerkennung und anwendbares Recht, ZInsO 2021, 654; Stohrer, Der Gläubigerschutz im präventiven Restrukturierungsrahmen, ZInsO 2018, 660; Westpfahl, Die Risiken der Banken im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren. Banken im Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission vom 22.11.2016, COM (2016) 723 final, NZI-Beilage 2017, 49.

I. Regelungsgehalt 1 § 25 StaRUG regelt in Abs. 1, welche Mehrheit in einer Abstimmungsgruppe zur Annahme

des Restrukturierungsplans erreicht werden muss. § 25 Abs. 2 StaRUG hat den Umgang mit Fällen, in denen mehreren Planbetroffenen eine Forderung oder ein Recht gemeinschaftlich zusteht, zum Gegenstand.

410 | Westpfahl

Erforderliche Mehrheiten | Rz. 4 § 25

II. Normzweck Die Festlegung des Mehrheitserfordernisses hat für den Erfolg des Stabilisierungs- und Re- 2 strukturierungsrahmens (wie auch anderer gesetzlicher Instrumente) große Bedeutung. Ist es zu hoch angesetzt, werden an sich sinnvolle Restrukturierungen von vornherein erschwert, nicht zuletzt, weil es obstruierenden Gläubigern (sog. Akkordstörern) leichter fällt, eine blockierende Minderheit zu bilden. Entweder ist ihre Forderung dafür bereits groß genug oder aber sie können mit vergleichsweise geringem Aufwand durch den Erwerb weiterer Forderungen in diese Position kommen. Ist das Mehrheitserfordernis demgegenüber zu niedrig angesetzt, droht eine zu leichte Majorisierung der Minderheit, ggf. aber nicht zwangsläufig durch professionelle Großgläubiger zu Lasten von kleineren Gläubigern. Entsprechend hoch müssten dann die Standards zum Schutz der Minderheit angesetzt werden. Außerdem würde die Akzeptanz eines Plans im konkreten Fall wie des gesetzlichen Instruments allgemein leiden. In diesem Spannungsfeld hatte der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der Vorgaben aus der Restrukturierungs-RL den richtigen Ausgleich zu finden.

III. Normhistorie Für die Restrukturierungs-RL bildet ErwGr. 47 den Ausgangspunkt. Dort wird zunächst darauf 3 hingewiesen, dass es der Verankerung des Mehrheitsprinzips durch die nationalen Gesetzgeber bedarf, um zu verhindern, dass eine Minderheit von Planbetroffenen den Plan vereiteln kann. Darüber hinaus wird in ErwGr. 47 der Restrukturierungs-RL eine wirtschaftliche Betrachtungsweise angenommen, indem auf den Betrag der Forderungen der Gläubiger bzw. der Beteiligung der Anteilsinhaber abgestellt werden soll. Dementsprechend wird in Art. 9 der Restrukturierungs-RL der Rahmen für die nationalen Gesetzgeber gesetzt: So soll ein Plan dann angenommen sein, wenn in jeder Klasse die erforderliche Mehrheit erreicht wird.1 Diese Mehrheit wiederum muss so festgelegt werden, dass sie nicht 75 % des Betrages der Forderungen oder Beteiligungen in jeder Klasse übersteigen darf (Art. 9 Abs. 6 Unterabs. 2 Restrukturierungs-RL). Außerdem können die nationalen Gesetzgeber neben dieser Summenmehrheit eine Kopfmehrheit vorsehen (Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 Restrukturierungs-RL a.E.). Eine ausdrückliche Aussage zu der Frage, wie das Stimmverhalten nicht teilnehmender Gläubiger zu bewerten ist, findet sich an dieser Stelle nicht.2 Allerdings dürften die Formulierungen in Art. 9 Abs. 6 Unterabs. 1 und 2 Restrukturierungs-RL eher so zu bewerten sein, dass die Mehrheit auf sämtliche Forderungen oder Rechte bezogen sein soll.3 Auch zu einem etwaigen Quorum für die Abstimmung enthält sich Art. 9 Abs. 6 Restrukturierungs-RL einer Aussage.4 In der in Deutschland im Vorfeld der Umsetzung geführten Diskussion überwog von vorn- 4 herein die Auffassung, dass sich das Mehrheitserfordernis eher an der Obergrenze orientieren solle. Dabei wurde vor allem die Akzeptanz des Plans im konkreten Fall wie auch des gesetzlichen Instruments allgemein betont.5 Auch wurden verfassungsrechtliche Bedenken gegen

1 Einschränkungen ergeben sich sodann aus Art. 11 Restrukturierungs-RL, in dem der klassenübergreifende Cram-down geregelt wird. 2 Allerdings wird in ErwGr. 47 angeregt, dass die Mitgliedsstaaten Vorschriften zur Berechnung der Mehrheit insbesondere mit Blick auf fehlerhafte Abstimmungen oder nicht vertretende Gläubiger, erlassen (Satz 5). 3 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 25 StaRUG Rz. 4. 4 Demgegenüber findet sich in ErwGr. 47 der Hinweis, dass die Mitgliedsstaaten auch eine Beteiligungsschwelle für die Abstimmung festlegen können (Satz 6). 5 BRAK, Stellungnahme Nr. 21/2017 von 4/2017, ZIP 2017, 789, 791; DAV, Stellungnahme Nr. 17/17 v. 1.3.2017, S. 18; Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme zu Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen v. 28.2.2017, S. 9; Korch, ZHR 182 (2018), 440, 477; Westpfahl, NZI-Beilage 2017, 49, 51.

Westpfahl | 411

§ 25 Rz. 4 | Erforderliche Mehrheiten Eingriffe in Minderheitenrechte angeführt, sofern die Schwelle zu niedrig angesetzt wird.6 Dem hat sich der Gesetzgeber angeschlossen und die erforderliche Mehrheit pro Gruppe auf mindestens 75 % festgesetzt. Er hat damit auch Vorschlägen, wonach für bestimmte Konstellationen Ausnahmen vorgesehen werden könnten, eine Absage erteilt.7 5 Zudem war die Frage diskutiert wurden, ob es neben der Summenmehrheit – wie beim Insol-

venzplan – einer Kopfmehrheit bedürfe. Diesbezüglich überwog die Auffassung, dass von einer Kopfmehrheit abzusehen sei.8 Dabei wurde vor allem darauf abgestellt, dass, wenn es um wirtschaftliche Betroffenheit geht, wirtschaftliche Gesichtspunkte ausschlaggebend sein müssten; ein Argument übrigens, dass gleichermaßen gegen die Kopfmehrheit bei der Abstimmung über einen Insolvenzplan (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO) spricht. Auch der deutsche Gesetzgeber hat sich dazu entschlossen, von einer Kopfmehrheit abzusehen. In der Gesetzesbegründung hat er darauf hingewiesen, dass dadurch Umgehungsstrategien wie die Aufspaltung von Forderungen vermieden werden könnten.9 Auch dieses Argument würde gegen das Kopfmehrheitserfordernis beim Insolvenzplan sprechen. Für den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen kommt allerdings noch das Argument hinzu, dass nach § 9 Abs. 2 Satz 4 StaRUG Kleingläubiger zu einer eigenständigen Gruppe zusammenzufassen sind10 und eine Überstimmung dann nur noch im Wege eines gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids in Betracht kommt.

IV. Erforderliche Mehrheiten (§ 25 Abs. 1 StaRUG) 1. Zustimmung aller Gruppen 6 § 25 Abs. 1 StaRUG legt zunächst fest, dass für die Annahme des Plans jede Gruppe mehr-

heitlich zugestimmt haben muss. Allerdings ist in den §§ 26–28 StaRUG geregelt, unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise die Zustimmung einer (oder mehrerer) ablehnender Gruppen fingiert werden kann (sog. gruppenübergreifender Mehrheitsentscheid).

2. Mehrheit innerhalb einer Gruppe a) Summenmehrheit 7 Die für die Abstimmung in einer Gruppe erforderliche Mehrheit wird sodann mit mindestens

75 % festgesetzt. Notwendig, aber ausreichend, ist somit die Zustimmung von genau 75 %. Während allerdings beim Insolvenzplan gem. § 244 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Bezugsgröße die an der Abstimmung teilnehmenden Gläubiger sind, ist es beim Restrukturierungsplan die Gesamtsumme der in der jeweiligen Gruppe zusammengefassten Forderungen oder Rechte.11 Dadurch ist die Mehrheit faktisch gesehen erheblich höher als von vielen angenommen, die sich im Vorfeld für die Schwelle von 75 % ausgesprochen hatten.12 Denn da an Abstimmun6 Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme zu Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen v. 28.2.2017, S. 9. 7 Siehe zu derartigen Vorschlägen Kowalewski/Praß in Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 9 Rz. 126. 8 Kowalewski/Praß in Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 9 Rz. 125; Schluck-Amend/Hacker, WPg 2019, 737, 741; Stohrer, ZInsO 2018, 660, 666; Westpfahl, NZI-Beilage 2017, 49, 51. 9 BT-Drucks. 19/24181, S. 127. 10 Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 25 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Kowalewski/ Praß in Morgen, § 25 StaRUG Rz. 7. 11 BT-Drucks. 19/24181, S. 127. 12 Vgl. nur Westpfahl, NZI-Beilage 2017, 49, 51.

412 | Westpfahl

Erforderliche Mehrheiten | Rz. 11 § 25

gen, sei es im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, in einer Anleihegläubiger- oder einer aktienrechtlichen Hauptversammlung nie alle, häufig jedoch sogar nur eine überschaubare Anzahl an Berechtigten teilnimmt, ist das faktische Mehrheitserfordernis in diesen Fällen, in denen die Bezugsgröße eben die Anzahl (nur) der Teilnehmer ist, durchgerechnet ganz erheblich geringer. Indem der deutsche Gesetzgeber die Gesamtsumme zur Bezugsgröße für die Ermittlung der notwendigen Mehrheit erhebt, erschwert er die Anwendung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in unnötiger Weise, denn Enthaltungen und nicht abgegebene Stimmen haben die Wirkung einer Ablehnung.13 Zu nicht abgegebenen Stimmen kommt es insbesondere dann, wenn sich Planbetroffene über- 8 haupt nicht an der Abstimmung beteiligen. Das wiederum wird insbesondere bei Finanzierungsinstrumenten mit großer Streuung wie Schuldverschreibungen oder Schuldscheinen der Fall sein. Hier steht der Schuldner typischerweise einer großen Anzahl von Gläubigern gegenüber, vor allem bei Schuldverschreibungen können sich darunter auch Privatanleger (sog. Retail-Investoren) befinden. Gerade Privatanleger werden sich aber häufig nicht an den Restrukturierungsverhandlungen und in der Folge auch nicht der Abstimmung beteiligen, weil ihnen auf Grund der geringen Beteiligungshöhe der notwendige Einfluss fehlt und die Einsatzkosten außer Verhältnis zum möglichen Erfolg stehen (sog. rationale Apathie). Hinzu kommen sog. Kollektivhandlungsprobleme, die damit zusammenhängen, dass Gläubiger divergierende Interessen haben, nicht immer individuell angesprochen werden können und sich ihre Zusammensetzung gerade in der Krise fortlaufend ändert.14 Für die Praxis bedeutet dies: Sofern mehrere Finanzierergruppen im gleichen Abstimmungs- 9 rang zueinanderstehen und eine (oder mehrere) von ihnen ein Instrument mit großer Streuung halten, ist es angezeigt, im Rahmen des § 9 StaRUG mehrere Gruppen zu bilden, damit bei Verfehlen der 75 % in diesem Instrument noch ein gruppenübergreifender Mehrheitsentscheid als Möglichkeit verbleibt. Ansonsten bleibt dem Schuldner nur, alles daran zu setzen, die Planbetroffenen zur Teilnahme an der Abstimmung (und zur Zustimmung) zu bewegen. b) Keine Kopfmehrheit Einer Mehrheit der Stimmberechtigten (sog. Kopfmehrheit) bedarf es demgegenüber nicht. 10 Der deutsche Gesetzgeber hat von der in Art. 9 Abs. 6 Unterabs. 2 Restrukturierungs-RL a.E. eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, es bei der Summenmehrheit zu belassen. Umgehungsstrategien von obstruktiven Planbetroffenen, etwa indem Forderungen in mehrere Teilforderungen aufgespalten werden, kommen also von vornherein nicht in Betracht. Auch stellt sich nicht die für den Insolvenzplan diskutierte Frage, ob für den Fall, dass Anlei- 11 hegläubiger einen gemeinsamen Vertreter bestellt haben, um ihre kollektiven Rechte wahrzunehmen, für die Zwecke der Bestimmung der Kopfmehrheit von nur einer Stimme (nämlich der des gemeinsamen Vertreters) auszugehen ist oder alle Anleihegläubiger gezählt werden.15 Anders als die Festlegung der Bezugsgröße für das Erreichen der notwendigen Mehrheit erleichtert das Absehen von einem Kopfmehrheitserfordernis das Erreichen der notwendigen Mehrheit insbesondere bei Instrumenten mit großer Streuung. Denn selbst eine nur einfache (Kopf-)Mehrheit bezogen auf alle Berechtigten könnte aus den genannten Gründen zuweilen schwer zu erreichen sein.

13 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 25 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Kowalewski/Praß in Morgen, § 25 StaRUG Rz. 17; Schelo, WM 2021, 513, 515. 14 Siehe dazu Westpfahl/Seibt in HambKomm/RestruktR, Anhang 4 Rz. 11 ff. 15 Siehe dazu nur Westpfahl in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Kapital 12 Rz. 12.48 m.w.N.

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§ 25 Rz. 12 | Erforderliche Mehrheiten

V. Gemeinschaftliche Forderungen und Rechte (§ 25 Abs. 2 StaRUG) 1. Gläubigermehrheiten (§ 25 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) 12 Nach § 25 Abs. 2 Satz 1 StaRUG werden Planbetroffene, denen eine Forderung oder ein Recht

gemeinschaftlich zusteht, bei der Abstimmung als ein Planbetroffener behandelt. Die Regelung ist ausweislich der Gesetzesbegründung an die insolvenzplanrechtliche Vorschrift § 244 Abs. 2 Satz 1 InsO angelehnt.16 § 244 Abs. 2 Satz 1 InsO soll in Anbetracht der bei der Abstimmung über den Insolvenzplan neben der Summenmehrheit ebenfalls geltenden Kopfmehrheit verhindern, dass eine Forderung mehrere (Kopf-)Stimmen gewährt, nur weil sie mehreren Berechtigten zusteht.17 Da es jedoch bei der Abstimmung über den Restrukturierungsplan gerade kein Kopfmehrheitserfordernis gibt, stellt sich die Frage, welche Funktion § 25 Abs. 2 Satz 1 StaRUG haben kann. Nicht auszuschließen ist, dass es sich insoweit um einen gedanklichen Fehler des Gesetzgebers handelt, der sich sehr eng am Insolvenzplanrecht orientiert hat. Auch die von § 244 Abs. 2 Satz 1 InsO leicht abweichende Formulierung (anstelle von „gerechnet“ wird die Formulierung „behandelt“ gewählt) hilft bei der Interpretation nicht weiter, zumal sich hierzu in der Gesetzesbegründung kein weiterer Hinweis findet.18 Nach alledem erscheint es am überzeugendsten, das Verständnis von § 25 Abs. 2 Satz 1 StaRUG von § 244 Abs. 2 InsO zu emanzipieren19 und wie folgt zu unterscheiden:

13 Kann eine Forderung oder ein Recht, das mehreren Planbetroffenen gegenüber dem Schuld-

ner gemeinschaftlich zusteht, nur einheitlich geltend gemacht werden, kann dies nur durch den- oder diejenigen geschehen, die hierzu im Außenverhältnis befugt sind. Ist dies nur eine Person, so ist es ohne Belang, wenn im Innenverhältnis kein Einvernehmen über die Entscheidung über den Plan erzielt werden kann. Sind mehrere Personen im Außenverhältnis befugt und geben sie uneinheitliche Erklärungen ab, so sind die Stimmabgaben unwirksam und als nicht gegeben zu werten.20

14 Gibt es keine Regelung darüber, wer im Außenverhältnis zur Geltendmachung befugt sein

soll, ist zu unterscheiden: Steht fest, in welchem Verhältnis die Planbetroffenen an der Forderung oder dem Recht berechtigt sind, können sie jeweils im Verhältnis ihres Anteils an der Abstimmung teilnehmen. Steht die Höhe der jeweiligen Beteiligung demgegenüber nicht fest, scheidet auch eine getrennte Geltendmachung aus.21 Der Vorschlag, stattdessen in „europarechtskonformer Auslegung“ im Innenverhältnis das Mehrheitserfordernis aus § 25 Abs. 1 StaRUG anzuwenden,22 ist abzulehnen. Er ist erkennbar von dem Bestreben getragen, für § 25 Abs. 2 Satz 1 StaRUG einen Aussagegehalt zu finden, den es so aber nicht gibt. Ist es den Inhabern der Forderung oder des Rechts demgegenüber möglich, die Gemeinschaft rechtzeitig zur Abstimmung aufzulösen, können sie dementsprechend abstimmen.23 Dies hat allerdings keine Relevanz für das Verständnis von § 25 Abs. 2 Satz 1 StaRUG.

16 BT-Drucks. 19/24181, S. 127. 17 Spliedt in K. Schmidt, § 244 InsO Rz. 7; Hintzen in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 244 InsO Rz. 15. 18 Demgegenüber werten Kowalewski/Praß den Formulierungsunterschied als Beleg dafür, dass sich § 25 Abs. 2 Satz 1 StaRUG auf die Festlegung der Summenmehrheit auswirkt (in Morgen, § 25 StaRUG Rz. 34). 19 So ebenso Westpfahl/Knapp in Flöther, § 25 StaRUG Rz. 7; ähnlich Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 25 StaRUG Rz. 15 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); demgegenüber sich an § 244 Abs. 2 InsO orientierend Herzig in Braun, § 25 StaRUG Rz. 6 f. 20 Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 25 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 21 Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 25 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 22 So aber Kowalewski/Praß in Morgen, § 25 StaRUG Rz. 36. 23 Dazu Hansen in Wolgast/Grauer, § 25 StaRUG Rz. 8.

414 | Westpfahl

Erforderliche Mehrheiten | Rz. 20 § 25

Zu den Gläubigern, denen ein Recht oder eine Forderung im Sinne von § 25 Abs. 2 Satz 1 15 StaRUG gemeinschaftlich zusteht, gehören Gesamtgläubiger (§ 428 BGB), Gesamthandsgläubiger (§ 432 BGB), die Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 718, 719 BGB), Miterben (§ 2032 BGB) oder Ehepartner bei Gütergemeinschaft (§ 1416 BGB).24

2. Pfandrecht und Nießbrauch (§ 25 Abs. 2 Satz 2 StaRUG) Nach § 25 Abs. 2 Satz 2 StaRUG soll Abs. 2 Satz 1 dann entsprechend gelten, wenn an einem 16 Recht ein Pfandrecht oder ein Nießbrauch besteht. Diese Regelung ist an § 244 Abs. 2 Satz 2 InsO angelehnt, wo es ebenfalls darum geht, mit Blick auf das Kopfmehrheitserfordernis einem Missbrauch durch Aufspaltung der einheitlichen Forderung vorzubeugen. Erneut gilt, dass die Intention des Gesetzgebers der Insolvenzordnung beim StaRUG in Ermangelung eines Kopfmehrheitserfordernisses nicht greift. Von der gemeinschaftlichen Berechtigung im Sinne von § 25 Abs. 2 Satz 1 StaRUG unterschei- 17 det sich die von § 25 Abs. 2 Satz 2 StaRUG erfasste dadurch, dass es nicht um gleichgerichtete, sondern um gestaffelte Rechtspositionen geht. So hat im Anwendungsbereich von § 25 Abs. 2 Satz 2 StaRUG der eine Planbetroffene eine Sicherungsforderung gegen den Schuldner und der andere ein Pfandrecht oder einen Nießbrauch an dieser Sicherungsforderung. Daraus folgt zwingend, dass nur eine einheitliche Stimmabgabe möglich ist; unterschiedliche Stimmabgaben führen zur Unwirksamkeit und wirken damit wie eine Ablehnung.25 Nach Eintritt der Pfandreife ist jedoch ausschließlich der Pfandgläubiger zur Ausübung des Stimmrechts berechtigt, soweit er nach § 1282 Abs. 1 BGB zur Einziehung berechtigt ist.26

VI. Mehrseitige Finanzierungsverträge Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ist vor allem auf finanzielle Restrukturie- 18 rungen zugeschnitten und dabei auch zum Umgang mit komplexen Finanzierungsstrukturen geeignet. In diesem Zusammenhang stellen sich verschiedene Fragen, die für die Ermittlung der Mehrheit i.S.v. § 25 StaRUG relevant sind.

1. Finanzierungsforderungen Werden Finanzierungsinstrumente von einer Mehrzahl von Gläubigern gehalten, handelt es 19 sich in aller Regel entweder um Konsortialkredite, Anleihen oder Schuldscheine. a) Konsortialkredite Bei Kreditverträgen mit hohen Beträgen ist es üblich, das Finanzierungsrisiko auf mehrere 20 Kreditgeber zu verteilen. Zwar werden die Kredite üblicherweise zunächst nur von einem oder wenigen Kreditgebern ausgezahlt; unmittelbar nach der Auszahlung werden die Kredite jedoch syndiziert. Jene Kreditgeber, die einen entsprechenden Konsortialanteil an den Krediten übernehmen, sind die Konsortialbanken, die wiederum ein Kreditkonsortium bilden (vgl. § 2 24 Herzig in Braun, § 25 StaRUG Rz. 7; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 25 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 25 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 25 StaRUG Rz. 41; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 25 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 26 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 25 StaRUG Rz. 42; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 25 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Westpfahl | 415

§ 25 Rz. 20 | Erforderliche Mehrheiten Rz. 124 ff.).27 Vertragsparteien eines Konsortialkreditvertrages sind neben den Kreditgebern typischerweise der Sicherheiten-Treuhänder sowie der Agent als Verwalter der Kredite. 21 Gleichwohl handelt es sich bei einem Konsortialkreditvertrag typischerweise trotzdem nur um

eine Mehrzahl selbständiger Kreditverträge, unter denen jeder Konsorte einen Kredit bis zur Höhe seiner jeweiligen Konsortialquote zur Verfügung stellt. Deshalb sind die Konsorten typischerweise weder Gesamtschuldner noch Gesamtgläubiger.28 Dementsprechend gilt auch die Vertretungsmacht des Agenten für die Kreditgeber typischerweise nicht für die Vertretung bei Abstimmungen in rechtlichen Verfahren wie Zivilprozessen und Schiedsverfahren sowie Insolvenzverfahren.29 Diese Beschränkungen sollten konsequenterweise auch für ein Verfahren nach dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gelten, bei dem es sich ebenfalls um ein gerichtliches Verfahren handelt.30 Daraus folgt, dass die Gläubiger eines Konsortialkreditvertrages typischerweise selbst an der Abstimmung über den Restrukturierungsplan teilnehmen.

22 Eine andere Frage ist die, ob ein Konsorte nicht trotzdem im Außenverhältnis bei der Stimm-

abgabe wegen interner Abreden im Konsortialkreditvertrag beschränkt ist. Haben die Konsorten etwa im Vorfeld über die im Restrukturierungsplan vorgesehenen Maßnahmen abgestimmt und sie mit der nach dem Kreditvertrag bestimmten Mehrheit befürwortet, ist dann ein dissentierender Konsorte verpflichtet, dem Plan zuzustimmen? Eine derartige Konstellation ist gar nicht so praxisfern, wie es zunächst scheint. Zwar dürfte es üblicherweise keine „Probeabstimmung“ geben. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich bei komplexeren Restrukturierungen unter Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens eine Praxis etablieren wird, wonach der Schuldner im Vorfeld des Planangebotes seine Gläubiger und potentiellen Planbetroffenen zur Abgabe einer Erklärung auffordert, in der sie sich zur späteren Zustimmung zum Restrukturierungsplan verpflichten (sog. Lockup Vereinbarung). Damit erhält er ausreichende Planungssicherheit für das sich dann anschließende gerichtliche Verfahren. Tatsächlich gibt es aber keine sich aus dem Binnenverhältnis des Konsortialkreditvertrages oder sonstiger damit zusammenhängenden Vereinbarungen ergebende Pflicht, im Sinne der Mehrheit der übrigen Konsorten zu stimmen und kann sich deshalb aus einem abweichenden Stimmverhalten auch keine entsprechende Schadensersatzpflicht ergeben.31

23 Sieht der Konsortialkreditvertrag übrigens ein höheres Mehrheitserfordernis als 75 % vor,

greift für die Annahme des Restrukturierungsplans trotzdem das Erreichen der in § 25 Abs. 1 StaRUG normierten Mehrheit, d.h. von 75 % sämtlicher Stimmberechtigter. Während häufig einfache Vertragsanpassungen bereits mit einer 2/3-Mehrheit vereinbart werden können, bedarf es für grundlegendere Änderungen nicht selten einer Zustimmung von 80 % oder 100 % der Kreditgeber. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn sich die Änderung auf die Höhe von Haupt- und Nebenforderung sowie die Laufzeit des Kreditvertrages bezieht. b) Anleihen

24 Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG können auch Anleihen durch einen Restrukturierungsplan

gestaltet werden. Von dieser Vorschrift erfasst sind jegliche Formen von Anleihen einschließlich sog. High Yield-Anleihen und Hybrid-Anleihen sowie aktienverwandter Emissionen wie 27 Siehe ausführlich zu Konsortialkreditverträgen und ihrer Gestaltbarkeit Westpfahl/Dittmar in Flöther, § 2 StaRUG Rz. 40 ff. 28 Siehe dazu nur Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierung, § 30. 29 Dementsprechend sieht Ziff. 26.2 (f) des LMA-Standards für „Multicurrency Term and Revolving Facilities Agreement“ (Bearbeitungsstand: 20.3.2020) eine entsprechende Beschränkung vor: „The Agent is not authorized to act on behalf of a Lender (without first obtaining the Lender’s consent) in any legal or arbitration proceedings relating to any Finance Document.“ 30 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 25 StaRUG Rz. 46. 31 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 25 StaRUG Rz. 47.

416 | Westpfahl

Erforderliche Mehrheiten | Rz. 27 § 25

Wandel- und Optionsanleihen, Umtauschanleihen und Genussrechte (vgl. § 2 Rz. 157 ff.).32 Das gilt auch für Anleihen, die ausländischem Recht unterliegen.33 Findet auf die Anleihe indes deutsches Schuldverschreibungsrecht Anwendung, ist zu unterscheiden: Entscheidet sich der Schuldner (und Emittent), die Anleihegläubiger überhaupt nicht in das 25 Sanierungskonzept einzubeziehen, ist § 25 StaRUG von vorneherein nicht einschlägig. Gleiches gilt, wenn die Anleihegläubiger zwar Beiträge zur Sanierung leisten sollen, deren Zustimmung aber, soweit in den Anleihebedingungen vorgesehen, über die § 5 ff. SchVG eingeholt werden soll. Das gilt unabhängig davon, ob die Entscheidung über eine Bedingung im Restrukturierungsplan mit diesem verknüpft werden soll oder nicht.34 Sollen die Anleihegläubiger demgegenüber vom Restrukturierungsplan betroffen sein, kommt 26 es entscheidend darauf an, ob sie zur kollektiven Wahrnehmung ihrer Rechte einen gemeinsamen Vertreter bestellen wollen bzw. dieser bereits in den Anleihebedingungen bestellt worden ist. Ist letzteres nicht der Fall, ist der neu eingeführte § 19 Abs. 6 SchVG zu beachten, wonach die in den Abs. 1–5 normierten Regelungen über die Abstimmung und Vertretung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Emittenten auf den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen übertragen werden. Danach können die Anleihegläubiger also auch in diesem Verfahren zur Wahrnehmung ihrer kollektiven Rechte einen gemeinsamen Vertreter bestellen (§ 19 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 SchVG). Während die konkrete Herleitung des Mehrheitserfordernisses für die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren zwar umstritten, im Ergebnis aber nicht entscheidungserheblich ist,35 stellt sich die Situation bei der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters für die Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens anders dar. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass für die Bestellung des gemeinsamen Vertreters für die Inanspruchnahme des Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmens eine einfache Summenmehrheit (in der ersten Anleihegläubigerversammlung) ausreicht.36 Der gemeinsame Vertreter ist dann allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Anleihe- 27 gläubiger im Verfahren nach dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen geltend zu machen (§ 19 Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 SchVG). Im Mittelpunkt dieser Tätigkeit steht die Stimmrechtsausübung bei der Abstimmung über den Restrukturierungsplan. Gibt der gemeinsame Vertreter ein positives Votum ab, bedeutet dies, dass 100 % der Stimmrechte der Anleihe für den Plan gestimmt haben. Haben einzelne Anleihegläubiger, etwa im Rahmen eines Weisungsbeschlusses, eine abweichende Auffassung bekundet, ist diese vom gemeinsamen Vertreter im Außenverhältnis nicht zu beachten. Ist der Weisungsbeschluss jedoch nicht mit der ausreichenden Mehrheit zustande gekommen, setzt er sich einem Haftungsrisiko gegenüber den Anleihegläubigern aus (s. dazu § 7 Abs. 3 Satz 1 SchVG).37 Lediglich für die Umwandlung der Anleiheforderungen in Eigenkapital (sog. Debt-Equity-Swap) sollte etwas anderes gelten und der gemeinsame Vertreter einen entsprechenden Beschluss einholen.38

32 Westpfahl/Dittmar in Flöther, § 2 StaRUG Rz. 46 ff. 33 Eine andere Frage ist die der Anerkennung des Restrukturierungsplans in der entsprechenden Jurisdiktion; vgl. hierzu ausführlich J. Schmidt, ZInsO 2021, 654. 34 Siehe dazu auch BT-Drucks. 19/24181, S. 222. 35 Siehe dazu Knapp in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 19 SchVG Rz. 47; Westpfahl/Seibt in A. Schmidt, Sanierungsrecht, Anh. § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 48 ff. jeweils m.w.N. 36 Siehe dazu Lürken, ZIP 2021, 1305, 1309; Skauradszun/Kümpel, WM 2021, 1122, 1124. 37 Siehe zur parallelen Fragestellung im Insolvenzverfahren nur Knapp in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 19 SchVG Rz. 78 m.w.N. 38 Siehe dazu nur Westpfahl/Wilde in Eilers/Koffka/Mackensen/Paul/Josenhans, Private Equity, 4. Aufl. 2022, III.1. Debt Equity Swap Rz. 95; sowie zur parallelen Fragestellung im Insolvenzverfahren nur Knapp in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, § 19 SchVG Rz. 75; Westpfahl/Seibt in A. Schmidt, Sanierungsrecht, Anh. § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 54, 67 jeweils m.w.N.

Westpfahl | 417

§ 25 Rz. 28 | Erforderliche Mehrheiten 28 Ist in den Anleihebedingungen ein gemeinsamer Vertreter nicht bestellt und sehen die An-

leihegläubiger davon ab, ihn zu bestellen bzw. kommt die notwendige Mehrheit nicht zustande, gelten für die Abstimmung die Vorschriften des StaRUG (§ 19 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SchVG). Es gilt also das Mehrheitserfordernis von 75 % in der Gruppe, die von Anleihegläubigern gebildet wird bzw. in der sich mit anderen eingeordnet sind, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich die 75 % auf sämtliche Stimmberechtigte beziehen.

c) Schuldscheine 29 Schließlich können nach § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG auch Forderungen aus Schuldscheindarle-

hen gestaltet werden. Diese weisen zwar einige Parallelen zu Anleihen auf, sind jedoch keine Schuldverschreibungen, sondern Darlehen i.S.d. § 488 BGB. Handelt es sich um eine Schuldscheinemission, besteht sie aus einer Vielzahl von gleichlautenden bilateralen Kreditverträgen, denen jedoch, anders als beim Konsortialkreditvertrag und bei einer Anleihe die verbindende Klammer fehlt. Da beim Schuldscheindarlehen schon außerhalb eines Verfahrens nach dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen und eines Insolvenz(plan)verfahrens weder Mehrheitsentscheidungen noch eine gemeinsame Vertretung möglich sind,39 gelten im Rahmen der Abstimmung über den Restrukturierungsplan keine Besonderheiten.

2. Sicherheiten a) Allgemeines 30 Halten mehrere Planbetroffene gemeinsam ein Sicherungsrecht, ergibt sich der verhältnis-

mäßige Anteil des jeweiligen Planbetroffenen aus der Höhe der besicherten Forderung. Das gilt sowohl für besicherte Konsortialkredite als auch für Anleihen und Schuldscheine, die durchaus nicht immer unbesichert sind. Auf eine Differenzierung zwischen akzessorischen und nicht-akzessorischen Sicherungsrechten kommt es demnach nicht an.40 b) Besicherung einer Parallelschuld

31 Zuweilen wird im Rahmen von Konsortialfinanzierungen die Konstruktion einer besicherten

Parallelschuld (sog. Parallel Debt) gewählt. Hintergrund dafür ist vor allem die Notwendigkeit, dass die Sicherheiten in einer Hand und damit unabhängig von einem Wechsel in der Zusammensetzung des Konsortiums gehalten werden. Dabei handelt es sich um den Sicherheiten-Treuhänder, der die Sicherheiten für die Konsortialkreditgeber hält, sie im Sicherungsfall für sie verwertet und die Erlöse an sie ausschüttet. Bei akzessorischen Sicherheiten ist es jedoch notwendig, dass der Sicherheiten-Treuhänder eine eigene Forderung erhält, wofür ihm der Kreditnehmer im Wege eines abstrakten Schuldversprechens i.S.v. § 780 BGB eine eigene, in der Höhe und im Bestand jedoch an den Konsortialkredit gekoppelte Forderung gewährt.41 Für das Zustandekommen einer Mehrheit im Rahmen der Abstimmung über den Restrukturierungsplan ist in diesen Fällen wie folgt zu unterscheiden:

32 Werden neben der Parallelschuld auch die Forderungen der Konsortialkreditgeber besi-

chert, können letztere ohne weiteres entsprechend der Höhe der von Ihnen gehaltenen Forderung an der Abstimmung teilnehmen. Zu beachten ist dann lediglich, dass es nicht zu einer

39 In der Praxis sucht sich daher entweder der Emittent oder suchen sich aktivistische Schuldscheindarlehensgeber einen Berater, der die Interessen der Schuldscheindarlehensgeber vertritt. 40 A.A. Kowalewski/Praß in Morgen, § 25 StaRUG Rz. 49 f. 41 Siehe dazu Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierung, § 42; Josenhans/Danzmann, WM 2017, 1588, 1592 f.

418 | Westpfahl

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung | § 26

Verdopplung des Stimmrechts kommt, indem auch der Sicherheiten-Treuhänder an der Abstimmung teilnimmt. Darauf hat der Planarchitekt zu achten. Ist demgegenüber nur die Parallelschuld besichert, kommt es darauf an, ob der Sicherheiten- 33 Treuhänder nach dem zugrunde liegenden Sicherheitentreuhandvertrag oder sonstigen Vereinbarungen berechtigt ist, die besicherten Planbetroffenen bei der Abstimmung zu vertreten. Das dürfte in aller Regel nicht der Fall und auch nicht gewünscht sein, so dass die besicherten Planbetroffenen selbst an der Abstimmung teilnehmen und es für das Mehrheitserfordernis des § 25 StaRUG in ihrer Gruppe auf ihr Stimmverhalten ankommt.42 Eine andere Frage schließlich ist es, ob die besicherten Planbetroffenen auf Grund vertragli- 34 cher Abreden dazu verpflichtet sein könnten, in bestimmter Weise abzustimmen. Anders als in Bezug auf die besicherten Forderungen kann dies bei den Sicherungsrechten selbst durchaus vorkommen.43 c) Sicherheitenpool

Nach wie vor verbreitet sind sog. Sicherheitenpools, d.h. Vereinbarungen zwischen Sicherheiten- 35 gläubigern über die gemeinsame Verwaltung und Verwertung ihrer Rechte, ohne dass die Sicherheiten auf einen Sicherheiten-Treuhänder übertragen werden. Haben die einzelnen Planbetroffenen ihre Rechte nicht in den Pool übertragen, stimmen sie selbst entsprechend der Höhe der von ihnen gehaltenen Forderungen ab. Hat demgegenüber eine Übertragung in den Pool stattgefunden, kommt es darauf an, wer den Pool mit welchen Rechten nach außen vertritt.

§ 26 Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung (1) Wird in einer Gruppe die nach § 25 erforderliche Mehrheit nicht erreicht, gilt die Zustimmung dieser Gruppe als erteilt, wenn 1. die Mitglieder dieser Gruppe durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden als sie ohne einen Plan stünden, 2. die Mitglieder dieser Gruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf der Grundlage des Plans den Planbetroffenen zufließen soll (Planwert), und 3. die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt hat; wurden lediglich zwei Gruppen gebildet, genügt die Zustimmung der anderen Gruppe; die zustimmenden Gruppen dürfen nicht ausschließlich durch Anteilsinhaber oder nachrangige Restrukturierungsgläubiger gebildet sein. (2) Wird die nach § 25 erforderliche Mehrheit in einer Gruppe nicht erreicht, die nach § 9 Absatz 1 Satz 3 zu bilden ist, so gelten Absatz 1, § 27 Absatz 1 und § 28 für diese Gruppe nur, wenn die vorgesehene Entschädigung die Inhaber der Rechte aus der gruppeninternen Drittsicherheit für den zu erleidenden Rechtsverlust oder den Verlust der Haftung des persönlich haftenden Gesellschafters angemessen entschädigt. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). 42 Siehe dazu auch Kowalewski/Praß in Morgen, § 25 StaRUG Rz. 53 ff., u.a. mit Verweis auf nicht einschlägige Klauseln des LMA-Musters für Intercreditor Agreements (hier: Ziff. 12.7). 43 Siehe dazu Kowalewski/Praß in Morgen, § 25 StaRUG Rz. 54 mit Verweis auf die Musterklausel Ziff. 12.4 aus dem LMA-Muster für Intercreditor Agreements.

Westpfahl | 419

§ 26 Rz. 1 | Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung I. II. III. 1. 2. IV. V. 1.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normhistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäische Restrukturierungs-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen für die Zustimmungsfiktion (§ 26 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . Schlechterstellungsverbot (§ 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktion und Systematik des Schlechterstellungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergleichsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Alternativszenarien . . . . . . . . . . . . (1) Fortführungsszenario . . . . . . . (2) Liquidationsszenario . . . . . . .

1 3 6 6 11 14 17

2. 3.

VI.

18 19 22 22 27 28 31

VII. 1. 2.

cc) Ermittlung und Nachweis des nächstbesten Alternativszenarios dd) Vergleichsrechnung . . . . . . . . . . . Angemessene Beteiligung am Planwert (§ 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . Zustimmung einer Gruppenmehrheit (§ 26 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einschränkungen der Mehrheitsregel Sonderregelung für Eingriffe in gruppeninterne Drittsicherheiten und Beschränkung persönlicher Gesellschafterhaftung (§ 26 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustimmungsersetzung . . . . . . . . . . . . . Verstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32 42 55 56 57 60

62 64 64 65

Schrifttum: Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung – Prozess, Methoden und Probleme; Bork, Neue Grundfragen des Restrukturierungsrechts, ZRI 2021, 345; Buchalik/Schröder, Kann der eigenverwaltende Schuldner auch gegen seinen Willen verpflichtet werden einen M&A-Prozess einzuleiten und zu finanzieren? Zur Reichweite und zum Inhalt von Vergleichsrechnungen in der Eigenverwaltung, ZInsO 2016, 189; Distler, Das Schlechterstellungsverbot gem. § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG in Theorie und Praxis, ZIP 2021, 1033; Doebert/Krüger, Die strategische Gestaltung von Restrukturierungsplänen, NZI 2021, 614; Fröhlich/Eckhardt, Bewertung insolventer Unternehmen (in Eigenverwaltungsverfahren): Rahmenbedingungen, Herausforderungen, Lösungsansätze, Würdigung, ZInsO 2015, 925; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Heese, Die Funktion des Insolvenzrechts im Wettbewerb der Rechtsordnungen, JZ 2018, 179; Korch, Eine Standortbestimmung im Angesicht des EU-Kommissionsvorschlags für einen präventiven Restrukturierungsrahmen, ZHR 182 (2018), 440; Leib/Rendels, Zurückweisung der Beschwerde gegen die Bestätigung des Suhrkamp-Insolvenzplans wegen überwiegenden Vollzugsinteresses, EWiR 2015, 23; Müller, Die Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, ZIP 2020, 2253; Proske/Streit, Rettende Restrukturierung durch Rechtsrahmen? Lob und Kritik zum Regierungsentwurf des StaRUG, NZI 2020, 969; Ringelspacher/Fehl-Weidel, Die Vergleichsrechnung: Streitfragen und Erfahrungen oder Business as usual, ZRI 2022, 210; Schäfer, Zur Einbeziehung der Gesellschafter in ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren nach dem Regierungsentwurf eines „StaRUG“, ZIP 2020, 2164; Skauradszun, Die Vergleichsrechnung nach § 220 Abs. 2 InsO n. F., ZIP 2021, 1091; Skauradszun, Grundfragen zum StaRUG – Ziele, Rechtsnatur, Rechtfertigung, Schutzinstrumente, KTS 2021, 1; Skauradszun, Ein Umsetzungskonzept für den präventiven Restrukturierungsrahmen, KTS 2019, 161; Spahlinger, NZI-Beilage 2021,32; Tresselt/Glöckler, Gesellschafterrechte und Geschäftsführerpflichten. Kollision von Restrukturierungs- und Gesellschaftsrecht im präventiven Restrukturierungsrahmen, Teil 1, NWB-Sanieren 3/2021, 80; Westpfahl, Wesentliche Elemente eines vorinsolvenzlichen Sanierungsregimes für Deutschland; ZRI 2020, 157; Westpfahl, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, ZGR 2010, 385.

I. Regelungsgegenstand 1 In § 26 StaRUG sind in Verbindung mit den §§ 27 und 28 StaRUG die Voraussetzungen gere-

gelt, unter denen die Zustimmung einer oder mehrerer Gruppen als erteilt gilt, obwohl die nach § 25 StaRUG erforderliche Mehrheit nicht erreicht wurde. In diesen Vorschriften wird Art. 11 Restrukturierungs-RL umgesetzt, der die gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung zum Gegenstand hat, dort als klassenübergreifender Cram-down (im Folgenden „grup420 | Westpfahl

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung | Rz. 5 § 26

penübergreifender Mehrheitsentscheid“) bezeichnet. Damit wird die Annahme eines Restrukturierungsplans auch gegen das Votum einer Gruppe ermöglicht. Der bestätigte Restrukturierungsplan bindet somit nicht nur die Planbetroffenen, die innerhalb einer mit der nach § 25 StaRUG erforderlichen Mehrheit zustimmenden Gruppe überstimmt wurden, sondern auch die Mitglieder einer überstimmten Gruppe. Die Zulassung einer gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung ist Ausprägung des sog. Obstruktionsverbots und die §§ 26–28 StaRUG sind weitgehend der insolvenzplanrechtlichen Vorschrift § 245 InsO nachgebildet.1 Während in § 26 StaRUG die Grundvoraussetzungen einer gruppenübergreifenden Mehr- 2 heitsentscheidung geregelt sind, wird die in § 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG normierte Notwendigkeit einer angemessenen Beteiligung am Planwert in § 27 StaRUG konkretisiert sowie in § 28 StaRUG eine Ausnahme vom Erfordernis der strikten Gleichbehandlung gleichrangiger Planbetroffener gewährt und werden darüber hinaus sehr enge Durchbrechungen der absoluten Vorrangregel des § 27 Abs. 2 StaRUG erlaubt.2 Die gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung ist nur dann zulässig, wenn die in § 26 Abs. 1 Nr. 1–3 StaRUG genannten Voraussetzungen (Schlechterstellungsverbot, angemessene Beteiligung am Planwert und ausreichende Zustimmung anderer Gruppen) kumulativ vorliegen.

II. Normzweck Zusammen mit § 25 StaRUG stellen die §§ 26–28 StaRUG zentrale Vorschriften des Restruk- 3 turierungsplanrechts dar. Ausgangspunkt ist der Schutz von Gläubigern dahingehend, dass sie ohne Inanspruchnahme eines gesetzlichen Majorisierungsinstruments nicht gezwungen werden können, sich einer Mehrheitsentscheidung zu fügen.3 Derartige – ausnahmsweise zur Verfügung stehende – Instrumente finden sich im Insolvenzrecht (§§ 244 und 245 InsO) sowie im Schuldverschreibungsrecht (§ 5 SchVG) und eben im StaRUG.

Indem die §§ 26–28 StaRUG sowie § 25 StaRUG die Durchsetzung eines Restrukturierungsplans 4 auch gegen die Stimmen dissentierender Gläubiger ermöglichen, bewirken sie eine Einschränkung von deren Rechten bis hin zum Verzicht auf Rechte. Eine derartige Einschränkung der dissentierenden Gläubiger kann aber nur dann zulässig sein, wenn ein angemessener Ausgleich zwischen Mehrheitsentscheidung, Minderheitenschutz und Verbot eines missbräuchlichen Abstimmungsverhaltens geschaffen wird.4 Dies gilt ungeachtet der Motivation des oder der dissentierenden Gläubiger. Sie dürfen selbst dann nicht unangemessen benachteiligt werden, wenn sie gar keine inhaltlichen Einwände gegen den Restrukturierungsplan haben, sondern es ihnen lediglich darum geht, sich ihre Zustimmung zum Restrukturierungsplan abkaufen zu lassen. Während der Schutz eines in seiner Gruppe überstimmten Planbetroffenen durch den in § 64 5 StaRUG normierten Minderheitenschutz bewirkt wird, geht es in den §§ 26–28 StaRUG um den Schutz der Planbetroffenen in einer im Wege des gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids überstimmten Gruppe. Dabei ergibt sich der entsprechende Schutzstandard aus Art. 11 Restrukturierungs-RL. Letztlich ermöglichen sie die Unternehmenssanierung durch einen Restrukturierungsplan, der unter objektiven Gesichtspunkten alle Planbetroffenen gleichwertig oder besser stellt als es im nächstbesten Alternativszenario der Fall wäre.5 1 Gehrlein, BB 2021, 66, 70; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.71.2022); Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 1. 2 BT-Drucks. 19/24181, S. 129 f. 3 BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 = ZIP 1992, 191; s. hierzu auch Westpfahl, ZGR 2010, 385, 395 ff. m.w.N. 4 Herzig in Braun, § 26 StaRUG Rz. 1; Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 22; Spliedt in K. Schmidt, § 245 InsO Rz. 1. 5 Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 1.

Westpfahl | 421

§ 26 Rz. 6 | Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung

III. Normhistorie 1. Europäische Restrukturierungs-Richtlinie 6 Die Vorschriften über den gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid im StaRUG beruhen

auf der Vorgabe in Art. 11 Abs. 1 Restrukturierungs-RL. Nach dieser Vorschrift soll ein Restrukturierungsplan, dem nicht jede Gruppe mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt hat, dennoch von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde bestätigt und für ablehnende Gruppen verbindlich werden, wenn zumindest die in Art. 11 Abs. 1 Restrukturierungs-RL genannten Voraussetzungen erfüllt sind.6

7 Da sich der Richtliniengeber vor allem auch am englischen Scheme of Arrangement orientiert

hatte, war es keinesfalls selbstverständlich, dass auch die Restrukturierungs-Richtlinie einen gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid zulassen würde. Denn das englische Scheme of Arrangement sieht zwar Mehrheitsentscheidungen innerhalb von Gläubigergruppen vor, nicht aber gruppenübergreifend (vgl. Ausl. Sanierungsverfahren Kap. GB Rz. 1 ff., 52), und der englische Restructuring Plan ist erst nach Verabschiedung der finalen Fassung der Restrukturierungs-Richtlinie in Kraft getreten (vgl. Ausl. Sanierungsverfahren Kap. GB Rz. 102 ff., 167 ff.). Allerdings hat der Richtliniengeber auch in erheblichen Umfang Anleihen beim US-amerikanischen Chapter 11-Verfahren gemacht und dort ist schon seit langem ein gruppenübergreifender Mehrheitsentscheid mit Zustimmungsfiktion der überstimmten Gruppen geregelt (11 U.S.C § 1129 (b) (1)). Auch das deutsche Insolvenzplanrecht kennt bekanntermaßen eine gruppenübergreifende Zustimmungsersetzung in Form des Obstruktionsverbots (§ 245 InsO). Unter diesem Einfluss hat sich der Richtliniengeber frühzeitig gegen den Widerstand von einigen Interessenverbänden und der Literatur7 für die Möglichkeit eines gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids entschlossen. In der nachfolgenden Diskussion bis zur Verabschiedung der finalen Fassung der Restrukturierungs-Richtlinie stand dann die Ausformung des Schutzes dissentierender Parteien im Vordergrund. Dabei ging es vor allem um drei Aspekte: Welcher Vergleichsmaßstab soll für das Schlechterstellungsverbot (sog. Best Interest of Creditors-Test) gelten? Wann soll eine Beteiligung der Planbetroffenen am wirtschaftlichen Wert angemessen sein? Welche Mehrheitsvoraussetzungen sollen gelten, d.h. wie viele Gruppen sollen für den Plan gestimmt haben müssen?

8 Da das Schlechterstellungsverbot nicht nur für den gruppenübergreifenden Mehrheitsent-

scheid gelten sollte, ist es in der Restrukturierungs-Richtlinie nicht in Art. 11 Restrukturierungs-RL, sondern in Art. 10 als Voraussetzung für die Bestätigung von Restrukturierungsplänen geregelt (Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d Restrukturierungs-RL). Dort ist die Rede vom sog. „Kriterium des Gläubigerinteresses“, welches wiederum in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 Restrukturierungs-RL legaldefiniert ist. Danach soll es nur dann erfüllt sein, wenn kein ablehnender Gläubiger durch einen Restrukturierungsplan schlechter gestellt würde als bei Anwendung der normalen Rangfolge der Liquidationsprioritäten nach nationalem Recht. In der Diskussion bis zur Verabschiedung der finalen Fassung der Restrukturierungs-Richtlinie ging es insoweit vor allem um die Frage, ob für den Vergleichsmaßstab lediglich ein bzw. das Liquidationsszenario maßgeblich sein solle oder andere, nicht zwingend auf eine Liquidation gerichtete Szenarien. Letztlich entschied sich der Richtliniengeber für folgende Bandbreite: „sei es im Falle der Liquidation, unabhängig davon, ob diese stückweise oder in der Form eines Ver-

6 Siehe dazu auch die ErwGr. 53–58 Restrukturierungs-RL. 7 Vgl. nur Stellungnahme des BAKinso zum Entwurf der Restrukturierungs-Richtlinie 2019, ZInsO 2017, 690, 691; Stellungnahme des BDI zum Vorschlag der Europäischen Kommission COM (2016) 723 final für eine Richtlinie zu Unternehmensinsolvenzen v. 15.3.2017, S. 10; Stellungnahme der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) zum Vorschlag der Europäischen Kommission zu präventiven Restrukturierungsverfahren v. 6.7.2017, S. 4, S. 16 f.

422 | Westpfahl

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung | Rz. 12 § 26

kaufs als fortgeführtes Unternehmen erfolgt, oder im Falle des nächstbesten Alternativszenarios“ (s. dazu sogleich Rz. 22 ff.).8 Hinsichtlich der angemessenen Beteiligung der Planbetroffenen am wirtschaftlichen Wert 9 ging es in der Diskussion bis zur Verabschiedung der finalen Fassung der RestrukturierungsRichtlinie vor allem um die Frage, ob die sog. Regel des absoluten Vorrangs oder die des relativen Vorrangs gelten solle (s. dazu ausführlich bei § 27 StaRUG Rz. 3 ff., 25 ff.). Auch die Frage, welche bzw. ob überhaupt eine Mehrheit von Gruppen für den Restrukturie- 10 rungsplan gestimmt haben muss, wurde bis zur Verabschiedung der finalen Fassung der Restrukturierungs-Richtlinie intensiv diskutiert. Die Diskussion bewegte sich zwischen zwei Polen: Den einen bildete die etwa im deutschen Insolvenzplanrecht geltende Regelung, wonach für die Überwindung einer obstruierenden Gläubigermindermehrheit die Zustimmung von zumindest der Mehrheit der abstimmenden Gruppen erforderlich ist (§ 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO); den anderen die diesbezügliche Vorgabe im US-amerikanischen Chapter 11-Verfahren, wonach bereits die Zustimmung einer Gruppe ausreichend ist, sofern sie nicht aus Anteilsinhabern oder Gläubigern besteht, die in einem Fortführungsszenario keine Zahlung erhalten würden. Der Richtliniengeber hat sich schließlich für eine Kombination beider Ansätze entscheiden und dem nationalen Gesetzgeber die Wahl zwischen zwei Optionen gelassen: Möglich ist zum einen die Festlegung einer Mehrheit der Abstimmungsgruppen, sofern mindestens eine dieser Gruppen aus gesicherten Gläubigern besteht oder aus solchen, die gegenüber der Gruppe der „gewöhnlichen ungesicherten Gläubiger“ vorrangig sind (Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b Unterbuchst. i Restrukturierungs-RL). Zum anderen kann der nationale Gesetzgeber die Zustimmung nur einer Gruppe betroffener oder beeinträchtigter Parteien ausreichend sein lassen, wobei diese Gruppe nicht aus Anteilsinhabern, aus Gläubigern, die bei Bewertung des Unternehmens unter Fortführungsgesichtspunkten keine Zahlung oder Beteiligung erhalten würden, oder aus Gläubigern, die unter Anwendung der im Liquidationsverfahren nach nationalem Recht bestehenden Rangfolge voraussichtlich keine Zahlung oder Beteiligung erhalten würden, bestehen darf (Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b Unterbuchst. ii Restrukturierungs-RL). In dieser Frage hat der Richtliniengeber den Mitgliedsstaaten also – ebenso wie für die Frage der angemessenen Beteiligung am wirtschaftlichen Wert – bewusst Spielraum für die konkrete Umsetzung gelassen.

2. StaRUG Während im Referentenentwurf9 für das StaRUG der gesamte Regelungskomplex für den 11 gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid noch in einer Vorschrift enthalten war, kam es im Regierungsentwurf10 zu einer Verteilung auf drei Vorschriften, wobei in § 26 StaRUG nunmehr die Grundvoraussetzungen geregelt sind. Hinsichtlich des Vergleichsmaßstabs für das Schlechterstellungsverbot hat sich der Gesetz- 12 geber dafür entscheiden, auf das nächstbeste Alternativszenario abzustellen. Dabei soll es sich um die Situation handeln, in der sich die Planbetroffenen im Falle des Scheiterns des Restrukturierungsplans wiederfinden würden, wobei eine Liquidation nur dann als nächstbestes Szenario unterstellt werden kann, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist (ausführlicher dazu sogleich unter Rz. 22 ff.).11

8 9 10 11

Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch ErwGr. 49 zu berücksichtigen. RefE des BMJV v. 19.9.2019. BT-Drucks. 19/24181, S. 22 f. BT-Drucks. 19/24181, S. 128 f.

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§ 26 Rz. 13 | Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung 13 Demgegenüber wurde die Frage, wie viele Gruppen für den Plan gestimmt haben müssten, im

deutschen Gesetzgebungsverfahren kontrovers diskutiert.12 Letztlich hat sich der Gesetzgeber – in Anlehnung an § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO – für die Notwendigkeit einer Mehrheit der abstimmenden Gruppen entschieden. Sofern lediglich zwei Gruppen gebildet worden sind, soll die Zustimmung einer Gruppe genügen. In beiden Fällen gilt, das die zustimmenden Gruppen nicht ausschließlich durch Anteilsinhaber oder nachrangige Restrukturierungsgläubiger gebildet sein dürfen (§ 26 Abs. 1 Nr. 3 letzter Halbsatz StaRUG).

IV. Rechtsvergleich 14 Der europäische Gesetzgeber hat bei der Entstehung der Restrukturierungs-Richtlinie bekannt-

lich Anleihen vor allem beim US-amerikanischen und beim englischen Restrukturierungsrecht gemacht. Während das englische Recht im Zeitpunkt der Entstehung der RestrukturierungsRichtlinie noch keinen gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid kannte, gilt er im US-amerikanischen Chapter 11-Verfahren bereits seit längerer Zeit. Dort ist er heute in 11 U.S.C. § 1129 (b) (1) verankert. Danach ist ein gruppenübergreifender Mehrheitsentscheid nur dann zulässig, wenn der Plan die dissentierende Gruppe nicht unangemessen diskriminiert (not discriminate unfairly) und, sofern die Rechte der betroffenen Gruppe durch den Plan beeinträchtigt werden, fair und gerecht ist (fair and equitable). Dafür wiederum darf nicht gegen das dortige Schlechterstellungsverbot (Best Interest of Creditors-Test) verstoßen werden und muss die ablehnende Gruppe den vollen Wert ihres Anspruches erhalten, bevor etwaige nachrangige Gläubiger oder Anteilseigner unter dem Plan etwas er- bzw. behalten, mithin die absolute Prioritätsregel eingehalten sein. Außerdem muss mindestens eine Gruppe dem Plan zugestimmt haben, wobei sie weder aus Anteilsinhabern noch aus Gläubigern bestehen darf, die bei Bewertung des Unternehmens unter Fortführungsgesichtspunkten keine Zahlung oder Beteiligung erhalten würden.

15 Demgegenüber ist nach dem englischen Scheme of Arrangement ein gruppenübergreifender

Mehrheitsentscheid nicht zulässig. Vielmehr müssen alle Gruppen dem Plan mehrheitlich zugestimmt haben (vgl. Ausl. Sanierungsverfahren Kap. GB Rz. 1 ff., 51). Dies war auch einer der Gründe dafür, warum der englische Gesetzgeber im Jahre 2020 ein neues Verfahren, den sog. Restructuring Plan, eingeführt hat (vgl. Ausl. Sanierungsverfahren Kap. GB Rz. 102 ff., 167 ff.). Dieser sieht nun erstmals einen gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid vor. Ebenso wie im US-amerikanischen Chapter 11-Recht gilt als Voraussetzung, dass die Mitglieder der ablehnenden Gruppe durch den Plan nicht schlechter gestellt werden, als sie im relevanten Alternativszenario stünden. Außerdem muss mindestens eine Gruppe, die im relevanten Alternativszenario eine Zahlung erhalten würde oder ein tatsächliches wirtschaftliches Interesse (genuine economic interest) an der Gesellschaft hat, mit einer Summenmehrheit von 75 % für den Plan gestimmt haben. Demgegenüber wird keine Aussage dazu getroffen, ob die absolute oder die relative Vorrangregel gelten soll (vgl. § 27 Rz. 3 ff., 25 ff.).

16 Auch das neue niederländische Restrukturierungsgesetz (Wet Homologatie Onderhands Akko-

ord/WHOA) sieht einen gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid vor (vgl. Ausl. Sanierungsverfahren Kap. NL Rz. 2, 111 ff. Anhang zum niederländischen Recht). Voraussetzung ist zunächst entsprechend den Vorgaben der Restrukturierungs-Richtlinie die Einhaltung eines Schlechterstellungsverbots. Außerdem muss mindestens eine Gruppe dem Plan zugestimmt haben, die in einem Liquidationsszenario einen Wert erhalten (bzw. behalten) würde. Schließlich gilt im Grundsatz die absolute Prioritätsregel, die jedoch – ähnlich dem deutschen Recht – durchbrochen werden kann, sofern dies im Einzelfall sachgerecht ist. 12 Für einen restriktiveren Ansatz hinsichtlich des Mehrheitserfordernisses etwa noch Heese, JZ 2018, 179, 187; Korch, ZHR 182 (2018), 440, 480; Müller, ZIP 2020, 2253, 2256; s. zur Diskussion über die angemessene Beteiligung am wirtschaftlichen Wert § 27 StaRUG.

424 | Westpfahl

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung | Rz. 20 § 26

V. Voraussetzungen für die Zustimmungsfiktion (§ 26 Abs. 1 StaRUG) In § 26 Abs. 1 StaRUG sind entsprechend der Parallelvorschrift im Insolvenzplanrecht (§ 245 17 InsO) drei Voraussetzungen für die Zustimmungsfiktion im Wege eines gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids normiert: das Schlechterstellungsverbot (§ 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG), die angemessene Beteiligung am Planwert (§ 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) sowie die erforderliche Mehrheit der abstimmenden Gruppen (§ 26 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG). Aus der Verknüpfung der drei Voraussetzungen durch ein „und“ ergibt sich, dass diese drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen.13

1. Schlechterstellungsverbot (§ 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) Gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG ist als erste Voraussetzung für die Zustimmungsfiktion das 18 sog. Schlechterstellungsverbot zu beachten. Danach dürfen Mitglieder einer überstimmten Gruppe durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne einen Restrukturierungsplan stünden. § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG entspricht damit § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO. a) Funktion und Systematik des Schlechterstellungsverbots Die Einhaltung des Schlechterstellungsverbots ist die vermutlich wichtigste Voraussetzung, 19 um Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen durch den Restrukturierungsplan zu legitimieren.14 Dementsprechend gilt es nicht nur für den gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid, sondern auch im Rahmen des Minderheitenschutzes gem. § 64 StaRUG. Das bedeutet, dass jeder einzelne Planbetroffene einen Verstoß gegen das Schlechterstellungsverbot geltend machen kann, und zwar unabhängig davon, ob die Gruppe dieses Planbetroffenen dem Plan mehrheitlich zugestimmt hat oder nicht. Während aber ein Verstoß gegen das Schlechterstellungsverbot im Rahmen des Minderheitenschutzes von dem Planbetroffenen beantragt und glaubhaft gemacht werden muss, gilt dies nicht für das Schlechterstellungsverbot im Rahmen von § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG. Kommt es zu einem gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid, ist die Einhaltung des Schlechterstellungsverbotes unabhängig von einer Geltendmachung durch einen Planbetroffenen von Amts wegen zu prüfen.15 Da das Schlechterstellungsverbot die Funktion hat, Eingriffe in Rechte der Planbetroffenen gegen ihren Willen zu legitimieren, erstreckt sich die Prüfung jedoch nur auf die Gruppe, deren Zustimmung fingiert wird.16 Ebenso hat das Restrukturierungsgericht im Rahmen des Minderheitenschutzes nach § 64 StaRUG nur die Einhaltung des Schlechterstellungsverbotes gegenüber dem Antrag stellenden Planbetroffenen zu prüfen. Indem in § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG von „Mitgliedern“ dieser Gruppe und nicht (nur) von 20 Gläubigern die Rede ist, gilt das Schlechterstellungsverbot auch für die Gruppe der Anteilsinhaber. Damit geht der deutsche Gesetzgeber über die Restrukturierungs-Richtlinie hinaus, wo in der Definition des Kriteriums des Gläubigerinteresses (Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 Restrukturie13 Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 24; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5.Ed. 17.7.2022). Ebenso die herrschende Meinung zu § 245 Abs. 1 InsO: vgl. nur OLG Köln v. 5.1.2001 – 2 W 228/00, NZI 2001, 660; LG Göttingen v. 7.9.2004 – 10 T 78/04, ZInsO 2004, 1318, 1320; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 245 InsO Rz. 4; kritisch allerdings Hölzle in Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 30 Rz. 45 ff. 14 Ausführlich Skauradszun, KTS 2021, 1, 52 ff. 15 Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 8; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 1, 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 16 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Westpfahl | 425

§ 26 Rz. 20 | Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung rungs-RL) eben nur von Gläubigern die Rede ist, so dass sich Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a (i.V.m. Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d) Restrukturierungs-RL nicht auf die Anteilsinhaber erstreckt. Wenn aber die Anteilsinhaber in den Restrukturierungsplan einbezogen und durch ihn in ihre Rechte eingegriffen werden kann, ist es nur konsequent, auch sie in den Schutzbereich des Schlechterstellungsverbotes einzubeziehen.17 Allerdings dürfte hinsichtlich der Anteilseigner nur selten ein Verstoß gegen das Schlechterstellungsverbot in Betracht kommen. Zwar ist es richtig, dass die Anteile bei Vorliegen (nur) einer drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht pauschal wertlos sein müssen.18 Gläubiger werden aber im Zweifel nur dann bereit sein, wirtschaftliche Zugeständnisse zu machen, wenn ihre Forderungen nicht mehr voll werthaltig sind, was aber zugleich bedeutet, dass die Anteile „aus dem Geld“ sind, mithin wirtschaftlich wertlos.19 21 Wegen ihrer weitgehenden Übereinstimmung kann bei der Auslegung und Ausfüllung von

§ 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG auch auf Rechtsprechung und Literatur zu § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO zurückgegriffen werden. Dies gilt aber gerade nicht für die Bestimmung des Alternativszenarios, da im Rahmen von § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf das Ergebnis bei Durchführung der Regelabwicklung abgestellt wird.20 b) Vergleichsbetrachtung aa) Allgemeines

22 Für die Frage, ob das Schlechterstellungsverbot eingehalten ist, kommt es entscheidend darauf

an, welches Vergleichs- und damit Alternativszenario maßgeblich sein soll. Das wirft eine Vielzahl von Fragen auf:

23 Zunächst soll es nach dem Willen des Gesetzgebers für die Vergleichsbetrachtung auf das sog.

nächstbeste Alternativszenario ankommen.21 Der Begriff des nächstbesten Alternativszenarios geht auf Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 Restrukturierungs-RL zurück, wo das Schlechterstellungsverbot, dort bezeichnet als „Kriterium des Gläubigerinteresses“, definiert wird. Zwar ist in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 Restrukturierungs-RL alternativ von „im Falle der Liquidation, unabhängig davon, ob diese stückweise oder in Form eines Verkaufs als fortgeführtes Unternehmen erfolgt“ oder „im Falle des nächstbesten Alternativszenarios“ die Rede. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch ErwGr. (49) Restrukturierungs-RL zu berücksichtigen, der wohl so zu verstehen ist, dass es für den Fall eines gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids grundsätzlich auf das nächstbeste Alternativszenario ankommen soll.22 Dem folgt der deutsche Gesetzgeber.23

24 Die Beurteilung der Frage, welches konkret das nächstbeste Alternativszenario ist, kann sehr

schwierig sein. Die Beurteilung wird noch dadurch erschwert, dass unterschiedliche Szenarien für die jeweilige Gruppe vorteilhafter bzw. ungünstiger sein können. Es ist deshalb auch nicht zutreffend, dass es denklogisch nur ein nächstbestes Alternativszenario geben kann.24 17 Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Kowalewski/ Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 26; Skauradszun, KTS 2019, 161, 187 f. 18 So etwa Proske/Streit, NZI 2020, 969 und Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2166 f. 19 Siehe dazu bereits Westpfahl, ZRI 2020, 157, 160 m.w.N. 20 Vgl. nur Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 245 InsO Rz. 7 und Spliedt in K. Schmidt, § 245 InsO Rz. 7 m.w.N. Allerdings heißt dies nach jüngerer Rechtsprechung des BGH nicht automatisch, dass der Zerschlagungswert zugrunde zu legen ist, BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14 Rz. 30, NZI 2015, 697, 700 = ZIP 2015, 1346; s. dazu auch LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, ZInsO 2018, 614, 615. 21 BT-Drucks. 19/24181, S. 128 f. 22 Ebenso Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 10. 23 BT-Drucks. 19/24181, S. 128 f. 24 So aber Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 33.

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Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung | Rz. 26 § 26

Gleichwohl folgt aus der Formulierung des Gesetzgebers („das nächstbeste“), dass sich der Planarchitekt entscheiden muss, welches Alternativszenario er für das nächstbeste hält und dann auch nur dieses für die Vergleichsrechnung unterstellt.25 Hierfür sprechen nicht zuletzt auch Praktikabilitätsgründe. Dies korrespondiert im Übrigen auch mit der Rechtslage zum Insolvenzplanrecht.26 Allerdings dürfte es in der vorinsolvenzlichen Restrukturierungssituation im Zweifel mehr denkbare Alternativszenarien geben als in der Insolvenz, wo i.d.R. lediglich noch eine übertragende Sanierung oder eine Zerschlagung denkbar sind. Sowohl im Restrukturierungsplan als auch im Insolvenzplan ist aber zu begründen, warum das für die Vergleichsbetrachtung ausgewählte Szenario das nächstbeste sein soll. Dabei gilt, dass, je schwieriger die Entscheidung ist, desto ausführlicher die Begründung ausfallen sollte. Ein denkbarer Einwand von Planbetroffenen wäre, dass es auch einen anderen Planinhalt ge- 25 ben könne, der für sie vorteilhafter wäre. Dem stünde jedoch der eindeutige Wortlaut von § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG entgegen, nach dem es für die Vergleichsbetrachtung auf ein Szenario „ohne einen Plan“ ankommen soll.27 Die Berücksichtigung alternativer Restrukturierungspläne würde den Planarchitekten und das Restrukturierungsgericht vor eine Reihe zusätzlicher Herausforderungen und Unsicherheiten stellen. Abgesehen davon, dass unterschiedliche Gruppen verschiedene Sichtweisen haben könnten, müsste prognostiziert werden, ob der Alternativplan die notwendige Zustimmung erhalten würde. Aber selbst wenn es einen Alternativplan gäbe, der alle Planbetroffenen besserstellen würde, käme es hierauf nicht an. Konsequenterweise müsste es dann nämlich zur Ablehnung des vorgeschlagenen Restrukturierungsplans kommen. Die Planbetroffenen haben auf Grund des Schlechterstellungsverbotes keinen Anspruch auf einen möglichen „besseren“ Restrukturierungsplan.28 Für den Insolvenzplan gilt übrigens nichts anderes, da § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO identisch formuliert („ohne einen Plan“).29 Soweit demgegenüber der Wortlaut in § 64 Abs. 1 Satz 1 StaRUG eine abweichende Formulierung enthält („ohne den Plan“), sollte jedoch auch dort nichts anderes gelten.30 In § 6 Abs. 2 StaRUG wird für die Vergleichsrechnung bestimmt, dass sie für die Ermittlung 26 der Befriedigungsaussichten ohne Restrukturierungsplan zu unterstellen habe, dass das Unternehmen fortgeführt wird (§ 6 Abs. 2 Satz 2 StaRUG), es sei denn, ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung sind aussichtslos (§ 6 Abs. 2 Satz 3 StaRUG). Dem liegt wohl die grundsätzlich nachvollziehbare Annahme zugrunde, dass der Wert des fortgeführten Unternehmens in der Regel höher sein dürfte als der Liquidationswert.31 Allerdings kann ein Liquidationsszenario – ausnahmsweise – für die Planbetroffenen vorteilhafter sein als ein Fortführungsszenario. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Summe der Teile einen größeren Wert hat als das Unternehmen insgesamt oder die Fortführung erst zu einem sehr späten Zeitpunkt eine Befriedigung der Planbetroffenen verspricht. Für diesen Fall sollte § 6 Abs. 2 StaRUG dahingehend ausgelegt werden, dass trotz im Restrukturierungsplan vorgese25 Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 11; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 19 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Tresselt/Glöckler, NWB-Sanieren 3/2021, 80, 84. 26 LG Stade v. 20.12.2017 – 7 T 151/17, BeckRS 2017, 152563 Rz. 12 = NZI 2019, 31; Geiwitz/von Danckelmann in BeckOK/InsR, § 245 InsO Rz. 4 (Stand: 27. Ed. 15.10.2021). 27 Ebenso AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21 = NZI 2021, 433 Nr. 8 Rz. 32 = ZIP 2021, 806 Nr. 8; Böhm in Braun, § 6 StaRUG Rz. 20; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 14 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 28; Tasma in Flöther, § 6 StaRUG Rz. 18. 28 Böhm in Braun, § 6 StaRUG Rz. 20; Spahlinger, NZI-Beilage 2021, 32, 33; Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 28. 29 Brünkmans in Brünkmans/Thole, Hb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 90; Haas in Kayser/Thole, § 245 InsO Rz. 8; J. Schmidt in Kübler, HRI, § 34 Rz. 89. 30 Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); a.A. demgegenüber Langer/Wolf in Morgen, § 64 StaRUG Rz. 44; Ringelspacher/Fehl-Weileder, ZRI 2022, 210, 213. 31 Ebenso ErwGr. 49 Satz 4 Restrukturierungs-RL.

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§ 26 Rz. 26 | Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung hener Fortführung des Unternehmens für die Vergleichsrechnung ausnahmsweise keine Fortführung zu unterstellen ist, wenn das Liquidationsszenario für die Planbetroffenen vorteilhaft ist.32 bb) Alternativszenarien 27 Das nächstbeste Alternativszenario kann entweder in einer Fortführung des Unternehmens

bestehen oder in seiner Zerschlagung. Denkbar ist auch eine Kombination von beidem, d.h. der Fortführung eines Teilbetriebs bei gleichzeitiger Abwicklung des restlichen Unternehmens. Im Zweifel dürfte ein solches Szenario jedoch eher in die Kategorie Fortführung fallen. (1) Fortführungsszenario

28 Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 StaRUG ist für die Ermittlung der Befriedigungsaussichten ohne Re-

strukturierungsplan eine Fortführung des Unternehmens zu unterstellen, wenn auch der vorgeschlagene Restrukturierungsplan eine Fortführung vorsieht. Die in der Praxis wahrscheinlichste Alternative zur Fortführung auf Basis bzw. nach Rechtswirksamkeit eines Restrukturierungsplans dürfte in dem Verkauf des Unternehmens bestehen. Er kann entweder außerhalb oder innerhalb eines Insolvenzverfahrens erfolgen. Da Restrukturierungen üblicherweise erst sehr spät stattfinden (was sich auch nach Einführung des StaRUG nicht grundlegend ändern wird), wird der Verkauf in der Insolvenz nicht selten schon deshalb das nächstbeste Alternativszenario sein, weil es nicht überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Insolvenz ohne den Restrukturierungsplan überhaupt noch vermieden werden kann. Je weiter die Krise vorangeschritten ist und je näher sich der Schuldner am Eintritt eines verpflichtenden Insolvenzantragsgrundes befindet, desto höher ist das Risiko, dass ein Verkauf in der Insolvenz das nächstbeste Alternativszenario darstellt. Gegebenenfalls kann es aber auch deshalb das nächstbeste Alternativszenario sein, weil ein Verkauf aus der Insolvenz aus Käufersicht erhebliche Vorteile bietet. Potentielle Bieter werden vor allem deshalb den Kauf außerhalb einer Insolvenz scheuen bzw. aus der Insolvenz bevorzugen, weil sie dann keinen Anfechtungsrisiken mehr für den Fall der späteren Insolvenz des Verkäufers ausgesetzt sind. Auch können in der Insolvenz „Altlasten“ wie nachteilige Verträge oder verlustbringende Unternehmensteile abgeschnitten werden. Auch die Umsetzung eines Arbeitsplatzabbaus ist in der Insolvenz üblicherweise leichter. Gleichzeitig gehen Pensionsverbindlichkeiten auf den Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) über.

29 In der Insolvenz kann der Verkauf entweder im Wege einer übertragenden Sanierung, d.h.

als sog. Asset Deal, oder durch einen Insolvenzplan, der den Verkauf des Schuldners vorsieht, erfolgen. Zwar wird die übertragende Sanierung üblicherweise das weniger komplexe und daher bessere Szenario darstellen. Allerdings gibt es auch Konstellationen, in denen die Fortführung des Unternehmens nur dadurch gewährleistet wird, dass das Unternehmen nicht von seinem Rechtsträger getrennt wird. Typischerweise geht es hier um Rechte wie Genehmigungen, Lizenzen oder Konzessionen, die ansonsten verloren gehen würden. Ebenso kann im Falle eines Asset Deals die Gefahr bestehen, dass der Vertragspartner dem Übergang von Verträgen nicht zustimmt. Das kann schon bei einem oder wenigen bedeutsamen Verträgen relevant sein. Erst recht gilt dies, wenn der Wert des Unternehmens in einer Vielzahl von Verträgen mit Dritten verkörpert ist, deren Zustimmung eingeholt werden müsste. In diesen Fällen wäre ein Verkauf, der durch einen Insolvenzplan bewirkt wird, das bessere und damit im Zweifel nächstbeste Alternativszenario. Zuweilen stehen dem Verkauf einer durch Insolvenz-

32 Friel/Ellers in Hambkomm/RestruktR, § 6 StaRUG Rz. 32; Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 13; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Münzel in Wolgast/ Grauer, § 26 StaRUG Rz. 7; wohl ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 44.

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Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung | Rz. 32 § 26

plan sanierten Gesellschaft aus Sicht des Käufers jedoch potentiell unerkannte Risiken entgegen. In diesem Fall bleibt nur die Abspaltung der Verträge auf einen neuen Rechtsträger gem. § 123 Abs. 2 UmwG nebst Übertragung sonstiger Assets.33 Schließlich kann auch die Fortführung des Unternehmens im Wege oder nach Wirksamkeit 30 eines Insolvenzplans – ohne dessen Verkauf – das nächstbeste Alternativszenario darstellen. Das wird im Zweifel ein Insolvenzplan sein, über den der Schuldner operativ und finanziell saniert und die (oder bestimmte) Gläubiger ihn im Wege eines Debt-Equity-Swaps übernehmen. (2) Liquidationsszenario Selten wird ein Liquidationsszenario die nächstbeste Alternative darstellen. Ausnahmsweise 31 kann dies aber dann der Fall sein, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist (s. dazu § 6 Abs. 2 Satz 3 StaRUG).34 In diesem Fall müsste in dem Restrukturierungsplan dargelegt werden, warum ein Verkauf des Unternehmens nicht durchführbar ist und warum das Unternehmen (selbst bei Nutzung der Instrumente der InsO) nicht aus eigener Kraft wieder ertragsfähig werden kann.35 Ebenso kann ausnahmsweise die Summe der Einzelteile des Unternehmens einen höheren Wert verkörpern als das fortgeführte Unternehmen im Ganzen.36 In diesem Fall müsste der Schuldner jedoch noch ausreichend Zeit für eine geordnete und solvente Liquidation haben, es sei denn, die Annahme der Höherwertigkeit der Einzelteile des Unternehmens beansprucht auch für den Fall der Liquidation in der Insolvenz Geltung. cc) Ermittlung und Nachweis des nächstbesten Alternativszenarios Ermittlung und Nachweis des nächstbesten Alternativszenarios sind im Rahmen eines Re- 32 strukturierungsplans im Zweifel erheblich schwerer als beim Insolvenzplan. In der Insolvenz kommen als Alternativen zum Plan i.d.R. nur eine übertragende Sanierung oder die Zerschlagung in Betracht. Vorinsolvenzlich ist die Bandbreite der in Betracht kommenden möglichen Alternativszenerien größer (s. dazu soeben unter Rz. 28 ff.). Darum kann es für den Planarchitekten eine besondere Herausforderung darstellen, aus den möglicherweise mehreren Alternativszenarien das nächstbeste herauszufiltern. Es sollten daher keine überspannten Anforderungen an die Ermittlung und den Nachweis dieses Szenarios gestellt werden.37 Gleichzeitig eröffnet sich dem Planarchitekten an dieser Stelle auch ein nicht unerheblicher Beurteilungspielraum38, der – bei entsprechender Absicht – für Manipulationszwecke genutzt werden kann. Im Restrukturierungsplan muss daher ausführlich und in nachvollziehbarer Weise dargelegt werden, warum es sich um das nächstbeste Szenario handelt:

33 Siehe zur Abspaltung (sowie sonstigen Umwandlungsmaßnahmen) im Rahmen eines Insolvenzplans nur Madaus in Kübler, HRI, § 33 Rz. 1 ff., 91 ff. m.w.N. Dort wird auch richtigerweise die Auffassung vertreten, dass die in § 133 Abs. 1 UmwG geregelte Nachhaftung in der Insolvenz teleologisch zu reduzieren ist. 34 Siehe dazu auch AG Hamburg v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZRI 2021, 473 = ZIP 2021, 1354. 35 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 45 mit Verweis auf Distler, ZIP 2021, 1033, 1038, der von einem anderen Maßstab, nämlich der Fälligkeit der Forderungen ausgeht. 36 So auch Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 13; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); wohl ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 44. 37 Ähnlich Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 37. 38 Bspw. AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 28 ff. = ZIP 2021, 806 „Eine Überprüfung [der Vergleichsrechnung] über eine Schlüssigkeit hinaus ist nicht vorzunehmen“, so auch: Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 34; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 26 Rz. 33 | Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung 33 Dabei ist – ebenso wie beim Vergleich zwischen dem Restrukturierungsplan und dem nächst-

besten Alternativszenario – auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise abzustellen.39 So darf es keine Rolle spielen, ob bestimmte Planbetroffene in irgendeinem Teilaspekt durch den Restrukturierungsplan schlechter gestellt werden als im nächstbesten Alternativszenario, solange die Schlechterstellung im Ergebnis ausgeglichen wird.40 Verlieren etwa Planbetroffene in einem Alternativszenario zwar eine Rechtsposition (wie etwa eine Absonderungsanwartschaft), erhalten dafür aber eine Barzahlung in Höhe des Verkehrswertes, dann spricht der in einem anderen Alternativszenario vermiedene Rechtsverlust nicht per se für diesen.41 Außerdem kommt es allein auf monetär vergleichbare Leistungen an; sonstige Interessen der Planbetroffenen dürfen keine Rolle spielen.

34 Maßstab für die Beurteilung der Frage, ob ein Szenario das nächstbeste ist, muss das Interesse

der Planbetroffenen sein. Probleme können sich dann ergeben, wenn ein Alternativszenario für eine oder mehrere Gruppen das nächstbeste ist, wohingegen für eine oder mehrere Gruppen ein anderes Szenario das nächstbeste Alternativszenario darstellen würde. In diesem Fall sollte in Abweichung von dem Grundsatz, dass nur auf ein – nächstbestes – Szenario abzustellen ist, abgewichen und beide Alternativszenarien dargestellt werden. Anders stellt sich die Frage, wenn das Alternativszenario für eine oder mehrere Gruppen nur das nächstbeste ist, für eine oder mehrere Gruppen hingegen zu einem besseren Ergebnis führen würde als der vorgeschlagene Restrukturierungsplan. In diesem Fall läge ein Verstoß gegen das Schlechterstellungsverbot vor und müsste der Restrukturierungsplan entsprechend abgeändert werden.

35 Allerdings kommen als mögliche Alternativszenarien nur solche Szenarien in Betracht, die

der Schuldner im Fall des Scheiterns des Plans mit (zumindest) überwiegender Wahrscheinlichkeit auch rechtlich und tatsächlich umsetzen könnte.42 Rein theoretische Szenarien bzw. solche, die nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit umgesetzt werden können, müssen außer Betracht bleiben.43

36 Es dürfen der Umsetzung des Alternativszenarios also weder rechtliche noch tatsächliche Hin-

derungsgründe entgegenstehen. Dazu werden typischerweise notwendige Zustimmungen von Gläubigern oder anderen Beteiligten gehören. Geht es etwa alternativ um den Verkauf des Unternehmens, wird es zur Umsetzung in aller Regel der Zustimmung der Finanzgläubiger bedürfen, insbesondere zur Freigabe von Sicherheiten. Kann die Finanzierung im Zuge des Verkaufs nicht vollumfänglich abgelöst werden, sind darüber hinaus Erklärungen der Gläubiger notwendig, etwa die Zustimmung zur Verlängerung („Rollover“) des durch den Kaufpreis nicht abgedeckten Teils einer Finanzierung oder ein Forderungsverzicht.44 Handelt es sich um eine Konsortial-, Schuldschein- oder Anleihefinanzierung, gilt für derartige Konzessionen üblicherweise ein sehr hohes Mehrheitserfordernis; im Zweifel bedarf es der Zustimmung aller Finanzgläubiger. Diese Zustimmung kann im Rahmen der Bestimmung des relevanten Alternativszenarios zwar nicht ohne weiteres unterstellt werden. Allerdings sollte – sofern nicht

39 Herzig in Braun, § 26 StaRUG Rz. 11; Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 30. 40 So für den Insolvenzplan Ruhle in Nerlich/Römermann, § 245 InsO Rz. 6 f. (Stand: 44. EL November 2021). 41 Ähnlich Herzig in Braun, § 26 StaRUG Rz. 11, der allerdings die Frage der Ermittlung des nächstbesten Alternativszenarios mit der nach dem Vergleich zwischen Plan und nächstbestem Alternativszenario vermischt. 42 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 20 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 11; Distler, ZIP 2021, 1033, 1038; Doebert/Krüger, NZI 2021, 614, 617 f.; Tresselt/Glöckler, NWB-Sanieren 3/2021, 80, 84. 43 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 20 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 11; Distler, ZIP 2021, 1033, 1037. 44 Siehe dazu Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 15.

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Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung | Rz. 40 § 26

entgegenstehende Informationen verfügbar sind – grundsätzlich ein rationales Verhalten angenommen werden können.45 Verspricht ein Alternativszenario eine bessere Befriedigung als ein anderes, so kann unterstellt werden, dass die betroffenen Gläubiger die erforderlichen Zustimmungen erteilen werden. Dies kann ausnahmsweise sogar dann gelten, wenn die Planbetroffenen bereits zu erkennen gegeben haben, dass sie ihre Zustimmung zu einem anderen Alternativszenario verweigern würden, etwa weil sie dieses Szenario aus nicht wirtschaftlichen Gründen ablehnen oder eine abweichende wirtschaftliche Erwartungshaltung haben. Ob der Verkauf des Unternehmens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gelingen könnte, 37 ließe sich vor der Insolvenz am zuverlässigsten durch einen sog. Dual Track ermitteln, d.h. die Durchführung eines Verkaufsprozesses parallel zur Planvorbereitung. Konkrete Angebote sind allemal besser als eine theoretische Bewertung. Allerdings kann ein parallel zum StaRUG-Verfahren durchgeführter Verkaufsprozess auch Nachteile mit sich bringen: Zum einen trifft er die Unternehmensorganisation in einer Zeit, die ohnehin schon eine Herausforderung darstellt. Maßnahmen wie etwa die Vorbereitung eines Datenraums, Management-Präsentationen sowie die laufende Beantwortung von Fragen der Bieter belasten die operative Ebene des Unternehmens und binden Ressourcen, die neben den laufenden Aufgaben für die operative Sanierung des Unternehmens gebraucht werden.46 Zum anderen kann ein unter schwierigen Bedingungen letztlich erfolgloser Verkaufsprozess 38 negative Auswirkungen für einen späteren Verkaufsprozess haben. Denn den höchsten Kaufpreis verspräche natürlich ein Verkaufsprozess, der erst nach Abschluss des Sanierungsprozesses stattfindet. Gegebenenfalls sind die Finanzierer aber nicht bereit, bis zum Ende des Sanierungszeitraums auf die Rückzahlung ihrer Darlehen zu warten und verlangen den Beginn des Verkaufsprozesses bereits nach Einleitung der ersten Sanierungsmaßnahmen. Gerade dann aber würde vergleichsweise wenig Zeit zwischen den Verkaufsprozessen liegen und der neuerliche durch den gerade erst kurz zuvor gescheiterten erheblich belastet.47 Häufig wird sich die Frage jedoch schon praktisch gar nicht stellen, weil wegen der drohenden 39 Insolvenz nicht mehr genügend Zeit für die Durchführung eines halbwegs verlässlichen Verkaufsprozesses verbleibt. Konsequenterweise hat der Gesetzgeber keine konkreten Vorgaben in die Richtung eines Dual Track gemacht und es ist daher auch nicht von einer generellen Pflicht zur Durchführung eines Dual Track auszugehen.48 Im Insolvenzplanrecht wird diese Frage durchaus nicht einheitlich beurteilt. So wird vor allem 40 aus § 1 Satz 1 InsO eine im Grundsatz bestehende Verpflichtung zur Durchführung eines aktiven Investorenprozesses abgeleitet.49 Eine Auseinandersetzung mit Initiativansprachen und -angeboten sei demgegenüber nicht ausreichend. Es bedürfe einer aktiven Marktansprache. Nur dadurch werde die Absicherung des Prozesses und das Vertrauen der Beteiligten erreicht. Nur in Ausnahmefällen könne von diesem Grundsatz abgewichen werden, wobei es hierfür einer Abwägung der mit der Durchführung des Verkaufsprozesses verbundenen Eingehung von Kosten und Bindung von Ressourcen einerseits und der erhofften Besserstellung der Gläubiger andererseits bedürfe.50 Gegen eine Verpflichtung zum Dual Track werden demgegenüber

45 46 47 48

Ebenso Knapp/Wilde in Flöther, § 6 StaRUG Rz. 16; Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 17. Herzig in Braun, § 26 StaRUG Rz. 8. Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 49. Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 50; Böhm in Braun, § 6 StaRUG Rz. 24 ff.; Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 19; Tasma in Flöther, § 6 StaRUG Rz. 23; Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1093. 49 Fröhlich/Eckhardt, ZInsO 2015, 925; J. Schmidt in Kübler, HRI, § 34 Rz. 134 f.; Leib/Rendels, EWiR 2015, 23, 24. 50 Siehe dazu ausführlich J. Schmidt in Kübler, HRI, § 34 Rz. 134 ff. m.w.N.

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§ 26 Rz. 40 | Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung die Unvereinbarkeit mit dem Sanierungsgedanken der Eigenverwaltung und des Schutzschirmverfahrens vorgebracht.51 41 Letztlich wird die Entscheidung sowohl im Insolvenzplanverfahren als auch im Stabilisie-

rungs- und Restrukturierungsrahmen von den Gegebenheiten des Einzelfalles abhängen. Ist nicht mehr genügend Zeit für einen halbwegs geordneten Verkaufsprozess vorhanden, scheidet er aus. Ist zu besorgen, dass ein Verkaufsprozess zum aktuellen Zeitpunkt erfolglos sein wird, sollte von ihm abgesehen werden, insbesondere, wenn schon während oder nach Umsetzung der Sanierung ein Verkauf beabsichtigt ist. Liegt allerdings ein Initiativkaufangebot vor und könnte der Verkauf auch zügig umgesetzt werden, ist dies bei der Bestimmung des nächstbesten Alternativszenarios zu berücksichtigen. dd) Vergleichsrechnung

42 Steht das nächstbeste Alternativszenario fest, können im Wege der Vergleichsrechnung die

konkreten Befriedigungsaussichten für die Planbetroffenen ermittelt werden. Die Vergleichsrechnung ist in § 6 Abs. 2 StaRUG geregelt (ausführlich dazu bei § 6 Rz. 28 ff.).52 Besteht das nächstbeste Alternativszenario in dem Verkauf des Unternehmens, stellt sich für die Ermittlung des Fortführungswertes erneut die Frage nach der Notwendigkeit eines Dual Track. Ist genügend Zeit vorhanden und kann ein kompetitiver Verkaufsprozess durchgeführt werden, bieten die auf diesem Wege ermittelten Angebote die bestmögliche Gewähr für den richtigen Unternehmenswert. Gegenüber einer theoretischen Bewertung ist eine solche Vorgehensweise vorzugswürdig. Letztlich kann aber für die Frage der Notwendigkeit eines Dual Track nichts anderes gelten als bei der Beurteilung, ob der Verkauf überhaupt eine realistische Alternative darstellt (s. dazu soeben unter Rz. 37 ff.). Es hängt mithin von den Gegebenheiten des Einzelfalles ab, ob für die Ermittlung des Fortführungswertes ein Verkaufsprozess durchgeführt werden sollte. Eine diesbezügliche Verpflichtung besteht jedoch nicht.

43 Wird ein paralleler Verkaufsprozess durchgeführt, kann es – gerade in der Krisensituation –

dazu kommen, dass die verschiedenen Angebote nicht unmittelbar vergleichsfähig sind. Denkbar ist etwa, dass ein Interessent einen Barkaufpreis anbietet, aus dem die Gläubiger befriedigt werden und dann ggf. auf den unbefriedigten Teil ihrer Forderungen verzichten müssen, während ein anderer Interessent eine Kombination aus Barkaufpreis und Stehenlassen eines Teils der bestehenden Finanzierung (sog. Rollover) anbietet. In einem derartigen Fall ist zu klären, für welches Angebot sich die Finanzierungsgläubiger entscheiden würden, auf deren Zustimmung es im Zweifel wegen bestehender Sicherheiten, die freigegeben werden müssen, ankommen würde.

44 Wird kein paralleler Verkaufsprozess durchgeführt, kann es trotzdem dazu kommen, dass An-

gebote von Interessenten vorliegen. Diese sind dann bei der Bewertung zu berücksichtigen.53 Es dürfte allerdings nicht selten der Fall sein, dass eine derartige Transaktion als Notverkauf (sog. Fire Sale) wahrgenommen wird und Angebote entsprechend niedrig ausfallen.

45 In Ermangelung eines Verkaufsprozesses oder sonstiger Angebote kann der Fortführungswert

des Unternehmens nur anhand anerkannter betriebswirtschaftlicher Methoden ermittelt werden. Gängige erfolgsorientierte Verfahren zur Ermittlung des Unternehmenswertes sind das Ertragswertverfahren sowie das Discounted Cash Flow-Verfahren. Da mit ihnen jeweils das Unternehmen als Ganzes bewertet wird, werden sie auch als Gesamtbewertungsverfahren

51 LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, ZInsO 2018, 614; Buchalik/Schröder, ZInsO 2016, 189, 190; vgl. auch Spliedt in K. Schmidt, § 245 InsO Rz. 41. 52 Knapp/Wilde in Morgen, § 6 StaRUG Rz. 11 ff.; Tasma in Flöther, § 6 StaRUG Rz. 12 ff. 53 Ebenso Tasma in Flöther, § 6 StaRUG Rz. 23.

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Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung | Rz. 50 § 26

bezeichnet. Im Gegensatz dazu wird bei Einzelbewertungsverfahren wie beispielsweise dem Substanzwertverfahren der Unternehmenswert aus der Summe der Werte der einzelnen Unternehmensbestandteile berechnet. Neben den Gesamt- und Einzelbewertungsverfahren gibt es außerdem Mischverfahren, die Aspekte beider Methoden kombinieren. Schließlich kann, sofern für das Unternehmen ein Markt existiert, der Unternehmenswert durch Vergleich mit Marktpreisen ermittelt werden.54 In der Praxis verbreitet war und ist zunächst das Ertragswertverfahren.55 Mit dieser Methode 46 wird der Unternehmenswert durch Diskontierung der zukünftig aus dem Unternehmen zu erwartenden Erträge zzgl. des Werts des nicht betriebsnotwendigen Vermögens ermittelt. Dabei werden die Ertragsüberschüsse durch Analyse der in der Vergangenheit erzielten Ergebnisse sowie durch Prognosen ermittelt. Schließlich werden diese zukünftigen Prognoseerfolge auf den maßgeblichen Stichtag mit einem angemessenen Kapitalisierungszinssatz abgezinst. International akzeptierter ist demgegenüber die sog. Discounted Cashflow-Methode (DCF- 47 Methode).56 Bei der DCF-Methode wird der Unternehmenswert durch Diskontierung zukünftiger Cashflows ermittelt. Anders als beim Ertragswertverfahren handelt es sich insoweit um eine zahlungsstromorientierte Methode. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die Bewertung von Unternehmen in der Krise den 48 Planarchitekten vor zusätzliche Herausforderungen stellt. So dürfte die angemessene Berücksichtigung der Krisensituation auf der einen und des Zukunftserfolgswerts auf der anderen Seite methodische und praktische Schwierigkeiten bereiten. Beispielsweise mag es notwendig sein, wegen der Krisensituation Abschläge zu machen und auch zusätzliche Liquiditätsbedarfe zu berücksichtigen. Für die Bewertung im Rahmen eines Insolvenzplans wird daher vorgeschlagen, anstelle der zuvor beschriebenen etablierten Bewertungsmethoden nach dem IDW S 1-Standard nur eine gutachterliche Stellungnahme in Anlehnung an den Bewertungsstandard IDW S 8 zu verlangen.57 Dieser Standard hat Stellungnahmen von Wirtschaftsprüfern zur finanziellen Angemessenheit von Transaktionspreisen zum Gegenstand (sog. Fairness Opinions). Die Zugrundelegung einer Fairness Opinion anstelle einer Gesamtunternehmensbewertung nach der Ertragswert- oder DCF-Methode mag auch im Rahmen eines Restrukturierungsplans im Einzelfall angemessen sein. Für das Verkaufsszenario ist der Fortführungswert zwar eine notwendige, aber nicht ausrei- 49 chende Bedingung zur Ermittlung der konkreten Befriedigungsaussichten in den verschiedenen Gruppen. Zu berücksichtigen sind in aller Regel auch Sicherungsrechte, die den besicherten Gläubigern Zugriffsmöglichkeiten auf Verkaufserlöse ermöglichen.58 Ebenso sind Rangverhältnisse zwischen den Gruppen, insbesondere im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen.59 Gerade in Konzernkonstellationen kann sich hier eine Vielzahl von Fragen stellen. Neben den 50 bereits erwähnten Sicherungsrechten können auch Forderungen bzw. Verbindlichkeiten zwischen Konzerngesellschaften (sog. Intercompany-Forderungen bzw. -verbindlichkeiten) zu berücksichtigen sein. Besonders relevant sind diese Aspekte für den Fall der Insolvenz in einer

54 Vgl. zur Unternehmensbewertung insgesamt Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung – Prozess, Methode und Probleme, 6. Aufl. 2021. 55 Vgl. IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F. 2008), Stand 4.7.2016, Rz. 102 ff. 56 Vgl. IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F. 2008), Stand 4.7.2016, Rz. 124 ff. 57 IDW Standard: Grundsätze zur Erstellung einer Fairness Opinion (IDW S 8), Stand: 17.1.2011. 58 Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 21. 59 Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 21.

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§ 26 Rz. 50 | Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung Konzernkonstellation. Zu untersuchen ist etwa, ob und wenn ja welche Unternehmensteile voraussichtlich aus einem Insolvenzverfahren herausgehalten werden können. Für die Zwecke der Vergleichsrechnung ist eine sog. Liquidationsanalyse zu erstellen, die ein realistisches Liquidationsszenario simuliert (in der internationalen Restrukturierungspraxis wird diese Liquidationsanalyse auch Entity Priority Model genannt).60 51 Da gem. § 6 Abs. 2 Satz 2 StaRUG für den Fall der planmäßigen Fortführung des Unterneh-

mens auch für die Befriedigungsaussichten im Alternativszenario die Fortführung des Unternehmens zu unterstellen ist, wird der Planarchitekt in aller Regel auch mit dem Problem von zukunftsgerichteten Unsicherheiten umzugehen haben. Diese können einerseits in zeitlicher Hinsicht bestehen, andererseits aber auch Risiken bei der Umsetzung des Vorhabens zum Gegenstand haben:

52 Üblicherweise wird der Restrukturierungsplan die Befriedigung der Planbetroffenen erst über

einen gewissen Zeitraum vorsehen. Demgegenüber würden die Planbetroffenen im Falle eines Verkaufs des Unternehmens bei Vorliegen eines Angebotes mit Barkaufpreis unmittelbar befriedigt.61 In diesem Fall müssen die Leistungen an die Planbetroffenen vergleichbar gemacht werden. Dies kann entweder durch Verzinsung des hypothetischen Barkaufpreises oder aber in der Abzinsung der Zahlungen für den Fall der Fortführung des Unternehmens entsprechend dem Restrukturierungsplan geschehen.62 Richtigerweise sollten die im Planszenario in Aussicht gestellten Zahlungen auf ihren Nettobarwert diskontiert werden.63 Bei der Auswahl des Zinssatzes wiederum sollte auf eine adäquate Berücksichtigung des Durchführungsrisikos geachtet werden.64

53 Ob Durchführungsrisiken auch über den Zinssatz hinaus berücksichtigt werden müssen, ist

für die Vergleichsrechnung im Insolvenzplan umstritten. Teilweise wird dies mit dem Hinweis abgelehnt, dass die bei Unternehmensbewertungen üblichen Risikozuschläge allein die für die Kaufpreisfindung maßgeblichen Unsicherheitsfaktoren ausgleichen sollen und daher mit den grundsätzlich als richtig zu unterstellenden, im Plan vorgesehenen Zuflüssen nicht vergleichbar seien.65 Diese generelle Ausblendung von Risikoelementen vermag jedoch nicht vollständig zu überzeugen, handelt es sich doch insbesondere bei zukünftigen Zahlungen eher um prognostische Schätzungen.66 Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass der Planarchitekt den unterschiedlichen Risikodimensionen des Erlöses bei zukünftigen Zahlungen einerseits und der Zahlung eines Barkaufpreises im Falle einer Verwertung andererseits Rechnung zu tragen hat.67 Allerdings ist zu konzedieren, dass die Berücksichtigung von Risikoelementen mit erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden sein dürfte.68 Insoweit sollten also auch an den Planarchitekten keine überspannten Anforderungen gestellt werden.

54 Aus alledem ergibt sich, dass auch bei der Vergleichsrechnung – ebenso wie bei der Ermittlung

des nächstbesten Alternativszenarios (s. dazu soeben unter Rz. 32 ff.) – allein auf wirtschaftli-

60 Siehe ausführlich zur Berechnung und Darstellung eines Liquidationsszenarios in der Insolvenz als Vergleichsmaßstab auch unter Berücksichtigung von Konzernfinanzierungen J. Schmidt in Kübler, HRI, § 34 Rz. 90 ff. m.w.N. 61 Dazu das auch im Falle eines Verkaufs unterschiedliche Kaufpreisgestaltungen denkbar sind soeben auch unter Rz. 42 ff. 62 Siehe hierzu in der Insolvenz Drukarczyk/Schüler in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 245 InsO Rz. 51 ff. m.w.N. 63 So auch Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 31. 64 Drukarczyk/Schüler in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 245 InsO Rz. 58 ff.; a.A. F. Becker in Kübler, HRI, § 41 Rz. 34; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 245 InsO Rz. 19. 65 Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 245 InsO Rz. 19. 66 Ebenso F. Becker in Kübler, HRI, § 41 Rz. 32. 67 Dafür auch Drukarczyk/Schüler in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 245 InsO Rz. 52. 68 Ebenso F. Becker in Kübler, HRI, § 41 Rz. 34.

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Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung | Rz. 58 § 26

che Betrachtungsweise abzustellen ist.69 Bei den Befriedigungsaussichten für die Planbetroffenen geht es allein um die sich für sie ergebenden wirtschaftlichen Konsequenzen.70

2. Angemessene Beteiligung am Planwert (§ 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) Die Zustimmungsfiktion des § 26 Abs. 1 StaRUG setzt außerdem voraus, dass die Mitglieder 55 jener Gruppe, deren Zustimmung als erteilt gelten soll, angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der den Planbetroffenen zufließen soll (sog. Planwert). Die Frage, wann dies der Fall ist, wird hingegen in § 27 StaRUG konkretisiert (s. dazu § 27 Rz. 1 ff.), der auf der sog. Regel des absoluten Vorrangs basiert, die dann wiederum in § 28 StaRUG eingeschränkt wird (s. dazu § 28 Rz. 1 ff.).

3. Zustimmung einer Gruppenmehrheit (§ 26 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) Schließlich gilt die Zustimmungsfiktion des § 26 Abs. 1 StaRUG nur, wenn eine Mehrheit der 56 abstimmenden Gruppen dem Restrukturierungsplan mit der nach § 25 StaRUG erforderlichen Mehrheit zugestimmt hat. Sofern nur zwei Gruppen gebildet wurden, genügt die Zustimmung einer der beiden Gruppen, sofern die zustimmende Gruppe nicht ausschließlich aus Anteilsinhabern oder nachrangigen Restrukturierungsgläubigern besteht (§ 26 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 StaRUG). a) Allgemeines Zwar hätte der deutsche Gesetzgeber auf Basis von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b Unterbuchst. ii 57 der Restrukturierungs-RL auch die Möglichkeit gehabt, ein geringeres Mehrheitserfordernis vorzusehen. Erneut ist jedoch die Entscheidung dafür gefallen, sich an § 245 InsO (dort Abs. 1 Nr. 3) zu orientieren. Lediglich der Fall eines Zwei-Gruppen-Plans ist dort nicht vorgesehen.

Dadurch, dass die Mehrheit der Gruppen dem Restrukturierungsplan zugestimmt haben muss, 58 wird zweifelsohne dessen Akzeptanz bei den Planbetroffenen, vor allem den widersprechenden, erhöht und eine Legitimationsgrundlage geschaffen. Allerdings ist es dennoch denkbar, dass insgesamt nur eine Minderheit der Planbetroffenen für die Annahme des Restrukturierungsplans votiert hat. So kann die Summe der Forderungen der Inhaber, die in der überstimmten Gruppe gegen den Restrukturierungsplan gestimmt haben, erheblich größer sein als die Summe der Forderungen, deren Inhaber insgesamt, d.h. in den zustimmenden Gruppen, für den Restrukturierungsplan gestimmt haben.71 Während in Bezug auf § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO noch diskutiert worden war, ob es sich insoweit um einen vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Konstruktionsfehler handelt,72 kann dies für die gesetzgeberische Entscheidung in § 26 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG nicht mehr unterstellt werden. Der deutsche Gesetzgeber hat ein solches Ergebnis und damit eine nicht unerhebliche Einflussnahmemöglichkeit durch den Planarchitekten über die Auswahl der Planbetroffenen (§ 8 StaRUG) und die Einteilung in Gruppen (§ 9 StaRUG) in Kauf genommen. Allerdings besteht dieser Gestaltungsspielraum eben auch nur in den Grenzen der §§ 26 und 27 sowie der gerichtlichen Überprüfung der sachgerechten Gruppenbildung (§ 9 Abs. 2 StaRUG). 69 Ebenso Herzig in Braun, § 26 StaRUG Rz. 11; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 70 Skauradszun, KTS 2021, 1, 29. 71 Hinzuzurechnen sind ggf. auch noch jene Planbetroffenen, die in den insgesamt zustimmenden Gruppen gegen den Plan gestimmt haben. 72 Siehe dazu nur Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, 4. Aufl. 2015, Kap. 18 Rz. 18.109 ff. m.w.N.

Westpfahl | 435

§ 26 Rz. 59 | Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung 59 Indem in § 26 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG auf die Mehrheit der „abstimmenden“ Gruppen abgestellt

wird, stellt sich die Frage, ob eine Gruppe, die sich insgesamt nicht an der Abstimmung beteiligt hat, nicht mitgezählt wird. Die Frage stellt sich deshalb, weil es für die gleichlautende Formulierung in § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO einen Grund gibt, der auf das StaRUG nicht anwendbar ist. Dort sollte nämlich zum Ausdruck gebracht werden, dass bei der Berechnung der Mehrheit der Gruppen keine Gruppen gezählt werden, deren Zustimmung schon gesetzlich fingiert wird. Konkret handelt es sich um die nachrangigen Insolvenzgläubiger (§ 246 InsO) und die Anteilsinhaber (§ 246a InsO).73 Demgegenüber gibt es im StaRUG keine den §§ 246 und 246a InsO entsprechenden Regelungen. Daraus sollte jedoch nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass eine Gruppe erst dann eine „abstimmende“ i.S.d. § 26 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG ist, wenn es mindestens eine Stimmenabgabe gegeben hat.74 Vielmehr sollte die Wertung des § 25 StaRUG greifen, wonach die Gruppe, die sich nicht an der Abstimmung beteiligt, als „abstimmende“, nämlich gegen den Plan votierende gewertet wird.75 b) Einschränkungen der Mehrheitsregel

60 In § 26 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 3 StaRUG wird festgelegt, dass die zustimmenden Gruppen nicht

ausschließlich durch nachrangige Restrukturierungsgläubiger oder Anteilsinhaber gebildet sein dürfen. Mit anderen Worten muss zu der Mehrheit der zustimmenden Gruppen mindestens eine gehören, die nicht zu diesen nachrangigen Gruppen zählt. Diese Einschränkung basiert auf Art. 11 Abs. 1 Buchst. b Restrukturierungs-RL, wenn auch in leichter Abwandlung. Es wäre in der Tat kein hinnehmbares Ergebnis, wenn die Stimmenmehrheit ausschließlich durch Planbetroffene herbeigeführt würde, die im Falle einer Liquidation keinen Wert erhalten würden.

61 Unter dieser Voraussetzung bestehen auch keine Bedenken gegen die zweite Einschränkung

der Mehrheitsregelung, wonach für den Fall, dass nur zwei Gruppen gebildet worden sind, die Zustimmung einer dieser Gruppen genügt (§ 26 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 StaRUG). Diese Regelung ist für die Abstimmung über einen Restrukturierungsplan sinnvoll, weil davon auszugehen ist, dass die Ausübung des in § 8 StaRUG eingeräumten Auswahlermessens, mithin der Einbeziehung nur bestimmter Restrukturierungsgläubiger in den Restrukturierungsplan, während die Rechte anderer unberührt bleiben, der paradigmatische Fall sein dürfte. In diesen Fällen wird es für den Planarchitekten aber nicht selten schwer sein, mehrere Gruppen zu bilden. Insbesondere wird es an hinreichenden Unterscheidungsmerkmalen für eine weitere Gruppenunterteilung i.S.v. § 9 Abs. 2 StaRUG fehlen.76

VI. Sonderregelung für Eingriffe in gruppeninterne Drittsicherheiten und Beschränkung persönlicher Gesellschafterhaftung (§ 26 Abs. 2 StaRUG) 62 Aus § 26 Abs. 2 StaRUG folgt, dass auch eine nach § 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG zu bildende Grup-

pe für Inhaber von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten, die nicht mehrheitlich für den Restrukturierungsplan votiert, überstimmt werden kann. Die Zustimmungsfiktion des gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids (§ 26−28 StaRUG) soll jedoch für diese Gruppe nur dann gelten, wenn der Restrukturierungsplan eine angemessene Entschädigung für den Eingriff in die Sicherheit vorsieht. Eine eigenständige Bedeutung kommt dieser Regelung indes nicht zu, da bereits in § 2 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG die Entschädigungspflicht geregelt 73 74 75 76

Siehe hierzu BT-Drucks. 12/2443, S. 209. So aber Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 68. So ebenfalls Herzig in Braun, § 26 StaRUG Rz. 19. Vereinzelt wird jedoch in der Regelung in § 26 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 StaRUG auch Missbrauchspotential gesehen, so etwa Bork, ZRI 2021, 345, 358.

436 | Westpfahl

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung | Rz. 65 § 26

ist.77 Für die Angemessenheit der Entschädigung ist die Werthaltigkeit des Sicherungsrechts maßgeblich (vgl. § 2 Rz. 246 ff.).78 Zur Prüfung dieser Angemessenheit kann das Restrukturierungsgericht gem. § 73 Abs. 3 Nr. 2 StaRUG einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen. Nicht eindeutig ist demgegenüber der Hinweis auf die angemessene Entschädigung für den 63 Verlust der Haftung des persönlich haftenden Gesellschafters (§ 26 Abs. 2 StaRUG a.E.). Dem Wortlaut nach bezieht sich § 26 Abs. 2 StaRUG nur auf die Angemessenheit der Entschädigung für die Inhaber von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten, weshalb die angemessene Entschädigung auch für den Verlust der Haftung des persönlich haftenden Gesellschafters nur für diese Gruppe gelten würde. Für eine derartige Einschränkung gibt es jedoch keine sachliche Rechtfertigung79 und sie entspricht auch nicht dem gesetzgeberischen Willen.80 § 26 Abs. 2 StaRUG gilt daher für alle Fälle, in denen im Restrukturierungsplan die Haftung eines persönlich haftenden Gesellschafters beschränkt wird.81 Auch mit diesem Regelungsgehalt hat § 26 Abs. 2 StaRUG a.E. indes nur klarstellende Bedeutung, da die angemessene Entschädigung bereits aus § 2 Abs. 4 Satz 2 StaRUG folgt.

VII. Rechtsfolge 1. Zustimmungsersetzung Sind die Voraussetzungen der §§ 26–28 StaRUG erfüllt, kann die Zustimmung der ablehnen- 64 den Gruppe ersetzt werden. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 StaRUG greift insoweit – wie beim Insolvenzplan (§ 245 InsO) – eine Fiktion („gilt die Zustimmung dieser Gruppe als erteilt“). Allerdings tritt diese Wirkung nicht schon mit Planabstimmung, sondern erst durch die gerichtliche Planbestätigung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ein.82

2. Verstoß Nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG hat das Restrukturierungsgericht die Planbestätigung von 65 Amts wegen zu versagen, wenn die Vorschriften zur Annahme des Restrukturierungsplans „in einem wesentlichen Punkt“ nicht beachtet worden sind. Die Nichteinhaltung der Voraussetzungen für einen gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid nach den §§ 26–28 StaRUG ist immer wesentlich i.S.v. § 63 StaRUG (s. zum gerichtlichen Prüfungsumfang bei der Planbestätigung § 63 Rz. 38 ff.). Da die Fiktionswirkung erst mit der gerichtlichen Planbestätigung eintritt, erfolgt auch der Verstoß gegen die §§ 26–28 StaRUG erst in diesem Zeitpunkt. Technisch gesehen prüft das Restrukturierungsgericht also nur die Einhaltung der Voraussetzungen dieser Vorschriften und nicht den Verstoß selbst.83 Gegen die Bestätigungsentscheidung steht den Planbetroffenen die sofortige Beschwerde nach § 66 StaRUG zu.

77 Ebenso Knapp in Flöther, § 26 StaRUG Rz. 27. 78 Westpfahl/Dittmar in Flöther, § 2 StaRUG Rz. 74 ff. 79 Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 32 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Herzig in Braun, § 26 StaRUG Rz. 19. 80 BT-Drucks. 19/24181, S. 128. 81 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 26 StaRUG Rz. 32 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Herzig in Braun, § 26 StaRUG Rz. 24; Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 69; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, § 26 StaRUG Rz. 15; Münzel in Wolgast/Grauer, § 26 StaRUG Rz. 35. 82 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 71. 83 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 26 StaRUG Rz. 72 mit Verweis auf entsprechende Rechtslage beim Insolvenzplan.

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§ 27 | Absolute Priorität

§ 27 Absolute Priorität (1) Eine Gruppe von Gläubigern ist angemessen am Planwert beteiligt, wenn 1. kein anderer planbetroffener Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen, 2. weder ein planbetroffener Gläubiger, der ohne einen Plan in einem Insolvenzverfahren mit Nachrang gegenüber den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, noch der Schuldner oder eine an dem Schuldner beteiligte Person einen nicht durch Leistung in das Vermögen des Schuldners vollständig ausgeglichenen wirtschaftlichen Wert erhält und 3. kein planbetroffener Gläubiger, der in einem Insolvenzverfahren gleichrangig mit den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, bessergestellt wird als diese Gläubiger. (2) Für eine Gruppe der an dem Schuldner beteiligten Personen liegt eine angemessene Beteiligung am Planwert vor, wenn nach dem Plan 1. kein planbetroffener Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen, und 2. vorbehaltlich des § 28 Absatz 2 Nummer 1 keine an dem Schuldner beteiligte Person, die ohne Plan den Mitgliedern der Gruppe gleichgestellt wäre, einen wirtschaftlichen Wert behält. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. 1. 2. 3. IV. V. 1.

2.

Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normhistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäische Restrukturierungs-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angemessene Beteiligung von Gläubigergruppen (§ 27 Abs. 1 StaRUG) . . . . Verbot der Überkompensation (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verbesserung der Kreditkonditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sondergebühren . . . . . . . . . . . . . . cc) Umwandlung in Eigenkapital . . . Absolute Priorität (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Maßgebliches Rangverhältnis . . . . . . . aa) Absonderungsanwartschaften . . .

1 2 3 4 7 8 12

3.

16 17 18 19 20 22 23 25 26 27

VI. 1. 2. VII.

bb) Rangvereinbarungen . . . . . . . . . . b) Erhalt eines wirtschaftlichen Wertes . aa) Ermittlung des richtigen Wertes . bb) Leistung in das Vermögen der Schuldnerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verlust der Beteiligung der Anteilseigner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbot der Besserstellung gleichrangiger Planbetroffener (§ 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berücksichtigung vertraglicher Rangabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Feststellung einer Besserstellung . . . . Angemessene Beteiligung von Anteilsinhabern (§ 27 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . Verbot der Überkompensation (§ 27 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . Verbot der Besserstellung (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 32 34 40 47 52 53 54 59 62 63 64 67

Schrifttum: Bork, Neue Grundfragen des Restrukturierungsrechts, ZRI 2021, 345; Eidenmüller, Gesellschafterstellung und Insolvenzplan, ZGR 2001, 680; Herweg/Wirth, Der Restrukturierungsplan – Kernstück der präventiven Sanierung, DB 2021, 886; Mulert/Steiner, Gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen im Insolvenz- und Restrukturierungsplan, NZG 2021, 673; Smid, Thesen zu Kreditsicherheiten in Insolvenz, übertragener Sanierung und Reorganisation, WM 2002, 1033; Westpfahl/Liedl, Priorität im Restrukturierungsrecht, FS Gehrlein, 2022, S. 589.

438 | Westpfahl

Absolute Priorität | Rz. 4 § 27

I. Regelungsgehalt In § 27 StaRUG wird bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Mitglieder einer im Wege des 1 gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids überstimmten Gruppe angemessen am Planwert beteiligt sind. Damit wird § 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG konkretisiert. In seiner Überschrift („Absolute Priorität“) wird der Regelungsgehalt von § 27 StaRUG indes nicht vollständig erfasst. Neben der absoluten Priorität (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) werden des Weiteren das Verbot der Überkompensation (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) sowie das Besserstellungsverbot von anderen gleichrangigen Planbetroffenen (§ 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) geregelt. Mit § 27 StaRUG wird Art. 11 Restrukturierungs-RL umgesetzt. Dort finden sich die Rahmenbedingungen für die Voraussetzungen für die angemessene Beteiligung am Planwert. Von der dort eingeräumten Möglichkeit, eine absolute Prioritätsregel mit Durchbrechungen einzuführen, hat der deutsche Gesetzgeber Gebrauch gemacht. § 27 StaRUG ist im Wesentlichen dem Obstruktionsverbot in § 245 InsO (dort Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1) nachempfunden, weicht allerdings zumindest teilweise davon ab.

II. Normzweck Die Zulässigkeit des gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids ermöglicht neben der Mehr- 2 heitsregel in § 25 StaRUG die Überwindung des Widerstands dissentierender Planbetroffener. Wie bereits ausgeführt, kann es in diesem Fall sogar dazu kommen, dass eine summenmäßige Minderheit der Planbetroffenen die Mehrheit überstimmt (vgl. § 26 Rz. 58). Daher bedarf es eines erhöhten Schutzstandards, für den nach Auffassung des Gesetzgebers die Einhaltung des Schlechterstellungsverbotes allein nicht ausreicht. Die überstimmte Gruppe von Planbetroffenen muss außerdem angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der den Planbetroffenen auf Grundlage des Restrukturierungsplans zufließen soll (§ 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG). Dabei sind sowohl die vorrangigen als auch die gleichrangigen sowie die nachrangigen Planbetroffenen in den Blick zu nehmen. Vom Grundsatz her sollen Planbetroffene, die gegenüber den Überstimmten nachrangig sind, nichts erhalten, solange die Überstimmten nicht vollständig befriedigt sind, sollen Planbetroffene, die mit den Überstimmten gleichrangig sind, nichts mehr erhalten und sollen die überstimmten Planbetroffenen wiederum solange nichts erhalten, wie die vorrangigen nicht vollständig befriedigt sind. Diesen Zusammenhang zu regeln, bezweckt § 27 StaRUG in Abs. 1 Nr. 2 und 3. Die Vorschrift ist damit ein wesentliches Element für den Mechanismus zur Verteilung des durch den Restrukturierungsplan generierten Mehrwerts. Hinzu kommt das Verbot der Überkompensation (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG).

III. Normhistorie Die Frage, welche Vorrangregel für den gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid maßgeb- 3 lich sein soll, ist sowohl im europäischen als auch im deutschen Gesetzgebungsverfahren sehr intensiv diskutiert worden. Den Verlauf dieser Diskussionen zu kennen, ist für das Verständnis von § 27 StaRUG (sowie § 28 StaRUG) von maßgeblicher Bedeutung.

1. Europäische Restrukturierungs-Richtlinie Die §§ 27 und 28 StaRUG beruhen auf Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c und d, Abs. 2 der 4 Restrukturierungs-RL. Dort geht es vor allem um die Frage, ob für den gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid die Regel des absoluten Vorrangs (teilweise auch absolute Prioritätsregel bzw. absolute Vorrangregel) oder die Regel des relativen Vorrangs (teilweise auch relative Westpfahl | 439

§ 27 Rz. 4 | Absolute Priorität Prioritätsregel bzw. relative Vorrangregel) gelten soll. Nach der Regel des absoluten Vorrangs kann eine ganze Abstimmungsklasse oder -gruppe nur dann überstimmt werden, wenn deren Mitglieder entweder vollständig durch den Restrukturierungsplan befriedigt werden oder kein nachrangiger Gläubiger oder Anteilsinhaber durch den Restrukturierungsplan irgendeinen wirtschaftlichen Wert erhält. Demgegenüber reicht es nach der Regel des relativen Vorrangs, dass die Mitglieder ablehnender Abstimmungsklassen oder -gruppen mindestens ebenso wie die gleichrangigen und besser als nachrangige Gruppen behandelt werden. 5 Der erste Vorschlag der Europäischen Kommission hatte noch uneingeschränkt auf die Regel

des absoluten Vorrangs abgestellt.1 In der Folge wurde jedoch intensiv für die Regel des relativen Vorranges geworben und sie fand schließlich erstmals in die Fassung des Rats der Europäischen Union Eingang.2 Nach dieser Fassung hätten die Mitgliedsstaaten die Option gehabt, sich für eine der beiden Regeln zu entscheiden. Das Erstarken der Regel des relativen Vorrangs basierte auf verschiedenen Vorarbeiten, vor allem aber auf dem sog. Codire-Report.3 In dem Bericht wurde die Regel des relativen Vorrangs insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) betont, aber auch der bessere Schutz gegen Loan to own-Investoren, deren Geschäftsmodell darauf basiert, in Forderungen gegen Krisenunternehmen zu investieren und diese dann für einen Debt-Equity-Swap gegen die bisherigen Anteilseigner zu nutzen.

6 In der finalen Fassung der Restrukturierungs-Richtlinie, in deren Vorfeld intensiv über die

Vor- und Nachteile der jeweiligen Regel diskutiert wurde,4 ist das Verhältnis von absoluter und relativer Vorrangregel schließlich noch einmal weiter verändert worden: Nach Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c Restrukturierungs-RL ist die Regel des relativen Vorrangs nunmehr der Grundfall; nach Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 Restrukturierungs-RL können die nationalen Gesetzgeber aber auch die Regel des absoluten Vorrangs wählen, sofern dies zur Erreichung der Ziele des Restrukturierungsplans erforderlich ist und der Restrukturierungsplan nicht „unfair“ die Rechte oder Interessen betroffener Parteien beeinträchtigt.

1 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, v. 22.11.2016, COM (2016) 723 final [2016/0359 (COD)]. 2 Rat der Europäischen Union, Vorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates für eine Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, Allgemeine Ausrichtung v. 1.10.2018. 3 Dabei handelt es sich um ein von der EU gefördertes Forschungsprojekt aus dem Jahr 2018: Stanghellini/Mokal/Paulus/Tirado, Best Practices in European Restructuring. Contractualised Distress Resolution in the Shadow of the Law. 4 Für die absolute Vorrangregel sprachen sich vor allem Brinkmann („Die relative Vorrangregel aus Art. 11 (1) (c) der Insolvenzrichtlinie: nicht nur untauglich, sondern brandgefährlich!“, in European Insolvency & Restructuring, TLE-009-2019) und de Weijs/Jonkers/Malakotipour („The Imminent Distortion of European Insolvency Law: How the European Union erodes the basic fabric of private law by allowing ‘Relative Priority’ (RPR)“, in Center for the Study of European Contract Law Working Paper No. 2019-05) aus; für eine stärkere Berücksichtigung der relativen Vorrangregel neben den Autoren des Codire-Reports Madaus (Die neue European Relative Priority Rule der Restrukturierungsrichtlinie – Das Ende des Europäischen Insolvenzrechts?, abrufbar unter https://stephanmadaus.de/ 2019/03/12/die-neue-european-relative-priority-rule-der-restrukturierungsrichtlinie-das-ende-deseuropaeischen-insolvenzrechts/, zuletzt abgerufen am 14.8.2022) und Wessels („A reply to professor De Weijs et al., abrufbar unter https://bobwessels.nl/blog/2019-03-doc10-the-full-version-of-my-reply-to-professor-de-weijs-et-al/, zuletzt abgerufen am 14.8.2022). Siehe ausführlich zu dieser Diskussion sowie zur Entstehungsgeschichte der Vorrangregeln Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 2021, passim.

440 | Westpfahl

Absolute Priorität | Rz. 10 § 27

2. StaRUG Vergleichbar mit der Entwicklung der Restrukturierungs-Richtlinie in diesem Punkt sah auch 7 der Referentenentwurf für das StaRUG zunächst in Anlehnung an § 245 InsO die Geltung nur der Regel des absoluten Vorrangs vor. Nach erneuter intensiver Diskussion wurde zunächst im Regierungsentwurf und in der Folge in der finalen Fassung des StaRUG ein modifiziertes Konzept umgesetzt, in dem die Regel des absoluten Vorrangs zwar den Grundsatz bildet (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG), aber punktuell durchbrochen wird (§ 28 StaRUG). Eine ausführliche Erklärung der grundsätzlichen Geltung der Regel des absoluten Vorrangs findet sich in der Gesetzesbegründung nicht; lediglich ihre Durchbrechung wird begründet.5

3. Bewertung Der gesetzgeberische Ansatz ist insoweit zu begrüßen, als er sich nicht für die eine oder ande- 8 re Variante entscheidet, sondern einen modifizierten Weg beschreitet. Denn gegen beide Varianten werden beachtliche Argumente ins Feld geführt: Für die absolute Vorrangregel streitet zwar ein grundlegendes Prinzip, nämlich der Grund- 9 satz der gesellschaftsrechtlichen Haftungsverfassung, wonach Verluste zuerst das Eigenkapital treffen sollen.6 Dieses Prinzip entspricht auch der wirtschaftlichen Risikoverteilung zwischen Gläubigern und Gesellschaftern: Im Gegensatz zu den Gläubigern haben die Gesellschafter Anspruch auf die Gewinne eines Unternehmens, müssen aber vor den Gläubigern für die Verluste des Unternehmens einstehen. Dieser Grundsatz setzt sich in der Verteilungsreihenfolge bei einer Liquidation und bei Verteilung der Insolvenzmasse fort (vgl. § 199 Satz 1 InsO, §§ 733 f. BGB, § 271 Abs. 1 AktG, §§ 72 f. GmbHG). Danach erhalten die Gesellschafter nur dann etwas, wenn die Gläubiger zuvor vollständig aus der Liquidations-/Insolvenzmasse befriedigt wurden. Allerdings bietet die absolute Vorrangregel nicht die in vorinsolvenzlichen Restrukturierungssituationen notwendige Flexibilität. Diese Flexibilität aber ist wichtig. Insbesondere wenn die Krise durch exogene Faktoren verursacht wurde und sich die Gesellschafter in der Vergangenheit konstruktiv und redlich verhalten haben, sind die wesentlichen Gläubiger häufig daran interessiert, sie weiter „an Bord“ zu haben. Damit ist zugleich der wesentliche Vorteil der Regel des relativen Vorrangs beschrieben. Sie 10 erlaubt die flexible Umsetzung von Restrukturierungen, die für alle Beteiligten erheblich vorteilhafter wären als die nächstbeste Alternative, die aber bei Geltung der uneingeschränkten absoluten Vorrangregel durch eine vorrangige Gläubigergruppe blockiert werden könnte, solange sie nicht vollständig befriedigt wird. Sind die Gesellschafter aber unter dieser Voraussetzung nicht bereit, weitere Liquidität zur Verfügung zu stellen, scheitert die Sanierung. Allerdings ist auch die Regel des relativen Vorrangs mit Nachteilen behaftet. Denn ein System, das es den Gesellschaftern erlaubt, Anteile am Schuldner zu behalten, obwohl die Gläubiger nicht vollständig befriedigt werden, schafft gleichzeitig Anreize für riskante Geschäftsmodelle mit hohem Fremdkapitalhebeln.7 Auch der bereits erwähnte Grundsatz der gesellschaftsrechtlichen Haftungsverfassung spricht gegen die Regel des relativen Vorrangs. Zwar wird zu Recht vorgebracht, dass er vor allem bei der Liquidation und in der Insolvenz Geltung beanspruche, wohingegen in der vorinsolvenzlichen Sanierungssituation eine andere Ausgangssituation bestehe.8 Allerdings relativieren sich diese Unterschiede dann, wenn die vorinsolvenzliche Sanierung nur durch den Einsatz eines Majorisierungsinstruments gelingt. 5 BT-Drucks. 19/24181, S. 129 f. 6 Siehe dazu nur Brinkmann, European Insolvency & Restructuring, TLE-009-2019. 7 De Wiejs/Jonkers/Malakotipour, CSECL Working Paper 05, 2019, S. 15 ff.; Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 2021, S. 314. 8 Vgl. dazu insbesondere Wessels/Madaus/Boon, ELI-Report 2017, S. 333 ff.; Madaus, 19EBOR615, passim.

Westpfahl | 441

§ 27 Rz. 11 | Absolute Priorität 11 Nach alledem erscheint eine Kombination der absoluten und relativen Vorrangregel als die

beste Lösung. Danach sollte zwar die Rangordnung der gesellschaftsrechtlichen Haftungsverfassung den Ausgang bilden. Allerdings sollte sie eben nicht den Weg zu wirtschaftlich sinnvollen Lösungen versperren und flexibel genug sein, um die Majorisierung von Minderheitsgläubigern im Wege des gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids zu ermöglichen, wenn die Sanierung ansonsten scheitert oder zu für die anderen Stakeholder nachteiligen Ergebnissen führt. Die in § 28 Abs. 2 StaRUG vorgesehenen Ausnahmen sind insoweit ein erster Schritt. Die Regelung in § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG ist vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) geeignet und auch auf diese zugeschnitten. Eine darüber hinausgehende Anwendung dieser Regel auf größere Unternehmen, etwa solche, die von Finanzinvestoren gehalten werden, erscheint demgegenüber kaum denkbar. Genau hier müsste de lege ferenda eine Ergänzung der gesetzlichen Regelung ansetzen, wenn sich zeigt, dass die bisherige Regelung nicht ausreichend Flexibilität bietet. Demgegenüber adressiert die in § 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG enthaltene Ausnahme eine andere Konstellation, nämlich das Vorliegen nur geringfügiger Eingriffe (vgl. § 28 Rz. 34 ff.).9

IV. Rechtsvergleich 12 Auch in anderen Jurisdiktionen gab es in den letzten Jahren Diskussionen über das richtige

Verteilungsmodell für den Fall eines gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids. Das sei am Beispiel der USA, des Vereinigten Königreichs sowie der Niederlande gezeigt:

13 Nach US-amerikanischem Recht gilt ein Plan als „fair and equitable“, wenn die durch ihn

beeinträchtigte, opponierende Minderheit den vollen Wert ihres Anspruches erhält, bevor nachrangige Gläubiger oder Anteilsinhaber etwas nach dem Plan er- bzw. behalten (11 U.S.C. § 1129 (b) (2)). Es gilt mithin im Grundsatz die Regel des absoluten Vorrangs. Die Minderheit ist des Weiteren durch den sog. Best Interests of Creditors-Test geschützt (11 U.S.C. § 1129 (b) (1) i.V.m. § 1129 (a) (7) (A) (ii)). Sofern die Anteilsinhaber neue Mittel in die Gesellschaft einbringen, kommt ihnen jedoch die von der Rechtsprechung entwickelte sog. new value exception zugute (11 U.S.C. § 1129 (b) (2) (B)). Zuletzt wurde im Jahre 2019 außerdem ein neues Reorganisationsgesetz für kleine Unternehmen verabschiedet (sog. Small Business Reorganization Act), das als neues Subchapter V in 11 U.S.C. Sec. 1181–1195 gesetzlich verankert ist. Die neuen Regeln sehen ebenfalls keinen relativen Vorrang vor, sondern die aus dem Chapter 12-Verfahren bekannte disposable income-Regelung, wonach der Schuldner oder die an ihm beteiligten Personen ihre Anteile oder Mitgliedschaftsrechte am Unternehmen behalten können, wenn innerhalb von drei bis fünf Jahren sämtliche verfügbaren Einnahmen an die ungesicherten Gläubiger ausgezahlt werden.

14 Im Rahmen eines englischen Scheme of Arrangement ist ein gruppenübergreifender Mehrheits-

entscheid nicht zulässig, weshalb sich in diesem Zusammenhang die Frage der anwendbaren Verteilungsregel nicht gestellt hat (s. Ausl. Sanierungsverfahren Kap. GB Rz. 1 ff., 52). Dies war auch einer der Gründe, warum der englische Gesetzgeber im Jahre 2020 ein neues Verfahren, den sog. Restructuring Plan, eingeführt hat (s. Ausl. Sanierungsverfahren Kap. GB Rz. 102 ff., 167). Dieser sieht nun erstmals einen gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid vor. Während die überstimmte Minderheit durch die englische Variante des sog. Best Interests of CreditorsTests geschützt ist, wird keine Aussage dazu getroffen, ob die absolute oder die relative Vorrangregel gelten soll. Vielmehr liegt es im Ermessen der Gerichte, im konkreten Fall zu entscheiden. Daraus dürfte sich zunächst eine gewisse Rechtsunsicherheit ergeben, die jedoch bereits im Rahmen von ersten gerichtlichen Entscheidungen verringert wird. Vor allem aber ermöglicht der Restructuring Plan flexible und damit sanierungsfördernde Entscheidungen.

9 Westpfahl/Liedl in FS Gehrlein, 2022, S. 589.

442 | Westpfahl

Absolute Priorität | Rz. 18 § 27

Demgegenüber sieht das neue niederländische Restrukturierungsgesetz (Wet homologatie on- 15 derhands akkoord/WHOA) im Falle eines gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids im Grundsatz die absolute Vorrangregel als maßgeblichen Verteilungsmaßstab vor, lässt jedoch Abweichungen hiervon zu, sofern sie sachgerecht sind und die Interessen der hiervon betroffenen Gläubiger nicht verletzt werden (Ausl. Sanierungsverfahren Kap. NL Rz. 2, 111 ff.).

V. Angemessene Beteiligung von Gläubigergruppen (§ 27 Abs. 1 StaRUG) Eine angemessene Beteiligung am Planwert für die Mitglieder einer dissentierenden Gläubi- 16 gergruppe i.S.v. § 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG liegt (nur) dann vor, wenn die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 Nr. 1–3 StaRUG kumulativ vorliegen.10 Dies folgt bereits aus der Verknüpfung der § 27 Abs. 1 Nr. 1–3 StaRUG durch die Verknüpfung „und“.

1. Verbot der Überkompensation (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) Nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG darf zunächst kein planbetroffener Gläubiger wirtschaftliche 17 Werte erhalten, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen. Die Regelung entspricht § 245 Abs. 2 Nr. 1 InsO und modifiziert diesen insoweit, als sie sich nur auf das Verhältnis der planbetroffenen Gläubiger untereinander bezieht. Dies erklärt sich durch die mögliche Teilkollektivität des Verfahrens. Mit dieser Maßgabe gilt, dass keine Gruppe von Planbetroffenen hinnehmen muss, dass eine andere mehr als den vollen Betrag ihres Anspruchs erhält. Damit sollen nicht zuletzt auch Vermögensmanipulationen zum Nachteil anderer Planbetroffener verhindert werden.11 a) Allgemeines Es ist mithin zu prüfen, ob der geplante Vermögenszufluss den Nennwert der Forderung(en) 18 der jeweiligen Planbetroffenen übersteigt. Bei einer im Restrukturierungsplan vorgesehenen Barauszahlung fällt dieser Vergleich leicht. Eine Barauszahlung unmittelbar nach Wirksamwerden des Restrukturierungsplans wird jedoch nicht immer bzw. dürfte eher ausnahmsweise vorgesehen sein.12 Regelmäßig wird der Vermögenszufluss vielmehr in einer zukünftigen Zahlung aus im Rahmen der Unternehmenstätigkeit erzielten Erträgen bestehen. Für diesen Fall müssten diese zukünftigen Zahlungen ebenso wie bei der Vergleichsrechnung für die Prüfung des Schlechterstellungsverbotes risikoadäquat abgezinst werden, um zu ermitteln, ob eine Überkompensation vorliegt oder nicht.13 Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung ist die gerichtliche Entscheidung über die beantragte Planbestätigung bzw., falls sich ein Beschwerdeverfahren anschließt, der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung.14

10 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), Hansen in Wolgast/ Grauer, § 27 StaRUG Rz. 4; kritisch dazu: Smid in Pannen/Riedemann/Smid, § 27 StaRUG Rz. 19 f. 11 Grub in FS Uhlenbruck, 2000, S. 501, 514. 12 Knapp in Flöther, § 27 StaRUG Rz. 5. 13 Herzig in Braun, § 27 StaRUG Rz. 4; Knapp in Flöther, § 27 StaRUG Rz. 5; Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 25; s. zur identischen Fragestellung beim Insolvenzplan etwa Drukarczyk/Schüler in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 245 InsO Rz. 17, 51 ff.; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 245 InsO Rz. 23; F. Becker in Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 41 Rz. 28 ff. 14 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Westpfahl | 443

§ 27 Rz. 19 | Absolute Priorität b) Einzelfälle 19 Darüber hinaus gibt es jedoch verschiedene Konstellationen, in denen nicht ohne weiteres zu

beurteilen ist, ob eine Überkompensation vorliegt. Darunter finden sich sehr praxisrelevante Fragestellungen. aa) Verbesserung der Kreditkonditionen

20 Nicht selten wird der Restrukturierungsplan eine Verlängerung der Laufzeit von Krediten vor-

sehen, die dann mit der Veränderung bestimmter Konditionen einhergeht (sog. Amend & Extend). Diese Veränderungen können zwar kurzfristig in einer Verbesserung bzw. Erleichterung aus Sicht des Schuldners bestehen (z.B. niedrigere Zinsen, Aussetzung von Financial Covenants, etc.), um den Fortbestand des Unternehmens in der Krise zu ermöglichen. Zumindest mittelfristig werden die Finanzierer ihre Zustimmung zum Restrukturierungsplan jedoch mit einer Verbesserung ihrer Position verbinden wollen. Vor allem Banken werden schon aus regulatorischen Gründen ihr Engagement neu bewerten müssen und in aller Regel eine risikoadäquate Zinsanpassung verlangen. Spiegelt die Zinserhöhung tatsächlich nur dies, d.h. eine risikoadäquate Anpassung, wider, sollte darin kein Verstoß gegen das Verbot der Überkompensation liegen.15 Das gilt auch für andere Zinsgestaltungen, solange sie sich in diesem Rahmen bewegen.16

21 Auch wenn es richtig ist, dass neben der Verzinsung auch andere werterhöhende oder -min-

dernde Umstände zu berücksichtigen sein sollten,17 dürften doch sonstige Verschärfungen der Kreditbestimmungen wie Zusicherungen oder Auflagen (insbesondere Financial Covenants) im Zweifel nicht zu einem Verstoß gegen das Überkompensationsverbot führen. Problematischer könnte demgegenüber die Einräumung des Rechts zur späteren Umwandlung in Eigenkapital oder ein vergleichbares Instrument sein. Zeigt eine Bewertung der Anteile auf den möglichen Wandlungszeitpunkt, dass die planbetroffenen Gläubiger mehr erhalten würden als den Nennwert ihrer Forderung(en), dürfte eine Überkompensation i.S.v. § 27 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG vorliegen, selbst wenn die Entscheidung über die Ausübung des Wandlungsrechts erst später fällt.18 bb) Sondergebühren

22 Häufig erhalten Finanzierer im Zusammenhang mit einer finanziellen Restrukturierung eine

gesonderte Gebühr (sog. Restructuring Fee). Zwar wird es insoweit immer eine gewisse Marktüblichkeit geben; diese wird sich aber ständig weiterentwickeln. Bewegt sich die Gebühr im Rahmen des am Markt üblichen, ist dies ein Indiz dafür, dass keine Überkompensation vorliegt.19 Denn eigentlich ist eine derartige Gebühr als Gegenleistung für einen durch die Restrukturierung verursachten erhöhten Verwaltungsaufwand gedacht. Ist die Sondergebühr jedoch der Höhe nach nicht mehr mit einem erhöhten Aufwand zu rechtfertigen, ist im Zweifel von einer Überkompensation auszugehen.20

15 16 17 18 19 20

Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 29. Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 29. Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Vgl. hierzu auch Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Vorsichtiger Knapp in Flöther, § 27 StaRUG Rz. 7. Ebenso Knapp in Flöther, § 27 StaRUG Rz. 7; Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 30.

444 | Westpfahl

Absolute Priorität | Rz. 25 § 27

cc) Umwandlung in Eigenkapital

Anders gelagert ist die Problematik, wenn die Befriedigung nicht im Wege einer Barzahlung, 23 sondern durch Sachleistung, insbesondere durch Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital erfolgt (sog. Debt-Equity-Swap).21 Derartige Maßnahmen sind im Rahmen eines Restrukturierungsplans auch zulässig, wie sich aus § 2 Abs. 3 StaRUG und § 7 Abs. 4 Satz 1 StaRUG ergibt (s. dazu ausführlich § 2 Rz. 72 ff. und § 7 Rz. 75 ff.). In diesem Fall ist für die Beantwortung der Frage, ob ein Verstoß gegen das Verbot der Überkompensation vorliegt, die Bewertung der Anteile, die die anderen Planbetroffenen erhalten, maßgeblich. Der für diese Bewertung relevante Zeitpunkt ist die gerichtliche Entscheidung über die Planbestätigung.22 Ebenso wie im Rahmen des Schlechterstellungsverbots kommt es an dieser Stelle auf den tatsächlich realisierbaren Wert an.23 Im Unterschied zur Ermittlung der Einhaltung des Schlechterstellungsverbots scheidet an dieser Stelle jedoch die Durchführung eines Verkaufsprozesses zur Ermittlung des richtigen Wertes nachvollziehbarerweise aus. Denn die Umwandlung der Forderungen der betreffenden Planbetroffenen in Eigenkapital soll ja überhaupt erst die finanzielle (und gegebenenfalls. operative) Restrukturierung und damit die Schaffung zukünftiger Werte ermöglichen. Für die Beurteilung dieser zukünftigen Werte muss daher auf anerkannte investitionsorientierte Bewertungsmethoden zurückgegriffen werden. Dabei handelt es sich um Gesamtbewertungsverfahren wie das Ertragswertverfahren und das sog. Discounted Cashflow-Verfahren (DCF-Verfahren) (s. dazu ausführlich § 26 Rz. 45 ff.). Dass dabei die in dem Restrukturierungsplan vorgesehenen, finanziellen und gesellschafts- 24 rechtlichen Maßnahmen ebenso wie die in dem zugrunde liegenden Sanierungskonzept vorgesehenen operativen Maßnahmen zu berücksichtigen sind, dürfte keinem Zweifel unterliegen.24 Aber auch zukünftige Wertsteigerungen in dem für eine Bewertung maßgeblichen Zeitraum sollten konsequenterweise berücksichtigt werden. Eine abweichende Beurteilung liefe auf eine Modifikation der anwendbaren Bewertungsverfahren hinaus, für die vorliegend kein Grund ersichtlich ist. Daher ergibt auch die Unterscheidung zwischen dem „aktuellen“ Unternehmenswert einerseits und dem „rechnerisch sich am Ende des prognostizierten Sanierungszeitraums ergebenden“ Unternehmenswert keinen Sinn.25 Allerdings müssen solche zukünftigen, für den Wert relevanten Entwicklungen dann außer Betracht bleiben, wenn sie im Moment der Planbestätigung nicht überwiegend wahrscheinlich sind. Ebenso außer Betracht bleiben müssen Wertsteigerungen, die nur von dem neuen Anteilsinhaber realisiert werden können. In diesem Zusammenhang werden z.B. Synergieeffekte zwischen einem von dem neuen Anteilsinhaber bereits gehaltenen Unternehmen und dem Schuldner genannt.26

2. Absolute Priorität (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) Wie an anderer Stelle erläutert (s. Rz. 3 ff.) hat sich der deutsche Gesetzgeber im Grundsatz 25 für die absolute Prioritätsregel entschieden (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StaRUG), allerdings in § 28 StaRUG punktuelle Durchbrechungen vorgesehen. Nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG kann die Zustimmung einer ablehnenden Gruppe nicht ersetzt werden, wenn ein in einem Insolvenzverfahren nachrangiger planbetroffener Gläubiger, der Schuldner oder eine am Schuldner

21 Siehe ausführlich zum Instrument des Debt-Equity-Swap Westpfahl/Wilde in Eilers/Koffka/Mackensen/Paul/Josenhans, Private Equity, 4. Aufl. 2022, III.1. Debt Equity Swap Rz. 1 ff. 22 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 28. 23 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 24 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 28. 25 So aber Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 28. 26 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Westpfahl | 445

§ 27 Rz. 25 | Absolute Priorität beteiligte Person einen wirtschaftlichen Wert erhält, der nicht durch eine Leistung in das Vermögen des Schuldners vollständig ausgeglichen wird. a) Maßgebliches Rangverhältnis 26 Die Geltung von Prioritäten impliziert, dass es eine Rangfolge gibt. Gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 2

StaRUG (ebenso wie § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) soll es für diese Rangfolge in Anlehnung an § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO auf die Verteilungsreihenfolge in der Insolvenz ankommen, mithin die §§ 38, 39, § 199 Satz 2 InsO. Diese Übertragung wirft Fragen auf: aa) Absonderungsanwartschaften

27 Ebenso wenig wie in § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO werden in § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG Absonde-

rungsrechte, in diesem Fall als Absonderungsanwartschaften bezeichnet, ausdrücklich erwähnt. Im Insolvenzrecht sieht die herrschende Meinung das Absonderungsrecht als ein aliud zu den Insolvenzforderungen an, weshalb § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO auf das Verhältnis zwischen Absonderungs- und Insolvenzgläubigern keine Anwendung finden soll.27 Zwar würden auch Absonderungsansprüche aus der Masse bedient, allerdings gewährten sie nur ein vorrangiges Befriedigungsrecht aus bzw. an einem Vermögensgegenstand der Masse. Dadurch sei aber kein Rangverhältnis i.S.d. §§ 38 ff. InsO beschrieben.28 Die gleiche Auffassung wird wohl überwiegend auch für den Anwendungsbereich von § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG vertreten, wobei im Wesentlichen dieselben Argumente angeführt werden.29 Dem ist zuzustimmen. Weder ist der Restrukturierungs-Richtlinie ein anderes Verständnis zu entnehmen,30 noch sprechen sonstige StaRUG spezifischen Erwägungen für eine abweichende Beurteilung im Rahmen von § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Eine andere Frage ist, ob das gruppenübergreifende Diskriminierungsverbot des § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG auch zwischen Gruppen von Absonderungsanwartschaftsinhabern zu gelten hat.

bb) Rangvereinbarungen 28 Da der Restrukturierungsplan ein Instrument zur Insolvenzvermeidung darstellt, ist es folge-

richtig, für die Prioritätsregel grundsätzlich auf die Verteilungsreihenfolge in der Insolvenz abzustellen. Die §§ 38, 39 und § 199 Satz 2 InsO machen insoweit klare Vorgaben. Diese Reihenfolge kann in einem Insolvenzplan auch nicht durch vertragliche Vereinbarungen durchbrochen werden. Sofern derartige Abreden trotz Insolvenz zwischen den Vertragsparteien Geltung beanspruchen sollen, müssen sie sich außerhalb des Insolvenzplans einigen. Es stellt sich aber die Frage, ob gleiches auch im Rahmen von § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG zu gelten hat:

29 Nicht selten besteht die Finanzierung eines Unternehmens aus einer Kombination von Kon-

sortialkreditverträgen und Anleihen oder Schuldscheindarlehen. Häufig kommen sogar noch bilaterale Kredite auf lokaler Ebene, gegebenenfalls auch in einer Fremdwährung, hinzu. Diese Struktur kann von vornherein so aufgesetzt oder im Laufe der Zeit entstanden sein. Würde

27 LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 464; Spliedt in K. Schmidt, § 245 InsO Rz. 23; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 245 InsO Rz. 24; F. Becker in Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 41 Rz. 56; a.A. Smid, WM 2002, 1033, 1035 f.; Haas in Kayser/Thole, § 245 InsO Rz. 21. 28 Ausführlich Drukarczyk/Schüler in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 245 Rz. 75 m.w.N. 29 Herzig in Braun, § 27 StaRUG Rz. 6; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 19 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Knapp in Flöther, § 27 StaRUG Rz. 9; Hansen in Wolgast/Grauer, § 27 StaRUG Rz. 10; a.A. Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 34. 30 So aber Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 34 mit Verweis auf ErwGr. 55 Restrukturierungs-RL.

446 | Westpfahl

Absolute Priorität | Rz. 32 § 27

das Verhältnis dieser Finanzierungsinstrumente zueinander nicht geregelt, fände im Krisenfall ein ungesteuertes Wettrennen um das Haftungssubstrat statt. Um dies zu vermeiden, wird zwischen den Beteiligten der verschiedenen Finanzierungsinstrumente typischerweise eine Vereinbarung geschlossen, in der es insbesondere um das Rangverhältnis der Forderungen zueinander geht (sog. Intercreditor-Vereinbarung).31 Im Insolvenz(plan)verfahren folgt aus der Gesamtvollstreckungslogik und dem Prinzip der Verfahrensvereinfachung, dass derartige Rangvereinbarungen bei der Masseverteilung unberücksichtigt bleiben müssen. Die Insolvenzgläubiger (und Parteien einer Intercreditor-Vereinbarung) sind also grundsätzlich gleichrangig aus der Masse zu befriedigen. Der Innenausgleich findet dann über die ebenfalls in der Intercreditor-Vereinbarung geregelte Verpflichtung zur Auskehrung zu viel erhaltener Beträge an die vertraglich höherrangigen Gläubiger statt (sog. Turnover Obligation). Die sich an der Verteilungsreihenfolge der §§ 38, 39 und § 199 Satz 2 InsO orientierende Ge- 30 samtvollstreckungslogik der Insolvenz passt nicht gleichermaßen für ein präventives Restrukturierungsverfahren. Im Restrukturierungsplan geht es in aller Regel nicht um die Befriedigung der Planbetroffenen unmittelbar nach gerichtlicher Planbestätigung, sondern um die Unternehmensfortführung und die dafür notwendige Anpassung der vertraglichen Beziehungen zwischen Schuldner und Planbetroffenen.32 Er ist damit auf die Fortführung des Unternehmens, im Zweifel durch die unternehmenstragende Gesellschaft gerichtet. Der Restrukturierungsplan wird daher häufig vorsehen, dass die bestehende Finanzierungsstruktur zwar – gegebenenfalls auch erheblich – angepasst wird, aber eben grundsätzlich bestehen bleibt. Dann sollten aber auch die bestehenden vertraglichen Rangverhältnisse weiterhin Geltung beanspruchen.33 Dies gilt umso mehr, als der paradigmatische Anwendungsfall für das StaRUG eine finanzielle Restrukturierung sein wird (Verweis auf Einleitung) und es dabei regelmäßig um den Umgang mit komplexen Finanzierungsstrukturen gehen wird, bei denen die Rangverhältnisse über eine Intercreditor-Vereinbarung geregelt sind. Allerdings dürfte diese Frage im Rahmen von § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG in der Praxis kaum 31 relevant werden, da nicht zu erwarten ist, dass sich eine am Maßstab der insolvenzrechtlichen Verteilungsreihenfolge vorrangige Gruppe in einer Intercreditor-Vereinbarung vertraglich in den Nachrang (gegenüber einer insolvenzrechtlich nachrangigen Gruppe) begibt. Rangabreden werden stattdessen üblicherweise zwischen am Maßstab der insolvenzrechtlichen Verteilungsreihenfolge gleichrangigen Gläubigern getroffen. Praktische Bedeutung erlangt die Frage mithin im Rahmen von § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG (s. dazu sogleich unter Rz. 52 ff.). b) Erhalt eines wirtschaftlichen Wertes Der für die absolute Prioritätsregel wesensimmanente Grundsatz, dass Planbetroffene, die ge- 32 genüber der ablehnenden Gruppe nachrangig wären, keinen wirtschaftlichen Wert erhalten dürfen, wird in § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG eingeschränkt. Erhalten sie nämlich doch einen wirtschaftlichen Wert, gleichen ihn aber durch Leistungen in das Vermögen des Schuldners aus, sollen sie diesen Wert auch behalten dürfen. Damit orientiert sich § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG an § 245 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 InsO. Diese Ausnahme geht zurück auf die sog. New Value

31 Weitere Regelungsgegenstände sind die Koordinierung der Rechte bei der Verwertung von Sicherheiten sowie die Verwendung dabei erzielter Erlöse. Siehe dazu Westpfahl/Dittmar in Flöther, § 2 StaRUG Rz. 51 f. 32 Ebenso Knapp in Flöther, § 27 StaRUG Rz. 11. 33 Ebenso Knapp in Flöther, § 27 StaRUG Rz. 10 ff.; grundsätzlich auch Kowalewski/Praß in Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rz. 70 ff.; Kowalewski/Praß dann aber in Anbetracht des Wortlauts von § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG ablehnend (in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 33), um schließlich die Berücksichtigung im Rahmen von § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG grundsätzlich zulassen zu wollen (in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 17).

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§ 27 Rz. 32 | Absolute Priorität Exception, die ihre Ursprünge im US-amerikanischen Recht hat.34 Sie ist entwickelt worden, um Anteilsinhabern, die „aus dem Geld“ sind, nicht jeglichen Anreiz zu nehmen, sich konstruktiv an einer Restrukturierung zu beteiligen und ihnen den Erhalt der Anteile auch nach erfolgreicher Restrukturierung – wenn auch gegen eine entsprechende Leistung – zu ermöglichen. Dieser Gedanke findet sich auch in ErwGr. 56 Restrukturierungs-RL, wonach die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung von der allgemeinen Prioritätsregel abweichen können, wenn sie es „als angemessen erachten, dass Anteilsinhaber nach dem Plan bestimmte Beteiligungen behalten.“ 33 § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG kann sowohl Gläubiger als auch Anteilsinhaber betreffen. Während

es mit Blick auf gegenüber der ablehnenden Gruppe nachrangige Gläubiger vergleichsweise leichtfallen sollte, festzustellen, ob ihnen durch den Restrukturierungsplan ein wirtschaftlicher Wert zugewiesen wird, ist dies für Anteilsinhaber ungleich schwieriger. Das betrifft vor allem die Frage, wie der Wert der Anteile der bisherigen Inhaber zu bestimmen ist. Demgegenüber leichter dürfte die Frage zu beurteilen sein, in welcher Form die „Leistung“ in das Vermögen des Schuldners zu erfolgen hat. Sind die Anteilsinhaber nicht in der Lage, einen ihnen zufließenden wirtschaftlichen Wert auszugleichen, verlieren sie ihre Beteiligung. Hierfür stehen gem. § 2 Abs. 3 StaRUG und § 7 Abs. 4 StaRUG die gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen zur Verfügung. aa) Ermittlung des richtigen Wertes

34 Nicht jeder Restrukturierungsplan, der vorsieht, dass die bisherigen Anteilsinhaber ihre Betei-

ligung behalten, löst eine Ausgleichsverpflichtung im Sinne von § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG aus.35 Vielmehr ist der Wert der Anteile an dem durch den Restrukturierungsplan restrukturierten Unternehmen zu vergleichen mit dem Wert der Anteile am nicht restrukturierten Unternehmen.36 Sofern die Fortführung des Unternehmens beabsichtigt ist, muss Ausgangspunkt für die Bewertung ein Vergleich der Going Concern-Bewertungen des Unternehmens in beiden Konstellationen sein.

35 Dabei müssen solche Maßnahmen, die außerhalb des Restrukturierungsplans erfolgen, grund-

sätzlich außer Betracht bleiben.37 Gemeint sind insbesondere operative Sanierungsmaßnahmen, für die das StaRUG bekanntermaßen keine Eingriffsrechte vorsieht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn derartige Maßnahmen überhaupt erst auf Grund des Restrukturierungsplans möglich werden, dieser mithin die Zufuhr entsprechender Liquidität vorsieht.38

36 Im Übrigen sollte auch für diese Wertermittlung auf anerkannte investitionsorientierte Bewer-

tungsmethoden zurückgegriffen werden. Dabei handelt es sich vor allem um das Ertragswertverfahren und das sog. Discounted Cashflow-Verfahren (DCF-Verfahren) (vgl. § 26 Rz. 45 ff.).

37 Übersteigt die Going Concern-Bewertung des Unternehmens unter Berücksichtigung der im

Restrukturierungsplan vorgesehenen Maßnahmen die Bewertung des Unternehmens ohne den Restrukturierungsplan nicht, erhalten die Anteilsinhaber auch keinen wirtschaftlichen Wert. Gleiches gilt, wenn durch den Restrukturierungsplan kein positiver Eigenkapitalwert geschaffen wird. Beides dürfe jedoch nur ausnahmsweise der Fall sein.

34 Dazu Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 2021, S. 231 ff. 35 Bork, ZRI 2021, 345, 358; Herzig in Braun, § 27 StaRUG Rz. 9; Knapp in Flöther, § 27 StaRUG Rz. 15; Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 36. 36 Siehe dazu auch Deckers, Mitgliedschaft in der Insolvenz, 2019, S. 242. 37 Knapp in Flöther, § 27 StaRUG Rz. 15. 38 Knapp in Flöther, § 27 StaRUG Rz. 15.

448 | Westpfahl

Absolute Priorität | Rz. 40 § 27

Im Anwendungsbereich von § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO wird darüber hinaus diskutiert, ob An- 38 teilsinhaber dann keinen wirtschaftlichen Wert erhalten, wenn kein Dritter bereit ist, das Unternehmen zu den im Restrukturierungsplan vorgesehenen Bedingungen zu übernehmen. Dies geht nicht zuletzt zurück auf einen entsprechenden Hinweis in der Regierungsbegründung zur Insolvenzordnung zu § 245 InsO.39 Zuweilen wird dieser gesetzgeberische Ausgangspunkt indes fehlinterpretiert und darauf abgestellt, ob alternativ zum vorgeschlagenen Insolvenzplan ein Kaufangebot eines Dritten vorgelegen hat.40 Hierauf soll es ausweislich der Ausführungen des Gesetzgebers indes nicht ankommen, sondern darauf, ob ein Dritter bereit gewesen wäre, das Unternehmen „zu den im Plan vorgesehenen Bedingungen“ fortzuführen. Darin liegt erkennbar ein erheblicher Unterschied. Ohnehin war der gesetzgeberische Hinweis auch nur als Zweifelsregelung („im Zweifel“) gemeint. Tatsächlich wird sich diese Frage in der Praxis kaum je beantworten lassen. Denn selbst wenn ein sog. Dual Track verfolgt wird, d.h. neben dem Insolvenzplan ein Verkaufsprozess durchgeführt wird, ist Maßstab für die Einholung von Angeboten eben nicht der Insolvenzplan, sondern ein eigenständiges Erwerbskonzept. Nur ganz ausnahmsweise wird der Fall vorliegen können, dass es ausgeschlossen ist, dass ein Dritter das Unternehmen nach eigenem Erwerberkonzept oder zu den im Insolvenzplan vorgesehenen Bedingungen fortführt. In (nur) diesem Fall könnte dann argumentiert werden, dass den Anteilsinhabern kein wirtschaftlicher Wert zufließt. Nichts anderes kann für den Anwendungsbereich von § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG gelten. Sind 39 die Anteilsinhaber „aus dem Geld“, wird die Beteiligung jedoch durch den Restrukturierungsplan, d.h. auf Grund von Beiträgen der Planbetroffenen wieder werthaltig, fließt den Anteilsinhabern ein ausgleichspflichtiger wirtschaftlicher Wert zu, selbst wenn kein Dritter bereit war, das Unternehmen mit einem eigenen Erwerberkonzept oder zu den im Restrukturierungsplan vorgesehenen Bedingungen fortzuführen.41 Der Umstand, dass kein Dritter bereit ist, das Unternehmen mit einem eigenen Erwerberkonzept oder zu den im Restrukturierungsplan vorgesehenen Bedingungen fortzuführen, kann lediglich als Indiz dafür gewertet werden kann, dass den Anteilsinhabern kein ausgleichspflichtiger wirtschaftlicher Wert zufließt.42 Allerdings sind auch in diesem Fall die weiteren Umstände des Einzelfalles zu würdigen. bb) Leistung in das Vermögen der Schuldnerin Nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG muss der den Anteilsinhabern zufließende Wert durch eine 40 Leistung in das Vermögen des Schuldners ausgeglichen werden. Ohne Zweifel muss ein vollständiger Ausgleich erfolgen, da sonst ein Verstoß gegen die absolute Prioritätsregel vorliegt.43 Weniger klar hingegen ist, worin die Leistung bestehen soll bzw. kann. Sollen auch Dienstleistungen, Kontakte, Know-how und sonstige Fähigkeiten der Anteilsinhaber unter den Leistungsbegriff des § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG subsumiert werden können? Für eine weite Auslegung scheint ErwGr. 59 Restrukturierungs-RL zu sprechen. Danach „sollen die Anteilsinhaber von KMU die Möglichkeit haben, mit Sachleistungen zur Restrukturierung beizutragen, indem sie beispielsweise auf ihre Erfahrung, ihren guten Ruf oder ihre Geschäftsbeziehungen zurückgreifen.“ Dieser Gedanke hat indes bereits in der Ausnahmeregelung des § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG Niederschlag gefunden (vgl. § 28 Rz. 19), so dass an dieser Stelle ein konkreterer Maßstab angezeigt ist, der sich noch stärker am tatsächlichen Wert der Leistung orientiert. 39 BT-Drucks. 12/2443, S. 209. 40 So etwa LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – II T 190/06, NZI 2007, 724, 726; LG Traunstein v. 27.8.1999 – IV T 2966/99, NZI 1999, 461, 464. 41 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 36 f.; in der Argumentation daher fehlgehend AG Dresden v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, NZI 2021, 893, 894 = ZInsO 2021, 1398, 1399. 42 In dieselbe Richtung Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 14a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 43 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Westpfahl | 449

§ 27 Rz. 41 | Absolute Priorität 41 Dafür spricht auch die gesetzgeberische Begründung, in der explizit auf den kompensatori-

schen Aspekt hingewiesen wird: „[...] dass eine Wertzuweisung an den Schuldner oder einen Anteilsinhaber unschädlich ist, wenn diese durch eine Leistung in das Vermögen des Schuldners kompensiert wird. In einem solchen Fall erfolgt unter dem Strich gerade keine Wertzuweisung, die sich zulasten der vorrangigen Gläubiger auswirkt.“44 Auch wenn die Regelung also die Verhinderung einer Benachteiligung von Anteilsinhabern bezweckt, die eine wertäquivalente Leistung erbringen, sollen doch zugleich die überstimmten Planbetroffenen geschützt werden.

42 Entscheidend dürfte deshalb sein, dass der Wert der betreffenden Leistungen objektiv fest-

stellbar und vorzugsweise bilanziell messbar ist.45 Das ist vor allem, aber nicht ausschließlich, bei einer Kompensation in Form einer Geld- oder Sachleistung der Fall.46 Ein denkbarer Maßstab für die Prüfung der Wertäquivalenz könnten die Regelungen zur Kapitalaufbringung im Kapitalgesellschaftsrecht sein.47 Denn auch insoweit wird letztlich der Schutz der Gläubiger bezweckt und deshalb eine „funktionale Äquivalenz“ von Geld- und Sacheinlage gefordert.48 Zu eng erscheint indes der Ausschluss der Übernahme einer Bürgschaft durch einen Anteilsinhaber.49 Denn bei unzweifelhafter Bonität kann hierin ebenso wie in der Übernahme einer persönlichen Haftung eine äquivalente Kompensation bestehen.50

43 Ist der objektive Wert festgestellt und fließt die Leistung in das Vermögen des Schuldners, ist

zwar dem Wortlaut des Gesetzes genügt. Gleichzeitig erhöht sich dadurch aber der Wert der Beteiligung entsprechend, was dazu führt, dass Nutznießer der Leistung eben gerade der oder die Anteilsinhaber sind. Der Gesetzgeber scheint diesen Umstand entweder nicht gesehen oder ihn nicht für problematisch erachtet zu haben und es fragt sich, ob es einer Korrektur bedarf. Die Antwort muss vermutlich differenziert ausfallen:

44 Sofern der Restrukturierungsplan vorsieht, dass eine bestehende Finanzierung über den in

§ 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG genannten Zeitraum (18 Monate) hinaus verlängert wird, besteht kein Korrekturbedarf, da eine volle – wenn auch spätere – Befriedigung der Planbetroffenen vorgesehen ist und die Leistung der Anteilsinhaber in das Vermögen des Schuldners die Rückzahlungswahrscheinlichkeit lediglich erhöht.

45 Sieht der Restrukturierungsplan demgegenüber einen Teilverzicht von Planbetroffenen vor,

stellt sich die Situation anders dar. Es könnte dann über einen Besserungsschein nachgedacht werden, der aus zukünftigen Erträgen bedient würde.51 Allerdings dürften Planbetroffene in aller Regel nicht bereit sein, einem Restrukturierungsplan zustimmen, der einen Teilverzicht vorsieht, um damit die Beteiligung der bisherigen Anteilsinhaber werthaltig zu machen. In der bisherigen außergerichtlichen Sanierungspraxis wird stattdessen regelmäßig mit einer Verlagerung des aktuell nicht werthaltigen Teils von Kreditforderungen bzw. -verbindlichkei44 45 46 47 48 49 50 51

BT-Drucks. 19/24181, S. 129. Herweg/Wirth, DB 2021, 886, 891. Münzel/Hansen in Wolgast/Grauer, § 27 StaRUG Rz. 15. Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 2021, S. 241 unter Verweis auf Herwig, Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, 2004, S. 192 f. zu § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO a.F. Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 2021, S. 241 m.w.N. So aber Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 2021, S. 241 unter Verweis auf Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 706 und Herwig, Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, 2004, S. 197 f. zu § 245 Abs. 2 Nr. InsO a.F. Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Bork, ZRI 2021, 345, 358. In eine ähnliche Richtung argumentieren Kowalewski/Praß (in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 58) die dem Gedanken eines „Abschöpfens“ des Planmehrwerts Sympathie entgegenbringen.

450 | Westpfahl

Absolute Priorität | Rz. 49 § 27

ten auf eine höhere Gruppenebene außerhalb des Konsolidierungskreises (sog. Debt Hive-up) gearbeitet. Diese Verbindlichkeiten werden dann mit einer längeren Laufzeit versehen und die Zahlung der Zinsen auf den Endfälligkeitszeitpunkt verschoben (sog. Payment in kind/PIK). Während der Schuldner also erst wieder in eine erhöhte Schuldentragungsfähigkeit (sog. Debt Capacity) hineinwächst, fließt weder Liquidität ab noch belasten die Verbindlichkeiten das bilanzielle Bild des Schuldners. Die Finanzierer erhalten dafür die Möglichkeit, dass nach erfolgter Sanierung auch der zunächst nicht mehr werthaltige Teil ihrer Forderungen befriedigt werden kann. Die Leistung der Anteilsinhaber muss nicht zwingend vor der gerichtlichen Bestätigung des 46 Restrukturierungsplans erfolgt sein. Eine Verpflichtung zur Leistung reicht aus.52 cc) Verlust der Beteiligung der Anteilseigner Erhält eine gegenüber den Anteilsinhabern vorrangige Gruppe von Planbetroffenen nicht den 47 vollen Betrag ihres Anspruches bzw. sind die Anteilsinhaber nicht in der Lage, einen ihnen zufließenden wirtschaftlichen Wert auszugleichen, verlieren sie ihre Beteiligung. Hierfür stehen dem Planarchitekten gem. § 2 Abs. 3 StaRUG und § 7 Abs. 4 StaRUG die gesellschaftsrechtlichen zulässigen Maßnahmen zur Verfügung. Dazu zählen insbesondere: – die Kapitalherabsetzung, – die Kapitalerhöhung (gegebenenfalls gegen Einbringung von Restrukturierungsforderungen), – die Übertragung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten, – die Einziehung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten. In der Praxis kommen im Zweifel vor allem zwei Wege in Betracht. Das ist zum einen die 48 Kapitalherabsetzung verbunden mit einer Kapitalerhöhung (vgl. § 7 Rz. 92 ff.).53 Zwar ist es richtig, dass anders als in einem Insolvenzverfahren, in dem die Kapitalherabsetzung fast immer auf Null vorgenommen wird, die Kapitalherabsetzung im Rahmen eines Restrukturierungsplans geringer ausfallen kann, weil die Anteile nicht zwingend wertlos sein müssen.54 Geht es indes um das Ausscheiden der bisherigen Anteilsinhaber, kommt nur eine Kapitalherabsetzung auf Null in Betracht. Die nachfolgende Kapitalerhöhung kann dann durch (Sach-)Einlage von Restrukturierungsforderungen oder durch eine Barkapitalzahlung erfolgen. Des Weiteren werden für den Fall, dass die Anteilsinhaber ausscheiden müssen, deren Bezugsrechte ausgeschlossen werden müssen. Zum anderen dürfte für das Ausscheiden der Anteilsinhaber die Übertragung von Anteils- 49 oder Mitgliedschaftsrechten in Betracht kommen (§ 7 Abs. 4 Satz 4 StaRUG; vgl. § 7 Rz. 106).55 Die Übertragung kann entweder direkt an einen Investor erfolgen, der den Kaufpreis dann in das Vermögen des Schuldners zur Verteilung an die Planbetroffenen leistet. Soll der Verkauf an einen Investor hingegen erst nach Abschluss der Sanierung erfolgen, können die Anteile auch zunächst auf einen Treuhänder bzw. einen sonstigen Dritten übertragen werden, der die Anteile während der Sanierungsphase hält, um sie dann nach Abschluss der Sanierung im Wege eines geordneten Verkaufsprozesses zu veräußern.56 Weitere technische 52 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hansen in Wolgast/ Grauer, § 27 StaRUG Rz. 16. 53 Siehe dazu Tasma in Flöther, § 7 StaRUG Rz. 23 ff.; Tresselt in Morgen, § 7 StaRUG Rz. 27 ff. 54 So Tresselt in Morgen, § 7 StaRUG Rz. 28. 55 Tasma in Flöther, § 7 StaRUG Rz. 34; Tresselt in Morgen, § 7 StaRUG Rz. 56 ff. 56 Letzteres ist in der deutschen Restrukturierungspraxis wiederholt vorgekommen. Dieser Weg wird dann eingeschlagen, wenn das Interesse der bisherigen Anteilsinhaber (über eine Treuhand) nicht mehr zu berücksichtigen ist. Der Dritte wird dann regelmäßig durch Managementgebühren und eine prozentuale Beteiligung am Kaufpreis incentiviert.

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§ 27 Rz. 49 | Absolute Priorität Möglichkeiten für das Ausscheiden von Anteilsinhabern sind die Einziehung oder der freiwillige Austritt.57 Die Einziehung kann entweder im Wege eines ordentlichen Einziehungsverfahrens (§ 237 Abs. 1 und 2 AktG; § 34 GmbHG) oder durch Anpassung des Nennwerts der Anteile erfolgen. Beide Wege werden allerdings die Ausnahme bleiben, weil im Zweifel über den Restrukturierungsplan auch gleich der Eintritt des neuen Gesellschafters geregelt werden soll. 50 Zuweilen wird es neben den nicht sanierungswilligen und damit ausscheidenden Gesellschaf-

tern auch solche geben, die in der Erwartung, Gesellschafter zu bleiben, bereit sind, einen Sanierungsbeitrag zu leisten. Für die Beantwortung der Frage, ob für die dann notwendige Ungleichbehandlung eine Lösung gefunden werden kann, sind die §§ 9 und 10 StaRUG maßgeblich. Gelingt es, für die Anteilsinhaber gem. § 9 Abs. 2 StaRUG unterschiedliche Gruppen zu bilden, ist eine Ungleichbehandlung schon aus diesem Grund denkbar (vgl. § 9 Rz. 47 ff.).58 Dabei dürfte zwar die nur angekündigte Bereitschaft, an der Sanierung mitzuwirken (oder nicht) kein hinreichendes Unterscheidungskriterium darstellen;59 entsprechende Verpflichtungserklärungen indes schon, wobei alle Gesellschafter die Gelegenheit erhalten haben sollten, eine derartige Erklärung abzugeben. Gelingt die Unterteilung in unterschiedliche Gruppen nicht, stellt sich die Frage, ob – in Anlehnung an anerkannte Ausnahmen zum gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz – auch eine Ausnahme vom Gleichbehandlungsgebot des § 10 Abs. 1 StaRUG zulässig ist. Diese Frage ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass bei Einhaltung des Gleichbehandlungsgebots die Sanierung des Unternehmens insgesamt scheitert, weil es keine andere Lösung gibt, die mit hinreichender Erfolgsaussicht umgesetzt werden kann. Hierfür kann auch die Rechtsprechung des BGH zur gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht in bestandsgefährdenden Krisensituationen herangezogen werden.60

51 Scheiden nach alledem einzelne oder alle Anteilsinhaber aus der Gesellschaft aus, stellt sich in

theoretischer Hinsicht die Frage einer Abfindung. Allerdings dürfte sie fast immer praktisch zu verneinen sein, selbst wenn noch bilanzielles Eigenkapital vorhanden ist. Denn Fremdkapitalgeber werden im Zweifel nur dann Zugeständnisse machen, wenn ihre vollständige Befriedigung nicht gewährleistet ist, was im Zweifel wiederum bedeutet, dass die Gesellschafter „aus dem Geld“ sind. Kann aber die Insolvenz des Schuldners im Zweifel nur auf Basis der Zugeständnisse der Planbetroffenen sowie Leistungen von Planbetroffenen oder Dritten, mit denen Sanierungsmaßnahmen finanziert werden können, abgewendet werden, kommt der Beteiligung kein wirtschaftlicher Wert mehr zu. Dann aber ist auch keine Abfindung zu leisten (vgl. § 7 Rz. 105).61

3. Verbot der Besserstellung gleichrangiger Planbetroffener (§ 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) 52 Nach § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG darf kein Planbetroffener, der in einem Insolvenzverfahren

gleichrangig mit der Gruppe der ablehnenden Planbetroffenen zu befriedigen wäre, besser als diese gestellt werden. Für am Schuldner beteiligte Personen stellt § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG eine entsprechende Regel auf.

57 58 59 60

Mulert/Steiner, NZG 2021, 673, 679 f. Kowalewski/Praß in Morgen, § 9 StaRUG Rz. 75 ff. Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 44. Siehe dazu BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, ZIP 2016, 1220 Rz. 13; Seibt in Scholz, 13. Aufl. 2022, § 14 GmbHG Rz. 101 m.w.N. 61 Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 53 f.

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Absolute Priorität | Rz. 57 § 27

a) Allgemeines In § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG wird in Anlehnung an § 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO die Vorgabe aus 53 Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c Restrukturierung-RL umgesetzt. Anders als beim insolvenzrechtlichen Pendant sind nach § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG in den Vergleich indes nur planbetroffene Gläubiger einzubeziehen.62 Das ergibt sich daraus, dass der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen anders als das Insolvenzverfahren nicht zwingend alle Gläubiger des Schuldners in den Restrukturierungsplan einbeziehen muss (sog. Teilkollektivität). Soweit daraus zugleich die Notwendigkeit einer Rechtfertigung der Ungleichbehandlung gegenüber den nicht in den Restrukturierungsplan einbezogenen Gläubigern resultiert, sieht § 8 StaRUG eine Sachgerechtigkeitskontrolle vor, um Missbräuchen zu begegnen. b) Berücksichtigung vertraglicher Rangabreden

In § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG wird ebenso wie in § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG auf die insolvenz- 54 rechtliche Verteilungsreihenfolge Bezug genommen. Dort wurde bereits dargelegt, dass und warum im Restrukturierungsplan vertragliche Rangabreden zwischen Planbetroffenen, die sich üblicherweise in Intercreditor-Vereinbarungen finden, zu berücksichtigen sind. Entscheidend ist, dass die sich an der Verteilungsreihenfolge der §§ 38, 39 und § 199 Satz 2 InsO orientierende Gesamtvollstreckungslogik der Insolvenz nicht gleichermaßen für den Restrukturierungsplan des StaRUG passt. Im Restrukturierungsplan geht es in aller Regel um die Unternehmensfortführung und die dafür notwendige Anpassung der vertraglichen Beziehungen zwischen Schuldner und Planbetroffenen, was häufig die Aufrechterhaltung der bestehenden Finanzierungstruktur, wenn auch zu veränderten Bedingungen, voraussetzt. Dann sollten aber auch die bestehenden vertraglichen Rangverhältnisse weiterhin Geltung beanspruchen, die typischerweise in einer Intercreditor-Vereinbarung geregelt sind (vgl. dazu bereits Rz. 28 ff.). Praktisch gesehen wird es (fast) ausschließlich um Abreden zwischen gleichrangigen Plan- 55 betroffenen und damit den Anwendungsbereich von § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG (und daher nicht § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) gehen.63 § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG ist folglich dahingehend auszulegen, dass innerhalb eines – gesetzlichen – Ranges vertragliche Rangabreden in dem Sinne zu berücksichtigen sind, dass eine vertraglich nachrangige Gruppe von Planbetroffenen keine nicht anderweitig ausgeglichenen Werte erhalten darf, sofern eine vertraglich vorrangige Gruppe von Planbetroffenen von einem gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid betroffen sein soll.64 Dies bedeutet gleichzeitig, dass eine nachrangige Gruppe von Planbetroffenen einer vorrangigen keinen Restrukturierungsplan gegen deren Willen aufzwingen kann. Darin liegt auch kein Widerspruch oder gar Verstoß gegen den in § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG 56 gesetzlich geregelten Grundsatz der Geltung der insolvenzrechtlichen Verteilungsreihenfolge und damit der Gleichbehandlung von Gleichrangigen. Denn es bleibt im Ausgangspunkt dabei, dass die insolvenzrechtliche Verteilungsreihenfolge auch für den Restrukturierungsplan gilt. Gemessen am insolvenzrechtlichen Maßstab sind gleichrangige Planbetroffene in einem Restrukturierungsplan gleich zu behandeln. Sofern sich aber eine Gruppe von Planbetroffenen mit einer anderen Gruppe von – gleichrangigen – Planbetroffenen darauf verständigt hat, erst nachrangig befriedigt zu werden, muss sie sich daran festhalten lassen. Der gesetzgeberischen Begründung ist nichts anderes zu entnehmen.65 Zwar ist es richtig, 57 dass der Gesetzgeber an anderer Stelle ausdrücklich auf Vereinbarungen zwischen Finanzie62 Dazu auch BT-Drucks. 19/24181, S. 129. 63 Es ist grundsätzlich ausgeschlossen, dass sich Planbetroffene, die in einem Insolvenzverfahren vorrangig wären, im Rahmen einer Intercreditor-Vereinbarung nachrangig stellen. 64 Ebenso Knapp in Flöther, § 27 StaRUG Rz. 12. 65 BT-Drucks. 19/24181, S. 127 f.

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§ 27 Rz. 57 | Absolute Priorität rergruppen eingegangen ist. Die Rede ist von § 2 Abs. 3 StaRUG, wo geregelt wird, dass auch solche Vereinbarungen durch einen Restrukturierungsplan gestaltet werden können. Die gesetzgeberische Enthaltsamkeit zu diesen (Intercreditor-)Vereinbarungen in § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG und der Gesetzesbegründung hierzu kann aber nicht in der Weise verstanden werden, dass der Gesetzgeber hier eine bewusste Entscheidung getroffen hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber einen ausdrücklichen Hinweis in Richtung der hier vertretenen Auffassung gegeben hätte, wäre ihm die Problematik bewusst gewesen. 58 Sofern – entgegen der hier dargelegten Position – die Auffassung vertreten wird, der Wortlaut

von § 27 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StaRUG verbiete die Berücksichtigung von Rangvereinbarungen,66 kann dasselbe Ergebnis hilfsweise über § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG erreicht werden.67 Nach dieser Vorschrift steht es einer angemessenen Beteiligung am Planwert nicht entgegen, wenn eine von § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG abweichende Regelung nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und nach den Umständen sachgerecht ist (vgl. § 28 Rz. 6 ff.). c) Feststellung einer Besserstellung

59 Ist für gleichrangige Gruppen eine gegenständlich unterschiedliche Behandlung vorgesehen,

wird dies im Zweifel die Notwendigkeit einer Bewertung hervorrufen, um die jeweiligen Leistungen vergleichen zu können. Denkbar ist etwa, dass einer Gruppe mit Planbestätigung eine Barzahlung angeboten wird, während eine andere die Laufzeit ihrer Finanzierung verlängert oder ihre Forderungen in Eigenkapital umwandelt (sog. Debt-Equity-Swap). Für den Fall der Umwandlung stellen sich dann dieselben Fragen wie beim Verbot der Überkompensation (vgl. Rz. 17 ff.). Es sind dann also die für die Beurteilung zukünftiger Werte maßgeblichen, investitionsorientierten Gesamtbewertungsverfahren wie das Ertragswertverfahren und das sog. Discounted Cashflow-Verfahren (DCF-Verfahren) heranzuziehen (vgl. § 26 Rz. 45 ff.). Dabei sind die in dem Restrukturierungsplan vorgesehenen, finanziellen und gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen ebenso wie die in dem zugrunde liegenden Sanierungskonzept vorgesehenen operativen Maßnahmen zu berücksichtigen. Gleiches gilt für zukünftige Wertsteigerungen in dem für eine Bewertung maßgeblichen Zeitraum, es sei denn, sie sind im Moment der Planbestätigung nicht überwiegend wahrscheinlich bzw. können nur von dem neuen Anteilsinhaber realisiert werden (vgl. Rz. 24).

60 Abweichend von der gegenständlich unterschiedlichen Behandlung gleichrangiger Gruppen

kann im Restrukturierungsplan vorgesehen werden, dass allen gleichrangigen Gruppen dieselben Optionen angeboten werden, zwischen denen sie dann wählen können. Insbesondere wenn im Plan die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital (sog. Debt-Equity-Swap) vorgesehen ist, kann es aus den unterschiedlichsten Gründen notwendig sein, den Planbetroffenen alternativ eine Barzahlung und/oder eine Verlängerung ihrer Finanzierung anzubieten. Einer der Gründe ist, dass es immer wieder Planbetroffene geben wird, die entweder nicht in der Lage sind, in die Eigenkapitalposition einzurücken oder die es schlicht nicht wollen. Zu ersteren gehören insbesondere die öffentliche Hand sowie bestimmte Investmentfonds, deren Regularien es nicht erlauben, Eigenkapitalpositionen zu halten. Daneben übernehmen deutsche, aber auch ausländische Geschäftsbanken in aller Regel aus Prinzip keine Eigenkapitalpositionen.

61 Vor diesem Hintergrund erscheint die Auffassung, dass allein das Angebot, zwischen verschie-

denen Alternativen zu wählen, eine Gleichbehandlung darstellt, ggf. als zu kurz gesprungen.68 66 So Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 33. 67 So Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 17. Demgegenüber lässt Knapp die Frage, ob das Ergebnis über § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG oder § 28 Abs. 1 StaRUG zu erzielen ist, offen (in Flöther, § 27 StaRUG Rz. 18 und § 28 StaRUG Rz. 5). 68 So aber Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Kowalewski/ Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 63.

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Absolute Priorität | Rz. 65 § 27

Der Planarchitekt wäre daher besser beraten, darzulegen, warum die verschiedenen Optionen wirtschaftlich vergleichbar sind. Allerdings sollten die Anforderungen insoweit nicht zu hoch angesetzt werden. Denn insbesondere jene Planbetroffene, die ihre Forderungen in Eigenkapital umwandeln, erhalten dadurch zwar wirtschaftliche Chancen, übernehmen aber auch wirtschaftliche Risiken.

VI. Angemessene Beteiligung von Anteilsinhabern (§ 27 Abs. 2 StaRUG) Nach § 27 Abs. 2 StaRUG ist eine überstimmte Gruppe von Anteilsinhabern am wirtschaftli- 62 chen Wert des Restrukturierungsplans angemessen beteiligt, wenn kein Gläubiger den Betrag seiner Forderungen übersteigende Werte erhält (§ 27 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) und kein ohne den Restrukturierungsplan gleichgestellter Anteilsinhaber einen wirtschaftlichen Wert behält (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG). Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen; dies folgt bereits aus der Verknüpfung der Nummern durch „und“.69 Die Vorschrift ist angelehnt an § 245 Abs. 3 InsO, weicht aber in einem entscheidenden Punkt hiervon ab (s. dazu sogleich unter Rz. 64 ff.).

1. Verbot der Überkompensation (§ 27 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) Die Regelung in § 27 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG entspricht der in § 27 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG. Es ist 63 mithin zu prüfen, welche Werte die Planbetroffenen durch den Restrukturierungsplan erhalten bzw. behalten und ob sie den vollen Betrag des Anspruches der Planbetroffenen übersteigen. Dabei gelten dieselben Bewertungsmaßstäbe wie bei § 27 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG (Rz. 17 ff.).

2. Verbot der Besserstellung (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) Nach § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG darf – vorbehaltlich § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG – kein Anteils- 64 inhaber, der ohne den Restrukturierungsplan der Gruppe der ablehnenden Anteilsinhaber gleichgestellt wäre, einen wirtschaftlichen Wert behalten. Damit weicht § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG von § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO an einem entscheidenden Punkt ab. Denn nach dem Wortlaut von § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG gilt zwischen diesen Anteilsinhabern nicht das Gebot der Gleichbehandlung. Vielmehr würde die Zustimmungsfiktion nach dem Wortlaut von § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG schon dann scheitern, wenn eine Gruppe von zustimmenden Anteilsinhabern einen wirtschaftlichen Wert behält. Dies würde selbst dann gelten, wenn die zustimmenden Anteilsinhaber im Verhältnis zur ablehnenden Gruppe der Anteilsinhaber schlechter gestellt wären70 oder wenn dieser Wert durch eine Leistung in das Vermögen des Schuldners ausgeglichen wird. Diese Diskrepanz zwischen § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG einerseits und § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO andererseits überrascht. Auch der Gesetzesbegründung ist keine Erklärung zu entnehmen.71 Dadurch wurden bereits unterschiedliche Auslegungsversuche provoziert. Eine Auffassung hält die Abweichung von § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO für ein Redaktionsversehen 65 und plädiert dafür, danach zu fragen, ob eine Besserstellung anderer – ohne den Restrukturierungsplan gleichgestellter – Anteilsinhaber vorliegt.72 Eine andere Auffassung zieht aus dem 69 So auch Smid in Pannen/Riedemann/Smid, § 27 StaRUG Rz. 21. 70 Hierauf weist auch Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) zu Recht hin. 71 BT-Drucks. 19/24181, S. 129. 72 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ähnlich Herzig in Braun, § 27 StaRUG Rz. 15.

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§ 27 Rz. 65 | Absolute Priorität Wortlaut von § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG die Schlussfolgerung, dass es nur einen Anwendungsfall gibt. Dieser soll dann vorliegen, wenn der Restrukturierungsplan gegen den Willen der Anteilsinhaber oder einer Gruppe von Anteilsinhabern eine Übertragung von Anteilsrechten vorsieht. Diese soll grundsätzlich nur dann angemessen sein, wenn kein anderer Anteilsinhaber seine Beteiligung behält.73 Eine weitere Auffassung schließlich nimmt § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG ebenfalls beim Wort, versucht jedoch ungerechte Ergebnisse durch eine ergänzende Auslegung zu vermeiden. So wird für den Fall, dass die Beteiligung vor Restrukturierung noch einen positiven Wert hat, der Minderheitenschutz bemüht und soll § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG dahingehend eingeschränkt werden, dass der betreffende Anteilsinhaber auch im Falle eines gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids seine Beteiligung behalten darf, sofern er anderenfalls schlechter als ohne den Restrukturierungsplan gestellt würde.74 Alternativ soll diesen Anteilsinhabern beim von § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG verlangten Ausscheiden aus dem Schuldner eine angemessene Abfindung gezahlt werden müssen.75 66 Im Ergebnis überzeugen die Bemühungen, § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG beim Wort zu nehmen

und ergänzend auszulegen, nicht. Es ist kein Grund erkennbar, warum gleichgestellte Anteilsinhaber ungleich behandelt werden sollten, zumal auch im Gesellschaftsrecht grundsätzlich das Gleichbehandlungsgebot gilt.76 § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG sollte also tatsächlich in Anlehnung an § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG dahingehend angewendet werden, dass zwischen gleichgestellten Anteilsinhabern der Grundsatz der Gleichbehandlung gilt.77 Zu erwägen ist auch, ob jene Anteilsinhaber, die einen größeren Wert erhalten als die Gruppe der ablehnenden Anteilsinhaber, den Mehrwert durch eine Leistung in das Vermögen des Schuldners ausgleichen können. Schließlich ist zu beachten, dass Anteilsinhaber nicht immer untereinander gleichgestellt im Sinne von § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG sind. So kann der gesellschaftsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung durch entsprechende gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen oder durch die Satzung der Gesellschaft (wenngleich nur in engen Grenzen) modifiziert werden. Auch kann die Beteiligung der Gesellschafter an der Gewinn- und Überschussverteilung abweichend geregelt werden. Derartige Unterschiede sollten dann auch im Rahmen des – wie vorstehend erläutert – richtig verstandenen § 27 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG berücksichtigt werden.

VII. Rechtsfolgen 67 Werden die Voraussetzungen des § 27 StaRUG nicht eingehalten und ist auch keiner der Aus-

nahmetatbestände des § 28 StaRUG erfüllt, sind die Mitglieder der überstimmten Gruppe nicht angemessen am Planwert i.S.v. § 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG beteiligt. Dementsprechend wird die Zustimmung nicht nach § 26 Abs. 1 StaRUG fingiert, sodass die erforderliche Mehrheit nicht zustande gekommen ist und die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG von Amts wegen zu versagen ist.

68 Lediglich diese Entscheidung kann mit der sofortigen Beschwerde nach § 66 StaRUG ange-

griffen werden. Separater Rechtsschutz gegen die isolierte Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über das Eingreifen der Zustimmungsfiktion des § 27 StaRUG besteht demgegenüber nicht.78

73 74 75 76

Hansen in Wolgast/Grauer, § 27 StaRUG Rz. 22. Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 71. Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 71. Vgl. nur Koch, 16. Aufl. 2022, § 53a AktG Rz. 1 ff. und Lieder in Michalski/Heidinger/Leible/ J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 13 GmbHG Rz. 108 ff. 77 Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 27 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ähnlich wohl Herzig in Braun, § 27 StaRUG Rz. 15. 78 So auch Herzig in Braun, § 27 StaRUG Rz. 16; Kowalewski/Praß in Morgen, § 27 StaRUG Rz. 78.

456 | Westpfahl

Durchbrechung der absoluten Priorität | § 28

§ 28 Durchbrechung der absoluten Priorität (1) 1Der angemessenen Beteiligung einer Gruppe von planbetroffenen Gläubigern am Planwert steht es nicht entgegen, wenn eine von § 27 Absatz 1 Nummer 3 abweichende Regelung nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und nach den Umständen sachgerecht ist. 2Eine von § 27 Absatz 1 Nummer 3 abweichende Regelung ist nicht sachgerecht, wenn auf die überstimmte Gruppe mehr als die Hälfte der Stimmrechte der Gläubiger der betroffenen Rangklasse entfällt. (2) Einer angemessenen Beteiligung einer Gruppe von planbetroffenen Gläubigern am Planwert steht es nicht entgegen, wenn der Schuldner oder eine an dem Schuldner beteiligte Person entgegen § 27 Absatz 1 Nummer 2 am Unternehmensvermögen beteiligt bleibt, sofern 1. die Mitwirkung des Schuldners oder der an dem Schuldner beteiligten Person an der Fortführung des Unternehmens infolge besonderer, in seiner Person liegender Umstände unerlässlich ist, um den Planwert zu verwirklichen, und sich der Schuldner oder die an dem Schuldner beteiligte Person im Plan zu der erforderlichen Mitwirkung sowie zur Übertragung der wirtschaftlichen Werte für den Fall verpflichtet, dass seine Mitwirkung aus von ihm zu vertretenden Gründen vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer kürzeren, für den Planvollzug vorgesehenen Frist endet oder 2. die Eingriffe in die Rechte der Gläubiger geringfügig sind, insbesondere, weil die Rechte nicht gekürzt werden und deren Fälligkeiten um nicht mehr als 18 Monate verschoben werden. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV. 1. 2. V. 1.

Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Normhistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Durchbrechung des Gleichbehandlungsgebotes (§ 28 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . 6 Zulässige Ungleichbehandlung bei Sachgerechtigkeit (§ 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) . 6 Fehlende Sachgerechtigkeit bei Ungleichbehandlung einer Mehrheit (§ 28 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Fortbestehende Beteiligung von Anteilsinhabern (§ 28 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . 17 Mitwirkung an der Fortführung des Unternehmens (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) . 18

a) b) c) d)

Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unerlässliche Mitwirkung . . . . . . . . . . Verpflichtung zur Mitwirkung . . . . . . Verpflichtung zur Übertragung der wirtschaftlichen Werte . . . . . . . . . . . . . 2. Geringfügiger Rechtseingriff (§ 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Befristete Verlängerung der Laufzeit von Restrukturierungsforderungen . . b) Sonstige geringfügige Eingriffe . . . . . . VI. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 24 27 28 34 35 37 38

Schrifttum: Herweg/Wirth, Der Restrukturierungsplan – Kernstück der präventiven Sanierung, DB 2021, 886; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Westpfahl/Liedl, Priorität im Restrukturierungsrecht, FS Gehrlein, 2022, 589.

Westpfahl | 457

§ 28 Rz. 1 | Durchbrechung der absoluten Priorität

I. Regelungsgehalt 1 § 28 StaRUG regelt, wie die amtliche Überschrift ausdrücklich sagt, Durchbrechungen der

absoluten Prioritätsregel und ist damit im Zusammenhang mit den §§ 26 und 27 StaRUG zu lesen. Nach § 28 Abs. 1 StaRUG liegt – in Abweichung vom Gleichbehandlungsgebot des § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG – auch bei Ungleichbehandlung der ablehnenden Gruppe gegenüber einer mit ihr nach Maßgabe der insolvenzrechtlichen Verteilungsreihenfolge gleichrangigen Gruppe eine angemessene Beteiligung vor, sofern dies nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und nach den Umständen sachgerecht ist. Nach § 28 Abs. 2 StaRUG ist es unter bestimmten Voraussetzungen möglich, dass Anteilsinhaber – in Abweichung von § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG – am Unternehmen beteiligt bleiben, ohne dass ein entsprechender Ausgleich erfolgt.

II. Normzweck 2 Der deutsche Gesetzgeber erlaubt den gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid nur unter

Geltung der absoluten Prioritätsregel. Eine strikte Einhaltung dieser Regel läuft jedoch Gefahr, insbesondere (aber nicht nur) in komplexen Konstellationen zu starr und unflexibel zu sein. Dies gilt vor allem für das Verhältnis der Planbetroffenen innerhalb eines insolvenzrechtlichen Ranges, also für das Gleichbehandlungsgebot, aber ebenso für das Verhältnis der Planbetroffenen unterschiedlicher Ränge. Das hat auch der Gesetzgeber erkannt und in § 28 StaRUG Durchbrechungen der absoluten Prioritätsregel normiert. Die Vorschrift dient somit der Flexibilität bei der Anwendung des gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids.

III. Normhistorie 3 § 28 StaRUG entspricht den Vorgaben der Restrukturierungs-Richtlinie. Zwar erklärt Art. 11

Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c Restrukturierungs-RL die relative anstelle der absoluten Prioritätsregel für den Grundfall. Der nationale Gesetzgeber kann nach Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 Restrukturierungs-RL Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 Restrukturierungs-RL aber auch die absolute Prioritätsregel wählen. In Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 Restrukturierungs-RL werden zudem Durchbrechungen der absoluten Prioritätsregel erlaubt, sofern dies zur Erreichung der Ziele des Restrukturierungsplans erforderlich ist und der Restrukturierungsplan nicht die Rechte oder Beteiligungen betroffener Parteien in unangemessener Weise beeinträchtigt.1 Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Grundsatz für die absolute Prioritätsregel entschieden, die punktuell durch die Regelungen in § 28 StaRUG durchbrochen wird. (s. dazu bereits § 27 Rz. 3 ff.).

4 Der Regelungsgehalt des heutigen § 28 StaRUG war bereits im Referentenentwurf des StaRUG

angelegt, nämlich in Abs. 5 des dortigen § 28, der den gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid noch umfassend in einer Vorschrift regelte. Durch Streichungen im vorderen Teil des Referentenentwurfs sowie die Verteilung der Vorgaben für den gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheid auf drei Normen (§§ 26–28 StaRUG) sind die Durchbrechungen der absoluten Prioritätsregel schließlich erneut in § 28 StaRUG gelandet. Gegenüber dem Referentenentwurf enthielt der Regierungsentwurf vor allem aber inhaltliche Veränderungen. Zum einen wurde die nun in Abs. 1 geregelte Ausnahme vom Gleichbehandlungsgebot in § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG aufgenommen. Zum anderen wurden die Voraussetzungen für das Behalten der Beteiligung aufgrund der in der Person des Gesellschafters liegenden Umstände in § 28 Abs. 2 1 Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch der ErwGr. 56 der Restrukturierungs-RL, wonach es angemessen sein soll, dass Anteilsinhaber nach dem Restrukturierungsplan eine Beteiligung behalten, obwohl eine vorrangige Gruppe eine Kürzung ihrer Forderungen in Kauf nehmen muss.

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Durchbrechung der absoluten Priorität | Rz. 6 § 28

Nr. 1 StaRUG dahingehend erhöht, dass sie für die Verwirklichung des Planwerts „unerlässlich“ sein muss und nicht nur „erforderlich“ und zudem das Erfordernis der Anteilsübertragung bei fehlender Mitwirkung aufgenommen. Die finale Fassung von § 28 StaRUG entspricht im Wesentlichen derjenigen des Regierungsentwurfs.

§ 28 StaRUG weicht deutlich vom insolvenzplanrechtlichen Vorbild ab. Denn weder für die 5 Ausnahme in § 28 Abs. 1 StaRUG noch für die in § 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG gibt es in § 245 InsO eine Entsprechung. Lediglich die in § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG geregelte Ausnahme findet sich nunmehr in § 245 Abs. 2 Satz 2 InsO wieder, ist dort jedoch auf natürliche Personen als Schuldner sowie auf Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten beschränkt, die auch an der Geschäftsführung beteiligt sind. Den Unterschied zwischen der Insolvenzordnung einerseits und dem StaRUG andererseits begründet der Gesetzgeber damit, dass der Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen nach § 8 StaRUG auch teilkollektive Lösungen erlaubt.2 Wo aber eine vollständige Nichteinbeziehung von bestimmten Gläubigern als zu weitgehend erscheine, habe der Planarchitekt mit der durch § 28 Abs. 1 StaRUG gewährten Möglichkeit der Abweichung vom Gleichbehandlungsgebot des § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG mehr Raum für flexible Lösungen.3 Das ist zwar zu begrüßen, allerdings wäre eine entsprechende Flexibilisierung auch im Rahmen von § 245 InsO sinnvoll und de lege ferenda wünschenswert.4

IV. Durchbrechung des Gleichbehandlungsgebotes (§ 28 Abs. 1 StaRUG) 1. Zulässige Ungleichbehandlung bei Sachgerechtigkeit (§ 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG erlaubt eine Abweichung von dem in § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG 6 geregelten Gleichbehandlungsgebot, wenn diese nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und nach den Umständen sachgerecht ist. Die Regelung ist im Zusammenhang mit § 8 Satz 2 Nr. 2 StaRUG zu sehen, wo für die Auswahl der Planbetroffenen eine ähnliche Formulierung gewählt ist („nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und den Umständen angemessen“).5 Tatsächlich dürften jene Erwägungen, die dafür sprechen, eine Gläubigergruppe gar nicht in den Restrukturierungsplan einzubeziehen, sehr weitgehend mit denen übereinstimmen, die dafür sprechen, eine Gläubigergruppe zwar in den Restrukturierungsplan einzubeziehen, sie aber gegenüber einer gleichrangigen Gruppe von Planbetroffenen besser zu behandeln. Allerdings dürfte es grundsätzlich für die Akzeptanz bei den Planbetroffenen förderlich sein, wenn andere gleichrangige Gläubiger ebenfalls in den Restrukturierungsplan einbezogen und (lediglich) besser behandelt werden.6 Es gibt jedoch auch Gründe, die dafür sprechen können, bestimmte Gläubiger von vornherein nicht in den Restrukturierungsplan einzubeziehen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sollte § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG eher weit verstanden7 und dem Schuldner

2 BT-Drucks. 19/24181, S. 129. 3 BT-Drucks. 19/24181, S. 129. 4 Siehe dazu auch Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 245 InsO Rz. 32 ff.; Thies in HambKomm/InsO, § 245 InsO Rz. 16. 5 Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 28 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Knapp in Flöther, § 28 StaRUG Rz. 4; Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 14 ff.; Münzel in Wolgast/Grauer, § 28 StaRUG Rz. 8. 6 Ähnlich Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 28 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der anderenfalls eine Erschwernis oder gar Gefährdung der Restrukturierung befürchtet. 7 Ebenso Münzel in Wolgast/Grauer, § 28 StaRUG Rz. 11; a.A. Knapp in Flöther, § 28 StaRUG Rz. 1 unter Hinweis auf die Regierungsbegründung (BT-Drucks. 19/24181, S. 130) der dies jedoch so nicht zu entnehmen ist.

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§ 28 Rz. 6 | Durchbrechung der absoluten Priorität ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt werden.8 Gleichwohl hat der Planarchitekt die Gründe für die konkret gewählte Differenzierung im darstellenden Teil des Restrukturierungsplans zu erläutern. 7 Tatbestandlich soll es für die Beantwortung der Frage, wann eine Ungleichbehandlung sachge-

recht sein kann, gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG auf die Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten sowie die Umstände des Falles ankommen. Eigentlich wäre es naheliegend, vor allem darauf abzustellen, ob es einer finanzwirtschaftlichen oder einer leistungswirtschaftlichen Restrukturierung bedarf oder beides erforderlich ist. Allerdings stellt der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen bekanntlich keine Instrumente für die Umsetzung einer leistungswirtschaftlichen Sanierung zur Verfügung.9 Es kann jedoch sinnvoll sein, danach zu differenzieren, ob sich die zu gestaltenden Restrukturierungsforderungen aus Finanzverbindlichkeiten ergeben oder aus dem operativen Geschäft. In diese Richtung weist auch die Regierungsbegründung: Die Unterscheidung zwischen Finanzverbindlichkeiten und solchen aus dem operativen Geschäft soll insbesondere dann sachgerecht sein, wenn es der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes dient und die dazu beitragenden Geschäftspartner darum von Beeinträchtigungen und Eingriffen zu verschonen sind.10

8 Tatsächlich ist in der Praxis immer wieder zu beobachten, dass Vertragspartner eines Unter-

nehmens in der Krise wie insbesondere Lieferanten eine Kürzung ihrer ausstehenden Forderungen zum Anlass nehmen, die Lieferbeziehung zu beenden oder zumindest die Lieferbedingungen zu verschärfen, sei es durch Anhebung von Preisen oder Verkürzung von Zahlungszielen. Dann aber kann es zur Vermeidung einer Disruption des Geschäftsbetriebes sachgerecht sein, stärker in die Rechtsposition der Finanzgläubiger einzugreifen und die für die ungestörte Fortführung des Geschäftsbetriebes relevanten Vertragspartner nur in geringerem Maße in die Pflicht zu nehmen, sofern sie eben nicht von vornherein aus dem Restrukturierungsplan herausgelassen werden. Finanzgläubiger verschließen sich dieser Logik in aller Regel nicht, da nur ein funktionierendes operatives Geschäft Gewähr dafür bietet, dass ihre (verbleibenden) Forderungen befriedigt werden und eventuell sogar vom Restrukturierungsplan betroffene Forderungsteile wieder werthaltig werden. Sind Vertragspartner indes ihrerseits von der vertraglichen Beziehung mit dem Schuldner abhängig, kann es an einer Rechtfertigung dafür fehlen, sie gegenüber den Finanzgläubigern besser zu behandeln.

9 Weitere Kriterien, die bei der Differenzierung zu berücksichtigen sein können, sind das (feh-

lende) Maß der Professionalisierung der Gläubiger und das (geringe) Volumen ihrer Forderungen. Allerdings sprechen sie weniger für eine Ungleichbehandlung im Rahmen des Restrukturierungsplans als dafür, Gläubiger von vornherein nicht in den Restrukturierungsplan einzubeziehen. Insbesondere erhöht sich das Entschuldungspotential bei Einbeziehung von Kleingläubigern nur unerheblich, während gleichzeitig die Komplexität des Verfahrens zunimmt. So ist der Erläuterungsaufwand gegenüber Kleingläubigern, die in aller Regel weniger professionell sind als Finanzgroßgläubiger, im Zweifel erheblich. Das kann, bei vergleichsweise geringem „Ertrag“, zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer und Erhöhung der Transaktionskosten führen. Es ist daher folgerichtig, wenn nur in § 8 Satz 2 Nr. 2 StaRUG ausdrücklich davon die Rede ist, dass Forderungen von Kleingläubigern, insbesondere Verbrauchern, Kleinund Kleinstunternehmen oder mittleren Unternehmen unberührt bleiben können, wohingegen in § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ein entsprechender Hinweis fehlt.

10 Gegebenenfalls kann § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG auch für eine Ungleichbehandlung von Fi-

nanzgläubigern herangezogen werden, die – typischerweise im Rahmen einer Intercreditor8 So auch Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 28 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 9 Derartige Maßnahmen müssen also ohne Zuhilfenahme gesetzlicher Erleichterungen umgesetzt werden, s. Einf. Rz. 38. 10 BT-Drucks. 19/24181, S. 129.

460 | Westpfahl

Durchbrechung der absoluten Priorität | Rz. 13 § 28

Vereinbarung – eine vertragliche Rangabrede getroffen haben.11 Bereits an anderer Stelle wurde erörtert, dass und warum derartige Vereinbarungen in einem Restrukturierungsplan anders als im Insolvenzplan weiterhin Geltung beanspruchen sollten (vgl. § 27 Rz. 28 ff.). Dieses Ergebnis kann damit begründet werden, dass das Gleichbehandlungsgebot des § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG von vornherein nur insoweit gilt, als die Planbetroffenen nicht schon anderweitig eine Abrede getroffen haben, so dass es gar nicht erst der Heranziehung von § 28 Abs. 1 StaRUG bedarf. Alternativ könnte für dieses Ergebnis auch die in § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG erlaubte Durchbrechung des Gleichbehandlungsgebotes bemüht werden. Zwar hat der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung mit dem Tatbestandsmerkmal der „Art der zu bewältigenden Schwierigkeiten“ erkennbar nicht schuldrechtliche Rangabreden vor Augen gehabt.12 Das steht einer Anwendung aber nicht zwingend entgegen. Demgegenüber dürfte das Besserstellungsgebot des § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG für diese Frage nicht relevant werden, weil es schwer vorstellbar ist, dass ein im Rahmen der insolvenzrechtlichen Verteilungsreihenfolge vorrangiger Gläubiger einer vertraglichen Abrede zustimmt, die ihn in den Nachrang stellt. Nicht zuletzt auf Grund der im Rahmen der COVID-19-Pandemie in großem Umfang ge- 11 währten staatlichen Hilfen dürfte sich in der Zukunft häufig die Frage stellen, ob der Umstand, dass Forderungen, die im Zusammenhang mit staatlichen Unterstützungsleistungen stehen, ein geeignetes Kriterium für die Ungleichbehandlung von Planbetroffenen sein kann. Für Leistungen, die im Rahmen von staatlichen Programmen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie gewährt wurden, ist insoweit § 7 COVInsAG zu berücksichtigen. Danach soll der Charakter dieser Leistungen für sich allein gerade kein geeignetes Kriterium für die Einbeziehung in den Restrukturierungsplan nach § 8 StaRUG oder die Abgrenzung der Gruppen nach § 9 StaRUG sein. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll entsprechendes auch für Prüfung der Sachgerechtigkeit im Rahmen von § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG gelten.13 Konsequenterweise muss dies dann aber auch in beide Richtungen wirken, d.h. dass damit auch keine Besserstellung von Forderungen aus staatlichen Hilfen begründet werden kann. Allerdings kann eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein, wenn weitere Erwägungen hin- 12 zutreten. Dies ergibt sich aus der Formulierung „für sich allein“ in § 7 COVInsAG. Denkbar ist etwa, dass Forderungen im Zusammenhang mit staatlichen Hilfeleistungen privilegiert werden, weil dies im Kreditvertrag oder – im Falle einer Bürgschaft – in der zugrundeliegenden Entscheidung so vorgesehen ist. Ist etwa bei Gewährung der Hilfeleistungen vereinbart worden, dass diese vor der bestehenden Finanzierung zurückgeführt werden sollen, kann deren Besserstellung gerechtfertigt sein. Ungeachtet dessen können sich Gläubiger von staatlichen Fördermaßnahmen (d.h. insbesondere die KfW, andere Förderbanken oder der Wirtschaftsstabilisierungsfond als Kredit- oder Sicherungsgeber) selbstverständlich freiwillig mit einer Ungleichbehandlung zu ihren Lasten einverstanden erklären. Eine andere Frage schließlich ist, ob für Forderungen aus staatlichen Hilfeleistungen, die nicht 13 im Rahmen von Programmen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie gewährt worden sind, etwas anderes gelten kann. Dies ist nach der hier vertretenen Auffassung durchaus denkbar, da sich der Hinweis im Zusammenhang mit § 7 COVInsAG eben nur auf Forderungen im Zusammenhang mit staatlichen Programmen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie bezieht. 11 So im Ergebnis Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 17; offenlassend Knapp in Flöther, § 28 StaRUG Rz. 5. 12 Ebenso Knapp in Flöther, § 28 StaRUG Rz. 5. 13 BT-Drucks. 19/25353, S. 7 f.; kritisch hierzu Münzel in Wolgast/Grauer, § 28 StaRUG Rz. 12, der darauf hinweist, dass sich Forderungen im Zusammenhang mit staatlichen Hilfeleistungen nach Motiv (Gemeinwohlinteressen) und Finanzierung (Staatshaushalt) erheblich von sonstigen Finanzierungsforderungen unterscheiden.

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§ 28 Rz. 14 | Durchbrechung der absoluten Priorität 14 Entschließt sich der Schuldner unter Rückgriff auf § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG zu einer Un-

gleichbehandlung von gleichrangigen Planbetroffenen, muss er ein ausgewogenes Verhältnis der Beiträge der jeweiligen Gruppen finden. Das kann im Einzelfall sehr schwierig sein und er muss nicht nur befürchten, dass die schlechter behandelten Planbetroffenen die Ungleichbehandlung insgesamt in Frage stellen, sondern auch die konkrete Gewichtung der Beiträge. Tatsächlich dürfte rechnerisch fast immer auch eine andere Gewichtung denkbar sein, sofern nur die Summe der Beiträge gleichbleibt. Um insoweit nicht die Tür für zu zeit- und kostenintensive Diskussionen mit entsprechenden Gutachten zu öffnen, sollte dem Schuldner ein eher großzügiger Beurteilungsspielraum eingeräumt werden, der jedoch je nach Konstellation mit einer gesteigerten Begründungspflicht einhergehen kann.

2. Fehlende Sachgerechtigkeit bei Ungleichbehandlung einer Mehrheit (§ 28 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) 15 § 28 Abs. 1 Satz 2 StaRUG enthält eine unwiderlegliche Vermutung dahingehend, dass eine

Ungleichbehandlung gegenüber gleichrangigen Planbetroffenen einer oder mehrerer anderer Gruppen dann nicht sachgerecht ist, wenn auf die überstimmten Planbetroffenen mehr als die Hälfte der Stimmrechte der entsprechenden Rangklasse entfällt. Ob es sich um dieselbe Rangklasse handelt, bestimmt sich nach der insolvenzrechtlichen Verteilungsreihenfolge und damit nach den §§ 38 f. InsO, wobei hinsichtlich der nachrangigen Forderungen gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StaRUG jeweils eigene Rangklassen zu berücksichtigen sind.14 Werden mehrere Gruppen innerhalb einer Rangklasse überstimmt, reicht es aus, wenn die überstimmten Planbetroffenen zusammen mehr als die Hälfte der Stimmrechte derselben Rangklasse ausmachen.15 Dass nicht gleichzeitig der Umkehrschluss gilt, wonach eine Durchbrechung des Gleichbehandlungsgebots ohne weiteres sachgerecht ist, wenn auf die überstimmte Gruppe weniger als die Hälfte der betroffenen Forderungen der entsprechenden Rangklasse entfallen, ergibt sich bereits ohne weiteres aus dem Sinnzusammenhang der Sätze 1 und 2.16

16 § 28 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ist auf Betreiben des Rechtsausschusses eingefügt worden, der die

Sorge hatte, dass Forderungen im Zusammenhang mit staatlichen Programmen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie durch geschickte Gruppenbildung im Wege eines gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheids überstimmt werden könnten, obwohl sie die Mehrheit der Stimmrechte in ihrer Rangklasse darstellen (bzw. überhaupt den wesentlichen Teil der Unternehmensfinanzierung).17 Dahinter steckt auch der Gedanke, dass jene Planbetroffenen, die ohnehin die Hauptlast der Sanierungsbeiträge zu tragen haben, nicht gegen ihren Willen in einen Restrukturierungsplan gezwungen bzw. noch zusätzlich belastet werden sollen.18 Allerdings ist es nicht zwingend, dass die größten Gläubiger nach dem jeweiligen Restrukturierungsplan auch tatsächlich die Hauptlast tragen. Es ist durchaus denkbar, dass die Hauptlast im konkreten Fall von einer anderen Gruppe getragen wird. Außerdem kann die Ungleichbehandlung nach Maßgabe der Kriterien in § 28 Abs. 1 Satz 1 StaRUG trotzdem objektiv sachgerecht sein.19 Aus diesen Gründen wäre es vorzugswürdig gewesen, die Vermutung in § 28 Abs. 1 Satz 2 StaRUG nur als widerlegliche Vermutung auszugestalten.20

14 15 16 17 18 19

So auch Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 28 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 28 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Gleichwohl explizit der Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25353, S. 7. BT-Drucks. 19/25353, S. 7. Vgl. BT-Drucks. 19/25353, S. 7. Ähnlich Herzig in Braun, § 28 StaRUG Rz. 6; Münzel in Wolgast/Grauer, § 28 StaRUG Rz. 14; Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 19 f. 20 Ähnlich Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 20.

462 | Westpfahl

Durchbrechung der absoluten Priorität | Rz. 22 § 28

V. Fortbestehende Beteiligung von Anteilsinhabern (§ 28 Abs. 2 StaRUG) Nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG sollen Anteilsinhaber oder der Schuldner nur dann einen wirt- 17 schaftlichen Wert erhalten bzw. behalten dürfen, wenn er durch eine Leistung in das Vermögen des Schuldners vollständig ausgeglichen wird. Die Einhaltung dieses Grundsatzes muss aber nicht immer im Interesse der Beteiligten liegen bzw. notwendig sein. Um für derartige Konstellationen die nötige Flexibilität zu schaffen, werden in § 28 Abs. 2 StaRUG zwei Ausnahmen geschaffen. Danach ist ein vollständiger Ausgleich nicht erforderlich, wenn die weitere Mitwirkung der Anteilsinhaber (oder des Schuldners) für die Verwirklichung des Planwerts unerlässlich ist (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) oder wenn die geplanten Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen nur geringfügig sind (§ 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG).

1. Mitwirkung an der Fortführung des Unternehmens (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG durchbricht die in § 27 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 StaRUG 18 normierte absolute Prioritätsregel zugunsten eines Anteilsinhabers (oder des Schuldners), sofern seine Mitwirkung an der Fortführung des Unternehmens zur Realisierung des Planwertes unerlässlich ist und er sich zu dieser Mitwirkung verpflichtet. a) Allgemeines § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG stellt nicht etwa eine Konkretisierung von § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, 19 der die Voraussetzungen dafür normiert, unter denen Gesellschafter ihre Beteiligung behalten dürfen, dar, sondern bildet eine Ausnahme.21 Denn im Unterschied zu § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG ist es bei § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG nicht notwendig, dass die in der Person eines Anteilsinhabers (oder des Schuldners) liegenden Umstände, die zur Verwirklichung des Planwertes unerlässlich sein müssen, objektiv feststellbar und bilanziell messbar sind (vgl. § 27 Rz. 40 ff.). Soweit von „an dem Schuldner beteiligten Personen“ und „dem Schuldner“ selbst die Rede 20 ist, bedarf dies einer Präzisierung. Bei juristischen Personen ist eine Beteiligung „am Unternehmensvermögen“ begrifflich nicht denkbar. Dort sind immer nur die Anteilsinhaber „beteiligt“. Soweit auf den Schuldner abgestellt wird, können also nur natürliche Personen, die gem. § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG restrukturierungsfähig sind, gemeint sein.22 § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG bezieht sämtliche Anteilsinhaber ein, auch die nicht geschäftsfüh- 21 renden. Anders als noch im Referenten- und Regierungsentwurf findet sich eine Beschränkung auf geschäftsführende Anteilsinhaber nicht mehr im geltenden Gesetzestext. Da sich die Gesetzesbegründung noch auf den Referentenentwurf bezieht, ist es ohne Belang, dass dort noch auf geschäftsführende Anteilsinhaber abgestellt wird.23 Nach § 28 Abs. 2 StaRUG geht es darum, dass ein Anteilsinhaber „am Unternehmensver- 22 mögen beteiligt“ bleibt. Davon sind unzweifelhaft und in erster Linie die Anteile am Schuldner erfasst. Nimmt man die insolvenzrechtliche Verteilungsregel zum Maßstab, müssten eigentlich auch und erst recht Gesellschafterdarlehensforderungen geschützt sein.24 Denn im insolvenzrechtlichen Wasserfall rangieren Gesellschafterdarlehensforderungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) vor dem Eigenkapital (§ 199 Satz 2 InsO). Der Wortlaut von § 28 Abs. 2 StaRUG ist in

21 22 23 24

Anders Münzel in Wolgast/Grauer, § 28 StaRUG Rz. 16. Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 22. BT-Drucks. 19/24181, S. 130. So in der Tat Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 28 StaRUG Rz. 25 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 28 Rz. 22 | Durchbrechung der absoluten Priorität dieser Hinsicht nicht eindeutig, scheint aber eher gegen die Erfassung derartiger Forderungen zu sprechen.25 Diese Auslegung wird auch durch die Gesetzesbegründung gestützt, wonach Gesellschafterdarlehensforderungen nicht vom Anwendungsbereich des § 28 Abs. 2 StaRUG erfasst sein sollen.26 Auch wenn dies nicht weiter erläutert wird und man daher über die Motivation des Gesetzgebers nur spekulieren kann, erscheint die gegenteilige Auffassung daher nicht vertretbar. 23 Für die Ausnahme nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:

Erstens muss die Mitwirkung des Anteilsinhabers (oder des Schuldners) an der Fortführung des Unternehmens in Folge besonderer, in seiner Person liegender Umstände unerlässlich sein, um den Planwert zu verwirklichen. Zweitens muss er sich zu der erforderlichen Mitwirkung im Restrukturierungsplan verpflichten. Drittens muss er sich zur Übertragung der wirtschaftlichen Werte für den Fall verpflichten, dass seine Mitwirkung aus von ihm zu vertretenden Gründen vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer kürzeren, für den Planvollzug vorgesehenen Frist endet. b) Unerlässliche Mitwirkung

24 Zunächst muss die Mitwirkung des Anteilsinhabers (oder Schuldners) an der Fortführung des

Unternehmens in Folge besonderer, in seiner Person liegender Umstände unerlässlich für die Verwirklichung des Planwerts sein. Für die Frage, welche Umstände das sein können, gibt die Gesetzesbegründung keinen weiteren Aufschluss, als dass sie nicht durch Dritte substituierbar sein dürfen.27 Allerdings legt es die gesetzliche Formulierung nahe, dass Standardbegründungen, in denen etwa auf Marktkenntnisse, Know-how oder Kunden- und Mitarbeiterbindung verwiesen wird, nicht ausreichend sein sollen.28 Damit ist zwar nicht gesagt, dass derartige Umstände im Rahmen von § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG überhaupt keine Bedeutung haben; allerdings müssen sie für die Sicherung der Fortführung des Unternehmens und das Erreichen des Planziels kausal sein und genau das muss im Restrukturierungsplan konkret begründet werden. So kann es durchaus sein, dass ein Anteilsinhaber über Know-how verfügt, das kurzfristig weder durch einen Mitarbeiter des Unternehmens oder Dritte ersetzt werden kann. Zu denken ist vor allem an technologisches Wissen etwa im Bereich von Start-ups, aber auch an technisches Wissen oder eine besondere fachliche Qualifikation in anderen Bereichen. Ganz ausnahmsweise kann auch die Persönlichkeit des Unternehmers ausschlaggebend sein, wenn das Unternehmen auf ihn oder sie zugeschnitten ist und Lieferanten, Kunden oder sonstige Vertragspartner die Aufrechterhaltung der Vertragsbeziehung von seinem oder ihrem Verbleib abhängig machen.29 Je weniger konkret die Umstände beschrieben werden können, desto höher muss der Begründungsaufwand sein.30 Um jedoch dem gesetzgeberischen Ziel größerer Flexibilität zu entsprechen, sollte insgesamt kein zu strenger Maßstab angelegt werden und sdie Tatbestandsmerkmale eher weit ausgelegt werden.31

25 Das gilt auch für die Frage der (fehlenden) Substituierbarkeit. Ausweislich der Gesetzes-

begründung dürfen die Beiträge des Anteilsinhabers (oder des Schuldners) nicht durch eine andere Person substituierbar sein bzw., wenn dies doch der Fall ist, darf kein Dritter dazu be-

25 26 27 28 29

A.A. Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 28 StaRUG Rz. 26 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). BT-Drucks. 19/24181, S. 130. BT-Drucks. 19/24181, S. 130. Ebenso Herzig in Braun, § 28 StaRUG Rz. 10. Das wird typischerweise aber nur dann der Fall sein, wenn die Unternehmenskrise durch exogene Faktoren verursacht worden ist. 30 Vgl. zu alledem Herzig in Braun, § 28 StaRUG Rz. 10 m.w.N. 31 Ebenso Münzel in Wolgast/Grauer, § 28 StaRUG Rz. 19; a.A. Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 25.

464 | Westpfahl

Durchbrechung der absoluten Priorität | Rz. 30 § 28

reit sein.32 Daraus folgt erkennbar, dass der Gesetzgeber die Substituierung durch einen Dritten zwar für generell vorzugswürdig erachtet. Sofern aber die Kosten oder sonstigen Nachteile, die damit verbunden wären, dazu führen, dass der Planwert nicht in gleicher Weise verwirklicht werden kann, sollte ausnahmsweise trotz Substituierungsmöglichkeit eine Beteiligung des Anteilsinhabers (oder des Schuldners) erwogen werden.33 Denn letztlich ist die in § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG normierte Ausnahme nur dadurch gerechtfertigt, dass die Realisierung des Planwertes für alle Betroffenen ansonsten nicht in gleicher Weise möglich ist.34 Bietet ein Anteilsinhaber die Zuführung zusätzlicher Liquidität an, ist dies kein Fall von § 28 26 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG.35 Die Subsumtion unter den Wortlaut des Gesetzes erscheint kaum möglich. Dessen bedarf es aber auch nicht, da stattdessen § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG Anwendung finden würde. c) Verpflichtung zur Mitwirkung Der Anteilsinhaber (oder der Schuldner) muss sich zu der erforderlichen Mitwirkung ver- 27 pflichten. Außer dass diese Verpflichtung im Restrukturierungsplan zu erfolgen hat, lässt das Gesetz jedoch offen, was genau zu vereinbaren ist. In inhaltlicher Hinsicht sollte die Verpflichtung so konkret wie möglich beschrieben werden, nicht zuletzt deshalb, damit nachvollzogen werden kann, ob die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG erfüllt sind bzw. nicht erfüllt werden und dadurch die Rückübertragungspflicht ausgelöst wird.36 In zeitlicher Hinsicht ist die erforderliche Mitwirkung auf die Dauer des Planvollzugs angelegt, höchstens jedoch fünf Jahre, wie sich im Umkehrschluss aus der gesetzlichen Regelung (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG a.E.) ergibt.37 d) Verpflichtung zur Übertragung der wirtschaftlichen Werte Der Anteilsinhaber (oder der Schuldner) muss sich des Weiteren verpflichten, jene wirtschaft- 28 lichen Werte, die er be- oder erhalten hat, zu übertragen, wenn seine Mitwirkung aus von ihm zu vertretenden Gründen vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer kürzeren für den Planvollzug vorgesehenen Frist endet. Es gibt also keine gesetzliche Rückübertragungspflicht; vielmehr ist sie vertraglich zu regeln.38 Damit später möglichst kein Streit darüber entsteht, ob die Rückübertragungspflicht ausgelöst worden ist, empfiehlt es sich, den Inhalt der Mitwirkungsverpflichtung so konkret wie möglich zu beschreiben (dazu soeben unter Rz. 27). Ob es für die Verpflichtung eines Anteilsinhabers zur Mitwirkung und zur Übertragung wirt- 29 schaftlicher Werte neben einer entsprechenden Regelung im Restrukturierungsplan einer Erklärung (analog § 15 Abs. 3 StaRUG) bedarf, ist zweifelhaft. Denn ist der Anteilsinhaber am Restrukturierungsplan beteiligt, sollte er auch ohne eine separate eigene Willenserklärung durch den Restrukturierungsplan gebunden werden können.39 Für eine Mitwirkung des Schuldners stellt sich diese Frage ohnehin nicht. Bei dem zu übertragenden wirtschaftlichen Wert dürfte es sich in aller Regel um die bei den 30 Anteilsinhabern verbliebene Beteiligung handeln. Nur ausnahmsweise werden auch andere 32 BT-Drucks. 19/24181, S. 130. 33 Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 28 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Münzel in Wolgast/Grauer, § 28 StaRUG Rz. 18. 34 BT-Drucks. 19/24181, S. 130. 35 Tendenziell a.A. Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 27. 36 So etwa Thole, ZIP 2020, 1985, 1990. 37 Siehe dazu die Empfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25353, S. 8. 38 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 29. 39 Zweifel in Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 28 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Westpfahl | 465

§ 28 Rz. 30 | Durchbrechung der absoluten Priorität wirtschaftliche Werte in Betracht kommen.40 Im Zweifel wird auch die gesamte Beteiligung zu übertragen sein. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Beteiligung ausnahmsweise bei Planbestätigung noch einen positiven Wert hatte. Dann ist dieser Wert zu ermitteln und zu prüfen, ob dem Anteilsinhaber eine Beteiligung in entsprechender Höhe verbleiben kann.41 31 Noch schwieriger dürfte die Beurteilung von später erzielten Wertzuwächsen sein. Richtiger-

weise sollten sie jedoch nur dann dem Anteilsinhaber zugutekommen, wenn sie auf einen vertraglich nicht geschuldeten Beitrag durch ihn zurückgehen. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass er einen derartigen Wertzuwachs auch dann hätte behalten dürfen, wenn er den Planmehrwert entsprechend § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG ausgeglichen hätte.42 Vielmehr ist davon auszugehen, dass Wertzuwächse von einer zukunftsorientieren Bewertung bei der gerichtlichen Planbestätigung abgedeckt sind (vgl. § 27 Rz. 32 ff.).

32 Der zu übertragende wirtschaftliche Wert muss letztlich den überstimmten Planbetroffenen

zugutekommen. Das wird typischerweise durch Verwertung der Beteiligung und Auskehr des Erlöses bewirkt werden. Da der Anteilsinhaber im Zweifel keinen wirtschaftlichen Anreiz mehr für eine Mitwirkung hat bzw. er seine Mitwirkung ohnehin eingestellt hat, sollte die bestmögliche Verwertung auf anderem Wege sichergestellt werden. Denkbar wäre (in einem ersten Schritt) die im Restrukturierungsplan geregelte Übertragung auf einen in diesem benannten Treuhänder, der sie dann (in einem zweiten Schritt) verwertet.43 Zu beachten ist jedoch, dass es in diesem Fall zu mindestens zwei Veräußerungsvorgängen und damit im Zweifel auch dem doppelten Anfall von Grunderwerbssteuer käme.44 Um dies zu vermeiden, könnte stattdessen einem Dritten im Restrukturierungsplan (oder im Zusammenhang mit dem Plan) eine Vollmacht erteilt werden, der die Beteiligung dann auf dieser Grundlage veräußert und den Erlös auskehrt.

33 Verletzen die Anteilsinhaber ihre Mitwirkungspflichten, kommen zudem Schadensersatz-

ansprüche in Betracht.45

2. Geringfügiger Rechtseingriff (§ 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) 34 Die zweite Ausnahme von der absoluten Prioritätsregel zugunsten der Anteilsinhaber (oder

des Schuldners) betrifft nur geringfügige Eingriffe in Rechte der Planbetroffenen, wobei richtigerweise die dissentierenden Planbetroffenen gemeint sind. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass das Ausscheiden von Anteilsinhabern oder die Verdrängung des Schuldners dann unverhältnismäßig ist, wenn die Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen nur geringfügig sind.46 § 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG nennt ein Regelbeispiel, auf das die Ausnahme indes nicht beschränkt ist. a) Befristete Verlängerung der Laufzeit von Restrukturierungsforderungen

35 Mit der in § 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG geregelten Ausnahme hatte der Gesetzgeber, wie sich aus

dem Regelbeispiel ergibt, vor allem eine Fälligkeitsverschiebung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Nennwertes der Forderung vor Augen. Damit soll der äußerst relevante Anwen-

40 41 42 43 44 45 46

Ebenso Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 28 StaRUG Rz. 20 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Siehe dazu auch Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 33. So aber Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 33. Ebenso Knapp in Flöther, § 28 StaRUG Rz. 12. Ggf. kommen noch weitere veräußerungsbedingte Belastungen in Betracht. Ebenso Knapp in Flöther, § 28 StaRUG Rz. 11. BT-Drucks. 19/24181, S. 130.

466 | Westpfahl

Durchbrechung der absoluten Priorität | Rz. 37 § 28

dungsfall für den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen, nämlich eine Verlängerung von Kreditlaufzeiten unter gleichzeitiger Anpassung seiner Bedingungen (sog. Amend & Extend) Berücksichtigung finden. Hierbei geht es um eine Konstellation, in der die Kreditverbindlichkeiten zum aktuellen Zeitpunkt am Markt nicht refinanziert (geschweige denn zurückgezahlt) werden können und sich der Schuldner daher Zeit für die benötigte Sanierung kaufen will, um zu einem späteren Zeitpunkt wieder in die ursprüngliche Schuldenkapazität (sog. Debt Capacity) hinein zu wachsen. Nachdem im Referentenentwurf noch eine Prolongation von maximal 12 Monaten vorgesehen war, wurde der Zeitraum schließlich auf 18 Monate erhöht. Das mag in Einzelfällen ausreichen, insbesondere, wenn etwa der Markt für (Re-)Finanzierungsinstrumente wie Anleihen vorübergehend „geschlossen“ ist und es (nur) um die Überbrückung des Zeitraums geht, bis er sich wieder öffnet. In aller Regel dürften indes Verlängerungen der Laufzeit von mehr als 18 Monaten notwendig sein, weil der im Sanierungsgutachten festgelegte Sanierungszeitraum typischerweise entsprechend länger angelegt ist.47 In Anbetracht des gesetzlichen Wortlautes sollte jedoch eine über diesen Zeitraum hinausgehende Verlängerung nicht mehr über § 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG zu rechtfertigen sein.48 Es wäre daher de lege ferenda wünschenswert, wenn der in § 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG genannte Zeitraum auf bis zu 36 Monate verlängert würde.49 Sieht der Restrukturierungsplan einen sog. Amend & Extend mit einer Laufzeitverlängerung 36 von bis zu 18 Monaten vor, stellt sich die Frage, wie sich die damit verbundenen Anpassungen von einzelnen Vertragsbedingungen auf die Beurteilung auswirken. Derartige Anpassungen sind üblich und in aller Regel sogar für die betroffenen Gläubiger günstig. So wird nicht selten die Verzinsung an das erhöhte Risiko angepasst und werden den Finanzierern weitergehende Kontrollrechte eingeräumt. Allerdings ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Vertragsbedingungen zumindest vorübergehend gelockert werden müssen, um dem Schuldner den nötigen Freiraum zur Umsetzung des Sanierungskonzeptes zu geben. Ob die Ausnahme des § 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG dann immer noch eingreift, wird eine Frage des Einzelfalles sein.50 b) Sonstige geringfügige Eingriffe Da die Fälligkeitsverschiebung lediglich als Regelbeispiel formuliert ist, können auch sonstige 37 geringfügige Eingriffe unter § 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG fallen.51 Grundvoraussetzung ist jedoch ausweislich des Wortlauts von § 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG, dass es dabei zu keinem Teilverzicht kommt.52 Das müsste konsequenterweise auch für Zinsforderungen gelten,53 auch wenn diesbezüglich mehr Flexibilität wünschenswert wäre. Letztlich wird sich die Beurteilung, ob ein Eingriff noch geringfügig im Sinne von § 28 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG ist, daran zu orientieren haben, ob die fortbestehende Beteiligung der bisherigen Gesellschafter noch verhältnismäßig erscheint oder nicht.

47 So Knapp in Flöther, § 28 StaRUG Rz. 15; Westpfahl/Liedl in FS Gehrlein, 2022, S. 589, 607; kritisch ebenfalls Hacker/Weber, WPg 2021, 258, 263. 48 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 35. 49 Siehe dazu bereits Westpfahl/Liedl in FS Gehrlein, 2022, S. 589, 607. 50 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 37; zweifelnd Knapp in Flöther, § 28 StaRUG Rz. 15. 51 So auch Herzig in Braun, § 28 StaRUG Rz. 16. 52 Ebenso Kowalewski/Praß in Morgen, § 28 StaRUG Rz. 36; a.A. Herzig in Braun, § 28 StaRUG Rz. 16, der geringfügige Teilverzichte etwa von Kleingläubigern zulassen will. 53 A.A. Smid in Pannen/Riedemann/Smid, § 28 StaRUG Rz. 8.

Westpfahl | 467

§ 28 Rz. 38 | Durchbrechung der absoluten Priorität

VI. Rechtsfolge 38 § 28 StaRUG normiert Durchbrechungen der absoluten Prioritätsregel. Sind die entsprechen-

den Voraussetzungen erfüllt, liegt eine angemessene Beteiligung der überstimmten Planbetroffenen am Planwert vor und greift die Zustimmungsfiktion des § 26 Abs. 1 StaRUG. Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, ist die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG von Amts wegen zu versagen.

Kapitel 2 Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente (§§ 29-72) Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen (§§ 29-44) Unterabschnitt 1 Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens; Verfahren (§§ 29-41)

§ 29 Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (1) Zur nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 Absatz 2 der Insolvenzordnung können die in Absatz 2 genannten Verfahrenshilfen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (Instrumente) in Anspruch genommen werden. (2) Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens im Sinne des Absatzes 1 sind: 1. die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens (gerichtliche Planabstimmung), 2. die gerichtliche Vorprüfung von Fragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich sind (Vorprüfung), 3. die gerichtliche Anordnung von Regelungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung (Stabilisierung) und 4. die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans (Planbestätigung). (3) Soweit sich aus den Bestimmungen dieses Gesetzes nichts Abweichendes ergibt, kann der Schuldner die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens unabhängig voneinander in Anspruch nehmen. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256).

468 | Westpfahl und Herding/Krafczyk

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens | Rz. 1 § 29

I. 1. 2. 3. II.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normherkunft und -entwicklung . . . . . . . Norminhalt und -zweck . . . . . . . . . . . . . . Instrumente und Restrukturierungsplan . Drohende Zahlungsunfähigkeit als Zugangsvoraussetzung und Zielbestimmung (§ 29 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . 1. Zugangsvoraussetzung drohende Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Drohende Zahlungsunfähigkeit als Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) . . . . . . . . . . . . c) Ideales und kritisches Restrukturierungsfenster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Scharnier in beide Richtungen . . . . . . . 2. Zur nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit als Zielbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 3 8 9 12 12 14 16 20

3. Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung als Zugangshürde . . . . . . . . . . . . . . . a) Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) . . . . b) Überschuldung (§ 19 InsO) . . . . . . . . . III. Instrumente (§ 29 Abs. 2 StaRUG) . . . . 1. Gerichtliche Planabstimmung (§ 29 Abs. 2 Nr. 1, §§ 45 f. StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorprüfung (§ 29 Abs. 2 Nr. 2, §§ 47 f. StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stabilisierungsanordnung (§ 29 Abs. 2 Nr. 3, §§ 49 ff. StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . 4. Planbestätigung (§ 29 Abs. 2 Nr. 4, §§ 60 ff. StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verfahrensherrschaft des Schuldners und modulares Baukastenprinzip (§ 29 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Einflussnahme der Gesellschafter . . . . .

25 26 28 31 33 34 36 38 41 44

21

Schrifttum: Balthasar, Allgemeine Zugangsvoraussetzungen zu den Restrukturierungsinstrumenten, NZI-Beilage 2021, 18; Bork, Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nach § 29 StaRUG, NZI-Beilage 2021, 38; Brinkmann, Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise nach dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts, ZIP 2020, 2361; Brinkmann, Die Solvenzsicherungspflicht der Geschäftsleiter, KTS 2021, 303; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Freitag, Grundfragen der Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen und ihrer Umsetzung in das deutsche Recht, ZIP 2019, 541; Fritz/Scholtis, Anregungen für eine mutige und praxistaugliche Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie, BB 2019, 2051; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Hofmann, Vertragsbeendigung nach §§ 49 ff. StaRUG-E – praktisches Sanierungstool oder untaugliches Ungetüm?, NZI 2020, 871; Pluta, Insolvenzgründe im Kontext von StaRUG und InsO, NZI-Beilage 2021, 22; Proske/Streit, Rettende Restrukturierung durch Rechtsrahmen? Lob und Kritik zum Regierungsentwurf des StaRUG, NZI 2020, 969; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Vallender, Das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanIns-FoG), MDR 2021, 201; Ziegenhagen, Referentenentwurf des BMJV zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts – „Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG“, ZInsO 2020, 2090.

I. Einführung 1. Normherkunft und -entwicklung In Umsetzung der Vorgabe der Restrukturierungs-RL1 (vgl. Art. 4 Abs. 1 StaRUG und 1 ErwGr. 24 Restrukturierungs-RL), dass „Schuldner bei einer wahrscheinlichen Insolvenz Zugang zu einem präventiven Restrukturierungsrahmen haben“ sollen, leitet § 29 StaRUG den Abschnitt zu den verfahrensrechtlichen Vorschriften in §§ 29–41 StaRUG ein. In aller Kürze und wegweisend für das gesamte zweite Kapitel wird in § 29 Abs. 1 StaRUG der Anwendungsbereich des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens umrissen. Durch § 29 Abs. 2 Sta1 Zum Stand der Umsetzung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Schade/Blochberger, ZInsO 2022, 1093.

Herding/Krafczyk | 469

§ 29 Rz. 1 | Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens RUG, der die in den Folgeabschnitten konkret geregelten Instrumente überblicksartig vorstellt, und § 29 Abs. 3 StaRUG, der die Modularität des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens und die grundsätzliche Verfahrensherrschaft des Schuldners zum Ausdruck bringt, lässt die Eingangsvorschrift des zweiten Kapitels die in der Restrukturierungs-RL gewünschte Flexibilität hinsichtlich der Verfahrensausgestaltung erkennen (vgl. Art. 4 Abs. 5, Art. 5 Abs. 1 i.V.m. ErwGr. 29 ff. Restrukturierungs-RL).2 2 § 29 Abs. 1 StaRUG knüpft an den durch den jeweiligen nationalen Gesetzgeber zu definieren-

den Passus der „wahrscheinlichen Insolvenz“ („likelyhood of insolvency“, vgl. Art. 4 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Restrukturierungs-RL) an. Durch die Formulierung „zur nachhaltigen Abwendung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit“ beantwortet § 29 Abs. 1 StaRUG die intensiv diskutierte Frage des richtigen Einstiegs für das deutsche Recht, indem er den vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmen systematisch zwischen freier Sanierung und Insolvenzverfahren verortet.3 Dies akzentuiert der deutsche Gesetzgeber auch durch die Neubestimmung der Prognosezeiträume für die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 2 Satz 2 InsO) und die positive Fortbestehensprognose der Überschuldung (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO) mit Art. 5 Nr. 10, Nr. 11 SanInsFoG.4 Denn mit der Anknüpfung an den fakultativen Insolvenzantragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit stellt der Gesetzgeber – gerade auch in Abgrenzung zu den zwingenden Insolvenzantragsgründen der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, die gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG zur Aufhebung der Restrukturierungssache führen (s. § 33 Rz. 12) – ausdrücklich fest, dass erst (aber auch nur) die drohende Zahlungsunfähigkeit den Zugang zu den Verfahrenshilfen des Rahmens gewährt.5

2. Norminhalt und -zweck 3 Zu Beginn des Kapitels „Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente“ übernimmt § 29

Abs. 1 StaRUG die Funktion einer grundlegenden gesetzlichen Zielbestimmung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens.6 Die nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist das Ziel des Verfahrens. Damit ist die drohende Zahlungsunfähigkeit konzeptionell eine Grundvoraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente des Rahmens.7 Auf diesem Weg können einerseits Eingriffe in die Rechte der Planbetroffenen gerechtfertigt werden, wenn entsprechende Restrukturierungslösungen in Anknüpfung an einen auf § 18 InsO gestützten Insolvenzantrag doch auch in einem Insolvenzplanverfahren zu bewerkstelligen wären. Andererseits gelingt es dem Gesetzgeber so aber auch, den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen frühzeitig zur Verfügung zu stellen. In diesem Spannungsfeld zwischen einem möglichst früh im Vorfeld einer Insolvenz nutzbaren Instrument sowie einer hin2 Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 2, 6; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 3 Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18; Doebert/Krüger, NZI 2021, 614, 615; Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 2 Rz. 4; zu den vorgesetzlich diskutierten Umsetzungsmöglichkeiten Blankenburg in Morgen, Präventive Restrukturierung, 2019, Art. 4 Rz. 22 ff.; Freitag, ZIP 2019, 541; Fritz/Scholtis, BB 2019, 2051; Goetker in Flöther, SanierungsR, 2019, Kap. E. 34 ff.; ergänzend Madaus, Working Paper v. 25.3.2021, S. 6. Zur Konzeption des Restrukturierungsrahmens als „Lückenschluss“ zwischen Insolvenz und freier Sanierung BT-Drucks. 19/24181, S. 89. 4 BT-Drucks. 19/24181, S. 196 f.; Piekenbrock, NZI-Beilage 2021, 82, 83. 5 BT-Drucks. 19/24181, S. 132. 6 BT-Drucks. 19/24181, S. 132; ergänzend Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 1; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schröder in HambKomm/RestruktR, 2022, § 29 StaRUG Rz. 10. 7 BT-Drucks. 19/24181, S. 132; ergänzend Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 7; Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 2 Rz. 4; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 1.

470 | Herding/Krafczyk

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens | Rz. 6 § 29

reichenden Rechtfertigung zwangsweiser Gestaltungen und Eingriffe bewegten sich bis zur Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie die Diskussionen um die Frage des richtigen Einstiegszeitpunkts (s. Rz. 12 f.).8 Um das Ziel eines Rahmens mit Verfahrenshilfen für die vom Schuldner verfolgte Restruktu- 4 rierung9 nicht zu konterkarieren, findet – anders als nach einem Insolvenzantrag – nach der Anzeige keine eigene Zugangsprüfung in einem Vorverfahren durch das Restrukturierungsgericht statt; auch nicht mit Blick auf die drohende Zahlungsunfähigkeit. Stellt sich nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache aber das Nichtvorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit heraus, kann die Restrukturierungsache durch das Restrukturierungsgericht aufgehoben werden. Gleiches gilt, wenn schon die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eingetreten ist. Der Zugang durch einseitige Anzeige ist also mit einer nachgelagert erfolgenden Zugangskontrolle des Gerichts verbunden, die mit Anzeige- und Informationspflichten des Schuldners unterlegt ist (vgl. § 32 StaRUG). Dadurch sollen in Anknüpfung an die Zielbestimmung des § 29 Abs. 1 StaRUG dem Schuldner die Instrumente „niedrigschwellig“ zur Verfügung stehen, zugleich aber auch einem Missbrauch des Verfahrens vorgebeugt werden. Entsprechend ist die Anzeige des § 31 StaRUG systematisch mit den Anzeige- und Informationspflichten des § 32 StaRUG und den in § 33 StaRUG vorgehaltenen Grenzen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens verschränkt (s. § 33 Rz. 1 f.).

§ 29 Abs. 2 StaRUG listet die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens 5 enumerativ auf.10 Hierzu zählen die gerichtliche Planabstimmung (Nr. 1, §§ 45 f. StaRUG), die Vorprüfung (Nr. 2, §§ 47 f. StaRUG), die Stabilisierung (Nr. 3, §§ 49 ff. StaRUG) und die gerichtliche Planbestätigung (Nr. 4, §§ 60 ff. StaRUG). Das Instrument der Vertragsbeendigung hingegen hat keinen Einzug in den finalen Gesetzestext gefunden (vgl. noch § 29 Abs. 2 Nr. 4, §§ 49 ff. StaRUG-RefE sowie § 31 Abs. 2 Nr. 3, §§ 51 ff. StaRUG-RegE).11 Mit Blick auf die dem Insolvenzrecht entlehnte Zugangsvoraussetzung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und die Ausgestaltung des Restrukturierungsplans wird das StaRUG einer „weitgehenden funktionalen Übereinstimmung [des präventiven Rahmens] mit den insolvenzrechtlichen Sanierungsoptionen“ gerecht.12 Mit der mit dem StaRUG neueingeführten Stabilisierungsanordnung löst sich der Gesetzgeber jedoch von den insolvenzrechtlichen Vorbildern und betritt entlang der Vorgaben der Richtlinie (vgl. zur Stabilisierungsanordnung Art. 6, 7 i.V.m. ErwGr. 32 ff. Restrukturierungs-RL) neue Pfade, die der eigenen Logik eines teilkollektiven vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmens folgen. Entsprechend ergänzt der Gesetzgeber die Verfahrenshilfen sinnvoll um das Instrument der Vorprüfung, welche schon deshalb nicht zu unterschätzen ist, weil damit – (auch) noch im Rahmen selbst – sanfter Druck in Richtung konsensualer Lösung ausgeübt werden kann. Wie in Art. 4 Abs. 5, Art. 5 Abs. 1 i.V.m. ErwGr. 29 ff. Restrukturierungs-RL angelegt, sind 6 die Restrukturierungslösungen im StaRUG als (Restrukturierungs-)“Rahmen“ konzipiert, in dem modular nach dem Baukastenprinzip13 unterschiedliche „Verfahren, Maßnahmen oder Bestimmungen“ bzw. Verfahrenshilfen in Form der unterschiedlichen Instrumente zur Verfügung stehen. Diesen modularen Charakter hebt § 29 Abs. 3 StaRUG ausdrücklich hervor, wenn danach die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens durch den Schuldner unabhängig voneinander in Anspruch genommen werden können. Innerhalb der mit Anzeige rechtshängigen Restrukturierungssache liegt die Entscheidung, ob und wie die 8 Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18; Doebert/Krüger, NZI 2021, 614, 615; Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 2 Rz. 3; Schröder in HambKomm/RestruktR, 2022, § 29 StaRUG Rz. 4 f. 9 BT-Drucks. 19/24181, S. 130. 10 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 1. 11 Zur Vertragsbeendigung Bork, ZRI 2020, 457; Hofmann, NZI 2020, 871; Thole, ZIP 2020, 1985, 1995. 12 BT-Drucks. 19/24181, S. 89; ergänzend Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 29 StaRUG Rz. 3 f. 13 Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 29 StaRUG Rz. 1; Schröder in HambKomm/RestruktR, 2022, § 29 StaRUG Rz. 25 f.; außerdem Proske/Streit, NZI 2020, 969; Vallender, MDR 2021, 201, 202.

Herding/Krafczyk | 471

§ 29 Rz. 6 | Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens Instrumente genutzt werden, also insbesondere in welcher Zusammenstellung und Reihenfolge sie in das Restrukturierungsgeschehen einbezogen werden, in den Händen des Schuldners. Er hat die Verfahrensherrschaft inne. Allein auf seinen Antrag wird das Restrukturierungsgericht hinsichtlich bestimmter Instrumente überhaupt tätig (s. etwa §§ 49, 50 StaRUG, ausführlich Rz. 41 f.).14 Diese Befugnis, über den Verfahrensgegenstand und -verlauf zu disponieren, steht dem Schuldner bereits mit Blick auf die Anzeige der Restrukturierungssache zu, die gem. § 31 Abs. 1 StaRUG als (Grund-)Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens anzusehen ist. Die Anzeige kann allein durch den Schuldner gestellt werden – und das ohne, dass es einer gerichtlichen Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens bedarf. Es bleibt ihm auch unbenommen, die Anzeige zurückzunehmen und damit aus dem Rahmen auszusteigen (§ 31 Abs. 4 Nr. 1 StaRUG). Ist der Schuldner eine juristische Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, richtet sich das Anzeigerecht nach den Vertretungsregeln. Zentrale Fragen stellen sich hier in der Praxis mit Blick auf die erforderliche Einbeziehung der Gesellschafter in das Restrukturierungsvorhaben (ausführlich Rz. 44 ff.). Anders als im Ausland, bspw. im Rahmen des sog. Dutch Scheme (WHOA), sieht das deutsche StaRUG kein Antrags- bzw. Anzeigerecht der Gläubiger vor. Dies entspricht zwar der Konzeption als Verfahren in den Händen des Schuldners, aber gerade mit Blick auf die erforderliche Einbindung der Gesellschafter vor Anzeige der Restrukturierungssache liegt hier ein Risiko für Gläubiger. Denn insoweit mögen Geschäftsleiter von einer rechtzeitigen Anzeige absehen und die Gläubiger würden trotz drohender Zahlungsunfähigkeit und mehrheitsfähigem Restrukturierungskonzept mangels eigenen Initiativrechts zur Passivität gezwungen. 7 Als Eingangsvorschrift zum zweiten Kapitel überspannt § 29 StaRUG überblicksartig die §§ 30–

44 StaRUG. Das beginnt damit, dass die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens implizit die Restrukturierungsfähigkeit des Schuldners voraussetzt, sodass § 29 StaRUG durch die Regelung des § 30 StaRUG ergänzt wird.15 Weiter präzisiert § 31 StaRUG mit der Erforderlichkeit einer Anzeige und den beizufügenden Anlagen den förmlichen Zugang zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen, schafft die notwendige frühzeitige Befassung des Restrukturierungsgerichts mit der Restrukturierungssache und beschreibt mit der Begründung und Aufhebung der Rechtshängigkeit (vgl. § 31 Abs. 3 und Abs. 4 StaRUG) das prozessual wichtige „verfahrensrechtliche Band“, welches die zur Umsetzung in Anspruch genommenen Verfahrenshilfen zu einer Restrukturierungssache bei einem Gericht zusammenfasst.16 § 32 StaRUG komplettiert das Konzept der Anzeige durch die Verfahrenspflichten des Schuldners innerhalb einer rechtshängigen Restrukturierungssache. Diese orientieren sich an den Interessen der Gesamtheit der Gläubiger und es werden (dazu) insbesondere Unterlassungspflichten in Bezug auf Maßnahmen etabliert, die die Erfolgsaussichten der Restrukturierungssache gefährden (§ 32 Abs. 1 Satz 2 StaRUG). Aus der Pflicht zur Anzeige des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO) sowie der entsprechenden Aufhebungskompetenz des Restrukturierungsgerichts (§ 32 Abs. 3, § 33 Abs. 2 StaRUG) kann schließlich darauf geschlossen werden, dass der Eintritt der materiellen Insolvenz den Zugang zum StaRUG letztendlich sperrt. §§ 34–41 StaRUG komplettieren das zweite Kapitel durch Zuständigkeitsregelungen, die insbesondere für Restrukturierungen in Konzernsachverhalten einen Gruppen-Gerichtsstand bereithalten (§ 37 StaRUG), Verfahrensgrundsätze (§ 39 StaRUG) und sonstige Verfahrensregelungen, denen zufolge insbesondere die Vorschriften der Zivilprozessordnung ergänzende Anwendung (§ 38 Satz 1 StaRUG) finden.17 Zusätzlich wird hier eine Ausgangsvorschrift zu den Rechtsmitteln im StaRUG bereitgehalten (§ 40 StaRUG). 14 BT-Drucks. 19/24181, S. 130 f., 132; Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 29 StaRUG Rz. 8 f. 15 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 16 BT-Drucks. 19/24181, S. 131; Schröder in HambKomm/RestruktR, 2022, § 29 StaRUG Rz. 14; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2583. 17 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens | Rz. 9 § 29

3. Instrumente und Restrukturierungsplan Die „von der Rechtsordnung angebotene[n] Hilfen zur Umsetzung eines Restrukturierungs- 8 vorhabens“ – so die Umschreibung der Instrumente in der Gesetzesbegründung18 – sind auf den Restrukturierungsplan als Herzstück des Verfahrens bezogen,19 insbesondere natürlich die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens und die gerichtliche Bestätigung des Plans (§ 29 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 StaRUG). Dies zeigt sich schon daran, dass in aller Regel der Entwurf eines Restrukturierungsplans der Anzeige beizufügen ist (vgl. § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) und Änderungen des Restrukturierungsvorhabens gegenüber dem Gericht anzuzeigen sind (vgl. § 32 Abs. 2 Satz 1 StaRUG).20 Vor dem Hintergrund eines häufig umfassenderen Restrukturierungskonzepts haben die auf den Plan und die planbetroffenen Rechte bezogenen Instrumente des § 29 Abs. 2 StaRUG primär die finanzwirtschaftliche Restrukturierung im Blick und nicht die sonstige leistungswirtschaftliche Neuausrichtung. Das gilt insbesondere nach der späten Streichung der Vertragsbeendigung als Instrument (vgl. § 29 Abs. 2 Nr. 4, §§ 49 ff. StaRUG-RefE sowie § 31 Abs. 2 Nr. 3, §§ 51 ff. StaRUG-RegE). Auch sind die Instrumente des Restrukturierungsrahmens auf die Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit ausgerichtet, sodass für ihre Anwendung deren Vorliegen vorausgesetzt wird (s. schon zum Normzweck des § 29 Abs. 1 StaRUG als Ausgangspunkt der Rechtfertigung von Eingriffen in die Rechte von Planbetroffenen Rz. 13), anders übrigens als in Bezug auf die Sanierungsmoderation, die auch dadurch einen eigenständigen Anwendungsbereich als vorgelagertes, freies Verfahren erhält, das für Fälle der konsensualen Sanierung einen Safe Harbour bietet (vgl. § 97 Abs. 3 i.V.m. § 90 StaRUG).21

II. Drohende Zahlungsunfähigkeit als Zugangsvoraussetzung und Zielbestimmung (§ 29 Abs. 1 StaRUG) § 29 Abs. 1 StaRUG bestimmt grundlegend das gesetzlichen Ziel des Stabilisierungs- und Re- 9 strukturierungsrahmens, eine drohende Zahlungsunfähigkeit nachhaltig zu beseitigen. Zugleich scheint die drohende Zahlungsunfähigkeit hier bereits als eine (echte) zeitliche Anwendungsvoraussetzung auf,22 die sie aufgrund der Wechselwirkung zu § 31 Abs. 1 StaRUG für die Inanspruchnahme von Instrumenten ist.23 Denn auch wenn die Restrukturierungssache durch die Anzeige gem. § 31 Abs. 3 StaRUG ohne gerichtliche Eingangskontrolle rechtshängig wird (vgl. im Abgleich hierzu § 27 StaRUG InsO),24 findet eine solche Kontrolle der Zugangs- bzw. Anwendungsvoraussetzung nachgelagert statt und die Anzeige kann ihre Wirkung insbesondere verlieren, wenn das Restrukturierungsgericht von der ihm zugewiesenen Aufhebungskompetenz in den von § 33 StaRUG geregelten Fällen Gebrauch macht. Eine solche nachgelagerte Kontrolle findet mit der Sichtung der Anzeige zwingend beizufügenden Unterlagen (§ 31 Rz. 7) jedenfalls

18 BT-Drucks. 19/24181, S. 132. 19 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 9 („Kern“); außerdem Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2362; Hacker/Weber, WPg 2021, 258, 259 („Kernelement“). 20 Pluta/Konen, SanB 2020, 149, 150. 21 Zur Sanierungsmoderation Hoegen, NZI-Beilage 2021, 59 und dort vor allem auch zur Frage, ob die Bestätigung des Sanierungsvergleichs durch das Restrukturierungsgericht nicht (doch) die drohende Zahlungsunfähigkeit voraussetzt (vgl. § 97 StaRUG); außerdem Desch, BB 2020, 2498, 2511. Noch einmal zur Sanierungsmoderation Rz. 31. 22 BT-Drucks. 19/24181, S. 132. 23 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 1; Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 2 Rz. 4. 24 Schädlich, NWB 2020, 3566, 3574; kritisch Blankenburg in Morgen, Präventive Restrukturierung, 2019, Art. 4 Rz. 69.

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§ 29 Rz. 9 | Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens statt, wenn die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von einzelnen Instrumenten geprüft werden und sich das Restrukturierungsgericht im Zuge dessen mit der wirtschaftlichen Lage des Schuldners auseinandersetzt.25 Spätestens nun tritt zu Tage, wenn der Schuldner entweder noch nicht drohend zahlungsunfähig oder bereits materiell insolvent ist – jeweils Sachverhaltslagen, in denen das Restrukturierungsgericht in aller Regel die Restrukturierungssache aufhebt. 10 Zwar eröffnete sich dem Schuldner mit dem fakultativen Insolvenzantragsrecht aus §§ 13, 15 f.,

18 InsO und vor allem den Verfahren aus §§ 270 ff. InsO auch bisher die Möglichkeit, frühzeitig mit einem gut vorbereiteten Insolvenzplan kraft Mehrheit auf eine finanzielle Krise mit Blockaderisiko zu reagieren.26 Doch diese Möglichkeit wurde eingedenk der einschneidenden rechtlichen Konsequenzen eines Gesamtvollstreckungsverfahrens und insbesondere des Stigma bzw. Makels der Insolvenz27 in der Praxis nur begrenzt genutzt.28 Hinzu kommt, dass Gesellschafter auch in einem Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung mit einem weitgehenden Kontrollverlust und einer Entwertung ihrer Gesellschafterrechte rechnen müssen.29 In Konzernsachverhalten trägt die Insolvenz einer Gruppengesellschaft außerdem das Risiko eines sog. Melt Down-Szenarios, welches die gesamte Unternehmensgruppe betreffen kann und das selbst dann, wenn die Geschäftsleitung weiter in Verantwortung geblieben ist und die Gesellschafter einen Restrukturierungsversuch unterstützten. Hier offenbart der (präventive) Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen als teilkollektives Going Concern Verfahren in den Händen des Schuldners seine Nähe zur „freien“ konsensualen Restrukturierung und bietet tatsächlich neue Möglichkeiten.30

11 Um diese neuen Handlungsmöglichkeiten schließlich vorbereiten und umsetzen zu können,

sollte die drohende Zahlungsunfähigkeit vom Schuldner frühzeitig erkannt werden, also bestenfalls vor dem 24 Monate andauernden Prognosezeitraum des § 18 Abs. 2 InsO. Denn soweit sich bspw. die Refinanzierung eines wesentlichen Finanzierungsbausteins am fernen Horizont des übernächsten Jahres ankündigt, sollte bereits heute überlegt werden, welche (potentiellen) Herausforderungen dabei zu bewältigen sind und welche zeitlichen Vorgaben sie setzen. So bspw. könnte ein unabhängiges Validierungsgutachten der Planung (Independent Business Review) frühzeitig in Auftrag gegeben werden, um die Grundlage für die Verhandlungen über ein neues Finanzierungskonzept zu schaffen. Damit etwaige Anlasspunkte nicht verkannt werden, wird in § 1 StaRUG nunmehr die Etablierung eines Systems zur Krisenfrüherkennung gefordert.31 Diese neue Krisenpflicht lässt sich für die von ihr betroffenen Ge-

25 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 26 Schröder in HambKomm/InsO, 2022, § 18 InsO Rz. 2 f.; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), 2018, S. 38 f., 138. 27 Vgl. zum Stigma bzw. Makel der Insolvenz BT-Drucks. 19/4880, S. 11, 142; Jacoby/Madaus/Sack/ Schmidt/Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), 2018, S. 38 f., 138; außerdem Seibt/von Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1191; Thole, NZIBeilage 2021, 90. 28 Brinkmann in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. 5.40, 5.44; K. Schmidt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 18 InsO Rz. 6; außerdem Jacoby/Madaus/ Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, 2018, S. 38 f. 29 Korch, NZG 2020, 1299, 1300 f. 30 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 4 spricht von „Motivationslücke“ auf Gesellschafterebene, die das StaRUG nun schließen kann. 31 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 16.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ergänzend d’Avoine/ Michels, NZI 2022, 1; Freund, NZG 2021, 579; Haghani, NZI-Beilage 2021, 15; Kühne/Lienhard, SanB 2020, 144; Nickert/Nickert, GmbHR 2021, 401; Paulus, NZI 2020, 659; Schwintowski, NZG 2021, 901.

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Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens | Rz. 14 § 29

schäftsleiter als Kodifizierung einer bereits zuvor diskutierten „Sanierungsplicht“32 bzw. als „Solvenzsicherungspflicht“33 begreifen. Im Einzelnen leiten sich daraus unterschiedliche, aufeinander aufbauende Pflichten ab, nämlich eine Pflicht, geeignete Maßnahmen zur Krisenfrüherkennung zu ergreifen (bspw. eine Liquiditätsvorschau) sowie gegebenenfalls erforderliche Maßnahmen zur Überwindung der Krise vorzubereiten, die erforderlichen Gremien und Organe der Gesellschaft darüber in Kenntnis zu setzen und mit den relevanten Fragestellungen zu befassen.34

1. Zugangsvoraussetzung drohende Zahlungsunfähigkeit a) Drohende Zahlungsunfähigkeit als Einstieg Als „Lückenschluss“35 zwischen freier Sanierung und Insolvenzverfahren bietet der präventive 12 Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen dem Schuldner neue Möglichkeiten für eine umfassende finanzielle Restrukturierung im Vorfeld der materiellen Insolvenz. Mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 Abs. 2 InsO als Zugangs- oder besser als Anwendungsvoraussetzung für das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren und seine Instrumente knüpft der Gesetzgeber an einen Zeitpunkt an, der auch im Abgleich zum Insolvenzgrund der Überschuldung noch weit vor der materiellen Insolvenz liegen kann (ergänzend zum „idealen“ und „kritischen“ Restrukturierungsfenster Rz. 16 ff.). Durch die Anknüpfung an die drohende Zahlungsunfähigkeit berücksichtigt der nationale 13 Gesetzgeber einerseits die Bestrebungen des europäischen Gesetzgebers, der die vorinsolvenzlichen Restrukturierungstools nicht nur in einem kurzen Verfahren ohne Stigma der Insolvenz, sondern auch frühzeitig zur Verfügung stellen wollte (vgl. ErwGr. 24 Restrukturierungs-RL). Um die Eingriffsqualität einer Gestaltung gem. §§ 2–4 StaRUG im Licht des Art. 14 GG zu rechtfertigen, sah sich der Gesetzgeber andererseits gefordert, einen Zeitpunkt nahe der eigentlichen materiellen Insolvenz zu wählen.36 Gerade mit dem Argument, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit auch Eingriffe in die Rechtsposition der Anteilsinhaber und Gläubiger in einem Insolvenzplanverfahren rechtfertigen kann,37 entschied sich der Gesetzgeber insoweit für den in § 18 Abs. 2 InsO verankerten fakultativen Insolvenzeröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit und damit für eine etablierte Rechtfertigung von Eingriffen durch (nur) mehrheitlich getragene Restrukturierungslösungen. b) Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) Die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO verlangt mehr als eine schlichte 14 betriebswirtschaftliche Krisensituation.38 Vielmehr muss innerhalb des Prognosezeitraums der zukünftige Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners überwiegend wahrschein-

32 Brinkmann, KTS 2021, 303, 311 mit einem Überblick über den Meinungsstand in Fn. 31; Seibt, ZIP 2013, 1597, 1598 f. 33 Brinkmann, KTS 2021, 303, 308 ff. 34 Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 2 ff.; ebenfalls Seibt/von Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1192. 35 BT-Drucks. 19/24181, S. 89. 36 BT-Drucks. 19/24181, S. 89; ergänzend Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 2; zudem Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18; Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 2 Rz. 3; Pluta, NZI-Beilage 2021, 22. 37 BT-Drucks. 19/24181, S. 90; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 3; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 38 BT-Drucks. 19/24181, S. 90; grundlegend zur Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit IDW S 11, Rz. 93 ff. (Stand: 23.8.2021).

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§ 29 Rz. 14 | Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens lich sein. Die Feststellung erfolgt anhand einer Liquiditätsprognose. Als maßgeblicher Zeitraum wurden mit Art. 5 Nr. 10 SanInsFoG in der Regel 24 Monate festgelegt.39 Es ist die Geschäftsentwicklung mit Geldzuflüssen, aber auch künftigen Geldabflüssen zur Deckung laufender Verbindlichkeiten zu betrachten, um die Liquidität zu prognostizieren.40 Vor der Änderung des § 18 Abs. 2 InsO wurde der Prognosezeitraum im Einzelfall als unbegrenzt wahrgenommen oder er wurde lediglich aus rechtspraktischen Gründen, nämlich der Beurteilbarkeit der Wahrscheinlichkeiten, auf unterschiedliche Zeiträume begrenzt.41 Auch jetzt muss die Verlängerung des Prognosezeitraums noch möglich sein, da anders als der Prognosezeitraum der Überschuldung („in den nächsten zwölf Monaten“, vgl. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO) der Gesetzgeber mit der Formulierung „in der Regel“ hier bewusst Spielraum gelassen hat. 15 Die Frage, ob eine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, kann zudem zum Gegenstand ei-

ner Vorprüfung gem. § 47 StaRUG gemacht werden oder das Restrukturierungsgericht kann den Restrukturierungsbeauftragten mit der sachverständigen Prüfung gem. § 73 Abs. 3 StaRUG beauftragen. Etwa bei offenkundigem Fehlen von Zahlungsschwierigkeiten in den kommenden 24 Monaten oder einer bei Gericht hinterlegten Schutzschrift von planbetroffenen Gläubigern mag dann ein Hinweis des Gerichts im Rahmen der ihm gem. § 38 Satz 1 i.V.m. § 139 Abs. 1 ZPO obliegenden Verfahrensleitung mit der Bitte um Nachbesserung erfolgen.42 Die Praxis sollte sich daher hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen bereits im Rahmen der Anzeige (oder im Rahmen einer Nachbesserung auf Anfrage des Gerichts oder zur Begründung eines beantragten Instrumentes) an den Kriterien für einen Insolvenzantrags wegen drohender Zahlungsunfähigkeit orientieren. Danach hat der Schuldner die drohende Zahlungsunfähigkeit stimmig dar- und nachvollziehbar zu belegen.43 Dies gilt trotz des Prüfungsmaßstabs des Gerichts, der wohl nicht die vollständige richterliche Überzeugung in Bezug auf das Vorliegen, sondern nur hinsichtlich des Fehlens der drohenden Zahlungsunfähigkeit erfordert (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG).44 c) Ideales und kritisches Restrukturierungsfenster

16 Die angepassten Prognosezeiträume der §§ 18 Abs. 2 Satz 2 InsO und § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO

tragen zu einer transparenten Abgrenzung von drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung bei.45 Denn im Zuge der Umsetzung der Restrukturierungs-RL mit dem SanInsFoG

39 Piekenbrock, NZI-Beilage 2021, 82, 83. 40 Schröder in HambKomm/InsO, 2022, § 18 InsO Rz. 13; Brinkmann in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. 5.48. 41 Zum Streitstand Drukarczyk in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 18 InsO Rz. 63; Mock in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 18 InsO Rz. 24; ergänzend Brinkmann in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. 5.44; außerdem Seagon, Überschuldung: Quo vadis?, 2020, S. 11. 42 AG Hamburg v. 17.1.2022 – 61c RES 1/21, ZInsO 2022, 670; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 30 sowie § 31 StaRUG Rz. 113 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 43 Hierzu Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 31; Pannen in Pannen/ Riedemann/Smid, 2021, § 39 StaRUG Rz. 41; außerdem Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18; vgl. auch Mock in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 18 InsO Rz. 36. 44 AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433; außerdem Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 30 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); s. auch Bork, NZI-Beilage 2021, 38, 39; Desch, BB 2020, 2498, dort Fn. 5; Thole, NZI 2021, 433, 436; Vallender, MDR 2021, 201, 204 f. 45 BT-Drucks. 19/24181, S. 196; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 6.1 (Stand: 1.4.2021); Brinkmann, KTS 2021, 303, 305 f.; Piekenbrock, NZI-Beilage 2021, 82; Pluta, NZI-Beilage 2021, 22. Ergänzend zum sog. Abstandsgebot aus ErwGr. 24 Restrukturierungs-RL Goetker in Flöther, SanierungsR, 2019, Kap. E. 53 ff.; Seagon, Überschuldung: Quo vadis?, 2022, S. 11.

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Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens | Rz. 18 § 29

entschied sich der Gesetzgeber dafür, im Rahmen der Zahlungs(un-)fähigkeitsprognose „in aller Regel“ auf eine Zeitspanne von 24 Monate abzustellen und gleichzeitig den Prognosezeitraum der positiven Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung (ebenfalls) ab dem 1.1.2021 starr – also ohne einen Restspielraum wie noch zuvor – auf 12 Monate festzulegen (Art. 5 Nr. 10, Nr. 11 SanInsFoG).46 Unter Berücksichtigung der Prognosezeiträume von regelmäßig 24 Monaten bzw. 12 Monaten ergibt sich dabei mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit als Anwendungsvoraussetzung der Verfahrenshilfen sowie der Insolvenzreife als Aufhebungsgrund gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG ein ideales Restrukturierungsfenster47 von zunächst 12 Monaten, in denen zwar schon eine drohende Zahlungsunfähigkeit, aber noch keine Überschuldung eingetreten ist. Danach gibt es ein weiteres kritisches Restrukturierungsfenster von noch einmal bis zu 12 Monaten, in denen sowohl eine drohende Zahlungsunfähigkeit als auch eine Überschuldung denkbar ist – nun abhängig von der Frage, ob eine positive Fortbestehensprognose gestellt werden kann oder eben nicht (s. dazu im Folgenden). Jedenfalls bis zum 31.12.2023 findet aufgrund des SanInsKG krisenbedingte eine zeitweise Verschiebung der hier dargestellten konzeptionellen Ausrichtung von idealem und kritischem Restrukturierungsfenster statt. Die krisenbedingte Verkürzung des Prognosezeitraums (s. dazu Rz. 28) führt zu einer Verlängerung des idealen Restrukturierungsfensters, was aber seitens der Geschäftsleiter nicht als Freifahrtschein dafür missverstanden werden sollte, nur auf Sicht durch die Krise zu steuern und mögliche Restrukturierungslösungen erst im letzten Moment zu prüfen. Während die drohende Zahlungsunfähigkeit ehemals schwer gegen die positive Fortbeste- 17 hensprognose im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldung abgegrenzt werden konnte, da bei drohender Zahlungsunfähigkeit in der Regel auch Zweifel an einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer mittelfristigen Durchfinanzierung bestand, sind die zwei Insolvenzgründe nun durch die vorgegebenen Prognosezeiträume klar gegeneinander abgrenzbar. Das gilt einerseits für die Monate 24 bis 13 vor Eintritt der vermeintlichen Zahlungsunfähigkeit. Andererseits aber auch innerhalb der letzten zwölf Monate des kritischen Restrukturierungsfensters. Denn die Grundlage der jeweiligen Liquiditätsprognose stellt sich an einer entscheidenden Stelle anders dar. Nur im Rahmen der Fortbestehensprognose innerhalb der Überschuldungsprüfung und nicht auch bei der Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit können die Erfolgsaussichten einer Restrukturierung im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen sowie dessen (Gestaltungs-)Ergebnisse berücksichtigt werden.48 Die Blockade einer Minderheit mag sodann – und dies hat nun eine eigene Verhandlungsdynamik in jeder Restrukturierung zur Folge – zu einer drohenden Zahlungsunfähigkeit führen, aber unter Berücksichtigung der Gestaltungsmöglichkeiten im Restrukturierungsplan entlang der §§ 2−4 StaRUG nicht zu einem Wegfall der positiven Fortbestehensprognose. Der Verlust der für das angestrebte Restrukturierungsvorhaben erforderlichen Mehrheit lässt dagegen die im kritischen Restrukturierungsfenster zwingend erforderliche positive Fortbestehensprognose entfallen (vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 1 gegebenenfalls i.V.m. § 32 Abs. 3 StaRUG) und führt nach Rechtshängigkeit zur Aufhebung einer Restrukturierungssache (vgl. § 32 Abs. 4 i.V.m. § 33 Abs. 2 StaRUG). Soweit die drohende Zahlungsunfähigkeit sich nicht unproblematisch für alle Seiten erkenn- 18 bar zeigt, sind insbesondere die besonders frühen und besonders späten Konstellationen kritisch. Zum einen könnte der Schuldner in einem frühen Stadium, also vor oder doch zu Beginn der 24 Monate bereits eine Anzeige auf den Weg bringen. In dieser frühen Phase mag es unterschiedlichste Finanzierungsalternativen und Prognosespielräume geben – nicht jede an-

46 BT-Drucks. 19/24181, S. 196 f.; Piekenbrock, NZI-Beilage 2021, 82, 83. 47 Brinkmann, KTS 2021, 303, 306; Brinkmann, NZI 2019, 921, 924. 48 S. nur BT-Drucks. 19/24181, S. 139; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 23 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Piekenbrock, NZI-Beilage 2021, 82, 84; ergänzend Schönfelder, NZI 2022, 49, 50.

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§ 29 Rz. 18 | Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens dere Gegenmeinung kann bereits als Blockade gelten und die drohende Zahlungsunfähigkeit begründen. Dennoch – falls der Schuldner ein Restrukturierungskonzept mit der Unterstützung der weit überwiegenden Mehrheit verfolgt und eine Minderheit dieses Konzept nicht mitträgt und damit die Umsetzung zu blockieren droht – darf zwar das StaRUG nicht für einen Überfall missbraucht werden,49 aber auch Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden. Denn insbesondere die erfolgsversprechenden Möglichkeiten einer Umsetzung unter dem Restrukturierungsrahmen dürfen eben für die Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht berücksichtigt werden. Wenn es um zwingend notwendige Sanierungsbeiträge geht, führt die ernsthafte Verweigerung der Unterstützung zu einer drohenden Zahlungsunfähigkeit.50 Aus Sicht der Minderheitsposition geht sie mit dem Risiko einher, sich der zwangsweisen Gestaltung beugen zu müssen und das ohne eingebunden zu werden. Dies erhöht den Einigungsdruck und schafft einen zielführenden Katalysator für die konsensuale Lösungsfindung (s. dazu § 2 Rz. 1). 19 Eine weitere kritische Konstellation ergibt sich in einem besonders späten Stadium, wenn

sich die Krise bereits so vertieft hat, dass eine Zahlungsunfähigkeit in den nächsten Monaten einzutreten droht. Hier ist die ungeschriebene (Negativ-)Voraussetzung der fehlenden materiellen Insolvenz im Auge zu behalten. Insoweit wird neben einer durch eine rollierende Liquiditätsvorschau auszuschließende Zahlungsunfähigkeit auch die positive Fortbestehensprognose innerhalb der nächsten 12 Monate zum Ausschluss der Überschuldung im Mittelpunkt stehen. In dieser Situation dürfen im Falle der Unerreichbarkeit oder Blockade einer Minderheit die erfolgsversprechenden Möglichkeiten einer Restrukturierung unter dem StaRUG zwar auch vor Rechtshängigkeit der Restrukturierungsache mit der Anzeige berücksichtigt werden.51 Angesichts der Haftungsrisiken sollte der Schuldner allerdings die Grundlage für seine als überwiegend wahrscheinlich eingeschätzten Annahmen und Folgen des Restrukturierungsplans für alle Planbetroffenen möglichst detailgetreu dokumentieren. Dabei gilt im Grundsatz: Je „steiniger der Weg“ der erfolgreichen Restrukturierung ist, desto kritischer wird im Fall des Scheiterns ex post nach der (vermeintlichen) Grundlage der positiven Fortbestehensprognose gefragt. Die Dokumentation sollte daher vor allem die notwendige Unterstützung, extern sowie intern, und das konkret in Angriff genommene Restrukturierungskonzept umfassen. Im Lichte externer Herausforderungen wäre der Weg zur erfolgreichen Restrukturierung konkret zu planen. Dies betrifft schlaglichtartig den Inhalt des Restrukturierungsplans, die Gruppen- und Mehrheitsbildung, die Gestaltung der „Blockaderechte“, den Ausschluss von Rechtsmitteln und vielem mehr. Empfehlenswert erscheint insbesondere eine von dem Schuldner und der erforderlichen Mehrheit der Planbetroffenen dokumentierte Zustimmung zu einem schlüssigen Restrukturierungskonzept, bspw. in Form eines idealerweise unterzeichneten Eckpunktepapiers. Mit Blick auf alle gesellschaftsrechtlichen, also internen Hürden, bleibt zu klären, ob die Zustimmung des Gesellschafters für eine Anzeige nach § 31 Abs. 1 StaRUG oder die Inanspruchnahme der relevanten Instrumente erforderlich wird. Gegebenenfalls mag sich auch hier anbieten, dass die Gesellschafter hinsichtlich ihrer Zustimmung zur Anzeige eine unverbindliche Absichtserklärung mit den notwendigen Mehrheit(en) abgeben.52

49 Frind, ZInsO 2021, 1093, 1099, der Verhandlungen mit den Gläubigern fordert, um ein Rechtsschutzbedürfnis auch unter Hinweis auf § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG seitens des Restrukturierungsgerichts anerkennen zu können. 50 Hierzu Thole, NZI 2021, 433, 436. 51 BT-Drucks. 19/24181, S. 91; Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 35; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 2; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 39 StaRUG Rz. 41. 52 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 2; Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 22.

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Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens | Rz. 22 § 29

d) Scharnier in beide Richtungen Die drohende Zahlungsunfähigkeit stellt eine echte (zeitliche) Zugangsvoraussetzung für den 20 Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen dar und ist als „Restrukturierungs- und Insolvenzeröffnungsgrund“ damit ein Scharnier „in beide Richtungen“ – StaRUG und InsO. Dadurch hat die drohende Zahlungsunfähigkeit an Bedeutung gewonnen und sich gegenüber der Überschuldung spürbar emanzipiert.53 Nachdem die drohende Zahlungsunfähigkeit lange Zeit ein Schattendasein geführt hat, werden nun für das StaRUG unterschiedliche Fragen zu klären sein, bspw. welche Anforderungen insoweit an die Anzeige gem. § 31 Abs. 1 StaRUG zu stellen sind, insbesondere mit Blick auf die Darstellung von Art, Ausmaß und Umfang der Krise oder welche Auswirkungen ein etwaiges Nichtvorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt der Anzeige und im Verlauf der Restrukturierungssache auf dieselbe hat. Hinsichtlich des idealen Restrukturierungsfensters ist zu befürchten, dass ein solch frühzeitiger Einstieg aufgrund der Gesellschaftereinbindung selten gelingen wird und es oftmals auf die Besonderheiten innerhalb des kritischen Restrukturierungsfensters ankommen wird.

2. Zur nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit als Zielbestimmung § 29 Abs. 1 StaRUG gibt als Zielrichtung des StaRUG die nachhaltige Beseitigung der drohen- 21 den Zahlungsunfähigkeit vor, ohne dass sich diese Vorgabe als eigenständiger Prüfungspunkt oder auch -maßstab in der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens explizit wiederfindet. Ganz im Sinne der Restrukturierungs-RL (vgl. ErwGr. 24) gibt der Gesetzgeber durch die Zielbestimmung der Nachhaltigkeit eine qualitative Orientierung für die Nutzung der Instrumente und die Auslegung verschiedener unbestimmter Rechtsbegriffe, wodurch diese eine besondere Stellung einnimmt. Sie zeigt sich insbesondere bei der Anzeige, Stabilisierungsanordnung und Bestätigung eines Restrukturierungsplans. Die Anzeige setzt ein umsetzbares Restrukturierungskonzept voraus. Besteht ein solches nicht, ist das angezeigte Restrukturierungsvorhaben mangels Aussicht auf Umsetzung aufzuheben (§ 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG). Ähnlich setzt auch eine Stabilisierungsanordnung ein nachvollziehbares Konzept voraus (§ 51 Abs. 1 StaRUG). Im Übrigen knüpft die Bestätigung eines Restrukturierungsplans daran an, dass die Ansprüche, die den Planbetroffenen durch den gestaltenden Teil des Plans zugewiesen werden, und die durch den Plan nicht berührten Ansprüche der übrigen Gläubiger nicht offensichtlich nicht erfüllt werden können (§ 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG). Weiterhin ist die Planbestätigung für den Fall einer neuen Finanzierung i.S.v. § 12 StaRUG zu versagen, wenn das dem Plan zugrundeliegende Restrukturierungskonzept unschlüssig ist oder, wenn Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass das Konzept nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder keine begründete Aussicht auf Erfolg vermittelt (§ 63 Abs. 2 StaRUG). Allerdings wird nicht die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens gem. § 31 Abs. 1 StaRUG 22 mit einer neuen Voraussetzung der nachhaltigen Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit „aufgeladen“ und auch bei den jeweiligen Instrumenten bleibt es – bspw. bei der Planbestätigung – bei den unterschiedlichen gesetzlichen Voraussetzungen. Die Zielbestimmung der Nachhaltigkeit dient hier also als Orientierung und Auslegungshilfe.54 Im Verlauf des Verfahrens steigt der Anspruch an die inhaltliche Qualität des Konzepts, sodass der Anzeige zunächst ein „Konzept für die Restrukturierung“ mit Krisenbeschreibung und Restrukturierungsziel zu entnehmen sein sollte (vgl. § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG). Später ist dem Restrukturierungsplan selbst eine begründete Erklärung zu den Aussichten darauf beizufügen, dass die 53 Ausdrücklich Brinkmann, KTS 2021, 303, 306. 54 Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 38; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991.

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§ 29 Rz. 22 | Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners durch den Plan beseitigt wird und die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicher- bzw. wiederhergestellt wird, vgl. § 14 Abs. 1 StaRUG (s. ergänzend auch die Unterlagen und Erklärungen nach § 14 Abs. 2 StaRUG, insbesondere zur Ergebnis- und Finanzplanung). Insoweit setzt der Gesetzgeber die Vorgaben des ErwGr. 24 der Restrukturierungs-RL um, wonach „der Restrukturierungsplan [...] die Insolvenz des Schuldners abwenden und die Bestandsfähigkeit des Unternehmens sicherstellen können“ sollte. 23 Das Kriterium der Nachhaltigkeit der Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit aus

§ 29 Abs. 1 StaRUG und damit auch die Richtlinie der darin enthaltenen Orientierungs- und Auslegungshilfe wird nicht gesetzlich vorgegeben – und auch die kürzlich veröffentlichte Checkliste für Restrukturierungspläne gibt nur eine vage erste Richtung vor. Danach ist erforderlich, dass die Krisenursachen identifiziert und bewältigt werden.55 Allerdings liegt es nahe, sich in zeitlicher Hinsicht zunächst an § 33 Abs. 2 Satz 3 StaRUG zu orientieren, wo für den Fall einer wiederholten Inanspruchnahme des Restrukturierungsrahmens die gesetzliche Vermutung zu finden ist, dass eine nachhaltige Sanierung nicht erfolgt ist, wenn seit der Planbestätigung weniger als drei Jahre vergangen sind. Für ein drei-Jahres-Zeitraum lässt sich auch anführen, dass die integrierte Finanzplanung eines Sanierungskonzepts häufig diesen Zeitraum umfasst.56 Steht allerdings allein die Ausgrenzung bloß kurzfristiger Restrukturierungseffekte im Vordergrund, erscheint kaum Notwendigkeit, überhaupt eine konkrete zeitliche Dimension festzulegen, und das auch schon, weil die Nachhaltigkeitserwägungen im Rahmen des StaRUG nicht als solche gerichtlich überprüft57 werden.

24 Als nicht nachhaltig könnten nur auf einzelne Aspekte beschränkte oder zeitlich gestufte Re-

strukturierungskonzepte gelten, die – trotz ihrer Bedeutung für den Schuldner – letztlich schon aufgrund ihrer begrenzten Wirkung keine nachhaltige Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit erreichen können. Zu denken wäre bspw. an einen Sachverhalt, in dem von einer Vielzahl von Finanzierungsinstrumenten lediglich eine Schuldscheintranche kurzfristig fällig wird und – da zwar die weit überwiegende Mehrheit, aber letztlich doch nicht alle Schuldscheindarlehensgeber das Restrukturierungsvorhaben unterstützen – in einem ersten Schritt ein Restrukturierungsplan sich lediglich an die Schuldscheindarlehensgeber dieser Tranche richten soll, um mehrheitlich die Fälligkeit zu verschieben. Erst in einem zweiten Schritt könnte dieses Restrukturierungskonzept die umfassende Anpassung der Fälligkeiten auch anderer Finanzierungsinstrumente vorsehen, die allerdings noch zu verhandeln und umzusetzen sind. So hilfreich die Anpassung allein der kurzfristig fälligen Schuldscheintranche mittels Restrukturierungsplan wäre, steht in Frage, ob das (Teil-)Restrukturierungskonzept mangels Lösung für die anderen Finanzierungsinstrumente eine nachhaltige Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit darstellt. Insbesondere könnte hier die Auswahl der Planbetroffenen (§ 9 StaRUG), die Schlüssigkeit des Konzeptes und auch die Vergleichsrechnung im Rahmen des § 14 StaRUG problematische Fragen aufwerfen. Naheliegend wäre in einer solchen Konstellation, die Restrukturierungssache noch vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit mit einem erfolgsversprechenden Restrukturierungskonzept gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 StaRUG anzuzeigen und damit rechtshängig 55 Checkliste für Restrukturierungspläne, ZRI 2022, 191, 192 (ebenso abrufbar unter: https://www.bmj. de/DE/Themen/FinanzenUndAnlegerschutz/Fruehwarnsysteme/checkliste.pdf;jsessionid=C46EC4CDBADF3A939196580FD4CD4274.2_cid324?__blob=publicationFile&v=3; zuletzt abgerufen am 13.9.2022). 56 Für drei Jahre Bork, NZI-Beilage 2021, 38; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991; Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 37; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 5; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 29 StaRUG Rz. 22; Schröder in HambKomm/RestruktR, 2022, § 29 StaRUG Rz. 10; für mindestens 24 Monate Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 29 StaRUG Rz. 25. 57 Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 41; außerdem Balthasar, NZIBeilage 2021, 18, 19; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991.

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Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens | Rz. 27 § 29

zu machen. Unter dem Schutz des damit aufgespannten Restrukturierungsrahmens kann der Schuldner dann eine gegebenenfalls eintretende Zahlungsunfähigkeit gem. § 32 Abs. 3 StaRUG gegenüber dem Restrukturierungsgericht anzeigen und gegenüber dem Gericht geltend machen, dass mit Blick auf den erreichten Stand in der Restrukturierungssache eine Aufhebung offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde (§ 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2 StaRUG).

3. Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung als Zugangshürde Wie insbesondere durch die Anzeigepflicht gem. § 32 Abs. 3 StaRUG und die Aufhebung 25 gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 StaRUG deutlich wird, schließt das Vorliegen der materiellen Insolvenz i.S.v. §§ 17, 19 InsO die Anwendung des StaRUG grundsätzlich aus, sodass insoweit von einer negativen Zugangsvoraussetzung gesprochen werden kann.58 a) Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 17 InsO liegt vor, wenn fällige Zahlungspflichten vom Schuldner 26 nicht erfüllt werden können. Festgestellt wird dies durch eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung von fälligen Verbindlichkeiten und liquiden Zahlungsmitteln.59 Wenn es überdies zur nach außen erkennbaren Einstellung von Zahlungen kommt, wird die Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO widerlegbar vermutet.60 Liquiditätslücken von weniger als 10 % oder nur kurzfristige Zahlungsstockungen von weniger als drei Wochen begründen regelmäßig keine Zahlungsunfähigkeit.61 Bei einer länger andauernden Liquiditätslücke von mehr als 10 % ist ein Schuldner laut der Rechtsprechung nur ausnahmsweise nicht zahlungsunfähig, wenn die Zukunftsprognose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit positiv und den Gläubigern ein Abwarten zumutbar ist.62 Praktisch bietet sich eine mehrstufige Prüfung an: Zunächst wird der aktuelle Liquiditätsstatus erstellt. Ergibt dieser eine Lücke von mehr als 10 %, ist die künftige Liquidität zu prognostizieren. Kann die Lücke innerhalb von drei Wochen nicht auf unter 10 % gesenkt werden, ist zuletzt zu kontrollieren, ob es sich um einen von der Rechtsprechung adressierten Ausnahmefall handelt. Ist das nicht der Fall, ist eine Zahlungsunfähigkeit anzunehmen.63 Im Einzelnen kann die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gewiss schwierige Fragen aufwerfen, die angesichts der Haftungsanfälligkeit sorgfältig zu prüfen sind.64 Im Fall der Zahlungsunfähigkeit besteht nach § 15a InsO eine Insolvenzantragspflicht binnen maximal drei Wochen. Liegt Zahlungsunfähigkeit vor Rechtshängigkeit vor, besteht nach § 15a InsO eine haftungs- 27 bewehrte Insolvenzantragspflicht und der Einstieg in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ist im Regelfall ausgeschlossen. Das entspricht auch § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG,

58 BT-Drucks. 19/24181, S. 90, 137; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 29 StaRUG Rz. 53; außerdem Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18, 19; Thole, ZIP 2020, 1985, 1993; Piekenbrock, NZI-Beilage 2021, 82, 84. 59 Schröder in HambKomm/InsO, 2022, § 18 InsO Rz. 4; grundlegend zur Prüfung der Zahlungsunfähigkeit IDW S 11 Rz. 22, 25 (Stand: 23.8.2021). 60 Schröder in HambKomm/InsO, 2022, § 17 InsO Rz. 36 ff.; IDW S 11 Rz. 13, 19 (Stand: 23.8.2021). 61 Vgl. Schröder in HambKomm/InsO, 2022, § 17 InsO Rz. 24, 27; s. etwa BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547, 548. 62 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547, 549 f.; ergänzend IDW S 11 Rz. 16 (Stand: 23.8.2021). 63 Brinkmann in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. 5.26. 64 Etwa Parzinger/Lappe/Meyer-Löwy, ZIP 2019, 2143.

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§ 29 Rz. 27 | Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens der an den „erreichten Stand in der Restrukturierungssache“ anknüpft und damit nur diejenigen Fälle abdeckt, in dem die Zahlungsunfähigkeit nach Anzeige und mit ihr der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache eintritt. b) Überschuldung (§ 19 InsO) 28 Haftet für die Verbindlichkeiten einer juristischen Person oder einer teilrechtsfähigen Personenge-

sellschaft keine natürliche Person mittelbar oder unmittelbar, stellt die Überschuldung i.S.v. § 19 InsO ebenfalls einen Insolvenzeröffnungsgrund dar.65 Dieser greift ein, wenn das Vermögen des Schuldners seine Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, es kann eine positive Fortführungsprognose gestellt werden, weil die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO). Im Einzelfall setzt eine positive Fortbestehensprognose zum einen voraus, dass aus unternehmerischer Sicht die Fortführung subjektiv beabsichtigt ist und zum anderen, dass das Unternehmenskonzept und die Finanzplanung im Ergebnis die zukünftige Zahlungsfähigkeit objektiv überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen.66 Der Prognosezeitraum hierfür wurde durch Art. 5 Nr. 11 SanInsFoG auf 12 Monate festgelegt.67 Soweit bspw. in Fällen des sicheren Eintritts der Zahlungsunfähigkeit nach Ablauf des Prognosezeitraums über dessen teleologische Ausweitung nachgedacht wird,68 ist angesichts der klaren Formulierung große Zurückhaltung angebracht, da konkretisierte Projektrisiken, Sanierungsmaßnahmen oder branchenübliche Faktoren, die sich erst zu einem späteren Zeitpunkt auswirken,69 nun über die drohende Zahlungsunfähigkeit einem fakultativen Insolvenzverfahren oder eben der optionalen vorinsolvenzlichen Sanierung unter dem StaRUG zugewiesen werden. Fällt die Fortbestehensprognose negativ aus, ist das Vorliegen einer rechnerischen Überschuldung zu prüfen. Tritt diese kumulativ neben die negative Fortbestehensprognose, liegt Überschuldung i.S.v. § 19 InsO vor. Die rechnerische Überschuldung bestimmt sich aus einem Vergleich von Aktiva und Passiva, wobei hier auf Liquidationswerte abzustellen ist.70 Bis zum 31.12.2023 ergibt sich für die Überschuldungsprüfung die Besonderheit, dass der Zeitraum für die Fortführungsprognose gem. § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SanInsKG nur vier Monate beträgt.

29 Solange keine ernsthafte und endgültige Ablehnung des Restrukturierungsvorhabens erkenn-

bar geworden ist (vgl. § 32 Abs. 4 StaRUG), können für die Stellung der positiven Fortbestehensprognose zukünftige Sanierungsbeiträge auch dann berücksichtigt werden, wenn sie noch nicht verbindlich vereinbart sind, aber als wirtschaftliche sinnvolle Lösung für die beteiligten Parteien und aufgrund konstruktiver Restrukturierungsgespräche als überwiegend wahrscheinlich unterstellt werden können.71 Auch kann die der Fortbestehensprognose zugrunde 65 Schröder in HambKomm/InsO, 2022, § 19 InsO Rz. 1; zum Überschuldungsbegriff Gehrlein, GmbHR 2021, 183. Grdl. zur Überschuldungsprüfung IDW S 11, Rz. 52 ff. (Stand: 23.8.2021). 66 Schröder in HambKomm/InsO, 2022, § 19 InsO Rz. 18 f.; teils wird eine zukünftige Ertragsfähigkeit verlangt AG Hamburg v. 2.12.2011, NZI 2012, 85, 86 f.; in diese Richtung auch Dahl, NZI 2008, 719, 720; dagegen aber Bitter/Kresser, ZIP 2012, 1733; Drukarczyk/Schüler in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 19 InsO Rz. 73; Mock in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 19 InsO Rz. 220; K. Schmidt in K. Schmidt, 16. Aufl. 2019, § 19 InsO Rz. 46. Zur Ermittlung der Fortbestehensprognose im Ganzen IDW S 11, Rz. 58 ff. (Stand: 23.8.2021). 67 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 14 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Piekenbrock, NZI-Beilage 2021, 82, 83. 68 Bitter, ZIP 2021, 321, 324; ergänzend schon Gehrlein, GmbHR 2021, 183, 188 f. 69 Vgl. Mock in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 19 InsO Rz. 225; K. Schmidt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 19 InsO Rz. 49. 70 Drukarczyk/Schüler in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 19 InsO Rz. 52; Mock in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 19 InsO Rz. 58, 130; außerdem IDW S 11, Rz. 53 (Stand: 23.8.2021). 71 Allgemein Aleth/Harlfinger, NZI 2011, 166, 170 f. m.w.N.; zur Finanzplanung Drukarczyk/Schüler in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 19 InsO Rz. 58 ff. und 99 ff.; Mock in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 19 InsO Rz. 222.

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Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens | Rz. 32 § 29

liegende Finanzplanung die Wirkungen eines vorinsolvenzlichen Restrukturierungsinstruments wie bspw. des britischen Scheme of Arrangements, niederländischen WHOA- bzw. Dutch Scheme oder des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens und seiner Instrumente integrieren und entsprechend sowohl bilanziell als auch für die darauf aufbauende mittelfristige Liquiditätsplanung verarbeiten.72 Dies gilt entgegen zum Teil zurückhaltenderen Stellungnahmen mit Blick auf das StaRUG unabhängig davon, ob die Restrukturierungssache durch Anzeige gegenüber dem Restrukturierungsgericht rechtshängig gemacht wurde oder nicht.73 Liegt Überschuldung vor Rechtshängigkeit vor, besteht nach § 15a InsO eine haftungs- 30 bewehrte Insolvenzantragspflicht und der Einstieg in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ist auch hier im Regelfall ausgeschlossen. Tritt sie allerdings während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ein, kann von einer Aufhebung der Restrukturierungssache unter Umständen abgesehen werden (vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG).

III. Instrumente (§ 29 Abs. 2 StaRUG) Die dem Schuldner zur Verfügung stehenden Instrumente listet § 29 Abs. 2 StaRUG abschlie- 31 ßend auf. Neben der gerichtlichen Planabstimmung (Nr. 1, §§ 45 f. StaRUG) und Vorprüfung (Nr. 2, §§ 47 f. StaRUG) gehören hierzu auch die Stabilisierung (Nr. 3, §§ 49 ff. StaRUG) und gerichtliche Planbestätigung (Nr. 4, §§ 60 ff. StaRUG). Das Instrument der Vertragsbeendigung hat keinen Einzug in den finalen Gesetzestext gefunden, sodass diese mit den §§ 103 ff. InsO einem Insolvenzverfahren vorbehalten bleibt (vgl. noch § 29 Abs. 2 Nr. 4, §§ 49 ff. StaRUG-RefE sowie § 31 Abs. 2 Nr. 3, §§ 51 ff. StaRUG-RegE). Nicht zu den Instrumenten, die alle in einem engen Zusammenhang mit dem Restrukturierungsplan stehen, zählt die Sanierungsmoderation. Mit ihr besteht die Möglichkeit zur Überwindung von wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten beim Restrukturierungsgericht, die Einsetzung eines neutralen, geschäftskundigen und unter der Aufsicht des Gerichts stehenden Sanierungsmoderator zu beantragen, und unter seiner vermittelnden Leitung eine Lösung für die Schwierigkeiten in Form eines Sanierungsvergleichs zu erarbeiten (vgl. § 94 Abs. 1 Satz 1, § 96 Abs. 1, § 97 Abs. 1 StaRUG).74 Für ihre Inanspruchnahme der Instrumente gibt es allgemeine Voraussetzungen, die zu- 32 nächst erfüllt sein müssen, womit vor allem auf § 31 Abs. 1 StaRUG verwiesen sein soll. Die Möglichkeit, Verfahrenshilfen in Form der unterschiedlichen Instrumente in Anspruch zu nehmen, setzt damit vor allem eine vollständige und (noch) wirksame Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim zuständigen Restrukturierungsgericht voraus (§ 31 Abs. 1 StaRUG). Sie darf zwischenzeitlich nicht zurückgenommen worden sein (§ 31 Abs. 4 Nr. 1 StaRUG) oder aufgrund der Aufhebung der Restrukturierungssache gem. § 33 StaRUG ihre Wir-

72 Maier, NZI 2011, 305, 307; Thole, ZInsO 2019, 1622, 1623; Hofmann/Giancristofono, ZIP 2016, 1151, 1154; Sax/Swierczok, ZIP 2016, 1945, 1950, Meyer-Löwy/Fritz, ZInsO 2011, 662; a.A. Lambrecht, ZInsO 2011, 124, 128; s. auch AG Hamburg v. 2.12.2011 – 67 c IN 421/11, NZI 2012, 85 = ZIP 2012, 1776. 73 BT-Drucks. 19/24181, S. 91; Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 35; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 2; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 39 StaRUG Rz. 41; noch zu § 32 Abs. 3 StaRUG-RefE folgerte dagegen Thole, ZIP 2020, 1985, 1992, dass eine erfolgsversprechende Gestaltung mittels Restrukturierungsplan erst ab Rechtshängigkeit berücksichtigt werden kann und „überschuldete Unternehmen unter den Rahmen schlüpfen dürfen, dann aber bei hinreichender Erfolgsaussicht und entsprechender Planung die Überschuldung auch wieder beseitigt ist“; ähnlich Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 21. 74 Zur Sanierungsmoderation Hoegen, NZI-Beilage 2021, 59; Desch, BB 2020, 2498, 2511.

Herding/Krafczyk | 483

§ 29 Rz. 32 | Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens kungen verloren haben (§ 31 Abs. 4 Nr. 3 StaRUG).75 Die Inanspruchnahmemöglichkeit besteht damit, soweit und solange das Restrukturierungsvorhaben als Restrukturierungssache gem. § 31 Abs. 3 StaRUG rechtshängig ist. Unbeschadet der Möglichkeit des Gerichts bereits nach Anzeige bspw. ausgemachte planbetroffene Gläubiger anzuhören und/oder Hinweise zum Verfahrensablauf oder der Plangestaltung zu geben,76 wird es im Übrigen aber erstmals aufgrund eines Antrags des Schuldners auf eine bestimmte oder eine Kombination aus Verfahrenshilfen aktiv (ausführlich Rz. 41, dort zur Verfahrensherrschaft des Schuldners).

1. Gerichtliche Planabstimmung (§ 29 Abs. 2 Nr. 1, §§ 45 f. StaRUG) 33 Nach freier Wahl des Schuldners kann die Annahme des Restrukturierungsplans entweder im

Rahmen einer freien Planabstimmung unter Einhaltung der §§ 17 ff. InsO oder auf Antrag des Schuldners unter Verfahrenshilfe gem. § 29 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. §§ 45 f. StaRUG im Rahmen eines gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermins erfolgen.77 Während die außergerichtliche Planabstimmung in eigenverantwortlicher Organisation und Leitung des Restrukturierungsschuldners vorzunehmen ist, gewährleistet die gerichtliche Planabstimmung eine gesteigerte Rechtssicherheit des Verfahrens, indem das Gericht mittels des Sitzungsprotokolls regelmäßig eine hinreichende Dokumentation und Aufzeichnung und somit Nachweisbarkeit sicherstellen kann.78 So dürfte sich zumindest eine Auseinandersetzung über den formal ordnungsgemäßen Ablauf der Abstimmung vermeiden lassen.79 Im Übrigen ist es dem Restrukturierungsgericht – anders als bei einer außergerichtlichen Planabstimmung – gestattet, streitige Stimmrechte direkt festzulegen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 StaRUG). Zugleich mag die gerichtliche Verfahrensbegleitung die Akzeptanz des Restrukturierungsvorhabens steigern.80 Vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin kann auf Antrag (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) oder von Amts wegen (§ 46 Abs. 3 StaRUG) ein gesonderter Vorprüfungstermin angesetzt werden, zu welchem neben dem Schuldner auch die Planbetroffenen geladen werden können. Wie bei der (isolierten) Vorprüfung nach §§ 47 f. StaRUG kann dabei jede Frage erörtert werden, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich ist.81

2. Vorprüfung (§ 29 Abs. 2 Nr. 2, §§ 47 f. StaRUG) 34 Die Vorprüfung durch das Restrukturierungsgericht gem. § 29 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. §§ 47 f. Sta-

RUG ist das zweite Instrument im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen. Dieses Instrument soll die Planbarkeit, Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit des Restrukturierungsverfahrens verbessern.82 In Abgrenzung zu einem Hinweisbeschluss durch das Restrukturierungsgericht gem. § 38 StaRUG i.V.m. § 139 Abs. 1 ZPO, mit dem insbesondere der Schuldner auf einzelne Punkte hingewiesen werden kann,83 die er eventuell übersehen oder 75 Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 22; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 59 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 76 S. nur AG Hamburg v. 17.1.2022 – 61c RES 1/21, ZInsO 2022, 670. 77 BT-Drucks. 19/24181, S. 132; hierzu Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 29 StaRUG Rz. 27; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 46 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); außerdem Ziegenhagen, ZInsO 2020, 2090, 2091. 78 BT-Drucks. 19/24181, S. 147, dort zu den Risiken, die sich bei einer außergerichtlichen Planabstimmung ergeben können; hierzu auch Desch, BB 2020, 2498, 2504. 79 Hacker/Weber, WPg 2021, 258 262 f.; Schelo, WM 2021, 513, 516; Vallender, MDR 2021, 201, 203. 80 Thole, ZIP 2020, 1985, 1994; außerdem Bode, StuB 2021, 165, 170; Vallender, MDR 2021, 201, 204. 81 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 76, 79 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 82 Gehrlein, BB 2021, 66, 73; Schelo, WM 2021, 513, 516. 83 AG Hamburg v. 17.1.2022 – 61c RES 1/21, ZInsO 2022, 670 = ZIP 2022, 758; außerdem Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 30, § 31 StaRUG Rz. 113 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens | Rz. 35 § 29

für unerheblich gehalten hat, soll die Vorprüfung in erster Linie dazu dienen, die Fragen zu erörtern, die nur unter Einbeziehung der Gläubiger geklärt werden können.84 Innerhalb der Vorprüfung können alle bestätigungserheblichen Fragen vorab durch das Restrukturierungsgericht überprüft werden (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 2, § 47 Satz 2 StaRUG).85 Der in § 46 Abs. 1 Satz 2 StaRUG enthaltene Katalog der Vorprüfungsthemen ist nicht abschließend. Nach der dort niedergelegten Aufzählung können insbesondere die Auswahl der Planbetroffenen und die Gruppeneinteilung (§ 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StaRUG) sowie die Stimmrechtsverteilung (§ 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG) und die Überprüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 InsO Gegenstand derselben sein. Dieses Instrument bietet sich insbesondere bei einer außergerichtlichen Abstimmung im Hinblick auf die Stimmrechtsverteilung bzw. erforderlichen Mehrheitsverhältnisse an, um Streitigkeiten hierüber vorzugreifen.86 Im Falle der außergerichtlichen Abstimmung können gem. § 47 Satz 2 StaRUG auch Fragen zu den Anforderungen an das Planabstimmungsverfahren nach den §§ 17–22 StaRUG vorab geprüft werden. Als weitere entscheidende Frage kann die Vorprüfung auch hinsichtlich der Frage des Vorliegens von gestaltbaren Rechtsverhältnissen, Rechten und Forderungen gem. §§ 2–4 StaRUG beantragt werden.87 Entlang der Gestaltungsmöglichkeiten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens unterstützt die Vorprüfung durch eine Ausleuchtung eines potentiell nächsten Schritts seine Funktion als Katalysator der außergerichtlichen, konsensualen Restrukturierung vor Einleitung restrukturierungs- und insolvenzrechtlicher Schritte unter dem StaRUG und der InsO (s. § 2 Rz. 1). Der Plan als solches kann nicht zum Gegenstand einer Vorprüfung gemacht werden, denn dies würde schon der Verfahrensherrschaft des Schuldners widersprechen.88 Antragsberechtigt ist vor dem Hintergrund ansonsten möglicher Störungen des reibungs- 35 losen Ablaufs des Restrukturierungsvorhabens durch einzelne Anfragen planbetroffener Gläubiger alleine der Restrukturierungsschuldner (§ 46 Abs. 1 Satz 1, § 47 Satz 1 StaRUG). Im Fall der gerichtlichen Planabstimmung kann ein Vorprüfungstermin jedoch auch von Amts wegen bestimmt werden, wenn dies zweckmäßig ist (§ 46 Abs. 3 StaRUG). Nach Abschluss der Vorprüfung hat das zuständige Restrukturierungsgericht über den Gegenstand der beantragten Vorprüfung einen Hinweisbeschluss zu erlassen (§ 46 Abs. 2, § 48 Abs. 2 StaRUG). Diesem Beschluss kommt keine Bindungswirkung zu, allerdings wird die durch die Vorprüfung angestrebte Planbarkeit und Rechtssicherheit des Verfahrens durch eine sich anschließende Hinweispflicht des Gerichts für den Fall sichergestellt, dass dieses von seiner vorherigen Einschätzung abweichen möchte.89 Im Einklang mit der Verfahrensherrschaft des Schuldners und der Modularität der Instrumente steht dem Schuldner dieses Instrument unabhängig davon zur Verfügung, ob er ebenfalls die Planabstimmung nach § 45 StaRUG gerichtlich durchführt. Unterschiede ergeben sich dabei nur im Hinblick auf die Anberaumung eines gesonderten Vorprüfungstermins (§ 46 Abs. 1 StaRUG). Ein solcher Termin ist bei der (isolierten) Vorprüfung nach § 47 f. StaRUG nicht vorgesehen; allerdings sind die von der Vorfrage betroffenen Gläubiger dennoch gem. § 48 Abs. 1 StaRUG anzuhören.90

84 AG Hamburg v. 17.1.2021 – 61c RES 1/21, ZInsO 2022, 670, 671 = ZIP 2022, 758. 85 Hacker/Weber, WPg 2021, 258 263. 86 Desch, BB 2020, 2498, 2504; Thole, ZIP 2020, 1985, 1994. Zur Stimmrechtsverteilung Spahlinger, NZI-Beilage 2021, 32. 87 Vgl. Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 67 StaRUG Rz. 25 f.; ausführlich Wilke in BeckOK/StaRUG, § 46 StaRUG Rz. 14 ff., § 47 StaRUG Rz. 6 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 88 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 82 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 89 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 82 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); außerdem Bode, StuB 2021, 165, 170; Schädlich, NWB 2020, 3566, 3575. 90 Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 45 f.; Gehrlein, BB 2021, 66, 73.

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§ 29 Rz. 36 | Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

3. Stabilisierungsanordnung (§ 29 Abs. 2 Nr. 3, §§ 49 ff. StaRUG) 36 Das StaRUG eröffnet dem Schuldner gem. § 29 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. §§ 49 ff. StaRUG weiterhin

die Möglichkeit, eine Stabilisierungsanordnung zu beantragen. Eine solche Anordnung kann erforderlich sein, um den Restrukturierungsplan überhaupt erfolgreich verwirklichen zu können. Denn soweit schon die außergerichtliche konsensuale Abstimmung an Blockadepositionen einzelner Gläubiger scheitert, dürfte sich die Problemlage auch im gerichtlichen Verfahren fortsetzen. Um einer möglichen Blockade die verfahrensrechtlichen Grundlagen bereits im Voraus zu entreißen, können Gläubiger für höchstens drei Monate gem. § 53 Abs. 1 StaRUG an der Durchsetzung ihrer Forderungen (Vollstreckungssperre, § 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) und Sicherheiten (Verwertungssperre, § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) gehindert werden und somit eine nachteilige Beeinflussung auch anderer Gläubiger bzw. des gesamten Restrukturierungsvorhabens vermieden.91 Hierdurch soll die Ermöglichung einer mehrheitlich – aber eben nicht einstimmig – befürworteten Restrukturierung gegen Widerstände einzelner Gläubiger, die sonst ihrerseits konträre rechtliche Schritte unternehmen könnten, abgesichert werden.92

37 Diese Anordnung soll dem Schuldner „eine Atempause“ verschaffen, um ungestörte Ver-

handlungen mit den Gläubigern zu ermöglichen.93 Auch das Instrument der Stabilisierung kann nur auf Antrag des Schuldners in Anspruch genommen werden und das auch nur insoweit, wie es zur Wahrung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist.94 Überschießende Maßnahmen werden vom Gericht nicht angeordnet, was mangels Erheblichkeit für die Zielerreichung wohl regelmäßig gegenüber Kleingläubigern der Fall sein dürfte. Für die von der Anordnung betroffenen Gläubiger sieht das Gesetz kein vorheriges Anhörungsrecht vor. Allerdings können diese die Aufhebung der Anordnung gem. § 59 Abs. 2 StaRUG beantragen.95 Hierzu muss das Vorliegen eines Beendigungsgrundes nach § 59 Abs. 1 StaRUG glaubhaft gemacht werden. Für dieses Instrument muss als eine besondere Voraussetzung zumindest eine vollständige und schlüssige Restrukturierungsplanung gem. § 51 Abs. 1 StaRUG vorliegen.96 Ein fertiger Restrukturierungsplan wird im Umkehrschluss noch nicht vorausgesetzt; schließlich soll dieser gerade während der Dauer der Stabilisierungsanordnung erstellt und mehrheitsfähig verhandelt werden können. Insoweit ist diese Anordnung auch das einzige Instrument ohne unmittelbaren Bezug zum konkreten Restrukturierungsplan. Daneben muss der Schuldner zusammen mit seinem Antrag weitere betriebswirtschaftliche Angaben nach den Vorgaben des § 50 StaRUG einreichen.97

4. Planbestätigung (§ 29 Abs. 2 Nr. 4, §§ 60 ff. StaRUG) 38 Schließlich steht dem Schuldner als Verfahrenshilfe und Instrument gem. § 29 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m.

§§ 60 ff. StaRUG die Planbestätigung zur Verfügung. Schon weil sich die übrigen Instrumente auf den Restrukturierungsplan beziehen, ist die Planbestätigung das wichtigste Instrument des Restrukturierungsrahmens, denn mit der Bestätigung des Restrukturierungsplans treten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen ein (§ 67 Abs. 1 StaRUG).98 Nachdem ein Restrukturie-

91 BT-Drucks. 19/24181, S. 154; ergänzend Desch, BB 2020, 2498, 2506 f. 92 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 50 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert, NZI-Beilage 2021, 40, 43; Schelo, WM 2021, 513, 514; Vallender, MDR 2021, 201, 201. 93 Gehrlein, BB 2021, 66, 73; Vallender, MDR 2021, 201, 204. 94 BT-Drucks. 19/24181, S. 132; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 8; Hacker/Weber, WPg 2021, 258 263; Vallender, MDR 2021, 201, 204. 95 Insg. Riggert, NZI-Beilage 2021, 40, 40 f., 42. 96 Bode, StuB 2021, 165, 170; Schädlich, NWB 2020, 3566, 3577. 97 Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 48; Schädlich, NWB 2020, 3566, 3577. 98 Schröder in HambKomm/RestruktR, 2022, § 29 StaRUG Rz. 23; Gehrlein, BB 2021, 66, 73.

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Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens | Rz. 41 § 29

rungsplan mehrheitlich angenommen wurde, kann der Schuldner beim Gericht die Planbestätigung nach §§ 60 ff. StaRUG beantragen.99 Der Antrag ist aber auch möglich, wenn die mehrheitliche Annahme zwischen den Beteiligten oder gegenüber dem Gericht streitig ist.100 Die gerichtliche Planbestätigung steht unabhängig davon zur Verfügung, ob die Planabstimmung gerichtlich oder außergerichtlich erfolgt ist.101 Im zweiten Fall ist eine Anhörung der Beteiligten allerdings Pflicht (§ 61 Satz 2 StaRUG). Die Planbestätigung ist insbesondere erforderlich, wenn kein Konsens erreicht wird.102 In diesem Fall erweitert § 67 Abs. 1 Satz 2 StaRUG die Wirkung des Plans zwangsweise auf alle Beteiligten, also auch jene, die nicht abgestimmt haben oder überstimmt wurden.103 Das Restrukturierungsgericht führt eine vollständige formelle Prüfung des Restrukturie- 39 rungsplans entlang des Prüfungsmaßstabs des § 63 StaRUG durch, es prüft also, ob die Vorschriften über den Inhalt des Restrukturierungsplans, dessen verfahrensmäßige Behandlung sowie dessen Annahme beachtet worden sind (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG).104 Auch die drohende Zahlungsunfähigkeit und die Frage, ob durch den Plan einem Planbetroffenen zugewiesene Ansprüche offensichtlich nicht erfüllt werden können, prüft das Gericht (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StaRUG). Die Prüfung des Restrukturierungsgerichts ist dabei keine Zweckmäßigkeitsprüfung, sondern beschränkt sich auf wesentliche Mängel. Behebbare wesentliche Mängel sind nur dann beachtlich, wenn sie innerhalb einer angemessenen, vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist nicht beseitigt werden.105 Abhängig vom Ausgang dieser Prüfung wird der Plan bestätigt oder ihm wird die Bestätigung versagt. Für den Fall der Planbestätigung werden auch die übrigen Planwirkungen der §§ 67 ff. Sta- 40 RUG herbeigeführt. Damit werden bspw. etwaige Verfahrensmängel (§ 67 Abs. 6 StaRUG) geheilt und es tritt die Fiktion von Willenserklärungen (§ 68 Abs. 1 StaRUG) und von Beschlüssen, Ladungen oder Bekanntmachungen (§ 68 Abs. 2 StaRUG) ein.106 Eine weitere Regelung betrifft die Anfechtbarkeit des bestätigten Restrukturierungsplans, welche von § 90 StaRUG auf den Fall unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Schuldners beschränkt wird.107 Aufgrund dieser Wirkungen kann eine gerichtliche Planbestätigung daher auch sinnvoll sein, wenn der Restrukturierungsplan einstimmig angenommen wurde.108

IV. Verfahrensherrschaft des Schuldners und modulares Baukastenprinzip (§ 29 Abs. 3 StaRUG) Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ist durch die Verfahrensherrschaft des 41 Schuldners geprägt.109 Vorbehaltlich einer etwaigen Notwendigkeit, intern den Gesellschafter 99 Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 29 StaRUG Rz. 32; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 9; ergänzend Desch, BB 2020, 2498, 2504. 100 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 89 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 101 Desch in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 3 Rz. 83; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 88 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Bode, StuB 2021, 165, 170; Vallender, MDR 2021, 201, 204. 102 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 88 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Pluta/Konen, SanB 2020, 149, 154; Schelo, WM 2021, 513, 516. 103 Hacker/Weber, WPg 2021, 258 263; Schädlich, NWB 2020, 3566, 3578. 104 Schelo, WM 2021, 513, 516; Vallender, MDR 2021, 201, 205. S. hierzu auch die Änderungen durch BT-Drucks. 20/2653, S. 40. 105 BT-Drucks. 19/24181, S. 132. 106 Hacker/Weber, WPg 2021, 258 263; Schädlich, NWB 2020, 3566, 3578. 107 Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 38 f.; ergänzend Desch in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 3 Rz. 105. 108 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 39 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schülke, DStR 2021, 621, 626. 109 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 91 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ergänzend Paulus, NZI-Beilage 2021, 9.

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§ 29 Rz. 41 | Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens einzubinden (dazu Rz. 44), entscheidet der Schuldner über die durch seine Anzeige begründbare und seine Rücknahme beendbare Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache (vgl. § 31 Abs. 3 und 4 Nr. 1 StaRUG). Auf Antrag des Schuldners werden die Instrumente des Rahmens in Anspruch genommen – oder auch nicht (§ 45 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 49 Abs. 1, § 60 Abs. 1 StaRUG). Dabei stellt § 29 Abs. 3 StaRUG im Sinne eines modularen Baukastenprinzips klar, dass die Restrukturierungsinstrumente grundsätzlich unabhängig voneinander in Anspruch genommen werden können.110 Sowohl das „Ob“ als auch das „Wie“ bzw. „Wann“ liegen, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich ausnahmsweise eine Vorgabe macht, allein in der Dispositionsbefugnis des Schuldners. Wie der Begriff der „Verfahrenshilfe“ der Gesetzesbegründung zeigt, ist das StaRUG als ein Gesetz zur Erleichterung der konsensualen Restrukturierung zu verstehen. So heißt es: „Münden die Verhandlungen mit den Beteiligten in einem allseits konsentierten Vergleich, so ist es auch möglich, dass keines der Instrumente in Anspruch genommen werden muss.“111 42 Die Instrumente des Restrukturierungsverfahrens sehen jeweils ein Tätigwerden des Restruk-

turierungsgerichts auf Antrag des Schuldners vor (§ 45 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 49 Abs. 1, § 60 Abs. 1 StaRUG).112 Teilweise müssen als besondere Verfahrensvoraussetzungen bei der Antragsstellung noch weitere Unterlagen oder nähere Angaben nach Maßgabe des Gesetzes vorgelegt werden. So erfordert insbesondere der Antrag einer Stabilisierungsanordnung nach § 50 StaRUG oder die gerichtliche Planbestätigung nach § 60 StaRUG die Vorlage weiterer Dokumente. Ferner ist einem bestehenden Gläubigerbeirat die Inanspruchnahme eines Instruments gem. § 93 Abs. 3 Satz 2 StaRUG anzuzeigen. Die Antragsberechtigung liegt allein beim Schuldner. Eine Berechtigung gleichlaufend zum Gläubigerinsolvenzantrag in der InsO gibt es im StaRUG nicht, sodass die Planbetroffenen selbst nicht antragsberechtigt sind.113 Ausnahmsweise kann der Restrukturierungsbeauftragte in bestimmten Verfahrensfragen der gerichtlichen Planabstimmung ohne den Schuldner entscheiden. Strittig ist allerdings, ob der Antrag dann doch durch den Schuldner114 oder tatsächlich durch den Restrukturierungsbeauftragten115 gestellt wird (vgl. § 76 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG). Im Übrigen folgt die Antragsbefugnis für juristische Personen den allgemeinen Vertretungsregeln; es gibt insbesondere keine Regelung wie § 15 Abs. 1 InsO in Bezug auf eine besondere gesetzliche Vertretungsmacht.116

43 Im Einklang mit § 29 Abs. 3 StaRUG liegt es damit in den Händen des Schuldners, wann und

wie das Gericht in die rechtshängige Restrukturierungssache eingebunden wird.117 Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll die Anzeige und damit die Information des Gerichts über die Restrukturierungssache und folglich dessen Einbindung mit einem gewissen Vorlauf vor dem ersten Antrag auf eine der vier Verfahrenshilfen erfolgt sein. Das Gericht würde auf diesem Weg in die Lage versetzt, sich mit den tatsächlichen wirtschaftlichen Umständen, den Rahmenbedingungen der Restrukturierung sowie den (ersten) rechtlichen Fragestellungen vertraut zu machen und gegebenenfalls notwendige Maßnahmen als Resultat der nachträgli-

110 Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 29 StaRUG Rz. 1; Proske/Streit, NZI 2020, 969; Vallender, MDR 2021, 201, 202. 111 BT-Drucks. 19/24181, S. 132. 112 BT-Drucks. 19/24181, S. 93; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 91 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 113 Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 54; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 61 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 114 Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 3. 115 Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 45 StaRUG Rz. 6; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 62 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Vallender, MDR 2021, 201, 202. 116 Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15 InsO Rz. 2. 117 Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 56.

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Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens | Rz. 44 § 29

chen Zugangskontrolle zu ergreifen.118 Der jeweilige Antrag auf die (Kombination aus unterschiedlichen) Verfahrenshilfe(n) ist bei dem Restrukturierungsgericht zu stellen, bei dem die Restrukturierungssache anhängig ist. Spätestens vor der ersten Entscheidung in der Restrukturierungssache ist auch der entsprechende Antrag zu stellen, wenn das Restrukturierungsverfahren als öffentliches Verfahren geführt werden soll (§ 84 Abs. 1 StaRUG). Insoweit gilt es die in § 2 Rz. 270 ff. aufgezeigten Vor- und Nachteile, gerade in Bezug auf die Anerkennungsfähigkeit inländischer Verfahrensergebnisse zu berücksichtigen. Schließlich sind mit dem Antrag auf ein bestimmtes Instrument die entsprechenden Gerichtskosten zu zahlen.119 Sind diese allgemeinen Voraussetzungen erfüllt, richten sich die weiteren, besonderen Voraussetzungen nach dem jeweiligen Antrag. Erst wenn der vergleichsweise geringe Gerichtskostenvorschuss bezahlt ist,120 entscheidet das Gericht über den Antrag und prüft die Zulässigkeit und Begründetheit, d.h. das Gericht prüft die eigene Zuständigkeit (vgl. §§ 35, 36 StaRUG),121 die Restrukturierungsfähigkeit (§ 31 StaRUG) und Verfahrensfähigkeit des Schuldners (§ 38 StaRUG i.V.m. §§ 51 ff. ZPO)122 sowie das allgemeine Rechtsschutzinteresse, das vor allem bei wiederholten Anträgen in Frage gestellt werden kann (in den Kontext des Rechtsschutzinteresses dürften auch die § 31 Abs. 2 Satz 4, § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Satz 2–4 StaRUG einzuordnen sein).123 Die Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen das StaRUG die sofortige Beschwerde vorsieht (vgl. § 40 Abs. 1 StaRUG). Sie steht dem Schuldner allein gegen den ablehnenden Beschluss über den Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung zu (§ 51 Abs. 5 StaRUG) sowie in bestimmten Fällen gegen einen Beschluss, durch den die Bestätigung des Restrukturierungsplans abgelehnt worden ist. Wird der Restrukturierungsplan durch Beschluss bestätigt, steht die sofortige Beschwerde wiederum den planbetroffenen Gläubigern zu (§ 66 Abs. 1 StaRUG).

V. Einflussnahme der Gesellschafter Die Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit als Ziel des Restrukturierungsrahmens 44 kann Maßnahmen erfordern, die insbesondere die Position der Gesellschafter als Eigenkapitalgeber in Frage stellen. Entsprechend umfassen die Gestaltungsmöglichkeiten des § 2 Abs. 3 StaRUG auch die Übertragung von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten, infolgedessen ihr Verlust auf Grundlage einer Mehrheitsentscheidung möglich ist und damit sogar gegen den Willen einzelner Gesellschafter (§§ 9 Abs. 1 Nr. 4, 25 ff. StaRUG). Dass in der Krise der Gesellschaft die Interessen des Gesellschafters hinter vorrangigen Interessen zurücktreten können, zeigt sich ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache auch darin, dass – während die Restrukturierungssache betrieben wird − Sorgfaltspflichten des Schuldners bzw. der Geschäftsleiter als Sanierungsgeschäftsführer auf die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger auszurichten sind (§§ 33 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 1 StaRUG). In der Praxis üben sich Gesellschafter daher häufig in Zurückhaltung, wenn es um die Nutzung der Instrumente des präventiven Restrukturierungsrahmens geht. Bereits die Anzeige gem. § 31 Abs. 1 StaRUG wird häufig eher als Gefahr für die Stellung als Gesellschafter interpretiert – und das trotz der 118 BT-Drucks. 19/24181, S. 134; ergänzend Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2584. 119 Hierzu Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 97 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 120 Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3a., § 6 GKG sowie Anlage 1 zum GKG und dort Hauptabschnitt 5 zum Verfahren nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz. Ergänzend BT-Drucks. 19/24181, S. 218; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 97 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 121 Frind, ZInsO 2021, 1093, 1094, der das für einen „Baufehler“ hält. 122 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 65 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 123 Detailliert zu Fragen des Rechtsschutzinteresses und der Antragsrücknahme Kramer in BeckOK/ StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 70 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Im Rahmen des Rechtsschutzinteresses stellt sich auch die Frage, ob ausreichende Verhandlungen geführt wurden, vgl. Frind, ZInsO 2021, 1093, 1099.

Herding/Krafczyk | 489

§ 29 Rz. 44 | Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens stabilisierenden Wirkungen und zusätzlichen Möglichkeiten eines aufgespannten Restrukturierungsrahmens für den Schuldner (vgl. bspw. § 33 Abs. 2 Nr. 1, § 44 StaRUG). Eine frühzeitige Einleitung des StaRUG erfolgt auch aus diesem Grund eher selten bzw. wird blockiert, indem die Gesellschafter die Zustimmung zur Anzeige verweigern oder die Geschäftsleitung sogar ausdrücklich anweisen, eine Anzeige nicht vorzubereiten und zu stellen. Obwohl sowohl dem europäischen Richtliniengeber (vgl. Art. 19 sowie ErwGr. 70, 71 Restrukturierungs-RL) als auch dem deutschen Gesetzgeber dieses Spannungsverhältnis zwischen Gesellschafterund Gläubigerinteressen bewusst gewesen ist, blieben weitergehende Regelungsansätze – gerade auch nach Streichung der §§ 2, 3 StaRUG-RegE – aus. Dadurch bleibt das „Ob“ und „Wie“ der Einflussnahme der Gesellschafter auf die Nutzung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens eine der zentralen Fragen im Umgang mit dem StaRUG in der Praxis.124 45 Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass aus gesellschaftsrechtlicher Sicht sog. Grundlagen-

geschäfte der Geschäftsleitung grundsätzlich der Zustimmung der Gesellschafter (oder des entsprechenden Kontrollorgans) bedürfen.125 Mit Blick auf die erheblichen Konsequenzen einer Insolvenz auf die Position des Gesellschafters (vgl. bspw. § 276a InsO) ist daher in der parallelen Konstellation einer Insolvenzantragsstellung aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 2 InsO) als fakultativen Insolvenzantragsgrund nach nahezu einhelliger Auffassung ein zustimmender Gesellschafterbeschluss zur pflichtgemäßen Insolvenzantragsstellung einzuholen.126 Als Ausgangspunkt lässt sich dies auch für das StaRUG festhalten, womit die Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens mit angestrebter Gestaltung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte als Grundlagengeschäft regelmäßig nur mit Zustimmung der Gesellschafter pflichtgemäß erfolgen kann.127

46 Dieser Grundsatz wird allerdings nicht allen möglichen Restrukturierungsszenarien unter

dem StaRUG gerecht. Denn – im Unterschied zu den zwingend eintretenden Folgen einer Insolvenz – ist eine Gestaltung der Gesellschafterrechte nicht notwendigerweise Teil eines Restrukturierungsrahmens und nur bei Nutzung einer gruppenübergreifenden Mehrheit nach Maßgabe der im StaRUG begrenzt flexibleren Regel der absoluten Priorität zwingend vorzusehen (vgl. § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG). Zudem bleiben die Rechte der Gesellschafter während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache grundsätzlich unberührt, abgesehen von dem angesprochenen – während der Rechtshängigkeit geltenden („kleinen“) – Shift of fiduciary Duties, (auch) die Interessen der Gläubigergesamtheit zu wahren (§ 32 Abs. 1, § 42 Abs. 1 StaRUG), sodass dem Gesellschafter insbesondere die Bestellung und Abberufung der Geschäftsleiter weiterhin möglich bleibt. Wenn grundsätzlich also für Restrukturierungsvorhaben aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Wertung dem Gesellschafter die Entscheidung über die Anzeige der Restrukturierungssache zuzugestehen ist, dann sieht sich diese HoldOut Position mit zunehmender Insolvenznähe rechtlich einem stärkeren Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Denn entlang der neuakzentuierten Prognosezeiträume der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 2 InsO) und für die Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung (§ 19 Abs. 2 InsO) gilt: Während in der ersten Zeitspanne nach Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit (Monat 24–13 vor Eintritt der prognostizierten Zahlungsunfähigkeit) noch keine Fortbestehensprognose zur Vermeidung des zwingenden Insolvenzantragsgrundes gestellt werden muss, ist während der letzten 12 Monate vor Eintritt der 124 BT-Drucks. 19/24181, S. 134. S. ergänzend auch Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), S. 38 f., 138, 176 f. 125 S. nur Schneider/Schneider in Scholz, 11. Aufl., § 37 GmbHG Rz. 17. 126 OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, 1124; hierzu Mock in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 18 InsO Rz. 24; zusammentragend Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, 2020, Rz. 69 ff. 127 Brinkmann, KTS 2021, 303, 316; Scholz, ZIP 2021, 2019, 226. Ergänzend Mulert/Steiner, NZG 2021,673; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 26.

490 | Herding/Krafczyk

Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens | Rz. 48 § 29

prognostizierten Zahlungsunfähigkeit (im sog. kritischen Restrukturierungsfenster) zwingend eine positive Fortbestehensprognose erforderlich, um die Überschuldung als Insolvenzantragsgrund, der die Geschäftsleiter mit § 15a InsO zur Insolvenzantragsstellung verpflichtet, auszuschließen. Um die erfolgreiche Umsetzung des Restrukturierungsziels mittels aller Möglichkeiten, die durch das StaRUG bereitgestellt werden, in der positiven Fortbestehensprognose berücksichtigen zu können, ist die (Möglichkeit der) Anzeige als überwiegend wahrscheinlich zu unterstellen. Entsprechend werden in dieser Phase die Anzeige und ihre Anlagen, also insbesondere auch das Restrukturierungskonzept bzw. der Restrukturierungsplan, aber auch die für erforderlich erachteten internen Zustimmungen möglichst weitgehend rechtlich und praktisch vorbereitet und dokumentiert. Während die Geschäftsleitung aufgrund der sog. Sanierungs- bzw. Solvenzsicherungspflicht mit den Stakeholdern die notwendige Unterstützung für eine Restrukturierung mit zunehmender Dringlichkeit zu erreichen sucht und sich in der Endphase der Verhandlungen häufig nur noch eine Handlungsmöglichkeit zur Vermeidung der Insolvenz bietet, findet auch die Einflussnahme des Gesellschafters spätestens dort ihre Grenze, wo eine gesellschaftsrechtliche Weisung rechtswidrig wäre und daher als rechtlich unbeachtlich gelten muss.128 Bevor eine Insolvenzantragstellung trotz tragfähigem und mittels StaRUG umsetzbaren Restrukturierungskonzept zur Haftungsvermeidung erforderlich wird, ist die Geschäftsleitung zur Vermeidung eines Wertverlustes der Gläubiger verpflichtet und kann auch ohne Zustimmung des Gesellschafters, gegebenenfalls unabhängig oder trotz entgegenstehender Weisung, mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens die Restrukturierungssache rechtshängig machen.129 Sobald die Restrukturierungssache durch Anzeige gegenüber dem Restrukturierungsgericht 47 erfolgt ist, greift zwar der Shift of fiduciary Duties ein und der Schuldner bzw. die Geschäftsleiter haben bei Betreiben der Restrukturierungssache die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Dennoch behält der Gesellschafter wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsführung und den Verlauf der Restrukturierungssache, bspw. durch die Erteilung von Weisungen, die (verweigerte) Zustimmung zur Beantragung der relevanten Instrumente oder die Möglichkeit, die Geschäftsleitung abzuberufen oder neu zu bestellen. Auch während des Verlaufs der Restrukturierungssache hat der Geschäftsleiter seiner Sanierungs- bzw. Solvenzsicherungspflicht nachzukommen und ist, falls eine Weisung der Erreichung des Restrukturierungsziels entgegensteht, schon zur Vermeidung einer Haftung gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG verpflichtet, entgegenstehende Weisungen zu ignorieren bzw., falls sich die Möglichkeit der Insolvenzabwendung auf ein Konzept verengt hat, die dafür notwendigen Maßnahmen auch ohne Zustimmung des Gesellschafters umzusetzen, bspw. durch die Stellung eines Antrags auf gerichtliche Planbestätigung. Dem Gesellschafter bleibt es auch während der Rechtshängigkeit jederzeit unbenommen, die 48 Geschäftsleitung abzuberufen, bspw. um ein Handeln im Namen des Schuldners zu verhindern und um einen neuen Geschäftsleiter zu bestellen, der dann die Anzeige zurücknehmen könnte, sodass diese ihre Wirkung verliert und die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache endet (§ 31 Abs. 4 Nr. 1 StaRUG). Soweit die Gesellschaft führungslos ist, trifft den Gesellschafter – insbesondere innerhalb des kritischen Restrukturierungfensters – dann gegebenenfalls eine haftungsbewehrte Anzeigepflicht gem. § 42 Abs. 1 StaRUG i.V.m. § 15a Abs. 3 InsO. Zudem ist zwar nicht vorgesehen, dass etwaige Maßnahmen oder Unterlassungen des Gesellschafters, die die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger verletzen, zu einer Haftung des Gesellschafters führen (vgl. § 43 Abs. 1 StaRUG), allerdings wäre im Fall einer bewusst in Kauf genommenen Schädigung der Vermögensposition der Gläubiger sorgfältig zu prüfen, ob insoweit nicht eine deliktische Haftung aus § 826 BGB zum Tragen kommt. 128 Brinkmann, KTS 2021, 303, 321; ähnlich Scholz, ZIP 2021, 219, 227 f.; anders Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 126. 129 Brinkmann, KTS 2021, 303, 321; s. auch Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18, 22.

Herding/Krafczyk | 491

§ 30 Rz. 1 | Restrukturierungsfähigkeit

§ 30 Restrukturierungsfähigkeit (1) 1Die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens können vorbehaltlich des Absatzes 2 von jedem insolvenzfähigen Schuldner in Anspruch genommen werden. 2Für natürliche Personen gilt dies nur, soweit sie unternehmerisch tätig sind. (2) Die Bestimmungen dieses Kapitels sind auf Unternehmen der Finanzbranche im Sinne des § 1 Absatz 19 des Kreditwesengesetzes nicht anzuwenden. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. 1. 2. II.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normherkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norminhalt und -zweck . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich (§ 30 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 2 4 4 6

3. 4. III. IV.

Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit . . 8 Ausländische Gesellschaftsformen . . . . . . 10 Ausnahmen (§ 30 Abs. 2 StaRUG) . . . . . 12 Folgen fehlender Restrukturierungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

I. Einführung 1. Normherkunft 1 Mit § 30 StaRUG werden unterschiedliche Vorgaben der Restrukturierungs-RL umgesetzt.

§ 30 Abs. 1 Satz 1 StaRUG entspricht den Vorgaben des Art. 1 Abs. 4 Unterabs. 2 Restrukturierungs-RL, wonach juristischen Personen der Zugang zu präventiven Restrukturierungsrahmen gewährt sein soll. Von der dort ebenfalls vorgesehenen Befugnis, den Zugang allein für juristische Personen vorzusehen, hat der Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr entspricht die Einbeziehung auch von natürlichen Personen Art. 1 Abs. 2 Buchst. h Restrukturierungs-RL. Aus diesem folgt, wie auch aus § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, die Restrukturierungsfähigkeit natürlicher Personen, soweit sie unternehmerisch tätig sind. Insoweit gem. Art. 1 Abs. 2 Buchst. g Restrukturierungs-RL der Zugang zu präventiven Restrukturierungsrahmen für „öffentliche Stellen nach nationalem Recht“ zu beschränken ist, wird dies durch den Verweis auf die Insolvenzfähigkeit und damit ebenfalls § 12 InsO adressiert.1 Schließlich wird mit § 30 Abs. 2 StaRUG im Einklang mit Art. 1 Abs. 3 Restrukturierungs-RL der Zugang zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen der Finanzbranche i.S.v. § 1 Abs. 19 KWG beschränkt, womit der Anwendungsbereich des StaRUG weiter als im vorgesehenen Katalog in Art. 1 Buchst. a–f Restrukturierungs-RL beschränkt wird.2

2. Norminhalt und -zweck 2 In § 30 StaRUG wird der persönliche Anwendungsbereich des Restrukturierungsrahmens de-

finiert, also wer berechtigt ist, die in § 29 Abs. 2 StaRUG aufgeführten Instrumente in Anspruch zu nehmen. Diese Berechtigung richtet sich nach der Restrukturierungsfähigkeit, die

1 Mit Blick auf § 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO auch Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 2 Hierzu Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 30 StaRUG Rz. 7; Schröder in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 30 StaRUG Rz. 11.

492 | Herding/Krafczyk

Restrukturierungsfähigkeit | Rz. 5 § 30

gem. § 30 Abs. 1 StaRUG wiederum für alle nach §§ 11 f. InsO insolvenzfähigen Schuldner vorliegt.3 Wie die Insolvenzordnung rückt auch das StaRUG damit im Grundsatz nicht vom Rechtsträgerprinzip ab. Diese Orientierung am Verfahrenssubjekt ergibt sich bereits aus der Zentralnorm § 29 Abs. 1 StaRUG, die auf die nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit (vgl. § 18 InsO) des Schuldners abzielt.4 Eine parallele Handhabe drängt sich schon aufgrund des auch im Übrigen weitgehenden Gleichlaufs insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften auf, wenngleich Abweichungen dort vorgesehen sind, wo es die Eigenheiten eines vorinsolvenzlichen Verfahrens bedürfen.5 Letzteres bezieht sich etwa auf die Restrukturierungsfähigkeit natürlicher Personen und Fälle des § 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Aufgrund des Verweises auf die insolvenzfähigen Schuldner i.S.v. §§ 11 f. InsO entspricht 3 die Restrukturierungsfähigkeit im Wesentlichen der Insolvenzfähigkeit, die ihrerseits die passive Parteifähigkeit im Zivilprozess (§ 50 ZPO) konkretisiert, die auf die Rechtsfähigkeit abstellt. So kann ein Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach Maßgabe des § 30 Abs. 1 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1 InsO von jeder natürlichen und juristischen Person in Anspruch genommen werden, von natürlichen Personen allerdings gem. § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG nur, soweit sie unternehmerisch tätig sind. Gleiches gilt für Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit. In allen Fällen gilt es § 12 InsO zu beachten. Von der Restrukturierungsfähigkeit, die sich im Wesentlichen an der passiven Parteifähigkeit orientiert, ist die – auch innerhalb des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens – erforderliche Prozessfähigkeit abzugrenzen, die sich nach § 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. §§ 51 ff. ZPO richtet. Schließlich bezieht § 30 StaRUG zu den Folgen der fehlenden Restrukturierungsfähigkeit keine Stellung (s. Rz. 14).

II. Anwendungsbereich (§ 30 Abs. 1 StaRUG) 1. Natürliche Personen Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG sind in Abweichung zu § 11 Abs. 1 InsO natürliche Per- 4 sonen nur restrukturierungsfähig, soweit sie unternehmerisch tätig sind. Üben sie eine unternehmerische Tätigkeit aus, können sie zur Abwendung der bevorstehenden Insolvenz einen Insolvenzplan bemühen und/oder die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch nehmen.6 Natürlichen Personen kommt damit in Bezug auf ihre unternehmerische Tätigkeit eine partielle Restrukturierungsfähigkeit zu. Über den Inhalt und die Reichweite des Restrukturierungsplans und der einzelnen Instrumente gibt § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG keinen Aufschluss. Vielmehr treten hierzu § 4 Satz 2 StaRUG sowie § 49 Abs. 2 StaRUG an. Über die partielle Restrukturierungsfähigkeit entscheidet die Ausübung einer unternehmeri- 5 schen Tätigkeit. Eine Definition, was hierunter zu verstehen ist, gibt weder das StaRUG (etwa in § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) noch die Gesetzesbegründung vor.7 Allerdings trägt Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 Restrukturierungs-RL zur Bestimmung der „unternehmerischen Tätigkeit“ (verbindlich) bei.8 Dort werden als „Unternehmer“ natürliche Person angesehen, die eine gewerb3 BT-Drucks. 19/24181, S. 133; ergänzend Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 30 StaRUG Rz. 29; Vallender, MDR 2021, 201, 203. 4 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 5 BT-Drucks. 19/24181, S. 105; hierzu etwa Herweg/Wirth, DB 2021, 886, 886. 6 Zum Beginn und Ende der Restrukturierungsfähigkeit Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 22 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 7 Eingehend Schröder in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 30 StaRUG Rz. 9. 8 Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 30 StaRUG Rz. 17; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 56 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Herding/Krafczyk | 493

§ 30 Rz. 5 | Restrukturierungsfähigkeit liche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben. Vergleichbar weitumfassend definiert auch § 304 InsO den Terminus der „selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit“ bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs von Verbraucherinsolvenzverfahren. Dort liegt eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit vor, wenn sie in organisatorisch verfestigter Form im eigenen Namen, in eigener Verantwortung, für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ausgeübt wird.9 § 304 InsO orientiert sich bei der Bestimmung des Begriffs nicht an den Grundsätzen der §§ 13, 14 BGB, da diese Kriterien der konkreten Abgrenzung zwischen Verbraucher und Unternehmer in Bezug auf Rechtsgeschäfte dienen, es bei § 304 InsO aber lediglich um die konkrete Bestimmung einer generellen Eigenschaft einer Person geht.10 Meist dürfte der Zugang zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen entsprechend für natürliche Personen nicht eröffnet sein, wenn sie abhängig (bspw. Arbeitnehmer), arbeitnehmerähnlich (bspw. als freier Mitarbeiter) oder nicht erwerbsmäßig tätig sind (bspw. Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Rentner).11 Unerheblich ist hier, ob sich überhaupt gestaltbare Rechtsverhältnisse finden lassen oder nicht (vgl. § 4 Satz 2 StaRUG).12 Mit den zusätzlichen Beschränkungen des sachlichen Anwendungsbereiches aus § 4 Satz 2 StaRUG sowie § 49 Abs. 2 StaRUG dürfte es sich bei § 30 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ohnehin (nur) um eine erste Zugangsschwelle auf persönlicher Ebene handeln. Wesentliche Aufgabe des Planerstellers wird vielmehr sein, die einer Gestaltung mittels eines Restrukturierungsplans zugänglichen Rechtsverhältnisse zu ermitteln, woraus in Anbetracht der innerhalb von § 4 Satz 2 StaRUG (wohl) jedenfalls heranzuziehenden §§ 13, 14 BGB ein durchaus umfangreicher Prüfungsauftrag erwachsen kann.

2. Juristische Personen 6 Als juristische Personen i.S.v. § 11 Abs. 1 InsO insolvenzfähig und damit nach Maßgabe von

§ 30 Abs. Satz 1 StaRUG restrukturierungsfähig sind insbesondere Aktiengesellschaften (§ 1 Abs. 1 AktG), Kommanditgesellschaften auf Aktien (§ 278 Abs. 1 AktG), Gesellschaften mit beschränkter Haftung (§ 13 Abs. 1 GmbHG), Unternehmergesellschaften (§ 5a GmbHG), rechtsfähige (§§ 21, 22 BGB) und nicht rechtsfähige Vereine (§ 11 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 54 BGB; vgl. § 50 Abs. 2 ZPO), rechtsfähige Stiftungen (§ 80 BGB), eingetragene Genossenschaften (§ 17 Abs. 1 GenG), europäische Aktiengesellschaften (Art. 1 Abs. 3 SE-VO13) und Genossenschaften (Art. 1 Abs. 5 SCE-VO14).15 Es spielt keine Rolle, ob die juristische Person aufgelöst wurde. Das gilt jedenfalls, solange die Verteilung des Vermögens nicht vollzogen ist (§ 11 Abs. 3 InsO) und – jedenfalls nach der Gesetzesbegründung – eine Fortsetzung beabsichtigt ist.16

9 Buck in Braun, 8. Aufl. 2020, § 304 InsO Rz. 7. 10 Andres in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 304 InsO Rz. 6; Sternal in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 304 InsO Rz. 9. 11 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 30 StaRUG Rz. 2; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 53, 58 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 12 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 59 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 13 „Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE)“, ABI. EU Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 1 ff.; s. auch das Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz – SEAG). 14 „Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22.7.2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE)“, ABI. EU Nr. L 207 v. 18.8.2003, S. 1 ff.; s. auch das Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22.7.2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE). 15 Zum Beginn und Ende der Restrukturierungsfähigkeit Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 22 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 16 BT-Drucks. 19/24181, S. 133; in diese Richtung Schröder in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 30 StaRUG Rz. 6; a.A. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 24 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

494 | Herding/Krafczyk

Restrukturierungsfähigkeit | Rz. 10 § 30

Nicht insolvenzfähig sind der Bund und die Bundesländer (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 InsO) sowie ju- 7 ristische Person des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht eines Landes unterstehen, wenn das Landesrecht die Unzulässigkeit eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen bestimmt. Von letzterer Möglichkeit haben die Bundesländer innerhalb ihres jeweiligen Landesrechts mit Blick auf Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts umfänglich Gebrauch gemacht. Mit der danach vorgesehen Insolvenzunfähigkeit entfällt auch die Restrukturierungsfähigkeit gem. § 30 Abs. 1 StaRUG.17

3. Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit Als Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit i.S.v. § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO insolvenzfähig und 8 damit auch nach Maßgabe von § 30 Abs. 1 Satz 1 StaRUG restrukturierungsfähig sind insbesondere offene Handelsgesellschaften (§ 124 Abs. 1 HGB), Kommanditgesellschaften (§ 161 Abs. 2 HGB i.V.m. § 124 HGB), Gesellschaften bürgerlichen Rechts (ergänzend § 705 Abs. 2 BGB18), Partnerschaftsgesellschaften (§ 7 Abs. 2 PartGG i.V.m. § 124 HGB) und europäische wirtschaftliche Interessenvereinigungen (Art. 1 Abs. 3 EWIV-VO,19 § 124 HGB).20 Es spielt keine Rolle, ob die Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit aufgelöst wurde. Das gilt jedenfalls, solange die Verteilung des Vermögens nicht vollzogen ist (§ 11 Abs. 3 StaRUG) und eine Fortsetzung beabsichtigt ist (s. aber Rz. 6). Nicht insolvenzfähig sind Gesellschaften bürgerlichen Rechts, soweit es sich um sog. Innen- 9 GbR21 handelt, stille Gesellschaften (§ 230 HGB), Bruchteilsgemeinschaften (§ 741 ff. BGB), die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (§ 9a Abs. 5 WEG) und die Erbengemeinschaft.22 Sie sind allesamt auch nicht restrukturierungsfähig.

4. Ausländische Gesellschaftsformen Auch ausländische juristische Personen können restrukturierungsfähig sein und damit in den 10 Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen einsteigen. Grundvoraussetzung ist die internationale Zuständigkeit deutscher Restrukturierungsgerichte, die wiederum im Falle eines privaten Verfahrens an den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit (vgl. § 35 Satz 2 StaRUG) der ausländischen Gesellschaft bzw. im Falle eines öffentlichen Verfahrens ihren COMI in Deutschland (§ 84 StaRUG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 EUInsVO) geknüpft ist (ausführlich § 2 Rz. 240 ff.). Die weiter erforderliche Restrukturierungsfähigkeit des betreffenden Schuldners (§ 30 Abs. 1 Satz 1 StaRUG), die der Insolvenzfähigkeit gem. § 11 InsO folgt, ist für Auslands17 Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 30 StaRUG Rz. 14; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Zum jeweiligen landesrechtlichen Stand Vuia in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 12 InsO Rz. 23. 18 „Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG)“, s. BT-Drucks. 19/27635, S. 14; BR-Drucks. 567/21, S. 6. 19 „Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25.7.1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV)“, ABI. EU Nr. L 199 v. 31.7.1985, S. 1 ff.; s. auch das Gesetz zur Ausführung der EWG-Verordnung über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung. 20 Zum Beginn und Ende der Restrukturierungsfähigkeit Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 22 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 21 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056 = ZIP 2001, 330; hierzu Wolfer in BeckOK/InsR, § 11 InsO Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 22 Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 30 StaRUG Rz. 13; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zur insolvenzrechtlichen Einordnung Vuia in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 11 InsO Rz. 63a, 63c; Bußhardt in Braun, 8. Aufl. 2020, § 11 InsO Rz. 10.

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§ 30 Rz. 10 | Restrukturierungsfähigkeit gesellschaften davon abhängig, ob sie in Deutschland als Rechtsträger – genauer als juristische Person bzw. Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit – anzuerkennen ist. Hierbei gelten die allgemeinen Grundsätze für das StaRUG uneingeschränkt. 11 Für EU-Auslandsgesellschaften bemisst sich unter diesen Umständen ihre Einordnung als ju-

ristische Person (§ 11 Abs. 1 InsO) bzw. Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (§ 11 Abs. 2 InsO) nach der sog. Gründungstheorie. Damit kommt es hinsichtlich der Restrukturierungsfähigkeit einzelner Auslandsgesellschaften auf die Haftungsverfassung der betreffenden Gesellschaft unter Zugrundelegung des Rechts des Gründungsmitgliedsstaats an. Die Einordnung der Auslandsgesellschaften als juristische Person oder als Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ist daher von ihrer Einordnung nach dem Recht des Gründungsstatuts abhängig. Entsprechendes gilt ebenfalls für Staaten, mit denen Deutschland bilaterale Abkommen geschlossen hat, nach denen das Recht des Gründungsstaats anzuerkennen ist (z.B. USA). Davon abweichend bemisst sich die Anerkennung von Gesellschaften aus Drittstaaten in Deutschland nach der sog. Sitztheorie. Über die Anerkennung der betreffenden Auslandsgesellschaften als juristische Person oder als Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit entscheidet somit das Recht am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes. Liegt dieser – wie meist durch die Begründung der internationalen Zuständigkeit anzunehmen – in Deutschland, ist damit das Recht des deutschen Gesellschaftstyps anzuwenden, dem die Auslandsgesellschaft entspricht. Liegen sodann gegebenenfalls die Gründungsvoraussetzungen der betreffenden Gesellschaftsform nach deutschem Recht nicht vor, wie es bei im Ausland gegründeten juristische Personen vorkommen kann, gilt sodann das Recht betreffend die offenen Handelsgesellschaften oder Gesellschaften bürgerlichen Rechts. Unabhängig davon, ob dieses Ergebnis aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive im Einzelnen nicht beabsichtigt sein mag, ist eine Restrukturierungsfähigkeit damit aber abschließend auch in diesen Fällen zu begründen.23

III. Ausnahmen (§ 30 Abs. 2 StaRUG) 12 Ebenfalls nicht restrukturierungsfähig sind Unternehmen der Finanzbranche i.S.v. § 1

Abs. 19 KWG. Hierzu zählen Unternehmen, die dem Banken- und Wertpapierwesen (§ 1 Abs. 19 Nr. 1 KWG) oder Versicherungswesen (§ 1 Abs. 19 Nr. 2 KWG) angehören.24 Diese Globalverweisung in das Kreditwesengesetz zeigt, dass die entsprechenden Vorgaben der Restrukturierungs-RL hinter den nunmehr konkret getroffenen Ausnahmen zurückbleiben. Für die von § 30 Abs. 2 StaRUG erfassten Unternehmen gelten bei drohender Insolvenz abweichende Regelungskonzepte, die diejenigen des zweiten Kapitels des StaRUG verdrängen.25

13 Auf die von § 30 Abs. 2 StaRUG erfassten Unternehmen der Finanzbranche finden die Be-

stimmungen des zweiten Kapitels des StaRUG keine Anwendung, zu denen die Vorschriften über die Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente zählen. Ein Verweis auf die übrigen Kapitel des zweiten Teils und sonstigen Teile des StaRUG findet sich im Wortlaut nicht.26 23 Ausführlich Vuia in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 11 InsO Rz. 17a. Zum StaRUG auch Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 50 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 24 Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, 4. Aufl. 2021, § 1 KWG Rz. 309. Eine Auflistung der unter § 30 Abs. 2 StaRUG zu subsumierenden Unternehmen findet sich bei Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 30 StaRUG Rz. 7, dort Fn. 7. 25 Hierzu Schröder in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 30 StaRUG Rz. 9. 26 Die Rechtsfolgenanordnung aus § 30 Abs. 2 StaRUG belässt dem Wortlaut zufolge daher die Regelungen des ersten („Restrukturierungsplan“) sowie dritten bis sechsten Kapitels („Restrukturierungsbeauftragter“, „Öffentliche Restrukturierungssachen“, „Anfechtungs- und Haftungsrecht“, „Arbeitnehmerbeteiligung; Gläubigerbeirat“) und die übrigen Regelungen des ersten („Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement“), dritten („Sanierungsmoderation“) und vierten Teils („Frühwarnsysteme“) anwendbar.

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Anzeige des Restrukturierungsvorhabens | § 31

Unternehmen der Finanzbranche sind daher v.a. von § 1 StaRUG (Teil 1 über „Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement“) und der darin enthaltenen Vorgaben zur Krisenfrüherkennung und dem Krisenmanagement sowie §§ 101 f. (Teil 4 über „Frühwarnsysteme“) und den darin enthaltenen Vorgaben zu Frühwarnsystemen betroffen. Im Übrigen scheinen die ausgesparten Vorschriften allerdings in einer so engen Abhängigkeit zu dem zweiten Kapitel des StaRUG und insbesondere zum Restrukturierungsplan zu stehen, dass es schon deshalb einer weitergehenden Beschränkung nicht bedurfte.27

IV. Folgen fehlender Restrukturierungsfähigkeit Der Wortlaut des § 30 StaRUG nimmt keine Stellung dazu, welche Folgen es hat, dass ein nicht 14 restrukturierungsfähiger Schuldner eine Anzeige gem. § 31 Abs. 1 StaRUG stellt (auch wenn das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungsfähigkeit erst im späteren Verlauf des Verfahrens bemängelt). Es liegt nahe, für diese Fälle auf die Aufhebungsgründe zu verweisen und im Speziellen § 33 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG analog heranzuziehen. Danach kommt es grundsätzlich zur Aufhebung der Restrukturierungssache, wenn das Restrukturierungsgericht für diese nicht zuständig ist und der Schuldner innerhalb einer gesetzten Frist keinen Verweisungsantrag gestellt oder die Anzeige zurückgenommen (§ 31 Abs. 4 Nr. 1 StaRUG) hat. Vergleichbares dürfte im Fall der fehlenden Restrukturierungsfähigkeit gelten. Das Restrukturierungsgericht würde den Schuldner also zunächst auf seine mangelnde Restrukturierungsfähigkeit hinweisen und eine Frist zur Stellungnahme setzen. Wird die Anzeige dann nicht durch den Schuldner zurückgenommen, würde die Restrukturierungssache von Amts wegen aufgehoben. Infolgedessen besteht für den Schuldner die Möglichkeit, den Aufhebungsbeschluss anzufechten und eine erneute Überprüfung zu fordern, vgl. § 33 Abs. 4, § 40 Abs. 1 StaRUG.28

§ 31 Anzeige des Restrukturierungsvorhabens (1) Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ist die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bei dem zuständigen Restrukturierungsgericht. (2) 1Der Anzeige sind beizufügen: 1. der Entwurf eines Restrukturierungsplans oder, sofern ein solcher nach dem Stand des angezeigten Vorhabens noch nicht ausgearbeitet und ausgehandelt werden konnte, ein Konzept für die Restrukturierung, welches auf Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise das Ziel der Restrukturierung (Restrukturierungsziel) sowie die Maßnahmen beschreibt, welche zur Erreichung des Restrukturierungsziels in Aussicht genommen werden, 2. eine Darstellung des Stands von Verhandlungen mit Gläubigern, an dem Schuldner beteiligten Personen und Dritten zu den in Aussicht genommenen Maßnahmen und 3. eine Darstellung der Vorkehrungen, welche der Schuldner getroffen hat, um seine Fähigkeit sicherzustellen, seine Pflichten nach diesem Gesetz zu erfüllen. 27 In diese Richtung auch Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 30 StaRUG Rz. 29; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 30 StaRUG Rz. 55. 28 Zum Ganzen Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 66 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), dort auch zu den Folgen der Bestätigung eines Restrukturierungsplans trotz fehlender Restrukturierungsfähigkeit des Schuldners. Ergänzend Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 30 StaRUG Rz. 24.

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§ 31 Rz. 1 | Anzeige des Restrukturierungsvorhabens 2Der

Schuldner hat bei der Anzeige zudem anzugeben, ob die Rechte von Verbrauchern oder von mittleren, kleinen oder Kleinstunternehmen berührt werden sollen, insbesondere, weil deren Forderungen oder Absonderungsanwartschaften durch einen Restrukturierungsplan gestaltet oder die Durchsetzung dieser Forderungen durch eine Stabilisierungsanordnung vorübergehend gesperrt werden sollen. 3Anzugeben ist auch, ob damit zu rechnen ist, dass das Restrukturierungsziel nur gegen den Widerstand einer nach Maßgabe des § 9 zu bildenden Gruppe durchgesetzt werden kann. 4Des Weiteren sind frühere Restrukturierungssachen unter Angabe des befassten Gerichts und Aktenzeichens anzugeben. (3) Mit der Anzeige wird die Restrukturierungssache rechtshängig. (4) Die Anzeige verliert ihre Wirkung, wenn 1. der Schuldner die Anzeige zurücknimmt, 2. die Entscheidung über die Planbestätigung rechtskräftig wird, 3. das Gericht die Restrukturierungssache nach § 33 aufhebt oder 4. seit der Anzeige sechs Monate oder, sofern der Schuldner die Anzeige zuvor erneuert hat, zwölf Monate vergangen sind. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. 1. 2. II. III.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Normherkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Norminhalt und -zweck . . . . . . . . . . . . . . 2 Anzeige (§ 31 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . 6 Beizufügende Unterlagen und Informationen (§ 31 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . 7 1. Entwurf eines Restrukturierungsplans oder eines Konzepts für die Restrukturierung (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . 8 2. Darstellung des Verhandlungsstands mit Gläubigern über Maßnahmen zur Krisenbewältigung (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) . 12

3. Darstellung aller präventiven Maßnahmen zur Erfüllung der Schuldnerpflichten (§ 31 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weitere Angabe (§ 31 Abs. 2 Satz 2–4 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtshängigkeit (§ 31 Abs. 3 StaRUG) V. Ende der Rechtshängigkeit (§ 31 Abs. 4 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 19 22 25

Schrifttum: Balthasar, Allgemeine Zugangsvoraussetzungen zu den Restrukturierungsinstrumenten, NZI-Beilage 2021, 18; Brinkmann, Die Solvenzsicherungspflicht der Geschäftsleiter, KTS 2021, 303; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Vallender, Das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanIns-FoG), MDR 2021, 201.

I. Einführung 1. Normherkunft 1 Zur Förderung der Effizienz und zur Verringerung von Verzögerungen und Kosten sollten die

nationalen präventiven Restrukturierungsrahmen flexible Verfahren umfassen und – für den Fall, dass der nationale Restrukturierungsrahmen tatsächlich „über mehr als ein Verfahren“ umgesetzt wird – der Schuldner mit dem Ziel einer effektiven Restrukturierung zu allen Rechten und Schutzvorkehrungen Zugang erhalten (Art. 4 Abs. 5, Art. 5 Abs. 1 RestrukturierungsRL i.V.m. ErwGr. 29 ff. Restrukturierungs-RL). Darüber hinaus sollte die Beteiligung der Justiz- und Verwaltungsbehörden auf die Fälle beschränkt werden, in denen dies erforderlich 498 | Herding/Krafczyk

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens | Rz. 3 § 31

und angemessen ist (vgl. Art. 4 Abs. 5 Restrukturierungs-RL i.V.m. ErwGr. 29 ff. Restrukturierungs-RL). Entsprechend sieht das StaRUG – anders als das Insolvenzverfahren, das erst aufgrund eines gerichtlichen Beschlusses eröffnet wird (§ 27 InsO) – ein schon durch eine schlichte Anzeige begründetes Rahmenverfahren vor. Nach Anzeige kann der Schuldner eigenständig die geeigneten Instrumente auswählen und beantragen und erst darauf wird das zuständige Restrukturierungsgericht tätig, durch den Schuldner informiert und gegebenenfalls durch einen Restrukturierungsbeauftragten unterstützt, um das Restrukturierungsvorhaben zu begleiten und nachgelagert zu kontrollieren. Stellt sich nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache also bspw. das Nichtvorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit heraus, kann die Restrukturierungsache durch das Restrukturierungsgericht aufgehoben werden.

2. Norminhalt und -zweck Die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens gem. § 31 StaRUG prägt die verfahrensrecht- 2 liche Struktur des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens mit unabhängig voneinander nutzbaren Instrumenten in der Verfahrensherrschaft des Schuldners und einer nur eingeschränkten Beteiligung des befassten Gerichts. Voraussetzung für die modulare Inanspruchnahme von Instrumenten innerhalb des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ist die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bei dem zuständigen Restrukturierungsgericht durch den Schuldner (§ 31 Abs. 1 StaRUG).1 Erfolgt die Anzeige nicht durch den Schuldner, findet das StaRUG keine Anwendung, selbst wenn die Gläubiger darauf hinwirken und/oder das Restrukturierungsgericht sichere Kenntnis vom Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hat. Insoweit liegt die in § 29 Abs. 3 StaRUG zum Ausdruck gelangende Verfahrensherrschaft allein beim Schuldner und das StaRUG sieht keine Möglichkeit vor, auf den Schuldner und seine Entscheidungen in der Krise – etwa durch ein dahingehendes Antragsrecht2 – Einfluss zu nehmen (ergänzend zur Verfahrensherrschaft § 29 Rz. 41). Durch die Anzeige wird die Restrukturierungssache rechtshängig (§ 31 Abs. 3 StaRUG). Mit der Anzeige und der darauffolgenden Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ge- 3 hen unterschiedliche Rechtsfolgen einher. Bildhaft wird mit der Anzeige ein Restrukturierungsrahmen aufgespannt.3 Nun ist es möglich, die unterschiedlichen Verfahrenshilfen in Form der Instrumente aus § 29 Abs. 2 StaRUG in Anspruch zu nehmen. Mit der Anzeige gehen im Übrigen die Pflichten des Schuldners gem. § 32 StaRUG und die Pflichten im mit „Restrukturierungsrecht“ überschriebenen Unterabschnitt der §§ 42 ff. StaRUG, also die Insolvenzanzeigepflicht (§ 42 Abs. 1 StaRUG) und der Shift of Fiduciary Duties (§ 32 Abs. 1 StaRUG) mit einer sensiblen (Innen-)Haftung der Geschäftsleiter des Schuldners (§ 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) einher. Darüber hinaus greift nach Anzeige das Verbot von Lösungsklauseln (§ 44 StaRUG)4, die Privilegierung des § 89 StaRUG sowie § 91 StaRUG ein. Verliert die Anzeige ihre Wirkungen, endet der Restrukturierungsrahmen, d.h. die Instrumente können nicht (weiter) genutzt werden und es entfallen ebenfalls die unterschiedlichen an sie anknüpfenden Rechtsfolgen. Insoweit zeichnen die in § 31 Abs. 4 StaRUG aufgeführten Gründe für den Wirkungsverlust der Anzeige die unterschiedlichen Verfahrensverläufe nach.5 1 BT-Drucks. 19/24181, S. 133; außerdem Gehrlein, BB 2021, 66, 71. 2 Das Initiativrecht liegt also beim Schuldner Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 31 StaRUG Rz. 13; so auch Schröder in HambKomm/RestruktR, 2022, § 31 StaRUG Rz. 10, der zudem darauf hinweist, dass selbst bei Führungslosigkeit nur der Schuldner (und nicht etwa der/die Gesellschafter) anzeigeberechtigt ist; ergänzend Bork, NZI-Beilage 2021, 38. 3 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 133, wo darauf hingewiesen wird, dass mit der Anzeige die in Anspruch genommenen Instrumente zu einer einheitlichen Restrukturierungssache zusammengefasst werden. 4 Zu den Lösungsklauseln Heckschen/Weitbrecht, NZI 2020, 976; Schönfelder, WM 2022, 361. 5 Zu den Folgen der Rechtshängigkeit mit Anzeige Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 2 Rz. 22; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991.

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§ 31 Rz. 4 | Anzeige des Restrukturierungsvorhabens 4 Notwendige Ergänzung dieser Rahmenstruktur, welche auf eine Zugangsprüfung in einem

Vorverfahren verzichtet und auch sonst die gerichtliche Beteiligung auf ein Minimum reduziert, ist die überwachende und ordnende Funktion des Restrukturierungsgerichts, welche sich gerade auch aufgrund der § 33 und § 31 Abs. 4 Nr. 3 StaRUG zeigt. Danach kann das Gericht die Restrukturierungssache in gesetzlich bestimmten Fällen aufheben (ausführlich § 33 Rz. 1 ff.). Dies ist etwa möglich, wenn der Schuldner einen Insolvenzantrag stellt (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG), der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 32 Abs. 3 StaRUG angezeigt hat, andere Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner insolvenzreif ist (vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) oder das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat (vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG). Damit mag dann zwar einerseits der notwendige Spagat zwischen niedrigschwelligen Angeboten einer frühzeitigen Restrukturierung unter bereitgestellten Hilfen, andererseits einem Schutz aller (betroffenen) Gläubiger in Form eines Missbrauchsschutzes –gelingen (s. auch § 29 Rz. 3 f.). Grundvoraussetzung ist sodann aber, dass das Restrukturierungsgericht über das Restrukturierungsvorhaben ausreichend informiert ist und dies im Verlauf der Restrukturierung auch bleibt. Insoweit entspricht es den Vorstellungen des Gesetzgebers, dass dem Gericht durch und nach Anzeige des Restrukturierungsvorhabens frühzeitig – also bestenfalls noch vor der Inanspruchnahme von Instrumenten – Gelegenheit zu geben ist, sich auf die Restrukturierungssache vorzubereiten, um vor allem der Anzeige nachfolgende Anträge, wie bspw. solche, die auf eine Stabilisierungsanordnung (§ 51 Abs. 1 StaRUG) gerichtet sind und zur Entscheidung drängen, zeitnah bescheiden zu können.6 Dementsprechend sind gem. § 31 Abs. 2 StaRUG dem Restrukturierungsgericht durch den Schuldner bestimmte Unterlagen und Informationen bereitzustellen. Die in § 32 StaRUG enthaltenen Anzeige- und insbesondere Aktualisierungspflichten übernehmen weiterhin die Aufgabe, die Informationsausstattung des Restrukturierungsgerichts während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache aufrechtzuerhalten bzw. weiter sicherzustellen. Die Berichts- und Anzeigegegenstände finden sich schließlich innerhalb der Aufhebungsgründe wieder, soweit gegen die diesbezüglichen Pflichten „in schwerwiegender Weise“ verstoßen wurde oder sich aus der fehlenden Aktualisierung ergibt, dass die Insolvenz des Schuldners eingetreten ist oder das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat. Nicht zuletzt spielt in diese Systematik § 39 StaRUG mit ein. Er regelt in Abs. 1 die Geltung des Amtsermittlungsgrundsatz in der Restrukturierungssache und in Abs. 2 weitere Auskunftspflichten des Schuldners gegenüber dem Gericht.

5 Terminologisch scheint § 31 StaRUG weiterhin die Unterscheidung zwischen dem Restruktu-

rierungsvorhaben und der Restrukturierungssache einzuführen. Während es sich bei einer konsensual versuchten Restrukturierung noch um ein Restrukturierungsvorhaben handelt, wandelt sich dieses mit der Anzeige in eine rechtshängige Restrukturierungssache um. Ob und inwieweit diese begriffliche Differenzierung durch den Gesetzgeber allerdings tatsächlich verfolgt und durchgehalten wird, muss sich noch zeigen (das gilt insbesondere im Rahmen von § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2 StaRUG, wenn dort die Bestimmung des „erreichten Stand[s] in der Restrukturierungssache“ erforderlich wird, hierzu § 33 Rz. 16 ff.).

II. Anzeige (§ 31 Abs. 1 StaRUG) 6 Mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim zuständigen Restrukturierungsgericht

eröffnet sich für den Schuldner der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (§ 31 Abs. 1 StaRUG). Mit der einseitigen Verfahrenshandlung der Anzeige, die keine Entscheidung des Gerichts erfordert, macht der Schuldner das Restrukturierungsvorhaben als Restrukturie-

6 BT-Drucks. 19/24181, S. 134; hierzu Desch, BB 2020, 2498, 2499; Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 2 Rz. 17.

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Anzeige des Restrukturierungsvorhabens | Rz. 8 § 31

rungssache rechtshängig und erklärt, den Restrukturierungsrahmen, wie in den gem. § 31 Abs. 2 StaRUG notwendigen Unterlagen und Informationen aufgezeigt, in Anspruch nehmen zu wollen.7 Mit der Anzeige wird die Restrukturierungssache gem. § 31 Abs. 1 StaRUG automatisch rechtshängig und das, ohne dass es eines Eröffnungs- bzw. Zugangsbeschlusses bedarf (vgl. § 27 InsO, dort zur bekannten Systematik aus der InsO). Zu einer vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit oder erst nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gestellten Anzeige s. § 29 Rz. 20 sowie § 33 Rz. 12, 16 ff.

III. Beizufügende Unterlagen und Informationen (§ 31 Abs. 2 StaRUG) Als Kehrseite einer fehlenden Zugangskontrolle übernimmt das Restrukturierungsgericht eine 7 überwachende und ordnende Funktion, die in der Möglichkeit zur Aufhebung der Restrukturierungssache gem. § 33 und § 31 Abs. 4 Nr. 3 StaRUG der Verfahrensherrschaft des Schuldners eine Grenze setzt. Grundvoraussetzung ist dafür eine Ausstattung des Restrukturierungsgerichts mit allen wesentlichen Informationen. Hierfür sieht zu Beginn § 31 Abs. 2 in Nr. 1–3 StaRUG vor, dass dem Gericht durch den Schuldner bestimmte Unterlagen und Informationen bereitzustellen sind – in Ergänzung zu den Auskunfts-, Aktualisierungs- und Anzeigepflichten während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. Die inhaltlichen Anforderungen an die Unterlagen und Informationen sind zu Beginn im Sinne einer niedrigen Zugangsschwelle als weniger streng zu verstehen, doch sie nehmen im Verlauf des Verfahrens bzw. im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Instrumenten zu. Für die Ersteller des Restrukturierungsplans ergibt sich aufgrund der Anforderungen aus § 31 Abs. 2 StaRUG zwar die Notwendigkeit weiterer Vorbereitungen in Bezug auf das Restrukturierungsvorhaben. Je besser die mit Anzeige rechtshängige Restrukturierungssache aber vorbereitet ist, und das eben auch mit Blick auf die transparente Informationsausstattung des Restrukturierungsgerichts, umso reibungsloser wird diese dann im Weiteren ablaufen.8 In der Anzeige liegt nach alledem der Schlüssel, das Restrukturierungsgericht in die Gesamtausrichtung der Restrukturierung einzuführen und das auch mit Blick auf dessen Stellung im Restrukturierungsverlauf.

1. Entwurf eines Restrukturierungsplans oder eines Konzepts für die Restrukturierung (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) Zunächst ist gem. § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG der Anzeige ein Entwurf eines Restruktu- 8 rierungsplans oder, sofern ein solcher nach dem Stand des angezeigten Vorhabens noch nicht ausgearbeitet und ausgehandelt werden konnte, zumindest ein Konzept für die Restrukturierung beizufügen. Das Restrukturierungskonzept soll, indem es die Art, Ausmaß und Ursache der Krise darlegt, das Restrukturierungsziel nennen und ein Maßnahmenkatalog enthalten, durch den die Krise bewältigt und das Restrukturierungsziel erreicht werden soll (§ 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG).9 Der Gesetzgeber geht also im idealtypischen Restrukturierungssachver7 BT-Drucks. 19/24181, S. 134; ergänzend Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18. 8 In diese Richtung Schröder in HambKomm/RestruktR, 2022, § 31 StaRUG Rz. 15; Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 2 Rz. 21. 9 Für die Darstellung von Art, Ausmaß und Ursache der Krise bietet sich ein vergleichender Blick in den IDW S 6, Rz. 31 ff. (Stand: 16.5.2018) und die finalen Vorgaben zum Restrukturierungsplan an; vgl. insoweit auch die Checkliste für Restrukturierungspläne, ZRI 2022, 191, 192 (ebenso abrufbar unter: https://www.bmj.de/DE/Themen/FinanzenUndAnlegerschutz/Fruehwarnsysteme/checkliste. pdf;jsessionid=C46EC4CDBADF3A939196580FD4CD4274.2_cid324?__blob=publicationFile&v=3, zuletzt abgerufen am 13.9.2022). Ohne auch daraus feste inhaltliche Anforderungen abzuleiten, erscheint eine Orientierung an dem IDW S 9 Rz. 9 ff. (Stand: 18.8.2014) durchaus sinnvoll. In diese Richtung auch Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 31 StaRUG Rz. 37 f.

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§ 31 Rz. 8 | Anzeige des Restrukturierungsvorhabens halt davon aus, dass bereits bei Anzeige der Entwurf eines Restrukturierungsplans als Anlage vorliegt. Allerdings kann ein solcher und tatsächlich auch ein weitgehend ausgearbeitetes Konzept den Restrukturierungsprozess absichern, indem die Erfolgsaussichten nachgewiesen werden (vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StaRUG)10 oder es als Grundlage für andere Bausteine der Sanierung dient, bspw. eine parallel einzuholende verbindliche steuerrechtliche Auskunft der Finanzbehörden.11 Ein aktualisiertes Konzept (§ 50 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) und eine schlüssige Restrukturierungsplanung (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) wird angesichts der damit einhergehenden Eingriffe in die Rechtspositionen der betroffenen Gläubiger im Fall einer Stabilisierungsanordnung gefordert. Wenn im Zeitpunkt der Anzeige damit noch kein schlüssiges Konzept vorgelegt werden muss,12 sollte zumindest schon erkennbar sein, ob und wie das Restrukturierungskonzept umgesetzt werden kann.13 Dabei kann ein „noch nicht ausgearbeitet und ausgehandelt[es]“ Konzept zu Beginn durchaus als grobe Skizze verstanden werden, die sich im Laufe des Verfahrens und der Verhandlung aller Planbetroffenen zu einem detaillierten Konzept entwickelt.14 Die Ernsthaftigkeit des Restrukturierungsvorhabens könnte aber in Zweifel gezogen werden, wenn das Konzept für die Restrukturierung sich nicht mit den Ursachen der Krise, den Aussichten des Restrukturierungsvorhabens und den gegebenen Herausforderungen transparent auseinandersetzt und damit nicht einmal in Ansätzen erkennbar werden lässt.15 9 Das Gericht nimmt keine umfassende inhaltliche Prüfung oder (auch nur) Schlüssigkeits-

prüfung vor, sodass inhaltliche Defizite des Plans oder des Konzepts nicht die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache verhindern.16 Allein die Anzeige bewirkt die Rechtshängigkeit und die daran geknüpften Rechtsfolgen treten unmittelbar ein. Dies gilt schließlich unabhängig von ihrer inhaltlichen Ausgestaltung. Grund hierfür sind die Pflichten des aufgespannten Restrukturierungsrahmens, also insbesondere Pflichten des Schuldners gem. § 32 StaRUG samt den daran anknüpfenden Strafbarkeiten (vgl. insbesondere § 32 Abs. 3, § 42 Abs. 1 StaRUG und dort zur Umwandlung der Insolvenzantragspflicht in eine Anzeigepflicht gegenüber dem Restrukturierungsgericht, hierzu Rz. 23).17 Auch wenn die Anzeige nicht durch das Restrukturierungsgericht inhaltlich geprüft wird, können darin angelegte Zweifel, bspw. eine mangelnde Transparenz in Bezug auf die Darstellung der Art und des Umfangs der Krise, zur Aufhebung der Restrukturierungssache auf Grundlage des § 33 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 StaRUG führen, (insbesondere) nachdem auch auf Aufforderung durch das Gericht eine zeitnahe Nachbesserung durch den Schuldner im Zuge seiner allgemeinen Auskunftspflicht nach § 39 Abs. 2 StaRUG nicht stattgefunden hat.

10 Zudem ist es zwar nicht verpflichtend zur Frage der drohenden Zahlungsunfähigkeit bereits

mit der Anzeige Stellung zu nehmen. Dennoch empfiehlt sich die Auseinandersetzung mit dieser Zielbestimmung des § 29 Abs. 1 StaRUG,18 auch weil sie ohnehin Voraussetzung für die Anwendung der Instrumente und damit für die Erfolgsaussichten relevant ist (vgl. § 29 10 Strenger Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 31 StaRUG Rz. 22. 11 S. nur Grau/Pohlmann/Radunz, NZI 2021, 522, 525. 12 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 StaRUG Rz. 43 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 31 StaRUG Rz. 34; a.A.: Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 31 StaRUG Rz. 36. 13 BT-Drucks. 19/24181, S. 135. 14 Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 31 StaRUG Rz. 32; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 31 StaRUG Rz. 8; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 StaRUG Rz. 43 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 15 BT-Drucks. 19/24181, S. 135. 16 BT-Drucks. 19/24181, S. 134 f.; ergänzend Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 31 StaRUG Rz. 34. 17 BT-Drucks. 19/24181, S. 135. 18 In diese Richtung Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 31 StaRUG Rz. 36; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 StaRUG Rz. 45 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Anzeige des Restrukturierungsvorhabens | Rz. 12 § 31

Rz. 12 f.). In Ansätzen mag sich die Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit seitens des Schuldners ohnehin in § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG verorten lassen. Dies gilt aufgrund der erforderlichen Anlagen gem. § 5 Satz 2 (insbesondere Nr. 2) sowie § 6 Abs. 1 Satz 2 und § 14 Abs. 1, 2 StaRUG, wenn ein Entwurf eines Restrukturierungsplans der Anzeige beigefügt wird, oder jedenfalls aufgrund der Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise, welche im Konzept wie das Restrukturierungsziel und die dafür notwendigen Maßnahmen enthalten sein muss.

Im Übrigen muss der Schuldner die Richtigkeit seiner tatsächlichen Angaben nicht eidesstattlich 11 versichern.19 Der Schuldner hat den Planentwurf oder das Konzept während des Restrukturierungsverfahrens zu aktualisieren und Unvollständigkeiten und Mängel zu beheben (§ 32 Abs. 2 StaRUG).20 Geht er dem nicht nach und berichtigt und ersetzt er weder fehlerhafte Tatsachenangaben noch rechtlich oder wirtschaftlich undurchführbare Maßnahmen im Restrukturierungskonzept,21 kann dies die Annahme rechtfertigen, dass dem Schuldner der erforderliche Restrukturierungswille fehlt und damit die Restrukturierungssache keine Aussicht auf Umsetzung hat (vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) und/oder die Restrukturierungssache nicht mit der erforderlichen Sorgfalt betrieben wird (vgl. § 32 Abs. 2 Satz 1 StaRUG). Ergibt sich aus diesen Umständen zuletzt, dass der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen die ihm nach § 32 StaRUG obliegenden Pflichten verstoßen hat, kann das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache (auch) nach § 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG aufheben.22 Insoweit gilt es – auch zur Vermeidung einer Innenhaftung gegenüber dem Schuldner (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) – das mit der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache eintretende besondere Pflichtenprogramm der Geschäftsleiter des Schuldners zu beachten, wonach die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu betreiben ist und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren sind (s. § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Es empfiehlt sich daher eine sorgfältige Dokumentation der Vorbereitung und Entwicklung von Restrukturierungsplan und -konzept und das beginnt schon mit Blick auf die Unterlagen und Informationen, welche der Anzeige gem. § 31 Abs. 2 StaRUG beizufügen sind.

2. Darstellung des Verhandlungsstands mit Gläubigern über Maßnahmen zur Krisenbewältigung (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) Neben dem Entwurf eines Restrukturierungsplans oder eines Konzepts für die Restrukturie- 12 rung ist der Anzeige gem. § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG eine Darstellung des Stands der Verhandlungen mit den Gläubigern, den an dem Schuldner beteiligten Personen und Dritten zu den in Aussicht genommenen Maßnahmen beizufügen. Auch hier sind je nach Verhandlungsstand unterschiedlich konkrete Darstellungen möglich. Zu berücksichtigen ist die ambivalente Bedeutung des Verhandlungsstandes im Rahmen des StaRUG, auch vor dem Hintergrund der bereits angesprochenen Verhandlungsdynamik aufgrund der §§ 18, 19 InsO (dazu § 29 Rz. 17).23 Zum einen sollte der Verhandlungsstand eine ausreichende Unterstützung für das Restrukturierungsvorhaben erkennen lassen, um die Erfolgsaussichten und die Umsetzbarkeit nachzuweisen (vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StaRUG); entsprechend wird der Schuldner 19 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 135; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 31 StaRUG Rz. 8; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 31 StaRUG Rz. 37. 20 BT-Drucks. 19/24181, S. 135. 21 Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 31 StaRUG Rz. 46. 22 BT-Drucks. 19/24181, S. 135. 23 Die Blockade einer Minderheit mag zu einer drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 Abs. 2 InsO führen, aber – auch mit Blick auf die Möglichkeiten der §§ 2–4 StaRUG – nicht zu einem Wegfall der positiven Fortbestehensprognose im Rahmen von § 19 Abs. 2 InsO, in deren Rahmen nämlich der Ausgang des Verfahrens berücksichtigt werden kann (hierzu § 29 Rz. 29).

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§ 31 Rz. 12 | Anzeige des Restrukturierungsvorhabens auch im Fortgang des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens verpflichtet, dem Gericht anzuzeigen, wenn aufgrund einer „erkennbar gewordenen ernsthaften und endgültigen Ablehnung“ die für die Planannahme erforderlichen Mehrheiten nicht mehr erreichbar erscheinen (vgl. § 32 Abs. 4 StaRUG). Zum anderen folgt aus der Zielsetzung des Rahmens, der der „nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit“ dient (§ 29 Abs. 1 StaRUG), dass es gerade der mitgeteilte Verhandlungsstand ist, welcher die Gründe enthält, die auf eine überwiegende wahrscheinliche Zahlungsunfähigkeit innerhalb der kommenden 24 Monate schließen lassen. Der Verhandlungsstand gibt zudem vor, entlang welcher Konzepte eine konsensuale Lösung in Frage steht und warum ein Einlenken in eine kompromisshafte Lösung außerhalb des Verfahrens nicht zu erwarten ist. 13 In diesem Zusammenhang hatte das AG Köln eine drohende Zahlungsunfähigkeit nicht er-

kennen können, da es die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Laufzeitverlängerung in einer bestimmten Konstellation, anders als der Schuldner, für überwiegend wahrscheinlich gehalten hatte.24 Auch wenn diese Entscheidung zu Recht kritisiert wird25 und der Prüfungsmaßstab aus Sicht des Schuldners eher günstig ist,26 da zur Überzeugung des Gerichts das Fehlen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit festzustellen wäre, ist dem Schuldner je nach Fallgestaltung anzuraten, die Gründe für die drohende Zahlungsunfähigkeit sorgfältig zu belegen. Dies kann etwa in Form eines Berichts erfolgen, gegebenenfalls mit Anlagen über gewechselten Schriftverkehr und Urkunden über die betroffenen Rechte. Auch mag es sich anbieten die Personen in identifizierbarer Weise mitzuteilen, mit denen verhandelt worden ist, und das vorläufige Verhandlungsergebnis übersichtlich abzubilden.27 Auf dieser Grundlage kann das Gericht abschätzen, welche Gläubiger das Restrukturierungsvorhaben voraussichtlich unterstützen, welche es noch ablehnen bzw. ablehnen werden, und wem gegenüber deshalb noch Überzeugungsarbeit geleistet werden muss.28

14 Als zu weitgehend erscheint, § 31 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG das Erfordernis eines nachzuweisenden

Rechtsschutzbedürfnisses beizumessen.29 Entsprechend hat das AG Hamburg ausgeführt, dass es keine Bedingung für die Planbestätigung ist, dass das Restrukturierungsvorhaben den Planbetroffenen vorab angekündigt wird oder mit ihnen zuvor (erfolglos) Alternativlösungen gesucht werden (müssen). Auch komme § 31 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG lediglich Informationscharakter zu.30 Soweit „überfallartige“ StaRUG-Verfahren befürchtet werden, auf die dann mittels Schutzschriften reagiert werden muss,31 ist diese Gefahr nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Allerdings wird zum einen die Unterstützung der notwendigen Mehrheiten und zum anderen die drohende Zahlungsunfähigkeit bzw. ihre nachhaltige Beseitigung im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der Instrumente nachgewiesen werden und insbesondere im Zusammenhang mit Restrukturierungsplänen eine zu befürchtende Schlechterstellung einzelner Betroffener ausgeschlossen sein müssen. Im Laufe des Verfahrens können, gegebenenfalls nach gerichtlichen Hinweisen, etwaige noch fehlende Aussprachen nachgeholt oder vertieft werden. 24 AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 = ZIP 2021, 806. 25 Insbesondere Thole, NZI 2021, 433, 436. 26 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 29 StaRUG Rz. 30 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Vallender, NZI-Beilage 2021, 30, 30. 27 Schröder in HambKomm/RestruktR, 2022, § 31 StaRUG Rz. 21; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 31 StaRUG Rz. 54. 28 BT-Drucks. 19/24181, S. 135. Insoweit steht § 31 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG auch in einer Beziehung zu § 32 Abs. 4 StaRUG. 29 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 StaRUG Rz. 47 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); außerdem Doebert/Krüger, NZI 2021, 614, 616; Grau/Pohlmann/Radunz, NZI 2021, 522, 527; a.A. Frind, NZI 2021, 1093, 1096, der insoweit das Rechtsschutzbedürfnis in Frage stellt und eine Aufhebung nach gerichtlichem Hinweis im Fall „ohne Not“ fehlender Vorverhandlungen anspricht. 30 AG Hamburg v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZRI 2021, 544 Rz. 14 = ZIP 2021, 1354. 31 Frind, NZI 2021, 1093, 1096.

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Anzeige des Restrukturierungsvorhabens | Rz. 18 § 31

3. Darstellung aller präventiven Maßnahmen zur Erfüllung der Schuldnerpflichten (§ 31 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG) Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StaRUG ist der Anzeige außerdem eine Darstellung der Vor- 15 kehrungen beizufügen, welche der Schuldner getroffen hat, um seine Fähigkeit sicherzustellen, alle Schuldnerpflichten nach diesem Gesetz zu erfüllen (§ 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StaRUG). Die Pflichten des Schuldners sind insbesondere § 32 StaRUG zu entnehmen und stellen ein Pflichtenkorsett während der rechtshängigen Restrukturierungssache dar. Dieses geht über die Anforderungen des § 43 GmbHG hinaus und es sind daher seitens des Schuldners und seiner Geschäftsleiter in besonderer Weise Vorkehrungen gefordert, um diesen gerecht zu werden. Nach § 32 Abs. 1 Halbs. 1 StaRUG hat der Schuldner die Restrukturierungssache zunächst 16 mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers zu betreiben und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Dadurch sollen einerseits die Erfolgsaussichten der Restrukturierungssache verbessert und andererseits gewährleistet werden, dass der Schuldner zur Erfüllung der Pflichten fähig ist und die Instrumente so gebrauchen wird, dass er den Interessen der Gläubiger gerecht wird (s. § 32 Rz. 6).32 Vorkehrungen zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger sind insbesondere Maßnahmen zur Werterhaltung, um Verluste der Gläubiger möglichst zu vermeiden. Da die Anlagen zu Nr. 1 und Nr. 2, also insbesondere der Restrukturierungsplan bzw. das -konzept sowie der Verhandlungsstand bereits ausdrücklich angesprochen sind, ist hier hervorzuheben, dass der Schuldner nach § 32 Abs. 1 StaRUG über einen geeigneten „Sanierungsgeschäftsführer“ verfügen muss, also einen Geschäftsleiter, der in einer Restrukturierungssituation die besonderen Anforderungen an Sachverhaltsaufarbeitung, die Stakeholder-Kommunikation und vorausschauende Planung beachtet und ihnen gerecht wird. Hierzu bietet sich idealerweise, aber nicht zwingend, ein krisenerfahrener Interims-Geschäftsführer als sog. Chief Restructuring Officer an. Während der Schuldner die Restrukturierungssache betreibt, wahrt er gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 17 Halbs. 2 StaRUG die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger. Damit kommt es jedenfalls (s. im Abgleich hierzu noch §§ 2 f. StaRUG-RefE sowie auch StaRUG-RegE) nach Anzeige für die Geschäftsleiter zu einem sog. Shift of fiduciary Duties. Infolgedessen wird ihre allgemeine Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft durch eine Pflicht zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger überlagert. Wird letztere verletzt, droht eine sensible (Innen-)Haftung gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, wenn es sich beim Schuldner um eine juristische Person oder Personengesellschaft ohne Vollhafter handelt. Zudem ist im Lichte der fortwährenden strafbewehrten und beihilfefähigen Insolvenzanzeigeverpflichtung (§ 42) im Interesse der Gläubiger darauf zu achten, dass die zwingenden Insolvenzantragsgründe im Auge behalten werden. Nur so ist es möglich, dass der Schuldner seiner nach § 32 Abs. 3 StaRUG (in § 42 Abs. 1 StaRUG gespiegelten) Anzeigepflicht nachkommt und dem Restrukturierungsgericht tatsächlich den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) oder Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO) unverzüglich anzeigt. Insoweit wird es notwendig und ausreichend33 sein, dass der Schuldner darlegt, durch welche Mechanismen er seiner Pflicht zur Krisenfrüherkennung (Solvenzprüfungspflicht) gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 StaRUG nachkommt. Angesichts der vielfältigen Anforderungen während der Vorbereitung, an die Einleitung, 18 und Durchführung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, einschließlich der Nutzung unterschiedlicher Instrumente (etwa einer Stabilisierungsanordnung, § 29 Abs. 2

32 BT-Drucks. 19/24181, S. 135; ergänzend Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 31 StaRUG Rz. 55. 33 Zum Prüfungsmaßstab der Selbstprüfungspflicht im Verlauf der Krise Mock in BeckOK/StaRUG, § 1 StaRUG Rz. 13 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Brinkmann, KTS 2021, 303.

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§ 31 Rz. 18 | Anzeige des Restrukturierungsvorhabens Nr. 3, §§ 49 ff. StaRUG), und schließlich der im Zeitraum der Umsetzung eines Restrukturierungsplans, die rechtlich und wirtschaftlich ganz unterschiedliche Themenfelder umfassen, sind gerade komplexere Fälle für den Schuldner meist nur durch die Einbindung externen Sachverstands wie bspw. eines Liquiditätsprüfers und/oder branchenkundigen Experten zur Entwicklung und Validierung eines überzeugenden Restrukturierungskonzepts zu bewältigen. Die Nutzung der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens kann es daher erforderlich machen, externes Know-how einzuholen.34 Denn am Ende muss der Schuldner im Rahmen der Unterlagen und Informationen zur Anzeige nach § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StaRUG darlegen, welche Vorkehrungen er zur Kontrolle seiner Liquiditätsentwicklung getroffen hat.35 Üblicherweise gibt es eine direkte bottom-up erstellte 13-Wochen-Liquiditätsvorschau sowie eine indirekte Liquiditätsplanung über die folgenden 12 bis 13-Monate, abgeleitet aus der (integrierten) Mittelfristplanung des Schuldners. Hat der Schuldner bislang keine präventiven Maßnahmen getroffen, um seinen gesetzlichen Pflichten gegenüber den Gläubigern nachzukommen, stellt dies keine Pflichtverletzung dar. Lässt sich eine schwerwiegende Pflichtverletzung jedoch auf fehlende präventive Maßnahmen zurückführen oder lässt die Art der Verfahrensführung auf die Aussichtslosigkeit des Vorhabens schließen, kann das Gericht das Verfahren aufheben (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StaRUG).36

4. Weitere Angabe (§ 31 Abs. 2 Satz 2–4 StaRUG) 19 Nach § 31 Abs. 2 Satz 2 StaRUG soll der Schuldner bei der Anzeige zudem angeben, ob die

Rechte von Verbrauchern oder von mittleren, kleinen oder Kleinstunternehmen (KMU)37 berührt werden sollen, insbesondere weil deren Forderungen oder Absonderungsanwartschaften durch einen Restrukturierungsplan gestaltet oder die Durchsetzung dieser Forderungen durch eine Stabilisierungsanordnung vorübergehend gesperrt werden sollen. Dies soll ermöglichen, von Amts wegen einen Restrukturierungsbeauftragten zu stellen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StaRUG), der den üblicherweise vorhandenen strukturellen Nachteilen dieser Gläubigergruppen entgegenwirken und einen angemessenen Interessensaustausch zwischen allen Parteien schaffen soll.38

20 Nach § 31 Abs. 2 Satz 3 StaRUG hat der Schuldner weiterhin anzugeben, ob zu erwarten ist,

dass das Restrukturierungsziel nur gegen den Widerstand einer nach Maßgabe des § 9 StaRUG zu bildenden Gruppe erreicht werden kann. Dadurch hat der Schuldner schon bei Anzeige die für eine Planannahme erforderlichen Mehrheiten vorauszudenken und damit das Abstimmungsverhalten aller Planbetroffenen. Maßgeblich für § 31 Abs. 2 Satz 3 StaRUG ist schließlich § 26 StaRUG und der dort eingeführte Cross-Class Cram-Down. Dieses Erfordernis ermöglicht es, dem Gericht frühzeitig einen Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen (§ 73 Abs. 2 StaRUG), der das Verfahren zusammen mit seinen möglichen Rechtseingriffen überwacht.39

34 BT-Drucks. 19/24181, S. 135. 35 Schröder in HambKomm/RestruktR, 2022, § 31 StaRUG Rz. 22; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 31 StaRUG Rz. 59. 36 Hierzu Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 31 StaRUG Rz. 10. 37 Anknüpfungspunkte für eine Bestimmung der von § 31 Abs. 2 Satz 2 StaRUG erfassten KMU kann schließlich die Empfehlung der Kommission vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. Nr. L 124 v. 20.5.2003, S. 36 ff. bereithalten. S. auch Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 31 StaRUG Rz. 13; so auch Schröder in HambKomm/RestruktR, 2022, § 31 StaRUG Rz. 10. Zum Zugang von KMU zum StaRUG ergänzend Smid, NZI-Beilage, 2021, 64. 38 BT-Drucks. 19/24181, S. 134; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 31 StaRUG Rz. 61. 39 BT-Drucks. 19/24181, S. 134.

506 | Herding/Krafczyk

Anzeige des Restrukturierungsvorhabens | Rz. 23 § 31

Nach § 31 Abs. 2 Satz 4 StaRUG hat der Schuldner neben der Anzeige etwaige frühere Re- 21 strukturierungssachen unter Angabe des befassten Gerichts und Aktenzeichens anzugeben. Diese Vorgabe ergibt sich daraus, dass nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StaRUG die Restrukturierungssache aufzuheben ist, wenn der Schuldner bereits zuvor eine Stabilisierungsanordnung oder Planbestätigung erreicht hat und eine Aufhebung nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StaRUG oder § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StaRUG erfolgt ist. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StaRUG findet dann aber keine Anwendung, wenn die frühere Restrukturierungssache zu einer nachhaltigen Sanierung geführt hat (§ 33 Abs. 2 Satz 2 StaRUG). Aus dem Umkehrschluss des § 33 Abs. 2 Satz 3 StaRUG ist eine nachhaltige Sanierung im Zweifel dann anzunehmen, wenn seit dem Ende des Anordnungszeitraums oder der Entscheidung über den Antrag auf Planbestätigung in der früheren Restrukturierungssache weniger als drei Jahre vergangen sind. Schließlich steht der Inanspruchnahme von Instrumenten des Restrukturierungsrahmens gem. § 33 Abs. 2 Satz 4 StaRUG ein in Eigenverwaltung geführtes Insolvenzverfahren gleich.40

IV. Rechtshängigkeit (§ 31 Abs. 3 StaRUG) Mit der Anzeige wird die Restrukturierungssache rechtshängig (§ 31 Abs. 3 StaRUG) und – 22 bildhaft – der Restrukturierungsrahmen aufgespannt. Dadurch entsteht die Möglichkeit, die Verfahrenshilfen in Form der Instrumente in Anspruch zu nehmen. Wird auf Antrag ein Instrument genutzt, leitet dies einzelne, eigenständige Instrumentenverfahren ein. So handelt es sich laut Gesetzesbegründung bei dem „Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen um einen losen Verbund von verfahrensrechtlichen Hilfen [...], die nicht in den Rahmen eines einheitlichen Verfahrens integriert sind.“41 Aus diesem Grund bedarf es eines Anknüpfungspunkts für die einheitliche Zuständigkeit nur eines Restrukturierungsgerichts und derselben Abteilung (§ 38 StaRUG) für die Anträge, mit denen der Schuldner die Verfahrenshilfen für die Umsetzung des angezeigten Restrukturierungsvorhabens in Anspruch nehmen möchte. Das gilt einmal mehr vor dem Hintergrund, den Schuldnern flexible Verfahren bei Seite zu stellen, an denen die Beteiligung der Gerichte auf wenige erforderliche und angemessene Fälle beschränkt werden soll (vgl. Art. 4 Abs. 5 Restrukturierungs-RL i.V.m. ErwGr. 29 ff. Restrukturierungs-RL). Insoweit wird mit der infolge der Anzeige eintretenden Rechtshängigkeit das Restrukturierungsvorhaben mitsamt der unterschiedlichen in Aussicht genommenen Instrumente durch ein einheitliches „verfahrensrechtliches Band“ verbunden.42 Mit der Anzeige der Restrukturierungssache wird diese gem. § 31 Abs. 1 StaRUG automatisch 23 rechtshängig und das auch abweichend zu der bekannten Systematik aus der InsO, ohne dass es im Anschluss an ein Vorverfahren eines Eröffnungs- bzw. Zugangsbeschlusses bedarf (vgl. § 27 InsO). Auch wenn § 31 Abs. 2 StaRUG einige notwendige Unterlagen und Informationen für die Anzeige fordert, treten die Folgen der ihr nachgehenden Rechtshängigkeit unabhängig von etwaigen inhaltlichen Defiziten ein, denn „an die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache knüpfen sich weitergehende Folgen, die eine Rechtsunsicherheit in der Frage, ob die Rechtshängigkeit eingetreten ist, nicht vertragen.“43 Hierzu zählt ausweislich der Gesetzesbegründung vor allem das Ruhen der Insolvenzantragspflicht gem. § 15a InsO bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung und ihre Umwandlung in eine Anzeigepflicht gegenüber dem Restrukturierungsgericht (§ 32 Abs. 3, § 42 Abs. 1 StaRUG). Dies führt der Gesetzgeber darauf zurück, dass „wenn die Geschäftsleiter des Schuldners ihrer Anzeigepflicht durch die Stellung eines den Anforderungen des § 15a InsO genügenden Insolvenzantrag erfüllen können, [...] schon wegen der Strafbewehrung beider Pflichten kein Zweifel an deren Bestand be40 41 42 43

BT-Drucks. 19/24181, S. 134. BT-Drucks. 19/24181, S. 135. BT-Drucks. 19/24181, S. 131, 133; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2583. BT-Drucks. 19/24181, S. 136; hierzu Müller, ZIP 2020, 2253, 2258.

Herding/Krafczyk | 507

§ 31 Rz. 23 | Anzeige des Restrukturierungsvorhabens stehen“ darf.44 Um einer umfassenden Rechtssicherheit willen, ist mit der Anzeige deshalb der Eintritt der Rechtshängigkeit als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens verbunden. 24 Ebenso automatisch wie mit der Anzeige die Rechtshängigkeit einhergeht, die Insolvenz-

antragspflicht gem. § 15a InsO ruht und sich in eine Anzeigepflicht gegenüber dem Restrukturierungsgericht umwandelt (§ 32 Abs. 3, § 42 Abs. 1 StaRUG), treten mit der Rechtshängigkeit weitere Rechtsfolgen ein. Der Schuldner ist nun insbesondere verpflichtet, die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers zu betreiben und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren (§ 32 Abs. 1, § 43 Abs. 1 StaRUG, s. ausführlich § 43 Rz. 27 ff., dort zur Reichweite des damit angedeuteten Shift of fiduciary Duties). Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Personengesellschaft ohne Vollhafter, droht den Geschäftsleitern im Fall einer Verletzung dieser Pflichten eine Innenhaftung in Höhe des den Gläubigern entstandenen Schadens (vgl. § 43 Abs. 1 StaRUG). Im Übrigen schützt den Schuldner nun § 44 StaRUG vor der Beendigung von Vertragsverhältnissen, der Fälligstellung von Leistungen und/oder vor Leistungsverweigerungs- und/oder Vertragsanpassungsrechten von Vertragspartnern, die diese ohne weiteres an die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens knüpfen (sog. Verbot von Lösungsklauseln). Die Wirksamkeit von Verträgen wird dadurch ebenfalls nicht berührt. Schließlich gelten für die Zeit der Rechtshängigkeit die anfechtungs- und haftungsrechtlichen Besonderheiten des § 89 StaRUG sowie im Übrigen des § 91 StaRUG, wonach die Zeit der Rechtshängigkeit nicht in die Fristen von Gläubiger- und Insolvenzanfechtung gem. §§ 3–6a AnfG sowie den §§ 88, 130–136 InsO eingerechnet wird.45

V. Ende der Rechtshängigkeit (§ 31 Abs. 4 StaRUG) 25 Die durch § 31 Abs. 4 Nr. 1–4 StaRUG geregelten Fälle, in denen die Anzeige ihre Wirkung

verliert und damit die Rechtshängigkeit endet, zeichnen die unterschiedlichen Ab- bzw. Verläufe nach, die die Restrukturierungssache nehmen kann. Verliert die Anzeige ihre Wirkung und endet die Rechtshängigkeit, enden auch die an sie geknüpften Rechtsfolgen und es lebt insbesondere die Insolvenzantragspflicht gem. § 15a InsO wieder auf (vgl. § 42 Abs. 4 StaRUG). Zudem hebt das Gericht, wenn eine Stabilisierungsanordnung bereits ergangen ist, auch diese wieder auf (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG).

26 Möglich ist demnach, dass der Schuldner die Anzeige zurücknimmt (§ 31 Abs. 4 Nr. 1 Sta-

RUG), weil bspw. die Liquiditätskrise, bspw. durch einen Abverkauf von Gruppengesellschaften oder einer noch gelungenen konsensualen Restrukturierung, abgewendet wurde und nun kein zwingender Bedarf besteht, Verfahrenshilfen in Anspruch zu nehmen (es wäre aber zu überlegen, ob sich im Einzelfall nicht anbieten mag, durch die Bestätigung des angenommenen Restrukturierungsplans, die Regelungen über einen anfechtungsrechtlichen Safe Harbour46 auszulösen). Die mögliche Rücknahme der Anzeige ist Ausfluss der Verfahrensherrschaft des Schuldners (vgl. § 29 Abs. 3 StaRUG).

27 Nimmt der Schuldner die Anzeige nicht zurück, mag die Restrukturierungssache schließlich

in eine rechtskräftige Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über die Bestätigung des Restrukturierungsplans münden. Die Restrukturierungssache endet dann sowohl in Fällen, in denen die Rechtskraft der positiv beschiedenen Planbestätigung eintritt, als auch in Fällen, in denen Versagung der Bestätigung des Restrukturierungsplans rechtskräftig wird 44 BT-Drucks. 19/24181, S. 136. 45 Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 91 StaRUG Rz. 3 f. 46 Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 32 ff.

508 | Herding/Krafczyk

Pflichten des Schuldners | § 32

(§ 31 Abs. 4 Nr. 2 StaRUG). Während sich im ersten Fall im Anschluss an die Bestätigung aber der Vollzug des Restrukturierungsplans anschließt (vgl. § 90 Abs. 1 StaRUG), steht es dem Schuldner in dem Fall der Versagung grundsätzlich offen, das Restrukturierungsvorhaben auf Grundlagen eines neuen Plans oder Konzepts unter Beachtung insbesondere des § 31 Abs. 1 Satz 1 StaRUG erneut anzuzeigen.47 Schon im Zuge der Folgeanzeige mag es sich anbieten, das Restrukturierungsgericht darüber zu informieren, aus welchen Gründen noch eine Aussicht auf Umsetzung besteht, weil insbesondere nicht die ernsthafte und endgültige Ablehnung des vorgelegten bzw. in Aussicht gestellten Restrukturierungsplans durch die Planbetroffene bereits aufgrund der Ablehnung des ersten Plans erkennbar gewordenen ist und deshalb davon ausgegangen werden kann, dass die für eine Planannahme erforderlichen Mehrheiten nun noch immer erreicht werden können (vgl. § 32 Abs. 4, § 33 Abs. 2 Nr. 2, 3 StaRUG sowie § 31 Abs. 4 Nr. 3 StaRUG). Auch hier zeigt sich das Zusammenspiel von § 31 Abs. 4 Nr. 3 und § 33 StaRUG. Als Korrektiv der Verfahrensbegründung durch schlichte Anzeige können ihre Wirkungen 28 mit der Aufhebung der Restrukturierungssache gem. § 33 StaRUG entfallen (§ 31 Abs. 4 Nr. 3 StaRUG). Der gerichtlichen Aufhebung kommt damit die besondere Bedeutung einer nachgelagerten Zugangskontrolle zu und gewährleistet zugleich eine fortwährende Überwachung und Ordnung des Verfahrens. Diese Funktionen werden durch die Informationsund Anzeigepflichten des Schuldners gem. § 32 StaRUG ergänzt. Zu den einzelnen Aufhebungsgründen § 33 Rz. 4 ff., zu diesen zählt insbesondere auch die materielle Insolvenz des Schuldners (vgl. § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StaRUG). Schließlich verliert die Anzeige ihre Wirkung und es endet die Rechtshängigkeit der Restruk- 29 turierungssache, wenn der Zeitrahmen, den der Gesetzgeber für die Durchführung eines Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens für ausreichend hält, abgelaufen ist (§ 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG), also von sechs Monaten seit der Anzeige oder, wenn der Schuldner die Anzeige zuvor erneuert hat, von zwölf Monaten.

§ 32 Pflichten des Schuldners (1) 1Der Schuldner betreibt die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers und wahrt dabei die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger. 2Insbesondere unterlässt er Maßnahmen, welche sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Restrukturierung gefährden. 3Mit dem Restrukturierungsziel ist es in der Regel nicht vereinbar, Forderungen zu begleichen oder zu besichern, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen. (2) 1Der Schuldner teilt dem Gericht jede wesentliche Änderung mit, welche den Gegenstand des angezeigten Restrukturierungsvorhabens und die Darstellung des Verhandlungsstands betrifft. 2Hat der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung nach § 49 erwirkt, teilt er auch unverzüglich wesentliche Änderungen mit, welche die Restrukturierungsplanung betreffen. 3Ist ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, bestehen die Pflichten nach den Sätzen 1 und 2 auch gegenüber dem Restrukturierungsbeauftragten. (3) 1Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ist der Schuldner verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit im Sinne

47 BT-Drucks. 19/24181, S. 136; Desch, BB 2020, 2498, 2500.

Herding/Krafczyk | 509

§ 32 Rz. 1 | Pflichten des Schuldners des § 17 Absatz 2 der Insolvenzordnung unverzüglich anzuzeigen. 2Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit [ab 1.1.2024: „rechtsfähige Personengesellschaft“], für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter haftet, steht der Zahlungsunfähigkeit eine Überschuldung im Sinne des § 19 Absatz 2 der Insolvenzordnung gleich. (4) Der Schuldner ist verpflichtet, dem Gericht unverzüglich anzuzeigen, wenn das Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat, insbesondere, wenn infolge der erkennbar gewordenen ernsthaften und endgültigen Ablehnung des vorgelegten Restrukturierungsplans durch Planbetroffene nicht davon ausgegangen werden kann, dass die für eine Planannahme erforderlichen Mehrheiten erreicht werden können. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256), Abs. 3 Satz 2 mit Wirkung v. 1.1.2024 geändert durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).“ I. 1. 2. II. 1.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Normherkunft und -entwicklung . . . . . . . 1 Norminhalt und -zweck . . . . . . . . . . . . . . 5 Sorgfaltspflichten des Schuldners . . . . . 9 Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers (§ 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit (§ 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) . 12 3. Konkretisierung der Sorgfaltspflicht (§ 32 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 StaRUG) . . . . . . 16 III. Anzeigepflichten des Schuldners . . . . . . 20

1. Anzeige wesentlicher Änderungen (§ 32 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anzeige der eigenen Insolvenzreife (§ 32 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anzeige fehlender Erfolgsaussichten (§ 32 Abs. 4 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen der Pflichterfüllung/-verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Sorgfaltspflicht gem. § 32 Abs. 1 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zu den Anzeigepflichten gem. § 32 Abs. 2–4 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20 23 27 33 33 36

Schrifttum: Arens, Das SanInsFoG – Änderungen im Pflichtenregime für Geschäftsleiter, GWR 2021, 64; Bea/Dressler, Business Judgement Rule versus Gläubigerschutz? – Praktische Erwägungen zur Organhaftung im Kontext des StaRUG, NZI 2021, 67; Bitter, Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz – Alles neu durch SanInsFoG und StaRUG?, ZIP 2021, 321; Brinkmann, Die Solvenzsicherungspflicht der Geschäftsleiter, KTS 2021, 303; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten & Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG, ZInsO 2021, 1; Guntermann, StaRUG: Neuausrichtung der Geschäftsleiterpflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit?, WM 2021, 214; Korch, Restrukturierungsgesellschaftsrecht – Zur Überformung des Gesellschaftsrechts durch den StaRUG-Regierungsentwurf, NZG 2020, 1299; Kuntz, Geschäftsleiterhaftung bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach StaRUG, ZIP 2021, 597; Scholz, Die Krisenpflichten von Geschäftsleitern nach Inkrafttreten des StaRUG, ZIP 2021, 219; Seibt/Bulgrin, Entwurf zum Unternehmensstabiliersierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) – Kritische Analyse aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, DB 2020, 2226; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRuG-RefE), ZIP 2020, 1985; Weber/Dömmecke, Das Haftungsregime des StaRUG, NZI-Beilage 2021, 27.

I. Einführung 1. Normherkunft und -entwicklung 1 § 32 StaRUG setzt die Vorgaben des Art. 19 Restrukturierungs-RL um, im Fall wahrschein-

licher Insolvenz als Unternehmensleitung die Interessen von Gläubigern, Anteilsinhabern und sonstigen Interessenträgern gebührend zu berücksichtigen. Eine mögliche Gewichtung der In510 | Herding/Krafczyk

Pflichten des Schuldners | Rz. 3 § 32

teressen und damit insbesondere die brisante Frage, ob oder ab wann die Interessen der Gläubigergesamtheit vorrangig sind, wird in Art. 19 Restrukturierungs-RL zwar nicht festgelegt.1 Aber für die Ausgestaltung der Pflichten der Geschäftsleitung lassen sich den ErwGr. 70 und 71 durchaus weitere Anforderungen entnehmen, bspw. die Verluste möglichst gering zu halten, eine Insolvenz abzuwenden und die berechtigten Interessen der Gläubiger vor Managemententscheidungen zu schützen, die eine weitere Wertminderung des Vermögens bewirken könnten. Ganz im Einklang mit diesen Erwägungen stand die im Gesetzgebungsverfahren zunächst 2 vorgesehene, letztlich aber nicht in das Gesetz aufgenommene Pflicht der Geschäftsleitung, bereits mit drohender Zahlungsunfähigkeit die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren (vgl. §§ 2, 3 StaRUG-RegE) und einer daran anknüpfenden Unbeachtlichkeit entgegenstehender Gesellschafterweisungen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG-RegE) und Außenhaftung gegenüber den Gläubigern (§ 45 StaRUG-RegE).2 Danach wären die Pflichten der Geschäftsleitung bereits mit Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit und damit im Vorfeld eines etwaigen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen von den Gesellschaftsinteressen zu den Gesamt-Gläubigerinteressen umgeschwenkt. Dieser sog. Shift of fiduciary Duties hätte voraussichtlich der allgemein feststellbaren Verhinderungstendenz von Gesellschaftern gegen die frühzeitige Initiierung eines Restrukturierungsverfahrens entgegengewirkt und zudem die durch das SanInsFoG eingeführte Verkürzung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Überschuldung auf 12 Monate im Sinne des Gläubigerschutzes kompensiert.3 Rechtfertigung der Streichung der §§ 2, 3 StaRUG-RegE und damit des Rückzugs des Gesetzgebers auf eine ausdrückliche Pflicht zur Wahrung des Gesamt-Gläubigerinteresse erst mit Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache (§ 32 Abs. 1 Satz 1, § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) ist ausweislich der Stellungnahme des Rechtsausschusses, dass etwaige Haftungslücken im Vorfeld gesellschaftsrechtlich hinreichend aufgefangen werden, weshalb die explizite Ausrichtung am Gläubigerinteresses erst mit der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache erforderlich wird.4 Ob diese „Rolle rückwärts“ den Herausforderungen der Praxis gerecht wird, wird sich zeigen; die Begründung jedenfalls steht in deutlichem Kontrast zu der problembewussten Ausführung der ehemaligen Gesetzesbegründung des StaRUG-RegE.5 Aus Sicht der Geschäftsleiter scheint der Zeitpunkt des Shift of fiduciary Duties zwar durch 3 die klare Anknüpfung des § 32 StaRUG an die rechtshängige Restrukturierungssache beherrschbarer.6 Für das Vorfeld eines etwaigen Restrukturierungsrahmen bleibt es aber doch bei einer bereits vor dem StaRUG diskutierten Sanierungspflicht,7 die nunmehr in § 1 StaRUG gesetzlich als Krisenfrüherkennungspflicht einen Niederschlag gefunden hat. Diese Pflicht sollte als umfassendere „Solvenzsicherungspflicht“ verstanden werden,8 die mit zunehmender Nähe einer drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Reduzierung des unternehmerischen Ermessens erfährt und sich bis zu einer Handlungspflicht steigern kann.9 Allerdings sieht sich der Geschäftsleiter ohne ausdrückliche Regelung einer schwer zu interpretierenden Rechtslage gegenüber und die Praxis zeigt regelmäßig krasse Hold-out Situationen, in denen es der Geschäftsführung nicht gelingt, der Gesellschaft und ihren Stakeholdern die Möglichkeiten des StaRUG zu eröffnen und stattdessen entweder wirtschaftlich kaum zu rechtfertigende Lösun1 2 3 4 5 6 7 8 9

Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 11. Vgl. Demisch in Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 19 Rz. 29, 31, 46, 57 f. BT-Drucks. 19/24181, S. 105 f. BT-Drucks. 19/25353, S. 6; zustimmend Guntermann, WM 2021, 214, 218. BT-Drucks. 19/24181, S. 105. Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 15. Seibt/von Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1192. Brinkmann, KTS 2021, 303, 311, zudem mit einem Überblick über den Meinungsstand in Fn. 31. Brinkmann, KTS 2021, 303, 311; ähnlich Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 69; kritisch: Scholz, ZIP 2021, 219.

Herding/Krafczyk | 511

§ 32 Rz. 3 | Pflichten des Schuldners gen gegen die Interessen der Gläubiger oder eine eigentlich vermeidbare Insolvenz die Folge sind. So bleibt abzuwarten, ob ein Geschäftsleiter sich durch die Betonung der Solvenzsicherungspflicht bereits ausreichend rechtlich bestärkt oder gar verpflichtet sieht, durch die Anzeige den Restrukturierungsrahmen aufzuspannen und damit die berechtigten Interessen der Gläubiger vor einer weiteren Wertminderung des Vermögens zu schützen. Jedenfalls dann setzen mit Anzeige und Rechtshängigkeit die Pflichten des Schuldners gem. § 32 StaRUG ein, insbesondere die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Ihre Einhaltung gehört nunmehr zum Pflichtenkanon, für den sich ein Geschäftsleiter gegenüber der Gesellschaft – also auch einem etwaigen späteren Insolvenzverwalter – verantworten muss (§ 43 Abs. 1 StaRUG).10 4 Erste kosmetische Änderungen erfährt auch § 32 StaRUG durch das Gesetz zur Modernisie-

rung des Personengesellschaftsrechts, wenn im Zuge dessen der Terminus der „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ in § 32 Abs. 3 Satz 2 StaRUG – entsprechendes gilt für § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG – durch denjenigen der „rechtsfähigen Personengesellschaften“ abgelöst wird.11

2. Norminhalt und -zweck 5 Als Verfahrensvorschrift bestimmt § 32 StaRUG die Grundpflichten des Schuldners während

der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache, also ab dem Zeitpunkt der Anzeige (§ 31 Abs. 3 StaRUG) und bis zum Verlust der Wirkung der Anzeige (§ 31 Abs. 4 StaRUG).12 Zu diesen Pflichten gehören zum einen die (modifizierte) Sorgfaltspflicht des Schuldners (§ 32 Abs. 1 StaRUG), welche das Betreiben der Restrukturierungssache der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers unter Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger unterstellt. Zum anderen gehören hierzu Anzeigepflichten des Schuldners (§ 32 Abs. 2–4 StaRUG). Diese verlangen die unverzügliche Anzeige jeder wesentlichen Änderung, die den Gegenstand des angezeigten Restrukturierungsvorhabens, die Darstellung des Verhandlungsstands und/oder die Restrukturierungsplanung betrifft (§ 32 Abs. 2 StaRUG), die unverzügliche Anzeige des Eintritts einer Zahlungsunfähigkeit bzw. einer Überschuldung (§ 32 Abs. 3 StaRUG) sowie die unverzügliche Anzeige der fehlenden Aussicht auf Umsetzung (§ 32 Abs. 4 StaRUG).

6 Zweck der Norm ist allgemein die Sicherstellung des zweckentsprechenden Gebrauchs der

Instrumente sowie die Vermeidung von Fehlgebrauch und Missbrauch des Rahmens, sowie die Rückbindung der Gestaltungsmacht in Händen des Schuldners an die Interessen der Gläubiger, bspw. durch die Verhinderung von Verschleppungstaktiken oder von gläubigergefährdenden Maßnahmen.13 § 32 Abs. 1 StaRUG soll damit die Erfolgsaussichten der Restrukturierungssache verbessern und im Übrigen gewährleisten, dass der Schuldner zur Erfüllung aller ihn treffenden Pflichten im StaRUG fähig ist.14 Dabei sind die Pflichten aus § 32 StaRUG eng mit den Aufhebungsgründen aus § 33 StaRUG verknüpft, die mit dem Aufhebungsbeschluss des Restrukturierungsgerichts gem. § 31 Abs. 4 Nr. 3 StaRUG zur Beendigung der Rechtshän10 Zum neuen Haftungsregime im Anschluss an die Restrukturierungsrichtlinie mitsamt der Umsetzung durch das SanInsFoG Bea/Dressler, NZI 2021, 67; Bitter, ZIP 2021, 321; Guntermann, WM 2021, 214; Kuntz, ZIP 2021, 597; Scholz, ZIP 2021, 219; Thole, ZIP 2020, 1985; Weber/Dömmecke, NZI-Beilage 2021, 27; ergänzend Brinkmann, KTS 2021, 303. 11 Hierzu BGBl. I 2021, 3452. 12 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 3; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 19; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); wohl a.A.: Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2021, § 32 StaRUG Rz. 5 ff. 13 BT-Drucks. 19/24181, S. 136 f.; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 1. 14 BT-Drucks. 19/24181, S. 135.

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Pflichten des Schuldners | Rz. 8 § 32

gigkeit der Restrukturierungssache führen. So wird das potentielle Risiko eines niedrigschwelligen Einstiegs und der Verfahrensherrschaft des Schuldners durch die Verpflichtung zur Information gegenüber dem Gericht und der Möglichkeit des Gerichts zur Verfahrensaufhebung eingehegt.15 § 32 StaRUG ist damit Teil einer nachgelagerten Zugangs- und Missbrauchskontrolle, die sich insbesondere auf Anzeigepflichten des Schuldners bzw. Pflichten der Geschäftsleiter als „ordentlicher und gewissenhafter Sanierungsgeschäftsleiter“ stützt und durch die gerichtlichen Aufhebungsgründe durchgesetzt wird.16 Die Grundpflichten des § 32 StaRUG und insbesondere ihre Ausrichtung an den Interessen der Gesamtheit der Gläubiger beschreiben das Pflichtenprogramm für den Schuldner und der Geschäftsleiter als Organ des Schuldners ist zur Einhaltung der Pflichten verpflichtet (§ 43 Abs. 1 StaRUG).17 Die Anzeigepflichten sind damit für das Konzept des niedrigschwelligen Restrukturierungsrahmens zentral und die hierdurch akzentuierten zeitlichen und sachlichen Grenzen lassen wiederholt das übergeordnete Ziel des Rahmens erkennen, die Lücke zwischen der konsensualen „freien“ Restrukturierung und dem Insolvenzverfahren zu schließen. Auf das auf Antrag des Schuldners durch die Bestellung eines Sanierungsmoderators geprägte 7 Verfahren einer Sanierungsmoderation i.S.d. §§ 94 ff. StaRUG ist § 32 StaRUG dagegen nicht anwendbar; es fehlt regelmäßig an einer rechtshängigen Restrukturierungssache (vgl. aber § 100 Abs. 1 StaRUG, der für einen Übergangszeitraum bei fortbestehender Sanierungsmoderation eine rechtshängige Restrukturierungssache anspricht). Auch gewährt hier der Schuldner dem Sanierungsmoderator Einblick in seiner Bücher und Unterlagen und erstattet der Sanierungsmoderator dem Gericht gegenüber Bericht (§ 96 Abs. 2 und 3 Satz 1 StaRUG), so dass das gegenüber dem Gericht ausgelegte Pflichtenprogramm des § 32 StaRUG nicht zu dem gerichtsfern gestalteten Verfahren der Sanierungsmoderation passt.18 Diskutiert wird über die Qualität des § 32 StaRUG als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 Sta- 8 RUG, insbesondere ob und inwieweit sich aus § 32 Abs. 1 StaRUG i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB ein Schadensersatzanspruch direkt gegenüber dem Schuldner ergeben könnte.19 Die maßgeblichen Elemente eines Schutzgesetzes lassen sich der folgenden Definition entnehmen, die der BGH seit gut zehn Jahren20 verwendet: „Schutzgesetz iSv § 823 Abs. 2 ist eine Rechtsnorm, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben.“21 Legt man diesen Maßstab auf § 32 StaRUG an, so ist trotz des offenkundigen Schutzcharakters bspw. für die Interessen der Gläubiger mit Blick auf die Gesetzesgenese eine gewisse Zurückhaltung angebracht,22 zumindest sieht § 43 Abs. 1 15 BT-Drucks. 19/24181, S. 137; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 2. 16 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 1; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 2; Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 1. 17 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 1. 18 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 19 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 25; ausf. Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 15; Thole, ZIP 2020, 1985, 1993. 20 Vgl. BGH v. 18.11. 2003 – VI ZR 385/02, NJW 2004, 356, 357. 21 Zuletzt etwa BGH v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rz. 73 = ZIP 2020, 1179; BGH v. 27.2.2020 – VII ZR 151/18, NJW 2020, 1517 Rz. 34. 22 Scholz, ZIP 2021, 219, 226; Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 15; befürwortend: Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2021, § 32 StaRUG Rz. 42 ff.

Herding/Krafczyk | 513

§ 32 Rz. 8 | Pflichten des Schuldners Satz 2 StaRUG für die Haftung des Geschäftsleiters (im Gegensatz zu dem nicht Gesetz gewordenen § 45 StaRUG-RegE) keine Außenhaftung vor. Die weitere Entwicklung sollte aber aufmerksam verfolgt werden,23 insbesondere falls das StaRUG als (Defensiv-)Instrument des Schuldners zur Blockade oder zur Durchsetzung eines Restrukturierungskonzepts gegen (bestimmte) Gläubigerinteressen genutzt werden sollte (s. auch § 43 Rz. 94, dort entsprechend zu den Organpflichten).

II. Sorgfaltspflichten des Schuldners 1. Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers (§ 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) 9 Als Ausgleich für die weitreichenden Verfahrensfreiheiten, die dem Schuldner im StaRUG ge-

währt werden, ist dieser zu besonderer Rücksicht und Sorgfalt gegenüber den Interessen der Gläubiger verpflichtet.24 § 32 Abs. 1 StaRUG konkretisiert diesen Sorgfaltsmaßstab der Geschäftsleiter vergleichbar zu § 43 Abs. 1 GmbHG bzw. § 93 Abs. 1 AktG, indem die Pflichten mit Blick auf die rechtshängige Restrukturierungssache teilweise ergänzt und neu-akzentuiert werden. Der Schuldner hat als „ordentlicher und gewissenhafter Sanierungsgeschäftsführer“ und damit wie ein für die Gläubiger tätiger, selbstständiger, treuhänderischer Verwalter fremden Vermögens zu handeln.25 Im Übrigen stellt die Sorgfaltspflicht keine erfolgsbezogene Pflicht dar, geschuldet ist nur ein bestimmtes pflichtgemäßes Verhalten.26

10 Der Sorgfaltsmaßstab ist in Abhängigkeit von dem jeweiligen Einzelfall zu ermitteln. Von Re-

levanz sind dabei u.a. die Art und Größe des Unternehmens, die Eigenarten des jeweiligen Geschäftsmodells im relevanten Markt und Wettbewerb sowie die Treiber der Risiken und Chancen und ihre Auswirkung auf die „Zahlenwelt“ des Unternehmens (also insbesondere Liquiditäts- und Mittelfristplanung).27 Diese einzelfallabhängige Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabs ist notwendig, weil Restrukturierungssituationen zu unterschiedlich sind, um abstrakte Anforderungen aufzustellen.28 Allgemein sind mit Blick auf die betroffenen Gläubigerinteressen mit zunehmender Verschärfung der Krise stets strengere Anforderungen zu stellen.29 Hierzu gehört zunächst, sich im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben und Verhaltenspflichten zu verhalten, so dass in Bezug auf das Restrukturierungsvorhaben von einer umfassenden Legalitätspflicht als Bestandteil der ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführung auszugehen ist.30 Auch ist angesichts des schuldnerzentrierten Verfahrens und der Verpflichtung des Schuldners, das Restrukturierungsgericht bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen (§ 39 Abs. 2 StaRUG), die Handlungsfähigkeit des Schuldners während des laufenden Verfahrens zu sichern, also auf die ausreichende Kapazität und Exper-

23 Thole, ZIP 2020, 1985, 1993, spricht mögliche Schadensersatzansprüche von Anteilsinhabern oder nachrangigen Gläubigern in einer Folgeinsolvenz an – falls § 32 StaRUG die Qualität eines Schutzgesetzes zukommen sollte. 24 BT-Drucks. 19/24181, S. 136 f.; vgl. auch Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 2. 25 Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 3; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 21; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 29. 26 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 3, dort mit Verweis auf BGH v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, NZG 2020, 751 Rz. 35, dort zum Sorgfaltsmaßstab des Geschäftsleiters und Insolvenzverwalters; außerdem Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 20 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 27 Gehrlein, NZG 2020, 801, 804. 28 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 30. 29 BT-Drucks. 19/24181, S. 2; Thole, ZIP 2020, 1985, 1987; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 32; Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 68 f. 30 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 21 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Pflichten des Schuldners | Rz. 12 § 32

tise der Geschäftsleitung zu achten.31 So ist zu berücksichtigen, ob für anstehende Aufgaben wie operative Transformation, finanzielle Restrukturierung, Corporate Governance oder Stakeholder-Management eine personelle Verstärkung sinnvoll wäre, um aus Sicht des Gläubigers einen weiteren Wertverlust zu vermeiden. Mit Blick auf die anspruchsvolle Parallelität von konsensualer Sanierung, vorinsolvenzlichem Rahmen und insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten erscheint in komplexeren Fällen die frühzeitige Einbeziehung eines Interim-Managers als Chief Restructuring/Transformation Officer und/oder externe Berater, ggf. auch die pro-aktive Beantragung eines Restrukturierungsbeauftragten gem. § 77 Abs. 1 StaRUG naheliegend, um den Herausforderungen Herr zu werden. Bei der Wahrnehmung dieser Sorgfaltspflicht steht dem Geschäftsleiter unternehmerisches Er- 11 messen im Rahmen der Business Judgement Rule zu.32 Ausgangspunkt der Haftung ist die Frage danach, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer die gleiche Entscheidung getroffen hätte. Für die Bewertung muss eine ex-ante Perspektive maßgeblich sein.33 Allerdings birgt jedes Restrukturierungsvorhaben die Möglichkeit, dass im Falle des Scheiterns ex post über etwaige Fehleinschätzungen nachgedacht wird und insbesondere Rückschaufehler (hindsight bias) in Bezug auf die ex-ante Bewertung und Entscheidung zu einer Haftung des Schuldners führen. Um Fehlern in der Entscheidungsfindung vorzubeugen und das Haftungsrisiko zu minimieren, empfiehlt sich eine sorgfältige Dokumentation der jeweiligen Informationslage und entsprechend relevanter Entscheidungsvorgänge.34 Allgemein gilt zudem, dass sich mit Verschärfung der Krise der Ermessenspielraum zur Abwendung der Krise verengt und die im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit erfolgende Anzeige der Restrukturierungssache die erforderliche Fokussierung zugunsten des Schutzes der Gläubigerinteressen bereits dokumentiert.35 Die mit den Maßnahmen (oder Unterlassungen) einhergehenden Risiken müssen zudem mit dem Schutzzweck des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen vereinbar sein, um ermessensgerecht zu sein; dies erscheint desto kritischer, je eher diese geeignet sind, einen drohenden Verlust zu vertiefen.36

2. Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit (§ 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) Bei Betreiben der Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissen- 12 haften Sanierungsgeschäftsführers wahrt der Schuldner die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger (§ 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Denn die weitergehende Freiheit bei der eigenverantwortlichen Gestaltung und Organisation des Restrukturierungsvorhabens und bei der Erwirkung von Rechtsfolgen, die den Beteiligten des Prozesses auch Belastungen zumuten, erfordert eine Rückbindung an das Ziel, die Interessen der Gläubiger zu wahren. Insbesondere soll

31 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 24 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 32 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 33; Guntermann, WM 2021, 214, 220; Scholz, ZIP 2021, 219, 224; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 33 Guntermann, WM 2021, 214, 220; Korch, NZG 2021, 1299, 1302. 34 Vgl. Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 69; vgl. auch Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2021, Vor § 32 StaRUG Rz. 17. 35 Hierzu ErwGr. 70 der Restrukturierungs-RL, der explizit hervorhebt, dass unterschiedliche vertretbare Geschäftsentscheidungen getroffen oder wirtschaftliche Risiken eingegangen werden können, um die Aussichten auf eine Restrukturierung potenziell bestandsfähiger Unternehmen zu verbessern bzw. den Verlust wesentlicher Vermögenswerte zu verhindern. Außerdem Thole, ZIP 2020, 1985, 1987; Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 68 f. 36 Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 68; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 34 f.; BT-Drucks. 19/24181, S. 106 f. zu § 2 StaRUG-RefE.

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§ 32 Rz. 12 | Pflichten des Schuldners der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht für Verschleppungstaktiken oder gar gläubigergefährdende Maßnahmen missbraucht werden.37 13 Im Rahmen des teilkollektiven Restrukturierungsrahmens ist insbesondere zu berücksichti-

gen, dass es sich um ein „Resolvenzverfahren“ handelt,38 also ein Verfahren, das von vornherein auf die Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Fortführung gerichtet ist und auf eine Gesamtfälligstellung verzichtet. Das Interesse der Gesamtheit der Gläubiger definiert sich entsprechend nicht (nur) über die bestmögliche Befriedigung in Form einer möglichst hohen Quote, sondern auch über die Fähigkeit des Schuldners seinen Zahlungsverpflichtungen jetzt und in Zukunft möglichst umfassend nachkommen zu können – so steht schließlich die schuldnerische Debt Capacity im Fokus.39 Billigt das StaRUG dem Schuldner eine weitgehende Verfahrensherrschaft zu, indem er das beabsichtigte Restrukturierungsvorhaben bei Gericht anzeigt und die gerichtliche Bestätigung des relevanten Restrukturierungsplans beantragt, so muss der Bezugspunkt der Sorgfaltspflicht gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG dann auch die angezeigte Restrukturierungssache und das sich darin abzeichnende Restrukturierungskonzept sein.40 Irrlichternde Maßnahmen des Schuldners, die mit der angezeigten Restrukturierungssache nicht vereinbar sind, können damit pflichtwidrig sein, so dass der Schuldner seiner Verpflichtung zur Mitteilung wesentlicher Änderungen schon aus diesem Grund nachkommen sollte (§ 33 Abs. 2 StaRUG) und eine schwerwiegende Verletzung dieser Pflicht zu einer Aufhebung der Restrukturierungssache führen kann (§ 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG).

14 Grundsätzlich zu akzeptieren ist allerdings, dass dem Schuldner ein gewisses Auswahlermes-

sen eingeräumt ist, welches Restrukturierungskonzept er wie betreibt. Die Annahme einer Verpflichtung, im Rahmen eines Restrukturierungskonzepts stets die mildere, die Gläubiger weniger beeinträchtigende Gestaltungsvariante zu wählen und die notwendigen Beiträge auf Seiten der Gesellschafter zu suchen,41 ist entsprechend zwar grundsätzlich nachvollziehbar. Die Wahl der Planbetroffenen und des Gestaltungsmittels sollte allerdings nur in schwerwiegenden, für sich selbst sprechenden Fällen als eine Verletzung der Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen verstanden werden.42 Eine isolierte Betrachtung zweier Gestaltungsvarianten widerspricht dem Grundsatz der Verfahrensherrschaft des Schuldners und ignoriert die Komplexität eines Restrukturierungskonzepts als ein geschlossenes Gesamtkonzept, in dessen Regelungsrahmen die ausgewählten, vorbereiteten und schließlich in diesen übersetzten zwangsweisen und freiwilligen Beiträge der Beteiligten zur Umsetzung des Restrukturierungskonzepts aufeinander bezogen sind und miteinander stehen und fallen sollen.43 Stets werden Gläubiger über die Anforderungen des Verfahrens (bspw. Gruppenbildung, Mehrheiten und die Prioritätsregeln) sowie die Rechtsmittel (insbesondere gem. § 64 Abs. 1 StaRUG) geschützt.

15 Wenn § 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG das Interesse der Gesamtheit der Gläubiger anspricht, ist das

abstrakte Interesse aller Gläubiger des Schuldners gemeint, nicht nur das Interesse derjenigen, die durch eine Stabilisierungsanordnung oder durch den Restrukturierungsplan als Planbetroffene angesprochen sind. Dies sind im Restrukturierungsrahmen nicht nur die Inhaber 37 BT-Drucks. 19/24181, S. 137. 38 So treffend Stürner in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, Einleitung Rz. 45g. 39 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 20 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 56 hebt das langfristige Fortbestehen des Unternehmens als Ziel hervor. 40 Thole, ZIP 2020, 1985, 1993; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 5. 41 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 55. 42 In diese Richtung Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 56; Kuntz, ZIP 2021, 597, 607. 43 Ausführlich Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 7.

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Pflichten des Schuldners | Rz. 17 § 32

von Restrukturierungsforderungen, sondern grundsätzlich auch aller anderen Gläubigerklassen des § 9 StaRUG, also auch die Inhaber von Absonderungsanwartschaften, Nachrangforderungen oder Anteils- und Mitgliedschaftsrechten.44 Damit hat der Schuldner bei Betreiben der Restrukturierungssache die Rechte der einzelnen Gläubiger zu wahren, also bspw. Verfügungen über Vermögensgegenstände, die mit Sicherungsrechten belastet sind, zu unterlassen. Die Rangregeln der absoluten Priorität gem. §§ 27, 28 StaRUG entfalten für die Frage, welche Interessen stärker zu gewichten sind, insoweit eine Relevanz, als die Interessen solcher Gläubigergruppen eher zurückstehen, die selbst im Fall einer übergreifenden Mehrheit gegen sie als angemessen beteiligt gelten können. Für einzelne Maßnahmen mag dies die Modellierung der Alternativszenarien ähnlich einer Vergleichsrechnung erfordern, um anhand der Modellierung Nachteile und Vorteile für die Gläubiger(gruppen) der in Rede stehenden Maßnahme abzuwägen.45

3. Konkretisierung der Sorgfaltspflicht (§ 32 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 StaRUG) Auch wenn der Erfolg des Restrukturierungsvorhabens durch den Schuldner nicht geschuldet 16 ist,46 treffen den Schuldner als Teil der Sorgfaltspflicht des § 32 Abs. 1 StaRUG umfassende Pflichten zur Mitwirkung in Bezug auf das angezeigte Restrukturierungsvorhaben (vgl. § 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG). So gilt es Maßnahmen zu unterlassen, welche sich mit dem Restrukturierungsziel, also dem angezeigten Restrukturierungsvorhaben (vgl. Legaldefinition in § 31 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG), nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Restrukturierung gefährden (§ 32 Abs. 1 Satz 2 StaRUG). Diese Unterlassungspflichten sind dabei lediglich Ausprägungen der weitgehend aktiven Mitwirkungspflicht, die dem Schuldner obliegt.47 Die Verpflichtung zur Mitwirkung richtet sich am angezeigten Restrukturierungsvorhaben aus,48 so dass ein Verhalten des Schuldners, das dem Ziel oder der inneren Logik des Restrukturierungsvorhabens widerspricht, als sorgfaltswidrig gelten muss. Schon für die Ausrichtung seiner Mitwirkungspflicht sollte der Schuldner wesentliche (konzeptionelle) Änderungen dem Gericht mitteilen (vgl. § 32 Abs. 2 Satz 1 StaRUG).49 Schwierig ist die Behandlung von Maßnahmen, die zwar eine allgemein positive Wirkung für das Unternehmen haben, aber nicht unbedingt in das Restrukturierungskonzept passen. Die praktische Abgrenzung ist hier schwierig und Frage des Einzelfalls, aber im Eigeninteresse des Schuldners sollten eingriffsrelevante Maßnahmen jeweils in das Restrukturierungskonzept verortet werden können.50 Für die Beurteilung der Erfolgsgefährdung (§ 32 Abs. 1 Satz 2 StaRUG a.E.) sind Stärken, 17 Schwächen, Risiken und Chancen einer Maßnahme zu analysieren. Dabei ist eine gewisse Unsicherheit, ob die Maßnahme zum Erfolg führt, selbstverständlich zu akzeptieren. Es ist allerdings von einer Maßnahme Abstand zu nehmen, wenn diese mit dem eigentlichen Ziel des Restrukturierungsvorhabens konfligiert oder aufgrund dieser Maßnahme das Ziel mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu erreichen wäre. Auch hier ist der Spielraum der Geschäftsleiter mit verschärfter Krise einzuschränken (vgl. bereits zur Business Judgement 44 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 57 f. 45 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2021, Vor § 32 StaRUG Rz. 24. 46 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 3, dort mit Verweis auf BGH v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, NZG 2020, 751 Rz. 35, dort zum Sorgfaltsmaßstab des Geschäftsleiters und Insolvenzverwalters; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 20 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 47 Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 4. 48 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 5. 49 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 50 Insg. Thole, ZIP 2020, 1985, 1993.

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§ 32 Rz. 17 | Pflichten des Schuldners Rule Rz. 10 f.).51 Erfolgsgefährdend können dabei auch solche Maßnahmen sein, die nur kurzfristig, aber nicht nachhaltig hilfreich sind.52 18 In der Regel pflichtwidrig sind Maßnahmen, die Forderungen begleichen oder besichern,

die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen (§ 32 Abs. 1 Satz 3 StaRUG). Ihre Bedienung oder Besicherung würde die anderen Gläubiger benachteiligen und stellt eine Gläubigerungleichbehandlung dar.53 Auch wenn im Rahmen des teilkollektiven Restrukturierungsrahmens naturgemäß nicht alle Gläubiger gleichbehandelt werden können, hat die Geschäftsleitung darauf zu achten, angesichts des zwangsweisen Eingriffs in die Rechte bestimmter Planbetroffener keine ungerechtfertigte Privilegierung einzelner zu schaffen. So wird widerleglich vermutet, dass es mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbar ist, Forderungen zu begleichen oder zu besichern, die durch den Restrukturierungsplan umgestaltet werden sollen (§ 32 Abs. 1, Satz 3 StaRUG). Hierunter fallen auch solche Forderungen, deren Gestaltung zwar nicht im Plan vorgesehen ist, die bei ordnungsgemäßer Auswahl der Planbetroffenen (§ 8 StaRUG), aber hätten gestaltet werden müssen. Denn aus der pflichtwidrigen Auswahl kann keine Rechtfertigung erwachsen.54 Als Orientierung mag das Insolvenzanfechtungsrecht dienen, zu weitgehend erscheint es aber, grundsätzlich jede Maßnahme zu unterlassen, die Gegenstand einer Insolvenzanfechtungsklage werden könnte.55 Es ist zu berücksichtigen, dass der Schuldner sich auch während der Rechtshängigkeit fälligen Forderungen gegenüber sieht, die der Gläubiger ihm gegenüber durchsetzen kann. Daher können in Ausnahmefällen solche Maßnahmen i.S.v. § 32 Abs. 1 Satz 3 StaRUG zulässig sein, z.B. soweit sie zur „Fortführung der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit sowie für die Vorbereitung und Umsetzung des Restrukturierungsvorhaben erforderlich sind.“56 Die Darlegungs- und Beweislast für das (dennoch) pflichtgemäße Handeln trifft den Geschäftsleiter, weshalb auf die Dokumentation im Einzelfall besonders Acht zu geben ist.57

19 Die Pflichten gem. § 32 StaRUG sind nicht disponibel und unterliegen keiner Gesellschafterwei-

sung.58 Mit zunehmender Insolvenznähe stellt sich zudem die Frage, ob und inwieweit etwaige Weisungen aufgrund einer sich zuspitzenden Auswahl als rechtswidrig gelten müssen und daher für den Geschäftsleiter unbeachtlich und insbesondere nicht enthaftend sind. Zwar ist die ausdrücklich gesetzliche Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG-RegE nicht Gesetz geworden. Dennoch: Je stärker die Gläubigerinteressen im Risiko stehen, desto stärker müssen die Interessen des Gesellschafters zurückstehen (s. auch § 29 Rz. 16 ff. und insbesondere Rz. 44 ff.).59

III. Anzeigepflichten des Schuldners 1. Anzeige wesentlicher Änderungen (§ 32 Abs. 2 StaRUG) 20 Gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 StaRUG ist der Schuldner verpflichtet, dem Restrukturierungs-

gericht jede wesentliche Änderung mitzuteilen, welche den Gegenstand des angezeigten Restrukturierungsvorhabens (vgl. § 31 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) und die Darstellung des Verhand51 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 40; für eine Aufzählung konkreter Beispiele s. ebenda Rz. 39. 52 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 42. 53 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 44. 54 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2021, § 32 StaRUG Rz. 19. 55 Vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2021, § 32 StaRUG Rz. 14 f. 56 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 6. 57 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 6. 58 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2021, § 32 StaRUG Rz. 35. 59 Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 69.

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Pflichten des Schuldners | Rz. 23 § 32

lungsstands (vgl. § 31 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) betrifft – ihn trifft eine Anzeige- bzw. Aktualisierungspflicht.60 Denn das Restrukturierungskonzept mag zu Beginn der Restrukturierungssache, gerade bei frühzeitiger Inanspruchnahme des StaRUG, nicht weit fortgeschritten sein und daher im Verfahren weiter fortentwickelt werden.61 Ziel dieser Pflicht ist eine jederzeit ausreichende Information des Restrukturierungsgerichts. Nur wenn das Gericht zu jedem Zeitpunkt über den Fortgang des Verfahrens hinreichend informiert ist, kann es unter Beachtung der Interessen aller Beteiligten und insbesondere der planbetroffenen Gläubiger alle anfallenden Entscheidungen treffen. Dazu gehört auch der Erlass einer Stabilisierungsanordnung nach §§ 49 ff. StaRUG sowie die Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 StaRUG.62 Mit der Aktualisierungspflicht wird die Kontrolle des Restrukturierungsgerichts über den Verfahrensablauf ermöglicht und gefördert (s. Rz. 4 f.). Aus Sicht des Schuldners ist die Mitteilung von Umständen allerdings stets sorgfältig darauf zu prüfen, zu welchen Fragen oder gar Schlussfolgerungen, gegebenenfalls mit entsprechenden (finalen) Entscheidungen, das Gericht kommen kann, bspw. könnte eine Änderung des Restrukturierungsvorhabens ohne entsprechende Erläuterung Zweifel an den Umsetzungsaussichten hervorrufen, § 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG. Die Wesentlichkeit der Änderung ist ebenso wie der Sorgfaltsmaßstab einzelfallabhängig und 21 insbesondere mit Blick auf die Gläubigerinteressen zu beurteilen.63 Dem Schuldner ist insofern zur Vorsicht zu raten, trägt er doch bei einer Fehleinschätzung das Risiko einer Pflichtverletzung und letztlich sogar einer Aufhebung der Restrukturierungssache.64 Regelmäßig wesentlich sein werden Änderungen des Kreises der Planbetroffenen oder der zentralen Plangestaltungen mit ihren Mehrheitsanforderungen bzw. neuerdings hinderliches Gläubigerverhalten. Die jeweils anlassbezogenen Mitteilungen haben unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern i.S.v. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB zu erfolgen.65 Die Mitteilungspflicht nach § 32 Abs. 2 Satz 2 StaRUG stellt sicher, dass das Gericht nach 22 dem Erlass einer Stabilisierungsanordnung Kenntnis von Umständen erlangt, nach denen diese Stabilisierungsanordnung aufzuheben sein könnte (§ 59 Abs. 1 StaRUG).66 Nach § 32 Abs. 2 Satz 3 StaRUG bestehen die Aktualisierungspflichten auch gegenüber einem ggf. bestellten Restrukturierungsbeauftragten. Diese Pflicht tritt zusätzlich neben die Mitteilungspflicht gegenüber dem Restrukturierungsgericht und nicht an deren Stelle.67

2. Anzeige der eigenen Insolvenzreife (§ 32 Abs. 3 StaRUG) Während des Restrukturierungsverfahrens ruht die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO. 23 An ihre Stelle tritt die Anzeigepflicht der Insolvenzreife gegenüber dem Restrukturierungsgericht. Während § 42 Abs. 1 StaRUG die Organpflicht der Geschäftsleitung regelt, verpflichtet § 32 Abs. 3 StaRUG den Schuldner selbst, während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache dem Restrukturierungsgericht den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit (§ 17 60 S. Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 7. 61 BT-Drucks. 19/24181, S. 137; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 6; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 61. 62 BT-Drucks. 19/24181, S. 137; außerdem Thole, ZIP 2020, 1985, 1993. 63 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 29 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 6. 64 Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 9. 65 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 30 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 66 BT-Drucks. 19/24181, S. 137; Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 7; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 62. 67 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2021, § 32 StaRUG Rz. 34.

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§ 32 Rz. 23 | Pflichten des Schuldners Abs. 2 InsO) und, wenn auf den Schuldner anwendbar, den Eintritt einer Überschuldung (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO) unverzüglich anzuzeigen. Diese Anzeigepflicht versetzt das Gericht in die Lage zu überprüfen, ob die Restrukturierungssache gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG aufgehoben werden muss (vgl. § 33 Rz. 2).68 Um der Anzeigepflicht zu entsprechen, ist es erforderlich, dass der Schuldner in der Anzeige den Insolvenzgrund glaubhaft macht.69 24 Diese Mitteilung hat unverzüglich zu erfolgen. Unverzüglich bedeutet dabei ohne schuldhaf-

tes Zögern (vgl. schon Rz. 20).70 Hierin liegt eine Abweichung von der insolvenzrechtlichen Drei- bzw. Sechs-Wochen-Frist. Das Kriterium der Unverzüglichkeit ist dabei bezogen auf jede einzelne Veränderung, das Abwarten und anschließende gesammelte Mitteilen von Veränderungen durch den Schuldner ist nicht zulässig.71 Die Anzeige hat seitens des Schuldners zu erfolgen, es handelt sich aber nicht um eine höchstpersönliche Verpflichtung.72

25 Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen soll durch Schuldner nur dann in An-

spruch genommen werden können, wenn sie zwar drohend zahlungsunfähig sind, ansonsten allerdings noch keine materielle Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eingetreten ist. Für materiell insolvente Schuldner steht vielmehr das Insolvenzverfahren zur Verfügung, das den Gläubigerschutz angesichts des bestehenden Verteilungskonflikts weiter priorisiert und eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung sicherstellen will.73 Nach ihrem Sinn und Zweck gilt die Anzeigepflicht daher nicht erst ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache, sondern bereits bei der erstmaligen Anzeige gem. § 31 Abs. 1 StaRUG.74

26 Eine Besonderheit ergibt sich bei der Überschuldungsprüfung. Hier sind die im Restruktu-

rierungsplan vorgesehenen Maßnahmen zu berücksichtigen.75 Kann eine positive Fortbestehensprognose gem. § 19 Abs. 2 InsO gestellt werden, da die in den nächsten zwölf Monaten fällig werdenden Verbindlichkeiten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit beglichen werden können, liegt keine Überschuldung vor (zur Verkürzung des Prognosezeitraums gem. SanInsKG s. § 29 Rz. 16, 28). Insoweit sind die möglichen Wirkungen der angestrebten Restrukturierungssache in die Ermittlung der Überschuldung miteinzubeziehen.76 Hierfür darf – falls die dafür gegebenen Voraussetzungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit unterstellt werden können – der Erfolg des Restrukturierungsplans unterstellt bzw. angenommen werden.77

3. Anzeige fehlender Erfolgsaussichten (§ 32 Abs. 4 StaRUG) 27 Gemäß § 32 Abs. 4 StaRUG ist der Schuldner dazu verpflichtet, dem Gericht unverzüglich

anzuzeigen, wenn das Restrukturierungsvorhaben – vor dem Hintergrund des konkret in Aussicht genommenen Restrukturierungspfades – keine Aussicht auf Umsetzung hat, insbesondere, wenn infolge der erkennbar gewordenen ernsthaften und endgültigen Ablehnung des vorgelegten Restrukturierungsplans durch Planbetroffene nicht davon ausgegangen werden

68 69 70 71 72 73 74

BT-Drucks. 19/24181, S. 137. Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 67. Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 12. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2021, § 32 StaRUG Rz. 33. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 42 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 9. Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 65; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 75 BT-Drucks. 19/24181, S. 137. 76 BT-Drucks. 19/24181, S. 91; Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 35; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 2, § 32 StaRUG Rz. 9; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 39 StaRUG Rz. 41. 77 Thole, ZIP 2020, 1985, 1992.

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Pflichten des Schuldners | Rz. 30 § 32

kann, dass die für eine Planannahme erforderlichen Mehrheiten erreicht werden können. Hintergrund der Anzeigepflicht ist, dass die Einschränkungen durch den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Gläubiger nur gerechtfertigt sind, wenn die Restrukturierung werterhaltend und unter Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger möglich ist.78 Für die Beendigung durch Aufhebung muss die Informationsgrundlage des Restrukturie- 28 rungsgerichts sichergestellt sein, daher hat eine Anzeige zu erfolgen, wenn keine Erfolgsaussichten mehr bestehen (s. Rz. 12). Problematisch ist dabei vor allem die Frage, auf Grundlage welcher Indizien oder Signale von einer – wie der Gesetzgeber anspruchsvoll formuliert „erkennbar gewordenen ernsthaften und endgültigen Ablehnung“ auszugehen ist. Für die entsprechend zu stellende Prognose reicht die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Scheiterns nicht aus, vielmehr muss die Aussichtslosigkeit der Umsetzung sicher sein.79 Der Begriff der Aussichtslosigkeit ist nicht unbekannt. Vielmehr hat er auch im Zusammenhang mit der vorläufigen Eigenverwaltung Einzug in die Insolvenzordnung gefunden: Gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 3 InsO ist die Eigenverwaltung aufzuheben, wenn die Erreichung des Eigenverwaltungsziels, insbesondere eine angestrebte Sanierung sich als aussichtslos erweist. Hierzu sollen keine Bedeutungsunterschiede bestehen.80 Typische Sollbruchstellen einer konsensualen Sanierung sind auch für die erfolgreiche 29 Durchführung eines Restrukturierungsvorhabens des StaRUG zentral und können – falls sie wegfallen – zu einer Aussichtslosigkeit führen. Zu nennen ist die Unterstützung durch die Stakeholder im erforderlichen Maße, also im Rahmen des Restrukturierungsrahmens, insbesondere die Unterstützung der erforderlichen Mehrheiten. Eine Aussichtslosigkeit ist laut Gesetzesbegründung zu vermuten, wenn die Ablehnung des Vorhabens unter denjenigen, deren Zustimmung als Planbetroffene erforderlich wäre, so verbreitet ist, dass nicht damit gerechnet werden kann, dass ein das Vorhaben abbildender Restrukturierungsplan mit den erforderlichen Mehrheiten (§§ 27 f. StaRUG) angenommen werden kann.81 Zentral ist auch das Offenhalten der Linien der unterschiedlichen Finanzierungspartner, also bspw. der Betriebsmittelfinanzierer, die zum Zeitpunkt des § 2 Abs. 5 StaRUG nicht gezogene Linien allenfalls freiwillig zur Verfügung stellen (s. dazu § 2 Rz. 202 ff.). Enden wesentliche Geschäftsbeziehungen mit Kunden, Lieferanten oder Kreditversicherern und können diese nicht ersetzt werden oder können die im Zuge der Restrukturierung entstehenden Kosten nicht getragen werden, mag hinsichtlich des betreffenden Restrukturierungsvorhabens ebenfalls Aussichtslosigkeit vorliegen.82 Aussichtlosigkeit mag aber auch vorliegen, wenn die Verhandlungen mit einer finanzierenden Bank über eine neue Finanzierung zur Fortführung abgebrochen werden und sonstige Finanzierungsaussichten nicht bestehen oder – möglicherweise – wenn dem Schuldner die Kompetenzen fehlen, das Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen und keine Berater hierzu beauftragt werden (können).83 Die Nichterreichbarkeit des Ziels kann sich daneben auch aus anderen äußeren Faktoren (bspw. einem pandemiebedingten Lock-Down) ergeben.84 An die Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit einer Ablehnung i.S.d. von § 31 Abs. 4 Halbs. 2 30 StaRUG sind strenge Anforderungen zu stellen, sie muss geradezu als „das letzte Wort“ des Betroffenen erscheinen.85 Maßgeblich ist dabei, wie die Ablehnung nach objektivem Empfän78 79 80 81 82

Insg. Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 10. Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 10. Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 11. BT-Drucks. 19/24181, S. 138. Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 11 mit Verweis auf Riggert in Braun, 8. Aufl. 2020, § 270b InsO Rz. 18. 83 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 11. 84 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 72. 85 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 70; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 47 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 32 Rz. 30 | Pflichten des Schuldners gerhorizont der §§ 133, 157 BGB aufzufassen ist.86 Trotz ablehnender Haltung erscheint die Verweigerung der Zustimmung noch immer nicht ernsthaft und endgültig, wenn die Ablehnenden sich etwa gegenüber Zugeständnissen im Verhandlungsweg offen zeigen, sie also noch v.a. möglich scheinen, weil sie die Realisierbarkeit des Restrukturierungsvorhabens nicht in Frage stellen.87 Gerade in der Praxis langwieriger Restrukturierungsverhandlungen hat sich gezeigt, dass sorgfältig zwischen einer fordernden Verhandlungsposition und einer ernsthaften und endgültigen Ablehnung zu unterscheiden ist. Die Anzeige einer aussichtslosen Umsetzung sollte also nicht vorschnell erfolgen.88 Für die Einwertung von Verhandlungspositionen mitsamt ihrer Dokumentation kann eine Szenarienanalyse sinnvoll sein, die bspw. die wirtschaftliche Logik einer konsensualen Lösung trotz nachhaltiger Blockade für eine gewisse Zeit stützen mag. 31 Entsprechend der Zielbestimmung des § 29 Abs. 1 StaRUG hat eine Anzeige schließlich auch

zu erfolgen, wenn die Restrukturierung nicht nachhaltig möglich ist, sondern sich nur als kurzfristige Chance erweist. Dabei kann die Frage der Nachhaltigkeit grundsätzlich schon auf Basis einer plausiblen mittelfristigen integrierten Finanzplanung des Schuldners beantwortet werden. Zeigt daher eine seriöse, belastbare Planung, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners in den folgenden drei Jahren nach Ende des Verfahrens droht, besteht keine Anzeigepflicht.89 Allerdings sollte ein Restrukturierungsvorhaben nicht automatisch als nicht nachhaltig und damit aussichtslos betrachtet werden, wenn aus guten Gründen und gerade in komplexen Transformationsprozessen über längere Zeiträume (bspw. Umstellung auf neue Energieformen oder die Digitalisierung des Handels) für das Restrukturierungsvorhaben zunächst ein kürzerer Zeitrahmen in den Blick genommen wird und damit eine schrittweise Vorgehensweise favorisiert wird, die einen nächsten Schritt bereits bestmöglich vorbereitet.

32 Hinsichtlich der Unverzüglichkeit der Anzeige, also der Frage der Bemessung des schuldhaf-

ten Zögerns, ist dem Schuldner hierbei allerdings eher ein weiterer Spielraum als in § 32 Abs. 2 und 3 StaRUG zuzusprechen, der es ihm gegebenenfalls ermöglicht, doch noch einen letzten Verhandlungsversuch vorzunehmen.90

IV. Rechtsfolgen der Pflichterfüllung/-verletzung 1. Zur Sorgfaltspflicht gem. § 32 Abs. 1 StaRUG 33 Die Verletzung der Sorgfaltspflicht des § 32 Abs. 1 StaRUG kann zur Aufhebung des Ver-

fahrens gem. § 31 Abs. 4 Nr. 3, § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StaRUG und dann auch einer etwaig ergangenen Stabilisierungsanordnung gem. § 56 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG führen, soweit es sich hierbei um eine schwerwiegende Verletzung der Grundpflichten aus § 32 StaRUG handelt.91 § 33 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 StaRUG ist mit Blick auf die Grundpflichten aus § 32 StaRUG lex specialis gegenüber § 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG, der alle übrigen Pflichten zur Mitwirkung und Auskunftserteilung erfasst, bspw. die Informationsverpflichtung gegenüber dem Gericht gem. § 39 Abs. 2 StaRUG oder gegenüber dem Restrukturierungsbeauftragten gem. § 76 Abs. 5 StaRUG.

86 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2021, § 32 StaRUG Rz. 28. 87 BT-Drucks. 19/24181, S. 138. 88 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 47 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 13. 89 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 12. 90 Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 13. 91 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 79.

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Pflichten des Schuldners | Rz. 37 § 32

Die Pflichtwidrigkeit einer Maßnahme, die einem Dritten gegenüber vorgenommen wird, 34 berührt die Wirksamkeit der Maßnahme im Verhältnis zum Gericht oder anderen Beteiligten grundsätzlich nicht. Dies erscheint im Interesse des Rechtsverkehrs geboten, weil der andere Teil einen solchen Verstoß regelmäßig nicht erkennen (kann). Dies steht im Einklang z.B. mit § 15b Abs. 1 InsO dessen Verletzung ebenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Maßnahme führt.92 § 32 StaRUG gewährt dem Schuldner dabei keine Einwendung oder Einrede, nähme dann doch die bloße Anzeige nach § 31 StaRUG eine Stabilisierungsanordnung vorweg. In der Konsequenz kann etwa Verzug eintreten, selbst wenn die Erfüllung der Forderung pflichtwidrig wäre.93 § 32 StaRUG konkretisiert den nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG einzuhaltenden Pflichten- 35 kreis.94 Dem Geschäftsleiter droht infolge einer Pflichtverletzung daher eine Haftung aus § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG gegenüber dem Schuldner.

2. Zu den Anzeigepflichten gem. § 32 Abs. 2–4 StaRUG Im Anschluss an die Erfüllung der Pflichten durch den Schuldner kommen vor allem die ver- 36 schiedenen von Amts wegen zu beachtenden Aufhebungsgründe zum Tragen. Für die Anzeige gem. § 32 Abs. 3 StaRUG sind dies insbesondere die § 31 Abs. 4 Nr. 3, § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG, die die Aufhebung nach der Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung oder bei Kenntnis anderer Umstände, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner insolvenzreif ist, vorschreiben. Für die Anzeige nach § 32 Abs. 4 StaRUG sind gerade die § 31 Abs. 4 Nr. 3, § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG, die die Aufhebung aufgrund fehlender Aussicht auf Umsetzung des angezeigten Restrukturierungsvorhabens vorschreiben, von Relevanz.95 Kehrseite eines gescheiterten Restrukturierungsversuchs wird oftmals der Entfall der positiven Fortführungsprognose und Eintritt der Überschuldung i.S.v. § 19 InsO sein, sodass aus diesem Grund – nach Aufhebung der Restrukturierungssache – in aller Regel ein Insolvenzantrag zu stellen ist. Hierbei gilt besonderes Augenmerk der Sechs-Wochen-Frist, welche bereits mit dem Wegfall der positiven Prognose und damit regelmäßig schon vor dem Aufhebungsbeschluss, zu laufen beginnt.96 Entsprechend werden die Restrukturierungsgerichte gefordert sein, auf solche Anzeigen in der gebotenen Kurzfristigkeit zu reagieren und gem. § 33 StaRUG von Amts wegen die Restrukturierungssache aufzuheben.97 Zu berücksichtigen ist ferner, dass das Restrukturierungsgericht eine Aufhebung zusätzlich erwägen kann, wenn sich die Aussichtslosigkeit aus „sonstigen Umständen“ ergibt, sodass insbesondere die Anzeigen nach § 32 Abs. 2 StaRUG virulent werden können, die wesentliche Änderungen des Gegenstands des angezeigten Restrukturierungsvorhabens und die Darstellung des Verhandlungsstands betreffen, vgl. § 31 Abs. 4 Nr. 3, § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG.98 § 32 StaRUG konkretisiert den nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG einzuhaltenden Pflichten- 37 kreis.99 Werden die Anzeigepflichten verletzt, droht dem Geschäftsleiter infolge der Pflicht92 Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 5, so auch Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 53 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 93 Insg. Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 5. 94 BT-Drucks. 19/24181, S. 145. 95 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 51 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 78. 96 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 13. 97 Thole, ZIP 2020, 1985, 1993. 98 Aus Sicht der Praxis ist abzuwarten, ob ausdrückliche Anzeigen der Aussichtslosigkeit i.S.v. § 32 Abs. 4 StaRUG oder nicht vielmehr „mitgeteilte Umstände“ aufgrund des § 32 Abs. 2 StaRUG eine Aufhebung gem. § 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG zur Folge haben. 99 BT-Drucks. 19/24181, S. 145.

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§ 32 Rz. 37 | Pflichten des Schuldners verletzung daher eine Haftung aus § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG gegenüber dem Schuldner. Wird die eigene Insolvenzreife durch den Schuldner nicht nach § 43 Abs. 3 StaRUG angezeigt, verletzt dieser seine verfahrensrechtlichen Pflichten, was zur Beendigung der Restrukturierungssache und damit zur Verwehrung der Instrumentarien des StaRUG führt.100 38 Die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache endet mit dem Ende der Wirkung der

Anzeige, § 31 Abs. 4 StaRUG.101 In diesem Zeitpunkt verlässt der Schuldner den Restrukturierungsrahmen, die an die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache geknüpften Rechtsfolgen fallen weg (s. § 31 Rz. 23 f.) und enden auch die Grundpflichten des § 32 StaRUG. Insbesondere leben die Insolvenzantragspflichten nach § 15a InsO wieder auf.102

§ 33 Aufhebung der Restrukturierungssache (1) Das Restrukturierungsgericht hebt die Restrukturierungssache von Amts wegen auf, wenn 1. der Schuldner einen Insolvenzantrag stellt oder über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet ist, 2. das Restrukturierungsgericht für die Restrukturierungssache unzuständig ist und der Schuldner innerhalb einer vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist keinen Verweisungsantrag gestellt oder die Anzeige zurückgenommen hat oder 3. der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten zur Mitwirkung und Auskunftserteilung gegenüber dem Gericht oder einem Restrukturierungsbeauftragten verstößt. (2) 1Das Gericht hebt die Restrukturierungssache ferner auf, wenn 1. der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 32 Absatz 3 angezeigt hat oder andere Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner insolvenzreif ist; von einer Aufhebung der Restrukturierungssache kann abgesehen werden, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Blick auf den erreichten Stand in der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde; von einer Aufhebung kann auch abgesehen werden, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen werden soll, sofern die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist, 2. sich aufgrund einer Anzeige nach § 32 Absatz 4 oder aus sonstigen Umständen ergibt, dass das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat, 3. ihm Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen die ihm nach § 32 obliegenden Pflichten verstoßen hat, oder 4. in einer früheren Restrukturierungssache a) der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung oder eine Planbestätigung erwirkt hat oder b) eine Aufhebung nach Nummer 3 oder nach Absatz 1 Nummer 3 erfolgt ist. 100 BT-Drucks. 19/24181, S. 137. 101 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 21. 102 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 32 StaRUG Rz. 80.

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Aufhebung der Restrukturierungssache | Rz. 1 § 33 2Satz 1 Nummer 4 ist nicht anwendbar, wenn der Anlass für die frühere Restrukturierungssache infolge einer nachhaltigen Sanierung bewältigt wurde. 3Sind seit dem Ende des Anordnungszeitraums oder der Entscheidung über den Antrag auf Planbestätigung in der früheren Restrukturierungssache weniger als drei Jahre vergangen, ist im Zweifel anzunehmen, dass eine nachhaltige Sanierung nicht erfolgt ist. 4Der Inanspruchnahme von Instrumenten des Restrukturierungsrahmens steht ein in Eigenverwaltung geführtes Insolvenzverfahren gleich. (3) Eine Aufhebung der Restrukturierungssache unterbleibt, solange das Gericht von einer Aufhebung einer Stabilisierungsanordnung gemäß § 59 Absatz 3 abgesehen hat. (4) Gegen die Aufhebung der Restrukturierungssache nach den Absätzen 1 bis 3 steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.

In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufhebungsgründe von Amts wegen (§ 33 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Insolvenzantrag oder Insolvenzverfahrenseröffnung (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fehlende Zuständigkeit (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schwerwiegender Verstoß gegen Mitwirkungs- und Auskunftspflichten (§ 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Weitere Aufhebungsgründe (§ 33 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Insolvenzreife des Schuldners (§ 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kenntnis von der Insolvenzreife . . . . .

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3.

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4. IV. V.

c) Ausnahmsweise Aufhebung nicht im Gläubigerinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unterlassene Anzeige der Insolvenzreife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Insolvenzreife vor Rechtshängigkeit . . Fehlende Aussicht auf Umsetzung (§ 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . Schwerwiegender Pflichtenverstoß (§ 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . Frühere Restrukturierungssache (§ 33 Abs. 2 Nr. 4 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . Unterbleiben der Aufhebung (§ 33 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmittel (§ 33 Abs. 4 StaRUG) . . . .

16 21 22 23 25 27 30 31

Schrifttum: Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Schönfelder, Die Bedeutung der Fortführungsprognose für das StaRUG-Verfahren – auf tosenden Wellen zwischen Skylla und Charybdis?, NZI 2022, 49; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Vallender, Das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanIns-FoG), MDR 2021, 201.

I. Einführung Die Regelungssystematik der Verfahrensvorschriften des Stabilisierungs- und Restrukturie- 1 rungsrahmens, vor allem die Verschränkung der unmittelbaren Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nach Anzeige gem. § 31 Abs. 1 und Abs. 3 StaRUG mit den Pflichten des Schuldners im Verfahren aus § 32 StaRUG und der Aufhebungskompetenz des Restrukturierungsgerichts gem. § 33 StaRUG, ist durch die Restrukturierungs-RL nicht vorgegeben, dort aber aufgrund der Art. 4 Abs. 5, Art. 5 Abs. 1 Restrukturierungs-RL i.V.m. ErwGr. 29 ff. Restrukturierungs-RL schon angelegt.1 Mit der aus der Anzeige resultierenden Rechtshängigkeit 1 § 33 StaRUG blickt auf eine wechselhafte Einordnung in StaRUG-RefE und StaRUG-RegE zurück. Hierzu Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 2.

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§ 33 Rz. 1 | Aufhebung der Restrukturierungssache der Restrukturierungssache – also mit dem aufgespannten Restrukturierungsrahmen – treten eine Reihe von wesentlichen Rechtsfolgen ein (vgl. hierzu die Übersicht in § 31 Rz. 23 f.), insbesondere stehen dem Schuldner nun erst die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens zur Verfügung (§ 31 Abs. 1 StaRUG). Beendet wird die Rechtshängigkeit in den gesetzlich normierten Fällen, in denen die Anzeige ihre Wirkung verliert, also zunächst – und je nach Verfahrensverlauf – durch die Rücknahme der Anzeige als Ausdruck der Verfahrensherrschaft des Schuldners (§ 31 Abs. 4 Nr. 1 StaRUG, s. bereits § 29 Rz. 41), die rechtskräftige Entscheidung über die Planbestätigung (§ 31 Abs. 4 Nr. 2 StaRUG) und die Überschreitung der Umsetzungsfrist des Rahmens (also von sechs Monaten nach der Anzeige oder zwölf Monaten, wenn der Schuldner diese erneuert hat, § 31 Abs. 4 Nr. 3 StaRUG). In diesem Regelungskontext stellt die Aufhebung der Restrukturierungssache durch das Gericht gem. § 33 StaRUG eine weitere zentrale Fallgruppe der Beendigung der Rechtshängigkeit dar (§ 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG), weil in diesen Fällen das Restrukturierungsgericht dem schuldnerinitiierten und -gesteuerten Verfahren ein Ende setzen kann. Damit sind gerade die Aufhebungsgründe des § 33 Abs. 1 und Abs. 2 StaRUG zentral, wenn die Grenzen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nachgezeichnet werden sollen. 2 Verliert die Anzeige ihre Wirkungen und endet damit die Rechtshängigkeit der Restrukturie-

rungssache, fallen die angesprochenen Rechtsfolgen weg – bildhaft wird der Restrukturierungsrahmen wieder geschlossen (vgl. § 31 Rz. 25), so dass dem Schuldner vor allem auch die Instrumente aus § 29 Abs. 2 StaRUG nicht mehr zur Verfügung stehen.2 Über § 31 Abs. 4 und § 33 StaRUG kommt dem Restrukturierungsgericht die zentrale Aufgabe zu, das Verfahren als „Zwischeninstanz“ zu überwachen und zu ordnen. Denn damit die Anzeige ihre Wirkungen bei Vorliegen von Aufhebungsgründen verliert, bedarf es einer gerichtlichen Entscheidung (s. im Abgleich dazu soeben die übrigen Fälle des § 31 Abs. 4 StaRUG).3 Schon danach steht § 33 StaRUG in einem engen Verhältnis zum Amtsermittlungsgrundsatz (vgl. § 39 Abs. 1 StaRUG).4 Dieser mag – gemeinsam mit den Mitwirkungs- und Auskunftspflichten (§ 39 Abs. 2 und § 76 Abs. 5 StaRUG) sowie Anzeigepflichten des Schuldners (vgl. bspw. § 32 Abs. 4 StaRUG) – die notwendige Informationsausstattung des Gerichts sicherstellen. Die damit bestehenden Aufgaben übernimmt das Restrukturierungsgericht schließlich nicht nur innerhalb des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, d.h. im oder während des Verfahrensverlaufs, sondern auch bei Begründung der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache durch die Anzeige. Denn schon die Gesetzesbegründung stellt heraus, dass sich die Aufhebung der Restrukturierungssache auch auf Umstände stützen kann, die zum Zeitpunkt der Anzeige vorliegen.5 Das mag dann sowohl einen bereits eingetretenen Insolvenzgrund mit der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (noch) im Zeitpunkt der Anzeige betreffen als auch das Nichtvorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit in diesem Zeitpunkt.

3 Die Aufhebung kann Folge eines oder mehrerer der in § 33 StaRUG aufgeführten Auf-

hebungsgründe sein. Neben sie treten solche Fälle, in denen § 33 StaRUG in entsprechender

2 Zu den Rechtsfolgen der Aufhebung Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 60 ff.; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 71 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 3 Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 1. 4 Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 2 Rz. 30, wonach das Restrukturierungsgericht in den Fällen des § 33 Abs. 1 StaRUG gehalten ist, zu prüfen, ob z.B. ein Insolvenzantrag durch den Schuldner gestellt oder über dessen Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, aber hinsichtlich der Aufhebungsgründe aus § 33 Abs. 2 StaRUG ein anderes gelten mag. Hier soll eine Amtsermittlung erst und eingeschränkt stattfinden, nämlich wenn der Schuldner seiner Anzeigepflicht aus § 32 StaRUG genügt oder dem Restrukturierungsgericht (andere) Umstände bekannt werden, die zur Aufhebung führen können. Zu Recht krit. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Zum Amtsermittlungsgrundsatz Vallender, ZRI 2021, 165. 5 BT-Drucks. 19/24181, S. 138; s. auch Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 1; Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 33 StaRUG Rz. 1.

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Aufhebung der Restrukturierungssache | Rz. 5 § 33

Anwendung für einschlägig gehalten wird (s. bspw. Rz. 11). Liegen kodifizierte oder im Wege einer Analogie hergeleitete Aufhebungsgründe vor, erfolgt der Aufhebungsbeschluss von Amts wegen. Er entfaltet seine Wirkung ab Bekanntgabe nach allgemeinen zivilprozessualen Regelungen.6 Sind die zum Teil unbestimmten und daher auslegungsbedürftigen, durch das Restrukturierungsgericht zu beurteilenden Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, kommt diesem ein Ermessen bei der Aufhebungsentscheidung mit Ausnahme der Fälle des § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG und dort eingeschränkt unter den zusätzlichen Voraussetzungen der Halbs. 2 und 3 weiterhin nicht zu.7 Gegebenenfalls mag das Gericht einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen, um notwendige Prüfungen hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen als Sachverständiger vorzunehmen (§ 73 Abs. 3 StaRUG).

II. Aufhebungsgründe von Amts wegen (§ 33 Abs. 1 StaRUG) 1. Insolvenzantrag oder Insolvenzverfahrenseröffnung (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) Das Restrukturierungsgericht hebt die Restrukturierungssache von Amts wegen auf, wenn der 4 Schuldner einen sog. Eigenantrag stellt oder in den Fällen eines Fremdantrags über dessen Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Der Gesetzgeber räumt also der Insolvenzbewältigung im Insolvenzverfahren prinzipiell einen Vorrang vor der Inanspruchnahme von Restrukturierungsinstrumenten unter dem StaRUG ein.8 Ist der Schuldner allerdings drohend zahlungsunfähig i.S.v. § 18 Abs. 2 InsO, so hat er ein Wahlrecht zwischen einem entsprechenden Insolvenzantrag (vgl. § 13 InsO), der eine Insolvenzbewältigung im Insolvenzverfahren einleitet (gegebenenfalls – auf Antrag gem. §§ 270a, 270d InsO – unter Nutzung der Möglichkeiten eines Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahrens), oder einer Anzeige einer Restrukturierungssache gegenüber dem Restrukturierungsgericht (vgl. § 31 StaRUG). Entscheidet sich der Schuldner während des laufenden Restrukturierungsverfahrens für die Insolvenz, womöglich aufgrund der erkannten Notwendigkeit einzelne Verträge beenden zu müssen, kann er ebenfalls einen Insolvenzantrag stellen, um ein Insolvenzeröffnungsverfahren zu initiieren und bei entsprechendem Eröffnungsbeschluss in das Insolvenzverfahren zu wechseln. Wenn der Schuldner einen Insolvenzantrag gestellt hat, greift der in den § 33 Abs. 1 Nr. 1 sowie Abs. 2 Nr. 1 StaRUG implizit enthaltene Vorrang des Insolvenzverfahrens.9 Dies gilt für einen Antrag aufgrund Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 17 Abs. 2 InsO oder Überschuldung i.S.v. § 19 Abs. 2 InsO genauso wie aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 Abs. 2 InsO. Schließlich wird durch einen Insolvenzantrag des Schuldners deutlich, dass ein Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen als nicht aussichtsreich verstanden oder die durch Anzeige eingeleitete Restrukturierungssache als gescheitert betrachtet wird.10 Das Restrukturierungsgericht hebt die Restrukturierungssache weiterhin von Amts wegen auf, 5 wenn über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren „eröffnet ist“, § 33 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG. Denn wurde schon im Zeitpunkt der Anzeige ein Insolvenzverfahren parallel eingeleitet oder wird ein solches später eröffnet, steht dies im Widerspruch zum eigentlichen Ziel des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, eine drohende Insolvenz nachhaltig zu beseitigen. Dieses könnte dann (schon) nicht mehr erreicht werden, weil mit der eingetre6 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 71 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 7 Zur Entscheidung durch das Restrukturierungsgericht Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 66 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 8 BT-Drucks. 19/24181, S. 138; Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 33 StaRUG Rz. 3. 9 BT-Drucks. 19/24181, S. 138. 10 Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 8; außerdem Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 33 Rz. 5 | Aufhebung der Restrukturierungssache tenen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eine derart vertiefte wirtschaftliche Krise vorliegt, für die der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht gedacht ist.11 Während § 33 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StaRUG mit der Stellung eines Insolvenzantrags durch den Schuldner auf Eigenanträge reagiert, werden mit § 33 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StaRUG Fälle sog. Fremdanträge adressiert. Insolvenzanträge durch einzelne Gläubiger („von außen“) führen allein nicht zur Aufhebung der Restrukturierungssache. Durch diese unterschiedliche Handhabe innerhalb der Aufhebungsgründe wird vermieden, dass planbetroffenen und (voraussichtlich) ablehnenden Gläubigern im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen allein mit der Berechtigung zur Insolvenzantragsstellung (§§ 13 f., 15 InsO) eine nachhaltige Einflussmacht gewährt wird, ein im Übrigen aussichtsreiches Restrukturierungsvorhaben zu behindern. Sie soll ihnen nur zugebilligt werden, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners infolge des Gläubigerantrags tatsächlich eröffnet wird.12 Das allerdings setzt voraus, dass es dem antragsstellenden Gläubiger gelingt, einen Insolvenzeröffnungsgrund (genauer: die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) glaubhaft zu machen. Dafür ist in Anbetracht der angezeigten und (noch) nicht aufgehobenen Restrukturierungssache vor allem auch erforderlich, den Verlauf und Ausgang des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens und dessen Untauglichkeit zur Beseitigung des für einschlägig erklärten Insolvenzeröffnungsgrundes dem Gericht zu dessen vollen Überzeugung zu erläutern.13 Im Übrigen ist die Einleitung eines Insolvenzverfahrens durch einen Gläubiger durch § 58 StaRUG weiter eingeschränkt. Danach wird das Verfahren über einen Insolvenzantrag eines Gläubigers für die Dauer einer Stabilisierungsanordnung ausgesetzt. 6 Schlussendlich kann sowohl ein im Ausland gestellter Insolvenzantrag durch den Schuldner

als auch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland zur Aufhebung der Restrukturierungssache führen.14 Zu den Implikationen des internationalen Rechts ergänzend § 2 Rz. 240 ff.

2. Fehlende Zuständigkeit (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) 7 Die Restrukturierungssache ist am örtlich und sachlich zuständigen Restrukturierungsgericht

durchzuführen, wobei die Zuständigkeit durch das Gericht nach Anzeige, spätestens aber bei Inanspruchnahme von Instrumenten geprüft wird.15 Das Restrukturierungsgericht hebt die Restrukturierungssache von Amts wegen auf, wenn es für die Restrukturierungssache nicht zuständig ist. Auslöser für das Eingreifen von § 33 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG ist die Unzuständigkeit bezogen auf die fehlende örtliche Zuständigkeit (vgl. §§ 34 f. StaRUG).16 Die Voraussetzungen für die Aufhebung sind dabei bereits durch die bloße Tatsache erfüllt und erfordern keine förmliche Entscheidung des Gerichts.17 Nach Würdigung der zur Zuständigkeit vorgetragenen Umstände und Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen18 erfolgt – falls das Gericht eine fehlende örtliche Zuständigkeit feststellt – ein Hinweis durch das Restrukturierungsgericht an den Schuldner und es wird eine Frist zur Stellung eines Verweisungsantrags

11 BT-Drucks. 19/24181, S. 90; Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 33 StaRUG Rz. 5; außerdem Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 12 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 33 StaRUG Rz. 3. 13 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 33 StaRUG Rz. 3. 14 Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 7, 19 f.; außerdem Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 10, 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Ergänzend zur Zuständigkeit Vallender, NZIBeilage 2021, 30. 15 BT-Drucks. 19/24181, S. 138. 16 BT-Drucks. 19/24181, S. 138. 17 Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 23. 18 Vallender, ZInsO 2029, 2579, 2581.

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Aufhebung der Restrukturierungssache | Rz. 10 § 33

oder zu Rücknahme der Anzeige gesetzt, vgl. § 33 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Wird weder ein Verweisungsantrag gestellt noch die Anzeige zurückgenommen, erfolgt die Aufhebung von Amts wegen.19 Auf diesem Weg wird verhindert, dass dauerhaft ein (örtlich) unzuständiges Gericht mit der Restrukturierungssache befasst ist. § 33 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG findet entsprechende Anwendung, wenn die Anzeige der Restruktu- 8 rierungssache durch einen nicht restrukturierungsfähigen Schuldner gestellt wurde (ausführlich § 30 Rz. 14).20 In diesen Fällen ist der Schuldner darauf hinzuweisen und es ist ihm eine Frist zur Stellungnahme zu gewähren. Verstreicht diese, ist die Restrukturierungssache aufzuheben.

3. Schwerwiegender Verstoß gegen Mitwirkungs- und Auskunftspflichten (§ 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) Die Restrukturierungssache ist durch das Restrukturierungsgericht auch dann von Amts we- 9 gen aufzuheben, wenn der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten zur Mitwirkung und Auskunftserteilung gegenüber dem Gericht oder einem Restrukturierungsbeauftragten verstoßen hat. In Abgrenzung zu § 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG, der explizit die Schuldnerpflichten aus § 32 StaRUG in Bezug nimmt, stellen hier die § 39 Abs. 2 und § 76 Abs. 5 StaRUG den gemeinsamen Ausgangspunkt des Aufhebungsgrundes dar.21 Eine Verletzung der Pflichten aus § 32 StaRUG zur Mitteilung von wesentlichen Änderungen, welche den Gegenstand des Restrukturierungsvorhabens betreffen, oder zur Anzeige der Insolvenzreife werden von § 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG also nicht erfasst, sondern ihre Verletzung kann nach § 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG zur Aufhebung der Restrukturierungssache führen (s. Rz. 23 f.).22 Entscheidend sind hier die Mitwirkungs- und Auskunftspflichten aus § 39 Abs. 2 sowie § 76 Abs. 5 StaRUG. Gemäß § 39 Abs. 2 StaRUG ist der Schuldner dazu verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht die Auskünfte zu erteilen, die zur Entscheidung über seine Anträge erforderlich sind, und zudem das Restrukturierungsgericht auch sonst bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Dies gilt jedenfalls, wenn und soweit die Unterstützung zweckdienlich und zumutbar ist.23 Weiterhin sieht § 76 Abs. 5 StaRUG eine entsprechende Auskunftspflicht auch gegenüber einem bestellten Restrukturierungsbeauftragten vor. Danach ist der Schuldner dazu verpflichtet, dem Beauftragten die erforderlichen Auskünfte zu erteilen, ihm Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere zu gewähren und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Eine Pflichtverletzung setzt danach voraus, dass der Schuldner zur Einhaltung der Mitwirkungs- und Auskunftspflichten gebeten und ihm dazu auch eine angemessene Frist gesetzt wurde. Kommt der Schuldner dieser Bitte nicht nach, verletzt er seine Pflichten aus § 39 Abs. 2, § 76 Abs. 5 StaRUG. Ist die Erfüllung der Pflichten in dieser Zeit aber nicht oder nur in einem eingeschränkten Umfang möglich, ist dies bei der Schwere von Pflichtverletzungen zu berücksichtigen. Auf eine Belehrung über die Folgen einer mangelnden Mitwirkung oder Auskunftserteilung kommt es nicht an.24 Voraussetzung für die Aufhebung gem. § 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG ist, dass die in § 39 Abs. 2 10 und § 76 Abs. 5 StaRUG enthaltenen Pflichten in schwerwiegender Weise verletzt wurden.

19 BT-Drucks. 19/24181, S. 138. 20 Außerdem Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 62 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), s. dort auch zur fehlenden Anzeigebefugnis sowie Rechtshängigkeitssperre (vgl. § 38 Satz 1, § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) als Auslöser des Aufhebungsgrundes aus § 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG. 21 Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 33 StaRUG Rz. 12. 22 BT-Drucks. 19/24181, S. 138; Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 26. 23 BT-Drucks. 19/24181, S. 143. 24 Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 29 f.

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§ 33 Rz. 10 | Aufhebung der Restrukturierungssache Einzelne Pflichtverletzungen können damit unter Umständen noch nicht zur Aufhebung der Restrukturierungssache führen, weil sie nicht hinreichend ins Gewicht fallen. Wann dies der Fall ist oder andererseits ein schwerwiegender Verstoß gegeben ist, sieht weder das Gesetz vor noch wird der Maßstab an anderer Stelle näher erläutert. In Anbetracht der Gesamtausrichtung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, welcher zur nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 Abs. 2 InsO antritt und sich nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache gem. § 32 Abs. 1 sowie § 43 Abs. 1 StaRUG vornehmlich an den Gläubigerinteressen ausrichtet, liegt es nah, auch den Grad der Schwere einer Pflichtverletzung hier an den Gläubigerinteressen auszurichten.25 Vor diesem Hintergrund dürfte von einer schwerwiegenden Pflichtverletzung insbesondere auszugehen sein, wenn das Restrukturierungsgericht auf Grundlage der unvollständigen, fehlenden oder verschwiegenen Angaben hätte feststellen können und müssen, dass die maßgeblichen Inanspruchnahmevoraussetzungen für ein beantragtes Instrument aus § 29 Abs. 2 StaRUG (doch) nicht vorlagen.26 Darüber hinaus gilt es freilich, die entsprechenden Spezialnormen wie etwa § 51 Abs. 1 Nr. 1 und § 59 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a StaRUG zu beachten.27 Zum Begriff der schwerwiegenden Verletzung wird im Übrigen eine ausreichende Kasuistik abzuwarten sein. Bis dahin werden die Unsicherheiten den Schuldner zu besonderer Vorsicht zwingen, zumal nur redlichen Schuldnern die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens eröffnet sein sollen und dies (wohl) dazu führen dürfte, dass die Hürden für das Vorliegen einer schwerwiegenden Verletzung der Pflichten des Schuldners nicht allzu hoch angesetzt werden.28 11 Von besonderer Bedeutung könnten hier schließlich Fälle sein, in denen nicht die Mitwir-

kungs- und Auskunftspflichten aus § 39 Abs. 2 sowie § 76 Abs. 5 StaRUG verletzt wurden, sondern die Anzeige durch den Schuldner nicht die nach § 31 Abs. 2 StaRUG notwendigen Anlagen und Angaben enthält oder sich dort vorgehaltene Angaben später als falsch herausstellen und der Schuldner die entsprechenden Änderungen der angezeigten Restrukturierungssache dem Gericht nicht mitteilt (§ 32 Abs. 2 Satz 1 StaRUG). In diesen Fällen mag eine Aufhebung der Restrukturierungssache analog § 33 Abs. 1 Nr. 3 oder § 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG erfolgen.29

III. Weitere Aufhebungsgründe (§ 33 Abs. 2 StaRUG) 1. Insolvenzreife des Schuldners (§ 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) a) Einführung 12 Schon die Gesetzesbegründung gibt aus, dass nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2

InsO) oder Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO, s. zur Verkürzung des Prognosezeitraums infolge SanInsKG § 29 Rz. 16, 28) des Schuldners in aller Regel anzunehmen ist, „dass das Insolvenzverfahren, nicht aber der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen den angemessenen und richtigen Ort für die Bewältigung der schuldnerischen Krise darstellt.“30 Aus diesem Grund hebt das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache grundsätzlich auf, wenn 25 S. auch Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 19 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ergänzend Haffa/ Schuster in Braun, 2021, § 33 StaRUG Rz. 9 ff. 26 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 19.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 33 StaRUG Rz. 11. 27 Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 28. 28 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 33 StaRUG Rz. 5. 29 Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 33 StaRUG Rz. 13; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 60 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 30 BT-Drucks. 19/24181, S. 139; ergänzend Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 21 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Aufhebung der Restrukturierungssache | Rz. 14 § 33

der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 32 Abs. 3 StaRUG angezeigt hat oder andere Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner insolvenzreif ist. Entsprechend der Verortung des präventiven Restrukturierungsrahmens zwischen freier Sanierung und Insolvenz (s. dazu § 29 Rz. 12) kann aus dieser Anzeigepflicht sowie der entsprechenden Aufhebungskompetenz des Restrukturierungsgerichts (§ 32 Abs. 3, § 33 Abs. 2 StaRUG) auf eine negative Zugangsvoraussetzung geschlossen werden, die nach Eintritt der materiellen Insolvenz den Zugang zum StaRUG letztendlich sperrt. Konzeptionell verankern die Aufhebungsgründe der § 33 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 1 StaRUG den Vorrang des Insolvenzverfahrens nach Eintritt der materiellen Insolvenz, da in diesen Fällen die Präventionswirkungen einer vorinsolvenzlichen Restrukturierung nicht mehr erreicht werden können.31 Im Unterschied zu § 33 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG knüpft der Aufhebungsgrund des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG allerdings nicht an das Ereignis der Stellung eines Insolvenzantrags durch den Schuldner oder der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines Fremdantrags an, sondern baut auf die gem. § 32 Abs. 3 StaRUG angezeigte materielle Insolvenzreife mit Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bzw. deren „Bekanntsein“ beim Restrukturierungsgericht auf. b) Kenntnis von der Insolvenzreife Das Restrukturierungsgericht hebt die Restrukturierungssache auf, wenn es Kenntnis von der 13 Insolvenzreife des Restrukturierungsschuldners erlangt (vgl. „oder andere Umstände bekannt sind“, § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG). Diese kann das Gericht auf verschiedenen Wegen erlangen. Im Fokus stehen insoweit die unterschiedlichen Anzeige- und Aktualisierungspflichten des Schuldners aus § 32 StaRUG.32 Möglich ist allerdings auch, dass das Restrukturierungsgericht die Kenntnis durch Anzeige eines Restrukturierungsbeauftragten erlangt oder diese auf Anträgen oder Hinweisen von Gläubigern beruht, bspw. Anträgen von Gläubigern, die auf die Aufhebung einer angeordneten Stabilisierung (§ 59 Abs. 2 StaRUG) gerichtet sind, oder aber auf Gläubigerhinweisen, die auf die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung und damit das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG schließen lassen.33 Wenn der Gesetzgeber die Aufhebung der Restrukturierungssache nun aber in § 33 Abs. 2 14 Nr. 1 StaRUG allein an die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) knüpft und sich die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) – und gerade ihr Nichtvorliegen – in § 33 StaRUG auf den ersten Blick nicht wieder findet, mag sich für die Aufhebung eine weitere Besonderheit ergeben. Gerade das Nichtvorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit führt nicht gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG (analog) zur Aufhebung der Restrukturierungssache, sondern – gegebenenfalls – gem. § 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG. Danach kann die Restrukturierungssache aufgehoben werden, wenn sich aufgrund einer Anzeige nach § 32 Abs. 4 StaRUG oder aus sonstigen Umständen ergibt, dass das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat, bspw. weil die im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen vorgehaltenen Instrumente zur Restrukturierung dem Schuldner noch gar nicht zur Verfügung stehen. Auf diesem Weg ist dann theoretisch möglich, dass die Anzeige im Vorfeld der drohenden Zahlungsunfähigkeit erfolgt, die Aufhebung aber deshalb nicht zwangsläufige Folge ist, weil das Restrukturierungskonzept berücksichtigt, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit (erst) in absehbarer Zeit eintritt. Vorstellbar ist insoweit, dass sich die Endfälligkeit eines Schuldscheindarlehens im Zeitpunkt der Anzeige erst im Anschluss an den Betrachtungszeitraum des § 18 Abs. 2 InsO von 24 Monaten ereignet. Hierfür spricht auch 31 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 33 StaRUG Rz. 6; außerdem Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 21 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 32 Hierzu Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 33 StaRUG Rz. 6; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 24 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 33 Vgl. Flöther/Wilke in Flöther, 2021, § 77 StaRUG Rz. 17.

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§ 33 Rz. 14 | Aufhebung der Restrukturierungssache die infolge des SanInsFoG neue Formulierung des § 18 Abs. 2 InsO, wonach sich der Prognosezeitraum der drohenden Zahlungsunfähigkeit auf „in aller Regel“ 24 Monate erstreckt und in diesen Fällen bereits ihr Vorliegen zu diskutieren ist. Die Verortung des Nichtvorliegens der drohenden Zahlungsunfähigkeit in § 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG schafft insoweit die bei der Betrachtung des Eingreifens der Zugangsvoraussetzung und des Insolvenzeröffnungsgrundes mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderliche Handhabbarkeit. Das Restrukturierungsgericht wird hier seiner Aufgabe als prüfende „Zwischeninstanz“ im Hinblick auf die Grenzen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens gerecht werden müssen. Für die Bewertung, ob Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt, können im Rahmen der Überschuldungsprüfung die Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels innerhalb eines Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens hinsichtlich der Fortführungsprognose berücksichtigt werden (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO).34 In diesem Zusammenhang berücksichtigt das Restrukturierungsgericht auch Hinweise durch Gläubiger, auch wenn die Aufhebung der Restrukturierungssache gem. § 33 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG im Falle eines sog. Fremdantrags erst mit der Insolvenzverfahrenseröffnung erfolgen soll. Sollte es einzelnen Gläubigern gelingen, dem Restrukturierungsgericht das Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsgrundes glaubhaft bekannt zu machen (vgl. „bekannt sind“, § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG), kann es zur Aufhebung der Restrukturierungssache gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG kommen, insbesondere auch wenn gleichzeitig auf die Stellung eines Insolvenzantrags verwiesen wird. Das Gericht trifft auch in Bezug auf § 33 Abs. 2 StaRUG eine Amtsermittlungspflicht, allerdings nur, wenn es Anlass zu der Annahme einer Insolvenzreife des Schuldners gibt und eben nicht anlasslos.35 Ein solcher Anlass kann bspw. durch einen Gläubigerinsolvenzantrag gegeben sein.36 Die Insolvenzreife muss nicht sicher festgestellt werden, vielmehr reicht es wie im Insolvenzeröffnungsverfahren, wenn das Gericht von dieser mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeht.37 Aufgrund der Vorrangwirkung des Insolvenzverfahrens ist § 33 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG maßgeblich und zwar auch, wenn das Gericht von einer Aufhebung nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG im Rahmen einer der Ausnahmen gegebenenfalls Abstand genommen hätte.38 15 Auch wenn die Anzeige und die daraus folgende Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache

zur Inanspruchnahme von Instrumenten berechtigt, werden damit allein die Rechte und Interessen der Gläubiger grundsätzlich (noch) nicht beeinträchtigt und es tritt gem. § 32 Abs. 1, § 43 Abs. 1 StaRUG der sog. Shift of fiduciary Duties ein, der einen zusätzlichen Gläubigerschutz gewährleisten dürfte.39 Aus diesem Grund haben betroffene Gläubiger auch keine Möglichkeit, zu diesem Zeitpunkt die Aufhebung der Restrukturierungssache zu veranlassen (zu der Frage, ob die Rechte und Interessen der Gesellschafter durch die Anzeige beeinträchtigt werden und sie daher vor Anzeige einzubinden sind, s. § 29 Rz. 44 ff.).40 Erst den von einer Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubigern steht es frei, die Aufhebung der Stabilisierung zu beantragen (§ 59 Abs. 2 StaRUG)41 und auch die dann infolge einer Planbestätigung gewährten Rechtschutzmöglichkeiten bringen dies zum Ausdruck (§§ 64, 66 StaRUG).

34 BT-Drucks. 19/24181, S. 139; vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 23 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ergänzend Schönfelder, NZI 2022, 49, 50. 35 BT-Drucks. 19/24181, S. 139; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 33 StaRUG Rz. 16; Haffa/ Schuster in Braun, 2021, § 33 StaRUG Rz. 18; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 36 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 10, 26 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 37 Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 39. 38 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 21.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 39 de Bruyn/Ehmke, NZG 2021, 661, 662. S. aber zum Verbot von Lösungsklauseln § 44 StaRUG. 40 BT-Drucks. 19/24181, S. 138. 41 BT-Drucks. 19/24181, S. 138; ergänzend Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 33 StaRUG Rz. 1; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 33 StaRUG Rz. 4.

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Aufhebung der Restrukturierungssache | Rz. 17 § 33

c) Ausnahmsweise Aufhebung nicht im Gläubigerinteresse Von dem generellen Vorrang des Insolvenzverfahrens nach Eintritt der materiellen Insolvenz 16 sehen § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2, 3 StaRUG Ausnahmen vor, die auf solche Sachverhalte reagieren, in denen die Einleitung eines Insolvenzverfahren in Anbetracht der mittels des präventiven Restrukturierungsrahmens (noch) zur Verfügung stehenden Verfahrenshilfen nicht zielführend ist.42 Von der Aufhebung der Restrukturierungssache kann das Restrukturierungsgericht gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2 StaRUG absehen, wenn dies mit Blick auf den erreichten Stand offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde. Offensichtlichkeit in diesem Sinne ist dabei so zu verstehen wie in § 37 und § 63 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG. Das positive Interesse muss das Gericht ohne umfangreichere Prüfung der Umstände (Evidenzfälle) erkennen, intensive oder allumfassende Prüfungen sind hier nicht vorzunehmen.43 Insoweit führt die Gesetzesbegründung beispielhaft den Fall an, dass die Restrukturierungssache kurz vor ihrem Abschluss steht und nach Annahme des Restrukturierungsplans allein dessen Bestätigung fehlt; hier löste der infolge einer Aufhebung der Restrukturierungssache eingeleitete Übergang in ein Insolvenzverfahren offensichtlich weitreichende Nachteile und zusätzliche Kosten aus und würde deshalb nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen.44 Dabei ist zum Umgang mit § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG im Einzelfall zu präzisieren: Soweit 17 bspw. § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG im Einklang mit der Qualität der materiellen Insolvenz als negative Zugangsvoraussetzung vorsieht, dass bei fehlender drohender Zahlungsunfähigkeit, also ab Eintritt der Insolvenzreife,45 des Schuldners keine Planbestätigung erfolgt, sollte schon systematisch einzuschränken sein, dass eine gerichtliche Bestätigung nach § 60 Abs. 1 StaRUG möglich ist, soweit die Aufhebung des Verfahrens nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG unterbleiben darf.46 Nach allgemein insolvenzrechtlichen Maßstäben sollte weiter geprüft werden, ob in den durch § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG angesprochenen Fällen überhaupt Insolvenzreife eingetreten ist, also ob keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist, wenn den Gläubigern ein Zuwarten angesichts der besonderen Umstände des Verfahrensstands zugemutet werden kann,47 bzw. die Überschuldung aufgrund positiver Fortführungsprognose schon tatbestandlich nicht gegeben ist.48 Dabei ist die Unterschiedlichkeit der Insolvenzgründe gerade im StaRUG zu vergegenwärtigen: die Fortbestehensprognose kann die Gestaltungsmöglichkeiten des StaRUG berücksichtigen und damit gegebenenfalls bereits die Überschuldung tatbestandlich ausschließen, wohingegen die Möglichkeit, zwangsweise Fälligkeitsregelungen im Plan zu treffen, an der akuten Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich nichts ändert. Daher – generell zur Stabilisierung des Verfahrens und gerade mit Blick auf die Zahlungsunfähigkeit – stellt § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG klar, dass selbst für den Fall der materiellen Insolvenzreife ausnahmsweise von einer Aufhebung abgesehen werden kann, wenn mit Blick auf den erreichten Stand in der Restrukturierungssache diese offensichtlich nicht im Interesse der Gläubiger ist. Angesichts dieser auch in der Gesetzesbegründung erkennbaren Stoßrichtung49 erscheint es weder vor dem Hintergrund des unbestreitbaren Ausnahmecharakters des § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG noch der

42 43 44 45 46

Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 33 StaRUG Rz. 7. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 29 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). BT-Drucks. 19/24181, S. 139. Brackmann/Langer in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 63 StaRUG Rz. 18. Brackmann/Langer in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 63 StaRUG Rz. 22; Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 41. 47 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NJW 2005, 3062. 48 Laroche in Flöther, 2021, § 63 StaRUG Rz. 7. 49 BT-Drucks. 19/24181, S. 139, dort: „In einer solchen Konstellation kann der Übergang in ein Insolvenzverfahren mit den damit verbundenen Nachteilen und zusätzlichen Kosten nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen.“

Herding/Krafczyk | 533

§ 33 Rz. 17 | Aufhebung der Restrukturierungssache Genese dieser Regelung zwingend,50 unter Hinweis auf die exemplarischen Anwendungsvoraussetzungen des § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2 StaRUG oder einzelnen Formulierungen der Gesetzesbegründung die Wirkweise trotz überwiegend wahrscheinlichen Restrukturierungserfolgs technisch zu verengen, bspw. indem „als erreichter Stand“ eine bestimmte Dokumentation und Abstimmung allgemein zwingend vorausgesetzt wird.51 18 Ganz in diese Richtung kann von einer Aufhebung gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 3 StaRUG

„auch“ abgesehen werden, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer oder mehrerer52 Forderungen resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen werden sollen, sofern die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist. Diese erst im StaRUG-RegE ergänzte Ausnahmeregelung greift subsidiär zu § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2 StaRUG. Der Erfolg ist überwiegend wahrscheinlich, wenn der Plan bei realistischer Entwicklung der Gegebenheiten bestätigt wird. Nicht erforderlich ist, dass hieran kein vernünftiger Zweifel aufkommt.53 Die Regelung tritt dem Störpotential einzelner Gläubiger entgegen, bspw. durch die Kündigung oder Fälligstellung ihrer Forderung, eine im Übrigen aussichtsreiche Restrukturierung zu ver- bzw. behindern. Tritt infolge dieser Einzelmaßnahme die materielle Insolvenz des Schuldners mit Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 Abs. 2 InsO oder Überschuldung gem. § 19 Abs. 2 InsO ein, sagt dies nichts über die zukünftige Bestandsfähigkeit des Schuldners aus. Besteht daher eine hinreichende Erfolgsaussicht der Restrukturierungssache, bleibt der Eintritt der Insolvenz während der Durchführung eines Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens außer Betracht.54

19 Damit sind auch Fälle der Drohkündigung in Bezug auf Schuldscheindarlehen (s. § 2

Rz. 166 ff.) adressiert, die trotz § 44 Abs. 1 StaRUG in unterschiedlichen Konstellationen möglich bleiben;55 einen umfassenden Ausschluss erwirkt in bestimmten Konstellationen eine Stabilisierungsanordnung (vgl. § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 2 StaRUG).56 Ebenso denkbar sind Fälle, in denen § 33 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG dazu führt, dass trotz nur befristetem Verzicht auf die Ausübung von Kündigungsrechten (Waiver), dessen Ende in den laufenden Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen fällt, die Fälligstellung nach Wiederaufleben des kreditvertraglichen Kündigungsrechts nicht zwangsweise zur Aufhebung der Restrukturierungssache führt.57 Werden die fällig gestellten oder fällig werdenden Forderungen, die die Insolvenz des Schuldners auslösen, ohnehin mittels des angestrebten Restrukturierungsplans angepasst, so dass diese schließlich befriedigt werden können, sind die direkten und indirekten Kosten eines infolge der Aufhebung alternativ durchzuführenden Insolvenzverfahrens nicht gerechtfertigt.

20 Nicht ausdrücklich angesprochen in § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 3 StaRUG ist der Fall, dass eine

noch nicht in Anspruch genommene „freie“ Finanzierungszusage- oder -linie gesperrt wird (Draw-Stop), ausläuft (bspw. im Zusammenhang mit einer bis auf weiteres („baw“) gewährten 50 So sah der StaRUG-RefE vor, dass im Rahmen der Anzeigepflicht des Schuldners bei Eintritt der Insolvenzreife, für die Frage der Insolvenzreife selbst, die Wirkungen des Restrukturierungsplans bzw. -konzepts zu berücksichtigen sind, so dass bei hypothetisch erfolgreichen Restrukturierungsvorhaben schon diese Pflicht gegenüber dem Restrukturierungsgericht entfallen wäre. 51 Zu eng erscheint bspw. ein Verständnis, dass nur einen bereits eingereichten Restrukturierungsplan ausreichen lässt, vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 29 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 52 Enger Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 45, der für ein Absehen von der Aufhebung gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 3 StaRUG fordert, dass lediglich eine einzige Forderung fällig wird. 53 Insg. Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 44, 47. 54 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 33 StaRUG Rz. 8; Proske/Streit, NZI 2020, 969, 972. 55 Vgl. Spliedt in Flöther, 2021, § 44 StaRUG Rz. 12, 17; ergänzend Schönfelder, WM 2022, 361. 56 Hierzu Schönfelder in Flöther, 2021, § 55 StaRUG Rz. 33 mit Blick auf bereits valutierte Darlehen. 57 Proske/Streit, NZI 2020, 969, 972.

534 | Herding/Krafczyk

Aufhebung der Restrukturierungssache | Rz. 21 § 33

Rahmenkreditlinie) oder gar gekündigt wird. Da auch solche freien Kreditlinien als verfügbare liquide Mittel für die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 17 InsO58 von Relevanz sind, kann auch diese Fallvariante die Zahlungsunfähigkeit oder – mit Blick auf die Berücksichtigung im Rahmen der positiven Fortbestehensprognose – auch die Überschuldung zur Folge haben. Insbesondere mit Blick auf § 3 Abs. 2 StaRUG, der eine Gestaltung von Restrukturierungsforderungen aus gegenseitigen Verträgen nur zulässt, soweit die dem anderen Teil obliegende Leistung bereits erbracht ist und den Umstand, dass ein Ziehungsstopp selbst im Rahmen einer Stabilisierungsanordnung möglich ist (vgl. § 55 Abs. 2 StaRUG), liegt die Überwindung der Insolvenz in Bezug auf fehlende Finanzierungszusagen allerdings nicht (allein) in einer zwangsweisen Gestaltung gem. §§ 2–4 StaRUG. Stattdessen gilt es, die Ziehungsmöglichkeit einer bestehenden Finanzierung zu bewahren (bspw. durch den Verzicht auf die Ausübung möglicher Beendigungsrechte) oder die Zusage einer neuen Finanzierung zu erhalten (§ 12 Satz 1 StaRUG). Entsprechend wäre in dieser Fallkonstellation für die Einschätzung der Erfolgsaussichten nicht etwa allein auf die Gestaltungsmöglichkeit des StaRUG, sondern auch auf die Zusage einer neuen Finanzierung als Teil des Gesamtkonzepts abzustellen, um von einer Aufhebung absehen zu können. Da § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 3 StaRUG jedoch nur auf eine Insolvenz aufgrund einer zusätzlichen Fälligkeit abstellt, nicht aufgrund einer wegfallenden Liquiditätsquelle, greift dieser Ausnahmetatbestand hier zu kurz, ohne dass eine sachliche Rechtfertigung ersichtlich erscheint. Denn die tragende Erwägung zielt laut Gesetzesbegründung darauf ab, trotz Insolvenzreife die Restrukturierungssache weiter betreiben zu dürfen, wenn die Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels eine, wenn auch auf den erfolgreichen Abschluss der Restrukturierungssache bedingte, Fortführungsprognose vermittelt. Die genannten konkreten Ursachen für den Eintritt der Insolvenzreife sind illustrativ, aber nicht als strikte Tatbestandsmerkmale zu verstehen, so dass insoweit zumindest eine analoge Anwendung in Betracht kommt. d) Unterlassene Anzeige der Insolvenzreife Erfährt das Gericht von der Insolvenzreife auf anderem Wege und bedeutet dies einen schwer- 21 wiegenden Verstoß des Schuldners gegen seine Pflicht zur Anzeige der Insolvenzreife aus § 32 Abs. 3 StaRUG, ist zugleich der Aufhebungsgrund des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StaRUG erfüllt. Fraglich ist, ob das durch die Ausnahmen geregelte gerichtliche Ermessen zur Aufhebung nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG sich auf diesen Aufhebungsgrund erstreckt. Der Gesetzgeber sieht den Verstoß gegen die Anzeigepflicht ohne Einschränkung als Aufhebungsgrund.59 Schließlich hat er auch das ursprünglich noch im Rahmen der Anzeigepflicht der Insolvenzreife verortete Konzept einer hypothetischen Betrachtung nun im Rahmen des Aufhebungsgrundes des § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG thematisiert, wohl auch, weil das Gericht in jedem Fall eher zu früh als zu spät einzubinden ist.60 Zudem legen der Wortlaut und Ausnahmecharakter der Norm nahe, dass eine Erweiterung auf andere Aufhebungsgründe nicht möglich ist. Hat der Schuldner daher seine Anzeigepflicht einer eingetretenen Insolvenzreife gem. § 32 Abs. 3 StaRUG verletzt, so lassen sich die Ausnahmevoraussetzungen des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 und Halbs. 3 StaRUG nicht als Rechtfertigung berücksichtigen.61 Allerdings bleibt es bei der Erforderlichkeit einer Pflichtverletzung in schwerwiegenden Weise.

58 Wolfer in BeckOK/InsR, § 17 InsO Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Bußhardt in Braun, 8. Aufl. 2020, § 17 InsO Rz. 28; Mock in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 17 InsO Rz. 45. 59 BT-Drucks. 19/24181, S. 139. 60 § 32 Abs. 2 Satz 2 StaRUG-RefE. 61 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 32 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 33 Rz. 22 | Aufhebung der Restrukturierungssache e) Insolvenzreife vor Rechtshängigkeit 22 Abschließend bleibt die Frage, ob die Restrukturierungssache aufzuheben ist (oder unter Ver-

weis auf die Ausnahmetatbestände doch noch betrieben werden kann), wenn die Insolvenzreife bereits vor der Anzeige eingetreten ist. Hinsichtlich der Überschuldung sollte diese Überlegung nach der hier vertretenen Ansicht ins Leere laufen, da auch vor Anzeige bereits die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Inanspruchnahme der Instrumente des StaRUG im Rahmen der positiven Fortbestehensprognose berücksichtigt werden kann. Soweit der Schuldner vor der Anzeige und damit Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache bereits zahlungsunfähig war, ist der Einstieg in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen schon praktisch meist ausgeschlossen. Schließlich könnte auch der Wortlaut des § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2 StaRUG, der von einem „erreichten Stand der Restrukturierungssache“ spricht, im Lichte der Gesetzesbegründung grundsätzlich so zu verstehen sein, dass hier nur der Eintritt der Insolvenzreife während der Rechtshängigkeit gemeint sein kann.62

2. Fehlende Aussicht auf Umsetzung (§ 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) 23 In Fällen, in denen die angezeigte Restrukturierungssache – also vor dem Hintergrund des

konkret in Aussicht genommenen Restrukturierungspfades – keine Aussicht auf Umsetzung hat, ist der Schuldner dazu verpflichtet, dies dem Restrukturierungsgericht unverzüglich anzuzeigen, vgl. § 32 Abs. 4 StaRUG. Das ist insbesondere denkbar, wenn infolge der erkennbar gewordenen ernsthaften und endgültigen Ablehnung des vorgelegten Restrukturierungsplans durch Planbetroffene nicht davon ausgegangen werden kann, dass die für eine Planannahme erforderlichen Mehrheiten erreicht werden können.63 Hintergrund der Anzeigepflicht ist, dass die Einschränkungen durch den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Gläubiger nur gerechtfertigt sind, wenn die Restrukturierung werterhaltend und unter Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger möglich ist. Erfolgt die Anzeige an das Gericht, hebt dieses die Restrukturierungssache auf, anderenfalls kann im Fall der Verletzung der Anzeigepflicht eine Aufhebung auf Grundlage von § 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG erfolgen. Das Fehlen der Aussicht auf Erfolg kann sich anstatt aus einer Anzeige durch den Schuldner auch aus anderen Umständen ergeben. Diese können verfahrensintern oder -extern sein, insoweit § 32 Abs. 4 StaRUG als Orientierung dienen.64

24 Die fehlende Aussicht auf Umsetzung i.S.v. § 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG kann sich auch ergeben,

wenn bereits absehbar ist, dass es im Zeitpunkt der Inanspruchnahme von Instrumenten des Rahmens und – jedenfalls – der Bestätigung des Restrukturierungsplans an einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder der erforderlichen Unterstützung der Mehrheiten fehlen wird. Sowohl die drohende Zahlungsunfähigkeit als Eingriffsrechtfertigung für die Inanspruchnahme der Instrumente als auch die erforderliche Unterstützung als entscheidendes Kriterium für die Umsetzungsaussichten hängen von der Positionierung der Planbetroffenen zum Restrukturierungskonzept ab. Dabei ist für die Aufhebung allerdings zu berücksichtigen, dass die ernsthafte und endgültige Verweigerung der Unterstützung der konsensualen Sanierung (vgl. § 32 Abs. 4 StaRUG) nicht leicht von der Einnahme einer Verhandlungssituation zu trennen ist, die sich über die Zeit der Verhandlungen des Konzepts verändern mag. Entsprechende Zurückhaltung sollte das Restrukturierungsgericht üben, wenn Zweifel an einer drohenden Zahlungsunfähigkeit mit Blick auf die konstruktiv besprochene, aber noch nicht verbindlich do-

62 BT-Drucks. 19/24181, S. 139: „Fortführung der Restrukturierungssache“; Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 48; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 30 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 63 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 63 Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 33 StaRUG Rz. 20. 64 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 35 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Aufhebung der Restrukturierungssache | Rz. 27 § 33

kumentierte konsensuale Sanierungslösung vorgebracht werden. Ähnliches gilt dann auch für Frage, ob die erforderliche Unterstützung durch die Mehrheiten angenommen werden kann.

3. Schwerwiegender Pflichtenverstoß (§ 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG) Das Gericht hebt die Restrukturierungssache gem. § 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG ferner auf, wenn 25 ihm Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen die ihm nach § 32 StaRUG obliegenden Pflichten verstoßen hat. Ausgangspunkt des Aufhebungsgrunds ist § 32 StaRUG, der die Schuldnerpflichten während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache regelt. Zu diesen Pflichten gehören die (modifizierte) Sorgfaltspflicht des Schuldners (§ 32 Abs. 1 StaRUG), welche das Betreiben der Restrukturierungssache der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers unter Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger unterstellt. Weiterhin gehören dazu die Anzeigepflichten des Schuldners, welche einerseits die unverzügliche Anzeige jeder wesentlichen Änderung verlangen, die den Gegenstand des angezeigten Restrukturierungsvorhabens, die Darstellung des Verhandlungsstands und/oder die Restrukturierungsplanung betrifft (§ 32 Abs. 2 StaRUG), andererseits die unverzügliche Anzeige des Eintritts einer Zahlungsunfähigkeit bzw. einer Überschuldung (§ 32 Abs. 3 StaRUG) sowie die unverzügliche Anzeige der fehlenden Aussicht auf Umsetzung (§ 32 Abs. 4 StaRUG) vorgeben. Zweck der Norm ist die Sicherung des ordnungsgemäßen Ablaufs der Restrukturierungssache und die Wahrung der Gläubigerinteressen. So soll eine Verzögerung und Verschleppung der Krisenbewältigung durch die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens und damit eine Gläubigergefährdung vermieden werden.

Schwerwiegend ist ein Verstoß, durch den die Gläubigerinteressen gefährdet werden.65 Das 26 wird z.B. der Fall sein, wenn wesentliche Änderungen durch den Schuldner nicht angezeigt werden und infolgedessen das Vertrauen in den Schuldner deutlich verringert ist.66 Kann der Restrukturierungsschuldner die Einhaltung seiner Pflichten aus § 32 StaRUG nicht in der geforderten Art und Weise und damit die plangemäße und gewissenhafte Umsetzung des Restrukturierungsvorhabens gewährleisten, ist die Aufhebung der Restrukturierungssache als Sanktion notwendige Folge.67 § 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG bezieht sich auf bestimmte Anzeigepflichten und ist daher gegenüber § 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG als lex specialis vorrangig.68 Auch hier ist das Gericht nicht zu anlasslosen Amtsermittlungen verpflichtet.69 Eine derartige laufende Überwachung des Verfahrens bleibt einem Restrukturierungsbeauftragten vorbehalten.70

4. Frühere Restrukturierungssache (§ 33 Abs. 2 Nr. 4 StaRUG) Das Gericht hebt die Restrukturierungssache in bestimmten Fällen auch aufgrund einer frü- 27 heren Restrukturierungssache auf. Die Aufhebung erfolgt nicht allein aufgrund einer solchen früheren Restrukturierungssache, sondern sie knüpft daran an, dass in diesem ersten Verfah-

65 Beispiele einzelner schwerwiegender Verstöße s. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 40 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 66 Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 53. 67 BT-Drucks. 19/24181, S. 140; hierzu Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 33 StaRUG Rz. 10; Haffa/ Schuster in Braun, 2021, § 33 StaRUG Rz. 22. 68 Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 33 StaRUG Rz. 24 f.; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 37 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 69 Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 54; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 39 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 70 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 39 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Herding/Krafczyk | 537

§ 33 Rz. 27 | Aufhebung der Restrukturierungssache ren eine der enumerativ aufgezählten aufhebungsrelevanten Entscheidungen ergangen ist (vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. a und Buchst. b StaRUG).71 Zu den aufhebungsrelevanten Entscheidungen gehört es, wenn der Schuldner in einer früheren Restrukturierungssache eine Stabilisierungsanordnung oder eine Planbestätigung erwirkt hat oder eine Aufhebung nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG aufgrund eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die bestehenden Mitwirkungs- und Auskunftspflichten oder nach § 33 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG aufgrund eines schwerwiegenden Pflichtenverstoßes erfolgt ist. Unter Berücksichtigung des § 33 Abs. 2 Satz 4 StaRUG erfolgt eine Aufhebung auch aufgrund eines zuvor in Eigenverwaltung geführten Insolvenzverfahrens. Voraussetzung der Aufhebung ist zudem, dass der Verfahrensgegenstand identisch ist, d.h. bei dem jetzigen und dem früheren Restrukturierungsvorhaben muss es sich im Wesentlichen um dasselbe handeln. Der Verfahrensgegenstand ist aus dem Inhalt der Anzeige (§ 31 StaRUG) zu bestimmen.72 Neben dieser sachlichen Begrenzung gibt es keine zeitliche Begrenzung, eine Sperre kann sich daher nicht nur aus dem jeweils letzten Verfahren, sondern allen bisherigen Verfahren ergeben.73 28 § 33 Abs. 2 Nr. 4 StaRUG dient dazu, eine unredliche, wiederholte Inanspruchnahme des

Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens zu verhindern, wenn doch andernfalls etwa die Umgehung der Höchstdauer einer Stabilisierungsanordnung drohte.74 Ein wiederholter Einstieg soll erst dann zulässig sein, wenn der Anlass für die frühere Restrukturierungssache infolge einer nachhaltigen Sanierung bewältigt wurde. Damit wird in Abstimmung mit Art. 4 Abs. 4 Restrukturierungs-RL ein Konzept geschaffen, die maximale Anzahl an Restrukturierungsversuchen unter dem Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen zu begrenzen. Insoweit wurde keine starre Fristenregelung bemüht, sondern eine Regelvermutung getroffen, der zufolge eine Wiederholung in kurzer Zeit nicht für die Qualität der Vorbereitung und des Verfahrens (insgesamt) spricht und eine nachhaltige Sanierung mindestens 3 Jahre benötigt.75 Entsprechend soll den planbetroffenen Gläubigern nach der Intention des Gesetzgebers nicht zugemutet werden, mit erneutem Eintritt in einen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen das Risiko einer wiederholt gescheiterten Sanierung und damit weiteren Verschlechterung der Position der Gläubiger hinzunehmen.76

29 Die Aufhebung ist ausgeschlossen, wenn zwischenzeitlich eine nachhaltige Sanierung einge-

treten ist.77 Sanierung meint dabei den Wegfall des Grundes der früheren Unternehmenskrise.78 Hinsichtlich der Nachhaltigkeit gibt der Gesetzgeber aus, dass eine solche im Zweifel nicht gegeben ist, wenn seit dem Ende des Anordnungszeitraums oder der Entscheidung über den Antrag auf Planbestätigung in der früheren Restrukturierungssache weniger als drei Jahre vergangen sind.79 Will der Schuldner also vor Ablauf von drei Jahren erneut in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen einsteigen, trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast für die Widerlegung der Vermutung, dass eine nachhaltige Restrukturierung zwischenzeitlich nicht eingetreten ist. Denkbar ist, dass die Restrukturierungssache im Anschluss an einen Zeitraum von drei Jahren aufgehoben wird, weil sich auch ohne Vermutungsregelung bereits 71 72 73 74 75 76 77 78 79

Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 56. Ausf. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 45 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). In diese Richtung Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 57 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 140; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 33 StaRUG Rz. 11; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 33 StaRUG Rz. 26; Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 55. Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 33 StaRUG Rz. 12, Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 33 StaRUG Rz. 27; Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 33 StaRUG Rz. 24; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 41 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 33 StaRUG Rz. 12. Zum Begriff der nachhaltigen Sanierung Herding/Hoegen in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 36 f. Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 58. BT-Drucks. 19/24181, S. 140.

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Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung | § 34

aus den Umständen ergibt, dass es sich um dieselbe Krise handelt, die in keinem Zeitpunkt behoben wurde.80

IV. Unterbleiben der Aufhebung (§ 33 Abs. 3 StaRUG) Das Verhältnis der Aufhebung eines Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens zur Auf- 30 hebung einer in diesem Verfahren ergangenen Stabilisierungsanordnung ist in § 33 Abs. 3 StaRUG geregelt. Danach unterbleibt die Aufhebung der Restrukturierungssache, solange das Gericht von einer Aufhebung einer Stabilisierungsanordnung gem. § 59 Abs. 3 StaRUG abgesehen hat. Solange die gerichtliche Stabilisierungsanordnung geboten erscheint, um im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger einen geordneten Übergang in ein Insolvenzverfahren zu gewährleisten, wird also im Sinne eines Gleichlaufs von der Aufhebung der Restrukturierungssache abgesehen.81 Dabei steht dem Gericht auch insoweit kein Ermessen zu.82 Es handelt sich hierbei um eine kurze Übergangsregelung: Der Schuldner hat innerhalb einer durch das Restrukturierungsgericht gesetzten Frist von höchstens drei Wochen, dem Gericht die Beantragung eines Insolvenzverfahrens nachweisen, nach Ablauf dieser Frist ist die Stabilisierungsanordnung aufzuheben (§ 59 Abs. 3 Satz 2 und 3 StaRUG) und schließlich kann auch die Aufhebung der Restrukturierungssache erfolgen.

V. Rechtsmittel (§ 33 Abs. 4 StaRUG) Dem Schuldner steht gegen die Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 Abs. 1–3 31 StaRUG die sofortige Beschwerde zu (§ 33 Abs. 4, § 40 Abs. 1 Satz 1 StaRUG), weil die Aufhebung ihm die Inanspruchnahme von Instrumenten verwehrt.83

§ 34 Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung (1) 1Für Entscheidungen in Restrukturierungssachen ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Oberlandesgericht seinen Sitz hat, als Restrukturierungsgericht für den Bezirk des Oberlandesgerichts ausschließlich zuständig. 2Ist dieses Amtsgericht nicht für Regelinsolvenzsachen zuständig, so ist das Amtsgericht zuständig, das für Regelinsolvenzsachen am Sitz des Oberlandesgerichts zuständig ist. (2) 1Die Landesregierungen werden ermächtigt, zur sachdienlichen Förderung oder schnelleren Erledigung von Restrukturierungssachen durch Rechtsverordnung 1. innerhalb eines Bezirks die Zuständigkeit eines anderen, für Regelinsolvenzsachen zuständigen Amtsgerichts zu bestimmen oder 2. die Zuständigkeit eines Restrukturierungsgerichts innerhalb eines Landes zusätzlich auf den Bezirk eines oder mehrerer weiterer Oberlandesgerichte zu erstrecken. 80 Insg. Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 33 StaRUG Rz. 12; ergänzend Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 59; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 50 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 81 Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 33 StaRUG Rz. 2, 61. 82 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 76 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); außerdem Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 33 StaRUG Rz. 30. 83 Ausführlich Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 78 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 34 Rz. 1 | Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung 2Die

Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. 3Mehrere Länder können die Errichtung gemeinsamer Abteilungen eines Amtsgerichts für Restrukturierungssachen oder die Ausdehnung von Gerichtsbezirken für Restrukturierungssachen über die Landesgrenzen hinaus vereinbaren. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Regelungsgegenstand und Normzweck . II. Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. AG als Restrukturierungsgericht (§ 34 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . a) AG als Restrukturierungsgericht . . . . . b) AG als Restrukturierungsgericht am Sitz des OLG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausschließliche Zuständigkeit . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prüfung von Amts wegen/Verweisung . . . 4. Funktionelle Zuständigkeit . . . . . . . . . . . .

1 5 11 11 11 15 17 17 18 22 25

IV. Ermächtigung des Landesgesetzgebers für abweichende Bestimmungen (§ 34 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung eines anderen Gerichts (§ 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . 2. Weitere Konzentration innerhalb eines Bundeslandes (§ 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konzentration über ein Bundesland hinaus (§ 34 Abs. 2 Satz 3 StaRUG) . . . . . . V. Derzeitige Restrukturierungsgerichte . .

27 29 31 33 35

I. Regelungsgegenstand und Normzweck 1 Ähnlich, wie die §§ 2, 3 InsO für das Insolvenzgericht,1 regeln die §§ 34, 35 StaRUG die (aus-

schließliche) sachliche und örtliche Zuständigkeit des Restrukturierungsgerichts. § 34 Abs. 1 StaRUG bestimmt die ausschließliche sachliche Zuständigkeit: Es sind erstinstanzlich (nur) die AG für Restrukturierungssachen zuständig (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG).

2 Dabei ist grundsätzlich dasjenige AG zuständig, in dessen Bezirk ein OLG seinen Sitz hat.

Grundmodell ist daher, dass die Zuständigkeit des Restrukturierungsgerichts dem Bezirk des OLG, das im Bezirk des AG seinen Sitz hat, entspricht. Die Zuständigkeit ist damit auf Ebene der OLG konzentriert. Möglich ist, innerhalb eines Bezirks die Zuständigkeit eines anderen, nicht aber eines weiteren (zusätzlichen) AG zu bestimmen (§ 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG). In Hinblick auf kleinere OLG-Bezirke kann sich weitergehend die Zuständigkeit eines Restrukturierungsgerichts innerhalb eines Landes zusätzlich auf den Bezirk eines oder mehrerer weiterer OLG erstrecken (§ 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG). § 34 Abs. 2 Satz 3 StaRUG erlaubt sogar einen Zuständigkeitsbereich über ein Bundesland hinaus.

3 Damit wurde in Restrukturierungssachen bewusst eine weitreichende Zentralisierung be-

wirkt.2 Die Bündelung der Fälle soll gewährleisten, dass sie dauerhaft sachgerecht, professionell, effizient und ihrer rechtlichen sowie wirtschaftlichen Komplexität gerecht werdend bearbeitet werden.3 1 Vgl. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 2 InsO Rz. 1 (Stand: November 2017); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 1. 2 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 34 StaRUG Rz. 1; Gehrlein, BB 2021, 66, 72. 3 BT-Drucks. 19/24181, S. 141; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Baumert in Braun, § 34 StaRUG Rz. 1; Laroche in Flöther, § 34 StaRUG Rz. 2; Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 2; Biendl in Desch, Das neue RestruktR, § 2 Rz. 37; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 34 StaRUG Rz. 5; Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, § 5 Rz. 45; Vallender, NZI-Beilage 2021, 30. Ähnlich wird die Konzentration der Insolvenzsachen auf bestimm-

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Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung | Rz. 5 § 34

Die Zuständigkeitsregelung hat Bedeutung auch für die Zuständigkeit für Klagen aus dem 4 rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplan in Zusammenhang mit der Vollstreckung (§ 71 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, § 202 InsO)4 und für Klagen, die sich auf Restrukturierungssachen nach dem StaRUG beziehen (§ 19b Abs. 1 ZPO; beachte dazu auch § 71 Abs. 2 Nr. 6 GVG).5 Dabei umfasst der ausschließliche Gerichtsstand6 des § 19b Abs. 1 ZPO (wie § 71 Abs. 2 Nr. 6 GVG)7 alle bürgerlich-rechtlichen Ansprüche unmittelbar aus dem StaRUG gegen Verfahrensbeteiligte wie etwa Schadensersatzansprüche nach § 43 Abs. 1 Satz 2, § 57, 66 Abs. 5 Satz 3, § 75 Abs. 4 Satz 3 StaRUG (ggf. i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB), darüber hinaus aber auch Ansprüche, die sich ihrerseits aus einem Anspruchs aus dem StaRUG ergeben, wie z.B. Ansprüche zwischen Haftenden aus Gesamtschuldnerausgleich.8 Die Zuständigkeit für die Anordnung von Vollstreckungshandlungen (und für Vollstreckungserinnerungen) und Mitwirkung bei bleibt dagegen unberührt und gehört zur Zuständigkeit der Amtsgerichte als Vollstreckungsgerichte (§ 764 Abs. 1 ZPO); deren funktionelle Zuständigkeit ist eine ausschließliche (§ 802 ZPO).9

II. Historie Art. 10 Restrukturierungs-RL bestimmt, dass die Bestätigung eines Sanierungsplans durch 5 eine Justiz- oder Verwaltungsbehörde („judicial or administrative authorities“) zu erfolgen hat. Das lässt den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung, welche Behörde nach nationalen Recht zuständig wird, großen Freiraum.10 Entsprechend breit war das Meinungsbild zur deutschen Umsetzung.11 Einigkeit bestand darin, dass ein Gericht zuständig werde.12 Dabei dachten einige Autoren an einen Senat beim OLG, andere an eine Kammer für Handelssachen beim LG und wohl die meisten an das AG.13 Letztere Auffassung überzeugt wegen der offenkundigen Parallelen zwischen dem Restrukturierungsverfahren und dem Insolvenz(plan)verfahren,14 aber auch wegen der erwartbaren Synergieeffekte auch bei den Rechtspflegern (s. § 3 Nr. 2e,

4

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

te AG begründet, vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 109; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 2 InsO Rz. 3; Madaus in BeckOK/InsR, § 2 InsO Rz. 3 (Stand: 15.4.2022); Schmerbach in FK/InsO, § 2 InsO Rz. 9; Rüther in HambKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 16 f.; Sternal in Kayser/Thole, § 2 InsO Rz. 3; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 2 InsO Rz. 6 (Stand: November 2017); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 2, 4; Pape in Uhlenbruck, § 2 InsO Rz. 1; zuletzt Bericht der Ständigen Deputation des Deutschen Restrukturierungs- und Insolvenzgerichtstags (DRIT), ZInsO 2022, 1850, 1851 f. Wilke in BeckOK/StaRUG, § 71 StaRUG Rz. 28; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Bauch in Braun, § 71 StaRUG Rz. 4; Naumann in Flöther, § 71 StaRUG Rz. 8; Martini in HambKomm/RestruktR, § 74 StaRUG Rz. 10; Blankenburg in Morgen, § 71 StaRUG Rz. 20. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Toussaint in BeckOK/ ZPO, § 19b ZPO Rz. 1 (Stand: 1.7.2022); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 34 StaRUG Rz. 34 ff.; Bey in Prütting/Gehrlein, § 19b ZPO Rz. 2; Schultzky in Zöller, § 19b ZPO Rz. 1. Heinrich in Musielak/Voit, § 19b ZPO Rz. 5. Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 189 f.; Schultzky in Zöller, § 19b ZPO Rz. 4. So Toussaint in BeckOK/ZPO, § 19b ZPO Rz. 3 (Stand: 1.7.2022). Heßler in MünchKomm/ZPO, § 764 ZPO Rz. 19; Seibel in Zöller, § 764 ZPO Rz. 7. Garcimartin in Paulus/Dammann, Art. 10 RL (EU) 2019/1023 Rz. 9. Zum Folgenden Deppenkemper, ZIP 2020, 1041, 1048 f.; Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2436; ferner Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 7. Albrecht, ZInsO 2019, 1813, 1817; Deppenkemper, ZIP 2020, 1041, 1048; Flöther, ZInsO 2019, 1582, 1585 f.; Fritz/Scholtis, BB 2019, 2051, 2057; Vallender, NZI-Beilage 2019, 71, 72. Vgl. Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 226, 235; Skauradszun, KTS 2019, 161, 169 f.; Thole, ZIP 2017, 101, 109; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991; Vallender, NZI-Beilage 2019, 71, 72. Vallender, MDR 2021, 201, 205.

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§ 34 Rz. 5 | Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung § 18 Abs. 4 RPflG), der Geschäftsstelle15 und nicht zuletzt auch bezüglich der bei fortschreitender Digitalisierung immer wichtiger werdenden technischen Hilfsmittel.16 Angesichts der sehr wenigen Verfahren, die im Jahre 2021 bei Gericht angezeigt worden sind, entspräche es nicht der geforderten Effizienz, sie bei Gerichten anzusiedeln, an denen mit vergleichbaren Verfahren allenfalls wenig Erfahrung besteht.17 6 Für die weitere Umsetzung war ein Grundgedanke, dass die „nach wie vor negativ konnotierte

Publizität von Insolvenzverfahren und die mit ihr einhergehenden Reputationskosten18 für das Restrukturierungsverfahren zu vermeiden war. Darum wurde das Verfahren nicht in die Insolvenzordnung integriert und heißt das zuständige Gericht nicht „Insolvenzgericht“. Wenn, was wohl unstreitig ist, das Stigma der Insolvenz (vgl. ErwGr. 72 RestrukturierungsRL) bisweilen verhindert, dass angemessen frühzeitig Eigenanträge gestellt werden (vgl. ErwGr. 3 Restrukturierungs-RL), und der Begriff „Insolvenz“ einen negativ belegten Bedeutungsrahmen mit gedanklichen Verknüpfungen zu finanziellem und sozialem Tod spannt, sollte er vermieden und der sog. Framing-Effekt mit positiv konnotierten Begriffen wie Sanierung und Restrukturierung aktiviert werden. Dazu wurde vorgeschlagen, die Restrukturierungssachen den AG zuzuweisen, aber bewusst abgesetzt vom „normalen“ Geschäftsbetrieb regionale Kompetenzzentren für Restrukturierungsverfahren aufzubauen.19 Das sollte ermöglichen, einerseits durch eine gewisse Konzentration eine Mindestzahl an Verfahren und einen entsprechenden Arbeitskraftanteil der eingesetzten Richter zu gewährleisten, so dass diese aus Erfahrungen lernen könnten, andererseits aber aufgrund der Ortsnähe die Eintrittsschwelle für die kleineren und mittleren Unternehmen, die die Restrukturierungslinie ganz besonders im Blick hat, gering zu halten20 und die Expertise der Richter vor Ort fruchtbar zu machen.21

7 In diese Richtung ging auch die Stellungnahme des Bundesrats, der dem heutigen § 34 Abs. 2

StaRUG eine Nr. 3 hinzufügen wollte, wonach möglich wäre, andere oder zusätzliche für Insolvenzsachen zuständige AG zu Restrukturierungsgerichten zu bestimmen und die Bezirke der Restrukturierungsgerichte abweichend festzulegen.22 Eine sachgerechte, professionelle, effiziente und ihrer rechtlichen sowie wirtschaftlichen Komplexität gerecht werdende Bearbeitung von Restrukturierungssachen sei auch zu erwarten, wenn mehrere oder alle Insolvenzgerichte zugleich Restrukturierungsgerichte seien. Zudem gebe es in einem Oberlandesgerichtsbezirk häufig mehrere örtlich getrennte Wirtschaftsschwerpunkte.23 Laut ihrer Gegenäußerung wollte die Bundesregierung den Vorschlag prüfen, verwies aber darauf, dass nur dann, wenn ausreichende Fallzahlen erreicht werden, die nötigen Erfahrungen gesammelt werden können.24

8 Dabei war die Diskussion eng verwoben mit der seit Jahren in verschiedenen Facetten dis-

kutierten Frage einer Zuständigkeitskonzentration der Insolvenzgerichte (vgl. § 2 InsO), die durch das Gutachten zur ESUG-Evaluierung,25 auch unter dem Schlagwort „Großes Insol-

15 Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2436; Vallender, NZI-Beilage 2019, 71, 72; Vallender, NZI-Beilage 2021, 30. 16 Vgl. zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 2. 17 Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B Rz. 2. 18 BT-Drucks. 19/24181, S. 84. 19 Deppenkemper, ZIP 2020, 1041, 1049. 20 Vgl. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 34 StaRUG Rz. 12. 21 Vgl. Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2436; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2580; Vallender, MDR 2021, 201, 205. 22 Stellungnahme des Bundesrates v. 27.11.2020, Ziff. 9, BT-Drucks. 19/24903, S. 5; vgl. Baumert in Braun, § 34 StaRUG Rz. 5. 23 Stellungnahme des Bundesrates v. 27.11.2020, Ziff. 9, BT-Drucks. 19/24903, S. 5. 24 Gegenäußerung der Bundesregierung v. 2.12.2020 zu Nr. 9, BT-Drucks. 19/24903, S. 18. 25 Vgl. BT-Drucks. 19/4880, S. 27 ff.; vgl. auch Pape, ZInsO 2018, 2725, 2733 f.

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Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung | Rz. 9 § 34

venzgericht“, weitere Impulse erhielt.26 Schon Art. 1 Nr. 1 Nr. 1 RegE-ESUG sah vor, die Befugnis der Landesregierungen nach § 2 Abs. 2 InsO, zusätzliche AG zu Insolvenzgerichten zu bestimmen, einzuschränken.27 Der Vorstoß ist am Widerspruch des Bundesrat gescheitert.28 Hier wollte der Gesetzentwurf eine Empfehlung der ESUG-Evaluierung aufgreifen und die Ermächtigung nach § 2 Abs. 2 InsO auf Verbraucherinsolvenzverfahren und die besonderen Arten des Insolvenzverfahrens des Elften Teils der InsO beschränken (Art. 5 Nr. 1b SanInsFoG), und durch Streichung der Wörter „oder zusätzliche“ in § 2 Abs. 1 InsO (Art. 5 Nr. 1b SanInsFoG)29 erreichen, dass nur ein Insolvenzgericht je Landgerichtsbezirk für Unternehmensinsolvenzen zuständig wäre.30 Der Bundesrat trat dem entgegen. Entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip solle es den Ländern überlassen bleiben, in welchem Maße sie die von der Insolvenzordnung grundsätzlich vorgesehene Konzentration der Insolvenzgerichte umsetzen, zumal die ESUG-Evaluierung die Konzentration bei maximal einem Gericht je Landgerichtsbezirk nur für die ESUG-Verfahren empfehle.31 Zudem habe sich an den Insolvenzgerichten eine spezifische Expertise und Kenntnisse von den örtlichen Gegebenheiten herausgebildet, die weiter genutzt werden solle, auch damit in der Corona-Krise auf bewährte Strukturen zurückgegriffen werden könne. Auch sei die erforderliche personelle Verstärkung der Gerichte, wenn es einer Konzentration käme, vielerorts schon räumlichen unmöglich. Bei Wegfall der zusätzlichen Insolvenzgerichte drohten erhebliche negative Auswirkungen auf die Standortattraktivität, den ländlichen Raum, den Zugriff auf qualifiziertes Personal, die Gebäudeversorgung, die Erreichbarkeit der Justiz und die Bürgernähe.32 Auch diesen Vorschlag wollte die Bundesregierung prüfen, anerkannte den Wunsch, die Insolvenzgerichte in der Fläche bürger- und wirtschaftsnah zu verankern, gab aber zu bedenken, dass bei einigen Insolvenzgerichten pro Jahr regelmäßig weniger als 40 Unternehmensinsolvenzverfahren eröffnet würden, so dass hier eine Zuständigkeitskonzentration die Professionalisierung fördere.33 Im Ergebnis wurde zur Insolvenzordnung mit der Streichung der auf eine Zuständigkeitskon- 9 zentration für Regelinsolvenzverfahren zielenden Entwurfsregelung der Forderung des Bundesrats entsprochen34 und für die Restrukturierungsverfahren am ursprünglichen Konzept festgehalten und (ohne weitere Begründung) klargestellt, dass die Zuständigkeit eines Restrukturierungsgerichts auch im Wege der Rechtsverordnung nur einem AG zugewiesen werden kann (vgl. § 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG).35 Gefolgt ist die Bundesregierung dem Vorschlag, eine noch weitergehende Konzentration nach den Vorbildern in § 3 Abs. 2 FGO und § 3 Abs. 2

26 Beispielhaft Schmerbach in FK/InsO, Vor §§ 1 ff. InsO Rz. 109, 111; Frind in HambKomm/InsO, § 56 InsO Rz. 10; Beth, ZInsO 2017, 152, 154 f.; Blankenburg, ZInsO 2017, 241, 252 f.; Büttner, ZRP 2019, 51; Büttner, ZInsO 2017, 13, 20; Bogumil, NZI 2018, 774; Frind/Pollmächer, ZInsO 2016, 1290, 1295; Goetker/Schulz, ZIP 2016, 2095, 2107; Lissner, ZInsO 2018, 2621; Madaus, NZI 2017, 329, 334; Schmerbach, ZInsO 2010, 1670; zuletzt Bericht der Ständigen Deputation des Deutschen Restrukturierungs- und Insolvenzgerichtstags (DRIT), ZInsO 2022, 1850, 1852. 27 BT-Drucks. 17/5712, S. 19; vgl. Madaus in BeckOK/InsR, § 2 InsO Rz. 29.1 (Stand: 15.4.2022). 28 BT-Drucks. 17/5712, S. 50 f.; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 2 InsO Rz. 7 f. (Stand: November 2017); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 34 StaRUG Rz. 26. 29 Zu Art. 5 Nr. 1 SanInsFoG BT-Drucks. 19/24181, S. 56, 191. 30 Beispielsweise zustimmend Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2436; Frind, NZI 2020, 865, 866; ablehnend Deutscher Richterbund, Stellungnahme 10/20 (Oktober 2020), B.4; Lissner, ZInsO 2020, 2249, 2252. 31 Stellungnahme des Bundesrates v. 27.11.2020 Ziff. 21, BT-Drucks. 19/24903, S. 12. 32 Stellungnahme des Bundesrates v. 27.11.2020 Ziff. 21, BT-Drucks. 19/24903, S. 13. 33 Gegenäußerung der Bundesregierung v. 2.12.2020 zu Nr. 21, BT-Drucks. 19/24903, S. 20. 34 So ausdrücklich Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/25353, S. 11 (zu Art. 5 Nr. 1 Restrukturierungs-RL alt). 35 Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/25353, S. 8 (zu § 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG); vgl. Baumert in Braun, § 34 StaRUG Rz. 5.

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§ 34 Rz. 9 | Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung VwGO zu ermöglichen.36 Daher wurde § 34 Abs. 2 Satz 3 StaRUG eingefügt, so dass mehrere Länder die Errichtung gemeinsamer Abteilungen eines AG für Restrukturierungssachen oder die Ausdehnung von Gerichtsbezirken für Restrukturierungssachen über die Landesgrenzen hinaus vereinbaren können.37 10 Die Eingangszahlen in Restrukturierungssachen blieben im Jahre 2021 hinter den Erwartun-

gen – die besondere Eile, mit der das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen wurde, hatte zum Hintergrund, dass zum 1.1.2021 die Restrukturierungshilfen (§ 29 StaRUG) zur Verfügung stehen sollten und Bedarf erwartet wurde – zurück. Insgesamt wurden überhaupt nur 22 Verfahren angezeigt (§ 31 Abs. 1 StaRUG), hinzukamen fünf Sanierungsverfahren. In vier Restrukturierungsverfahren wurde ein Plan bestätigt, drei Sanierungsverfahren mündeten in einen Sanierungsvergleich.38

III. AG als Restrukturierungsgericht (§ 34 Abs. 1 StaRUG) 1. Sachliche Zuständigkeit a) AG als Restrukturierungsgericht 11 Die Normen zur gerichtlichen Zuständigkeit regeln die Befugnis und Verpflichtung eines Ge-

richts oder Rechtspflegeorgans, in einem konkreten Fall eine bestimmte Rechtspflegeaufgabe wahrzunehmen.39 Die sachliche Zuständigkeit betrifft die Abgrenzung der Zuständigkeit erster Instanz nach der Art des Streitgegenstandes.40 Das StaRUG als dem Zivilrecht zugeordnete Materie ist verfahrensmäßig der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen. Gerichtsorganisatorisch gilt daher das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Nach § 27 GVG wird die Zuständigkeit und der Geschäftskreis der AG auch durch die Vorschriften „der Prozeßordnungen bestimmt“. Eine solche Verfahrensordnung enthält das StaRUG.41 Für Restrukturierungssachen regelt § 34 Abs. 1 Satz 1 StaRUG, dass ausschließlich die AG sachlich zuständig sind.42 Das umfasst (nur) alle dem Gericht als solchem erstinstanzlich nach dem StaRUG zugewiesene Aufgaben, insbesondere Entscheidungen (zur sofortigen Beschwerde s. § 40 StaRUG). Der Gesetzgeber folgte der überwiegenden und überzeugenden Auffassung in der Literatur (Rz. 5), dass die funktionale und inhaltliche Ähnlichkeit von Restrukturierungs-und Insolvenzsachen für eine Zuweisung der Restrukturierungssachen an die AG spreche.43 Das Restrukturierungsgericht ist demnach die mit Einzelrichtern (§ 22 Abs. 1 GVG) besetzte Abteilung des AG, die nach dem Geschäftsverteilungsplan für Restrukturierungsverfahren zuständig ist.44 Annexstreitigkeiten sind nicht erfasst.

36 Stellungnahme des Bundesrates v. 27.11.2020 Ziff. 10, BT-Drucks. 19/24903, S. 5. 37 Gegenäußerung der Bundesregierung v. 2.12.2020, BT-Drucks. 19/24903, S. 18; Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303, 40, mit gesondertem Bericht v. 16.12.2020 (BT-Drucks. 19/25353, S. 8); vgl. Baumert in Braun, § 34 StaRUG Rz. 6. 38 Zahlen nach INDat 01/2022, 75 ff.; vgl. auch Madaus, NZG 2022, 385. 39 Vgl. Wöstmann in MünchKomm/ZPO, § 1 ZPO Rz. 2. 40 Vgl. Schultzky in Zöller, § 1 ZPO Rz. 5. 41 Zum Insolvenzverfahren Gerhardt in Jaeger, § 2 InsO Rz. 15. 42 Laroche in Flöther, § 34 StaRUG Rz. 1. 43 BT-Drucks. 19/24181, S. 141; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Baumert in Braun, § 34 StaRUG Rz. 1; Laroche in Flöther, § 34 StaRUG Rz. 1; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 34 StaRUG Rz. 2 f., 9; Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 7; Römer in Nerlich/Römermann, § 34 StaRUG Rz. 4 f. (Stand: November 2021); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 34 StaRUG Rz. 16. 44 Vgl. zum „Insolvenzgericht“ Gerhardt in Jaeger, § 2 InsO Rz. 32; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 4.

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Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung | Rz. 14 § 34

Nach seiner systematischen Stellung in Teil 2 des StaRUG gilt § 34 StaRUG nicht unmittelbar 12 für die Sanierungsmoderation. § 94 Abs. 3 StaRUG, wonach der Antrag auf Bestellung eines Sanierungsmoderators an das für Restrukturierungssachen zuständige Gerichte zu richten ist, zeigt jedoch, dass das Restrukturierungsgericht als solches – wie auch die Zuständigkeit nach § 97 Abs. 1 Satz 1 StaRUG belegt – auch für die Sanierungsmoderation zuständig ist.45 Das ist angesichts des in § 100 StaRUG angesprochenen möglichen Übergangs der Sanierungsmoderation in den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen auch sinnvoll.46 Entsprechend der Anzahl bestehender OLG sind derzeit 24 Restrukturierungsgerichte er- 13 richtet (Übersicht: Rz. 36). Nach § 22 Abs. 1, 4 GVG erledigt grundsätzlich jeder Richter beim AG die ihm obliegenden Geschäfte als Einzelrichter. Der Einzelrichter am AG ist (selbständiger) Spruchkörper; seine Aufgaben werden ihm vom Präsidium im Geschäftsverteilungsplan gem. § 21e GVG übertragen.47 Erwartungsgemäß wurden die nach dem Geschäftsverteilungsplan für Restrukturierungssachen zuständigen Spruchkörper ganz überwiegend mit Richtern besetzt, die bereits als Insolvenzrichter tätig waren.48 Insgesamt sind etwa 80 Richter als Restrukturierungsrichter eingesetzt. Angesichts der bisherigen Zahl von nur 22 Verfahren im Jahre 2021 (Rz. 10) dürfte es dem angestrebten Kompetenzerwerb dienen, wenn an größeren Gerichten die Restrukturierungsverfahren nicht auf alle Insolvenzrichter verteilt werden.49 Weitere Synergien lassen sich schaffen, wenn der zunächst zuständige Restrukturierungsrichter auch als Insolvenzrichter für ein mögliches anschließendes Insolvenzverfahren zuständig ist.50 Gemäß Art. 25 Buchst. a Restrukturierungs-RL (mit ErwGr. 85 Satz 3 und 4) sollen die Mit- 14 gliedstaaten sicherstellen, dass die bei Gericht mit Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren Befassten eine angemessene Ausbildung erhalten und die für ihre Zuständigkeiten erforderliche Sachkunde haben (vgl. Art. 81 Abs. 2 Buchst. h AEUV).51 Schon diese Formulierung ist wenig konkret und lässt bewusst erheblichen Interpretationsspielraum;52 der Verordnungsgeber denkt an die Einrichtung von Fachgerichten oder -kammern oder die Ernennung von Fachrichtern sowie die Bündelung der Zuständigkeit (ErwGr. 86 Satz 3). Sanktionen sind nicht vorgesehen.53 Zudem kann die geforderte Sachkunde während der Ausübung der dienstlichen Tätigkeit erworben werden (ErwGr. 85 Satz 5), wobei diese auch nicht ausschließlich Restrukturierungs- oder Insolvenzsachen umfassen muss (ErwGr. 86 S. 1).54 Das setzt § 22 Abs. 6 GVG um,55 der eine gesetzliche Ausbildungsverpflichtung, nicht eine Fortbildungsverpflichtung beinhaltet:56 Restrukturierungssachen darf am AG ein Richter auf Probe im ersten Jahr nach seiner Ernennung nicht wahrnehmen (§ 22 Abs. 6 Satz 1 GVG). Der Richter soll

45 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Blümle/Erbe in Braun, § 94 StaRUG Rz. 3; Swierczok/Schubert in Flöther, § 94 StaRUG Rz. 2; Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 6; Ziegenhagen in Morgen, § 94 StaRUG Rz. 55. 46 Hänel in BeckOK/StaRUG, § 94 StaRUG Rz. 10. 47 Pabst in MünchKomm/ZPO, § 22 GVG Rz. 3. 48 Böhm in Runkel/Schmidt, Anwalts-Hdb. InsR, § 2 Rz. 11. Vgl. die Übersichten bei INDat 01/2022, 76 ff.; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 34 StaRUG Rz. 30. 49 Laroche in Flöther, § 34 StaRUG Rz. 4. 50 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 6.1 (Stand: 5. Ed 17.7.2022). 51 Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 34 StaRUG Rz. 4 f. 52 Vgl. Corno in Paulus/Dammann, Art. 25 RL (EU) 2019/1023 Rz. 6. 53 Corno in Paulus/Dammann, Art. 25 RL (EU) 2019/1023 Rz. 10. 54 Deppenkemper, ZIP 2020, 1041, 1049. 55 Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 34 StaRUG Rz. 9; kritisch zur Umsetzung Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Frind, ZInsO 2020, 2241, 2244; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2582. 56 Niesler in BeckOK/GVG, § 22 GVG Rz. 24 (Stand: 15.5.2022), a.A. Lückemann in Zöller, § 22 GVG Rz. 10 mit Verweis auf RegE BT-Drucks. 17/5712.

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§ 34 Rz. 14 | Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung über belegbare Kenntnisse auf den Gebieten des Insolvenzrechts, des Restrukturierungsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts sowie über Grundkenntnisse der für das Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren notwendigen Teile des Arbeits-, Sozial- und Steuerrechts und des Rechnungswesens verfügen.57 Dabei reicht allerdings schon aus, dass der Erwerb der Kenntnisse alsbald zu erwarten ist (§ 22 Abs. 6 Satz 2, 3 GVG).58 Der Justizverwaltung obliegt also, adäquate (belegbare)59 Fortbildungsveranstaltungen auf Kosten der Justiz anzubieten, damit den hohen fachlichen Anforderungen, die der Gesetzgeber erkennt,60 entsprochen werden kann.61 Das erfolgt – wie in Insolvenzsachen62 – unzureichend.63 Der Verweis auf ein Eigenstudium genügt nicht.64 Komplexe Fragen wie die der Versagungsgründe nach § 63 StaRUG bedürften intensiver Schulung und geförderter Möglichkeiten des intensiven Austausches (z.B. auf Fachtagungen) in der Praxis.65 Auch wenn die Voraussetzungen des § 22 Abs. 6 GVG nicht vorliegen, liegt aber kein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vor;66 der Verstoß bleibt sanktionslos.67 Für die Beschwerde (LG) oder Rechtsbeschwerde (BGH) gilt § 22 GVG nicht; immerhin besteht am LG inzwischen aufgrund von § 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG eine Spezialzuständigkeit.68 Die für Insolvenzsachen zuständigen Kammern bei den LG (vgl. § 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG, § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. k ZPO) und die entsprechend spezialisierten OLG-Senate (§ 119a Abs. 1 Nr. 7 GVG) werden, soweit ersichtlich, durchweg auch mit der Zuständigkeit für Beschwerden und Ansprüche nach dem StaRUG (§§ 71 Abs. 2 Nr. 6 GVG)69 betraut. b) AG als Restrukturierungsgericht am Sitz des OLG 15 Es sind, soweit weder eine Zuständigkeitsverordnung nach § 34 Abs. 2 StaRUG greift, noch der

Sonderfall des § 34 Abs. 1 Satz 2 StaRUG vorliegt, die AG als Restrukturierungsgerichte berufen, in dessen Bezirk ein OLG seinen Sitz hat (§ 34 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Dort sind – wie für Insolvenzsachen70 – eigenständige Abteilungen (§ 22 Abs. 1 GVG) als Restrukturierungsgerichte errichtet. Das solle hinreichende und konstante Fallzahlen und damit auf Dauer eine sachgerechte, professionelle, effiziente und ihrer rechtlichen sowie wirtschaftlichen Komplexität gerecht werdende Bearbeitung von Restrukturierungssachen gewährleisten (Rz. 3).71 Expertise auch der wirtschaftlichen Zusammenhänge und Zwänge sowie eine gewisse Erfahrung und Routine sind unabdingbar, um der verantwortungsvollen Funktion, die das StaRUG dem Gericht zuweist, gerecht werden zu können. Das gilt zum einen, wenn Interessen konträr aus57 58 59 60 61

62 63 64 65 66 67 68 69 70 71

BT-Drucks. 19/24181, S. 189. Zu Recht kritisch Pabst in MünchKomm/ZPO, § 22 GVG Rz. 5. Vgl. Lückemann in Zöller, § 22 GVG Rz. 10. Gegenäußerung der Bundesregierung v. 2.12.2020, BT-Drucks. 19/24903, S. 18. Beispielhaft Beth, ZInsO 2017, 152, 153; Blankenburg, ZInsO 2017, 241, 253; Büttner, ZInsO 2017, 13, 14 f.; Flöther, ZInsO 2019, 1582, 1585; Horstkotte/Laroche/Waltenberger/Frind, ZInsO 2016, 2186; Madaus, NZI 2017, 329, 332; Madaus, NZI-Beilage 1/2009, 59, 61; Paulus, NZI-Beilage 2019, 8, 10; Vallender, NZI-Beilage 2019, 71, 72; Zipperer, NZI Beilage 2017, 39, 40. Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B Rz. 13. Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 24. Niesler in BeckOK/GVG, § 22 GVG Rz. 24 (Stand: 15.5.2022); Pabst in MünchKomm/ZPO, § 22 GVG Rz. 5. Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2436; Vallender, NZI-Beilage 2021, 30, 31. Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 24; Lückemann in Zöller, § 22 GVG Rz. 10. Pabst in MünchKomm/ZPO, § 22 GVG Rz. 5; Effer-Uhe in Prütting/Gehrlein, § 22 GVG Rz. 8. Niesler in BeckOK/GVG, § 22 GVG Rz. 25 (Stand: 15.5.2022); Baumert in Braun, § 34 StaRUG Rz. 8. Dazu BT-Drucks. 19/24181, S. 189; Lückemann in Zöller, § 71 GVG Rz. 5d. Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 4. BT-Drucks. 19/24181, S. 141; vgl. Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 8; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2580.

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Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung | Rz. 18 § 34

gefochten werden, in Hinblick auf die Prüfpflichten bei z.B. der Planbestätigung aber auch, wenn scheinbar Einvernehmen besteht. Dabei reicht nicht aus, dass lediglich ein Entscheider diese Kompetenzen aufbauen kann, sondern sie müssen zusätzlich wenigstens bei einem Vertreter vorhanden sein.72 Der Ansatz, dass die individuellen Pensen der in Restrukturierungssachen tätigen Entscheider nicht quasi Beiwerk, sondern von relevanter Größe sein müssen, ist richtig. Faktisch haben die geringen bisherigen Fallzahlen und auch der Umstand, dass Restrukturierungssachen teils anteilig allen am AG tätigen Insolvenzrichter zugewiesen werden, eine besondere praktische Erfahrung der Restrukturierungsrichter noch nicht entstehen lassen. Dabei trägt der Gedanke, die in Unternehmensinsolvenzverfahren gewonnene Expertise und 16 Erfahrungen werde auch gewinnbringend in Restrukturierungsverfahren sein, nur, wenn das nach § 34 Abs. 1 Satz 1 StaRUG zuständige Gericht auch tatsächlich für Regelinsolvenzverfahren zuständig ist. Daher bestimmt § 34 Abs. 1 Satz 2 StaRUG für den Fall, dass das an sich nach § 34 Abs. 1 Satz 1 StaRUG zuständige AG keine Zuständigkeit für Regelinsolvenzverfahren hat, das AG zuständig ist, welches für Regelinsolvenzsachen am Sitz des in Satz 1 angesprochenen OLG zuständig ist.73 Diese Regelung hatte den Entwurf für § 2 InsO vor Augen, wonach für Regelinsolvenzverfahren allein nach § 2 Abs. 1 InsO ein AG zuständig wäre, in dessen Bezirk ein LG seinen Sitz hat, aber isolierte Zuständigkeiten insbesondere für Verbraucherinsolvenzverfahren geschaffen werden könnten (Rz. 8).74

2. Ausschließliche Zuständigkeit a) Allgemeines Bei der Zuständigkeit nach § 34 StaRUG handelt es sich (wie bei der nach § 2 InsO)75 um eine 17 ausschließliche. Weder kann daher eine Vereinbarung (§ 38 StaRUG i.V.m. § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO)76 noch ein Verzicht auf eine Zuständigkeitsrüge (vgl. § 39 Satz 1 ZPO) eine an sich nicht gegebene Zuständigkeit begründen.77 Das angegangene Gericht prüft seine Zuständigkeit von Amts wegen (Rz. 22). Im Falle seiner Unzuständigkeit hat es darauf hinzuweisen und auf Antrag gem. § 281 ZPO (i.V.m. § 38 Satz 1 StaRUG) an das zuständige Gericht zu verweisen (Rz. 23).78 b) Rechtshilfe Das nach § 34 StaRUG zuständiges Restrukturierungsgericht ist auch für Ersuchen um 18 Rechtshilfe zuständig, wenn in seinem Bezirk die Amtshandlung vorgenommen werden soll (§ 157 Abs. 1 GVG).79 Die festgelegte sachliche und örtliche Zuständigkeit ist eine ausschließ72 Zu Insolvenzgerichten zutreffend Schmerbach in FK/InsO, § 2 InsO Rz. 66. 73 Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 9. 74 BT-Drucks. 19/24181, S. 141; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 4.1 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Baumert in Braun, § 34 StaRUG Rz. 3. 75 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 2 InsO Rz. 5; Madaus in BeckOK/InsR, § 2 InsO Rz. 1 (Stand: 15.4.2022); Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 2 InsO Rz. 14 (Stand: November 2017); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 11; Pape in Uhlenbruck, § 2 InsO Rz. 2. 76 Zu § 2 InsO Kexel in Graf-Schlicker, § 2 InsO Rz. 2; Sternal in Kayser/Thole, § 2 InsO Rz. 4; Gerhardt in Jaeger, § 2 InsO Rz. 45. 77 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Römer in Nerlich/Römermann, § 34 StaRUG Rz. 7 (Stand: November 2021); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 34 StaRUG Rz. 18, zu § 2 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 13. 78 Vallender, NZI-Beilage 2021, 30. 79 Vgl. zu § 2 InsO BT-Drucks. 12/2443, S. 110; Madaus in BeckOK/InsR, § 2 InsO Rz. 3 (Stand: 15.4.2022); Baumert in Braun, § 2 InsO Rz. 3; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 12.

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§ 34 Rz. 18 | Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung liche (Rz. 17). Weder das ersuchende noch das ersuchte Gericht noch die Beteiligten können durch Vereinbarungen davon abweichen.80 Wird ein unzuständiges Gericht um Rechtshilfe ersucht, ist (ggf. analog) § 158 Abs. 2 Satz 2 GVG zu verweisen. 19 Ein Rechtshilfeersuchen des Restrukturierungsgerichts selbst an die anderen AG seines Bezirks

ist unzulässig, da es (mangels abweichender Regelung) als Restrukturierungsgericht für den Bezirk des OLG, welches in seinem Bezirk seinen Sitz hat, ausschließlich zuständig ist:81 Die Vornahme der ersuchten Amtshandlung hat im eigenen Bezirk, nicht in dem eines anderen Gerichts i.S.d. § 157 Abs. 1 GVG zu erfolgen.82 Dass entspricht dem gesetzgeberischen Ziel, mit der Konzentration eine Spezialisierung zu erreichen, die es dann aber ausschließt, dass dann doch für die Rechtshilfe andere AG innerhalb dieses erweiterten Bezirks als Rechtshilfegerichte in Anspruch genommen werden.83 Eine Rechtshilfeersuchen an ein anderes AG im selben OLG-Bezirk diente auch nicht der bezweckten Effizienzsteigerung und Beschleunigung des Verfahrens.84

20 Ein Rechtshilfeersuchen über die eigene Bezirksgrenze hinaus ist natürlich zulässig.85 § 157

Abs. 1 GVG bestimmt dazu dasjenige AG als rechtshilfepflichtig, in dessen Bezirk die Amtshandlung vorgenommen werden soll. Die Zuständigkeitskonzentration auf ein Restrukturierungsgericht bleibt dabei unbeachtet. Dazu müsste sich die Konzentration beim Restrukturierungsgericht gerade auch auf die Erledigung von Rechtshilfeersuchen erstrecken. Denn die Rechtshilfe ist eine selbständige Aufgabe. Sie ergibt sich nicht als Annex der sachlichen Zuständigkeit des Sachgebietes, in dem Rechtshilfe begehrt wird.86 Deshalb ist das Rechtshilfeersuchen nicht an das Insolvenzgericht am Rechtshilfeort, sondern an das am Wohnsitz des Anzuhörenden nach allgemeinen Grundsätzen örtlich zuständige AG zu richten, soweit nicht der jeweilige Landesgesetzgeber eine (empfehlenswerte) Zuständigkeitskonzentration in Rechtshilfesachen nach § 157 Abs. 2 GVG geschaffen hat.87 Entsprechend wird die örtliche Zuständigkeit bei der ersuchten Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen oder bei Anhörung von Verfahrensbeteiligten i.d.R. durch den Wohnsitz dieser Personen bestimmt;88 bei einer im Ausland wohnenden Person, die freiwillig escheinen will, ist i.d.R. zweckmäßig, sie beim grenznahen AG oder virtuell (§ 38 Rz. 130) zu vernehmen.89 80 Pabst in MünchKomm/ZPO, § 157 GVG Rz. 10. 81 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 20. 82 Vgl. Neff in Prütting/Gehrlein, § 157 GVG Rz. 2. 83 So zur Rechtshilfe in Insolvenzverfahren (vgl. § 2 Abs. 1 InsO) und mit Hinweis auf Begründung zu § 2 RegE (BT-Drucks. 12/2443, S. 110) OLG Brandenburg v. 24.1.2002 – 10 W 9/01, BeckRS 2002, 30235004; zuvor zur KO schon OLG Koblenz v. 17.03.1976 – 4 SmA 3/76, OLGZ 1977, 122, 123; s. ferner LG Hamburg v. 1.5.2006 – 301 AR 8/06, NZI 2006, 410 = ZIP 2006, 1747; Madaus in BeckOK/InsR, § 2 InsO Rz. 3 (Stand: 15.4.2022); Baumert in Braun, § 2 InsO Rz. 5; Gerhardt in Jaeger, § 2 InsO Rz. 40 und § 4 InsO Rz. 8; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 2 InsO Rz. 31 (Stand: November 2017); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 12. 84 Vgl. zu § 2 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 12. 85 Vgl. Madaus in BeckOK/InsR, § 2 InsO Rz. 3 (Stand: 15.4.2022). 86 LG Dortmund v. 4.4.2002 – 9 T 297/02, NZI 2002, 556; Mayer in Kissel/Mayer, § 157 GVG Rz. 7; Pabst in MünchKomm/ZPO, § 157 GVG Rz. 13; Neff in Prütting/Gehrlein, § 157 GVG Rz. 1. 87 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 21; zu § 2 InsO LG Dortmund v. 4.4.2002 − 9 T 297/02, NZI 2002, 556; LG Hamburg v. 1.5.2006 – 301 AR 8/06, ZIP 2006, 1747 f.; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 2 InsO Rz. 13; Madaus in BeckOK/InsR, § 2 InsO Rz. 3 (Stand: 15.4.2022); Baumert in Braun, § 2 InsO Rz. 4; Schmerbach in FK/InsO, § 2 InsO Rz. 22; Rüther in HambKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 10; Sternal in Kayser/Thole, § 2 InsO Rz. 12; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 2 InsO Rz. 31 (Stand: November 2017). 88 El-Ghazi in BeckOK/GVG, § 157 GVG Rz. 1; Mayer in Kissel/Mayer, § 157 GVG Rz. 4. 89 Vgl. Pabst in MünchKomm/ZPO, § 157 GVG Rz. 12; Brocke in MünchKomm/StPO, 2018, § 157 GVG Rz. 5.

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Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung | Rz. 23 § 34

Das Ersuchen richtet sich an das AG als solches, nicht an einen bestimmten Entscheider. Wer 21 beim Empfangsgericht zuständig ist, richtet sich nach der dortigen Geschäftsverteilung.90

3. Prüfung von Amts wegen/Verweisung Die sachliche Zuständigkeit ist eine Prozessvoraussetzung.91 Das angegangene Gericht hat 22 seine (sachliche) Zuständigkeit daher (stets) von Amts wegen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) – auch ohne Rüge – zu prüfen.92 Die Prüfung der Zuständigkeit erfolgt idealerweise, wenn die Sache rechtshängig wird, mithin nach der Anzeige (§ 31 Abs. 3 StaRUG; Einzelheiten bei § 39 Rz. 10 ff.).93 Ist das angegangene Gericht sachlich unzuständig und gehört es einem anderen Gerichts- 23 zweig an, verweist es von Amts wegen (vgl. § 17a Abs. 2 GVG, § 48 ArbGG, § 173 VwGO, § 155 FGO, § 202 SGG).94 Ist die Anzeige beim sachlich zuständigen AG, aber in der falschen Abteilung (z.B. beim Insolvenzgericht statt Restrukturierungsgericht) eingegangen, wird die Sache hausintern an das Restrukturierungsgericht weitergeleitet.95 Ansonsten, wenn also das angegangene AG nicht für Restrukturierungssachen zuständig ist, etwa weil von der Möglichkeit nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG Gebrauch gemacht wurde und die Anzeige daher irrtümlich nicht beim Restrukturierungs-, sondern beim Insolvenzgericht eingereicht wurde, erteilt das Gericht einen Hinweis (§ 139 ZPO) und gibt dem Schuldner Gelegenheit, Verweisung an das zuständige Gericht zu beantragen (§ 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO).96 Auch eine rügelose Einlassung der Planbetroffenen ändert an der fehlenden Zuständigkeit nichts, da es sich um eine ausschließliche Zuständigkeit handelt (§ 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 40 Abs. 2 Satz 2 ZPO; § 38 Rz. 9). Auf Antrag des Schuldners spricht das Gericht die Unzuständigkeit aus und verweist dann – i.d.R. bindend (§ 35 Rz. 25) – an das zuständige AG (vgl. § 35 Rz. 21).97 Erfolgt kein Verweisungsantrag und nimmt der Schuldner seine Anzeige auch nicht (mit der Folge des § 31 Abs. 4 Nr. 1 StaRUG) zurück, ist bei Unzuständigkeit die Restrukturierungssache aufzugeben (analog § 33 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG). Zwar zielt dieser Aufhebungsgrund auf die fehlende örtliche Zuständigkeit,98 wie die Gesetzesbegründung99 und sich daran zeigt, dass „das Restrukturierungsgericht“ aufhebt, mithin vorausgesetzt ist, dass die Sache bei einem Restrukturierungsgericht anhängig ist. Doch scheint stimmig, die (unnötiger Weise) vom Gesetzgeber als nachgelagerte Zugangskontrolle eingeführte Aufhebung dann auch bei sachlicher Unzuständigkeit anzuwenden; andernfalls wäre (wie bei sachlicher 90 Pabst in MünchKomm/ZPO, § 157 GVG Rz. 4. 91 Schultzky in Zöller, § 1 ZPO Rz. 13. 92 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2581; zu § 2 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 2 InsO Rz. 37; Madaus in BeckOK/InsR, § 2 InsO Rz. 13 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 13; Weitbrecht/Wienberg in Reul/Heckschen/Wienberg, InsR in der Gestaltungspraxis, § 1 Rz. 241. 93 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed 17.7.2022). 94 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 19 (Stand: 5. Ed 17.7.2022), zu § 2 InsO Madaus in BeckOK/InsR, § 2 InsO Rz. 16 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 13. 95 Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 18. 96 Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 18; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 2 InsO Rz. 15 (Stand: November 2017); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 13. 97 Madaus in BeckOK/InsR, § 2 InsO Rz. 16 (Stand: 15.4.2022); Kexel in Graf-Schlicker, § 2 InsO Rz. 3. 98 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Haffa/Schuster in Braun, § 33 StaRUG Rz. 7; Hoffmann/Braun in Flöther, § 33 StaRUG Rz. 4; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 33 StaRUG Rz. 16; Blankenburg in Morgen, § 33 StaRUG Rz. 23 f.; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 33 StaRUG Rz. 8. 99 BT-Drucks. 19/24181, S. 138.

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§ 34 Rz. 23 | Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung Unzuständigkeit des Insolvenzgerichts)100 die Anzeige als unzulässig abzuweisen.101 Gegen die Aufhebung steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu (§ 33 Abs. 4 StaRUG). 24 Erachtet sich ein Gericht als zuständig, ist jedenfalls bei örtlicher Unzuständigkeit (vgl. § 35

StaRUG) eine darauf gestützte sofortige Beschwerde nach § 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO ausgeschlossen (§ 40 Rz. 32). Vom Wortlaut des § 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO gilt das auch für die sachliche Zuständigkeit. Daher lässt sich fragen, ob nicht eine einschränkende Auslegung geboten ist, da die Durchführung eines Restrukturierungsverfahrens vor einem anderen als dem Restrukturierungsgericht dem öffentlichen Interesse widerspräche.102 Praktisch stellen wird sich die Frage nicht. Ein Gericht, welches kein Restrukturierungsgericht ist, wird seine Unzuständigkeit erkennen und keine Entscheidungen nach dem StaRUG treffen.

4. Funktionelle Zuständigkeit 25 Die funktionelle Zuständigkeit ist im StaRUG nicht angesprochen. Sie richtet sich daher nach

den allgemeinen Regelungen. Demgemäß ist nach Art. 92 GG, § 1 DRiG, § 22 Abs. 6 GVG der Richter für Restrukturierungssachen zuständig.103 Eine Übertragungsmöglichkeit auf den Rechtspfleger (wie teilweise – vgl. die Richtervorbehalte §§ 18, 19a RPflG – in Insolvenzverfahren nach § 3 Nr. 2e RPflG)104 existiert nicht.105 Das ist stimmig, da das „Herzstück“ des StaRUG, soweit Gerichte betroffen sind, nämlich die gerichtliche Planbestätigung, eng an das Insolvenzplanrecht angelehnt und das Insolvenzplanverfahren gem. § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG dem Richter vorbehalten ist.106

26 Allerdings ist der Rechtspfleger im gerichtlichen Restrukturierungsverfahren nach § 3 RPflG

zuständig, soweit auf ihn nach §§ 3, 20 RPflG allgemein Geschäfte übertragen sind.107 Zwar wurde § 3 RPflG trotz mehrfacher zwischenzeitlicher Änderungen nicht entsprechend § 3 Nr. 2 Buchst. e RPflG auf Restrukturierungsverfahren erweitert. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn eine rechtshängige Restrukturierungssache vorläge. Das gesetzgeberische Leitbild des StaRUG als Rahmen, innerhalb dessen der Schuldner privatautonom mit seinen Gläubigern über grds. in privatrechtlichen Handlungsformen umzusetzende Lösungen verhandelt, wobei ihm das StaRUG unterstützend bestimmte verfahrensrechtliche Hilfen anbie100 Vgl. Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 2 InsO Rz. 37; Madaus in BeckOK/InsR, § 2 InsO Rz. 16 (Stand: 15.4.2022); Kexel in Graf-Schlicker, § 2 InsO Rz. 3; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 2 InsO Rz. 15 (Stand: November 2017); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 13. 101 Vgl. Prütting in MünchKomm/ZPO, § 281 ZPO Rz. 32; Geisler in Prütting/Gehrlein, § 281 ZPO Rz. 30; Thole in Stein/Jonas, § 281 ZPO Rz. 26; Greger in Zöller, § 281 ZPO Rz. 7. 102 So zum Insolvenzgericht im Insolvenzverfahren erwägend Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 32. 103 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Baumert in Braun, § 34 StaRUG Rz. 4; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 34 StaRUG Rz. 14; Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 23; Römer in Nerlich/Römermann, § 34 StaRUG Rz. 9 (Stand: November 2021); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 36 StaRUG Rz. 17; Hochdorfer/ Biendl in Desch, Das neue RestruktR, § 2 Rz. 41; Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, § 5 Rz. 50; Gehrlein, BB 2021, 66, 72; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2581; Vallender, NZI-Beilage 2021, 30; Vallender, MDR 2021, 201, 205. 104 Dazu Madaus in BeckOK/InsR, § 2 InsO Rz. 22 (Stand: 15.4.2022); Baumert in Braun, § 2 InsO Rz. 8; Schmerbach in FK/InsO, § 2 InsO Rz. 47 ff.; Sternal in Kayser/Thole, § 2 InsO Rz. 7; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 2 InsO Rz. 25 f. (Stand: November 2017); Pape in Uhlenbruck, § 2 InsO Rz. 3 f. 105 Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Rz. 351. 106 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 10.1 (Stand: 5. Ed 17.7.2022). 107 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); a.A. Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 23.

550 | Deppenkemper

Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung | Rz. 29 § 34

tet,108 rechtfertigt aber das Verständnis, die Übertragung nach § 3 Nr. 3, § 21 RPflG auch als im Restrukturierungsverfahren anwendbar anzusehen (§ 38 Satz 1 StaRUG). Das betrifft das Kostenfestsetzungsverfahren nach § 3 Nr. 3 Buchst. b, § 21 Nr. 1 RPflG, § 103 ZPO, die Festsetzung der Vergütung des Rechtsanwalts gem. § 3 Nr. 3 Buchst. b RPflG, § 21 Nr. 2 RPflG, § 11 RVG, das Prozesskostenhilfeverfahren gem. § 3 Nr. 3 Buchst. a RPflG, § 20 Abs. 1 Nr. 4, § 5 Nr. 5 RPflG, §§ 114 ff. ZPO sowie die Erteilung von vollstreckbaren Ausfertigungen nach § 3 Nr. 3 Buchst. a RPflG, § 20 Abs. 1 Nr. 12 RPflG. Konsequent ist dann, auch den Richtervorbehalt bei Insolvenzverfahren nach § 18 Abs. 2 RPflG in Restrukturierungsverfahren als entsprechend anwendbar anzusehen, wobei praktisch bei den genannten Geschäften für einen Vorbehalt wohl kaum ein Bedürfnis besteht.109 Jedenfalls würde die Wirksamkeit des Geschäfts nicht dadurch berührt, dass der Richter es wahrgenommen hat, obgleich es dem Rechtspfleger übertragen war (§ 8 Abs. 1 RPflG).

IV. Ermächtigung des Landesgesetzgebers für abweichende Bestimmungen (§ 34 Abs. 2 StaRUG) § 34 Abs. 2 Satz 1 StaRUG dient dazu, den Ländern zu ermöglichen, individuelle und auf die 27 jeweilige Situation zugeschnittene Zuständigkeitsregelungen zu schaffen. Dabei betont der Gesetzgeber, dass nur eine abweichende Zuständigkeitszuweisung in den Oberlandesgerichtsbezirken (§ 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG) oder eine über die Bezirksgrenzen der OLG hinausgehende, weitergehende Konzentration (§ 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG) eröffnet ist (Rz. 9), nicht etwa aber, weitere Restrukturierungsgerichte in einem OLG-Bezirk, wie es der Bundendesrat empfohlen hatte (Rz. 8), zu errichten. § 34 Abs. 2 Satz 2 StaRUG erlaubt den Landesregierungen, diese Ermächtigung auf die Lan- 28 desjustizverwaltungen zu übertragen.110 Vergleichbar zu § 2 Abs. 2 InsO hat eine solche Übertragung der sachdienlichen Förderung oder schnelleren Erledigung zu dienen.111 Eine Zuweisung etwa nach regionalem Proporz oder Planstellenschlüsseln wäre davon nicht gedeckt,112 bis zur Grenze der Willkür wäre eine Missachtung dieser Vorgabe aber nicht angreifbar.113 In den meisten Ländern sind jeweiligen Justizministerien zur Zuständigkeitsbestimmung ermächtigt.114

1. Bestimmung eines anderen Gerichts (§ 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG) Ausdruck der Organisationshoheit der Länder ist, dass sie durch Rechtsverordnung in einem 29 Oberlandesgerichtsbezirk ein anderes, aber kein zusätzliches AG als Restrukturierungsgericht festlegen können.115 In Einklang mit der Vorgabe des § 34 Abs. 1 StaRUG, dass das Restrukturierungsgericht (nur) bei einem AG angesiedelt sein solle, welches auch für Regelins-

108 BT-Drucks. 19/24181, S. 89, 91 f.; mit Einzelheiten Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 36 ff. 109 Vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed 17.7.2022). 110 BT-Drucks. 19/24181, S. 141. 111 Zu § 2 InsO Madaus in BeckOK/InsR, § 2 InsO Rz. 28 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 16; Pape in Uhlenbruck, § 2 InsO Rz. 9. 112 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 20 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Thole, ZIP 2020, 1985, 1991. 113 Zu § 2 Abs. 2 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 2 InsO Rz. 16. 114 Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 11. 115 BT-Drucks. 19/24181, S. 141; Laroche in Flöther, § 34 StaRUG Rz. 5; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 34 StaRUG Rz. 9.

Deppenkemper | 551

§ 34 Rz. 29 | Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung olvenzsachen zuständig ist, erlaubt § 34 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG lediglich, die Zuständigkeit eines anderen, für Regelinsolvenzsachen zuständigen AG zu bestimmen. Der Entwurfswortlaut, der insoweit noch insgesamt von „Insolvenzsachen“ sprach, wurde im Gesetzgebungsverfahren entsprechend eingeschränkt, nachdem die Zuständigkeitskonzentrationsregel bezüglich der Insolvenzgerichte gestrichen worden war (Rz. 9).116 30 Diese Kompetenz wurde gerade dort genutzt, wenn das originär zuständige AG nicht das

größte im OLG-Bezirk ist (vgl. Rz. 36).117 Die Zuweisung an das größte Insolvenzgericht im Bezirk mit den meisten Regelinsolvenzverfahren kann dann den erhofften Synergieeffekt stärken und gewährleisten, dass überhaupt mehrere Köpfe Erfahrungen mit Unternehmensinsolvenzen haben.118 Davon wurde Gebrauch gemacht in Niedersachsen, wo seit 16.1.2021 das AG Hannover für den Bezirk des OLG Celle zuständig ist,119 und in Nordrhein-Westfalen für den Bezirk des OLG Hamm, für den ab 1.2.2021 das AG Essen zum Restrukturierungsgericht bestimmt wurde.120 In Schleswig-Holstein sind das AG Flensburg, in Brandenburg das AG Potsdam, in Sachsen-Anhalt das AG Halle sowie in Thüringen das AG Gera deshalb zuständig, weil das AG, in dessen Bezirk das jeweilige OLG liegt, kein für Regelinsolvenzverfahren zuständiges Insolvenzgericht unterhält.

2. Weitere Konzentration innerhalb eines Bundeslandes (§ 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG) 31 Die Regelung ermöglicht den Ländern auf freiwilliger Basis eine noch stärkere Zuständigkeits-

konzentration für Restrukturierungsverfahren, soweit es in einem Land mehrere OLG gibt.121 Hier kann die Zuständigkeit eines Restrukturierungsgerichts über die Grenzen der Oberlandesgerichtsbezirke hinaus erweitert und ihm ein weiterer oder alle OLG-Bezirke des Bundeslandes zugeordnet werden; die Gesetzesbegründung spricht von einer transzendierenden Konzentration.122

32 Sachlogisch stellt sich die Frage nur, wenn innerhalb eines Bundeslandes mehrere OLG errich-

tet sind, mithin in Baden-Württemberg (OLG Karlsruhe, OLG Stuttgart), Bayern (OLG Bamberg, OLG München, OLG Nürnberg), Niedersachen (OLG Braunschweig, OLG Celle, OLG Oldenburg), Nordrhein-Westfalen (OLG Düsseldorf, OLG Hamm, OLG Köln) sowie Rheinland-Pfalz (OLG Koblenz, OLG Zweibrücken).123 Genutzt hat die Möglichkeit bisher kein Bundesland.

116 Beschlussempfehlung Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) v. 15.12.2020 BT-Drucks. 19/25303, S. 40 mit Bericht v. 16.12.2020 BT-Drucks. 19/25353, S. 8. 117 Vgl. die Übersichten über die derzeit errichteten 24 Restrukturierungsgerichte mit Nennung der Abteilung und namentlicher Aufführung der Richter bei INDat 01/2022, 76–81; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 34 StaRUG Rz. 30. 118 Vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 21 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 12. 119 VO des Niedersächsischen Justizministeriums v. 12.1.2021, s. § 8a ZustVO-Justiz (Nds. GVBl. 2021, 12). 120 § 1 Verordnung über die Bestimmung des zuständigen AG in Restrukturierungssachen für den Bezirk des OLG Hamm v. 7.1.2021 (GV. NRW 2021, 29); vgl. Köhler in BeckOK/GVG, § 1 JustG NRW Rz. 13.1 (Stand: 15.5.2022). 121 BT-Drucks. 19/24181, S. 141. 122 BT-Drucks. 19/24181, S. 141; vgl. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 34 StaRUG Rz. 25. 123 Instruktive Übersichtskarte bei INDat 1/2022, 74.

552 | Deppenkemper

Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung | Rz. 34 § 34

3. Konzentration über ein Bundesland hinaus (§ 34 Abs. 2 Satz 3 StaRUG) Eine die Ländergrenzen überschreitende Bildung gemeinsamer Gerichte (vgl. § 689 Abs. 3 33 Satz 3 ZPO zum Mahnverfahren) bedarf der Grundlage in einem förmlichen Gesetz.124 Diese bietet § 34 Abs. 2 Satz 3 StaRUG. Auf Vorschlag des Bundesrates wurde in die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses die noch weitergehende, länderübergreifende Konzentrationsmöglichkeit aufgenommen, dass mehrere Länder gemeinsame Abteilungen eines AG für Restrukturierungssachen vorsehen oder vereinbaren können, dass Gerichtsbezirke für Restrukturierungssachen über die Landesgrenzen hinausgehen.125 Das soll eine professionelle und effiziente Bearbeitung von Restrukturierungssachen gerade gewährleisten, wenn es (in kleineren Ländern) nur ein OLG gibt und daher § 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG leerläuft.126 Vorbildhaft waren § 3 Abs. 2 FGO und § 3 Abs. 2 VwGO, nur schied die Schaffung gemein- 34 samer Gerichte aus, weil die Restrukturierungsgerichtsbarkeit keine gesonderte Fachgerichtsbarkeit ist, sondern Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit.127 Die Umsetzung kann erfolgen, indem die beteiligten Länder an einem Restrukturierungsgericht i.S.v. § 34 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG eine gemeinsame Abteilung errichten, diese einem Gericht eines Landes einoder angegliedert128 und die Richter, die diesem Gericht nicht zugeordnet sind, an es (teilweise) abgeordnet werden.129 Alternativ kann die Zuständigkeit eines Restrukturierungsgerichts über die Landesgrenzen hinaus ausgeweitet werden. Die Ausdehnung von Gerichtsbezirken über die Landesgrenzen hinaus darf sich grds. nur auf Teile eines anderen Landes erstrecken, da es ansonsten in der Sache zu einem gemeinsamen Gericht käme;130 das macht die Regelung freilich für kleinere Länder, denen sie dienen soll, schwierig. Sie sollte bei einer einzelnen Spezialmaterie wie „Restrukturierungssachen“ im Wege der von § 34 Abs. 2 Satz 3 StaRUG vorgesehenen Vereinbarung möglich sein.131 Jedenfalls muss eine gemeinsame oder übergreifende Zuständigkeit durch einen Staatsvertrag zwischen den Ländern geregelt werden.132 Vereinbarungen derart gibt es zur Zeit nicht.

124 Grupp in Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, 3. Aufl. 2019, Art. 101 GG Rz. 8. 125 Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B Rz. 1. 126 Stellungnahme des Bundesrates v. 27.11.2020 Ziff. 10, BT-Drucks. 19/24903, S. 5, mit zustimmender Gegenäußerung der Bundesregierung v. 2.12.2020, BT-Drucks. 19/24903, S. 18; Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25303, S. 40, mit gesondertem Bericht v. 16.12.2020 (BT-Drucks. 19/25353, S. 8); krit. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 34 StaRUG Rz. 29: Es fehlten Nachweise für Effizienz- und Professionalitätszuwächse und entstünden gesteigerten Verfahrenskosten auf Schuldnerseite. 127 Stellungnahme des Bundesrates v. 27.11.2020 Ziff. 10, BT-Drucks. 19/24903, Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/25353, S. 8; vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 24 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 34 StaRUG Rz. 11; Römer in Nerlich/Römermann, § 34 StaRUG Rz. 19 (Stand: November 2021). 128 Zu § 3 Abs. 2 VwGO Kronisch in Sodan/Ziekow, 5. Aufl. 2018, § 3 VwGO Rz. 63; Clausing/Panzer in Schoch/Schneider, § 3 VwGO Rz. 28. 129 Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 15. 130 So zu § 3 Abs. 2 VwGO a.F. BVerfG v. 7.5.1974 – 2 BvL 17/73, NJW 1974, 1812, vgl. Kronisch in Sodan/Ziekow, 5. Aufl. 2018, § 3 VwGO Rz. 64. 131 A.A. Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 16 mit Fn. 16. 132 Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 14; zu § 3 FGO Brandis in Tipke/Kruse, § 3 FGO Rz. 8 (Stand: November 2021); zu § 3 Abs. 2 VwGO Gersdorf in BeckOK/VwGO, § 3 VwGO Rz. 11; Kronisch in Sodan/Ziekow, 5. Aufl. 2018, § 3 VwGO Rz. 66; Clausing/Panzer in Schoch/Schneider, § 3 VwGO Rz. 26.

Deppenkemper | 553

§ 34 Rz. 35 | Restrukturierungsgericht; Verordnungsermächtigung

V. Derzeitige Restrukturierungsgerichte 35 Das Justizportal des Bundes und der Länder133 stellte ein Orts- und Gerichtsverzeichnis zur

Verfügung, über das für jeden Ort das zuständige Gerichte ermittelt werden kann. Die dortigen Hinweise zu Sonderzuständigkeiten berücksichtigen die Restrukturierungssachen allerdings (noch) nicht. Allerdings ist seit 17.7.2022 das Restrukturierungsportal (www.restrukturierungsbekanntmachung.de) freigeschaltet. Dieses dient der Bekanntmachungen in öffentlich geführten Restrukturierungssachen. Es findet sich hier aber auch eine nach Bundesländern geordnete Auflistung aller Restrukturierungsgerichte in Deutschland.

36 Unter Beachtung der Bestimmungen eines anderen Gerichts nach § 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1

StaRUG sind derzeit folgende Restrukturierungsgerichte errichtet134: – Bezirk KG: AG Berlin-Charlottenburg – Bezirk OLG Bamberg: AG Bamberg – Bezirk OLG Brandenburg an der Havel: AG Potsdam – Bezirk OLG Braunschweig: AG Braunschweig – Bezirk OLG Bremen: AG Bremen – Bezirk OLG Celle: AG Hannover – Bezirk OLG Dresden: AG Dresden – Bezirk OLG Düsseldorf: AG Düsseldorf – Bezirk OLG Frankfurt: AG Frankfurt a.M. – Bezirk OLG Hamburg: AG Hamburg – Bezirk OLG Hamm: AG Essen – Bezirk OLG Jena: AG Gera – Bezirk OLG Karlsruhe: AG Karlsruhe – Bezirk OLG Koblenz: AG Koblenz – Bezirk OLG Köln: AG Köln – Bezirk OLG München: AG München – Bezirk OLG Naumburg: AG Halle (Saale) – Bezirk OLG Nürnberg: AG Nürnberg – Bezirk OLG Oldenburg: AG Oldenburg – Bezirk OLG Rostock: AG Rostock – Bezirk OLG Saarbrücken: AG Saarbrücken – Bezirk OLG Schleswig: AG Flensburg – Bezirk OLG Stuttgart: AG Stuttgart – Bezirk OLG Zweibrücken: AG Zweibrücken

133 https://www.justizadressen.nrw.de/de/justiz/suche (zuletzt abgerufen am 1.9.2022). 134 Vgl. INDat 01/2022, 76–81; ferner Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 34 StaRUG Rz. 17; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 34 StaRUG Rz. 30; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 34 StaRUG Rz. 13; Römer in Nerlich/Römermann, § 34 StaRUG Rz. 23 (Stand: 11.2021); z.T. überholt Hochdorfer/ Biendl in Desch, Das neue RestruktR, § 2 Rz. 39.

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Örtliche Zuständigkeit | Rz. 1 § 35

§ 35 Örtliche Zuständigkeit 1

Örtlich zuständig ist ausschließlich das Restrukturierungsgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. 2Liegt der Mittelpunkt einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Restrukturierungsgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Allgemeiner Gerichtsstand (§ 35 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 III. Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit (§ 35 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . 8 1. (Selbständige) wirtschaftliche Tätigkeit . . 9 2. Mittelpunkt der Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . 10 IV. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Ausschließliche örtliche Zuständigkeit . . 15

2. Maßgeblicher Zeitpunkt der Anknüpfungstatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prüfung der Zuständigkeit von Amts wegen/Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sitzverlegung und Forum Shopping im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . .

16 19 28 34

I. Normzweck Die Regelung zur örtlichen Zuständigkeit gibt vor, welches erstinstanzliche Gericht auf Grund 1 seines Sitzes wegen der örtlichen Beziehungen der Beteiligten oder der Streitsache zur Ausübung der Gerichtsbarkeit befugt und verpflichtet ist. Die Restrukturierungsrichtlinie macht (selbstverständlich) keine Vorgaben für die örtliche Zuständigkeit. Der deutsche Gesetzgeber folgt mit der Regelung des § 35 StaRUG, so die einzige Begründung zu diesem Paragraphen, „dem insolvenzverfahrensrechtlichen Vorbild in § 3 InsO.“1 § 35 Satz 1 StaRUG2 entspricht (bis auf die Bezeichnung des Gerichts) wörtlich dem heutigen § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO;3 § 35 Satz 2 entspricht bis auf das Wort „selbständigen“, welches wegen § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG nicht übernommen wurde, § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO. In § 3 InsO wurde zudem ein neuer Abs. 2 eingefügt, der eine effiziente und erleichterte Verfahrensbearbeitung sowie Kontinuität bei den Gerichten ermöglichen soll,4 indem dann, wenn der Schuldner in den letzten sechs Monaten vor der Antragstellung Instrumente gem. § 29 StaRUG in Anspruch genommen hatte, für das Insolvenzverfahren örtlich auch das Gericht zuständig ist, dass als Restrukturierungsgericht für die Maßnahmen zuständig war.5

1 BT-Drucks. 19/24181, S. 141. 2 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 35 StaRUG Rz. 1; Laroche in Flöther, § 35 StaRUG Rz. 1; Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 1; Römer in Nerlich/Römermann, § 35 StaRUG Rz. 4 (Stand: November 2021); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 35 StaRUG Rz. 1; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 35 StaRUG Rz. 2; wegen befürchteter Manipulationsanfälligkeit (dazu Rz. 8 ff.) kritisch Frind, ZInsO 2020, 2241, 2244. 3 Dazu BT-Drucks. 12/2443, S. 110: „Die Regelung der örtlichen Zuständigkeit entspricht im Wesentlichen dem geltenden Konkurs- und Vergleichsrecht (§ 71 Abs. 1 und 2 KO; § 2 Abs. 1 Satz 1 VerglO; ähnlich § 1 Abs. 2 GesO).“ 4 So BT-Drucks. 19/24181, S. 191. 5 Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 24a f. (Stand: 15.4.2022); Baumert in Braun, § 3 InsO Rz. 3; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 35 StaRUG Rz. 3; Schultz in Pape/Reichelt/Schultz/Voigt-Salus, InsolvenzR, § 13 Rz. 4.

Deppenkemper | 555

§ 35 Rz. 2 | Örtliche Zuständigkeit 2 Idee des § 3 Abs. 1 InsO ist, dass das Insolvenzverfahren dort abgewickelt werden soll, wo der

Schuldner schwerpunktmäßig wirtschaftlich tätig ist. Das ist bürgernah und korrespondiert beim Fremdantrag mit dem verfahrensrechtlichen Grundsatz, dass der Angreifer den Angegriffenen an dessen Ort aufzusuchen hat.6 Es ist auch sachnah, dass die Gläubiger die Befriedigung ihrer Forderung dort suchen, wo sie ihr Vertrauen gelassen haben.7 I.d.R. werden sich dort auch ein Großteil der Masse und die meisten Gläubiger8 befinden.9 Die Gedanken der Bürgernähe und Sachnähe tragen auch im Restrukturierungsverfahren.

3 Mangels besonderer Vorschrift ergibt sich über § 35 StaRUG auch die internationale Zustän-

digkeit des Restrukturierungsgerichts für nicht öffentliche Restrukturierungssachen (Rz. 35).10

II. Allgemeiner Gerichtsstand (§ 35 Satz 1 StaRUG) 4 Der Aufbau des § 35 StaRUG (und der des vorbildgebenden § 3 Abs. 1 InsO11) ist insofern

missverständlich, als dass zunächst – in Satz 1 – die örtliche Zuständigkeit nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners bestimmt wird. § 35 Satz 2 StaRUG zum Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit (Center of Main Interest = COMI) des Schuldners macht aber deutlich, dass, wenn es einen solchen Mittelpunkt gibt, sich die örtliche Zuständigkeit vorrangig nach ihm richtet.12 Insoweit besteht auch kein Wahlrecht.13

5 Im Ergebnis wird der allgemeine Gerichtsstand kaum relevant werden. Der Gesetzgeber

nutzte die Option nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 4 Restrukturierungs-RL, das Verfahren auf Unternehmer zu beschränken. Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG sind natürliche Personen nur restrukturierungsfähig, soweit sie unternehmerisch tätig sind (§ 30 Rz. 4 f.). Nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 Restrukturierungs-RL ist „Unternehmer“ eine natürliche Person, die eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt. Der Zugang zu den Instrumenten setzt daher bei einer natürlichen Person eine (aktuell ausgeübte) wirtschaftliche Tätigkeit in selbständiger Art und Weise (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB) mit Gewinnabzielungsabsicht voraus.14 Verbraucher haben keinen Zugang zum Restrukturierungsverfahren.15 Ein (durch Anzeige, § 31 Abs. 3 StaRUG) anhängig gewordenes Restrukturierungsverfahren einer nicht restrukturierungsfähigen Person ist unzulässig und analog § 33 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG nach Hinweis von Amts wegen aufzuheben (§ 30 Rz. 13).16 Wegen der für den Zugang erforderlichen aktuellen wirtschaftlichen Tätigkeit kommt an sich immer der vorrangige Gerichts-

6 Dazu Schultzky in Zöller, § 12 ZPO Rz. 2. 7 So zu § 3 InsO Stephan in K. Schmidt, § 3 InsO Rz. 1; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 2. 8 Einschränkend Becker in Nerlich/Römermann, § 3 InsO Rz. 25 (Stand: Juli 2016): Das Wunschbild eines lokal agierenden Kleinstunternehmers existiere nur in ganz wenigen Fällen. 9 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 2. 10 Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 1; einschränkend Laroche in Flöther, § 35 StaRUG Rz. 4. 11 Vgl. Becker in Nerlich/Römermann, § 3 InsO Rz. 22 (Stand: Juli 2016); Stephan in K. Schmidt, § 3 InsO Rz. 3. 12 Zu § 3 InsO Stephan in K. Schmidt, § 3 InsO Rz. 3. 13 Vgl. Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 27. 14 Vgl. mit Einzelheiten Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 Rz. 58 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 30 StaRUG Rz. 49. 15 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 55 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hoffmann/Braun in Flöther, § 30 StaRUG Rz. 2; Hirschberger/Siepmann in Morgen, § 30 StaRUG Rz. 16 ff.; Kamin, ZVI 2022, 91 f. 16 Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII. Rz. 5.

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Örtliche Zuständigkeit | Rz. 7 § 35

stand nach § 35 Satz 2 StaRUG zum Tragen;17 eine – im Restrukturierungsverfahren eher theoretische – Ausnahme wird für eine Gesellschaft, die ihren Geschäftsbetrieb eingestellt und ihre Auflösung beschlossen hat, sich aber dennoch in ein Restrukturierungsverfahren begibt, vertreten.18 Ist der Schuldner eine natürliche Person, so ergibt sich sein allgemeiner Gerichtsstand, der 6 zum ausschließlichen Gerichtsstand nach § 35 Satz 1 StaRUG führt, aus § 13 ZPO (Wohnsitzgerichtsstand).19 Für den Begriff des Wohnsitzes in § 13 ZPO ist auf §§ 7 ff. BGB zurückzugreifen.20 Der Wohnsitz eines Schuldners besteht danach dort, wo er mit Domizilwillen den räumlichen Mittelpunkt seines Lebens bzw. den räumlichen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse hat.21 Die Begründung des Wohnsitzes setzt demnach voraus, dass der Schuldner eine Unterkunft in einem konkreten Aufenthaltsbereich eines Ortes (i.d.R. einer Gemeinde), nicht zwingend eine eigene Wohnung, und zudem den Willen zur Wohnsitzbegründung hat (§ 7 Abs. 1, 3 BGB).22 Die bloße Adressenbegründung oder polizeiliche Anmeldung genügt nicht, sondern stellt ein bloßes Indiz dar.23 Der Wohnsitz einer Person kann nach § 7 Abs. 2 BGB gleichzeitig an mehreren Orten bestehen, doch setzen mehrere Wohnsitze voraus, dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse sich gleichermaßen an zwei (oder mehr) Orten befindet;24 das eigene Ferienhaus neben der normalen Wohnung oder die Übernachtungsmöglichkeit am Arbeitsplatz erfüllen das nicht.25 Hat der Schuldner keinen Wohnsitz (weder im Inland noch im Ausland),26 ist sein (ggf. nur vorrübergehender) Aufenthaltsort im Inland und, wenn ein solcher nicht bekannt ist, sein letzter inländischer Wohnsitz maßgebend (§ 16 ZPO).27 Ist der Schuldner eine juristische Person (GmbH, AG, KGaA, Genossenschaft, Stiftung, ein- 7 getragener Verein) oder eine rechts- und insolvenzfähige Gesellschaft (GbR, OHG, KG, PartG, EWIV, Vor-GmbH, Vor-AG), ist gem. § 17 ZPO ihr Sitz maßgebend.28 Der Sitz ergibt sich aus Gesetz, Verleihung oder aus der Satzung (Satzungssitz).29 Für die juristischen Personen

17 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 35 StaRUG Rz. 7; Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 3, 12; Römer in Nerlich/Römermann, § 35 StaRUG Rz. 8 (Stand: November 2021); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 35 StaRUG Rz. 9; Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII. Rz. 3. 18 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 28; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 7.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 35 StaRUG Rz. 8; Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 12; Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII. Rz. 3. 19 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), zu § 3 InsO Baumert in Braun, § 3 InsO Rz. 12; Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 16; Becker in Nerlich/Römermann, § 3 InsO Rz. 12 (Stand: Juli 2016); Stephan in K. Schmidt, § 3 InsO Rz. 5. 20 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 22; Patzina in MünchKomm/ZPO, § 13 ZPO Rz. 4; Schultzky in Zöller, § 13 ZPO Rz. 3. 21 BGH v. 25.3.1987 – IVb ARZ 6/87, FamRZ 1987, 693. 22 Prütting in Prütting/Wegen/Weinreich, § 7 BGB Rz. 2. 23 BGH v. 21.12.1994 – XII ARZ 35/94, NJW-RR 1995, 507 Rz. 3; Baumert in Braun, § 3 InsO Rz. 12; Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 15; zur Haft s. OLG Hamm v. 18.8.2016 – 32 SA 38/16, ZInsO 2017, 163, 164. 24 BGH v. 16.12.2003 – X ARZ 117/03, juris Rz. 6. 25 Prütting in Prütting/Wegen/Weinreich, § 7 BGB Rz. 7. 26 Dazu Schultzky in Zöller, § 16 ZPO Rz. 4. 27 Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 35 StaRUG Rz. 12. 28 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 27; Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 17; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 11; Becker in Nerlich/ Römermann, § 3 InsO Rz. 17 (Stand: 7.2016). 29 Dazu Schultzky in Zöller, § 17 ZPO Rz. 2 ff.

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§ 35 Rz. 7 | Örtliche Zuständigkeit des Privatrechts ist die satzungsmäßige Festlegung des Sitzes und die Registerpublizität (vgl. § 13h HGB) vorgegeben (vgl. § 5, § 23 Abs. 3 Nr. 1, § 39, § 278 Abs. 3 AktG; § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4a, § 10 Abs. 1 Satz 1 GmbHG; § 6 Nr. 1 GenG; § 57 Abs. 1, § 59 BGB).30 Dieser satzungsmäßig festgelegte und zum Handelsregister angemeldete Sitz entspricht nicht zwingend der Geschäftsanschrift (vgl. § 8 Abs. 4 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 GmbHG); deren Änderung ohne Sitzverlegung hat auf den Gerichtsstand keine Auswirkung.31 Relevant für die örtliche Zuständigkeit wird die Geschäftsanschrift nur mittelbar über § 35 Satz 2 StaRUG, wenn sich nämlich unter ihr der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit befindet (Rz. 10).32 Personenhandelsgesellschaften müssen ihren Sitz zum Handelsregister anmelden (§ 106 Abs. 2 Nr. 2 [ab 1.1.2024: § 106 Abs. 2 Nr. 1b], § 161 Abs. 2 HGB),33 BGB-Gesellschaften können ihren vertraglich vereinbarten Sitz ab 1.1.2024 im Gesellschaftsregister eintragen (§ 706, § 707 Abs. 2 Nr. 1b BGB). Andere BGB-Gesellschaften, die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer oder der nicht rechtsfähige Verein haben keinen Sitz. Für sie gilt § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Ist ausnahmsweise eine Doppelsitz zulässig, gilt § 17 ZPO an jedem Ort.34 Gibt es keinen Satzungssitz, so greift die Vermutung des § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Demnach ist auf den Ort abzustellen, an dem die Verwaltung des Schuldners geführt wird (Verwaltungssitz).35 Nicht relevant ist ein durch Statut oder Satzung gem. § 17 Abs. 3 ZPO geregelter Zusatzgerichtsstand des Nebensitzes, weil es ausweislich des Gedankens des § 35 Satz 2 StaRUG („Mittelpunkt“) auf den Hauptsitz ankommt.36

III. Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit (§ 35 Satz 2 StaRUG) 8 Geht der Schuldner einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit nach, wie es die Restruk-

turierungsfähigkeit natürlicher Personen voraussetzt (§ 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG; Rz. 5), ist vorrangig und praxisrelevant die Anknüpfung für die örtliche Zuständigkeit am Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners. Übt der Schuldner neben einer selbstständigen auch eine unselbstständige Tätigkeit aus, besteht Restrukturierungsfähigkeit bei natürlichen Personen ohnehin nur, soweit sie unternehmerisch tätig sind. Daher geht § 35 Satz 2 StaRUG bei einer unternehmerischen Tätigkeit der Wohnsitzzuständigkeit nach § 35 Satz 1 StaRUG grds. vor.37 Zur Auslegung des § 35 Satz 2 StaRUG kann auf die Rechtsprechung und Literatur zu § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO zurückgegriffen werden.38

1. (Selbständige) wirtschaftliche Tätigkeit 9 Eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.v. § 35 Satz 2 StaRUG ist eine solche, die nach den tatsäch-

lichen Gegebenheiten39 im Zeitpunkt der Antragsstellung bereits aufgenommen ist und in unabhängiger Stellung in eigenem Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung40 nachhaltig erfolgt und auf Gewinnerzielung gerichtet ist, ohne dass tatsächlich Gewinn 30 31 32 33 34 35 36 37

Wern in Gehrlein/Prütting, § 17 ZPO Rz. 7; Schultzky in Zöller, § 17 Rz. 9. BayObLG v. 19.12.2019 – 1 AR 139/19, ZIP 2020, 624, 626; Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 17. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Wern in Gehrlein/Prütting, § 17 ZPO Rz. 8. Zum Ganzen Schultzky in Zöller, § 17 ZPO Rz. 9. OLG Hamm v. 18.3.2019 – 32 SA 11/19, ZIP 2020, 47, 48; Schultzky in Zöller, § 17 ZPO Rz. 10. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 14.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zu § 3 InsO vgl. Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 10 (Stand: 15.4.2022). 38 Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 4. 39 Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 8. 40 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 9.

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Örtliche Zuständigkeit | Rz. 10 § 35

erzielt zu werden braucht.41 Um ein Gewerbe im Rechtssinne muss es sich nicht handeln.42 Erfasst sind auch z.B. Stiftungen, Immobiliengesellschaften, Landwirte, oder Betreiber privater Pflegeheime.43 Sowohl schon Verbindlichkeiten aus dem Gründungsstadium als auch wirtschaftliche Abwicklungsmaßnahmen von einigem Gewicht sind erfasst.44 Ist die werbende Tätigkeit noch gar nicht aufgenommen, etwa bei einer Vor-GmbH, oder bereits insgesamt beendet, gilt nur noch § 35 Satz 1 StaRUG,45 doch wird dann ein Restrukturierungsverfahren in der Praxis auch nicht (mehr) angestrebt werden.

2. Mittelpunkt der Tätigkeit Für die örtliche Zuständigkeit nach § 35 Satz 2 StaRUG kommt es auf den „Mittelpunkt“ die- 10 ser Tätigkeit an. Eine Definition gibt weder die InsO noch das StaRUG. Die Definition des europäischen Gesetzgebers nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist, obgleich das StaRUG die Restrukturierungs-RL umsetzt, nicht unmittelbar übertragbar,46 deutet aber doch in die richtige Richtung47: Zu Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 EuInsVO, der darauf abstellt, in wessen Hoheitsgebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (centre of main interests – COMI), definiert Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 Restrukturierungs-RL als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen den Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist (Rz. 34).48 Maßgeblich ist eine Gesamtwürdigung aller objektiven und von Dritten, insbesondere von Gläubigern, feststellbaren Kriterien, die geeignet sind, den tatsächlichen Ort zu bestimmen, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht.49 Zu § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO hat sich die ähnliche Formulierung etabliert, dass der Mittelpunkt der Tätigkeit dort liegt, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte nach außen erkennbar50 umgesetzt werden;51 allein der innere Ort

41 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 7; Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 9 (Stand: 15.4.2022); Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 14 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 9; Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 6 f.; Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 5. 42 BT-Drucks. 12/2443, S. 110; Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 9 (Stand: 15.4.2022); Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 7; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 6. 43 Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 9; Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 7; Becker in Nerlich/Römermann, § 3 InsO Rz. 32 (Stand: Juli 2016); Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 4. 44 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 6; zu § 3 InsO OLG Hamm v. 2.10.2019 – 32 SA 25/19, NZI 2019, 998 Rz. 21 = GmbHR 2020, 156; Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 8; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 7b; Stephan in K. Schmidt, § 3 InsO Rz. 6. 45 Zu § 3 InsO OLG Stuttgart v. 8.1.2009 – 8 AR 32/08, NZI 2009, 181, 182; Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 11 (Stand: 15.4.2022); Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 12; Sternal in Kayser/ Thole, § 3 InsO Rz. 8. 46 Zu § 3 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 6; Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 14 (Stand: 15.4.2022). 47 Vgl. zu § 3 InsO Stephan in K. Schmidt, § 3 InsO Rz. 8. 48 Vgl. BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 72/19, ZIP 2021, 90 Rz. 15. 49 EuGH v. 16.7.2020 – C-253/19, NZI 2020, 805 Rz. 22. 50 Vgl. AG Hannover v. 24.9.2018 – 903 IN 540/18, ZIP 2018, 2285, 2286; AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, NZI 2008, 254, 255; a.A. Gerhardt in Jaeger, § 3 InsO Rz. 16. 51 Vgl. BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, ZIP 1986, 643, 644 = GmbHR 1986, 351; Ahrens in Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 17 f.; Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 14 (Stand: 15.4.2022); Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 13; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 4a.

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§ 35 Rz. 10 | Örtliche Zuständigkeit der Willensbildung genügt dagegen ebenso nicht, wie die Betriebsstätte als solche oder die Räumlichkeit, von der aus die Geschäftsverbindungen nach außen abgewickelt werden.52 Das gilt auch für § 35 Satz 2 StaRUG.53 Relevant sind schon aus Gründen der Rechtssicherheit die tatsächlichen Verhältnisse,54 nicht ist es der bloße Rechtsschein. Daher richtet sich die örtliche Zuständigkeit auch nicht nach der Muttergesellschaft, die die wirtschaftlichen Entscheidungen der Unternehmensleitung der Tochter kontrolliert, soweit dieses nicht auch das operative Geschäft der Tochter nach außen erkennbar bestimmt.55 Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein, wenn die Geschäftsführung in einem anderen Gerichtsbezirk liegt, als das operative Geschäft, z.B. wenn ein zentraler Lenkungsausschuss das wesentliche Tagesgeschäft konzernweit koordiniert.56 Erklärt sich ein Restrukturierungsgericht für Gruppen-Folgeverfahren für zuständig, begründet dieses aber keine ausschließliche Zuständigkeit (§ 37 Rz. 60).57 Hat der Schuldner mehrere Niederlassungen, ist der Ort der Hauptniederlassung zuständigkeitsbegründend.58 Führt er Geschäfte gleichberechtigt an mehreren Orten, ist der Ort der Lenkung entscheidend, im Zweifel der Bürositz.59 In solchen Fällen ist das angegangene Gericht auch nicht gehalten zu misstrauen, dass die Anzeige beim unzuständigen Gericht erfolgt wäre, wenn dafür keinerlei Anhaltspunkte vorliegen. Insbesondere darf es dadurch nicht zu unnötigen Verfahrensverzögerungen kommen. Ist der Schuldner tatsächlich – eher theoretisch – an allen Orten gleichmäßig tätig, so zwingt der Umstand, dass das StaRUG keine § 3 Abs. 3 InsO entsprechende Prioritätsregel kennt, nicht zum dem Schluss, dass das StaRUG nur einen Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit als möglich erachte und, lasse sich ein solcher nicht feststellen, auf den allgemeinen Gerichtsstand abzustellen sei.60 Es ergibt sich dann über § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO eine mehrfache örtliche Zuständigkeit.61 Der Schuldner hat insoweit die Wahl (§ 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 35 ZPO).62 Übt er sie durch Anzeige des Restrukturierungsvorhabens gem. § 31 Abs. 1 StaRUG aus, gilt § 3 Abs. 3 InsO analog.63 11 Bei konzernangehörigen Unternehmen ist für jedes Unternehmen selbständig das örtlich zu-

ständige Gericht zu bestimmen: Der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des einzelnen Unternehmens liegt nicht automatisch am Ort des herrschenden Unternehmens, sondern jedes Konzernunternehmen hat seinen eigenen Restrukturierungsgerichtsstand.64 Diese können natürlich am gleichen Ort begründet sein.

52 Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 9. 53 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2581. 54 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 6; vgl. Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2581; OLG München v. 28.2.2019 – 34 Wx 318/18, ZIP 2019, 582, 584. 55 Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 16 (Stand: 15.4.2022); Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 13; Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 9. 56 Zu § 3 InsO BGH v. 22.1.1998 – IX ZR 99/97, ZIP 1998, 477; OLG Brandenburg v. 19.6.2002 – 1 AR 27/02, NZI 2002, 438 f.; AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, NZI 2008, 254, 255; Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 16 (Stand: 15.4.2022). 57 A.A. Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 7 und § 37 StaRUG Rz. 33 ff. 58 Zu § 3 InsO BT-Drucks. 12/2443, S. 110. 59 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 11. 60 So aber Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 14. 61 Zu § 3 InsO Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 15 (Stand: 15.4.2022); Becker in Nerlich/Römermann, § 3 InsO Rz. 28 (Stand: Juli 2016). 62 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 19, 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. zu § 3 InsO Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 19; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 20. 63 Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 35 StaRUG Rz. 12. 64 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 20 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zu § 3 InsO Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 16 (Stand: 15.4.2022); Stephan in K. Schmidt, § 3 InsO Rz. 9.

560 | Deppenkemper

Örtliche Zuständigkeit | Rz. 14 § 35

In der Praxis haben sich zu § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO als Kriterien für den „Mittelpunkt“ heraus- 12 kristallisiert,65 die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gewertet werden müssen: – die Geschäftsanschrift, die auf Schreiben und auf der Internetseite des Unternehmens angegeben wird; – Ort, an dem die Gewerbeerlaubnis erteilt ist; – Ort, an dem die Post angenommen und weiterbearbeitet wird; – Ort, an dem sich die zentrale Infrastruktur in Form des Servers befindet; – Ort der Personalabteilung, der Rechtsabteilung, des Ein- und Verkaufs, des Controlling und des Rechnungswesens; – Ort, an dem sich ein Büro der Geschäftsführer von nicht nur untergeordnet Bedeutung (eigener Aufgabenbereich, Kompetenz für strategische Entscheidungen) befindet; – Ort, an dem das Unternehmen beim Finanzamt veranlagt wird; – Ort, an dem der Zahlungsverkehr abgewickelt wird. Bei einem Gesellschafter richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach seinem Wohnsitz bzw. 13 seinem Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit; der Sitz der Gesellschaft ist grundsätzlich ohne Relevanz. Der persönlich haftende Gesellschafter, der aktiv als Geschäftsführer auftritt, übt eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit aus. Deren Mittelpunkt liegt i.d.R. am Sitz der Gesellschaft, für die er tätig wird.66 Es fallen dann der Gerichtsstand des Gesellschafters und der der Gesellschaft am Gesellschaftssitz zusammen.67 Das gilt weniger klar, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer für mehrere Gesellschaften an unterschiedlichen Orten tätig wird. Lässt sich bei wertender Gesamtbetrachtung dann kein Mittelpunkt seiner Tätigkeit ausmachen, ist nach § 35 Satz 1 StaRUG sein Wohnsitz maßgeblich.68

Sind etwa durch konsequente Nutzung der Digitalisierungsmöglichkeiten die genannten Tätig- 14 keiten so ausgelagert oder ansonsten für die Bestimmung des „Mittelpunktes“ irrelevant, dass sie keinen Rückschluss auf den Ort zulassen, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte nach außen erkennbar umgesetzt werden (Rz. 10), bleibt als „Auffangkriterium“ der Sitz des Geschäftsführers.69 Das führt zu Folgeproblemen, wenn – durchaus lauter (zum forum shopping s. Rz. 33) – vor Antragstellung zu Sanierungszwecken ein neuer Geschäftsführer eingesetzt wird. Weder scheint dann sachgerecht, für den Schuldner auf den allgemeinen Gerichtsstand des neuen Geschäftsführers abzustellen, noch dessen gewöhnlichen (ggf. fungiblen) Aufenthaltsort für maßgebend zu erachten.70 65 AG Hannover v. 24.9.2018 – 903 IN 540/18, ZIP 2018, 2285; 2286; Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 14 (Stand: 15.4.2022); Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 3 InsO Rz. 7; Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 13; Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 9; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 7; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 4; Pluta, ZInsO 2009, 2188, 2291. 66 KG v. 16.11.1999 – 28 AR 136/99, ZIP 2000, 1170, 1171 f.; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 21 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 8 (Stand: 15.4.2022); Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 10; Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 249; a.A. Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 11. 67 BayObLG v. 28.3.2001 – 4Z AR 23/01, ZIP 2003, 1305, 1306; KG v. 16.11.1999 – 28 AR 136/99, ZIP 2000, 1170, 1172; Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 14; Schmerbach in FK/InsO, § 3 InsO Rz. 9; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 15. 68 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 11; Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 8 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 15; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 10. 69 Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 10. 70 Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 8; zustimmend Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 35 Rz. 15 | Örtliche Zuständigkeit

IV. Verfahrensfragen 1. Ausschließliche örtliche Zuständigkeit 15 Wie bei § 3 Abs. 1 InsO71 handelt es sich bei § 35 StaRUG, wie § 35 Satz 1 und 2 StaRUG

ausdrücklich benennen, um eine ausschließliche Zuständigkeit. Der Schuldner hat kein Wahlrecht, auch nicht zwischen den Sätzen 1 oder 2. Ausschließliche Gerichtsstände gehen allen anderen Gerichtsständen vor.72 Der allgemeine Gerichtsstand (§§ 12,13 bzw. 17 ZPO) wird durch den ausschließlichen Gerichtsstand verdrängt.73 Das Restrukturierungsverfahren kann (zulässig) nur im ausschließlichem Gerichtsstand erhoben werden. Weder kann die örtliche Zuständigkeit kraft Gerichtsstandsvereinbarung (§ 38 ZPO) vereinbart werden (vgl. § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO),74 noch wird (ein an sich unzuständiges Gericht) gem. § 39 Satz 1 ZPO durch rügeloser Einlassung zuständig (§ 40 Abs. 2 Satz 2 ZPO).75

2. Maßgeblicher Zeitpunkt der Anknüpfungstatsachen 16 Wie bei § 3 Abs. 1 InsO76 kommt es für die örtliche Zuständigkeit grundsätzlich auf die Um-

stände an, die zum Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige bei Gericht vorliegen,77 wenn auch die Prüfung der Zuständigkeit erst später erfolgen kann (§ 39 Rz. 11). Denn mit der Anzeige, auch wenn sie entgegen § 31 Abs. 1 StaRUG nicht beim zuständigen Restrukturierungsgericht erfolgt, wird die Restrukturierungssache rechtshängig (§ 31 Abs. 3 StaRUG). Daraus folgt, dass (auch die ausschließliche)78 Zuständigkeit des Gerichts durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände wie eine Sitzverlegung oder einen Wegzug des Schuldners aus dem Bezirk des Gerichts nicht mehr berührt wird (§ 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO; perpetuatio fori).79 Das gilt auch für die internationale Zuständigkeit (Rz. 34 f.).80 71 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 4; Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 2; Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 3; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 27; Becker in Nerlich/Römermann, § 3 InsO Rz. 20 (Stand: Juli 2016); Stephan in K. Schmidt, § 3 InsO Rz. 4. 72 Vgl. Patzina in MünchKomm/ZPO, § 12 InsO Rz. 27; Schultzky in Zöller, § 12 InsO Rz. 8. 73 Schultzky in Zöller, § 12 InsO Rz. 10; zu § 3 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 27. 74 Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, § 2 Rz. 40. 75 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 14; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 3; Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, § 2 Rz. 40; zu § 3 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 32; Becker in Nerlich/Römermann, § 3 InsO Rz. 41, 48 (Stand: Juli 2016); ferner Patzina in MünchKomm/ZPO, § 12 InsO Rz. 27. 76 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, NZI 2007, 344 Rz. 5; BayObLG v. 19.12.2019 – 1 AR 139/19, ZIP 2020, 624, 626; Baumert in Braun, § 3 InsO Rz. 2; Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 7; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 5; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 3. 77 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 35 StaRUG Rz. 2; Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 3, 15; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 3; Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, § 5 Rz. 48; Frind, NZI 2021, 609, 610; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2581. 78 BGH v. 26.4.2001 – IX ZR 53/00, WM 2001, 1078, 1079 = ZIP 2001, 933. 79 Ausdrücklich BT-Drucks. 19/24181, S. 136; ferner Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 Rz. 64 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schröder in HambKomm/RestruktR, § 31 StaRUG Rz. 26; Hirschberger/Siepmann in Morgen, § 31 Rz. 63; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 31 Rz. 67, zu § 261 ZPO Greger in Zöller, § 261 ZPO Rz. 12; zu § 3 InsO OLG Hamm v. 2.10.2019 – 32 SA 25/19, NZI 2019, 998 Rz. 20; OLG Köln v. 21.5.2003 – 2 W 60/03, NZI 2003, 567, 568; Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 7; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 5; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 3. 80 EuGH v. 24.3.2022 – C-723/20, ZIP 2022, 698 Rz. 36.

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Örtliche Zuständigkeit | Rz. 20 § 35

Da die Anzeige die Restrukturierungssache als solche rechtshängig macht, führt sie die Wir- 17 kungen der Rechtshängigkeit nach § 261 Abs. 3 ZPO – die Sperre gegenüber einer erneuten Geltendmachung desselben Streitgegenstandes und der Fortbestand der Zuständigkeit des Prozessgerichts (perpetuatio fori) – für alle Instrumente herbei. Die rechtshängig gemachte Restrukturierungssache wird zu einer, auch zuständigkeitsrechtlichen Einheit verbunden,81 so dass bei mehreren Anträgen stets dasselbe Gericht (und bei diesem Gericht dieselbe Abteilung, § 36 StaRUG) zuständig ist.82 Ein ursprünglich unzuständiges Gericht kann nachträglich zuständig werden.83 Der Norm- 18 zweck der perpetuatio fori bewahrt nur die Zuständigkeit, nicht auch die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts.84 Begründet der Schuldner aber z.B. durch eine Sitzverlegung erst im laufenden Verfahren die örtliche Zuständigkeit, ist die Wirksamkeit besonders kritisch zu hinterfragen (s. Rz. 33).85

3. Prüfung der Zuständigkeit von Amts wegen/Verweisung Das Restrukturierungsgericht hat seine örtliche Zuständigkeit gem. § 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG 19 (wie das Insolvenzgericht nach § 5 InsO)86 von Amts wegen zu prüfen und dazu die zuständigkeitsbegründenden Umstände zu ermitteln.87 Da das Gericht bei seiner Unzuständigkeit vom Amts wegen die Restrukturierungssache unter den Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG aufhebt,88 muss es auch von Amts wegen seine Zuständigkeit prüfen. Zeitlich muss dieses im Sinne einer nachgelagerten Zuständigkeitskontrolle spätestens erfolgen, wenn über einen Instrumentenantrag zu entscheiden ist (§ 39 Rz. 10). Richtiger Weise sollte und kann das Gericht die Sachentscheidungsvoraussetzungen aber bereits nach Eingang der Anzeige prüfen, soweit das möglich ist, und erforderliche Hinweise frühzeitig erteilen (§ 39 Rz. 11). Das unzuständige, angegangene Gericht hat das sachlich und örtlich zuständige Gericht nach 20 pflichtgemäßem Ermessen zu ermitteln.89 Ist zur Ermittlung des zuständigen Gerichts weiterer Aufklärung des Sachverhalts oder einer Beweisaufnahme erforderlich, hat dies vor der Verweisung zu geschehen. Zur Prüfung seiner Zuständigkeit kann das Gericht einen (isolier81 BT-Drucks. 19/24181, S. 131. 82 BT-Drucks. 19/24181, S. 134. 83 BGH v. 1.3.2011 – XI ZR 48/10, NJW 2011, 2515 Rz. 13 = ZIP 2011, 833; OLG Frankfurt v. 11.2.2014 – 11 SV 102/13, juris Rz. 14; AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, NZI 2008, 254; AG Göttingen v. 27.11.2009 – 74 IN 271/09, ZIP 2010, 641; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 7; Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 5; Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 15; Foerste in Musielak/Voit, § 261 ZPO Rz. 15; Greger in Zöller, § 261 ZPO Rz. 12; Vallender in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 5.163. 84 Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, § 261 ZPO Rz. 80; Greger in Zöller, § 261 ZPO Rz. 12. 85 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Rüther in HambKomm/ InsO, § 3 InsO Rz. 7. 86 BGH v. 13.12.2005 – X ARZ 223/05, ZIP 2006, 442 = GmbHR 2006, 383; OLG Schleswig v. 17.12.2015 – 2 AR 27/15, ZInsO 2016, 231; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 31; Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 4; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3 InsO Rz. 28 (Stand: April 2012); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 37; Becker in Nerlich/Römermann, § 3 InsO Rz. 6 (Stand: Juli 2016); Stephan in K. Schmidt, § 3 InsO Rz. 16; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 14. 87 Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 16; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 5; Vallender, ZRI 2021, 165, 166. 88 Der Gesetzgeber versteht die Aufhebungsmöglichkeit als „nachgelagerte Zugangskontrolle“ (BTDrucks. 19/24181, S. 134, 138). 89 Prütting in MünchKomm/ZPO, § 281 ZPO Rz. 34.

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§ 35 Rz. 20 | Örtliche Zuständigkeit ten) Sachverständigen (§ 39 Rz. 36) einsetzen (§ 39 Abs. 1 Satz 2 StaRUG),90 der nach § 9 Abs. 4 Satz 1 JVEG mit 120,– Euro je Stunde vergütet wird (§ 39 Rz. 43).91 21 Ist das angegangene Gericht zuständig, bedarf es – wie beim Insolvenzverfahren – keiner aus-

drücklichen Zulassungsentscheidung.92 Selbst, soweit das Gesetz gegen eine Entscheidung eine sofortige Beschwerde ausdrücklich zulässt (§ 40 Rz. 8), kann sie allein auf die sachliche und örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht gestützt werden (§ 38 Satz 1 StaRUG, § 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO; dazu § 40 Rz. 32).93 Wollen Verfahrensbeteiligte daher entgegenwirken, dass ein unzuständiges Gericht das Restrukturierungsverfahren führt, bleibt dazu nur die Gegenvorstellung.94 Eine anfängliche formlose Einschätzung des Gerichts, zuständig zu sein, bindet dieses nicht. Im Gegenteil hat es während des ganzen Verfahren, also ggf. bis Abhilfeentscheidung (§ 40 Rz. 34 f.), vom Amts wegen seine Zuständigkeit zu überprüfen, ggf. die Voraussetzungen zu ermitteln und auch neue Erkenntnisse zu berücksichtigen. Vor einer Abhilfeentscheidung ist den anderen Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren. Wird im Abhilfeverfahren der Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen, ist das angewiesene Gericht zur Abänderung der vom verweisenden Gericht erlassenen Entscheidungen befugt, soweit diesem die Änderung der eigenen Entscheidung gestattet war.95

22 Ist das Gericht (örtlich) unzuständig, weist es darauf und dass, wenn der Verweisungsantrag

nicht gestellt wird, Abweisung als unzulässig erfolgt, hin (§ 139 ZPO).96 Zeitgleich setzt es dem Schuldner eine Frist, binnen der er einen Verweisungsantrag stellen oder die Anzeige zurücknehmen (vgl. § 31 Abs. 4 Nr. 1 StaRUG) kann (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG). In der Praxis wird es dabei mitteilen, welches Gericht nach Aktenlage örtlich zuständig ist. Den Planbetroffenen und – soweit vorhanden – dem Restrukturierungsbeauftragten und den Mitgliedern des Gläubigerbeirats (§ 93 StaRUG) gewährt das Gericht jedenfalls Gehör, wenn der Schuldner bereits einen Instrumentenantrag gestellt hat. Die gesetzte Frist ist dem Charakter des Verfahrens entsprechend i.d.R. kurz. Meist werden sieben Tage reichen.97 Aus eigenem Interesse wird der Schuldner die Frist möglichst nicht auszunutzen. Stellt der Schuldner den Antrag, erklärt sich das Gericht durch zu begründenden98 Beschluss für unzuständig und verweist das Verfahren, mithin die gesamte Restrukturierungssache, an das zuständige Gericht.99 Der Schuldner muss in seinem Antrag das Gericht, an das verwiesen werden soll, grds. nicht be-

90 Frind, ZRI 2021, 389; Vallender, ZRI 2021, 165, 167, verweist primär auf den Restrukturierungsbeauftragten, doch sei die Bestellung eines Sachverständigen nicht ausgeschlossen. 91 Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 17. 92 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 28 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 16. Die Zulassung ist nur eine vorbereitende richterliche Handlung und daher kein statthafter Gegenstand der sofortigen Beschwerde (§ 40 Rz. 5). Zu § 281 ZPO vgl. Bacher in BeckOK/ZPO, § 281 ZPO Rz. 22. 93 BGH v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, NZI 2005, 184; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 6, 28 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 18; vgl. auch Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 29. 94 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 95 Heßler in Zöller, § 572 ZPO Rz. 5. 96 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); s. auch Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 33; Kexel in Graf-Schlicker, § 3 InsO Rz. 19; Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 31; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 27; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 281 ZPO Rz. 32; Stephan in K. Schmidt, § 3 InsO Rz. 17; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 15. 97 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022): mindestens eine und maximal zwei Wochen; enger Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 19: eine Frist von drei Tagen sei ausreichend. 98 Vgl. BGH v. 13.12.2005 – X ARZ 223/05, ZIP 2006, 442 Rz. 13 = GmbHR 2006, 383. 99 Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 24.

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Örtliche Zuständigkeit | Rz. 25 § 35

stimmt bezeichnet,100 wenn nicht verschiedene Gerichte (vgl. §§ 35, 281 Abs. 1 Satz 2 ZPO) zuständig sind.101 Im Übrigen ergibt die Auslegung, dass er Verweisung an das Gericht beantragt, welches ihm vorher als zuständig vom Gericht genannt wurde. Der Verweisungsantrag kann zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellt werden (§ 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 281 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Stellt der Schuldner weder (wenigstens hilfsweise) den Antrag noch nimmt er die Anzeige 23 zurück, hebt das Gericht die Restrukturierungssache nach § 33 Abs. 1 Satz 2 StaRUG wegen Unzuständigkeit auf.102 Mit Zustellung der Entscheidung lebt die Insolvenzantragspflicht wieder auf (§ 42 Abs. 4 StaRUG; s. § 42 Rz. 9),103 ohne dass es auf die Rechtskraft der Aufhebungsentscheidung ankommt. Ein erneuter Hinweis, etwa weil erkennbar ist, dass ein Beteiligter einen erteilten Hinweis falsch aufgenommen hat oder aufgrund des erteilten Hinweises davon ausgehen durfte, dass die darin geäußerten Bedenken durch sein ergänzendes Vorbringen ausgeräumt sind (vgl. § 38 Rz. 61),104 dürfte in Restrukturierungssachen i.d.R. nicht geboten sein. Gegen die Aufhebung ist die sofortige Beschwerde eröffnet (§ 33 Abs. 3 StaRUG). In der Zeit zwischen Rechtshängigkeit und Verweisung ist die Sache beim unzuständigen Ge- 24 richt anhängig. Seine Entscheidungen sind nicht alleine deswegen unwirksam, weil es unzuständig ist (§ 38 Satz 1, § 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO; dazu § 40 Rz. 32). Es darf diese daher nicht von Amts wegen aufheben.105 Vielmehr wird das bisher bei dem unzuständigen Gericht geführte Verfahren bei dem Gericht fortgesetzt, an welches es verwiesen worden ist, und zwar in dem Stadium, in welchem es sich im Zeitpunkt der Verweisung befand.106 Die Verweisung nach § 38 Satz 1 StaRUG, § 281 ZPO ist (aus Gründen der Prozessökonomie) 25 für das im Beschluss bezeichnete Gericht bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO), es sei denn, der Verweisungsbeschluss beruht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, erfolgte nicht durch den gesetzlichen Richter oder ist objektiv willkürlich und entbehrt jeglicher Rechtsgrundlage.107 Allein aber, dass das verweisende Gericht sich mit einer seine Zuständigkeit begrün100 A.A. Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 34; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 27; Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 23; Geisler in Prütting/Gehrlein, § 281 ZPO Rz. 26; Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 31; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 13; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 15. 101 Zu § 281 ZPO Bacher in BeckOK/ZPO, § 281 ZPO Rz. 16; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 281 ZPO Rz. 33; Greger in Zöller, § 281 ZPO Rz. 7. Anderes gilt nur, wenn mehrere zuständige andere Insolvenzgerichte in Betracht kommen. Dann muss das Gericht angegeben werden, an das verwiesen werden soll (dazu AG Göttingen v. 5.1.2001 – 74 IN 278/00, ZIP 2001, 387; Schmerbach in FK/InsO, § 3 InsO Rz. 39; zu § 281 ZPO wegen § 35 StaRUG ZPO Bacher in BeckOK/ZPO, § 281 ZPO Rz. 16; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 281 ZPO Rz. 36. 102 Haffa/Schuster in Braun, § 33 StaRUG Rz. 7; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 33 StaRUG Rz. 8. Im Insolvenzverfahren (Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 32; Sternal in Kayser/Thole, § 2 InsO Rz. 24; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 27, 31; Becker in Nerlich/Römermann, § 3 InsO Rz. 50 (Stand: Juli 2016); Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 18) und Zivilprozess (Bacher in BeckOK/ZPO, § 281 ZPO Rz. 16) würde der Antrag als unzulässig abgewiesen. 103 Mock in BeckOK/StaRUG, § 42 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ohne zeitliche Konkretisierung BT-Drucks. 19/24181, S. 145; Kuleisa in HambKomm/RestruktR, § 42 StaRUG Rz. 23; Demisch/Schwencke in Morgen, § 42 StaRUG Rz. 66. 104 Vgl. BGH v. 27.3.2018 – X ZB 11/17, MDR 2018, 1209 Rz. 20; Bacher in BeckOK/ZPO, § 321a ZPO Rz. 38.1. 105 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 32; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 18 f. 106 Zu § 3 InsO BGH v. 7.7.2022 – IX ZB 14/21, BeckRS 2022, 21379 Rz. 11 107 BGH v. 9.6.2015 – X ARZ 115/15, ZIP 2015, 1803 Rz. 9; BGH v. 13.12.2005 – X ARZ 223/05, ZIP 2006, 442 Rz. 12 = GmbHR 2006, 383; BayObLG v. 19.12.2019 – 1 AR 139/19, ZIP 2020, 624, 627; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 35; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 31 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Bacher in BeckOK/ZPO, § 281 ZPO Rz. 31 ff.; Schmerbach in FK/ InsO, § 3 InsO Rz. 42 f.; Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 34 ff.; Sternal in Kayser/Thole,

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§ 35 Rz. 25 | Örtliche Zuständigkeit denden Norm nicht befasst hat, etwa weil es die Vorschrift übersehen oder deren Anwendungsbereich unzutreffend beurteilt hat, begründet noch keine Willkür.108 Die Bindungswirkung tritt ein, wenn der Beschluss wirksam ist. Bei nicht verkündeten Beschlüssen ist dies gem. § 329 Abs. 2 Satz 1 StaRUG der Fall, wenn sie zumindest formlos mitgeteilt worden sind.109 Die Reichweite der Bindungswirkung richtet sich danach, was das verweisende Gericht geprüft hat und dieses im Beschluss zum Ausdruck kommt.110 Hat es nur die örtliche oder nur die sachliche Zuständigkeit beurteilt, kann das andere Gericht das Verfahren wegen Unzuständigkeit hinsichtlich des ungeprüft gebliebenen Gesichtspunktes an ein drittes Gericht weiterverweisen.111 Die Bindungswirkung bleibt nach § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO auch dann bestehen, wenn sich die Zuständigkeit begründenden Umstände später ändern (perpetuatio fori).112 26 Soweit statt der Verweisung durch Beschluss alternativ eine formlose Abgabe erwogen wird,113

etwa bei einem Wohnsitzwechsel, ist eine solche mangels klarer Rechtsgrundlage und fehlender Bindungswirkung114 nicht zu empfehlen.115

27 Mit dem Eingang der Akten bei dem Gericht, an das das Verfahren verwiesen wurde, wird

die Sache dort anhängig (§ 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO).116 Es tritt ein Wechsel der Anhängigkeit ein. Es verbleibt aber bei einem einheitlichen Verfahren.117 Dieses wird in dem Stadium fortgesetzt, in dem es sich zum Zeitpunkt der Verweisung befand.118 Die bereits eingetretenen Wirkungen der Rechtshängigkeit und aller übrigen Verfahrenshandlungen bleiben wirksam.

4. Sitzverlegung und Forum Shopping im Inland 28 In Insolvenzverfahren wird zur internationalen Zuständigkeit (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO)119 die

Problematik diskutiert, dass Schuldner versuchen, Gerichtsverfahren gezielt örtlich zu verlagern, um auf diese Weise eine günstigere Rechtsstellung zum Nachteil der Gläubiger zu erlangen („Forum Shopping“).120 Auch innerhalb Deutschlands, obgleich das anwendbare Recht

108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119

120

§ 3 InsO Rz. 25; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3 InsO Rz. 25 (Stand: April 2012); Ganter/ Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 28 ff.; Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 24; Geisler in Prütting/Gehrlein, § 281 ZPO Rz. 52 ff.; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 16. BGH v. 9.6.2015 – X ARZ 115/15, ZIP 2015, 1803 Rz. 11; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 281 ZPO Rz. 55. BGH v. 22.2.1995 – XII ARZ 2/95, NJW-RR 1995, 641; OLG Düsseldorf v. 19.1.2015 – I-5 Sa 83/14, MDR 2015, 419. Prütting in MünchKomm/ZPO, § 281 ZPO Rz. 45. Bacher in BeckOK/ZPO, § 281 ZPO Rz. 27. Vgl. § 34 Rz. 16. Schmerbach in FK/InsO, § 3 InsO Rz. 47; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 30a; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 17. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3 InsO Rz. 27 (Stand: April 2012). Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 34; Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 27. Vgl. Bacher in BeckOK/ZPO, § 281 ZPO Rz. 23; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 281 ZPO Rz. 43. BGH v. 17.4.1984 – IX ZR 153/83, BGHZ 91, 126 = ZIP 1984, 751. Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 26. Vor dem Brexit war ein Hauptfall, dass ein Schuldner in das Vereinigte Königreich gezogen ist, um dort seine Zahlungsunfähigkeit zu erklären und damit in den Genuss bestimmter Vorteile zu kommen, die das Insolvenzrecht des Vereinigten Königreichs bietet, wie die relativ kurze Frist von zwölf Monaten, nach der der Insolvenzschuldner grundsätzlich von der Restschuld befreit wird (EuGH v. 11.11.2021 – C-168/20, NZG 2022, 29 Rz. 99; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 5 Rz. 7; mit Einzelheiten zur Frage, ob eine solche Gestaltung ordre-public-widrig sei Deppenkemper in Uhlenbruck, Art. 33 EuInsVO Rz. 27). Vgl. zuletzt EuGH v. 24.3.2022 – C-723/20, ZIP 2022, 698 Rz. 27, 32.

566 | Deppenkemper

Örtliche Zuständigkeit | Rz. 30 § 35

durch eine Verlagerung innerhalb Deutschlands unberührt bleibt, werden seit langem Gestaltungen diskutiert, in denen kurz vor Antragstellung die tatsächlichen Anknüpfungspunkte (Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit, Wohn- bzw. Satzungssitz) für die örtliche Zuständigkeit geändert und damit die Zuständigkeit eines anderen Gerichts begründet werden soll.121 Der BGH betont die Pflicht des Insolvenzgerichts, gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO von Amts we- 29 gen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Dabei hat es die zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit eines anderen Insolvenzgerichts vorgetragenen Umstände zu würdigen und gegebenenfalls von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären.122 Konkreten Anhaltspunkten dafür, dass ein Antrag missbräuchlich, etwa zum Zweck einer (ggf. strafbaren)123 Firmenbestattung,124 bei der eine Gesellschaft verdeckt liquidiert werden soll, um ein Insolvenzverfahren zu vermeiden oder solange wie möglich hinauszuzögern gestellt wird, hat das Insolvenzgericht nachzugehen.125 Ein Eröffnungsantrag, der nicht in Einklang mit den Verfahrenszielen nach § 1 InsO steht und z.B. unabhängig von den Vermögensverhältnissen des Schuldners und etwa bestehenden Ansprüchen gegen Gesellschafter, Geschäftsführer und Anfechtungsgegner ausschließlich auf eine Abweisung des Antrags mangels einer die Kosten des Insolvenzverfahrens deckenden Masse (§ 26 InsO) gerichtet ist, ist rechtsmissbräuchlich. Darauf kann hindeuten, wenn der Schuldner seine Vermögenslosigkeit nur vortäuscht oder seine Vermögensverhältnisse vorsätzlich so verschleiert, dass eine sinnvolle Sachaufklärung und damit ein ordnungsgemäßes Verfahren nicht möglich ist.126 Äußere Anzeichen hierfür sind der Austausch der Geschäftsführer, die Veräußerung aller Gesellschaftsanteile, der Verlust der Geschäftsunterlagen und schließlich der Insolvenzantrag, der keinerlei verwertbare Vermögensgegenstände mehr ausweist.127 Folge ist, dass der Eröffnungsantrag unzulässig und auf Antrag an das örtlich zuständige Insolvenzgericht zu verweisen ist (§ 4 InsO, § 281 ZPO).

Die tatsächliche Feststellung einer solchen „Firmenbestattung“ ist oft schwierig, die rechtliche 30 Beurteilung aber weitgehend unstreitig. Über den Fall der klassischen „Firmenbestattung“ gab in letzter Zeit insbesondere das sog. „Bremer Modell“128 Anlass zur Erörterung, ob in weiteren Konstellationen bei einer kurzfristig vor Antragstellung erfolgte Sitzverlegung ein Rechtsmissbrauch vorliege bzw. indiziert sei.129 Denn beim Bremer Modell ging es, soweit ersichtlich, 121 Zum Ganzen Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 25 ff. (Stand: 15.4.2022). 122 BGH v. 13.12.2005 – X ARZ 223/05, ZIP 2006, 442 Rz. 13 = GmbHR 2006, 383. 123 Vgl. BGH v. 9.6.2022 – 5 StR 407/21, ZInsO 2022, 1796; zu Disziplinarmaßnahmen gegenüber dem beurkundenden Notar BGH v. 8.4.2019 – NotSt(Brfg) 5/18, NJW-RR 2019, 1143; BGH v. 23.11.2015 – NotSt (Brfg) 4/15, NJW-RR 2016, 251. 124 Einzelheiten bei Baumert in Braun, § 3 InsO Rz. 20 ff.; Kexel in Graf-Schlicker, § 3 InsO Rz. 17 f.; Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 39 ff.; Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 20–22; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 40; Schultz in Pape/Reichelt/Schultz/Voigt-Salus, InsolvenzR, § 13 Rz. 5. 125 BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 84/19, ZIP 2020, 1250 Rz. 13 mit Anm. Deppenkemper, EWiR 2020, 463 f.; Anm. Laroche, NZI 2020, 681 f.; Pfälz. OLG v. 3.6.2013 – 3 W 87/12, ZIP 2013, 2463 = GmbHR 2013, 1093. 126 BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 84/19, ZIP 2020, 1250 Rz. 8. 127 BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 84/19, ZIP 2020, 1250 Rz. 10. 128 Dazu Blankenburg, ZInsO 2021, 2523 ff.; Smid, ZInsO 2021, 981 ff., 998 ff.; Smid, ZInsO 2021, 1893 ff. Im Fall Germany Property Group hat das AG Bremen (Beschl. v. 17.9.2020 – 531 IN 1/20) den Eröffnungsantrag wegen fehlender örtlicher Unzuständigkeit als unzulässig zurückgewiesen (dazu Smid, ZInsO 2021, 981, 998 ff.), auf die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde das LG Bremen (v. 5.10.2020 – 6 T 370/20, ZIP 2021, 590) mit zweifelhafter Begründung den Beschluss des AG Bremen aufgehoben und festgestellt, dass das AG Bremen für die Durchführung des Insolvenzverfahrens örtlich zuständig ist. 129 Allgemein zur „Gerichtsstandserschleichung“ Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 38 ff.

Deppenkemper | 567

§ 35 Rz. 30 | Örtliche Zuständigkeit nicht primär darum, es den Gläubigern zu erschweren, ihre Forderungen (ggf. auch gegen die Geschäftsführung) durchzusetzen, sondern aus verschiedenen Gründen sollte die örtliche Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts erreicht werden. Wenn die Sitzverlegung (sowie der Austausch der Gesellschafter und Geschäftsführer) tatsächlich wirksam erfolgten130 und nicht nur simuliert ist (vgl. § 117 BGB) führt dieses zu der Frage, ob die dargestellte Rechtsprechung zur rechtsmissbräuchlichen Zuständigkeitserschleichung weiterzuentwickeln und wegen Umgehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG) auf rechtliche Konstruktionen außerhalb der gewerbsmäßigen Firmenbestattung zu erstrecken sei,131 wenn Indizien dafür vorliegen, dass die Sitzverlegung nicht aus wirtschaftlichen oder sonstigen insolvenzfremden Gründen, sondern primär zur Begründung der gerichtlichen Zuständigkeit erfolgt ist,132 oder ob die beurteilenden Sachverhalt nicht vergleichbar sind und letztlich erlaubt ist, was nicht verboten ist.133 31 Die mit „Insolvency Planning“134 plastisch umschriebene Frage stellt sich vergleichbar für das

Restrukturierungsverfahren.135 Auch hier mag es aus Unternehmenssicht etwa interessant sein, ob und in welchem Umfang die Auswahl des Verwalters beeinflusst werden kann, ob ein Gericht im Ruf besonderer Qualitäten steht, welche Rechtsanwendung und praktische Handhabung sich zu einzelnen, ggf. streitigen Rechtsfragen bei den jeweiligen Gerichten etabliert haben,136 wie schnell die Bearbeitung erfolgt137 und, nicht zuletzt, ob und inwieweit ein Gericht sich unkritisch „führen“ lässt.138 Das europäische Rechtsmissbrauchsverbot verbietet aber, dass betrügerische oder sonst missbräuchliche Berufung auf europarechtlich begründete Rechte erfolgt.139

32 In solchen Fällen ist, da eine bloß scheinbare Sitzverlegung nicht ausreicht, zunächst sorgsam

zu prüfen, ob die Sitzverlegung überhaupt formal wirksam ist.140 Ist dieses der Fall prüft das Restrukturierungsgericht von Amts wegen, ob eine in Hinblick auf die Ziele des Restrukturierungsverfahrens rechtsmissbräuchliche Gestaltung vorliegt.141 Die im Insolvenzverfahren typische Behinderung der Verfahrensteilhabe der Gläubiger,142 die die Regelungen zum Ge-

130 Zur Problematik, ob dann noch ein wirksamer Gesellschafterbeschluss zur Sitzverlegung gefasst werden kann, wenn die Gesellschaft bereits ihren Geschäftsbetrieb eingestellt hat oder insolvenzreif war, Blankenburg, ZInsO, 2021, 2523, 2525 mit Fn. 6. 131 So Hellfeld, NZI 2021, 84 f. 132 So Blankenburg, ZInsO 2020, 2523, 2525: Entscheidendes Merkmal für eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung sei die zeitliche Nähe der Sitzverlegung zum Insolvenzantrag. 133 So Paulus, EWiR 2021, 215, 216; i.E. auch Baumert in Braun, § 3 InsO Rz. 22 und bereits Mankowski, NZI 2008, 355, 356: „Ein Restunbehagen im Prinzipiellen kann Insolvency Planning nicht schlechterdings Berechtigung und Wirkung absprechen.“ 134 Mankowski, NZI 2008, 355, 356. 135 Für das ESUG-Verfahren hat die Evaluation durch Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ergeben, dass nach einer knappen Mehrheit der Befragten die unterschiedliche Behandlung von ESUG-Verfahren bei den einzelnen Gerichten zu Ausweichstrategien (z.B. Sitzverlegung) geführt habe, vgl. BTDrucks. 19/4880, S. 70, 276. 136 Beispiele bei Frind, NZI 2019, 697, 698. 137 Mankowski, NZI 2008, 355, 356. 138 Vgl. Frind, NZI 2019, 697, 699, der beobachtet, dass überwiegend die Antragsverlagerungen nicht zum Gericht des „größeren Sachverstands“ erfolgten. 139 EuGH v. 22.11.2017 – C-251/16, DStRE 2018, 617 Rz. 27 ff. 140 Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 21; Einzelheiten zur GmbH bei Jaeger in BeckOK/ GmbHG, § 4a GmbHG Rz. 7 (Stand: 1.6.2022); Raff in Rowedder/Pentz, § 4a GmbHG Rz. 17; Scheller in Scholz, § 4a GmbHG Rz. 23. 141 Zur insolvenz- und restrukturierungsgerichtlicher Amtsermittlung Smid in FS Markus Gehrlein, 2022, S. 511 ff. 142 Vgl. AG Köln v. 19.2.2008 – 73 IE 1/08, ZIP 2008, 423, 428: „Als rechtsmissbräuchlich werden nämlich u.a. nur Scheinsitzverlegungen oder bloße Scheinaktivitäten bezeichnet, die vor allem dem Ziel dienen, den Gläubigerschutz negativ zu tangieren“; Frind, NZI 2019, 697 f.

568 | Deppenkemper

Örtliche Zuständigkeit | Rz. 33 § 35

richtsstand verhindern wollen, wird im Restrukturierungsverfahren deutlich weniger zum Tragen kommen,143 da hier der Schuldner i.d.R. bemüht sein wird, die Planbetroffenen einzubeziehen und zur aktiven Mitwirkung zu motivieren. Denn anders als nach § 244 Abs. 1 InsO für den Insolvenzplan kommt es für die erforderliche Mehrheit zur Annahme des Restrukturierungsplans auf alle vorhandenen Stimmrechte an (§ 25 Abs. 1 StaRUG). Eine Mehrheit lediglich in Bezug auf die abgegebenen oder durch die erschienenen Gläubiger repräsentierten Stimmen reicht nicht.144 Ferner ist nicht nur (wie bei § 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO) eine einfache Mehrheit, sondern eine qualifizierte Summenmehrheit von 75 % der vorhandenen Stimmrechte gefordert.145 Der Schuldner hat also ein eigenes Interesse daran, dass die Planbetroffenen an der Abstimmung teilnehmen, da nicht abgegebene Stimmen wie Neinstimmen zählen.146 I.d.R. wird sich auch die besonders problematische (und streitige) Frage, ob durch die Verlagerung von Abwicklungstätigkeiten die örtliche Zuständigkeit „verlegt“ werden kann,147 was restriktiv gesehen und dafür wenigstens „Abwicklungsmaßnahmen mit Außenwirkung“ verlangt werden sollten,148 nicht vergleichbar stellen. In Restrukturierungsverfahren geht es daher primär darum, ob die (durchaus aufwendige) 33 Gestaltung der für die örtliche Zuständigkeit maßgebenden Anknüpfungssachen zum Zweck, dass ein möglichst „genehmes“ Gericht zuständig werde,149 rechtsmissbräuchlich ist. Dazu müsste es rechtliche Gründe für die Missbilligung geben, etwa weil die Gestaltung nicht gesetzlich vorgesehenen, sondern anderen, nicht notwendig unerlaubten, aber funktionsfremden und rechtlich zu missbilligenden Zwecken dient.150 Davon ist i.d.R. nicht auszugehen.151 Aus Gründen der Rechtsklarheit empfiehlt sich eine grds. auf die tatsächlichen objektiven Umstände abstellende Bewertung. Die ausnahmsweise Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Vorgehens bedarf der Feststellung von sachfremden Erwägungen.152 Im Einzelfall wird aber schon kaum – zweifelsfrei153 – feststellbar sein, dass nicht auch andere – sachlich nachvollziehbare – Gründe die Verlegung motiviert haben.154 Im Übrigen wird zwar zutreffend betont, dass die ausschließliche örtliche Zuständigkeit (§ 35; § 3 InsO) eine Gerichtsstandsauswahl nicht erlaubt.155 Allerdings wählt der Schuldner nicht einen Gerichtsstand, sondern zieht, wenn die Anknüpfungstatsachen tatsächlich geändert sind, die grundsätzlich richtige und notwendige Konsequenz aus der Veränderung der tatsächlichen Umstände. Rechtsmissbräuchlich könnte

143 144 145 146 147 148 149 150 151

152 153 154 155

Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 20; wohl a.A. Frind, NZI 2019, 697, 701. Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 25 StaRUG Rz. 7. Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 25 StaRUG Rz. 8. Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 25 StaRUG Rz. 8. Dazu Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 13–13.1 (Stand: 15.4.2022). Vgl. mit Einzelheiten Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3 InsO Rz. 14; Sternal in Kayser/ Thole, § 3 InsO Rz. 8; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 7b; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 11. Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 3 A. II. Rz. 41, spricht vom „Richterhopping“. BGH v. 30.4.2015 – IX ZR 301/13, NZI 2015, 550 Rz. 8. A.A. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022): unabhängig von der Motivation für jeden Fall, dass die tatsächlichen Umstände künstlich zum Zwecke der Zuständigkeitsbegründung geschaffen worden sind; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 16; Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 22; zu § 3 InsO Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 21; Smid, ZInsO 2021, 981 ff., 1010. Vgl. BGH v. 12.9.2013 – I ZB 39/13, NJW-RR 2014, 886 Rz. 12. Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 22; Gerhardt in Jaeger, § 3 InsO Rz. 41. Vgl. zu diesen Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 35 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 21 a.E. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Frind in Bieg/Borchardt/ Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 3 A. II. Rz. 41; zu § 3 InsO Blankenburg, ZInsO 2020, 2523, 2525; Smid, ZInsO 2021, 981, 983.

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§ 35 Rz. 33 | Örtliche Zuständigkeit also nur sein, dass er die Anknüpfungstatsachen vor seiner Anzeige (gezielt) so gestaltet hat, dass die Vorschriften zur (ausschließlichen) örtlichen Zuständigkeit umgangen würden. Ein Umgehungsgeschäft liegt aber nur vor, wenn durch Umgehung verbotener rechtlicher Gestaltungen ein vom Gesetz verbotener Erfolg herbeigeführt werden soll. Der Gesetzgeber des BGB wollte dieses zunächst durch eine letztlich nicht Gesetz gewordene Zusatzregel zu § 134 BGB zum Ausdruck bringen, nach der einem verbotenen Rechtsgeschäfte auch ein solches Geschäft gleich zu achten ist, „das in anderer Rechtsform den nämlichen Zweck erreichen will, dem das gesetzliche Verbot des erstgedachten Geschäfts entgegentritt“.156 Es müsste mithin eine am Sinn und Zweck des § 35 StaRUG orientierte Auslegung ergeben, dass er der scheinbar zulässigen Gestaltung der Anknüpfungstatsachen entgegenstehe.157 Das gibt aber weder der Wortlaut der Norm noch die Gesetzesbegründung her. Obgleich die Problematik der Gerichtsstandserschleichung zu § 3 InsO seit Jahren intensiv erörtert wird (Rz. 28 f.), hat der Gesetzgeber ohne jedwede Erörterung schlicht das insolvenzverfahrensrechtliche Vorbild übernommen.158 Der Anregung, in § 3 InsO eine Klausel zum Schutz gegen Forum Shopping einzuführen, nach der bei einer Sitzverlegung nach der Einstellung der Geschäftstätigkeit die Vermutung bestehe, dass sie rechtsmissbräuchlich erfolgt sei und dass i.Ü. für einen zulässigen Insolvenzantrag der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit seit mindestens 3 Monaten im Gerichtsbezirk des angerufenen Insolvenzgerichts liegen müsse,159 ist er nicht gefolgt. Diesem sehr sinnvollen Vorschlag, wegen des Trends zum nationalen „Forum shopping“ eine „Suspektperiode“ analog der Regelungen des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2, Unterabs. 3 Satz 2 und Unterabs. 4 Satz 2 EuInsVO (Rz. 34)160 für Sitzverlegungen zu implementieren,161 hat der Gesetzgeber nicht aufgenommen.162 Umgekehrt bietet § 37 StaRUG für Schuldner, die einer Unternehmensgruppe i.S.d. § 3e InsO angehören, sogar die gesetzliche Möglichkeit eines Forum-Shoppings.163 Zudem zeigen die Regelungen zum sog. fliegenden Gerichtsstands (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 1 UWG)164 und insbesondere § 35 ZPO, der dem Kläger die Wahl unter mehreren zuständigen Gerichten lässt, ohne dass das Gesetz das Wahlrecht an weitere Voraussetzungen knüpft,165 dass der Gesetzgeber die Gerichte für „gleichwertig“ erachtet166 und die Wahl auch in Hinblick auf die dortigen Gepflogenheiten nicht rechtsmissbräuchlich ist.167 So kann durchaus sachge-

156 Prot. I, S. 156 = Mugdan I, 1899, S. 725; vgl. Dorn in HKK/BGB, §§ 134–137 BGB Rz. 24; Fischinger/ Hengstberger in Staudinger, Neubearbeitung 2021, § 134 BGB Rz. 167, 174. 157 Vgl. Armbrüster in MünchKomm/BGB, BGB, § 134 BGB Rz. 19. 158 BT-Drucks. 19/24181, S. 141. 159 So Blankenburg, ZInsO 2020, 2523, 2526. 160 Dazu Rz. 34. 161 So Frind, NZI 2019, 697, 702; Frind, ZInsO 2020, 2242, 2244. 162 Baumert in Braun, § 35 StaRUG Rz. 10. 163 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 5. 164 Dazu Ehricke/Könen in MünchKomm/UWG, 3. Aufl. 2022, § 14 UWG Rz. 68. Nach dem mit Wirkung v. 2.12.2020 eingefügte § 14 Abs. 2 UWG ist für bestimmte Rechtsstreitigkeiten nur das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. 165 BGH v. 12.9.2013 – I ZB 39/13, NJW-RR 2014, 886 Rz. 9. 166 Zum Gruppengerichtsstand nach § 3a InsO vgl. BT-Drucks. 18/407, S. 19: „Indessen muss schon bezweifelt werden, dass sich Strategien, welche in einem innerstaatlichen Anwendungskontext auf die Befassung eines bestimmten Gerichts zielen, einen Missbrauch darstellen. Denn anders als im grenzüberschreitenden Kontext hat die Zuständigkeit eines Gerichts keine Auswirkungen auf das anzuwendende Recht. Und die im Missbrauchsargument offen enthaltene Unterstellung, dass einige Gerichte mit den bei ihnen anhängigen Verfahren nicht angemessen umgehen, läuft auf die dem deutschen Justizsystem nicht gerecht werdende Annahme hinaus, es werde von bestimmten Gerichten das geltende Recht nicht richtig angewendet.“ 167 KG v. 25.1.2008 – 5 W 371/07, GRUR-RR 2008, 212, 213; Kähler in BeckOGK/BGB, § 242 BGB Rz. 1847 (Stand: 1.6.2022); Toussaint in BeckOK/ZPO, § 35 ZPO Rz. 7.1; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, § 35 ZPO Rz. 13; a.A. OLG Hamm v. 15.5.1986 – 4 U 326/85, NJW 1987, 138.

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Örtliche Zuständigkeit | Rz. 34 § 35

mäß sein zu beachten, ob ein Gericht bereits Erfahrungen in der relevanten Sachmaterie aufweist. Und auch taktische Erwägungen, einen Gerichtsstand zu wählen, an dem nach eigner Einschätzung für das konkrete Begehren voraussichtlich die besten Erfolgsaussichten bestehen, ist als solches nicht rechtsmissbräuchlich.168 Eine andere (gewichtige) Problematik ist, dass bei der Auswahl des Restrukturierungsbeauftragten auf die nach § 74 Abs. 1 StaRUG ausdrücklich geforderte Unabhängigkeit strikt zu achten ist;169 bei einem bindenden Vorschlag nach § 74 Abs. 2 StaRUG kann die kurzfristige Verlegung Anlass zur Erwägung geben, nach § 74 Abs. 3 StaRUG einen weiteren Restrukturierungsbeauftragen zu bestellen.

V. Internationale Zuständigkeit Die Öffentliche Restrukturierungssachen (§§ 84 ff. StaRUG) sind mit Wirkung zum 34 9.1.2022 durch VO (EU) 2021/2260 v. 15.12.2021170 in Anhang A der EuInsVO aufgenommen worden. Art. 1 Abs. 1 Satz 3 EuInsVO verweist für den Begriff eines Insolvenzverfahrens i.S.d. Abs. 1 auf Anhang A. Anhang A ist damit eine eigenständige Aufzählung der Verfahren, auf die die EuInsVO Anwendung findet.171 Als in Anhang A aufgenommen gilt daher für die Öffentlichen Restrukturierungssachen die EuInsVO (§ 84 Rz. 44). Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach Art. 3 EuInsVO.172 Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 EuInsVO sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens ausschließlich zuständig,173 wobei Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 EuInsVO als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen den Ort festlegt, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist.174 Der „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ ist aus Gründen der Rechtssicherheit „anhand einer Gesamtwürdigung aller objektiven und von Dritten, insbesondere von Gläubigern, feststellbaren Kriterien zu bestimmen, die geeignet sind, den tatsächlichen Ort zu bestimmen, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht.“175 Bei Gesellschaften oder juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 EuInsVO vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort ihres Sitzes ist.176 Bei Verlagerungen sind die neuen Karenzfristen des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2, Unterabs. 3 Satz 2 und Unterabs. 4 Satz 2 EuInsVO177 zu beachten, die rechtsmissbräuchlichen Insolvenz168 Vgl. zu § 35 ZPO: BGH v. 12.9.2013 – I ZB 39/13, NJW-RR 2014, 886 Rz. 11. 169 Zum Insolvenzverwalter Frind in HambKomm/InsO, § 56 InsO Rz. 97 ff.; Zipperer in Uhlenbruck, § 56 InsO Rz. 41 ff.; Smid, ZInsO 2021, 981, 986 f.; Smid, ZInsO 2021, 1893, 1895 f. 170 ABl. EU Nr. L 455 v. 20.12.2021, S. 4. 171 Mock in BeckOK/InsR, Art. 1 EuInsVO Rz. 10; Ehret in Braun, Art. 1 EuInsVO Rz. 18 f.; Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 1 EuInsVO Rz. 2a. 172 Laroche in Flöther, § 35 StaRUG Rz. 5; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 20. 173 EuGH v. 24.3.2022 – C-723/20 (Galapagos), ZIP 2022, 698 Rz. 30; BGH v. 7.7.2022 – IX ZB 14/21, BeckRS 2022, 21379 Rz. 8; zur Feststellung des COMI Madaus in Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO Rz. 13 ff. (Stand: Dezember 2021); Paulus, Art. 3 EuInsVO Rz. 5 ff.; Knof in Uhlenbruck, Art. 3 EuInsVO Rz. 6 ff. 174 Dazu BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 72/19, ZIP 2021, 90 Rz. 15; Madaus in Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO Rz. 24 ff. (Stand: Dezember 2021); Vallender/Zipperer in Vallender, Art. 3 EuInsVO Rz. 16 f.; Mäsch in Rauscher, Art. 3 EuInsVO Rz. 11. 175 EuGH v. 16.7.2020 – C-253/19 (MH/Novo Banco), NZI 2020, 805 Rz. 22. Zu den im Einzelnen streitigen Kriterien vgl. Kindler in MünchKomm/BGB, Art. 3 EuInsVO Rz. 18 ff. 176 Dazu Knof in Uhlenbruck, Art. 3 EuInsVO Rz. 22 ff. 177 Dazu Madaus in Kübler/Prütting/Bork, Art. 3 EuInsVO Rz. 17 (Stand: Dezember 2021); Thole in MünchKomm/InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 61; Vallender/Zipperer in Vallender, Art. 3 EuInsVO Rz. 20 ff.; Mäsch in Rauscher, Art. 3 EuInsVO Rz. 23; Frind, NZI 2019, 697, 700.

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§ 35 Rz. 34 | Örtliche Zuständigkeit tourismus entgegenwirken sollen.178 Im Übrigen bleibt ein Gericht eines Mitgliedstaats, das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens befasst ist, für dessen Eröffnung weiter ausschließlich zuständig, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners nach Antragstellung, aber vor der Entscheidung über diesen Antrag in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wird.179 Dass befasste Gericht hat nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO von Amts wegen seine Zuständigkeit zu prüfen.180 Die erste Entscheidung des Restrukturierungsgerichts ist dann die Eröffnungsentscheidung i.S.v. Art. 2 Nr. 7 EuInsVO.181 Das anwendbare Recht richtet sich nach Art. 7–18 EuInsVO. Die Anerkennung regelt Art. 36 EuInsVO.182 35 Die vertraulichen Restrukturierungssachen, die nicht öffentlich sind, können weder öffent-

lich bekannt gemacht werden noch sind sie in Anhang A der EuInsVO aufgenommen. Die EuInsVO ist für sie nicht anwendbar.183 Streitig diskutiert wird daher, ob sie der EuGVVO unterfallen, da „so weit wie möglich“ (ErwGr. 7 Satz 3 zur EuInsVO) Rechtslücken (und Überschneidungen) zwischen der EuInsVO und der EuGVVO vermieden werden sollen.184 Allerdings ist, was unter die EuInsVO fällt, unabhängig davon, ob das Verfahren in Anhang A aufgenommen ist,185 durch die insolvenzrechtliche Bereichsausnahme (Art. 1 Abs. 2 Buchst. b EuGVVO) erfasst.186 Nach vielfach vertretener Auffassung sei das bei vertraulichen Restrukturierungssachen nicht der Fall,187 so dass die EuGVVO anwendbar ist. Überzeugender ist es, auch die vertraulichen Restrukturierungssachen als Sanierungsverfahren unter die Bereichsausnahme zu fassen.188 Wenn dann der Gesetzgeber die entstandene Lücke nicht schließt, indem der die Aufnahme in Anhang A beantragt,189 folgt die internationale Zuständigkeit aus § 35 StaRUG.190 Diesen kommt eine doppelte Funktion zu, indem er sowohl die örtliche als

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Mock in BeckOK/InsR, Art. 3 EuInsVO Rz. 16. EuGH v. 24.3.2022 – C-723/20 (Galapagos), ZIP 2022, 698 Rz. 36. EuGH v. 24.3.2022 – C-723/20 (Galapagos), ZIP 2022, 698 Rz. 34. Römer in Nerlich/Römermann, § 35 StaRUG Rz. 13 (Stand: November 2021). Deppenkemper in Uhlenbruck, Art. 32 EuInsVO Rz. 17. Madaus, ZIP 2022, 1233, 1237. EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18 (Riel), NZI 2019, 861 Rz. 33; Schack, IZVR § 26 Rz. 1310; einschr. wegen ErwGr. 7 Satz 4 Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041, 1043; Thole, ZIP 2021, 2153, 2155. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalt Szpunar v. 27.3.2019 – C-716/17 (A) Rz. 31. EuGH v. 14.11.2018 – C-296/17, NZI 2018, 994 Rz. 36; BGH v. 15.6.2021 – II ZB 35/20, NZI 2021, 739 Rz. 21; Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 102. Skauradszun in BeckOK StaRUG, § 84 StaRUG Rz. 63 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Madaus in Kübler/ Prütting/Bork, Art. 1 EuInsVO Rz. 21 (Stand: Dezember 2021); Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 134; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 20; Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 109; Madaus, ZIP 2022, 1233, 1237; Schmidt, ZInsO 2021, 654, 657 f.; Skauradszun, ZRI 2020, 625, 631; in Fällen geringer gerichtlicher Einbindung Schelo, WM 2022, 556, 559. Abel/Herbst in Morgen, Anh. § 86 StaRUG Rz. 20; Schinkel in HambK/RestruktR, § 85 StaRUG Rz. 53; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, Vor §§ 84–88 StaRUG Rz. 7; Cranshaw, ZInsO 2021, 2345, 2354; Hoos/Schwartz/Schlander, ZIP 2021, 2214, 2219; Kahlert/Schumann, DStR 2021, 2741, 2748; Paulus/Bähr/Hackländer, ZIP 2021, 1085, 1089 f.; Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041, 1046; Thole, ZIP 2021, 2153, 2154. Bornemann in Graf-Schlicker, Art. 1 EuInsVO Rz. 47 f. Schmidt/Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 22; Römer in Nerlich/Römermann, § 35 StaRUG Rz. 12 (Stand: 11.2021); Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 27; Kern, NZI-Beilage 2021, 74, 76. Madaus, ZIP 2022, 1233 ff., erörtert, ob § 35 StaRUG durch die Anwendung der EuGVVO überlagert werden dürfe, so dass durch Gerichtsstandsvereinbarungen oder Ankerbeklagte auch Schuldnern mit Sitz im Ausland eine Restrukturierung in Deutschland ermöglicht werde.

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Einheitliche Zuständigkeit | Rz. 1 § 36

auch die internationale Zuständigkeit bestimmt.191 Es gelten die §§ 335 ff. InsO. Die verfahrensrechtliche Anerkennung der gerichtlichen Planbestätigungsentscheidung sowie etwaiger vorgelagerter gerichtlicher Anordnungen erfolgt nach § 343 InsO, da das Restrukturierungsverfahren trotz seiner Teilkollektivität funktionell ein Insolvenzverfahren (im weiteren Sinne) darstellt.192

§ 36 Einheitliche Zuständigkeit Für alle Entscheidungen und Maßnahmen in der Restrukturierungssache ist die Abteilung zuständig, die für die erste Entscheidung zuständig war. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Normzweck und -genese . . . . . . . . . . . . . . II. Restrukturierungssache . . . . . . . . . . . . . . . III. Abteilungszuständigkeit für alle Entscheidungen und Maßnahmen . . . . . . . . . . . . .

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IV. Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6

I. Normzweck und -genese Die (überflüssige)1 Norm ist Ausdruck der (verfehlten) Vorstellung, dass aus dem modularen 1 Konzept der Instrumente folge, dass sie nicht einer einheitlichen Restrukturierungssache zugehörten und je selbstständige Verfahren darstellten (§ 38 Rz. 68). Dann wäre im Sinne effektiver Bearbeitung zu vermeiden, dass (wirtschaftlich) Zusammengehöriges unnötig zersplittert und durch verschiedene Richter bearbeitet wird.2 Das spart Zeit und Ressourcen, indem mehrfache Einarbeitung und Abstimmung unter den Abteilungsrichtern unnötig wird, erleichtert die Abstimmung und Planung der Schuldner und Planbetroffenen und verhindert Friktionen z.B. durch unterschiedliche Rechtsauffassungen der befassten Abteilungsrichter. Darum gibt der Gesetzgeber ausdrücklich vor, dass für die durch Anzeige (§ 31 Abs. 3 StaRUG) rechtshängig gewordene Restrukturierungssache die Abteilung, die die erste Entscheidung in dieser Sache getroffen hat, durchgängig für alle weiteren Entscheidungen und Maßnahmen in derselben Restrukturierungssache zuständig ist.3 Die Zuständigkeit kann sich dann nach § 37 Abs. 1 StaRUG, § 3c Abs. 1 InsO auf Gruppen-Folgeverfahren erstrecken.

191 Vgl. zur Doppelfunktionalität des § 3 InsO Kexel in Graf-Schlicker, § 3 InsO Rz. 16; Undritz in HambKomm/InsO, § 335 InsO Rz. 4; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3 InsO Rz. 33 (Stand: April 2012); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 24; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 20; Lüer/Knof in Uhlenbruck, § 335 InsO Rz. 5–6. 192 Vgl. Deppenkemper in Uhlenbruck, Art. 32 EuInsVO Rz. 48; Thole ZIP 2021, 2153, 2156; für Anerkennung nach § 328 ZPO Hoos/Schwartz/Schlander, ZIP 2021, 2220 (zum Dutch Scheme); Schlöder/ Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041, 1047. 1 Laroche in Flöther, § 36 StaRUG Rz. 2; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 36 StaRUG Rz. 1 („klarstellende Funktion“); a.A. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 36 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 2 Vgl. Schmidt/Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 36 StaRUG Rz. 1; Blankenburg in Morgen, § 36 StaRUG Rz. 1. 3 BT-Drucks. 19/24181, S. 142.

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§ 36 Rz. 2 | Einheitliche Zuständigkeit 2 Der Referentenentwurf stellte statt auf „Abteilung“ noch auf „Richterin“ ab.4 Im Gesetz-

gebungsverfahren wurde der Wortlaut in die Gesetz gewordene Fassung geändert.5 Für Gruppen-Folgeverfahren am Gericht des Gruppen-Gerichtsstands kennt § 3c Abs. 1 InsO eine vergleichbare Regelung;6 auch hier wird statt auf den „Richter“ nunmehr auf die „Abteilung“ abgestellt (§ 37 Rz. 62).

3 Nicht ausdrücklich in § 36 StaRUG angesprochen ist, dass eine Sanierungsmoderation (§§ 94 ff.

StaRUG) gem. § 100 StaRUG in eine Restrukturierungssache übergeht. Es stellt sich daher die Frage, ob das in § 100 Abs. 2 StaRUG angesprochene Restrukturierungsgericht wegen § 36 StaRUG zwingend die Abteilung meint, die zuvor für die Sanierungsmoderation zuständig war. Das ist zu verneinen. Da auch ansonsten für die Sanierungsmoderation zu recht auf die allgemeinen Bestimmungen in Kapitel 2 des StaRUG zurückgegriffen wird, z.B. bei der örtlichen Zuständigkeit, folgt daraus, dass sie in § 36 StaRUG nicht genannt ist, zwar nicht zwingend, dass sich der Anwendungsbereich auch auf die vorausgegangene Sanierungsmoderation nicht erstreckt. Doch fehlen Anhaltspunkte für eine entsprechende, über den Wortlaut („Restrukturierungssache“) hinausgehende sehr weite Auslegung, die einen gravierenden Eingriff in die Gestaltungsfreiheit der Präsidien bedeutete. Vielmehr steht die Sanierungsmoderation außerhalb des Stabilisierungs- und Restrukturierungsverfahrens als eigenständiges Instrument. Diese Zäsur wird verdeutlicht, indem die Sache beim Übergang nach § 100 StaRUG ein neues Aktenzeichen (statt SAN nun RES) erhält und dass nach § 100 Abs. 1 StaRUG der Restrukturierungsbeauftragte erstmalig und neu bestellt wird. So wie aber i.d.R. sinnvoll ist, dass das Gericht den bisherigen Sanierungsmoderator zum Restrukturierungsbeauftragten bestellt, wird eine Regelung im Geschäftsverteilungsplan sinnvoll sein, dass die für die Sanierungsmoderation zuständige Abteilung auch für die Restrukturierungssache zuständig ist. Zwingend ist das aber nicht.7

II. Restrukturierungssache 4 Unmittelbar durch die Anzeige nach § 31 Abs. 1 StaRUG – selbst beim unzuständigen Ge-

richt (Umkehrschluss aus § 33 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) – wird die Restrukturierungssache inhaltlich umrissen (und anhängig) und rechtshängig (§ 31 Abs. 3 StaRUG).8 Ein gerichtliches Zulassungsverfahren ist vom Gesetzgeber ausdrücklich nicht vorgesehen (§ 39 Rz. 10).9

4 § 36 des Referentenentwurfs des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) v. 19.9.2021 (https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/ RefE_SanInsFoG.pdf;jsessionid= 7BF4EFB1C0929DAE5B2004A63C575135.2_cid334?__blob=publicationFile&v= 6, zuletzt abgerufen am 1.9.2022). 5 BT-Drucks. 19/24181, S. 142; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 36 StaRUG Rz. 1.1, 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 36 StaRUG Rz. 3; Schmidt/Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 36 StaRUG Rz. 3; Blankenburg in Morgen, § 36 StaRUG Rz. 2. 6 Vgl. BT-Drucks. 18/407, S. 20, 28. Der Erwägung des Bundesrats, die Zuständigkeitsbestimmung als Soll-Bestimmung zu fassen, weil ansonsten in die grundsätzlich den Präsidien der Gerichte obliegende Gestaltungsfreiheit bei der richterlichen Geschäftsverteilung eingegriffen und den Gerichten jede Möglichkeit genommen werde, eine Geschäftsverteilung vorzunehmen, die sich an den besonderen Gegebenheiten und Umständen des Einzelfalls und der Situation vor Ort orientieren kann (BTDrucks. 18/407, S. 47), wurde nicht gefolgt, weil eine effektive Abwicklung nur erreicht werde, wenn eine Zuständigkeit desselben Richters gewährleistet sei (BT-Drucks. 18/407, S. 49). 7 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 36 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); a.A. Laroche in Flöther, § 36 StaRUG Rz. 4, der hier den konstitutiven Charakter des § 36 StaRUG sieht, der gewährleiste, dass die Bearbeitung aus einer Hand erfolge. 8 BT-Drucks. 19/24181, S. 133; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 Rz. 61, 63 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hirschberger/Siepmann in Morgen, § 31 StaRUG Rz. 59. 9 BT-Drucks. 19/24181, S. 89, 133; Blankenburg in Morgen, § 36 StaRUG Rz. 3.

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Einheitliche Zuständigkeit | Rz. 7 § 36

Die Restrukturierungssache ist das durch Anzeige rechtshängig gewordene Verfahren, inner- 5 halb dessen der Schuldner die Instrumente nach § 29 StaRUG in Anspruch nehmen kann. Das Verfahren ist in seinem Gegenstand mithin nicht auf das Instrument begrenzt, welches anfänglich beantragt wird. Die Anzeige setzt auch gar nicht voraus, dass mit ihr bereits ein Instrument in Anspruch genommen wird. Das weicht von der Idee des Gesetzgebers insofern ab, als dass dieser in der Gesetzesbegründung meint, es handele „sich bei den einzelnen Instrumenten um je selbständige Verfahren“.10 Es werde die rechtshängig gemachte Restrukturierungssache zu einer, auch zuständigkeitsrechtlichen, Einheit verbunden (§ 38 Rz. 68),11 so dass bei mehreren Anträgen stets dasselbe Gericht (und bei diesem Gericht dieselbe Abteilung, § 36 StaRUG) zuständig sei.12 Selbst wenn aus dem Umstand, dass nur ein Instrument in Anspruch genommen werden soll, und aus dem modularen Aufbau geschlossen würde, dass im Ausgangspunkt die anderen Instrumente damit nicht rechtshängig werden, ist mit der (einen einzigen) Anzeige wegen des verfahrensrechtlichen Bandes jedenfalls im Ergebnis eine Restrukturierungssache rechtshängig, die die selbstständigen Instrumentenverfahren alle zu einer einzigen Restrukturierungssache umfasst.13 Entsprechend hat diese eine Restrukturierungssache ein Aktenzeichen (RES).14

III. Abteilungszuständigkeit für alle Entscheidungen und Maßnahmen Da die Restrukturierungssache unter einem Aktenzeichen (RES) geführt wird und dieses 6 durch den Geschäftsverteilungsplan einer konkreten Abteilung (Rz. 8) zugewiesen ist, ist ohnehin die Abteilung, die für die erste Entscheidung in der Sache zuständig wird, auch für alle weiteren Entscheidungen und Maßnahmen zuständig. „Der Regelungsgehalt der Norm ist vollkommen inhaltsleer.“15 Die Zuständigkeit ist ohnehin an die (eine) Abteilung gekoppelt, solange nicht die einzelnen Anträge auf Inanspruchnahme eines der Instrumente jeweils durch ein eigenes Aktenzeichen erfasst und damit das Verfahren aktenmäßig aufgespalten würde. Eine derart fernliegende Gestaltung wäre durch § 36 StaRUG untersagt. Deklaratorisch mag im Geschäftsverteilungsplan aufgenommen werden, dass die zuständige Abteilung auch für alle weiteren Anträge in derselben Restrukturierungssache zuständig ist. Daher hat letztlich auch keine inhaltliche Relevanz, dass § 36 StaRUG tatbestandlich daran 7 anknüpft, welche Abteilung für die erste Entscheidung zuständig ist, während die Rechtsfolge Entscheidungen und Maßnahmen betrifft. Die begriffliche Abgrenzung ist unscharf (§ 40 Rz. 40).16 Neben Entscheidung z.B. über den Antrag, ein Instrument in Anspruch nehmen zu wollen, sind offenbar auch sonstige Maßnahmen wie verfahrensleitende Verfügungen angesprochen.17 Vorgelagert wird aber nach dem Geschäftsverteilungsplan die Zuständigkeit be10 11 12 13

14 15

16 17

BT-Drucks. 19/24181, S. 133. BT-Drucks. 19/24181, S. 131. BT-Drucks. 19/24181, S. 134. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 StaRUG Rz. 64 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Haffa/Schuster in Braun, § 31 StaRUG Rz. 22; Hoffmann/Braun in Flöther, § 31 StaRUG Rz. 12; Hirschberger/Siepmann in Morgen, § 31 StaRUG Rz. 2, 64; Blankenburg in Morgen, § 36 StaRUG Rz. 1; Pannen Pannen/Riedemann/Smid, § 31 StaRUG Rz. 65. Blankenburg in Morgen, § 36 StaRUG Rz. 5. Blankenburg in Morgen, § 36 StaRUG Rz. 5; ähnlich Laroche in Flöther, § 36 StaRUG Rz. 2; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 36 StaRUG Rz. 9; a.A. Kramer in BeckOK/ StaRUG, § 36 StaRUG Rz. 1, 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Eine Zielrichtung, dem Präsidium durch § 36 StaRUG die Möglichkeit zu nehmen, einzelne Elemente einer rechtshängig gemachten Restrukturierungssache auf mehrere Abteilungen zu verteilen (vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 36 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), scheint eher fernliegend. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 36 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Blankenburg in Morgen, § 36 StaRUG Rz. 4.

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§ 36 Rz. 7 | Einheitliche Zuständigkeit reits mit durch die Anzeige bewirkte Anhängigkeit und Rechtshängigkeit der Sache festgelegt werden. Eine Anknüpfung erst an eine Entscheidung (oder an eine Maßnahme) wäre zu spät,18 da feststehen muss, wer gesetzlicher Richter eben für diese erste Entscheidung (oder Maßnahme) ist, etwa für angefragte Vorgespräche nach der Anzeige (vgl. § 10a Abs. 3 InsO),19 die ja gerade deshalb frühzeitig erfolgen sollen, damit das Gericht vor der Inanspruchnahme der Instrumente informiert ist und sich vorbereiten kann.20 Die Auslegung nach der ratio legis ergibt daher, was ohnehin gilt: Die einmal nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige gewordene Abteilung bearbeitet die Sache insgesamt. 8 Richtiger Weise wurde die Zuständigkeit nicht an den konkreten Entscheider („Richterin“; s.

Rz. 2),21 sondern an die Abteilung im Sinne des richterlichen Dezernat geknüpft. Das vermeidet Auslegungsschwierigkeiten bei Vertretungsfällen. Die Zuständigkeit bleibt also von einem Wechsel des Abteilungsrichters unberührt.22 Allerdings ist der im Gesetz nicht näher definierte Begriff der „Abteilung“ unklar. Bei dem vom Gesetzgeber vorausgesetzten Verständnis, dass das Restrukturierungsgericht aus mehreren Abteilungen besteht, wäre „Abteilung“ der konkrete Einzelrichter (§ 22 Abs. 1 GVG) als Spruchkörper, der nach dem Geschäftsverteilungsplan (vgl. § 21e Abs. 1 Satz 1 GVG) für Restrukturierungsverfahren zuständig ist.23 Meint „Abteilung“ aber – etwa wie die allgemeine Zivil- oder die Strafabteilung – das Restrukturierungsgericht (als solches), welches mit Einzelrichtern besetzt ist, stellt sich die Problematik, dass diese Abteilung meist mit mehreren Richtern besetzt ist und die Sachen zwischen ihnen nach einem Ordnungssystem aufgeteilt werden. Insoweit wäre eine Anknüpfung an die noch bestehende Zuständigkeit des vorsitzenden Richters einer Abteilung gem. Geschäftsverteilungsplan klarer gewesen.24 Nach dem in der Gesetzesbegründung deutlich formulierten Sinn des § 36 StaRUG gilt dann entsprechend, dass die einmal zuständig gewordene „Unterabteilung“ zuständig bleibt.

9 § 36 StaRUG gilt nur auf die eine konkrete Restrukturierungssache, wie sie in der Anzeige

nach Schuldner und Lebenssachverhalt umrissen ist. Er beinhaltet nicht, dass die vormals befasste Abteilung auch dann wieder zuständig ist, wenn eine (weitere) Restrukturierungssache erneut rechtshängig (und unter neuem Aktenzeichen geführt) wird, etwa bei vorheriger Rücknahme der Anzeige (vgl. § 31 Abs. 4 Nr. 1 StaRUG) oder der Aufhebung von Amts wegen nach § 32 StaRUG.25 Für eine verfahrensökonomische Bearbeitung sollten die Gerichtsverteilungspläne so gestaltet werden, dass die vormals befasste Abteilung bei einem Folgeverfahren wieder zuständig wird, z.B. durch einen Turnus nach Anfangsbuchstaben oder ausdrückliche gesonderte Vorstückregelung.26 Darüber hinaus kann die Regelung im Geschäftsverteilungsplan Koordinationsvorteile bringen, dass eine Abteilung, bei der eine Restrukturierungssache anhängig ist, auch für eine weitere Sache kraft Sachzusammenhangs zuständig wird.27 Sie birgt allerdings die Gefahr, dass es bei größeren Sachen zu einer Überbelastung einzelner Personen kommen kann. 18 A.A. Römer in Nerlich/Römermann, § 36 StaRUG Rz. 3 (Stand: November 2021). 19 Dazu Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 36 StaRUG Rz. 7, die eine analoge Anwendung des § 10a InsO auf das StaRUG befürworten. 20 BT-Drucks. 19/24181, S. 134. 21 Vgl. Frind, ZInsO 2020, 2241, 2244. 22 Blankenburg in Morgen, § 36 StaRUG Rz. 6. 23 So wohl Kramer in BeckOK/StaRUG, § 36 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 36 StaRUG Rz. 7. 24 So Frind, ZInsO 2020, 2241, 2244; zustimmend Baumert in Braun, § 36 StaRUG Rz. 3; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2581. 25 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 36 StaRUG Rz. 14–16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR; Blankenburg in Morgen, § 36 StaRUG Rz. 7. 26 Laroche in Flöther, § 36 StaRUG Rz. 8. 27 Vgl. Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B Rz. 12

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Gruppen-Gerichtsstand | § 37

IV. Grenzen § 36 StaRUG will eine (allenfalls theoretisch denkbare) Aufsplitterung der Zuständigkeit etwa 10 für Entscheidungen über verschiedene Instrumente, die je durch gesonderten Antrag in Anspruch genommen werden, verhindern. Nicht aber steht er entgegen, dass die anhängig gewordene Restrukturierungssache nach den allgemeinen Vorschriften verwiesen wird, etwa bei örtlicher Unzuständigkeit.28 Es gilt die Zuständigkeitserstreckung nur, wenn das Gericht „zuständig war“.

§ 37 Gruppen-Gerichtsstand (1) Auf Antrag eines Schuldners, der einer Unternehmensgruppe im Sinne des § 3e der Insolvenzordnung angehört (gruppenangehöriger Schuldner), erklärt sich das angerufene Restrukturierungsgericht für Restrukturierungssachen anderer gruppenangehöriger Schuldner (Gruppen-Folgeverfahren) für zuständig, wenn dieser Schuldner einen zulässigen Antrag in der Restrukturierungssache gestellt hat und er nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die gesamte Unternehmensgruppe ist. (2) § 3a Absatz 1 Satz 2 bis 4, Absatz 2, die §§ 3b, 3c Absatz 1, § 3d Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1 und § 13a der Insolvenzordnung gelten entsprechend. (3) Auf Antrag des Schuldners erklärt sich unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 das für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen zuständige Gericht als Insolvenzgericht auch für Gruppen-Folgeverfahren in Insolvenzsachen nach § 3a Absatz 1 der Insolvenzordnung für zuständig. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gruppen-Gerichtsstand für Restrukturierungsverfahren (§ 37 Abs. 1 StaRUG) 1. Gruppenangehöriger Schuldner . . . . . . . a) Rechtlich selbständige Unternehmen . b) Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unmittelbare oder mittelbare Verbundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Möglichkeit beherrschenden Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einschluss bestimmter Gesellschaften und ihre persönlich haftenden Gesellschafter (§ 3e Abs. 2 InsO) . . . . . . . . . . 2. Antrag des Schuldners auf Zuständigkeitserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Antragsbefugnis und -form . . . . . . . . .

1 5 5 6

3. 4.

9 11 12 18 20 21 21

5. 6. 7. 8.

b) Voraussetzung nach § 37 Abs. 2 StaRUG i.V.m. § 13a InsO . . . . . . . . . . . . . c) Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . Zulässiger Antrag des Schuldners in der Restrukturierungssache . . . . . . . . . . . . . . Keine offensichtliche untergeordnete Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regelbeispiele nach § 3a Abs. 1 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prioritätsgrundsatz bei mehreren Anträgen (Abs. 2 i.V.m. § 3a Abs. 1 Satz 3 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinsames Gläubigerinteresse . . . . . Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtliche Zuständigkeitserklärung und Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entscheidung durch Beschluss . . . . . .

25 36 37 39 39 41 45 50 55 56 56

28 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 36 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schmidt/Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 36 StaRUG Rz. 6.

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§ 37 Rz. 1 | Gruppen-Gerichtsstand b) Gruppen-Gerichtsstand als Wahlgerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuständigkeitskonzentration für Gruppen-Folgeverfahren bei der Abteilung (§ 37 Abs. 2 StaRUG i.V.m. § 3c Abs. 1 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verweisung an den Gruppen-Gerichtsstand (§ 37 Abs. 2 StaRUG i.V.m. § 3d Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 InsO) . . . . e) Fortbestehen bei Nichteröffnung, Aufhebung oder Einstellung (§ 37 Abs. 2 StaRUG i.V.m. § 3b InsO) . . . . . . . . . .

60

62 65

III. Insolvenzgericht in Gruppe-Folgeverfahren (§ 37 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . 1. Antrag des Schuldners und Adressat . . 2. Vorliegen der Voraussetzungen nach § 37 Abs. 1 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entscheidung durch Beschluss . . . . . . . . IV. Gruppen-Gerichtsstand nach § 3a Abs. 4 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73 75 77 78 79

69

I. Normzweck 1 Es gilt herkömmlich der Grundsatz „eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz“.1 Es gibt we-

der eine materiell- rechtliche Konsolidierung in dem Sinne, dass die Konzernmitglieder zusammen unter Konsolidierung der Aktiva und Passiva als ein einziger Schuldner anzusehen wären, noch prinzipiell eine verfahrensrechtliche Konsolidierung über einen gemeinsamen Konzerninsolvenzgerichtsstand bzw. durch Bestellung eines Verwalters für sämtliche Verfahren, in dessen Händen dann die Koordinierung der gesamten Verfahrensabwicklung liegt. Allerdings ist die Vermögenszuordnung in den unterschiedlichen Rechtsgebieten wie dem Kartell-, Gesellschaftsoder Steuerrecht, vor allem aber im praktischen Wirtschaftsleben nicht trennscharf gezogen. Vor allem greift eine Krise im Konzern häufig auf konzernverbundene Unternehmen über (sog. Domino-Effekt).2 Eine Abstimmung der Verfahren ist daher regelmäßig zwingend geboten.

2 § 37 StaRUG dient daher der Konzentration der Verfahren der einzelnen gruppenangehöri-

gen Schuldner. Er übernimmt weitgehend § 3a InsO für das Restrukturierungsverfahren.3 Je steht für gruppenangehörige Unternehmen i.S.v. § 3e InsO wahlweise ein zusätzlicher, einheitlicher Gruppen-Gerichtsstand für Gruppen-Folgeverfahren bereit, obgleich sie nach § 35 StaRUG ihren Gerichtsstand an einem anderen Gericht haben. Indem die Restrukturierungsverfahren an einem Gericht konzentriert sind, soll die (i.d.R. gebotene) Abstimmung der Restrukturierung der der Unternehmensgruppe angehörigen Unternehmen vereinfacht werden. Weil der Synergieeffekt begrenzt wäre, wenn die Verfahren zwar am gleichen Gericht, aber in unterschiedlichen Abteilungen (durch unterschiedliche Richter) bearbeitet würden, ist für alle Gruppen-Folgeverfahren dieselbe Abteilung zuständig (Rz. 62). Diese Zuständigkeitskonzentration bleibt solange erhalten, wie eine Restrukturierungssache anhängig ist (Rz. 70). Für die Einzelheiten verweist § 37 Abs. 2 StaRUG umfassend auf die insolvenzrechtlichen Vorschriften zum Gruppen-Gerichtsstand.

3 Als Komplementärvorschrift zu § 3a Abs. 4 InsO bestimmt § 37 Abs. 3 StaRUG zudem, dass

das AG, das nach § 37 Abs. 1 StaRUG als Restrukturierungsgericht (§ 34 StaRUG) für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen zuständig ist, als Insolvenzgericht örtlich zuständig für Insolvenzverfahren anderer gruppenangehöriger Schuldner ist. Wegen dieses Wahlgerichtsstands können auf gesonderten Konzentrationsantrag des Schuldners neben den Restrukturierungs- auch die Insolvenzverfahren der gruppenangehörigen Schuldner an einem AG bearbeitet werden (Rz. 79).4 Ob dort die Verfahren in einer Hand liegen, bestimmt freilich der vom Präsidium beschlossene Geschäftsverteilungsplan. 1 BT-Drucks. 18/407, S. 15. 2 Specovius/von Wilcken in Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 95 Rz. 30. 3 Umfassend zu Zuständigkeitsprobleme im Rahmen von Konzerninsolvenzen Pannen in FS Reuter, 2021, S. 311, 313 ff. 4 Heckschen in Reul/Heckschen/Wienberg, InsR in der Gestaltungspraxis, § 4 Rz. 1345a.

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Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 4 § 37

Den Konflikt, dass verschiedene gruppenangehörige Schuldner von nicht offensichtlich unter- 4 geordneter Bedeutung für die Gruppe an verschiedenen Gerichten einen Konzentrationsantrag stellen, löst sich mittels des Prioritätsprinzips („Windhundprinzip“; Rz. 45 ff.). Der einmal begründete Gerichtsstand wirkt dann fort, solange ein Restrukturierungsverfahren anhängig ist, auch nach Rücknahme des Antrags in der Sache, in der er begründet worden ist (Rz. 70). Dieses Wahlrecht eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten bis hin zur Aufteilung der Verwaltung auch auf verschiedene Gesellschaften bzw. vorgezogenen Gründung und gezielten Begründung eines Gerichtsstands bei einem Gericht, an dem eine vergleichsweise bedeutungslose Gesellschaft ihren Sitz hat.5 Daher wird auch insoweit diskutiert, ob und wann solche Gestaltungen als rechtsmissbräuchlich die Anerkennung zu versagen ist („Forum shopping“; vgl. § 35 Rz. 28 ff.). Insoweit wird vertreten, eine manipulative kurz vor Anzeige des Restrukturierungsvorhaben erfolgende Veränderung zuständigkeitsbestimmender Umstände (Geschäftsadresse, Unternehmensname, Verbringung von Geschäftsakten an einen vermeintlichen wirtschaftlichen Mittelpunkt, etc.), um bei einem nicht immer genau prüfenden oder jeglichen Vorschlägen (insbesondere zur Gestaltung v. Stabilisierungsanordnungen oder zur Auswahl des Restrukturierungsbeauftragten) übermäßig kritiklos „aufgeschlossenem“ Restrukturierungsgericht „den Fall zu platzieren“, sei von § 37 StaRUG nicht gedeckt.6 Unabhängig davon, ob sich entsprechende Feststellungen mit vertretbarem Aufwand machen lassen, ist zu bedenken, dass der Gesetzgeber sich in Kenntnis des Missbrauchspotentials für die Gesetz gewordene Lösung und Anknüpfung der Zuständigkeit entschieden hat.7 Die Entscheidung über den Konzerngerichtsstand sei nicht geeignet, einzelne Sonderinteressen zum Nachteil der Gläubigergesamtheit oder der Belegschaft zu befriedigen; Maßnahmen, die bei einem rein innerstaatlichen Verfahren auf die Befassung eines bestimmten Gerichts zielen, könnten nicht als Missbrauch angesehen werden. Abgesehen vom Fall der Konzernglieder, die offensichtlich von untergeordneter Bedeutung sind, sollten die Beteiligten die Möglichkeit haben, den Insolvenzbewältigungsprozess in einer Weise vorauszuplanen, die den Besonderheiten des Einzelfalls bestmöglich gerecht wird.8 In der Tat bietet die Möglichkeit nach § 37 Abs. 1 StaRUG (bzw. nach § 3a Abs. 1 InsO) erhebliches strategisches (Druck-)potential für alle gruppenangehörigen Unternehmen. Letztlich wurden nur die Schwellenwerte nach § 3a Abs. 1 Satz 2 InsO erhöht,9 im Übrigen taktische Gestaltungen aber bewusst zugelassen.10 Das gilt für § 37 StaRUG entsprechend. Es bleibt nach § 37 Abs. 2 StaRUG die Möglichkeit, den Antrag abzulehnen, weil eine Verfahrenskonzentration am angerufenen Gericht nicht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt (Rz. 50).11

5 Vgl. Paulus/Bähr/Hackländer, ZIP 2021, 1085, 1089; zu § 3a InsO Frind/Pannen, ZIP 2016, 398, 404; Grell/Splittgerber, DB 2017, 1497, 1499 f. 6 So Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII Rz. 9. 7 BT-Drucks. 18/407, S. 19: „Ganz unabhängig hiervon sollten die Wahlmöglichkeiten, die das Prioritätsprinzip eröffnet, nicht allein unter dem Gesichtspunkt des Missbrauches beurteilt werden. Sie geben der Konzernleitung und den Geschäftsleitern der Einzelunternehmen Gestaltungsmittel an die Hand, mit deren Hilfe sie den Insolvenzbewältigungsprozess vorausplanen können. Dabei lässt sich der Entwurf von der Erkenntnis leiten, dass insbesondere Sanierungen nur dann Erfolg versprechen, wenn sie im Vorfeld der Antragstellung von der Unternehmensleitung geplant und mit den maßgeblichen Gläubigern abgestimmt werden. Die Missbrauchsgefahren treten gegenüber den Vorteilen, welche eine planbare Verfahrenskonzentration ermöglicht, in den Hintergrund.“ 8 BT-Drucks. 18/407, S. 49. 9 BT-Drucks. 18/11436, S. 24; vgl. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 19. 10 Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3a InsO Rz. 36.2 (Stand: 15.4.2022); Wimmer-Amend in FK/ InsO, § 3a InsO Rz. 19; Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 14. 11 Baumert in Braun, § 37 StaRUG Rz. 13 f.; Baumert in Braun, § 3a InsO Rz. 20 f.; Brünkmans/Frank in Runkel/Schmidt, Anwalts-Hdb. InsR, § 4 Rz. 39.

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§ 37 Rz. 5 | Gruppen-Gerichtsstand

II. Gruppen-Gerichtsstand für Restrukturierungsverfahren (§ 37 Abs. 1 StaRUG) 1. Gruppenangehöriger Schuldner 5 Der Schuldner muss Mitglied einer Unternehmensgruppe sein. Der Antrag, dass das angerufene

Restrukturierungsgericht sich für Restrukturierungssachen anderer gruppenangehöriger Schuldner (Gruppen-Folgeverfahren) für zuständig erkläre, setzt daher voraus, dass überhaupt eine Unternehmensgruppe vorliegt. Über den Verweis in § 37 Abs. 2 StaRUG auf § 3e InsO gilt die dortige Definition12 einer Unternehmensgruppe. Der Gesetzgeber hat dabei weder den Konzernbegriff aus § 18 AktG noch die Definitionen des Art. 2 Nr. 13 Restrukturierungs-RL i.V.m. Nr. 14 EuInsVO übernommen,13 sondern sich an den Konzerntatbestand und das Kriterium eines möglichen beherrschenden Einflusses auf die Geschäfts- und Finanzpolitik in § 290 HGB angelehnt. Zur Unternehmensgruppe gehören daher das Mutterunternehmen, das über die Möglichkeit zur Beherrschung verfügt, als auch sämtliche Unternehmen, gegenüber denen diese Beherrschungsmöglichkeiten unmittelbar oder mittelbar bestehen (Tochterunternehmen), wobei es nicht darauf ankommt, ob das Mutterunternehmen von den Beherrschungsmöglichkeiten tatsächlich Gebrauch macht, indem es die untergeordneten Unternehmen unter seine einheitliche Leitung zusammenfasst.14 Weitergehend als ggf. nach § 290 Abs. 2 HGB ist von § 3e InsO auch ein Konzern umfasst, bei dem die Muttergesellschaft nicht als Kapitalgesellschaft verfasst ist (Rz. 20).

a) Rechtlich selbständige Unternehmen 6 Eine Unternehmensgruppe setzt nach § 3e Abs. 1 InsO voraus, dass wenigstens zwei rechtlich

selbständige Unternehmen vorhanden sind.15

7 Jedenfalls bei Restrukturierungsverfahren kann ein Unternehmen sowohl eine nichtnatürliche

als auch eine natürliche Personen in Form eines Einzelunternehmers sein.16 Das ist – auch wegen eines möglichen Umkehrschlusses aus § 3e Abs. 2 InsO – zu § 3e InsO streitig.17 Das StaRUG dient aber auch der Restrukturierung unternehmerisch tätigen natürlichen Personen (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG).18 Dann sollte nicht unnötig durch ihren Ausschluss eine Konzernrestrukturierung erschwert werden.19

8 Rechtlich selbstständig ist ein Unternehmen, wenn es selbst rechtsfähig ist,20 mithin als ein-

zelne Kapital- oder Personengesellschaft oder Einzelunternehmung konstituiert ist. Nicht

12 Zusammenfassend Prosteder, NZI-Beilage 2018, 9. 13 Vgl. zu § 3e InsO Pannen in HambKomm/InsO, § 3e InsO Rz. 2; Pape in Uhlenbruck, § 3e InsO Rz. 4. 14 So BT-Drucks. 18/407, S. 28 f.; vgl. Baumert in Braun, § 3e InsO Rz. 4. 15 Zu § 3e InsO Pannen in HambKomm/InsO, § 3e InsO Rz. 4; Bähr/Pollmächer/Schwartz in Mohrbutter/Ringstmeier/Meyer, Hdb. Insolvenzverwaltung, Kap. 16 Rz. 23. 16 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 15. 17 Ablehnend z.B. Baumert in Braun, § 3e InsO Rz. 3; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 3e InsO Rz. 3; Sternal in Kayser/Thole, § 3e InsO Rz. 3; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3e InsO Rz. 2 (Stand: November 2017); differenzierend Pannen in HambKomm/InsO, § 3e InsO Rz. 5; Thole in Flöther, KonzernInsR-Hdb., § 2 Rz. 40. 18 Nach Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 28 solle auf die Rechtsprechung zu § 304 InsO in Bezug auf Mehrheitsgesellschafter als Unternehmer abgestellt werden. 19 Vgl. zu § 3e InsO Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e InsO Rz. 4. 20 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zu § 3e InsO Gelbrich/ Flöther in BeckOK/InsR, § 3e InsO Rz. 1a (Stand: 15.4.2022); Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e InsO Rz. 6.

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Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 11 § 37

rechtlich selbstständig sind daher bloße Betriebsstätten oder Zweigniederlassungen oder unselbständige Unterbestandteile.21 b) Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Inland Die Unternehmen müssen nach § 3e Abs. 1 InsO ihren Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen 9 Interessen im Inland haben. Ihr satzungsmäßiger Sitz (etwa im Ausland) ist irrelevant. Der Gesetzgeber lehnt sich bewusst an Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 EuInsVO (dazu § 35 Rz. 34) an.22 Nicht antragsberechtigt nach § 37 StaRUG sind daher Unternehmen, die ihren Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Ausland haben. Es wird praktisch aber auch kaum vorkommen, dass sie einen Antrag beim (für sie ohnehin international und örtlich nicht zuständigen) deutschen Restrukturierungsgericht stellen. Dass bei einem konzernangehörigen Unternehmen andere Unternehmen ihren Interessenmittelpunkt im Ausland haben, steht der Anwendung des § 37 StaRUG für das Unternehmen, welches ihn im Inland hat, nicht entgegen.23 Das Bedürfnis für ein (zwischen den inländischen Unternehmen) abgestimmtes Verfahren mit Hilfe eines Gruppen-Gerichtsstandes stellt sich i.d.R. gleichermaßen.24 Bei solchen Konzernsachverhalten werden häufig Verfahren des Anhangs A der EuInsVO über das Vermögen verschiedener Mitglieder derselben Unternehmensgruppe in mehr als einem Mitgliedsland eröffnet worden sein, so dass die Kommunikations- und Kooperationspflichten nach Art. 56 ff. EuInsVO gelten.25 Als Sachnormen26 haben die Art. 56 ff. EuInsVO aber nur verdrängenden Hierarchievorrang vor den Vorschriften des nationalen Rechts im Rahmen ihres Regelungsbereichs,27 nicht aber bezüglich der in § 37 StaRUG angesprochenen Konzentration der örtlichen Zuständigkeit.28 Freilich hat der deutsche Gesetzgeber keine Regelungskompetenz für Unternehmen mit Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Ausland. Daher können sie nicht in die Unternehmensgruppe i.S.v. § 37 StaRUG einbezogen sein.29 Maßgeblich sind die Tatsachen zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Zustän- 10 digkeitserklärung nach § 37 StaRUG.30 c) Unmittelbare oder mittelbare Verbundenheit Die Unternehmen müssen nach § 3e Abs. 1 InsO unmittelbar oder mittelbar miteinander ver- 11 bunden sein, und zwar entweder durch die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses (Nr. 1) oder eine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung (Nr. 2). 21 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 27; Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 15. 22 Zu § 3e InsO BT-Drucks. 18/407, S. 28; Pannen in HambKomm/InsO, § 3e InsO Rz. 6. 23 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 17; zu § 3e InsO § 3e InsO Pannen in HambKomm/InsO, § 3e InsO Rz. 6; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e InsO Rz. 7. 24 Vgl. Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3e InsO Rz. 2.1 (Stand: 15.4.2022). 25 Dazu Deppenkemper in Uhlenbruck, Art. 56 EuInsVO Rz. 20 ff. 26 Vgl. Deppenkemper in Uhlenbruck, Art. 56 EuInsVO Rz. 8. 27 Deppenkemper in Uhlenbruck, Art. 56 EuInsVO Rz. 49. Nach Art. 102c § 22 Abs. 1 EGInsO treten die Kooperationspflichten nach §§ 56b, 269a, 269b InsO zurück, soweit Art. 56 ff. EuInsVO Anwendung beanspruchen (Brünkmans in MünchKomm/InsO, § 269a InsO Rz. 23; Deppenkemper in Uhlenbruck, Art. 56 EuInsVO Rz. 49; Hermann in Vallender, Art. 102c EGInsO § 22 Rz. 2). 28 Vgl. BT-Drucks. 18/12154, S. 33; zu § 3e InsO Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e InsO Rz. 7; Pape in Uhlenbruck, § 3e InsO Rz. 8; Laroche, ZInsO, 2017, 2585, 2596. 29 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 17; zu § 3e InsO Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e InsO Rz. 7. 30 Auf Zeitpunkt der Stellung des Konzentrationsantrags stellen ab Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 16.

Deppenkemper | 581

§ 37 Rz. 12 | Gruppen-Gerichtsstand aa) Möglichkeit beherrschenden Einflusses 12 Die Möglichkeit des beherrschenden Einflusses (§ 3e Abs. 1 Nr. 1 InsO) wird durch die Be-

stimmungen des § 290 HGB konkretisiert. Allerdings besteht ein wichtiger Unterschied zu § 290 Abs. 1 HGB, als dass § 37 Abs. 2 StaRUG, § 3e InsO nicht voraussetzen, dass es sich bei dem Mutterunternehmen um eine Kapitalgesellschaft handelt.31 Die Gesetzesbegründung führt an, dass nicht als Kapitalgesellschaften verfasste Unternehmensträger auch insoweit vom Gruppenbegriff des § 3e InsO erfasst würden, wie sie die Stellung des Mutterunternehmens einnehmen. Ferner sei der Gruppenbegriff auch nicht wegen § 290 Abs. 5 HGB, der von der Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses befreit, wenn keines der Tochterunternehmen nach § 296 HGB in den Konzernabschluss aufzunehmen wäre, eingeschränkt. Das von den konzerninsolvenzrechtlichen Bestimmungen aufgenommene Bedürfnis nach einer verbesserten Koordination der Einzelverfahren könne unabhängig davon bestehen, ob die Tochterunternehmen nach den Bestimmungen des § 296 HGB in den Konzernabschluss aufzunehmen sind oder nicht.32

13 Maßgeblich sind damit insbesondere die typisierenden Tatbestände des § 290 Abs. 2 HGB,

welche unwiderlegliche Vermutungen aufstellen.33 Es besteht daher stets in den von § 290 Abs. 2 Nr. 1–4 HGB bestimmten Fällen beherrschender Einfluss, wobei nach § 290 Abs. 2 Nr. 1–3 HGB auf eine rechtliche („Control-Konzept“) und § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB auf eine wirtschaftliche Betrachtung abstellen:

14 § 290 Abs. 2 Nr. 1 HGB nennt die Konstellation, dass ein Mutterunternehmen bei einem an-

deren Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte der Gesellschafter zusteht. Maßgeblich ist die Stimmrechtsmehrheit, die in der Gesellschafterversammlung bzw. Hauptversammlung zustehen (nicht: abgegeben werden), mangels rechtlicher Absicherung nicht nur potentielle Stimmrechte (etwa aus Kaufoptionen auf Anteile oder Wandel- oder Optionsanleihen) oder eine zufällige Präsenzmehrheit.34 Sie muss in allen wesentlichen, nicht aber in allen Entscheidungsbereichen bestehen.35 Bei der Berechnung sind § 290 Abs. 3 und Abs. 4 HGB zu beachten.36 Stimmrechte, die aufgrund gesetzlichen Verbots nicht ausgeübt werden können, zählen nicht.37 Bloße Stimmrechtsvollmachten sind kein Stimmrecht. Ausreichend ist, dass die Mehrheit (formal) vorliegt, mithin wenn das Mutterunternehmen lediglich eine einfache Mehrheit an dem Tochterunternehmen hält, die Satzung aber für wesentliche Entscheidungen eine qualifizierte Mehrheit (75 %) verlangt, so dass eine Einbeziehung in den Konzernabschluss dann i.d.R. nicht erforderlich ist (§ 296 Abs. 1 Nr. 1 HGB). Eine tatsächliche Beherrschungsmöglichkeit ist nicht explizit verlangt.38 Die erforderliche Mehrheit ist nach Sinn und Zweck auch 31 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 3a InsO Rz. 5; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 10. 32 So zu § 3e InsO BT-Drucks. 18/407, S. 29; vgl. Baumert in Braun, § 3e InsO Rz. 5 f.; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e InsO Rz. 8. 33 BT-Drucks. 18/407, S. 29; vgl. Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 29. 34 Grottel/Kreher in BeckBilanzKomm, 13. Aufl. 2022, § 290 HGB HGB Rz. 44; Busse von Colbe/Fehrenbacher in MünchKomm/HGB, § 290 HGB Rz. 32; zur faktischen Beherrschungsmöglichkeit BilKomm./Grottel/Kreher, HGB, § 290 HGB Rz. 50 ff.; Böcking/Gros/Schurbohm in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, § 290 HGB Rz. 18. 35 Merkt in Hopt, § 290 HGB Rz. 10. 36 Vgl. Böcking/Gros/Schurbohm in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 290 HGB Rz. 23 f. 37 Busse von Colbe/Fehrenbacher in MünchKomm/HGB, § 290 HGB Rz. 38; a.A. Hachmeister in Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, BilanzR, § 290 HGB Rz. 113 f. 38 Str., vgl. Grottel/Kreher in BeckBilanzKomm, 13. Aufl. 2022, § 290 HGB Rz. 45; Böcking/Gros/Schurbohm in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 290 HGB Rz. 16; Hachmeister in Hachmeister/Kahle/ Mock/Schüppen, BilanzR, § 290 HGB Rz. 103, 108; Busse von Colbe/Fehrenbacher in MünchKomm/ HGB, § 290 HGB Rz. 30.

582 | Deppenkemper

Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 17 § 37

dann zu bejahen, wenn sich das Mutterunternehmen durch einen Stimmbindungsvertrag bzw. die Einräumung einer unwiderruflichen Stimmrechtsvollmacht hinsichtlich der Ausübung seiner Stimmrechte gebunden hat.39 Entsprechendes gilt für Entherrschungsverträge.40 § 290 Abs. 2 Nr. 2 HGB nennt den Fall, dass das Mutterunternehmen bei einem anderen 15 Unternehmen das Recht zusteht, die Mehrheit der Mitglieder des die Finanz- und Geschäftspolitik bestimmenden Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen oder abzuberufen, und es gleichzeitig Gesellschafter ist. Voraussetzung ist stets die Gesellschafterstellung; eine kapitalmäßige Beteiligung ist nicht erforderlich. „Mehrheit des Aufsichtsrats“ bezieht sich auf die Gesamtzahl der Mitglieder, nicht nur die der Anteilseignerseite.41 Üblicherweise hat die Gesellschaftermehrheit die Befugnis, Organe zu bestellen und Abzuberufen. Sie kann übertragen werden.42 Die bloße Möglichkeit zur Besetzung („das Recht zusteht“) entweder des Leitungs- oder des Aufsichtsorgans reicht aus.43 Organe sind etwa Geschäftsführer, Aufsichtsräte, Verwaltungsräte, Beiräte und Personen, die in dem deutschen dualistischen System von Leitung und Aufsicht vergleichbare Aufgaben wahrnehmen. Bei fakultativen Organen (Beirat oder einem Aufsichtsrat bei einer GmbH) kommt es darauf an, ob es dem gesetzlichen Leitbild (wie dem eines Aufsichtsrats i.S.d. AktG) entspricht.44 § 290 Abs. 2 Nr. 3 HGB umfasst, dass dem Mutterunternehmen das Recht zusteht, die Fi- 16 nanz- und Geschäftspolitik aufgrund eines mit einem anderen Unternehmen geschlossenen Beherrschungsvertrags (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 2, § 291 Abs. 1 Satz 1, §§ 308 ff. AktG) oder aufgrund einer Bestimmung in der Satzung des anderen Unternehmens (als Kapitalgesellschaft wie einer AG, KGaA oder insbesondere GmbH) zu bestimmen. Allein das Vorliegen eines Gewinn- bzw. Teilgewinnabführungsvertrages genügt nicht. Eine Gesellschafterstellung ist nicht erforderlich. Bei einer Satzungsbestimmung des abhängigen Unternehmens muss diese dem Beherrschungsvertrag in der Vermittlung der Beherrschungsmöglichkeit gleichwertig sein.45 § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB nennt, dass das Mutterunternehmen bei wirtschaftlicher Betrachtung 17 die Mehrheit der Risiken und Chancen eines Unternehmens trägt, das zur Erreichung eines eng begrenzten und genau definierten Ziels des Mutterunternehmens dient (Zweckgesellschaft).46 Voraussetzung für die Einbeziehung ist also zum einen, dass die Tatbestandsmerkmale einer Zweckgesellschaft gegeben sind, und zum anderen das Tragen der Mehrheit der Risiken und Chancen durch das potentielle Mutterunternehmen. Risiken (wie z.B. Patronatserklärungen, Finanzierungszusagen, nachrangige Darlehen, Garantien des Kapitaleinsatzes der formalen Eigenkapital-Geber sowie Garantien der Werthaltigkeit des Vermögens) sind die nach Grund oder Höhe unsichere negative, Chancen (z.B. Gewinnchancen, Verwertung von F&E-Ergebnissen, Kapitalzufluss, Kostenreduktion) nach Grund oder Höhe unsichere positive Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns, die sich aus der Geschäftstätigkeit der oder Beziehung zur Zweckgesellschaft ergeben.47 Die Beurteilung der 39 Str., vgl. Jakob in BeckOK/HGB, § 290 HGB Rz. 10 (Stand: 15.7.2022); Grottel/Kreher in BeckBilanzKomm, 13. Aufl. 2022, § 290 HGB Rz. 46. 40 BilR-eKommentar/Häfele, HGB, § 290 HGB Rz. 19; Hachmeister in Hachmeister/Kahle/Mock/ Schüppen, BilanzR, § 290 HGB Rz. 110. 41 Grottel/Kreher in BeckBilanzKomm, 13. Aufl. 2022, § 290 HGB Rz. 53; Merkt in Hopt, § 290 HGB Rz. 11. 42 Jakob in BeckOK/HGB, § 290 HGB Rz. 11 (Stand: 15.7.2022). 43 Hachmeister in Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, BilanzR, § 290 HGB Rz. 125. 44 Grottel/Kreher in BeckBilanzKomm, 13. Aufl. 2022, § 290 HGB Rz. 55. 45 Busse von Colbe/Fehrenbacher in MünchKomm/HGB, § 290 HGB Rz. 46. 46 Vgl. BT-Drucks. 16/12407, S. 89 mit beispielhaft genannten Sachverhalten (Leasinggeschäfte, ausgelagerte FuE-Tätigkeiten oder Verbriefungsgeschäfte), die auf das Vorliegen einer Zweckgesellschaft schließen lassen. 47 Grottel/Kreher in BeckBilanzKomm, 13. Aufl. 2022, § 290 HGB Rz. 75.

Deppenkemper | 583

§ 37 Rz. 17 | Gruppen-Gerichtsstand Risiko- und Chancenverteilung erfolgt anhand einer qualitativen Gesamtbetrachtung. Bei ungleicher Chancen- und Risikenverteilung ist auf die Verteilung der Risiken abzustellen.48 Für die Qualifizierung kann auf SIC 12.10 weitgehend zurückgegriffen werden.49 bb) Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung 18 Alternativ zum Unterordnungskonzern besteht eine Unternehmensgruppe i.S.v. § 3e Abs. 1

InsO auch dann, wenn die Unternehmen durch eine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung unmittelbar oder mittelbar miteinander verbunden sind (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 InsO). Diese Regelung ist der Definition des Gleichordnungskonzerns in § 18 Abs. 2 AktG nachgebildet. Einer einheitlichen Leitung der Mutter können auch gleichgeordnet Gesellschaften nebeneinander unterstehen (Schwestergesellschaften). Der Gesetzgeber wollte dadurch Gleichordnungskonzerne in den Anwendungsbereich der konzerninsolvenzrechtlichen Bestimmungen einbeziehen, weil die Anwendung der Koordinierungsmechanismen auch im Kontext von (rechtlich nicht voneinander abhängigen)50 Gleichordnungskonzernen sinnvoll sein könne und deshalb Gleichordnungskonzerne auch von dem für die Anwendung dieser Instrumente maßgeblichen Gruppenbegriff erfasst sein sollten.51 Damit wird erkannt, dass die Insolvenz im Konzern wie ein Flächenbrand auf verbundene Gesellschaften, die arbeitsteilig zusammen arbeiten, übergreift. Unternehmensfunktionen wie Produktion, Vertrieb, IT oder Rechnungswesen sind oft auf verschiedene Rechtsträger verteilt, zwischen denen es leistungs- und finanzwirtschaftliche Ströme gibt. Die Insolvenz einer der verflochtenen Gesellschaften, die damit ihre konzernrechtlichen Rechte und Pflichten nicht mehr wahrnehmen kann, löst die betriebswirtschaftliche Koordinationseinheit auf. Gesellschaftsrechtlichen Strukturen und insbesondere faktische Konzernbeziehung implodieren mit gravierenden Auswirkungen auf die verbundenen Gesellschaften z.B. bei Fragen der Finanzierung (wie bei einem konzernweiten Cash-Pool), der Steuer, des Verlustausgleichs, der Anfechtung oder der Haftung im Verbund.52 Der Gesetzgeber weicht mit der Einbeziehung der Gleichordnungskonzerne bewusst (und zu recht) vom Begriff der Unternehmensgruppe ab, wie ihn die überwiegende Ansicht zu Art. 56 Abs. 1 EuInsVO versteht.53

19 Eine einheitliche Leitung ist im Konzerninsolvenzrecht entgegen einem engeren Verständnis

(enger Konzernbegriff)54 schon dann gegeben, wenn einzelne wesentliche Funktionsbereiche zusammengefasst sind (weiter Konzernbegriff).55 Eine gemeinsame Leitung sämtlicher wesentlicher Funktionsbereiche ist nicht erforderlich. Zwar ist dann die Einflussmöglichkeit begrenzt, aber auch diese macht ein Verfahren an einem Gruppen-Gerichtsstand mit den daraus resultierenden besseren Abstimmungsmöglichkeiten sinnvoll.56 Nicht ausreichend sind bloße 48 BT-Drucks. 16/12407, S. 89; Böcking/Gros/Schurbohm in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 290 HGB Rz. 31. 49 Merkt in Hopt, § 290 HGB Rz. 13. 50 Schall in BeckOGK/AktG, § 18 AktG Rz. 31 (Stand: 1.2.2022); Vetter in K. Schmidt/Lutter, § 18 AktG Rz. 22. 51 BT-Drucks. 18/407, S. 29; vgl. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 6 f.: Es seien sowohl horizontale als auch vertikale Konzerne erfasst. 52 Deppenkemper in Uhlenbruck, Art. 56 EuInsVO Rz. 1. 53 Vgl. Deppenkemper in Uhlenbruck, Art. 56 EuInsVO Rz. 11 m.w.N. 54 So aber Schall in BeckOGK/AktG, § 18 AktG Rz. 32 (Stand: 1.2.2022). 55 Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3e InsO Rz. 9 (Stand: 15.4.2022); Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 35; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e InsO Rz. 9; Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 20; Pape in Uhlenbruck, § 3e InsO Rz. 7; zu § 18 AktG Krebs in Hölters/Weber, § 18 AktG Rz. 24, 15; Bayer in MünchKomm/AktG, § 18 AktG Rz. 50; Koch, § 18 AktG Rz. 10. 56 Vgl. Baumert in Braun, § 3e InsO Rz. 7; Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3e InsO Rz. 9.1 (Stand: 15.4.2022).

584 | Deppenkemper

Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 22 § 37

Unternehmenskooperationen, bei denen in Teilbereichen eine gemeinsame Unternehmenspolitik bzw. Koordinierung der Geschäfte erfolgt.57 Möglich ist auch ein faktischer Gleichordnungskonzern, wenn die Gleichordnung ohne Vertragsgrundlage, insbesondere durch personelle Verflechtung der Leitungsorgane, erfolgt, mithin sich die Unternehmen einheitlicher Leitung unterstellen und nicht voneinander abhängig sind.58 Die Feststellung ist schwierig. Indizien können Personalunionen oder wechselseitige Beteiligungen sein.59 d) Einschluss bestimmter Gesellschaften und ihre persönlich haftenden Gesellschafter (§ 3e Abs. 2 InsO) Gemäß § 3e Abs. 2 InsO gelten als Unternehmensgruppe auch eine Gesellschaft und ihre per- 20 sönlich haftenden Gesellschafter, wenn zu diesen weder eine natürliche Person noch eine Gesellschaft zählt, an der eine natürliche Person als persönlich haftender Gesellschafter beteiligt ist, oder sich die Verbindung von Gesellschaften in dieser Art fortsetzt. Es wird etwa bei einer GmbH & Co KG mit Doppelinsolvenz von Gesellschaft und Komplementär-GmbH das Bestehen einer Unternehmensgruppe fingiert, weil auch die organisatorische und haftungsrechtliche Verzahnung zwischen der Gesellschaft und deren persönlich haftenden Gesellschaftern im Insolvenzfall Probleme aufwerfen kann, aber streitig ist, ob die Komplementär-GmbH in allen Gestaltungsvarianten der GmbH & Co KG die Möglichkeit hat, beherrschenden Einfluss auf die Kommanditgesellschaft auszuüben. § 3e Abs. 2 InsO soll diese Frage klarstellen.60 Seine Reichweite ist beschränkt auf Gesellschaften, bei denen kein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person oder eine Gesellschaft ist, an der eine natürliche Person als unbeschränkt haftender Gesellschafter beteiligt ist. Erfasst ist z.B. auch eine Ltd. & Co. KG.61 Eine Erstreckung auf Personengesellschaften, an denen natürliche Personen als unbeschränkt haftende Gesellschafter beteiligt sind, ist bewusst nicht erfolgt, weil ansonsten Folge sein könne, dass Privatgläubiger des unbeschränkt haftenden Gesellschafters an einen Gruppen-Gerichtsstand verwiesen würden, der für sie nicht vorhersehbar war.62

2. Antrag des Schuldners auf Zuständigkeitserklärung a) Antragsbefugnis und -form Zulässigkeitsvoraussetzung ist, dass einer der gruppenangehörigen Schuldner einen Antrag 21 auf Begründung des Gruppen-Gerichtsstands stellt.63 Der Antrag muss inhaltlich auf die Herbeiführung der Zuständigkeitskonzentration zielen. Er ist vom zusätzlich erforderlichen Antrag auf Inanspruchnahme eines der Instrumente (Rz. 37) zu unterscheiden.64 Die Dispositionsfreiheit des Schuldners passt – mehr noch, als beim Insolvenzverfahren – in 22 die Konzeption des Restrukturierungsverfahrens, welches dem Schuldner weitergehende

57 Pape in Uhlenbruck, § 3e InsO Rz. 7; zu § 18 AktG Bayer in MünchKomm/AktG, § 18 AktG Rz. 51. 58 Krebs in Hölters/Weber, § 18 AktG Rz. 27; Koch, § 18 AktG Rz. 21; Vetter in K. Schmidt/Lutter, § 18 AktG Rz. 25. 59 Vgl. Schall in BeckOGK/AktG, § 18 AktG Rz. 34. 60 BT-Drucks. 18/11436, S. 21 f.; dazu Pape in Uhlenbruck, § 3e InsO Rz. 9 f. 61 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3e InsO Rz. 10; Sternal in Kayser/Thole, § 3e InsO Rz. 7; Laroche, ZInsO 2017, 2585, 2586. 62 BT-Drucks. 18/11436, S. 22; vgl. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 11. 63 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 6; Pannen in HambKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 33; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 9; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 56. 64 So zu § 3a InsO BT-Drucks. 18/407, S. 26.

Deppenkemper | 585

§ 37 Rz. 22 | Gruppen-Gerichtsstand Spielräume für die privatautonome Organisation einräumen65 und die Autonomie der Beteiligten stärken will66 und dem Schuldner dazu die Freiheit belässt, den Prozess eigenverantwortlich zu organisieren und privatautonomen zu gestalten.67 Die Gesetzesbegründung spricht von der Beteiligtenautonomie als wesensprägende Säule.68 Entsprechend kann nur der Schuldner die Sache anzeigen (§ 31 Abs. 1 StaRUG),69 einen Plan vorlegen (§ 17 Abs. 1 StaRUG)70 und das außergerichtliche Planabstimmungsverfahren einleiten; nur er kann die Instrumente nach § 29 Abs. 2 StaRUG beantragen. Entsprechend erfordert auch die Begründung des Gruppen-Gerichtsstands seinen Antrag. Der Restrukturierungsbeauftragte oder Planbetroffene oder sonstige Gläubiger haben kein Antragsrecht.71 23 Handelt es sich beim Schuldner um eine juristische Person oder Gesellschaft ohne Rechts-

persönlichkeit, kann den Antrag nur das oder die Mitglieder des gesellschaftsrechtlich vorgesehenen Vertretungsorgans stellen.72 Das ist bei der GmbH der Geschäftsführer (§ 35 GmbHG), bei der AG, der Genossenschaft, dem eingetragenen Verein und der Stiftung jeweils der Vorstand (§ 78 AktG, § 25 GenG, §§ 86, 26 BGB), bei der OHG und der Außen-GbR die Gesellschafter (§ 125 HGB, § 714 BGB), bei der KG und KGaA der Komplementär (§§ 170, 161 Abs. 2 HGB, § 125 HGB, § 278 Abs. 2 AktG) und bei der aufgelösten Gesellschaft der Abwickler/Liquidator. Sind mehrere persönlich haftende Gesellschafter vertretungsberechtigt, gelten die allgemeinen Vertretungsregelungen.73 § 15 InsO gilt nach seinem Sinn und Zweck (wie bei § 31 StaRUG) nicht entsprechend.74

24 § 37 StaRUG gibt für den Antrag selbst keine Form vor,75 doch führen die nach § 37 Abs. 2

StaRUG i.V.m. § 13a InsO geforderten Pflichtangaben76 faktisch zu einem Formzwang.77 I.d. R. werden die Anträge als elektronisches Dokument (§ 130a ZPO) über das beA (vgl. § 130d ZPO – dazu vgl. § 38 Rz. 58 f.) vorgelegt werden, was die Bearbeitung bei Gericht und Weitergabe an andere Beteiligten zur grds. rechtlich gebotenen Anhörung erleichtert und beschleunigt. Rechtlich ausgeschlossen ist ein Antrag vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder zu Protokoll eines jeden AG (§ 129a ZPO; vgl. § 38 Rz. 56) aber nicht.

65 BT-Drucks. 19/24181, S. 89; vgl. de Bruyn/Ehmke, NZG 2021, 661, 621: „Das Restrukturierungsverfahren ist als exklusiv vom Schuldner kontrolliertes Verfahren konzipiert“; Madaus, DB 2019, 592, 594. 66 BT-Drucks. 19/24181, S. 92. 67 BT-Drucks. 19/24181, S. 121. 68 BT-Drucks. 19/24181, S. 86; vgl. Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2437. 69 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 StaRUG Rz. 23 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hirschberger/Siepmann in Morgen, § 31 StaRUG Rz. 13; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 31 StaRUG Rz. 16. 70 BT-Drucks. 19/24181, S. 123, 148; Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 45. 71 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 4; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2582. 72 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 73 Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 47. 74 Baumert in Braun, § 37 StaRUG Rz. 7; unklar Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 20, der § 15 InsO für entsprechend anwendbar hält, aber keinen Bezug zum Restrukturierungsverfahren herstellt. 75 Vgl. zu § 3a InsO Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 8. 76 Zu § 13a InsO folgert die h.M. aus den geforderten Angaben und § 13 Abs. 1 Satz 1 InsO, dass der Antrag schriftlich erfolgen müsse (Wimmer-Amend in FK/InsO, § 13a InsO Rz. 4; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 3a InsO Rz. 3; Pannen in HambKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 4; Holzer in Kübler/ Prütting/Bork, § 13a InsO Rz. 4 (Stand: März 2018); Pape in Uhlenbruck, § 13a InsO Rz. 4; a.A. Vuia in MünchKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 6 mit dem Hinweis, dass eine mündliche Antragstellung bzw. eine solche zu Protokoll der Geschäftsstelle praktisch kaum in Betracht komme. 77 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 4.

586 | Deppenkemper

Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 26 § 37

b) Voraussetzung nach § 37 Abs. 2 StaRUG i.V.m. § 13a InsO Nach § 37 Abs. 2 StaRUG ist § 13a InsO entsprechend anwendbar. Das Gesetz lässt dabei die 25 geforderten Darlegungen des Schuldners (etwa in Form einer tabellarischen Matrixaufstellung) ausreichen, eine Glaubhaftmachung ist nicht vorgesehen und daher auch nicht notwendig.78 Die Angaben sollten mit dem Antrag vorgelegt werden, damit dem Gericht die bezweckte zügige Prüfung möglich ist. Sie können aber, ggf. auf Hinweis des Gerichts (§ 139 ZPO), auch nachgereicht werden. § 13a Abs. 1 Nr. 1 InsO verlangt die Angabe von Name, Sitz, Unternehmensgegenstand sowie 26 Bilanzsumme, Umsatzerlöse und die durchschnittliche Zahl der Arbeitnehmer (§ 267 Abs. 5, § 314 Nr. 4 Abs. 1 HGB) des letzten Geschäftsjahres der anderen gruppenangehörigen Unternehmen, die nicht lediglich von untergeordneter Bedeutung für die Unternehmensgruppe sind; für die übrigen gruppenangehörigen Unternehmen sollen entsprechende Angaben gemacht werden. Die jeweiligen gruppenangehörigen Unternehmen sind so bestimmt zu bezeichnen, wie in einer Klageschrift.79 Angesichts der innerhalb einer Unternehmensgruppe häufigen Ähnlichkeiten empfiehlt sich die Angabe der jeweiligen Registernummern sowie der Rechtsform.80 Anhand von Name und Sitz sollen die Voraussetzungen für den Gruppen-Gerichtsstand (§ 3a Abs. 1 StaRUG) geprüft und insbesondere die Reichweite der Konzentration bestimmt werden können.81 Als Sitz ist der satzungsmäßige Sitz als der für die örtliche Zuständigkeit primär maßgeblich (§ 35 Rz. 7), aber auch ein abweichender Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit anzugeben.82 Bei mehreren Sitzen sollten sie alle angegeben und eine stattfindende Sitzverlegung sollte transparent gemacht werden.83 Die Angaben zum Unternehmensgegenstand müssen den beteiligten Wirtschaftskreisen den Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit hinreichend erkennbar machen; bei Kapitalgesellschaften ergibt er sich aus der Satzung bzw. dem Gesellschaftsvertrag (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG).84 Zur Veranschaulichung sollten aktuelle Auszüge aus den jeweiligen (Handels-)Registern vorgelegt werden.85 Die geforderten Angaben zur Bilanzsumme (§ 267 Abs. 4a HGB) und Umsatzerlösen (§ 275 Abs. 2 Nr. 1 HGB) ermöglichen dem Gericht insbesondere zu prüfen, ob dass das antragstellende Unternehmen nicht von untergeordneter Bedeutung für die Unternehmensgruppe ist (Rz. 39).86 Die Kennzahlen für den antragstellenden Schuldner selbst werden sich aus dem Restrukturierungskonzept bzw. -plan, der der Anzeige beizufügen ist (§ 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG), ergeben. 78 79 80 81 82 83 84 85 86

Vuia in MünchKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 5. Vuia in MünchKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 8; Pape in Uhlenbruck, § 13a InsO Rz. 7. Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 11 (Stand: März 2018). Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 8; Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 8. Pape in Uhlenbruck, § 13a InsO Rz. 8. Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 12, 15 (Stand: März 2018); Pape in Uhlenbruck, § 13a InsO Rz. 8. Vuia in MünchKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 9. Pannen in HambKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 11. BT-Drucks. 18/407, S. 29; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 13a InsO Rz. 2; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 14; Sternal in Kayser/Thole, § 13a InsO Rz. 2; Vuia in MünchKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 7; Pape in Uhlenbruck, § 13a InsO Rz. 5. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 35–38, erlaubt dem Schuldner, selbst den Referenzrahmen durch Darstellung derjenigen Unternehmen zu zeichnen, die für die insolvenzrechtliche Bewältigung der (Teil-)Konzerninsolvenz von Bedeutung sein können, weil etwa bei einem stark diversifizierten Konzern sich die Krise der einer Branche zuzurechnenden Unternehmen nicht prima vista auch auf die anderen Branchenzweige ausdehnen müsse, was das Gericht von der Überprüfung entlaste, ob die Angaben des Schuldners vollständig sind oder ob weitere Unternehmen hätten einbezogen werden müssen. Nach dieser Maßgabe solle auch die Auslegung des unbestimmten Tatbestandsmerkmals der „nicht offensichtlich untergeordneten Bedeutung“ erfolgen.

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§ 37 Rz. 27 | Gruppen-Gerichtsstand 27 § 13a Abs. 1 Nr. 2 InsO setzt die Angabe voraus, aus welchen konkreten Gründen eine Ver-

fahrenskonzentration (gerade) am angerufenen Gericht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt. Dazu sollte der Schuldner zu den Kriterien wirtschaftlicher Mittelpunkt des Konzerns, Ort, an dem die meisten Arbeitnehmer beschäftigt sowie Ort, an dem sich die meisten Gläubiger befinden oder an dem sie betroffen sind, vortragen. Maßgeblich sind die Interessen aller Gläubiger. Interessenkollisionen sind aufzuzeigen. Da dem Gläubigerinteresse im Restrukturierungsverfahren weniger Bedeutung zukommt, als im Insolvenzverfahren, sind die Angaben zwar nicht entbehrlich,87 können aber i.d.R. knapp gehalten werden. Bei Zweifeln des Gerichts am gemeinsamen Interesse kann es den Antrag ablehnen (§ 3a Abs. 2 InsO; dazu Rz. 50). Daher sollte umso substantiierter vorgetragen werden, je mehr Umstände solche Zweifel begründen können.

28 § 13a Abs. 1 Nr. 3 InsO verlangt die Angabe, ob eine Fortführung oder Sanierung der Un-

ternehmensgruppe oder eines Teils davon angestrebt wird. Eine solche Zielrichtung ist im Restrukturierungsverfahren selbstverständlich (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 1 StaRUG „zur nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit“) und wird sich aus dem Restrukturierungskonzept bzw. -plan ergeben.88 Liegen solche für die anderen gruppenangehörigen Schuldner vor, sollten sie vorgelegt werden. Jedenfalls sollten die Angaben aussagekräftig dazu sein, welche Maßnahmen im Rahmen einer Fortführung und Sanierung beabsichtigt sind.89 Konkrete Angaben können zur Auswahl des Restrukturierungsbeauftragten hilfreich sein.

29 § 13a Abs. 1 Nr. 4 InsO gibt die Angabe vor, welche gruppenangehörigen Unternehmen In-

stitute i.S.d. § 1 Abs. 1b KWG, Finanzholding-Gesellschaften i.S.d. § 1 Abs. 3a KWG, Kapitalverwaltungsgesellschaften i.S.d. § 17 Abs. 1 KAGB, Zahlungsdienstleister i.S.d. § 1 Abs. 1 ZAG oder Versicherungsunternehmen i.S.d. § 7 Nr. 33 VAG sind. Hintergrund ist, dass die betroffenen Unternehmen besonderer Aufsicht unterliegen und eine frühzeitige Einbindung der Aufsichtsbehörden förderlich sein kann.90 Für das Restrukturierungsverfahren ist die Angabe wichtig, weil die Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente gem. § 30 Abs. 2 StaRUG auf Unternehmen der Finanzbranche i.S.d. § 1 Abs. 19 KWG nicht anzuwenden sind.91

30 § 13a Abs. 1 Nr. 5 InsO erfordert Angaben zu den gruppenangehörigen Schuldnern, über

deren Vermögen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt oder ein Verfahren eröffnet wurde, einschließlich des zuständigen Insolvenzgerichts und des Aktenzeichens. Die Bedeutung dieser Umstände für das Restrukturierungsverfahren liegt auf der Hand. Ergänzend sind anhängige Restrukturierungsverfahren anzugeben, damit das angegangene Gericht sich mit anderen Gerichten abstimmen und ein Bild über das Gläubigerinteresse (§ 3a Abs. 2 InsO) machen kann.92

87 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 19; a.A. Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 9, nach dem es nur Angaben bedürfe, wenn am Ort eines kleineren Unternehmens der Unternehmensgruppe die Konzentration erfolgen soll. 88 Vgl. Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 20; Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 10. 89 Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 13a InsO Rz. 28 (Stand: März 2018). 90 Sternal in Kayser/Thole, § 13a InsO Rz. 5; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 13a InsO Rz. 29 (Stand: März 2018); Vuia in MünchKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 13. 91 Dazu BT-Drucks. 19/24181, S. 133; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 64 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Haffa/Schuster in Braun, § 30 StaRUG Rz. 6 f.; Pannen in HambKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 23 f.; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 21; Hirschbeger/Siepmann in Morgen, § 30 StaRUG Rz. 15. 92 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Pannen in HambKomm/ InsO, § 13a InsO Rz. 6, 25; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 22; Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 11.

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Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 35 § 37

Ferner ist nach § 13a Abs. 2 Satz 1 InsO dem Antrag der letzte konsolidierte Konzern- 31 abschluss (zwingend und vollständig) beizufügen. §§ 297–299 HGB bestimmt Inhalt und Form des Konzernabschlusses. Der dient der Information des Gerichts93 über die tatsächliche Vermögens-, Finanz- und Ertragslage (§ 297 Abs. 2 Satz 2 HGB; vgl. § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB) und über die Veränderung des Eigenkapitals des Konzerns als Wirtschaftseinheit (§ 297 Abs. 3 Satz 1 HGB: „so darzustellen, als ob diese Unternehmen insgesamt ein einziges Unternehmen wären“).94 Seine Vorlage ist daher eine wichtige Informationsquelle für das Gericht und Basis für die Einschätzung der künftigen Entwicklung, wobei ergänzend der „Prognosebericht“ nach § 315 Abs. 1 Satz 4 HGB herangezogen werden sollte, da hier die voraussichtliche Entwicklung des Konzerns mit ihren wesentlichen Chancen und Risiken erläutert ist. Relevante zwischenzeitliche Änderungen sollten, wie bei dem konsolidierten Abschluss der Unternehmensgruppe, proaktiv transparent gemacht werden.95

Vorzulegen ist der geprüfte Vorjahresabschluss. Liegen (Quartals- oder Halbjahres-)Abschlüs- 32 se jüngeren Datums vor, so sollen auch diese vorgelegt werden, insbesondere wenn zwischenzeitlich größere Veränderungen eingetreten sind, etwa weil Sanierungsmaßnahmen umgesetzt wurden.96 Liegt dieser noch nicht vor oder fehlt das Testat, sollten den aufgestellten Abschlüssen die testierten Vorjahresabschlüsse und vorhandene unterjährige Quartals- oder Halbjahresabschlüsse beigefügt werden.97 Wesentliche Änderungen nach dem letzten Konzernabschluss (z.B. aufgrund durchgeführter Sanierungsversuche, Kapitalschnitte oder einen Arbeitsplatzabbau) sind zu erläutern.98 Liegen keine Konzernabschlüsse vor, sind die Jahresabschlüsse derjenigen gruppenangehörigen Unternehmen beizufügen, die für die Unternehmensgruppe nicht von untergeordneter Bedeutung (vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 1 InsO) sind (§ 3e Abs. 2 Satz 2 InsO). Die Jahresabschlüsse der übrigen gruppenangehörigen Unternehmen sollen beigefügt werden 33 (§ 3e Abs. 2 Satz 3 InsO). Da es sich nur um eine Soll-Vorschrift handelt, kann der antragstellende Schuldner von der Vorlage zunächst absehen und anbieten, auf Nachfrage des Gerichts Abschlüsse nachzuliefern.99 Bei Konzernen mit einer Vielzahl von gruppenangehörigen Unternehmen wird das Gericht erwägen, die Nachfrage auf die maßgeblichen Gruppenmitglieder zu beschränken.100 Der Aufzählung in § 13a Abs. 2 InsO ist nicht abschließend. Das Gericht kann dem Antrag- 34 steller aufgeben, ergänzende oder anderweitige Unterlagen vorzulegen, die für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 3a InsO erforderlich sind.101 Die in § 13a InsO geforderten Angaben sind zwar eine wichtige Informationsquelle, aber kei- 35 ne Zulässigkeitsvoraussetzung des Zuständigkeitskonzentrationsantrags.102 Sind sie unvoll93 BT-Drucks. 18/407, S. 29. 94 Merkt in Hopt, § 290 HGB Rz. 2; Busse von Colbe/Fehrenbacher in MünchKomm/HGB, § 297 HGB Rz. 5. 95 Wimmer-Amend in FK/InsO, § 13a InsO Rz. 29; Pannen in HambKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 28; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 13a InsO Rz. 33 (Stand: März 2018). 96 BT-Drucks. 18/407, S. 29; Wolfer in BeckOK/InsR, § 13a InsO Rz. 5 (Stand: 15.4.2022); Sorg in Braun, § 13a InsO Rz. 9; Pannen in HambKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 28; Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 24; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 13a InsO Rz. 33 (Stand: März 2018); Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 30. 97 Vuia in MünchKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 16; Pape in Uhlenbruck, § 13a InsO Rz. 16. 98 Pape in Uhlenbruck, § 13a InsO Rz. 16. 99 Vgl. Vuia in MünchKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 17. 100 Pape in Uhlenbruck, § 13a InsO Rz. 17. 101 Vuia in MünchKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 15. 102 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 13; zur InsO BT-Drucks. 18/407, S. 29; Madaus in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 13a InsO Rz. 2; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 13a InsO Rz. 1; Sternal in Kayser/Thole, § 13a InsO Rz. 7; Vuia in MünchKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 18; Mönning in Nerlich/Römermann, § 13a InsO Rz. 11 (Stand: 1.2019); Pape in Uhlenbruck, § 13a InsO Rz. 18.

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§ 37 Rz. 35 | Gruppen-Gerichtsstand ständig oder widersprüchlich, weist das Restrukturierungsgericht den Antragsteller hierauf hin (§ 38 Satz 1, § 139 ZPO). Bessert der Antragsteller dann nicht oder unzureichend nach, führt dies trotz der zwingend zu erklärenden Angaben nicht zur Unzulässigkeit des Antrags und schließt auch nicht aus, dass auf seiner Grundlage der zusätzliche Gerichtsstand für Gruppen-Folgeverfahren geschaffen wird.103 Macht der Schuldner aber zur Einschätzung der Voraussetzungen des Gerichtsstands erforderliche Angaben nicht, kann dies Zweifel am Gläubigerinteresse am Gruppen-Gerichtsstand begründen (vgl. § 3a Abs. 2 InsO).104 Das Gericht kann einen Sachverständigen zur Klärung beauftragen (§ 39 Abs. 1 Satz 2 InsO; vgl. § 39 Rz. 36),105 doch ist der daraus resultierende Zeitverlust für den Erfolg der beabsichtigten Sanierung i.d.R. schädlich. Es sollte der Schuldner aus eigenem Interesse den Antrag möglichst sorgfältig und vollständig begründen und sämtliche erforderlichen Unterlagen beifügen.106 Eine graphische Darstellung der Konzernstruktur ist i.d.R. sehr hilfreich. c) Zuständiges Gericht 36 Der Antrag muss beim Restrukturierungsgericht eingereicht werden, bei dem bereits die

Anzeige erfolgt ist. Spätestens zeitgleich muss wenigstens ein Instrument nach § 29 Abs. 2 StaRUG beantragt werden (Rz. 37).107 Die örtliche Zuständigkeit des angegangenen Gerichts ist auch Voraussetzung für die Zulässigkeit des Konzentrationsantrags. Ist das Restrukturierungsgericht für den Instrumentenantrag (Restrukturierungssache) und den Konzentrationsantrag örtlich unzuständig, weist es darauf hin (§ 38 Satz 1 StaRUG, § 139 Abs. 1 ZPO) und verweist auf Antrag des Schuldners den Antrag an das zuständige Gericht (§ 38 Satz 1 StaRUG, § 281 ZPO; § 35 Rz. 22). Soweit streitig ist, ob es neben dem Antrag auf Verweisung der Sache auch eines zusätzlichen Antrags auf Verweisung im Hinblick auf das Verfahren über den Antrag gem. § 37 StaRUG, § 3a InsO (Konzentrationsantrags) bedarf, ist dieses wegen der Dispositionsfreiheit des Schuldner zu bejahen.108 Bei interessegerechter Auslegung eines allgemein gefassten Verweisungsantrags ist der Antrag auf Verweisung des Konzentrationsantrags jedoch darin enthalten. Auch aus Gründen der Klarheit sollte der Verweisungsbeschluss beide Anträge ausdrücklich verbescheiden.109 Wird der Verweisungsantrag trotz Hinweises nicht gestellt, weist das angegangene Gericht (auch) den Antrag auf Begründung des Gruppen-Gerichtsstandes als unzulässig ab.

3. Zulässiger Antrag des Schuldners in der Restrukturierungssache 37 Voraussetzung für den Antrag auf Begründung des Gruppen-Gerichtsstands im Insolvenz-

verfahren gem. § 3a Abs. 1 Satz 1 InsO ist ein zulässiger Eröffnungsantrag bei einem zuständi-

103 So zu § 3e InsO BT-Drucks. 18/407, S. 29. 104 BT-Drucks. 18/407, S. 29. 105 Vgl. Pannen in HambKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 28; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 13a InsO Rz. 33 (Stand: März 2018); Frind, ZInsO 2013, 429, 430. 106 Vgl. Pape in Uhlenbruck, § 13a InsO Rz. 18. 107 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 4. 108 So wohl Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 4 Fn. 7; zu § 3a InsO Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3a InsO Rz. 7 (Stand: 15.4.2022); Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 5; Blankenburg, ZInsO 2018, 897, 898; a.A. zu § 37 StaRUG Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), weil der Konzentrationsantrag als Annexantrag Bestandteil der Restrukturierungssache sei. 109 Vgl. Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII. Rz. 7; mit Wortlautvorschlag zu § 3a InsO Blankenburg, ZInsO 2018, 897, 900.

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Gruppen-Gerichtsstand | § 37

gen Insolvenzgericht.110 Entsprechend setzt die Parallelnorm des § 37 Abs. 1 StaRUG voraus, dass der den Konzentrationsantrag stellende Schuldner111 (auch) einen zulässigen Antrag in der eigenen Restrukturierungssache gestellt hat.112 Das meint nicht etwa die bloße Anzeige der Sache nach § 31 Abs. 1 StaRUG. Vielmehr muss eines der in § 29 Abs. 2 StaRUG aufgezählten Instrumente wenigstens zeitlich mit dem Konzentrationsantrag beantragt worden sein.113 Ansonsten ist der Konzentrationsantrag unzulässig. Auch wenn die gerichtliche Prüfung der eigenen Zuständigkeit nicht bis zur schuldnerseitigen Inanspruchnahme eines Instruments zurückgestellt werden muss und sollte (§ 39 Rz. 11), ist die Zuständigkeit jedenfalls spätestens dann zu klären. Dieses geht der Begründung des Gruppen-Gerichtsstands sinnvoller Weise voraus.114 Die Anträge können in derselben Antragsschrift gestellt werden.115 Wurde der Konzentrationsantrag beim zuständigen Restrukturierungsgericht gestellt, der Anspruch auf Inanspruchnahme eines der Instrumente des § 29 StaRUG aber bei einem örtlich unzuständigen Gericht, wird der Mangel durch antragsgemäße Verweisung der Restrukturierungssache (§ 38 Satz 1 StaRUG, § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO) geheilt.116 Diese Verweisung ist dann grundsätzlich bindend (§ 35 Rz. 25). Wird der Antrag auf Inanspruchnahme eines der Instrumente nachträglich zurückgenommen, lässt dieses (in den Grenzen des Rechtsmissbrauchs) die Zulässigkeit des Konzentrationsantrags unberührt (Rz. 70).117 Nachträgliche Änderungen zuständigkeitsbegründender Umstände lassen eine einmal begründete Zuständigkeit nicht entfallen (§ 38 Rz. 69).118 Dass der Schuldner einen Instrumentenantrag rechtsmissbräuchlich nur pro forma stellt und planmäßig nach kurzer Zeit zurücknimmt, wird sich in der Praxis kaum feststellen lassen.119 Eher werden bei Anhaltspunkten für Rechtsmissbrauch die genaue Prüfung, dass der Schuldner nicht von lediglich untergeordneter Bedeutung für die gesamte Unternehmensgruppe ist, und § 3a Abs. 2 InsO helfen (Rz. 39). 110 AG Hannover v. 24.9.2018 – 903 IN 540/18, ZIP 2018, 2285, 2286; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 3a InsO Rz. 3; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 11; Römermann in Nerlich/Römermann, § 3a InsO Rz. 8 (Stand: April 2018); Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 10; Brünkmans/Frank in Runkel/Schmidt, Anwalts-Hdb. InsR, § 4 Rz. 41 f.; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 14. 111 Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 16. 112 BT-Drucks. 19/24181, S. 142 (mit dem Hinweis, die Begründung des Gruppen-Gerichtsstands solle zweckmäßigerweise erst möglich sein, wenn die Zuständigkeit geklärt ist); Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 26 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 6; Römer in Nerlich/Römermann, § 37 StaRUG Rz. 7 (Stand: November 2021); Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII. Rz. 7; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 58; Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108. Soweit Laroche in Flöther, § 37 StaRUG Rz. 3, auf ein Bedürfnis zur Begründung des Gruppen-Gerichtsstandes, auch wenn bei dem Schuldner zunächst noch kein Instrument in Anspruch genommen werden soll, verweist, z.B. weil bei dem gruppenangehörigen Unternehmen, nicht aber bei dem Schuldner selbst eine Stabilisierungsanordnung benötigt werde, mag das gruppenangehörige Unternehmen selbst den Instrumentenantrag stellen und ggf. später Verweisung beantragen (§ 37 Abs. 2 StaRUG i.V.m. § 3d Abs. 1 Satz 1 InsO; s. Rz. 65). 113 BT-Drucks. 19/24181, S. 142; Baumert in Braun, § 37 StaRUG Rz. 3; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 23 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 5; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 14. 114 BT-Drucks. 19/24181, S. 142. 115 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 5. 116 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 22.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zu § 3a InsO Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 6. 117 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 6. 118 So zu § 3b InsO BT-Drucks. 18/407, S. 27. 119 A.A. wohl Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), nach dem das Gericht Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben und nach Ablauf, werde kein neuer Instrumentenantrag gestellt, den Konzentrationsantrag zurückzuweisen habe.

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§ 37 Rz. 38 | Gruppen-Gerichtsstand 38 Nicht erforderlich ist, dass der Instrumentenantrag begründet ist. Die Prüfung der Begrün-

detheit würde zeit- und aufwandsintensive Ermittlungen tatsächlicher und rechtlicher Art erfordern und damit einer möglichst frühzeitigen Festlegung des Gruppen-Gerichtsstands schon in einem frühen Stadium entgegenstehen.120

4. Keine offensichtliche untergeordnete Bedeutung a) Grundsatz 39 Der Schuldner darf nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die gesamte Un-

ternehmensgruppe sein. Ob eine untergeordnete Bedeutung besteht, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, wobei neben Kriterien wie dem Anteil des Schuldners am gruppenweiten Umsatz und der gruppenweit zusammengefassten Bilanzsumme auch auf die gruppenweit beschäftigten Arbeitnehmer abgestellt werden kann.121 Das Gericht hat bei seiner Beurteilung alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Das Beweismaß ist die volle richterliche Überzeugung (§ 38 Satz 1 StaRUG, § 286 Abs. 1 ZPO).122 Das meint einen für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (§ 38 Rz. 74).123 Bloße Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO), wonach die überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der jeweils behaupteten Tatsache ausreicht, genügt nicht. Die praktische Umsetzbarkeit und die Eilbedürftigkeit124 der Entscheidung werden aber berücksichtigt, indem nur geringe materielle Anforderung an den Negativnachweis gestellt sind: Das Wort „offensichtlich“ im Satzteil „nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung“ meint eine über überwiegende Wahrscheinlichkeit hinausgehende Evidenz in der Weise, dass die untergeordnete Bedeutung des Schuldners jedem Fachmann ohne weiteres erkennbar ist.125 Das entspricht auch der Bedeutung, die dem Wort „offensichtlich“ ansonsten im StaRUG (z.B. bei § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 51 Abs. 1 Satz 2; § 53 Abs. 3 Satz 2, § 63 Abs. 1 Nr. 3, § 73 Abs. 1 Satz 2, § 74 Abs. 2; § 78 Abs. 2, § 94 StaRUG) zukommt. Es wird also nicht das Beweismaß gesteigert,126 sondern das Beweisziel dahin formuliert, dass der

120 Vgl. zum Eröffnungsantrag bei § 3a InsO BT-Drucks. 18/407, S. 26. 121 Nach Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 41, sei die Bedeutung des Unternehmens dann nicht untergeordnet, „wenn nicht von vorneherein auszuschließen ist, dass das Unternehmen Einfluss auf die Investitionsentscheidung eines gedachten Erwerbers der Unternehmensgruppe im Ganzen oder in Teilen oder auf die Realisierung einer abweichenden Regelung im Rahmen eines Insolvenzplans, insbesondere zum Erhalt des Unternehmens in der ganz oder in Teilen fortzusetzenden Unternehmensgruppe, hat.“ 122 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 13. Nach Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3a InsO Rz. 13 (Stand: 15.4.2022) sei dagegen „von einer erhöhten Anforderung an die Überzeugung des Gerichts auszugehen.“ 123 Grundlegend BGH v. 17.2.1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 255 f.; s. ferner BGH v. 19.7.2019 – V ZR 255/17, NJW 2019, 3147 Rz. 27; BVerfG v. 18.1.2001 – 1 BvR 1273/96, NJW 2001, 1639, 1640. 124 Problematisch daher Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 26, der in Hinblick auf die Haftung des Richters nach § 839 Abs. 2 BGB für die hoch komplexe Bewertung die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten gem. § 73 Abs. 3 StaRUG als Sachverständigen für unerlässlich hält. 125 Zutreffend Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 12: „Wenn etwas „offensichtlich“ sein soll, dürfte eher gemeint sein, dass die untergeordnete Bedeutung des Schuldners besonders deutlich sein muss“; ähnlich Baumert in Braun, § 37 StaRUG Rz. 8; Baumert in Braun, § 3a InsO Rz. 15; wohl auch Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Nach Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 14 sei jedenfalls bei einer Unterschreitung von 50 % der Schwellenwerte von Offensichtlichkeit auszugehen. 126 Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3a InsO Rz. 24 (Stand: 15.4.2022); a.A. Pannen in HambKomm/ InsO, § 3a InsO Rz. 23; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 6 (Stand: November 2017) (mit aber wohl ähnlichem Ergebnis, wie hier).

592 | Deppenkemper

Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 41 § 37

Schuldner nur beweisen muss, dass er nicht evident erkennbar eine untergeordnete Rolle hat. Einen quantitativen Orientierungspunkt – keine negative gesetzliche Tatsachenvermutung,127 40 die zu einer Umkehr der objektiven Feststellungslast führte – für die Frage, ob ein Unternehmen von gewisser Bedeutung für die Unternehmensgruppe sein kann, bietet § 3a Abs. 1 Satz 2 StaRUG.128 Sind die dort genannten Schwellenwerte erreicht, ist in der Regel nicht anzunehmen, dass eine untergeordnete Bedeutung vorliegt, und dem Konzentrationsantrag stattzugeben. Das heißt aber nicht im Umkehrschluss, dass zwingend eine untergeordnete Bedeutung des Schuldners besteht, wenn die Werte (ggf. nur knapp) unterschritten werden.129 Dem Schuldner bleibt auch dann die Möglichkeit darzutun, dass er keine offensichtlich untergeordnete Bedeutung in der Unternehmensgruppe hat,130 z.B. mit Hinweisen auf seine zentrale Funktion auch nach außen und als Organträger und Cashpoolführer.131 Bei dem herrschenden Unternehmen (z.B. der Gruppenholding) wird dieses meistens gegeben sein,132 aber bleibt auch hier der Einzelfall zu prüfen.133 Zudem kann nach § 3a Abs. 1 Satz 4 InsO ein GruppenGerichtsstand jedenfalls bei dem Gericht begründet werden, dass für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den gruppenangehörigen Schuldner zuständig ist, der im vorangegangenen Geschäftsjahr im Jahresdurchschnitt die meisten Arbeitnehmer beschäftigt hat (vgl. Rz. 44). § 3a Abs. 1 Satz 2–4 InsO sind über § 37 Abs. 2 StaRUG entsprechend anwendbar. b) Regelbeispiele nach § 3a Abs. 1 Satz 2 InsO Nach § 3a Abs. 1 Satz 2 InsO besteht in der Regel keine untergeordnete Rolle, wenn bezüglich 41 der Anzahl der Arbeitnehmer, der Bilanzsumme und der Umsatzerlöse die genannten Schwellenwerte überschritten werden. Wird ein Schwellenwert nur genau erreicht, ist er nicht überschritten („mehr als“). Auf das Ausmaß des Überschreitens der Schwellenwerte kommt es dann aber nicht weiter an. Veröffentlichte Bilanzen können unter www.unternehmensregister. de abgerufen werden. Praktisch können diese Zahlen bei Antragstellung etwa durch bereits durchgeführte Sanierungsmaßnahmen erheblich überholt sein.134 Fehlen Abschlüsse gruppenangehöriger Unternehmen oder sind sie nach § 264 Abs. 3 HGB davon befreit, kann das Gericht seine Überzeugung (§ 286 Abs. 1 ZPO), dass die Schwellenwerte überschritten sind, anhand anderer Unterlagen (betriebswirtschaftliche Auswertung) bilden.135

127 Weitergehend Sternal in Kayser/Thole, § 3a InsO Rz. 6; Wimmer-Amend in FK/InsO, § 3a InsO Rz. 24, die eine widerlegliche Vermutung annehmen. 128 So zu § 3a InsO vgl. BT-Drucks. 18/407, S. 26. 129 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 28 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Graf-Schlicker in GrafSchlicker, § 3a InsO Rz. 6; Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 22; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 7 (Stand: November 2017). 130 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 42; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 12 f. 131 Vgl. Wimmer-Amend in FK/InsO, § 13a InsO Rz. 6; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 13 InsO Rz. 10 (Stand: März 2018). 132 AG Hamburg v. 9.6.2020 – 67g IN 136/20, ZRI 2020, 391 Rz. 6; Hoegen/Kranz in Flöther, Anhang D Rz. 26; Laroche in Flöther, § 37 StaRUG Rz. 4; Pannen in HambKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 22; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 16; Römer in Nerlich/ Römermann, § 37 StaRUG Rz. 5 (Stand: November 2021); Denkhaus/Ziegenhagen/Demisch, KonzernInsR, Rz. 335 ff.; Brünkmans/Frank in Runkel/Schmidt, Anwalts-Hdb. InsR, § 4 Rz. 48; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 31; Berner/Zenker in FS Graf-Schlicker, 2018, 171, 179; Laroche, ZInsO 2017, 2585, 2590; Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2333. 133 Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3a InsO Rz. 13 (Stand: 15.4.2022): keine pauschale Annahme. 134 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 25. 135 Pannen in HambKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 24.

Deppenkemper | 593

§ 37 Rz. 42 | Gruppen-Gerichtsstand 42 In Hinblick auf die Anzahl der Arbeitnehmer kommt es darauf an, dass im vorangegangenen

abgeschlossenen Geschäftsjahr im Jahresdurchschnitt 15 % der in der Unternehmensgruppe beschäftigten Arbeitnehmer beim Schuldner eingesetzt worden sind. Um dabei den Betriebsstandorten und den dort bestehenden Arbeitsplätzen gegenüber den rechnungslegungstechnischen Größen der Bilanzsumme und des Umsatzes ein größeres Gewicht einzuräumen, ist die Überschreitung der auf die Arbeitnehmerzahlen bezogenen Schwelle zwingend vorgegeben.136 Für den Begriff „Arbeitnehmer“ hat sich wie auch zu § 22a Abs. 1 Nr. 3 InsO137 und dem insoweit vorbildgebenden138 § 267 Abs. 1 Nr. 3 HGB139 eine am Arbeitsrecht orientierte Definition durchgesetzt.140 § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB spricht von einer Gesamtbetrachtung aller Umstände. Erfasst sind alle natürlichen Personen, die aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags zur Leistung fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet sind141 und dafür als Gegenleistung eine Vergütung erhalten.142 Das schließt Aushilfskräfte, wegen Mutterschaftsurlaub Abwesende, Schwerbehinderte, Teilzeitbeschäftigte143 und Kurzarbeiter,144 nach dem Zweck der Vorschrift aber auch Personen in Heimarbeit und unselbstständige Handelsvertreter (vgl. § 84 Abs. 2 HGB)145 ein. Die Arbeitnehmereigenschaft besteht auch bei Auslandstätigkeit (vgl. § 267 Abs. 5 HGB).146 Teilzeitbeschäftigte und Heimarbeiter sind voll zu berücksichtigen und nicht etwa auf Vollzeitarbeitskräfte umzurechnen; das Gesetz stellt aus Gründen der Einfachheit und Klarheit auf die Anzahl der Arbeitnehmer und nicht der Arbeitsplätze ab.147 Keine Arbeitnehmer sind etwa organschaftliche Vertreter einer Kapitalgesellschaft, Mitglieder gesellschaftsrechtlicher Aufsichtsorgane, Leiharbeiter i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG, aushelfende Familienangehörige ohne Arbeitsvertrag, Freiberufler ohne betriebliche Eingliederung, Personen, bei denen die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis ruhen (ausgeschiedene Vorruheständler und Altersteilzeitler in der Freistellung, Arbeitnehmer im Erziehungsurlaub); erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit Mehraufwandsentschädigung nach § 16d SGB II (Inhaber von sog. Ein-Euro-Jobs), insbesondere gem. § 267 Abs. 5 HGB auch nicht zur Berufsausbildung Beschäftigte, d.h. Auszubildende i.S.d. BBiG, Anlernlinge,

136 So BT-Drucks. 18/11436, S. 21. 137 Blankenburg in Kübler/Prütting/Bork, § 22a InsO Rz. 20 (Stand: April 2017); Haarmeyer/Schildt in MünchKomm/InsO, § 22a InsO Rz. 86; Vallender in Uhlenbruck, § 22a InsO Rz. 19. 138 BT-Drucks. 17/5712, S. 24. 139 Poll in BeckOK/HGB, § 267 HGB HGB Rz. 20 (Stand: 15.7.2022); Störk/Lawall in BeckBilanzKomm, 13. Aufl. 2022, § 267 HGB Rz. 9; Böcking/Gros in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 267 HGB Rz. 8; Schüppen/Karrenbrock in Hachmeister/Kahle/Mock, BilanzR, § 267 HGB Rz. 19; Merkt in Hopt, § 267 HGB Rz. 2. 140 Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3a InsO Rz. 16 (Stand: 15.4.2022). 141 BAG v. 8.6.1967 – 5 AZR 461/66, NJW 1967, 1982. 142 Vgl. EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, NJW 2011, 2343 Rz. 39 = AG 2011, 165 = ZIP 2010, 2414; Reiner in MünchKomm/HGB, § 267 HGB Rz. 8. 143 Haarmeyer/Schildt in MünchKomm/InsO, § 22a InsO Rz. 86. 144 Kopp in BeckOK/InsO, § 22a InsO Rz. 11 (Stand: 15.4.2022); Poll in BeckOK/HGB, § 267 HGB Rz. 21 (Stand: 15.7.2022); Haarmeyer/Schildt in MünchKomm/InsO, § 22a InsO Rz. 86. 145 Blankenburg in Kübler/Prütting/Bork, § 22a InsO Rz. 21 (Stand: April 2017). Nach Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3a InsO Rz. 16 (Stand: 15.4.2022); Vallender in Uhlenbruck, § 22a InsO Rz. 19 seien auch selbstständige Handelsvertreter einbezogen. 146 Meyer in Staub, § 267 HGB Rz. 12. 147 Störk/Lawall in BeckBilanzKomm, 13. Aufl. 2022, § 267 HGB Rz. 12; Gelbrich/Flöther in BeckOK/ InsR, § 3a InsO Rz. 16 (Stand: 15.4.2022); Kopp in BeckOK/InsR, § 22a InsO Rz. 11 (Stand: 15.4.2022); Schüppen/Karrenbrock in Hachmeister/Kahle/Mock, BilanzR, § 267 HGB Rz. 20; Blankenburg in Kübler/Prütting/Bork, § 22a Rz. 21 (Stand: April 2017); Haarmeyer/Schildt in MünchKomm/InsO, § 22a InsO Rz. 86; Reiner in MünchKomm/HGB, § 267 HGB Rz. 8; a.A. zu § 22a InsO Hölzle in K. Schmidt, § 22a InsO Rz. 20, der auf § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG Bezug nimmt; ähnlich zu § 3a Abs. 1 Satz 4 InsO Pannen in HambKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 28.

594 | Deppenkemper

Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 43 § 37

Umschüler, Volontäre und Praktikanten.148 Maßgebend ist der Jahresdurchschnitt der Arbeitnehmer, der sich als arithmetisches Mittel („vierter Teil der Summe“) zu den Stichtagen 31.3., 30.6., 30.9. und 31.12. beschäftigten Arbeitnehmer errechnet (§ 267 Abs. 5 HGB).149 Aufgrund dieser reinen Stichtagsbetrachtung ist unerheblich, wie lange die Beschäftigung vor dem jeweiligen Quartalsende schon bestanden hat und ob oder wie lange sie nach dem Quartalsende noch fortdauert.150 Unerheblich ist auch eine zum Stichtag bestehende Leistungsunterbrechung aufgrund Streik oder Krankheit.151 Ferner muss zusätzlich („und“) die Bilanzsumme des Schuldners mehr als 15 % der zusam- 43 mengefassten Bilanzsumme der Unternehmensgruppe (§ 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO) oder die Umsatzerlöse des Schuldners mehr als 15 % der zusammengefassten Umsatzerlöse der Unternehmensgruppe (§ 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO) betragen haben. Die Bilanzsumme ist die Summe aller zum jeweiligen Abschlussstichtag unter Berücksichtigung der tatsächlich ausgeübten Ausweis-, Ansatz- und Bewertungswahlrechte auf der Aktivseite der Bilanz (§ 267 Abs. 2 HGB) ausgewiesenen Aktiva gem. §§ 264 ff. HGB, vermindert um einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag i.S.d. § 268 Abs. 3 HGB.152 § 267 Abs. 4a HGB beschreibt klarstellend, dass sich die Bilanzsumme aus den Posten zusammensetzt, die in den Buchstaben A bis E des § 266 Abs. 2 HGB aufgeführt sind.153 Umsatzerlöse sind die in § 277 Abs. 1 HGB (im Einklang mit Art. 2 Nr. 5 Bilanz-RL) definierten und in der Gewinn- und Verlustrechnung auszuweisenden und allein ausweisbaren Erträge (Erlöse aus dem Verkauf und der Vermietung oder Verpachtung von Produkten sowie aus der Erbringung von Dienstleistungen nach Abzug von Erlösschmälerungen, der USt und sonstiger direkt mit dem Umsatz verbundener Steuern)154 der letzten zwölf Monate vor dem Abschlussstichtag (§ 267 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 HGB).155 Erfasst sind auch Erlöse aus der Erbringung von Dienstleistungen für verbundene, rechtlich selbstständige Konzernunternehmen,156 auch wenn sie durch ein operativ tätiges Konzernunternehmen erbracht werden, nicht dagegen Lieferungen und Leistungen zwischen rechtlich unselbstständigen Abteilungen und Betriebsstätten und insgesamt Erlöse, die nicht in der GuV als Umsatzerlöse i.S.d. § 277 Abs. 1 HGB auszuweisen sind.157 Das kann i.d.R. auch dem um die konzerninternen Umsätze konsolidierten Konzernabschluss (vgl. § 300 HGB) entnommen werden, der regelmäßig geringere Umsatzerlöse ausweist, als die Summe der aufaddierten Umsatzerlöse der Einzelabschlüsse beträgt.

148 Poll in BeckOK/HGB, § 267 HGB Rz. 22 (Stand: 15.7.2022); Störk/Lawall in BeckBilanzKomm, 13. Aufl. 2022, § 267 HGB Rz. 11; Böcking/Gros in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 267 HGB Rz. 9; Schüppen/Karrenbrock in Hachmeister/Kahle/Mock, BilanzR, § 267 HGB Rz. 21; Blankenburg in Kübler/Prütting/Bork, § 22a InsO Rz. 21 (Stand: April 2017); Reiner in MünchKommHGB, § 267 HGB Rz. 8. 149 Böcking/Gros in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 267 HGB Rz. 10. 150 Störk/Lawall in BeckBilanzKomm, 13. Aufl. 2022, § 267 HGB Rz. 12; Schüppen/Karrenbrock in Hachmeister/Kahle/Mock, BilanzR, § 267 HGB Rz. 23. 151 Poll in BeckOK/HGB, § 267 HGB Rz. 23 (Stand: 15.4.2022). 152 Störk/Lawall in BeckBilanzKomm, 13. Aufl. 2022, § 267 HGB Rz. 6; Poll in BeckOK/HGB, § 267 HGB Rz. 15 (Stand: 15.7.2022); Schüppen/Karrenbrock in Hachmeister/Kahle/Mock, BilanzR, § 267 HGB Rz. 13. 153 Dazu Reiner in MünchKomm/HGB, § 267 HGB Rz. 6; Meyer in Staub, § 267 HGB Rz. 10. 154 Störk/Lawall in BeckBilanzKomm, 13. Aufl. 2022, § 267 HGB Rz. 7; Schüppen/Schüppen in Hachmeister/Kahle/Mock, BilanzR, § 277 HGB Rz. 6. 155 Poll in BeckOK/HGB, § 267 HGB Rz. 18 (Stand: 15.7.2022); Reiner in MünchKomm/HGB, § 267 HGB Rz. 7. 156 Meyer in Staub, § 277 HGB Rz. 5; s. aber Baumert in Braun, § 3a InsO Rz. 16, der auf die konsolidierten, also um die um die Binnenumsätze bereinigten Umsätze abstellt, da eine „künstliche“ Aufblähung durch nicht konsolidierte Binnenumsätze nicht dem Ziel des Gesetzes entspräche; ähnlich Pannen in HambKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 21; Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 26. 157 Störk/Lawall in BeckBilanzKomm, 13. Aufl. 2022, § 267 HGB Rz. 7.

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§ 37 Rz. 44 | Gruppen-Gerichtsstand 44 Der Gesetzgeber hat auch den Fall gesehen, dass die Schwellen von keinem gruppenangehö-

rigen Schuldner erreicht werden. Dann kann für jeden dieser Schuldner zweifelhaft sein, ob bei dem für ihn zuständigen Gericht der Gruppen-Gerichtsstand begründet werden kann. Um diese Unsicherheiten zu beseitigen bestimmt § 3a Abs. 1 Satz 4 InsO, dass dann der Gruppen-Gerichtsstand jedenfalls bei dem Gericht begründet werden kann, das für den gruppenangehörigen Schuldner mit den meisten Arbeitsplätzen (vgl. Rz. 42) zuständig ist.158 Da aber vorausgesetzt ist, dass „keiner der gruppenangehörigen Schuldner die Voraussetzungen des Satzes 2“ erfüllt, ist, wenn einer der Schuldner die Schwellenwerte übertrifft, er den Konzentrationsantrag aber nicht stellt, ein Antrag der anderen gruppenangehörige Schuldner nach § 3a Abs. 1 Satz 4 InsO gesperrt.159

5. Prioritätsgrundsatz bei mehreren Anträgen (Abs. 2 i.V.m. § 3a Abs. 1 Satz 3 InsO) 45 Der Verweis des § 37 Abs. 2 StaRUG geht auch auf § 3a Abs. 1 Satz 3 InsO. Danach ist, haben

mehrere gruppenangehörige Schuldner zeitgleich einen Konzentrationsantrag gestellt oder ist bei mehreren Anträgen unklar, welcher Antrag zuerst gestellt worden ist, der Antrag des Schuldners maßgeblich, der im vergangenen abgeschlossenen Geschäftsjahr die meisten Arbeitnehmer beschäftigt hat; die anderen Anträge sind unzulässig.

46 Das Gesetz folgt damit in den genannten Fällen wie im Insolvenzverfahren zunächst dem

Prioritätsprinzip.160 Nur der zeitlich zuerst bei Gericht gestellte Konzentrationsantrag ist dann, unabhängig von seiner Zulässigkeit im Übrigen,161 zulässig. Die anderen Konzentrationsanträge sind unzulässig und deshalb zurückzuweisen (§ 3a Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 InsO).162 Problematisch ist, dass die angerufenen Gerichte nicht sicher von verschiedenen Anträgen erfahren.163 Wegen der Möglichkeit, dass der zuerst gestellte Antrag später zurückgewiesen werden könnte und der Konsequenz, dass dann neu zu stellende Anträge wieder in zeitliche Konkurrenz mit weiteren Anträgen anderer gruppenangehöriger Schuldner geraten könnten, wird vertreten, dass das Gericht, bei dem ein nachfolgender Antrag gestellt worden ist, mit seiner Entscheidung solange zuwarten müsse, bis das vorher angerufene Gericht unanfechtbar entschieden hat.164 Das gibt aber weder der Gesetzeswortlaut her noch ist es praktikabel, da nicht sicher ist, dass dann der spätere Antragsteller seinen Antrag überhaupt noch will.

158 BT-Drucks. 18/11436, S. 21; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 29 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 27. 159 Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3a InsO Rz. 26 (Stand: 15.4.2022). 160 BT-Drucks. 18/407, S. 19, 27; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 35 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 37 StaRUG Rz. 1; Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 29; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 12; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 4 f., 9; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2582; zu § 3a InsO Sternal in Kayser/Thole, § 3a InsO Rz. 10; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 9 (Stand: November 2017); Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 16; Römermann in Nerlich/Römermann, § 3a InsO Rz. 18 (Stand: April 2018); Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 14; Specovius/von Wilcken in Gottwald/Haas, InsRHdb., § 95 Rz. 36. 161 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 16. 162 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 35 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 30. 163 Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 11, der folgert, dass eine auf unzulässigen, weil gegen das Prioritätsprinzip verstoßenden Antrag erfolgte Begründung des Gruppen-Gerichtsstandes bei nachträglicher Feststellung der Unzulässigkeit des Antrags von Amts wegen aufzuheben sei. 164 So zu § 3a InsO Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 16.

596 | Deppenkemper

Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 51 § 37

Maßgebend ist, wenn wie bei Einreichung über das beA oder als Fax feststellbar, die konkrete 47 Uhrzeit des Eingangs nach Stunde, Minute und Sekunde.165 Hier auf die Grundsätze des § 27 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 InsO zurückzugreifen166 ist unnötig und entwertet die Anknüpfung an den zeitlichen Eingang.167 Allerdings wird bei Restrukturierungssachen deutlich seltener vorkommen, dass Schuldner unabgestimmt voneinander Anzeigen, den Antrag auf Inanspruchnahme eines Instruments und einen Konzentrationsantrag bei verschiedenen Restrukturierungsgerichten einreichen.168 Die Vorgehensweise, dass ein gruppenangehöriger Schuldner das Restrukturierungskonzept eines anderen Schuldners insofern unterlaufen will, als dass er seinerseits die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt und dann für das Insolvenzverfahren den Gruppen-Gerichtsstand beantragt, wird durch § 37 Abs. 2 StaRUG nicht gesperrt. Hier bleibt dem restrukturierungswilligen Schuldner der Aussetzungsantrag nach § 58 StaRUG.169 Gibt es für das Prioritätsprinzip keine Anknüpfungspunkte, weil nicht feststeht, welcher An- 48 trag zuerst gestellt worden ist (etwa beim Eingang per Post und taggleichem Eingangsstempel), entscheidet die Anzahl der im vergangenen abgeschlossenen Geschäftsjahr beschäftigten Arbeitnehmer (dazu Rz. 42). Wird der Erstantrag zurückgewiesen oder zurückgenommen, müssen die weiteren zuvor ge- 49 stellten Anträge, die als zeitlich nachrangig zurückgewiesen worden waren, erneut gestellt werden.170 Die Zurückweisung als unzulässig hat keine Rechtskraftwirkung über den konkreten Entscheidungsinhalt hinaus.171 Ein „Wideraufleben“ eines durch (unanfechtbaren)172 Beschluss zurückgewiesenen Antrags sieht das Gesetz nicht vor.

6. Gemeinsames Gläubigerinteresse Nach § 37 Abs. 2 StaRUG i.V.m. § 3a Abs. 2 InsO kann das Gericht, bestehen Zweifel daran, 50 dass eine Verfahrenskonzentration am angerufenen Insolvenzgericht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt, den Konzentrationsantrag ablehnen. Das Gericht legt bei seiner Entscheidung die Angaben zugrunde, die der antragstellende Schuldner nach § 13a Abs. 1 Nr. 2 InsO zu machen hat (Rz. 27).173 Nach der Gesetzesbegründung zu § 3a InsO ist nicht nur auf die Interessen der Gläubiger des 51 antragstellenden Schuldners abzustellen, sondern auf die Interessen der Gläubiger sämtlicher gruppenangehöriger Schuldner. Ein Interesse dieser Gläubiger werde immer zu bejahen sein, wenn sich durch eine koordinierte Abwicklung der Einzelverfahren Koordinationsgewinne erzielen lassen, die einigen Insolvenzmassen zugutekommen, ohne dabei die übrigen

165 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 35 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 29; anders zu § 3a InsO Sternal in Kayser/Thole, § 3a InsO Rz. 10: es sei auf den Eingang in einem engen zeitlichen Zusammenhang, z.B. am gleichen Tag, abzustellen. 166 So zu § 3a InsO Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 3a InsO Rz. 9 Fn. 29; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 10 (Stand: November 2017); referierend Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 15. 167 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 17: Das Prioritätsprinzip werde bei einem großzügigen Maßstab für die Annahme der Gleichzeitigkeit unterlaufen. 168 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 28. 169 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 28. 170 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 30. 171 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 16 (Stand: November 2017). 172 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 15 (Stand: November 2017). 173 BT-Drucks. 18/407, S. 27.

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§ 37 Rz. 51 | Gruppen-Gerichtsstand Massen zu benachteiligen.174 Zu § 3a InsO wird in der Literatur als Beispiel genannt, dass eine Holding-Gesellschaft weder den maßgeblichen Teil der Arbeitnehmer beschäftigt noch die sonst notwendige wirtschaftliche Bedeutung (Umsatzerlöse und Bilanzsumme) aufweist, aber von struktureller Bedeutung für die operativen Abläufe im Konzern ist.175 Ein Einzelfall kann auch ein angekündigter Antrag der den Konzern tatsächlich verwaltenden Holdinggesellschaft, in der die Steuerungsfunktionen gebündelt sind, wegen des typischer Weise geringeren Verwaltungs- und Administrationsaufwands Zweifel am Gläubigerinteresse bei einem Antrag einer (nicht offensichtlich untergeordneten) Tochter begründen (Rz. 40).176 52 Die Relevanz der Erwägungen des Gesetzgebers wird für das Restrukturierungsverfahren be-

zweifelt, weil es nicht auf die Verwertung des gesamten Vermögens des Schuldners gerichtet sei und es nicht zu einer Verschlechterung der Masse kommen könne.177 Im Übrigen kommt es, da es sich anders als beim Insolvenzverfahren nicht um ein Gesamtverfahren handelt, an sich nur auf die Interessen der Planbetroffenen an. Da diese aber i.d.R. in den Gruppen-Folgeverfahren noch nicht abschließend feststehen, ist auf die Planbetroffenen abzustellen, soweit ein Restrukturierungsverfahren anhängig ist, und im Übrigen auf die Gläubiger als potentiell Planbetroffene.178 Es geht – auch wegen § 37 Abs. 3 StaRUG – letztlich dann doch um deren gemeinsames Interesse an einer zumindest mittelfristig erreichbaren Vergrößerung der Haftungsmasse (vgl. auch § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG).179 Die Problematik, dass eine Sanierungsmaßnahme im Ergebnis wirtschaftlich vorteilhaft ist, aber einzelne Massen zunächst belastet werden, kann sich auch bei der Restrukturierung stellen. Bei einer Sanierung im Konzernverbund sind Mechanismen und Regelungen für einen Ausgleich gefragt, um Transaktionskosten zu senken und Opportunitätsvorteile einer Sanierung z.B. bei der gemeinsamen Erfüllung von Aufträgen, der zu kompensierenden Übernahme von Vermögenswerten oder der gemeinsame Beauftragung von Dienstleistern z.B. für EDV-Leistungen zu heben, andererseits aber Nachteile für einzelne Verfahren auszuschließen.180 Hier gibt es keine Pflicht zur Selbstaufopferung, doch kann eine solche z.B. durch Vereinbarungen über einen angemessenen Nachteilsausgleich vermieden werden. Bei einer Kostenübernahme bleibt der Vorgang masseneutral. Vor diesem Hintergrund eine Koordination einzufordern ist Ausdruck ökonomischen Effizienz, die darauf zielt, dass eine Regelung als Steuerungsinstrument dazu anreizt, den Saldo aus Nutzen und Kosten einer Maßnahme zu maximieren und eine effiziente Allokation der Ressourcen zu fördern. Freilich sind entsprechende Feststellungen etwa durch eine Vergleichsrechnung bei Verfahrensbeginn kaum möglich.181

53 Soweit in der Literatur vertreten wird, es sei auch die Sachkunde des angerufenen Gerichts

darzulegen,182 ist praktisch nicht von der Hand zu weisen, dass Sachkunde und Erfahrung seitens des Richters förderlich für das Verfahren sind.183 Allerdings gilt auch insoweit, dass das

174 BT-Drucks. 18/407, S. 27; vgl. Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 13a InsO Rz. 21 (Stand: März 2018). 175 Pannen in HambKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 29 mit § 13a InsO Rz. 19. 176 Vgl. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 50. 177 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 31. 178 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 32 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) will insgesamt nur die Gläubiger i.S.d. § 4 StaRUG ausnehmen; weitergehend als hier auch Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 52. 179 Dazu Mock in BeckOK/StaRUG, § 43 StaRUG Rz. 11 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Goetker in Flöther, § 43 StaRUG Rz. 22 f.; Demisch/Schwencke in Morgen, § 43 StaRUG Rz. 43. 180 Zu § 269h Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 InsO vgl. BT-Drucks. 18/407, S. 40. 181 Pannen in HambKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 30; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 11 (Stand: November 2017); Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 15; Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 16; Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2334; Thole, KTS 2014, 351, 359. 182 Pannen in HambKomm/InsO, § 13a InsO Rz. 18. 183 Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 13a InsO Rz. 23 (Stand: März 2018).

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Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 54 § 37

Gesetz davon ausgeht, dass die einzelnen Gerichte „gleichwertig“ sind (§ 35 Rz. 33). Im Übrigen sind die Restrukturierungsgerichte so konzentriert (vgl. § 35 StaRUG), dass überall hinreichende Kapazität vorhanden ist, auch größerer Verfahren durchzuführen, und mittelfristig überall praktische Erfahrung erlangt sein wird.184 Nach der Gesetzesbegründung müsse das Gericht nicht positiv feststellen, dass und welche 54 Kooperationsvorteile eine Verfahrenskonzentration erwarten lässt.185 Das meint zum einen, dass das Gericht insoweit nicht von Amts wegen ermitteln muss,186 und zum anderen, dass, da aufgrund des Regel-Ausnahme-Verhältnisses schon der Umstand einer Konzernverbundenheit grundsätzlich eine Verfahrenskonzentration rechtfertigt, den Antragsteller keine objektive Feststellungslast trifft.187 Bestünden aber Zweifel daran, dass eine Konzentration im konkreten Fall zu Vorteilen führt, könne das Gericht den Antrag ablehnen.188 Diese Formulierung der Gesetzesbegründung ist dunkel. Zum einen kann die Zurückweisung nicht im freien Ermessen des Gerichts stehen.189 Es gilt das allgemeine Beweismaß (§ 38 Satz 1 StaRUG, § 286 Abs. 1 ZPO). Das Gericht ist gebunden, (nur) bei feststehenden Zweifeln zurückzuweisen. Eine Entscheidung nach „pflichtgemäßem Ermessen“190 dürfte an sich immer zum gleichen Ergebnis führen.191 Zum anderen müssen diese „Zweifel“ konkretisiert werden. Dazu können Anleihen bei § 78 InsO genommen werden.192 Hier kommt es darauf an, ob das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger an der bestmöglichen Befriedigung193 durch den Beschluss der Gläubigerversammlung deutlich und erheblich verletzt wird.194 So wie ein Beschluss der Gläubigerversammlung auf Grund der zu beachtenden Gläubigerautonomie dann nicht gem. § 78 Abs. 1 InsO wegen seines Widerspruchs gegen das gemeinsame Gläubigerinteresse aufzuheben ist, wenn nicht feststeht, dass die Insolvenzgläubiger bei der beantragten Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse tatsächlich besser gestellt wären, als bei deren Fortgeltung,195 kommt eine Zurückweisung nach § 37 Abs. 2 StaRUG wegen der zu beachtenden Schuldnerautonomie (Rz. 22) nur in Betracht, wenn feststeht, dass die Interessen der Planbetroffenen durch die Konzentrationswirkung beim angegangenen Gericht verletzt werden. Das ist dort denkbar, wo der Koordinierungsaufwand den potentiellen Koordinierungsvorteil übersteigt, etwa bei stark segmentierten Unternehmensgruppen ohne erkennbaren Verbundwert (Spartenkonzern). Freilich ist das in dem typischer Weise frühen Verfahrensstadium bei Antragstellung kaum feststellbar. Erfüllt der Schuldner seine Informationspflichten nicht, macht er insbesondere die nach § 13a InsO erforderlichen Angaben nicht, kann dieses und das verbleibende Informationsdefizit Zweifel rechtfertigen. Ferner kann das Forum Shopping 184 Soweit Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 49, wegen Kapazitätsproblemen eine Möglichkeit des Gerichts ausmacht, eine große Konzerninsolvenz abzulehnen, dürfte sich die Frage für Restrukturierungsverfahren nicht stellen. 185 BT-Drucks. 18/407, S. 26; Brünkmans/Frank in Runkel/Schmidt, Anwalts-Hdb. InsR, § 4 Rz. 54. 186 Vgl. Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2334. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 26, erachtetes allerdings wegen der komplexen Bewertung auch in Hinblick auf die persönliche Haftung des Richters (§ 839 Abs. 2 BGB) für unerlässlich, dass ein Restrukturierungsbeauftragter gem. § 73 Abs. 3 StaRUG als Sachverständiger bestellt werde. 187 Vgl. Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 15. 188 BT-Drucks. 18/407, S. 27. 189 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 14 (Stand: November 2017); möglicher Weise a.A. Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 15. 190 So zu § 3a InsO Sternal in Kayser/Thole, § 3a InsO Rz. 13; a.A. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 33 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 191 Vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 31 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zur § 3a InsO Baumert in Braun, § 3a InsO Rz. 18; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 15. 192 Baumert in Braun, § 37 StaRUG Rz. 11; Baumert in Braun, § 3a InsO Rz. 18. 193 BGH v. 28.5.2020 – IX ZB 64/17, NZI 2020, 786 Rz. 8. 194 BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, NZI 2017, 758 Rz. 12. 195 LG Hamburg v. 4.12.2014 − 326 T 142/14, NZI 2015, 279, 281.

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§ 37 Rz. 54 | Gruppen-Gerichtsstand zum Zweck der Gläubigerschädigung (Rz. 4) Zweifel begründen. Rein praktisch eröffnet § 37 Abs. 2 StaRUG einen gewissen Spielraum, zumal der den Antrag ablehnende Beschluss nicht anfechtbar ist (§ 40 Rz. 8).196 Da er Rechtskraftwirkung hat, ist ein neuer Antrag nur dann zulässig, wenn er auf eine konkrete Änderung der Interessenlage gestützt wird.197

7. Rechtsschutzbedürfnis 55 Das Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich des Gruppen-Gerichtsstands fehlt nicht deswegen,

weil ohnehin alle potentiellen gruppenangehörigen Unternehmen ihren Gerichtsstand im Bezirk des angerufenen Gerichts haben, da dadurch nicht gewährleistet ist, dass dieselbe Abteilung zuständig ist.198

8. Gerichtliche Zuständigkeitserklärung und Folgen a) Entscheidung durch Beschluss 56 Liegen die Voraussetzungen für die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes vor, erklärt

sich das Gericht durch Beschluss (§ 38 Satz 1 StaRUG, § 329 ZPO)199 für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen der anderen gruppenangehörigen Schuldner für zuständig. Idealer Weise werden die erfassten gruppenangehörigen Schuldner genau bezeichnet; notfalls genügt eine beschreibende Tenorierung, anhand derer die Schuldner unter Berücksichtigung auch der Gründe eindeutig individualisiert werden können.200 Das Gericht begründet mit dem Beschluss den Gruppen-Gerichtsstand.201 Diese Wirkung dauert fort, auch wenn das Verfahren des Antragstellers durch spätere Zurückweisung der Sache oder deren Aufhebung endet, solange noch Verfahren anderer gruppenangehöriger Schuldner anhängig sind (vgl. § 3b InsO; Rz. 70).202 Das Gericht ist an seinen erlassenen, d.h. mit Willen des Gerichts aus dem inneren Geschäftsbetrieb herausgetreten Beschluss gebunden;203 eine bloße Berichtigung ist (unter den Voraussetzungen des § 319 ZPO) möglich (§ 38 Satz 1 StaRUG; § 38 Rz. 118).204 Erkennt das Gericht nachträglich, dass es den Antrag fehlerhaft abgelehnt hat, mag es einen neuen Antrag anregen (§ 38 Satz 1 StaRUG, § 139 Abs. 1 ZPO). Erkennt es, dass es dem Antrag wegen falscher Angaben stattgegeben hat, wird es eine Aufhebung der Restrukturierungssache von Amts wegen gem. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StaRUG erwägen.

196 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 15 (Stand: November 2017). 197 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 16 (Stand: November 2017). 198 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 30 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 32; zu § 3a InsO Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsO, § 3a InsO Rz. 32 (Stand: 15.4.2022); Schaaf/Filbinger, BB 2019, 1801, 1806. 199 Zur Formulierung Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 39 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg, ZInsO 2018, 895, 900. 200 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 39 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 201 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 39 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zu § 3a InsO Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 18; Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 18. 202 BT-Drucks. 19/24181, S. 142; zu § 3a InsO Sternal in Kayser/Thole, § 3a InsO Rz. 14; Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 18. 203 Vgl. Feskorn in Zöller, § 329 ZPO Rz. 11; einschränkend Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2: B. VIII. Rz. 8: Gericht könne bei späterer Erkenntnis davon, dass es auf unrichtiger Sachgrundlage seine Gruppenfolgezuständigkeit festgestellt habe, den Beschluss nachträglich (nach Anhörung) von Amts wegen aufheben. 204 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 18.

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Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 60 § 37

Liegen die Voraussetzungen für den Gruppen-Gerichtsstand nicht vor, hat das Gericht den 57 Antrag als unzulässig zurückzuweisen.205 Im Fall des § 3a Abs. 2 InsO wird der Antrag gem. dem Gesetzeswortlaut durch Beschluss abgelehnt.206 Weder gegen die Begründung des Gruppen-Gerichtsstands noch gegen die Zurückweisung ist 58 ein Rechtsmittel möglich, da ein solches im Gesetz nicht vorgesehen ist (§ 40 Rz. 8).207 Der Beschluss kann dem Antragsteller daher formlos bekannt gemacht werden (§ 38 Satz 1 StaRUG, § 329 Abs. 2 Satz 1 ZPO). In öffentlichen Restrukturierungssachen (§§ 84 ff. StaRUG) erfolgt eine öffentliche Bekanntmachung. Über die Kosten wird nicht entschieden, da solche nicht erstattet werden und Gerichtsgebührenfreiheit besteht.208 Es bedarf keiner Rechtsmittelbelehrung (Umkehrschluss aus § 232 Satz 1, 2 Halbs. 1 ZPO) und auch nicht zwingend einer Begründung,209 wenn auch eine solche in kurzer Form aus Informationszwecken und zur Akzeptanzsteigerung sinnvoll ist.210 Es bleibt die Anhörungsrüge nach § 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 321a ZPO (§ 40 Rz. 98).211 Die Zurückweisung des Antrags als unzulässig entfaltet grundsätzlich keine materielle 59 Rechtskraft (vgl. § 38 Rz. 120).212 Zwar entfaltet der Zurückweisungsbeschluss formelle Rechtskraft, aber es fehlt unter Beachtung des Zwecks der §§ 322, 325 ZPO (anders als etwa bei der Ablehnung der Eröffnung nach § 26 InsO) an einer der materiellen Rechtskraft fähigen Entscheidung, da es an einem kontradiktorischen Parteienstreit fehlt und kein Bedürfnis besteht, die Beteiligten mit nachträglichem Vorbringen auszuschließen.213 Der Schuldner kann ohne weiteres einen neuen Antrag stellen.214 Anders verhält es sich bei der Ablehnung des Antrags nach § 37 Abs. 2 StaRUG. Hier ist neuer Vortrag erforderlich (Rz. 54).215 b) Gruppen-Gerichtsstand als Wahlgerichtsstand In Insolvenzverfahren ist der Gruppen-Gerichtsstand bewusst ein (zusätzlicher) besonderer 60 Wahlgerichtsstand für später beantragte Verfahren, der keine Sperrwirkung entfaltet.216 Grund ist, dass bei einigen Verfahren unter Umständen gar kein Konzentrationsbedarf besteht 205 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 33. 206 Sternal in Kayser/Thole, § 3a InsO Rz. 13; Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 20. 207 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 41 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3a InsO Rz. 33 (Stand: 15.4.2022); Baumert in Braun, § 3a InsO Rz. 19; Sternal in Kayser/Thole, § 3a InsO Rz. 15; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 15 (Stand: November 2017); Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 20; Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 20. 208 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 40 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 209 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 33; Blankenburg, ZInsO 2018, 897, 901; vgl. allgemein zu Beschlüssen Feskorn in Zöller, § 329 Rz. 25; a.A. Sternal in Kayser/Thole, § 3a InsO Rz. 13. 210 Sternal in Kayser/Thole, § 3a InsO Rz. 12. 211 Sternal in Kayser/Thole, § 3a InsO Rz. 15; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 21. 212 A.A. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 41 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 19; Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 20. 213 Vgl. zur Zurückweisung eines PKH-Antrags BGH v. 3.3.2004 – IV ZB 43/03, WM 2004, 841, 842. 214 Sternal in Kayser/Thole, § 3a InsO Rz. 15; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3a InsO Rz. 16 (Stand: November 2017); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 33; konsequent a.A. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 41 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Bruns in MünchKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 19; Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 20: es müsse sich die Sachlage nachträglich geändert haben. 215 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 33; zu § 3a InsO Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 20. 216 BT-Drucks. 18/407, S. 27 f.; Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3a InsO Rz. 32 (Stand: 15.4.2022); Pannen in HambKomm/InsO, § 3c InsO Rz. 16; Sternal in Kayser/Thole, § 3c InsO Rz. 5; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3c InsO Rz. 5 (Stand: November 2017); Bruns in MünchKomm/InsO, § 3c InsO Rz. 6; Pape in Uhlenbruck, § 3a InsO Rz. 19; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 6.

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§ 37 Rz. 60 | Gruppen-Gerichtsstand und im Übrigen bei fehlender Koordinierung einer gemeinsamen Antragstellung bereits davon auszugehen ist, dass auch ein Koordinationsverfahren wenig Aussicht auf Erfolg hat, weil es an einer konzerninternen Abstimmung grundsätzlich fehlt.217 61 Das gilt entsprechend für das Restrukturierungsverfahren.218 Der Gruppen-Gerichtsstand

verdrängt nicht die örtliche Zuständigkeiten anderer Restrukturierungsgerichte nach § 35 StaRUG. Dagegen wird vertreten, dass es sich um einen ausschließlichen Gerichtsstand handele, und begründend u.a. angeführt, dass § 37 Abs. 2 StaRUG nur auf § 3c Abs. 1 InsO (Rz. 62), nicht aber auf § 3c Abs. 2 InsO verweise, wonach der Antrag auf Eröffnung eines GruppenFolgeverfahrens auch bei dem nach § 3 Abs. 1 InsO zuständigen Gericht gestellt werden kann.219 Ausschließliche Gerichtsstände sind aber nur die, die ausdrücklich so bezeichnet sind.220 Das ist bei den Vorschriften zur sachlichen (§ 34 Rz. 17) und örtlichen Zuständigkeit (§ 35 Rz. 15) – auch in der InsO (§ 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 InsO) – erfolgt, nicht aber in § 3a InsO. § 3c Abs. 2 InsO hat insoweit nur klarstellende Funktion.221 Allein der Umstand, dass der Verweis in § 37 Abs. 2 StaRUG § 3c Abs. 2 InsO nicht einbezieht, kann daher keinen ausschließlichen Gerichtsstand konstituieren, zumal die Gesetzesbegründung zu § 37 StaRUG222 keinerlei Anhalt dafür gibt, dass der Gesetzgeber diese Norm insoweit anders als § 3a InsO versteht. c) Zuständigkeitskonzentration für Gruppen-Folgeverfahren bei der Abteilung (§ 37 Abs. 2 StaRUG i.V.m. § 3c Abs. 1 InsO)

62 Nach § 3c Abs. 1 InsO ist am Gericht des Gruppen-Gerichtsstands für Gruppen-Folgeverfah-

ren die Abteilung zuständig, die für das Verfahren zuständig ist, in dem der Gruppen-Gerichtsstand begründet wurde. Ansonsten, wäre nach der Geschäftsverteilung nicht derselbe Richter für alle die gruppenangehörigen Schuldner betreffenden Verfahren zuständig, ließe sich das Ziel der Zuständigkeitskonzentration nur unvollkommen erreichen.223 Wären am Gruppen-Gerichtsstandes verschiedene Richter für die Verfahren zuständig, würde die durch die Zuständigkeitskonzentration erhoffte Effektivitätssteigerung unterlaufen.224 Der Gesetzgeber schafft daher eine der Geschäftsverteilung (§ 21e GVG) vorgehende zwingende225 gesetzliche Regelung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).226 Die ursprüngliche Anknüpfung der Zuständigkeitsfortschreibung in § 3c Abs. 1 InsO an den Richter wurde – wie bei § 36 StaRUG zur Regelung der einheitlichen Zuständigkeit bei mehreren Anträgen in 217 BT-Drucks. 18/407, S. 20. 218 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 42 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 37 StaRUG Rz. 7; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 61; Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, Rz. 54; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 37 StaRUG Rz. 56; a.A. Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 7. 219 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 34. 220 Schultzky in Zöller, § 12 ZPO Rz. 8. Insofern missverständlich Pape in Uhlenbruck, § 3c InsO Rz. 5: „Dies folgt aus § 3c Abs. 2 ...“. 221 BT-Drucks. 18/407, S. 27: „wie Abs. 2 klarstellt“; Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3c InsO Rz. 3 (Stand: 15.4.2022): „§ 3c Abs. 2 stellt klar ...“; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3c InsO Rz. 1: „stellt klar“. 222 BT-Drucks. 19/24181, S. 142. 223 BT-Drucks. 18/407, S. 28; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 55. 224 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3c InsO Rz. 2. 225 BT-Drucks. 18/407, S. 49. 226 BT-Drucks. 18/407, S. 28; Pannen in HambKomm/InsO, § 3c InsO Rz. 10; Sternal in Kayser/Thole, § 3c InsO Rz. 1; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3c InsO Rz. 2 (Stand: November 2017); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 41; Pape in Uhlenbruck, § 3c InsO Rz. 1 f.; zur Umsetzung Laroche, ZInsO 2017, 2585, 2592.

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Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 65 § 37

einer Sache (§ 36 Rz. 2) – durch das SanInsFoG (nach Kritik im Gesetzgebungsverfahren) in eine solche an die Abteilung geändert.227 § 3c Abs. 1 InsO gilt im Fall einer Zuständigkeitserklärung nicht zwingend auch für den Rechtspfleger228 bezüglich der nachfolgenden Sachbearbeitung, wenn auch hier die Geschäftsverteilung Reibungsverluste durch Kooperationsund Abstimmungsbedarf vermeiden sollte.229 § 37 Abs. 2 StaRUG verweist auch auf § 3c Abs. 1 InsO. Entsprechend gilt daher für Restruk- 63 turierungssachen, dass am Gericht des Gruppen-Gerichtsstands für sämtliche Gruppen-Folgeverfahren die Abteilung zuständig ist, die für die Restrukturierungssache (Instrumentenantrag)230 zuständig ist, in der der Gruppen-Gerichtsstand begründet wurde.231 Entsprechend ist ein neues Gruppenfolgeverfahren aktenmäßig bei dieser Abteilung einzutragen.232 Die Anknüpfung an die Abteilung erspart schwierige Fragen der Zuständigkeit, z.B. wenn ein Vertreter gehandelt hatte oder bei Beurlaubung oder Befangenheiten. Bei einem Wechsel des für die Abteilung zuständigen Richters kommt es dann auch zu einem Richterwechsel.233 Da größere Restrukturierungsverfahren noch selten sind, sind sie bei den Pensen der Richter 64 nicht oder nur kaum „eingepreist“. Trifft dann einen Richter ein besonders umfangreiches Gruppenausgangsverfahren nebst Gruppen-Folgeverfahren, kann der Überlastung des Richters Rechnung getragen werden, indem das Präsidium ihn zeitweise aus dem Turnus nimmt und/oder nach einem abstrakten Schlüssel anderen Richtern Verfahren aus dem betroffenen Dezernat zuweist.234 Keinesfalls zulässig wäre eine Regelung, die entgegen § 3c Abs. 1 InsO zu einer Aufspaltung der Zuständigkeit führte. d) Verweisung an den Gruppen-Gerichtsstand (§ 37 Abs. 2 StaRUG i.V.m. § 3d Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 InsO) Nach § 37 Abs. 2 StaRUG gelten auch § 3d Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 InsO entsprechend. 65 Nach § 3d Abs. 1 Satz 1 InsO kann, wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines gruppenangehörigen Schuldners bei einem anderen Insolvenzgericht als dem Gericht des Gruppen-Gerichtsstands beantragt, das angerufene Gericht das Verfahren an das 227 Vgl. zunächst noch BT-Drucks. 19/24181, S. 142, dann BR-Drucks. 619/20, S. 22 und BT-Drucks. 19/25353, S. 11; vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 43.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3c InsO Rz. 1 f. (Stand: 15.4.2022); Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 3c InsO Rz. 2; Pannen in HambKomm/InsO, § 3c InsO Rz. 8. Auch § 10a Abs. 3 InsO stellt für das Vorgespräch auf die „Abteilung“ ab. 228 Für eine Analogie aber AG Hamburg v. 9.6.2020 – 67g IN 136/20, BeckRS 2020, 58797 Rz. 4; Sternal in Kayser/Thole, § 3c InsO Rz. 4; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3c InsO Rz. 3 (Stand: November 2017); Pannen in HambKomm/InsO, § 3c InsO Rz. 14; Pape in Uhlenbruck, § 3c InsO Rz. 3; Brünkmans/Frank in Runkel/Schmidt, Anwalts-Hdb. InsR, § 4 Rz. 59; a.A. Bruns in MünchKomm/ InsO, § 3c InsO Rz. 5; Laroche, ZInsO 2017, 2585, 2589. 229 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 3c InsO Rz. 3. 230 Vgl. Bruns in MünchKomm/InsO, § 3c InsO Rz. 3. Es kommt nicht darauf an, welche Abteilung für das Verfahren über die Einrichtung des Gruppen-Gerichtsstandes zuständig war, sondern darauf, welche in dem Verfahren über den Instrumentenantrag zuständig ist; zustimmend Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 42. 231 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 43 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 42; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 30. 232 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 42. 233 Missverständlich Pannen in HambKomm/InsO, § 3c InsO Rz. 13, nach dem sich die gesetzliche Konzentrationswirkung auch auf die Person des Richters erstrecke. 234 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 43. Die Gesetzesbegründung denkt auch an eine Änderung der Zuständigkeit für das Ausgangsverfahren, mit der dann eine Änderung der Zuständigkeit für die Gruppen-Folgeverfahren einherginge (BT-Drucks. 18/407, S. 49); vgl. auch Pannen in HambKomm/InsO, § 3c InsO Rz. 12.

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§ 37 Rz. 65 | Gruppen-Gerichtsstand Gericht des Gruppen-Gerichtsstands verweisen. So soll gruppenangehörigen Schuldnern, die Anträge auf Eröffnung von Gruppen-Folgeverfahren bei anderen Gerichten als bei dem nach § 3a Abs. 1 InsO zuständigen Gericht gestellt haben, eine Verweisung an das Gericht des Gruppen-Gerichtsstands ermöglicht werden.235 Das betrifft Anträge, die bei dem anderen Gericht nach der Einrichtung des Gruppen-Gerichtsstandes gestellt wurden, nach Ziel der Vorschrift (möglichst umfassender Zuständigkeitskonzentration) aber auch diejenigen, die gestellt worden waren, bevor der Gruppen-Gerichtsstand nach § 3a Abs. 1 InsO begründet wurde.236 Um eine Zuständigkeitskonzentration mit den erhofften Effekten zu erreichen, erfolgt eine Verweisung von einem örtlich zuständigen Gericht an ein anderes örtlich ebenfalls zuständiges Gericht.237 66 Die Verweisung nach § 3d Abs. 1 InsO liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.238

Dieses soll berücksichtigen, ob eine Verweisung auch bei Berücksichtigung des erreichten Verfahrensstandes im Interesse der Gläubiger des Schuldners liegt.239 Nach überwiegender und überzeugender Ansicht erfolgt diese Verweisung (nach Gewährung rechtlichen Gehörs) von Amts wegen, ist also unabhängig von einem Antrag des Schuldners,240 da § 3d Abs. 1 Satz 1 InsO gerade anders als § 3d Abs. 1 Satz 2 InsO, der (zwingend) eine Verweisung auf Antrag des Schuldners vorsieht, kein Antragserfordernis enthält.

67 Für das Restrukturierungsverfahren gilt das entsprechend.241 Dagegen wird eingewandt,

dass § 37 Abs. 2 StaRUG zwar nicht auf § 3c Abs. 1 Satz 2 InsO, wohl aber auf § 3 Abs. 2 Satz 1 InsO verweist, wonach antragsberechtigt der Schuldner ist. § 3 Abs. 2 Satz 1 InsO bezieht sich auf die obligatorische Verweisung nach § 3d Abs. 1 Satz 2 InsO. Dieser Widerspruch wird in der (sehr knappen) Gesetzesbegründung nicht erläutert. Auch wenn das StaRUG die Verfahrensgestaltung betont in die Hände des Schuldners legt, ist daher nicht geboten, aus dem Verweis in § 37 Abs. 2 StaRUG auf § 3d Abs. 2 Satz 1 InsO und der Systematik des Gesetzes zu folgern, eine Verweisung könne nicht ohne Antrag erfolgen.242 Eine Abweichung zum etablierten Verständnis des § 3d Abs. 1 Satz 1 InsO ist in der Gesetzesbegründung nicht angedeutet. Vielmehr wird es sich bei dem Verweis auf § 3d Abs. 2 Satz 1 InsO um einen der nicht ganz seltenen Verweisungsfehler im StaRUG handeln, die der außergewöhnlichen Eile im Gesetzgebungsverfahren geschuldet sind.243 Käme dem Verweis auf § 3d Abs. 2 Satz 1 InsO Bedeutung zu, läge auch näher, daraus nicht eine Verweisung nur auf Antrag zu folgern, sondern 235 BT-Drucks. 18/407, S. 28; dazu Baumert in Braun, § 3d InsO Rz. 1. 236 Baumert in Braun, § 3d InsO Rz. 3; Sternal in Kayser/Thole, § 3d InsO Rz. 5; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3d InsO Rz. 4. 237 Bruns in MünchKomm/InsO, § 3d InsO Rz. 2. 238 Andres in Andres/Leithaus, § 3a InsO Rz. 25; Bruns in MünchKomm/InsO, § 3d InsO Rz. 12; Pape in Uhlenbruck, § 3d InsO Rz. 12. 239 BT-Drucks. 18/407, S. 28. 240 Madaus in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 3d InsO Rz. 31; Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3d InsO Rz. 3 (Stand: 15.4.2022); Wimmer-Amend in FK/InsO, § 3d InsO Rz. 4; Graf-Schlicker in GrafSchlicker, § 3d InsO Rz. 2; Pannen in HambKomm/InsO, § 3d InsO Rz. 5; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3d InsO Rz. 5 (Stand: November 2017); Bruns in MünchKomm/InsO, § 3d InsO Rz. 10 f.; Pape in Uhlenbruck, § 3d InsO Rz. 4; enger Sternal in Kayser/Thole, § 3d InsO Rz. 3; Baumert in Braun, § 3d InsO Rz. 2, nach dem, wenn ein Schuldner den Antrag nicht versehentlich, sondern ihn etwa ein Tochterunternehmen bewusst nicht am Gruppen-Gerichtsstand gem. § 3a InsO gestellt hatte, gegen den Willen des Schuldners nicht verwiesen werden dürfe, sondern nur auf dessen Antrag. 241 Laroche in Flöther, § 37 StaRUG Rz. 8; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 33; wohl auch Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 63. 242 A.A. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 60 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 39; konsequent auch (s. Fn. 235) Baumert in Braun, § 37 StaRUG Rz. 20. 243 Soweit Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 38, auch darauf abstellt, dass die Begründung des Gruppengerichtsstands zu einer ausschließlichen Zuständigkeit führe, wird hier diese Ansicht nicht geteilt (Rz. 61).

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Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 69 § 37

dass sie im Falle des Antrags – wie nach § 3d Abs. 1 Satz 2 InsO244 – stets erfolgen müsse.245 Es ist nicht ersichtlich, warum entgegen der Konzeption des § 3d Abs. 1 InsO246 dem Restrukturierungsgericht die Möglichkeit einer sinnvollen Verweisung genommen werden sollte, etwa wenn der Schuldner einen zulässigen247 Antrag nicht stellt. Praktisch ist die Relevanz überschaubar: Wendet sich ein Schuldner dezidiert und mit guten Gründen (unterschiedlicher Verfahrensstand, unterschiedliche Geschäftsbereiche) gegen die Verweisung, wird es i.d.R. pflichtgemäßem Ermessen entsprechen, nicht zu verweisen. Kenntnisse über die Gruppe und die anderen gruppenangehörigen Schuldner, die zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten, werden dem Gericht ohne einen Antrag des Schuldners i.d.R. auch nicht vorliegen. Mit dem Verweisungsbeschluss und Eingang der Akten wird die Sache bei dem Restrukturie- 68 rungsgericht des Gruppen-Gerichtsstandes anhängig. Die Verweisung ist für das Gericht, an welches das Verfahren verwiesen wird, grundsätzlich wie bei einer Verweisung nach § 281 ZPO (§ 35 Rz. 25) bindend.248 Gegen den Verweisungsbeschluss ist, da nicht im Gesetz ausdrücklich vorgesehen (§ 40 Rz. 8), kein Rechtsmittel eröffnet.249 Folgt das Gericht einer Anregung des Schuldners nicht, was praktisch kaum vorkommen dürfte, hat es grds. zuvor einen Hinweis zu erteilen und dazu rechtliches Gehör zu gewähren. Kostenentscheidung und Rechtsbehelfsbelehrung sind nicht geboten.250 e) Fortbestehen bei Nichteröffnung, Aufhebung oder Einstellung (§ 37 Abs. 2 StaRUG i.V.m. § 3b InsO) Da die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstands nur das Vorliegen eines zulässigen Eröff- 69 nungsantrags voraussetzt (§ 3a Abs. 1 Satz 1 InsO), ist es möglich, dass der Gruppen-Gerichtsstand begründet wird, obgleich sich später herausstellt, dass der Eröffnungsantrag unbegründet war, oder dass zwar das Verfahren eröffnet wurde, aber es später wieder beendet wird. In diesen Fällen stellt sich die Frage nach dem Schicksal des durch Beschluss nach § 3a Abs. 1 InsO begründeten Gruppen-Gerichtsstands.251 Die Antwort gibt (neben ggf. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) § 3b InsO: Der begründete Gruppen-Gerichtsstand bleibt von der Nichteröffnung, Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens über den antragstellenden Schuldner unberührt, solange an diesem Gerichtsstand ein Verfahren über einen anderen gruppenangehörigen Schuldner rechtshängig ist.

244 Vgl. Sternal in Kayser/Thole, § 3d InsO Rz. 4; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3d InsO Rz. 5 (Stand: November 2017); Bruns in MünchKomm/InsO, § 3d InsO Rz. 9; Pape in Uhlenbruck, § 3d InsO Rz. 8. 245 A.A. Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 66. 246 Vgl. dazu Bruns in MünchKomm/InsO, § 3d InsO Rz. 10. 247 Ist das angegangene Restrukturierungsgericht örtlich (§ 35 StaRUG) unzuständig, besteht konkurrierend die Möglichkeit einer Verweisung der Restrukturierungssache gem. § 38 Satz 1 StaRUG, § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO (Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 59 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zu § 3d InsO Bruns in MünchKomm/InsO, § 3d InsO Rz. 10). 248 BT-Drucks. 18/407, S. 28; Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3d Rz. 8 (Stand: 15.4.2022); Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 63 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 3d InsO Rz. 5; Sternal in Kayser/Thole, § 3d InsO Rz. 6; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3d InsO Rz. 7 (Stand: November 2017); Bruns in MünchKomm/InsO, § 3d InsO Rz. 9; Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 40; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 34; kritisch Baumert in Braun, § 37 StaRUG Rz. 21, da nicht wegen Unzuständigkeit verwiesen werde. 249 Baumert in Braun, § 37 StaRUG Rz. 22; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 3d InsO Rz. 8 (Stand: November 2017); Pape in Uhlenbruck, § 3d InsO Rz. 12. 250 Sternal in Kayser/Thole, § 3d InsO Rz. 5. 251 So BT-Drucks. 18/407, S. 27.

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§ 37 Rz. 70 | Gruppen-Gerichtsstand 70 Dieses gilt gem. § 37 Abs. 2 StaRUG für das Restrukturierungsverfahren entsprechend: Der

einmal begründeter Gruppen-Gerichtsstand bleibt erhalten, wenn die Restrukturierungssache (des antragstellenden Schuldners), aus welcher heraus der Gruppen-Gerichtsstand (für Gruppen-Folgeverfahren) begründet worden ist, aufgehoben wird (§ 3b InsO),252 wenn an diesem Gerichtsstand zumindest noch eine Restrukturierungssache (als Gruppen-Folgeverfahren) eines anderen gruppenangehörigen Schuldners rechtshängig ist. Das gilt für Sachen, die zu diesem Zeitpunkt beim Gericht des Gruppen-Gerichtsstands anhängig waren, ohnehin wegen § 38 Satz 1 StaRUG, § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO (perpetuatio fori).253 Es gilt darüber hinaus aber auch für Gruppenfolgeverfahren, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtshängig waren, wenn nur am Gericht des Gruppen-Gerichtsstands zumindest noch die Sache eines (anderen) gruppenangehörigen Schuldners rechtshängig ist.254 So sollen die Vorteile der Zuständigkeitskonzentration möglichst ausgeschöpft werden. Ist selbst dieses nicht der Fall, besteht kein Bedürfnis, den Gruppen-Gerichtsstand an diesem Gericht aufrechtzuerhalten.255

71 Fälle der Nichteröffnung i.S.v. § 3b InsO sind insbesondere die Abweisung des Instrumen-

tenantrags als unzulässig oder unbegründet, die auch nach Einrichtung des Gruppen-Gerichtsstandes (§ 3a InsO) möglich bleibt, weil damit gerade nicht bindend über die Zulässigkeit des Instrumentenantrags entschieden worden ist.256 Maßgeblicher Zeitpunkt ist die formelle Rechtskraft der Entscheidung.257

72 Die Gesetzesbegründung zu § 37 StaRUG erwähnt weder den in § 3b InsO genannten Fall der

Nichteröffnung, noch den der Einstellung, sondern nur die Aufhebung.258 Die Fokussierung hierauf ist folgerichtig, da etwa bei Versagung der Planbestätigung es nicht ausgeschlossen sein soll, dass der Schuldner das Restrukturierungsvorhaben auf der Grundlage eines neuen Plans oder Konzepts weiterbetreibt.259 Die Aufhebung ist im StaRUG insbesondere in § 31 Abs. 4 Nr. 3, § 33 StaRUG und speziell für die Stabilisierungsanordnung in § 59 StaRUG angesprochen. Nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StaRUG ist ein Aufhebungsgrund, dass die Anzeige nach § 31 Abs. 4 StaRUG ihre Wirkung verloren hat. Die Begründung erläutert, dass eine wirksame Anzeige nach § 31 StaRUG Voraussetzung der Inanspruchnahme von Instrumenten ist; verliert eine Anzeige ihre Wirkung, ist einer bereits erfolgten Anordnung die Grundlage entzogen mit der Folge, dass diese (zwingend) aufzuheben ist.260 Dies lässt sich verallgemeinern für alle Instrumente. Der Verfahrensgegenstand (Restrukturierungssache) wird durch die (die Rechtshängigkeit bewirkende) Anzeige der Sache und den zugrunde liegenden Lebenssachverhalt bestimmt. Die verschiedenen, auf mehrere gerichtete Instrumente gerichteten Anträge eines Schuldners sind nach der Konzeption des Gesetzgebers durch die (erste und einzige) Anzeige der Sache verfahrensrechtlich zu einer Einheit verbunden (§ 38 Rz. 68). Diese Anzeige verliert in den in § 31 Abs. 4 StaRUG genannten vier Fällen ex nunc ihre Wirkung

252 So BT-Drucks. 19/24181, S. 142. 253 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 53 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zu § 3b InsO BT-Drucks. 18/407, S. 27; Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3b InsO Rz. 3 (Stand: 15.4.2022); Bruns in MünchKomm/InsO, § 3b InsO Rz. 2. 254 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 68. 255 BT-Drucks. 18/407, S. 27; vgl. Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 69. 256 Zu § 3b InsO Bruns in MünchKomm/InsO, § 3b InsO Rz. 3. 257 Zu § 3b InsO Bruns in MünchKomm/InsO, § 3b InsO Rz. 3. 258 BT-Drucks. 19/24181, S. 142. 259 So BT-Drucks. 19/24181, S. 136; dazu Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 StaRUG Rz. 76 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schröder in HambKomm/RestruktR, § 31 StaRUG Rz. 37; Hirschberger/Siepmann in Morgen, § 31 StaRUG Rz. 72; anders Hoffmann/Braun in Flöther, § 31 StaRUG Rz. 15: Schuldner könne aufgrund des Wirkungsverlustes der Anzeige das Restrukturierungsvorhaben mit einem neuen Plan oder Konzept beim Restrukturierungsgericht anzeigen. 260 BT-Drucks. 19/24181, S. 159; dazu Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, § 59 StaRUG Rz. 7 f.

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Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 74 § 37

mit der Folge, dass die durch sie bewirkte Rechtshängigkeit (§ 31 Abs. 3 StaRUG) der Sache insgesamt entfällt.261 Ohne Rechtshängigkeit der Sache ist eine Entscheidung über einen der Instrumentenanträge aber nicht (mehr) möglich.262 In den Fällen des § 31 Abs. 4 Nr. 2 StaRUG (Entscheidung über die Planbestätigung) und Nr. 3 (Aufhebung) kommt es für den Zeitpunkt der Aufhebung auf die formelle Rechtskraft der Entscheidung an (vgl. zur Beschwerde § 33 Abs. 4, § 66 StaRUG). Im Falle der Rücknahme (§ 31 Abs. 4 Nr. 1 StaRUG) kann die interessengerechte Auslegung (§§ 133, 157 BGB) bei mehreren Instrumentenanträgen ergeben, dass nur einer dieser Anträge (und nicht die Anzeige der Sache als solche) zurückgenommen werden soll; ggf. ist beim Schuldner nachzufragen (§ 139 Abs. 1 ZPO).

III. Insolvenzgericht in Gruppe-Folgeverfahren (§ 37 Abs. 3 StaRUG) Nach § 37 Abs. 3 StaRUG erklärt sich bei einem entsprechenden Antrag des Schuldners und 73 unter den Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 StaRUG das für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen zuständige Gericht als Insolvenzgericht auch für Gruppen-Folgeverfahren in Insolvenzsachen nach § 3a Abs. 1 InsO für zuständig. Ziel ist, dass auch Insolvenzverfahren als Gruppen-Folgeverfahren bei dem Restrukturierungsgericht konzentriert werden können, bei dem nach § 37 Abs. 1 StaRUG ein Gruppen-Gerichtsstand begründet ist. Das für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen zuständige Gericht ist auch als Insolvenzgericht für Gruppen-Folgeverfahren zuständig. So soll den Fällen gerecht werden, in denen in Bezug auf einige gruppenangehörige Unternehmen ein Insolvenzverfahren (z.B. wegen eingetretener Zahlungsunfähigkeit) eröffnet wird, während andere gruppenangehörigen Unternehmen die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch nehmen.263 Dieses wird durch § 3 Abs. 2 InsO flankiert, wonach, hat der Restrukturierungsschuldner in 74 den letzten sechs Monaten vor einem Insolvenzantrag Instrumente gem. § 29 StaRUG in Anspruch genommen, auch das Gericht örtlich zuständig ist, das als Restrukturierungsgericht für die Maßnahmen zuständig war. Da sich die Zuständigkeitsbezirke von Restrukturierungsgericht (vgl. § 35 StaRUG) und Insolvenzgericht (§ 3 InsO) i.d.R. nur partiell überschneiden, kann sein, dass das als Restrukturierungsgericht zuständige AG an sich nicht als Insolvenzgericht zuständig ist.264 Durch die Möglichkeit, dass dann das als Restrukturierungsgericht zuständige AG auch als Insolvenzgericht zuständig ist, soll Kontinuität bei den Gerichten geschaffen und genutzt werden, dass das Gericht, welches bereits als Restrukturierungsgericht zuständig war, mit den Besonderheiten des Falles vertraut ist und diese Kenntnisse dann als Insolvenzgericht verfahrensförderlich einsetzen kann.265 261 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 StaRUG Rz. 84 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hirschberger/Siepmann in Morgen, § 31 StaRUG Rz. 75; Utsch in Nerlich/Römermann, § 31 StaRUG Rz. 22 (Stand: November 2021). 262 Hoffmann/Braun in Flöther, § 31 StaRUG Rz. 13; Hirschberger/Siepmann in Morgen, § 31 StaRUG Rz. 77; a.A. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 StaRUG Rz. 87 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schröder in HambKomm/RestruktR, § 31 StaRUG Rz. 33. 263 So BT-Drucks. 19/24181, S. 142; vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 45 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), Baumert in Braun, § 37 StaRUG Rz. 36; Laroche in Flöther, § 37 StaRUG Rz. 13; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 71; Römer in Nerlich/Römermann, § 37 StaRUG Rz. 11 (Stand: November 2021); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 41; kritisch wegen einer Verquickung von Restrukturierungs- und Insolvenzgericht Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 46. 264 Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293, 1295. 265 BT-Drucks. 19/24181, S. 191; vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 45 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 24a (Stand: 15.4.2022); Baumert in Braun, § 3 StaRUG Rz. 3; Rüther in HambKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 24; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 72.

Deppenkemper | 607

§ 37 Rz. 75 | Gruppen-Gerichtsstand

1. Antrag des Schuldners und Adressat 75 Erste Voraussetzung nach § 37 Abs. 3 StaRUG ist ein „Antrag des Schuldners“. Das weicht offen-

kundig vom Wortlaut des § 37 Abs. 1 StaRUG („Antrag eines Schuldners“) ab. Andere gruppenangehörigen Unternehmer, Gläubiger oder der Restrukturierungsbeauftragte sind nicht antragsbefugt.266 Das entspricht dem Konzept des StaRUG als eine Bereitstellung von Verfahrenshilfen, die der Schuldner in Anspruch nehmen kann, aber nicht muss (§ 38 Rz. 68). Adressat des Antrags ist das für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen zuständige Gericht (nicht: Insolvenzgericht), da sich ja dieses für zuständig erklären soll,267 mithin das AG am Ort des Restrukturierungsgerichts, das den Gruppen-Gerichtsstand gem. § 37 Abs. 1 StaRUG begründet hat.268

76 Der Antrag kann zeitgleich mit dem Antrag auf Begründung des Gruppen-Gerichtsstands für

Gruppen-Folgeverfahren nach § 37 Abs. 1 StaRUG gestellt werden,269 da der Antrag nach § 37 Abs. 3 StaRUG nicht voraussetzt, dass sich das Restrukturierungsgericht bereits nach § 37 Abs. 1 StaRUG für zuständig erklärt hat,270 sondern nur verlangt, dass die Voraussetzungen dafür vorliegen.271 Allerdings knüpft die Verlagerung der örtlichen Zuständigkeit „auch für Gruppen-Folgeverfahren in Insolvenzsachen“ zum Zweck der Konzentration an das AG, welches als Restrukturierungsgericht für Gruppen-Folgesachen zuständig ist, daran an, dass dieses Restrukturierungsgericht nach § 37 Abs. 1 StaRUG für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen für zuständig erklärt. Das angegangene Restrukturierungsgericht kann nicht einem (Konzentrations-)Antrag eines Schuldners nach § 37 Abs. 3 StaRUG folgen, ohne wenigstens zeitgleich auch dem (Konzentrations-)Antrag nach § 37 Abs. 1 StaRUG zu entsprechen.272

2. Vorliegen der Voraussetzungen nach § 37 Abs. 1 StaRUG 77 Zweite Voraussetzungen ist, dass die Voraussetzungen für die Begründung eines Gruppen-

Gerichtsstands nach § 37 Abs. 1 StaRUG (Gruppenangehörigkeit, keine offensichtliche untergeordnete Bedeutung) vorliegen. Stellt der Schuldner den Antrag nach § 37 Abs. 3 StaRUG zeitgleich mit dem nach § 37 Abs. 1 StaRUG, ergibt sich insoweit kein besonderer zusätzlicher Prüfungsaufwand. Bei zeitlich versetzten Anträgen und zwischenzeitlich geänderter Sachlage oder neuen Erkenntnissen können sich theoretisch aber unterschiedliche Entscheidungen ergeben, da der Beschluss nach § 37 Abs. 1 StaRUG keine Bindungswirkung für die Entscheidung über einen Antrag nach § 37 Abs. 3 StaRUG hat.273 § 37 Abs. 3 StaRUG verweist nicht (wie § 37 Abs. 2 StaRUG) auf § 3a Abs. 2 InsO. Es ist daher nicht zu prüfen, ob Zweifel am gemeinsamen Gläubigerinteresse an einer Verfahrenskonzentration am angerufenen Insolvenzgericht bestehen (Rz. 50).274 266 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 46 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 47. 267 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 46 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 268 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 48. 269 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 48. 270 So aber Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 74. 271 Vgl. auch die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 19/24181, S. 142: „... bei dem Restrukturierungsgericht zu konzentrieren, bei dem nach Absatz 1 ein Gruppen-Gerichtsstand begründet ist“. 272 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 47 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 74; Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 48. 273 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 48 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 75. 274 Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 49; a.A. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 49 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022): Die Regelungen in § 3a Abs. 1 Satz 2–4 und Abs. 2 InsO gülten bei Abs. 3 ergänzend; ihm zustimmend Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 76.

608 | Deppenkemper

Gruppen-Gerichtsstand | Rz. 81 § 37

3. Entscheidung durch Beschluss Auch über den Konzentrationsantrag nach § 37 Abs. 3 StaRUG entscheidet das Restrukturie- 78 rungsgericht durch unanfechtbaren (§ 40 Rz. 8) Beschluss. Ist der Antrag begründet, erklärt sich dasselbe AG, das als Restrukturierungsgericht zuständig ist (§ 34 StaRUG), auch als Insolvenzgericht für Gruppen-Folgeverfahren in Insolvenzsachen für zuständig. Es begründet damit für Insolvenzsachen einen (konkurrierenden) Wahlgerichtsstand.275 Bei ihm als Insolvenzgericht können nunmehr zulässiger Weise auch für solche gruppenangehörige Unternehmen Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werden, für die es nach § 3 InsO nicht örtlich zuständig wäre. Idee ist, dass an diesem AG Restrukturierungsrichter und Insolvenzrichter personenidentisch sind, so dass Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren durch die gleiche Person geführt werden. Da es insoweit aber keine gesetzliche Vorgabe gibt, liegt es in der Hand der Präsidien, ob die Geschäftsverteilungspläne entsprechend konzipiert sind. Zwingend ist es nicht.276 Da es sich um den Gruppen-Gerichtsstandes nach § 3a Abs. 1 InsO handelt, gelten im Übrigen §§ 3a ff. InsO unmittelbar.277

IV. Gruppen-Gerichtsstand nach § 3a Abs. 4 InsO Nach § 3a Abs. 4 InsO erklärt sich auf Antrag des Schuldners unter den Voraussetzungen des 79 § 3a Abs. 1 InsO das für Gruppen-Folgeverfahren zuständige Gericht, sofern es nach § 34 StaRUG für Entscheidungen in Restrukturierungssachen zuständig ist, als Restrukturierungsgericht auch für Gruppen-Folgeverfahren in Insolvenzsachen nach § 3a Abs. 1 InsO für zuständig. Die Rechtsfolge ist insoweit verunglückt, als dass es statt „als Restrukturierungsgericht auch 80 für Gruppen-Folgeverfahren in Insolvenzsachen“ heißen muss: „als Restrukturierungsgericht auch für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen“.278 Bezogen auf GruppenFolgeverfahren in Insolvenzsachen hätte § 3a Abs. 4 InsO gegenüber § 3a Abs. 1 InsO keinen eigenständigen Anwendungsbereich.279 Ein Restrukturierungsgericht kann sich auch nicht für Insolvenzsachen zuständig erklären.280 § 3a Abs. 4 InsO ergänzt nach dem Willen des Gesetzgebers § 37 Abs. 3 StaRUG. Es soll eine 81 möglichst weitgehende Zusammenfassung der Insolvenz- und Restrukturierungssachen innerhalb einer Unternehmensgruppe sichergestellt werden, indem alle Gruppen-Folgeverfahren bei einem Insolvenzgericht, dass auch Restrukturierungsgericht ist, zusammengefasst werden.281 So wie nach § 37 Abs. 3 StaRUG aus der Perspektive des Restrukturierungsverfahrens beim für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen zuständigen AG auch eine Zuständigkeit als Insolvenzgericht für Gruppen-Folgeverfahren in Insolvenzsachen begründet werden kann (Rz. 73), kann aus der Perspektive des Insolvenzverfahrens beim für Folgeverfahren in Insolvenzsachen zuständigen AG auch eine Zuständigkeit als Restrukturierungsgericht 275 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 50 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 37 StaRUG Rz. 14. 276 Laroche in Flöther, § 37 StaRUG Rz. 14. 277 Vgl. Laroche in Flöther, § 37 StaRUG Rz. 14. 278 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 34 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 15, 66 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 53. 279 Frind, NZI 2020, 865, 866: „keine sinnvolle Anwendungsnotwendigkeit“. 280 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 66 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 52. 281 So BT-Drucks. 19/24181, S. 191; vgl. Gelbrich/Flöther in BeckOK/InsR, § 3a InsO Rz. 38 (Stand: 15.4.2022); Baumert in Braun, § 37 StaRUG Rz. 38; Rüther in HambKomm/InsO, § 3a InsO Rz. 41; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 37 StaRUG Rz. 71 f.

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§ 37 Rz. 81 | Gruppen-Gerichtsstand für Gruppen-Folgeverfahren in Restrukturierungssachen begründet werden, etwa weil Restrukturierungschancen bezüglich einiger gruppenangehöriger Schuldner erst nach Stellung des Insolvenzantrags erkannt werden. Voraussetzung ist natürlich, dass das nach § 3a Abs. 1 InsO für Gruppen-Folgeverfahren in Insolvenzsachen zuständige AG auch Restrukturierungsgericht (§ 34 StaRUG) ist.282 82 Da Sinn des § 3a Abs. 4 InsO bei dieser Auslegung ist, dass auf Antrag des Schuldners ein

Gruppen-Gerichtsstand in Restrukturierungssachen begründet wird, kann nicht Voraussetzung sein, dass ein Gruppen-Gerichtsstand in der Restrukturierungssache bereits begründet worden ist.283 Fraglich scheint, dass § 3a Abs. 4 InsO sogar zur Anwendung kommen könne, bevor beim Restrukturierungsgericht, welches sich für Restrukturierungssachen als GruppenGericht für zuständig zu erklären soll, eine Restrukturierungssache anhängig ist.284

§ 38 Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung 1

Für Verfahren in Restrukturierungssachen gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. 2§ 128a der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe, dass bei Versammlungen und Terminen die Beteiligten in der Ladung auf die Verpflichtung hinzuweisen sind, wissentliche Ton- und Bildaufzeichnungen zu unterlassen und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Subsidiäre Geltung der ZPO (§ 38 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geltung sonstiger Normen und Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wertvorschriften (§§ 2 ff. ZPO) und Gegenstandswert (§ 29a RVG) . . . . . . . . . . . 2. Gerichtsstand (§§ 12 ff. ZPO) . . . . . . . . . . 3. Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen (§§ 41 ff. ZPO) . . . . . . . . . a) Ausschluss vom Richteramt (§ 41 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besorgnis der Befangenheit (§ 42 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfahren bei Ablehnung . . . . . . . . . . . d) Anwendung auf den Restrukturierungsbeauftragten und Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 2 5 6 6 9 12 13 16 19 23

4. Parteifähigkeit (§ 50 ZPO) . . . . . . . . . . . . a) Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Prozessfähigkeit (§§ 51 ff. ZPO) . . . . . . . . 6. Prozessbevollmächtigte und Postulationsfähigkeit (§§ 78 ff. ZPO) . . . . . . . . . . . . . . 7. Gebühren und Kostentragung (§§ 91 ff. ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Verfahrenskostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) . . a) Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gläubiger und Anteilsinhaber . . . . . . . 9. Mündliche Verhandlung (§§ 128 ff. ZPO) 10. Erklärungen zu Protokoll (§§ 129a, 496 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Nutzungspflicht des ERV für Rechtsanwälte und Behörden (§ 130d ZPO) . . . . . . . . 12. Beibringungsgrundsatz und Wahrheitspflicht (§ 138 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Hinweise (§ 139 Abs. 1 ZPO) . . . . . . . . . .

25 25 28 29 31 38 45 46 49 54 56 58 60 61

282 Vgl. Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 3a InsO Rz. 12; Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108. 283 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 37 StaRUG Rz. 66 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 53; a.A. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 37 StaRUG Rz. 45; Römer in Nerlich/Römermann, § 37 StaRUG Rz. 16 (Stand: November 2021). 284 So Blankenburg in Morgen, § 37 StaRUG Rz. 53 f. (mit Hinw. auf die praktischen Probleme).

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 2 § 38 14. Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens (§§ 148 ff., 239 ff. ZPO) . . . . . 62 15. Zustellung (§§ 166 ff. ZPO) . . . . . . . . . . . 63 16. Terminsbestimmung (§§ 214 ff. ZPO) . . . 64 17. Fristen (§§ 221 ff. ZPO) . . . . . . . . . . . . . . 66 18. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 230 ff. ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 19. Rechtshängigkeitswirkung (§ 261 Abs. 3 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 20. Antragsrücknahme (§ 269 ZPO) . . . . . . . 71 21. Zwischenentscheidungen (§ 280 ZPO) . . 72 22. Verweisung (§§ 281, 505 ZPO) . . . . . . . . . 73 23. Beweismaß (§§ 286, 294 ZPO) . . . . . . . . . 74 24. Akteneinsicht und Auskunft (§ 299 ZPO) 77 a) Zweck und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . 78 b) Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 c) Akteneinsichtsrecht der Beteiligten (§ 299 Abs. 1 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . 90 d) Einsichtsrecht Dritter (§ 299 Abs. 2 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 e) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 f) Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

g) Einsicht in die elektronische Akte (§ 299 Abs. 3 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . h) Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25. Beschluss (§§ 300 ff. ZPO) . . . . . . . . . . . . 26. Versäumnisverfahren (§§ 330 ff. ZPO) . . 27. Materielle Rechtskraft (§ 322 ZPO) . . . . . 28. Beweisaufnahme (§§ 355 ff. ZPO) . . . . . . 29. Rechtsmittel (§§ 511 ff. ZPO) . . . . . . . . . . 30. Wiederaufnahme (§§ 578 ff. ZPO) . . . . . 31. Zwangsvollstreckung (§§ 704 ff. ZPO) . . IV. Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung (§ 38 Satz 2 StaRUG i.V.m. § 128a ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Optionale Möglichkeit . . . . . . . . . . . . . b) Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Überprüfung der Teilnahmeberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

110 116 118 119 120 123 124 125 126 127 127 132 132 135 137 139

I. Normzweck Das StaRUG enthält – wie die InsO (vgl. schon § 72 KO, § 115 VerglO, § 1 Abs. 3 GesO) – 1 kein vollumfängliches Verfahrensrecht. § 38 Satz 1 StaRUG verweist für das Verfahren auf die ZPO, soweit das StaRUG (im Einzelfall) nichts anderes bestimmt. Aus Zeitgründen war im Gesetzgebungsverfahren schon nicht möglich, ein eigenes Verfahrensrecht zu entwerfen. Es hat sich aber auch der vorbildgebende § 4 Satz 1 InsO bewährt. Die (im Ergebnis weitgehende) subsidiäre Verweisung auf die ZPO stellt sicher, dass ein umfassendes Verfahrensrecht zugrunde liegt, auf welches beim Fehlen konkreter Regelungen oder in Zweifelsfragen zurückgegriffen werden kann.1 Bewusst enthält das StaRUG Regelungen alleine dort, wo von den Bestimmungen der ZPO abgewichen werden soll.2 § 38 Satz 2 StaRUG stellt (wie § 4 Satz 2 InsO) über den Verweis auf § 128a ZPO ausdrücklich klar, dass auch im Restrukturierungsverfahren virtuelle Versammlungen möglich sind, wobei der Vertraulichkeit des Verfahrens Rechnung zu tragen ist.3

II. Allgemeines 1. Subsidiäre Geltung der ZPO (§ 38 Satz 1 StaRUG) Nach § 38 Satz 1 StaRUG gelten für das Restrukturierungsverfahren (und die Sanierungs- 2 moderation)4 die Vorschriften der ZPO, soweit im StaRUG nichts anderes bestimmt ist.

1 2 3 4

So BT-Drucks. 19/24181, S. 142. BT-Drucks. 19/24181, S. 142. BT-Drucks. 19/24181, S. 142 f. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 4.

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§ 38 Rz. 2 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung Das entspricht sachlich § 4 Satz 1 InsO für das Insolvenzverfahren. Durchschlagender Vorteil dieser Regelung ist, dass in großem Umfang Wiederholungen der ZPO-Vorschriften vermieden und die Anwender insoweit auf vertrautes und durch Rechtsprechung und Wissenschaft durchdrungenes Terrain geführt wird. Nachteil der entsprechenden subsidiären Geltung ist, dass bei Einzelfragen unklar sein kann, ob das StaRUG der ZPO vorgehende Regelungen (oder Prinzipien) enthält, die die Vorschriften der ZPO verdrängen. Teilweise kann die reichhaltige Kasuistik zur Frage der Anwendbarkeit der ZPO im Insolvenzverfahren Anhalt geben.5 Diese Parallelität reicht auch deshalb weit, weil der Gesetzgeber auch für das an sich dem Schuldner zur privatautonom Gestaltung an die Hand gegebene und nur teilkollektive Restrukturierungsverfahren – wie im Insolvenzverfahren – den Amtsermittlungsgrundsatz eingeführt hat (§ 39 Satz 1 StaRUG; vgl. § 39 Rz. 7 f.). Die im Ausgangspunkt gegebenen fundamentalen Unterschiede der Verfahren6 werden damit weitgehend, aber nicht vollständig überdeckt. Eine unreflektierte, schablonenartige Übernahme der ZPO-Vorschriften scheidet noch weitergehender als im Insolvenzverfahren aus.7 Auf das privatautonome Annahmeverfahren nach den §§ 17 ff. StaRUG, welches der Gesetzgeber bewusst dem gerichtlichen Verfahren als Alternative an die Seite stellt,8 finden die Regelungen der ZPO keine (entsprechende) Anwendung.9 3 Im Einzelnen ist daher jeweils zu prüfen, ob das StaRUG eine Norm enthält, die die ansonsten

anwendbaren Vorschriften der ZPO verdrängt (oder modifiziert).10 Klar sind die Fälle, in denen eine Norm des StaRUG ausdrücklich sagt, dass eine Vorschrift der ZPO nicht gilt (z.B. § 39 Abs. 3 Satz 2 StaRUG zu § 227 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Ferner steht bisweilen der Inhalt einer Norm der entsprechenden Vorschrift der ZPO ausdrücklich entgegen (z.B. nach dem Vorbild des § 6 Satz 1 InsO § 40 Abs. 1 Satz 1 StaRUG gegenüber § 567 Abs. 1 ZPO und nach dem Vorbild des § 6 Satz 2 InsO § 40 Abs. 1 Satz 2 StaRUG gegenüber § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Schwieriger ist, wann eine ZPO-Vorschrift den Besonderheiten oder der besonderen Natur11 des Restrukturierungsverfahrens als typischer Weise eilig, vertraulich und teilkollektiv widerspricht. Eine Anwendung muss ausscheiden, wenn sich das Restrukturierungsverfahren so wesentlich vom Zivilprozess unterscheidet, dass eine Vergleichbarkeit als Grundlage einer entsprechenden Anwendung fehlt. I.d.R. wird hier auf die Rechtsprechung und Wissenschaft zum Insolvenzverfahren zurückgegriffen werden können (Rz. 3), wenn nicht die speziellen insolvenzrechtlichen Verfahrensgrundsätze von denen des Restrukturierungsverfahrens abweichen. Etwa ist im Insolvenzverfahren wie im Restrukturierungsverfahren ein Ruhen (§§ 148 ff. ZPO) oder eine Unterbrechung (§§ 239 ff. ZPO) wegen der Eilbedürftigkeit ausgeschlossen. 5 Vgl. beispielhaft die Übersicht bei Vogelsang in Kraemer/Vallender/Vogelsang, Hdb. zur Insolvenz, Fach 2 Kapitel 5 Rz. 68 (Stand: 92. EL Februar 20); ferner die umfangreichen Darstellungen bei Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 4 InsO Rz. 9–62; Schmerbach in FK/InsO, § 4 InsO Rz. 31– 112; Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 10–71; Sternal in Kayser/Thole, § 4 InsO Rz. 5–20; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 4 InsO Rz. 5–25 (Stand: August 2013); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 6–89; Stephan in K. Schmidt, § 4 InsO Rz. 3–40; Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 3–39. 6 Vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2437. 7 Skauradszun, KTS 2021, 1, 10 ff. 8 Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 36. 9 Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 40 ff.; a.A. Laroche in Flöther, § 38 StaRUG Rz. 7. 10 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 4; Weitbrecht/Wienberg in Reul/Heckschen/Wienberg, § 1 Rz. 161. 11 Vgl. zum Insolvenzverfahren BGH v. 11.7.1961 − VI ZR 208/60, NJW 1961, 2016: „Diese Einschränkungen für die Anwendung der ZPO zeigen, daß deren Bestimmungen auf das Konkursverfahren nur übertragen werden können, wenn und soweit dies mit der besonderen Natur des Konkursverfahrens zu vereinbaren ist.“

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 7 § 38

Soweit das StaRUG in einzelnen Vorschriften besondere Verweisungen auf die ZPO oder an- 4 dere Gesetze enthält, gehen diese der allgemeinen Verweisung nach § 38 Satz 1 StaRUG vor.12

2. Geltung sonstiger Normen und Grundsätze Über die ZPO hinaus gelten (ähnlich wie zum Insolvenzverfahren)13 für das Restrukturie- 5 rungsverfahren allgemeine Regelungen und Verfahrensgrundsätze. Insbesondere gelten die Vorschriften des GVG etwa zur Geschäftsverteilung (§§ 21e ff. GVG) und zum Restrukturierungsrichter (§ 22 Abs. 6 GVG; dazu § 34 Rz. 25),14 zur Rechtshilfe (§§ 156 ff. GVG), zu sitzungspolizeilichen Maßnahmen (§§ 169 ff. GVG)15 und zur Gerichtssprache (§ 184 GVG)16 entsprechend.17

III. Einzelheiten 1. Wertvorschriften (§§ 2 ff. ZPO) und Gegenstandswert (§ 29a RVG) Ein Rückgriff auf die Wertvorschriften findet nicht statt. Bezüglich der Gerichtsgebühren be- 6 stehen Festgebühren (Rz. 38).18 Vertritt der Anwalt den Schuldner, einen oder mehrere Gläubiger außergerichtlich, gilt § 34 7 RVG.19 In einem Verfahren nach dem StaRUG entsteht pauschal eine 1,0 Verfahrensgebühr (Nr. 3317 RVG VV; vgl. Rz. 39), bei mehreren am Schuldner Beteiligten oder mehreren Gläubiger, die verschiedene Rechte geltend machen, jeweils gesondert (Vorbem. 3.3.5 Abs. 2 RVG).20 Da die Gerichtsgebühren als Festgebühren entstehen, kann sich der Gegenstandswert für den Rechtsanwalt nicht gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 GVG nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften bestimmen. Der für die anfallenden Rechtsanwaltskosten (außerhalb der Fälle des § 1 Abs. 2 Satz 2 GVG) maßgebliche Gegenstandswert ist daher nach § 29a RVG unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Interesses, das der Auftraggeber im Verfahren verfolgt, nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu bestimmen.21 Wegen der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten im Restrukturierungsplan, Restrukturierungskonzept oder Sanierungsvergleich kann nicht immer auf den vollen Nennbetrag der einbezogenen Forderungen, Rechte oder Beteiligungen abgestellt werden.22 Da ein (konkretes) wirtschaftliches Interesse zu bewerten ist, ist grds. nicht auf den Regelwert (§ 23 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 GVG) zurückzugreifen,23 es sei denn, es liegen ausnahmsweise keine ausreichenden tatsächlichen Anhalts-

12 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 4: zum Insolvenzverfahren. 13 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 90–93; Schmerbach in FK/InsO, § 4 InsO Rz. 23– 27; Sternal in Kayser/Thole, § 4 InsO Rz. 21; Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 41 f. 14 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 110. 15 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 112. 16 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 113. 17 Zum Ganzen Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 92 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 18 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 6. 19 Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, Teil B § 19 Rz. 30. 20 Janssen in Schneider/Volpert/Fölsch, VV RVG Nr. 3317 Rz. 19; Hellstab/Jungbauer/Schneider/Vogt/ Schneider in Rehberg/Asperger/Bestelmeyer/Dörndorfer/Frankenberg, 8. Aufl. 2021, „Restrukturierungssachen“. 21 K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt in BeckOK/RVG, § 29a RVG Rz. 2 (Stand: 1.6.2022). 22 So BT-Drucks. 19/24181, S. 220. 23 Toussaint in Toussaint, § 29a RVG Rz. 2.

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§ 38 Rz. 7 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung punkte für eine Schätzung vor.24 I.d.R. wird sinnvoll sein, verständigt sich der Anwalt unter Belehrung nach § 49b Abs. 5 BRAO mit dem Auftraggeber über die Höhe des Gegenstandswertes.25 8 Die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten richtet sich nach §§ 80 ff. StaRUG, die

des Sanierungsmoderators nach § 98 StaRUG und die der Mitglieder des Gläubigerbeirats nach § 93 Abs. 4 StaRUG.26

2. Gerichtsstand (§§ 12 ff. ZPO) 9 Die sachliche Zuständigkeit des AG als Restrukturierungsgericht ergibt sich aus § 34 StaRUG,

die örtliche Zuständigkeit ist in § 35 StaRUG geregelt. Jeweils handelt es sich um eine ausschließliche Zuständigkeit (§ 34 Rz. 17; § 35 Rz. 15). Insoweit § 35 Satz 1 StaRUG auf den allgemeinen Gerichtsstand abstellt, gelten §§ 13 ff. ZPO entsprechend.27

10 Da § 35 StaRUG einen ausschließlichen Gerichtsstand vorsieht, sind nach § 40 Abs. 2 Satz 1

Nr. 2 ZPO weder Gerichtsstandsvereinbarungen gem. § 38 ZPO zulässig noch kann die Zuständigkeit eines an sich unzuständigen Gerichts durch rügeloser Einlassung gem. § 39 Satz 1 ZPO begründet werden (§ 40 Abs. 2 Satz 2 ZPO).28

11 Entsprechend anwendbar sind §§ 36 f. ZPO.29 In Insolvenzverfahren ist eine gerichtliche Be-

stimmung der Zuständigkeit nicht selten, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben (§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO), etwa bei einer Sitzverlegung und Verdacht auf eine sog. Firmenbestattung (§ 35 Rz. 28 ff.)30 oder weil im Übrigen unklar ist, ob es an einem anderen Ort, als dem allgemeinen Gerichtsstand, einen Mittelpunkt einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners (§ 3 Abs. 1 Satz 2 InsO) gibt.31 I.d.R. verweist in solchen Fällen das zuerst befasste Insolvenzgericht durch grds. bindenden Verweisungsbeschluss (§ 4 InsO, § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO)32 und stellt dann das Insolvenzgericht, an welches verwiesen wird, die eigene Unzuständigkeit fest. Eine solche Zuständigkeitsleugnung, nicht aber die bloße Rücksendung der Akten

24 Mayer in Gerold/Schmidt, 25. Aufl. 2021, § 29a RVG Rz. 5; Gierl in Mayer/Kroiß, 8. Aufl. 2021, § 29a RVG Rz. 5; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 7; Volpert in Schneider/Volpert/Fölsch, § 29a RVG Rz. 4. 25 Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, Teil B § 19 Rz. 32. 26 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 220. 27 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 8; Utsch in Nerlich/Römermann, § 38 StaRUG Rz. 3 (Stand: November 2021). 28 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 38 StaRUG Rz. 5; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 9; Utsch in Nerlich/Römermann, § 38 StaRUG Rz. 4; zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 39. 29 Baumert in Braun, § 38 StaRUG Rz. 5; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 38 StaRUG Rz. 6; Semmelmann in Wolgast/Grauer, § 38 StaRUG Rz. 6; zu Insolvenzverfahren Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 4 InsO Rz. 6 (Stand: August 2013). 30 Vgl. BGH v. 13.12.2005 – X ARZ 223/05, ZIP 2006, 442 = MDR 2006, 703 = GmbHR 2006, 383; BGH v. 20.3.1996 – X ARZ 90/96, ZIP 1996, 847 f.; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 40; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 12. 31 Vgl. BayObLG v. 19.5.2020 – 1 AR 42/20, ZIP 2020, 1979 = GmbHR 2021, 595; BayObLG v. 19.12.2019 – 1 AR 139/19, ZIP 2020, 624; BayObLG v. 27.01.2020 – 1 AR 146/19, ZInsO 2020, 378; OLG Hamm v. 2.10.2019 – 32 SA 25/19, ZIP 2020, 284 = GmbHR 2020, 156; OLG Celle v. 27.9.2011 – 4 AR 51/11, ZIP 2012, 1263. 32 Vgl. Schultzky in Zöller, § 36 ZPO Rz. 34.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 13 § 38

mit der formlosen „Anregung“, den Verweisungsbeschluss aufzuheben,33 genügt den Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ in § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO.34 Ein derartiger negativer Kompetenzkonflikt ist auch in Restrukturierungsverfahren denkbar.35 Das zuständige Gericht wird dann durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt. Ist das höhere gemeinschaftliche Gericht der BGH, wie das bei verschiedenen Restrukturierungsgerichten (mangels gemeinsamen LG oder OLG) der Fall ist (§ 34 Rz. 32), ist nach § 36 Abs. 2 ZPO anstelle des BGH das OLG (in Bayern gem. § 9 EGZPO das BayObLG) zuständig, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört (Prioritätsprinzip).36 Dessen Beschluss, der das zuständige Gericht bestimmt, ist unanfechtbar (§ 37 Abs. 2 ZPO). Das bestimmte Gericht ist daran gebunden.37 Der BGH entscheidet nur im Fall des § 36 Abs. 3 ZPO.38 Ist ein Restrukturierungsgericht für mehrere OLG-Bezirke bestimmt worden (vgl. § 34 Rz. 31), ist dasjenige OLG zuständig, in dessen Bezirk das Restrukturierungsgericht seinen Sitz hat.39

3. Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen (§§ 41 ff. ZPO) Wie im Insolvenzverfahren40 sind die Normen zum Ausschluss und zur Ablehnung von Ge- 12 richtspersonen (§§ 41 ff. ZPO), für den Rechtspfleger über § 10 Satz 1 RPflG,41 entsprechend anwendbar.42 a) Ausschluss vom Richteramt (§ 41 ZPO) Relativ unproblematisch ist der Ausschluss des Richters kraft Gesetzes nach § 41 ZPO. In den 13 (erschöpfend)43 genannten Fällen des § 41 ZPO erfordert die gebotene Distanz (Nr. 1–3) bzw. Neutralität (Nr. 4) des Entscheiders bzw. seine spezifische Funktionen im Verfahren (Nr. 5: Beweismittel; Nr. 6: als erkennender und Rechtsmittelrichter; Nr. 7: Richter im überlangen Ausgangs- und im Entschädigungsverfahren; Nr. 8: als erkennender Richter und Mediator oder Schlichter) den Ausschluss, ohne dass ein Beurteilungsspielraum bestünde.44 Es gehört 33 BGH v. 13.12.2005 − X ARZ 223/05, NZI 2006, 164 Rz. 9; OLG Schleswig v. 11.2.2010 – 2 W 11/10, NZI 2010, 260, 261; OLG Köln v. 20.12.1999 – 2 W 273/99, NZI 2000, 75; Madaus in BeckOK/InsR, § 3 InsO Rz. 24 (Stand: 15.4.2022); a.A. Schmerbach in FK/InsO, § 3 InsO Rz. 50; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 17. 34 BGH v. 15.8.2017 – X ARZ 204/17, MDR 2017, 1383 Rz. 12; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 34; Schultzky in Zöller, § 36 ZPO Rz. 35. 35 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 36 Schultzky in Zöller, § 36 ZPO Rz. 8. 37 Patzina in MünchKomm/ZPO, § 37 ZPO Rz. 7. 38 Vgl. Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 3 InsO Rz. 33. 39 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 10. 40 BGH v. 25.1.2007 – IX ZB 240/05, ZIP 2007, 548 Rz. 18 = MDR 2007, 861; OLG Köln v. 15.10.2001 – 2 W 206/01, ZIP 2001, 2146; Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 12; Sternal in Kayser/ Thole, § 4 InsO Rz. 5; Gerhardt in Jaeger, § 4 InsO Rz. 9; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 4 InsO Rz. 7 (Stand: August 2013); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 40 f.; Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 5; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Rz. 129. 41 Vgl. BGH v. 14.3.2003 – IXa ZB 27/03, WM 2003, 946 = MDR 2003, 892; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 42. 42 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 38 StaRUG Rz. 6; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 11. 43 BGH v. 18.1.2017 – XII ZB 602/15, MDR 2017, 662 Rz. 12; BGH v. 20.10.2003 – II ZB 31/02, MDR 2004, 288, 289; Graßnack in Prütting/Gehrlein, § 41 ZPO Rz. 20; Vollkommer in Zöller, § 41 ZPO Rz. 1. 44 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 12.

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§ 38 Rz. 13 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung zum Wesen der richterlichen Tätigkeit, dass sie von nichtbeteiligten Dritten ausgeübt wird.45 Der Ausschluss des Entscheiders als natürliche Person vom einzelnen Verfahren tritt kraft Gesetzes ein.46 Bei Zweifeln an der Ausschließung entscheidet das für die Erledigung des Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht (§ 48 Abs. 1 letzter Hs ZPO) durch Beschluss.47 An die Stelle des Ausgeschlossenen tritt der nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehene Vertreter. 14 Auch wenn der Kreis der Planbetroffenen im Einzelfall groß sein kann, dürfte der Entscheider

anhand des Restrukturierungsplans bzw. -konzepts ohne Probleme feststellen können, ob er selbst, sein Ehegatte oder Lebenspartner bzw. ein Verwandter (§ 1589 BGB) oder Verschwägerter (§ 1590 BGB) beteiligt ist. Ist das bei Inanspruchnahme eines der Instrumente der Fall, gilt der Ausschluss aufgrund der verfahrensrechtlichen Verklammerung der Instrumente (Rz. 68) für alle Instrumente, selbst wenn bei einem anderen Instrument (wie der Stabilisierungsanordnung, vgl. § 49 Abs. 2 Satz 2 StaRUG) der dem Entscheider Nahestehende nicht unmittelbar betroffen ist.48 Nur so ist auch die einheitliche Zuständigkeit (§ 36 StaRUG) gewährleistet. Hat der Ausgeschlossene bei einer Entscheidung oder an anderen Prozesshandlungen mitgewirkt, etwa weil er nach der bloßen Anzeige die den Ausschluss begründenden Umstände nicht erkennen konnte, sind diese Entscheidungen bzw. Prozesshandlungen nicht nichtig, aber anfechtbar (§ 547 Nr. 2, § 579 Abs. 1 Nr. 2, § 576 Abs. 3 ZPO).49

15 Kommt es nach dem Restrukturierungsverfahren doch zum Insolvenzverfahren, ist der als In-

solvenzrichter zuständige Richter nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO (Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung) deshalb ausgeschlossen, weil er vorher als Restrukturierungsrichter zuständig war. Zum einen ist das Insolvenzverfahren in Bezug auf die Restrukturierungssache kein Rechtsmittel.50 Zum anderen ist es gerade das gesetzgeberische Anliegen, die im Restrukturierungsverfahren erworbene Sachkenntnis aus Gründen der Effizienz möglichst auch im Insolvenzverfahren nutzbar machen zu können, vgl. § 3 Abs. 2 InsO (dazu § 36 Rz. 9). Die Vorbefassung als solche ist daher kein objektiver Umstand, der nach der Bewertung einer vernünftigen Partei Anlass geben kann, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln. Selbst eine vermeintlich oder tatsächlich rechtsfehlerhafte Vorentscheidung rechtfertigt für sich genommen ohne das Hinzutreten weiterer Umstände die Besorgnis der Befangenheit (§ 42; s. Rz. 16) grundsätzlich nicht.51 b) Besorgnis der Befangenheit (§ 42 ZPO)

16 Ein Ablehnungsgesuch kann sich (nur) gegen Richter richten, die schon und noch mit dem

Verfahren befasst sind.52 In Insolvenzverfahren ist die (erfolgreiche) Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit aber selten. Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet wegen der Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung statt, wenn objektiv ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende von seinem Standpunkt aus bei verständiger Würdigung des Sachverhalts einen objektiven Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beein-

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BVerfG v. 9.3.2022 – 2 BvR 91/22, juris Rz. 39. Vossler in BeckOK/ZPO, § 41 ZPO Rz. 14 (Stand: 1.7.2022); Vollkommer in Zöller, § 41 ZPO Rz. 16. Vollkommer in Zöller, § 48 ZPO Rz. 10. A.A. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 13. Vossler in BeckOK/ZPO, § 41 ZPO Rz. 14 (Stand: 1.7.2022); Graßnack in Prütting/Gehrlein, § 41 ZPO Rz. 15; Vollkommer in Zöller, § 41 ZPO Rz. 17. 50 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 14; vgl. auch BVerfG v. 15.9.2020 – 1 BvR 2435/18, WM 2020, 1912 Rz. 32 f.; BGH v. 18.1.2017 – XII ZB 602/15, MDR 2017, 662 Rz. 12. 51 BVerfG v. 20.8.2020 – 1 BvR 793/19, juris Rz. 16; BGH v. 20.12.2021 – VI ZA 22/21, juris Rz. 5. 52 BGH v. 1.7.2022 – II ZR 97/21, juris Rz. 7.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 17 § 38

flussen kann.53 Maßgeblich ist, ob aus der Sicht des ablehnenden Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln.54 Dies kommt beispielsweise in Betracht bei einer besonderen (nahen) Beziehung des Richters zum Gegenstand des Rechtsstreits55 oder zu den Parteien oder im Falle einer willkürlichen Verfahrensgestaltung bzw. bei schwerwiegenden und die Rechte eines Beteiligten verkürzenden Verfahrensmängeln, wenn das prozessuale Vorgehen des Richters einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt und sich so sehr von dem normalerweise geübten Verfahren entfernt, dass sich der Eindruck einer sachwidrigen Benachteiligung aufdrängt. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich, da die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden.56 Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge scheiden als Ablehnungsgrund aber aus.57 Insbesondere muss ein Beteiligter sich mit dem (gesetzlichen) Richter abfinden, auch wenn dieser ihm nicht gefällt.58 Ferner ist es nicht Sinn des Ablehnungsrechts, Handlungen des Gerichts in einem besonderen Instanzenzug zu überprüfen.59 Vielmehr geht es in dem Verfahren nach § 42 ff. ZPO ausschließlich um eine mögliche Parteilichkeit und nicht um die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidungen, deren Überprüfung allein den Rechtsmittelgerichten vorbehalten ist. Ein Ablehnungsersuchen kann daher grundsätzlich nicht erfolgreich auf die Verfahrensweise oder Rechtsauffassung eines Richters bzw. Rechtspflegers gestützt werden.60 Entscheidend ist, ob ein Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an 17 der Unvoreingenommenheit des Entscheiders zu zweifeln (Rz. 16). Das kann etwa der Fall sein, wenn das Gericht bewusst von einem bindenden Vorschlag i.S.v. § 74 Abs. 2 Satz 2 oder 3 StaRUG bezüglich der Person des zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten abweicht, ohne dieses gem. § 74 Abs. 2 Satz 2 und 3 StaRUG zu begründen.61 Im Übrigen kann die Auswahlentscheidung, die wie die Auswahl des Insolvenzverwalters62 grundsätzlich nicht begründet werden muss und unanfechtbar ist (vgl. § 75 Abs. 2, 3 StaRUG),63 auch bei einer regelmäßigen Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten z.B. als Insolvenzverwalter in anderen Verfahren keine Besorgnis der Befangenheit begründen. Selbst ein Kollegialitätsverhältnis kann nur dann eine Ablehnung rechtfertigen, wenn damit eine sehr enge berufliche Zusammenarbeit verbunden ist.64 Umgekehrt können Spannungen zwischen einem Restrukturierungsbeauftragten und dem Richter eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nur dann begründen, wenn sie im Verfahren irgendwie konkret in Erscheinung treten und die richterliche Voreingenommenheit sich bei der Sachentscheidung auswirken könnte.65 53 BGH v. 21.9.2021 – KZB 16/21, MDR 2022, 118 Rz. 15; BGH v. 14.3.2003 – IXa ZB 27/03, NJW-RR 2003, 1220 = MDR 2003, 892. 54 BGH v. 7.11.2018 – IX ZA 16/17, ZIP 2018, 2503 Rz. 1; Graßnack in Prütting/Gehrlein, § 42 ZPO Rz. 5; Vollkommer in Zöller, § 42 ZPO Rz. 9. 55 Zur Vorbefassung vgl. BGH v. 21.9.2021 – KZB 16/21, MDR 2022, 118 Rz. 15, 19. 56 BGH v. 1.7.2022 – II ZR 97/21, juris Rz. 9. 57 BGH v. 12.10.2011 – V ZR 8/10, NJW-RR 2012, 61 = MDR 2012, 49; Vollkommer in Zöller, § 42 ZPO Rz. 9. 58 Graßnack in Prütting/Gehrlein, § 42 ZPO Rz. 5. 59 Stackmann in MünchKomm/ZPO, § 42 ZPO Rz. 45. 60 BGH v. 12.10.2011 – V ZR 8/10, NJW-RR 2012, 61; OLG Karlsruhe v. 16.11.2013 – 17 U 221/12, MDR 2014, 242, 243; OLG Köln v. 15.10.2001 – 2 W 206/01, ZIP 2001, 2146, 2147. 61 Vgl. Hänel in BeckOK/StaRUG, § 74 StaRUG Rz. 111 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 62 Busch in MünchKomm/InsO, §§ 27–29 InsO Rz. 29; Zipperer in Uhlenbruck, § 56 InsO Rz. 47. 63 Zur Bestellung des Insolvenzverwalters Zipperer in Uhlenbruck, § 56 InsO Rz. 54. 64 BGH v. 1.7.2022 – II ZR 97/21, juris Rz. 11; BGH v. 8.12.2021 – XII ARZ 39/21, MDR 2022, 387 Rz. 16; BGH v. 7.11.2018 − IX ZA 16/17, ZIP 2018, 2503 Rz. 6. 65 BVerfG v. 30.11.1987 – 1 BvR 1033/87, ZIP 1988, 174: zum Konkursrichter; zum Insolvenzverwalter Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Rz. 130.

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§ 38 Rz. 18 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung 18 Für das Insolvenzverfahren wird zutreffend betont, dass das Aufsichtsrecht des Gerichts und

der Amtsbetrieb mit seinen eigenartigen richterlichen Ermessens-, Überwachungs- und Betreuungsaufgaben nicht durch das Ablehnungsrecht ausgehöhlt werden darf;66 Aufsichtsmaßnahmen, die das Gericht für geboten erachtet, können grds. keinen Ablehnungsgrund bilden, auch wenn durch sie das wünschenswerte Vertrauensverhältnis zwischen Gericht und Verwalter nachhaltig gestört wird.67 Das gilt für das Restrukturierungsverfahren und Aufsichtsmaßnahmen des Restrukturierungsgerichts entsprechend.68 c) Verfahren bei Ablehnung

19 Nach § 42 Abs. 3 ZPO steht das Ablehnungsrecht (aus Gründen der Waffengleichheit und zur

Gewährleistung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) grundsätzlich beiden Parteien zu. Auch wenn das weit zu verstehen ist und jeden berechtigt, der ähnlich einer Partei im eigenen Namen an einem gerichtlichen Verfahren beteiligt ist,69 ist danach im Restrukturierungsverfahren zunächst nur der Schuldner berechtigt. Andere Verfahrensbeteiligte (Restrukturierungsbeauftragter, weiterer Restrukturierungsbeauftragter, Planbetroffene, Betroffene von Stabilisierungsmaßnahmen) haben ein Ablehnungsrecht nur, wenn sie glaubhaft machen (§ 44 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 ZPO), durch eine Maßnahme unmittelbar betroffen zu sein.70 Nach § 43 ZPO kann der Beteiligte einen Richter nicht mehr wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn er sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. So soll dazu angehalten werden, bei Zweifeln an der Unbefangenheit eines Richters dies alsbald kundzutun und die Möglichkeit genommen werden, einen Rechtsstreit willkürlich zu verzögern und bereits geleistete prozessuale Arbeit nutzlos zu machen.71

20 Der abgelehnte Richter hat vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen

vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten (§ 47 Abs. 1 ZPO). Unaufschiebbar sind im Restrukturierungsverfahren solche Handlungen, die einer Partei wesentliche Nachteile ersparen.72 Insolvenzverfahren gelten – namentlich in der Eröffnungsphase – als eilbedürftig.73 Das trifft im Grundsatz auch für Restrukturierungsverfahren zu.74 Allerdings darf das Ablehnungsrecht auch nicht unterlaufen werden. Der Eilbedürftigkeit sollte grds. dadurch Rechnung getragen werden, dass über das Ablehnungsgesuch schnell entschieden wird, und zwar auch über die sofortige Beschwerde (Rz. 22).

21 In klaren Fällen eines eindeutig unzulässigen oder missbräuchlichen Ablehnungsgesuchs

entscheidet aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens der abgelehnte Richter über das Gesuch selbst.75 Denn dann setzt die Prüfung eine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters nicht voraus und stellt mithin auch keine Entscheidung in eigener Sache dar. Allerdings sind an das Vorliegen dieser Voraussetzungen 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75

Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 5. Gerhardt in Jaeger, § 4 InsO Rz. 11; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 41. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 15. OLG Zweibrücken v. 22.3.2000 – 3 W 50/00, NJW-RR 2000, 864, 865 = MDR 2000, 1214 = ZIP 2000, 1400; Stackmann in MünchKomm/ZPO, § 42 ZPO Rz. 3. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 17; zur Berechtigung der Gläubiger im Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 43; Stackmann in MünchKomm/ZPO, § 42 ZPO Rz. 3; Heinrich in Musielak/Voit, § 42 ZPO Rz. 18; a.A. Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 13. BGH v. 15.3.2022 – II ZR 97/21, MDR 2022, 843 Rz. 11. Vgl. Vollkommer in Zöller, § 47 ZPO Rz. 5. Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 44. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 19. BVerfG v. 5.5.2021 – 1 BvR 526/19, juris Rz. 20; Einzelheiten bei Vollkommer in Zöller, § 44 ZPO Rz. 12 ff.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 23 § 38

strenge Anforderungen zu stellen; wenn ein – auch nur geringfügiges – Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich ist, scheidet eine Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig aus, eine gleichwohl erfolgende Entscheidung ist dann willkürlich.76 Bei eindeutig unzulässigem Ablehnungsgesuch ist die dienstliche Äußerung nach § 44 Abs. 3 ZPO entbehrlich, da sie der Tatsachenfeststellung dient, so dass sie überflüssig ist, wenn das beanstandete Verhalten schon nicht geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.77 Beweismaß bezüglich der tatsächlichen Grundlagen eines Ablehnungsgesuchs ist die überwie- 22 gende Wahrscheinlichkeit (vgl. § 294 ZPO; nicht: volle richterliche Überzeugung i.S.v. § 286 Abs. 1 ZPO). In Zweifelsfällen, wenn sich das Gericht weder zur Bejahung noch zur Verneinung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit in der Lage sieht (non liquet), führte dies nicht dazu, dass gleichwohl von einer Glaubhaftmachung der die Besorgnis der Befangenheit begründenden Behauptung des Ablehnenden auszugehen wäre,78 da es Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gebietet, § 42 Abs. 2 ZPO eng auszulegen und für eine Ablehnung zu verlangen, dass ihre Voraussetzungen zweifelsfrei vorliegen.79 Wird das Ablehnungsgesuch (vgl. § 44 ZPO) – nach dienstlicher Äußerung des Richters (§ 44 Abs. 3 ZPO) und grds. der Möglichkeit der kurzfristigen Stellungnahme des Ablehnenden dazu – durch Beschluss (§ 46 Abs. 1 ZPO) durch den nach dem GVP hierfür berufenen Richter (ohne sinnvolle Sonderregelung im GVP ist dies der geschäftsverteilungsplanmäßige Vertreter)80 für begründet erklärt, findet dagegen kein Rechtsmittel statt; wird das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen, kann die Entscheidung mit der sofortigen (Erst-) Beschwerde angefochten werden (§ 46 Abs. 2, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).81 Hierüber entscheidet (möglichst zeitnah) das LG. Gegen dessen Beschwerdeentscheidung ist die Rechtsbeschwerde zum BGH nur statthaft, wenn sie zugelassen wird (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO).82 d) Anwendung auf den Restrukturierungsbeauftragten und Sachverständigen Für den obligatorischen oder fakultativen Restrukturierungsbeauftragten und den Sanierungs- 23 moderator gelten nicht die §§ 41 ff. ZPO, sondern die spezielleren Vorschriften der §§ 74, 7583 bzw. §§ 94, 95, 96 Abs. 2 StaRUG.84 Potentielle Ablehnungsgründe i.S.v. § 42 ZPO sind vom Restrukturierungsgericht als wichtige Entlassungsgründe i.S.v. § 75 Abs. 2, § 78 Abs. 3 bzw. § 96 Abs. 5 Satz 2 StaRUG zu beachten. Diese Regelung schließt es aus, Entlassungen wegen Befangenheit nach allgemeinen Verfahrensvorschriften vorzunehmen, weil damit die Beschränkung der Anzahl der Antrags- und Rechtsmittelberechtigten unterlaufen würde.85

76 77 78 79 80 81 82 83 84

85

BGH v. 8.4.2020 – VIII ZR 130/19, WM 2020, 991 Rz. 27 = MDR 2020, 823 = ZIP 2020, 1129. BGH v. 15.3.2022 – II ZR 97/21, MDR 2022, 843 Rz. 13. So aber KG v. 11.06.1999 – 28 W 3063/99, MDR 1999, 1019; Vollkommer in Zöller, § 42 ZPO Rz. 10. BGH v. 21.10.2010 – V ZB 210/09, NJW-RR 2011, 136 Rz. 10 f.; Stackmann in MünchKomm/ZPO, § 42 ZPO Rz. 6; Graßnack in Prütting/Gehrlein, § 42 ZPO Rz. 6. Vgl. Vollkommer in Zöller, § 45 ZPO Rz. 5. Bei Beschlussunfähigkeit des eigentlich zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch berufenen Gerichts ist das für das Rechtsmittel in der Hauptsache zuständige Gericht zuständig (BGH v. 8.12.2021 – XII ARZ 39/21, MDR 2022, 387 Rz. 5). Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 18. Zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 44b. Zu § 75 Abs. 2 StaRUG vgl. § 59 Abs. 1 InsO und dazu Frind in HambKomm/InsO, § 59 InsO Rz. 5. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 21; zum Insolvenzverwalter vgl. § 59 InsO mit BGH v. 25.1.2007 – IX ZB 240/05, ZIP 2007, 548 Rz. 21 = MDR 2007, 861; Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 14; Sternal in Kayser/Thole, § 4 InsO Rz. 5; Gerhardt in Jaeger, § 4 InsO Rz. 9; Graeber in MünchKomm/InsO, § 56 InsO Rz. 168; Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 12. So zum Befangenheitsantrags gegen den Sonderinsolvenzverwalter wegen § 59 InsO BGH v. 25.1.2007 – IX ZB 240/05, ZIP 2007, 548 Rz. 23 = MDR 2007, 861.

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§ 38 Rz. 24 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung 24 Für den vom Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren mit der Prüfung der Eröffnungs-

voraussetzungen beauftragten Gutachter gilt nach vielfach vertretener Ansicht, dass er nicht abgelehnt werden könne.86 Da er weniger mit dem Sachverständigen im Zivilprozess vergleichbar sei, als mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter,87 dessen Bestellung bei Anlass, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln, von Amts wegen aufzuheben sei, sei nicht einzusehen, weshalb bei jemandem, der „nur“ als Gutachter tätig ist, ein Ablehnungsrecht bestehe.88 Der im Eröffnungsverfahren beauftragte Sachverständige vermittele als „verlängerter Arm“ des Gerichts nicht nur auf Grund seines Fachwissens dem Gericht Kenntnis von abstrakten Erfahrungssätzen, sondern ermittele aktiv etwa bei Gläubigern (Kreditgebern, Sozialversicherungsträgern und Finanzbehörden). Dadurch stelle er Tatsachen fest, so dass oftmals nicht seine besondere Sachkunde, sondern seine Ermittlungstätigkeit im Vordergrund stehe.89 Das ist zweifelhaft, da dieses nichts daran ändert, dass die InsO dem Sachverständigen im Eröffnungsverfahren keine Sonderrechte einräumt; er hat nur die in §§ 402 ff. ZPO normierten Befugnisse.90 Hier erlaubt es § 404a Abs. 4 ZPO dem Gericht zu bestimmen, in welchem Umfang der Sachverständige aufgrund seines besonderen Sachverstandes zur Aufklärung der Beweisfrage91 befugt ist.92 Jedenfalls für den „schlichten“ Sachverständiger, den das Restrukturierungsgericht nach § 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG beauftragt (§ 39 Rz. 36 ff.), ist § 406 ZPO entsprechend anwendbar.93 Ist der im Restrukturierungsverfahren eingesetzte Restrukturierungsbeauftragte nach § 73 Abs. 3 StaRUG zur Unterstützung des Gerichts mit der Prüfungstätigkeit als Sachverständiger beauftragt, ist er Restrukturierungsbeauftragter. Die §§ 402 ff. ZPO gelten für ihn dann nicht (Rz. 23).94

4. Parteifähigkeit (§ 50 ZPO) a) Schuldner 25 Parteifähigkeit ist die Fähigkeit, Aktiv- oder Passivsubjekt (Haupt- oder Nebenpartei) eines

Prozesses zu sein.95 Für das Insolvenzverfahren bestimmt § 11 InsO, welche Vermögensmassen Gegenstand eines Insolvenzverfahrens sein können:96 § 11 InsO ersetzt insoweit als spe-

86 LG Frankfurt a.d. Oder v. 22.12.2005 – 3.1 IN 250/05, ZInsO 2006, 107, 108; AG Göttingen v. 23.3.2000 – 74 IN 22/00, ZInsO 2000, 347 f.; Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 14; Vallender, ZInsO 2010, 1461; a.A. OLG Köln v. 6.12.1989 – 2 W 173/89, ZIP 1990, 58; OLG Nürnberg v. 9.4.2021 – 13 W 3783/20, MDR 2021, 902, 903; Madaus in BeckOK/InsR, § 5 InsO Rz. 14 (Stand: 15.4.2022); Sternal in Kayser/Thole, § 4 InsO Rz. 17. Die oft zitierte Fundstelle BGH v. 25.1.2007 – IX ZB 240/05, ZIP 2007, 548 Rz. 21 bezieht sich nur auf den Insolvenzverwalter und gerade nicht auf einen vom Gericht bestellten Gutachter. 87 So LG Frankfurt a.d. Oder v. 22.12.2005 – 3.1 IN 250/05, ZInsO 2006, 107, 108. 88 So Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 42. 89 Pape in Uhlenbruck, § 5 InsO Rz. 13. 90 BGH v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, ZIP 2004, 915, 916 = MDR 2004, 1022. 91 Damit ist nicht gemeint, dass der Sachverständige alternativ Ergebnisse vorstellt und das Gericht um Auswahl bittet, vgl. OLG Nürnberg v. 9.4.2021 – 13 W 3783/20, MDR 2021, 902, 903. 92 Vgl. BGH v. 13.7.1962 – IV ZR 21/62, BGHZ 37, 389, 394; BGH v. 17.8.2011 – V ZB 128/11, NJWRR 2011, 1459 Rz. 18; Scheuch in BeckOK/ZPO, § 404a ZPO Rz. 9 (Stand: 1.7.2022); Zimmermann in MünchKomm/ZPO, § 404a ZPO Rz. 8; Greger in Zöller, § 404a ZPO Rz. 7. 93 Hänel in BeckOK/StaRUG, § 73 StaRUG Rz. 113 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 21. 94 Hänel in BeckOK/StaRUG, § 73 StaRUG Rz. 112 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Kramer in BeckOK/ StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 21. 95 Althammer in Zöller, § 50 ZPO Rz. 1. 96 Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 1.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 30 § 38

ziellere Norm („Sonderfall der passiven Parteifähigkeit“)97 § 50 ZPO.98 Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 InsO kann ein Insolvenzverfahren über das Vermögen jeder natürlichen und jeder juristischen Person eröffnet werden, wobei der nicht rechtsfähige Verein (§ 54 BGB) einer juristischen Person gleichsteht (§ 11 Abs. 1 Satz 2 InsO). Im Restrukturierungsverfahren knüpft § 30 Abs. 1 Satz 1 StaRUG für die Restrukturierungs- 26 fähigkeit an die Insolvenzfähigkeit an (§ 30 Rz. 2 f.).99 Insolvenzfähige und damit restrukturierungsfähige juristische Personen sind insbesondere die GmbH (inkl. UG), die AG, die KGaA, die eingetragene Genossenschaft, der rechtsfähige Verein, der VVaG, die rechtsfähige Stiftung und die SE (Societas Europaea), nach § 12 InsO nicht aber juristische Personen des öffentlichen Rechts (§ 30 Rz. 6 f.). Zudem sind gem. § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO die dort genannten Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit insolvenzfähig und damit restrukturierungsfähig (OHG, KG, PartG, GbR, Partenreederei, EWIV), nicht jedoch die stille Gesellschaft als reine Innengesellschaft (§ 30 Rz. 8 f.). § 11 Abs. 1 Satz 1 InsO stellt klar, dass jede natürliche Person insolvenzfähig ist. Die i.S.v. § 1 27 BGB rechtsfähige (und damit i.S.v. § 50 Abs. 1 ZPO parteifähige) natürliche Person ist auch insolvenzfähig.100 Es kommt dafür, anders als bei der Geschäftsfähigkeit (§§ 2, 104 BGB), nicht auf das Alter oder sonstige Eigenschaften, etwa die Prozessfähigkeit oder die Staatsangehörigkeit, an.101 Im Restrukturierungsverfahren gilt aber einschränkend, dass nach § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG eine natürliche Person nur dann und insoweit restrukturierungsfähig ist, als dass sie unternehmerisch tätig ist (§ 30 Rz. 5).102 b) Sonstige Beteiligte Für die Beteiligtenfähigkeit übriger Beteiligter enthält das StaRUG keine spezielle Regelung. Es 28 gilt daher für Gläubiger (als Planbetroffene oder als nur von der Stabilisierungsanordnung betroffen, vgl. § 49 Abs. 2 Satz 2 StaRUG), den Restrukturierungsbeauftragten, den Sachverständige und die Gläubigerbeiratsmitglieder über § 38 Satz 1 § 50 ZPO. Ihre Beteiligtenfähigkeit setzt ihre Rechtsfähigkeit voraus (§ 50 Abs. 1 ZPO).103

5. Prozessfähigkeit (§§ 51 ff. ZPO) Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit, selbst oder durch bestellte Vertreter Prozesshandlungen 29 wirksam vor- und entgegenzunehmen.104 Nach § 52 ZPO ist eine Person insoweit prozessfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann. Wie nach § 4 InsO für das Insolvenzverfahren105 gelten § 51 ff. ZPO über § 38 Satz 1 StaRUG 30 für die Verfahrensfähigkeit eines Beteiligten – sowohl den Schuldner als auch sonstige Betei-

97 98 99 100 101 102

So Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 5. Sternal in Kayser/Thole, § 11 InsO Rz. 4; Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 5. BT-Drucks. 19/24181, S. 133. Vuia in MünchKomm/InsO, § 11 InsO Rz. 11. Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 6. Vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 30 StaRUG Rz. 7, 55 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hoffmann/Braun in Flöther, § 30 StaRUG Rz. 2; Schröder in HambKomm/RestruktR, § 31 StaRUG Rz. 8. 103 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 14 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 22; vgl. zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 45. 104 BGH v. 7.12.2006 – IX ZB 257/05, ZIP 2007, 144 Rz. 11 = GmbHR 2007, 153; Althammer in Zöller, § 52 ZPO Rz. 1. 105 Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 4.

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§ 38 Rz. 30 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung ligte wie Planbetroffene – im Restrukturierungsverfahren.106 Die Verfahrensfähigkeit ist z.B. Voraussetzung für eine zulässige Anzeige einer Restrukturierungssache (§ 31 Abs. 1 StaRUG) oder die zulässige Beantragung eines der Instrumente (§ 29 Abs. 2 StaRUG, vgl. § 30 Rz. 13 f.). Dabei ist etwa § 53 ZPO zu beachten, wenn ein Beteiligter unter Betreuung steht und der Betreuer in das Verfahren miteintritt, oder § 57 ZPO bei der Einsetzung eines Verfahrenspflegers für einen verfahrensunfähigen Beteiligten (§ 57 ZPO).107 Zu diesen gehören die (parteifähigen, Rz. 26) juristischen Personen (AG, KGaA, GmbH, Genossenschaft, rechtsfähiger Verein, Stiftung, juristische Personen des öffentlichen Rechts) und parteifähige Personenvereinigungen (OHG, KG, Außen-GbR, Partnerschaft, EWIV), da sie als Rechtspersonen selbst nicht handeln können. Ist hier kein gesetzlicher Vertreter vorhanden, also z.B. eine GmbH oder AG führungslos (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 2 StaRUG, § 15a Abs. 3 InsO),108 weil etwa keiner der (formell bestellten) Geschäftsführer einer GmbH (oder Vorstandsmitglieder einer AG bzw. Genossenschaft) rechtswirksam in das Amt berufen worden ist oder der einzige Geschäftsleiter stirbt oder sein Amt niedergelegt hat oder aus anderem Grund ausschied und kein neuer Geschäftsleiter (wirksam) bestellt wurde, kann gem. § 57 ZPO vom Restrukturierungsgericht ein Verfahrenspfleger bestellt werden.109 Für die erforderliche Gefahr genügt es, dass ein Aufschub bis zur Bestellung eines gesetzlichen Vertreters durch die zuständige Stelle mit erheblichen Nachteilen verbunden oder ein Abwarten unzumutbar wäre.110 Sie wird angesichts der typischen Eilbedürftigkeit einer Restrukturierungssache oftmals bejaht werden können.111 Insoweit besteht analog § 29 BGB auch die Möglichkeit, dass das AG (Registergericht) des Sitzes der Gesellschaft auf Antrag einen Notgeschäftsführer bestellt.112 Das Verfahren der Notbestellung richtet sich nach den Vorschriften des FamFG.113 § 57 ZPO (i.V.m. § 38 Satz 1 StaRUG) ist gegenüber § 29 BGB subsidiär114 anwendbar; die Bestellung eines Notgeschäftsführers nach § 29 BGB ist nicht vorrangig gegenüber der Bestellung eines Verfahrenspflegers.115 Diese ist gegenüber der Notbestellung i.d.R. der einfachere, schnellere und kostengünstigere Weg116 und lässt die „Dringlichkeit“ i.S.v. § 29 BGB entfallen, wenn so die Gefahr abgewendet werden kann.117

106 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 22. 107 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 22. 108 Vgl. instruktiv zum Insolvenzverfahren AG Hannover v. 30.11.2021 – 903 IN 451/21, NZI 2022, 270 mit krit. Anm. Sternal. 109 Baumert in Braun, § 38 StaRUG Rz. 7; zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 45. 110 BGH v. 8.12.2009 – VI ZR 284/08, FamRZ 2010, 548 Rz. 17; Althammer in Zöller, § 57 ZPO Rz. 4. 111 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 112 BGH v. 16.6.1952 – IV ZR 131/51, NJW 1952, 1009; OLG München v. 11.9.2007 – 31 Wx 49/07, FGPrax 2007, 281, 283; BayObLG v. 28.8.1997 – 3Z BR 1/97, NJW-RR 1998, 1254 = ZIP 1997, 1785 = DB 1998, 68; BayObLG v. 12.8.1998 – 3ZBR 456, 457-97, NJW-RR 1999, 1259, 1260; OLG Düsseldorf v. 18.4.1997 – 3 Wx 584/96, NJW-RR 1997, 1398 = DB 1997, 1071 = ZIP 1997, 846; OLG Frankfurt v. 9.1.2001 – 20 W 421/00, GmbHR 2001, 436 = DB 2001, 472; Wisskirchen/Hesser/Zoglowek in BeckOK/GmbHG, § 6 GmbHG Rz. 50 (Stand: 1.8.2022); Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, § 6 GmbHG Rz. 41; Löbbe/Paefgen in Habersack/Casper, § 6 GmbHG Rz. 84 ff.; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Vor § 35 GmbHG Rz. 13 ff.; Vuia in MünchKomm/InsO, § 13 Rz. 81; Haas/Beurskens in Noack/Servatius, § 6 GmbHG Rz. 38; Raff in Rowedder/Pentz, § 6 GmbHG Rz. 72; Schneider/ Schneider in Scholz, § 6 GmbHG Rz. 94; Schwennicke in Staudinger, 2019, § 29 BGB Rz. 68 ff. 113 Löbbe/Paefgen in Habersack/Casper, § 6 GmbHG Rz. 96. 114 Ist ein Notgeschäftsführer bestellt, bedarf es keines Prozesspflegers mehr; vgl. Ellenberger in Grüneberg, § 29 BGB Rz. 3; Raff in Rowedder/Pentz, § 6 GmbHG Rz. 85. 115 Altmeppen, § 6 GmbHG Rz. 54; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, § 6 GmbHG Rz. 45. 116 Raff in Rowedder/Pentz, § 6 GmbHG Rz. 85; vgl. auch Vuia in MünchKomm/InsO, § 13 InsO Rz. 81. 117 OLG Zweibrücken v. 12.4.2001 – 3 W 23/01, ZIP 2001, 973 = GmbHR 2001, 571 m. Anm. Hohlfeld; OLG Dresden v. 11.12.2001 – 2 W 1848/01, GmbHR 2002, 163; OLG Zweibrücken v. 30.9.2011 –

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 35 § 38

6. Prozessbevollmächtigte und Postulationsfähigkeit (§§ 78 ff. ZPO) Das Restrukturierungsverfahren ist kein Anwaltsprozess i.S.v. § 78 Abs. 1 ZPO. Die Beteilig- 31 ten müssen sich daher grds.118 nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, sondern können das Verfahren selbst führen (§ 79 Abs. 1 Satz 1 ZPO).119 Für die Vertretung durch Bevollmächtigte gilt § 79 Abs. 2–4 ZPO entsprechend. Insbesondere 32 wird sich regelmäßig die Vertretung durch Rechtsanwälte (§ 79 Abs. 2 Satz 1 ZPO) empfehlen. In einfach gelagerten Fällen und bei nur geringfügiger Betroffenheit mag ein Gläubiger sich durch einen seiner Beschäftigen120 vertreten lassen. Wie § 79 Abs. 2 Satz 3 ZPO zeigt, können auch juristische Personen bzw. Berufsausübungsgesellschaften wie eine RA-GmbH oder RAAG oder RA-Partnerschaft bevollmächtigt werden (s. §§ 59b, 59p BRAO).121 Die Erteilung der Verfahrensvollmacht ist formlos wirksam, doch wird sie i.d.R. schriftlich er- 33 folgen, da die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen ist (§ 80 Satz 1 ZPO). Zum Nachweis der Vollmacht ist die schriftliche (Verfahrens-)Vollmacht im Original oder eine öffentliche Beglaubigung erforderlich.122 Bei Vertretung durch einen Rechtsanwalt wird die geltend gemachte Vollmacht auch im Par- 34 teiprozess nur auf eine Rüge des Gegners hin überprüft (§ 88 Abs. 1, 2 ZPO),123 wenn nicht ausnahmsweise begründete Zweifel an der Bevollmächtigung des Rechtsanwalts bestehen.124 Dabei wird zum Insolvenzverfahren eingeschränkt, dass Gläubiger sich nicht bereits als „Gegner“ gegenüber stehen, wenn sie Konkurrenten sind, sondern erst etwa im Falle des Bestreitens eines Stimmrechts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 InsO) oder des Widerspruchs gegen eine angemeldete Forderung (§ 178 Abs. 1 Satz 1 InsO).125 Eine vergleichbare Einschränkung für das Restrukturierungsverfahren ist nicht sinnvoll. Da das Verfahren i.d.R. auf einen Restrukturierungsplan zuläuft und vom Ergebnis der Abstimmung grds. alle Planbetroffenen betroffen sind, sollten sie frühzeitig eine Klärung herbeiführen können, ob jemand, der als Vertreter auftritt, tatsächlich bevollmächtigt ist. Tritt im Restrukturierungsverfahren (als Parteiprozess i.S.v. § 79 ZPO, vgl. Rz. 31) ein Vertre- 35 ter auf, der nicht Rechtsanwalt ist, erfolgt die Überprüfung der Vertretungsbefugnis der als Vertreter auftretenden Person v.A.w. (§ 88 Abs. 2 ZPO). Geprüft werden die Vollmacht und ggf. erteilte Untervollmachten.126 Für die Feststellung gilt Freibeweis. Bleiben Zweifel oder steht fest, dass keine Vertretungsbefugnis besteht, weist das Gericht den Bevollmächtigten durch konstitutiven Beschluss als Vertreter zurück (§ 79 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Dieser verliert aber erst mit Wirksamkeit dieses Beschlusses ex nunc seine Handlungsbefugnis. Der Zurück-

118 119 120 121 122 123 124 125 126

3 W 119/11, NZG 2012, 424, 425; Wisskirchen/Hesser/Zoglowek in BeckOK/GmbHG, § 6 GmbHG Rz. 52 (Stand: 1.8.2022); Bußhardt in Braun, § 11 InsO Rz. 3; Haas/Beurskens in Noack/Servatius, § 6 GmbHG Rz. 42; a.A. OLG Köln v. 3.1.2000 – 2 W 214/99, ZIP 2000, 280, 283 = DB 2000, 813. Zur Rechtsbeschwerde (§ 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO) vgl. § 40 Rz. 77. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 23, 24. Dazu Burgermeister in Prütting/Gehrlein, § 79 ZPO Rz. 3; Althammer in Zöller, § 79 ZPO Rz. 6. Althammer in Zöller, § 79 ZPO Rz. 10. BGH v. 19.12.2019 – IX ZR 37/19, juris Rz. 1; Toussaint in MünchKomm/ZPO, § 80 ZPO Rz. 17; Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 4; Althammer in Zöller, § 80 ZPO Rz. 8. Althammer in Zöller, § 80 ZPO Rz. 7. Althammer in Zöller, § 88 ZPO Rz. 4. Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 46; zustimmend Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Vgl. BGH v. 27.3.2002 – III ZB 43/00, WM 2002, 1147, 1148 = MDR 2002, 1025; Althammer in Zöller, § 80 ZPO Rz. 7.

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§ 38 Rz. 35 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung weisungsbeschluss hat keine Rückwirkung.127 Die bis dahin vorgenommenen Verfahrenshandlungen wie die Anzeige der Sache (§ 31 Abs. 1 StaRUG) oder eventuelle Anträge auf Inanspruchnahme der Instrumente nach § 29 Abs. 2 StaRUG128 und auch Zustellungen (§ 172 ZPO) bleiben wirksam (§ 79 Abs. 3 Satz 2 ZPO).129 36 Kann der Vertreter im Termin seine Vollmacht nicht ohne weiteres nachweisen und steht

auch nicht fest, dass ein nicht behebbarer Vollmachtsmangel besteht, kann das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen nach § 89 ZPO den vollmachtlosen Vertreter einstweilen zur Prozessführung zulassen und ihm eine Frist zur nachträglichen Beibringung der Genehmigung setzen (§ 89 Abs. 1 Satz 2 ZPO).130 Dann ist er während der Dauer der Zulassung so zu behandeln, wie wenn er die Vollmacht nachgewiesen hätte.131 Wird die Vollmacht dann aber weder nachgebracht noch die ohne Vollmacht vorgenommenen Handlungen von dem Vertretenen genehmigt,132 sind diese Handlungen wirkungslos. Alternativ kann das Gericht von einer einstweiligen Zulassung absehen und unter Vertagung dem Vertretenen eine Frist zur Nachreichung der Vollmacht bestimmen (§ 80 Satz 2 Halbs. 2 ZPO).133 Verbleibende Zweifel am Nachweis oder an der Mangelfreiheit der Vollmacht gehen zu Lasten des Beteiligten; die Rechtsfolgen ergeben sich aus §§ 88, 89 ZPO. Die ohne Verfahrensvollmacht vorgenommene Verfahrenshandlung in fremdem Namen ist unwirksam. Ein derartiger Schwebezustand ist im Restrukturierungsverfahren zu vermeiden. Das Restrukturierungsgericht sollte frühzeitig darauf hinwirken, dass zum Nachweis geeignete Vollmachtsurkunden zur Akte gereicht werden und ggf. nach § 79 Abs. 3 Satz 2 ZPO entscheiden.134

37 Wie grds. im Insolvenzverfahren135 gilt auch für das Restrukturierungsverfahren, dass sich die

Beteiligten nach § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres Vertreters zurechnen lassen müssen.136

7. Gebühren und Kostentragung (§§ 91 ff. ZPO) 38 Die Gerichtsgebühren sind als Festgebühren sehr moderat ausgestaltet (KV 2510, 2511

GKG).137 Es fällt für die Entgegennahme der Anzeige (§ 31 Abs. 1 StaRUG) eine Gebühr i.H.v. 150,– Euro (KV 2510 GKG) an. Die Gebühr deckt die Tätigkeit des Gerichts ab, soweit nicht besondere, gebührenpflichtige Verfahren im Rahmen der Restrukturierungssache eingeleitet werden.138 Auf die Gebühr für die Inanspruchnahme der Planbestätigung (§ 29 Abs. 2 Nr. 4, § 60 ff. StaRUG) von 1.000,– Euro (KV 2511 GKG) wird die Gebühr für die Entgegennahme der Anzeige angerechnet (KV 2511 Anmerkung Abs. 2 GKG). Die Gebühr für die Inanspruchnahme eines Instruments fällt grundsätzlich nur einmal an, selbst wenn mehrere Instrumente wie z.B. die Vorprüfung (§ 29 Abs. 2 Nr. 2, § 47 f. StaRUG) oder die gerichtliche Planabstimmung (§ 29 Abs. 2 Nr. 3, § 45 f. StaRUG) – ggf. auch nacheinander – in Anspruch 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138

BGH v. 15.4.2010 – V ZB 122/09, MDR 2010, 958. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 24. Althammer in Zöller, § 79 ZPO Rz. 11. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 25. Althammer in Zöller, § 89 ZPO Rz. 6. Dazu Althammer in Zöller, § 89 ZPO Rz. 8 ff. Dazu Toussaint in MünchKomm/ZPO, § 80 ZPO Rz. 22; Burgermeister in Prütting/Gehrlein, § 80 ZPO Rz. 15; Althammer in Zöller, § 80 Rz. 12. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 23. BGH v. 10.2.2011 – IX ZB 250/08, WM 2011, 503 Rz. 8 f. = MDR 2011, 510. Anderes gilt ggf. bezüglich der Angaben nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 26. Einzelheiten bei Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 162. Toussaint in Toussaint, GKG KV 2523 Rz. 2.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 39 § 38

genommen werden. Erst, wenn mehr als drei Instrumente in derselben Restrukturierungssache beantragt werden, erhöht sich die Gebühr auf 1.500,– Euro (KV 2512 GKG).139 Daneben sind die gerichtlichen Auslagen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a, § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. KV 9000 ff. GKG zu ersetzen. Das sind vor allem die Kosten eines isolierten Sachverständigen (KV 9005 GKG), der außer bei einer Vergütungsvereinbarung nach § 13 Abs. 1, 2 JVEG nach § 9 Abs. 4 Satz 1 JVEG vergütet wird (120,– Euro Stundensatz), und das an den Restrukturierungsbeauftragten oder Sanierungsmoderator zu zahlende Honorar (KV 9017 GKG). Für dieses gelten angemessene Stundensätze (§ 81 Abs. 1 StaRUG) von i.d.R. bis zu 350,– Euro (§ 81 Abs. 3 Satz 2; § 81 Rz. 10 f.). In besonderen Fällen kommen höhere Stundensätze oder eine Vergütung nach anderen Grundsätzen in Betracht (§ 83 Abs. 1 StaRUG). Ggf. kommt die Festgebühr für die vom Amts wegen oder auf Antrag erfolgte Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten (KV 2513 GKG) oder Sanierungsmoderators (KV 2514 GKG) von 500,– Euro hinzu. Die Gebühren entstehen mit Antragstellung. Sie sind nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a GKG sogleich fällig. Die Fälligkeit der Auslagen richtet sich nach § 9 GKG. Gebührenschuldner ist, außer bezüglich der Gebühren und Auslagen für den auf Antrag der Gläubiger (§ 77 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) bestellten fakultativen Restrukturierungsbeauftragter (§ 25a Abs. 2 GKG), der Schuldner (§ 25a Abs. 1 GKG).140 Zu den Anwaltsgebühren s. zunächst Rz. 7. Der Rechtsanwalt erhält „in einem Verfahren 39 nach dem StaRUG“ gem. VV 3317 RVG eine 1,0 Verfahrensgebühr. Das ist an sich eine pauschale Betriebsgebühr, die die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts im Verfahren abgedeckt.141 Deswegen und weil zu den Gerichtsgebühren ausdrücklich gilt, dass „sie ... in jeder Restrukturierungssache nur einmal [entstehen], unabhängig davon, ob die Inanspruchnahme nur eines oder mehrerer Instrumente beantragt wird“,142 ließe sich folgern, dass nur eine Verfahrensgebühr anfällt, auch wenn mehrere Instrumente beantragt werden. Angesichts der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers gegen ein einheitliches und alle Verfahrenshilfen integrierendes Verfahrensverhältnis und für einen „losen Verbund von verfahrensrechtlichen Hilfen“143 mit modularen Aufbau, aufgrund dessen „die einzelnen Verfahrenshilfen ... grundsätzlich unabhängig voneinander in Anspruch genommen werden“,144 muss aber die Hervorhebung, dass „es sich bei den einzelnen Instrumenten um je selbständige Verfahren handelt,“145 trotz der verfehlten146 Regelungstechnik auch auf die Vergütung durchschlagen. Die Verfahrensgebühr entsteht daher für jedes Instrument gesondert.147 Das harmoniert mit VV 3319 RVG, wonach der Anwalt, der den Schuldner vertritt, der den Insolvenzplan nach § 215 Abs. 1 InsO vorlegt, wegen des typischer Weise erhöhten Arbeitsaufwands im Zusammenhang mit der Vorlage und Durchsetzung des Planes hierfür eine 3,0-Gebühr erhält.148 Dieser Gedanke gilt entsprechend für Beantragung mehrerer Instrumente, aber auch für die Gläubigervertreter, die sich mit diesen Anträgen auseinandersetzen müssen.149 139 Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, Teil B § 16 Rz. 127. 140 Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, Teil B § 16 Rz. 123. 141 Vgl. Schneider in BeckOK/RVG, RVG VV 3317 Rz. 9 (Stand: 1.12.2021); Bräuer in Bischof/Jungbauer/Bräuer/Klipstein/Klüsener/Kerber, 9. Aufl. 2021, RVG VV 3317 Rz. 3; Gierl in Mayer/Kroiß, 8. Aufl. 2021, RVG VV 3317 Rz. 3 (zum Insolvenzverfahren); Toussaint in Toussaint, RVG VV 3317 Rz. 7. 142 BT-Drucks. 19/24181, S. 219. 143 BT-Drucks. 19/24181, S. 135. 144 BT-Drucks. 19/24181, S. 131. 145 BT-Drucks. 19/24181, S. 133. 146 Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2433. 147 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 148 Schneider in BeckOK/RVG, RVG VV 3319 Rz. 1 (Stand: 1.12.2021); Gierl in Mayer/Kroiß, 8. Aufl. 2021, RVG VV 3319 Rz. 3; Toussaint in Toussaint, RVG VV 3318 Rz. 7; Keller in Gottwald/Haas, InsolvenzR-Hdb., § 126 Rz. 81. 149 So zum Ganzen Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 164.

Deppenkemper | 625

§ 38 Rz. 40 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung 40 Soweit das StaRUG Regelungen zur Kostentragung enthält (§ 77 Abs. 1 Satz 2, § 81 Abs. 5,

§ 82 Abs. 2 StaRUG), gehen diese als speziellere Vorschriften den §§ 91 ff. ZPO vor.

41 Im Übrigen fragt sich, ob die §§ 91 ff. ZPO gelten. Noch zum Konkursverfahren hat der BGH

entschieden, dass § 91 ZPO hinsichtlich des Streites über die Eröffnung des Verfahrens anwendbar ist,150 nicht aber für die Konkursverwaltung selbst, weil sie kein Erkenntnisverfahren ist, in dem sich der antragstellende Gläubiger und der Gemeinschuldner als Parteien eines Rechtsstreits gegenüberstehen, sondern vom Amtsbetrieb beherrschtes Vollstreckungsverfahren.151 In der Folge wird für das Restrukturierungsverfahren vertreten, dass die Regeln über die Verfahrenskosten (§§ 91 ff. ZPO) unanwendbar seien,152 während andere Stimmen bezüglich einzelner Instrumente danach differenzieren, ob ein kontradiktorischer Charakter besteht.153 Manche nehmen diesen Charakter bei den Instrumenten gerichtliche Planabstimmung (§§ 45 f. StaRUG) und Planbestätigung (§§ 60 ff. StaRUG) an,154 andere beim Antrag auf Aufhebung einer Stabilisierungsanordnung und im Planbestätigungsverfahren bei einem Minderheitenschutzantrag.155

42 Einigkeit dürfte bestehen, dass die bloße Anzeige der Sache (mit der Folge ihrer Rechtshän-

gigkeit) nach § 31 Abs. 1 StaRUG ebenso wie eine Aufhebung nach § 33 StaRUG als solche keine Kostenentscheidung veranlasst.156 Die Gerichtskosten trägt der Schuldner (§ 25a Abs. 1 GKG). Kosten werden nicht erstattet. Seine außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst. Auch die auf einen (nicht bindenden) gerichtlichen Hinweis zielende gerichtliche Vorprüfung (§ 29 Abs. 2 Nr. 2, §§ 47 f. StaRUG) lässt sich nicht als kontradiktatorisches Verfahren begreifen. Sie dient funktional eher als Äquivalent der Vorprüfung im Insolvenzverfahren nach § 231 InsO.

43 Bei den anderen drei Instrumenten lassen sich eher Situationen festmachen, in denen sich

Gläubiger und Schuldner gegenüberstehen. Doch auch insoweit ist überzeugender, das Verfahren insgesamt in den Blick zu nehmen und eine Kostenerstattung insbesondere für Rechtsanwaltskosten – außer ggf. bei Rechtsmitteln (§ 40 Rz. 50) – nicht vorzusehen. Das entspricht den Regelungen zum Insolvenzplan, die vorbildgebend für den Restrukturierungsplan sind, und der Vorgabe, dass bei Vorlage von Versagungsgründen die Bestätigung des Plans von Amts wegen zu versagen ist (§ 63 Abs. 1 StaRUG), wobei das Gericht im Rahmen der Planbestätigung auch den Minderheitenschutz nach § 64 StaRUG zu prüfen hat.

44 Herzstück des StaRUG und Mittel der bezweckten präventiven Restrukturierung des Schuld-

ners (vgl. Art. 4 Abs. 1 Restrukturierungs-RL mit ErwGr. 1–3) auch dazu, den Gesamtwert für die Gläubiger sowie für die Anteilsinhaber und die Wirtschaft insgesamt zu maximieren, ist der Restrukturierungsplan. Das deutsche Recht kennt keine Möglichkeit, einen Gläubiger zum

150 Vgl. zum Insolvenzverfahren BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, ZIP 2002, 87, 88 = MDR 2002, 416; OLG Köln v. 14.4.2000 – 2 W 65/00, ZIP 2000, 1169; Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 23; Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 16; konkret zur Erledigungserklärung BGH v. 23.9.2021 – IX ZB 66/20, ZIP 2021, 2399 Rz. 7 = MDR 2021, 1552. 151 BGH v. 11.7.1961 – VI ZR 208/60, NJW 1961, 2016; entsprechend zum Insolvenzverfahren Madaus in BeckOK/InsR, § 4 InsO Rz. 8 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 27. 152 Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 38 StaRUG Rz. 6. 153 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 20 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 20; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 27. 154 So Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 20 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 155 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 29, 31. 156 Kramer in BeckOK/StaRUG, StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 22; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 28.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 47 § 38

Beitritt zu einem außergerichtlichen Sanierungsvergleich zu zwingen; ein Gläubiger ist nicht verpflichtet, ein Vergleichsangebot anzunehmen, selbst wenn es wirtschaftlich sinnvoll ist.157 In Umsetzung von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a, Art. 15 Abs. 1 Restrukturierungs-RL sieht aber § 67 Abs. 1 Satz 2 StaRUG eine Wirkungserstreckung eines angenommenen und bestätigten Plans (ähnlich wie beim Insolvenzplan) auch im Verhältnis zu Planbetroffenen vor, die gegen den Plan gestimmt oder trotz ordnungsgemäßer Beteiligung am Verfahren an der Abstimmung nicht teilgenommen haben (§ 67 Rz. 25 ff.).158 Das ist sinnvoll, u.a. um Akkordstörer einzubeziehen und die Blockadeposition, die sich daraus ergibt, dass einem nichtkooperativen Gläubiger („strategische Holdout-Gläubiger“) eine Vertragsänderung grundsätzlich nicht aufgezwungen werden kann, aufzubrechen.159 Es sollte aber nicht der Druck einer möglichen (der Höhe nach völlig wagen) Kostentragung einen Planbetroffenen ggf. schon im außergerichtlichen Abstimmungsverfahren (§§ 17 ff. StaRUG) zu einer Zustimmung, zu der er nicht verpflichtet ist, motivieren. Die Vorlagepflicht nach § 17 Abs. 1 Satz 2 StaRUG bezweckt, für die Bewertung des Restrukturierungsplan durch die Planbetroffenen Kostentransparenz zu schaffen, da die Kosten letztlich bei wirtschaftlicher Betrachtung von den Planbetroffenen über deren Sanierungsbeiträge mitzufinanzieren sind. Dieses würde konterkariert, wenn dem einzelnen Beteiligten, dabei aber auch dem Schuldner selbst, im Verfahren kaum kalkulierbare weitere Kosten drohten. Werden verschiedene Instrumente in Anspruch genommen, könnten komplexe Quotelungen erforderlich werden. Letztlich werden durch einen Ausschluss der Kostenerstattung auch die Kosten der Entscheidungsfindung reduziert werden.

8. Verfahrenskostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) Das StaRUG kennt keine Kostenstundung (vgl. §§ 4a ff. InsO) und auch sonst keine spezielle 45 Regelung zu einer Verfahrenskostenhilfe. a) Schuldner Verfahrenskostenhilfe gem. §§ 114, 115 ZPO kommt im Ergebnis nicht in Betracht.160

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Inländische und europäische juristische Personen und parteifähige Vereinigungen (OHG, 47 KG, Außen-GbR) können nach § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO PKH beantragen, doch ist dazu erforderlich, dass die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können.161 Das ist darzulegen und auf Verlangen des Gerichts (§ 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO) glaubhaft zu machen.162 Dies beinhaltet, warum den Beteiligten eine Prozessfinanzierung nicht zumutbar ist.163 Ferner muss die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen.164 So soll verhindert werden, dass mittellose Verbände eigene wirtschaftliche Interessen auf Kosten der Allgemeinheit verwirk-

157 BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, NJW 1992, 967, 968 = DB 1992, 675 = MDR 1992, 252 = ZIP 1992, 191; Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 14. 158 Wilke in BeckOK/StaRUG, § 67 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Bauch in Braun, § 67 StaRUG Rz. 4; Hofmann/Braun in Flöther, § 67 StaRUG Rz. 8; Martini in HambKomm/RestruktR, § 67 StaRUG Rz. 9; Backes/Arends in Morgen, § 67 StaRUG Rz. 39 ff.; Thies in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VII Rz. 142; Bork, ZRI 2021, 345, 351; Proske/Streit, NZI 2020, 969; Schäfer, ZIP 2020, 2164, 2165; Skauradszun, KTS 2021, 1, 72. 159 Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 18. 160 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 23. 161 Dazu BGH v. 23.7.2019 – II ZR 56/18, juris Rz. 5. 162 Zu § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO BGH v. 25.3.2015 – IX ZR 244/14, juris Rz. 2. 163 Zu § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO BGH v. 28.3.2019 – IX ZA 8/18, ZIP 2019, 1486, juris Rz. 4. 164 Vgl. mit Einzelheiten Pape in Küber/Prütting/Bork, § 13 InsO Rz. 182.

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§ 38 Rz. 47 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung lichen.165 Der Anwendungsbereich des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO beschränkt sich daher auf Sachverhalte, die größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens ansprechen und soziale Wirkungen nach sich ziehen können.166 Im Übrigen scheidet VKH aus, da juristische Personen nur dann eine von der Rechtsordnung anerkannte Existenzberechtigung haben, wenn sie ihre Ziele aus eigener Kraft verfolgen können.167 Im allgemeinen Interesse liegt die Rechtsverfolgung in erster Linie, wenn die juristische Person an der Erfüllung ihrer der Allgemeinheit dienenden Aufgaben gehindert würde.168 Erfasst ist auch, dass von der Durchführung des Verfahrens die Existenz eines Unternehmens abhinge, an dessen Erhaltung wegen der großen Zahl von Arbeitsplätzen ein allgemeines Interesse besteht.169 Diese Voraussetzungen können auch erfüllt sein, wenn eine erfolgreiche Rechtsverfolgung die Befriedigung einer Vielzahl von Kleingläubigern ermöglichen würde.170 48 Selbst aber, wenn die Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO erfüllt wären, kommt für

den Schuldner eine entsprechende Anwendung der §§ 114 ff. ZPO im Restrukturierungsverfahren nicht in Betracht. Voraussetzung nach § 114 ZPO ist, dass der Schuldner außerstande ist, die Kosten des Rechtsstreits aufzubringen. Dazu hat er sein verwertbares Vermögen einzusetzen und, wenn möglich, einen Kredit zur Prozessfinanzierung aufzunehmen.171 Wenn der Schuldner gleichwohl die geringen Kosten des Restrukturierungsverfahrens nicht tragen kann, fehlt die von § 114 ZPO verlangte hinreichende Erfolgsaussicht. „Ein Unternehmen, das die mit einer Restrukturierung einhergehenden Kosten nicht decken kann, erscheint für den Stabilisierungs-und Restrukturierungsrahmen ungeeignet.“172 I.d.R. wird der Schuldner dann bereits zahlungsunfähig sein (§ 17 InsO).173 Passender ist dann das Insolvenzverfahren mit der Option, eine Sanierung über einen Insolvenzplan zu erreichen.174 b) Gläubiger und Anteilsinhaber

49 Insbesondere für Planbetroffene kommt nach der Anzeige der Restrukturierungssache Bewil-

ligung von VKH gem. §§ 114 ff. ZPO in Betracht,175 auch wenn sie selbst Rechtsanwalt sind.176 Sind sie wirtschaftlich bedürftig, verlangt § 114 Abs. 1 ZPO zudem, dass ihre beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die Problematik, dass die Rechtsverfolgung schon deswegen unsinnig ist, weil der Gläubiger ohnehin mit keiner Quote rechnen kann, wird sich beim Restrukturierungs-, anders als beim Insolvenzverfahren,177 nicht vergleichbar stellen. Ob insoweit nur das Zur-Wehr-Setzen gegen den

165 BGH v. 9.11.2021 – II ZR 224/20, juris Rz. 7. 166 BGH v. 1.10.2020 – V ZA 10/20, juris Rz. 3. 167 BT-Drucks. 8/3068, S. 26; BGH v. 5.3.2015 – IX ZB 77/14, ZIP 2015, 648 Rz. 8; 2005, 1519; OLG Karlsruhe v. 28.3.2013 – 9 W 60/12, MDR 2013, 1052. 168 BVerfG v. 3.7.1972 – 1 BvR 153/69, NJW 1974, 229; BGH v. 23.7.2019 – II ZR 56/18, juris Rz. 7; Zempel in Prütting/Gehrlein, § 116 ZPO Rz. 15; Schultzky in Zöller, § 116 ZPO Rz. 23. 169 BGH v. 5.3.2015 – IX ZB 77/14, ZIP 2015, 648 Rz. 9. 170 BGH v. 23.7.2019 – II ZR 56/18, juris Rz. 8; BGH v. 1.10.2020 – V ZA 10/20, juris Rz. 3; BGH v. 9.11.2021 – II ZR 224/20, juris Rz. 8. 171 Schultzky in Zöller, § 116 ZPO Rz. 19. 172 So BT-Drucks. 19/24181, S. 218. 173 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 26 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 174 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 33. 175 Zum Insolvenzgläubiger vgl. BGH v. 8.7.2004 – IX ZB 565/02, ZIP 2004, 1922 = MDR 2005, 50; Wegener in Uhlenbruck, § 13 InsO Rz. 183. 176 BGH v. 23.4.2013 – II ZB 21/11, ZIP 2013, 1494 Rz. 12 = MDR 2013, 997. 177 Vgl. BGH v. 8.7.2004 – IX ZB 565/02, ZIP 2004, 1922 = MDR 2005, 50; Pape in Kübler/Prütting/ Bork, § 13 InsO Rz. 186 (Stand: März 2018); Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 30; Ganter/ Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 24; Wegener in Uhlenbruck, § 13 InsO Rz. 184.

628 | Deppenkemper

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 54 § 38

Plan erfasst sei,178 sei dahingestellt, da das Restrukturierungsgericht praktisch bei einem frühzeitig gestellten Antrag die typischer Weise berührten schwierigen und bisher ungeklärten Fragen nicht im Verfahren der VKH-Bewilligung entscheiden wird.179 Ist der Schuldner (oder ein anderer Gläubiger) durch einen Rechtsanwalt vertreten, ist dieses 50 (auch bei Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe) entgegen dem Grundsatz des § 121 Abs. 2 Alt. 2 ZPO180 als solches noch kein Grund, auf Antrag einen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt beizuordnen.181 § 121 Abs. 2 Alt. 2 ZPO ist auf das Restrukturierungsverfahren nicht anwendbar, weil es hier keinen Gegner i.S.d. § 121 Abs. 2 Alt. 2 ZPO gibt, sondern es vom Amtsermittlungsgrundsatz (§ 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) sowie von gerichtlichen Kontrollund Fürsorgepflichten geprägt ist.182 Es kommt aber die Beiordnung nach § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO in Betracht, wenn anwaltliche Vertretung wegen des Umfangs, der Schwierigkeit und Bedeutung der Sache sowie wegen der Unfähigkeit des Antragstellers, sich mündlich oder schriftlich auszudrücken, erforderlich erscheint.183 Das dürfte bei der rechtlichen Spezialmaterie des StaRUG mit den zahlreichen neuen unbestimmten Rechtsbegriffen184 i.d.R. der Fall sein.185 Über die Beiordnung ist i.d.R. gleichzeitig mit der VKH-Bewilligung durch Beschluss zu ent- 51 scheiden. Die Beiordnung wirkt ab dem Zeitpunkt, ab dem VKH bewilligt wird. Der beigeordnete Rechtsanwalt muss seine Vergütungsansprüche gegenüber der Landeskasse geltend machen. Ist eine Unterstützung bereits vor Anzeige der Sache, die die Rechtshängigkeit bewirkt (§ 31 52 Abs. 1, 3 StaRUG), erforderlich, etwa bei der außergerichtlichen Planabstimmung (§§ 17 ff. StaRUG), kann nach § 1 BerHG Beratungskostenhilfe zu gewähren sein, etwa um die Annahme des Planangebots zu prüfen.186 Nach den gleichen Grundsätzen kann Anteilsinhabern VKH bewilligt werden.187

53

9. Mündliche Verhandlung (§§ 128 ff. ZPO) Es gelten die §§ 128 ff. ZPO entsprechend. Entscheidungen können ohne vorherige mündliche 54 Verhandlung ergehen (§ 128 Abs. 4, § 429 ZPO), wie § 39 Abs. 3 Satz 1 StaRUG klarstellt (§ 39 Rz. 61). Bei den Terminen zur Erörterung und/oder Abstimmung nach §§ 45 f. StaRUG oder zur Anhörung nach § 61 StaRUG handelt es sich um Versammlungen der Verfahrensbeteilig178 So wohl Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zustimmend Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 24. 179 Vgl. BGH v. 7.3.2012 – XII ZB 391/10, MDR 2012, 1247 Rz. 12; BGH v. 29.7.2020 – XII ZB 172/18, MDR 2020, 1333 Rz. 13; Schultzky in Zöller, § 114 ZPO Rz. 25. 180 Vgl. zum Insolvenzverfahren BGH v. 6.4.2006 – IX ZB 169/05, ZIP 2006, 968 = MDR 2006, 1246. 181 Wohl einschränkend Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ihm folgend Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 24. 182 So zum Insolvenzverfahren BGH v. 8.7.2004 – IX ZB 565/02, ZIP 2004, 1922, 1923 = MDR 2005, 50; Schultzky in Zöller, § 121 Rz. 20. 183 Vgl. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 34; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 24a; Wegener in Uhlenbruck, § 13 InsO Rz. 187; Schultzky in Zöller, § 121 ZPO Rz. 17. 184 Vgl. zur Insolvenzanfechtung BGH v. 23.3.2006 – IX ZB 130/05, ZIP 2006, 825 Rz. 9 = MDR 2006, 1310. 185 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 35; ihm folgend Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 24. 186 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 27.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 36. 187 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 27; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 38.

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§ 38 Rz. 54 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung ten,188 für die daher § 39 Abs. 3 Satz 1 StaRUG nicht gilt und die vom Gericht als Präsenzveranstaltung durchgeführt werden müssen; die Beteiligten können nach § 38 Satz 2 StaRUG i.V.m. § 128a ZPO elektronisch teilnehmen (§ 39 Rz. 62).189 Alle Termine sind nur parteiöffentlich, nicht allgemein öffentlich.190 55 Die Vorschriften über die Protokollierung (§§ 159–165 ZPO) gelten entsprechend.191

10. Erklärungen zu Protokoll (§§ 129a, 496 ZPO) 56 Erklärungen des vor der Geschäftsstelle Erschienenen192 zu Protokoll der Geschäftsstelle eines

jeden AG (§§ 129a, 496 ZPO), also nicht nur zur Geschäftsstelle des Restrukturierungsgerichts, vor dem das Verfahren geführt wird, sind möglich.193 Auch die typische Eilbedürftigkeit im Restrukturierungsverfahren rechtfertigt es nicht, den durch §§ 129a, 496 ZPO intendierten Zweck, durch die Zulassung von Anträgen und Erklärungen zu Protokoll die Lage anwaltlich nicht vertretener Parteien zu verbessern,194 auszuklammern.195 Allerdings übersendet, wird vor einem nicht zuständigen Gericht protokolliert, dieses zwar gem. § 129a Abs. 2 Satz 1 ZPO das Protokoll unverzüglich an das Gericht, an das die Erklärung gerichtet ist. Die Wirkung der in der Niederschrift enthaltenen Verfahrenshandlung tritt aber frühestens mit dem Eingang des Protokolls bei diesem Gericht ein (§ 129a Abs. 2 Satz 2 ZPO).196 Insoweit verursachte Fristüberschreitungen gehen also zu Lasten des Erklärenden.197

57 Der Urkundsbeamte hat die Erklärung ungeachtet der Verfahrenszuständigkeit des Gerichts

entgegenzunehmen und zu protokollieren.198 Die an sich bestehende Fürsorgefunktionen für die Parteien kommt allerdings nur sehr eingeschränkt zum Tragen, da sie nur in den Grenzen der durch die Ausbildung vermittelten Möglichkeiten (§ 153 Abs. 2, 5 GVG) besteht.199 Die Protokollierung von Anträgen und Erklärungen an sich unterfällt keinem gesonderten Gebührentatbestand.200

11. Nutzungspflicht des ERV für Rechtsanwälte und Behörden (§ 130d ZPO) 58 Nach §§ 496, 129a ZPO können Anträge und Erklärungen auch zu Protokoll der Geschäfts-

stelle eines jeden AG erklärt werden (str., Rz. 56). I.d.R. werden Beteiligte Schriftsätze einreichen. Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristi188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200

Vgl. zum Insolvenzverfahren Madaus in BeckOK/InsR, § 5 InsO Rz. 22 (Stand: 15.4.2022). Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 29 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 41. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 38 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 42. Vgl. BGH v. 12.3.2009 − V ZB 71/08, NJW-RR 2009, 852; Deppenkemper in MünchKomm/ZPO, § 496 ZPO Rz. 7. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 31 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 38 StaRUG Rz. 3; Utsch in Nerlich/Römermann, § 38 StaRUG Rz. 8; a.A. Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2584; zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 25. Fritsche in MünchKomm/ZPO, § 129a ZPO Rz. 1; Deppenkemper in MünchKomm/ZPO, § 496 InsO Rz. 1. Laroche in Flöther, § 38 StaRUG Rz. 3. Deppenkemper in MünchKomm/ZPO, § 496 ZPO Rz. 10. Vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 31 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Greger in Zöller, § 129a ZPO Rz. 2. Deppenkemper in MünchKomm/ZPO, § 496 ZPO Rz. 8. Deppenkemper in MünchKomm/ZPO, § 496 ZPO Rz. 11.

630 | Deppenkemper

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 59 § 38

sche Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind seit 1.1.2022 als elektronisches Dokument zu übermitteln (§ 130d Satz 1 ZPO). Ansonsten, wenn nicht die Voraussetzungen einer zulässigen Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2, 3 ZPO201 glaubhaft gemacht sind, sind sie unwirksam.202 Eine Heilung nach § 295 ZPO kommt nicht in Betracht. Weder können die anderen Beteiligten auf die Einhaltung des § 130d ZPO verzichten203 noch wird der Formmangel etwa durch Ausdruck eines Telefax geheilt, da dieses allein der Übermittlung eines vorhandenen Dokuments dient, welches beim Empfänger erneut in schriftlicher Form vorliegen soll.204 Ein elektronisches Dokument besteht aus der in einer elektronischen Datei enthaltenen Datenfolge.205 Ein Rückgriff auf die Rechtsprechungsgrundsätze, die entwickelt wurden, um bei Nutzung technischer Übermittlungsformen wie Telefax oder Computerfax die Einhaltung der Schriftform begründen zu können, kommt daher zur Heilung von Mängeln der elektronischen Übermittlung grundsätzlich nicht in Betracht.206 Wie für das Insolvenzverfahren207 wird sich auch für das Restrukturierungsverfahren die 59 Frage stellen, ob und inwieweit § 130d ZPO hier für Anträge der bevollmächtigen Anwälte gilt.208 Davon ist bei nicht mündlichen Erklärungen aufgrund des Ziels des Gesetzgebers, den elektronischen Rechtsverkehrt zu fördern,209 des umfassenden Verweises in § 38 Satz 1 StaRUG und fehlender abweichender Bestimmungen im StaRUG im Grundsatz210 auszugehen, 201 Vgl. Bayerischer VGH v. 1.7.2022 – 15 ZB 22.286 juris Rz. 14: Technische Gründe liegen nicht vor, wenn die fristgemäße Übermittlung aufgrund eines Anwendungs- bzw. Bedienungsfehlers scheiterte, z.B. weil der Rechtsanwalt subjektiv nicht in der Lage war, die Übermittlung rechtzeitig vor Fristablauf umzusetzen. 202 OLG Frankfurt v. 27.7.2022 – 26 W 4/22 juris Rz. 11; KG v. 25.2.2022 – 6 U 218/21 juris Rz. 13; von Selle in BeckOK/ZPO, § 130d ZPO Rz. 6 (Stand: 1.7.2022); Biallaß in jurisPK-ERV, § 130d ZPO Rz. 68 (Stand: 10.8.2022); Greger in Zöller, § 130d ZPO Rz. 1. 203 Vgl. BT-Drucks. 17/12634, S. 27; OLG Bamberg v. 2.5.2022 – 2 UF 16/22, BeckRS 2022, 11254 Rz. 22. 204 BGH v. 8.5.2019 – XII ZB 8/19, NJW 2019, 2096 Rz. 15 = MDR 2019, 823. 205 Vgl. BGH v. 15.7.2008 – X ZB 8/08, NJW 2008, 2649 Rz. 10 = MDR 2008, 1176. 206 BGH v. 8.5.2019 – XII ZB 8/19, NJW 2019, 2096 Rz. 16 = MDR 2019, 823; AG Essen v. 24.5.2022 – 163 IK 66/22, ZIP 2022, 1509 Rz. 4. 207 Vgl. bejahend AG Hamburg v. 21.2.2022 – 67h IN 29/22, ZVI 2022, 106, 107; AG Ludwigshafen v. 26.4.2022 – 3c IK 115/22, BeckRS 2022, 13961 Rz. 4; AG Essen v. 24.5.2022 – 163 IK 66/22, ZIP 2022, 1509 Rz. 5; Müller in jurisPK-ERV, § 130a ZPO Rz. 18.1 (Stand: 13.6.2022); Beth, ZInsO 2022, 750, 752; Beth, ZInsO 2021, 2652, 2653; Blankenburg, ZVI 2021, 462, 463; Büttner, ZInsO 2022, 277, 278 f.; Büttner, InsbürO 2022, 155; Deppe/Radschuwait, InsbürO 2022, 117, 119; wohl auch Keller, ZVI 2022, 167; ablehnend und für einen rollenbezogenen Anwendungsbereich Biallaß in jurisPKERV, § 130d ZPO Rz. 19 (Stand: 10.8.2022); Kollbach, ZInsO 2022, 624, 625; Schmidt, ZVI 2022, 89, 90; Schwartz/Meyer, ZInsO 2021, 2475, 2476; zum Anwalt als Berufsbetreuer vgl. LG Hildesheim v. 12.7.2022 – 5 T 163/22, juris Rz. 5. Teilweise sehen die eAktVO der Länder Einschränkungen vor, z.B. die eAktVO BW bezüglich Insolvenztabelle und Anmeldeunterlagen (vgl. § 5 Abs. 4 InsO und dazu Biallaß in jurisPK-ERV, § 130d ZPO Rz. 37 (Stand: 10.8.2022). 208 Vgl. BT-Drucks. 17/12634, S. 27: „Die Regelung führt eine Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte und Behörden ein.“ Die Gesetzesbegründung verweist auf die erheblichen Druck- und Scanaufwänden bei den Gerichten und bei Rechtsanwälten, wenn einzelne Rechtsanwälte die Vorteile des elektronischen Rechtsverkehrs nicht nutzen würden. 209 Vgl. BT-Drucks. 818/12, S. 36: „Um den elektronischen Rechtsverkehr zu etablieren, sieht Satz 1 eine Pflicht für alle Rechtsanwälte und Behörden vor, Schriftsätze, Anträge und Erklärungen den Gerichten nur noch in elektronischer Form zu übermitteln“; ferner, BT-Drucks. 818/12, S. 37: „§ 130d gilt nicht nur für das Erkenntnisverfahren im ersten Rechtszug, sondern grundsätzlich für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der ZPO.“ 210 Zweifelhaft ist, dass der Rechtsanwalt nicht als Bote in Papier Erklärungen des Mandanten überreichen kann, die dieser höchstpersönlich abzugeben hat (so wohl AG Ludwigshafen v. 26.4.2022 – 3c IK 115/22, BeckRS 2022, 13961 Rz. 4; AG Essen v. 24.5.2022 – 163 IK 66/22, ZIP 2022, 1509 Rz. 5).

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§ 38 Rz. 59 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung zumal eine einmal etablierte elektronische Kommunikation deutlich schneller und einfacher zu handhaben ist, als eine papierene. Schon deswegen und aus Gründen anwaltlicher Vorsicht211 sollten Anwälte die sicheren elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten (insbesondere das beA) nutzen. Das elektronische Dokument muss von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 130a Abs. 4 ZPO); das Recht, nicht-qualifiziert elektronisch signierte Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg zu versenden, kann nicht auf andere Personen übertragen werden (§ 23 Abs. 3 Satz 5 RAVPV). Ein mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes Dokument darf außer auf einem sicheren Übermittlungsweg auch an das EGVP übermittelt werden (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO). Die qualifizierte elektronische Signatur, die im elektronischen Rechtsverkehr der handschriftlichen Unterschrift entspricht, die Identifizierung des Urhebers einer Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen soll, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen,212 muss von demjenigen vorgenommen werden, dessen Unterschrift dem Formerfordernis genügen würde, mithin von dem Rechtsanwalt persönlich.213

12. Beibringungsgrundsatz und Wahrheitspflicht (§ 138 ZPO) 60 Während der Zivilprozess vom Beibringungsgrundsatz geprägt ist, gilt im Restrukturierungs-

verfahren gem. § 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG der Untersuchungsgrundsatz (§ 39 Rz. 7 f.), soweit sich nicht aus dem StaRUG Einschränkungen ergeben.214 Die Wahrheitspflicht als Pflicht zur subjektiven Wahrhaftigkeit i.S.e. Verbotes der wissentlichen Falschaussage215 gilt – wie im Insolvenzverfahren216 – auch im Restrukturierungsverfahren, was für den Schuldner § 32 StaRUG teilweise konkretisiert und weiter (auch für die Folgen der Verletzung) ausgestaltet.217

13. Hinweise (§ 139 Abs. 1 ZPO) 61 Das Restrukturierungsgericht hat dem Schuldner im Rahmen der ihm nach § 139 Abs. 1 ZPO

obliegenden materiellen Verfahrensleitung rechtzeitig Hinweise zu erteilen218 und auf sachgemäße Anträge hinzuwirken.219 Es hat den Schuldner nach § 139 Abs. 2 ZPO auf Gesichtspunkte hinzuweisen, die dieser erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat,220 und nach § 139 Abs. 3 ZPO auf Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen. Dazu bietet sich ein Hinweisbeschluss

211 Vgl. BT-Drucks. 818/12, S. 36: „Die Einreichung ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten. Bei Nichteinhaltung ist die Prozesserklärung nicht wirksam. ... Auf die Einhaltung kann auch der Gegner weder verzichten noch sich rügelos einlassen (§ 295 Absatz 2)“. 212 BGH v. 24.5.2022 – XI ZB 18/21, NJW-RR 2022, 1069 Rz. 13. 213 BGH v. 30.3.2022 – XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rz. 9. 214 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 32 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 215 Vgl. Greger in Zöller, § 138 ZPO Rz. 2. 216 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 47. 217 Vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 33 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schmittmann in Schmittmann, Haftung von Organen in Krise, Restrukturierung und Insolvenz, Teil B IV 5. Rz. 358 f. 218 Dazu im Einzelnen Greger in Zöller, § 139 ZPO Rz. 5 ff. 219 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 34 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2585; zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 47. 220 AG Hamburg v. 17.1.2022 – 61c RES 1/21, ZIP 2022, 758; zu eng Montag in HambKomm/RestruktR, §§ 47, 48 StaRUG Rz. 27: Eine Erweiterung der gerichtlichen Vorprüfung sei nur möglich, wenn der Schuldner seinen Antrag – ggf. nach einem vorausgegangenen gerichtlichen Hinweis (§ 38 StaRUG i.V.m. § 139 ZPO) – selbst erweitert.

632 | Deppenkemper

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 62 § 38

an, wenn eine Erörterung der Fragen unter Einbeziehung der planbetroffenen Gläubiger nicht erforderlich ist, insbesondere also, wenn es sich um reine Rechtsfragen handelt.221 Gerade, da es keine vergleichbare Vorprüfung wie nach § 231 Abs. 1 InsO gibt, kann das insbesondere Mängel bei der Auswahl der Planbetroffenen und der Gruppenbildung betreffen.222 Der Grundsatz, dass das Gericht zu einem Hinweis auf die eigene Rechtsauffassung nicht verpflichtet ist223 und Parteien eines Zivilprozesses grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen müssen,224 gilt nur deutlich eingeschränkt. Erteilt das Gericht einen rechtlichen Hinweis in einer entscheidungserheblichen Frage, darf es diese Frage im Beschluss nicht abweichend von seiner geäußerten Rechtsauffassung entscheiden, ohne die Verfahrensbeteiligten zuvor auf die Änderung der rechtlichen Beurteilung hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben.225 Eine durch einen missverständlichen Hinweis hervorgerufene Fehleinschätzung muss das Gericht durch weiteren Hinweis richtig stellen.226 Erörterungen sind, wenn sie Einfluss auf den Verfahrensinhalt haben können, zu dokumentieren und den anderen Beteiligten zeitnah offen zu legen.227

14. Aussetzung, Unterbrechung, Ruhen des Verfahrens (§§ 148 ff., 239 ff. ZPO) Die Vorschriften der ZPO über die Aussetzung, Unterbrechung und das Ruhen des Verfahrens 62 (§§ 148 ff., 239 ff. ZPO) sind im gerichtlichen Restrukturierungsverfahren – wie im Insolvenzverfahren228 – nicht entsprechend anwendbar.229 Das Verfahren zielt auf typischer Weise zeitnahe und eilbedürftige, schnell zu bescheidende Restrukturierungsmaßnahmen.230 Es ist gerade nicht darauf ausgelegt, dass die Instrumente des Stabilisierungs-und Restrukturierungsrahmens auf unbestimmte Dauer in Anspruch genommen werden können.231 Ein Stillstand durch Aussetzung, Unterbrechung oder eine Ruhensanordnung stünde damit nicht in Einklang.232 Etwa harmoniert eine Fristunterbrechung nach § 249 Abs. 1 ZPO nicht mit der befristeten Stabilisierungsanordnung.233

221 Blankenburg in Morgen, § 46 InsO Rz. 28; ähnlich AG Hamburg v. 17.1.2022 – 61c RES 1/21, ZIP 2022, 758. 222 AG Hamburg v. 17.1.2022 – 61c RES 1/21, ZIP 2022, 758, 759. 223 Vgl. BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, NJW 1984, 1741, 1745 = MDR 1984, 729. 224 BGH v. 25.5.2021 – 2 BvR 1719/16, NJW 2021, 2581 Rz. 13. 225 BGH v. 28.11.2019 – IX ZR 8/19, NZI 2020, 65 Rz. 5. 226 BGH v. 8.12.2005 – VII ZR 67/05, VII ZR 90/05, NJW-RR 2006, 524 Rz. 11; von Selle in BeckOK/ ZPO, § 139 ZPO Rz. 44 (Stand: 1.7.2022). 227 Vgl. Greger in Zöller, § 139 ZPO Rz. 4a, 10. 228 BGH v. 17.12.2009 – IX ZB 124/09, ZIP 2010, 292 Rz. 11 = DB 2010, 727 = MDR 2010, 407; BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 141/06, WM 2007, 1132 Rz. 12 = MDR 2007, 1100. 229 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 38 StaRUG Rz. 10; zur Unterbrechung auch Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 47. 230 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 131, 134. 231 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 136: zum Wirkungsverlust der Anzeige nach § 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG. 232 Einschränkend Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 37 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) für den Sonderfall, dass der Schuldner notwendigerweise sowohl eine Beschwerde einlegt gegen den die Restrukturierungssache vorzeitig beendenden Aufhebungsbeschluss wegen Insolvenzverfahrenseröffnung (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StaRUG) und gleichzeitig eine weitere Beschwerde einlegt gem. §§ 6, 34 Abs. 2 InsO gegen den Insolvenzeröffnungsbeschluss. 233 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 47.

Deppenkemper | 633

§ 38 Rz. 63 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung

15. Zustellung (§§ 166 ff. ZPO) 63 Die Zustellungen sind in enger Anlehnung an die §§ 166 ff. ZPO, aber doch mit gewichtigen

Modifikationen, speziell in § 41 ZPO geregelt. Dieser geht vor.

16. Terminsbestimmung (§§ 214 ff. ZPO) 64 Da nach § 39 Abs. 3 Satz 2 StaRUG § 227 Abs. 3 Satz 1 ZPO auf mündliche Verhandlungen

nicht anwendbar ist, kann der Umkehrschluss gezogen werden, dass i.Ü. die §§ 214 ff. ZPO entsprechend anwendbar sind.234 Das gilt etwa für die Terminsbestimmung nach § 216 ZPO und die Ladungsfrist (§ 217 ZPO),235 wobei allerdings spezielle Vorschriften des StaRUG, soweit sie (ggf. über Verweisung) anwendbar sind, vorgehen (z.B. § 45 StaRUG).236 Trotz der Eilbedürftigkeit ist auf begründeten Antrag eines Beteiligten zu verlegen (§ 227 ZPO), wenn dies zur Wahrung der Verfahrensgrundrechte geboten ist. Führt die offensichtlich fehlerhafte Ablehnung eines Terminverlegungsantrags dazu, dass ein Beteiligter im Termin nicht anwaltlich vertreten ist und sein Äußerungsrecht daher nicht sachgerecht wahrnehmen kann, verletzt dies das Gehörsrecht des betroffenen Beteiligten.237 Zu § 227 Abs. 3 ZPO s. § 39 Rz. 64; zu den Ladungen s. § 41 Rz. 10.

65 Für das außergerichtliche Restrukturierungsverfahren, wie etwa zum Abstimmungs- oder

Erörterungstermin (§§ 20 f. StaRUG), gelten die §§ 214 ff. ZPO nicht. Wird aber die Einberufungsfrist nicht eingehalten, kann seitens der Planbetroffenen vom Schuldner Terminverlegung verlangt werden (Rechtsgedanke des § 227 ZPO).238 Der Schuldner bestimmt mit der Einberufung den Tag und die Stunde des Versammlungsbeginns nach pflichtgemäßem Ermessen. Auch vorab erkennbare objektive Teilnahme- und Informationsinteressen und erhebliche Verhinderungsgründe (vgl. § 227 Abs. 1 ZPO) der Planbetroffenen sollte er angemessen berücksichtigen; wesentliche, geschützte Rechte der Planbetroffenen dürfen nicht unnötig verkürzt werden. Insbesondere darf die Terminbestimmung nicht manipulativ darauf zielen, einen bestimmten Planbetroffenen von der Diskussion und Abstimmung auszuschließen. Es obliegt dem Schuldner aber nicht, vorab den Termin abzustimmen oder die tatsächlichen Verhältnisse der einzelnen Planbetroffenen und ihre Terminmöglichkeiten im Vorfeld aufzuklären und entsprechend zu berücksichtigen.239

17. Fristen (§§ 221 ff. ZPO) 66 Im gerichtlichen Restrukturierungsverfahren gelten die Vorschriften über den Fristbeginn

(§ 221 ZPO), die Fristberechnung (§ 222 ZPO, §§ 187–193 BGB), die Abkürzung und Verlängerung (§ 224 ZPO) und das Verfahren bei Friständerungen (§ 225 ZPO) entsprechend.240 Im außergerichtlichen Restrukturierungsverfahren (§§ 17 ff. StaRUG) gelten die §§ 187 ff. BGB für den Fristbeginn und die Fristberechnung unmittelbar.241

234 235 236 237 238 239 240 241

Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 44. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 41 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 44. Vgl. zum Schiedsgericht BGH v. 21.4.2022 – I ZB 36/21, juris Rz. 24 f. (mit Ausführungen, wann die Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt aus der Sozietät zumutbar ist). Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 15. Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 34. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 46 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Vgl. Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 19 ff., § 20 StaRUG Rz. 15.

634 | Deppenkemper

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 68 § 38

18. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 230 ff. ZPO) Notfristen sind die im Gesetz als solche bezeichneten Fristen (§ 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO).242 67 Das StaRUG kennt solche Bezeichnungen nicht. Daher bleiben als wiedereinsetzungsfähige Fristen (§ 233 Satz 1 ZPO) nur (schuldlos) versäumte Rechtsmittelfristen (§ 40 Rz. 20 und § 40 Rz. 76)243 und ggf. die Frist für die Beantragung der Wiedereinsetzung gem. § 234 Abs. 1 ZPO.244

19. Rechtshängigkeitswirkung (§ 261 Abs. 3 ZPO) § 261 Abs. 3 ZPO gilt entsprechend, wobei die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache 68 durch die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens eintritt (§ 31 Abs. 3 ZPO).245 Die Anzeige hat, ohne dass es hierfür einer gerichtlichen Entscheidung bedarf, die unmittelbare Folge, dass das angezeigte Restrukturierungsvorhaben als ein loser Verbund von verfahrensrechtlichen Hilfen246 inhaltlich umrissen und als Restrukturierungssache rechtshängig wird (§ 31 Rz. 22 f.).247 Demnach ist (bei identischen Streitgegenstand) nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO die erneute Anzeige derselben Restrukturierungssache unzulässig (negative Verfahrensvoraussetzung).248 Da der Gesetzgeber die Wirkung des § 261 Abs. 3 ZPO an die Anzeige knüpft und herausstellt, dass nach Rechtshängigkeit die Inanspruchnahme von Instrumenten des Rahmens an einem anderen Gericht unzulässig ist,249 geht er damit implizit davon aus, dass insoweit, in der Sprache der ZPO, eine Übereinstimmung des erhobenen Anspruchs und des Grundes besteht.250 Die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens führt die Rechtshängigkeitssperre nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO gegenüber allen Instrumenten herbei, auch wenn diese nicht beantragt waren.251 Die rechtshängig gemachte Restrukturierungssache wird zu einer, auch zuständigkeitsrechtlichen, Einheit verbunden,252 so dass bei mehreren Anträgen stets dasselbe Gericht (und bei diesem Gericht dieselbe Abteilung, § 36 StaRUG) zuständig ist.253 Das ist von Amts wegen zu berücksichtigen.254 Dabei ist der Kunstgriff eines verfahrensrechtlichen Bandes unnötig.255 Hintergrund ist das Ziel, weitergehende Spielräume für die privatautonome Organisation zu belassen und das geltende Recht sinnvoll zu ergänzen. Dazu soll der Stabilisierungsund Restrukturierungsrahmen nicht als integriertes Verfahren konzipiert sein,256 sondern als ein modularer Verfahrensrahmen, dessen Elemente ein sanierungswilliger Schuldner einzeln in Anspruch nehmen können soll.257 Weil der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens

242 243 244 245 246 247 248 249 250 251 252 253 254 255 256 257

Greger in Zöller, § 233 ZPO Rz. 4. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 46. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 47 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Vallender, ZRI 2021, 165, 166. Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 135. Es dürfte auch in einem integrierten Verfahren unproblematisch möglich sein, einem Schuldner die Wahl zu lassen, welche angebotenen Hilfen (Instrumente) er konkret beantragt; zur Kritik Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2433. So BT-Drucks. 19/24181, S. 133. Vgl. Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, § 261 ZPO Rz. 42; Greger in Zöller, § 261 ZPO Rz. 8. BT-Drucks. 19/24181, S. 136. Vgl. BGH v. 10.10.1952 − V ZR 159/51, NJW 1952, 1375, 1376; Becker-Eberhard in MünchKomm/ ZPO, § 261 ZPO Rz. 56. Die Restrukturierungssache erhält auch ein (einziges) Aktenzeichen (RES). BT-Drucks. 19/24181, S. 131. BT-Drucks. 19/24181, S. 134. Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, § 261 ZPO Rz. 44. Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2434 f. BT-Drucks. 19/24181, S. 89, 91. BT-Drucks. 19/24181, S. 89.

Deppenkemper | 635

§ 38 Rz. 68 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung als ein loser Verbund von verfahrensrechtlichen Hilfen258 verstanden wird, meint der Gesetzgeber besonders anordnen zu müssen, dass die Anzeige des einzelnen Restrukturierungsvorhabens nicht nur das konkret beantragte Instrument rechtshängig mache, sondern die Anzeige die Wirkungen der Rechtshängigkeit nach § 261 Abs. 3 ZPO für alle Instrumente herbei führe (vgl. § 39 Rz. 10). Dass die Instrumente den Beteiligten nur als Optionen eingeräumt werden, von denen sie Gebrauch machen können, aber nicht müssen, steht der Vorstellung, dass ein Verfahren mit Anzeige eingeleitet wird, nicht entgegen. Es ist selbstverständlich, dass ein Verfahren, welches alternativ oder kumulativ verschiedene Instrumente auf Antrag bereitstellt, nicht zwingt, diese auch (alle) in Anspruch zu nehmen, nur weil das Verfahren eingeleitet wurde, zumal dieses ausdrücklich bestimmt ist (§ 29 Abs. 3 StaRUG).259 Vielmehr entsteht durch die Anzeige im Ganzen ein Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur, das die Restrukturierungsmaßnahmen zusammenfasst, wobei die einzelnen Instrumente erst auf diesbezüglichen Antrag (bloße) bestimmte Rechtslagen darstellen und maßgebend dafür sind, welche Handlungslasten bzw. -pflichten der Beteiligten konkret bestehen. Entsprechend kann das Restrukturierungsgericht nach Eingang der Anzeige von Amts wegen (nur) die allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen wie seine Zuständigkeit prüfen, soweit dieses möglich ist (§ 39 Rz. 11), nicht aber die Begründetheit der (noch gar nicht beantragten) Instrumente (§ 39 Rz. 12 f.).260 69 Ferner gilt die Fortdauer der Zuständigkeit nach § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO (perpetuatio fori;

vgl. § 35 Rz. 14).261

70 Einen Sonderfall bildet, dass der Gruppen-Gerichtsstand bei einem anderen Gericht nach-

träglich begründet wurde und nach § 37 Abs. 2 StaRUG i.V.m. § 3d InsO Verweisung beantragt wird (§ 37 Rz. 65).

20. Antragsrücknahme (§ 269 ZPO) 71 Gegenüber der Klagerücknahme (§ 269 ZPO) ist die Rücknahme der Restrukturierungsanzei-

ge, die dem Schuldner jederzeit zumindest bis zur Abstimmung über den Restrukturierungsplan262 auch ohne Einwilligung der anderen Beteiligten, insbesondere der Planbetroffenen, möglich ist (§ 31 Rz. 26)263 und zum Wegfall der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache 258 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 135. Es dürfte auch in einem integrierten Verfahren unproblematisch möglich sein, einem Schuldner die Wahl zu lassen, welche angebotenen Hilfen er konkret beantragt; zur Kritik Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2433. 259 Dazu BT-Drucks. 19/24181, S. 132 f. 260 Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2434. 261 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 51 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schröder in HambKomm/RestruktR, § 31 StaRUG Rz. 26; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 48; zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 53. 262 Vgl. zur streitigen Frage, bis wann der Schuldner im Insolvenzverfahren seinen Plan zurückziehen kann, Haas in Kayser/Thole, § 240 InsO Rz. 12; Münch in Jaeger, § 218 InsO Rz. 106; Eidenmüller in MünchKomm/InsO, § 218 InsO Rz. 151; Hintzen in MünchKomm/InsO, § 235 InsO Rz. 33; Braun in Nerlich/Römermann, § 235 InsO Rz. 17 (je bis zur Abstimmung); weitergehend Spahlinger in Kübler/Prütting/Bork, § 218 InsO Rz. 19 (Stand: November 2018): bis zur Planannahme; mit Hinweis auf § 231 Abs. 2 Halbs. 1 Alt. 3 InsO für eine Rücknahmemöglichkeit bis zu einem rechtskräftigen Beschluss Geiwitz/von Danckelmann in BeckOK/InsR, § 218 InsO Rz. 23 (Stand: 15.10.2021); Thies/Lieder in HambKomm/InsO, § 218 InsO Rz. 16; Spliedt in K. Schmidt, § 218 InsO Rz. 15; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 218 InsO Rz. 43; differenzierend Huber/Madaus in MünchKomm/InsO, § 254 InsO Rz. 11; Madaus, KTS 2012, 27, 28 ff. (bei allseitiger Annahme bis zur Annahme, ansonsten bis zur gerichtlichen Bestätigung); offen BGH, NZI 2007, 521 Rz. 7; zu § 91a ZPO BGH v. 15.9.2009 – IX ZB 36/08, ZIP 2010, 344, BeckRS 2009, 26716 Rz. 4. 263 Zur Frage der Bindung an das Planangebot Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 56.

636 | Deppenkemper

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 74 § 38

(insgesamt) führt (§ 31 Abs. 4 Nr. 1 StaRUG),264 spezieller. Ebenso kann der Schuldner gestellte Anträge auf Inanspruchnahme eines der Instrumente zurücknehmen (vgl. § 59 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG).265 Eine Zäsur wie die Eröffnungsentscheidung nach § 27 InsO, nach der im Insolvenzverfahren keine Rücknahme des Eröffnungsantrags nach § 13 Abs. 2 InsO mehr möglich ist,266 kennt das Restrukturierungsverfahren nicht. § 269 ZPO wird verdrängt.

21. Zwischenentscheidungen (§ 280 ZPO) § 280 ZPO ist (wie im Insolvenzverfahren)267 im Restrukturierungsverfahren entsprechend 72 anwendbar; er wird nicht durch § 47 StaRUG verdrängt.268 Der Eilbedürftigkeit kann Rechnung getragen werden, wenn auf Antrag schon vor formeller Rechtskraft des Beschlusses nach § 280 ZPO Termin etwa zur gerichtlichen Planabstimmung (§§ 45 f. StaRUG) oder Anhörung (§ 61 StaRUG) bestimmt wird.269 Ein Planbestätigungsbeschluss ist dann selbst bei dessen formeller Rechtskraft auflösend bedingt durch Aufhebung der Zwischenentscheidung.270

22. Verweisung (§§ 281, 505 ZPO) § 281 ZPO ist (wie im Insolvenzverfahren)271 entsprechend anwendbar (§ 35 Rz. 22). Besteht 73 bei einem anderen Restrukturierungsgericht ein Gruppen-Gerichtsstand für Restrukturierungssachen, kann Verweisung dorthin nach § 37 Abs. 2 StaRUG, § 3d Abs. 1 Satz 1 InsO erfolgen (§ 37 Rz. 67).272 Zur Verweisung bei örtlicher Unzuständigkeit s. § 35 Rz. 19 ff.

23. Beweismaß (§§ 286, 294 ZPO) Das Beweismaß gibt vor, wann ein Beweis gelungen ist. Nach sehr verschiedenen Beweismaß- 74 modellen273 hat der Gesetzgeber sich sehr wohl überlegt für die Formulierung entschieden, dass das Gericht nach seiner freier Überzeugung zu entscheiden hat, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Beweismaß ist also die volle richterliche Überzeugung (§ 38 Satz 1 StaRUG, § 286 Abs. 1 ZPO). Das meint einen für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.274 Dieses Beweismaß gilt grds. auch im Restrukturierungsverfahren. 264 Utsch in Nerlich/Römermann, § 31 StaRUG Rz. 24. 265 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 52 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 49. 266 BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 50/15, NZI 2017, 75 Rz. 13; BGH v. 27.7.2006 − IX ZB 12/06, NJOZ 2006, 3525 Rz. 2; OLG Celle v. 2.3.2000 − 2 W 15/00, NZI 2000, 265; OLG Köln v. 17.7.1992 − 2 W 84/92, ZIP 1993, 936; Schmerbach in FK/InsO, § 13 InsO Rz. 59; Hess in KölnKomm/InsO, § 13 InsO Rz. 60; Sternal in Kayser/Thole, § 13 InsO Rz. 32; Gerhardt in Jaeger, § 13 InsO Rz. 40; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 54; Vuia in MünchKomm/InsO, § 13 InsO Rz. 117 f.; Wegener in Uhlenbruck, § 13 InsO Rz. 163, 164; Reichelt in Pape/Reichelt/Schultz/Voigt-Salus, InsR, § 18 Rz. 104. 267 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 54a. 268 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 56 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); a.A. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 50. 269 Vgl. Greger in Zöller, § 280 ZPO Rz. 9. 270 Vgl. Greger in Zöller, § 280 ZPO Rz. 10. 271 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 55. 272 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 57 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 51. 273 Vgl. Deppenkemper, Beweiswürdigung als Mittel prozessualer Wahrheitserkenntnis, 2004, passim. 274 Grundlegend BGH v. 17.2.1970 − III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 255 f.; s. ferner BGH v. 19.7.2019 – V ZR 255/17, NJW 2019, 3147 Rz. 27 = MDR 2019, 1191; BVerfG v. 18.1.2001 – 1 BvR 1273/96,

Deppenkemper | 637

§ 38 Rz. 75 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung 75 Vielfach lässt das StaRUG (vgl. § 59 Abs. 2, § 64 Abs. 2 Satz 2, § 66 Abs. 2 Nr. 3, § 71 Abs. 3,

§ 75 Abs. 2 Satz 3 StaRUG) oder die über § 38 Satz 1 StaRUG anwendbaren Vorschriften der ZPO (z.B. § 44 Abs. 2, § 118 Abs. 2 Satz 1, § 236 Abs. 2, § 381 Abs. 1 Satz 2, § 406 Abs. 3 ZPO) Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) genügen.275 Dann tritt an die Stelle des Vollbeweises eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung. Glaubhaft gemacht ist eine behauptete Tatsache bereits dann, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist.276 Erforderlich und ausreichend ist es also, wenn etwas mehr für das Vorliegen der behaupteten Tatsache spricht, als gegen sie.277 Wann dies der Fall ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung.278

76 Im Zivilprozess und im Eröffnungsverfahren bei einem Fremdantrag (vgl. § 14 InsO) bedür-

fen Tatsachenbehauptungen keines Beweises, wenn die Tatsachen unstreitig oder offenkundig sind.279 Der Untersuchungsgrundsatz greift erst ein mit der Zulassung des Insolvenzantrags.280 Im Anwendungsbereich des § 39 Satz 1 StaRUG entbindet selbst ein Geständnis (§ 288 ZPO) dann nicht von der Pflicht zur Amtsermittlung.281

24. Akteneinsicht und Auskunft (§ 299 ZPO) 77 Ähnlich wie über § 4 InsO im Insolvenzverfahren282 gilt über § 38 Satz 1 StaRUG im Restruk-

turierungsverfahren § 299 ZPO,283 wenn die InsO bzw. das StaRUG keine spezielleren Vorschriften vorsehen.284

275 276

277 278 279 280 281 282

283 284

NJW 2001, 1639, 1640; Greger in Zöller, § 286 ZPO Rz. 18 f.; Laumen/Vallender, NZI 2016, 609, 611; mit weiteren Einzelheiten Deppenkemper, Beweiswürdigung als Mittel prozessualer Wahrheitserkenntnis, 2004, 225 ff. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 61 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). BGH v. 30.7.2019 – VI ZB 59/18, ZIP 2019, 1982 Rz. 12 = MDR 2020, 81 (Vollkommer) = MDR 2019, 1328; BGH v. 11.6.2015 – IX ZB 76/13, ZIP 2015, 1445 Rz. 9 = MDR 2015, 915 = DB 2015, 1835; BGH v. 21.3.2019 – V ZB 97/18, NJW-RR 2019, 827 Rz. 17; BGH v. 11.4.2017 – II ZB 5/16, juris Rz. 15; zu § 14 InsO vgl. auch Sternal in Kayser/Thole, § 14 InsO Rz. 15; Pape in Kübler/Prütting/Bork, § 14 InsO Rz. 113 (Stand: August 2021); Wegener in Uhlenbruck, § 14 InsO Rz. 27; Laumen/Vallender, NZI 2016, 609, 613. BGH v. 26.1.2022 – XII ZB 227/21, FamRZ 2022, 647 Rz. 11 = MDR 2022, 517; kritisch Greger in Zöller, § 294 ZPO Rz. 6. Laumen in Prütting/Gehrlein, § 294 ZPO Rz. 2. BGH v. 11.6.2015 – IX ZB 76/13, ZIP 2015, 1445 Rz. 9 = MDR 2015, 915 = DB 2015, 1835. Laumen/Vallender, NZI 2016, 609. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 60 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zum Insolvenzverfahren OLG Köln v. 14.6.2000 – 2 W 85/00, ZIP 2000, 1343, 1348 = MDR 2000, 1274; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 56. BGH v. 15.10.2020 – IX AR (VZ) 2/19, ZIP 2020, 2519 Rz. 10 = MDR 2021, 124; BayObLG v. 14.10.2021 – 102 VA 66/21, ZIP 2021, 2496, 2497; BayObLG v. 8.4.2020 − 1 VA 132/19, ZIP 2020, 978, 980; OLG Celle v. 31.8.2006 – 4 W 151/06, ZIP 2007, 299, 300; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier, § 4 InsO Rz. 44; Madaus in BeckOK/InsR, § 4 InsO Rz. 11 (Stand: 15.4.2022); Schmerbach in FK/InsO, § 4 InsO Rz. 56; Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 32; Sternal in Kayser/ Thole, § 4 InsO Rz. 13; Gerhardt in Jaeger, § 4 InsO Rz. 20; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 4 InsO Rz. 19 (Stand: August 2013); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 57; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1. Rz. 309. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 62 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 32; Utsch in Nerlich/Römermann, § 38 StaRUG Rz. 9; Semmelmann in Wolgast/Grauer, § 38 StaRUG Rz. 8; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2585. Nach Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2585, haben nicht an der Restrukturierungssache beteiligte Personen keinen Anspruch auf Akteneinsicht nach Maßgabe des § 299 Abs. 2 ZPO, wenn es sich um eine nicht öffentliche Restrukturierungssache handelt.

638 | Deppenkemper

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 80 § 38

a) Zweck und Abgrenzung Das Gericht entscheidet über die Anträge anhand des in der Akte befindlichen Verfahrens- 78 stoffs. Die Beteiligten müssen, u.U. auch um zu erkennen, inwieweit weiterer Vortrag geboten ist, diese Entscheidungsgrundlage kennen können (s.a. § 357 Abs. 1 ZPO). Ihr Informationsrecht ist Ausdruck ihres Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)285 und des Grundsatzes der Parteiöffentlichkeit.286 Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes verbietet Geheimverfahren.287 Das Einsichtsrecht wird ergänzt durch das Recht auf Abschriften etc. (§ 299 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Das Recht der informellen Selbstbestimmung288 und der gebotene Datenschutz beinhalten aber auch, dass nicht jedwede Dritte ohne Einwilligung der Parteien die Akten einsehen und Kenntnis von ihrem Inhalt nehmen dürfen. Ihr Einsichtsrecht ist von einem rechtlichen Interesse und einer Abwägung abhängig (§ 299 Abs. 2 ZPO). § 299 Abs. 3 ZPO nimmt auf § 298 ZPO Bezug und regelt die Einsicht in elektronische Akten. Für weggelegte Akten s. § 299a ZPO. Dem Restrukturierungsbeauftragten ist – wie dem Insolvenzverwalter im Insolvenz- 79 verfahren289 – Akteneinsicht zu gewähren. Die so erlangte Informationsbasis ist unabdingbar, um die Kontrollfunktion sachgemäß erfüllen zu können. Entsprechendes gilt für den Sachverständigen als Gehilfen des Gerichts (vgl. § 404a Abs. 1, § 407a Abs. 4 ZPO).290 Soweit Behörden i.R.d. Amtshilfe (und nicht in der Rolle als Planbetroffene) Akteneinsicht 80 verlangen, z.B. Sozialversicherungsträger, auf die Ansprüche von Versicherten gem. § 116 Abs. 1 SGB X übergegangen sind, kann eine vom Vorstand des Gerichts zu treffende, nach §§ 23 ff. EGGVG anfechtbare Entscheidung nicht allein auf Art. 35 Abs. 1 GG gestützt werden,291 sondern muss sie einfachgesetzlich geregelt sein,292 was gerade durch § 299 Abs. 2 ZPO umgesetzt ist.293 Der Eingriff in das informelle Selbstbestimmungsgesetz muss verhältnismäßig i.w.S. sein. Jedenfalls wenn in den Bereich der innersten Privatsphäre (beachte Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) eingegriffen wird und die aktenkundigen Informationen auf eine dem Amtsermittlungsgrundsatz folgende Aufklärungstätigkeit zurückgehen, muss die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebotes sorgsam geprüft werden.294 Stets muss im Hinblick 285 286 287 288 289 290

291

292 293 294

Vgl. BVerfG v. 13.4.2010 − 1 BvR 3515/08, NVwZ 2010, 954, 955. Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 1; Zipperer, NZI 2002, 255, 251. Zipperer, NZI 2002, 244, 251. BGH v. 10.4.2007 – I ZB 15/06, GRUR 2007, 628, 629 = MDR 2007, 1088. Vgl. Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 4 InsO Rz. 44; Schmerbach in FK/InsO, § 4 InsO Rz. 102; Sternal in Kayser/Thole, § 4 InsO Rz. 13; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 59. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 63 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 59; zum Insolvenzverfahren Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 4 InsO Rz. 46; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 67; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Rz. 314. A.A. OLG Brandenburg v. 8.2.2007 – 1 Ws 209/06; OLG Düsseldorf v. 9.5.2008 – 3 VA 4/08; OLG Naumburg v. 28.4.2009 – 1 Ws 92/09; KG v. 20.5.2014 – 1 VA 7/14, MDR 2014, 983; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 4 InsO Rz. 45; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 69 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schmerbach in FK/InsO, § 4 InsO Rz. 87; Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 42; Gerhardt in Jaeger, § 4 InsO Rz. 40; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 66; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 299 ZPO Rz. 20; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 68; Huber in Musielak/Voit, § 299 ZPO Rz. 3; Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 26; Greger in Zöller, § 299 ZPO Rz. 8; Zipperer, NZI 2002, 244, 245; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Rz. 329. BVerfG v. 2.12.2014 – 1 BvR 3106/09, NJW 2015, 610 Rz. 31 = MDR 2015, 171; s. auch OLG Düsseldorf v. 6.10.2015 – I- 3 VA 2/09, juris Rz. 16. Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 37 (Stand: 1.7.2022); Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 1; Thole in Stein/Jonas, § 299 ZPO Rz. 22, 38 f. BVerfG v. 15.1.1970 – 1 BvR 13/68, NJW 1970, 555 f.; OLG Hamm v. 7.10.2008 – 15 VA 7-9/08, NJW-RR 2009, 420, 421 = MDR 2009, 451.

Deppenkemper | 639

§ 38 Rz. 80 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung auf § 299 Abs. 1 ZPO ein nach § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO um Akteneinsicht ersuchendes Gericht die jeweiligen Vor- und Nachteile bei der Verwirklichung der verschiedenen betroffenen Rechtsgüter in ihrer Gesamtheit abwägen.295 Die Übertragung personenbezogener Daten v.A. w. richtet sich nach §§ 12 ff. EGGVG sowie nach der AO über Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi). 81 Nicht unmittelbar anwendbar ist § 299 ZPO für Anfragen auf Auskünfte aus den Akten oder

über die Anhängigkeit von Verfahren. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen der Justizverwaltung, für die § 299 Abs. 2 ZPO entsprechend gilt.296 Da es außerhalb der Öffentlichen Restrukturierungssachen (§§ 84 ff. StaRUG) – seit 17.7.2022 ist das Restrukturierungsportal (www.restrukturierungsbekanntmachung.de) freigeschaltet (§ 41 Rz. 4) – bewusst keine öffentliche Bekanntmachung gibt, sind solche Anfragen grds. zurückhaltend und unter Prüfung, ob ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht ist (Rz. 102), zu beantworten.297 Das gilt auch für Behörden, die mit Hinweis auf angefragte Amtshilfe (s. Rz. 80) Informationen anfragen. Sie haben für die erforderliche Abwägung konkret darzulegen, warum die Auskunft für die Ausübung ihrer hoheitlichen Tätigkeit erforderlich ist.298

82 Die Anfrage auf Überlassung einer anonymisierten Entscheidung ist kein Fall der Aktenein-

sicht i.S.v. § 299 ZPO,299 sondern eine Auskunftsbitte eigener Art, der als Teil der öffentlichen Aufgabe der Gerichte, Entscheidungen zu veröffentlichen, außerhalb eines förmlichen Akteneinsichtsverfahrens entsprochen werden kann.300 Es besteht unabhängig von der Veröffentlichungswürdigkeit eine grds. Pflicht301 zur Kenntnisgabe zum Zwecke der Veröffentlichung302 und noch über diesen Zweck hinaus303 auch in sonstigen Fällen.304 Auch in Restrukturierungssachen müssen für den Bürger Möglichkeiten und Aussichten eines Individualrechtsschutzes annähernd vorhersehbar sein, was ohne ausreichende Publizität der Rechtsprechung nicht möglich ist.305 Das Restrukturierungsverfahren ist jedoch, wenn kein öffentliches Verfahren gewählt ist (§§ 84 ff. StaRUG), von Vertraulichkeit geprägt und lebt von ihr.306 Dem Grund-

295 Vgl. BVerfG v. 6.3.2014 – 1 BvR 3541/13, NJW 2014, 1581 Rz. 22 ff.: zum Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gem. Art. 12 Abs. 1 GG. 296 OLG Frankfurt v. 6.12.1991 – 20 VA 13/91, Rpfleger 1992, 267; OLG Brandenburg v. 7.8.2001 – 11 VA 21/01, NJW-RR 2001, 1630; Greger in Zöller, § 299 ZPO Rz. 1. 297 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 41; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 80. 298 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 81. 299 BGH v. 25.3.2021 – IX AR (VZ) 1/19, ZIP 2021, 1173 Rz. 13 = MDR 2021, 837; OLG München v. 20.12.2021 – 8 U 6063/21, WM 2022, 174. 175; Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 32; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 82. 300 BGH v. 5.4.2017 – IV AR (VZ) 2/16, NJW 2017, 1819 Rz. 13 ff.; OLG Karlsruhe v. 7.10.2021 – 18 UF 4/21, FGPrax 2022, 96; OLG Karlsruhe v. 22.12.2020 – 6 VA 24/20, GRUR-RS 2020, 37423 Rz. 28; Vogelgesang/Schneider, jM 2021, 314, 316. 301 BGH v. 25.3.2021 – IX AR (VZ) 1/19, ZIP 2021, 1173 Rz. 15 = MDR 2021, 837 302 BVerfG v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15, NJW 2015, 3708 Rz. 16 mit Rz. 22; OLG Karlsruhe v. 22.12.2020 – 6 VA 24/20, GRUR-RS 2020, 37423 Rz. 28 f. 303 BGH v. 5.4.2017 – IV AR (VZ) 2/16, NJW 2017, 1819 Rz. 16: Teil der öffentlichen Aufgabe der Gerichte; BVerwG v. 26.2.1997 – 6 C 3/96, NJW 1997, 2694, 2695 = ZIP 1997, 1253; OLG Frankfurt v. 19.9.2019 – 20 VA 21/17, GRUR-RR 2020, 64 Rz. 84; OLG Karlsruhe v. 30.1.2019 – 6 VA 89/18, juris Rz. 24; einschränkend zum wissenschaftlichen Interesse BayObLG v. 6.12.2021 – 101 VA 106/21, juris Rz. 40 ff.; Haarmeyer, ZInsO, 2019, 1352, 1354 ff.; zur Kontrollfunktion Stackmann, NJW 2010, 1409, 1411 f. 304 Vgl. Thole in Stein/Jonas, § 299 ZPO Rz. 67 ff. 305 So zum Insolvenzverfahren BGH v. 25.3.2021 – IX AR (VZ) 1/19, ZIP 2021, 1173 Rz. 14 = MDR 2021, 837; BGH v. 5.4.2017 – IV AR (VZ) 2/16, NJW 2017, 1819 Rz. 16. 306 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 179: „zur Vermeidung negativer Publizitätseffekte“; zur Sanierungsmoderation BT-Drucks. 19/24181, S. 94: „in einem vertraulich geführten Verfahren“.

640 | Deppenkemper

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 84 § 38

satz der Öffentlichkeit kommt im Rahmen der erforderlichen Abwägung kein Gewicht zu.307 Die weitreichenden Angaben, die der Anzeige beizufügen sind (§ 31 Abs. 2 StaRUG), beruhen auf dem Restrukturierungszweck, aber dienen nicht dazu, eine Information der Öffentlichkeit zu ermöglichen. Sie sind besonders schützenswert. Daher wird hier in besonderer Weise darauf geachtet werden müssen, dass etwa Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse durch Schwärzung von Urteilspassagen, die über die übliche Anonymisierung hinsichtlich persönlicher Angaben und Umstände hinausgeht (Rz. 85), unkenntlich gemacht werden.308 Im äußersten Fall kann dem Geheimnisinteresse durch einen Ausschluss der Weitergabe von Abschriften – und dann auch der sonstigen Veröffentlichung – Rechnung getragen werden.309 Werden Kopien oder Ausdrucke gerichtlicher Entscheidungen für Zwecke verlangt, deren Verfolgung überwiegend im öffentlichen Interesse liegt, kann von der Erhebung der Gebühr (Rz. 108) nach § 11 Abs. 1 Abs. 2 Nr. 1 JVKostG abgesehen werden. Eine sehbehinderte Person kann von der nach § 1 Abs. 3 ZMV verpflichtete Stelle – im Ver- 83 fahren vom Gericht – gem. § 191a Abs. 1 Satz 1 GVG nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 191a Abs. 2 GVG verlangen (§ 4 Abs. 1 ZMV), dass ihr die für sie bestimmten gerichtlichen Dokumente auch in einer für sie wahrnehmbaren, nach § 6 Satz 1 ZMV wählbaren Form zugänglich gemacht werden (z.B. in Blindenschrift), soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verfahren erforderlich ist. Das gilt nicht, wenn der an sich Berechtigte durch einen Rechtsanwalt vertreten wird und der Streitstoff so übersichtlich ist, dass er dem Berechtigten durch seinen Rechtsanwalt grds. gut vermittelbar ist.310 b) Gegenstand Zur Verfahrensakte als der beim Gericht (nicht: beim Restrukturierungsbeauftragten oder In- 84 solvenzverwalter311 oder Gerichtsvollzieher) selbst bzgl. des konkreten Restrukturierungsverfahrens angelegten gesamten Akte gehören insbesondere alle eingereichten Schriftsätze312 und die Protokolle, jeweils nebst Anlagen, Beiakten des eigenen Gerichts, die Urschriften der Beschlüsse und Verfügungen (nicht aber deren Entwürfe, § 299 Abs. 4 ZPO), amtliche Schriftstücke wie dienstliche Äußerungen und Selbstanzeigen i.R.d. Befangenheitsprüfung (§ 44 Abs. 3, § 48 ZPO), Zustellungsurkunden, Verfahrensvollmachten (§ 80 ZPO), im Verfahren erstelle Gutachten z.B. des Sachverständigen sowie die vom Restrukturierungsbeauftragten geführten Akten, soweit sich diese beim Restrukturierungsgericht befinden.313 Die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts kann nach § 541 Abs. 2, § 565 ZPO in Form einer beglaubigten Abschrift den Prozessakten beigefügt sein. Das Einsichtsrecht bezieht sich dann nur auf diese Abschrift, nicht auf die Entscheidungsurschrift.314 Per Telefaxkopie eingereichte Schriftsätze gehören erst zu den Akten, wenn sie gem. § 3 AktO mit der Akte vereinigt worden sind.

307 BGH v. 25.3.2021 – IX AR (VZ) 1/19, ZIP 2021, 1173 Rz. 25: zum Insolvenzverfahren. 308 Zum Schutz der Privatsphäre in Kindschaftssachen OLG Karlsruhe v. 19.9.2019 – 20 VA 21/17, FGPrax 2022, 96 (mit Hinw. auf § 170 Abs. 1 Satz 1 GVG); zum Insolvenzverfahren BGH v. 25.3.2021 – IX AR (VZ) 1/19, ZIP 2021, 1173 Rz. 20 ff. = MDR 2021, 837; OLG Frankfurt v. 19.9.2019 – 20 VA 21/17, GRUR-RR 2020, 64 Rz. 117. 309 BGH v. 25.3.2021 – IX AR (VZ) 1/19, ZIP 2021, 1173 Rz. 28 = MDR 2021, 837; BGH v. 5.4.2017 – IV AR (VZ) 2/16, NJW 2017, 1819 Rz. 18: je zum Insolvenzverfahren. 310 BGH v. 10.1.2013 – I ZB 70/12, MDR 2013, 483 Rz. 8. 311 Gerhardt in Jaeger, § 4 InsO Rz. 40; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 58. 312 BGH v. 14.1.2020 – X ZR 33/19, MDR 2020, 688 Rz. 15. 313 Vgl. zu den Akten des Insolvenzverwalters im Insolvenzverfahren BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 56/19, ZIP 2020, 1138 Rz. 6 = GmbHR 2020, 828 = MDR 2020, 819 = DB 2020, 1287; BayObLG v. 2.9.2021 – 101 VA 100/21, NZI 2021, 1078 Rz. 38; OLG Düsseldorf v. 25.2.2021 – 3 VA 14/19, NZI 2021, 508 Rz. 23; Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 4. 314 BGH v. 17.9.2009 – IX ZR 164/07, juris Rz. 1.

Deppenkemper | 641

§ 38 Rz. 85 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung 85 Das Einsichtsrecht umfasst die gesamten Akten und darf den Beteiligten nicht generell im

Hinblick auf zu wahrende Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse315 verwehrt werden.316 Einem berechtigten Geheimhaltungsinteresse kann außerhalb von § 16 GeschGehG im Einzelfall durch den Ausschluss der Öffentlichkeit gem. § 172 Nr. 2 GVG und die Verpflichtung zur Verschwiegenheit gem. § 174 Abs. 3 GVG Rechnung getragen werden.317 Eine Partei kann zunächst nur eine teilgeschwärzte Fassung der bestimmter Unterlagen einreichen oder eine vollständige Fassung einreichen und hierbei ausdrücklich den Vorbehalt erklären, dass diese anderen Beteiligten nur unter bestimmten Voraussetzungen wie etwa Anordnung geeigneter Geheimhaltungsmaßnahmen zugänglich gemacht werden sollen.318 Wenn dann der Vorbehalt nicht aufgehoben wird und das Gericht deswegen von einer Weitergabe an den Gegner absieht, werden diese Unterlagen nicht zum Bestandteil der Prozessakten. Das Gericht sollte sie zurücksenden.319 Sie dürfen nicht bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.320

86 Grds. keine Einsicht wird in die Aktenteile gewährt, in denen im VKH- Verfahren (§§ 114 ff.

ZPO) der Antragsteller zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Angaben macht.321 Nicht zur Akte gehören Gegenstände des Augenscheins oder der Begutachtung (§ 144 Abs. 1 Satz 2 ZPO), mit Ausnahme der Verfahrensvollmacht von den Beteiligten vorgelegte Beweisurkunden (§ 142 ZPO),322 von Zeugen oder Sachverständigen vorgelegte Hilfsakten. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet es aber, dass die Unterlagen nur verwertet werden dürfen, wenn die Beteiligten sie einsehen konnten. Im Ergebnis besteht daher in der Praxis das Einsichtsrecht analog § 299 Abs. 1 ZPO in Originalurkunden, soweit diese im Prozess verwendet werden.323 Entsprechendes gilt auch – auch wegen § 357 ZPO – für Augenscheinsobjekte wie Lichtbilder, soweit sie zur Entscheidungsgrundlage werden können, z.B. in Verbindung mit einem Sachverständigengutachten.

87 Vom Recht auf Einsicht nicht erfasst sind Entwürfe und Vorentwürfe zu gerichtlichen Ent-

scheidungen (§ 299 Abs. 4 ZPO). Diese und die sonst in § 299 Abs. 4 ZPO genannten Schriftstücke sind nur innere Vorgänge des Gerichts. Entsprechendes gilt für von Referendaren für das Gericht gefertigte Gutachten oder sonstige Aufzeichnungen, die der Richter im Rahmen seiner Entscheidungsfindung für sich anfertigt.324 Insoweit besteht auch kein Recht der Partei-

315 Zur Definition BVerfG v. 14.3.2006 – 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03, WM 2006, 880, 881; OLG Karlsruhe v. 30.1.2019 – 6 VA 89/18, BeckRS 2019, 1553 Rz. 53. 316 BGH v. 9.12.2015 – IV ZR 272/15, VersR 2016, 177 Rz. 18 = MDR 2016, 228. 317 BGH v. 9.12.2015 – IV ZR 272/15, VersR 2016, 177 Rz. 8 = MDR 2016, 228; KG v. 10.11.2020 – 6 W 1029/20, VersR 2021, 1318; OLG Karlsruhe v. 29.6.2020 – 12 W 5/20, VersR 2020, 1439, 1443 (je zu Berechnungsgrundlagen im Prozess über Prämienerhöhungen in der privaten Krankenversicherung); Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 9a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 318 BGH v. 14.1.2020 – X ZR 33/19, MDR 2020, 688 Rz. 19 f. 319 BFH v. 28.2.2020 – X B 100/19, BB 2020, 1700 Rz. 34. 320 BGH v. 14.10.2020 – IV ZB 8/20, WM 2021, 705 Rz. 18 = MDR 2021, 52 = MDR, 2020, 688 Rz. 18–20. 321 Vgl. § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO; BGH v. 17.12.2020 – IX ZA 16/20, juris Rz. 6 f., BGH v. 29.4.2015 – XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827 Rz. 18; OLG Frankfurt v. 13.11.2015 – 4 WF 198/15; OLG Schleswig v. 9.6.2016 – 10 VA 3/16; zum Fall, dass ein materiell- rechtlicher Auskunftsanspruch besteht, bejahend OLG Hamm v. 12.3.2020 – 15 VA 50/19, NJW 2020, 3181 Rz. 15 ff.; a.A. BayObLG v. 3.12.2019 – 1 VA 101/19 Rz. 2 f. 322 Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 8 (Stand: 1.7.2022). 323 OLG Schleswig v. 17.10.2006 – 7 W 39/06, SchlHA 2008, 27. Vertreten wird eine entsprechende Anwendung von § 299 ZPO, vgl. OLG Dresden v. 21.12.2021 – 4 W 890/21, juris Rz. 4; OLG Dresden v. 28.6.2021 – 4 W 685/20, MDR 2021, 1266; OLG Brandenburg v. 29.6.2021 – 12 W 20/21, BeckRS 2021, 24808 Rz. 11; OLG Karlsruhe v. 19.9.2012 – 13 W 90/12, NJW-RR 2013, 312. 324 OLG Frankfurt v. 22.12.2006 – 7 W 77/06, NJW 2007, 928 = MDR 2007, 544.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 91 § 38

en zur Stellungnahme. Gerichtsinterne Aufzeichnungen, die versehentlich zu den Akten kommen, werden dadurch nicht Aktenbestandteil.325 Nicht zu den Prozessakten gehören beigezogene Akten aus anderen gerichtlichen oder be- 88 hördlichen Verfahren.326 Eine Einsicht scheidet aus, wenn die überlassende Behörde ihr widersprochen hat.327 I.d.R. liegt in der einschränkungslosen Übersendung das Einverständnis der Behörde bzw. des anderen Gerichts.328 Die übersendende Behörde kann die Einsicht der Prozessparteien in die übersandte Akte teilweise oder ganz beschränken.329 Diese Entscheidung der aktenführenden Stelle ist für die beiziehende Stelle bindend.330 Gegenstände dürfen aber wegen des Rechts auf rechtliches Gehör der Parteien nur zur Entscheidungsfindung herangezogen werden, wenn die Parteien sie zur Kenntnis nehmen konnten.331 Enthalten beigezogenen Akten Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse (vgl. Rz. 85), ist nach dem „Doppeltürmodell“ abzuwägen, ob Informationen aus den beigezogenen Akten verwertet werden können, wobei die jeweiligen Vor- und Nachteile bei der Verwirklichung der verschiedenen betroffenen Rechtsgüter in ihrer Gesamtheit einzubeziehen sind.332 Nicht zu den Akten gehören ferner sonstige, nicht bei den Akten befindliche Unterlagen des 89 Schuldners wie etwa seine Geschäftsbücher.333 Entsprechendes gilt – vergleichbar den Protokollen des Gläubigerausschusses im Insolvenzverfahren334 – zu Protokollen des Gläubigerbeirat,335 der den Schuldner unterstützt und überwacht (§ 93 Abs. 3 Satz 1 StaRUG), ihm Hinweise erteilt und vom Schuldner laufend unterrichtet wird.336 Die Mitglieder unterliegend (wie ein Mitglied im Gläubigerausschuss)337 der Verschwiegenheitspflicht.338 Gelangen die Protokolle zur Akte, bedarf eine Einsicht in sie besonderer Begründung.339 c) Akteneinsichtsrecht der Beteiligten (§ 299 Abs. 1 ZPO) Berechtigte sind (bis zum Verfahrensabschluss, Rz. 92) die Beteiligten.340

90

Das ist ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache (§ 31 Abs. 1, 3 StaRUG) bis zu ihrer 91 Aufhebung (§ 31 Abs. 4 StaRUG) jedenfalls der Schuldner und seine Bevollmächtigte (§ 79, 325 326 327 328 329 330 331 332 333 334 335 336 337 338 339 340

Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 5. BGH v. 14.1.2020 – X ZR 33/19, MDR 2020, 688 Rz. 15. BGH v. 18.10.1951 - IV ZR 152/50, NJW 1952, 305, 306. OLG Frankfurt v. 23.9.2019 – 20 VA 21/18, WuW 2020, 45, 47; Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 11 (Stand: 1.7.2022); Thole in Stein/Jonas, § 299 ZPO Rz. 48. BGH v. 18.10.1951 - IV ZR 152/50, NJW 1952, 305, 306. OLG Frankfurt v. 21.9.2021 – 20 VA 14/18, juris Rz. 31. BVerfG v. 6.3.2014 – 1 BvR 3541/13, NJW 2014, 1581 Rz. 29; BGH v. 19.7.2018 – V ZB 223/17, NVwZ-RR 2019, 122 Rz. 8; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 299 ZPO Rz. 6. BVerfG v. 6.3.2014 – 1 BvR 3541/13, NJW 2014, 1581 Rz. 25 ff.; Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 11a (Stand: 1.7.2022). OLG Düsseldorf v. 25.2.2021 – I-3 VA 14/19, ZIP 2021, 701, 702; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 4 InsO Rz. 50; Gerhardt in Jaeger, § 4 InsO Rz. 27: je zum Insolvenzverfahren. Schmerbach in FK/InsO, § 4 InsO Rz. 72; Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 29. Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 38. Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 93 StaRUG Rz. 20; Hirte in Braun, § 93 StaRUG Rz. 11; SchulteKaubrügger in HambKomm/RestruktR, § 93 StaRUG Rz. 6 ff.; Riedemann in Pannen/Riedemann/ Smid, § 93 StaRUG Rz. 51 ff.; Ahrens, NZI-Beilage 2021, 57, 59. Zur Haftung bei Verletzung von Verschwiegenheitspflichten Schmid-Burgk in MünchKomm/InsO, § 71 InsO Rz. 5; Knof in Uhlenbruck, § 71 InsO Rz. 5. Mock in BeckOK/StaRUG, § 93 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Ahrens, NZI-Beilage 2021, 57, 59. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 69. Zum Insolvenzverfahren BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 56/19, ZIP 2020, 1138 Rz. 5 = GmbHR 2020, 828 = MDR 2020, 819 = DB 2020, 1287.

Deppenkemper | 643

§ 38 Rz. 91 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung § 83 Abs. 2 ZPO),341 mithin im Fall der Restrukturierung einer Gesellschaft die Gesellschaft selbst, nicht aber eine nur am Schuldner beteiligte Personen.342 92 Berechtigt sind nach Stellung des ersten Instrumentenantrags (Rz. 93)343 grds. alle Planbetrof-

fenen (einschließlich betroffener Anteilsinhaber bzw. Mitglieder)344 i.S.v. § 7 Abs. 1 StaRUG,345 und zwar bezüglich der Akte des Restrukturierungsverfahrens insgesamt, nicht nur bezüglich einzelner Instrumentenanträge. Teils wird aus der Konzeption der modularen Verfahrenshilfen eingeschränkt, dass, führe das Gericht Sonderbände zu einzelnen Instrumentenverfahren, Verfahrensbeteiligte nur diejenigen seien, die insoweit beteiligt sind.346 Allerdings ist Konzeption des Gesetzes, dass die Verfahren zu einer Restrukturierungssache verklammert sind; ansonsten griffe nicht § 261 Abs. 3 ZPO (Rz. 68). Praktisch führte eine Aufspaltung der Akten nach den einzelnen Instrumenten zu vielfachen Dopplungen z.B. bezüglich des Restrukturierungskonzepts bzw. -plans. Auch bauen die Module weitgehend aufeinander auf, z.B. die Planbestätigung auf der Vorprüfung oder der gerichtlichen Planabstimmung.

93 Die Planbetroffenen sind – quasi wie der Antragsgegner im einstweiligen Verfügungsverfah-

ren347 – erst dann als Beteiligte anzusehen, wenn der Schuldner einen Instrumentenantrag gestellt hat.348 Das steht in gewisser Parallele dazu, dass nach überwiegender Ansicht im Insolvenzverfahren im Eröffnungsverfahren einem Gläubiger nur Akteneinsicht gewährt wird, wenn er selbst einen (Fremd)antrag gestellt hat.349 Zwingend ist die Parallele nicht, da sich das Restrukturierungsverfahren auch und gerade in der Phase zwischen Rechtshängigkeit und der Inanspruchnahme der Instrumente kaum als kontradiktorisch charakterisieren lässt. Allerdings setzt die Anzeige der Sache zum einen noch nicht voraus, dass ein Restrukturierungsplan vorliegt, so dass die Planbetroffenen noch gar nicht konkret feststehen, und kann zum anderen die Anzeige als solche – ohne Instrumentenantrag – keine unmittelbaren Auswirkungen auf die materiellen Rechte der potentiellen Planbetroffenen haben. Daher hält der Gesetzgeber eine nachgelagerte Zulässigkeitskontrolle erst bei Inanspruchnahme der Instrumente für ausreichend (§ 39 Rz. 10), so dass die Beteiligtenrolle der Planbetroffenen erst besteht, wenn das Gericht aufgrund des Instrumentenantrags die Zulässigkeit prüft und bejagt.350 Nur mittelbare Rechtswirkungen (wie sie sich auch im Eröffnungsverfahren etwa durch Anordnung von Sicherungsmitteln, §§ 21 f. InsO vorher ergeben können), rechtfertigen eine Betei341 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 63 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 342 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 56; zum Insolvenzverfahren s. BGH v. 15.10.2020 – IX AR (VZ) 2/19, ZIP 2020, 2519 Rz. 11 = MDR 2021, 124; a.A. Baumert in Braun, § 38 StaRUG Rz. 10. 343 Ohne diese Einschränkung und die auf planbetroffene Gläubiger Pannen in Pannen/Riedemann/ Smid, § 38 StaRUG Rz. 13. 344 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 63 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 38 StaRUG Rz. 10; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 56. 345 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 58; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2585. 346 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 63 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); a.A. wohl Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 69. 347 Im Einzelnen streitig, vgl. OLG Hamburg v. 1.11.2000 – 3 W 159/00, OLGR Hamburg 2001, 315; OLG Rostock v. 23.09.2010 – 3 W 159/10, MDR 2011, 384; Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 3; Thole in Stein/Jonas, § 299 ZPO Rz. 10; Greger in Zöller, § 299 ZPO Rz. 2. 348 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 63 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 57. 349 BGH v. 15.10.2020 – IX AR (VZ) 2/19, ZIP 2020, 2519 Rz. 11 = MDR 2021, 124; AG Göttingen v. 24.11.1999 − 71 N 57/98, NZI 2000, 89; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 4 InsO Rz. 46; Schmerbach in FK/InsO, § 4 InsO Rz. 63; Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 35; Gerhardt in Jaeger, § 4 InsO Rz. 22; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 59; Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 3; Thole in Stein/Jonas, § 299 ZPO Rz. 19; Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 26; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Rz. 309. 350 Vgl. zum Insolvenzverfahren Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 35; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 59.

644 | Deppenkemper

Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 96 § 38

ligtenrolle noch nicht. Das Einsichtsrecht nach § 299 Abs. 1 ZPO besteht bis zum Verfahrensabschluss.351 Dazu ist bei Planbetroffenen einheitlich auf die Aufhebung der Restrukturierungssache abzustellen (str.).352 Nach der Aufhebung richtet sich das Einsichtsrecht der Beteiligten nach § 299 Abs. 2 ZPO, da § 299 Abs. 1 ZPO der Verfahrensführung dient.353 Selbst im eröffneten Insolvenzverfahren sind nach vorherrschender Ansicht nicht alle Gläubi- 94 ger Beteiligte i.S.v. § 299 Abs. 1 ZPO,354 sondern nur diejenigen, die ihre Forderungen gem. § 174 InsO zur Insolvenztabelle angemeldet haben; für die anderen Gläubiger gelte § 299 Abs. 2 ZPO.355 Eine vergleichbare Einschränkung für Planbetroffene gibt es im Restrukturierungsverfahren, in dem ein Instrumentenantrag gestellt wurde, nicht.356 Hier liegt es gerade nicht in der Hand des Gläubigers, seine Stellung im Verfahren durch Forderungsanmeldung zu begründen,357 sondern wird er durch (sachgemäße) Auswahl des Schuldners Planbetroffener. Eine Sonderrolle nimmt die Stabilisierung ein, da sich die Stabilisierungsanordnung nach 95 Wahl des Schuldners gegen einzelne, mehrere oder (außerhalb der Grenzen des § 4 StaRUG) alle Gläubiger richten kann (§ 49 Abs. 2 Satz 2 StaRUG; § 49 Rz. 7).358 Insoweit ist ein Planbetroffener, gegen den sich die Stabilisierungsanordnung nicht richtet, kein Beteiligter, wenn kein weiteres Instrument beantragt ist. Die potentiell Planbetroffenen sind zu diesem Zeitpunkt auch nicht hinreichend bestimmbar, da der Antrag nach § 50 StaRUG nur die Adressaten der Stabilisierungsanordnung benennt (§ 50 Rz. 9) und selbst zum Zeitpunkt der Anordnung der Stabilisierungsanordnung noch nicht zwingend der Restrukturierungsplan vorliegen muss (vgl. § 51 Abs. 3 StaRUG).359 Wenn dann aber ein anderes Instrument beantragt wird, erstreckt sich das Einsichtsrecht des Planbetroffenen auch auf die Aktenteile zur Stabilisierungsanordnung; ansonsten, lehnt man ein Einsichtsrecht nach § 299 Abs. 1 ZPO ab, läge das rechtliche Interesse i.S.v. § 299 Abs. 2 ZPO (Rz. 103) auf der Hand (vgl. § 50 Abs. 2 StaRUG). Die durch die Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubiger, die keine Planbetroffenen sind, sind bis zur Aufhebung bzw. Beendigung nach § 59 StaRUG (nur) Beteiligte, soweit die Akten die Stabilisierungsanordnung betreffen.360 Ernannte Mitglieder des Gläubigerbeirates sind, auch wenn sie keine Planbetroffene sind 96 (§ 93 Abs. 1 Satz 3 StaRUG), schon wegen ihrer Prüfungspflicht (§ 93 Abs. 3 StaRUG) eben-

351 BGH v. 7.10.2021 – X ZB 14/20, GRUR 2021, 1555 Rz. 12 = MDR 2022, 53 = MDR 2022, 224 (Conrad); BGH v. 29.4.2015 – XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827 Rz. 11. 352 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 36; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 58. 353 Vgl. BGH v. 29.4.2015 – XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827 Rz. 11; OLG München v. 20.5.2009 – 9 VA 5/09 (zur gerichtlichen Mediationsakte); a.A. Thole in Stein/Jonas, § 299 ZPO Rz. 10. 354 So aber OLG Celle v. 5.1.2004 – 2 W 113/03, ZVI 2004, 114, 115 = ZIP 2004, 684; LG Karlsruhe v. 8.3.2004 – 11 T 90/04, ZInsO 2004, 690; Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 18.1 (Stand: 1.7.2022); Schmerbach in FK/InsO, § 4 InsO Rz. 69; Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 3; Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 29; wohl auch BGH v. 5.4.2006 – IV AR(VZ) 1/06, ZIP 2006, 1154 Rz. 16 = DB 2006, 1368. 355 BGH v. 7.12.2006 – IX ZB 1/04, ZIP 2007, 647 Rz. 7 = MDR 2007, 742; BayObLG v. 2.9.2021 – 101 VA 100/21, ZIP 2022, 233, 235; OLG Celle v. 19.1.2004 – 2 W 118/03, ZIP 2004, 370, 371; OLG Frankfurt v. 23.7.2008 - 20 VA 3/08, r+s 2008, 474; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 4 InsO Rz. 48; Baumert in Braun, § 4 InsO Rz. 49; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 63; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Rz. 310. 356 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 63 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 357 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 58. 358 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 154; Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 21 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, § 49 StaRUG Rz. 6 ff.; Schönefelder in Flöther, § 49 StaRUG Rz. 77 f. 359 Schönefelder in Flöther, § 51 StaRUG Rz. 28. 360 Wohl weitergehend Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 57.

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§ 38 Rz. 96 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung falls (wie Mitglieder des Gläubigerausschusses im Insolvenzverfahren)361 zur Einsicht nach § 299 Abs. 1 ZPO berechtigt.362 97 Keine Beteiligten i.S.v. § 299 Abs. 1 ZPO sind bloße Plangaranten363 oder sonstige mittelbare

Betroffene wie Arbeitnehmer des Schuldners. Für sie kommt Einsicht nach § 299 Abs. 2 ZPO in Betracht.364

98 Das Einsichtsrecht steht Beteiligten unabhängig von der Zustimmung der übrigen Beteilig-

ten,365 die auch nicht gefragt werden müssen,366 oder einem dazulegenden rechtlich geschütztes Interesse an der Akteneinsicht zu.367 Es kann ihnen auch nicht in Hinblick auf zu wahrende Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse verwehrt werden (Rz. 85).368

99 Eine Beschränkung ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn die Einsicht den Verfahrenszweck

gefährden würde, weil ein Missbrauch der aus der Akte gewonnenen Erkenntnisse im konkreten Einzelfall droht.369 Ein solcher Missbrauch liegt aber nicht schon darin, dass Forderungen auch nach Rechtshängigkeit der Sache abgetreten werden und neue Gläubiger am Verfahren beteiligt sind, etwa weil dann ein Gläubiger sein Akteneinsichtsrecht möglicherweise dazu nutzen will, Erkenntnisse über sonstige Gläubiger zu gewinnen, um diesen ein Angebot auf den Kauf ihrer Forderungen zu unterbreiten.370 Ein bestehendes Gläubigerinteresse lässt sich nicht dadurch relativieren, dass von ihm quasi ein nicht geschütztes rein wirtschaftliches Interesse abgespalten und in Hinblick (nur) auf dieses die Einsicht versagt wird.371 Der Beteiligte hat Zugang zur Akte unabhängig von seinen (gemutmaßten) Motiven und Interessen. Der Beteiligte unterliegt insoweit auch keinem Ausforschungsverbot.372

d) Einsichtsrecht Dritter (§ 299 Abs. 2 ZPO) 100 Dritter ist, wer nicht Berechtigter i.S.v. § 299 Abs. 1 ZPO ist (Rz. 90),373 also etwa Gläubiger,

die nicht Planbetroffene sind, oder Arbeitnehmer (vgl. § 4 StaRUG).374

361 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 4 InsO Rz. 47; Schmerbach in FK/InsO, § 4 InsO Rz. 71; Sternal in Kayser/Thole, § 4 InsO Rz. 14; Gerhardt in Jaeger, § 4 InsO Rz. 21; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 73; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Rz. 327. 362 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 60. 363 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 33. 364 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 64 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 61. 365 BGH v. 14.1.2020 – X ZR 33/19, MDR 2020, 688 Rz. 17. 366 Vgl. BGH v. 18.2.1998 – IV AR (VZ) 2/97, ZIP 1998, 961; LG München I v. 10.7.2020 – 14 T 10502/ 19, juris Rz. 33; Deppenkemper, EWiR 2020, 151. 367 BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 56/19, ZIP 2020, 1138 Rz. 7 = GmbHR 2020, 828 = MDR 2020, 819 = DB 2020, 1287; Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 17 (Stand: 1.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 62; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 57. 368 BGH v. 9.12.2015 – IV ZR 272/15, VersR 2016, 177 Rz. 18 = MDR 2016, 228; OLG Düsseldorf v. 15.4.2018 – I 2 W 8/18; OLG München v. 8.11.2004 – 29 W 2601/04, NJW 2005, 1130, 1131. 369 BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 56/19, ZIP 2020, 1138 Rz. 7 = GmbHR 2020, 828 = MDR 2020, 819 = DB 2020, 1287; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 62. 370 BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 56/19, ZIP 2020, 1138 Rz. 8 f. m. Anm. Palenker; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 62. 371 Vgl. BGH v. 5.4.2006 – IV AR(VZ) 1/06, ZIP 2006, 1154 Rz. 20 = DB 2006, 1368; Deppenkemper, LG München v. 9.9.2019 – 14 T 10502/19, EWiR 2020, 151, 152. 372 Vgl. LG München I v. 10.7.2020 – 14 T 10502/19, juris Rz. 53 ff. = ZInsO 2020, 1163 (zu DistressedDebt-Investoren); Palenker, ZIP 2020, 1109, 1111 f. 373 Vgl. zum Ganzen Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 62; Deppenkemper in Prütting/ Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 8. 374 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 64 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 103 § 38

Die Akteneinsicht wird zwar nicht zwingend,375 aber doch nach pflichtgemäßem Ermessen 101 i.d.R. gewährt, wenn der Schuldner und die anderen Verfahrensbeteiligten damit einverstanden sind.376 Wenn der Antrag nicht ohnehin abgelehnt werden soll, ist der Schuldner vor der Entscheidung im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren anzuhören, damit er sein Einverständnis, umgekehrt aber auch seine Ablehnung erklären und ggf. erläutern – z.B. Geheimhaltungsinteressen erklären377 – kann.378 Soweit möglich und zumutbar sind entsprechend die sonstigen Beteiligten zuvor zu hören. Ist der Schuldner bzw. andere Beteiligte nicht einverstanden, entscheidet der Vorstand des 102 Gerichts (bzw. der beauftragte Richter) nach pflichtgemäßem Ermessen, ob der Dritte sein rechtliches und nicht nur berechtigtes oder wirtschaftliches Interesse379 glaubhaft (§ 294 ZPO) gemacht hat und ob es im Einzelfall unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots ggü den Interessen der Parteien an Schutz ihrer Daten überwiegt.380 Zu beachten ist, dass der gebotene Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht übertrieben werden darf.381 Das Verfahren selbst oder zumindest dessen Gegenstand muss für die rechtlichen Belange des 103 Antragstellers von konkreter rechtlicher Bedeutung sein382 und er einen rechtlichen Bezug zum Gegenstand des konkreten Prozesses haben. Das Interesse muss sich unmittelbar aus der Rechtsordnung ergeben. Es setzt ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes, gegenwärtig bestehendes Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache voraus.383 Es liegt vor, wenn persönliche Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt auch nur mittelbar berührt werden können, sofern ein rechtlicher, nicht nur ein wirtschaftlicher, Bezug zu dem Streitstoff der einzusehenden Akte besteht. Insoweit genügen auch rechtlich begründete wirtschaftliche Interessen, sofern diese Interessen einen rechtlichen Bezug zum Streitstoff der Akten haben; es muss der Interessenkreis des jeweiligen Antragstellers durch das Verfahren konkret berührt werden, und zwar durch das Verfahren selbst oder wenigstens durch den diesem zugrunde liegenden Sachverhalt.384 Das rechtliche Interesse liegt daher i.d.R. vor, wenn die erstrebte Kenntnis vom Akteninhalt nicht nur als Auskunftsquelle

375 BayObLG v. 29.6.2022 – 102 VA 14/22, juris Rz. 22; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 299 ZPO Rz. 27; Thole in Stein/Jonas, § 299 ZPO Rz. 60. 376 A.A. Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2585: Nicht an der Restrukturierungssache beteiligte Personen hätten keinen Anspruch auf Akteneinsicht nach § 299 Abs. 2 ZPO, wenn es sich um eine nicht öffentliche Restrukturierungssache handelt. 377 BGH v. 5.4.2006 – IV AR(VZ) 1/06, ZIP 2006, 1154 = DB 2006, 1368; zu § 475 StPO BVerfG v. 26.10.2006 − 2 BvR 67/06, NJW 2007, 1052. 378 Vgl. BGH v. 18.2.1998 – IV AR (VZ) 2/97, ZIP 1998, 961, 962: mit Hinweis auf ein mögliches Geheimhaltungsinteresse; Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 35a (Stand: 1.7.2022); Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 49. 379 KG v. 9.2.1988 – 1 VA 5/87, NJW 1988, 1738 = MDR 1988, 590; Zuck, NJW 2010, 2913. 380 BayObLG v. 2.9.2021 – 101 VA 100/21, ZIP 2022, 233, 235 (insbesondere zum Geheimhaltungsinteresse); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 62. 381 Kritisch daher Schultz in Pape/Reichelt/Schultz/Voigt-Salus, InsR, § 12 Rz. 2, nach dem ein übertriebener Datenschutz im Insolvenzverfahren zu einem kaum noch vertretbaren Schuldnerschutz und damit zu einer wesentlichen Einschränkung der Gläubigerrechte führe. 382 BGH v. 15.10.2020 – IX AR (VZ) 2/19, ZIP 2020, 2519 Rz. 14 = MDR 2021, 124; BayObLG v. 2.9.2021 – 101 VA 100/21, ZIP 2022, 233, 235 (zur Einsicht des Insolvenzverwalters wegen §§ 129 ff. InsO); BayObLG v. 8.4.2020 – 1 VA 132/19, ZIP 2020, 978, 980. 383 BGH v. 5.4.2006 – IV AR(VZ) 1/06, ZIP 2006, 1154 Rz. 15 = DB 2006, 1368; BayObLG v. 14.10.2021 – 102 VA 66/21, ZIP 2021, 2496, 2497; BayObLG v. 12.9.2019 − 1 VA 86/19, ZIP 2020, 333, 334; OLG Düsseldorf v. 25.2.2021 – I-3 VA 14/19, ZIP 2021, 701 f.; OLG Stuttgart v. 11.1.2021 – 14 VA 15/20, ZIP 2021, 2098, 2100. 384 OLG Frankfurt, NZI 2010, 773, 774.

Deppenkemper | 647

§ 38 Rz. 103 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung in anderem rechtlichen Zusammenhang,385 sondern zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen, die mit dem Verfahrensgegenstand im Zusammenhang stehen, dient.386 Auch die erstrebte Feststellung, ob noch Vermögen, in das tatsächlich vollstreckt werden kann,387 bei der Schuldnerin vorhanden ist,388 oder dass der Streitstoff das der Vollstreckung unterliegende Vermögen des Schuldners betrifft, begründet das rechtliche Interesse.389 Das KG390 lässt es sogar ausreichen, dass ein Gläubiger aus der Akte die Anschrift des Schuldners, die er zur Vollstreckung benötigt, ermitteln will.391 Das ist gläubigerfreundlich, aber zweifelhaft. Denn für das rechtliche Interesse ist es nicht ausreichend, dass der Dritte durch die Akteneinsicht Informationen erfahren („ausforschen“) will, die es ihm bloß erleichtern, einen Anspruch geltend zu machen oder abzuwehren, der in keinem rechtlichen Bezug zu dem Streitstoff steht.392 Bloße wirtschaftliche oder gesellschaftliche Interessen oder bloßes Interesse am Verfahrensgeschehen reichen nicht aus.393 Auch allein der Umstand, dass ein Sachverständiger in einem Prozess gutachterlich tätig war oder dass ein Rechtsuchender eine ähnliche eigene Sache betreibt, gibt ihm entgegen der h.M.394 kein rechtliches Interesse i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO, das zur Akteneinsicht berechtigt; i.d.R. wird die Überlassung einer Entscheidungsabschrift ausreichen (Rz. 82). Das rechtliche Interesse muss nicht bewiesen (§ 286 Abs. 1 ZPO), sondern nur glaubhaft gemacht sein (§ 294 ZPO). 104 Ist das rechtliche Interesse z.B. durch Vorlage eines vollstreckbaren Urteils gegen den Schuld-

ner oder einer Mahnung glaubhaft gemacht, sind die berechtigten Interessen des Dritten mit den (eigenen)395 Interessen des anzuhörenden (Rz. 101) widersprechenden Verfahrensbeteiligten abzuwägen.396 Dabei berührt das Restrukturierungsverfahren als schutzwürdige Interessen nicht nur die Interessen des Schuldners, sondern die Interessen aller Beteiligten des Verfahrens, etwa der Gläubiger, des Insolvenzverwalters oder der Mitglieder des Gläubigerausschusses. Schutzwürdig sind vor allem Daten, die als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (s. Rz. 85) einzustufen sind.397 Aber auch, dass der Einsichtnehmende durch die Einsicht in die Akte Informationen über geschützte personen- oder unternehmensbezogene Daten Verfahrensbeteiligter erlangen kann, steht ihrer Bewilligung nicht generell entgegen, da eine Beschränkung

385 BayObLG v. 12.9.2019 – 1 VA 86/19, ZIP 2020, 333, 335. 386 BGH v. 15.10.2020 – IX AR (VZ) 2/19, ZIP 2020, 2519 Rz. 18 = MDR 2021, 124; BGH v. 5.4.2006 – IV AR(VZ) 1/06, ZIP 2006, 1154 Rz. 22 = DB 2006, 1368; OLG Frankfurt v. 23.7.2008 − 20 VA 3/08, r+s 2008, 474; s. zur Partei, die Verfahrensverstöße vermutet, OLG Köln v. 3.6.2019 – 7 VA 7/19, juris Rz. 13. 387 BayObLG v. 24.10.2019 – 1 VA 92/19, NZI 2020, 44 Rz. 39; einschränkend OLG Bremen v. 5.4.2022 – 1 VA 4/21, NZI 2022, 666 Rz. 16. 388 BGH v. 5.4.2006 – IV AR(VZ) 1/06, ZIP 2006, 1154 Rz. 16 = DB 2006, 1368; zur Einsicht in die Zwangsverwaltungsakte LG Dortmund v. 16.2.2011 – 1 T 105/10, juris Rz. 4. 389 KG v. 19.3.2008 – 1 VA 12-25/07, NJW 2008, 1748; s. auch OLG Hamm v. 8.8.2014 – I- 15 VA 8/14: zur Einsicht in Akten des Vollstreckungsgerichts; zu Parallelverfahren vgl. OLG Braunschweig v. 26.11.2014 – 2 VA 3/14, juris Rz. 36 ff. 390 KG v. 19.3.2008 – 1 VA 12-25/07, NJW 2008, 1748. 391 So auch OLG Brandenburg, JurBüro 2005, 434, 436; a.A. OLG München, bei: BGH v. 19.11.2008 – IV AR [VZ] 1/08, BeckRS 2008, 25837 Rz. 5. 392 OLG Köln v. 23.7.2007 – 7 VA 1/07, OLGR Köln 2008, 191; OLG Hamburg v. 19.5.2008 – 2 VA 3/ 08, ZIP 2008, 1834; OLG Frankfurt v. 29.5.2008 – 20 VA 5/08, NZI 2008, 618, 619: zu Neugläubigern im Insolvenzverfahren; LG München v. 25.3.2021 – 11 O 17663/20, ZIP 2021, 915, 916 f. 393 BayObLG v. 6.12.2021 – 101 VA 106/21, BeckRS 2021, 42226 Rz. 31. 394 Prütting in MünchKomm/ZPO, § 299 ZPO Rz. 22; Assmann in Wieczorek/Schütze, § 299 ZPO Rz. 38. 395 BGH v. 14.2.2018 – X ZR 110/17, GRUR 2018, 444 Rz. 7. 396 Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 9. 397 So BGH v. 25.3.2021 – IX AR (VZ) 1/19, ZIP 2021, 1173 Rz. 22 = MDR 2021, 837 zum Insolvenzverfahren; ähnlich BayObLG v. 2.9.2021 – 101 VA 100/21, ZIP 2022, 233, 236.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 106 § 38

des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots hinzunehmen ist398 und ansonsten das Einsichtsinteresse dritter Personen leer liefe.399 Vielmehr sind umso höhere Anforderungen an das Gewicht des Einsichtsinteresses zu stellen, je größer das Schutzbedürfnis der Beteiligten ist; umgekehrt gilt das Entsprechende.400 Dabei ist (auch bei Einsichtsverlangen nichtplanbetroffener Gläubiger) einzupreisen, dass der Schuldner im Restrukturierungsverfahren detaillierten Einblick in seine Unternehmensdaten geben muss (vgl. § 31 Abs. 2 StaRUG) und der Gesetzgeber401 das Verfahren bewusst (entgegen § 169 Satz 1 GVG) nicht als ein öffentliches ausgestaltet hat.402 Ggf. kann die Einsicht auf Aktenteile beschränkt oder sensible Informationen geschwärzt werden (vgl. Rz. 85).403 Der Antrag auf Überlassung einer anonymisierten Entscheidungsabschrift fällt nicht unter § 299 StaRUG (Rz. 82). Zur Dokumentenpauschale vgl. KV 2001 JVKostG. Ist das rechtliche Interesse nicht glaubhaft, sollte jedwede Antwort, die Rückschlüsse auf ein 105 laufendes oder aufgehobenes Verfahren erlaubt, unterbleiben, der Anfragende schlicht auf die gesetzlichen Voraussetzungen der Auskunft oder Akteneinsicht verwiesen und zunächst nur unter Setzung einer Stellungnahmefrist mitgeteilt werden, dass diese Voraussetzungen derzeit nicht vorliegen.404 e) Verfahren Es ist kein förmlicher Antrag erforderlich.405 Erkennt der Berechtigte, dass das Gericht seinen 106 Antrag auf Akteneinsicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung unberücksichtigt lässt, darf er nicht untätig bleiben, sondern muss rügen und dem Gericht Gelegenheit geben, zu dem Versäumnis Stellung zu nehmen und den Antrag zu bescheiden.406 In den Grenzen des Missbrauchs kann Akteneinsicht auch mehrfach verlangt werden. Über die Akteneinsicht eines (noch) Beteiligten nach § 299 Abs. 1 ZPO und die Erteilung von Ausfertigungen, Auszügen und Abschriften an ihn entscheidet grds. die Geschäftsstelle des Gerichts, bei dem der Rechtsstreit anhängig ist.407 Lediglich die Ermessensentscheidung, ob die Akten an einen anderen Ort versendet werden, obliegt dem Vorsitzenden.408 Über Gesuche nach § 299 Abs. 2

398 BGH v. 10.4.2007 – I ZB 15/06, GRUR 2007, 628 Rz. 14 = MDR 2007, 1088. 399 BGH v. 5.4.2006 – IV AR(VZ) 1/06, ZIP 2006, 1154 Rz. 23 = DB 2006, 1368; BayObLG v. 2.9.2021 – 101 VA 100/21, ZIP 2022, 233, 236; Schl.-Holst. OLG v. 8.8.2008 – 12 Va 1/08, MDR 2008, 1243, 1244. 400 So BayObLG v. 2.9.2021 – 101 VA 100/21, ZIP 2022, 233, 236: zum Insolvenzverfahren; s. ferner AG Hamburg v. 15.11.2021 – 11 C 75/21, ZIP 2022, 435, 438; Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 32 (Stand: 1.7.2022). 401 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 179: Restrukturierungen würden zur Vermeidung negativer Publizitätseffekte vornehmlich in vertraulichem Rahmen durchgeführt werden. 402 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 64. 403 BayObLG v. 2.9.2021 – 101 VA 100/21, ZIP 2022, 233, 236: zum Insolvenzverfahren; Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 9. 404 Ein Muster (zum Insolvenzverfahren) geben Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Rz. 319. 405 OLG Köln v. 4.6.1986 – 2 W 77/86, NJW-RR 1986, 1124, 1125 = MDR 1986, 858. 406 BVerfG v. 13.4.2010 − 1 BvR 3515/08, NVwZ 2010, 954, 956. 407 Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 45; Gerhardt in Jaeger, § 4 InsO Rz. 37; Greger in Zöller, § 299 ZPO Rz. 4a; wohl auch OLG Köln v. 14.1.2022 – 7 VA 20/21, juris Rz. 10; a.A. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 68: über Akteneinsichtsgesuche habe grundsätzlich der Richter zu entscheiden; ähnlich zum Insolvenzverfahren BGH v. 29.11.2019 – IX ZB 56/19, ZVI 2020, 99 Rz. 9 (m. Hinw. auf § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG); Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 4 InsO Rz. 52; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 69; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Rz. 333: Akteneinsicht sei durch den Richter oder den Rechtspfleger als Rechtsprechungsorgan zu gewähren. 408 Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 23 (Stand: 1.7.2022); Greger in Zöller, § 299 ZPO Rz. 4a.

Deppenkemper | 649

§ 38 Rz. 106 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung ZPO entscheidet der Gerichtsvorstand,409 der in der Praxis zulässiger Weise410 i.d.R. die Möglichkeit nutzt, die Entscheidung auf den Abteilungsleiter oder besser noch auf den sachbearbeitenden Richter zu delegieren.411 107 Die Einsicht darf nicht verweigert werden, weil Aktenteile nach Auffassung des Gerichts keine

Bedeutung hätten.412 Die Einsicht wird dem Berechtigten im Gericht, i.d.R. in der Geschäftsstelle,413 zu deren Geschäftszeiten gewährt.414 Der Zeitraum kann nach pflichtgemäßem Ermessen näher bestimmt werden. Ein Anspruch auf Versendung an einen anderen Ort, z.B. in die Kanzlei415 oder die Wohnung eines Beteiligten, besteht nicht.416 Ersucht der Einsichtsberechtigte um eine vom Gesetz nicht vorgesehene Art des Zugangs, ist hierüber nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden417: Während im Zivilprozess bei bevollmächtigten Anwälten der Vorsitzende i.d.R. nach pflichtgemäßem Ermessen418 die Versendung der Akte zur Einsicht in die Kanzlei bewilligt, wenn nicht ausnahmsweise Gründe entgegenstehen (z.B. gerichtsbekannte Unzuverlässigkeit des Anwalts, Verlustgefahr einer unentbehrlichen Akte, unverhältnismäßige Verzögerung des Geschäftsgangs), gilt das bei Papierakten in laufenden Restrukturierungssachen nicht, da diese Akten i.d.R. laufend bei Gericht benötigt werden.419 Sie können nur auf der Geschäftsstelle eingesehen werden.420 Es bleibt die Übersendung von Abschriften,421 wenn dadurch das Restrukturierungsgericht nicht überlastet wird.422 Nach Aufhebung der Sache wird eine Übersendung der Akte eher denkbar sein.423 Um die Verlustgefahr zu minimieren kann die Akte auch an die Geschäftsstelle des beim Antragsteller örtlich zuständigen AG gesendet und dort die Einsicht ermöglicht werden.424 Mit zunehmender Etablierung der elektronischen Akte wird diese Problematik obsolet.

108 Die Akteneinsicht ist grds. kostenfrei; ebenso die Übermittlung von Schriftsätzen nebst Anla-

gen. Die Aktenversendung, also Übersendung von Dokumenten oder Anlagen, die nach Einsichtnahme an das Gericht zurückzusenden sind, kostet 12,– Euro (vgl. KV Nr. 9003 GKG

409 Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 35 (Stand: 1.7.2022); Prütting in MünchKomm/ZPO, § 299 ZPO Rz. 24; Greger in Zöller, § 299 ZPO Rz. 6; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Rz. 334. 410 BayObLG v. 14.2.2022 – 102 VA 153/21, juris Rz. 20. 411 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 68; s. auch Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 51. 412 BVerfG v. 13.4.2010 – 1 BvR 3515/08, NVwZ 2010, 954, 956. 413 BGH v. 12.12.1960 – III ZR 191/59, NJW 1961, 559. 414 Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 6. 415 OLG Brandburg v. 9.3.2007 – 7 W 18/07, NJW-RR 2008, 512. 416 BGH v. 12.12.1960 – III ZR 191/59, NJW 1961, 559; OLG Düsseldorf v. 3.6.2008 – 24 W 31/08, MDR 2008, 1060; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 299 ZPO Rz. 11; zu § 78 FGO BFH v. 14.7.2022 – IV B 66/21, juris Rz. 28 ff. 417 Vgl. BGH v. 25.9.2019 – IV AR (VZ) 2/18, NJW 2019, 3307 Rz. 25 = MDR 2020, 54. 418 BGH v. 6.3.2012 – XI ZB 31/11, juris Rz. 9; vgl. OLG Celle v. 31.8.2006 – 4 W 151/06, ZIP 2007, 299: zur Versendung der Insolvenzakte. 419 Vgl. Gerhardt in Jaeger, § 4 InsO Rz. 33. 420 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 66 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. zum Insolvenzverfahren OLG Celle v. 19.1.2004 – 2 W 118/03, ZIP 2004, 370, 371 f.; OLG Hamm v. 17.3.1989 – 14 W 21/89, NJW 1990, 843, 844 = MDR 1990, 255; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 4 InsO Rz. 50; Schmerbach in FK/InsO, § 4 InsO Rz. 93; Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 46, 52; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 71; Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 33; Frege/ Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Rz. 335; Fuhst in Gogger/Fuhst, Insolvenzgläubiger Hdb., § 2 Rz. 95. 421 Vgl. Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 72. 422 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 70; zum Insolvenzverfahren OLG Celle v. 31.8.2006 – 4 W 151/06, ZIP 2007, 299, 300; Schmerbach in FK/InsO, § 4 InsO Rz. 94. 423 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 71. 424 Zum Insolvenzverfahren AG Göttingen v. 21.2.2002 – 74 IN 1/02, NZI 2002, 266; Schmerbach in FK/InsO, § 4 InsO Rz. 93; Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 46; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 71.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 111 § 38

bzw. § 14 Abs. 1 GNotKG mit Nr. 31003; zur elektronischer Übermittlung Rz. 112), wenn nicht schon die Gebühr nach KV Nr. 2115 vom Schuldner zu erheben ist. Auslagenschuldner gem. § 28 Abs. 2 GKG (§ 14 Abs. 1 JVKostG; § 26 Abs. 1 Satz 1 GNotKG) ist derjenige, der die Versendung unmittelbar veranlasst, also ggf. der mandatierte Anwalt, da die Übersendung seiner Arbeitserleichterung dient.425 Da die Pauschale nur Auslagen abdecken soll, schuldet er sie nicht, wenn er die Akten aus seinem Gerichtsfach abholen lässt und keine externen Kosten anfallen.426 Die Fälligkeit bestimmt § 9 Abs. 3 GKG (vgl. § 9 Abs. 2 GNotKG; § 7 JVKostG). Nach § 17 Abs. 2 GKG (§§ 13, 14 Abs. 2 GNotKG; § 8 Abs. 1 JVKostG) kann Vorschuss gefordert werden. Der Beteiligte, dem VKH bewilligt ist, ist freigestellt (§ 28 Abs. 3 GKG; vgl. § 26 Abs. 4 GNotKG). Rechtsbehelf gegen die Anforderung des Vorschusses ist Beschwerde nach § 67 GKG, gegen den Kostenansatz Erinnerung, Beschwerde und ggf. weitere Beschwerde nach § 66 GKG. Die Akteneinsicht als Tätigkeit des Anwalts ist durch die Geschäftsgebühr abgedeckt.427 f) Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften Solche, auch beglaubigte, hat die zuständige Geschäftsstelle auf Antrag eines Einsichtsberech- 109 tigten diesem zu erteilen.428 Für Originalurkunden gilt Entsprechendes gem. §§ 131, 133, 134 Abs. 2 ZPO (Rz. 86). Er muss dazu kein besonderes Interesse darlegen.429 Auch ist sein Recht nur durch die Grenze des Rechtsmissbrauchs dem Umfang nach beschränkt.430 Der Berechtigte, der keine VKH erhält, hat die Auslagen (z.B. Kopierkosten für die ersten 50 Seiten = 0,50,– Euro, für weitere 0,15,– Euro, vgl. Nr. 9000 KV GKG) zu tragen (§ 26 Abs. 1 GNotKG mit KV Nr. 31000 bzw. 32000).431 g) Einsicht in die elektronische Akte (§ 299 Abs. 3 ZPO) Wie in die papierene Prozessakte besteht in die elektronisch geführte (§ 298a ZPO) ein Recht 110 auf Akteneinsicht nach § 299 Abs. 1 und 2 ZPO. Erfasst sind auch papierene Dokumente, die nach § 298a Abs. 2 Satz 5 ZPO aufbewahrt werden, nicht aber Ausdrucke des Gerichts aus der Akte allein für sich. Problematisch bei der elektronischen Gerichtsakte ist, dass sie zahlreiche Metadaten enthält, 111 bzgl. der noch nicht im Einzelnen geklärt ist, ob sie dem Einsichtsrecht unterliegen.432 In Anlehnung daran, was bei der papierenen Akte überlassen werden muss, und der Relevanz der Daten für den Einsichtnehmenden sind erfasste elektronische Originale (als quasi bitgleiche Erstkopie des übermittelten Schreibens, die auf den für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts übermittelt worden ist),433 die durch Konvertierung der Originale erzeugten pdfRepräsentate, da quasi auf ihm Daten wie die Paginierung und Vermerke und Stempel auf-

425 BGH v. 6.4.2011 – IV ZR 232/08, NJW 2011, 3041, 3042 = MDR 2011, 758; Greger in Zöller, § 299 ZPO Rz. 9. 426 OLG Celle v. 16.2.2016 – 2 W 32/16, juris Rz. 13; OLG Nürnberg v. 23.11.2015 – 2 Ausl AR 16/15, juris Rz. 6 ff.; OLG Köln v. 16.10.2014 – 2 Ws 601/14, juris Rz. 11; Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 55.1. (Stand: 1.7.2022); Volpert in Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Gerichtskosten, 6. Aufl. 2021, Rz. 1152. 427 Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 63 (Stand: 1.7.2022). 428 BGH v. 6.3.2012 – XI ZB 31/11, juris Rz. 9. 429 Gerhardt in Jaeger, § 4 InsO Rz. 36. 430 Prütting in MünchKomm/ZPO, § 299 ZPO Rz. 13; enger BFH v. 17.10.2007 – VI B 138/06, BFH/NV 2008, 101. 431 Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 7. 432 Vogelgesang/Schneider, jM 2021, 314, 318. 433 Gomm in jurisPK/ERV, Band 1, Kapitel 6.2 Rz. 117.

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§ 38 Rz. 111 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung gebracht sein können,434 Signaturdateien, führende Strukturdatensätze, die ersetzend an die Stelle eines elektronischen Dokumentes treten, Metadaten mit nicht nur die ohnehin vorhandenen Daten beschreibend Inhalt, Information zur Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg, der Eingangszeitpunkt im Elektronischen Rechtsverkehr und ggf. der Inhalt einer Textnachricht im EGVP.435 Auch bei der elektronischen Akte gilt § 299 Abs. 4 ZPO, so dass etwa vorbereitende Arbeiten in Form von Entwürfen, aber auch justizinterne elektronische Notizzettel, Lesezeichen oder Markierungen, die als Komfortmerkmalen die Erschließung der Akte erleichtern,436 nicht Bestandteil der Akten werden.437 112 Über die Art der Einsicht entscheidet die Geschäftsstelle (§ 299 Abs. 3 Satz 1 ZPO).438 Sie

erfolgt grds. durch Bereitstellung des Inhalts der Akten (in Form eines Repräsentats) zum Abruf beim (bundesweiten) Akteneinsichtsportal,439 welches als einheitlicher Zugangskanal auf die dezentral auf den Länderservern bereitgestellten Akten fungiert. Dazu legt das Gericht zuvor – nach Bewilligung der Akteneinsicht – die elektronische Akte unter einer bestimmten ID auf einem eigenen Server ab. Der Akteneinsichtsberechtigte, der eine SAFE-ID hat, weil er im Verzeichnis SAFE (Secure Access to Federated e-Justice/e-Government) registriert ist, kann sich dann im Portal mit seiner SAFE-ID anmelden. Dort sieht er dann unmittelbar, welche EAkten für ihn (in strukturierter Form) bereitgestellt sind. Verfügt der Antragsteller nicht über eine SAFE-ID, legt ihm das Gericht eine solche temporär ausschließlich für die Akteneinsicht an und übermittelt ihm Benutzername und Passwort für die Anmeldung am Portal. Über die ID zur gespeicherten E- Akte kann der Antragsteller diese im PDF-Format aufrufen und ganz oder auch nur teilweise herunterladen, speichern und drucken.440 Über die Detailansicht kann er die Struktur der Akte anhand eines Aktenbaums überblicken und mittels der Metadaten des Strukturdatensatzes die Dokumente sortieren und filtern. Die bloße Einsicht in Akten, auch in den Diensträumen, ist gebührenfrei (vgl. Anm. 4 zu KV 9000 GKG). Für die Übermittlung fallen an Kosten nach KV 9000 Nr. 3 GKG, KV 2000 Nr. 2 JVKostG und KV 31000 Nr. 3 GNotKG 1,50,– Euro, maximal 5,– Euro pro Übermittlungsvorgang an.441 Alternativ kann gleichrangig442 die Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg erfolgen. So können z.B. gerade „dünne“ Akten unmittelbar aus der E-Akte an ein beA gesendet werden.

113 Da es daneben im Einzelfall möglich sein muss, dass Akteneinsicht ohne technische Vorrich-

tungen beim Einsichtnehmenden gewährt werden kann, ist auf besonderen Antrag nach § 299 Abs. 3 Satz 2 ZPO Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen zu gewähren.443 Ein besonderes Interesse muss dazu nicht dargelegt werden.444 Die Einsicht erfolgt durch kostenfreie Wiedergabe auf einem Bildschirm beim Gericht oder einem anderen Gericht oder einer Behörde,445 wobei zugleich eine Überprüfung der Signatur möglich ist. Nach § 299 Abs. 3 Satz 3 ZPO wird ein Aktenausdruck (ohne Transfervermerk i.S.v. § 298 Abs. 3 ZPO)446 oder Datenträger mit dem Inhalt nur bei begründetem berechtigten Interesse übermittelt.447 Der 434 435 436 437 438 439 440 441 442 443 444 445 446 447

Gomm in jurisPK/ERV, Band 1, Kapitel 6.2 Rz. 135. Gomm in jurisPK/ERV, § 299 ZPO Rz. 29. Vgl. Müller, NZS 2014, 929, 931. Gomm in jurisPK/ERV, Band 1, Kapitel 6.2 Rz. 157 und ZPO, § 299 ZPO Rz. 30–32. A.A. Assmann in Wieczorek/Schütze, § 299 ZPO Rz. 34. BT-Drucks. 18/9416, S. 78; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 73; Vogelgesang/Schneider, jM 2021, 314, 319; zum Portal als solchem Gomm in jurisPK/ERV, Band 1, Kapitel 5.2 Rz. 6 ff. Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 10. Bacher in BeckOK/ZPO, § 299 ZPO Rz. 57 (Stand: 1.7.2022). BT-Drucks. 19/27654, S. 40. Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 11. BT-Drucks. 18/9416, S. 78. Gomm in jurisPK/ERV, § 299 ZPO Rz. 29; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 74. A.A. Assmann in Wieczorek/Schütze, § 299 ZPO Rz. 27. Gomm in jurisPK/ERV, § 299 ZPO Rz. 46; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 75.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 117 § 38

Gesetzgeber nennt als Beispiel, dass der Antragsteller über keine technischen Möglichkeiten zur Wiedergabe elektronischer Dokumente verfügt und es ihm unzumutbar ist, zur Wiedergabe einen Dienstraum aufzusuchen.

Die Ergänzung in § 299 Abs. 3 Satz 4 ZPO ermöglicht es, anstelle des elektronischen Akten- 114 abrufs nach pflichtgemäßen Ermessen auch v.A.w. Einsicht in elektronische Akten auf der Geschäftsstelle zu gewähren oder aber einen Ausdruck bzw. einen Datenträger mit dem Inhalt der elektronischen Akten zu übermitteln.448 Wichtige Gründe, die dies ermöglichen, können etwa vorübergehende technische Probleme oder besonders hohe Sicherheitserfordernisse sein.449 Die bisherige Beschränkung des Online- Zugriffs auf eine freigeschaltete Akte auf Rechts- 115 anwälte ist entfallen; im Gegenteil wird die E- Akte über das Akteneinsichtsportal auch z.B. Sachverständigen, Referendaren oder Behörden verfügbar gemacht. Auch im Instanzweg wird die E- Akte über das Portal vorgelegt.450 h) Rechtsbehelfe Lehnt der Urkundsbeamte den Antrag eines Beteiligten nach § 299 Abs. 1 ZPO (Rz. 90) auf 116 Einsichtnahme oder Fertigung von Ausfertigungen ab, entscheidet darüber auf Erinnerung nach § 573 Abs. 1 ZPO das Restrukturierungsgericht, funktionell der Richter.451 Gegen die Versagung der Akteneinsicht besteht dann, da eine Prozesshandlung vorliegt,452 die sofortige Beschwerde (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO),453 nach h.M. aber nicht gegen die Ablehnung (nur) der Versendung der Akte (Rz. 107)454 und auch nicht gegen die Gewährung der Einsicht.455 Schließlich kann der Berechtigte die gerichtliche Endentscheidung selbst wegen Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) anfechten.456 Über Anträge Dritter nach § 299 Abs. 2 ZPO entscheidet während Anhängigkeit der Sache 117 der zuständige Richter,457 danach steht die Ermessensentscheidung dem Vorstand des Gerichts zu; i.d.R. ist sie an den Abteilungsleiter oder sachbearbeitenden Richter delegiert (Rz. 106).458 Gegen sie ist nicht die sofortige Beschwerde,459 sondern der Weg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet.460 Das gilt entsprechend für eine auf ein Amtshilfeersuchen (s. Rz. 80) eines

448 449 450 451 452 453

454 455 456 457 458 459 460

Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 12. BT-Drucks. 18/12203, S. 81; Vogelgesang/Schneider, jM 2021, 314, 317. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 76; Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 13. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 77. Lückemann in Zöller, § 23 EGGVG Rz. 4. BGH v. 29.11.2019 – IX ZB 56/19, ZVI 2020, 99 Rz. 9–11; BayObLG v. 14.2.2022 – 102 VA 153/21, juris Rz. 17; OLG Düsseldorf v. 25.2.2021 – 3 VA 14/19, NZI 2021, 508 Rz. 19; OLG Stuttgart v. 11.1.2021 – 14 VA 15/20, ZIP 2021, 2098, 2099 (dort mit der Konsequenz, dass bei einem unstatthaften Antrag nach § 23 EGGVG der § 299 Abs. 2 ZPO geprüft wurde). BGH v. 12.12.1960 – III ZR 191/59, NJW 1961, 559; OLG Koblenz v. 9.3.2015 – 11 WF 210/15 juris Rz. 9. OLG Karlsruhe v. 28.10.2020 – 6 W 35/20, MDR 2021, 447. Vgl. zum Ganzen Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 299 ZPO Rz. 14. BGH v. 6.12.1968 − RiZ (R) 8/68, NJW 1969, 1302, 1303: zur Erteilung von Auskünften aus den Gerichtsakten im Rahmen der Amtshilfe; a.A. OLG Köln v. 27.3.2015 – 7 VA 1/15, FamRZ 2015, 1926. OLG Frankfurt v. 22.4.2014 – 20 VA 2/14, juris Rz. 6: nach Abschluss der Rechtsmittelinstanz Vorstand des aktenführenden erstinstanzlichen Gerichts; Schmerbach in FK/InsO, § 4 InsO Rz. 100. OLG Stuttgart v. 11.1.2021 – 14 VA 15/20, ZIP 2021, 2098, 2099. BVerfG v. 2.12.2014 – 1 BvR 3106/09, NJW 2015, 610 Rz. 26 = MDR 2015, 171; BGH v. 29.4.2015 – XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827 Rz. 10; BayObLG v. 2.9.2021 – 101 VA 100/21, ZIP 2022, 233, 234 f.; BayObLG v. 8.4.2020 – 1 VA 132/19, ZIP 2020, 978, 979; 2020, 333, 334; Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 53; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 78.

Deppenkemper | 653

§ 38 Rz. 117 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung anderen Gerichts oder einer Behörde verfügte Aktenübersendung.461 § 28 Abs. 3 EGGVG eröffnet nur, die Ermessensentscheidung der Justizbehörde auf Ermessensfehler zu überprüfen. Wurde vom Gerichtsvorstand das Vorliegen des rechtlichen Interesses fehlerhaft verneint und daher noch keine Ermessenentscheidung getroffen, darf das Gericht nicht sein Ermessen an die Stelle des Gerichtsvorstands setzen, sondern muss diesen anweisen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.462 Nach Erledigung der Maßnahme durch Vollzug der Akteneinsicht kann das Gericht einen (Fortsetzungs-)Feststellungsantrag nach § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG aussprechen, dass die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist.463 Zudem ist die Dienstaufsichtsbeschwerde zulässig.

25. Beschluss (§§ 300 ff. ZPO) 118 Die Vorschriften, etwa § 319 ZPO zur Berichtigung464 und § 329 ZPO,465 gelten entspre-

chend.466 Beschlüsse werden den Beteiligten grundsätzlich in Abschrift zugestellt;467 Ausfertigungen werden nur auf Antrag und nur in Papierform und grundsätzlich ohne Gründe (§ 317 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 ZPO) erteilt (§ 329 Abs. 1 Satz 2, § 317 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO). Bei Beschlüssen in Form eines elektronischen Dokuments (§ 130b ZPO) wird das Original ausgedruckt, auf ihm der Ausfertigungsvermerk des Urkundsbeamten gesetzt und auf dieser Grundlage Ausfertigungen oder Abschriften etc. erteilt (§ 317 Abs. 3 ZPO).468 Ein Transfervermerks mit den Signaturinformationen nach § 298 Abs. 3 ZPO ist nicht (mehr) erforderlich.469

26. Versäumnisverfahren (§§ 330 ff. ZPO) 119 Wie im Insolvenzverfahren470 kommt eine auf Säumnis beruhende Entscheidung wegen des

Amtsermittlungsgrundsatzes auch im Restrukturierungsverfahren nicht in Betracht.471 Erfüllt der Schuldner seine Anzeige- und Antragsvoraussetzungen nicht oder erscheint er (schuldhaft) nicht zum bestimmten Termin, liegt eine Aufhebung nach § 31 StaRUG nahe.472

461 BVerfG v. 2.12.2014 – 1 BvR 3106/09, NJW 2015, 610 Rz. 20 = MDR 2015, 171; BGH v. 6.12.1968 – RiZ (R) 8/68, NJW 1969, 1302, 1303; OLG Düsseldorf v. 9.5.2008 – 3 VA 4/08, FamRZ 2008, 1871. 462 BGH v. 25.3.2021 – IX AR (VZ) 1/19, ZIP 2021, 1173 Rz. 17 = MDR 2021, 837; OLG Stuttgart v. 11.1.2021 – 14 VA 15/20, ZIP 2021, 2098, 2100; BayObLG v. 8.4.2020 – 1 VA 132/19, ZIP 2020, 978, 981; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 79. 463 OLG Karlsruhe v. 30.1.2019 – 6 VA 89/18, juris Rz. 27. 464 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 71 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2585; zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 79; Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 38. 465 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 76 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2585. 466 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 85. 467 Vgl. BGH v. 21.2.2019 – III ZR 115/18, WM 2019, 801 Rz. 10 f = MDR 2019, 481. 468 Elzer in BeckOK/ZPO, § 317 ZPO Rz. 36 f. (Stand: 1.7.2022); Feskorn in Zöller, § 317 ZPO Rz. 8. 469 BT-Drucks. 19/31119, S. 6; Musielak in Musielak/Voit, § 317 ZPO Rz. 9a. 470 Sternal in Kayser/Thole, § 4 InsO Rz. 26; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 16. 471 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 40 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 45; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 38 StaRUG Rz. 10. 472 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 40 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 45.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 123 § 38

27. Materielle Rechtskraft (§ 322 ZPO) Auch in Beschlussform ergehende Entscheidungen sind, wenn sie formell rechtskräftig gewor- 120 den sind, der materiellen Rechtskraft fähig.473 Das ist der Fall, wenn sie inhaltlich eine der Rechtskraft fähige Entscheidung enthalten.474 Die materielle Rechtskraft bewirkt dann, dass Gerichte und Beteiligte an die Entscheidung gebunden sind und über denselben Verfahrensgegenstand nicht mehr verhandeln dürfen (vorherrschende ne-bis-in-idem-Theorie).475 Die Rechtskraft ist insoweit eine negative Verfahrensvoraussetzung. Das gilt (wie im Insolvenzverfahren)476 auch im Restrukturierungsverfahren.477 Insbesondere ist der den Restrukturierungsplan bestätigende Beschluss (vgl. § 60 Abs. 1 121 Satz 1 StaRUG), aus dem vollstreckt werden kann (§ 71 Abs. 1 StaRUG), der materiellen Rechtskraft zugänglich. Ebenso entfaltet (wegen der materiellen Folgen und Wirkungen gem. §§ 54, 55 StaRUG) der Beschluss gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG über die Verwertungssperre478 und die Festsetzung des Vergütungsanspruchs des Restrukturierungsbeauftragten nach Beendigung des Amts (§ 82 StaRUG) und der Gläubigerbeiratsmitglieder materielle Rechtskraft,479 nicht aber die bloße Festsetzung der Stundensätze nach § 81 Abs. 4 Satz 1 StaRUG.480 So wie die Aufhebung des Verfahrens (§§ 200, 258 InsO)481 oder die Zurückweisung des Eröff- 122 nungsantrags im Insolvenzverfahren482 hat auch der Beschluss, mit dem die Restrukturierungssache aufgehoben (§ 33 StaRUG) oder der Antrag auf Inanspruchnahme von Restrukturierungsinstrumenten (§ 29 Abs. 2 StaRUG) zurückgewiesen wird, keine materielle Rechtskraft.483

28. Beweisaufnahme (§§ 355 ff. ZPO) Wie im Insolvenzverfahren484 gelten die Vorschriften über die Beweisaufnahme entsprechend. 123 Im Zusammenhang mit dem Amtsermittlungsgrundsatz ist in § 39 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ausdrücklich normiert, dass das Gericht Zeugen- und Sachverständige vernehmen kann (s. im 473 BGH v. 17.10.1985 – III ZR 105/84, ZIP 1986, 319, 322 = MDR 1986, 651; OLG Brandenburg, v. 12.5.2021 – 4 U 100/20, BeckRS 2021, 12643 Rz. 21; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 73 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Gruber in BeckOK/ZPO, § 322 ZPO Rz. 4 (Stand: 1.7.2022); Völzmann-Stickelbrock in Prütting/Gehrlein, § 322 ZPO Rz. 12. 474 BGH v. 13.7.2017 – I ZR 64/16, WM 2017, 2393 Rz. 13 = MDR 2018, 229; BGH v. 3.3.2004 – IV ZB 43/03, WM 2004, 841 = MDR 2004, 961; Vollkommer in Zöller, Vorbem. zu § 322 ZPO Rz. 8; Feskorn in Zöller, § 329 ZPO Rz. 50; s. auch Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 80a: „Materiell rechtskräftig werden auch insolvenzgerichtliche Beschlüsse, die bürgerlich-rechtliche Beziehungen unter Verfahrensbeteiligten regeln“. 475 BGH v. 22.2.2018 – VII ZR 253/16, WM 2018, 1282 Rz. 14 = MDR 2018, 594; Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 322 ZPO Rz. 9 ff., 13; Musielak in Musielak/Voit, § 322 ZPO Rz. 5; Althammer in Stein/Jonas, § 322 ZPO Rz. 18; Seiler in Thomas/Putzo, § 322 ZPO Rz. 7; Vollkommer in Zöller, Vorbem. zu § 322 ZPO Rz. 17. 476 Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 38. 477 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 86. 478 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 73 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 479 Zu den Ansprüchen des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses im Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 80a, 80 f. 480 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 87. 481 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 80d. 482 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 80c. 483 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 74 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 484 Vgl. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 4 InsO Rz. 18 (Stand: August 2013); Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 38.

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§ 38 Rz. 123 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung Einzelnen § 39 Rz. 26 ff.). Für eine angeordnete Beweisaufnahme gelten die §§§ 355 ff. ZPO entsprechend, wobei sich Modifikationen durch den Amtsermittlungsgrundsatz ergeben.485

29. Rechtsmittel (§§ 511 ff. ZPO) 124 Die sofortige Beschwerde als Rechtsmittel ist gesondert in § 40 StaRUG mit einigen Modifika-

tionen angesprochen (s. dort). Es kommen aber weitgehend die allgemeinen Vorschriften der ZPO zur Anwendung.486 Für die Rechtsbeschwerde gelten die §§ 574 ff. ZPO (§ 40 Rz. 60 ff.).487 Soweit Entscheidungen nicht restrukturierungsspezifischer Natur sind, greift das Enumerationsprinzip nicht (§ 40 Rz. 9) und sind die allgemeinen Rechtsbehelfe anwendbar (§ 40 Rz. 97).

30. Wiederaufnahme (§§ 578 ff. ZPO) 125 Die Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens sind im Restrukturierungsverfah-

ren auf unanfechtbar gewordene, streitentscheidende Beschlüsse entsprechend anwendbar.488 Das Wiederaufgreifen eines rechtskräftig abgeschlossenen Vergütungsfestsetzungsverfahrens wird von diesen Vorschriften aber nicht erfasst.489

31. Zwangsvollstreckung (§§ 704 ff. ZPO) 126 Die Vorschriften der ZPO über die Einzelzwangsvollstreckung sind zwar grundsätzlich nicht

unanwendbar,490 werden aber weitgehend nicht relevant.491 Wichtigster Anwendungsbereich ist die Vollstreckung aus dem Restrukturierungsplan (§ 71 Rz. 13 ff.).

IV. Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung (§ 38 Satz 2 StaRUG i.V.m. § 128a ZPO) 1. Grundlagen 127 Ausfluss der Bemühungen des Gesetzgebers, die Digitalisierung der Justiz492 zur Effizienzstei-

gerung und Verwaltungsvereinfachung des Verfahrens auszubauen,493 sind u.a. Vorgaben zum (teils verpflichtenden, § 130d ZPO) elektronischen Rechtsverkehr (ERV), die Einführung einer

485 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 78 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 86. 486 Vgl. zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 88. 487 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 79 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 488 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 80 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 90; zum Insolvenzverfahren BGH v. 7.12.2006 – IX ZB 257/05, ZIP 2007, 144 Rz. 5 = GmbHR 2007, 153; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 4 InsO Rz. 23 (Stand: August 2013); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 89; Pape in Uhlenbruck, § 4 InsO Rz. 38. 489 BGH v. 20.5.2010 – IX ZB 11/07, NZI 2010, 643 Rz. 6: zur Festsetzung der Vergütung des Insolvenzverwalters gem. § 64 Abs. 1 InsO i.V.m. InsVV; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 80 f. 490 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 83 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 491 Laroche in Flöther, § 38 StaRUG Rz. 2. 492 Vgl. die Übersicht bei Prütting in Prütting/Gehrlein, § 128a ZPO Rz. 2; Blankenburg, ZVI 2021, 462, 463 ff.; sowie über das Portal https://justiz.de/index.php die Informationen unter „Onlinedienste“. 493 BT-Drucks. 19/24181, S. 96.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 129 § 38

eAkte Justiz nebst Akteneinsichtsportal (Rz. 112) sowie die aufgrund der Coronaproblematik massiv vorangetriebene Ausstattung der Gerichte mit Visualisierungstechnik (Monitore, Kameras und Mikrofone). Diese muss so konzipiert sein, dass alle Beteiligten, egal, ob sie sich im Gerichtssaal oder an einem anderen Ort aufhalten, jederzeit (§ 128a Abs. 1 ZPO: „zeitgleich in Bild und Ton“)494 die anderen Beteiligten einschließlich des Richters sehen und hören können.495 Die erforderliche Technik ist inzwischen vielfach eingeführt, technisch erprobt und ermöglicht stabil Videokonferenzen, zu denen ausgewählte Teilnehmer (auch in Teilgruppen für vertrauliche interne Gespräche) zugeschaltet werden können. Nr. 9019 des KV zum GKG sieht eine Auslagenpauschale für die Inanspruchnahme von Videokonferenzverbindungen je Verfahren für jede angefangene halbe Stunde von 15,– Euro vor; in der Praxis wird daher der Zeitpunkt des Anfangs und Endes der Videokonferenz protokolliert.496 Gesetzliche Grundlage, die Anwesenheit und wirksame Verfahrenshandlungen im Termin 128 mittels Visualisierungstechnik zu ermöglichen, ist in der ZPO § 128a Abs. 1 Satz 1 ZPO. Danach kann auf Antrag, vor allem aber, was die Etablierung sehr förderte, von Amts wegen das Gericht den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. „Anderer Ort“ ist dabei weit zu verstehen und nicht etwa nur ein vom Gericht zur Verfügung gestellter Raum,497 solange eine ordnungsmäße und dem Wesen einer Gerichtsverhandlung angemessene mündliche Verhandlung durchgeführt wird.498 Für die praktische Relevanz ist entscheidend, dass die am anderen Ort mögliche Verfahrenshandlung solche jeder Art umfasst, mithin u.a. Anträge, Tatsachenbehauptungen und Rechtsausführungen, aber auch auf die Anhörung zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 141 ZPO).499 § 128a Abs. 2 ZPO erstreckt die Möglichkeit der elektronischen Anwesenheit auf Zeugen, Sachverständige oder Parteien, die sich für eine Vernehmung an einem anderen Ort aufhalten und nur über die Bildübertragung vernommen werden.500 Nach § 128a Abs. 3 Satz 1 ZPO wird die Übertragung nicht aufgezeichnet. Es gelten die allgemeinen Regelungen zur Protokollierung, §§ 160 ff. ZPO.501 Die Entscheidung über die elektronische Durchführung ist unanfechtbar (§ 128a Abs. 3 Satz 2 ZPO).502 Wurde beantragt, elektronisch teilnehmen zu können, hat die Entscheidung darüber rechtzeitig vor dem Termin zu erfolgen.503 Nach streitiger Diskussion, ob § 128a Abs. 1 ZPO auch (teil)virtuelle Gläubigerversammlun- 129 gen erlaubt,504 stellt seit 1.1.2021 § 4 Satz 2 InsO klar, dass § 128a ZPO bei Gläubigerver494 Ein Verstoß gegen § 128a ZPO dadurch, dass ein Prozessbevollmächtigter an der mündlichen Verhandlung aufgrund technischer Probleme lediglich durch Tonübertragung teilnimmt, kann gem. § 295 ZPO geheilt werden (OLG Saarbrücken, v. 15.7.2021 – 4 U 48/20, BeckRS 2021, 29631 Rz. 45). 495 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 94, 102; Greger in Zöller, § 128a ZPO Rz. 6; Windau, NJW 2020, 2753, 2754; Windau, AnwBl. 2021, 26. 496 Klasen in jurisPK/ERV, § 128a ZPO Rz. 15; Schlaak, JurBüro 2021, 171. 497 LAG Düsseldorf v. 12.3.2021 – 6 Sa 824/20, juris Rz. 22; Klasen in jurisPK/ERV, § 128a ZPO Rz. 9; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 97; Stadler in Musielak/Voit, § 128a ZPO Rz. 2; Prütting in Prütting/Gehrlein, § 128a ZPO Rz. 4; Kern in Stein/Jonas, § 128a ZPO Rz. 8, 22; Greger in Zöller, § 128a ZPO Rz. 4; Resch/Kübra Erden, jM 2022, 46, 48 f.; Trienekens/Höland/Welti, CR 2022, 64 Rz. 36; Windau, AnwBl. 2021, 26, 28. 498 BAG v. 21.9.2021 – 3 AZR 147/21, DB 2022, 201; LAG Düsseldorf v. 13.1.2021 – 12 Sa 453/20, juris Rz. 80; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 97. 499 Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 24; Fritsche in MünchKomm/ZPO, § 128a ZPO Rz. 8. 500 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 96. 501 Stadler in Musielak/Voit, § 128a ZPO Rz. 4. 502 Dazu von Selle in BeckOK/ZPO, § 128a ZPO Rz. 15 (Stand: 1.7.2022); Klasen in jurisPK/ERV, § 128a ZPO Rz. 12. 503 BSG v. 9.3.2022 – B 7/14 AS 333/21 B, juris Rz. 5. 504 Preuß, ZIP 2020, 1533, 1534.

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§ 38 Rz. 129 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung sammlungen sowie sonstigen Versammlungen und Terminen gilt.505 Zeitgleich wurde mit Inkrafttreten des StaRUG auch dort § 128a ZPO für anwendbar erklärt (§ 38 Satz 2 StaRUG).506 Demnach kann das Restrukturierungsgericht für Versammlungen und Termine, z.B. dem Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 45 StaRUG,507 von Amts wegen einzelnen oder allen Beteiligten gestatten, virtuell im Wege der Bild- und Tonübertragung teilzunehmen und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen (§ 38 Satz 2 StaRUG i.V.m. § 128a Abs. 1 ZPO).508 Anders, als im grundsätzlich öffentlichen Zivilprozess (§ 169 GVG), ist im Restrukturierungsverfahren in der Ladung ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass (gem. § 201 StGB strafbewehrt)509 keine Bild- und Tonaufzeichnungen wissentlich gefertigt werden dürfen und Dritten nicht die Möglichkeit verschafft werden darf, heimlich die Bild- und Tonübertragung zu verfolgen (§ 45 Rz. 18).510 Denn abgesehen von den öffentlichen Restrukturierungssachen (§§ 84 ff. StaRUG) ist das Restrukturierungsverfahren vertraulich und nichtöffentlich, was durch geeignete Maßnahmen, z.B. aktuelle Virenschutzprogramme, sicherzustellen ist.511 Ein Fehlen dieses Hinweises macht aber weder die Ladung unwirksam noch begründet es einen wesentlichen Verfahrensfehler i.S.v. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG.512 130 Der Gesetzgeber will den Planbetroffenen „zur Effektuierung“513 im privaten Abstimmungsver-

fahren (§§ 17 ff. StaRUG) ermöglichen, eine stärkere Teilnahmebereitschaft seitens der Planbetroffenen zu erreichen,514 da für diese regelmäßig eine elektronische Teilnahme weniger aufwendig ist, als eine körperliche am Versammlungsort. Das ist gerade bei ausländischen Gläubigern ein wichtiger Gesichtspunkt.515 Anders, als bei der privaten Versammlung nach §§ 20 f. StaRUG, können sich aber Probleme (z.B. sitzungspolizeiliche Maßnahmen) ergeben, wenn ein Gläubiger aus dem Ausland virtuell teilnimmt.516 Generell ist die Gerichtsgewalt des deutschen Gerichts auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Nach umstrittener, aber vorzugswürdiger Ansicht muss für eine elektronische Teilnahme nicht auf Rechtshilfe zurückgegriffen werden, sondern steht der Aufenthalt im EU-Ausland einer (freiwilligen) virtuellen Teilnahme nebst Ausübung der Rechte nicht entgegen (vgl. auch Art. 8 und Art. 9 Abs. 1 Satz 3 EuGFVO).517 Ein505 BT-Drucks. 19/24181, S. 191; vgl. Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 66; Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2442; Jungmann/Windau, NZI 2021, 849 f. 506 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 92; Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, § 2 Rz. 45; Weitbrecht/Wienberg in Reul/Heckschen/Wienberg, § 1 Rz. 162. 507 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 95. Bernsau/Beyer, ZInsO 2021, 2533, 2534, meinen dagegen, eine elektronische Teilnahme sehe § 45 StaRUG nicht vor und würde wahrscheinlich an der technischen Ausstattung der Restrukturierungsgerichte scheitern. 508 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 90 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 38 StaRUG Rz. 4; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 95; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 38 StaRUG Rz. 14; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2584. 509 BT-Drucks. 19/24181, S. 142 f.; Baumert in Braun, § 38 StaRUG Rz. 15. 510 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 99; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 38 StaRUG Rz. 2 f. 511 BT-Drucks. 19/24181, S. 143, Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 90 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2586; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2228. 512 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 90 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 38 StaRUG Rz. 6; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 108. 513 BT-Drucks. 19/24181, S. 3, 85 und 88. 514 BT-Drucks. 19/24181, S. 123; Pehl in Braun, § 20 StaRUG Rz. 14; Smid, DZWiR 2021, 119, 126; Harig/Stamme, ZIP 2021, 2105, 2107. 515 Klasen in jurisPK/ERV, § 128a ZPO Rz. 7, 14; Windau, jM 2021, 178; vgl. auch VG Freiburg v. 11.3.2022 – 10 K 4411/19, NJW 2022, 1761 Rz. 2. 516 Vgl. Blankenburg/Godzierz, ZInsO 2020, 1285, 1289; Frind, ZInsO 2020, 1743, 1749. 517 von Selle in BeckOK/ZPO, § 128a ZPO Rz. 16 (Stand: 1.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 106; Windau, jM 2021, 178, 179; Windau, NJW 2020, 2753, 2754; vgl. auch VG Freiburg v. 11.3.2022 – 10 K 4411/19, juris Rz. 2; a.A. Stadler in Musielak/Voit, § 128a ZPO Rz. 2; Kern in Stein/ Jonas, § 128a ZPO Rz. 35; Greger in Zöller, § 128a ZPO Rz. 10.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 133 § 38

schränkungen gelten für die Beteiligtenvernehmung (§ 141 ZPO) und insbesondere die Beweisaufnahme.518 Für die gerichtsferne, vom Schuldner organisierte und geleitete Planabstimmung nach §§ 17 ff. 131 StaRUG gilt (außerhalb des Sonderfalls der gerichtlichen Vorprüfung, § 29 Abs. 2 Nr. 2, § 47 f. StaRUG) § 38 Satz 2 StaRUG nicht. Daher ist für die Versammlung der Planbetroffenen zur Abstimmung in § 20 Abs. 2 StaRUG ausdrücklich klargestellt, dass der Schuldner eine elektronische Teilnahme gestatten kann.519 Will der Schuldner seinen Restrukturierungsplan im Rahmen einer Versammlung zur Abstimmung stellen (§ 20 Abs. 1 Satz 1 StaRUG), kann sein Angebot vorsehen, dass Planbetroffene auch ohne Anwesenheit an dem Versammlungsort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation, z.B. im Wege der Videokonferenz,520 ausüben können.521 Bei der privaten Abstimmungsversammlung ist, anders als bei der gerichtlichen Planabstimmung (§§ 45 f. StaRUG),522 sogar eine Stimmabgabe ohne Teilnahme an der Versammlung möglich (§ 20 Abs. 5 Satz 4 StaRUG).523

2. Einzelheiten a) Optionale Möglichkeit Wie zu § 128a ZPO gilt auch zu § 38 Satz 1 StaRUG, dass es sich um eine doppelte Option 132 handelt524: Zum einen ist den Gerichten erlaubt, die virtuelle Teilnahme des Schuldners, der Gläubiger 133 oder anderer Teilnahmeberechtigter zuzulassen, ohne dass es dazu verpflichtet wäre.525 Das Gericht entscheidet darüber nach pflichtgemäßen Ermessen.526 Es wird dabei neben der ganz praktischen Frage, ob die erforderliche Technik zur Verfügung steht527 und sichergestellt ist, dass allen Teilnehmern eine effektive Ausübung ihrer Rechte möglich ist, vor allem berücksichtigen, ob im Einzelfall den Datenschutz- und Datensicherheitsbelangen Rechnung getragen und eine effektive Leitung der Versammlung gewährleistet ist und die Identität und Teilnahmeberechtigung sowie die Stimmrechte hinreichend sicher geprüft werden kann.528 Bei seiner Entscheidung kann das Gericht in der Gruppe der Teilnahmeberechtigten, denen eine virtuelle Teilnahme erlaubt sein soll, nach pflichtgemäßen Ermessens differenzieren, wobei die Kriterien sachgerecht und ohne Diskriminierung gewählt sein müssen: Typische Kriterien sind nachgewiesene Einschränkungen der Reisefähigkeit oder eine besonders großer Entfer-

518 519 520 521 522 523 524 525

Windau, jM 2021, 178, 180 ff. Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 27. BT-Drucks. 19/24181, S. 123. Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 170. Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 148; Blankenburg in Morgen, § 45 StaRUG Rz. 9 f. Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 90 ff. Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 25. BT-Drucks. 19/24181, S. 191; Madaus in BeckOK/InsR, § 4 InsO Rz. 17 (Stand: 15.4.2022); Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 66. Im Einzelfall kann sich das Ermessen darauf reduzieren, eine virtuelle Teilnahme zu ermöglichen, vgl. BGH v. 22.7.2021 – I ZR 180/20, MDR 2021, 1409 Rz. 23: zur Zeugenaussage. 526 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 91 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); von Selle in BeckOK/ ZPO, § 128a ZPO Rz. 5 (Stand: 1.7.2022); Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 45; Klasen in jurisPK/ERV, § 128a ZPO Rz. 7; Semmelmann in Wolgast/ Grauer, § 38 StaRUG Rz. 14. 527 Vgl. AG Hamburg v. 4.3.2021 – 67g IN 137/20, juris Rz. 6. 528 BT-Drucks. 19/24181, S. 191 f.

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§ 38 Rz. 133 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung nung zum Versammlungsort.529 I.d.R. wird praxisgerechter sein, wenn, dann allen Beteiligten die virtuelle Teilnahme zu gestatten.530 Bei wenigen Berechtigten kann mit der Ladung (mit Hinweis nach § 38 Satz 2 StaRUG) mitgeteilt (und dann umgesetzt) werden, dass die elektronische Teilnahme zugelassen ist und die Einwahldaten für die Videokonferenz bis zu einem bestimmten Datum per beA (an Anwälte) bzw. per E-Mail, soweit die E-Mailadressen in der Akte bekannt sind,531 übersendet werden und ansonsten diese Daten aktiv angefragt werden. Bei einer Vielzahl von möglichen Teilnehmern, wie sie in Restrukturierungsachen durchaus denkbar ist, ist bei dieser Vorgehensweise allerdings für das Gericht kaum planbar, welche Raumgröße erforderlich ist und wie viele virtuell anwesende Teilnehmer im Blick zu behalten sein werden.532 Um vorab Anhaltspunkte zu haben und den Termin von einer langwierigen Prüfung der Zugangsberechtigung (Rz. 138) zu entlasten, kann mit der Ladung zunächst nur auf die Möglichkeit zur elektronischen Teilnahme hingewiesen und diese davon abhängig gemacht werden, dass der Interessierte einen Link zum Zugang anfordert.533 134 Zum anderen ist es den Teilnahmeberechtigten, denen eine virtuelle Anwesenheit gestattet

ist, erlaubt, dieses Mittel der Präsenz in der Versammlung oder im Termin zu nutzen, ohne dass sie darauf beschränkt wären. Ihnen steht weiterhin frei, statt virtuell teilzunehmen körperlich im Termin zu erscheinen.534 Das Gericht (und genauso der Schuldner bei der Abstimmungsversammlung oder Versammlung zur Erörterung, §§ 20 f. StaRUG)535 kann also nicht einen rein digitalen Termin bestimmen.536

b) Ladung 135 Sieht das Gericht eine elektronische Teilnahmemöglichkeit vor, muss es frühzeitig und klar die

Zugangswege, Legitimationsmöglichkeiten und Modalitäten der elektronischen Stimmabgabe den Beteiligten mitteilen, damit diese, wenn sie elektronisch teilnehmen möchten, die ihrerseits erforderlichen technischen Voraussetzungen schaffen können (analog § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 und 2 Buchst. b AktG). Gestattet das Restrukturierungsgericht eine Bild- und Tonübertragung, muss dies grds. bereits mit der Ladung erfolgen.537 Die Formulierung in § 38 Satz 2 StaRUG, dass die Hinweise zum Verbot wissentlicher Ton- und Bildaufzeichnungen und zu geforderten Sicherungen „in der Ladung“ erfolgen müsse (Rz. 129), meint dabei aber nur, dass die Hinweise in ihr enthalten sein sollen, wenn zu diesem Zeitpunkt die virtuelle Teilnahme gestattet ist. Sie schließt nicht aus, dass die Gestattung, z.B. auf Antrag, (noch hinreichend früh) erst nach Ladung zum Präsenstermin erfolgt. Dann muss der Hinweis mit der Gestattung 529 530 531 532 533 534

535 536

537

BT-Drucks. 19/24181, S. 192. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 98. Vgl. LG Köln v. 17.3.2021 – 28 O 303/20, BeckRS 2021, 5483. Diese Schwierigkeit betont Frind, NZI 2020, 865, 866; Frind, ZInsO 2020, 1743, 1748. Nach Utsch in Nerlich/Römermann, § 38 StaRUG Rz. 7, sei „eine Begrenzung der virtuellen Teilnehmerzahl zwangsläufig notwendig“. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 100. BT-Drucks. 19/24181, S. 192; Madaus in BeckOK/InsR, § 4 InsO Rz. 19 (Stand: 15.4.2022); Rüther in HambKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 69; Mantz/Spoenle, MDR 2020, 637 Rz. 13; Windau, AnwBl. 2021, 26; für den zukünftigen Ausschluss hybrider Modelle Jungmann/Windau, NZI 2021, 849, 855; auch Körber, NJW 2021, 1072 Rz. 3, der eine Gesetzesänderung dahingehend vorschlägt, dass Gerichte gegenüber Anwälten eine Teilnahme per Video verpflichtend anordnen können; zutreffend ablehnend Müller/Windau, DRiZ 2021, 332, 335. Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 27. OLG Celle v. 4.1.2022 – 17 WF 230/21, FF 2022, 121 Rz. 15; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 93, 109; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 38 StaRUG Rz. 47; Blankenburg/Godzierz, ZInsO 2020, 1285, 1289 f.; Preuß, ZIP 2020, 1533, 1534; a.A. Eckert/Ippen, ZInsO 2020, 1105, 1107; Pleister/Palenker, ZRI 2020, 245, 248 f. Greger in Zöller, § 128a ZPO Rz. 4.

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Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung | Rz. 139 § 38

erfolgen. Eine gesonderte Angabe, an welchem Ort sich der Beteiligte zur Videokonferenz einzufinden habe, bedarf es in der Ladung nicht.538 Wie bei einer Präsenzteilnahme müssen gewisse Wartezeiten und angemessene Zeit für den Termin selbst einkalkuliert werden.539 Unnötige Verzögerungen ergeben sich, wenn Berechtigte aus technischen Gründen nicht (ord- 136 nungsgemäß) teilnehmen können, zumal nicht immer sofort klar sein wird, was die Ursache ist (vgl. Rz. 139). Es empfiehl sich daher, der Ladung ein Informationsblatt mit technischen Hinweisen beizulegen und darauf hinzuweisen, dass gem. § 128a Abs. 1 ZPO die virtuell Anwesenden in Bild- und Ton übertragen werden müssen, mithin eine Mikrophon- und Kameraübertragung erfolgen muss.540 Sinnvoll ist, vor dem Termin einen Test anzubieten. c) Überprüfung der Teilnahmeberechtigung Termine sind nur beteiligten-öffentlich. Der Inhalte der Versammlung darf daher Personen, 137 die nicht teilnahmeberechtigt sind, grundsätzlich nicht zugänglich gemacht werden. Es empfiehlt sich ein ausdrücklicher Hinweis auf den durch § 201 StGB strafbewehrten Grundsatz der Nichtöffentlichkeit. Darauf ist bei einer gerichtlichen541 (teil)virtuellen Versammlung (§ 38 Satz 2 StaRUG) besonders hinzuweisen.542 Im Termin muss die Identität und Vollmacht und damit die Legitimation der Teilnehmer 138 zuverlässig feststehen, zumal die Stimmabgabe nicht ein Dokument mit qualifizierter elektronischer Signatur voraussetzt. Denkbar ist, bei einem größeren Teilnehmerkreis die Identifizierung im Wege einer Registrierung über Login-Maske unter Verwendung zuvor mit der Ladung übersendeten Zugangscodes (PIN) vorzunehmen.543 Bei einer kleinen Anzahl Beteiligter kann bei einer wechselseitigen Bild-und-Ton-Übertragung die Übersendung des Links, mittels dessen sich der Planbetroffene in die Video-Konferenz einloggen kann, und die persönliche Identifikation zu Beginn des Termins, ggf. unter Vorzeigen des Personalausweises über die Kamera, genügen.544 Denkbar ist auch, den Beteiligten zunächst nur den Zugang zu einem vorgeschalteten virtuellen Raum („Lobby“) zu ermöglichen und hier die Teilnahmeberechtigung zu überprüfen.545 Bei Messengerdiensten, die an bestimmte Mobilgeräte geknüpft sind, oder bei einer E-Mail, die ebenfalls nur dem Berechtigten zugänglich ist, ist es ausreichend, dass die Telefonnummer oder E-Mail-Adresse dem Planbetroffenen z.B. aufgrund vorheriger Kontakte zugeordnet werden kann bzw. der Zugangs-Link an diese Adresse übertragen worden war. Ist mittels der eingesetzten Software eine Identifikation über Bild oder Besitz (Telefon, E-MailAdresse) nicht möglich, kann die Legitimation anhand eines zuvor kommunizierten individuellen, nur dem jeweiligen Planbetroffenen zuzuordnenden Passwortes erfolgen.546 d) Störungen

Ihre Rechte können die Beteiligten elektronisch nur wahrnehmen, wenn der angekündigte elek- 139 tronische Zugang auch tatsächlich funktioniert. Insoweit liegt in der Verantwortung des Gerichts, die angekündigten technischen Voraussetzungen zu schaffen, dass alle auf dem eröffneten elektronischen Wege teilnehmenden Planbetroffenen durchgängig alle wesentlichen Vorgänge 538 539 540 541 542 543 544

A.A. Prütting in Prütting/Gehrlein, § 128a ZPO Rz. 7. OLG Hamburg v. 20.05.2022 – 7 W 57/22, NJW-RR 2022, 1073. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 101. Auch insoweit zu weitgehend BFH v. 12.5.2021 – IV R 31/18, BeckRS 2021, 18176 Rz. 8. Dazu BT-Drucks. 19/24181, S. 143. Vgl. Naumann in Flöther, Anhang E Rz. 26; Lissner, ZInsO 2020, 1101, 1102. Für die Gläubigerversammlung sind die Anforderungen streitig, vgl. beispielhaft Blankenburg/Godzierz, ZInsO 2020, 1285, 1287; Ecker/Ippen, ZInsO 2020, 1105, 1108; Preuß, ZIP 2020, 1533, 1537. 545 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 103. 546 Vgl. (zur privaten Versammlung) Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 67.

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§ 38 Rz. 139 | Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung der Verhandlung wahrnehmen und sich wie körperlich Anwesende äußern und auch mit anderen Teilnehmern kommunizieren können. Kann ein Beteiligter aufgrund einer technische Störungen im Verantwortungsbereich des Gerichts (z.B. Ausfall der Visualisierungstechnik, des Cloud-Dienstes oder des genutzten eigenen Netzwerks) nicht (mehr) an der Versammlung teilnehmen, liegt darin ein Verfahrensmangel.547 Es obliegt dem Gericht, ohne Rücksicht auf Verschulden zu veranlassen und zu überwachen, dass die Störung beseitigt wird. Ist absehbar, dass die Störung kurzfristig behoben werden kann, ist die Versammlung zu unterbrechen548 und die an sich elektronisch Teilnehmenden davon und der alsbald zu erwartenden Fortsetzung zu unterrichten (z.B. über Telefon). Sind nach der Störung nicht mehr alle zunächst elektronisch teilnehmenden Berechtigten eingeloggt, ist i.d.R. zu vertagen. Das Gericht dokumentiert bei Störungen die technischen Rahmenbedingungen. Konnten alle Beteiligten bis auf einen von ihnen durchgehend störungsfrei elektronisch teilnehmen, spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass die technische Ursache im Verantwortungsbereich des Beteiligten lag, der die Störung behauptet.549 140 Dagegen trifft das Gereicht keine Verantwortung für technische Störungen (z.B. Netzwerkausfall)

oder sonstige Zugangshindernisse (Verlust der Zugangsdaten) in der Sphäre des Planbetroffenen. Hat das Gericht über den eröffneten Zugangsweg (z.B. den Cloudanbieter) ordnungsgemäß informiert, liegt es im Verantwortungsbereich des Beteiligten, wenn sein Endgerät (z.B. aufgrund interner Sicherheitsrichtlinien) nicht kompatibel ist. Das gilt erst recht, wenn der Beteiligte sein Gerät oder die Cloud (z.B. Nutzung über den Webbrowser statt über eine zu installierende App) nicht rechtzeitig testet und dann nicht zu bedienen weiß. In engen Grenzen hat das Gericht aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes an Lösung solcher Probleme mitzuwirken, z.B. einen in einer Email enthaltenen, vom Planbetroffenen gelöschten Zugangslink nochmals zu übersenden.

§ 39 Verfahrensgrundsätze (1) 1Das Restrukturierungsgericht hat von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Verfahren in der Restrukturierungssache von Bedeutung sind, soweit in diesem Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. 2Es kann zu diesem Zweck insbesondere Zeugen und Sachverständige vernehmen. (2) Der Schuldner hat dem Restrukturierungsgericht die Auskünfte zu erteilen, die zur Entscheidung über seine Anträge erforderlich sind, und es auch sonst bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. (3) 1Die Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts können ohne mündliche Verhandlung ergehen. 2Findet eine mündliche Verhandlung statt, so ist § 227 Absatz 3 Satz 1 der Zivilprozessordnung nicht anzuwenden. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Normzweck und Anwendungsbereich . . II. Amtsermittlungsgrundsatz (§ 39 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 5 5

2. Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . a) Idee des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . b) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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547 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 107. 548 Zu § 128a ZPO Fritsche in MünchKomm/ZPO, § 128a ZPO Rz. 9. 549 Vgl. zur parallelen Frage bei der vom Schuldner organisierten privaten Abstimmung Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 69.

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Verfahrensgrundsätze | Rz. 5 § 39 4. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beweismaß und Entscheidung bei „non liquet“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Anhörung der Planbetroffenen/sonstigen Gläubiger oder Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Sonstige Ermittlungsmöglichkeiten . . . . .

18 24 26 36

10. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Auskunfts- und Unterstützungspflichten (§ 39 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . 48 IV. Mündliche Verhandlungen (§ 39 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

45 46

I. Normzweck und Anwendungsbereich Entgegen der missverständlichen Überschrift statuiert § 39 StaRUG nicht die für das Restruk- 1 turierungsverfahren geltenden Verfahrensgrundsätze, sondern regelt lediglich den Amtsermittlungsgrundsatz (Abs. 1) und die Möglichkeit zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (Abs. 3): Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG hat das Gericht grundsätzlich von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Verfahren in der Restrukturierungssache von Bedeutung sind. Der Gesetzgeber statuiert bewusst in Anlehnung an § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO statt des im Zivilprozess geltenden Beibringungsgrundsatzes als Grundsatz den Amtsermittlungsgrundsatz.1 Die Pflicht zur Ermittlung von Amts wegen ist eingeschränkt, soweit im StaRUG Abweichendes bestimmt ist. Dieser Vorbehalt trägt den Beschränkungen des Amtsermittlungsgrundsatzes Rechnung, welche das Gesetz an verschiedenen Stellen zur besonderen Beschleunigung des Verfahrens vorsieht.2 Der Amtsermittlungsgrundsatz wird insbesondere durch die in § 39 Abs. 2 StaRUG geregelte 2 Pflicht des Schuldners zur Auskunft und Unterstützung, aber auch durch weitere Mitwirkungs- bzw. Berichtspflichten (vgl. § 31 Abs. 2, § 32 Abs. 2–4 StaRUG) ergänzt und flankiert. § 39 Abs. 2 StaRUG entspricht weitgehend § 20 Abs. 1 Satz 1 InsO. § 39 Abs. 3 StaRUG übernimmt § 5 Abs. 3 InsO für das Restrukturierungsverfahren. Zur 3 Beschleunigung tritt der im Zivilprozess geltende Grundsatz der Mündlichkeit (§ 128 Abs. 1 ZPO) zurück,3 soweit das Gesetz nicht, wie es vielfach der Fall ist, eine mündliche Verhandlung ausdrücklich anordnet. § 39 StaRUG gilt bei der Sanierungsmoderation entsprechend.4

4

II. Amtsermittlungsgrundsatz (§ 39 Abs. 1 StaRUG) 1. Grundsätzliches Der nach dem Prinzip der Parteifreiheit und der Parteiverantwortung ausgerichtete Zivilprozess 5 ist vom Beibringungsgrundsatz geprägt. Danach ist es Sache der Parteien, den entscheidungserheblichen Sachverhalt in den Prozess einzuführen5 und Beweismittel, auf die das Gericht zurückgreifen kann, anzubieten.6 Das Gericht ist an den Parteivortrag gebunden und hat seiner Entscheidung (mit engen Ausnahmen, vgl. § 291 ZPO) nur die vorgebrachten Tatsachen zu1 2 3 4

Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2437. So BT-Drucks. 19/24181, S. 143. Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, § 2 Rz. 48. Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 6; Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 1. 5 Laumen in Prütting/Gehrlein, § 284 ZPO Rz. 3. 6 Bacher in BeckOK/ZPO, § 284 ZPO Rz. 34 (Stand: 1.7.2022); Rauscher in MünchKomm/ZPO, Einleitung Rz. 364.

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§ 39 Rz. 5 | Verfahrensgrundsätze grunde zu legen. Der Vortrag der Parteien ist auch maßgeblich dafür, ob Beweis erhoben werden muss, da sich nach ihm richtet, ob Tatsachenbehauptungen streitig sind. Das Gericht hat dagegen weder die Aufgabe noch die Befugnis, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln oder Prozessstoff in den Prozess einzubringen.7 Der Amtsermittlungsgrundsatz gibt dem Gericht dagegen auf, die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen von Amts wegen festzustellen8: Hält es einen Umstand für erheblich, trifft es eine Ermittlungspflicht, sofern es sich nicht auf offenkundige Tatsachen stützen kann.9 Die Beteiligten können bestimmte Tatsachen nicht „unstreitig stellen“. Die Amtsermittlungspflicht kennt auch keine verfahrensrechtliche Präklusion.10 6 In der Insolvenzordnung gibt nach den Vorbildern in §§ 75 KO, 116 VglO sowie in § 2 Abs. 2

Satz 2 und 3 GesO ohne weitere Begrüngründung in den Gesetzgebungsmaterialien11 § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO den Amtsermittlungsgrundsatz vor. Zur Umsetzung kann das Gericht zu jedem Zeitpunkt Maßnahmen jeder Art anordnen. Der Strengbeweis des Zivilprozesses gilt im Insolvenzverfahren nicht.12 Damit ist der Charakter eines Insolvenzverfahrens erheblich durch Elemente der Aufsicht und der Fürsorge mitgeprägt.13 Dass lässt sich rechtfertigen mit den im Vielparteienverfahren oft divergierenden und konkurrierender Interessen,14 die ein Aufklärungsorgan mit umfassender Kompetenz und Zugriffsmöglichkeit erfordern,15 um das Verfahren einerseits zu beschleunigen und zu vereinfachen und andererseits zur Verwirklichung der materiellen Wahrheit bei der gemeinsamen Befriedigung der Gläubiger zu gelangen.16 Das heißt nicht, dass im Insolvenzverfahren die Dispositionsmaxime keine Bedeutung hätte. Im Gegenteil ist insbesondere die Einleitung des Verfahrens (auf Antrag, vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 InsO) sowie einige wichtige Entscheidungen des Insolvenzgerichts zwingend von einem – freilich teils durch strafbewehrte Antragspflichten motivierten – Antrag abhängig.17

7 Im Restrukturierungsverfahren kommt der Dispositionsmaxime noch deutlich mehr Ge-

wicht zu. Ohne Anzeige der Sache durch den Schuldner (§ 31 Abs. 1 StaRUG) gibt es kein (zulässiges) Restrukturierungsverfahren (§ 31 Rz. 2). Ohne seinen entsprechenden Antrag hat das Gericht keines der Instrumente nach § 29 Abs. 2 StaRUG zu prüfen. Anders, als das Insolvenzverfahren, ist das Restrukturierungsverfahren keine Form der Gesamtvollstreckung.18 Es sind hier grundsätzlich nicht alle Gläubiger beteiligt, da bestimmte Rechtsverhältnisse generell ausgenommen sind (§ 4 StaRUG). Entsprechend zielt das Verfahren nicht auf gemeinsame Befriedigung der Gläubiger. Der Schuldner bestimmt, an welche Gläubiger als Planbetroffene (§ 8 StaRUG) er sein Angebot (§ 17 StaRUG) adressiert (§ 8 Rz. 1). Vergleichbar wirkt die Vollstreckungssperre nur gegenüber bestimmten Gläubigern (§ 49 Abs. 2 Satz 2 StaRUG). 7 Prütting in Prütting/Gehrlein, Einleitung Rz. 28. 8 Vgl. zu § 105 Abs. 2 KO BGH v. 5.11.1956 – III ZR 139/55, BeckRS 1956, 31202630: „Dabei ist davon auszugehen, daß bei einem so weitgehenden Eingriff wie der Eröffnung eines Konkursverfahrens ... der Richter von Amts wegen allen Anhaltspunkten nachzugehen hat, die ihm die Beteiligten bieten oder sich aus der Sachlage ergeben.“ 9 Vgl. BGH v. 21.3.2019 – IX ZB 47/17, NZI 2019, 541 Rz. 23: zum Gesamtvollstreckungsgericht. 10 BGH v. 20.5.2010 – IX ZB 23/07, NJW-RR 2010, 1577 Rz. 9 = ZIP 2010, 1504 = MDR 2010, 1348: zu § 75 KO. 11 Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 110. 12 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 5 InsO Rz. 47 (Stand: Juni 2014). 13 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 5 InsO Rz. 46 (Stand: Juni 2014). 14 Gerhardt in Jaeger, § 5 InsO Rz. 2. 15 Stürner in MünchKomm/InsO, Einleitung Rz. 51. 16 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 4; ähnlich Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 5 InsO Rz. 1; Sternal in Kayser/Thole, § 5 InsO Rz. 2. 17 Gerhardt in Jaeger, § 4 InsO Rz. 55; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 5; s. auch Stürner in MünchKomm/InsO, Einleitung Rz. 47 f. mit dem Hinweis, die weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten in der InsO in die Parteiautonomie seien sehr fragwürdig, soweit sie die Bewertung durch die Gläubiger ablösen und durch angeblich objektive wirtschaftliche Bewertung ersetzen. 18 Zum Insolvenzverfahren BGH v. 12.5.2022 – IX ZR 71/21, NJW 2022, 2619 Rz. 33.

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Verfahrensgrundsätze | Rz. 10 § 39

Eine Aufforderung zur Forderungsanmeldung unterbleibt.19 Und schließlich kann der Schuldner – ein gewichtiger Unterschied zum (eröffneten) Insolvenzverfahren – das Verfahren durch Rücknahme der Anzeige jederzeit beenden (§ 38 Rz. 71). Insgesamt handelt es sich um ein privatautonomes, im Wesentlichen der gerichtlichen Einflussnahme, Kontrolle und Förderung entzogenes teilkollektives Verfahren. Die Entwurfsbegründung spricht folgerichtig von der „Beteiligtenautonomie als wesensprägende Säule“.20 Daher war die Übernahme des Amtsermittlungsgrundsatzes in das Restrukturierungsver- 8 fahren keineswegs zwingend.21 Nachdem der Gesetzgeber aber dem Schuldner mit der vorgerichtlichen Planabstimmung (§§ 17 ff. StaRUG) ein weitgehend privatautonom zu gestaltendes und vertrauliches Verfahren an die Hand gegeben hat,22 mag der Amtsermittlungsgrundsatz eine gewisse Gerechtigkeitsgewähr, Transparenz und Schutz für die Beteiligten schaffen, die diesen etwa mangels Geschäftserfahrung bedürfen.23 Die gravierenden Unterschiede zwischen Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren sind aber bei der Bestimmung, wann konkret die Amtsermittlungspflicht einsetzt und wie weit sie reicht, zu berücksichtigen.

2. Adressat Die Amtsermittlungspflicht obliegt dem Restrukturierungsgericht spätestens ab dem Ein- 9 gang eines Instrumentenantrags (Rz. 11) bis zum Abschluss des Verfahrens in der Instanz durch Aufhebung,24 d.h. einschließlich eines eventuellen Abhilfeverfahren (§ 572 ZPO) im Falle der sofortigen Beschwerde.25 Sie gilt auch für das LG als Beschwerdegericht, welches eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz ist.26 Das Beschwerdegericht hat unabhängig vom Eingang und dem Inhalt einer Beschwerdebegründung die Richtigkeit der Entscheidung des Restrukturierungsgerichts, soweit sie nicht in Rechtskraft erwachsen ist, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht von Amts wegen zu prüfen und seine Entscheidung nach der Sachlage in dem Zeitpunkt ihres Erlasses zu treffen (§ 40 Rz. 47 f.).

3. Zeitlicher Anwendungsbereich a) Idee des Gesetzgebers Nach Art. 4 Abs. 1 Restrukturierungs-RL stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Schuldner bei 10 einer wahrscheinlichen Insolvenz Zugang zu einem präventiven Restrukturierungsrahmen haben, wobei die Mitgliedstaaten gem. Art. 4 Abs. 6 Restrukturierungs-RL (mit zugehörigem ErwGr. 29) Bestimmungen erlassen können, mit denen die Beteiligung einer Justizbehörde auf die Fälle beschränkt wird, in denen dies erforderlich und angemessen ist.27 Entsprechend ist 19 20 21 22 23 24 25 26 27

BT-Drucks. 19/24181, S. 87. BT-Drucks. 19/24181, S. 86. Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2437. Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 89; dazu Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 24, 36. Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2439. Vallender, ZRI 2021, 165. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zur § 5 InsO Pape in Uhlenbruck, § 5 InsO Rz. 1. BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 84/19, ZIP 2020, 1250 Rz. 13 = MDR 2020, 883 = DB 2020, 1340; BGH v. 28.9.2006 – IX ZB 108/05, ZIP 2006, 2186 Rz. 6 = MDR 2007, 428; Rüther in HambKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 9; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 12. Vgl. Garcimartin in Paulus/Dammann, Art. 4 RL (EU) 2019/1023 Rz. 38 f.; Cranshaw in Pannen/ Riedemann/Smid, Art. 4 RL (EU) 2019/1023 Rz. 13.

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§ 39 Rz. 10 | Verfahrensgrundsätze die Funktion der Anzeige (neben der Rechtshängigkeit)28 nach der Gesetzesbegründung nur, das Gericht über das Restrukturierungsvorhaben zu informieren und ihm Gelegenheit zu geben, sich auf die angezeigte Restrukturierungssache vorzubereiten, in der auch mit Anträgen zu rechnen ist, die eilbedürftig sind und schnell beschieden werden müssen.29 Daher soll die Anzeige möglichst mit einem solchen Vorlauf vor dem ersten Instrumentenantrag des Schuldners erfolgen, dass dem Gericht ausreichend Zeit verbleibt, sich mit den tatsächlichen Umständen und den Rahmenbedingungen sowie den rechtlichen Fragestellungen vertraut zu machen und gegebenenfalls erforderlich werdende organisatorische Vorbereitungen zu treffen.30 Es handelt sich bei der Anzeige daher (nur) um eine einseitige Verfahrenshandlung und um keinen Antrag, der seitens des Gerichts zu bescheiden wäre (§ 31 Rz. 6).31 Die gerichtliche Prüfung der eigenen Zuständigkeit ist erst bei der schuldnerseitigen Inanspruchnahme eines Instruments erforderlich.32 Spätestens dann hat das Gericht seine Zuständigkeit zu prüfen.33 Fehlt sie und wird nicht verwiesen, ist die Sache aufzuheben (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG; vgl. § 35 Rz. 23). Die Aufhebungsmöglichkeit hat die Funktion einer nachgelagerten bzw. reaktiven Zugangskontrolle.34 b) Folgerungen 11 Der Zeitpunkt, ab dem konkret die Amtsermittlungspflicht einsetzt, bleibt nach der Gesetzes-

begründung unklar, obgleich eine eindeutige Bestimmung sowohl für die Beteiligten (und ihre Sache), aber auch den Richter persönlich aus Haftungsgründen35 dringend erforderlich ist. Ansonsten droht, dass das Gericht bereits in einer Phase Ermittlungen anstellt und dazu ggf. einen Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen einsetzt (§ 73 Abs. 3 StaRUG), in der dieses an sich noch gar nicht geboten und eine aktive Unterstützung nach § 76 Abs. 2 Nr. 4 StaRUG36 vom Schuldner (noch) nicht gewollt war. Aus dem Gesetz und der dazugehörigen Begründung ergeben sich folgende (streitige) Leitlinien: a) Das Gericht prüft, ob überhaupt eine wirksame Anzeige vorliegt (z.B. Restrukturierungsund Verfahrensfähigkeit, § 38 Rz. 25 ff.)37. Es kann ab Rechtshängigkeit die (allgemeinen) Sachentscheidungsvoraussetzungen nach freiem (nicht: pflichtgebundenem) Ermessen38 prüfen und dazu von Amts wegen ermitteln, muss dieses aber nicht, wenn allein die Anzeige vorliegt und keine Entscheidung zu treffen ist. Das Gericht kann entsprechend zwi-

28 Gerade wegen der gewollten Wirkung des § 261 Abs. 3 ZPO (§ 38 Rz. 68) führt die Anzeige nicht (nur) zur Anhängigkeit, sondern zur Rechtshängigkeit (§ 31 Abs. 3 StaRUG). 29 So BT-Drucks. 19/24181, S. 134. 30 So BT-Drucks. 19/24181, S. 134. 31 So BT-Drucks. 19/24181, S. 134. 32 So BT-Drucks. 19/24181, S. 142. 33 So BT-Drucks. 19/24181, S. 138. 34 So BT-Drucks. 19/24181, S. 138, 150. 35 Vgl. Vallender, ZRI 2021, 165, 171: Untätigsein des Gerichts trotz Vorliegens von eine Aufhebung rechtfertigenden Umständen könne haftungsrechtliche Konsequenzen haben. 36 Zur Neuregelung kritisch Frind, ZInsO 2022, 1540, 1541. 37 Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2434. 38 Enger – wohl im Sinne eines nicht näher konkretisierten – pflichtgemäßen Ermessens Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 StaRUG Rz. 37 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022): Das Gericht müsse Ermittlungen anstellen, wenn es an der Darlegung des Schuldners zweifele. Dabei erforderten vage Zweifel im Ausgangspunkt ein Weniger an Ermittlungstätigkeit, als konkrete (so Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 19 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Allerdings wird an anderer Stelle als Voraussetzung für die Amtsermittlungspflicht genannt, es müsse „ein konkreter Anlass zu Ermittlungen bestehen und diese müssen sich zunächst nicht auf solche Umstände beziehen, die der Schuldner nach § 31 mit seiner Anzeige darlegen muss; insoweit bestimmt § 31 ‚Abweichendes‘“ (so Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 9.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Verfahrensgrundsätze | Rz. 13 § 39

schen Rechtshängigkeit und Eingang eines Instrumentenantrags Hinweise und verfahrensfördernde Anordnungen erteilen und, steht die örtliche Unzuständigkeit fest, auf Antrag verweisen (§ 35 Rz. 22). b) Ab Eingang eines Instrumentenantrags muss das Gericht die (allgemeinen) Sachentscheidungsvoraussetzungen (und die Begründetheit) prüfen und gebotene Hinweise erteilen. Durch die (die Rechtshängigkeit bewirkende, § 31 Abs. 3 StaRUG) Anzeige wird die Restruk- 12 turierungssache insgesamt (vgl. § 38 Rz. 68) bei dem Gericht, bei dem die Anzeige eingeht, anhängig. Damit ist das Verfahrensrechtsverhältnis öffentlicher-rechtlicher Art begründet. Das ist die fundamentale Verfahrensvoraussetzung, dass das Gericht überhaupt tätig werden39 (und schließlich eine der materiellen Rechtskraft fähige Entscheidung40 treffen) kann.41 Die Anzeige ist aber kein Antrag. Gegenstand der Amtsermittlung sind auch die Tatsachen, die verfahrensrechtlich relevant 13 sind, mithin etwa die Voraussetzungen der Verfahrenseinleitung und die Zulässigkeit eines Antrags betreffen. So verlangt § 31 Abs. 1 StaRUG „die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bei dem zuständigen Restrukturierungsgericht.“ Ab Rechtshängigkeit der Sache bestehen die Pflichten des Schuldners nach §§ 32, 39 Abs. 2 StaRUG. Insbesondere hat er, um die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach § 35 StaRUG zu ermöglichen und somit seine Anzeige zulässig zu machen, alle die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründenden Tatsachen anzugeben.42 Wenn „Umstände bekannt sind, die den hinreichenden Verdacht für das Vorliegen von schwerwiegenden Pflichtverstößen des Schuldners begründen, hat das Gericht diesen Umständen nachzugehen und das Vorliegen von Pflichtverstößen zu ermitteln“.43 Demgemäß kann das Gericht, folgt aus den vorgetragenen Umständen die Zuständigkeit nicht, dem Schuldner ergänzenden Vortrag aufgeben. Das Gericht muss – entgegen der h.M. (vgl. § 33 Rz. 2)44 – aber nicht bereits allein aufgrund der Anzeige von Amts wegen die Zulässigkeitsvoraussetzungen ermitteln.45 Es ist weder durch die Pflicht zur Amtsermittlung oder nach § 33 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 StaRUG46 gehalten, be-

39 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 6; Vallender, ZRI 2021, 165. 40 Vgl. BGH v. 8.11.2013 – V ZR 155/12, WM 2014, 32 Rz. 22 = MDR 2014, 243. 41 Greger in Zöller, § 261 ZPO Rz. 1. 42 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 37 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schröder in HambKomm/RestruktR, § 31 StaRUG Rz. 13; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2581; Vallender, ZRI 2021, 165, 166; zum Eigenantrag des Insolvenzschuldners BGH v. 1.12.2011 − IX ZB 232/10, NZI 2012, 151 Rz. 12. 43 So BT-Drucks. 19/24181, S. 139. 44 Plastisch Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022): „Liegt einer der in § 33 Abs. 1 und Abs. 2 geregelten Aufhebungsgründe vor, kommt es zur amtswegigen Aufhebung, selbst wenn sie der Restrukturierungsanzeige auf dem Fuße folgt. Damit vermag aber auch die Amtsermittlungspflicht des Gerichts praktisch ab der ersten Verfahrenssekunde an zu greifen“; ähnlich Schröder in HambKomm/RestruktR, § 31 StaRUG Rz. 29; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 4, 8; Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 16 (zur örtlichen Zuständigkeit); Utsch in Nerlich/Römermann, § 31 StaRUG Rz. 33 (Stand: November 2021): „Die Prüfung des Restrukturierungsgerichts beschränkt sich daher zunächst auf die örtliche Zuständigkeit, die Restrukturierungsfähigkeit des Schuldners und die Vollständigkeit der Anzeige. Sollte sich herausstellen, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen, erlässt das Gericht einen Hinweis. Kann der Schuldner den Mangel nicht beheben, kommt eine Aufhebung der Restrukturierungssache bei Unzuständigkeit und im Übrigen analog § 35 Abs. 1 Nr. 3 in Betracht“; Hochdorfer/ Biendl in Desch, Das neue RestruktR, § 2 Rz. 30; Vallender, ZRI 2021, 165, 172. 45 Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2438. 46 Dazu Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2437.

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§ 39 Rz. 13 | Verfahrensgrundsätze reits mit Rechtshängigkeit proaktiv Nachforschungen anzustellen oder gar die Aussichten auf eine (welche?) Umsetzung des Vorhabens (§ 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) zu prüfen.47 Zwar hat es die Sache von Amts wegen aufzuheben, wenn der Schuldner schwerwiegend gegen seine Auskunftspflicht verstößt (§ 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG). Daraus könnte abgeleitet werden, dass das Gericht die Sache aufzuheben hat, wenn die Angaben nach § 31 Abs. 2 StaRUG fehlen oder (nach welchem Maßstab?) unzureichend oder unplausibel sind, auch, weil es dann an der gebotenen Sorgfalt fehlt (vgl. § 33 Abs. 1, § 39 Abs. 2 StaRUG).48 § 39 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. StaRUG schränkt die Amtsermittlungspflicht aber ein, „soweit in diesem Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist“. Die Konzeption der Anzeige in § 31 Abs. 1, 3 StaRUG und die Wertung des Gesetzgebers, dass allein die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache die Rechte oder Interessen Dritter noch nicht beeinträchtigt,49 so dass eine auf inhaltliche Prüfung zielende Beteiligung des Gerichts (vgl. Art. 4 Abs. 6 Restrukturierungs-RL) oder ein Antragsrecht Dritter auf Aufhebung der Sache (noch) nicht erforderlich sei,50 deutet in die Richtung einer abweichenden Bestimmung.51 Das gilt für die Begründetheit potenzieller Instrumentenanträge.52 So wurde die Regelung des Referentenentwurfs, dass das Gericht die Sache von Amts wegen aufhebt, wenn der Schuldner nicht wenigstens ein schlüssiges Restrukturierungskonzept vorgelegt hat (§ 35 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG-RefE), was zu einer Schlüssigkeitsprüfung bereits ab Eingang der Anzeige führen müsste, gestrichen.53 Es gilt aber auch für die Zulässigkeit eines Instrumentenantrags, da auch insoweit die gesetzliche Wertung gilt, dass keine Prüfung von Amts wegen angezeigt ist, solange eine Maßnahme, die in individuelle Rechte konkret eingreift, nicht beantragt ist.54 Der Verschleppung der Insolvenz durch Ruhen der Antragspflicht während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache (§ 42 Abs. 1 StaRUG, § 15a Abs. 1 InsO) ist durch die Strafandrohung nach § 42 Abs. 3 StaRUG hinreichend entgegengewirkt.55 Und eines Schutzes der Gläubiger vor unberechtigten Eigenanträgen, die Vollstreckungsversuche mit Unsicherheiten wegen der Vollstreckungssperre des § 88 InsO belas-

47 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 139; Hoffmann/Braun in Flöther, § 31 StaRUG Rz. 3. 48 Vgl. Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2437; s. auch Kramer in BeckOK/StaRUG, § 33 StaRUG Rz. 60 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022): Sache sei dann analog § 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG aufzuheben; Hoffmann/ Braun in Flöther, § 31 StaRUG Rz. 3: es müsse ein gewisses Mindestmaß an Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorgaben gefordert werden; s. auch Laroche in Flöther, § 39 StaRUG Rz. 3: „Spannungsfeld zwischen gesetzlich gewollter Zurückhaltung des Gerichts einerseits und gesetzlich normiertem Auftrag andererseits“. 49 Im Übrigen erkennt der Gesetzgeber ausdrücklich, dass die schuldnerische „Gestaltungs-und Organisationsfreiheit bei der Erwirkung von Rechtsfolgen, welche die Beteiligten des Prozesses belasten, ... eine Rückbindung an das Ziel, die Interessen der Gläubiger zu wahren“, erfordere, und dass der Stabilisierungs-und Restrukturierungsrahmen nicht dazu missbraucht werden dürfe, gläubigergefährdende oder -benachteiligende Maßnahmen durchzuführen (so BT-Drucks. 19/24181, S. 137). 50 So BT-Drucks. 19/24181, S. 138. 51 Missverständlich daher BT-Drucks. 19/24181, S. 135, wonach eine Aufhebung der Restrukturierungssache in Betracht komme, „gelingt es dem Schuldner auch unabhängig von der Inanspruchnahme eines konkreten Instruments nicht, etwaige Unvollständigkeiten oder sonstige Mängel zu heilen, die nach dem Stand des Vorhabens behebbar sein sollten“. 52 Wohl enger Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022): Die Amtsermittlungspflicht greife praktisch ab der ersten Verfahrenssekunde an, nämlich dann, wenn die mit der Restrukturierungsanzeige verbundenen Angaben des Schuldners auf das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes hindeuteten; s. auch Vallender, ZRI 2021, 165, 171 f. 53 Vgl. Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2437. 54 Vallender, ZRI 2021, 165, 172, stellt darauf ab, ob konkrete Umstände vorliegen, welche die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Aufhebungsgrundes nahelegen. 55 Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2438; einschränkend Vallender, ZRI 2021, 165, 167: Deute das Verhalten des Schuldners auf einen Rechtsmissbrauch hin, solle die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nicht ohne Not aufrechterhalten werden.

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Verfahrensgrundsätze | Rz. 14 § 39

ten, der die Zurückweisung eines unzulässigen Eigenantrags rechtfertigt,56 bedarf es vergleichbar allein aufgrund einer Anzeige der Restrukturierungssache nicht. Bewusst konzipierte der Gesetzgeber keinen Eröffnungsantrag, sondern davon abgegrenzt 14 die (bloße) Anzeige der Restrukturierungsbedürftigkeit bei dem zuständigen Gericht.57 Zweck der Anzeige ist, anders als bei einem Antrag, nach der dargestellten Gesetzesbegründung (Rz. 10) nicht die Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung. Ein formales Eröffnungsverfahren, in dessen Rahmen Eröffnungsvoraussetzungen zu prüfen wären, wird ausdrücklich abgelehnt.58 Durch die Anzeige erfolgt auch keine Anhängigkeit potenzieller späterer Instrumentenanträge. Die Anzeige ist ein bewusst niedrigschwelliger Zugang ins Verfahren. Es wird (nur) deshalb zum Gericht bereits jetzt ein Band geknüpft, damit die künftig in Anspruch genommenen Instrumente schon jetzt über die Anzeige zu einem einheitlichen Verfahren gebündelt werden (§ 38 Rz. 68), der zuständige Richter u.a. für Vorgespräche bestimmt ist und er überhaupt die Befugnis und die Chance hat, sich mit der Sache als Richter zu befassen, bevor (untechnisch) das eigentliche Antragsverfahren (vgl. Art. 4 Abs. 5 UAbs. 1 Restrukturierungs-RL: präventive Restrukturierungsrahmen könne aus einem oder mehreren Verfahren, Maßnahmen oder Bestimmungen bestehen) aufgrund eines Instrumentenantrags beginnt. Dabei ist auch aus Gründen der Rechtssicherheit für die Wirksamkeit der Anzeige unerheblich, ob die nach § 31 Abs. 2 StaRUG beizufügenden Unterlagen den inhaltlichen Anforderungen genügen.59 Mit einer frühzeitigen Anzeige sollen unnötige Verzögerungen bei der Entscheidung über einen später eingereichten Instrumentenantrag (z.B. Stabilisierung, § 29 Abs. 2 Nr. 3, § 49 StaRUG) vermieden werden (Rz. 10).60 Gerade bei größeren Konzernrestrukturierungen ist dieser zeitliche Vorlauf hilfreich und oft nötig. Wie aber im Insolvenzverfahren im Zulassungsverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz des § 5 InsO noch nicht allein aufgrund eines Antrags gilt, sondern erst, wenn ein zulässiger Eröffnungsantrag vorliegt,61 mithin etwa der Schuldner (§ 13 InsO) einen Eröffnungsgrund in hinreichend substantiierter Form dargelegt und somit die Schwelle vom Zulassungs- zum Eröffnungsverfahren überschritten hat,62 begründet auch im Restrukturierungsverfahren alleine die Anzeige des Schuldners keine Amtsermittlungspflicht.63 Das verdeutlicht § 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG, aus dem sich im Umkehrschluss ergibt, dass selbst langdauernde Inaktivität des Schuldners als solche keine Pflichtverletzung darstellt und kein proaktives Handeln des Gerichts erfordert.64 Legt der Schuldner die nach § 31 Abs. 2 StaRUG geforderten Unterlagen nicht vollständig vor, was der Wirkung des § 31 Abs. 3 StaRUG nicht entgegensteht,65 kann das Gericht die Zuläs56 BGH v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, NZI 2003, 147, 148. 57 BT-Drucks. 19/24181, S. 89. 58 Damit korrespondiert die geringe Festgebühr von 150,– Euro für die Entgegennahme der Restrukturierungsanzeige (KV 2510 GKG). 59 BT-Drucks. 19/24181, S. 136. 60 BT-Drucks. 19/24181, S. 134; Hoffmann/Braun in Flöther, § 33 StaRUG Rz. 4; Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2433; Deppenkemper, ZIP 2020, 1041, 1044; Frind, NZI 2021, 609, 610. 61 BGH v. 19.7.2012 − IX ZB 6/12, NZI 2012, 823 Rz. 8; BGH v. 12.7.2007 – IX ZB 82/04, ZIP 2007, 1868 Rz. 8 = MDR 2007, 1342; Madaus in BeckOK/InsR, § 5 InsO Rz. 2 (Stand: 15.4.2022); Rüther in HambKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 4; Sternal in Kayser/Thole, § 2 InsO Rz. 23; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 13; Pape in Uhlenbruck, § 3 InsO Rz. 14; Pape in Uhlenbruck, § 5 InsO Rz. 1. 62 BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 84/19, ZIP 2020, 1250 Rz. 13 = MDR 2020, 883 = DB 2020, 1340. 63 Vgl. Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 6: Die Amtsermittlung beginne erst mit einer zulässigen Anzeige bzw. Antrag. 64 Vgl. zum Aufhebungsgrund des § 31 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG BT-Drucks. 19/24181, S. 139. 65 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 135 f.: „Daher knüpft Absatz 3 die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache allein an die erfolgte Anzeige. ... [136] Unerheblich ist insbesondere, ob der nach Absatz 2 beizufügende Entwurf des Restrukturierungsplans oder das alternativ beizufügende Konzept oder die Darstellung des Verhandlungsstands bestimmten inhaltlichen Anforderungen genügen“; Vallender, ZRI 2021, 165, 167.

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§ 39 Rz. 14 | Verfahrensgrundsätze sigkeitsvoraussetzungen ggf. gar nicht prüfen. Erst, wenn der Schuldner, um die Prüfung der Zulässigkeit des angerufenen Gerichts zu ermöglichen und somit seinen Instrumentenantrag zulässig zu machen, alle die Zulässigkeit, insbesondere die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründenden Tatsachen angegeben hat,66 ermittelt das Gericht, sofern erforderlich, die seine Zuständigkeit begründenden Umstände von Amts wegen.67 Zwar kann es dann eine Aufhebung auch auf Umstände stützen, die bereits zum Zeitpunkt der Anzeige vorliegen,68 doch erfolgt die Prüfung „nachgelagert“ (Rz. 10). 15 Sollbruchstelle in diesem Konzept ist, dass die Einbeziehung eines konkreten Richters und

die dadurch bezweckte Planbarkeit nur Sinn macht und funktioniert, wenn auch eine gewisse Gewähr besteht, dass dieser für die Entscheidung über einen Instrumentenantrag zuständig ist. Und bevor die Unzuständigkeit nicht feststeht, kommt eine Verweisung nicht in Betracht.69 Das Gericht darf und sollte die die Zuständigkeit begründenden Umstände frühzeitig in den Blick nehmen, prüfen und hierzu ermitteln,70 soweit dass anhand der vorgelegten Unterlagen möglich ist,71 zumal es i.d.R. keinen praktischen Grund gibt, dass die erforderlichen Angaben nicht bereits in der Anzeige enthalten wären.72 Entsprechend darf es nach § 139 ZPO Hinweise erteilen.

16 Weitergehend greift die Amtsermittlungspflicht jedenfalls dann, wenn eine Entscheidung ggf.

mit Folgewirkung für das ganze Verfahren (z.B. Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen (§ 73 StaRUG) oder auf Antrag (§ 77 StaRUG), Festsetzung dessen Vergütung, Einsetzung eines Gläubigerbeirates)73 ansteht. Dann müssen, auch wenn gerade hier der Beschleunigungsgrundsatz zum Tragen kommen soll,74 die Sachentscheidungsvoraussetzungen ermittelt werden, soweit dafür Anlass besteht. Ebenso wie im Zivilprozess darf auch das Restrukturierungsgericht in eine Sachprüfung erst eintreten, wenn die Verfahrensvoraussetzungen vorliegen.

17 Will der Schuldner eine frühzeitige Klärung der Zuständigkeit herbeiführen, was i.d.R. in sei-

nem ureigenen Interesse liegt, etwa bei einer komplexen Konzernsanierung unter straffem Zeitplan, kann er eine Vorprüfung gem. §§ 47 f. StaRUG beantragen,75 die ein Instrument (§ 29 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) ist und daher voraussetzt, dass das angegangene Gericht sich für 66 Formulierung nach BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, ZIP 2012, 139 Rz. 12 = GmbHR 2012, 216 = MDR 2012, 253; vgl. auch Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 16; Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 5; Vallender, ZRI 2021, 165, 166, ferner Madaus in BeckOK/InsR, § 5 InsO Rz. 3 f. (Stand: 15.4.2022); Kexel in Graf-Schlicker, § 3 InsO Rz. 3. 67 Vgl. zu § 5 InsO BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, NZI 2012, 151 Rz. 12. 68 BT-Drucks. 19/24181, S. 138. 69 AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, NZI 2008, 254; Pape in Uhlenbruck, § 5 InsO Rz. 1. 70 Vgl. Vallender, ZRI 2021, 165, 166. 71 Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 16; Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, § 5 Rz. 15; Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2434; Frind, ZRI 2021, 389; Vallender, ZRI 2021, 165, 166; einschränkend Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022): „sobald das Gericht Zweifel an seiner Zuständigkeit hat“; Vallender, NZI-Beilage 2021, 30: Anzeige löse grundsätzlich noch kein Tätigwerden des Restrukturierungsgerichts aus. 72 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 35 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 16; Vallender, ZRI 2021, 165, 166. 73 Im Eröffnungsverfahren können zum Schutz berechtigter Sicherungsinteressen Sicherungsmaßnahmen ausnahmsweise bereits angeordnet werden, bevor feststeht, dass der Insolvenzantrag zulässig ist (BGH v. 22.4.2010 – IX ZB 217/09, NZI 2010, 680 Rz. 5; BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, NZI 2007, 344 Rz. 11 ff.; Haarmeyer/Schildt in MünchKomm/InsO, § 21 InsO Rz. 16; Vallender in Uhlenbruck, § 21 Rz. 2). Dieser Gedanke gilt im Restrukturierungsverfahren nicht vergleichbar. 74 BT-Drucks. 19/24181, S. 143. 75 Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII Rz. 3 empfiehlt dem Schuldner, einen diesbezüglichen „isolierten“ Vorprüfungsantrag zur Zuständigkeitsfrage gem. § 47 StaRUG stellen.

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Verfahrensgrundsätze | Rz. 20 § 39

zuständig erachtet.76 Letztlich lässt sich so ein gerichtlicher Hinweis erzwingen. Ein „Mittelweg“ ist, die eigenen Zweifeln an der örtlichen Zuständigkeit und die tatsächlichen Gründe dafür transparent mit der Anzeige zu benennen und das Gericht, hält es sich für unzuständig, ausdrücklich um Hinweis zu bitten.

4. Inhalt Der Amtsermittlungsgrundsatz gibt dem Gericht auf, die für die Entscheidung erheblichen 18 Tatsachen von Amts wegen festzustellen (vgl. Rz. 5). Das gilt unabhängig eventueller Beweisanträge. Dieses sind Anregungen zur Ermittlung von Amts wegen. Es gibt, soweit die Amtsermittlungspflicht reicht, keine subjektive Darlegungs- und Beweisführungslast.77 Soweit die Beteiligten nicht (etwa durch Anträge) über den Verfahrensgegenstand verfügen können, zielt die gerichtliche Aufklärung – anders als der Zivilprozess mit dem Ziel formeller Wahrheit – auf Feststellung der materiellen Wahrheit und die objektive Richtigkeit der Entscheidung. Das deutsche Recht hat das Gericht nicht erst zu ermitteln, weil es dieses ohnehin kennt (jura 19 novit curia). Maßgebliches ausländische Recht hat der Tatrichter nach § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln, und zwar nicht nur das ausländische Gesetzesrecht, sondern das Recht, wie es der Richter des betreffenden Landes auslegt und anwendet.78 Dazu hat es die im Einzelfall erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Umfang und 20 Grenzen der Ermittlungen werden durch die Entscheidungserheblichkeit der festzustellenden Tatsachen und das Merkmal der Erforderlichkeit der Ermittlungen bestimmt. Was im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände als Ermittlungsmaßnahmen erforderlich ist, unterliegt der pflichtgemäßen Beurteilung des Gerichts.79 Insoweit besteht ein gewisser Beurteilungs- und Ermessensspielraum.80 Der Umfang der Ermittlungen liegt im pflichtgemäßen, aber gebundenen Ermessen des Gerichts, das die Verantwortung für die Vollständigkeit der Ermittlungen trägt.81 Darlegungsdefizite der Beteiligten dürfen das Gericht nicht von der gebotenen weiteren Sachaufklärung abhalten. Das Gericht hat allen nach dem erkennbaren Sachverhalt naheliegenden Ermittlungsansätzen nachzugehen und unabhängig von der Wahrscheinlichkeit einer Behauptung alle erkennbaren, zulässigen Beweismittel auszuschöpfen. Folglich dürfen die Ermittlungen erst abgeschlossen werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen von weiteren Ermittlungen und Beweiserhebungen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist. Das Gericht muss aber nicht ohne jeden konkreten Anhaltspunkt „ins Blaue hinein“ Ermittlungen anstellen, sondern es ermittelt nur, wenn es aufgrund gerichtsbekannter Umstände oder aufgrund der Angaben der Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Antragstellers, hierzu veranlasst wird.82 Für eine unzulässige Ausforschung ist auch im Restrukturierungsverfahren kein Platz. 76 77 78 79 80

Paulus/Bähr/Hackländer, ZIP 2021, 1085, 1088. Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 4. BGH v. 23.4.2002 – XI ZR 136/01, NZI 2002, 430, 431. BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, ZIP 2012, 139 Rz. 11 = GmbHR 2012, 216 = MDR 2012, 253. Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 5 InsO Rz. 6, 12; Madaus in BeckOK/InsR, § 5 InsO Rz. 9 (Stand: 15.4.2022); einschränkend Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 20. 81 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. noch zum Konkursrichter BGH v. 5.11.1956 – III ZR 139/55, BeckRS 1956, 31202630; zu § 5 InsO Madaus in BeckOK/ InsR, § 5 InsO Rz. 10, 19 (Stand: 15.4.2022); Sternal in Kayser/Thole, § 5 InsO Rz. 7; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 21; Pape in Uhlenbruck, § 5 InsO Rz. 4. 82 BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, ZIP 2012, 139 Rz. 11 = GmbHR 2012, 216 = MDR 2012, 253; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 5 InsO Rz. 11; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 5; Sternal in Kayser/Thole, § 5 InsO Rz. 3.

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§ 39 Rz. 21 | Verfahrensgrundsätze 21 Das Gericht hat die entscheidungserheblichen Tatsachen zu ermitteln. Das meint die Tatsa-

chen, die für den Tatbestand oder die Rechtsfolge der für den jeweiligen Verfahrensgegenstand in Betracht kommenden Norm von Bedeutung sind (s. § 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG), mithin Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens haben können. Richtung und Umfang der im Einzelfall gebotenen Ermittlungen werden durch die Bedeutung der Tatbestandsmerkmale der anzuwendenden Vorschriften in der konkreten Restrukturierungssache bestimmt und begrenzt.83 Das schließt die Ermittlung für die Entscheidung nicht erforderlicher Tatsachen aus. Das wird insbesondere relevant, wenn das Gesetz, wie es vielfach der Fall ist (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3, § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 59 Abs. 1 Nr. 4, § 63 Abs. 3 StaRUG), darauf abstellt, ob „(keine) Umstände bekannt sind“. Das meint nicht, dass sich das Gericht durch die Amtsermittlung – etwa Beauftragung eines Sachverständigen – Kenntnis der Umstände noch verschaffen soll, sondern soll solche gezielten (proaktiven) Ermittlungen gerade ausschließen.84 Die Rechtsfolgen sollen nur in Frage kommen, wenn das Gericht insoweit die Voraussetzungen (Umstände) ohnehin bereits kennt,85 z.B. durch Berichte und Anzeigen des Restrukturierungsbeauftragen, glaubhaft gemachte Anträge von Gläubigern oder weil die Umstände offenkundig sind (Rz. 23). Dann soll es diese vorhandenen Kenntnis nicht ignorieren.86 Entsprechend gilt, dass glaubhaft zu machende Umstände (§ 294 ZPO) zu berücksichtigen sind, wenn sie das Gericht ohnehin kennt. Ansonsten geht der Amtsermittlung die Obliegenheit der Glaubhaftmachung vor.87 Soweit eine „Schlüssigkeit“ (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) oder „Unschlüssigkeit“ (§ 63 Abs. 3, § 97 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) Tatbestandsvoraussetzung ist, ist dieses durchaus „technisch“ in der Weise zu verstehen, dass der Tatsachenvortrag des Schuldners, seine Richtigkeit unterstellt, geeignet ist, den Antrag sachlich (nicht) zu rechtfertigen.88 Gemeint ist vollständige Rechtsprüfung auf summarischer Tatsachengrundlage;89 die Gesetzesbegründung spricht von „Plausibilitätskontrolle“.90 So geben bei der Planbestätigung die wirtschaftlichen Annahmen des Plans nur Anlass zur Ermittlung, wenn sie offensichtlich mangelhaft sind.91 Das zeigt auch § 51 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, wonach eine Planung des Schuldners schlüssig ist, wenn nicht offensichtlich ist, dass sich das Restruk-

83 Beispiele bei Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 84 Zu § 33 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG BT-Drucks. 19/24181, S. 139; zu § 59 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG BT-Drucks. 19/24181, S. 159; zur Aufgabe des Restrukturierungsbeauftragten nach § 76 Abs. 1 StaRUG s. BT-Drucks. 19/24181, S. 173: „Durch die Formulierung „Umstände bekannt werden“ soll verdeutlicht werden, dass der Restrukturierungsbeauftragte nicht aktiv fortlaufend die Verhältnisse des Schuldners auf das Vorliegen dieser Gründe überprüfen muss ...“. 85 In der Begründung zu § 63 Abs. 3 StaRUG wird „Umstände bekannt sind“ als offensichtliche Mängel umschrieben (BT-Drucks. 19/24181, S. 162). 86 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 7; Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII. Rz. 20. Vgl. zu § 51 Abs. 1 Satz 1 StaRUG BT-Drucks. 19/24181, S. 155: „Durch den Ausschluss der Anordnung, wenn bestimmte Umstände bekannt sind, soll verhindert werden, dass das Gericht wider besseren Wissens eine Stabilisierungsmaßnahme anordnen muss ...“. 87 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 88 Vgl. Greger in Zöller, Vorbemerkungen zu §§ 253–299a ZPO Rz. 23; Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2439. 89 Vgl. AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 29 zu § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG: es gelte der aus dem Insolvenzplanverfahren bekannten Prüfungsmaßstab; ähnlich Laroche in Flöther, § 63 StaRUG Rz. 11. Das Insolvenzgericht prüft im Rahmen des § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO unter Berücksichtigung sämtlicher rechtlicher Gesichtspunkte, ob die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorlagerecht und den Inhalt des Plans beachtet sind, wobei es nicht nur offensichtliche Rechtsfehler zu beanstanden hat (BGH, NZI 2015, 697 Rz. 8). 90 BT-Drucks. 19/24181, S. 155. 91 BT-Drucks. 19/24181, S. 162; vgl. Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 63 StaRUG Rz. 45 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 63 StaRUG Rz. 22.

672 | Deppenkemper

Verfahrensgrundsätze | Rz. 23 § 39

turierungsziel nicht auf Grundlage der in Aussicht genommenen Maßnahmen erreichen lässt (vgl. § 51 Rz. 14). Das Wort „offensichtlich“ (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2, § 37 Abs. 1, § 51 Abs. 1 Satz 2, § 53 Abs. 3 Satz 3, § 63 Abs. 1 Nr. 3, § 73 Abs. 2 Satz 2, § 74 Abs. 2, § 78 Abs. 2 StaRUG) meint nicht „offenkundig“ i.S.v. § 291 ZPO (Rz. 23) und schließt Amtsermittlung nicht aus. Es schränkt aber die Amtsermittlungspflicht mittelbar dadurch ein, als dass es eine über die überwiegende Wahrscheinlichkeit hinausgehende Evidenz in der Weise meint, dass der Umstand jedem Fachmann ohne weiteres erkennbar ist,92 etwa aufgrund durch Planbetroffene vorgelegte Unterlagen. Das verschiebt den Anhaltspunkt, ab welchem Ermittlungen von Amts wegen geboten sind (Rz. 20). Die Art der anzustellenden Ermittlungen steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.93 22 Es kann den entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Wege formloser Ermittlungen (Freibeweis) oder durch förmliche Beweisaufnahme entsprechend der ZPO (Strengbeweis) aufklären.94 So kann es insbesondere Sachverständige beauftragen (§ 39 Abs. 1 Satz 2 StaRUG; vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 InsO),95 aber (nach Hinweis)96 auch Erkenntnisse aus dem Internet als einer allgemein zugänglichen Quelle i.S.v. § 4 InsO, § 291 ZPO97 (Rz. 46), etwa zu geschäftlichen Aktivitäten des Schuldners, gewinnen. Registereintragungen können eine widerlegbare Vermutung begründen;98 die tatsächlichen Gegebenheiten können sie aber entkräften.99 Die dem Gericht zukommenden Ermittlungsbefugnisse sind aber durch das Gesetz begrenzt. So ist es insbesondere nicht befugt, ohne entsprechende gesetzliche Grundlage Zwangsmittel anzuwenden (Rz. 59). Aus § 39 Satz 1 StaRUG ergibt sich keine entsprechende Eingriffsermächtigung, auch nicht unter Heranziehung der Unterstützungspflicht nach § 39 Abs. 2 StaRUG. Private Kenntnisse des Richters können verwertet werden, wenn sie den Beteiligten mitgeteilt 23 und von diesen hingenommen (und damit unstreitig) wurden. Relevanter sind gerichtskundige Tatsachen, die das erkennende Gericht in amtlicher Eigenschaft selbst wahrgenommen hat und die Tatsache dem Gericht nunmehr noch bekannt ist oder durch eine Nachprüfung in den Akten wiederum bekannt gemacht werden kann.100 Sie sind ein Unterfall der offenkundigen Tatsachen (als allgemeinkundige Tatsachen)101 und bedürfen daher keines Beweises (§ 291 ZPO); weitere Ermittlungen sind entbehrlich.102 Sie sind aber zum Gegenstand des Verfahren zu machen.103 Die Beteiligten müssen zu ihnen rechtliches Gehör und die Chance erhalten,

92 Vgl. Laroche in Flöther, § 39 StaRUG Rz. 4: es werde die Amtsermittlungspflichten allerdings bereits kraft Gesetzes erheblich reduziert. 93 Blankenburg in Morgen, § 38 StaRUG Rz. 8. 94 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 20 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. BGH v. 4.11.1999 – III ZR 306/98, BGHZ 143, 122, 123 = ZIP 1999, 2073 (zur Prozessfähigkeit); Ahrens in Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier, § 5 InsO Rz. 26; Sternal in Kayser/Thole, § 5 InsO Rz. 8. 95 Blankenburg in Morgen, § 35 StaRUG Rz. 16; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 5; Vallender, ZRI 2021, 165, 166. 96 BGH v. 27.1.2022 – III ZR 195/20, WM 2022, 484 Rz. 8 = MDR 2022, 685 (Schwenker) = MDR 2022, 450. 97 BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 84/19, ZIP 2020, 1250 Rz. 15 = MDR 2020, 883 = DB 2020, 1340; Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII. Rz. 20. 98 Sternal in Kayser/Thole, § 3 InsO Rz. 23; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 35 StaRUG Rz. 8. 99 BayObLG v. 19.12.2019 – 1 AR 139/19, ZIP 2020, 624, 626. 100 Prütting in MünchKomm/ZPO, § 291 ZPO Rz. 9. Nicht ausreichend ist, dass die Kenntnisse durch Rückgriff auf die Akten eines anderen Verfahrens erlangt werden können (Bacher in BeckOK/ZPO, § 291 ZPO Rz. 6 (Stand: 1.7.2022). 101 Dazu Bacher in BeckOK/ZPO, § 291 ZPO Rz. 3 ff. (Stand: 1.7.2022). 102 Rüther in HambKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 11; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 18. 103 Prütting in MünchKomm/ZPO, § 291 ZPO Rz. 14; Greger in Zöller, § 291 ZPO Rz. 3.

Deppenkemper | 673

§ 39 Rz. 23 | Verfahrensgrundsätze einen Gegenbeweis anzutreten104 Im Beschluss ist darzulegen, woraus sich eine angenommene Offenkundigkeit ergeben soll.105

5. Beweismaß und Entscheidung bei „non liquet“ 24 Für die Feststellung der entscheidungsrelevanten Tatsachen gilt über § 38 Satz 1 StaRUG der

Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 ZPO; vgl. § 38 Rz. 74). Das erforderliche Beweismaß ist bei der förmlichen Beweisaufnahme und beim Freibeweis nicht unterschiedlich; beim Freibeweis sind die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht gemindert.

25 In Verfahren mit Amtsermittlung gibt es keine Beweisführungslast, da sich hier die Frage, wer

im Verfahren etwa durch Stellen von Beweisanträgen oder Benennung von Beweismitteln den Beweis einer streitigen Tatsache führen muss, nicht stellt (Rz. 5). Ist der Sachverhalt trotz Amtsermittlung nicht aufklärbar, regelt die objektive Feststellungslast (unabhängig von den Parteirollen),106 wer die Nachteile der Nichtaufklärbarkeit einer entscheidungserheblichen Tatsache („non liquet“) zu tragen hat.107 Das gilt unabhängig davon, ob das Gesetz die in Rede stehenden Rechtsfolgen an das Vorliegen („positive Tatsachen“) oder an das Nichtvorliegen („negative Tatsachen“) von bestimmten Tatsachen knüpft.108 Das Risiko der Feststellungslast verteilen im Einzelfall die Beweislastnormen. In Antragsverfahren trägt der Beteiligte nach den Grundsätzen des materiellen Rechts die Feststellungslast für die Tatsachen (rechtsbegründenden Tatbestandsmerkmale), die Voraussetzungen des ihm günstigen Rechtssatzes sind,109 während der Gegner die Nachteile der Unaufklärbarkeit von Tatsachen tragen muss, die die Entstehung des Rechts hindern, das Recht vernichten oder seine Durchsetzung hindern.110 Für die Erhaltung des Rechts trägt dann wieder derjenige, der das Recht für sich in Anspruch nimmt, die Feststellungslast. Gesetzliche Tatsachenvermutungen oder Zweifelsregelungen (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 3; § 63 Abs. 4 Satz 1 StaRUG) können dabei die Verteilung der Feststellungslast abweichend regeln. Die gesetzliche Formulierung hat daher entscheidende Bedeutung:111 Ist eine Rechtsfolge nur unter bestimmten Voraussetzungen gegeben, hat der, der sich auf sie beruft, das Vorliegen dieser Voraussetzungen zu beweisen. Ist dagegen negativ formuliert, dass eine Rechtsfolge unter bestimmten Voraussetzungen gerade nicht eintritt, nicht entsteht oder wegfällt, muss der Gegner beweisen, dass diese Voraussetzungen eingetreten sind. Soweit das Gesetz für solche Tatbestände unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen vorsieht, liegt die Beweislast für diese ihm günstigen Tatsachen wiederum beim Anspruchsteller. Diese Grundsätze gelten ähnlich für die Bestimmungen über die gerichtliche Zuständigkeit.112 Geht es um Verfahrensvoraussetzungen, so trägt die Feststellungslast derjenige, der aus diesen Voraussetzungen etwas für seine Verfahrensstellung, die Durchführung des von ihm beantragten Verfahrens oder für eine sonst für seinen Bereich günstige Verfahrensrechtsposition herleitet. 104 BVerfG v. 17.9.2020 – 2 BvR 1605/16, NJW 2021, 50 Rz. 15 = MDR 2020, 1524. 105 BGH v. 8.3.2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rz. 31 = ZIP 2021, 799 = MDR 2021, 559 = DB 2021, 947. 106 BGH v. 24.2.2016 – XII ZR 5/15, NJW 2016, 1441 Rz. 25 = MDR 2016, 578 = ZIP 2016, 824; Laumen in Prütting/Gehrlein, § 286 ZPO Rz. 68. 107 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Prütting in MünchKomm/ZPO, § 286 ZPO Rz. 103; Laumen in Prütting/Gehrlein, § 286 ZPO Rz. 59. 108 Bacher in BeckOK/ZPO, § 284 ZPO Rz. 75 (Stand: 1.7.2022); Laumen in Prütting/Gehrlein, § 286 ZPO Rz. 69. 109 BGH v. 6.10.2016 – VII ZR 185/13, NJW 2017, 386 Rz. 18 = MDR 2016, 1443. 110 Vgl. Bacher in BeckOK/ZPO, § 284 ZPO Rz. 73 (Stand: 1.7.2022); Laumen in Prütting/Gehrlein, § 286 ZPO Rz. 64. 111 Vgl. Laumen in Prütting/Gehrlein, § 286 ZPO Rz. 65. 112 Bacher in BeckOK/ZPO, § 284 ZPO Rz. 74.4 (Stand: 1.7.2022).

674 | Deppenkemper

Verfahrensgrundsätze | Rz. 31 § 39

6. Zeugen Wie § 5 Abs. 1 Satz 2 InsO nennt § 39 Abs. 1 Satz 2 StaRUG als Mittel der Amtsermittlung 26 ausdrücklich, dass das Gericht Zeugen und Sachverständige vernehmen kann. Für die Vernehmung etwa zum Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners zur 27 Prüfung der örtlichen Zuständigkeit (§ 35 Satz 2 StaRUG) oder dem Ablauf eines außergerichtlichen Planannahmeverfahrens (vgl. § 60 Abs. 3 Satz 1, § 63 Abs. 4 Satz 1 StaRUG) gelten über § 38 Satz 1 StaRUG die §§ 373 ff. ZPO (wie im Insolvenzverfahren)113 entsprechend.114 Typische Zeugen im Restrukturierungsverfahren werden Angestellte des Schuldners115 und 28 seine Steuerberater, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder Buchprüfer sein. Der Schuldner selbst bzw. die Vertreter eines Schuldnerunternehmens sind dagegen Beteiligte und sind als solche anzuhören.116

Ein Beweisbeschluss ist nicht erforderlich (vgl. § 273 Abs. 2 Nr. 4 ZPO),117 da kein Fall des 29 § 358 ZPO vorliegt. Die Ladung erfolgt entsprechend § 377 ZPO. Sie hat daher den Inhalt des § 377 Abs. 2 ZPO zu enthalten, wobei eine summarische Bezeichnung bzw. offene Umschreibung des streitigen Sachverhalts, die dem Zeugen eine Vorbereitung der Aussage ermöglicht, genügt; es gilt zu vermeiden, dass durch die Formulierung des konkreten Beweisthemas wörtlich nach dem Beteiligtenvortrag einem Zeugen eine Behauptung „in den Mund gelegt“ würde.118 Die Ladung kann formlos, selbst per E-Mail,119 übermittelt werden (§ 377 Abs. 1 Satz 2 ZPO). 30 Da regelmäßig Unterlagen relevant sein werden, sollte über die Standardhinweise hinaus gem. § 378 Abs. 1 ZPO darauf hingewiesen werden, dass der Zeuge diese Unterlagen einzusehen und mitzubringen hat.120 Eine förmliche Ladung erfolgt nur auf besondere Anordnung des Gerichts. Ladung gegen PZU empfiehlt sich, wenn zu besorgen ist, der Zeuge könne unentschuldigt Fernbleiben, um die Bedeutung zu erhöhen und den Zugang der Ladung als Grundlage eines Ordnungsgeldes (§ 380 ZPO) feststellen zu können.121 Die Ladung ist aber keine Voraussetzung der Zeugenvernehmung. Auch mitgebrachte oder aus sonstigen Gründen präsente Zeugen können vernommen werden,122 wobei dann den anderen Beteiligten rechtliches Gehör einschließlich der Möglichkeit, zu neuem Vortrag ggf. Beweismittel für den Gegenbeweis zu benennen, zu gewähren ist. Ggf. empfiehlt sich eine schriftliche Vernehmung gem. § 377 Abs. 3 ZPO123 – gem. § 358a 31 Nr. 3 ZPO auch schon vor dem Termin zur Vorabklärung einzelner Punkte –, wenn sich die Beweisfrage dafür eignet, es also insbesondere nicht auf den unmittelbaren persönlichen Ein113 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 24; Pape in Uhlenbruck, § 5 InsO Rz. 20. 114 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 25; Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 21. 115 Vgl. Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 25. 116 Vgl. Sternal in Kayser/Thole, § 5 InsO Rz. 10; Pape in Uhlenbruck, § 5 InsO Rz. 20. 117 Schmerbach in FK/InsO, § 5 InsO Rz. 20; Rüther in HambKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 14; Sternal in Kayser/Thole, § 5 InsO Rz. 15. 118 Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 23; Trautwein in Prütting/Gehrlein, § 377 ZPO Rz. 3; Greger in Zöller, § 377 ZPO Rz. 2. 119 BT-Drucks. 15/4067, S. 35. 120 Die Verwertung einer bereits vorhandenen schriftlichen Aussage des potentiellen Zeugen selbst kann im Wege des Urkundsbeweises erfolgen, wenn die Beteiligten mit dieser Verwertung einverstanden sind (Trautwein in Prütting/Gehrlein, § 377 ZPO Rz. 14; Greger in Zöller, § 377 ZPO Rz. 11). 121 Vgl. Trautwein in Prütting/Gehrlein, § 377 ZPO Rz. 5. 122 Greger in Zöller, § 377 ZPO Rz. 1; vgl. für den Zivilprozess BGH v. 19.7.2016 – X ZR 123/15, NJW 2016, 3304 Rz. 25 = MDR 2016, 1253. 123 Zweifelnd wegen des engen zeitlichen Rahmens (vgl. § 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG) Kramer in BeckOK/ StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Deppenkemper | 675

§ 39 Rz. 31 | Verfahrensgrundsätze druck ankommt und Vorhaltungen oder Nachfragen, die ohnehin eine Vernehmung im Termin erforderlich machten (vgl. § 377 Abs. 3 Satz 2 ZPO), nicht zu erwarten sind.124 Die Anordnung ist unanfechtbar (§ 355 Abs. 2 ZPO). 32 Auch ohne die in § 97 Abs. 1, § 101 InsO für Angestellte des Schuldners normierte Auskunfts-

pflicht ergibt sich eine Verpflichtung des Zeugen zur Aussage im Umkehrschluss aus § 390 Abs. 1 ZPO,125 wonach die Zeugnisverweigerung ohne Angabe eines Grundes oder aus einem rechtskräftig für unerheblich erklärten Grund zur Auferlegung der verursachten Kosten und Festsetzung eines Ordnungsgelds führt.

33 Der Zeuge hat Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechte gem. §§ 383 ff. ZPO,126 etwa wenn

ihm oder einem seiner Angehörigen (i.S.v. § 383 Abs. 1 Nr. 1–3 ZPO) als unmittelbare Folge der Aussage ein Vermögensschaden droht (§ 384 Nr. 1 ZPO), z.B. weil die Beantwortung einer Frage die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Haftung des Zeugen als Schuldner, Mitschuldner, Bürge, Regressschuldner etc. begründet oder die Durchsetzung einer schon bestehenden Verpflichtung durch das Beweismittel der Aussage erleichtert werden könnte.127 So können Zeugen auf Fragen nach anfechtbarem Erwerb das Zeugnis verweigern.128 Es genügt aber weder, dass der Schaden (nur) der durch den Zeugen organschaftlich vertretenen juristischen Person droht (str.),129 noch ein sonstiger mittelbarer Schaden durch einen nachteiligen Verfahrensausgang, z.B. eine dadurch eintretende Gefährdung einer eigenen Forderung durch beeinträchtigte Zahlungsfähigkeit des Schuldners.130

34 Nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO können u.a. Rechtsanwälte (§ 43a Abs. 2 BRAO) Notare (§ 18

BNotO), Steuer- und Wirtschaftsberater (§ 57 Abs. 1 StBerG; § 43 Abs. 1 WPO), Aufsichtsratsmitglieder und Vorstandsmitglieder einer AG (§§ 116, 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) und Abschlussprüfer (§ 168 AktG) das Zeugnis verweigern.131 Auch besteht mangels Entbindung (§ 385 Abs. 2 ZPO) nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ein sog. Bankgeheimnis,132 welches kundenbezogene Tatsachen und Wertungen, die einem Kreditinstitut aufgrund, aus Anlass bzw. im Rahmen der Geschäftsverbindung zum Kunden bekannt geworden sind und die der Kunde geheim zuhalten wünscht, umfasst.133 Neben dem Berufsträger sind auch dessen beruflichen Mitarbeiter und

124 Vgl. mit Einzelheiten Trautwein in Prütting/Gehrlein, § 377 ZPO Rz. 10; Greger in Zöller, § 377 ZPO Rz. 7–10. 125 Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 26. 126 Vgl. Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 5 InsO Rz. 28; Kexel in Graf-Schlicker, § 5 InsO Rz. 6; Rüther in HambKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 15; Gerhardt in Jaeger, § 5 InsO Rz. 19; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 27; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 39 StaRUG Rz. 33. 127 BAG v. 2.8.2017 – 9 AZB 39/17, DB 2017, 2428 Rz. 5; Schmerbach in FK/InsO, § 5 InsO Rz. 25. 128 BGH v. 6.6.1979 − VIII ZR 255/78, NJW 1979, 1832; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 27; Huber in Musielak/Voit, § 384 ZPO Rz. 3. 129 Scheuch in BeckOK/ZPO, § 384 ZPO Rz. 5 (Stand: 1.7.2022); Berger in Stein/Jonas, § 384 ZPO Rz. 4; Greger in Zöller, § 384 ZPO Rz. 4; a.A. Gehle in Anders/Gehle, § 384 ZPO Rz. 4; offenlassend BGH v. 26.10.2006 – III ZB 2/06, MDR 2007, 541. 130 Greger in Zöller, § 384 ZPO Rz. 4. 131 Greger in Zöller, § 384 ZPO Rz. 19 f. 132 Stephan, WM 2009, 241, 243; einschränkend Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Die dort zitierte Entscheidung LG Hamburg geht davon aus, dass der Konkursverwalter von der Verschwiegenheitspflicht befreit habe (LG Hamburg v. 21.3.1988 – 76 T 8/88, ZIP 1988, 590, 592). 133 BGH v. 21.10.2015 – I ZR 51/12, ZIP 2016, 1185 Rz. 22 = DB 2015, 14 = MDR 2016, 604; BGH v. 17.10.2013 – I ZR 51/12, ZIP 2014, 192 Rz. 22 = MDR 2014, 44; BGH v. 27.2.2007 – XI ZR 195/05, ZIP 2007, 619 Rz. 17 = MDR 2007, 786 = DB 2007, 735; BGH v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, ZIP 2006, 317 Rz. 35 = MDR 2006, 940 = DB 2006, 607; OLG Bamberg v. 28.3.2022 – 2 WF 119/21, juris Rz. 13. Die Frage, ob und inwieweit ein Insolvenzverwalter vom Bankgeheimnis befreien kann, stellt sich im Restrukturierungsverfahren nicht.

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Verfahrensgrundsätze | Rz. 36 § 39

Bedienstete sowie Rechtsnachfolger schweigebefugt.134 Befugt, einen Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, ist als höchstpersönliches Recht grundsätzlich nur derjenige, der zu jenem in einer geschützten Vertrauensbeziehung steht,135 (anders als grds. der Insolvenzverwalter)136 nicht etwa der Restrukturierungsbeauftragte oder gar der Sachverständige. Der Schuldner als Befugter ist zur Entbindung nach § 39 Abs. 2 StaRUG grds. verpflichtet.137 Ohne Entbindung entfällt die Ladung des Zeugen mit förmlicher Erklärung der Aussageverweigerung (§ 386 Abs. 3 ZPO). Bei Streit über das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts entscheidet darüber das Restrukturierungsgericht (§ 387 Abs. 1 ZPO) durch Beschluss; dagegen ist die sofortige Beschwerde eröffnet (§ 387 Abs. 3 ZPO).138 Bleibt ein ordnungsgemäß geladener Zeuge unentschuldigt (§ 381 ZPO) aus, kann gegen ihn 35 v.A.w. ein Ordnungsgeld festgesetzt (§ 380 Abs. 1 ZPO); bei mehrfachen Ausbleiben auch zwangsweise Vorführung angeordnet werden (§ 380 Abs. 2 ZPO).139 Eine Zeugenbeeidigung nach § 391 ZPO ist schon in der Praxis des Zivilprozesses unüblich, aber auch im Restrukturierungsverfahren möglich.140 Die Entschädigung der Zeugen richtet sich (auch bei schriftlicher Befragung) nach §§ 19 ff. JVEG.141

7. Sachverständige Wie § 5 Abs. 1 Satz 2 InsO nennt § 39 Abs. 1 Satz 2 StaRUG als Mittel der Amtsermittlung 36 ausdrücklich, dass das Gericht Sachverständige vernehmen kann. Das meint (wie im Insolvenzverfahren) nicht nur die Vernehmung, sondern auch die Hinzuziehung nach § 144 ZPO zu dem Zweck, dem Gericht die erforderliche Sachkunde zum richtigen Verständnis des Vorbringens und zur Erfassung des Sachverhalts zu verschaffen. Der Sachverständige leistet dann in einem frühen Stadium verfahrensbegleitend fachliche Unterstützung unabhängig von einer Beweisaufnahme und ist in dieser Funktion nicht Beweismittel, sondern Berater des Gerichts,142 was gerade bei komplexen, komplizierten Sachverhalten einen Qualitätsgewinn bedeuten kann.143 Daneben ist insbesondere die Bestellung eines Sachverständigen als Beweismittel nach §§ 402 ff. ZPO möglich.144 Insoweit kann dann unter den Voraussetzungen des

134 Trautwein in Prütting/Gehrlein, § 384 ZPO Rz. 19; Greger in Zöller, § 384 ZPO Rz. 17. 135 BGH v. 27.1.2021 – StB 44/20, ZIP 2021, 475 Rz. 16 = DB 2021, 669 = GmbHR 2021, 445 m. Anm. Brand. 136 BGH v. 30.11.1989 – III ZR 112/88, NJW 1990, 510, 512 = DB 1990, 783 = MDR 1990, 315 = ZIP 1990, 48; Baumert in Braun, § 5 InsO Rz. 19; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 28, 30a; Pape in Uhlenbruck, § 5 InsO Rz. 20. 137 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 26. Zur InsO wird teils bei einem Eigenantrag zugleich eine weitgehende Entbindung von der Schweigepflicht angenommen, s. LG Köln v. 5.7.2004 − 19 T 81/04, NZI 2004, 671; Kopp in BeckOK/InsR, § 20 InsO Rz. 41 (Stand: 15.4.2022). 138 Einzelheiten bei Damrau/Weinland in MünchKomm/ZPO, § 387 ZPO Rz. 16; Greger in Zöller, § 387 ZPO Rz. 6. 139 Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 25. 140 Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 27; vgl. zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 32. 141 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 28; Greger in Zöller, § 377 ZPO Rz. 12; zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 33. 142 Prütting in Prütting/Gehrlein, § 144 ZPO Rz. 3. 143 So BT-Drucks. 19/13828, S. 18 f.; vgl. Stadler in Musielak/Voit, § 144 ZPO Rz. 6a. 144 Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 9; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 39 StaRUG Rz. 31; Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII. Rz. 19.

Deppenkemper | 677

§ 39 Rz. 36 | Verfahrensgrundsätze § 411a ZPO auch ein Sachverständigengutachten aus einem anderen Verfahren, etwa aus einem Insolvenzverfahren, verwertet werden, als wäre es im Restrukturierungsverfahren erstattet worden.145 37 Da der Gesetzgeber bewusst daneben dem Gericht (nach Rechtshängigkeit)146 ermöglicht,

nach § 73 Abs. 3 StaRUG „zum Zwecke der Unterstützung und Entlastung des Gerichts“147 einen Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen, um Prüfungen als Sachverständiger vorzunehmen (vgl. § 73 Rz. 51), was aber die Bestellung anderer Personen als Sachverständige nicht ausschließt (§ 73 Rz. 2),148 stellt sich die Frage Abgrenzung. Diese ist keineswegs nur theoretischer Natur, sondern u.a. für die Vergütung (Rz. 43), die Haftung (Rz. 44), der Ablehnung wegen Befangenheit (§ 38 Rz. 23 ff.) und der Beendigung der Tätigkeit relevant.149 Allerdings lässt sich weder aus der zugedachten Unterstützungs- und Entlastungsfunktion noch aus dem Hinweis des Gesetzgebers auf ErwGr. 68 der Restrukturierungs-RL, der einen ex-ante-Kontrollmechanismus für Zwischenfinanzierungen betrifft, noch aus den in § 73 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StaRUG aufgeführten Beispielen ein trennscharfes Konzept erkennen, wann ein „schlichter“ Sachverständiger und wann ein Restrukturierungsbeauftragter als Sachverständiger beauftragt werden soll. Die bewusst in enger Anlehnung an § 274 Abs. 1, § 56 Abs. 1 InsO formulierten persönlichen Voraussetzungen (§ 74 Abs. 1 StaRUG)150 und die Funktion des Restrukturierungsbeauftragten als „Verbindungsoffizier“151 zum oder „Entsandter“152 des Restrukturierungsgerichts lassen ihn mit seiner multifunktionale Rolle153 in gewisser Parallele zum (vorläufigen) Sachwalter im Insolvenzverfahren und dessen beaufsichtigender, ermittelnder und moderierender Funktionen erscheinen.154 Und so, wie das Gericht den vorläufigen Sachwalter nunmehr (nach seinem Ermessen) mit Berichtspflichten nach § 270c Abs. 1 InsO

145 Vgl. Greger in Zöller, § 411a ZPO Rz. 1. 146 Nach Hölzle in HambKomm/RestruktR, § 73 StaRUG Rz. 12–14; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 73 StaRUG Rz. 11, 15 könne das Gericht auch von Amts wegen bereits vor der Anzeige (§ 31 Abs. 1 StaRUG) und Rechtshängigkeit (§ 31 Abs. 3 StaRUG) einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen. Vor der Anzeige gibt es aber keine gerichtliche Restrukturierungssache und ist das Gericht nicht entscheidungsbefugt. Es ist gerade Konzeption des Gesetzes, dass der Schuldner durch die Anzeige bestimmen kann, ob und wann das Gericht einbezogen wird. 147 So BT-Drucks. 19/24181, S. 171; dazu Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2440. 148 So BT-Drucks. 19/24181, S. 143; vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 23 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Flöther/Eckelt in Flöther, § 73 StaRUG Rz. 20; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 19; Dankert/Gellert in Nerlich/Römermann, § 73 StaRUG Rz. 165 (Stand: November 2021); a.A. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 73 StaRUG Rz. 8, 53, nach dem aus der Einschränkung des § 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG „in diesem Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist“ folge, dass in den Fällen des § 73 Abs. 3 StaRUG nur ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt werden könne (zutreffend a.A. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 23 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Nach Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 11, sei die Einsetzung eines Restrukturierungsbeauftragten nur möglich, wenn eine zulässige Anzeige vorliegt; zustimmend Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 19. 149 Hänel in BeckOK/StaRUG, § 73 StaRUG Rz. 113 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 150 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 171: „eine an §§ 56 Absatz 1, 274 Absatz 1 InsO angelehnte Regelung“. 151 Hölzle, ZIP 2020, 585. 152 Skauradszun, KTS 2021, 1, 41 f.; Skauradszun/Kümpel in Kraemer/Vallender/Vogelsang, Hdb. zur Insolvenz, Fach 4 Kap. 6 Rz. 260 (Stand: Oktober 21). 153 Dazu im Einzelnen Dankert/Gellert in Nerlich/Römermann, § 73 StaRUG Rz. 19 ff. (Stand: November 2021); Smid, ZInsO 2020, 2184, 2185 ff. 154 Vgl. Buth/Herrmanns/Kemper, RSI, § 3 Rz. 84; Buth/Herrmanns/Andres, RSI, § 25 Rz. 154; Flöther, NZI-Beilage 2021, 48; s. auch Seagon, NZI-Beilage 2019, 73, 74: „Der Restrukturierungsbeauftragte vereint Aufgaben des Insolvenzverwalters und des Sachwalters mit denen eines Mediators und Beraters“.

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Verfahrensgrundsätze | Rz. 38 § 39

beauftragen kann,155 was inhaltlich zwar eher eine Sachverständigentätigkeit, aber dem Tätigkeitsfeld des vorläufigen Sachwalters zuzurechnen ist,156 erlaubt § 73 Abs. 3 StaRUG die Erstreckung der Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten. Wenn also der Wortlaut des § 73 Abs. 3 StaRUG zwar nicht ausschließt, den Restrukturierungsbeauftragten allein zur Gutachtenerstellung zu bestellen,157 scheint die Grundidee doch zu sein, dass der Tätigkeitsbereich eines ohnehin zu bestellenden Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 Abs. 3 StaRUG erweitert werden kann.158 Ansonsten, ist die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten nicht geboten, spricht schon das Kosteninteresse dafür, für spezifische und begrenzte Fachfragen (z.B. örtliche oder internationale Zuständigkeit;159 Vergütungshöhe) einen Sachverständigen nach § 39 Abs. 1 StaRUG zu beauftragen.160 Ferner kann das Gericht beim nach § 74 Abs. 2 Satz 2 oder Satz 3 StaRUG „mitgebrachten“ Restrukturierungsbeauftragten Anlass etwa zur Überprüfung spezifischer betriebswirtschaftlicher Fragen sehen und dafür, statt einen weiteren Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen, (kostengünstiger) einen Sachverständigen nach § 39 Abs. 1 StaRUG beauftragen.161 I.d.R. wird, ist ein Restrukturierungsbeauftragter bereits beauftragt, angemessen und effizient sein, diesen auch mit der sachverständigen Prüfung zu betrauen. Die Entscheidung, ob das Gericht einen Sachverständige nach § 39 StaRUG oder einen sachverständigen Restrukturierungsbeauftragten nach § 73 Abs. 3 StaRUG beauftragt, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen.162 Dabei kann es berücksichtigen, wie komplex die angestrebte Sanierung voraussichtlich ist und ob die Tätigkeit sich auf die eines klassischen Sachverständigen im Eröffnungsverfahren beschränkt, so dass die Vergütung nach JVEG und die Haftung nach § 839a BGB angemessen sind. Der Sachverständige ist bei der Feststellung von Tatsachen ein neutraler, vom Gericht bestell- 38 ter „Gehilfe des Richters“.163 Er stellt dem Gericht sein persönliches Fachwissen und seine aus diesem Wissen hergeleiteten subjektiven Wertungen zur Verfügung. Zu seiner Aufgabe gehört zunächst nicht die Feststellung der Tatsachengrundlagen oder die Beschaffung der Begutachtungsobjekte.164 Das Gericht kann aber, ohne dass ein Beteiligter sich darauf bezogen hat,165 durch Beschluss oder mittels Verfügung166 unter Beachtung des Amtsermittlungsgrundsatzes

155 BT-Drucks. 19/24181, S. 206; Ellers/Kreutz in BeckOK/InsR, § 270c InsO Rz. 7 f. (Stand: 15.1.2022); Riggert in Braun, § 270c InsO Rz. 2; Fiebig in HambKomm/InsO, § 270c InsO Rz. 2 f.; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 763; Frind, ZIP 2021, 171, 176 f. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter vgl. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO. 156 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, § 270c InsO Rz. 9; s. auch Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 763: „Hinter der Bezeichnung des Berichts verbirgt sich eigentlich die Erstattung eines Sachverständigengutachtens über verfahrenserhebliche Umstände“. 157 Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 11. 158 Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 11 zieht die Parallele zur Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, der dann zusätzlich als Sachverständiger beauftragt wird. 159 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 21 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 160 Im Ergebnis ähnlich Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 12; Dankert/Gellert in Nerlich/Römermann, § 73 StaRUG Rz. 167 (Stand: November 2021): „wenn punktuelle und geschlossene Fragen ... geklärt werden müssen“; Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII. Rz. 19. 161 Vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 23.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hänel in BeckOK/ StaRUG, § 73 StaRUG Rz. 133 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 162 Hänel in BeckOK/StaRUG, § 73 StaRUG Rz. 114 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hölzle in HambKomm/ RestruktR, § 73 StaRUG Rz. 57; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 73 StaRUG Rz. 53. 163 BGH v. 23.9.2020 – IV ZR 88/19, WM 2020, 2045 Rz. 15; BGH v. 15.1.2020 – VII ZB 96/17, MDR 2020, 363 Rz. 12; BGH v. 27.7.2006 – VII ZB 16/06, ZIP 2006, 1923, juris Rz. 11. 164 BGH v. 13.7.1962 – IV ZR 21/62, juris Rz. 19. 165 Das gilt sogar für den Zivilprozess, BGH v. 16.3.2017 – I ZR 205/15, NJW 2017, 3304 Rz. 37 = MDR 2017, 1142 = MDR 2017, 1289 m. Anm. Bacher. 166 von Selle in BeckOK/ZPO, § 144 ZPO Rz. 9 (Stand: 1.7.2022).

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§ 39 Rz. 38 | Verfahrensgrundsätze nach pflichtgemäßem Ermessen167 einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen, damit eine Einnahme des Augenscheins möglich ist (§ 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO).168 Das gerichtliche Weisungsrecht (vgl. § 404a Abs. 1 ZPO) umfasst neben den inhaltlichen Vorgaben, die der Sachverständige seiner Begutachtung zugrunde zu legen hat, grundsätzlich auch die zur Beantwortung der Beweisfrage erforderlichen Maßnahmen, die der Begutachtung selbst oder deren Vorbereitung dienen und der Sachkunde des gerichtlich bestellten Gutachters bedürfen. Wenn aber bereits hierfür die dem Gericht fehlende besondere Sachkunde des Sachverständigen in Anspruch genommen werden muss169 oder das Gericht im Zeitpunkt der Beweisanordnung nicht voraussehen kann, auf welche Anknüpfungs- und Befundtatsachen es im Einzelfall ankommen wird,170 kann der Sachverständige ermächtigt werden, eigene Ermittlungen anzustellen.171 Er ist dann in diesem vorgegebenen Rahmen berechtigt, zur Vorbereitung seines Gutachtens Fragen an die Beteiligten zu stellen, einen Augenschein vorzunehmen und auch eigene Untersuchungen zur Ermittlung von Befundtatsachen vorzunehmen, etwa Einsicht in noch nicht beigezogene Geschäftsbücher.172 Die Beispiele in § 73 Abs. 3 StaRUG (Bestätigungsvoraussetzungen, Angemessenheit der Entschädigung) verdeutlichen, dass von dieser Ermächtigung im Restrukturierungsverfahren umfassend Gebrauch gemacht werden kann und auch Rechtsfragen Gegenstand des Sachverständigengutachtens seien können (zweifelnd § 73 Rz. 59).173 Praxisrelevant dürften die Planvergleichsrechnung i.S.d. § 6 Abs. 2 StaRUG und die Frage nach dem nächstbesten Alternativszenario werden.174 Es genügt dann aber nicht, dass das Gericht in seiner Entscheidung Aussagen des Sachverständigen inhaltlich oder sogar wörtlich nur referiert, da es die Aussagen bewertet und mitteilen muss, welche Angaben es für wahr und richtig hält.175 Der Tatrichter muss sich davon überzeugen, dass der Sachverständige im Rahmen seiner Begutachtung von einer zutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen ist.176 Spätestens, wenn das Gutachten vorliegt, muss sich das Gericht vergegenwärtigen und entscheiden, von welchen Anknüpfungstatsachen auszugehen ist. Zwangsbefugnisse hat der Sachverständige nicht.177 39 Die eigene Sachkunde des Richters kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei

einfachen Sachverhalten erübrigen. Folgt das Gericht deswegen einer Beweisanregung nicht, hat es die Parteien darauf hinzuweisen und dann im Beschluss die eigene besondere Sachkunde dazulegen.178 Die Würdigung etwa nicht einfacher betriebswirtschaftlicher Sachverhalte und wirtschaftlicher Annahmen, wie sie in Restrukturierungssachen ggf. bei der Bestätigung 167 Vgl. zum Zivilprozess BGH v. 22.5.2019 – VIII ZR 180/18, NJW 2019, 2765 Rz. 44 = MDR 2019, 858; BGH v. 22.9.2006 – V ZR 239/05, NJW-RR 2006, 1677 Rz. 13 = MDR 2007, 289. 168 Vgl. BGH v. 27.2.2019 – VIII ZR 255/17, MDR 2019, 563 Rz. 18. Der hier auch angesprochene Vorrang eines Beweisantrags besteht im Restrukturierungsverfahren wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht. 169 Vgl. Zimmermann in MünchKomm/ZPO, § 404a ZPO Rz. 8. 170 BSG v. 16.3.2021 – B 2 U 11/19 R, BeckRS 2021, 13925 Rz. 21. 171 Vgl. zum Eröffnungsverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 36. 172 Scheuch in BeckOK/ZPO, § 404a ZPO Rz. 9 (Stand: 1.7.2022); vgl. auch BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 6/12, ZIP 2012, 1615 Rz. 11 = MDR 2012, 1124; Jacobi/Böhme, ZInsO, 2019, 1357 ff. 173 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 21 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 18. 174 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 20. 175 Vgl. BSG v. 16.3.2021 – B 2 U 11/19 R, BeckRS 2021, 13925 Rz. 16. 176 BGH v. 16.5.2012 – XII ZB 584/11, NJW-RR 2012, 964 Rz. 7 = MDR 2012, 917: zu § 26 FamFG. 177 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 24 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 22; Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 16; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 39 StaRUG Rz. 32; zum Insolvenzverfahren Ganter/ Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 36. 178 Vgl. BGH v. 13.1.2015 – VI ZR 204/14, MDR 2015, 349 Rz. 5.

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Verfahrensgrundsätze | Rz. 42 § 39

geprüft werden müssen,179 erfordert aber regelmäßig eine spezielle Sachkunde und wird nicht schon durch die Kenntnis allgemeiner Erfahrungssätze ermöglicht, die sich das Gericht in anderen Verfahren oder aus vorgelegten schriftlichen Gutachten angeeignet haben mag.180 Das Restrukturierungsgericht wählt den für das Beweisthema am besten passenden, mög- 40 lichst spezialisierten Sachverständigen – wie das Insolvenzgericht im Insolvenzverfahren – nach freien Ermessen aus. § 404 Abs. 5 ZPO gilt im Rahmen der Amtsermittlung nicht.181 Gerade in dem noch jungen Rechtsgebiet der Restrukturierungsverfahren wird das Gericht auf Erkenntnisse und praktische Erfahrungen zurückgreifen, die es aus bereits für das Insolvenzgericht erbrachten Tätigkeiten des Sachverständigen gewonnen hat. Im Übrigen darf es unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Vorgaben auch aussagekräftige Daten abfragen, die einen Bezug zur persönlichen und fachlichen Eignung für die Tätigkeit aufweisen.182 Ist nach der Beweisfrage die Kompetenz von Sachverständigen verschiedener Fachrichtungen erforderlich, sind entsprechend mehrere Sachverständige oder eine Sachverständigengruppe zu bestellen.183 Eine Anhörung zur Auswahl des Sachverständigen ist nicht zwingend vorgegeben (§ 404 Abs. 2 ZPO) und allein aus Zeitgründen i.d.R. nicht angezeigt. Der Sachverständige muss nicht beim Restrukturierungsgericht als Restrukturierungsbeauftragter gelistet sein. Ist noch kein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, aber möglich, dass eine Bestellung noch erfolgen wird, sollte das Gericht bereits bei der Auswahl des Sachverständigen jedenfalls die Anforderungen nach § 74 Abs. 1 StaRUG beachten, damit der eingesetzte Sachverständigen später als Restrukturierungsbeauftragter (und ggf. sogar Insolvenzverwalter, § 56 Abs. 1 Satz 2 InsO) bestellt werden kann,184 zumal die dortigen Anforderungen an das Qualifikationsprofil i.d.R. auch für den Sachverständigen gelten.185 Die Bestellung des Sachverständigen sollte durch Beschluss erfolgen (vgl. § 359 Nr. 2 ZPO), 41 der wegen der Ablehnungsfrist nach § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO, sofern er nicht verkündet wurde, förmlich zugestellt werden sollte (§ 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO).186 Dieser hat die Aufgaben für den Sachverständigen genau und konkret zu bezeichnen (§ 403 ZPO).187 Gegen den Beschluss zur Bestellung als Sachverständiger ist kein Rechtsmittel gegeben.188 Der Sachverständige erstellt das Gutachten i.d.R. schriftlich. Das Sachverständigengutachten 42 muss so gefasst sein, dass das Gericht es auf seine wissenschaftliche Begründung, seine innere Logik und seine Schlüssigkeit hin überprüfen kann.189 Der Sachverständige ist nach § 407a Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. So179 Vgl. AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 29. 180 Vgl. BGH v. 16.1.2007 – VI ZR 166/06, VersR 2007, 1008 Rz. 3 (zu physikalischen Berechnungen); BGH v. 21.3.2000 – VI ZR 158/99, VersR 2000, 984 = MDR 2000, 884 (zu medizinischen Fragen); Greger in Zöller, Vorbem. zu §§ 402–414 ZPO Rz. 12. 181 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 18; Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 13. 182 Vgl. BGH v. 13.1.2022 – IX AR (VZ) 1/20, ZIP 2022, 279 Rz. 41: zum Insolvenzverwalter. 183 Greger in Zöller, § 404 ZPO Rz. 1. 184 Flöther/Eckelt in Flöther, § 73 StaRUG Rz. 20; kritisch zur „durchlaufenden“ Bestellung Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII. Rz. 19; Frind, ZRI 2021, 397, 402. 185 Hänel in BeckOK/StaRUG, § 73 StaRUG Rz. 114 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 186 Greger in Zöller, § 404 ZPO Rz. 1. 187 Vgl. zum Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständigen Hänel in BeckOK/StaRUG, § 73 StaRUG Rz. 135 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zur Einsetzung eines Sachverständigen im Eröffnungsverfahren Pape in Uhlenbruck, § 5 InsO Rz. 12. 188 Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 14; zum Insolvenzverfahren § 5 InsO Pape in Uhlenbruck, § 5 InsO Rz. 12. 189 Vgl. BGH v. 9.11.2011 – XII ZB 286/11, NJW 2012, 317 Rz = MDR 2012, 97. 16: zu § 280 FamFG.

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§ 39 Rz. 42 | Verfahrensgrundsätze weit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt (§ 407a Abs. 3 Satz 2 ZPO).190 Das gilt gleichermaßen auch für das Insolvenzverfahren und das Restrukturierungsverfahren. Ein durch eine verdeckte (dem Gericht und den Beteiligten verschwiegene) Hinzuziehung eines anderen Gutachters erstelltes Gutachten kann unverwertbar sein.191 43 Für die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten und deren Festsetzung enthält das Sta-

RUG komplexe, sehr differenzierende Regelungen in §§ 81–83 StaRUG. Diese sind auf den nach § 39 Abs. 1 Satz 2 StaRUG bestellten Sachverständigen nicht anwendbar. Mangels spezieller Normen richtet sich daher die Vergütung des (isolierten) Sachverständigen nach § 9 Abs. 4 Satz 1 JVEG.192 Demgemäß beträgt sie 120,– Euro je Stunde (zzgl. ggf. Fahrtkosten, § 5 JVEG, und besonderer Aufwendungen etwa für Hilfskräfte, § 12 JVEG).193 Für die voraussichtlichen Kosten sollte gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 GKG beim Schuldner Kostenvorschuss angefordert werden, ohne dass davon allerdings die vom Amts wegen erforderlichen Ermittlungen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) abhängig gemacht werden dürften.194

44 Die Haftung des „schlichten“ Sachverständigen richtet sich nicht (wie des Restrukturierungs-

beauftragten, der mit Sachverständigentätigkeit beauftragt ist)195 nach § 75 Abs. 4 StaRUG, sondern – wie im Insolvenzverfahren – nach § 839a Abs. 1 BGB.196

8. Anhörung der Planbetroffenen/sonstigen Gläubiger oder Dritter 45 Im Rahmen der Amtsermittlung kann das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen die ande-

ren Beteiligten – eher theoretisch – nach §§ 445 ff. ZPO vernehmen.197 Praxisrelevanter wird sein, dass die anderen Beteiligten schriftlich Stellung nehmen, was dann (unter Gewährung rechtlichen Gehörs der anderen Beteiligten) im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden kann.198 Ferner kann das Gericht auch Auskünfte bei Dritten, insbesondere auch bei Behörden (vgl. § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), einholen.199

190 Zum Eröffnungsverfahren (vgl. § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO) Schröder in HambKomm/InsO, § 22 InsO Rz. 75; Blankenburg, ZInsO 2018, 73, 74 ff. 191 BGH v. 8.1.1985 – VI ZR 15/83, MDR 1985, 923, 924; Greger in Zöller, § 407a InsO Rz. 2. 192 Bieg/Borchardt/Frind/Frind, Unternehmenssanierung, Teil 2 B. VIII. Rz. 19; vgl. zum beratenden Sachverständigen i.S.v. § 144 ZPO Greger in Zöller, § 144 ZPO Rz. 7: § 9 Abs. 2 JVEG analog. 193 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 21; Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 18. 194 BGH v. 10.11.1999 – I ZR 183/97, juris Rz. 23; BGH v. 27.11.1975 – X ZR 29/75, juris Rz. 47; Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 19; Greger in Zöller, § 379 ZPO Rz. 3; zum Insolvenzverfahren Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 5 InsO Rz. 33. 195 Blankenburg in Morgen, § 75 StaRUG Rz. 52: mit Erwägung, ob eine Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit entsprechend § 839a BGB in Betracht kommt. 196 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 24; Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 20; allgemein Greger in Zöller, Vorbem. zu §§ 402–414 ZPO Rz. 17, zur InsO Rüther in HambKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 19. 197 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 31 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 27; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 39 StaRUG Rz. 36; zum Insolvenzverfahren Madaus in BeckOK/InsR, § 5 InsO Rz. 18 (Stand: 15.4.2022); Baumert in Braun, § 5 InsO Rz. 19; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 47. 198 Vgl. Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 47. 199 Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 39 StaRUG Rz. 36.

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Verfahrensgrundsätze | Rz. 48 § 39

9. Sonstige Ermittlungsmöglichkeiten Das Gericht kann auch Beweis durch Augenschein erheben (vgl. § 371 ZPO). Die Amts- 46 ermittlung ist nicht auf die Mittel des Strengbeweises beschränkt. Es gilt Freibeweis (vgl. § 284 Satz 2 ZPO).200 Hilfreich kann die nunmehr präzisierte Möglichkeit Anordnung der Urkundenvorlegung auch gegenüber Dritten nach § 142 ZPO201 bzw. § 144 Abs. 1 Satz 2 ZPO202 sein. Praxisrelevant ist, dass das Gericht Auskünfte und Registerauszüge einholen und fremde Akten beiziehen kann.203 I.d.R. ist der Restrukturierungsbeauftragte eine ergiebige Erkenntnisquelle.204 Häufig werden sich Erkenntnisse auch durch eine Internetrecherche ergeben. Diese darf das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legen, muss aber zuvor den Beteiligten Gelegenheit geben, sich zu ihnen zu äußern, auch wenn es sich um offenkundige Tatsachen (§ 291 ZPO) handelt.205 Ein Hinweis kann nur unterbleiben, wenn die Umstände den Parteien ohne weiteres gegenwärtig sind und von deren Entscheidungserheblichkeit sie wissen.206

10. Rechtsmittel Die Ermittlungsmaßnahmen sind, da es sich weder um eine Entscheidung des Gerichts i.S.v. 47 § 40 StaRUG handelt (§ 40 Rz. 4) noch § 39 StaRUG eine Beschwerdemöglichkeit eröffnet (§ 40 Rz. 8), nicht mit Rechtsmitteln angreifbar. Das gilt sowohl für bloße Beweisanordnungen als auch für Beweisbeschlüsse und ebenso für die Unterlassung angeregter oder beantragter Ermittlungsmaßnahmen.207 Es bleibt die Möglichkeit, die Verletzung des § 39 Abs. 1 StaRUG mit dem Rechtsmittel gegen die den Verfahrensabschnitt beendende Entscheidung zu rügen.208 Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Sachvortrags verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn der Tatrichter dieses Vorbringen möglicherweise zur Kenntnis genommen hat, das Unterlassen der danach gem. § 39 Abs. 1 StaRUG gebotenen Beweiserhebung aber im Verfahrensrecht keine Stütze mehr findet.209

III. Auskunfts- und Unterstützungspflichten (§ 39 Abs. 2 StaRUG) Grundlegend für die Sachverhaltsfeststellung sind die Angaben des Schuldners selbst. Zwar 48 liegt die Einleitung des Verfahrens alleine in seiner Hand. In Hinblick auf die Bedeutung seiner Angaben210 für die Möglichkeit der Planbetroffenen, für sich die Lage der Unternehmung 200 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 17. 201 Vgl. Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 50; Prütting in Prütting/Gehrlein, § 142 ZPO Rz. 3. 202 Dazu von Selle in BeckOK/ZPO, § 144 ZPO Rz. 4, 6 (Stand: 1.7.2022); Fritsche in MünchKomm/ ZPO, §§ 142–144 ZPO Rz. 28. 203 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 32 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 29; Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 29; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 39 StaRUG Rz. 37 f.; Vallender, ZRI 2021, 165, 167; zum Insolvenzverfahren Rüther in HambKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 25; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 48. 204 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 33 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 205 BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 84/19, ZIP 2020, 1250 Rz. 15 = MDR 2020, 883 = DB 2020, 1340. 206 BGH v. 27.1.2022 – III ZR 195/20, WM 2022, 484 Rz. 8 = MDR 2022, 685 (Schwenker) = MDR 2022, 450. 207 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 30; zum Insolvenzverfahren BGH v. 20.9.2007 – IX ZB 37/07, NZI 2008, 100 Rz. 4; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 61. 208 Zur InsO Sternal in Kayser/Thole, § 5 InsO Rz. 21; Pape in Uhlenbruck, § 5 InsO Rz. 26. 209 Zur InsO BGH v. 29.03.2012 – IX ZB 134/09, ZInsO 2012, 1236 Rz. 6. 210 Vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 28 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022): „Insiderwissen“.

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§ 39 Rz. 48 | Verfahrensgrundsätze einzuschätzen und zu einer Entscheidung zu gelangen, ob sie das Planangebot (vgl. § 17 StaRUG) annehmen möchten, ist stimmig, dass dem Schuldner umfangreiche echte Auskunftsund Mitwirkungspflichten (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2, § 31 Abs. 2, § 32 Abs. 2–4, § 39 Abs. 2 StaRUG) obliegen und das Gericht ihn von Amts wegen anhält, diesen Pflichten nachzukommen. Daher normiert das Gesetz in § 39 Abs. 2 StaRUG neben den speziellen Pflichten insbesondere nach §§ 31, 32 StaRUG eine allgemeine Auskunftspflicht, die der Schuldner auf Aufforderung durch das Gericht zu erfüllen hat. 49 Die Anhörung des Schuldners dient zum einen der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs

und gibt dem Schuldner die Möglichkeit, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. Zum anderen kommt der Anhörung wesentliche Bedeutung für die dem Gericht obliegende Sachverhaltsaufklärung zu: Der Schuldner ist nicht Zeuge, sondern Partei i.S.v. § 445 ZPO.211 Sowohl die (den sog. Anbeweis voraussetzende)212 Vernehmung von Amts wegen (§ 448 ZPO) und – mangels Gegner – die Vernehmung nach § 447 ZPO mit Zustimmung der anderen Partei werden durch die speziellen Vorschriften des StaRUG verdrängt.213 Ohnehin käme die Vernehmung von Amts wegen nur in Betracht, wenn zuvor alle angebotenen Beweismittel, also auch die Parteivernehmung nach § 445 ZPO oder § 447 ZPO, ausgeschöpft worden sind.214 Adäquateres Mittel der Amtsermittlung ist die Parteianhörung (§ 141 ZPO), die gerade Darlegung des Streitstoffes darstellt und der Aufklärung des Sachverhalts dient.215 Sie ist kein Beweismittel im Sinne des Strengbeweises.216 Gleichwohl kann sie in die Überzeugungsbildung (§ 286 Abs. 1 ZPO) einfließen. Der historische Gesetzgeber erläutert, dass „der Grundsatz, daß der Richter die Thatfrage frei zu würdigen habe, [...] nicht auf das Ergebnis der Beweisführung beschränkt, sondern auf den gesamten Inhalt der Verhandlung ausgedehnt worden“ ist.217 Dieses Ausschöpfungsgebot fordert die informatorische Parteierklärung bei der tatrichterlichen Beurteilung mit zu würdigen.218 § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO bezweckt eben auch, zu einer der materiellen Rechtslage möglichst gerecht werdenden Entscheidung zu gelangen.219 Der Tatrichter kann allein aufgrund ihrer Beweiserhebung feststellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist und den Behauptungen und Angaben einer Partei unter Umständen auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann und ihr im Einzelfall sogar den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen geben.220

50 Die Auskunfts- und Unterstützungspflicht nach § 39 Abs. 2 StaRUG ist eng an § 20 Abs. 1

Satz 1 InsO (s. auch § 97 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 InsO) angelehnt. Es handelt sich um selbständige verfahrensrechtliche Pflicht öffentlich-rechtlicher Art,221 die mit der Amtsermittlungs-

211 Vgl. Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 40. 212 BGH v. 12.12.2019 – III ZR 198/18, MDR 2020, 237 Rz. 20; BGH v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16 Rz. 15; BGH v. 7.2.2006 – VI ZR 20/05 Rz. 9. 213 Vgl. zum Insolvenzverfahren Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 40; Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 6; a.A. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 30 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) zur gerichtlichen Planabstimmung (§ 29 Abs. 2 Nr. 1, §§ 45 f. StaRUG) und zur Planbestätigung mit Hinw., dass anderenfalls Beeidigung nach § 452 ZPO unanwendbar wäre. 214 BGH v. 12.12.2019 – III ZR 198/18, MDR 2020, 237 Rz. 21. 215 BVerfG v. 10.11.1997 – 2 BvR 429/97 juris Rz. 7 f.; BGH v. 30.3.2017 – BLw 3/16, juris Rz. 10 = DB 2017, 1143 = MDR 2017, 721 = ZIP 2017, 1183. 216 BGH v. 27.9.2017 – XII ZR 48/17 juris Rz. 12, MDR 2018, 172; Prütting in Prütting/Gehrlein, § 141 ZPO Rz. 2; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, § 143 ZPO Rz. 10 f. 217 Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 2. Band, 1. Abtheilung, 2. Aufl. 1881, S. 275. 218 von Selle in BeckOK/ZPO, § 141 ZPO Rz. 1 (Stand: 1.7.2022); Greger in Zöller, § 141 ZPO Rz. 1a; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, § 143 ZPO Rz. 48. 219 BVerfG v. 10.11.1997 – 2 BvR 429/97, juris Rz. 8. 220 BGH v. 27.9.2017 – XII ZR 48/17, juris Rz. 12, Prütting in Prütting/Gehrlein, § 141 ZPO Rz. 3; Greger in Zöller, § 141 ZPO Rz. 1a. 221 Zu § 20 InsO Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 6.

684 | Deppenkemper

Verfahrensgrundsätze | Rz. 51 § 39

pflicht korreliert. Sie soll sicherstellen, dass der Schuldner die Auskünfte zu erteilen hat, die zur Entscheidung über seine Anträge erforderlich sind, darüber hinaus aber auch das Gericht im Übrigen zu unterstützen hat, soweit dies zweckdienlich und zumutbar ist.222 Der Amtsermittlungsgrundsatzes und die Pflicht nach § 39 Abs. 2 StaRUG flankieren die speziellen Anzeigepflichten z.B. nach § 32 Abs. 2–4 StaRUG und dienen der effektiven Durchführung des Verfahrens. Sie bestehen für die Dauer des gesamten Restrukturierungsverfahrens,223 vor Stellung der Instrumentenanträge jedoch nur eingeschränkt (Rz. 11). Denn wenn auch der Gesetzgeber mit dem Amtsermittlungsgrundsatz ein gewisses Korrektiv und Gegenpol zu einem weitgehend „gerichtsfernen“ Verfahren gesetzt und dem Restrukturierungsgericht teils die Rolle eines „sleeping policeman“ oder auch „Nachtwächters“ zugewiesen hat,224 handelt es sich von der Verfahrenseinleitung bis zum Ende (etwa nach Rücknahme der Anzeige, § 38 Rz. 71) um ein privatautonomes Verfahren mit der „Beteiligtenautonomie als wesensprägende Säule“.225 Folgerichtig hat einerseits der Schuldner die Pflichten unentgeltlich zu erfüllen,226 werden sie andererseits aber nicht zwangsweise durchgesetzt (Rz. 59). Die Anordnung des Auskunftsersuchens ist keine beschwerdefähige Entscheidung (§ 40 Rz. 5).227 Die Pflicht richtet sich an den Schuldner. Bei juristischen Personen und Personenmehrheiten 51 haben die Vertretungsorgane, bei Personengesellschaften jeder vertretungsbefugte persönlich haftende Gesellschafter, sie zu erfüllen (vgl. § 101 Abs. 1 Satz 1 InsO).228 Sind mehrere Personen vertretungsberechtigt, ist jede einzeln für sich zur Auskunft verpflichtet, auch wenn eine Gesamtvertretungsbefugnis besteht.229 Eine § 101 Abs. 1 Satz 2 InsO230 vergleichbare Norm fehlt im StaRUG. Für eine unbewusste Regelungslücke bestehen keine Anhaltspunkte, zumal bei einem Restrukturierungsvorhaben eher nicht die Missbrauchsgefahr besteht, dass Geschäftsleiter ihr Amt in der Krise niederlegen, um sich ihren verfahrensrechtlichen Verpflichtungen zu entziehen.231 Daher erstreckt sich die Pflicht aus § 39 Abs. 2 StaRUG nicht auf Personen, die nicht früher als zwei Jahre vor der Anzeige wirksam ausgeschieden sind, so dass weder ehemalige persönlich haftende Gesellschafter noch ehemalige Organmitglieder oder Angestellte verpflichtet sind. Diese Personen können nur als Zeugen (Rz. 28) vernommen werden.232 Andere Beteiligte wie Planbetroffene oder Dritte wie Kreditinstitute, Finanzämter, Steuerberater und Rechtsanwälte sind nicht auskunfts- und mitwirkungspflichtig. In der Insolvenzrechtspraxis sind Anordnungen des Insolvenzgerichts Dritten gegenüber, dem vorläufigen Verwalter oder Sachverständigen erforderliche Auskünfte zu erteilen bzw. diesen zur Auskunftseinholung zu ermächtigen, durchaus erfolgreich, wenn auch streitig ist, ob solche Anordnungen zulässig sind.233 Jedenfalls für das Restrukturierungsverfahren scheint vorzugswürdig, sich auf die Möglichkeiten der §§ 142, 144, 373 f. 404 ff. ZPO zu beschränken. 222 BT-Drucks. 19/24181, S. 143; vgl. Vallender, ZInsO, 2020, 2579, 2585. 223 Vgl. zum Insolvenzverfahren BGH v. 25.2.2016 – IX ZB 74/15, ZIP 2016, 686 Rz. 12: auch für das Eröffnungsverfahren. 224 So die Formulierung bei Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII. Rz. 22. 225 BT-Drucks. 19/24181, S. 86; dazu Deppenkemper, ZIP 2020, 2432, 2437. 226 Vgl. zu § 20 InsO Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 20 InsO Rz. 44 (Stand: Januar 2017). 227 Vgl. Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 7. 228 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 39 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), zu § 97 InsO BT-Drucks. 12/2443, S. 143 f.; zu § 20 InsO Böhm in Braun, § 20 InsO Rz. 5; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 20 InsO Rz. 17 (Stand: Januar 2017); Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 10, 12. 229 Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 32. 230 Dazu Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 11. 231 Zu § 101 Abs. 1 Satz 2 InsO BGH v. 5.3.2015 − IX ZB 62/14, NZI 2015, 380 Rz. 15. 232 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 39 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 32. 233 Vgl. m.w.N. Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 20 InsO Rz. 19 (Stand: Januar 2017); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 36; Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 14.

Deppenkemper | 685

§ 39 Rz. 51 | Verfahrensgrundsätze Berufen sie sich (ggf. auf Anfragen des Sachverständigen) auf ihre Schweigepflicht oder das Amtsgeheimnis, ist der Schuldner i.d.R. auf Grund seiner Mitwirkungspflicht verpflichtet, sie zu entbinden (Rz. 57). 52 Adressat der geforderten Auskünfte und Unterstützung ist zunächst das Restrukturierungs-

gericht. Es kann dem Schuldner aufgeben, die Antworten direkt dem Restrukturierungsbeauftragten oder (isolierten) Sachverständigen zu erteilen234 und auch im Übrigen die Art und Weise der Auskunftserteilung und Mitwirkung durch Auflagen an den Schuldner regeln.235 Dem obligatorischen Restrukturierungsbeauftragten (§ 73 StaRUG) sind nach § 76 Abs. 5 StaRUG (wie dem vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 3 Satz 3 InsO) die Auskünfte zu erteilen, die für dessen Aufgabenerfüllung erforderlich sind;236 er ist zu unterstützen (§ 76 Rz. 42). Ein Betretungsrecht (wie das des vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO) ergibt sich aus §§ 73, 76 StaRUG für den Restrukturierungsbeauftragten aber nicht.237 Dem auf Antrag eingesetzten (fakultativen) Restrukturierungsbeauftragten können gem. § 77 Abs. 2 StaRUG Aufgaben nach § 76 StaRUG zugewiesen werden (§ 77 Rz. 8); dann gilt in diesem Rahmen die Pflicht nach § 76 Abs. 5 StaRUG auch gegenüber ihm, da er ansonsten seine Aufgabe (z.B. beim Kassenführungsrecht) nicht erfüllen kann.238 Dem Gläubigerbeirat ist nach § 93 Abs. 3 Satz 2 StaRUG die Inanspruchnahme von Instrumenten (§ 29 Abs. 2 StaRUG) anzuzeigen, damit der Beirat insbesondere seine Überwachungs- und Kontrollfunktion ausüben kann.239 Kein Auskunftsrecht nach § 39 Abs. 2 StaRUG haben die Planbetroffenen oder sonstige Gläubiger.240

53 Der Schuldner hat seine Pflichten höchstpersönlich zu erfüllen.241 Der Auskunftsberechtigte

richtet daher sein Auskunftsverlangen unmittelbar an den Schuldner selbst, auch wenn dieser durch einen Bevollmächtigten vertreten ist.242 Daher muss der Schuldner grds. dem Gericht jederzeit zur Auskunft und Mitwirkung zur Verfügung stehen, d.h. für es erreichbar sein.243 Auf die Einwilligung des Bevollmächtigten kommt es nicht an. Das Gericht hat ihn aber von einer Anhörung zu informieren244 und bei einer (eher seltenen) mündlichen Anhörung die Anwesenheit zu gestatten.245 Das Gericht sollte auch erlauben, dass der Bevollmächtigte den Schuldner bei der Antworterteilung unterstützt; dieses wird i.d.R. den Informationsgehalt der Antwort steigern. In der Insolvenzrechtspraxis hat sich bewährt, einen vom Sachverständigen

234 Zu § 20 InsO BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 6/12, NZI 2012, 823 Rz. 11; Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 19. 235 Vgl. Vuia in MünchKomm/InsO, § 20 InsO Rz. 13. 236 BT-Drucks. 19/24181, S. 174; vgl. Hänel in BeckOK/StaRUG, § 76 Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hölzle in HambKomm/RestruktR, § 76 StaRUG Rz. 43 f. 237 Flöther/Eckelt in Flöther, § 76 StaRUG Rz. 48; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 76 StaRUG Rz. 36; a.A. Dankert/Gellert in Nerlich/Römermann, § 76 StaRUG Rz. 50 (Stand: November 2021). 238 So (nur) für die Bestellung auf Gläubigerantrag Morgen in Morgen, § 77 StaRUG Rz. 13. 239 Schulte-Kaubrügger in HambKomm/RestruktR, § 93 StaRUG Rz. 8. 240 Vgl. zu § 20 InsO Kopp in BeckOK/InsR, § 20 InsO Rz. 13 (Stand: 15.4.2022); Vuia in MünchKomm/InsO, § 20 InsO Rz. 14; Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 19. 241 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 40 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 32, zu § 20 InsO Holzer in Kübler/Prütting/ Bork, § 20 InsO Rz. 18 (Stand: Januar 2017). 242 Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 33, zu § 20 InsO Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 17. 243 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 35; wohl a.A. Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 36; zur Bereitschaftspflicht nach der InsO vgl. Holzer in Kübler/Prütting/Bork, § 20 InsO Rz. 24 (Stand: Januar 2017). 244 Vgl. Schmerbach in FK/InsO, § 20 InsO Rz. 20. 245 Enger zu § 20 InsO Böhm in Braun, § 20 InsO Rz. 7; Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 17: nach Ermessen des Gerichts.

686 | Deppenkemper

Verfahrensgrundsätze | Rz. 56 § 39

erarbeiteten Fragebogen zu übersenden. Das Gericht kann zur Antwort im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren (auch kurze) Fristen setzen.246 Inhaltlich ist wahrheitsgemäß und vollständig Auskunft über alle das Verfahren betreffen- 54 den Verhältnisse zu erteilen (vgl. § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO); bei einem Organvertreter meint das nur die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft und nicht seine eigenen, persönlichen Vermögensverhältnisse. Die Auskunftspflicht ist weit auszulegen. Sie umfasst alle rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Verhältnisse, die für das Verfahren in irgendeiner Weise von Bedeutung sein können.247 Das richtet sich nach der Verfahrenslage, insbesondere nach den gestellten Instrumenten- und Bestätigungsversagungsanträgen. Auch insoweit andere Beteiligte die objektive Feststellungslast tragen, ist Konsequenz des im Interesse des Schuldners initiierten und seiner Gestaltung weitgehend überlassenen Verfahrens, dass er sich aus Gründen der Transparenz zu relevanten Umständen wahrheitsgemäß und vollständig zu erklären hat. Ihn trifft insoweit quasi generell eine sekundäre Darlegungslast. Wie im Insolvenzverfahren248 ist die Verpflichtung zur Auskunft nicht davon abhängig, dass 55 an den Schuldner entsprechende Fragen gerichtet werden. Der Schuldner muss vielmehr die betroffenen Umstände von sich aus ohne besondere Nachfrage offenlegen,249 soweit sie offensichtlich für das Restrukturierungsverfahren von Bedeutung sein können. Erkennt er, dass sich Veränderungen ergeben haben (vgl. § 32 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 StaRUG) oder die Angaben unvollständig oder unrichtig waren, muss er seine Auskunft unaufgefordert ergänzen bzw. berichtigen.250 Er kann auch verpflichtet sein, die Vorarbeiten zu erbringen, die für eine sachdienliche Auskunft erforderlich sind, wobei hierzu auch das Forschen nach vorhandenen Unterlagen und deren Zusammenstellung gehören kann.251 Nach § 97 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der Schuldner selbst bzw. bei juristischen Personen deren Organe auch Tatsachen zu offenbaren, die geeignet sind, ein Straf- oder Bußgeldverfahren gegen sie herbeizuführen. Da der Gesetzgeber diese wichtige Erweiterung im StaRUG nicht aufgenommen hat, gilt sie hier nicht entsprechend.252

Was an Unterlagen vorzulegen ist, ergibt sich zunächst aus § 31 Abs. 2 StaRUG sowie den 56 Anforderungen bzgl. der konkreten Instrumente. Sind zum Verständnis, zur Konkretisierung oder zur Prüfung dieser Unterlagen weitere Belege und sonstigen Unterlagen erforderlich, sind sie auf Anforderung im erforderlichen Maße einzureichen.253 Die Rechnungslegung und Buchführung soll eine Beurteilung der Restrukturierungsplanung ermöglichen (vgl. § 270e Abs. 1 246 Sehr ambitioniert Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 33: ggf. innerhalb 24 Stunden; auch Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 20, 29: i.d.R. innerhalb von zwei Wochen, aber ggf. auf bis zu 24 Std abgekürzt. 247 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 43 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 34; zu § 20 InsO BGH v. 5.3.2015 – IX ZB 62/14, NZI 2015, 380 Rz. 12; BGH v. 22.11.2012 – IX ZB 23/10, ZInsO 2013, 138 Rz. 4; Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 21. 248 Vgl. BGH v. 5.3.2015 – IX ZB 62/14, NZI 2015, 380 Rz. 12; BGH v. 11.4.2013 – IX ZB 170/11, NZI 2013, 648 Rz. 18; BGH v. 17.3.2011 – IX ZB 174/08, NZI 2011, 330 Rz. 7; BGH v. 22.11.2012 – IX ZB 23/10, ZInsO 2013, 138 Rz. 4; Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 22. 249 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 42 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 34. 250 Vgl. BGH v. 9.10.2008 – IX ZB 212/07, NZI 2009, 65 Rz. 11 (zu § 290 InsO); Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 22. 251 Vgl. zum Insolvenzverfahren BGH v. 19.01.2006 – IX ZB 14/03, ZInsO 2006, 264, 265. 252 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 43 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 31; Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 34; a.A. Baumert in Braun, § 39 StaRUG Rz. 3: entsprechende Anwendung des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO. 253 Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 35; Hölzle in HambKomm/RestruktR, § 76 StaRUG Rz. 44; vgl. BGH 17.2.2005 – IX ZB 62/04, NZI 2005, 263, 264; Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 22.

Deppenkemper | 687

§ 39 Rz. 56 | Verfahrensgrundsätze Nr. 1 Buchst. b InsO). Es gilt der Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers (vgl. § 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). In Einzelfall bei Bedarf kann das Gericht auch die Auflage erteilen, geordnete schriftliche Aufzeichnungen über die laufenden Geschäfte anzufertigen und sie dem Restrukturierungsbeauftragten zur Verfügung zu stellen.254 57 Ausdruck der aktiven Mitwirkungspflicht ist insbesondere, dass der Schuldner Dritte wie

z.B. Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Notare und Kreditinstitute von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbindet, wenn diese unter Berufung darauf Auskünfte verweigern.255 Als Ausdruck der passiven Mitwirkungspflicht (Rechtsgedanke des § 97 Abs. 3 Satz 2 InsO) hat der Schuldner alles zu unterlassen, was die Arbeit des Gerichts, Restrukturierungsbeauftragten oder des Sachverständigen behindern könnte.256 Etwa darf er keine relevanten Unterlagen vernichten oder manipulieren oder Zeugen beeinflussen.257

58 Die Pflicht nach § 39 Abs. 2 StaRUG unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.258

Schon der Wortlaut des Gesetzes stellt klar, dass nur (nach der konkreten Verfahrenssituation) erforderliche Angaben gefordert sind. Und auch diese werden nur verlangt, wenn sie im Einzelfall zumutbar sind. Dabei erhöhen sich die Anforderungen an das Zumutbare (wie die aufzuwendenden Kosten) entsprechend der Bedeutung der Auskunft für das Verfahren und insbesondere auch für die Kontroll- und Überwachungsfunktionen des Restrukturierungsbeauftragten, Gläubigerbeirats und Gerichts. Jedenfalls kann die Erfüllung der Pflicht nicht verlangt werden, wenn dieses objektiv unmöglich ist, etwa, weil der Schuldner krank ist und keinen Dritten für die Auskunftserteilung einsetzen kann. Letztlich wird der Schuldner ein ureigenes Interesse haben, erforderliche Angaben zu machen, da i.d.R. ihn die objektive Feststellungslast für die Voraussetzungen der Instrumente trifft und dort, wo das nicht der Fall ist, sein Verhalten in die Beweiswürdigung einfließen und zur Abweisung bzw. Aufhebung führen kann (Rz. 25).

59 Die Pflichten nach § 39 Abs. 2 StaRUG können nicht zwangsweise durchgesetzt werden.259

Eine Postsperre (§ 99 InsO), Durchsuchung (§ 758a ZPO) oder ein Vorführ- und Haftbefehl (§ 98 InsO) sind nicht vorgesehen. Sie wären ebenso wie eine Zwangsnormen wie § 20 Abs. 1 Satz 2 InsO auch systemfremd (Rz. 50). Konsequenz der Pflichtverletzung ist, dass das Gericht Instrumentenanträge zurückweist, wenn es aufgrund der fehlenden Mitwirkung des Schuldners keine Überzeugung (§ 286 Abs. 1 ZPO) von der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen gewinnen konnte (vgl. Rz. 25), oder schlicht die Aufhebung der Sache (§ 33 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StaRUG).260 254 Vgl. zu § 20 InsO LG Duisburg v. 2.5.2001 – 7 T 78/01, ZInsO 2001, 522; Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 20. 255 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 35; wohl a.A. Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 36; zur Pflicht im Insolvenzverfahren vgl. Kopp in BeckOK/ InsR, § 20 InsO Rz. 36 (Stand: 15.4.2022); Böhm in Braun, § 20 InsO Rz. 29; Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 13 f., 25 f. 256 Zu § 20 InsO Kopp in BeckOK/InsR, § 20 InsO Rz. 35 (Stand: 15.4.2022); Laroche in Kayser/Thole, § 20 InsO Rz. 16. 257 Vgl. Zipperer in Uhlenbruck, § 20 InsO Rz. 27. 258 Vgl. BGH v. 20. 3. 2003 − IX ZB 388/02, NZI 2003, 389, 391 f. 259 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 40 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022): „unvollkommene Verfahrenspflichten mit obligationsähnlichem Charakter“; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/ RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 30; Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 31, 37; Frind in Bieg/ Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII. Rz. 18; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2586. Morgen in Morgen, § 76 StaRUG Rz. 41, spricht von „Obliegenheiten“; zur Auskunftserteilung nach § 76 Abs. 5 StaRUG a.A. Smid, ZInsO 2020, 2184, 2190 (Naturalvollstreckung nach § 888 ZPO). 260 Baumert in Braun, § 39 StaRUG Rz. 4; Utsch in Nerlich/Römermann, § 39 StaRUG Rz. 6 (Stand: November 2021); Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2586; einschränkend Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B. VIII. Rz. 18.

688 | Deppenkemper

Verfahrensgrundsätze | Rz. 61 § 39

Die in der Insolvenzrechtspraxis261 oft hilfreiche Einholung von Auskünften über den Ge- 60 richtsvollzieher nach § 802l Abs. 1 Satz 1 ZPO ist seit 1.11.2022 in § 98 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 und 3 InsO insoweit kodifiziert, als dass das Insolvenzgericht von Amts wegen an Stelle des Gerichtsvollziehers die Maßnahmen nach § 802l Abs. 1 Satz 1 ZPO durchführen kann,262 wenn der Schuldner seiner Auskunftspflicht nach § 97 InsO nicht nachkommt oder dies aus anderen Gründen zur Erreichung der Zwecke des Insolvenzverfahrens erforderlich erscheint. Da im StaRUG keine vergleichbare Ermächtigung aufgenommen wurde, der Gesetzgeber § 98a InsO mit der Erwägung begründet, Zweck des Insolvenzverfahrens sei es, die Vermögenslage des Schuldners zu bereinigen, wozu erforderlich sei, die der Beschlagnahmewirkung des Insolvenzverfahrens unterliegenden Gegenstände ausfindig und für Zwecke der Gläubigerbefriedigung nutzbar zu machen,263 und § 802l Abs. 1 Satz 1 ZPO als eine gegenüber der Vermögensauskunft des Schuldners subsidiäre Vollstreckungsmaßnahme ausgestaltet ist,264 dürfte eine entsprechende Anwendung im Restrukturierungsverfahren nicht in Betracht kommen.

IV. Mündliche Verhandlungen (§ 39 Abs. 3 StaRUG) An sich ist die durch Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierte Öffentlichkeit und damit Mündlichkeit 61 Ausdruck eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2 und 3 GG).265 Der Gesetzgeber hat aber in Abs. 3 § 5 Abs. 3 InsO übernommen. Die Ausnahme vom Mündlichkeitsgrundsatz etwa des Zivilprozesses (vgl. § 128 Abs. 1 ZPO) dient (wie im Insolvenzverfahren)266 der Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens (vgl. § 128 Abs. 4 ZPO).267 „Entscheidungen“ i.S.v. § 39 Abs. 3 StaRUG (§ 40 Rz. 5) sind Richtersprüche aller Art, unabhängig davon, ob sie das gesamte Verfahren oder nur Zwischenfragen (wie z.B. die Zuerkennung oder Versagung eines Stimmrechts, § 63 Abs. 4 Satz 2 StaRUG) betreffen, ob sie einen sachlichen Inhalt oder nur verfahrensleitenden Charakter (wie z.B. die Verhängung von Ordnungsmitteln gegen Zeugen oder Sachverständige, §§ 380, 409 Abs. 1 ZPO analog) haben.268 Die praktisch bedeutsamsten Fälle im Restrukturierungsverfahren sind Beschlüsse.

261 Vgl. AG München v. 12.2.2016 – 1503 IN 3339/15, NZI 2016, 541; AG Rosenheim v. 8.9.2016 – 605 IN 468/15, NZI 2017, 87; AG Köln v. 7.6.2018 – 75 IN 197/17, DGVZ 2018, 255 Rz. 13; AG Leipzig v. 18.4.2019 – 403 IN 250/19, juris Rz. 6; Kopp in BeckOK/InsR, § 20 InsO Rz. 52a (Stand: 15.4.2022); Fleck in BeckOK/ZPO, § 802l ZPO Rz. 11 (Stand: 1.7.2022); Herrfurth in BeckOK/KostenR, GvKostG KV 440 Rz. 1 (Stand: 1.7.2022); Vuia in MünchKomm/InsO, § 80 InsO Rz. 96k; Forbriger in MünchKomm/ZPO, § 802l ZPO Rz. 16; Frind, Praxishandbuch Privatinsolvenz, Rz. 768; Beth, NZI 2016, 109; Büttner, ZInsO 2019, 937, 939; Siebert, NZI 2016, 541; Markovic, ZInsO 2016, 1974; Martini, jurisPR-InsR 20/2018 Anm. 3; a.A. Martens, DGVZ 2018, 186; 262 Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 2 Kap. 5 Rz. 334; Einzelheiten bei Blankenburg, ZInsO 2022, 1321 ff. 263 BT-Drucks. 19/27636, S. 35. 264 BGH v. 5.3.2020 – I ZB 50/19, NJW 2020, 2564 Rz. 21 = MDR 2020, 952; vgl. auch BGH v. 24.3.2022 – I ZB 55/21, NJW-RR 2022, 924 Rz. 34. 265 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 64a. 266 Madaus in BeckOK/InsR, § 5 InsO Rz. 21 (Stand: 15.4.2022). 267 BT-Drucks. 19/24181, S. 143. Zu § 5 Abs. 3 InsO, der § 73 KO entspricht, wird der geringe „Stellenwert der Mündlichkeit“ auch aus dem vollstreckungsrechtlichen Verständnis des Insolvenzverfahrens abgeleitet (vgl. Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 65; Pape in Uhlenbruck, § 5 InsO Rz. 29; kritisch Stürner in MünchKomm/InsO, Einleitung Rz. 53: es werde zu wenig berücksichtigt, dass das Insolvenzverfahren häufig wie ein Erkenntnisverfahren den Titel zur Vollstreckung erst schafft). 268 So (nahezu wörtlich) zu § 5 Abs. 3 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 66.

Deppenkemper | 689

§ 39 Rz. 62 | Verfahrensgrundsätze 62 Freilich gilt auch im Restrukturierungsverfahren, dass dort, wo das Gesetz einen Termin bzw.

eine Anhörung vorschreibt, zwingend (ggf. virtuell) eine solche stattfinden muss und es nicht etwa genügt, den Beteiligten Gelegenheit zur schriftlichen Äußerung zu geben.269 Insofern kann dahinstehen, ob Erörterungs-, Abstimmungs- und Anhörungstermin (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 1, § 46 Abs. 1 Satz 1, § 61 Satz 2 StaRUG) bloß der Vorbereitung der gerichtlichen Entscheidung dienen.270 Nur im Übrigen wie etwa bei § 48 Abs. 1 und § 61 Satz 1 StaRUG steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es mündlich verhandelt. Anträge sind insoweit nur Anregungen, haben aber keine das Gericht bindende Wirkung.271 Angesichts der typischen Eilbedürftigkeit wird das Gericht (unter Wahrung des rechtlichen Gehörs) i.d.R. ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die Verkündung kann in einem gesonderten Verkündungstermin erfolgen (vgl. ausdrücklich zur Planbestätigung § 65 Abs. 1 StaRUG).272

63 Will das Gericht die Möglichkeit des § 39 Abs. 3 Satz 1 StaRUG nutzen, bedarf es dafür keiner

Anordnung des schriftlichen Verfahrens nach § 128 Abs. 2 ZPO,273 zumal die Zustimmung der Beteiligten nicht erforderlich ist.274 Ordnet das Gericht dagegen eine mündliche Verhandlung an, terminiert es unter Beachtung der Ladungsfrist (§ 217 ZPO) und hat von Amts wegen zu laden (§ 214 ZPO). Es kann das persönliche Erscheinen von Verfahrensbeteiligten anordnen (§§ 141, 273 Abs. 3 Nr. 3 ZPO). Die Entscheidungen des Gerichts ergehen, wenn das Gericht die mündliche Verhandlung angeordnet hatte, durch verkündeten Beschluss (§ 329 Abs. 1 ZPO; vgl. § 38 Rz. 118),275 der ggf. zu begründen und zuzustellen ist.276

64 Der Beschleunigung dient auch der Ausschluss der Erleichterungen für Terminsverlegungs-

anträge nach § 227 Abs. 3 Satz 1 ZPO,277 so dass bei in den Gerichtferien terminierten mündlichen Verhandlungen nicht schlicht aufgrund Antrags – ohne besonderen Grund – verlegt werden muss.278 Eine Aufhebung ist nur in den engen Ausnahmefällen des § 227 Abs. 1 ZPO vorgesehen.279

269 Laroche in Flöther, § 39 StaRUG Rz. 7; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 39 StaRUG Rz. 36; Blankenburg in Morgen, § 39 StaRUG Rz. 38. 270 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 49 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 271 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 47 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 39 StaRUG Rz. 6; zu § 5 Abs. 3 InsO Rüther in HambKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 42; Sternal in Kayser/ Thole, § 5 InsO Rz. 23; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 65, 69; Pape in Uhlenbruck, § 5 InsO Rz. 29. 272 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 48 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 273 A.A. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 39 StaRUG Rz. 43: „setzt stets einen besonderen restrukturierungsgerichtlichen, nicht anfechtbaren Beschluss voraus.“ Auch die Folgerung, § 5 Abs. 2 Satz 2 InsO sei entsprechend anzuwenden (Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 39 StaRUG Rz. 44), deutet auf die Fehlvorstellung, § 5 Abs. 2 InsO gelte im Restrukturierungsverfahren. Dies ist aber nicht der Fall (zutreffend Laroche in Flöther, § 39 StaRUG Rz. 6). 274 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 39 StaRUG Rz. 47 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 275 Utsch in Nerlich/Römermann, § 39 StaRUG Rz. 7 (Stand: November 2021); zu § 5 InsO Schmerbach in FK/InsO, § 5 InsO Rz. 61; Kexel in Graf-Schlicker, § 5 InsO Rz. 21; Rüther in HambKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 43; Sternal in Kayser/Thole, § 5 InsO Rz. 24, zu § 329 ZPO Bach in BeckOK/ZPO, § 329 ZPO Rz. 13 (Stand: 1.7.2022); Feskorn in Zöller, § 329 ZPO Rz. 13. 276 Zu § 5 Abs. 3 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 5 InsO Rz. 51; Prütting in Kübler/ Prütting/Bork, § 5 InsO Rz. 52a (Stand: Juni 2014); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 68. 277 BT-Drucks. 19/24181, S. 143. 278 Zu § 5 Abs. 3 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 5 InsO Rz. 70. 279 Vgl. zur Gläubigerversammlung AG München v. 1.12.2021 – 1500 IN 1568/21, NZI 2022, 218 Rz. 2 f.

690 | Deppenkemper

Rechtsmittel | Rz. 1 § 40

§ 40 Rechtsmittel (1) 1Die Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. 2Die sofortige Beschwerde ist bei dem Restrukturierungsgericht einzulegen. (2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung. (3) 1Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. 2Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Normzweck und -genese . . . . . . . . . . . . . II. Statthaftigkeit der Beschwerde (§ 40 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Enumerationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschwerdeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschwerdeberechtigung . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschwer und besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Frist (§ 40 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . 4. Form und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Abhilfeverfahren, § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Wirkung der Beschwerde (§ 40 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Entscheidung des Beschwerdegerichts . . .

1 4 4 8 12 13 15 20 24 32 33 43 46 47

10. IV. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. V. VI.

Anschlussbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zulassung der Rechtsbeschwerde . . . . . . . a) Zulassungsentscheidung . . . . . . . . . . . b) Zulassungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung der Rechtsbeschwerde . . . . . . . . Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anschlussrechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . Sonstige Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . Kosten und Gebühren . . . . . . . . . . . . . . .

59 60 60 64 64 71 75 76 77 78 81 84 94 97 100

I. Normzweck und -genese Art. 16 Restrukturierungs-RL gibt den Mitgliedstaaten vor, dass ein Rechtsbehelf nach natio- 1 nalem Recht gegen einen Beschluss über die Bestätigung oder Ablehnung eines Restrukturierungsplans einer höheren Justizbehörde vorgelegt wird (Art. 16 Abs. 1 Restrukturierungs-RL). Auch aus ErwGr. 65 Satz 1 und 2, wonach betroffene Beteiligte die Möglichkeit haben sollen, einen Rechtsbehelf gegen einen Beschluss über die Bestätigung eines Restrukturierungsplans einlegen zu können, ließe sich folgern, dass das „Ob“ eines Rechtsbehelfs damit den Mitgliedstaaten freigestellt wäre. Das griffe zu kurz. Es entspräche nicht dem Regelungsanliegen des Verordnungsgebers.1 Gegen Entscheidungen, die wie eine Planbestätigung erheblich in die Rechtsstellung einzelner Personen eingreifen können, muss ein Rechtsmittel zur Verfügung stehen.2 Der deutsche Gesetzgeber eröffnet entsprechend in bestimmten, im Gesetz ausdrück-

1 Paulus in Dammann/Paulus, Art. 16 RL (EU) 2019/1023 Rz. 1. 2 Cranshaw in Pannen/Riedemann/Smid, Art. 16 RL (EU) 2019/1023 Rz. 4, leitet dieses schon aus dem Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 Restrukturierungs-RL ab.

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§ 40 Rz. 1 | Rechtsmittel lich vorgesehenen Fällen die sofortige Beschwerde (§ 40 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Für die Ausgestaltung orientiert sich § 40 StaRUG sehr eng am vorbildgebenden § 6 InsO.3 2 Über diesen Rechtsbehelf ist mit Blick auf eine zügige Bearbeitung auf effiziente Weise zu

entscheiden (Art. 16 Abs. 2 Restrukturierungs-RL). Er hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, doch können die Mitgliedstaaten eine Aussetzung der Durchführung des Restrukturierungsplans vorsehen (Art. 16 Abs. 3 Restrukturierungs-RL). In Deutschland ist das umgesetzt, indem das Restrukturierungsgericht (§ 570 Abs. 2 ZPO) und das Beschwerdegericht (§ 570 Abs. 3 ZPO) die Vollziehung der Entscheidung aussetzen können.

3 § 40 StaRUG gilt auch für die Sanierungsmoderation.4

II. Statthaftigkeit der Beschwerde (§ 40 Abs. 1 StaRUG) 1. Entscheidung 4 Die sofortige Beschwerde richtet sich gegen eine Entscheidung des Restrukturierungsgerichts.

Daher ist die bloße Untätigkeit nicht nach § 40 Abs. 1 Satz 1 StaRUG anfechtbar.5 Auch nur vorbereitende oder verfahrensleitende Maßnahmen, unabhängig davon, ob sie in Form einer Verfügung oder als Beschluss ergehen, sind keine anfechtbare Entscheidungen.6 Das gilt z.B. für die Hinweisbeschlüsse nach § 46 Abs. 2 und § 48 Abs. 2 StaRUG.7 Die Abgrenzung ist im richterlichen Bereich praktisch ohne Relevanz, da die Beschwerdemöglichkeit ohnehin die ausdrückliche Zulassung durch das StaRUG voraussetzt (Rz. 8).

5 § 40 Abs. 1 Satz 1 StaRUG bezieht sich auf Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts;

dabei ist gleichgültig, ob diese funktional vom Richter oder Rechtspfleger erlassen wurde.8

6 Ist anfechtbar über die Hauptsache und die Kosten entschieden, ist die Kostengrundentschei-

dung nicht isoliert anfechtbar;9 § 99 Abs. 1 ZPO gilt entsprechend.10

7 Der Rechtsmittelverzicht in Form einer gegenüber dem Gericht abgegebenen Erklärung führt

zur formellen Rechtskraft der betroffenen Entscheidung;11 sie ist dann nicht mehr anfechtbar.

3 BT-Drucks. 19/24181, S. 143; Baumert in Braun, § 40 StaRUG Rz. 2; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 1; Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, § 3 Rz. 49; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 40 StaRUG Rz. 3. 4 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 1. 5 Zu § 6 InsO BGH v. 12.3.2020 – IX ZB 68/18, ZIP 2020, 778 Rz. 4 = MDR 2020, 622; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 14; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 6 InsO Rz. 10, 19 (Stand: April 2012); Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 3; zu § 567 ZPO Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 567 ZPO Rz. 26. 6 Baumert in Braun, § 40 StaRUG Rz. 5; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 8; Utsch in Nerlich/Römermann, § 40 StaRUG Rz. 2 (Stand: November 2021); zu § 6 InsO BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 6/12, ZIP 2012, 1615 Rz. 6 = MDR 2012, 1124; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 10; Kexel in Graf-Schlicker, § 6 InsO Rz. 3; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 4; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 14; Prütting in Kübler/ Prütting/Bork, § 6 InsO Rz. 9 (Stand: April 2012). 7 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 8 Zu § 6 InsO Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 5, 8 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 12. 9 Vgl. Herget in Zöller, § 99 ZPO Rz. 1. 10 Vgl. Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 4 InsO Rz. 30. 11 BGH v. 24.10.2017 – X ARZ 326/17, MDR 2018, 223 Rz. 17.

692 | Deppenkemper

Rechtsmittel | Rz. 9 § 40

2. Enumerationsprinzip § 40 Abs. 1 Satz 1 StaRUG entspricht – bis auf die Setzung des Restrukturierungsgerichts an 8 die Stelle des Insolvenzgerichts – § 6 Abs. 1 Satz 1 InsO.12 Damit wurde das dortige Enumerationsprinzip13 übernommen.14 Ein Rechtsmittel ist gegen eine restrukturierungsspezifische Entscheidungen (Rz. 4) nur statthaft, wenn das Gesetz die sofortige Beschwerde (ausdrücklich) für den Beschwerdeführer15 vorsieht;16 eine Analogie ist ausgeschlossen.17 Enthält ein Beschluss mehrere Entscheidung, die teils anfechtbar, teils unanfechtbar sind, ist nur der Teil anfechtbar, der laut StaRUG der sofortigen Beschwerde unterliegt.18 Es ist Gestaltungsmacht des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der verschiedenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können.19 Eine Beschränkung fördert – wie bei § 6 InsO20 – den zügigen Fortgang der Restrukturierung.21 Problematisch ist, dass über § 19 Abs. 6, Abs. 1 SchVG § 40 Abs. 1 Satz 1 StaRUG entsprechend gilt, wenn Forderungen aus Schuldverschreibungen in den Restrukturierungsplan einbezogen bzw. durch ein Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens betroffen sind, das StaRUG aber keine § 78 InsO vergleichbare Regelung enthält, die es ermöglicht, die Bestellung und Ermächtigung eines gemeinsamen Vertreters zwecks Planabstimmung wie im Insolvenzverfahren isoliert anzufechten.22 Für nicht nachrangige Anleihegläubiger ist diese Rechtsschutzlücke durch eine (doppelt analoge) Anwendung des § 78 InsO zu schließen,23 da die Überprüfung im Rahmen der Beschwerde (§ 66 StaRUG) schlechter auf die Bestellung des gemeinsamen Vertreters passt.24 Wie zu § 6 InsO gilt aber auch zu § 40 StaRUG, dass die Beschränkung auf die im Gesetz 9 vorgesehene sofortige Beschwerde nur das spezifische restrukturierungsrechtliche Rechts12 Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B VII Rz. 31; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 40 StaRUG Rz. 1, 3; Gehrlein, BB 2021, 66, 79; Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2586. 13 Zu § 6 InsO BGH v. 27.1.2022 – IX ZB 41/21, ZIP 2022, 433 Rz. 9, 13; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 7; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 2 (Stand: 15.4.2022); Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 1; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 6; zu § 567 ZPO Heßler in Zöller, § 567 ZPO Rz. 28; Schultz in Pape/Reichelt/Schultz/Voigt-Salus, InsR, § 36 Rz. 2. 14 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 5, 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 1; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 40 StaRUG Rz. 2. 15 Vgl. zu § 6 InsO Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 26. 16 Utsch in Nerlich/Römermann, § 40 StaRUG Rz. 1 (Stand: November 2021); vgl. zu § 6 InsO BGH v. 27.1.2022 – IX ZB 41/21, ZIP 2022, 433 Rz. 9: zum Ausschluss eines Rechtsmittels gegen die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung; BGH v. 7.4.2016 − IX ZB 89/15, NZI 2016, 607 Rz. 7: zum Fall, dass das Insolvenzgericht entschieden hat, obgleich der Streit vor dem Prozessgericht auszutragen war. 17 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zu § 6 InsO BGH v. 17.12.2009 − IX ZB 177/08, NZI 2010, 159 Rz. 7. 18 Vgl. BGH v. 11.1.2007 − IX ZB 85/05, NZI 2007, 238 Rz. 9. 19 BGH v. 27.1.2022 – IX ZB 41/21, DB 2022, 524 Rz. 16 = ZIP 2022, 433. 20 Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 110; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 6 InsO Rz. 6 (Stand: April 2012). 21 So BT-Drucks. 19/24181, S. 143; mit Hinweis auf die erhöhte Verantwortlichkeit des Restrukturierungsgerichts Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 6. 22 Zu § 78 InsO vgl. BGH v. 16.11.2017 – IX ZR 260/15, NZI 2018, 133 Rz. 9; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 24. 23 Ablehnend Skauradszunn in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 69c.3–4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Lürken, ZIP 2021, 1305, 1311. 24 Thole, ZHR 186 (2022), 213, 245; erwägend bereits Lürken, ZIP 2021, 1305, 1310 f.

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§ 40 Rz. 9 | Rechtsmittel mittel der sofortigen Beschwerde bezüglich der Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts in Fällen ausschließt, in denen die sofortige Beschwerde nicht vorgesehen ist.25 § 40 Abs. 1 Satz 1 StaRUG schließt aber gegenüber Entscheidungen, die im Rahmen eines Restrukturierungsverfahrens auf der Grundlage allgemeiner, nicht zum eigentlichen Restrukturierungsrecht gehöriger Vorschriften getroffen werden, die dafür außerhalb des StaRUG vorgesehenen Rechtsmittel nicht aus (Rz. 97). 10 Im StaRUG ist die sofortige Beschwerde in folgenden Normen vorgesehen, auf die teilweise

andere Vorschriften verweisen:26 – gegen Aufhebung der Restrukturierungssache – Schuldner (§ 33 Abs. 4 StaRUG), – gegen Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung – Schuldner (§ 51 Abs. 5 Satz 2 StaRUG); – gegen Planbestätigung – jeder Planbetroffene (§ 66 Abs. 1 Satz 1 StaRUG); – gegen Ablehnung der Planbestätigung – Schuldner (§ 66 Abs. 1 Satz 2 StaRUG); – gegen Entlassung des Restrukturierungsbeauftragten – Restrukturierungsbeauftragter (§ 75 Abs. 3 Satz 1 StaRUG), entsprechend gem. § 78 Abs. 3 StaRUG bei fakultativen Restrukturierungsbeauftragten; – gegen Ablehnung des Antrags auf Entlassung des Restrukturierungsbeauftragten – Antragsteller (§ 75 Abs. 3 Satz 1 StaRUG), entsprechend gem. § 78 Abs. 3 StaRUG bei fakultativen Restrukturierungsbeauftragten; – gegen Festsetzung des Stundensatzes, Bestimmung oder Anpassung des Höchstbetrags sowie Festsetzung der Vergütung – Restrukturierungsbeauftragter/Auslagenschuldner (§ 82 Abs. 3 StaRUG), entsprechend nach § 98 Abs. 2 StaRUG für Vergütung des Sanierungsmoderators; – gegen Entscheidung über die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, wenn nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO das Fehlen der internationalen Zuständigkeit für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens gerügt werden soll – Schuldner und jeder Planbetroffene (§ 84 Abs. 2 Satz 3 StaRUG i.V.m. Art. 102c § 4 EGInsO).

11 Unter der Voraussetzung, dass der Gegenstand für den sich anschließenden Beschwerdegegner

selbst beschwerdefähig ist, ist auch eine (unselbständige) Anschlussbeschwerde (§ 567 Abs. 3 ZPO) denkbar (Rz. 59).

III. Beschwerdeverfahren 12 Im Grundsatz gelten für das Beschwerdeverfahren über § 38 Satz 1 StaRUG die §§ 567 ff.

ZPO, soweit sich nicht aus dem StaRUG, insbesondere aus § 40 StaRUG, etwas anderes ergibt.27 Die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen, namentlich die Beteiligten- und Verfahrensfähigkeit (§ 38 Rz. 25 ff.), müssen gegeben sein.28 25 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 20; Utsch in Nerlich/Römermann, § 40 StaRUG Rz. 3 (Stand: November 2021); zu § 6 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 12; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 5 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 6; Pape in Uhlenbruck, § 6 InsO Rz. 7. 26 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 10, 20 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 40 StaRUG Rz. 6; Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 2; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 5; Utsch in Nerlich/Römermann, § 40 StaRUG Rz. 4 (Stand: November 2021); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 40 StaRUG Rz. 5; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 13. 27 Baumert in Braun, § 40 StaRUG Rz. 10. 28 Zu § 6 InsO Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 9.

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Rechtsmittel | Rz. 17 § 40

1. Beschwerdeberechtigung Die Beschwerdeberechtigung leitet sich aus der Norm ab, die die sofortige Beschwerde vor- 13 sieht (Rz. 10).29 Daneben können Entscheidungen, die ihre Rechtsgrundlage außerhalb des StaRUG haben, im Instanzenzug der jeweiligen Rechtsordnung angefochten werden (Rz. 97). Ist der Schuldner keine natürliche Person, ist nach den allgemeinen Vertretungsregelungen 14 der gesetzliche/organschaftliche Vertreter berechtigt, die sofortige Beschwerde zu erheben. Eine Berechtigung eines von der Geschäftsführung ausgeschlossenen persönlich haftenden Gesellschafters, namens der Gesellschaft Rechtsmittel einlegen zu können, wie es im Insolvenzrecht analog § 15 Abs. 1 InsO angenommen wird,30 scheidet im Restrukturierungsrecht aus. Zum einen gibt es hier keine § 15 Abs. 1 InsO vergleichbare Norm. Zum anderen besteht für eine Analogie kein Bedürfnis.31

2. Beschwer und besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen Die Zulässigkeit der Beschwerde setzt die Beschwer voraus.32 Die erforderliche formelle Be- 15 schwer des Beschwerdeführers liegt vor, wenn ihm durch die Entscheidung etwas versagt wurde, was er beantragt hatte. Im Übrigen ist materiell beschwert, wer durch die Entscheidung in seinen Interessen nachteilig betroffen sein kann.33 Die Beschwerde dient ihm dazu, diese Beschwer zu beseitigen.34 Diese muss sich noch zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung aus dem materiellen Inhalt der Entscheidung (Entscheidungssatz) ergeben.35 Zum Teil steht die Beschwerde unter besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen, so z.B. die 16 Beschwerde der Planbetroffenen nach § 66 Abs. 2 StaRUG36 bei entsprechendem vorherigen Hinweis (§ 66 Abs. 3 StaRUG).37 Ausnahmsweise kann das Rechtsschutzinteresse fehlen, weil eine verfahrensrechtliche Über- 17 holung eingetreten ist, da sich das laufende Verfahren vor Entscheidung des Beschwerdegerichts erledigt und eine spätere Beschwerdeentscheidung den Beschwerdeführer nicht mehr besserstellen könnte38 und kein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung fortbesteht.39 29 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 20 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 40 StaRUG Rz. 9; Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 4; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 15. 30 BGH v. 21.6.2007 − IX ZB 51/06, NZI 2008, 121 Rz. 2; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 10 (Stand: 15.4.2022); Baumert in Braun, § 6 InsO Rz. 9; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 27. 31 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 21 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 4; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 15. 32 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 15; zu § 6 InsO Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 14 f.; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 6 InsO Rz. 27 (Stand: April 2012). 33 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Madaus in BeckOK/ InsR, § 6 InsO Rz. 11 (Stand: 15.4.2022); Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 5; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 16; zu § 6 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 57; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 30 f.; Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 12; Pape in Uhlenbruck, § 6 InsO Rz. 12. 34 BGH v. 12.3.2020 – IX ZB 68/18, ZIP 2020, 778 Rz. 6 = MDR 2020, 622. 35 Heßler in Zöller, § 567 ZPO Rz. 5. 36 Vgl. LG Dresden v. 1.7.2021 – 5 T 363/21, ZIP 2021, 2596, 2597; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 66 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 66 StaRUG Rz. 2. 37 Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 40 StaRUG Rz. 9. 38 BGH v. 18.1.1995 – IV ZB 22/94 A, NJW-RR 1995, 765; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 60; Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 18; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 36; Heßler in Zöller, § 567 ZPO Rz. 12. 39 Vgl. dazu BGH v. 24.9.2009 – IX ZB 38/08, ZIP 2009, 2068 Rz. 10 = MDR 2009, 1413.

Deppenkemper | 695

§ 40 Rz. 17 | Rechtsmittel Dann hat der Beschwerdeführer die Hauptsache für erledigt zu erklären (§ 91a ZPO analog). Ansonsten ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.40 Beispiele sind, dass die Restrukturierungssache (unabhängig von der Beschwerde) gem. § 33 StaRUG aufgehoben wurde41 oder bei einer Stabilisierungsanordnung die Anordnungsdauer abgelaufen ist. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse besteht dann nur fort, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist, etwa um einer Wiederholungsgefahr zu begegnen, oder bei tief greifenden Grundrechtseingriffen.42 Das liegt in Restrukturierungssachen eher fern. 18 Nur im extremen Ausnahmefall kann das Beschwerderecht durch missbräuchliches Hinaus-

ziehen der Anfechtung verwirkt sein. Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen werden. Auch wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment), müssen daher besondere Umstände, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment).43 Da die Beschwerde ohnehin nur in engen Fristen möglich ist und selbst bei nur formloser Bekanntmachung Verfristung nach fünf Monaten eintritt (Rz. 21), fehlt es i.d.R. am Zeitmoment. Es bleiben wohl nur die Fälle, in denen die Frist nicht zu laufen begann, gerade insoweit ein Missbrauch des Beschwerten vorliegt und die verspätete Beschwerdeführung gegen Treu und Glauben verstößt, etwa weil der Gegner sich auf die durch die Entscheidung geschaffene Rechtslage verlassen hat und verlassen durfte.44

19 Grundsätzlich gibt es im StaRUG keine Wertbeschränkung. Allerdings ist gegen Kostenent-

scheidungen die sofortige Beschwerde nach § 567 Abs. 2 ZPO nur statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,– Euro übersteigt. Zweifelhaft ist, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,– Euro übersteigen muss für die sofortige Beschwerde gegen die gerichtlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Festsetzung der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten (§ 82 Abs. 3 StaRUG),45 da es sich weder um eine Kostengrundentscheidung noch um eine andere Entscheidung in Kostensachen46 handelt.47 § 82 Abs. 3 StaRUG nennt weder selbst die Wertgrenze48 noch verweist er – wie § 64 Abs. 3 Satz 2 InsO – auf § 567 Abs. 2 40 BGH v. 14.9.2017 – I ZB 9/17, WM 2018, 331 Rz. 8 = MDR 2018, 360; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 567 ZPO Rz. 13; Schultz in Pape/Reichelt/Schultz/Voigt-Salus, InsR, § 36 Rz. 6. 41 Vgl. Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 16; zum Insolvenzverfahren Baumert in Braun, § 6 InsO Rz. 10. 42 BGH v. 24.9.2009 – IX ZB 38/08, ZIP 2009, 2068 Rz. 10 = MDR 2009, 1413; BGH v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, ZIP 2004, 915, 916 = MDR 2004, 1022; BGH v. 12.10.2006 – IX ZB 34/05, DZWiR 2007, 84 Rz. 8; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 61; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 23 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 40 StaRUG Rz. 9; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 71b; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 17, 19. 43 Deppenkemper in Prütting/Wegen/Weinreich, § 194 BGB Rz. 10. 44 BVerfG v. 26.1.1972 – 2 BvR 255/67, BVerfGE 32, 305; BGH v. 25.3.1965 – V BLw 25/64, BGHZ 43, 292; BGH v. 10.10.1962 – V ZR 189/60, NJW 1963, 154, 155; OLG Frankfurt v. 1.11.1979 – 4 WF 214/79, FamRZ 1980, 475 und 826; OLG Hamm v. 31.10 1991 – 23 W 50/91, JurBüro 1992, 394, 395; Heßler in Zöller, § 567 ZPO Rz. 10. 45 Dazu BT-Drucks. 19/24181, S. 177; Hänel in BeckOK/StaRUG, § 82 StaRUG Rz. 7 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 46 BT-Drucks. 14/47722, S. 110 nennt als „anderen Entscheidungen über Kosten“ die Entscheidungen im Kostenfestsetzungsverfahren, die im Zusammenhang mit der Beitreibung von Zwangsvollstreckungskosten und die beim Absetzen von Kosten im Mahnverfahren. 47 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 22.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); a.A. Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 17. 48 Vgl. § 66 Abs. 2 Satz 1, § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 81 Abs. 2 Satz 1 GNotKG, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG, § 4 Abs. 3 JVEG, § 5 Abs. 2 Satz 2 GVKostG i.V.m. § 66 Abs. 2 Satz 1 GKG.

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Rechtsmittel | Rz. 20 § 40

ZPO, zu dem der Gesetzgeber im Übrigen ausdrücklich klargestellt hat, dass Entscheidungen aufgrund von Kostengesetzen außerhalb der Zivilprozessordnung nicht erfasst sind.49 Der Zweck der Wertgrenze, unterhalb eines Mindestbeschwerdewerts die Gerichte von Bagatellverfahren zu entlasten,50 gilt aber in den Fällen des § 82 Abs. 3 StaRUG vergleichbar, wie in § 64 Abs. 3 InsO, so dass § 567 Abs. 2 ZPO hier analog gilt.51 Der Wert des Beschwerdegegenstandes richtet sich nicht nach dem Gesamtbetrag, sondern nach der Differenz, um die der Beschwerdeführer sich verbessern will.52 Das ist i.d.R. die Differenz zwischen dem in der angefochtenen Entscheidung zugebilligten und dem in der Beschwerdeinstanz beantragten Betrag,53 doch kann der Beschwerdeführer sich auch darauf beschränken, nur einen Teil der erstinstanzlichen Entscheidung anzugreifen.54 Eine Erhöhung des Wertes des Beschwerdegegenstands über die Beschwer hinaus ist aber nicht möglich.55 Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels. Die Beschwerde wird jedoch unzulässig, wenn die Wertgrenze nach einer teilweisen Abhilfe unterschritten wird, soweit dabei nicht bezweckt ist, die Beschwerde zu verhindern, etwa indem der Kostenansatz ohne nachvollziehbare Begründung auf 200,– Euro herabgesetzt wird.56

3. Frist (§ 40 Abs. 2 StaRUG) Die Beschwerdefrist beträgt zwei Wochen (§ 38 Satz 1 i.V.m. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das 20 entspricht dem Gebot der zügigen und effizienten Bearbeitung des Art. 16 Abs. 2 Restrukturierungs-RL, das sich zwar unmittelbar nur an die Behörden der Mitgliedstaaten richtet, aber als Programmsatz für das ganze Verfahren gilt.57 Die Beschwerdefrist ist eine Notfrist. Sie kann daher nicht verkürzt (§ 224 Abs. 1 Satz 1 StaRUG),58 aber auch nicht verlängert werden.59 Das Gericht prüft von Amts wegen, ob die Frist gewahrt worden ist. Dabei ist es nicht an die förmlichen Beweismittel des Zivilprozesses gebunden, sondern gilt der Grundsatz des Freibeweises; das ändert aber nichts daran, dass der dem Rechtsmittelführer obliegende Beweis für die rechtzeitige Einlegung des Rechtsmittels zur vollen, den Anforderungen des § 286 ZPO genügenden Überzeugung des Gerichts geführt sein muss.60 Bei schuldloser Fristversäumnis kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht (§ 233 ZPO).61 Ein beauftragter Rechtsanwalt hat die Anforderungen an die Zulässigkeit des Rechtsmittels in eigener Verantwortung zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass es binnen der gegebenen Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht.62 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62

BT-Drucks. 14/47722, S. 110. BGH v. 28.10.2004 − III ZB 41/04, NJW-RR 2005, 939. A.A. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 22.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). BGH v. 12.3.2020 – IX ZB 33/18, WM 2020, 980 Rz. 3 = ZIP 2020, 1197; Hamdorf in MünchKomm/ ZPO, § 567 ZPO Rz. 36; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 567 ZPO Rz. 12; Heßler in Zöller, § 567 ZPO Rz. 39. BGH v. 5.4.2011 − VI ZB 61/10, NJW-RR 2011, 1430 Rz. 4; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 37. BGH v. 19.4.2012 – IX ZB 162/10, ZIP 2012, 1149 Rz. 10 = MDR 2012, 876. BGH v. 19.4.2012 – IX ZB 162/10, ZIP 2012, 1149 Rz. 10 = MDR 2012, 876. Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 567 ZPO Rz. 36. Vgl. Cranshaw in Pannen/Riedemann/Smid, Art. 16 RL (EU) 2019/1023 Rz. 7; Pannen in Pannen/ Riedemann/Smid, § 40 StaRUG Rz. 21. Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 569 ZPO Rz. 2; Heßler in Zöller, § 569 ZPO Rz. 3. Vgl. Stackmann in MünchKomm/ZPO, § 224 ZPO Rz. 3; Feskorn in Zöller, § 224 ZPO Rz. 5; zu § 6 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 36; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 38; Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 10; Pape in Uhlenbruck, § 6 InsO Rz. 14. Zur Berufung BGH v. 13.7.2022 – VII ZB 29/21, BeckRS 2022, 22052 Rz. 14. Utsch in Nerlich/Römermann, § 40 StaRUG Rz. 7 (Stand: November 2021); zu § 6 InsO Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 17; zu § 569 ZPO Heßler in Zöller, § 569 ZPO Rz. 3. BGH v. 14.6.2022 – VI ZB 26/21, ZIP 2022, 1727 Rz. 7.

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§ 40 Rz. 21 | Rechtsmittel 21 „Abweichend von § 569 Absatz 1 Satz 2 ZPO beginnt die Frist mit der Verkündung oder –

falls eine solche nicht erfolgt – mit der Zustellung der Entscheidung.“63 Fristbeginn ist also zunächst die Verkündung der Entscheidung. Das entspricht wörtlich § 6 Abs. 2 InsO.64 Wegen der Bedeutung der Entscheidung über die beantragte Planbestätigung ist diese zu verkünden (§ 65 Abs. 1 StaRUG);65 sie ist damit auch wirksam (vgl. § 67 Abs. 1 Satz 1 StaRUG).66 Wenn – wie ansonsten regelmäßig – keine Verkündung erfolgt, kommt es (subsidiär) auf die Zustellung an.67 Ist diese unwirksam, beginnt die Frist (bei nicht verkündeten Beschlüssen) fünf Monate nach Erlass.68 Zwar betrifft § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO seinem Wortlaut nach nur verkündete Beschlüsse.69 Es ist aber sachgemäß, die (wirksame formlose) Bekanntgabe der Entscheidung der Verkündung gleichzusetzen.70 Ein nicht verkündeter Beschluss ist in dem Zeitpunkt erlassen, in dem sich das Gericht seiner in einer der Verkündung vergleichbaren Weise entäußert hat und er mit dem Willen des Gerichts aus dem inneren Geschäftsbetrieb herausgetreten ist, mithin, wenn er vollständig unterschrieben auf die Geschäftsstelle gelangt ist und diese mit der Zweckbestimmung wieder verlassen hat, den Beteiligten bekannt gegeben zu werden.71 Zusätzliche Voraussetzung des Fristbeginns neben der Absendung des Beschlusses ist aber, dass der Beschwerdeführer Kenntnis vom Beschluss erhalten hat.72 Der Beschwerte muss aus Gründen des rechtlichen Gehörs zumindest mit der Entscheidung rechnen müssen,73 z.B. aufgrund vorheriger mündlicher Verhandlung, was bei einer Beschwerdeentscheidung nicht vergleichbar, wie bei § 517 ZPO,74 der Fall ist. Auch eine Verwirkung kommt nur im Ausnahmefall in Betracht (Rz. 18).75 Eine fehlende76 oder unrichtige Belehrung über den Fristbeginn (§ 232 ZPO) verlängert die Frist nicht,77 kann aber Wiedereinsetzung begründen,

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BT-Drucks. 19/24181, S. 143. Zu § 6 InsO Pape in Uhlenbruck, § 6 InsO Rz. 14. Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 164. Wilke in BeckOK/StaRUG, § 67 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hoffmann/Braun in Flöther, § 67 StaRUG Rz. 3. Zu § 6 InsO BGH v. 14.12.2017 – IX ZB 65/16, NZI 2018, 235 Rz. 9; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 14 (Stand: 15.4.2022). BayObLG v. 23.1.1992 – AR 2 Z 110/91, NJW-RR 1992, 597; OLG Köln v. 1.9.1993 – 2 W 130/93, NJW-RR 1994, 445 = ZIP 1993, 1483; OLG Hamburg v. 29.12.1982 – 8 W 309/82, MDR 1983, 410; OLG Zweibrücken v. 24.1.1986 – 2 WF 211/85, FamRZ 1986, 377; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 19. Nach Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 18, und Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 38 sei § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO bedeutungslos. Vgl. BGH v. 10.11.2011 – IX ZB 165/10, WM 2011, 2374 Rz. 12 = ZIP 2011, 2479 = MDR 2012, 302; OLG Koblenz v. 3.1.2003 – 3 W 775/02, FamRZ 2004, 208; Baumert in Braun, § 6 InsO Rz. 19; Heßler in Zöller, § 569 ZPO Rz. 4. BGH v. 11.2.2020 – II ZR 130/19, juris Rz. 2; BGH v. 29.8.2017 – XI ZR 318/16, ZIP 2017, 1851 Rz. 3; BGH v. 1.4.2004 – IX ZR 117/03, MDR 2004, 1076; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 39; Völzmann/Stickelbrock in Prütting/Gehrlein, § 329 ZPO Rz. 5; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 569 ZPO Rz. 3; Feskorn in Zöller, § 329 ZPO Rz. 19. Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 569 ZPO Rz. 6; Ball in Musielak/Voit, § 569 ZPO Rz. 4; a.A. OLG Köln v. 1.9.1993 – 2 W 130/93, NJW-RR 1994, 445 = ZIP 1993, 1483; OLG Koblenz v. 3.1.2003 – 3 W 775/02, NJW-RR 2003, 1079; Seiler in Thomas/Putzo, § 569 ZPO Rz. 6. Vgl. BGH v. 14.12.2017 – IX ZB 65/16, ZIP 2018, 86 Rz. 40 = MDR 2018, 366. Dazu BGH v. 10.11.2011 – IX ZB 165/10, WM 2011, 2374 Rz. 15 = ZIP 2011, 2479 = MDR 2012, 302. Erwägend BGH v. 14.12.2017 – IX ZB 65/16, ZIP 2018, 86 Rz. 50 = MDR 2018, 366. BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 67/14, WM 2016, 803 Rz. 11 f. = MDR 2016, 732 = ZIP 2016, 988; BGH v. 26.3.2009 – V ZB 174/08, WM 2009, 1056 Rz. 11; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 38. BGH v. 14.12.2017 – IX ZB 65/16, ZIP 2018, 86 Rz. 14 = MDR 2018, 366; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 22.

698 | Deppenkemper

Rechtsmittel | Rz. 25 § 40

wenn sie einen unvermeidbaren oder zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum des Beteiligten hervorruft und die Fristversäumung hierauf beruht.78 Liegt eine öffentliche Restrukturierungssache vor, kann die anzufechtende Entscheidung 22 gem. §§ 84, 85 Abs. 1 Nr. 3, § 86 Abs. 3 StaRUG im Restrukturierungsportal (www.restrukturierungsbekanntmachung.de) öffentlich bekannt gemacht werden (§ 86 Rz. 2). Diese genügt zum Nachweis der Zustellung an alle Beteiligten, auch wenn zusätzlich besondere Zustellung vorgegeben sind. Vergleichbar zu § 9 Abs. 3 InsO beginnt die Beschwerdefrist spätestens mit der Wirksamkeit der Veröffentlichung zu laufen. Die öffentliche Bekanntmachung gilt als bewirkt, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind (§ 86 Abs. 1 Satz 2 StaRUG).79 Ist die Zustellung vor der Veröffentlichung erfolgt, beginnt die Beschwerdefrist bereits mit der Zustellung.80 Eingelegt werden kann die Beschwerde bereits, wenn die anzufechtende Entscheidung existent geworden ist. Die Beschwerdefrist ist gem. § 222 ZPO i.V.m. §§ 187 f. BGB zu berechnen.81

23

4. Form und Inhalt Die sofortige Beschwerde ist (nur) beim Restrukturierungsgericht (judex a quo) einzulegen. 24 Nach § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann die Beschwerde (fristwahrend) alternativ bei dem Beschwerdegericht (judex ad quem) eingelegt werden.82 Das ist (nach dem Vorbild des § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO)83 bei § 40 StaRUG bewusst ausgeschlossen.84 Das beschleunigt das Verfahren, da das Restrukturierungsgericht grundsätzlich (s. aber Rz. 26) vor der Beschwerdeentscheidung über die Abhilfe zu entscheiden hat (§ 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO; Rz. 33). Der Eingang beim Restrukturierungsgericht dient daher der Beschleunigung, indem er vermeidet, dass ansonsten die Beschwerdeschrift zuvor an das erstinstanzliche Gericht versendet werden müsste.85

Wird die Beschwerde entgegen § 40 Abs. 1 Satz 2 StaRUG beim Beschwerdegericht eingelegt, wird 25 dadurch die Frist nicht gewahrt, da dazu die Einlegung bei einem unzuständigen Gericht nicht geeignet ist.86 Das unzuständige angerufene Gericht hat die Beschwerde im ordentlichen Ge78 BVerfG v. 4.9.2020 – 1 BvR 2427/19, FamRZ 2021, 40 Rz. 29 ff.; BGH v. 15.7.2021 – IX ZB 73/19, WM 2021, 1949 Rz. 15 = ZIP 2022, 94 = MDR 2021, 1485; BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 67/14, WM 2016, 803 Rz. 11 f. = MDR 2016, 732 = ZIP 2016, 988; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 41; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 19; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 39a; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 569 ZPO Rz. 2; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 24; Heßler in Zöller, § 569 ZPO Rz. 4. 79 Zu § 9 InsO Sternal in Kayser/Thole, § 9 InsO Rz. 7, 10; Pape in Uhlenbruck, § 9 InsO Rz. 5. 80 BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 67/14, NZI 2016, 397 Rz. 8; BGH v. 5.11.2009 – IX ZB 173/08, NZI 2010, 159 Rz. 9; BGH v. 20.3.2003 – IX ZB 140/02, ZInsO 2003, 374; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 26 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 8. 81 Vgl. BGH v. 14.11.2013 – IX ZB 101/11, ZIP 2013, 2425 Rz. 8 ff. = MDR 2014, 246; Baumert in Braun, § 6 InsO Rz. 15; Rüther in HambKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 24. 82 Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 569 ZPO Rz. 5; Heßler in Zöller, § 569 ZPO Rz. 2. 83 Zu § 6 InsO BT-Drucks. 17/7511, S. 33; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 44; Baumert in Braun, § 6 InsO Rz. 25; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 14 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 4; Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 11. Vorbildgebend für § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO wurde § 64 Abs. 1 Satz 1 FGG (dazu BT-Drucks. 16/6308, S. 206), vgl. BT-Drucks. 17/7511, S. 33. 84 BT-Drucks. 19/24181, S. 143. 85 Utsch in Nerlich/Römermann, § 40 StaRUG Rz. 6 (Stand: November 2021); Vallender, MDR 2021, 201 Rz. 25; zu § 6 InsO BT-Drucks. 17/7511, S. 33; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 40; Pape in Uhlenbruck, § 6 InsO Rz. 13. 86 Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 19; zu § 6 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 48; Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 49.

Deppenkemper | 699

§ 40 Rz. 25 | Rechtsmittel schäftsgang an das zuständige Gericht weiterzuleiten,87 damit dieses über die Abhilfe oder Nichtabhilfe entscheiden kann. Ansonsten kommt Wiedereinsetzung in Betracht, wenn die Frist bei pflichtgemäßer Weiterleitung gewahrt worden wäre.88 Zu Maßnahmen außerhalb des ordentlichen Geschäftsgangs ist das Gericht aber nicht verpflichtet.89 Der gerichtlichen Fürsorgepflicht sind Grenzen gesetzt. Zwar darf das Gericht nicht sehenden Auges zuwarten, bis der Beteiligte Rechtsnachteile erleidet, doch ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Richter die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs nicht zeitnah nach dessen Eingang, sondern erst bei der Bearbeitung des Falls und gegebenenfalls nach Ablauf der Fristen überprüft.90 Haben mehrere Gerichte eine gemeinsame Eingangsstelle eingerichtet, gilt die Beschwerdeschrift oder der sonstige Schriftsatz als bei demjenigen Gericht eingegangen, an das er adressiert war.91 26 Da ein ordnungsgemäßes Abhilfeverfahren keine zwingende Voraussetzung der Beschwer-

deentscheidung ist, sollte es im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes und zur Vermeidung einer Verzögerung trotz § 40 Abs. 1 Satz 2 StaRUG dem Beschwerdegericht erlaubt sein, über eine direkt bei ihm eingelegte Beschwerde (ohne Abhilfeentscheidung des Restrukturierungsgerichts) zu entscheiden, wenn die Sache dringend und die Beschwerde offensichtlich begründet oder unbegründet ist. Die Durchführung eines Abhilfeverfahrens würde ansonsten in diesen Fällen dessen Zweck92 und den erhofften Beschleunigungszweck des § 40 Abs. 1 Satz 2 StaRUG (Rz. 24) geradezu konterkarieren.93

27 Die Beschwerde kann durch eine Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eines jeden AG

erfolgen (§ 38 Satz 1 StaRUG, § 569 Abs. 3 Nr. 1, § 129a Abs. 1 ZPO).94 Nach heute verbreiteter Ansicht kann sie auch durch Einlegung zum richterlichen Sitzungsprotokoll erfolgen, doch besteht jedenfalls keine Verpflichtung des Gerichts, eine Beschwerde zu Protokoll zu nehmen.95 I.d.R. wird sie durch Einreichung einer Beschwerdeschrift eingelegt (§ 569 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Es besteht kein Anwaltszwang (vgl. § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).96 Eine Einreichung in elektronischer Form (s. Rz. 28) oder per Fax ist möglich. Für die Beschwerdeschrift gelten die Vorschriften der §§ 129 ff. ZPO über bestimmende Schriftsätze.97 Insbesondere muss aus der Schrift für sich allein oder mit Hilfe weiterer Unterlagen, ggf. durch Auslegung,98 bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig (und zweifelsfrei) zu erkennen sein, insbesondere für und auch gegen was das Rechtsmittel eingelegt wird.99

87 BGH v. 25.1.2017 – XII ZB 504/15, MDR 2017, 417 Rz. 16 ff.; 2013, 994 Rz. 19 f. 88 BGH v. 27.7.2016 – XII ZB 203/15, NJW-RR 2016, 1340 Rz. 12; BGH v. 12.6.2013 – XII ZB 394/12, MDR 2013, 994 Rz. 19. 89 BGH v. 6.5.2020 – IV ZB 18/19, NJOZ 2020, 796 Rz. 12; BGH v. 19.9.2017 – VI ZB 37/16, MDR 2018, 173 Rz. 6; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 48. 90 BGH v. 11.1.2022 – VIII ZB 37/21, NJW-RR 2022, 346 Rz. 14 = MDR 2022, 745 (Schwenker) = MDR 2022, 390. 91 BGH v. 29.8.2017 – VI ZB 49/16, VersR 2018, 186 Rz. 5 = MDR 2017, 1381 = MDR 2018, 75 m. Anm. Bacher; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 569 ZPO Rz. 5. 92 Vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 69, 114. 93 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 29 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 94 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 24 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 38 StaRUG Rz. 3 und § 40 StaRUG Rz. 9; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 20; a.A. wegen des Eilcharakter des Verfahrens Vallender, ZInsO 2020, 2579, 2584. 95 Heßler in Zöller, § 569 ZPO Rz. 9. 96 Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 20. 97 BGH v. 11.6.2015 – I ZB 64/14, AfP 2016, 48 Rz. 13 = MDR 2015, 978; OLG Karlsruhe v. 6.9.2021 – 17 W 13/21, WM 2021, 2309, 2310 = MDR 2022, 84 (Fischer) = MDR 2022, 59. 98 BGH v. 24.1.2013 – VII ZR 128/12, ZIP 2013, 647 Rz. 13 = MDR 2013, 420 f.: zur Parteibezeichnung in der Berufungsschrift; BGH v. 12.4.2011 – II ZB 14/10, ZIP 2011, 1587 Rz. 10 = MDR 2011, 1065 f.: zur Person des Rechtsmittelführers in der Beschwerdeschrift; LG Dresden v. 1.7.2021 – 5 T 363/21, ZIP 2021, 2596, 2597; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 41. 99 BGH v. 22.9.2009 – VI ZB 76/08, MDR 2010, 44, 45: zu § 519 ZPO.

700 | Deppenkemper

Rechtsmittel | Rz. 30 § 40

Rechtsanwälte, Behörden und bestimmte juristische Person des öffentlichen Rechts müssen 28 schriftlich einzureichende Anträge als elektronisches Dokument übermitteln (§ 38 Satz 1 StaRUG, § 130d Satz 1 ZPO; dazu § 38 Rz. 58 f.). Ansonsten sind Verfahrenshandlungen (form) unwirksam; noch offen ist, ob das ersetzende Scannen bei Gericht (vgl. § 298a Abs. 2 Satz 1 ZPO) den Formmangel heilt, weil dann letztlich das Dokument in der elektronischen Form vorliegt, in der es vorliegen muss.100 Formgerecht eingereicht ist ein elektronisches Dokument nur, wenn es die in § 130a Abs. 2–4 ZPO aufgestellten Voraussetzungen erfüllt.101 Per E-Mail kann die Beschwerde nicht elektronisch102 eingereicht werden.103 Die Beschwerde darf nicht unter eine Bedingung gestellt104 werden und muss unterschrieben sein (gem. § 130 Nr. 6 ZPO);105 eine Paraphe reicht nicht. Das Fehlen einer Unterschrift kann ausnahmsweise unschädlich sein, wenn – ohne Beweisaufnahme – auf Grund anderer Umstände zweifelsfrei feststeht, dass der Verfahrensbevollmächtigte die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen hat.106 Wird die Beschwerdeschrift als elektronisches Dokument eingereicht, muss sie nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO mit einer qualifizierten Signatur (Art. 3 Nr. 12 elDAS-VO) der verantwortenden Person versehen oder von der verantwortenden Person (einfach) signiert (Art. 3 Nr. 10 elDAS-VO) und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden sein.107 Auch bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA gebietet es die anwaltliche Sorgfaltspflichten, den Versandvorgang zu überprüfen.108 Ist das Rechtsmittel nicht formgerecht eingelegt worden, kann ein Beteiligter erwarten, dass 29 dieser Vorgang in angemessener Zeit bemerkt wird und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um eine drohende Fristversäumnis zu vermeiden. Das Gericht muss aber die Formalien (etwa eines als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsatzes) nicht sofort prüfen (vgl. Rz. 25).109 § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO gibt vor, dass die Beschwerdeschrift die Bezeichnung der angefoch- 30 tenen Entscheidung sowie die (unbedingte) Erklärung enthält, dass Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt werde. Die angegriffene Entscheidung wird i.d.R. durch eine vollständige Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten, des Gerichts, das den angefochtenen Beschluss 100 Vgl. zur Schriftform, wenn auf der Geschäftsstelle eine per E-Mail übermittelten Datei ausgedruckt wird, BGH v. 18.3.2015 – XII ZB 424/14, NJW 2015, 1527 Rz. 10 = MDR 2015, 533 = ZIP 2015, 1144. 101 BGH v. 8.5.2019 – XII ZB 8/19, WM 2019, 1182 Rz. 9 = MDR 2019, 851 = MDR 2019, 823. 102 Nach Ausdruck kann die Schriftform gewahrt sein (BGH v. 18.3.2015 – XII ZB 424/14, NJW 2015, 1527 Rz. 10 = MDR 2015, 533 = ZIP 2015, 1144), wobei dann aber für die Fristwahrung der Zeitpunkt des Ausdrucks maßgeblich ist, nicht wie bei der Übermittlung einer Rechtsmittelschrift per Telefax der des Empfangs der Signale (BGH v. 17.12.2020 – III ZB 31/20, WM 2021, 508 Rz. 7–9 = MDR 2021, 314; BGH v. 8.5.2019 – XII ZB 8/19, WM 2019, 1182 Rz. 13 ff. 103 BGH v. 8.5.2019 – XII ZB 8/19, WM 2019, 1182 Rz. 10 = MDR 2019, 851; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 40. Bei manchen Gerichten werden verfahrensbezogene E-Mails dem zuständigen Entscheider gar nicht vorgelegt, sondern schlicht mit Standardschreiben geantwortet, dass eine Einreichung per E-Mail nicht möglich sei. 104 Zu § 6 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 25. 105 BGH v. 27.8.2015 – III ZB 60/14, MDR 2015, 1258 Rz. 8. 106 BAG v. 25.2.2015 – 5 AZR 849/13, NJW 2015, 3533 Rz. 22 = MDR 2015, 715 = ZIP 2015, 1704; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 40. 107 BSG v. 16.2.2022 – B 5 R 198/21 B, juris Rz. 5; BAG v. 14.9.2020 – 5 AZB 23/20, NJW 2020, 3476 Rz. 9 = MDR 2020, 1393 = MDR 2020, 1495 (Schwenker); OLG Karlsruhe v. 6.9.2021 – 17 W 13/21, NJW 2021, 3733 Rz. 21 = MDR 2022, 84 (Fischer) = MDR 2022, 59; OLG Bamberg v. 17.2.2022 – 2 UF 8/22, juris Rz. 11. 108 BGH v. 29.9.2021 – VII ZR 94/21, NJW 2021, 3471 Rz. 12 = MDR 2022, 14 (Schwenker) = MDR 2021, 1481. 109 BAG v. 14.9.2020 – 5 AZB 23/20, MDR 2020, 1393 Rz. 27.

Deppenkemper | 701

§ 40 Rz. 30 | Rechtsmittel erlassen hat, des Verkündungsdatums und des Aktenzeichens bezeichnet. Fehler z.B. bzgl. des Datums110 oder Aktenzeichens111 schaden nicht, wenn die Schrift bei großzügiger Auslegung112 den Beschwerdeführer, die angefochtene Entscheidung und das Anliegen der Überprüfung derselben durch die höhere Instanz hinreichend klar erkennen lässt.113 Im Zweifel will der Beschwerte mit seinem Rechtsmittel dasjenige erreichen, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und seiner recht verstandenen Interessenlage entspricht.114 31 Antragsänderung im Beschwerdeverfahren ist unter den Voraussetzungen der §§ 263, 264

ZPO möglich.115

5. Begründung 32 Die sofortige Beschwerde soll, ggf. gestützt auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel

(§ 572 Abs. 2 Satz 1 ZPO), begründet werden (§ 571 Abs. 1 ZPO). Die Begründung liegt im eigenen Interessen des Rechtsmittelführers.116 Um ein zwingendes Erfordernis handelt es sich dabei nicht.117 Auch eine nicht näher begründete sofortige Beschwerde ist zulässig, soweit das Ziel des Beschwerdeführers klar ist.118 Das Beschwerdegericht sollte dann die Möglichkeit nach § 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO nutzen, eine nach den Umständen des Einzelfalls angemessene Frist zur Begründung des Rechtsmittels zu setzen (mit Belehrung über Verspätungsfolgen) und damit späteres tatsächliches Vorbringens zu beschränken. I.d.R. genügen in Restrukturierungssachen zwei Wochen;119 bei Eilbedürftigkeit kann die Frist noch kürzer sein.120 Die Frist kann, muss aber nicht, verlängert werden (§ 224 Abs. 2 ZPO).121 Ein entsprechender Antrag ist vor der Entscheidung zu bescheiden.122 Nach Fristablauf sind Angriffs- oder Verteidigungsmittel nur zuzulassen, wenn sie entweder die Erledigung des Verfahrens nicht verzögern, d.h. wenn das Verfahren bei Zulassung des verspäteten Vorbringens nicht länger dauern würde, als bei dessen Zurückweisung,123 oder die Verspätung entschuldigt wird (§ 571 Abs. 3 Satz 2 ZPO), wobei der Begriff des Verschuldens wie bei § 276 Abs. 1 BGB auch leichte Fahrlässigkeit (vgl. § 276 Abs. 2 BGB: im Verkehr erforderliche Sorgfalt) umfasst. Die Entschuldigung ist auf Verlangen glaubhaft zu machen (§ 571 Abs. 3 Satz 3 ZPO). Vor Ablauf einer ge-

110 BGH v. 20.5.2015 – XII ZB 368/14, MDR 2015, 786 Rz. 19. 111 BGH v. 25.1.2017 – XII ZB 567/15, MDR 2017, 537 Rz. 8; zu § 517 ZPO BGH v. 11.1.2006 – XII ZB 27/04, WM 2006, 1554 Rz. 6. 112 BGH v. 23.10.2003 – IX ZB 369/02, WM 2004, 198 = ZIP 2004, 684 = MDR 2004, 348. 113 Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 569 ZPO Rz. 6; Heßler in Zöller, § 569 ZPO Rz. 7a. 114 BGH v. 16.3.2017 – I ZR 205/15, WM 2019, 227 Rz. 17; BGH v. 29.10.2015 – V ZB 65/15, WM 2016, 85 Rz. 8; BGH v. 22.9.2010 – IX ZB 195/09, ZIP 2010, 2160 Rz. 16. 115 Koch in Saenger, § 572 ZPO Rz. 5; 116 Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 572 ZPO Rz. 7. 117 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 64; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 22; Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 572 ZPO Rz. 4; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 21; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 569 ZPO Rz. 7; Heßler in Zöller, § 571 ZPO Rz. 1. 118 Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 572 ZPO Rz. 5; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 571 ZPO Rz. 2. 119 Vgl. BGH v. 14.10.2010 – IX ZB 44/09, ZInsO 2010, 2147 Rz. 3; OLG Köln v. 29.1.1990 – 2 W 1/90, MDR 1990, 556; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 21; vgl. auch BVerfG v. 6.6.1986 – 1 BvR 574/86, ZIP 1986, 1336, 1337. 120 Heßler in Zöller, § 571 ZPO Rz. 13. 121 Wulf in BeckOK/ZPO, § 571 ZPO Rz. 5 (Stand: 1.7.2022). 122 BVerfG v. 3.11.1987 – 9 C 235/86, NJW 1988, 1280. 123 Sog. absoluter Verzögerungsbegriff, vgl. Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 296 ZPO Rz. 14.

702 | Deppenkemper

Rechtsmittel | Rz. 34 § 40

setzten Frist darf das Gericht nicht entscheiden.124 Rechtliche Ausführungen sind nie verspätet. Recht und Gesetz muss das Gericht ohnehin anwenden (iura novit curia).125 Darauf, dass das Restrukturierungsgericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat, kann sich die sofortige Beschwerde nicht stützen (§ 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO,126 zur Rechtsbeschwerde Rz. 87); die internationale Zuständigkeit ist jedoch in jedem Verfahrensabschnitt von Amts wegen zu prüfen.

6. Abhilfeverfahren, § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO Gemäß dem über § 38 Satz 1 StaRUG anwendbaren § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Restruk- 33 turierungsgericht, dessen Entscheidung angefochten wird, zu prüfen, ob es der sofortigen Beschwerde abhilft; einen Ausnahmefall bildet § 66 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG.127 Zuständig ist derjenige Richter oder Rechtspfleger, der die angegriffene Entscheidung erlassen hat.128 Die eigene Überprüfung dient der Selbstkontrolle des Gerichts, erhält dem Betroffenen die Instanz, beschleunigt das Verfahren und entlastet das Beschwerdegericht.129 Es ist aber keine Verfahrensvoraussetzung für das Beschwerdeverfahren, dass das Abhilfeverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist; auch ansonsten kann das Beschwerdegericht – neben der Möglichkeit, das Verfahren zur ordnungsgemäßen Abhilfe an das Restrukturierungsgericht zurückzugeben – entscheiden.130 Das Restrukturierungsgericht als Ausgangsgericht hat die Zulässigkeit und die Begründet- 34 heit der sofortigen Beschwerde zu prüfen. Dabei ist neues Vorbringen der Beschwerdebegründung grundsätzlich zu berücksichtigen,131 unabhängig davon, ob die Tatsachen vor oder nach der erstinstanzlichen Entscheidung entstanden sind132 und ob sie früher hätten vorgebracht werden können. Ausnahmen bestehen insoweit insbesondere bei der sofortigen Beschwerde gegen Kostenentscheidungen nach Erledigung (§ 91a Abs. 2 ZPO),133 der Beschwerde gegen die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrages (§ 238 Abs. 2 ZPO) nach Ablauf der zweiwöchigen Antragsfrist (§ 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 StaRUG)134 und der Beschwerde im

124 BVerfG v. 22.1.2019 – 2 BvR 93/19, NJW 2019, 1060 Rz. 2; BGH v. 24.4.2018 – VI ZB 48/17, MDR 2018, 883 Rz. 6; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 571 ZPO Rz. 6. 125 Vgl. Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, § 296 ZPO Rz. 20. 126 Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 571 ZPO Rz. 5; Heßler in Zöller, § 571 ZPO Rz. 4. 127 Zu § 66 Abs. 5 StaRUG krit. Jungmann, NZI 2022, 353 ff. 128 Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 572 ZPO Rz. 6. 129 Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 572 ZPO Rz. 1. 130 BGH v. 15.2.2017 – XII ZB 462/16, MDR 2017, 475 Rz. 13; OLG Hamm v. 11.6.2021 – 20 W 9/21, VersR 2022, 159, 160; OLG Dresden v. 10.9.2020 – 4 W 578/20, NJW-RR 2021, 59 Rz. 10; OLG Naumburg v. 2.7.2014 – 1 W 17/14, juris Rz. 7; OLG Frankfurt v. 30.4.2007 – 15 W 38/07, NJW-RR 2007, 1142, 1143; Gehle in Anders/Gehle, § 572 ZPO Rz. 7; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 50; Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 572 ZPO Rz. 5; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 24; Jacobs in Stein/Jonas, § 572 ZPO Rz. 6; Heßler in Zöller, § 572 ZPO Rz. 4; Gehrlein, MDR 2003, 547, 552; a.A. OLG Rostock v. 20.10.2011 – 3 W 166/11, MDR 2012, 1433, 1434; Schneider, MDR 2003, 253; krit. auch Wulf in BeckOK/ZPO, § 572 ZPO Rz. 3 (Stand: 1.7.2022). 131 Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 53; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 43, 46; Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 571 ZPO Rz. 12; Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 17. 132 BGH v. 27.3.2008 – IX ZB 144/07, WM 2008, 1075 Rz. 6 = ZIP 2008, 1034 = MDR 2008, 764; anders zur Überprüfung des Eröffnungsbeschlusses BGH v. 27.7.2006 – IX ZB 204/04, WM 2006, 2086 Rz. 10 f. = DB 2006, 2396 = MDR 2007, 298 = ZIP 2006, 1957. 133 OLG Karlsruhe v. 12.3.1990 – 17 W 10/90, NJW-RR 1990, 978; Flockenhaus in Musielak/Voit, § 91a ZPO Rz. 22. 134 BGH v. 12.9.2013 – III ZB 7/13, NJW 2014, 225 Rz. 9; BGH v. 12.5.1998 – VI ZB 10/98, MDR 1998, 1049, 1050; Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 571 ZPO Rz. 14.

Deppenkemper | 703

§ 40 Rz. 34 | Rechtsmittel Beschwerdeverfahren nach § 46 Abs. 2 ZPO, soweit sich ein neuer Ablehnungsgrund nicht gerade aus der dienstlichen Äußerung des Abgelehnten (§ 44 Abs. 3 ZPO) ergibt.135 35 Zeigt die Beschwerde neue, in der angefochtenen Entscheidung nicht abgehandelten Gesichts-

punkte auf, darf sich die Nichtabhilfeentscheidung nicht mit einem Verweis auf den angefochtenen Beschluss als Begründung begnügen. Sie muss i.V.m. dem Ausgangsbeschluss erkennen lassen, dass das Restrukturierungsgericht das wesentliche Beschwerdevorbringen beachtet und seiner Pflicht zur Prüfung und Selbstkontrolle nachgekommen ist. Beweise können (neu) erhoben werden. Hat der Beschwerdeführer eine Begründung angekündigt, ist eine angemessene Zeit von wenigstens zwei Wochen abzuwarten; aus Gründen der Klarheit sollte eine Frist gesetzt werden. Anderen Beteiligten ist vor der Abhilfeentscheidung rechtliches Gehör zu gewähren, zumindest wenn sie durch die Abhilfe beschwert sein können.136 Über die Abhilfe einer ohne Begründung eingelegt Beschwerde darf, hatte der Beschwerdeführer auch keine Begründung angekündigt, das Restrukturierungsgericht sofort entscheiden.137

36 Nach vielfach vertretener Ansicht ist eine Abhilfe auch möglich, wenn die Beschwerde zwar

(z.B. wegen Verfristung) unzulässig, materiell aber begründet ist.138 Eine entsprechende Befugnis des Gerichts bestehe aber nur, wenn es den Mangel von Amts wegen beseitigen darf, mithin nicht bei unanfechtbaren,139 etwa in materielle Rechtskraft140 erwachsenden Beschlüsse.141 Funktional sei die unzulässige Beschwerde dann eine Gegenvorstellung. Das überzeugt – wie der BGH nun zu § 68 Abs. 1 FamFG begründet hat – nicht: Der erste Rechtszug endet mit dem Erlass des erstinstanzlichen Beschlusses. Das Abhilfeverfahren gehört nicht mehr zum ersten Rechtszug. Und zum dann laufenden Beschwerdeverfahren gehört, dass das Beschwerdegericht nur dann in eine inhaltliche Prüfung der angefochtenen Entscheidung eintritt, wenn das Rechtsmittel zulässig ist.142 Zudem hat das Ausgangsgericht einer begründeten Beschwerde abzuhelfen (§ 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO), müsste mithin, wenn die Zulässigkeit der Beschwerde keine Voraussetzung der Abhilfe wäre, immer abhelfen, selbst wenn die Beschwerde evident nicht statthaft oder verfristet wäre und das Beschwerdegericht sie als unzulässig verwerfen müsste (§ 572 Abs. 2 Satz 2 ZPO).143 Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet, dass hier nicht im Ermessen des Restrukturierungsgerichts liegt, ob es abhilft.144 Es bleibt dann noch die Gegenvorstellung als Anregung an das Gericht, eine unanfechtbare Entscheidung zu ändern. Eine Abänderung ist aber nur möglich, wenn das Gericht dazu befugt ist und diese

135 OLG Brandenburg v. 13.12.2018 – 13 WF 221/18, NJW-RR 2019, 448 Rz. 8; OLG Brandenburg v. 19.4.2013 – 13 WF 24/13, FamRZ 2013, 1600 f.; Stackmann in MünchKomm/ZPO, § 46 ZPO Rz. 9; Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 571 ZPO Rz. 14. 136 Baumert in Braun, § 6 InsO Rz. 28. 137 Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 17. 138 OLG Frankfurt v. 29.8.2002 – 26 W 102/02, NJW-RR 2003, 140, 141; OLG Nürnberg v. 21.12.1960 – 2 W 214/60, MDR 1961, 509, 510; AG Düsseldorf v. 9.9.2016 – 513 IK 44/11, NZI 2016, 1009, 1010; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 67; Ball in Musielak/Voit, § 572 ZPO Rz. 4; Jacobs in Stein/Jonas, § 572 ZPO Rz. 8; Heßler in Zöller, § 572 ZPO Rz. 14; offengelassen in OLG Schleswig v. 6.1.2004 – 16 W 170/03, BeckRS 2004, 5348. 139 Vgl. zur Abhilfebefugnis vor Ablauf der Beschwerdefrist BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 117/04, ZIP 2006, 1651 Rz. 9 = MDR 2007, 175. 140 Vgl. Feskorn in Zöller, § 318 ZPO Rz. 9 f. 141 Wulf in BeckOK/ZPO, § 572 ZPO Rz. 6 (Stand: 1.7.2022); Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 26; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 47; Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 572 ZPO Rz. 7; Jacobs in Stein/Jonas, § 572 ZPO Rz. 9; Jänich in Wieczorek/Schütze, § 572 ZPO Rz. 3. 142 BGH v. 7.10.2020 – BLw 1/19, NJW 2021, 553 Rz. 17; zustimmend Ball in Musielak/Voit, § 572 ZPO Rz. 4. 143 BGH v. 7.10.2020 – BLw 1/19, NJW 2021, 553 Rz. 18. 144 BGH v. 7.10.2020 – BLw 1/19, NJW 2021, 553 Rz. 18 f.

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Rechtsmittel | Rz. 42 § 40

von Amts wegen vornehmen durfte,145 nicht aber, wenn es nach StaRUG oder ZPO (§ 38 Satz 1 StaRUG) nicht befugt ist, seine getroffene Entscheidung zu ändern.146 Bei unanfechtbaren Beschlüssen bleibt der Rechtsbehelf nach § 321a ZPO. Werden mit der Beschwerde neue Anträge gestellt, ggf. hilfsweise, kann das Restrukturie- 37 rungsgericht darüber nicht entscheiden (und nicht abhelfen), da der neue Antrag in erster Instanz nicht Verfahrensgegenstand war; es hat das Beschwerdegericht über den neuen Antrag zu entscheiden.147 Das Restrukturierungsgericht entscheidet über die Abhilfe durch Beschluss.148 Eine mündli- 38 che Verhandlung steht nach § 128 Abs. 4 ZPO frei.149 Erachtet das Restrukturierungsgericht die Beschwerde für begründet, so hat es ihr (ohne Er- 39 messen) abzuhelfen (§ 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zuvor ist dem Gegner rechtliches Gehör zu gewähren. Das Verbot der Schlechterstellung (reformatio in peius) gilt bezüglich (nur) des Gegenstandes des Beschwerdeverfahrens auch (bereits) im Abhilfeverfahren, wenn das Gericht die Entscheidung von Amts wegen nicht mehr abändern kann.150 Dann gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens, den Beschwerdeführer davor zu schützen, auf sein eigenes Rechtsmittel hin in seinen Rechten über die mit der angegriffenen Entscheidung verbundene Beschwer hinaus weiter beeinträchtigt zu werden.151 Das Verbot der reformatio in peius gilt dagegen nicht, wenn das Gericht seine Entscheidung noch von Amts wegen abändern kann.152 Mit der abhelfenden Entscheidung entscheidet das Restrukturierungsgericht auch über die 40 Kosten, wenn es einen Beschwerdegegner gibt. Das Beschwerdeverfahren ist (bei vollständiger Abhilfe) damit beendet. Der Abhilfebeschluss seinerseits kann vom Beschwerdegegner nach § 567 ZPO angefochten werden, wenn gegen die abhelfende Entscheidung ein Rechtsmittel zulässig gewesen wäre.153 Er ist daher nach § 329 Abs. 3 ZPO zuzustellen. Erachtet das Restrukturierungsgericht die Beschwerde für (teilweise) unbegründet (oder un- 41 anfechtbar), so erlässt es den Nichtabhilfebeschluss und legt die Beschwerde unverzüglich dem LG als Beschwerdegericht (§ 72 Abs. 1 Satz 1 GVG, § 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG) vor (§ 572 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO), und zwar auch, wenn die Beschwerde auch aus Sicht des Erstgerichts unzulässig oder unstatthaft ist. Ein insgesamt nicht abhelfender Beschluss ist formlos nach § 329 Abs. 2 ZPO mitzuteilen; er (selbst) ist unanfechtbar. Das Restrukturierungsgericht kann seine Nichtabhilfeentscheidung auch auf zusätzliche oder neue Gründe stützen.154 Wird die sofortige Beschwerde entgegen § 40 Abs. 1 Satz 2 StaRUG direkt beim Beschwerde- 42 gericht eingelegt, kann dieses bei Eilbedürftigkeit unmittelbar selbst entscheiden.

145 BGH v. 19.7.2018 – V ZB 6/18, WM 2018, 1900 Rz. 9 = MDR 2018, 1404; Wendtland in BeckOK/ ZPO, § 237 ZPO Rz. 4 (Stand: 1.7.2022); Ball in Musielak/Voit, § 567 ZPO Rz. 27. 146 Vgl. BGH v. 7.10.2020 – BLw 1/19, NJW 2021, 553 Rz. 26; BGH v. 18.10.2018 – IX ZB 31/18, NZI 2018, 958 Rz. 13. 147 BGH v. 21.12.2006 – IX ZB 81/06, ZIP 2007, 188 Rz. 19 f.; Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 62, 66. 148 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 48. 149 OLG Karlsruhe v. 15.11.2017 – 9 W 30/17, NJW-RR 2018, 284 Rz. 24 = MDR 2018, 86; Wulf in BeckOK/ZPO, § 572 ZPO Rz. 8 (Stand: 1.7.2022). 150 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 30, 50 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 151 Vgl. BGH v. 6.5.2004 – IX ZB 349/02, ZIP 2004, 1214, 1215 = DB 2004, 2213 = MDR 2004, 1202. 152 BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 117/04, ZIP 2006, 1651 Rz. 10 = MDR 2007, 175; Gerhardt in Jaeger, § 6 InsO Rz. 44; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 28; ohne diese Einschränkung Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 23. 153 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 49. 154 Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 572 ZPO Rz. 11; Heßler in Zöller, § 572 ZPO Rz. 12.

Deppenkemper | 705

§ 40 Rz. 43 | Rechtsmittel

7. Wirkung der Beschwerde (§ 40 Abs. 3 StaRUG) 43 Die sofortige Beschwerde hat, wie der Umkehrschluss aus § 66 Abs. 4 StaRUG155 und aus

§ 570 Abs. 1 ZPO ergibt, keine aufschiebende Wirkung, wenn sie nicht die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand hat.156 Das steht in Einklang mit Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 2 Restrukturierungs-RL. Das Restrukturierungsgericht kann nach pflichtgemäßem Ermessen die Vollziehung seiner Entscheidung aussetzen (§ 570 Abs. 2 ZPO).157 Ebenso kann das Beschwerdegericht (nach Vorlage der Sache) mittels einstweiliger Anordnung die Vollziehung der Entscheidung erster Instanz aussetzen (§ 570 Abs. 3 ZPO);158 es kann die Entscheidung des Restrukturierungsgerichts über die Aussetzung der Vollziehung aufheben oder abändern.

44 Über die Aussetzung ist von Amts wegen zu befinden.159 Abwägungskriterien sind die mit

der Vollziehung verbundenen Nachteile für den Beschwerdeführer und die (erheblichen)160 Erfolgsaussichten der Beschwerde (vgl. zur Planbestätigung ausdrücklich § 66 Abs. 4, 5 StaRUG; § 66 Rz. 35 ff.).161 Überwiegende Gründe, die eine Aussetzung der Vollziehung nach pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts rechtfertigen, dürften in Restrukturierungssachen auch angesichts der typischen Eilbedürftigkeit eher selten in Betracht kommen. Bei der Beschwerde gegen die Bestätigung des Restrukturierungsplans gilt § 66 Abs. 4 StaRUG. Die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung ist unanfechtbar.162

45 Besondere Regelungen für die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss, durch den ein Re-

strukturierungsplan bestätigt wird und der damit wirkt (beachte § 67 Abs. 1 Satz 1, § 65 StaRUG),163 enthält (in Anlehnung an § 253 InsO) § 66 StaRUG. Aber auch hier gilt, dass der sofortigen Beschwerde kein Suspensiveffekt zukommt164 und auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung der Beschwerde angeordnet werden kann (§ 66 Abs. 4 StaRUG).165 Doch ist hier für die Anordnung das Restrukturierungsgericht und nicht das Beschwerdegericht zuständig.166 Dagegen kann der Schuldner nach § 66 Abs. 5 StaRUG (vgl.

155 Dazu BT-Drucks. 19/24181, S. 164. 156 Vgl. BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 122/12, NZI 2013, 489 Rz. 13; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 40 StaRUG Rz. 12; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 31; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 570 ZPO Rz. 1, zu § 6 InsO Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 54; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 6 InsO Rz. 30 (Stand: April 2012); Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 14. 157 Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 570 ZPO Rz. 4. 158 BGH v. 27.7.2006 – IX ZB 204/04, ZIP 2006, 1957 Rz. 30 = DB 2006, 2396 = MDR 2007, 298; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 37 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 13; Heßler in Zöller, § 570 ZPO Rz. 5. 159 Heßler in Zöller, § 570 ZPO Rz. 4. 160 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 51. 161 Zur Aussetzung der Vollziehung eines Eröffnungsbeschlusses BGH v. 27.7.2006 – IX ZB 204/04, ZIP 2006, 1957 Rz. 31 = DB 2006, 2396 = MDR 2007, 298; BGH v. 21.3.2002 – IX ZB 48/02, ZIP 2002, 718 f. = MDR 2002, 1084. 162 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Lohmann in Prütting/ Gehrlein, § 570 ZPO Rz. 5; Heßler in Zöller, § 570 ZPO Rz. 5. 163 Nach § 254 Abs. 1 InsO treten die Wirkungen des Insolvenzplans erst mit Rechtskraft des Planbestätigungsbeschlusses ein. 164 Laroche in Flöther, § 66 StaRUG Rz. 7; Jungmann, ZIP 2022, 253. 165 Marotzke, ZInsO 2021, 2540, 2559. 166 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 28 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 66 StaRUG Rz. 61 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Fendel in Braun, § 66 StaRUG Rz. 12; Laroche in Flöther, § 66 StaRUG Rz. 8; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 38; a.A. Smid in Pannen/Riedemann/Smid, § 66 StaRUG Rz. 15.

706 | Deppenkemper

Rechtsmittel | Rz. 48 § 40

§ 253 Abs. 4 InsO) beantragen, dass das Beschwerdegericht – ohne vorheriges Abhilfeverfahren (§ 66 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG)167 – im Rahmen eines verkürzten Beschwerdeverfahrens die sofortige Beschwerde unverzüglich zurückweist, wenn die alsbaldige Rechtskraft der Planbestätigung vorrangig erscheint, weil die Nachteile eines verzögerten Planvollzugs die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen (sog. Freigabeverfahren).168

8. Rücknahme Der Beschwerdeführer kann seine sofortige Beschwerde bis zum Erlass der Beschwerdeent- 46 scheidung (§ 516 Abs. 1 ZPO analog) durch Erklärung gegenüber demjenigen Gericht, welches gerade mit der Sache befasst ist, zurücknehmen (vgl. § 567 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 ZPO).169 Der Zustimmung des Gegners bedarf es dafür nicht.170 Analog § 516 Abs. 3 ZPO hat die Rücknahme den Verlust des eingelegten Rechtsmittels und die Verpflichtung zur Kostentragung zur Folge, was von Amts wegen durch Beschluss auszusprechen ist (vgl. § 516 Abs. 3 Satz 2 ZPO).171 Bei Rücknahme vor der Vorlage an das Beschwerdegericht ist dafür das Restrukturierungsgericht zuständig.172

9. Entscheidung des Beschwerdegerichts Mit der Anhängigkeit der Sache beim Beschwerdegericht fällt diese dort an. Zeitgleich endet 47 die Anhängigkeit beim Restrukturierungsgericht. Dieses ist nun nicht mehr zur Abhilfe befugt. Das Beschwerdegericht ist eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz.173 Beschwerdegericht ist das LG (§ 72 GVG). Die Beschwerdekammer entscheidet grundsätzlich 48 durch den originären Einzelrichter, da in Restrukturierungsverfahren die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde (§ 568 Satz 1 ZPO). Der Einzelrichter überträgt das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung mit drei Berufsrichtern (§ 75 GVG), wenn die Sache besondere Schwierigkeiten aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 568 Satz 2 ZPO). Er muss dieses also immer tun, wenn er die Rechtsbeschwerde zulässt (Rz. 69).174 Die Übertragung erfolgt durch

167 Laroche in Flöther, § 66 StaRUG Rz. 12; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, § 66 StaRUG Rz. 19. 168 Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 66 StaRUG Rz. 63 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Fendel in Braun, § 66 StaRUG Rz. 13; Laroche in Flöther, § 66 StaRUG Rz. 9; Blankenburg in Morgen, § 66 StaRUG Rz. 43; Thies in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B VII Rz. 138; Frind in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 2 B VIII Rz. 31; Weitbrecht/Wienberg in Reul/Heckschen/Wienberg/Weitbrecht, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, § 1 Rz. 322; Marotzke, ZInsO 2021, 2540, 2559 f.; krit. Jungmann, NZI 2022, 353 ff.; vgl. zu § 253 Abs. 4 InsO BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, NZI 2020, 1112 Rz. 54 ff., zu § 253 Abs. 4 Satz 2 InsO (= § 66 Abs. 5 Satz 2 StaRUG) vgl. BVerfG v. 15.5.2020 – 2 BvQ 24/20, NZI 2020, 733 Rz. 16 ff. m. Anm. Madaus. 169 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 52a; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 569 ZPO Rz. 9; Heßler in Zöller, § 572 ZPO Rz. 32. 170 Ball in Musielak/Voit, § 572 ZPO Rz. 22. 171 Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 569 ZPO Rz. 23; Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 15. 172 Heßler in Zöller, § 567 ZPO Rz. 54. 173 Vgl. BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 84/19, ZIP 2020, 1250 Rz. 13 = MDR 2020, 883 = DB 2020, 1340; BGH v. 28.9.2006 – IX ZB 108/05, ZIP 2006, 2186 Rz. 6 = MDR 2007, 428; Schultz in Pape/Reichelt/ Schultz/Voigt-Salus, InsR, § 36 Rz. 5. 174 Zu § 6 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 4 f.; Pape in Uhlenbruck, § 7 InsO Rz. 4; Schultz in Pape/Reichelt/Schultz/Voigt-Salus, InsR, § 36 Rz. 8.

Deppenkemper | 707

§ 40 Rz. 48 | Rechtsmittel einen aktenkundigen Beschluss des Einzelrichters,175 nicht durch „Übernahme“ durch die Kammer.176 49 Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt,

über den entschieden wird, wiedergeben sowie den Streitgegenstand und die Anträge in den Vorinstanzen erkennen lassen.177 Anderenfalls ist eine rechtliche Überprüfung nicht möglich und der Beschluss bereits deshalb aufzuheben.178 Denn das Rechtsbeschwerdegericht hat grundsätzlich von dem festgestellten Sachverhalt auszugehen.

50 Das Beschwerdegericht entscheidet durch i.d.R. zu begründenden Beschluss (vgl. § 576 Abs. 3

i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO).179 Dabei muss es sich nicht mit sämtlichen Vorbringen der Beteiligten auseinandersetzen und darf sich auf das Wesentliche beschränken, sollte jedoch nicht geschlossene Tatsachen- und Rechtskomplexe oder entscheidungserhebliche Verfahrensrügen völlig übergehen.180 Die mündliche Verhandlung ist freigestellt (§ 128 Abs. 4 ZPO). Verweist das Beschwerdegericht nicht an das Restrukturierungsgericht zurück, entscheidet es auch über die Kosten nach §§ 91 ff., 97 ZPO,181 (nur) wenn ein Beschwerdegegner vorhanden ist,182 und darüber, ob die Rechtsbeschwerde zugelassen wird. Der Beschluss, ist er anfechtbar, ist zuzustellen (§ 329 Abs. 3 ZPO).183 Wirksam wird er erst mit der letzten Mitteilung an die Verfahrensbeteiligten,184 wenn nicht die Rechtsfolgen ausschließlich einen Beteiligten treffen.185 Bei mehreren Beteiligten am gerichtlichen Verfahren beginnt die Rechtsmittelfrist von einem Monat (§ 575 Abs. 1 ZPO) für jeden Beteiligten mit der an ihn gerichteten Zustellung der Entscheidung.186 In öffentlichen Restrukturierungssachen (§§ 84 ff. StaRUG) erfolgt öffentliche Bekanntmachung (§ 85 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) im Restrukturierungsportal (www.restrukturierungsbekanntmachung.de; s. § 41 Rz. 4). Eine fehlerhafte öffentliche Bekanntmachung wirkt nicht als Zustellung.187

51 Das Beschwerdegericht prüft grundsätzlich die Zulässigkeit und Begründetheit der Be-

schwerde, und zwar die Zulässigkeit vor dessen Begründetheit. Ist jedoch die sofortige Beschwerde jedenfalls unbegründet, hat ihre Zurückweisung keine weitergehenden Folgen als ihre Verwerfung, so dass unabhängig von der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde eine

175 BGH v. 12.9.2019 – IX ZB 2/19, ZIP 2019, 2021 Rz. 10 = MDR 2019, 1536. 176 BGH v. 18.10.2018 – IX ZB 31/18, MDR 2019, 370 Rz. 11 = ZIP 2018, 2229; BGH v. 27.9.2018 – IX ZA 4/18, ZInsO 2018, 2575 Rz. 6. 177 Feskorn in Zöller, § 329 ZPO Rz. 28. 178 BGH v. 19.1.2021 − VI ZB 41/20, MDR 2021, 638 Rz. 4 f.; BGH v. 12.2.2019 – VI ZB 35/17, MDR 2019, 826 Rz. 4; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 24 (Stand: 15.4.2022); Sternal in Kayser/ Thole, § 6 InsO Rz. 53; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 54, 140; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 572 ZPO Rz. 13; Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 20; Heßler in Zöller, § 572 ZPO Rz. 46; Schultz in Pape/Reichelt/Schultz/Voigt-Salus, InsR, § 36 Rz. 9. 179 Baumert in Braun, § 6 InsO Rz. 38. 180 Herget in Zöller, § 572 ZPO Rz. 46. 181 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 28; zu § 6 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 88. 182 Ansonsten kommt eine Kostenerstattung nicht in Betracht, Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 22 (Stand: 15.4.2022); Baumert in Braun, § 6 InsO Rz. 63; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 83. 183 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 73. 184 BGH v. 22.2.1995 – XII ARZ 2/95, NJW-RR 1995, 641 = MDR 1995, 739. 185 Roth in Stein/Jonas, § 329 ZPO Rz. 11. 186 KG v. 21.12.1999 – 1 W 1578/99, NJW-RR 2000, 1239, 1240; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 29. 187 BGH v. 10.11.2011 – IX ZB 165/10, ZIP 2011, 2479 Rz. 9 = MDR 2012, 302.

708 | Deppenkemper

Rechtsmittel | Rz. 55 § 40

Sachentscheidung über sie ergehen kann, wenn auch im Übrigen keine Interessen der Beteiligten entgegenstehen.188 Die unzulässige oder nicht statthafte Beschwerde ist mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zu 52 verwerfen (§ 572 Abs. 2 ZPO).189 Ist die Beschwerde zulässig, aber unbegründet, ist sie zurückzuweisen.190

53

aufzuheben.191

Ist die Beschwerde zulässig und begründet, ist die angefochtene Entscheidung 54 In Betracht kommt auch eine Teilentscheidung, soweit der Beschwerdegegenstand teilbar ist.192 Das Beschwerdegericht kann dann, ist die Sache entscheidungsreif, in der Sache selbst entscheiden. Dabei ist es nicht auf die rechtliche Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung beschränkt, sondern kann – unter Beachtung des Verschlechterungsverbots193 – als vollwertige zweite Tatsacheninstanz eine eigene Ermessensentscheidung treffen.194 Oder es verweist, etwa weil Entscheidungsreife fehlt, die Sache zur erneuten Entscheidung an das Restrukturierungsgericht zurück.195 Dann ist das Restrukturierungsgericht an die Auffassung des Beschwerdegerichts gebunden (§ 563 Abs. 2 ZPO analog).196 Mittelbar gilt diese Bindungswirkung auch für ein zweites Beschwerde- und ein sich etwa anschließendes Rechtsbeschwerdeverfahren (sog. Rückbindung).197 Bei der Zurückverweisung obliegt dem Restrukturierungsgericht die Kostenentscheidung (§ 516 Abs. 3 ZPO analog). Führt die Beschwerdeentscheidung dazu, dass ein Beteiligter erstmals beschwert wird, kann 55 er dagegen Rechtsbeschwerde einlegen, wenn gegen eine vergleichbare Entscheidung des Restrukturierungsgerichts die sofortige Beschwerde möglich gewesen wäre.198

188 BGH v. 17.2.2011 – IX ZB 268/08, ZIP 2011, 625 Rz. 6 = MDR 2011, 569; BGH v. 30.3.2006 – IX ZB 171/04, ZIP 2006, 1417 Rz. 4; Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 70; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 53; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 25; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 31; Heßler in Zöller, § 572 ZPO Rz. 20. 189 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 34 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 69. 190 Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 71. 191 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 55; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 32. 192 Heßler in Zöller, § 572 ZPO Rz. 21. 193 BGH v. 10.7.2008 – IX ZB 172/07, WM 2008, 1691 Rz. 7 = MDR 2008, 1181; BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 117/04, ZIP 2006, 1651 Rz. 10 = MDR 2007, 175; BGH v. 6.5.2004 – IX ZB 349/02, ZIP 2004, 1214 = DB 2004, 2213 = MDR 2004, 1202; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 72; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 21 (Stand: 15.4.2022); Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 77; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 6 InsO Rz. 38 (Stand: April 2012); Lohmann in Prütting/ Gehrlein, § 572 ZPO Rz. 12; Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 23; Heßler in Zöller, § 572 ZPO Rz. 39. 194 BGH v. 19.1.2012 – IX ZB 21/11, ZIP 2012, 583 Rz. 6 = MDR 2012, 612; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 33 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 53a; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 33. 195 Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 26. 196 BGH v. 23.2.2012 – IX ZB 242/10, juris Rz. 1; BGH v. 19.4.2007 – IX ZB 176/06, juris Rz. 7; Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 74; Kexel in Graf-Schlicker, § 6 InsO Rz. 14; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 36. 197 BGH v. 12.2.2009 – IX ZB 215/08, ZIP 2009, 626 Rz. 9 = GmbHR 2009, 547 = MDR 2009, 651; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 84; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 55. 198 BGH v. 14.12.2005 – IX ZB 54/04, NZI 2006, 239 Rz. 4; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 56; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 27.

Deppenkemper | 709

§ 40 Rz. 56 | Rechtsmittel 56 Nach § 40 Abs. 3 Satz 1 StaRUG wird – in Parallele zu § 6 Abs. 3 Satz 1 InsO199 – die Ent-

scheidung über die Beschwerde erst mit der Rechtskraft wirksam. Das soll verhindern, dass eine Entscheidung des Restrukturierungsgerichts, die vom Beschwerdegericht aufgehoben, auf die Rechtsbeschwerde hin aber von der Rechtsbeschwerdeinstanz bestätigt wird, zunächst unwirksam wird und sodann von neuem getroffen werden muss.200 (Formelle) Rechtskraft tritt mit Ablauf der für die Einlegung des zulässigen Rechtsmittels – mithin der (zugelassenen) Rechtsbeschwerde – ein (vgl. § 705 Satz 1 StaRUG) bzw., wenn und soweit die Entscheidung angefochten wurde, mit Ausschöpfung der Rechtsmittel (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) oder einem wirksamen Rechtsmittelverzicht.

57 Im StaRUG ist die Rechtsbeschwerde nur statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht zugelas-

sen hat. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde, ohne dass ein Ermessen bestünde, nach § 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO von Amts wegen zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO vorliegen.201 Lag die Zulassung nahe, bedarf es einer nachvollziehbaren Begründung oder anderweitiger Anhaltspunkte für die Nichtzulassung. Ansonsten wird im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Überprüfung davon ausgegangen, das Beschwerdegericht habe sich in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogen.202 Bei Zulassung der Rechtsbeschwerde muss der Beschluss eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten.

58 Gemäß § 40 Abs. 3 Satz 2 StaRUG kann das Beschwerdegericht – entsprechend § 6 Abs. 3

Satz 2 InsO – gleichzeitig203 mit seiner Beschwerdeentscheidung die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung anordnen. Ob das Beschwerdegericht die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnet, steht in seinem Ermessen.204 Diese Anordnung ist nicht selbstständig, sondern nur zusammen mit der Beschwerdeentscheidung anfechtbar.205 Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Anordnung nur aufheben (§ 575 Abs. 5, § 570 Abs. 3 ZPO), nicht aber selbst erlassen.206 Die Aufhebung führt nicht zu einem Schadensersatzanspruch entsprechend § 717 Abs. 2, § 945 ZPO.207

10. Anschlussbeschwerde 59 (Nur) der Beschwerdegegner kann sich einem Beschwerdeverfahren anschließen (Anschluss-

beschwerde, § 567 Abs. 3 ZPO). Hat ein Beteiligter zunächst keine Beschwerde eingelegt, etwa weil er dachte, der Gegner werde das auch nicht tun, sich insoweit aber geirrt, kann er mittels der (unselbstständigen) Anschlussbeschwerde sogar bei einem erklärten Rechtsmittelverzicht oder des zwischenzeitlichen Ablaufs der Beschwerdefrist die Entscheidung auch zu seinen Gunsten zur Überprüfung stellen.208 Voraussetzung ist (lediglich) eine zulässige, noch nicht 199 Dazu Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 74; Schultz in Pape/Reichelt/Schultz/VoigtSalus, InsR, § 36 Rz. 4. 200 So BT-Drucks. 19/24181, S. 143; vgl. Utsch in Nerlich/Römermann, § 40 StaRUG Rz. 8 (Stand: November 2021). 201 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 103; Kexel in Graf-Schlicker, § 6 InsO Rz. 24. 202 BVerfG v. 4.9.2020 – 2 BvR 1206/19, WM 2020, 1975 Rz. 22. 203 Zu § 6 InsO Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 6 InsO Rz. 36 (Stand: April 2012). 204 BT-Drucks. 19/24181, S. 143. 205 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 91; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 43; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 75. 206 Gerhardt in Jaeger, § 6 InsO Rz. 50; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 33. 207 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 77. 208 Zu § 6 InsO BT-Drucks. 14/4722, S. 110; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 31 f.; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 4i, 52; Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 7; zu § 567 ZPO Heßler in Zöller, § 567 ZPO Rz. 57.

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Rechtsmittel | Rz. 62 § 40

beschiedene Hauptbeschwerde und dass der Gegenstand für den sich anschließenden Beschwerdegegner selbst beschwerdefähig ist.209 Es gilt das Enumerationsprinzip. Die Vorschriften über die Einlegung der Beschwerde gelten auch für die Anschlussbeschwerde. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Beschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird (§ 567 Abs. 3 Satz 2 ZPO).210 Dann hat der Beschwerdeführer grundsätzlich auch die Kosten der Anschlussbeschwerde zu tragen.211

IV. Rechtsbeschwerde 1. Statthaftigkeit Es gelten über § 38 Satz 1 StaRUG die §§ 574–577 ZPO. Modifikationen der Rechtsbeschwer- 60 de durch § 40 gibt es nicht. Eine ausdrückliche Zulassung der Rechtsbeschwerde im Gesetz (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) kennt das StaRUG nicht.212 Die in der ZPO vorgesehenen Fälle (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO, § 1065 Abs. 1 Satz 1 ZPO, ggf. auch § 238 Abs. 2 ZPO) haben für das StaRUG-Verfahren keine Relevanz. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist daher nur dann mit der Rechtsbeschwerde angreifbar, wenn das Beschwerdegericht diese (ausdrücklich) zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO).213 Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Zulassung nicht nachholen unabhängig davon, wel- 61 che Erwägungen der Entscheidung des Beschwerdegerichts zugrunde lagen und ob dieses sich überhaupt über die Zulassung Gedanken gemacht hat.214 Da die Rechtsbeschwerde den Rechtsschutz in Beschwerdesachen durch Eröffnung des Zu- 62 gangs zum BGH (§ 133 GVG) erweitern soll,215 setzt sie voraus, dass überhaupt das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde eröffnet war.216 Eine Ausnahme gilt dann, wenn das Beschwerdegericht bei einer nach dem Gesetz nicht anfechtbaren Entscheidung eine für den Beschwerdeführer unanfechtbare Entscheidung auf dessen sofortige Beschwerde hin gleichwohl geändert und die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, sofern für den Rechtsbeschwerdeführer gegen eine entsprechende erstinstanzliche Entscheidung die sofortige Beschwerde statthaft gewesen wäre.217 Hat das Beschwerdegericht auf eine unzulässige sofortige Beschwerde eine sachliche Entscheidung getroffen, ist diese Entscheidung auf eine zulässige Rechtsbeschwerde hin aufzuheben und die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.218 209 Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 10; zu § 6 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 33; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 14; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 52; Pape in Uhlenbruck, § 6 InsO Rz. 5. 210 Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 14; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 567 ZPO Rz. 16; Heßler in Zöller, § 567 ZPO Rz. 57; zur Anschlussberufung BGH v. 7.2.2007 – XII ZB 175/06, NJW-RR 2007, 786 Rz. 7; BGH v. 7.2.2006 – XI ZB 9/05, NJW-RR 2006, 1147 Rz. 9. 211 Zu § 567 ZPO Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 567 ZPO Rz. 43. 212 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 41 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 213 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 39 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 35; vgl. BGH v. 27.5.2020 – VII ZB 33/18, WM 2021, 197 Rz. 8; BGH v. 19.11.2003 – IV ZB 20/03, MDR 2004, 466. 214 BGH v. 10.5.2012 – IX ZB 295/11, ZIP 2012, 1146 Rz. 15, 19 = MDR 2012, 1002. 215 BT-Drucks. 14/4722, S. 68. 216 BGH v. 20.2.2020 – V ZB 131/19, ZIP 2020, 1632 Rz. 4 = MDR 2020, 755; BGH v. 24.11.2016 – IX ZB 4/15, ZIP 2017, 386 Rz. 4 = MDR 2017, 305; BGH v. 14.7.2011 – IX ZB 207/10, ZInsO 2011, 1499 Rz. 5; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 96; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 577 ZPO Rz. 3. Zu einem Sonderfall s. BGH v. 5.3.2020 – I ZB 50/19, WM 2020, 1210 Rz. 7 = MDR 2020, 952. 217 BGH v. 21.1.2016 – IX ZB 24/15, ZIP 2016, 437 Rz. 7 = MDR 2016, 553. 218 BGH v. 21.12.2006 – IX ZB 81/06, ZIP 2007, 188 Rz. 6.

Deppenkemper | 711

§ 40 Rz. 63 | Rechtsmittel 63 Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde (einschließlich der Zulässigkeit der sofortigen Be-

schwerde)219 und auch alle übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Rechtsbeschwerde prüft das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen.220

2. Zulassung der Rechtsbeschwerde a) Zulassungsentscheidung 64 Die Zulassung der Rechtsbeschwerde muss grundsätzlich in dem Beschluss, in dem über die

sofortige Beschwerde entschieden wurde, sei es im Tenor oder in den Gründen,221 ausdrücklich zugelassen sein.222 Auch eine sich ggf. durch Auslegung ergebende Teilzulassung ist möglich,223 z.B. wenn die Rechtsbeschwerde wegen einer Rechtsfrage zugelassen wurde, die allein für einen eindeutig abgrenzbaren Teil des Verfahrensstoffs von Bedeutung ist.224 Eine (Teil)zulassung kann sich auch aus den Entscheidungsgründen ergeben, wenn sie sich diesen mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen lässt.225 Aus dem bloßen Umstand einer angefügten Rechtsmittelbelehrung lässt sich Zulassung aber noch nicht ableiten.226 Schweigt das Beschwerdegericht im Tenor und den Gründen zur Frage der Zulassung, ist die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, selbst wenn das Beschwerdegericht die Möglichkeit der Zulassung gar nicht bedacht hat.227

65 Die Nichtzulassung ist nicht anfechtbar.228 Der Gesetzgeber hat bewusst von der Möglichkeit

einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde abgesehen.229 Eine außerordentliche Beschwerde ist nicht eröffnet und auch nicht verfassungsrechtlich geboten.230 Auch eine Ergänzungsentscheidung, mit der eine unterbliebene Zulassung nachgeholt wür-

219 BGH v. 23.10.2003 – IX ZB 369/02, WM 2004, 198 = ZIP 2004, 684 = MDR 2004, 348; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 577 ZPO Rz. 2, 5. 220 BGH v. 13.1.2022 – I ZB 30/21, WM 2022, 520 Rz. 11 = MDR 2022, 659; BGH v. 20.2.2020 – V ZB 131/19, ZIP 2020, 1632 Rz. 4 = MDR 2020, 755; BGH v. 18.6.2020 – IX ZB 46/18, ZIP 2020, 1526 Rz. 6 = MDR 2020, 1018; BGH v. 29.11.2019 – IX ZB 56/19, ZInsO 2020, 85 Rz. 8; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 139 f.; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 577 ZPO Rz. 4. 221 BGH v. 13.1.2022 – I ZB 30/21, WM 2022, 520 Rz. 8 = MDR 2022, 659; BGH v. 13.3.2014 – IX ZB 48/13, WM 2014, 711 Rz. 7 = MDR 2014, 556; Greger in Zöller, § 232 ZPO Rz. 1a. 222 BGH v. 8.2.2022 – IX ZB 59/21, BeckRS 2022, 3225 Rz. 1; BGH v. 14.10.2020 – IV ZB 4/20, MDR 2020, 1459 Rz. 10; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 99 f. 223 BGH v. 23.9.2020 – XII ZB 250/20, MDR 2021, 187 Rz. 10; BGH v. 12.4.2011 – II ZB 14/10, MDR 2011, 1065; Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 18; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 92; Heßler in Zöller, § 574 ZPO Rz. 14. 224 BGH v. 23.9.2020 – XII ZB 250/20, MDR 2021, 187 Rz. 8. 225 BGH v. 23.9.2020 – XII ZB 250/20, MDR 2021, 187 Rz. 8; BAG v. 17.1.2007 – 5 AZB 43/06, MDR 2007, 735. 226 BGH v. 13.3.2014 – IX ZB 48/13, WM 2014, 711 Rz. 8 = MDR 2014, 556; Baumert in Braun, § 6 InsO Rz. 67; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 35. 227 BGH v. 14.9.2020 – IX ZB 78/19, ZInsO 2020, 2292 Rz. 1; BGH v. 13.5.2020 – VII ZB 41/19, MDR 2020, 1141 Rz. 11; BGH v. 10.5.2012 – IX ZB 295/11, ZIP 2012, 1146; Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 18; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 35. 228 BT-Drucks. 14/4772, S. 116; BGH v. 23.6.2022 – IX ZB 16/22, juris Rz. 1; BGH v. 13.10.2021 – IX ZB 43/21, ZInsO 2021, 2664 Rz. 2; BGH v. 14.9.2020 – IX ZB 78/19, ZInsO 2020, 2292 Rz. 1; BGH v. 22.5.2019 – IX ZA 7/19, ZInsO 2019, 1528 Rz. 1; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 39 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 34, 37; Heßler in Zöller, § 574 ZPO Rz. 16. 229 BT-Drucks. 14/4722, S. 69, 116. 230 BGH v. 23.6.2022 – IX ZB 16/22, juris Rz. 1; BGH v. 13.10.2021 – IX ZB 43/21, ZInsO 2021, 2664 Rz. 2; BGH v. 23.3.2021 – I ZB 5/21, DGVZ 2021, 142 Rz. 3.

712 | Deppenkemper

Rechtsmittel | Rz. 68 § 40

de,231 oder eine Abhilfe durch das Beschwerdegericht, die das Gesetz im Beschwerdeverfahren nur durch das erstinstanzliche Gericht (§ 572 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 ZPO) vorsieht,232 wäre unzulässig. Ebenso wäre eine Abänderung der eigenen Entscheidung des Beschwerdegerichts durch nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde aufgrund einer Gegenvorstellung unzulässig, da dieses Rechtsmittel nicht vorgesehen ist und es gegen die Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit verstieße, wenn es als außerordentlicher Rechtsbehelfe geschaffen würde, um tatsächliche oder vermeintliche Lücken im Rechtsschutzsystem zu schließen.233 Ebenso ist es unwirksam, wenn das Beschwerdegericht auf eine Anhörungsrüge nachträglich 66 isoliert die Rechtsbeschwerde zulässt, weil die nicht vorgesehene nachträgliche Zulassungsentscheidung die Bindung des Gerichts an seine eigene Entscheidung (§ 318 ZPO) außer Kraft setzen würde.234 Dies gilt auch, wenn das Beschwerdegericht seine Entscheidung, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, verfahrensfehlerhaft aufgrund einer Anhörungsrüge nach § 321a ZPO ändert.235 Eine nachträgliche, isolierte Zulassung der Rechtsbeschwerde aufgrund einer Anhörungsrüge gem. § 321a ZPO ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn das Beschwerdegericht bei seiner ursprünglichen Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde bezogen auf die Zulassungsentscheidung das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt hat236 oder wenn das Verfahren aufgrund eines Gehörsverstoßes gem. § 321a Abs. 5 ZPO fortgesetzt wird und sich erst aus dem anschließend gewährten rechtlichen Gehör ein Grund für die Zulassung ergibt.237 Möglich ist eine schlichte Berichtigung des Beschlusses nach § 319 ZPO, wenn die beschlos- 67 sene Zulassung nur versehentlich nicht in den Beschluss aufgenommen wurde238 und sich dieses aus dem Beschluss selbst oder mindestens aus den Vorgängen bei seinem Erlass oder seiner Verkündung ergibt, weil nur dann eine nach außen hervorgetretene offenbare Unrichtigkeit vorliegen kann.239 Im Übrigen bleibt ggf. die Verfassungsbeschwerde.240 Das Rechtsbeschwerdegericht ist grundsätzlich an die Zulassung gebunden (§ 38 Satz 1 Sta- 68 RUG i.V.m. § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO).241 Ausnahmen bestehen, wenn schon der Beschwerderechtszug kraft Gesetzes ausgeschlossen ist242 oder die Rechtsbeschwerde gegen die angefochtene Entscheidung nicht statthaft ist,243 selbst wenn das Beschwerdegericht sie eigens zur Klä-

231 BGH v. 6.2.2014 – IX ZB 109/12, NZI 2014, 334 Rz. 8; BGH v. 12. 3. 2009 – IX ZB 193/08, NZI 2009, 744 Rz. 7. 232 BGH v. 18.10.2018 – IX ZB 31/18, MDR 2019, 370 Rz. 14 = ZIP 2018, 2229. 233 BGH v. 30.4.2020 – I ZB 61/19, WM 2020, 1427 Rz. 15; BGH v. 18.10.2018 – IX ZB 31/18, MDR 2019, 370 Rz. 18 = ZIP 2018, 2229; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 51. 234 Vgl. BGH v. 18.10.2018 – IX ZB 31/18, MDR 2019, 370 Rz. 14 = ZIP 2018, 2229. 235 BGH v. 13.5.2020 – VII ZB 41/19, MDR 2020, 1141 Rz. 13; BGH v. 9.6.2016 – IX ZB 92/15, MDR 2016, 1352 Rz. 4; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 93. 236 BGH v. 14.10.2020 – IV ZB 4/20, MDR 2020, 1459 Rz. 12; BGH v. 28.2.2018 – XII ZB 634/17, MDR 2018, 690 Rz. 8. 237 BGH v. 13.5.2020 – VII ZB 41/19, MDR 2020, 1141 Leitsatz und Rz. 14; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 52; Heßler in Zöller, § 574 ZPO Rz. 17. 238 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 101; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 94. 239 BGH v. 28.2.2018 – XII ZB 634/17, MDR 2018, 690 Rz. 8; BGH v. 6.2.2014 – IX ZB 109/12, NZI 2014, 334 Rz. 9 f.; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 28 (Stand: 15.4.2022). 240 Vgl. BVerfG v. 17.8.2021 – 2 BvR 1086/21, WM 2021, 1799 Rz. 15. 241 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 121; Kexel in Graf-Schlicker, § 6 InsO Rz. 27; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 44; Pape in Uhlenbruck, § 7 InsO Rz. 5. 242 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 122. 243 BGH v. 16.5.2013 – IX ZB 198/11, ZIP 2013, 1286 Rz. 5; BGH, MDR 2011, 1138, 1139; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 100; Heßler in Zöller, § 574 ZPO Rz. 15.

Deppenkemper | 713

§ 40 Rz. 68 | Rechtsmittel rung der Zulässigkeitsfrage zugelassen hat.244 Die Zulassung des Rechtsmittels kann nicht dazu führen, dass dadurch ein gesetzlich nicht vorgesehener Instanzenzug eröffnet wird.245 69 Die Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle

des Kollegiums der Einzelrichter entschieden hat.246 Der angefochtene Beschluss unterliegt dann indes der Aufhebung, weil er unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen ist. Denn der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, die grundsätzliche Bedeutung haben oder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, das Verfahren gem. § 568 Satz 2 ZPO zwingend dem Kollegium zu übertragen (Rz. 48).247 Entscheidet er gleichwohl in der Sache als Einzelrichter, so ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters,248 was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist.249

70 Gerade auch im Rechtsbeschwerdeverfahren kann es zur prozessualen Überholung kommen,

die das Rechtsschutzbedürfnis entfallen lässt.250 b) Zulassungsgründe

71 Das LG als Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn ein Fall des § 574

Abs. 2 ZPO vorliegt (vgl. § 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Ob das der Fall ist, hat es von Amts wegen zu prüfen.251 Dabei sollte bei einem neuen Gesetz wie dem StaRUG anfangs ein durchaus großzügiger Maßstab angelegt werden.252

72 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), wenn sie eine

entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.253 Insbesondere die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe im StaRUG werden entsprechende Rechtsfrage hervorbringen.254 Dabei ist eine Rechtsfrage klärungsbedürftig, deren Beantwortung im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung zweifelhaft ist, etwa weil sie vom Rechts-

244 BGH v. 27.5.2020 – VII ZB 33/18, WM 2021, 197 Rz. 8 = MDR 2020, 1272; BGH v. 29.11.2019 – IX ZB 56/19, ZInsO 2020, 85 Rz. 7; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 40 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 245 BGH v. 28.1.2020 – IX ZB 86/19, ZInsO 2020, 401 Rz. 9. 246 BGH v. 13.1.2022 – I ZB 30/21, WM 2022, 520 Rz. 9 = MDR 2022, 659; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 95; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 38. 247 Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 51; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 140; Heßler in Zöller, § 568 ZPO Rz. 7. 248 BGH, ZIP 2021, 1526 Rz. 4; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 25 (Stand: 15.4.2022). 249 BGH v. 28.1.2022 – VI ZB 13/20, juris Rz. 5; BGH v. 7.5.2020 – IX ZB 56/19, ZIP 2020, 1138 = GmbHR 2020, 828; Heßler in Zöller, § 574 ZPO Rz. 9. 250 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 102. 251 Kexel in Graf-Schlicker, § 6 InsO Rz. 24. 252 Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 36. 253 BT-Drucks. 14/4722, S. 67, 104; BVerfG v. 4.9.2020 – 2 BvR 1206/19, WM 2020, 1975 Rz. 16; BGH v. 10.3.2022 – IX ZB 36/20, juris Rz. 13; BGH v. 1.10.2020 – IX ZA 3/20, WM 2020, 2086 Rz. 8 = MDR 2022, 721; BGH v. 25.8.2020 – VIII ZR 59/20, WuM 2020, 739 Rz. 9; BGH v. 2.7.2019 – VIII ZR 74/18, WM 2019, 2273 Rz. 10 = MDR 2019, 1118 = ZIP 2019, 1722; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 106; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 97; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 574 ZPO Rz. 7; Heßler in Zöller, § 543 ZPO Rz. 11. 254 Vgl. Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 45.

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Rechtsmittel | Rz. 75 § 40

beschwerdegericht bisher nicht entschieden ist und von verschiedenen Instanzgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder im Schrifttum abweichende Ansichten vertreten werden.255 Auch das tatsächliche und wirtschaftliche Gewicht der Frage ist zu berücksichtigen.256 Liegen (zukünftig) höchstrichterliche Entscheidung vor, kann sich die (erneute) grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht bereits aus einzelnen kritischen Stellungnahmen oder abweichenden Entscheidungen der Instanzgerichte ergeben,257 sondern setzt einen breiteren Widerspruch oder neue Argumente voraus.258 Die Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) erfordert eine Entscheidung des 73 Rechtsbeschwerdegerichts, wenn der zu entscheidende Einzelfall z.B. wegen ernsthafter Meinungsstreitigkeiten in der Literatur Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen.259 Das gilt gerade auch dann, wenn eine Rechtsfrage erstmals auftritt.260 Für die Entwicklung höchstrichterlicher Leitsätze besteht aber nur dann ein Bedürfnis, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt.261

Die Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 74 ZPO) soll schwer erträglichen Unterschieden in der Rechtsprechung entgegenwirken.262 Es geht also nicht um eine – ggf. offensichtliche – Fehlentscheidung im Einzelfall ohne Gefahr einer Wiederholung, sondern dass das Beschwerdegericht in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der Entscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts abweicht, mithin dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.263 Ferner werden offenkundige Fehler bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts erfasst,264 die allgemeine Interessen nachhaltig berühren, weil sie von erheblichem Gewicht und damit geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, wie etwa bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten oder objektiver Willkür.265

3. Beschwer Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde als Rechtsmittel setzt voraus, dass der Rechtsbeschwer- 75 deführer noch zum Zeitpunkt der Entscheidung nach Maßgabe der Beschwerdeentscheidung beschwert ist266 Die formelle Beschwer liegt vor, wenn die sofortige Beschwerde des (Erst-) 255 BGH v. 1.10.2020 – IX ZA 3/20, WM 2020, 2086 Rz. 8; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 109; Kexel in Graf-Schlicker, § 6 InsO Rz. 26; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 38; Pape in Uhlenbruck, § 7 InsO Rz. 6. 256 BT-Drucks. 14/4722, S. 105; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 48. 257 BGH v. 4.2.2015 – III ZR 513/13, WM 2015, 947 Rz. 8 = ZIP 2015, 1143 = MDR 2015, 415. 258 Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 574 ZPO Rz. 7. 259 BT-Drucks. 14/4722, S. 104; Kessal-Wulf in BeckOK/ZPO, § 543 ZPO Rz. 23 (Stand: 1.7.2022); Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 114; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 39; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 574 ZPO Rz. 10; Pape in Uhlenbruck, § 7 ZPO Rz. 7. 260 Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 49; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 98. 261 BGH v. 25.8.2020 – VIII ZR 59/20, WuM 2020, 739 Rz. 21; BGH v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, ZIP 2002, 1826, 1828 = MDR 2002, 1207. 262 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 117; Pape in Uhlenbruck, § 7 InsO Rz. 8. 263 BGH v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, WM 2003, 987 Rz. 11 = MDR 2003, 822; OLG Karlsruhe v. 25.1.2022 – 3 U 18/20, juris Rz. 21; Kexel in Graf-Schlicker, § 6 InsO Rz. 26; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 50. 264 BGH v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, ZIP 2002, 1826, 1827 = MDR 2002, 1207. 265 BT-Drucks. 14/4722, S. 104. 266 BGH v. 14.9.2017 – I ZB 9/17, MDR 2018, 360 Rz. 8; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 136; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 101; Heßler in Zöller, § 574 ZPO Rz. 5.

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§ 40 Rz. 75 | Rechtsmittel Rechtsbeschwerdeführers vom Beschwerdegericht verworfen oder zurückgewiesen wurde.267 Andere Beteiligten sind materiell beschwert, wenn sie durch die Beschwerdeentscheidung (erstmals) in ihren Rechten beeinträchtigt sind und ihnen gegen eine entsprechende erstinstanzliche Entscheidung des Restrukturierungsgerichts die sofortige Beschwerde zugestanden hätte.268

4. Frist 76 Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat ab Zustellung der Be-

schwerdeentscheidung beim BGH einzulegen (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Im elektronischen Rechtsverkehr werden die als elektronisches Dokument erstellten Beschlüsse (§ 130b Satz 1 ZPO) an Anwälte, soweit bevollmächtigt, elektronisch zugestellt (§ 173 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO); nach §§ 329, 317 Abs. 3 ZPO können Ausfertigungen und Abschriften auch von einem (im Wege des § 298 ZPO erstellten) Urteilsausdrucks erteilt werden.269 Zustellungsmängel können nach § 189 ZPO geheilt werden.270 Ohne Zustellung beginnt die Frist nicht,271 da sie voraussetzt, dass der Beschwerte die anzufechtende Entscheidung kennen kann.272 Für andere Rechtsmittelfristen ist in der ZPO zwar vorgesehen, dass sie spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung der anzufechtenden Entscheidung beginnen (vgl. § 517 Halbs. 2 ZPO: Berufung; § 548 Halbs. 2 ZPO: Revision; § 569 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 ZPO: Beschwerde). Dieses gilt für die Rechtsbeschwerde aber nicht analog,273 da dieses gegen das Gebot der Rechtsklarheit verstieße und weder eine planwidrige Regelungslücke noch eine vergleichbare Interessenlage vorliegt, da die Entscheidung des Beschwerdegerichts typischerweise nicht verkündet wird.274 Der Betroffene muss die anzufechtende Entscheidung zur Kenntnis nehmen können.275 Als Notfrist (§ 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO) kann die Frist weder verkürzt noch verlängert werden; ggf. kommt bei Fristversäumnis Wiedereinsetzung (§ 38 Satz 1 StaRUG; §§ 233 ff. ZPO) in Betracht.276

5. Form 77 Die Rechtsbeschwerde ist nur zulässig, wenn sie durch Einreichen der Rechtsbeschwerde-

schrift durch einen beim BGH (§ 133 GVG) zugelassenen Rechtsanwalt beim BGH eingelegt

267 Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 30 (Stand: 15.4.2022); Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 42 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 268 BGH v. 14.12.2005 – IX ZB 54/04, NZI 2006, 239 Rz. 4; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 30 (Stand: 15.4.2022); Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 42 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 269 Vgl. Feskorn in Zöller, § 317 ZPO Rz. 8. 270 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 104. 271 BAG v. 28.2.2008 – 3 AZB 56/07, NJW 2008, 1610; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 43 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Heßler in Zöller, § 575 ZPO Rz. 2. 272 Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 575 ZPO Rz. 2. 273 BAG v. 28.2.2008 – 3 AZB 56/07, NJW 2008, 1610, 1611; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 31 (Stand: 15.4.2022); Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 575 ZPO Rz. 6; a.A. Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 127; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 104; Ball in Musielak/Voit, § 575 ZPO Rz. 2. 274 Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 575 ZPO Rz. 6. 275 So auch Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 104, die eine Analogie zu § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO befürworten. 276 Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen, BGH v. 11.1.2022 – VIII ZB 37/21, NJW-RR 2022, 346 Rz. 8.

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Rechtsmittel | Rz. 79 § 40

worden ist (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 133 GVG, § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO);277 ansonsten ist sie als unzulässig zu verwerfen.278 Die Rechtsbeschwerdeschrift ist als elektronisches Dokument zu übermitteln (§ 130d Satz 1 ZPO). In der Rechtsbeschwerdeschrift ist die angegriffene Entscheidung zu bezeichnen und die Erklärung abzugeben, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt wird (§ 575 Abs. 1 Satz 2 ZPO).279 Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll zugleich eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der angefochtenen Entscheidung vorgelegt werden (§ 575 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Das ist eine bloße Ordnungsvorschrift, so dass deren Missachtung keine prozessualen Nachteile zur Folge hat.280 Die Rechtsbeschwerdeschrift ist dem Gegner zuzustellen (§ 575 Abs. 4 Satz 2 ZPO). Der Rechtsbeschwerdeführer kann seine Rechtsbeschwerde jederzeit zurücknehmen.281

6. Begründung Die Rechtsbeschwerde ist in der Rechtsbeschwerdeschrift oder durch gesonderten Schriftsatz 78 innerhalb der Rechtsbeschwerdefrist, also binnen eines Monats nach der Zustellung der Beschwerdeentscheidung, zu begründen (§ 575 Abs. 2 ZPO).282 Die Begründungsfrist ist keine Notfrist und kann daher auf Antrag ggf. um bis zu zwei Monate verlängert werden (§ 575 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 ZPO).283 Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist möglich (§§ 233 f. ZPO).284 Es gelten die Vorschriften über bestimmende Schriftsätze (§ 129 ZPO). Die Begründung hat 79 hinreichend genau die Rechtsbeschwerdeanträge, die den Umfang der Anfechtung bestimmen und den BGH binden (§ 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO), und die Rechtsbeschwerdegründe anzugeben (§ 575 Abs. 3 Nr. 1 und 3 ZPO).285 Die Rechtsbeschwerde muss die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 575 Abs. 3 Nr. 3a ZPO) und, wird sie auf einen Verfahrensfehler gestützt, zusätzlich die Tatsachen enthalten, die den Verfahrensmangel ergeben (§ 575 Abs. 3 Nr. 3b ZPO).286 Die angefochtene Entscheidung muss auf den aufgeworfenen Rechtsfragen beruhen. Ansonsten ist die Rechtsbeschwerde unzulässig.287 Gemäß § 576 Abs. 2 ZPO kann die Rechtsbeschwerde nicht darauf gestützt werden, dass das 277 BGH v. 7.7.2020 – XI ZB 1/20, juris Rz. 2; BGH v. 14.9.2020 – IX ZB 78/19, ZInsO 2020, 2292 Rz. 2; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 130; Kexel in Graf-Schlicker, § 6 InsO Rz. 29; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 107; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 41, 43. 278 BGH v. 14.9.2020 – IX ZB 20/20, ZInsO 2020, 2292 Rz. 2. 279 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 106; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 42. 280 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 106; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 575 ZPO Rz. 3. 281 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 43 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 575 ZPO Rz. 23. 282 Ball in Musielak/Voit, § 575 ZPO Rz. 5; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 575 ZPO Rz. 4; Heßler in Zöller, § 575 ZPO Rz. 2. 283 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 110; Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 575 ZPO Rz. 11; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 575 ZPO Rz. 4; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 46; Heßler in Zöller, § 575 ZPO Rz. 9. 284 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 131; Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 575 ZPO Rz. 13. 285 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 44 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Madaus in BeckOK/ InsR, § 6 InsO Rz. 33 (Stand: 15.4.2022); Kexel in Graf-Schlicker, § 6 InsO Rz. 31; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 112 ff.; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 42; Pape in Uhlenbruck, § 7 InsO Rz. 15. 286 Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 575 ZPO Rz. 17. 287 Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 574 ZPO Rz. 6.

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§ 40 Rz. 79 | Rechtsmittel Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Hat das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen und hilfsweise deren Begründetheit verneint, ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn in ihr zu beiden Begründungen die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO dargelegt werden.288 80 Erfolgt die Begründung nicht in der vorgeschriebenen Frist und Form, wird die Rechts-

beschwerde als unzulässig verworfen (§ 38 Satz 1 StaRUG, § 577 Abs. 1 ZPO).289

7. Wirkung der Rechtsbeschwerde 81 Das Beschwerdegericht selbst ist zu einer Änderung seiner Entscheidung nicht befugt. Es

findet vor dem Beschwerdegericht kein Abhilfeverfahren statt.290

82 Wie die sofortige Beschwerde hat die Rechtsbeschwerde grds. keine aufschiebende Wir-

kung.291 Über die Verweisung des (gem. § 38 Satz 1 StaRUG) anwendbaren § 575 Abs. 5 ZPO auf § 570 Abs. 1 ZPO kommt ihr nur dann aufschiebende Wirkung zu, wenn sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand hat.292

83 Das Rechtsbeschwerdegericht kann von Amts wegen293 aber im Wege der einstweiligen An-

ordnung die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung294 und ebenso die Vollziehung der Entscheidung erster Instanz nach pflichtgemäßen Ermessen aussetzen (§ 575 Abs. 5, § 570 Abs. 3 ZPO).295 Dafür ist nicht erforderlich, dass bereits im Beschwerderechtzug um Vollstreckungsschutz nachgesucht wurde.296 Eine Aussetzung kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn durch die (weitere) Vollziehung dem Rechtsbeschwerdeführer größere Nachteile drohen, als den übrigen Beteiligten im Fall der Aufschiebung der von dem Gericht beschlossenen Maßnahme, zudem die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist, und die Rechtsbeschwerde zulässig erscheint.297 In einem solchen Fall ordnet das Rechtsbeschwerdegericht mittels Entscheidung in der Hauptsache an, dass die Vollziehung bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts ausgesetzt bleibt,298 da ansonsten bei einer Aufhebung der Beschwerdeentscheidung die erstinstanzliche Entscheidung wirksam würde.299 Das Rechtsbeschwerdegericht kann nur die Vollziehung einer ergangenen Entscheidung aussetzen, nicht aber erstmals vorläufigen Rechtsschutz bis zur Entscheidung über einen in den Vorinstanzen abgelehnten Antrag gewähren.300 288 BGH v. 30. 3. 2006 – IX ZB 171/04, NZI 2006, 606 Rz. 2; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 33 (Stand: 15.4.2022). 289 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 44 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 575 ZPO Rz. 10. 290 Kexel in Graf-Schlicker, § 6 InsO Rz. 33; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 54; Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 46; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 575 ZPO Rz. 7; Pape in Uhlenbruck, § 7 InsO Rz. 20; Heßler in Zöller, § 577 ZPO Rz. 5; zweifelnd Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 117 m. Fn. 367: „fragwürdig“. 291 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 138. 292 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 108; Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 575 ZPO Rz. 20; Heßler in Zöller, § 575 ZPO Rz. 10. 293 BGH v. 27.7.2006 – IX ZB 204/04, ZIP 2006, 1957 Rz. 31 = DB 2006, 2396 = MDR 2007, 298. 294 BT-Drucks. 14/4722, S. 118; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 575 ZPO Rz. 7. 295 BGH v. 28.1.2020 – IX ZB 86/19, ZInsO 2020, 401 Rz. 3; BGH v. 19.1.2017 – I ZB 94/16, WM 2017, 782 Rz. 3 = MDR 2017, 303; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 109. 296 BGH v. 29.11.2019 – IX ZB 56/19, ZInsO 2020, 85 Rz. 3. 297 BGH v. 28.1.2020 – IX ZB 86/19, ZInsO 2020, 401 Rz. 3. 298 BGH v. 27.7.2006 – IX ZB 204/04, ZIP 2006, 1957 Rz. 30 = DB 2006, 2396 = MDR 2007, 298. 299 Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 575 ZPO Rz. 7. 300 Vgl. BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 208/05, ZIP 2005, 2333, 2334 = MDR 2006, 647.

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Rechtsmittel | Rz. 87 § 40

8. Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts Die Entscheidung des BGH über die Rechtsbeschwerde ergeht (ohne Abhilfeverfahren) durch 84 Beschluss (§ 577 Abs. 6 Satz 1 ZPO). Sie ist, außer in den Fällen des § 577 Abs. 6 Satz 2 und 3 ZPO, zu begründen.301 Zugestellt wird sie nur, wenn sie einen Vollstreckungstitel bildet (§ 329 Abs. 3 ZPO).302 Der BGH prüft von Amts wegen, ob die Rechtsbeschwerde statthaft ist und ob sie in der ge- 85 setzlichen Form und Frist eingelegt und begründet wurde und die allgemeine Verfahrensvoraussetzung, das Rechtsschutzbedürfnis und die Beschwer vorliegen. Andernfalls wird sie als unzulässig verworfen (§ 577 Abs. 1 ZPO).303 War bereits die sofortige Beschwerde zwar statthaft, aber unzulässig, hat das Beschwerdegericht sie jedoch gleichwohl sachlich beschieden, ist diese Entscheidung auf eine zulässige Rechtsbeschwerde hin unter Beachtung des prozessualen Verbots der Schlechterstellung (reformatio in peius) aufzuheben und die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.304 Begründet ist die Rechtsbeschwerde, wenn die angefochtene Entscheidung auf der Verletzung 86 formellen oder materiellen (Bundes)Rechts305 beruht.306 Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder richtig angewendet worden ist (§ 576 Abs. 3, § 546 ZPO).307 An die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe ist der BGH nicht gebunden (§ 577 Abs. 2 Satz 2 ZPO).308 Bei einem der in § 547 ZPO genannten Verfahrensfehler (absolute Rechtsbeschwerdegründe) ist sie stets begründet.309

Ausgeschlossen ist die Nachprüfung der erstinstanzlichen örtlichen, sachlichen und funk- 87 tionellen Zuständigkeit (§ 576 Abs. 2 ZPO),310 auch die zu Unrecht erfolgte Verneinung der Zuständigkeit, durch das erstinstanzliche Gericht, wenn die Entscheidung über die Zuständigkeit nicht gerade auf der Verletzung von Verfahrensgrundrechten oder auf Willkür beruht.311 Das betrifft aber nicht die internationale Zuständigkeit.312 Diese ist in jeder Lage des Verfahrens und damit auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen.313 Ist sie streitig und hängt die örtliche Zuständigkeit von denselben Voraussetzungen ab,314 ist der

301 Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 55. 302 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 151; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 154. 303 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 45 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Madaus in BeckOK/ InsR, § 6 InsO Rz. 35 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 123, 143; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 577 ZPO Rz. 2; Pape in Uhlenbruck, § 7 InsO Rz. 20, 22; Heßler in Zöller, § 577 ZPO Rz. 2. 304 BGH v. 13.1.2022 – I ZB 30/21, WM 2022, 520 Rz. 11, 17 = MDR 2022, 659. 305 Dazu Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 132, 136; Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 576 ZPO Rz. 3 f.; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 576 ZPO Rz. 2; Pape in Uhlenbruck, § 7 InsO Rz. 19; Heßler in Zöller, § 576 ZPO Rz. 3. 306 BT-Drucks. 14/4722, S. 118; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 138. 307 Dazu Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 137. 308 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 116. 309 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 133, 139. 310 BGH v. 29.9.2021 – XII ZB 495/20, MDR 2022, 190 Rz. 12; BGH v. 12.4.2018 – IX ZB 66/17, ZVI 2018, 278 Rz. 2; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 123; Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 51. 311 Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 576 ZPO Rz. 8; offengelassen bei BGH v. 12.4.2018 – IX ZB 66/ 17, ZVI 2018, 278 Rz. 3. 312 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 43, 123; Hamdorf in MünchKomm/ZPO, § 571 ZPO Rz. 11. 313 BGH v. 29.9.2021 – XII ZB 495/20, MDR 2022, 190 Rz. 12. 314 Vgl. BGH v. 17.3.2015 – VI ZR 11/14, ZIP 2015, 879 Rz. 17 = DB 2015, 1160.

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§ 40 Rz. 87 | Rechtsmittel beabsichtigte Beschleunigungseffekt nicht erreichbar, so dass § 576 Abs. 2 ZPO dann nicht greift.315 88 Grundlage der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts sind die tatsächlichen Feststel-

lungen des Beschwerdegerichts, wie es aus der Entscheidung oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist (§ 577 Abs. 2 Satz 3, § 559 ZPO).316 Daher muss der für die rechtliche Überprüfung erforderliche Sachverhalt und der Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen in der angefochtenen Entscheidung wiedergegeben werden.317

89 Es erfolgt bei der Begründetheitsprüfung keine Nachprüfung der tatsächlichen Feststellungen,

soweit insoweit keine Rechtsverletzung zugrunde liegt. Neue Tatsachen und Beweise können (außer zur Frage der Zulässigkeit) grds. nicht vorgebracht werden.318

90 Ist die Rechtsbeschwerde zulässig, aber unbegründet, wird sie zurückgewiesen.319 Dazu gehö-

ren auch die Fälle, dass die Formel der Beschwerdeentscheidung klarstellend angepasst wird („Die Rechtsbeschwerde wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ...“) oder, wenn die Zurückweisung der Erstbeschwerde als unbegründet in eine Verwerfung als unzulässig abgeändert wird.320

91 Ist die Rechtsbeschwerde zulässig und begründet und stellt sich die angefochtene Entschei-

dung auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. § 577 Abs. 3 ZPO), hebt der BGH die angefochtene Entscheidung auf und weist die Sache entweder zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz (bzw. analog § 572 ZPO321 direkt an das AG, wenn das LG als Beschwerdegericht vernünftiger Weise selbst zurückverwiesen hätte)322 zurück (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO) oder entscheidet in der Sache selbst (§ 577 Abs. 5 ZPO), wenn die Sache entscheidungsreif ist,323 d.h. der Sachverhalt unstreitig oder insofern geklärt ist, dass alle erforderlichen Feststellungen von der Vorinstanz getroffen worden sind und eine das Verfahren beendende Entscheidung möglich ist.324 Im letztgenannten Fall hat der BGH auch über die Kosten zu entscheiden, es sei denn, die Beteiligten stehen sich nicht kontradiktorisch gegenüber.325 Bei der Rückverweisung (in Hinblick auf § 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG i.d.R. nicht an einen anderen Spruchkörper nach § 577 Abs. 4 Satz 3 ZPO) ist das Gericht der Vorinstanz an die Rechtsauf315 So zu § 549 Abs. 2 ZPO a.F. BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, ZIP 1996, 2184, 2185; offengelassen bei BGH v. 29.9.2021 – XII ZB 495/20, MDR 2022, 190 Rz. 12. 316 Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 577 ZPO Rz. 7; Pape in Uhlenbruck, § 7 InsO Rz. 20, 24. 317 BGH v. 19.1.2021 – VI ZB 41/20, MDR 2021, 638 Rz. 4 f.; Heßler in Zöller, § 576 ZPO Rz. 2. 318 BT-Drucks. 14/4722, S. 118; BGH v. 18.9.2003 – IX ZB 40/03, ZIP 2004, 280, 281 f. = MDR 2004, 107.; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 126; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 576 ZPO Rz. 1; zu den Ausnahmen BGH v. 11.5.2016 – XII ZB 363/15, NJW 2016, 2650 Rz. 24 = MDR 2016, 1021; BGH v. 22.2.2001 – III ZB 71/99, NJW 2001, 1730; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 577 ZPO Rz. 7. 319 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 152; Kexel in Graf-Schlicker, § 6 InsO Rz. 36; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 577 ZPO Rz. 8. 320 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 144. 321 BGH v. 6.4.2017 – IX ZB 40/16, ZIP 2017, 976 Rz. 21 = MDR 2017, 665. 322 BGH v. 9.2.2012 – IX ZB 86/10, ZIP 2012, 582 Rz. 15 = MDR 2012, 678; BGH v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, ZIP 2004, 1717, 1721 = MDR 2005, 173; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 153; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 37 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 150; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 53; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 55. 323 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 145; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 577 ZPO Rz. 9, 11; Pape in Uhlenbruck, § 7 ZPO Rz. 25. 324 BT-Drucks. 14/4722, S. 119. 325 Vgl. BGH v. 5.3.2015 – IX ZB 62/14, WM 2015, 729 Rz. 17 = MDR 2015, 486 = ZIP 2015, 791 = DB 2015, 979 = GmbHR 2015, 536 m. Anm. Bormann; BGH v. 3.4.2014 – V ZB 41/13, WM 2014, 1181 Rz. 15 = ZIP 2014, 1556 = MDR 2014, 862.

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fassung des BGH, die der Aufhebung (unmittelbar) zugrunde liegt, gebunden (§ 577 Abs. 4 Satz 4 ZPO), soweit nicht neue Tatsachen festzustellen und für die Entscheidung maßgeblich sind.326 Außerhalb der gesetzlich bestimmten Verfahrensregeln kann der BGH auf das Verfahren keinen Einfluss – etwa durch Weisungen – nehmen,327 wohl aber Hinweise („Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin ...“) erteilen.328 Das Gericht, an das verwiesen wird, hat das Schlechterstellungsverbot zu beachten.329 Es entscheidet auch über die Kosten. Gelangt die Sache erneut an den BGH, ist dieses Gericht mittelbar ebenfalls an seine frühere Entscheidung gebunden (Rückbindung). Auch das Rechtsbeschwerdegericht kann einstweilige Anordnungen in Form von Anordnun- 92 gen in Bezug auf die Wirkungen der angefochtenen Entscheidung erlassen (§ 575 Abs. 5, § 570 Abs. 3 ZPO).330 Die Rechtsbeschwerdeentscheidung des BGH unterliegt selbst keinem weiteren Rechtsmittel. 93 Sie wird daher sofort – mit Erlass – formell rechtskräftig.331

9. Anschlussrechtsbeschwerde (Nur) der Rechtsbeschwerdegegner kann sich der Rechtsbeschwerde anschließen, selbst wenn 94 er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist (§ 38 Satz 1, § 574 Abs. 4 Satz 1 ZPO).332 Er kann so bei ohnehin durchzuführendem Rechtsbeschwerdeverfahren eine Abänderung der Entscheidung zu seinen Gunsten erreichen.333 Als unselbstständiges Anschlussrechtsmittel verliert die Anschlussrechtsbeschwerde ihre Wirkung, wenn das Hauptrechtsmittel zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird (§ 38 Satz 1, § 574 Abs. 4 Satz 2 ZPO).334 Die Anschlussrechtsbeschwerde muss binnen einer Notfrist (§ 224 Abs. 1 ZPO) von einem 95 Monat ab Zustellung der Rechtsbeschwerdebegründung beim BGH als Rechtsbeschwerdegericht (§ 133 GVG) eingelegt werden. Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ist möglich.335 Auch der Anschlussrechtsbeschwerdeführer muss sich durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen (§ 78 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Inhaltlich gelten auch für sie (als Rechtsbeschwerde) die Vorgaben des § 575 Abs. 1 Satz 2 96 Nr. 1 und 2 ZPO entsprechen. Es muss die angegriffene Entscheidung hinreichend bestimmt bezeichnet sowie die Erklärung enthalten sein, dass Anschlussrechtsbeschwerde eingelegt wer326 BGH v. 6.5.2004 – IX ZB 349/02, ZIP 2004, 1214, 1215 = DB 2004, 2213 = MDR 2004, 1202; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 154; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 46 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 37 (Stand: 15.4.2022); Ganter/ Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 148; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 50; Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 51; Pape in Uhlenbruck, § 7 InsO Rz. 26. 327 BGH v. 13.7.2020 – IX ZB 46/19, ZInsO 2020, 2018 Rz. 3. 328 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 47 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Lohmann in Prütting/ Gehrlein, § 577 ZPO Rz. 10: „Segelanweisungen“. 329 BGH v. 6.5.2004 – IX ZB 349/02, ZIP 2004, 1214, 1215 = DB 2004, 2213 = MDR 2004, 1202; Kexel in Graf-Schlicker, § 6 InsO Rz. 37; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 55. 330 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 152. 331 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 154; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 155; Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 54. 332 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 123; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 118; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 47. 333 BT-Drucks. 14/4722, S. 116 f.; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 44; Lohmann in Prütting/ Gehrlein, § 575 ZPO Rz. 21. 334 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 120. 335 Heßler in Zöller, § 574 ZPO Rz. 19.

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§ 40 Rz. 96 | Rechtsmittel de.336 Die Anschlussrechtsbeschwerde muss bereits in der Anschlussschrift begründet werden (§ 574 Abs. 4 Satz 2 ZPO).337 Die Begründung muss den Anforderungen des § 575 Abs. 3 Nr. 1 und 3 ZPO entsprechen. Ein entsprechender Mangel kann selbst in der noch laufenden Monatsfrist nicht durch Nachreichung geheilt werden; freilich bleibt möglich, in noch offener Frist erneut eine nun ordnungsgemäße Anschlussschrift einzureichen.

V. Sonstige Rechtsbehelfe 97 Soweit Entscheidungen ihre Rechtsgrundlage nicht im StaRUG haben, sondern nur aus An-

lass des Restrukturierungsverfahrens ergehen, können sie nach den allgemeinen Vorschriften angefochten werden,338 so etwa die Anordnung von Ordnungs- und Zwangsmitteln gegen Zeugen oder Sachverständige (§ 38 StaRUG i.V.m. § 380 Abs. 3, § 390 Abs. 3, § 409 Abs. 2 ZPO), sitzungspolizeiliche Maßnahmen (§ 181 Abs. 1 GVG), die Streitwertfestsetzung (§ 68 Abs. 1 GKG), die Anforderungen des Gerichtskostenvorschusses (§ 13a GKG) und die Versagung der von einem Nichtbeteiligten beantragten Akteneinsicht (§ 299 Abs. 2 ZPO) gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG.339 Gegen Entscheidungen des Rechtspflegers ist die befristete (sofortige) Erinnerung gem. § 11 Abs. 2 RPflG eröffnet,340 gegen solche des beauftragten oder ersuchten Richters sowie des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle die Erinnerung nach § 38 StaRUG i.V.m. § 573 ZPO.341

98 Ist kein Rechtsmittel ausdrücklich eröffnet, kommt – wie bei § 6 InsO – selbst bei greifbarer

Gesetzeswidrigkeit oder der Verletzung von Verfassungsrecht eine außerordentliche Beschwerde an die übergeordnete Instanz wegen des verfassungsrechtlichen Gebots der Rechtsmittelklarheit grundsätzlich nicht in Betracht.342 In Einzelfällen wird bei Eingriffen in Grundrechte des Betroffenen aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gleichwohl die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung des Eingriffs abgeleitet.343 Soweit die Entscheidung noch anfechtbar ist, bleibt die Gegenvorstellung, sowie bei unanfechtbaren Endentscheidungen binnen der Notfrist von zwei Wochen die Rüge der Verletzung

336 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 119. 337 Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 574 ZPO Rz. 21; Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 45; Pape in Uhlenbruck, § 7 InsO Rz. 10; Heßler in Zöller, § 574 ZPO Rz. 20. 338 Baumert in Braun, § 40 StaRUG Rz. 8; Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 20; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 4, 9; zu § 6 InsO BGH v. 29.11.2019 – IX ZB 56/19, ZInsO 2020, 85 Rz. 10: zur sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung der nach § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 1 ZPO beantragten Akteneinsicht; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 12; Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 3 (Stand: 15.4.2022); Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 4; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 4b; Schultz in Pape/Reichelt/ Schultz/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, § 36 Rz. 2. 339 Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 21; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 11; zu § 6 InsO Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 84; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 16, 68 f. 340 Baumert in Braun, § 6 InsO Rz. 55; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 59; Stephan in K. Schmidt, § 6 InsO Rz. 4. 341 Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 22 f.; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 57. 342 BVerfG v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02, ZIP 2003, 1102 f. = MDR 2003, 886.; Baumert in Braun, § 6 InsO Rz. 48; Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 1; Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 16. 343 BGH v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, ZIP 2004, 915 = MDR 2004, 1022; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier, § 6 InsO Rz. 28 f., 161; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 49 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Madaus in BeckOK/InsR, § 6 InsO Rz. 4 (Stand: 15.4.2022); Schmerbach in FK/InsO, § 6 InsO Rz. 21, 25; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 9a (zum Fall, dass der Richter, funktional gesehen, Eingriffe vollziehender Gewalt vornimmt); Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 8; Lohmann in Prütting/Gehrlein, § 577 ZPO Rz. 4; ablehnend Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 16, der auf § 321a ZPO verweist.

722 | Deppenkemper

Rechtsmittel | Rz. 99 § 40

rechtlichen Gehörs nach § 38 Satz 1 StaRUG, § 321a ZPO beim Ausgangsgericht.344 Statthafter Rügegegenstand ist hier aber nur die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, nicht die Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte und -garantien;345 das Gericht hat keine umfassende Abhilfemöglichkeit.346 Gegen pflichtwidrige Untätigkeit des Restrukturierungsgerichts gibt es (mangels Entscheidung) kein Rechtsmittel;347 es kann ferner die Dienstaufsicht angerufen348 und Rechtsschutz nach §§ 198 ff. GVG eingefordert werden.349

Schließlich kommt die Verfassungsbeschwerde350 in Betracht und können die Beteiligten gel- 99 tend machen, durch die Nichtvorlage einer streitigen Frage an den EuGH in dem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein,351 um die nur von Amts wegen352 erfolgende Vorlage an den EuGH zu erreichen.353 Verpflichtend ist die Vorlage von Amts wegen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV, wenn über die Auslegung der Handlungen der Organe der Union – dazu gehören auch Richtlinien354 wie die Restrukturierungsrichtlinie und ggf. ihre Umsetzung355 im StaRUG – gestritten wird und die Entscheidungen des Gerichts selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts356 angefochten werden kann. Ein Gericht, z.B. das Restrukturierungsgericht,357 kann aber auch ansonsten vorlegen, wenn es eine Entscheidung über die Frage zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält (Art. 267 Abs. 2 AEUV). Das Verfahren ist dann ausgesetzt.358 Praktisch ist dieses wegen der Eilbedürftigkeit der Sache kaum,359 selbst wenn, was nicht nahe liegt,360 ein beschleunigtes Verfahren nach Art. 105 Abs. 1 EuGHVfO361 erreicht würde. Die zu begründende (Art. 94 EuGHVfO) Vorlageentscheidung erfolgt (in Restrukturierungssachen) durch Beschluss.362 Sie kann in deutscher Sprache (Art. 37 Abs. 3 EuGHVfO) verfasst werden; eine Übersetzung ist nicht erforderlich.363

344 BGH v. 30.4.2020 – I ZB 61/19, WM 2020, 1427 Rz. 11 = MDR 2020, 1336; Kramer in BeckOK/ StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 48 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 6 InsO Rz. 47; Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 25; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 90, 157 f.; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 12; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 57. 345 Vollkommer in Zöller, § 321a ZPO Rz. 3a–3b. 346 BGH v. 14.4.2016 – IX ZR 197/15, MDR 2016, 787 Rz. 13. 347 Vgl. BGH v. 20.11.2012 – VIII ZB 49/12, NJW 2013, 385 Rz. 2 ff. 348 Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 9. 349 Sternal in Kayser/Thole, § 6 InsO Rz. 16. 350 Laroche in Flöther, § 40 StaRUG Rz. 25; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 13. 351 Vgl. BVerfG v. 4.3.2021 – 2 BvR 1161/19, NJW-RR 2021, 617 Rz. 44; BVerfG v. 14.1.2021 – 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005 Rz. 8 f. 352 Vgl. Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim/Kaufmann-Bühler, Art. 267 AEUV Rz. 31 (Stand: 05.2013). 353 Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 14. 354 Wegener in Calliess/Ruffert, 6. Aufl. 2022, Art. 267 AEUV Rz. 10; Schwarze/Wunderlich in Schwarze/ Becker/Hatje/Schoo, Art. 267 AEUV Rz. 10; Ehricke in Streinz, 3. Aufl. 2018, Art. 267 AEUV Rz. 19. 355 Ehricke in Streinz, 3. Aufl. 2018, Art. 267 AEUV Rz. 19. 356 Dazu Wegener in Calliess/Ruffert, 6. Aufl. 2022, Art. 267 AEUV Rz. 27; Ehricke in Streinz, 3. Aufl. 2018, Art. 267 AEUV Rz. 41 ff. 357 Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 52 f. 358 Ehricke in Streinz, 3. Aufl. 2018, Art. 267 AEUV Rz. 55. 359 Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 53. 360 Vgl. Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim/Kaufmann-Bühler, Art. 267 AEUV Rz. 91 (Stand: Mai 2013). 361 Dazu Wegener in Calliess/Ruffert, 6. Aufl. 2022, Art. 267 AEUV Rz. 45 m. Hinw., dass, weil die absolute Vorrangerklärung der betreffenden Rechtssache zu Lasten anderer anhängiger Rechtssachen geht, der Gerichtshof nur zurückhaltenden Gebrauch von diesem Verfahren mache. 362 Wegener in Calliess/Ruffert, 6. Aufl. 2022, Art. 267 AEUV Rz. 43; Ehricke in Streinz, 3. Aufl. 2018, Art. 267 AEUV Rz. 55; Latzel/Streiz, NJW 2013, 271 (mit Muster). 363 Wegener in Calliess/Ruffert, 6. Aufl. 2022, Art. 267 AEUV Rz. 43; Blankenburg in Morgen, § 40 StaRUG Rz. 56.

Deppenkemper | 723

§ 40 Rz. 100 | Rechtsmittel

VI. Kosten und Gebühren 100 Die Gerichtskosten bei einer sofortigen Beschwerde nach dem StaRUG betragen als streit-

wertunabhängige Festgebühr 1.000,– Euro (KV Nr. 2520 GKG).364 Bei der Rücknahme des Rechtsmittels reduzieren sie sich auf die Hälfte (KV Nr. 2521 GKG).365 Die Gebühr wird mit dem Eingang der sofortigen Beschwerde bei Gericht fällig.366 Es haftet grundsätzlich der Schuldner (§ 25a Abs. 1 StaRUG),367 soweit nicht einem anderen gem. § 29 Nr. 1 GKG die Kosten auferlegt wurden.368 Eine Vorschuss- bzw. Vorauszahlungspflicht besteht nicht. Für die Rechtsanwaltsgebühren gelten die allgemeinen Vorschriften: Der Rechtsanwalt verdient nach VV Nr. 3500 RVG eine 0,5 Verfahrensgebühr369 (eine Herabsetzung bei vorzeitiger Beendigung des Verfahrens findet für diese Gebühr nicht statt)370 sowie ggf. eine 0,5 Terminsgebühr (KV Nr. 3513).371 Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 29a RVG (wirtschaftliches Interesse).372

101 Die Gerichtskosten bei der Rechtsbeschwerde betragen als Festgebühr 2.000,- (KV Nr. 2523

GKG). Die Gebühr wird mit Eingang der Rechtsbeschwerde bei Gericht fällig (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a GKG).373 Bei Rücknahme reduziert sie sich auf die Hälfte (KV 2524 GKG). Die Verfahrensgebühr des Rechtsanwalts beträgt 1,0 (VV Nr. 3502 RVG). Bei vorzeitiger Beendigung des Auftrags ermäßigt sich diese Gebühr auf eine 0,5-Gebühr (VV Nr. 3503 RVG-VV).374 Auch eine 1,2 Terminsgebühr kann anfallen (VV Nr. 3516 RVG), mangels gerichtlichen Termins aber nur durch außergerichtliche Verhandlungen zur Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens i.S.d. Vorbemerkung 3 Abs. 3 Nr. 2 RVG.375

102 Für im StaRUG nicht besonders aufgeführte Beschwerden, die nicht nach anderen Vor-

schriften gebührenfrei sind, entsteht, wird die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen, eine streitwertunabhängige Festgebühr von 66,- Euro, die bei teilweiser Zurückweisung nach billigem Ermessen auf die Hälfte ermäßigt oder ganz erlassen werden kann (KV Nr. 2522 GKG).376 Die Gebühr wird mit der existent gewordenen Entscheidung fällig (§ 6 Abs. 2 GKG).377 Sie deckt auch eine ggf. stattfindende Beweiserhebungen und mündliche Verhandlungen ab. Kostenschuldner ist grundsätzlich der Schuldner (§ 25a Abs. 1 StaRUG), wenn nicht einem anderen im Beschwerdeverfahren gem. § 29 Nr. 1 GKG die Kosten auferlegt wur-

364 Sengl in BeckOK/KostR, GKG KV 2520 Rz. 2 (Stand: 1.7.2022). 365 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 40; Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, § 16 Rz. 130. 366 Volpert in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes KostenR, 3. Aufl. 2021, KV GKG Nr. 2523–2525 Rz. 3. 367 A.A. Volpert in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes KostenR, 3. Aufl. 2021, KV GKG Nr. 2523–2525 Rz. 5: Der Kostenschuldner richte sich nach §§ 22, 29 GKG. 368 Sengl in BeckOK/KostR, GKG KV 2520 Rz. 5 (Stand: 1.7.2022). 369 Mayer/Teubel in Mayer/Kroiß, 8. Aufl. 2021, RVG VV 3500 Rz. 4; Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, § 19 Rz. 42. 370 Toussaint in Toussaint, RVG VV 3500 Rz. 4. 371 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 6 InsO Rz. 85; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 40 StaRUG Rz. 40; Hellstab/Jungbauer/Schneider/Vogt/Schneider in Rehberg/Asperger/Bestelmeyer/Dörndorfer/Frankenberg, 8. Aufl. 2021, „Restrukturierungssachen“. 372 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 52 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. LG Dresden v. 1.7.2021 – 5 T 363/21, ZIP 2021, 2596, 2597. 373 Sengl in BeckOK/KostR, GKG KV 2523 Rz. 6 (Stand: 1.7.2022). 374 Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, 25. Aufl. 2021, RVG VV 3502 Rz. 9. 375 BT-Drucks. 17/11471, S. 275; Schneider in BeckOK/RVG, RVG VV 3516 Rz. 9 (Stand: 1.12.2021); Schneider in Prütting/Gehrlein, § 574 ZPO Rz. 24. 376 Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, § 16 Rz. 131. 377 Volpert in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes KostenR, 3. Aufl. 2021, KV GKG Nr. 2523–2525 Rz. 6.

724 | Deppenkemper

Zustellungen | § 41

den.378 Wurde die Beschwerde (rechtzeitig) vor der Entscheidung vollständig durch Rücknahme oder auf sonstige Weise erledigt oder ihr vollumfänglich stattgegeben, fällt die Gebühr nicht an. Das gilt auch, wenn das Beschwerdegericht gem. § 572 Abs. 3 ZPO zurückverweist, da es dann an einer endgültigen Entscheidung fehlt.379 Auch die Gebühren bei Verwerfung oder Zurückweisung einer Gehörsrüge nach § 38 Satz 1 StaRUG, § 321a ZPO beträgt 66,– Euro (KV 2600 GKG).380 Sie entsteht und wird fällig erst mit der gerichtlichen Entscheidung. Für eine nicht besonders aufgeführte Rechtsbeschwerde gilt KV Nr. 2525 GKG.381 Die Gebühr beträgt 132,– Euro, wird die Rechtsbeschwerde verworfen oder zurückgewiesen. Das Gericht kann bei einer Teilzurückweisung bzw. -verwerfung nach billigem Ermessen die Gebühr auf die Hälfte minder bzw. sie wegfallen lassen.382

§ 41 Zustellungen (1) 1Zustellungen erfolgen von Amts wegen, ohne dass es einer Beglaubigung des zuzustellenden Schriftstücks bedarf. 2Sie können dadurch bewirkt werden, dass das Schriftstück unter der Anschrift des Zustellungsadressaten zur Post gegeben wird; § 184 Absatz 2 Satz 1, 2 und 4 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. 3Soll die Zustellung im Inland bewirkt werden, gilt das Schriftstück drei Tage nach Aufgabe zur Post als zugestellt. (2) 1An Personen, deren Aufenthalt unbekannt ist, wird nicht zugestellt. 2Haben sie einen zur Entgegennahme von Zustellungen berechtigten Vertreter, so wird dem Vertreter zugestellt. (3) Beauftragt das Gericht den Schuldner mit der Zustellung, erfolgt diese nach Maßgabe der §§ 191 bis 194 der Zivilprozessordnung. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Normgenese und -zweck . . . . . . . . . . . . . II. Zustellung vom Amts wegen (§ 41 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zustellungserforderlichkeit . . . . . . . . . . . . 3. Zustellungsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zustellungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zustellungsurkunde . . . . . . . . . . . . . . . b) Empfangsbekenntnis . . . . . . . . . . . . . . c) Aushändigung an der Amtsstelle . . . . . d) Einschreiben gegen Rückschein . . . . . . e) Aufgabe zur Post . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Keine Beglaubigung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 5 5 9 15 18 19 20 23 24 25 29

6. Heilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Personen mit unbekanntem Aufenthalt (§ 41 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zustellung durch den Schuldner (§ 41 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelheiten zur Zustellung . . . . . . . . . . . V. Auslandszustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zustellung innerhalb der EU . . . . . . . . . . 2. Zustellung außerhalb der EU . . . . . . . . . . 3. Kosten und Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . .

30 31 35 35 39 44 45 51 53

378 Sengl in BeckOK/KostR, GKG KV 2522 Rz. 4 (Stand: 1.7.2022). 379 Sengl in BeckOK/KostR, GKG KV 2522 Rz. 2 (Stand: 1.7.2022). 380 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 40 StaRUG Rz. 51 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, § 16 Rz. 133. Vgl. KV 1700 GKG. 381 Vgl. Sengl in BeckOK/KostR, GKG KV 2525 Rz. 1 (Stand: 1.7.2022); Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, § 16 Rz. 132. 382 Sengl in BeckOK/KostR, GKG KV 2525 Rz. 3 (Stand: 1.7.2022).

Deppenkemper | 725

§ 41 Rz. 1 | Zustellungen

I. Normgenese und -zweck 1 § 41 StaRUG will die Zustellung im Inland regeln.1 § 41 Abs. 1 StaRUG normiert die gericht-

liche Zustellung, § 41 Abs. 3 StaRUG die durch den Schuldner, der vom Gericht mit der Zustellung beauftragt ist. § 41 Abs. 2 StaRUG enthält, passend zum Eilcharakter des Verfahrens, eine Besonderheit, wenn der Aufenthalt des Zustellungsempfängers unbekannt ist.

2 § 41 Abs. 1 und 2 StaRUG sind wörtlich von § 8 Abs. 1 und 2 InsO2 übernommen. Die Idee

einer Beauftragung zur Zustellung kennt auch § 8 Abs. 3 InsO,3 doch wird dort der Insolvenzverwalter (und nicht der Schuldner selbst) beauftragt.

3 Soll bei der Sanierungsmoderation zugestellt werden, kann dafür auf § 41 StaRUG zurück-

gegriffen werden. I.d.R. wird dort keine förmliche Zustellung erforderlich sein. Die Zustellungen durch den Restrukturierungsbeauftragten regelt ergänzend § 76 Abs. 6 StaRUG.

4 Seit 17.7.2022 sind das Restrukturierungsportal (www.restrukturierungsbekanntmachung.

de) und das Restrukturierungsforum (www.bundesanzeiger.de/pub/de/restrukturierungsforum) freigeschaltet. Das Restrukturierungsportal dient der Bekanntmachungen in öffentlich geführten Restrukturierungssachen gem. § 84 StaRUG (vgl. § 84 Rz. 42, § 86 Rz. 2); das Restrukturierungsforum ermöglicht bestimmte Aufforderungen eines Planbetroffenen gegenüber anderen Planbetroffenen (§ 87 Abs. 1 StaRUG). Die Vernetzung des Restrukturierungsportals mit dem Europäischen Justizportal, die nach Art. 25, 27 EuInsVO erforderlich ist um sicherzustellen, dass die Verfahrenswirkungen auch im EU-Ausland anerkannt werden, ist allerdings noch nicht abgeschlossen.4

II. Zustellung vom Amts wegen (§ 41 Abs. 1 StaRUG) 1. Allgemeines 5 Zustellung ist nach der Legaldefinition des § 166 Abs. 1 ZPO die Bekanntgabe eines Doku-

ment an eine Person in der §§ 166 ff. ZPO bestimmten Form.5 Zustellungsadressat ist die Person, an die die Zustellung erfolgen soll; Zustellungsempfänger ist die Person, der das Schriftstück übergeben wird (§ 182 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO). Die Zustellung dient dem Nachweis, dass und wann das zuzustellende Schriftstück dem Empfänger zugegangen ist, und soll dem Adressaten gegenüber gewährleisten, dass er Kenntnis von dem zuzustellenden Dokument (Schriftstück oder elektronischen Dokument) nehmen und seine Rechtsverteidigung oder Rechtsverfolgung darauf einrichten kann.6

6 Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 StaRUG erfolgen Zustellungen im Restrukturierungsverfahren von

Amts wegen.7 Über die Zustellung kann nachgewiesen werden, dass und wann das zuzustellende Schriftstück dem Empfänger zugegangen ist und er daher von ihm Kenntnis nehmen und somit seine Rechtsverteidigung oder Rechtsverfolgung darauf einrichten konnte.8 Über § 38 Satz 1 StaRUG gelten für die Zustellung von Schriftstücken grundsätzlich §§ 166 ff. ZPO.9 1 BT-Drucks. 19/24181, S. 143; Baumert in Braun, § 41 StaRUG Rz. 1; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 1. 2 Dazu BT-Drucks. 12/2443, S. 111. 3 Dazu Wipperfürth/Graber, ZInsO 2022, 1842, 1843 f. 4 Zur Rechtswirkung vgl. Deppenkemper in Uhlenbruck, Art. 24 EuInsVO Rz. 25. 5 Vgl. BGH v. 27.1.2011 – VII ZR 186/09, BGHZ 188, 128 Rz. 29 = ZIP 2011, 1060. 6 BVerfG v. 6.4.1992 – II ZR 242/91, ZIP 1992, 1019, 1020. 7 Baumert in Braun, § 41 StaRUG Rz. 3 f.; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 41 StaRUG Rz. 6. 8 Marx in Prütting/Gehrlein, § 166 ZPO Rz. 5. 9 BT-Drucks. 19/24181, S. 144.

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Zustellungen | Rz. 8 § 41

Für eine Zustellung ist eine beglaubigte Abschrift erforderlich, wenn das Gesetz keine andere Regelung enthält (vgl. § 169 Abs. 4 Satz 1 ZPO).10 Die beglaubigte Abschrift ist eine Zweitschrift, bezüglich der der Beglaubigende zu erklären hat, die zuzustellende Abschrift sei von ihm mit der in seinem Besitz befindlichen Vorlage verglichen worden und stimme mit dieser völlig überein (Beglaubigungsvermerk).11 Soweit § 41 StaRUG Abweichungen enthält, geht er als lex specialis vor. Das ist insoweit der Fall: Eine wesentliche Erleichterung gegenüber der Zustellungsregelungen nach §§ 166 ff. ZPO ist, dass die Zustellung eines einfachen unbeglaubigten Schriftstücks genügt (§ 41 Abs. 1 Satz 1 StaRUG).12 § 41 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, der § 8 Abs. 1 Satz 2 InsO entspricht, erweitert die förmliche Zustellung ferner um die Möglichkeit, dass das Schriftstück unter der Anschrift des Zustelladressaten zur Post gegeben wird (§ 41 Abs. 1 Satz 2 StaRUG). Dann gilt die Inlandszustellung durch Aufgabe zur Post nach 3 Tagen als bewirkt (§ 41 Abs. 1 Satz 3 StaRUG). Dieses unbürokratische Zustellungsverfahren soll gerade bei potentiell vielen Beteiligten die Zustellung vereinfachen und beschleunigen.13 Sind die Beteiligten durch Rechtsanwälte vertreten, wird häufig bei elektronischen Dokumenten die Zustellung über das beA (gegen eEB) noch schneller und einfacher sein (Rz. 20). In öffentlichen Restrukturierungssachen gilt die Besonderheit, dass (nur) hier eine öffent- 7 liche Bekanntmachung (§ 85 StaRUG) über das Restrukturierungsportal (www.restrukturierungsbekanntmachung.de) zum Nachweis der Zustellung genügt (§ 86 Abs. 3 StaRUG).14 Das gilt selbst dann, wenn das StaRUG daneben eine besondere Zustellung vorschreibt.15 Das ist bei einer Vielzahl von Planbetroffenen gerade bei Ladungen etwa zu einem gerichtlichen Vorprüfungstermin (§ 46 Abs. 1 Satz 3, § 45 Abs. 3 Satz 1 StaRUG), zu einem gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin (§ 45 Abs. 3 Satz 1 StaRUG), zu einer Anhörung in der gesonderten gerichtlichen Vorprüfung (§ 48 Abs. 2 Satz 3, § 46 Abs. 1 Satz 3, § 45 Abs. 3 Satz 1 StaRUG), zu einer Anhörung über die Planbestätigung (§ 61 Satz 3, § 45 Abs. 3 Satz 1 StaRUG), ferner aber auch für die Zustellung der gerichtlichen Stabilisierungsanordnung (§ 51 Abs. 4 Satz 1 StaRUG) hilfreich. Es macht die Einzelzustellungen – wie bei § 9 Abs. 3 InsO16 – aber nicht in dem Sinne entbehrlich,17 dass das Gericht sie nicht veranlassen müsste.18 Die Zustellung bewirkt die Geschäftsstelle (§ 168 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 153 GVG) in eigener 8 Zuständigkeit und Verantwortung aus und überwacht diese,19 wenn nicht der Gerichtsvollzieher oder eine andere Behörde (§ 168 Abs. 2 ZPO) oder nach § 41 Abs. 3 StaRUG der Schuld10 BGH v. 21.2.2019 – III ZR 115/18, WM 2019, 801 Rz. 11; BGH v. 22.12.2015 – VI ZR 79/15, WM 2016, 1195 Rz. 10; Schultzky in Zöller, § 166 ZPO Rz. 9. 11 BGH v. 13.9.2017 – IV ZR 26/16, NJW 2017, 3721 Rz. 14; vgl. Marx in Prütting/Gehrlein, § 169 ZPO Rz. 3. 12 Laroche in Flöther, § 41 StaRUG Rz. 2. 13 BT-Drucks. 19/24181, S. 144; Hochdorfer/Biendl in Desch, Das neue RestruktR, § 2 Rz. 51; Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, § 5 Rz. 66. 14 Dazu Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 86 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 15 Naumann in Flöther, § 86 StaRUG Rz. 1; zu § 9 InsO BGH v. 14.11.2013 – IX ZB 101/11, ZIP 2013, 2425 Rz. 5; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 9 InsO Rz. 23. 16 BGH v. 4.12.2003 – IX ZB 249/02, NZI 2004, 277, 278; BayObLG, NZI 2002, 155, 156; Madaus in BeckOK/InsR, § 9 InsO Rz. 13 (Stand: 15.4.2022); Rüther in HambKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 2; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 9; a.A. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 9 InsO Rz. 17 (Stand: Juli 2007). 17 Missverständlich formuliert bei BT-Drucks. 19/24181, S. 180: „Die Bestimmung dient der Verfahrensvereinfachung, indem sie in öffentlichen Restrukturierungsrahmen eine Einzelzustellung an eine unter Umständen große Zahl von Betroffenen entbehrlich macht.“ 18 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Denkhaus/v. KaltenbornStachau in HambKomm/RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 4; a.A. Riedemann in Pannen/Riedemann/ Smid, § 86 StaRUG Rz. 6. 19 BGH v. 13.7.2022 – VII ZB 29/21, BeckRS 2022, 22052 Rz. 16; Häublein/Müller in MünchKomm/ ZPO, § 168 ZPO Rz. 1; Marx in Prütting/Gehrlein, § 168 ZPO Rz. 1.

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§ 41 Rz. 8 | Zustellungen ner selbst mit der Zustellung beauftragt wird. Der Urkundsbeamte stellt die für die Zustellung erforderlichen Ausfertigungen her.20

2. Zustellungserforderlichkeit 9 Wie § 8 InsO bestimmt § 41 StaRUG nur die Art und Weise der Zustellung, nicht aber, wann

eine Zustellung erforderlich ist.21 Insoweit gelten zunächst die speziellen Vorgaben im StaRUG wie für die Anordnung der Stabilisierungsanordnung nach § 51 Abs. 4 Satz 1 StaRUG, ferner über § 38 Satz 1 StaRUG auch § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO.

10 Ferner sind besondere Ladung zuzustellen (§ 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 214 ZPO),22 so nach

§ 45 Abs. 3 Satz 1 und 3 StaRUG die Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin, nach § 46 Abs. 1 Satz 3 StaRUG die Ladung zum Vorprüfungstermin bei gerichtlicher Planabstimmung, nach § 48 Abs. 2 Satz 3 StaRUG die Ladung zum Vorprüfungstermin im Rahmen der privaten Planabstimmung (§§ 17 ff. StaRUG), und nach § 61 Satz 3 StaRUG die Ladung zur Anhörung vor der gerichtlichen Planbestätigung. Auch ansonsten müssen, wenn das Gericht einen Termin bestimmt (z.B. § 61 Satz 2, § 65 Abs. 1 StaRUG), die Beteiligten zu ihm geladen werden (vgl. § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO); eine Ausnahme für bestimmte Personen macht § 85 Abs. 2 Satz 1 StaRUG bei Öffentlichen Restrukturierungssachen.23 Ohne ordnungsgemäße Ladung beginnt bei im Termin verkündeten Beschlüssen grds. die Rechtsmittelfrist nicht.24

11 Stets muss zugestellt werden, wenn durch die Zustellung eine Frist in Gang gesetzt wird (§ 38

StaRUG i.V.m. § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO),25 insbesondere also Entscheidungen, gegen die ein Rechtsmittel statthaft ist.26

12 Soweit die Zustellung nicht verpflichtend ist, kann das Restrukturierungsgericht sie gleichwohl

nach seinem pflichtgemäßen Ermessen durch Verfügung anordnen (§ 166 Abs. 2 Alt. 2 ZPO).27 Der Urkundsbeamte ist an die Anordnung gebunden.28

13 Im Übrigen, wenn also Dokumente nur zuzusenden sind (z.B. § 65 Abs. 2 Satz 1 StaRUG)

oder zu ihnen rechtliches Gehör zu gewähren ist (vgl. § 46 Abs. 2, § 48 Abs. 1 und 2, § 61 Satz 1, § 75 Abs. 2 Satz 4, § 81 Abs. 6 Satz 2, § 96 Abs. 5 Satz 3 StaRUG) oder sie schlicht eine verfahrensleitende Verfügungen beinhalten (z.B. § 33 Abs. 1 Nr. 2, § 51 Abs. 1 Satz 3, § 59 Abs. 3 Satz 2, § 67 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG), reicht eine formlose Mitteilung per Post oder Fax

20 Häublein/Müller in MünchKomm/ZPO, § 168 ZPO Rz. 4. 21 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 6; zu § 8 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 8 InsO Rz. 6; Madaus in BeckOK/InsR, § 8 InsO Rz. 1 (Stand: 15.4.2022); Rüther in HambKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 4; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 7; Pape in Uhlenbruck, § 8 InsO Rz. 2. 22 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 7; zu § 8 InsO Sternal in Kayser/Thole, § 8 InsO Rz. 3; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 8. 23 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 24 Zu § 517 ZPO BGH v. 21.7.2010 – XII ZB 135/09, MDR 2010, 1141, 1141. Zur Ingangsetzung der 5Monatsfrist gem. § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch formlose Bekanntgabe s. § 40 Rz. 21. 25 Zu § 8 InsO Madaus in BeckOK/InsR, § 8 InsO Rz. 4 (Stand: 15.4.2022). 26 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 7, zu § 8 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 9. 27 BGH v. 26.6.2012 – VI ZR 241/11, WM 2012, 1499 Rz. 22; ZInsO 2008, 320; 2003, 216; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 7; zu § 8 InsO Sternal in Kayser/Thole, § 8 InsO Rz. 6; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 7. 28 BGH v. 5.5.1993 – XII ZR 44/92, NJW-RR 1993, 1213, 1214; Marx in Prütting/Gehrlein, § 166 ZPO Rz. 6.

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Zustellungen | Rz. 15 § 41

oder auch elektronisch per E-Mail oder Telefon.29 An Beteiligte, die am ERV teilnehmen (beachte § 130d ZPO), wird ein elektronisches Dokument gem. § 130d Abs. 3 oder 4 ZPO übersendet werden. Im außergerichtlichen Planannahmeverfahren hat der Schuldner es zu gewährleisten, dass 14 die Planbetroffenen das Planangebot einschließlich des Restrukturierungsplan nebst Anlagen sowie eine Darstellung der Kosten erhalten (§ 17 Abs. 1 StaRUG). Als empfangsbedürftige Willenserklärung muss das Angebot dem Planbetroffenen zugehen.30 Beruft der Schuldner eine Abstimmungs- (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) oder Erörterungsversammlung (vgl. § 21 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) ein, erfolgt dies schriftlich.31 So praktisch es für den Schuldner wäre, kommt im außergerichtlichen Planabstimmungsverfahren eine Anwendung des § 41 StaRUG grundsätzlich nicht in Betracht.32 Der Schuldner kann stattdessen den (dokumentierten) Zugang des Angebots z.B. mittels Gerichtsvollzieherzustellung, eingeschriebenen Brief (Übergabeeinschreiben), Verwendung eines Einwurf-Einschreibens der Deutschen Post AG oder durch Übergabe durch Boten gegen Quittierung des Empfangs bewirken. Sind auf Empfängerseite Bevollmächtigte bzw. Empfangsvertreter eingeschaltet, die über ein besonderes elektronisches Postfach i.S.d. § 130a Abs. 4 ZPO (z.B. beA) verfügen und denen elektronisch zugestellt werden kann (vgl. § 173 Abs. 2 ZPO), bietet sich die Übermittlung über diesen Weg besonders an.33 Bleiben Zweifel, dass das Angebot allen Planbetroffenen zugehen (und der Empfang bestätigt) werde, sollte auf die gerichtliche Planabstimmung (§ 23, § 29 Abs. 2 Nr. 1, §§ 45 f. StaRUG) ausgewichen werden.34

3. Zustellungsadressat Zustellungsadressat ist die Person, an die die Zustellung erfolgen soll, mithin insbesondere der 15 Betroffene35 als derjenige, der durch die Entscheidung beschwert sein kann.36 I.d.R. ergibt sich, wer das ist, unmittelbar aus dem StaRUG und dem Anspruch auf rechtliches Gehör. So sind Terminsladungen allen Beteiligten und anfechtbare Beschlüsse allen potentiell Beschwerdeberechtigten zuzustellen. Im Zweifel ist allen beschwerten Personen zuzustellen.37 Ist die Person verfahrensfähig (§ 38 Rz. 30), muss, mit Ausnahmen nach §§ 171 f., 184 ZPO, an sie selbst zugestellt werden.38 Ist eine Person nicht verfahrensfähig, wäre eine Zustellung an sie unwirksam.39 Es ist nach § 38 Satz 1 StaRUG, § 170 Abs. 1 ZPO an ihren gesetzlichen Vertreter40 zuzustellen,41 wobei bei mehreren Geschäftsführern auch bei (nur) Gesamtvertretungs29 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zur § 8 InsO Madaus in BeckOK/InsR, § 8 InsO Rz. 3 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 39; s. ferner Häublein/Müller in MünchKomm/ZPO, § 166 ZPO Rz. 25. 30 Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 83. 31 Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 20 StaRUG Rz. 10, § 21 StaRUG Rz. 18. 32 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 33 Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 85. 34 Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 17 StaRUG Rz. 86. 35 Zu § 8 InsO Madaus in BeckOK/InsR, § 8 InsO Rz. 5 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 10. 36 Vgl. Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 8 InsO Rz. 13. 37 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zu § 8 InsO Madaus in BeckOK/InsR, § 8 InsO Rz. 5 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 10. 38 Häublein/Müller in MünchKomm/ZPO, § 170 ZPO Rz. 2. 39 Häublein/Müller in MünchKomm/ZPO, § 170 ZPO Rz. 6; Schultzky in Zöller, § 170 ZPO Rz. 6. 40 Übersichten bei Lindacher/Hau in MünchKomm/ZPO, §§ 51, 52 ZPO Rz. 25 ff.; Gehrlein in Prütting/Gehrlein, § 51 ZPO Rz. 3, 7 f.; Althammer in Zöller, § 51 ZPO Rz. 4. 41 Marx in Prütting/Gehrlein, § 168 ZPO Rz. 2; Schultzky in Zöller, § 170 ZPO Rz. 2.

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§ 41 Rz. 15 | Zustellungen befugnis die Zustellung an einen von ihnen ausreicht (§ 170 Abs. 3 ZPO).42 Bei juristischen Personen erfolgt die Zustellung an das Vertretungsorgan, z.B. etwa bei der GmbH an den Geschäftsführer (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) und bei der AG an den Vorstand (§ 78 Abs. 1 Satz 1, § 85 AktG). Bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit erfolgt sie an die persönlich haftenden Gesellschafter.43 Zustellung an eine (rechtsfähige) Gesellschaft bürgerlichen Rechts erfolgen an den geschäftsführenden Gesellschafter,44 es sei denn, es geht um grundlegende Angelegenheiten.45 An gewillkürte Vertreter kann mit gleicher Wirkung wie an den Vertretenen zugestellt werden,46 wenn die Vollmacht vorgelegt ist (§ 171 Satz 2 ZPO).47 Im gerichtlichen Verfahren stets an den Verfahrensbevollmächtigten zuzustellen (§ 172 ZPO).48 16 Bei nicht natürlichen Personen sieht § 170 Abs. 2 ZPO eine Erleichterung vor: Hier kann die

Zustellung auch an den Leiter erfolgen. Leiter ist, wer auf Grund seiner Stellung zum Handeln für die gesamte juristische Person, Personengesellschaft oder Behörde, aber auch das Zweckvermögen bestellt ist und sie nach außen hin repräsentiert.49

17 Bei Fehlen eines Geschäftsführers oder Vorstandes einer juristischen Person (Führungslosig-

keit) ermöglicht § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG die Zustellung an die Gesellschafter50 und § 78 Abs. 1 Satz 2 AktG an den Aufsichtsrat unter der im Handelsregister eingetragenen inländischen Geschäftsanschrift (§ 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG, § 78 Abs. 2 Satz 3 AktG).51 Ist eine andere Adresse bekannt, kann alternativ auch unter dieser zugestellt werden.52 Im Übrigen ist an den vom Registergericht zu bestellenden Notgeschäftsführer zuzustellen.53 Nach Löschung der juristischen Person im Handelsregister erfolgt die Zustellung an den Nachtragsliquidator.54

4. Zustellungsformen 18 Die Option der Zustellung durch Aufgabe zur Post (§ 41 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) hindert das

Restrukturierungsgericht (Geschäftsstelle) nicht, auf andere Weise förmlich zuzustellen (vgl. §§ 173–180 ZPO).55 Es entscheidet nach pflichtgemäßen Ermessen, auf welche Weise eine 42 Wittschier in Musielak/Voit, § 170 ZPO Rz. 4; Schultzky in Zöller, § 170 ZPO Rz. 5. 43 Zu § 8 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 8 InsO Rz. 14; Madaus in BeckOK/InsR, § 8 InsO Rz. 6 (Stand: 15.4.2022); Rüther in HambKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 5; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 10a. 44 Häublein/Müller in MünchKomm/ZPO, § 170 ZPO Rz. 3. 45 BGH v. 7.12.2006 – V ZB 166/05, ZIP 2007, 248 Rz. 14; § 8 InsO Madaus in BeckOK/InsR, § 8 InsO Rz. 6 (Stand: 15.4.2022); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 10a. 46 Dazu BGH v. 13.9.2016 – VI ZB 21/15, ZIP 2016, 2496 Rz. 44. 47 Zu § 8 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 10a. 48 Marx in Prütting/Gehrlein, § 172 ZPO Rz. 1. 49 Häublein/Müller in MünchKomm/ZPO, § 170 ZPO Rz. 9; Marx in Prütting/Gehrlein, § 170 ZPO Rz. 4; Schultzky in Zöller, § 170 ZPO Rz. 4. 50 Vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 42; Baumert in Braun, § 41 StaRUG Rz. 8; Rüther in HambKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 5, 13; Marx in Prütting/Gehrlein, § 170 ZPO Rz. 2. 51 Schmerbach in FK/InsO, § 8 InsO Rz. 30. 52 Häublein/Müller in MünchKomm/ZPO, § 170 ZPO Rz. 2. 53 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 19; zu § 8 InsO: Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 10a. 54 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 31 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Baumert in Braun, § 41 StaRUG Rz. 8; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 20; zu § 8 InsO Madaus in BeckOK/InsR, § 8 InsO Rz. 17 (Stand: 15.4.2022); Bußhardt in Braun, § 8 InsO Rz. 28; Schmerbach in FK/InsO, § 8 InsO Rz. 31; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 10a. 55 Uhlenbruck/Pape, InsO, § 8 InsO Rz. 4.

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Zustellungen | Rz. 20 § 41

erforderliche Zustellung erfolgen soll. Es wird dabei auch im Blick behalten, welcher Zustellungsweg kostengünstiger ist. Möglich sind neben der Zustellung durch Aufgabe zur Post mittels einfachen Briefes die Übermittlung des zuzustellenden Schriftstücks als elektronisches Dokument (§ 173 ZPO), durch Aushändigung an der Amtsstelle (§ 174 ZPO), gegen Empfangsbekenntnis (§ 175 ZPO), durch Einschreiben mit Rückschein (§ 176 Abs. 1 ZPO) oder per Zustellungsauftrag durch Post- und Justizbedienstete sowie Gerichtsvollzieher (§ 176 Abs. 2 ZPO).56 Bei Auslandszustellungen im Geltungsbereich der EuZustVO ist diese zu beachten (Rz. 45). a) Zustellungsurkunde Das Gericht kann mittels Zustellungsurkunde (§ 176 Abs. 2 ZPO) durch die Post (§ 168 19 Abs. 1 Satz 3 ZPO) oder einen Justizbediensteten (§ 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO) oder einen Gerichtsvollzieher oder eine andere Behörde (§ 168 Abs. 2 ZPO) zustellen.57 Für die Zustellungsurkunde ist das Formular gem. § 1 Nr. 1 ZustVV Anlage 1 (BGBl. I 2004, 620 f.) vorgegeben. Die Zustellungsurkunde ist kein notwendiger (konstitutiver) Bestandteil der Zustellung, sondern dient nur deren Nachweis.58 Eine Ersatzzustellung, konnte das Schriftstück weder unmittelbar persönlich übergeben werden (vgl. § 177 ZPO)59 noch eine Ersatzzustellung in der Wohnung (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder im Geschäftsraum (§ 178 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erfolgen, insbesondere weil der Empfänger bzw. Ersatzempfänger dort nicht angetroffen wurde,60 kann nach § 180 ZPO durch Einlegen in den Briefkasten oder nach § 181 ZPO durch Niederlegung erfolgen.61 Im Falle der Annahmeverweigerung durch den Zustellungsempfänger oder eine Ersatzperson nach § 178 ZPO kann die Zustellung gem. § 179 ZPO bewirkt werden.62 Über die Zustellung wird gem. § 182 ZPO eine Zustellungsurkunde gefertigt, die zur Akte genommen wird.63 § 418 ZPO regelt die Wirkung. b) Empfangsbekenntnis Nach § 175 Abs. 1 ZPO kann ein Schriftstück an die in § 173 Abs. 2 ZPO Genannten, mit- 20 hin insbesondere an Rechtsanwälte, Notare und Gerichtsvollzieher (§ 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, ab 1.1.2023 auch Steuerberater und ab 1.1.2024 auch sonstige in professioneller Form am Prozess beteiligte Personen mit erhöhter Zuverlässigkeit) und an Behörden, Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts (§ 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden, auch durch Telekopie (§ 175 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Insoweit kann das zu übergebende Schriftstück dem Zustellungsadressaten auf beliebige Weise übermittelt werden.64 Eine Ersatzzustellung ist aber nicht möglich. Im Empfangsbekenntnis (EB) ist das übermittelte Schriftstück zu bezeichnen. Entgegengenommen ist das zuzustellende Dokument, wenn der Adressat daran derart Gewahrsam erlangt hat, dass er von seinem Inhalt Kenntnis nehmen kann, was er durch seine Unterschrift dokumentiert; unerheblich ist, ob er tatsächlich Kenntnis vom Inhalt genommen hat.65 Der Empfänger gibt das Datum der Zustellung bei ihm an und er (bzw. sein Vertreter) unterschreibt es. Das EB sollte in zeitlichem Zusammen56 Vgl. Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1. Einleitung Rz. 149. 57 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 19 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 10, zu § 8 InsO Sternal in Kayser/Thole, § 8 InsO Rz. 6. 58 BGH v. 12.2.2020 – IV ZB 29/18, BeckRS 2020, 2121 Rz. 7. 59 Vgl. Schultzky in Zöller, § 178 Rz. 2. 60 Vgl. Dörndorfer in BeckOK/ZPO, § 180 ZPO Rz. 1 (Stand: 1.7.2022). 61 BT-Drucks. 14/4554, S. 21. 62 BT-Drucks. 14/4554, S. 21. 63 Dörndorfer in BeckOK/ZPO, § 182 ZPO Rz. 13 (Stand: 1.7.2022). 64 Schultzky in Zöller, § 175 ZPO Rz. 7. 65 Vgl. BGH v. 15.9.2020 – VI ZR 544/19, MDR 2020, 1393 Rz. 7.

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§ 41 Rz. 20 | Zustellungen hang mit der Entgegennahme des Schriftstücks ausgestellt werden; erteilt ist es, wenn es in gehöriger Form (§ 175 Abs. 4 ZPO) der Geschäftsstelle übermittelt wurde.66 Es erbringt den vollen Beweis dafür, dass an dem vom Empfänger angegebenen Tag tatsächlich zugestellt wurde.67 Dadurch ist der Beweis, dass das zuzustellende Schriftstück den Adressaten tatsächlich zu einem früheren Zeitpunkt erreicht hat, allerdings nicht ausgeschlossen.68 Allein die automatische Eingangsbestätigung genügt dazu jedoch nicht.69 21 Die Zustellung eines elektronischen Dokuments kann elektronisch nur auf einem sicheren

Übermittlungsweg (§ 130a Abs. 4 ZPO) erfolgen (§ 173 Abs. 1 ZPO). Bei der Übermittlung in elektronischer Form über einen sicheren Übertragungsweg (§ 130a Abs. 3 ZPO) ersetzte die (einfache) Signatur die Unterschrift;70 eine Beglaubigung ist (unabhängig von § 41 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) nicht erforderlich (§ 169 Abs. 5 ZPO), da in diesen Fällen die Zustellung des Dokuments selbst erfolgt.71 Die in § 173 Abs. 2 ZPO Genannten haben einen sicheren Übertragungsweg zu eröffnen. Die elektronische Zustellung an sie wird durch ein elektronisches Empfangsbekenntnis nachgewiesen (§ 173 Abs. 3 ZPO).72 Dieses kann i.d.R. durch einfaches Klicken generiert, der zurücklaufender Datensatz dem zugestellten Dokument zugeordnet und dort (etwa in der E-Akte) veraktet werden. Die Gebühren regelt KV Nr. 9002 GKG. Elektronische Dokumente können auch ausgedruckt und in Schriftform zugestellt werden.73

22 Nach § 173 Abs. 4 Satz 1 ZPO kann an andere als die in § 173 Abs. 2 ZPO Genannten elek-

tronisch nur zugestellt werden, wenn sie der Zustellung elektronischer Dokumente für das jeweilige Verfahren wenigstens konkludent74 zugestimmt haben. Dazu sieht seit 1.8.2022 insbesondere § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 ZPO einen sicheren Übertragungsweg zwischen natürlichen oder juristischen Personen und dem Gericht vor (elektronische Bürger- und Organisationenpostfach, eBO) vor.75 Ein elektronisches Dokument gilt dann am dritten Tag nach dem auf der automatisierten Eingangsbestätigung ausgewiesenen Tag des Eingangs in dem vom Empfänger eröffneten elektronischen Postfach als zugestellt, es sei denn, der Empfänger weist nach, dass das Dokument nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (§ 173 Abs. 4 Satz 4, 5 ZPO). Auf das voluntative Element als Voraussetzung der Zustellung wird hier bewusst verzichtet.76

66 Schultzky in Zöller, § 175 ZPO Rz. 12, 14. 67 BSG v. 17.12.2020 – B 1 KR 68/19 B, NJW 2021, 2144; Häublein/Müller in MünchKomm/ZPO, § 174 ZPO Rz. 14; Wittschier in Musielak/Voit, § 175 ZPO Rz. 4; Marx in Prütting/Gehrlein, § 175 ZPO Rz. 6; zum eEB (§ 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO) Schultzky in Zöller, § 173 ZPO Rz. 18. 68 BGH v. 7.10.2021 – IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rz. 10. 69 Str., vgl. Müller in jurisPK-ERV, § 130a ZPO Rz. 38; Biallaß in jurisPK/ERV, § 173 ZPO Rz. 70 f.; a.A. Wagner/Ernst, NJW 2021, 1564 Rz. 14 ff. 70 Zur Beweiskraft Schultzky in Zöller, § 175 ZPO Rz. 15. 71 Schultzky in Zöller, § 169 ZPO Rz. 16; vgl. auch Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 15; Blankenburg, ZInsO 2020, 121, 125 f. 72 Die Neufassung des Gesetzes spricht für die Ansicht, dass die Wirksamkeit der Zustellung nicht (mehr) davon abhängt, dass der Empfänger das ihm zugestellte Schriftstück mit dem Willen entgegennimmt, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen, und dies durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet (so noch BGH v. 13.1.2015 – VIII ZB 55/14, NJW-RR 2015, 953 Rz. 7), sondern die Abgabe des eEB lediglich dem Nachweis der Zustellung dient, vgl. BFH v. 2.12.2020 – II R 22/18, GmbHR 2021, 833 Rz. 19; Roth in Stein/Jonas, § 174 ZPO Rz. 13; Schultzky in Zöller, § 173 ZPO Rz. 6 und § 175 ZPO Rz. 5; a.A. Marx in Prütting/Gehrlein, § 175 ZPO Rz. 5. 73 BT-Drucks. 19/28399, S. 34 f.; Dörndorfer in BeckOK/ZPO, § 173 ZPO Rz. 2 (Stand: 1.7.2022). 74 Vgl. BT-Drucks. 19/28399, S. 36; Marx in Prütting/Gehrlein, § 173 ZPO Rz. 8. 75 Dazu Müller in jurisPK/ERV, § 130a ZPO Rz. 230 ff. 76 BT-Drucks. 19/28399, S. 37; Marx in Prütting/Gehrlein, § 173 ZPO Rz. 9.

732 | Deppenkemper

Zustellungen | Rz. 25 § 41

c) Aushändigung an der Amtsstelle Ferner kann ein Schriftstück nach § 174 Satz 1 ZPO „unbürokratisch“ dem Adressaten oder 23 seinem rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter durch Aushändigung an der Amtsstelle zugestellt werden, wenn der Adressat zur Entgegennahme bereit ist.77 Die Aushändigung erfolgt in Geschäftsräumen des Gericht i.d.R. durch den Urkundsbeamten (vgl. § 168 Abs. 1 ZPO). Dieser fertigt über die Aushändigung und die Zeit der Zustellung in den Akten und auf dem ausgehändigten Schriftstück einen Vermerk (§ 174 Satz 2 ZPO), den er unterschreibt (§ 174 Satz 3 ZPO). Dieser Vermerk ersetzt als Nachweis die Zustellungsurkunde.78 d) Einschreiben gegen Rückschein Nach § 176 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Schriftstück durch Einschreiben mit Rückschein 24 (nicht: Einwurfeinschreiben) zugestellt werden. Die Zustellung ist mit der Übergabe des Einschreibebriefs an den Adressaten (oder seinen Bevollmächtigten, § 171 ZPO) wirksam vollzogen.79 Zum Nachweis (nur) der Zustellung, nicht des Inhalts des Dokuments, genügt der Rückschein (§ 176 Abs. 1 Satz 2 ZPO).80 Dieser ist, anders als die Zustellungsurkunde (§ 182 ZPO), aber keine öffentliche Urkunde. Auf diesem Weg kann z.B. an eine Postfach-Anschrift zugestellt werden, wobei mit der Abholung der niedergelegten Sendung zugestellt ist.81 Im Zivilprozess praktisch häufiger ist, dass nach § 176 Abs. 2 ZPO ein Justizbediensteter oder ein Gerichtsvollzieher mit der Zustellung beauftragt wird. Die Zustellung erfolgt nach den §§ 177–181 ZPO (§ 176 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Bei Annahmeverweigerung kann das Schriftstück aber nicht i.S.v. § 179 ZPO zurückgelassen werden; daher gilt § 179 Satz 3 ZPO nicht und ist die Zustellung nach § 176 Abs. 1 ZPO dann nicht ausführbar.82 Im Restrukturierungsverfahren wird die Zustellung nach § 176 ZPO neben der Aufgabe zur Post (Rz. 25) und der Zustellung per Zustellungsurkunde (Rz. 19) keine praktische Rolle spielen.83 e) Aufgabe zur Post Wörtlich gleichlautend wie § 8 Abs. 1 Satz 2 InsO ermöglicht § 41 Abs. 1 Satz 2 StaRUG als 25 eine Rechtsfolgenverweisung84 die Zustellung durch Aufgabe zur Post (§ 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO) allgemein, mithin auch in den Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO (Zustellung im Ausland nach § 183 Abs. 2–5 ZPO)85 gerade nicht gegeben sind.86 Die Möglichkeit der Zustellung durch Aufgabe zur Post dient dazu, das Verfahren zu verein-

77 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 26. 78 BT-Drucks. 14/4554, S. 17; Wittschier in Musielak/Voit, § 174 ZPO Rz. 2; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Einleitung Rz. 150. 79 Wittschier in Musielak/Voit, § 176 ZPO Rz. 2; Marx in Prütting/Gehrlein, § 176 ZPO Rz. 1b. 80 Schultzky in Zöller, § 176 ZPO Rz. 5, zu § 8 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 23; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Einleitung Rz. 153. 81 Schultzky in Zöller, § 176 ZPO Rz. 1. 82 BT-Drucks. 14/4554, S. 19; Schultzky in Zöller, § 176 ZPO Rz. 4 und § 179 ZPO Rz. 2; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 23; Marx in Prütting/Gehrlein, § 176 ZPO Rz. 1b; Frege/Keller/ Riedel, Hdb. InsR, Teil 1 Einleitung Rz. 153. 83 Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 17. 84 Zu § 8 Abs. 1 Satz 2 InsO BGH v. 7.2.2008 – IX ZB 47/05, ZInsO 2008, 320; BGH v. 20.3.2003 – IX ZB 140/02, ZIP 2003, 768, 769; 726, 727. 85 Dazu BGH v. 5.5.2008 – X ZB 36/07, NJW-RR 2008, 1082 Rz. 4; Wittschier in Musielak/Voit, § 184 ZPO Rz. 1; Schultzky in Zöller, § 184 ZPO Rz. 3. 86 Zu § 8 InsO BGH v. 13.2.2003 – IX ZB 368/02, ZIP 2003, 726, 727; Sternal in Kayser/Thole, § 8 InsO Rz. 7; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 8 InsO Rz. 8; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 4b.

Deppenkemper | 733

§ 41 Rz. 25 | Zustellungen fachen und zu beschleunigen, und ist daher auch aus Kostengründen als Regelfall anzusehen.87 Will das Gericht aber eine besondere Gewähr, dass der Adressat das Schriftstück tatsächlich erhalten hat, wird es eine andere Art der Zustellung wählen.88 26 Die Aufgabe zur Post erfolgte, wenn der Urkundsbeamte das zu übergebende Schriftstück in

Briefform (verschlossen) unter der Adresse des Beteiligten bei einem inländischen Postamt (ggf. durch Briefkasteneinwurf, Übergabe an eine Postannahmestelle oder Postabholung) zur Post gibt;89 allein die Weiterleitung an die Frankierungsstelle (Wachtmeisterei) oder eine andere zentrale Stelle des Gerichts genügt dazu noch nicht.90 Die Übergabe kann an die Deutsche Post AG, aber auch an entsprechend beliehene Unternehmer i.S.v. § 33 Abs. 1 PostG erfolgen.91 Der Vorteil dieser Zustellungsart ist, dass die Einlieferung sogar dann für die Zustellung genügt, wenn der Empfänger die Sendung nicht erhält (Rz. 26). Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle vermerkt, nachdem das Schriftstück im verschlossenen Briefumschlag mit Angabe des Restrukturierungsgerichts als Absender zur Post aufgegeben worden ist, in den Akten, zu welchem Zeitpunkt und an welche Adresse des Zustellungsadressaten das zuzustellende Schriftstück zur Post gegeben wurde.92 Erfolgte die Aufgabe über eine interne Zwischenstelle (z.B. Wachtmeisterei), muss von dort belegt werden, dass und wann die Aufgabe geschah. Der Aktenvermerk des Urkundsbeamten nach § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO ersetzt die Zustellungsurkunde.93 Im Inland gilt das Schriftstück gem. § 41 Abs. 1 Satz 3 StaRUG drei Tage nach Aufgabe zur Post als zugestellt.94 Dem Adressaten bleibt die Möglichkeit, nach § 270 Satz 2 ZPO glaubhaft zu machen, dass er die Sendung nicht erhalten hat.95 Für die Fristberechnung gelten über § 4 StaRUG die allgemeinen Vorschriften der ZPO (§ 222 ZPO),96 die auf die §§ 187 ff. BGB verweisen. Daher gibt es keinen Grund, außer beim Fristablauf (§ 222 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 4 ZPO i.V.m. § 38 Satz 1 StaRUG) nur Werktage einzubeziehen.97 Im Falle der Auslandszustellung tritt die Zustellungsfiktion gem. § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO zwei Wochen nach Übergabe ein, wenn das Gericht keine längere Frist bestimmt (§ 184 Abs. 2 Satz 1

87 So zu § 8 Abs. 1 Satz 2 InsO BGH v. 13.2.2003 – IX ZB 368/02, ZIP 2003, 726, 727; zustimmend Kexel in Graf-Schlicker, § 8 InsO Rz. 3; Sternal in Kayser/Thole, § 8 InsO Rz. 7; Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1. Einleitung Rz. 149. 88 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zu § 8 InsO Ganter/ Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 2. 89 Schultzky in Zöller, § 184 ZPO Rz. 9. 90 OLG Karlsruhe 28.1.2019 – 6 U 79/18, NJW-RR 2019, 764 Rz. 35; Häublein/Müller in MünchKomm/ZPO, § 184 ZPO Rz. 13; zur Heilung s. OLG Karlsruhe v. 26.6.2020 – 18 UF 32/20. 91 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 23 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 19; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 14; zu § 8 InsO InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 8 InsO Rz. 20; Rüther in HambKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 9; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 16a; vgl. auch BGH v. 21.1.2010 – IX ZB 83/06, ZIP 2010, 395 Rz. 10. 92 Muster bei Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 1, Kap. 3 Rz. 158. 93 BGH v. 26.6.2012 – VI ZR 241/11, WM 2012, 1499 Rz. 29; Marx in Prütting/Gehrlein, § 184 ZPO Rz. 5; Schultzky in Zöller, § 184 ZPO Rz. 10; zu § 8 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 20; Pape in Uhlenbruck, § 8 InsO Rz. 3. 94 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 24 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zu § 8 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 8 InsO Rz. 21; Sternal in Kayser/Thole, § 8 InsO Rz. 7. 95 Zu § 8 Abs. 1 Satz 3 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 8 InsO Rz. 21; Sternal in Kayser/Thole, § 8 InsO Rz. 7; Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 21. 96 Kexel in Graf-Schlicker, § 8 InsO Rz. 3. 97 So aber Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 20; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 15; zu § 8 InsO Schmerbach in FK/InsO, § 8 InsO Rz. 8; Rüther in HambKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 9.

734 | Deppenkemper

Zustellungen | Rz. 29 § 41

ZPO).98 In der Anordnung ist auf die Zustellungsfiktion hinzuweisen (§ 184 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Zu einer längeren Frist kann Anlass geben, dass die Zustellung im Land des Bestimmungsorts längere Zeit beansprucht.99 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) ist unter den allgemeinen Voraussetzungen möglich.100 Mit Ablauf der Frist gilt das aufgegebene Schriftstück als zugestellt,101 selbst wenn die auf- 27 gegebene Sendung als unzustellbar zurückkommt.102 Die Fiktion ist allerdings widerlegt, wenn die Post mitteilt, dass die Sendung verlustig ging.103 Im Zivilprozess gilt zu § 184 ZPO aus Gründen des rechtlichen Gehörs die Einschränkung, 28 dass er nicht die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks erfasst, sondern ein bestehendes Prozessrechtsverhältnis voraussetzt.104 Entsprechend wird für das Insolvenzverfahren abgelehnt, dass bei Fremdanträgen auch verfahrenseinleitende Beschlüsse durch Aufgabe zur Post zugestellt werden können.105 Die Problematik stellt sich im Restrukturierungsverfahren nicht vergleichbar, da hier das Verfahren nur durch Anzeige des Schuldners rechtshängig wird (§ 31 Abs. 3 StaRUG) und die Instrumente des § 29 StaRUG zum einen die Anzeige (§ 31 Abs. 1 StaRUG) und zum anderen je einen Antrag des Schuldners voraussetzen. Soweit Planbetroffene Zustellungsempfänger sind, hat der Gesetzgeber durch § 41 StaRUG in verfassungskonformer Weise über die möglichen Formen der Zustellung entschieden. Solange nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob im nicht-öffentlichen Verfahren, in dem ja keine öffentliche Bekanntmachung (§ 85 StaRUG) erfolgt, § 41 Abs. 2 Satz 1 StaRUG bezüglich der Planbetroffenen auch dann gilt, wenn diese keine (anderweitige) Kenntnis vom Verfahren haben, sollte im Einzelfall auf Antrag des Schuldners eine öffentliche Zustellung veranlasst werden,106 schon um die Probleme (z.B. nach Abstimmung) bei einer Glaubhaftmachung nach § 270 Satz 2 ZPO zu vermeiden. Wenn der Schuldner insoweit auf die fehlende Publizität seiner nichtöffentlichen Restrukturierungssache verzichtet, um späteren Zustellungsfragen vorzubeugen, besteht kein Grund, ihm diese Möglichkeit vorzuenthalten.

5. Keine Beglaubigung Die Beglaubigung der zuzustellenden Schriftstücke durch die Geschäftsstelle, die ansonsten 29 bei Zustellungen von Amts wegen erforderlich ist (vgl. § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO), ist (wie im 98 Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 20; zu § 8 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 19. 99 Schultzky in Zöller, § 184 ZPO Rz. 8. 100 Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 20; zu § 8 InsO vgl. BGH v. 21.1.2010 – IX ZB 83/06, ZIP 2010, 395 Rz. 9. 101 Vgl. BGH v. 22.11.1995 – XII ZB 163/95, FamRZ 1996, 347; Sternal in Kayser/Thole, § 8 InsO Rz. 7; Häublein/Müller in MünchKomm/ZPO, § 184 ZPO Rz. 15. 102 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 8 InsO Rz. 21; Madaus in BeckOK/InsR, § 8 InsO Rz. 9 (Stand: 15.4.2022); Schmerbach in FK/InsO, § 8 InsO Rz. 10; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, § 8 InsO Rz. 14 (Stand: Juli 2007); Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 21; Marx in Prütting/Gehrlein, § 184 ZPO Rz. 4; Schultzky in Zöller, § 184 ZPO Rz. 10. 103 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 21. 104 BGH v. 12.12.2012 – VIII ZR 307/11, NJW 2013, 387 Rz. 23; Dörndorfer in BeckOK/ZPO, § 184 Rz. 3 (Stand: 1.7.2022); Häublein/Müller in MünchKomm/ZPO, § 184 ZPO Rz. 2; Marx in Prütting/ Gehrlein, § 184 ZPO Rz. 2; Schultzky in Zöller, § 184 ZPO Rz. 2. 105 Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 18; a.A. Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 8 InsO Rz. 19; Schmerbach in FK/InsO, § 8 InsO Rz. 22; Becker in Nerlich/Römermann, § 8 InsO Rz. 17. 106 Laroche in Flöther, § 41 StaRUG Rz. 4; für eine öffentliche Bekanntmachung Baumert in Braun, § 41 StaRUG Rz. 7; a.A. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der zur sicheren Dokumentation Zustellung durch Aufgabe zur Post empfiehlt.

Deppenkemper | 735

§ 41 Rz. 29 | Zustellungen Insolvenzverfahren nach § 8 Abs. 1 Satz 1 InsO)107 im Restrukturierungsverfahren entbehrlich (Abs. 1 Satz 1),108 was die Abläufe bei einer größeren Anzahl Betroffener erleichtert.

6. Heilung 30 Eine fehlende oder mangelhafte Zustellung kann gem. § 38 Satz 1 StaRUG, § 189 ZPO geheilt

werden, wenn tatsächlicher Zugang des Schriftstückes erfolgte109 und seitens des Gerichts Zustellungswille110 bestand.111

III. Personen mit unbekanntem Aufenthalt (§ 41 Abs. 2 StaRUG) 31 § 41 Abs. 2 StaRUG entspricht wörtlich § 8 Abs. 2 InsO;112 auf die diesbezügliche Rechtspre-

chung und Kommentierung kann daher Bezug genommen werden.

32 § 41 Abs. 2 Satz 1 StaRUG gibt vor, dass an Personen, deren Aufenthalt unbekannt ist, nicht

zugestellt wird. Es bedarf dann abweichend von § 185 ZPO keiner öffentlichen Zustellung.113 Unbekannt ist der Aufenthalt, wenn er allgemein, nicht nur dem Gericht und dem Gegner, unbekannt ist.114 Dann steht der Wertung als „unbekannt“ auch nicht entgegen, dass ein Dritter den Aufenthaltsort kennt, sein Wissen aber nicht preisgibt, oder dass ein Postfach existiert.115 Vorausgesetzt ist aber, dass derjenige, der durch die Zustellung begünstigt wird, geeignete und zumutbare Nachforschungen angestellt hat, um den Aufenthalt des Zustellungsadressaten in Erfahrung zu bringen, z.B. beim (letzten) Vermieter oder Arbeitgeber nachgefragt hat.116 Ein einmaliger Fehlschlag der Zustellung unter der bisherigen Anschrift oder allein die ergebnislose Anfrage beim Einwohnermeldeamt genügt nicht.117 Die vorgenommenen (ergebnislosen) Nachforschungen sind dem Gericht darzulegen.118

33 Die Frage stellt sich nicht, wenn die Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, einen zur Ent-

gegennahme von Zustellungen berechtigten Vertreter hat. Dann wird an diesen Vertreter zugestellt (§ 41 Abs. 2 Satz 2 StaRUG). Insoweit ist nur erforderlich, dass dem Gericht eine zu-

107 Vgl. Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 13 f. (mit Einschränkung für insolvenzgerichtliche Entscheidungen). 108 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 21; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 16. 109 BGH v. 12.9.2019 – IX ZR 262/18, MDR 2019, 1521 Rz. 31; Schultzky in Zöller, § 189 ZPO Rz. 4. 110 BGH v. 19.2.2020 – XII ZB 291/19, MDR 2020, 566 Rz. 19; 2017, 1078 Rz. 35; Schultzky in Zöller, § 189 ZPO Rz. 2. 111 Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 22; zu § 8 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 8 InsO Rz. 25; Madaus in BeckOK/InsR, § 8 InsO Rz. 14 (Stand: 15.4.2022). 112 BT-Drucks. 19/24181, S. 144. 113 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 28 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 41 StaRUG Rz. 3; zu § 8 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 27. 114 BGH v. 6.12.2012 – VII ZR 74/12, MDR 2013, 484 Rz. 16; Schultzky in Zöller, § 185 ZPO Rz. 4. 115 OLG Düsseldorf v. 16.10.2019 – 9 W 42/19, juris Rz. 2. 116 Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 8 InsO Rz. 24; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 29 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Madaus in BeckOK/InsR, § 8 InsO Rz. 16 (Stand: 15.4.2022); Bußhardt in Braun, § 8 InsO Rz. 24; Rüther in HambKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 12; Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 24; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 17; Stephan in K. Schmidt, § 8 InsO Rz. 9; Schultzky in Zöller, § 185 ZPO Rz. 4a. 117 BGH v. 4.7.2012 – XII ZR 94/10, MDR 2012, 1308 Rz. 17. 118 BGH v. 6.12.2012 – VII ZR 74/12, MDR 2013, 484 Rz. 16; Schultzky in Zöller, § 185 ZPO Rz. 4b.

736 | Deppenkemper

Zustellungen | Rz. 35 § 41

stellungsfähige Adresse des Vertreters vorliegt. Diese kann auch im Ausland sein.119 Der Vorlage einer Vollmachtsurkunde bedarf es nicht.120 Anders, als § 8 Abs. 2 InsO im Insolvenzverfahren, wird § 41 Abs. 2 StaRUG im Restrukturie- 34 rungsverfahren kaum Relevanz erhalten, da das zentrale Instrument, die Planbestätigung (§ 29 Abs. 2 Nr. 4, §§ 60 ff. StaRUG), vom Schuldner initiiert wird. I.d.R. wird dieser wissen, wie die von ihm ausgewählten Planbetroffenen (§ 7 Abs. 1, § 8 Satz 1 StaRUG) erreichbar sind. Im Einzelfall, insbesondere bei sehr großem Gläubigerkreis, mag anderes gelten.121 Dann sollte bei unbekannten Aufenthalt auf Antrag des Schuldners die Möglichkeit rechtlichen Gehörs der Planbetroffenen durch eine öffentliche Zustellung122 oder öffentliche Bekanntmachung (vgl. § 85 StaRUG)123 ermöglicht werden (vgl. Rz. 28). Jedenfalls in öffentlichen Restrukturierungssachen genügt die öffentliche Bekanntmachung zum Nachweis der Zustellung an alle Beteiligte (§ 86 Abs. 3 StaRUG).

IV. Zustellung durch den Schuldner (§ 41 Abs. 3 StaRUG) 1. Anwendungsbereich An sich erfolgen Zustellungen von Amts wegen (§ 41 Abs. 1 Satz 1 StaRUG; Rz. 6). Ist ein 35 Restrukturierungsbeauftragter bestellt, kann diesem vom Restrukturierungsgericht (nach seinem Ermessen) die Zustellungen übertragen werden (§ 76 Abs. 6 Satz 1, § 77 Abs. 2 StaRUG). Das ist an § 8 Abs. 3 Satz 1 InsO angelehnt, wonach die Übertragung auf den Insolvenzverwalter oder Sachwalter möglich ist,124 und dient der Entlastung des Gerichts und einer effizienten Verfahrensgestaltung.125 Solche Zustellungen richten sich dann nach den §§ 191 ff. ZPO.126 Im Restrukturierungsverfahren gibt es nach § 41 Abs. 3 StaRUG sogar die Möglichkeit, auf den Schuldner Zustellungen zu übertragen. Insbesondere, wenn kein Restrukturierungsbeauftragter bestellt ist, kann das Gericht sich in den im StaRUG (ausdrücklich) bestimmten Fällen (z.B. § 45 Abs. 3 Satz 3 StaRUG) entlasten, indem es den Schuldner mit Zustellungen beauftragt.127 Relevante Fälle sind neben der Ladung zum gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin die Ladung zum Vorprüfungstermin (§ 46 Abs. 1 Satz 3 StaRUG), die Ladung zum fakultativen Anhörungstermin bei der Vorprüfung (§ 48 Abs. 2 Satz 3 StaRUG) und die Ladung zum Anhörungstermin vor Planbestätigung (§ 61 Satz 3 StaRUG).128 In anderen, nicht im StaRUG genannten Fällen ist § 41 Abs. 3 StaRUG nicht anwendbar.129 119 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 30 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 41 StaRUG Rz. 19; zu § 8 InsO ausdrücklich BT-Drucks. 12/2443, S. 111; vgl. Stephan in K. Schmidt, § 8 InsO Rz. 10. 120 Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 25; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 18. 121 Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 24. 122 Vgl. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, § 41 StaRUG Rz. 18. 123 Vgl. Baumert in Braun, § 41 StaRUG Rz. 7, wenn alle zumutbaren Nachforschungen erfolglos geblieben sind. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 49 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), erachtet in nichtöffentlichen Restrukturierungsverfahren auf Antrag des Schuldners eine gesetzlich nicht vorgeschriebene öffentliche Bekanntmachung für möglich. 124 Vgl. Stephan in K. Schmidt, § 8 InsO Rz. 16. 125 BT-Drucks. 19/24181, S. 174; Eckelt/Flöther in Flöther, § 76 StaRUG Rz. 51 f.; Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, § 41 StaRUG Rz. 3. 126 BT-Drucks. 19/24181, S. 174. 127 So BT-Drucks. 19/24181, S. 144. 128 Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 22. 129 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 32 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, § 41 StaRUG Rz. 5.

Deppenkemper | 737

§ 41 Rz. 35 | Zustellungen Gegen die Beauftragung hat der Schuldner keine sofortige Beschwerde, da diese nicht vorgesehen ist (§ 40 Rz. 8). Allenfalls kann er über die Gegenvorstellung (§ 40 Rz. 98) darauf hinwirken, dass die Beauftragung widerrufen werde. 36 Macht das Gericht von der Möglichkeit des § 41 Abs. 3 StaRUG Gebrauch, ist (nur) die Zu-

stellung übertragen; die Fertigung der Schreiben obliegt weiterhin dem Gericht selbst.130

37 Bei der Abwägung, ob die Zustellung übertragen wird, mag bedacht werden, dass außerhalb

des öffentlichen Restrukturierungsverfahrens eine öffentliche Bekanntmachung (§ 85 StaRUG) grundsätzlich nicht stattfindet. Die individuelle Zustellung ist daher entscheidend, damit insbesondere Planbetroffene rechtliches Gehör erhalten. Treten Fehler auf, werden diese als Verstöße gegen Verfahrensvorschriften regelmäßig erst im Verfahren der Überprüfung der Versagungsgründe nach § 63 StaRUG sichtbar werden; eine Korrektur ist dann oft nicht mehr möglich. Das ist im Einzelfall unökonomisch,131 passt aber zur dem Schuldner eingeräumten Freiheit, das Verfahren eigenverantwortlich zu organisieren und durchzuführen.132 Allerdings steigert sich bei größerer Planbetroffenenanzahl die Fehlerwahrscheinlichkeit und ist das Verfahren der Beauftragung des für den einzelnen Planbetroffenen zuständigen Gerichtsvollziehers aufwendig.133 Die Übertragung auf den Schuldner sollte daher nur erwogen werden, wenn wenige Planbetroffene beteiligt und diese idealerweise durch Anwälte vertreten sind,134 so dass über das beA zugestellt werden kann (Rz. 20 f.). Ist ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, wird i.d.R. nahe liegen, ihn (und nicht den Schuldner) zu beauftragen, Zustellungen durchzuführen (§ 76 Abs. 6 Satz 1 StaRUG), zumal dieser nicht auf die Zustellungswege der §§ 191–194 ZPO beschränk ist; ein zwingender Vorrang besteht aber nicht.135 Will das Gericht von der Möglichkeit des § 41 Abs. 3 StaRUG Gebrauch machen, überträgt es dem Schuldner die Zustellungen am besten durch Beschluss;136 eine Übertragung durch Verfügung reicht nach umstrittener Auffassung137 auch aus.138

38 § 41 Abs. 3 StaRUG verweist ausdrücklich (nur) auf die §§ 191–194 ZPO, mithin auf die Zu-

stellung durch den Gerichtsvollzieher (§§ 192 ff. ZPO). Durch den Verweis nicht erfasst ist die Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO). Konsequenz wäre, dass selbst dann, wenn die Beteiligten durch Anwälte vertreten sind, für die Zustellung der Gerichtsvollzieher beauftragt werden müsste (§ 192 ZPO). Tatsächlich scheint es sich um ein Redaktionsversehen zu handeln. Die Gesetzesbegründung sagt, dass sich die Zustellungen nach den §§ 191 ff. ZPO richte.139 Das meint offenbar die in Titel 2 Untertitel 2 der ZPO geregelte „Zustellungen auf Betreiben der Parteien“. Einen Anhaltspunkt, dass die besonders praktikable Zustellung nach § 195 ZPO ausgenommen sein sollte, gibt es nicht. Die Zustellung nach § 195 ZPO ist daher analog erfasst.140 Nicht erfasst ist neben der Zustellung gegen EB (§§ 173, 175 ZPO) und 130 131 132 133 134 135 136 137

138 139 140

Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 26. BT-Drucks. 19/24181, S. 92. BT-Drucks. 19/24181, S. 162; vgl. Deppenkemper in MünchKomm/StaRUG, § 19 StaRUG Rz. 39. Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 35. Laroche in Flöther, § 41 StaRUG Rz. 5. Missverständlich daher BT-Drucks. 19/24181, S. 144: „In Fällen, in denen kein Restrukturierungsbeauftragter bestellt ist, kann das Gericht ...“. Stephan in K. Schmidt, § 8 InsO Rz. 16. Bejahend zu § 8 InsO Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 8 InsO Rz. 26; Schmerbach in FK/ InsO, § 8 InsO Rz. 33; Rüther in HambKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 16; Sternal in Kayser/Thole, § 8 InsO Rz. 10; Pape in Uhlenbruck, § 8 InsO Rz. 8; ablehnend zu § 8 InsO Ganter/Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 31, zu § 41 StaRUG Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/ RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 24; Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 36. Ein Muster zu § 8 Abs. 3 InsO geben Frege/Keller/Riedel, Hdb. InsR, Teil 2, Kap. 7 Rz. 603. BT-Drucks. 19/24181, S. 144. So im Ergebnis – ohne Erörterung, dass § 41 Abs. 3 StaRUG gerade nicht auf § 195 ZPO verweist – auch Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 33 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther,

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Zustellungen | Rz. 42 § 41

durch Einschreiben gegen Rückschein im Inland (§ 176 Abs. 1 ZPO)141 die praktische Zustellung durch Aufgabe zur Post (§ 41 Abs. 1 Satz 2 StaRUG).

2. Einzelheiten zur Zustellung Für die Zustellung auf Betreiben des Schuldners finden die Vorschriften über die Zustellung 39 von Amts wegen (§§ 166 ff. ZPO) entsprechende Anwendung,142 soweit sich nicht aus den §§ 192 ff. ZPO Abweichungen ergeben (§ 191 ZPO). Nicht anwendbar sind § 166 Abs. 2 ZPO (s. dafür § 191 ZPO), teilweise § 168 ZPO (s. dafür § 192 ZPO), §§ 173, 175 ZPO (s. dafür § 195 ZPO), § 174 ZPO und § 176 Abs. 1 ZPO (s. dafür §§ 193–194 ZPO), teilweise § 176 Abs. 2 ZPO und § 182 Abs. 3 ZPO (s. dafür § 194 Abs. 2 ZPO).143 Rechtsanwälte kommunizieren mit Gerichten, selbst wenn das Schriftstück nicht vom Anwen- 40 dungsbereich des § 130d ZPO erfasst ist, heute ganz überwiegend über ihr beA (als sicheren Übertragungsweg i.S.v. § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Bei den Gerichten wird zunehmend mit der elektronischen Akte gearbeitet. Sind Schuldner und Planbetroffene durch Anwälte vertreten, sollte auch im Restrukturierungsverfahren die Möglichkeit des § 195 Abs. 1 Satz 5 ZPO genutzt werden, elektronische Dokumente von Anwalt zu Anwalt zuzustellen. Es entfällt dann die Einschaltung eines Gerichtsvollziehers (§ 192 ZPO). Auch das EB (vgl. § 14 BORA) ist dann nach § 195 Abs. 2 Satz 3 ZPO elektronisch zurückzugegeben.144 Mit ihm kann die Zustellung dem Gericht nachgewiesen werden (§ 195 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Alternativ kann eine Zustellung gegen EB auch durch Telekopie erfolgen (§ 195 Abs. 1 Satz 5, § 175 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Zustellungen erfolgen im Übrigen unbeschadet der Zustellung im Ausland (§ 183 ZPO) 41 durch den Gerichtsvollzieher (§ 192 Satz 1 ZPO). Im Restrukturierungsverfahren ist dabei ausgeschlossen, dass, wie es § 192 Satz 2 und 3 ZPO an sich erlauben, der Schuldner die Geschäftsstelle beauftragt, die dann ihrerseits den Gerichtsvollzieher beauftragt. Das würde die bezweckte Entlastung des Gerichts konterkarieren145 und sogar einen Mehraufwand verursachen, indem die Geschäftsstelle für jeden Zustellungsempfänger die jeweils zuständige Gerichtsvollzieherverteilerstelle ermitteln und beauftragen müsste.146 Das zuzustellende Dokument kann dem Gerichtsvollzieher in Papierform zusammen mit den 42 erforderlichen Abschriften oder als elektronisches Dokument auf einem sicheren Übermittlungsweg übermittelt werden (§ 193 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Gerichtsvollzieher kann das zuzustellende Dokument als Schriftstück persönlich zustellen (§ 193 Abs. 2 ZPO), wenn die Zustellungen in dem Bezirk auszuführen ist, für den er örtlich zuständig ist (§ 14 Satz 1 GVGA). Alternativ kann er die Post mit der Zustellung beauftragen (§ 194 ZPO). Für diese Zustellungen ist der Gerichtsvollzieher örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner als Auftraggeber (auch dessen Verfahrensbevollmächtigter) oder ein Zustellungsempfänger seinen Wohnsitz (Amtssitz) hat (§ 16 GVO). Ferner übermittelt der Gerichtsvollzieher das zuzustellende elektronische Dokument elektronisch auf einem sicheren Übertragungsweg oder als Schriftstück (§ 193 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die örtliche Zuständigkeit richtet sich analog § 16 GVO.

141 142 143 144 145 146

§ 41 StaRUG Rz. 5; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 25; anders wohl Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 26 ff., der zu § 41 Abs. 3 StaRUG § 195 ZPO nicht erörtert. Vgl. BT-Drucks. 14/4554, S. 25; Schultzky in Zöller, § 191 ZPO Rz. 3. Übersicht bei Schultzky in Zöller, § 191 ZPO Rz. 2. Marx in Prütting/Gehrlein, § 191 ZPO Rz. 3; Schultzky in Zöller, § 191 ZPO Rz. 3. Schultzky in Zöller, § 195 ZPO Rz. 13. Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 28. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 34 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 41 Rz. 42 | Zustellungen Zustellungsurkunden (§ 193 Abs. 4, § 194 Abs. 2 ZPO) übersendet der Gerichtsvollzieher unmittelbar an das Restrukturierungsgericht. 43 Der Gerichtsvollzieher entscheidet über die Form der Zustellung nach pflichtgemäßem Er-

messen (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 1 GVGA). In Restrukturierungsverfahren kann für die persönliche Zustellung die Eilbedürftigkeit sprechen, insbesondere, wenn der Schuldner diese Zustellungsform ausdrücklich beantragt. Kostengünstiger als die Zustellung durch die Post (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 2 GVGA) ist die persönliche Zustellung (Gebühr von 10 nach Nr. 100 GvKostG) i.d.R. nicht. Ist ein (auf einem sicheren Übermittlungsweg, § 130a Abs. 4 ZPO) eingegangenes elektronisches Dokument (§ 193 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) zuzustellen, sollte dieses zur Vermeidung von Medienbrüchen elektronisch zugestellt werden (§ 193a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).147

V. Auslandszustellung 44 § 41 StaRUG regelt nur die Zustellung im Inland (Rz. 1).148 Die grenzüberschreitende Zustel-

lung in Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder Drittstaaten richtet sich nach den mit diesen Staaten vereinbarten Rechtsinstrumenten. Ansonsten waren bis 30.6.2022 die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil-oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates149 anzuwenden; 150 die §§ 1067 ff. ZPO enthalten Ausführungsbestimmungen. Die Verordnung Nr. 1393/2007 wurde durch die Verordnung (EU) 2020/17846, die weitgehend ab dem 1.7.2022 gilt, aufgehoben (vgl. Art. 36 Abs. 1 EuZustVO n.F.).151 Diese gilt nach Art. 1 Abs. 3 EuZustVO nicht für die Zustellung in dem Forummitgliedstaat an einen Bevollmächtigten der Person, an die zugestellt werden soll, unabhängig davon, wo diese Person ihren Wohnsitz hat. Ab Mai 2025 (der Zeitpunkt bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der Verabschiedung des Durchführungsrechtsakts zur EuZustVO, Art. 37 Abs. 2 EuZustVO) ist für die Übermittlung von Zustellungsanträgen und Mitteilungen zwischen Übermittlungs-, Empfangs- und Zentralstellen ein sicheres und zuverlässiges dezentrales IT-System zu nutzen, das auf einer interoperablen Lösung wie beispielsweise eCODEX beruht.152 Ferner greift im Verhältnis zu Vertragsstaaten, die nicht Mitgliedstaaten i.S.d. EuZustVO sind,153 das Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil-oder Handelssachen und anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen vom 15.11.1965 (HZÜ).154 Im Verhältnis zu Großbritannien ist nach Ablauf der Übergangszeit (31.12.2020, Art. 68a, 127 Abs. 1 Austrittsabkommen) die EuZustVO weitgehend nicht mehr anwendbar; es gilt daher das Haager Zustellungsübereinkom147 Schultzky in Zöller, § 192 Rz. 4. 148 Laroche in Flöther, § 41 StaRUG Rz. 1; Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 1; Denkhaus/v. Kaltenborn-Stachau in HambKomm/RestruktR, § 41 StaRUG Rz. 26; weitergehend Kramer in BeckOK/ StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 43 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 149 ABl. EG Nr. L 324 v. 13.11.2007, S. 79. 150 BT-Drucks. 19/24181, S. 143 f. 151 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2020 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) (Neufassung) (ABl. EU Nr. L 405 v. 2.12.2020, S. 40); vgl. Dörndorfer in BeckOK/ZPO, § 183 ZPO Rz. 4 (Stand 1.7.2022); Rauscher in MünchKomm/ZPO, vor § 1067 ZPO Rz. 1; Fabig/Windau, NJW 2022, 1977 Rz. 1. 152 So BT-Drucks. 20/1110, S. 27. 153 Rauscher in MünchKomm/ZPO, vor § 1067 ZPO Rz. 7. 154 BGBl. 1977 II, 1452; Einzelheiten bei Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, § 13 Rz. 732 ff.

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Zustellungen | Rz. 45 § 41

men (HZÜ)155 sowie das deutsch-britische Abkommen über den Rechtsverkehr vom 20.13.1928.156 Zuständig für die Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen ist das Amtsgericht (§ 183 Abs. 6 Satz 1 ZPO).

1. Zustellung innerhalb der EU Nach § 183 Abs. 1 ZPO gelten für die Zustellung im Ausland vorrangig157 die Regelungen der 45 Europäischen Union, mithin nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO insbesondere die EuZustVO. Das gilt für die Zustellung nach § 41 StaRUG wegen § 38 Satz 1 StaRUG entsprechend.158 Erfasst sind gerichtliche (vgl. Art. 8 EuZustVO) und außergerichtliche Schriftstücke (vgl. Art. 21 EuZustVO).159 Die Zustellungsmodi sind grundsätzlich gleich, doch können außergerichtliche Schriftstücke sowohl nach der EuZustVO als auch, anders als gerichtliche Schriftstücke (als solche, die mit verfahrensrechtlichem Bezug zu einem einzuleitenden oder anhängigen Verfahren der Zustellung bedürfen)160, nach nationalem Recht zugestellt werden.161 Die Zustellung des Schriftstücks wird nach Art. 11 Abs. 1 EuZustVO von der Empfangsstelle bewirkt oder veranlasst, entweder nach dem Recht des Empfangsmitgliedstaats oder in einem von der Übermittlungsstelle gewünschten besonderen Verfahren, sofern dieses Verfahren mit dem Recht des Empfangsmitgliedstaats vereinbar ist. Praxisrelevant ist die bereits durch die EuZustVO 2007162 vorgegebene Möglichkeit der schnellen und kostengünstigen direkten Postzustellung (Art. 14 EuZustVO 2007); die Neufassung des Art. 18 EuZustVO sieht die Möglichkeit autonom vor.163 § 1069 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gibt aber weiterhin vor, dass Zustellungsorgan für Zustellungen im Ausland allein das Gericht ist.164 Die seit 1.7.2022 geltende Neufassung der EuZustVO (Einzelheiten unter https://e-justice.europa.eu/38580/DE/serving_documents_recast)165 – die Art. 5, 8 und 10 EuZustVO gelten aber erst ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Zeitraum von drei Jahren nach dem Tag des Inkrafttretens der in Art. 25

155 Hau, MDR 2021, 521 Rz. 17; Text des HZÜ mit Informationen unter https://www.hcch.net/de/instruments/conventions/full-text/?cid=17 (abgerufen am 13.9.2022). 156 Erb-Klünemann, FamRB 2021, 168, 175. 157 OLG Dresden v. 6.11.2018 – 4 W 940/18, NJ 2019, 34; Häublein/Müller in MünchKomm/ZPO, § 183 ZPO Rz. 1, 6; Rauscher in MünchKomm/ZPO, vor § 1067 ZPO Rz. 10 f.; zu § 8 InsO Ganter/ Bruns in MünchKomm/InsO, § 8 InsO Rz. 30a. 158 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 44 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 38. 159 Zum autonom zu bestimmenden Begriff des „außergerichtlichen Schriftstücks“ vgl. Sujecki in Gebauer/Wiedmann, 3. Aufl. 2021, Art. 1 EuZVO Rz. 5 f. und Art. 16 EuZVO Rz. 2–4. Schriftstücke von Privatpersonen fallen unter Art. 21 EuZustVO, wenn „deren förmliche Übermittlung an ihren im Ausland ansässigen Empfänger zur Geltendmachung, zum Beweis oder zur Wahrung eines Rechts oder Anspruchs in Zivil- oder Handelssachen erforderlich ist“ (so EuGH v. 11.11.2015 – C223/14 (Tecom Mican), EuZW 2015, 947 Leitsatz 1. 160 Rauscher in MünchKomm/ZPO, Art. 1 EG-ZustellVO Rz. 12. 161 Okonska in Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 16 VO (EG) 1393/2007 Rz. 1 (Stand: Februar 2018); Rauscher in MünchKomm/ZPO, Art. 16 EG-ZustellVO Rz. 1. 162 Übersicht zu ihr bei Staudinger in Rauscher, EuZPR, Band 1, 5. Auflage 2022, Brüssel Ia-VO, Einleitung Rz. 5. 163 Rauscher in MünchKomm/ZPO, Art. 14 EG-ZustellVO Rz. 13; Stadler in Musielak/Voit, Art. 18 EuZustVO Rz. 1; Geimer in Zöller, Art. 18 EuZustVO n.F. Rz. 1. 164 Rauscher in MünchKomm/ZPO, § 1069 ZPO Rz. 7 (gerichtliche Schriftstücke) und Rz. 8 (außergerichtliche Schriftstücke). 165 Neufassung ab 1.7.2022 durch VO (EU) 2020/1784 v. 25.11.2020, ABl. EU Nr. L 405, S. 46; zum Geltungsbeginn s. Art. 37 EuZustVO. Im Verhältnis zu Dänemark gilt gem. § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO das Abkommen zwischen der EU und Dänemark v. 19.10.2005 (ABl. EG Nr. L 300, S. 55). Demgemäß ist die EuZustVO auch im Verhältnis zu Dänemark anzuwenden.

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§ 41 Rz. 45 | Zustellungen EuZustVO genannten Durchführungsrechtsakte folgt (Art. 37 Abs. 2 EuZustVO) – behält die Unterscheidung zwischen Zustellung im Rechtshilfeweg und der Direktzustellung per Post sowie der Zustellung durch diplomatische und konsularische Vertreter und der Parteizustellung durch Amtsträger bei, kennt aber nunmehr die elektronische Zustellung (Art. 19) als weitere Form der Direktzustellung. Gerichtliche Schriftstücke werden zwischen den Übermittlungsund Empfangsstellen unmittelbar und so schnell wie möglich übermittelt (Art. 8 Abs. 1 EuZustVO). Dass für den beizufügenden Antrag vorgegebene Formblatt (Art. 8 Abs. 2 EuZustVO) steht im Internet mit Hinweisen zur Verfügung.166 Dabei erfolgt die Übermittlung zuzustellender gerichtlicher Schriftstücke (Art. 8 EuZustVO) ab 1.5.2025 grundsätzlich zwischen den von den Mitgliedstaaten zu benennenden Übermittlungs- und Empfangsstellen (Art. 3 EuZustVO) über ein dezentrales IT-System (Art. 5 Abs. 1 EuZustVO) nach den Vorgaben der Elektronische-Transaktionen-VO (VO (EU) 910/2014); es ist ein Antrag unter Verwendung des Formblattes A in einer der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats beizufügen (Art. 8 Abs. 2 EuZustVO). Einer Beglaubigung oder anderen gleichwertigen Formalität bedarf es nicht (Art. 8 Abs. 3 EuZustVO). Ist die Anschrift der Person, der das gerichtliche oder außergerichtliche Schriftstück in einem anderen Mitgliedstaat zuzustellen ist, nicht bekannt, so leistet der andere Mitgliedstaat bei der Ermittlung der Anschrift Unterstützung (Art. 7 Abs. 1 EuZustVO);167 dazu wird auf das Europäischen Justizportal zurückgegriffen werden.168 Die Empfangsstelle bestätigt den Eingang (Art. 10 EuZustVO) und bewirkt bzw. veranlasst so rasch wie möglich die Zustellung (Art. 11 EuZustVO) und erstellt, ist die Zustellung erledigt, darüber eine Bescheinigung, die der Übermittlungsstelle übersendet wird (Art. 14 Abs. 1 EuZustVO). Der Empfänger kann allerdings die Annahme eines Schriftstücks innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt der Zustellung verweigern, wenn es nicht in einer bestimmten Sprache abgefasst bzw. übersetzt ist (Art. 12 Abs. 1, 3 EuZustVO);169 eine durch die Zustellung in Gang gesetzte Frist beginnt dann erst, nachdem die Frist zur Annahmeverweigerung abgelaufen ist.170 Daneben kann die Zustellung durch Übermittlung auf diplomatischem oder konsularischem Weg (Art. 16 EuZustVO; vgl. § 1067 ZPO), durch die dezentrale Übermittlungsstelle unmittelbar an die im Ausland wohnende Person durch Postdienste (Art. 18 EuZustVO; vgl. § 1068 ZPO),171 durch unmittelbare Zustellung durch zuständige Personen des Mitgliedstaats (Art. 20 EuZustVO), wenn diese auch nach dem Recht des Empfangsstaats zulässig ist, oder durch elektronische Zustellung an eine Person mit einer bekannten Zustelladresse (Art. 19 EuZustVO) mittels elektronischer Mittel, die in dem Mitgliedstaat, in dem das Gerichtsverfahren anhängig, für die inländische Zustellung vorgesehen sind (vgl. § 173 ZPO),172 erfolgen. Diese Zustellungsformen stehen alternativ gleichrangig nebeneinander.173 In Eilfällen sollten mehrere Zustellungsformen kumulativ versucht werden. Die zuerst erfolgreiche ist dann maßgebend.174

166 S. https://e-justice.europa.eu/38580/DE/serving_documents_recast?clang=de (abgerufen am 13.9.2022). Der Abschnitt „Europäischer Gerichtsatlas“ enthält eine Suchfunktion, mit der die zuständigen Behörden aufgerufen werden können, an die die ausgefüllten Formulare zu senden sind. 167 Stadler in Musielak/Voit, Art. 7 EuZustVO Rz. 1; Schlosser/Hess in Schlosser/Hess, 5. Aufl. 2021, Art. 7 VO (EU) Nr. 1784/2020 Rz. 1. 168 Vgl. BT-Drucks. 20/1110, S. 28. 169 Fabig/Windau, NJW 2022, 1977 Rz. 18. 170 Vgl. zu Art. 8 EuZustVO a.F. EuGH v. 7.7.2022 – C-7/21 − Lkw Walter Internationale Transportorganisation AG/CB, NJW 2022, 2461 Rz. 49. 171 Zur Übergabe an Dritte wie Familienangehörige oder im Haushalt beschäftigte Personen EuGH v. 2.3.2017 – C-354/15 (Henderson), EuZW 2017, 344 Rz. 88 ff.; Sujecki in Gebauer/Wiedmann, 3. Aufl. 2021, Art. 16 EuZVO Rz. 5; Stadler in Musielak/Voit, Art. 18 EuZustVO Rz. 3. 172 Fabig/Windau, NJW 2022, 1977 Rz. 7. 173 EuGH v. 9.2.2006 – C-473/04, NJW 2006, 975 Rz. 22; Windau in Prütting/Gehrlein, Anh. nach § 1071 ZPO, Art. 18 EuZVO Rz. 1; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, § 13 Rz. 742. 174 EuGH v. 9.2.2006 – C-473/04, NJW 2006, 975 Rz. 31.

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Zustellungen | Rz. 50 § 41

Wer im jeweiligen Mitgliedstaat Zustellungsorgan ist, bestimmt das dortige nationale Recht 46 (vgl. Art. 3 Abs. 1 EuZustVO).175 In Deutschland sind für gerichtliche als auch außergerichtliche Schriftstücke die AG benannt (§ 1069 Abs. 1 ZPO).176 Das gilt auch für das Restrukturierungsverfahren.177 In der Funktion als Übermittlungsgericht ist das Restrukturierungsgericht für die Prüfung inhaltlicher Fragen (wie, ob eine Übersetzung beizufügen ist) zuständig.178 Liegt keine bekannte Zustelladresse i.S.v. Art. 19 EuZustVO vor, wird bei Personen mit Auf- 47 enthalt in einem anderen Mitgliedstaat i.d.R. auf die Zustellung unmittelbar durch Postdienst (Art. 18 EuZustVO) zurückgegriffen werden. Die Zustellung erfolgt per Einschreiben mit Empfangsbestätigung oder mittels eines gleichwertigen Nachweises. Weiterhin ungeklärt ist, welche Wirkungen es hat, wenn der Adressat von dem Zusteller des Postdienstes nicht angetroffen wird und trotz Benachrichtigung das an einer Poststelle hinterlegte, mit Einschreiben/ Rückschein übersandte Schriftstücks nicht abholt. Jedenfalls wenn der Adressat in Kenntnis des Absenders des Schriftstücks den Zugang treuwidrig vereitelt, sollte von einer wirksamen Zustellung auszugehen sein.179 Zu § 8 InsO wird vertreten, dass neben der Zustellung nach der EuZustVO die Zustellung 48 mittels Aufgabe zur Post nach § 8 Abs. 1 Satz 2 InsO (als fiktive Inlandszustellung) zulässig bleibt.180 Das überzeugt (auch für § 41 StaRUG) nicht,181 da im Anwendungsbereich der EuZustVO § 184 ZPO nicht anwendbar ist.182 Eine Heilung von Zustellungsmängeln ist, hat der Adressat das Zustellungsstück tatsächlich 49 erhalten, möglich.183 Maßgebend ist dabei aber nicht § 189 ZPO,184 da die Zustellung durch die Post autonom in Art. 18, 8 EuZustVO geregelt ist.185 Ist die Anschrift des (ausländischen) Empfängers eines Schriftstücks unbekannt, gilt die Eu- 50 ZustVO nach ihrem Art. 1 Abs. 2 mit Ausnahme des Art. 7 zur Unterstützung bei der Ermittlung von Anschriften nicht. Die Zustellungen erfolgen daher an sich nach §§ 183 ff. ZPO

175 Übersicht unter https://e-justice.europa.eu/38580/DE/serving_documents_recast?clang=de (abgerufen am 13.9.2022). 176 Rauscher in MünchKomm/ZPO, § 1069 ZPO Rz. 7, 8; Geimer in Zöller, § 1069 ZPO Rz. 2 f. Durch VO der jeweiligen Landesregierung kann für außergerichtliche Schriftstücke die Aufgabe der Übermittlungsstelle einem Amtsgericht für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte übertragen werden (§ 1069 Abs. 5 ZPO). 177 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 44 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 42. 178 OLG München v. 14.10.2019 – 14 W 1170/19, BeckRS 2019, 29850 Rz. 25; OLG Köln v. 9.5.2019 – I-15 W 70/18, BeckRS 2019, 10630 Rz. 5 ff. 179 Im Einzelnen streitig, vgl. OLG Zweibrücken v. 6.12.2012 – 4 U 25/12, BeckRS 2014, 4760; OLG Stuttgart v. 31.3.2010 – 5 W 62/09; LG Trier v. 17.10.2002 – 7 HKO 140/01, NJW-RR 2003, 287; Okonska in Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 14 VO (EG) 1393/2007 Rz. 22 (Stand: Februar 2018); Rauscher in MünchKomm/ZPO, Art. 14 EG-ZustellVO Rz. 11; Schlosser in Schlosser/Hess, 5. Aufl. 2021, Art. 14 VO (EU) Nr. 1784/2020, Rz. 5; Geimer in Zöller, Art. 18 EuZustVO n.F. Rz. 3; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, § 13 Rz. 7489 f. 180 Madaus in BeckOK/InsR, § 8 InsO Rz. 21 (Stand: 15.4.2022); Bußhardt in Braun, § 8 InsO Rz. 25. 181 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 47.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 182 EuGH v. 19.12.2012 – C-325/11, NJW 2013, 443 Rz. 25; BGH v. 11.5.2011 – VIII ZR 114/10, NJW 2011, 2218 Rz. 11; Dörndorfer in BeckOK/ZPO, § 184 ZPO Rz. 1a (Stand: 1.7.2022); Häublein/Müller in MünchKomm/ZPO, § 184 ZPO Rz. 3; Geimer in Zöller, § 183 ZPO Rz. 69; Schultzky in Zöller, § 184 ZPO Rz. 2. 183 Vgl. OLG Brandenburg v. 13.4.2021 – 12 U 202/20, BeckRS 2021, 10138 Rz. 10; Schultzky in Zöller, § 189 ZPO Rz. 1. 184 A.A. Stadler in Musielak/Voit, Art. 18 EuZustVO Rz. 4. 185 Rauscher in MünchKomm/ZPO, Art. 14 EG-ZustellVO Rz. 9.

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§ 41 Rz. 50 | Zustellungen (einschließlich der öffentlichen Zustellung nach § 185 Nr. 1 bzw. 3 ZPO)186 mit der Konsequenz, dass die ggf. dann erforderlichen Ermittlungen zum Aufenthalt187 von Amts wegen das Gericht erheblich belasten könnten. Das ist aber ausweislich § 41 Abs. 2 StaRUG nicht gewollt. Da auch kein Grund ersichtlich ist, inländische Personen unbekannten Aufenthalts anders zu behandeln, als ausländische, gilt insoweit § 41 Abs. 2 StaRUG analog.188

2. Zustellung außerhalb der EU 51 Zustellungen außerhalb der EU erfolgen, soweit nicht völkerrechtliche Verträge vorgehen

(§ 183 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO), nach §§ 183 ff. ZPO,189 z.B. nach § 183 Abs. 2 Satz 2 ZPO per Einschreiben mit Rückschein (vgl. Rz. 24). Zum Nachweis der Zustellung genügt dann der Rückschein oder ein gleichwertiger Nachweis (§ 183 Abs. 5 Satz 1 ZPO).190 Auch hier ist eine Ersatzzustellung zulässig. Regelmäßig wird das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen gem. § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO anordnen, dass der Empfänger in angemessener Frist einen Zustellungsbevollmächtigten benennt,191 der im Inland wohnt oder einen inländischen Geschäftsraum hat.192 Macht er dieses dann nicht, kann nachfolgend das Schriftstück unter der Anschrift des Empfängers zur Post (und damit zugestellt) werden (§ 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Es gilt dann zwei Wochen nach Aufgabe zur Post als zugestellt (§ 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Benennt der Beteiligte einen Zustellungsbevollmächtigten, wird dieser Zustellungsadressat und es kann an ihn zugestellt werden, wie an die inländische Partei. Die Vorlage einer Vollmachtsurkunde ist nicht erforderlich.193

52 Eine Heilung von Zustellungsmängeln ist möglich,194 im Anwendungsbereich des HZÜ aller-

dings nicht, soweit bei der Zustellung Bestimmungen des HZÜ verletzt worden sind.195

3. Kosten und Gebühren 53 Bei Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein gilt KV-GKG Nr. 9002. Für die Prüfung

des ausgehenden Ersuchens durch die Justizverwaltung fällt eine Prüfgebühr (Anlage Nr. 1320 des KV zu § 4 Abs. 1 JVKostG) von 15–55,– Euro, i.d.R. 30,– Euro (§ 75 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ZRHO), an.196 Für Übersetzungen sind die Auslagen zu erstatten. Für die Gebühren und Auslagen der deutschen Auslandsvertretung gelten die AKostG und AKostV (§ 76 ZRHO).197 186 Sujecki in Gebauer/Wiedmann, 3. Aufl. 2021, Art. 1 EuZVO Rz. 13; Rauscher in MünchKomm/ZPO, Art. 1 EG-ZustellVO Rz. 20; Stadler in Musielak/Voit, Art. 1 EuZustVO Rz. 6; Windau in Prütting/ Gehrlein, Anh. nach § 1071 ZPO, Art. 1 EuZVO Rz. 4. 187 Vgl. EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10 (Hypoteční banka a. s.), NJW 2012, 1199 Rz. 41 ff.; EuGH v. 15.3.2012 − C-292/10 (G), GRURInt 2012, 544 Rz. 39 f., 53. 188 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 41 StaRUG Rz. 46 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, § 41 StaRUG Rz. 45. 189 Rauscher in MünchKomm/ZPO, vor § 1067 ZPO Rz. 10; Stephan in K. Schmidt, § 8 InsO Rz. 14. 190 Dazu Marx in Prütting/Gehrlein, § 183 ZPO Rz. 3; Schultzky in Zöller, § 184 ZPO Rz. 42. 191 Dazu Schultzky in Zöller, § 184 ZPO Rz. 4. 192 Dazu Schultzky in Zöller, § 184 ZPO Rz. 5. 193 Schultzky in Zöller, § 184 ZPO Rz. 6. 194 Zu Haager Zustellungsübereinkommen (HZÜ) BGH v. 14.9.2011 – XII ZR 168/09, MDR 2011, 1374, 1375; enger (zur Anerkennung) BGH v. 3.4.2019 – XII ZB 311/17, MDR 2019, 741 Rz. 19 ff.; weitergehend Geimer in Zöller, § 328 ZPO Rz. 160. 195 Marx in Prütting/Gehrlein, § 183 ZPO Rz. 8. 196 Marx in Prütting/Gehrlein, § 183 ZPO Rz. 9; Schneider in Schneider/Volpert/Fölsch, KV JVKostG Nr. 1320–1322 Rz. 2; Volpert in Toussaint, § 4 JVKostG Rz. 8 und JVKostG KV 1320 Rz. 1. 197 Geimer in Zöller, § 183 ZPO Rz. 80.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | § 42

Unterabschnitt 2 Restrukturierungsrecht (§§ 42-44)

§ 42 Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift (1) 1Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ruht die Antragspflicht nach § 15a Absatz 1 bis 3 der Insolvenzordnung und § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. 2Die Antragspflichtigen sind jedoch verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Absatz 2 der Insolvenzordnung oder einer Überschuldung im Sinne des § 19 Absatz 2 der Insolvenzordnung ohne schuldhaftes Zögern anzuzeigen. (2) Die Stellung eines den Anforderungen des § 15a der Insolvenzordnung genügenden Insolvenzantrags gilt als rechtzeitige Erfüllung der Anzeigepflicht nach Absatz 1 Satz 2. (3) 1Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Absatz 1 Satz 2 den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung nicht oder nicht rechtzeitig anzeigt. 2Handelt der Täter fahrlässig, ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. 3Die Sätze 1 und 2 sind nicht anzuwenden auf Vereine und Stiftungen, für die die Pflicht nach Absatz 1 Satz 1 gilt. (4) Wenn die Anzeige der Restrukturierungssache nach § 31 Absatz 4 ihre Wirkung verliert, leben die nach Absatz 1 Satz 1 ruhenden Antragspflichten wieder auf. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. 1. 2. 3. 4. II. 1. 2. 3. III. IV. 1.

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorgaben und Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . Erfasste Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . Internationaler Anwendungsbereich . Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . Ruhen der Insolvenzantragspflicht . . . Insolvenzanzeigepflicht . . . . . . . . . . . . . Anzeigepflichtige . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geschäftsleiter, organschaftliche Vertreter, Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlerhafte und faktische Geschäftsleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesellschafter und Mitglieder der Aufsichtsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzlich keine Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausnahme bei Führungslosigkeit

1 1 2 4 6 7 7 9 11 13 16 16

2. V. 1. 2. 3.

VI. 1. 2.

17 21 22 22 23

3.

Voraussetzungen der Anzeigepflicht . Anzeige und Anzeigefrist . . . . . . . . . . . Anzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Insolvenzantrag (§ 42 Abs. 2 StaRUG) Anzeigefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fristdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sanierungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung für verspätete Insolvenzanzeige gegenüber Altgläubigern . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspruchsgrundlage und Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkurrenzverhältnis zur deliktischen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspruchsinhaber: Altgläubiger . . . . . a) Abgrenzung von Alt- und Neugläubigern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nachrangige Gläubiger und Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aus- und Absonderungsberechtigte

25 28 28 30 31 31 32 34 39 39 40 41 43 48 48 50 51

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§ 42 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift 4. Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . a) Pflichtverletzung und Anspruchsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schaden und haftungsausfüllende Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltendmachung im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geltendmachung bei masseloser Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verzicht, Vergleich, Verjährung . . . . . . a) Verzicht und Vergleich . . . . . . . . . . . b) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Haftung mehrerer Verpflichteter . . . . VII. Haftung für verspätete Insolvenzanzeige gegenüber Neugläubigern . . . 1. Anspruchsgrundlage und Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anspruchsinhaber: Neugläubiger . . . . 3. Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . a) Rechtswidrige Verletzung der Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schaden und haftungsausfüllende Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verzicht, Vergleich, Verjährung . . . . . . 6. Haftung mehrerer Verpflichteter . . . . VIII. Weitere Haftungstatbestände bei Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anspruch gem. § 826 BGB . . . . . . . . . . 2. Anspruch gem. § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2, 3 BGB (c.i.c.) . . . 3. Straftatbestände als Schutzgesetze . . .

52 52 54 59 61 64 64 66 69 69 71 72 73 73 75 77 77 79 80 86 88 89 91 92 92

IX. Haftung für verbotene Zahlungen (§ 15b InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Anwendbarkeit im Restrukturierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3. Verbotene und privilegierte Zahlungen nach Insolvenzreife . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Vorgaben des § 15b InsO . . . . . . . . . 101 b) Rechtslage im Restrukturierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Zeitraum der Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . . . . . . . 103 cc) Zeitraum der Sanierungsbemühungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 dd) Zeitraum bis zur Entscheidung des Restrukturierungsgerichts . . 105 ee) Entscheidung für (vorläufige) Fortführung des Restrukturierungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 106 4. Verhältnis zur Insolvenzverschleppungshaftung . . . . . . . . . . . . . 107 5. Haftung für insolvenzverursachende Zahlungen (§ 15b Abs. 5 InsO) . . . . . . 111 X. Haftung anderer Beteiligter . . . . . . . . . 112 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Beraterhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 XI. Strafbarkeit für verspätete Insolvenzanzeige (§ 42 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . 116 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Taugliche Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . 122 4. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . 125 5. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6. Weitere Rechtsfolgen der Verurteilung 128

95 96

Schrifttum: Ahrens, Das SanInsFoG – Änderungen im Pflichtenregime für Geschäftsleiter, GWR 2021, 64; Balthasar, Allgemeine Zugangsvoraussetzungen zu den Restrukturierungsinstrumenten, NZI-Beilage 2021, 18; Bitter, Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz – Alles neu durch SanInsFoG und StaRUG?, ZIP 2021, 321; Brinkmann, Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise nach dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), ZIP 2020, 2361; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG, ZInsO 2021, 1; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue Restrukturierungsrecht, 2021, § 6; Hölzle/Curtze, Eine Krise – Ein Verfahren! – Folgen eines vorangegangenen Restrukturierungsverfahrens nach StaRUG in der späteren Insolvenz, ZIP 2021, 1293; Klöhn/Zell, Sorgfaltsgemäße Zahlungen nach Insolvenzreife im neuen § 15b InsO, NZI 2022, 673; Köllner, SanInsFoG, StaRUG und Strafrecht, NZI-Beilage 2021, 71; Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG – Ein später Teilerfolg für die Einheitslehren, erscheint in KTS 2023; Kranzfelder/Ressmann, Geschäftsleiter im Fokus: Haftungserweiterungen und Haftungserleichterungen nach SanInsFoG, ZInsO 2021, 191; Pluta, Insolvenzgründe im Kontext von StaRUG und InsO, NZI Beilage 2021, 22; J. Schmidt, Präventiver Restrukturierungsrahmen: Internationale Zuständigkeit, Anerkennung und anwendbares Recht, ZInsO 2021, 654; Smid, Innen- und

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 3 § 42 Außenhaftung des Geschäftsleiters bei Inanspruchnahme des Restrukturierungsrahmens durch die schuldnerische Gesellschaft nach § 43 StaRUG, ZInsO 2021, 117; Theiselmann, Pflichten des Geschäftsführers und Vorstands in der Unternehmenskrise, ZInsO 2021, 2293; Thole, Die Geschäftsleiterhaftung im StaRUG und nach § 15b InsO n.F., BB 2021, 1347; Thole, Vertrauliche Restrukturierungsverfahren: Internationale Zuständigkeit, anwendbares Recht und Anerkennung, ZIP 2021, 2153.

I. Grundlagen 1. Regelungsgegenstand Die Vorschrift suspendiert die Insolvenzantragspflichten nach § 15a InsO sowie § 42 Abs. 2 1 BGB und ersetzt sie durch eine Insolvenzanzeigepflicht der Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften und gleichgestellten Gesellschaften, die gegenüber dem Restrukturierungsgericht zu erfüllen ist. Die Vorschrift ergänzt damit § 32 Abs. 3 StaRUG, der die allgemeine Anzeigepflicht des Schuldners bei Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und Überschuldung (§ 19 InsO) normiert.1 Sie ist teilakzessorisch zu § 15a InsO. Wie bei der Insolvenzantragspflicht ist die Verletzung der Anzeigepflicht strafbewehrt (§ 42 Abs. 3 StaRUG, Rz. 116 ff.). Zudem knüpfen sich zahlreiche Haftungsfolgen an die Verletzung der Vorschrift (Rz. 39 ff. und Rz. 73 ff.). Endet die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache, leben die suspendierten Insolvenzantragspflichten wieder auf; § 42 Abs. 4 StaRUG ist deklaratorisch.2

2. Normzweck Die Vorschrift dient dazu, das schuldnerische Unternehmen während des Restrukturierungs- 2 verfahrens vor einem plötzlichen Zusammenbruch zu bewahren. Aus diesem Grund wird die Insolvenzantragspflicht, die bei Vorliegen von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens führen würde, suspendiert. Stattdessen soll das Restrukturierungsgericht weiter mit der Sache befasst sein und nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG die Möglichkeit haben, das Insolvenzverfahren nicht sofort zu eröffnen, wenn dies offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger wäre oder die materielle Insolvenz durch eine überwiegend wahrscheinliche Restrukturierung entfallen würde.3 Die Interessen der Gläubiger, vor einer masseschmälernden Verzögerung der Insolvenz- 3 eröffnung geschützt zu werden, wahrt die Insolvenzanzeigepflicht, die an die Stelle der Insolvenzantragspflicht tritt.4 Die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache führt folglich nicht dazu, dass die schuldnerische Gesellschaft unbemerkt und folgenlos materiell insolvent werden kann.5 Da die Insolvenzanzeigepflicht ebenfalls straf- und haftungsbewehrt ist, bewirkt die Norm keine Verschlechterung der Gläubigerposition, sondern verhindert nur, dass ein auch aus Sicht der Gläubiger nachteiliges Insolvenzverfahren eröffnet wird.

1 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 144; Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 6; Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 42 StaRUG Rz. 6. Teils wird § 270d Abs. 4 InsO als Vorbild bezeichnet (so Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 42 StaRUG Rz. 2), allerdings entspricht die Vorschrift eher § 32 Abs. 3 StaRUG, da sie sich direkt an den Schuldner (und den Sachwalter) richtet. 2 Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 23. 3 Vgl. auch Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 2; Pluta, NZI Beilage 2021, 22, 24. 4 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 144 f. 5 Fuhrmann/Heinen/Schilz, NZG 2021, 684, 690.

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§ 42 Rz. 4 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift

3. Vorgaben und Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie 4 Art. 7 Abs. 1 Restrukturierungs-RL ordnet das Ruhen der Insolvenzantragspflicht des

Schuldners an, wenn Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt sind und ein Insolvenzrecht (auch) zur Liquidation führen kann.6 Das ist im deutschen Insolvenzverfahren der Fall. Nach Art. 7 Abs. 2 Restrukturierungs-RL sind auch Gläubigeranträge suspendiert. Davon sollen Ausnahmen zulässig sein (Art. 7 Abs. 3 Restrukturierungs-RL), wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, seine fällig werdenden Schulden zu begleichen.7 Allerdings muss in diesem Fall die zuständige Justiz- und Verwaltungsbehörde die Möglichkeit haben, die Wirkungen der Aussetzung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen und damit auch das Restrukturierungsverfahren aufrechtzuerhalten, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, das zur Liquidation des Schuldners führen könnte, unter Berücksichtigung der Umstände des Falles nicht im allgemeinen Interesse der Gläubiger wäre.8

5 Der deutsche Gesetzgeber setzt die Verpflichtung einerseits überobligatorisch um und suspen-

diert die Insolvenzantragspflicht unabhängig davon, ob die Einzelzwangsvollstreckung durch die Gläubiger durch eine Sicherungsanordnung (§ 49 StaRUG) untersagt ist.9 Damit soll vermieden werden, dass die Stabilisierungsanordnung nur zur Vermeidung der Insolvenzantragspflicht beantragt wird.10 Der Gesetzgeber macht andererseits von der Ausnahme im Falle der Zahlungsunfähigkeit Gebrauch, indem er anstelle der Insolvenzantragspflicht eine Anzeigepflicht vorsieht. Diese besteht nicht allein im Falle der Zahlungsunfähigkeit, sondern bezieht auch die Überschuldung mit ein. Darin liegt kein Verstoß gegen Art. 7 Restrukturierungs-RL,11 da auch bei der Überschuldung nach § 19 Abs. 2 InsO eine Fortführungsprognose zu erstellen ist. Auch hier entscheidet damit letztlich die Fähigkeit, künftige Forderungen zu erfüllen, wie es die Richtlinie vorsieht. Zudem kann bei der Überschuldungsprüfung im Rahmen der Fortführungsprognose berücksichtigt werden, dass Forderungen im Restrukturierungsplan gestaltet werden (Rz. 25).12

4. Entstehungsgeschichte 6 Die Norm ist im Gesetzgebungsverfahren im Wesentlichen unverändert geblieben. Allein der

vierte Absatz wurde redaktionell modifiziert,13 um klarzustellen, dass auch die Insolvenzantragspflicht nach § 42 Abs. 2 BGB erfasst ist. Vor der Streichung der §§ 2, 3 StaRUG-RegE im Rechtsausschuss14 (dazu § 43 Rz. 11) fand sich die Vorschrift in § 44 sowohl des Referenten- als auch des Regierungsentwurfs.

6 Vgl. ErwGr. 38 Restrukturierungs-RL. 7 Dazu etwa Laroche in Flöther, SanierungsR, 2019, Kap. F. Rz. 152 ff. 8 Vgl. Laroche in Flöther, SanierungsR, 2019, Kap. F. Rz. 159; vgl. ferner Janjuah in Morgen, Präventive Restrukturierung, 2019, Art. 7 Rz. 50 ff. 9 Bremen in Graf-Schlicker, 6. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 27; Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 2 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 2; Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 42 StaRUG Rz. 3; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 5. 10 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 144 f. 11 Vgl. Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 42 StaRUG Rz. 5; Curtze in Nerlich/Römermann§ 42 StaRUG Rz. 3, (Stand: 44. EL Nov. 2021); Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 7 f.; zweifelnd indes Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 4. 12 Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 145; Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2363. 13 Siehe Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) v. 15.12.2020 zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), BT-Drucks. 19/25353, S. 41. 14 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) v. 15.12.2020 zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), BT-Drucks. 19/25353, S. 15 f.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 9 § 42

II. Anwendungsbereich 1. Erfasste Gesellschaften Der Kreis der erfassten Gesellschaften ergibt sich aus dem Verweis auf § 15a InsO.15 Die 7 Norm erfasst demnach Kapitalgesellschaften und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit i.S.d. § 15a Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 InsO (ab 1.1.2024: rechtsfähige Personengesellschaften)16.17 Verbindendes Element dieser Gesellschaften ist, dass kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. Es kann auf Judikatur und Literatur zu § 15a InsO zurückgegriffen werden.18 Erfasst sind die AG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AktG), die KGaA (§ 278 Abs. 1 AktG), die GmbH (§ 13 Abs. 1 GmbHG) inklusive UG, die SE (Art. 1 Abs. 1 SE-VO) sowie die eG (§ 17 Abs. 1 GenG), ferner kapitalistische Personengesellschaften (vor allem die GmbH & Co. KG).19 Nicht eingeschlossen sind hingegen sonstige Personengesellschaften.20 Bei mehrfach gestuften oder mehrstöckigen Personengesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, gilt § 15a Abs. 2 InsO, auf den § 42 Abs. 1 Satz 1 StaRUG verweist. Der Anwendungsbereich erstreckt sich dann auch auf organschaftliche Vertreter nur mittelbarer Gesellschafter.21 Auch Vorstände eines Vereins unterliegen der Insolvenzanzeigepflicht, da die Norm aus- 8 drücklich auch auf § 42 Abs. 2 BGB verweist. Besonderheiten gelten indes nach § 42 Abs. 3 Satz 1 StaRUG hinsichtlich der Strafbarkeit (Rz. 120).

2. Internationaler Anwendungsbereich Der deutsche Gesetzgeber hat keine Regelung zum Internationalen Restrukturierungsrecht ge- 9 troffen. Sofern eine öffentliche Restrukturierungssache i.S.d. Anhangs A zu Art. 1 EuInsVO22 vorliegt, findet das Recht am Center of Main Interest (COMI) gem. Art. 7 i.V.m. Art. 3 EuInsVO Anwendung.23 Die Suspendierung der Insolvenzantragspflicht sowie die Insolvenzanzeigepflicht gem. § 42 Abs. 1 StaRUG sind dann – wie die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO – insolvenzrechtlich zu qualifizieren (Anhang zu § 88 Rz. 217). Damit gilt § 42 StaRUG auch für ausländische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland, die eine Restrukturierungssache anzeigen und damit rechtshängig machen.24 In der Folge ist auch die

15 Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 145. 16 § 15a InsO Überschrift, Abs. 1 Satz 3 geändert mit Wirkung vom 1.1.2024 durch Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436, 3452). 17 Vgl. Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 9; zu den spezialgesetzlichen Regelungen s. etwa Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 4 f.; Sorg in Braun, 9. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 10; zu § 15a InsO. 18 Ausführlich Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 47 ff.; knapper K. Schmidt/ Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 8. 19 Zu § 15a InsO s. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 48 f.; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 9, 12 ff. 20 Statt aller K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 8. 21 Vgl. A. Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 15a InsO Rz. 6; Hess in KölnKomm/InsO, 2016, § 15a InsO Rz. 10; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 13; Sorg in Braun, 9. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 26. 22 VO (EU) 2015/848 in der seit 9.1.2022 geltenden Fassung. 23 J. Schmidt, ZInsO 2021, 654, 654–656; Skauradszun, NZI 2021, 568, 568–570; Thole, ZIP 2021, 2153, 2153 f. 24 Dazu auch Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 10.

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§ 42 Rz. 9 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift Insolvenzverschleppungshaftung insolvenzrechtlich zu qualifizieren und unterfällt nicht dem Gesellschaftsstatut (Anhang zu § 88 Rz. 225). 10 Im Falle eines sog. vertraulichen Restrukturierungsverfahrens findet das Recht auf die Insol-

venzanzeigepflicht sowie die korrespondierende Insolvenzverschleppungshaftung Anwendung, welches auf das Restrukturierungsverfahren Anwendung findet. Mangels gesetzlicher Regelung herrscht insofern Streit sowohl hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit als auch des daraus regelmäßig folgenden anwendbaren Rechts. Während einige Stimmen für die Anwendbarkeit der EuGVVO (Brüssel Ia-VO) plädieren,25 spricht sich die überwiegende Ansicht für die Geltung autonomen Rechts aus. Demnach würde sich die Zuständigkeit aus einer analogen Anwendung des § 35 StaRUG (sog. doppelfunktionale Anwendung der örtlichen Zuständigkeitsvorschriften, dazu Anhang zu § 88 Rz. 151) ergeben. Berufen ist das Gericht, in dessen Bezirk der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners liegt. Das anwendbare Recht ergibt sich sodann nach überwiegender Ansicht aus der lex fori (concursus),26 teils gestützt auf eine (analoge) Anwendung des § 335 InsO (dazu Anhang zu § 88 Rz. 267 ff.).27

3. Zeitlicher Anwendungsbereich 11 Die Vorschrift gilt ausweislich ihres Wortlauts während der Rechtshängigkeit der Restruktu-

rierungssache, die nach § 31 Abs. 3 StaRUG mit der Anzeige beim Restrukturierungsgericht beginnt.28 Sie endet mit Erfüllung durch einen Verpflichteten, durch Wegfall der Insolvenzanzeigegründe oder nach § 31 Abs. 4 StaRUG in dem Zeitpunkt, in dem die Anzeige der Restrukturierungssache ihre Wirkung verliert (eingehend § 31 Rz. 25 ff.).29 Der letzte Fall tritt ein, wenn das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache aufhebt (§ 33 StaRUG).30 In der Folge leben sämtliche ruhenden Insolvenzantragspflichten (nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB) wieder auf. Das stellt auch § 42 Abs. 4 StaRUG klar.31

12 Im Grundfall besteht die Anzeigepflicht und die Antragspflicht ist suspendiert, wenn Zah-

lungsunfähigkeit und Überschuldung erst während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache eintreten. § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG erfasst allerdings auch Fälle, in denen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung schon vor Rechtshängigkeit eingetreten sind und während der Rechtshängigkeit fortbestehen.32 Dieser Fall kann eintreten, wenn der Schuldner ent25 J. Schmidt, ZInsO 2021, 654, 657 ff., mit dem Ergebnis, dass das Gesellschaftsstatut gem. Art. 24 Nr. 2 EuGVVO und damit für europäische und U.S.-Gesellschaften die Gründungstheorie gilt. Dagegen Madaus, Darf der StaRUG-Plan Rechtsverhältnisse gestalten, die ausländischem Recht unterliegen?, https://stephanmadaus.de/tag/starug/; Thole, ZIP 2021, 2153, 2155 f. 26 Thole, ZIP 2021, 2153, 2159 (lex fori); Kahlert/M. Schumann, DStR 2021, 2741, 2749. 27 Für eine analoge Anwendung Skauradszun in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 84 StaRUG Rz. 98 ff.; Skauradszun, NZI 2021, 568, 571 f.; abw. Madaus, Darf der StaRUG-Plan Rechtsverhältnisse gestalten, die ausländischem Recht unterliegen?, https://stephanmadaus.de/tag/starug/; dagegen Thole, ZIP 2021, 2153, 2157 f. 28 Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 11; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 13 f.; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 42 StaRUG Rz. 4 ff. 29 Dazu auch Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 15; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 24 ff. 30 Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 11; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 42 StaRUG Rz. 9. 31 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 145; Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 29; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 66; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 23. 32 So auch Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9; Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 42 StaRUG Rz. 7; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 42 StaRUG Rz. 22; für § 32 Abs. 3 StaRUG auch Kramer in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 32 StaRUG Rz. 36.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 14 § 42

weder vor Rechtshängigkeit pflichtwidrig seiner Insolvenzantragspflicht nicht nachgekommen ist oder er noch innerhalb der Höchstfristen des § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO das Restrukturierungsvorhaben nach § 31 StaRUG anzeigt. Diese Szenarien hatte der Gesetzgeber wohl nicht vor Augen, weil das Restrukturierungsverfahren der materiellen Insolvenz vorgelagert sein soll. Auch in diesen Fällen ist die Insolvenzantragspflicht suspendiert und an ihre Stelle tritt die Insolvenzanzeigepflicht gem. § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG.33 Für diese formale Betrachtungsweise spricht nicht nur der Wortlaut, der keinen Vorbehalt für eine zuvor bestehende Insolvenzantragspflicht enthält, sondern auch das Bedürfnis nach Rechtssicherheit aufgrund der drakonischen Rechtsfolgen, die den Anzeigepflichtigen drohen. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass während der Rechtshängigkeit die Vorgaben des § 42 Abs. 1 StaRUG gelten und nicht unbemerkt die Insolvenzantragspflicht fortbesteht. Andernfalls müssten die Verpflichteten – und letztlich auch das Restrukturierungsgericht – stets schon bei der Anzeige das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung nicht nur gegenwartsbezogen, sondern auch für die Vergangenheit prüfen. Der damit verbundene Mehraufwand und die erzeugte Rechtsunsicherheit wären nicht gerechtfertigt, da durch die Anwendung des § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG keine Nachteile drohen: Das Restrukturierungsgericht kann das Verfahren nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG aufheben und es besteht keine Sanktionslücke, da einerseits eine einmal verwirklichte Straftat sowie eine bereits eingetretene Haftung wegen Insolvenzverschleppung unberührt bleiben (Rz. 14) und andererseits die Verletzung der Insolvenzanzeigepflicht selbst ebenfalls straf- und haftungsbewehrt ist.34 Zur Folgefrage, ob die Anzeigepflichtigen eine Sanierungsfrist von drei beziehungsweise sechs/acht Wochen in Anspruch nehmen können Rz. 34 ff.

III. Ruhen der Insolvenzantragspflicht § 42 Abs. 1 StaRUG suspendiert die Insolvenzantragspflichten nach § 15a InsO sowie § 42 13 Abs. 2 BGB und ersetzt sie durch eine Insolvenzanzeigepflicht. Die Antragspflicht endet mit Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. Diese beginnt gem. § 31 Abs. 3 StaRUG mit der Anzeige der Restrukturierungssache beim Restrukturierungsgericht durch den Schuldner. Es genügt damit die Anzeige, einer Eröffnungsentscheidung bedarf es nicht.35 Welche Anforderungen an die Anzeige zu stellen sind, ist nicht anders zu beurteilen als für § 31 Abs. 3 StaRUG, weshalb auf die dortige Kommentierung verwiesen werden kann (§ 31 Rz. 23). Nach überwiegender Ansicht sollen jedenfalls inhaltliche Defizite der beizufügenden Unterlagen i.S.d. § 31 Abs. 2 StaRUG die Rechtshängigkeit nicht verhindern.36 Bestand bereits vor Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache eine Insolvenzantragspflicht, 14 wandelt sie sich mit Rechtshängigkeit ex nunc in eine Insolvenzanzeigepflicht um.37 Zur Frage, ob sich eine etwaige Sanierungsfrist in das Restrukturierungsverfahren überträgt, s.

33 Ähnlich Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 42 StaRUG Rz. 21 ff. 34 Vgl. Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 42 StaRUG Rz. 23; zur fehlenden Rückwirkung auch Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 9 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Janjuah/ Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 44. 35 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 9 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 14; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 6. 36 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 7 (Stand: 44. EL Nov. 2021); a.A. Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 14. 37 Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 10; Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 9 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 16; Thole, ZIP 2020, 1985, 1991; vgl. auch Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 42 StaRUG Rz. 23.

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§ 42 Rz. 14 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift Rz. 34 ff. Wurde die Insolvenzantragspflicht bereits vor Rechtshängigkeit verletzt, kommt der Umwandlung in eine Insolvenzanzeigepflicht keine heilende Wirkung zu.38 Haftung und Strafbarkeit für eine einmal verwirklichte Insolvenzverschleppung entfallen nicht.39 15 Die Insolvenzantragspflicht lebt wieder auf, sobald die Rechtshängigkeit der Restrukturie-

rungssache endet. Das stellt § 42 Abs. 4 StaRUG ausdrücklich klar.40 Die Anzeige der Restrukturierungssache verliert ihre Wirkung in den Fällen des § 31 Abs. 4 StaRUG.41

IV. Insolvenzanzeigepflicht 1. Anzeigepflichtige 16 Anzeigepflichtig sind alle Personen, die ohne Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache

gem. § 15a InsO oder § 42 Abs. 2 BGB insolvenzantragspflichtig wären.42 a) Geschäftsleiter, organschaftliche Vertreter, Liquidatoren

17 Anzeigepflichtig sind die Geschäftsleiter der erfassten Kapitalgesellschaften. Geschäftsleiter

sind dabei die Mitglieder der geschäftsführenden Organe, namentlich GmbH-Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder einer AG.43 Hinzu zählen auch gerichtlich bestellte Notgeschäftsführer, grundsätzlich jedoch nicht sonstige Personen (etwa leitende Angestellte, Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte).44 Pflichten und Haftung greifen mit Wirksamwerden der Bestellung und enden mit der Beendigung der Amtsstellung, ohne dass es auf den Anstellungsvertrag ankäme.45 Ausgeschiedene Geschäftsleiter haften über das Amtsende hinaus nur, wenn sie die Geschäftsführung weiter ausüben und als faktische Geschäftsleiter anzusehen sind.

18 Handelt es sich um eine gleichgestellte Personengesellschaft i.S.d. § 15a Abs. 1 Satz 3 InsO,

trifft die Insolvenzanzeigepflicht die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter.46 Im Fall der GmbH & Co. KG ist demnach der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH Pflichtenadressat.47 Bei mehrfach gestuften oder mehrstöckigen Personengesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, gilt § 15a Abs. 2 InsO, auf den § 42 Abs. 1 Satz 1 StaRUG verweist.

38 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 9 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 44. 39 Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 10; Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 9 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 44. 40 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 13 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 42 StaRUG Rz. 12; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 23. 41 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 13 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 15. 42 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 14 (Stand: 44. EL Nov. 2021). 43 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 66; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 15; Sorg in Braun, 9. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 12. Str. ist, wer für die KGaA insolvenzantragspflichtig ist (dazu m.w.N. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 67). 44 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 66; Steffek in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 26 (Stand: 89. EL August 2021). 45 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 71 f. 46 Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 12; zu den Abwicklern ausführlich Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 109 ff. 47 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 98; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 15.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 21 § 42

Der Anwendungsbereich erstreckt sich dann auch auf organschaftliche Vertreter nur mittelbarer Gesellschafter.48 Befindet sich die Gesellschaft in Liquidation, sind auch die Abwickler der Gesellschaften er- 19 fasst; das ergibt sich aus dem Verweis auf § 15a InsO.49 Die Anzeigepflicht trifft jedes einzelne Organmitglied, unabhängig von der internen Ressort- 20 aufteilung.50 Es handelt sich um eine nicht übertragbare Aufgabe eines jeden einzelnen Geschäftsleiters.51 b) Fehlerhafte und faktische Geschäftsleiter Parallel zu § 15a InsO sind Erweiterungen etwa mit Blick auf fehlerhaft bestellte und fak- 21 tische Geschäftsleiter denkbar. Leidet die Bestellung an einem Wirksamkeitsmangel, trifft die Anzeigepflicht die fehlerhaft bestellten Geschäftsleiter.52 Ebenso erfasst die Vorschrift in analoger Anwendung faktische Geschäftsleiter, die zwar formal keine Organmitglieder sind, gleichwohl aber in maßgeblichem Umfang die Geschäftsführung in organtypischer Weise wahrnehmen.53 Denn schon früh hatte der BGH die Haftung faktischer Organe zur Insolvenzverschleppung entwickelt54 und später zu den Zahlungsverboten bei materieller Insolvenz (vormals § 64 GmbHG, heute § 15b InsO) bestätigt.55 Dass der BGH die Insolvenzanzeigepflicht anders beurteilen wird, ist nicht zu erwarten. Allerdings ist gerade mit Blick auf die GmbH zu beachten, dass allein eine engmaschige Weisungserteilung der Gesellschafter für eine faktische Geschäftsführung nicht genügt.56

48 Vgl. K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 13; Sorg in Braun, 9. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 26; Steffek in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 54 (Stand: 89. EL August 2021). 49 Vgl. zu § 15a InsO Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 52; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 3, 11; Sorg in Braun, 9. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 22; Steffek in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 16 (Stand: 89. EL August 2021); Wolfer in BeckOK/InsR, § 15b InsO Rz. 7 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022). 50 Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 15. Für § 15a InsO gleichsinnig Casper in Habersack/ Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 50; Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 8, 31; Leithaus in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 15a InsO Rz. 3; Schmerbach in FK/InsO, 9. Aufl. 2018, § 15a InsO Rz. 15; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 15; Steffek in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 27 (Stand: 89. EL August 2021); s. ferner BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92 (jetzt II ZR 81/94), NJW 1994, 2149, 2150 (zu § 64 Abs. 1 GmbHG a.F.). 51 Vgl. BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92 (jetzt II ZR 81/94), NJW 1994, 2149, 2150. 52 Vgl. Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 10; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 16 f.; Steffek in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 33 (Stand: 89. EL August 2021). 53 Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 13; vgl. auch BGH v. 28.9.1992 – II ZR 299/91, BGHZ 119, 257, 261 (zu § 43 Abs. 2 GmbHG); Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 266; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 53; Hess in KölnKomm/InsO, 2016, § 15a InsO Rz. 24 ff.; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 75 ff.; Wagner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665, 1689 f. 54 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 46 ff.; BGH v. 24.10.1973 – VIII ZR 82/72, WM 1973, 1354, 1355. 55 BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550. 56 Für § 43 GmbHG schon BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61, 69; Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 240; für § 15a InsO auch Klöhn in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 78.

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§ 42 Rz. 22 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift c) Gesellschafter und Mitglieder der Aufsichtsorgane aa) Grundsätzlich keine Anzeigepflicht 22 Nicht erfasst sind hingegen die Mitglieder der Aufsichtsorgane. Allein die bloße Billigung

führt damit weder zu einer Strafbarkeit noch zu einer Haftung der Aufsichtsratsmitglieder im Außenverhältnis.57 Nehmen sie hingegen Einfluss auf die Geschäftsleiter, kommt eine Teilnahme (§ 830 BGB) in Betracht.58 Auch die Gesellschafter sind grundsätzlich nicht zur Anzeige verpflichtet. Zum Sonderfall der Führungslosigkeit Rz. 23 f. bb) Ausnahme bei Führungslosigkeit

23 Während der Führungslosigkeit der schuldnerischen Gesellschaft ist der Adressatenkreis der

Insolvenzanzeigepflicht erweitert, wie sich aus dem Verweis auf § 15a Abs. 3 InsO ergibt.59 Für die GmbH müssen dann die Gesellschafter die Insolvenz anzeigen,60 für die AG oder Genossenschaft jedes Mitglied des Aufsichtsrats.61 Das gilt nicht, wenn die subsidiär Verpflichteten von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis haben. Entlastend wirkt dabei bereits die (auch fahrlässige) Unkenntnis der materiellen Insolvenz oder der Führungslosigkeit.62 Die Beweislast dafür tragen allerdings – aufgrund der negativen Gesetzesformulierung in § 15a Abs. 3 InsO – die Gesellschafter und Aufsichtsratsmitglieder.63

24 Zur Bestimmung der Führungslosigkeit kann die Legaldefinition in § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO

herangezogen werden. Danach ist die Gesellschaft führungslos, wenn kein organschaftlicher Vertreter vorhanden ist. Bloße Nichterreichbarkeit des Organmitglieds genügt hingegen nicht, da es nicht an einem Verantwortlichen fehlt,64 sofern nicht in der Abwesenheit zugleich eine konkludente Amtsniederlegung zu erblicken ist.65 Auf der anderen Seite schließen sich faktische Geschäftsführung und Führungslosigkeit nicht aus.66 Im Falle der Führungslosigkeit trifft die Pflicht jeden einzelnen Gesellschafter oder jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied. Liegt

57 Vgl. K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 18. 58 K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 18. 59 So auch Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 145; Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 42 StaRUG Rz. 6. 60 Haffa/Schuster in Braun, 2021, § 42 StaRUG Rz. 6; ferner H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 70. Zum übertragbaren Streit, ob anstelle der Gesellschafter die Mitglieder eines GmbH-Aufsichtsrats, der die Geschäftsführer bestellen kann, pflichtig werden, s. etwa Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 56 f.; Haas in Noack/Servatius/ Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 307; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 22; Steffek in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 40 (Stand: 89. EL August 2021). 61 Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 14. 62 Vgl. Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 23; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 23 (kritisch zur Entlastung von Aufsichtsratsmitgliedern bei Kennenmüssen); Steffek in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 45 f. (Stand: 89. EL August 2021). 63 Vgl. dazu K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 23; Sorg in Braun, 9. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 29. 64 AG Hamburg v. 27.11.2008 – 67c IN 478/08, NJW 2009, 304, 304 = ZIP 2009, 333; vgl. ferner Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 19; Steffek in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 38 (Stand: 89. EL August 2021). 65 Berger, ZInsO 2009, 1977, 1980 f.; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 19. 66 So auch Hess in KölnKomm/InsO, 2016, § 15a InsO Rz. 20; Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 22; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 16, 19.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 29 § 42

Führungslosigkeit vor, müssen die subsidiär Verantwortlichen konsequenterweise zur Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auch berechtigt sein.

2. Voraussetzungen der Anzeigepflicht Eine Pflicht zur Anzeige besteht nur für eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit nach § 17 25 InsO sowie die Überschuldung gem. § 19 InsO, nicht hingegen für die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO. Wann Zahlungsunfähigkeit vorliegt, normiert § 17 Abs. 2 InsO. Die Prüfung wird durch das Restrukturierungsverfahren kaum beeinflusst, da selbst eine Stabilisierungsanordnung nicht zu einer Stundung der Forderungen führt (§ 49 Rz. 44). Anders kann dies bei der Überschuldung gem. § 19 Abs. 2 InsO sein.67 Denn bei der Fortführungsprognose kann neben konsensualen Sanierungsversuchen auch das Instrumentarium des StaRUG berücksichtigt werden.68 Das gilt insbesondere für die geplante Gestaltung von Forderungen im Restrukturierungsplan, aufgrund derer die Überschuldung möglicherweise überwunden wird – sei es, weil die Fortführungsprognose positiv bleibt oder wird, sei es, weil die bilanzielle Überschuldung überwunden wird.69 Die Anzeigepflicht besteht, solange Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung fortbestehen 26 und die Restrukturierungssache rechtshängig ist. Eine vor Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache bestehende Insolvenzantragspflicht gem. § 15a Abs. 1 InsO wandelt sich mit der Anzeige des Schuldners nach § 31 StaRUG in eine Insolvenzanzeigepflicht nach § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG um (Rz. 14). Die Anzeigepflicht ist nicht dispositiv, kann also insbesondere nicht durch eine Weisung der 27 Gesellschafter aufgehoben werden.70

V. Anzeige und Anzeigefrist 1. Anzeige Ist die schuldnerische Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet, müssen die Geschäfts- 28 leiter, Abwickler oder subsidiär Verpflichteten (Rz. 23 f.) dies dem nach §§ 34 f. StaRUG zuständigen Restrukturierungsgericht gem. § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG anzeigen. Die Pflicht trifft jeden einzelnen Verpflichteten (Rz. 20). Auf die Vertretungsbefugnis kommt es nicht an.71 Das Gesetz formuliert – anders als für den Antrag nach §§ 13, 15a InsO72 – keine formalen 29 oder inhaltlichen Anforderungen.73 Das korrespondiert mit dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 39 Abs. 1 StaRUG. Die Mindestanforderungen an die Anzeige sind folglich gering: Aus ihr muss zunächst nur hervorgehen, dass die schuldnerische Gesellschaft zahlungsunfähig

67 Zur Neufassung des Überschuldungstatbestands etwa Bitter, ZIP 2021, 321, 323 f. 68 Vgl. Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2363; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 9; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 39, 59; Kramer in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 32 StaRUG Rz. 38. 69 Vgl. Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 39, 60. 70 Vgl. Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 12. 71 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 21 (Stand: 44. EL Nov. 2021). 72 Dazu Sorg in Braun, 9. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 21. 73 Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 24; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 51 (allerdings mit gesteigerten Anforderungen in Rz. 52 ff.); a.A. Kuleisa in Hamburger Kommentar zum Restrukturierungsrecht, 3. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 5, 12.

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§ 42 Rz. 29 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift oder überschuldet ist.74 Es besteht ein Gleichlauf mit der allgemeinen Anzeigepflicht des Schuldners gem. § 32 Abs. 3 StaRUG.75

2. Insolvenzantrag (§ 42 Abs. 2 StaRUG) 30 Anstelle der Insolvenzanzeige gegenüber dem Restrukturierungsgericht können die Verpflich-

teten nach § 42 Abs. 2 StaRUG auch einen Insolvenzantrag beim zuständigen Insolvenzgericht stellen. Die Vorschrift des Abs. 2 StaRUG ist nicht lediglich deklaratorisch, da die Insolvenzanzeige kein Minus, sondern ein Surrogat zum Insolvenzantrag ist.76 Die Norm schützt damit Anzeigepflichtige, die ins Insolvenzverfahren wechseln wollen (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) oder sich der geänderten Pflichtenlage nicht bewusst sind und deshalb fälschlicherweise einen Insolvenzantrag stellen, statt die Insolvenz anzuzeigen.

3. Anzeigefrist a) Fristbeginn 31 Die Anzeige muss ohne schuldhaftes Zögern erfolgen. Die Formulierung entspricht der des

§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO, weshalb der Beginn der Anzeigefrist sowohl hinsichtlich der Zahlungsunfähigkeit als auch der Überschuldung nach überzeugender Ansicht objektiv zu bestimmen ist.77 Die Erkennbarkeit ist erst auf der zweiten Stufe relevant, auf der geprüft wird, ob die verzögerte Anzeige gegenüber dem Restrukturierungsgericht schuldhaft war (Rz. 32 f.). Demgegenüber wollen BGH und Teile der Literatur für die Insolvenzantragsfrist schon hinsichtlich des Fristbeginns auf die objektive Erkennbarkeit abstellen.78 Unterschiede zum objektiven Beginn ergeben sich vor allem bei der Berechnung der Höchstfristen nach § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO, die nach der zweiten Ansicht erst ab Erkennbarkeit von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu laufen beginnen. Das ist indes mit dem Wortlaut der Vorschrift unvereinbar, denn diese spricht von „spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung“ und enthält damit keinerlei Hinweise auf ein subjektives Element.79 Dem Streit kommt für § 42 StaRUG aber ohnehin nur dann praktische 74 Ähnlich Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 22 (Stand: 44. EL Nov. 2021); strenger hingegen Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 52 (glaubhaft machen); Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 16 (glaubhaft machen); zu sinnvollem weiteren Inhalt, etwa für die Beurteilung nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG, s. Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 23 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 24; insofern ebenfalls strenger Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 55 f. 75 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 47; Smid, ZInsO 2021, 117, 124. 76 Vgl. auch Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 42 StaRUG Rz. 26; von „Pflichtenänderung“ spricht Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 5. 77 Ebenso Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 17 (Stand: 44. EL Nov. 2021); für § 15a Abs. 1 InsO: Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 119 (m.w.N. zu den vertretenen Ansichten); Kunz in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 2 Rz. 86; Sorg in Braun, 9. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 17; für die Bestimmung der Drei-Wochen-Frist auch Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 281. 78 So BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 = NZG 2012, 672 Rz. 13 (zu § 64 Abs. 2 GmbHG a.F.); BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 185 (zu § 64 S. 1 GmbHG a.F.); Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 83; Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 14; Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 13; Linker in HambKomm/ InsO, 7. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 16; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 74; a.A. (positive Kenntnis) Schmerbach in FK/InsO, 9. Aufl. 2018, § 15a InsO Rz. 33. 79 Zutreffend Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 281; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 119.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 34 § 42

Bedeutung zu, wenn man entgegen der überwiegenden Ansicht überhaupt von der Existenz einer Sanierungsfrist im Restrukturierungsverfahren ausgeht (dazu Rz. 34 ff.). b) Fristdauer Die Fristdauer wird in § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG lediglich vage durch das Gebot umschrie- 32 ben, die Anzeige ohne schuldhaftes Zögern zu unterlassen. Erster Anhaltspunkt ist damit, zu welchem Zeitpunkt Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung objektiv vorlagen (Rz. 31). Die Anzeigefrist läuft allerdings erst ab, wenn das Vorliegen der Insolvenzgründe für die Anzeigepflichtigen erkennbar war.80 Damit überschneidet sich die Prüfung wesentlich mit dem Verschulden im Rahmen der Insolvenzverschleppungshaftung (ausführlich Rz. 54 ff.). Insbesondere die Prüfung der Insolvenzreife durch die Anzeigepflichtigen kann zu einer gewissen Verzögerung führen, die entschuldigt ist.81 Die Anforderungen an die Prüfung sind im Falle des § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG allerdings 33 hoch, da sich die von ihnen geleitete oder abzuwickelnde Gesellschaft bereits im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit befindet.82 Geschäftsleiter und Abwickler sind deshalb verpflichtet, sich fortlaufend und intensiv über die finanzielle Lage der Gesellschaft zu unterrichten.83 Dazu gehören sowohl ständig aktualisierte Prognosen über die Zahlungsströme zumindest der nächsten zwölf Monate sowie die Erstellung und Aktualisierung eines Vermögensstatus.84 Entsprechend knapp ist der Prüfungszeitraum zu bemessen. c) Sanierungsfrist Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Verpflichteten auch eine Sanierungsfrist in An- 34 spruch nehmen können. Für die Parallelvorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 1 InsO und dessen Vorgängervorschriften wird seit Jahrzehnten von BGH und herrschender Ansicht vertreten, dass die Insolvenzantragstellung zugunsten von Sanierungsversuchen hinausgeschoben werden darf.85 Voraussetzung ist, dass den Interessen der Gläubiger durch den Sanierungsversuch besser Rechnung getragen wird als durch ein Insolvenzverfahren.86 Der Gesetzgeber geht ebenfalls von der Existenz einer Sanierungsfrist aus und sieht für diese in § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO Höchstfristen von drei Wochen ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs (bzw. gem. § 4a SanInsKG bis 31.12.2023: acht) Wochen ab Eintritt der Überschuldung vor.87 Eine Verzögerung innerhalb der drei beziehungsweise sechs/acht Wochen ist damit nicht notwendig schuldhaft. Umgekehrt besteht allerdings kein Automatismus, wonach die Höchstfrist stets voll ausgereizt werden dürfte.88 Vielmehr ist der Antrag zu stellen, sobald die materielle

80 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 18 (Stand: 44. EL Nov. 2021). 81 Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 14; ähnlich auch Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 18 (Stand: 44. EL Nov. 2021). 82 Vgl. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 32 StaRUG Rz. 22. 83 Vgl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199. 84 Vgl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199; zur Liquiditätsbilanz auch Theiselmann, ZInsO 2021, 2293, 2294 f. 85 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 108 ff. – Herstatt; BGH v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, NZI 2012, 413 = ZIP 2012, 723 Rz. 11; Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 15 f.; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 121; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 31. 86 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 108 – Herstatt. 87 So schon zu § 92 Abs. 2 AktG a.F. BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 108 – Herstatt. 88 Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 117; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 31.

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§ 42 Rz. 34 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift Insolvenz erkennbar ist und keine Aussicht auf eine Sanierung innerhalb der Höchstfrist besteht.89 35 Ob eine derartige Sanierungsfrist auch im Rahmen des § 42 Abs. 1 StaRUG besteht, ist frag-

lich und wird von der herrschenden Ansicht abgelehnt.90 Dafür könnte der weitgehende Gleichlauf der Anzeigepflicht mit der Antragspflicht sprechen. Zudem könnten Geschäftsleiter vor Anzeige der Restrukturierungssache zweifellos eine Sanierungsfrist in Anspruch nehmen. Verlangt man nun ab Rechtshängigkeit eine sofortige Insolvenzanzeige, drohte das abrupte Ende einer grundsätzlich bestehenden Sanierungsfrist. Zwar hat das Restrukturierungsgericht gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG die Möglichkeit, das Restrukturierungsverfahren nicht sofort wieder zu beenden, allerdings sind die Hürden hoch. Die Voraussetzungen für eine Fortführung der Restrukturierungssache dürften etwa nicht vorliegen, wenn erst mit der Ausarbeitung eines Plans begonnen wird.91 Der Gang ins Restrukturierungsverfahren würde somit unattraktiv und die Instrumente des StaRUG stünden während der Sanierungsfrist nicht zur Verfügung.92

36 Die Frage kann praktische Bedeutung für die Überschuldung erlangen, da diese schon deutlich

vor der Abstimmung über den Plan entfallen kann. Im Rahmen der Fortführungsprognose kann nämlich bereits berücksichtigt werden, dass die Forderungen voraussichtlich durch den Plan gestaltet werden.93 Stehen die Zeichen auf Zustimmung zum Plan und würde dieser die Überschuldung beseitigen, entfiele auch die Pflicht zur Anzeige nach § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG.94 Folglich ist eine Abstimmung innerhalb der sechs (bzw. gem. § 4a SanInsKG bis 31.12.2023: acht) Wochen nicht erforderlich. Bedeutung hat die Fragestellung deshalb vor allem für Fälle, in denen die Überschuldung schon vor oder kurz nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache eintritt, der Plan aber noch nicht weit genug ausgearbeitet ist, um die Fortführungsprognose bereits zu beeinflussen. Entfällt die positive Fortführungsprognose hingegen erst in einem späteren Verfahrensstadium, dürfte dies vielfach mit dem Scheitern der Restrukturierungsverhandlungen (§ 32 Abs. 4 StaRUG) zusammenfallen, womit das Restrukturierungsverfahren ohnehin endet (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG). Demgegenüber lässt sich die Zahlungsunfähigkeit durch die Instrumente des StaRUG regelmäßig nicht innerhalb von drei Wochen beseitigen, führt doch die Aussetzung der Vollstreckung nach § 49 StaRUG nicht zu einer Stundung der Forderung (§ 49 Rz. 44).95 89 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, NZI 2012, 413 = ZIP 2012, 723 Rz. 11; Klöhn in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 125. 90 Gegen eine Sanierungsfrist im Restrukturierungsverfahren Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 19 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 48; Köllner, NZI-Beilage 2021, 71, 72; Kramer in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 32 StaRUG Rz. 41; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 14; Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 12; wohl auch Desch, BB 2020, 2498, 2501; Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 25 (allerdings nur mit Bezug zur Drei-Wochen-Frist für die Zahlungsunfähigkeit, die nicht bestehe). 91 Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 139: „Eine Fortführung der Restrukturierungssache trotz eingetretener Insolvenzreife ist nur dann denkbar, wenn die angestrebte Restrukturierung kurz vor ihrem Abschluss steht, insbesondere weil die Bestätigung eines bereits angenommenen Restrukturierungsplans unmittelbar bevorsteht, und zu erwarten ist, dass sie auch zur Beseitigung der eingetretenen Insolvenzlage führt (Satz 2).“ Vgl. auch Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 2, nach denen „hohe Anforderungen“ zu stellen sind, insbesondere müsse die Mehrheit von 75 % in den jeweiligen Gruppen durch entsprechende Willensbekundungen dokumentiert werden. 92 Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 21. 93 Vgl. Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9; Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 20, 22; Kramer in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 32 StaRUG Rz. 38; Kunz in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 2 Rz. 12, 29 f.; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 32 StaRUG Rz. 21. 94 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 139; vgl. ferner Kramer in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 32 StaRUG Rz. 38. 95 Desch, BB 2020, 2498, 2499; Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 19; s. auch Kunz in Kluth/ Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 2 Rz. 31 zur Nichtberücksichtigung geplanter Maßnahmen bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 39 § 42

Auf der anderen Seite sprechen gewichtige Argumente gegen die Annahme einer Sanie- 37 rungsfrist innerhalb des Restrukturierungsverfahrens, allen voran die fehlenden Obergrenzen in § 42 Abs. 1 StaRUG.96 Zudem hat der Gesetzgeber den Fall erfolgversprechender Sanierungsbemühungen gesehen und in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG eine Regelung getroffen.97 Daraus lässt sich – wenngleich nicht zwingend – schließen, dass die Entscheidung nicht mehr beim Schuldner liegen und die Anforderungen an die Fortführung strenger sein sollen.98 Dafür spricht auch, dass die Beschränkungen von Auszahlungen während der Sanierungsfrist weniger streng ausfielen als im Zeitraum der gerichtlichen Entscheidung über die Insolvenzanzeige (Rz. 104 f.), ohne dass dafür sachliche Gründe erkennbar wären. Diese systematischen Argumente gegen eine Sanierungsfrist korrespondieren auch mit der Konzeption des Restrukturierungsverfahrens als ein vorinsolvenzliches Verfahren (§ 29 Rz. 2).99 Sofern man Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung als negative Eingangsvoraussetzungen des Restrukturierungsverfahrens ansieht,100 muss man sich konsequenterweise auch gegen eine Sanierungsfrist aussprechen. Zuletzt dürfte das praktische Bedürfnis nach einer Sanierungsfrist im Rahmen des § 42 38 Abs. 1 StaRUG gering sein. Ein möglicher Ausweg für die Praxis hinsichtlich der Überschuldung besteht darin, die Ausgestaltung des Restrukturierungsplans während der sechs/acht Wochen soweit voranzutreiben, bis die Fortführungsprognose wieder positiv wird, ohne die Restrukturierungssache bereits rechtshängig zu machen.101 Denn für die Berücksichtigung einer wahrscheinlichen Forderungsgestaltung durch den Plan ist es nicht erforderlich, dass die Restrukturierungssache bereits rechtshängig ist.102 Wird die Restrukturierungssache erst im Anschluss angezeigt, besteht mangels Überschuldung keine Insolvenzanzeigepflicht gem. § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG.

VI. Haftung für verspätete Insolvenzanzeige gegenüber Altgläubigern 1. Überblick Die Haftung wegen verspäteter Insolvenzanzeige weist Parallelen zur Haftung wegen verspäte- 39 ter Insolvenzantragstellung auf. Neugläubiger können – gestützt auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG – ihren Vertrauensschaden liquidieren (Rz. 80 ff.). Altgläubigern steht hingegen lediglich der Quotendifferenzschaden zu. Ihr Anspruch ließe sich sowohl auf § 823 Abs. 2 BGB als auch auf § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG stützen. Da damit aber sowohl Außen- als auch Binnenhaftungsansprüche hinsichtlich desselben Schadenspostens bestehen würden, die im Fall der masselosen Insolvenz zu einer mehrfachen Inanspruchnahme der Geschäftsleiter führen könnten, wird die deliktische Haftung durch § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG verdrängt (Rz. 43 ff.). Nach hier vertretener Ansicht steht den Altgläubigern kein unmittel-

96 Vgl. auch Desch, BB 2020, 2498, 2501; Frind, ZInsO 2020, 2241, 2244; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 48. 97 So tendenziell Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 32 StaRUG Rz. 12; dazu auch Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 9. 98 So auch Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 19 (Stand: 44. EL Nov. 2021). 99 Dazu etwa Kramer in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 32 StaRUG Rz. 32. 100 So wohl Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18, 19; Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 2; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2227 f. 101 Nach Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 2, sind daran „hohe Anforderungen“ zu stellen, insbesondere müsse die Mehrheit von 75 % in den jeweiligen Gruppen durch entsprechende Willensbekundungen dokumentiert werden. Zur Vorbereitung s. auch Hölzle in Bieg/Borchardt/ Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, II. B. Rz. 33 ff. (S. 172 ff.). 102 So auch Kunz in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 2 Rz. 30.

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§ 42 Rz. 39 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift barer (deliktischer) Anspruch gegen die Geschäftsleiter zu. Vielmehr kommt ihnen der Schadensersatzanspruch der Gesellschaft mittelbar zugute.

2. Anspruchsgrundlage und Konkurrenzen 40 § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ist nach ganz überwiegender Ansicht Schutzgesetz i.S.d. § 823

Abs. 2 BGB.103 Die Norm schütze die Altgläubiger vor einer Schmälerung der Masse, die durch die fortgesetzte Geschäftstätigkeit außerhalb des Insolvenzverfahrens droht.104 Allerdings wird der Schaden der Altgläubiger ebenso durch § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG erfasst (Rz. 41 f.).105 Denn auch § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ist auf die Liquidierung des Gesamtschadens der Gläubiger und damit auf den Ausgleich des Quotenschadens gerichtet. a) Anwendbarkeit des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG

41 Die Anwendung des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG auf Altgläubigerschäden legt bereits der Wort-

laut nahe.106 Der Normtext verlangt von den Geschäftsleitern, dass sie die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreiben und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger im Blick behalten. Dazu gehört auch die Pflicht, die eingetretene Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung rechtzeitig gegenüber dem Restrukturierungsgericht anzuzeigen. Das ergibt sich bereits aus der Legalitätspflicht, da § 32 Abs. 3 StaRUG den Schuldner zur Anzeige der Insolvenz verpflichtet. Das bindet auch die Organe der schuldnerischen Gesellschaft. Organmitglieder, die in strafbarer Weise gegen die Legalitätspflicht verstoßen, erfüllen erkennbar nicht die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Würde man die Insolvenzanzeigepflicht des Schuldners vom Anwendungsbereich des § 43 Abs. 1 StaRUG ausnehmen, müsste man dies konsequenterweise ebenso für § 32 Abs. 4 StaRUG vertreten. Dann bliebe allerdings die Nichtanzeige der Aussichtslosigkeit gegenüber dem Restrukturierungsgericht sanktionslos, obschon die Aussichtslosigkeit vom Gesetzgeber mit noch schwerwiegenderen Folgen bedacht ist als die materielle Insolvenz (Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 32 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG durch das Restrukturierungsgericht ohne Ermessen).

42 Die Anwendung des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG hat gegenüber der deliktischen Außenhaf-

tung verschiedene Vorzüge. So lässt sich die Beweislastumkehr zum Verschulden ohne wei103 Bitter, ZIP 2021, 321, 333; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 10; Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 27 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 17; Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 37; Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293, 1299; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 193; Smid, ZInsO 2021, 117, 124; tendenziell auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1991. 104 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 5 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 4; vgl. zu § 15a InsO aus der jüngeren Rechtsprechung etwa BGH v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, GmbHR 2015, 244 Rz. 13 = NZG 2015, 227; BGH v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, NJW 2014, 698 Rz. 7. 105 So auch Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 30 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 215; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 194; Schülke, DStR 2021, 621, 623; für einen Vorrang des § 43 StaRUG Bitter, ZIP 2021, 321, 333; a.A. Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 33 (der dafür aber die gesellschaftsrechtlichen Haftungsvorschriften anwenden möchte). 106 Ausführlich zum Folgenden Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG, erscheint in KTS 2023; i.E. ebenso Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 30 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 215; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 194; Schülke, DStR 2021, 621, 623; für einen Vorrang des § 43 StaRUG Bitter, ZIP 2021, 321, 333; a.A. Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 33.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 45 § 42

teres dem Wortlaut entnehmen und muss nicht durch analoge Anwendung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften begründet werden (Rz. 63). Gleiches gilt für die Zulässigkeit von Verzicht und Vergleich (Rz. 69) sowie die Verjährung (Rz. 71), die § 43 Abs. 2, 3 StaRUG ausdrücklich regelt. Zuletzt ist die Geltendmachung außerhalb des Insolvenzverfahrens für die Gläubiger deutlich attraktiver, da sie den gesamten Anspruch und nicht lediglich einen kleinen Teil geltend machen können (Rz. 66 ff.). b) Konkurrenzverhältnis zur deliktischen Haftung Die deliktische Insolvenzverschleppungshaftung und die Haftung gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 Sta- 43 RUG stehen in einem Spannungsverhältnis. Es droht ein Nebeneinander von Außen- und Innenhaftung hinsichtlich des gleichen Schadenspostens.107 Das mag in vielen Fällen praktisch wenig bedeutsam scheinen, da der Insolvenzverwalter den Schaden im Insolvenzverfahren gem. § 92 InsO ohnehin für die Gläubiger geltend macht und die Anspruchsvoraussetzungen im Wesentlichen identisch sind (Rz. 52 ff.). Allerdings ergeben sich selbst in diesem scheinbar einfachen Fall Probleme, da für den deliktischen Anspruch wegen § 92 InsO nach der Rechtsprechung des BGH eine Sondermasse zu bilden ist, aus der allein die Altgläubiger zu befriedigen sind.108 Demgegenüber zählt der Binnenhaftungsanspruch zur Masse, weshalb das Recht zur Geltendmachung aus der Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach § 80 Abs. 1 InsO folgt und die Zahlungen an die Masse fließen, ohne dass eine Separierung angezeigt ist.109 Wird das Insolvenzverfahren mangels Masse nicht eröffnet, zeigt sich die Problematik paral- 44 leler Ansprüche noch deutlicher: Den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB kann jeder Gläubiger selbst geltend machen, allerdings nur in Höhe seines jeweiligen Quotenschadens.110 Der Anspruch gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG steht grundsätzlich der Gesellschaft zu, weshalb der klagende Gläubiger sich diesen zunächst pfänden und überweisen lassen muss (zu Erleichterungen s. Rz. 67). Das ist zwar aufwendiger, allerdings kann er sodann den vollen Quotenschaden (bis zur Höhe seiner eigenen Forderung gegen die insolvente Gesellschaft) geltend machen. Im Ergebnis können jedoch nicht der Gesellschaft und zugleich den Gläubigern Ansprüche 45 hinsichtlich desselben Schadens zustehen.111 Da sowohl eine Anrechnung als auch eine Gesamtgläubigerschaft ausscheiden (Rz. 68), können die Ansprüche nicht in Idealkonkurrenz zueinander stehen. Sofern man nicht bereits die Schutzgesetzeigenschaft des § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG für Altgläubigerschäden verneint,112 ist von einem Spezialitätsverhältnis auszugehen.113 Dabei kann kaum der allgemeinen Deliktshaftung der Vorrang gebühren, zumal sie tatbestandliche Defizite (Rz. 42) aufweist und zu einer Anspruchszersplitterung führt. Im Er107 Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG, erscheint in KTS 2023; knapp problematisierend auch Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 194. 108 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211, 215; aus der Literatur etwa Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617, 627; Freitag, NZG 2014, 447, 450; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a Rz. 254; Kroth in Braun, 9. Aufl. 2022, § 92 InsO Rz. 8; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 Rz. 273. 109 Vgl. zum Vorstehenden Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673, 674; Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG, erscheint in KTS 2023. 110 Siehe etwa Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 313; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 217; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 253; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 273. 111 Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG, erscheint in KTS 2023. 112 So Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 215. 113 Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG, erscheint in KTS 2023; dies andeutend auch Bitter, ZIP 2021, 321, 333.

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§ 42 Rz. 45 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift gebnis spricht deshalb viel dafür, in § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG die speziellere Vorschrift zu sehen, welche die allgemeine Deliktshaftung verdrängt.114 46 Ob im Sonderfall der Führungslosigkeit der Gesellschaft die Gefahr paralleler Ansprüche be-

steht, hängt von der Vorfrage ab, ob man eine analoge Anwendung des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG auf die Gesellschafter oder die Aufsichtsratsmitglieder generell oder punktuell für die Insolvenzverschleppung befürwortet (zum Meinungsstand § 43 Rz. 22). Lässt man eine analoge Anwendung des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG zu, sollte die deliktische Haftung der Gesellschafter oder Aufsichtsratsmitglieder wie bei den Geschäftsleitern verdrängt werden. Lehnt man eine analoge Anwendung des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ab, bleibt es bei der deliktischen Haftung der subsidiär Verpflichteten nach § 823 Abs. 2 BGB und entspricht damit der Rechtslage zu § 15a Abs. 2 InsO.

47 Eine bereits vor Rechtshängigkeit des Restrukturierungsverfahrens verwirklichte Haftung

wegen Insolvenzverschleppung nach § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB wird durch die Rechtshängigkeit nicht berührt und steht zu Ansprüchen aus der Zeit nach Rechtshängigkeit in Anspruchskonkurrenz.115 Die Schadensposten überschneiden sich nicht. Idealkonkurrenz besteht auch zu einer etwaigen Insolvenzverursachungshaftung nach gesellschaftsrechtlichen Vorschriften oder § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG.116

3. Anspruchsinhaber: Altgläubiger a) Abgrenzung von Alt- und Neugläubigern 48 Sowohl Alt- als auch Neugläubiger können einen Schadensersatzanspruch wegen verspäteter

Insolvenzanzeige geltend machen.117 Gleichwohl ist eine Abgrenzung erforderlich, da die Altgläubiger lediglich ihren Quotenschaden geltend machen können und ihr Anspruch auf § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG zu stützen ist (Rz. 40 ff.). Unterschiede ergeben sich ferner hinsichtlich der Schadensberechnung (Rz. 59).

49 Die Abgrenzung folgt den zu § 15a InsO entwickelten Grundsätzen: Altgläubiger haben ihre

Forderungen bereits vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung erworben, während vertragliche Neugläubiger erst nach Eintritt der materiellen Insolvenz Forderungen gegen den Schuldner erlangen.118 Bei Dauerschuldverhältnissen soll nach überwiegender Ansicht (zu § 15a InsO) der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich sein, nicht derjenige der einzelnen Leistungen.119 Etwas anderes gilt nach Ansicht des BGH nur dann, wenn der Gläubi-

114 Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG, erscheint in KTS 2023; ebenfalls andeutend Bitter, ZIP 2021, 321, 333; a.A. Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 33. 115 Vgl. auch Kunz in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 13 Rz. 7. 116 Für die Haftung nach Gesellschaftsrecht auch Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 157; s. ferner Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1323 ff. (unter dem Stichwort „Restrukturierungsverschleppungshaftung“). 117 Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 39; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 193. 118 Siehe etwa A. Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 74; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 213; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 267; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 34; Wicke, 4. Aufl. 2020, § 64 GmbHG Rz. 11; abw. Altmeppen, 10. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 123; Wagner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665, 1677 (Zeitpunkt der Leistungserbringung); differenzierend auch Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 182. 119 Je m.w.N. Habersack/Foerster in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 92 AktG Rz. 104; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 267; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 34; kritisch zur Begründung Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 224, der zutreffend sogleich darauf abstellen möchte, ob der Gläubiger seinen

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 52 § 42

ger sich zwischenzeitlich vor Vermögensverlusten hätte schützen können, namentlich durch Kündigung des Dauerschuldverhältnisses wegen Insolvenzeröffnung.120 Das sei bei Vermietern regelmäßig nicht der Fall, da sie sich bei Insolvenzreife nicht vom Mietvertrag lösen können.121 Ein Kontokorrentgläubiger ist Neugläubiger, soweit sich das von der Gesellschaft in Anspruch genommene Kreditvolumen seit Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung erhöht hat.122 b) Nachrangige Gläubiger und Gesellschafter Nachrangige Gläubiger (§ 39 InsO) fallen grundsätzlich ebenfalls in den Schutzbereich der 50 Vorschrift, erleiden aber aufgrund ihrer Nachrangigkeit regelmäßig keinen Schaden durch die Insolvenzverschleppung.123 Gesellschafter, die zugleich Gläubiger der Gesellschaft sind, können in dieser Eigenschaft einen entstandenen Schaden geltend machen.124 Im Übrigen fallen weder sie noch die Gesellschaft in den persönlichen Schutzbereich.125 c) Aus- und Absonderungsberechtigte Aus- und Absonderungsberechtigte sollen nach herrschender Ansicht zu § 15a InsO eben- 51 falls nur in ihrer Rolle als Insolvenzgläubiger anspruchsberechtigt sein.126 Nach einer Entscheidung des BGH sei insbesondere der Verlust von Aussonderungsrechten nicht als Insolvenzverschleppungsschaden ersatzfähig.127 Für § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG steht keine abweichende Handhabung zu erwarten.

4. Haftungsvoraussetzungen a) Pflichtverletzung und Anspruchsgegner Unabhängig von der Anspruchsgrundlage (§ 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG oder § 823 Abs. 2 BGB; 52 dazu Rz. 40 ff.) besteht der Anspruch gegenüber denjenigen, die ihre Pflicht zur Anzeige der

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121 122 123 124 125 126

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Vermögensschaden bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung (hier: Insolvenzanzeige) hätte verhindern können. Im Ergebnis dürfte Einigkeit mit dem BGH bestehen. BGH v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, NJW 2014, 698 Rz. 9; ähnlich Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 325; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 214; Habersack/Foerster in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 92 AktG Rz. 104; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 91; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 267; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 92 AktG Rz. 90. BGH v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, NJW 2014, 698 Rz. 10 ff.; zustimmend Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 40; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 91; kritisch Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 331. BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rz. 13; Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 243; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 92; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 34. So für § 15a InsO schon Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 160. Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 160 (und Rz. 231 zu hybriden Finanzinstrumenten). Ausführlich für § 15a InsO Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 162 ff. (dort auch zu möglichen Ausnahmen). Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 233; Habersack/Foerster in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 92 AktG Rz. 103; Kolmann in Saenger/Inhester, 4. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 243; A. Schmidt in HambKomm/InsO, 7. Aufl. 2019, Anh. I H. Rz. 76; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 35; kritisch Klöhn, KTS 2012, 133, 161 ff.; für Absonderungsberechtigte auch Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 40. BGH v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, BGHZ 100, 19, 24 (§ 64 Abs. 1 GmbHG a.F.).

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§ 42 Rz. 52 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft nach § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG verletzt haben. Es handelt sich dabei um ein Dauerdelikt, d.h. die Verletzung dauert während des gesamten Zeitraums an, innerhalb dessen die Anzeige gegenüber dem Restrukturierungsgericht erfolgen müsste.128 Die Amtsniederlegung oder eine verspätete Anzeige haben folglich nur Ex-nunc-Wirkung und lassen eine einmal verwirklichte Haftung nicht entfallen.129 53 Die Rechtswidrigkeit wird durch den Pflichtenverstoß indiziert; Rechtfertigungsgründe sind

kaum vorstellbar.130 Insbesondere steht die Anzeigepflicht nicht zur Disposition der Gesellschafter; etwaige Gesellschafterweisungen (etwa der GmbH-Gesellschafter gegenüber dem Geschäftsführer) sind unwirksam.131 Gleiches gilt für Weisungen von Überwachungsorganen. b) Verschulden

54 Unabhängig von der Anspruchsgrundlage (§ 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG oder § 823 Abs. 2 BGB,

s. Rz. 40 ff.) ist eine schuldhafte Verletzung der Anzeigepflicht erforderlich. Das ergibt sich bereits aus § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, da die Vorschrift fordert, dass die Anzeige ohne schuldhaftes Zögern erfolgt (Rz. 32). Damit genügt für die Ersatzpflicht einfache Fahrlässigkeit.132 Vorsatz oder Fahrlässigkeit müssen sich dabei auf die Verletzung der Anzeigepflicht beziehen, nicht jedoch auch auf die Schädigung der Gläubiger.133 Das Verschulden wird zu Lasten der Geschäftsleiter vermutet (Rz. 63).

55 Fallentscheidend dürfte regelmäßig die Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit oder Über-

schuldung sein (zu den Anforderungen s. Rz. 32 f.).134 Sie ist aus der Ex-ante-Sicht der Anzeigepflichtigen zu bestimmen.135 Dass sich die Bewertung der Pflichtigen im Nachhinein als falsch herausstellt, indiziert deshalb nicht automatisch das Verschulden.136 Vielmehr ist zu berücksichtigen, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt mit welchem Aufwand zu beschaffen waren und welche Anhaltspunkte sich für eine Prüfung ergaben.137 Trotz der Gefahr des hindsight bias, die mit einer nachträglichen gerichtlichen Prüfung einhergeht, gelangen die Anzeigepflichtigen nicht in den Genuss der business judgment rule. Ökonomisch lässt sich das damit begründen, dass die Eingehung von Risiken nach Eintritt der Insolvenzreife gerade nicht gefördert werden soll;138 dogmatisch mit der Pflichtenbindung der schuldnerischen Gesellschaft, die eine Legalitätspflicht der Geschäftsleiter im Innenverhältnis nach sich zieht (eingehend § 43 Rz. 35 f.).

56 Individuelle Unkenntnis oder Unzulänglichkeiten entlasten nicht.139 Verfügen die Anzeige-

pflichtigen nicht über ausreichend eigene Kenntnisse und Fähigkeiten, müssen sie sich inter-

128 Vgl. für § 15a InsO Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 143. 129 Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 10; Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 16; vgl. ferner Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 9 (Stand: 44. EL Nov. 2021); K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 26, 30. 130 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 159, 169. 131 Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 26. Für § 15a InsO auch Leithaus in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 15a InsO Rz. 5. 132 Vgl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199. 133 Vgl. für § 15a InsO Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 145. 134 Für § 15a InsO gleichsinnig Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 175 („Insolvenzerkennungspflicht“). 135 So für § 15a Abs. 1 InsO schon Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 124; zuvor bereits BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199. 136 Vgl. auch Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 124. 137 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 124. 138 Vgl. auch Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 126. 139 Vgl. Haas, NZG 1999, 373, 375; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 171.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 60 § 42

nen oder externen Sachverstands bedienen.140 Sie dürfen eine solche Beratung nicht mit einem Verweis auf die ohnehin schon angespannte Finanzlage ablehnen, da die Anzeige weder in ihrem noch im Ermessen der schuldnerischen Gesellschaft steht. Ob sie sich auf eingeholten Expertenrat verlassen können, bestimmt sich nach den Ision-Grundsätzen:141 Danach müssen sich die Geschäftsleiter (1) unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen (2) von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lassen und (3) die erteilte Rechtsauskunft einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterziehen.142 Erfüllen Anzeigepflichtige diese Anforderungen und zeigen sie eine bestehende Insolvenz nicht an, liegt ein unverschuldeter Verbotsirrtum vor. § 278 BGB ist nicht anzuwenden. Die Insolvenzanzeigepflicht ist eine nicht delegierbare Aufgabe eines jeden einzelnen Organ- 57 mitglieds. Eine etwaige Ressortaufteilung innerhalb des Organs entbindet damit nicht von der Insolvenzanzeigepflicht. Sie kann allerdings gleichwohl bei der Verschuldensprüfung zu berücksichtigen sein.143 Denn je nach Aufgabengebiet können Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit früher oder später erkennbar werden. Organmitglieder, die mit den Finanzen der Gesellschaft befasst sind, können tendenziell leichter und früher feststellen, dass die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Besonderheiten gelten im Fall der Führungslosigkeit. Einfache Fahrlässigkeit genügt hier 58 nicht. Die subsidiär Verpflichteten müssen vielmehr positive Kenntnis sowohl von der Führungslosigkeit als auch vom Vorliegen eines Insolvenzanzeigegrundes haben (Rz. 23). Aufgrund der negativen Formulierung in § 15a Abs. 3 InsO, auf den § 42 Abs. 1 StaRUG verweist, tragen die Verpflichteten jedoch die Beweislast hinsichtlich der fehlenden Kenntnis. c) Schaden und haftungsausfüllende Kausalität Als Vermögensdelikt führt die Insolvenzverschleppungshaftung zum Ersatz der Vermögens- 59 schäden.144 Altgläubiger haben ihre Forderungen bereits vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung erworben, weshalb ihr Nachteil im Quotendifferenzschaden (oder Quotenschaden) besteht.145 Damit ist die verringerte Quote gemeint, die durch eine verspätete Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Aufzehrung der Masse entsteht.146 Die Höhe kann durch das Gericht gem. § 287 ZPO geschätzt werden.147 Zum Verhältnis zur Haftung nach § 15b Abs. 4 InsO s. (Rz. 107 ff.). Der geltend gemachte Schaden muss auf die verspätete Anzeige der Insolvenz zurückzuführen 60 sein (haftungsausfüllende Kausalität). Bei Altgläubigern muss die Verspätung folglich zu ei140 Vgl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199; für § 15a InsO Klöhn in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 174. 141 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 = NZG 2011, 1271 Rz. 18; zuvor bereits BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 126 = NJW 2007, 2118 Rz. 18. 142 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rz. 18; BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rz. 28; zuvor bereits BGH v.14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 126 = NJW 2007, 2118 Rz. 18. Ausführlich dazu Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 280 ff. 143 Vgl. dazu und zum Entlastungsbeweis Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 31. 144 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 144. 145 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 27 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 39; für § 15a InsO statt vieler Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617, 622 ff.; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 181 ff.; knapper Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 42. 146 Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 193; vgl. eingehend Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 183 ff. 147 Vgl. BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 = NZG 2009, 750 Rz. 23 (zu § 64 Abs. 1 GmbHG a.F.).

Korch | 765

§ 42 Rz. 60 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift ner Reduzierung der Insolvenzquote geführt haben. Mit Blick auf § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG ist der Einwand der Geschäftsleiter möglich, dass das Gericht auch bei rechtzeitiger Anzeige das Restrukturierungsverfahren nicht beendet und das Insolvenzverfahren nicht eröffnet hätte. Es handelt sich um den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens, da der Schaden der Gläubiger dann möglicherweise auch bei rechtzeitiger Anzeige entstanden wäre.148 Es obliegt allerdings den Geschäftsleitern, einen solchen Nachweis zu erbringen.149 Das wird den Anzeigepflichtigen erhebliche Schwierigkeiten bereiten, da die Fortsetzungsentscheidung im Ermessen des Gerichts („kann“) steht.150 Die Aufhebung des Verfahrens durch das Gericht ist dabei konzeptionell die Regel und das Absehen davon die Ausnahme (s. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG).151 Der Einwand ist ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG nicht vorliegen.152 d) Beweislast 61 Die Beweislast hinsichtlich der Pflichtverletzung (verspätete Insolvenzanzeige) trägt der In-

solvenzverwalter. Das gilt unabhängig davon, ob die Haftung auf § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG (zur Beweislast § 43 Rz. 63) oder auf § 823 Abs. 2 BGB gestützt wird.153 Im Fall der masselosen Insolvenz spricht allerdings ein erster Anschein für eine Verschleppung.154 Ist eine detaillierte Darlegung nicht möglich, weil der Anzeigepflichtige seiner Pflicht zur Führung und Aufbewahrung von Büchern und Belegen nicht nachgekommen ist, gilt der Beweis nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung als erbracht.155 Zudem ist mit dem BGH davon auszugehen, dass der Verpflichtete auch hinsichtlich der Fortführungsprognose die Darlegungslast kraft Sachnähe trägt.156 Das deckt sich mit der negativen Formulierung in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO.157

62 Auch der Schaden ist grundsätzlich vom Insolvenzverwalter (oder ggf. den Gläubigern) zu

beweisen.158 Allerdings hilft hier § 287 ZPO, der eine Schadensschätzung durch das Gericht ermöglicht.

63 Das Verschulden der Geschäftsleiter wird widerleglich vermutet. Das ergibt sich für den An-

spruch gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG unmittelbar aus dem negativ formulierten Wortlaut. Aber auch für die deliktische Insolvenzverschleppungshaftung entspricht es einhelliger Ansicht, dass das Verschulden vermutet wird. Da sich dies nicht aus § 823 Abs. 2 InsO i.V.m. 148 Vgl. allgemein BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 Rz. 38 ff. – Schloss Eller. 149 Vgl. BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 Rz. 45; a.A. Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 39; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 193 f. 150 BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 Rz. 45, 48 f. 151 Vgl. Hölzle in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, II. B. Rz. 76 (S. 183); Kunz in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 2 Rz. 40 ff. 152 Siehe BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 Rz. 52; a.A. wohl Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 39. 153 Für § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 268; Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 31; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 43; für § 64 GmbHG a.F. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200; BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rz. 16; BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 57. Detailliert zur Überschuldungsprüfung Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 267. 154 Vgl. K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 43. 155 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, NZI 2012, 413 = ZIP 2012, 723 Rz. 16 ff.; dazu etwa Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 92. 156 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200; BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 189/97, NZA 1999, 39, 42; zustimmend Haas, DStR 2003, 423, 433. 157 Ähnlich Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 96 f. 158 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 266.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 66 § 42

§ 15a Abs. 1 InsO ergibt, werden überwiegend die Regelungen der § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 64 Satz 2 GmbHG a.F., § 130a Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. analog herangezogen oder ihr Rechtsgedanke übernommen.159 So formulierte der BGH zu § 64 Abs. 2 GmbHG a.F., dass die Beweislast für die fehlende Erkennbarkeit die Geschäftsleiter treffe.160 Es ist zu vermuten, dass die überwiegende Ansicht diese Beweislastverteilung auch für die verspätete oder unterlassene Insolvenzanzeige nach § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG anwenden wird. Es liegt allerdings nahe, künftig nicht auf die mehrheitlich außer Kraft getretenen Vorschriften zu verweisen, sondern § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG analog heranzuziehen.

5. Geltendmachung a) Geltendmachung im Insolvenzverfahren Die Geltendmachung des Quotendifferenzschadens der Altgläubiger obliegt in der Insolvenz 64 dem Insolvenzverwalter. Das ergibt sich für Ansprüche nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG unmittelbar aus § 80 InsO (§ 43 Rz. 80). Zieht man § 823 Abs. 2 BGB als Anspruchsgrundlage heran, ist der Insolvenzverwalter gem. § 92 InsO zuständig.161 Im Rahmen der Eigenverwaltung macht der Sachwalter den Anspruch gem. § 280 InsO geltend (§ 43 Rz. 80). Fraglich ist allerdings, ob eine Sondermasse zugunsten der Altgläubiger zu bilden ist. Das 65 vertritt die herrschende Ansicht162 zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO aufgrund eines beiläufigen Hinweises des BGH.163 Da § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG im Unterschied zu § 823 Abs. 2 BGB allerdings einen Binnenhaftungsanspruch normiert, ist die Bildung einer Sondermasse entbehrlich.164 Der Anspruch steht vielmehr der insolventen Gesellschaft und damit der Insolvenzmasse zu. Damit wird die Masseverwertung durch den Insolvenzverwalter vereinfacht. Die Abkehr von der Sondermasse lässt zudem eine dogmatisch begründbare Anrechnung von Zahlungen auf den Anspruch aus § 15b Abs. 4 InsO zu.165 Denn bisher ließ sich kaum erklären, weshalb eine Zahlung an die Sondermasse einen Vorteil der insolventen Gesellschaft in gleicher Höhe darstellt. b) Geltendmachung bei masseloser Insolvenz Wird das Insolvenzverfahren mangels Masse nicht eröffnet, unterscheiden sich die An- 66 spruchsgrundlagen wesentlich. Ansprüche gem. § 823 Abs. 2 BGB können von den Gläubi-

159 Siehe etwa Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 308; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 239; Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 268; Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 31; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 45; Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 163. 160 BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 185. 161 So Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 27 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 40; Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293, 1299; vgl. auch Bork in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 64 GmbHG Rz. 74; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 234; Haas, DStR 2003, 423, 430; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 273. 162 Siehe Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617, 627; Freitag, NZG 2014, 447, 450; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 254; Kroth in Braun, 9. Aufl. 2022, § 92 InsO Rz. 8; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 273; K. Schmidt, NZI 1998, 9, 10. 163 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211, 215. 164 Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG, erscheint in KTS 2023. 165 Eingehend Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG, erscheint in KTS 2023.

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§ 42 Rz. 66 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift gern – so die ganz überwiegende Ansicht zu § 15a InsO – selbst geltend gemacht werden.166 Die Ansprüche sind allerdings auf den jeweiligen Quotenschaden beschränkt.167 Der Anspruch wird deshalb zersplittert und die Geltendmachung ist für die einzelnen Gläubiger regelmäßig unattraktiv; die Situation erinnert an Streuschäden und die damit verbundenen Durchsetzungsdefizite.168 67 Demgegenüber steht der Anspruch gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG grundsätzlich der Ge-

sellschaft zu, weshalb der klagende Gläubiger sich diesen zunächst pfänden und überweisen lassen muss. Um diesen unnötigen Zwischenschritt abzukürzen, ist indes § 93 Abs. 5 AktG analog auf § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG anzuwenden.169 Der Gläubiger kann den Anspruch dann im Falle der masselosen Insolvenz direkt und in voller Höhe (bis zur Höhe seiner eigenen Forderung gegen die insolvente Gesellschaft) geltend machen (§ 43 Rz. 82 f.).170 Die Lösung deckt sich mit der Geltendmachung von Ansprüchen wegen verbotener Zahlungen nach § 15b Abs. 4 InsO (Rz. 99).

68 Wer den Altgläubigern entgegen der hier vertretenen Ansicht (Rz. 43 ff.) einen Anspruch

gem. § 823 Abs. 2 BGB neben § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG zusprechen möchte, muss für den Fall der masselosen Insolvenz verhindern, dass sowohl der Gesellschaft als auch den Gesellschaftern Ansprüche zustehen. Sonst droht eine mehrfache Inanspruchnahme der Geschäftsleiter aufgrund des gleichen Schadens. Denn wenn ein Gläubiger den Binnenhaftungsanspruch pfändet und sich überweisen lässt, hindert dies andere Gläubiger nicht an der Geltendmachung ihres eigenen Quotenschadens aus Delikt. Die dogmatische Begründung dürfte schwerfallen, da sich eine Anrechnung bei personenverschiedenen Anspruchsinhabern kaum begründen lässt. Die Gläubiger und die Gesellschaft sind keine Gesamtgläubiger, weil andernfalls eine Leistung an nur einen Gläubiger mit befreiender Wirkung gegenüber allen anderen Gläubigern und der Insolvenzmasse möglich wäre.

6. Verzicht, Vergleich, Verjährung a) Verzicht und Vergleich 69 Auch für Verzicht und Vergleich ist nach der einschlägigen Anspruchsgrundlage zu unter-

scheiden (Rz. 40 ff.). Zieht man § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG heran, könnte die Gesellschaft als Anspruchsinhaberin auf die Ansprüche verzichten oder sich über diese vergleichen. Diese Verfügungsmacht begrenzt § 43 Abs. 2 StaRUG. Danach sind Verzicht oder Vergleich nur möglich, wenn sich der Ersatzpflichtige zur Abwendung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen mit seinen Gläubigern vergleicht, wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan gere-

166 Siehe A. Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 76; Freitag, NZG 2014, 447, 449 ff.; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 253; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 273. 167 Siehe etwa Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 313; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 217; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 253; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 273. 168 Ähnlich Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 29, 36, 217, 166; K. Schmidt in K. Schmidt/Uhlenbruck, GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. 11.17; vgl. ferner H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 273. 169 Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG, erscheint in KTS 2023; für § 64 GmbHG a.F. mit ähnlicher Anregung schon Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2210; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 198, 455 f. 170 Zur Schadenshöhe s. schon K. Schmidt in Scholz, 11. Aufl. 2015, § 64 GmbHG Rz. 197, 199 (für die die deliktische Haftung). Vgl. zudem Haas ZIP 2009, 1257, 1260 (im Kontext der Existenzvernichtungshaftung).

768 | Korch

Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 71 § 42

gelt wird oder wenn für den Ersatzberechtigten ein Insolvenzverwalter handelt (ausführlich § 43 Rz. 69). Wird der Anspruch entgegen der hier vertretenen Ansicht (Rz. 43 ff.) auf § 823 Abs. 2 BGB 70 gestützt, besteht kein Raum für einen Vergleich oder Verzicht durch die Gesellschaft, die Gesellschafter oder die Geschäftsleiter.171 Die Verfügungsbefugnis liegt im Ausgangspunkt allein bei den Gläubigern, die Inhaber der Ansprüche sind. Für dieses Ergebnis bedarf es die in der Literatur häufig bemühte Analogie zu den § 15b Abs. 4 Satz 3–5 InsO, § 93 Abs. 5 Satz 3 AktG oder § 64 Satz 4, § 43 Abs. 3, § 9b Abs. 1 GmbHG172 nicht.173 Im Insolvenzverfahren ist der Insolvenzverwalter nach überwiegender Ansicht im Rahmen des Insolvenzwecks vergleichs- und verzichtsberechtigt.174 Daneben steht allerdings jedem Gläubiger auch nach Insolvenzeröffnung ebenfalls die Verfügungsbefugnis zu.175 Will man Einzelverfügungen über die Forderungen jedenfalls während der Insolvenz verhindern, müsste man § 92 InsO eine exklusive Befugnis des Insolvenzverwalters zur Verfügung entnehmen.176 Aus dem Wortlaut der Vorschrift („geltend machen“) ergibt sich eine derart weitreichende Kompetenz nicht ohne Weiteres. b) Verjährung Die Verjährung des Anspruchs der Altgläubiger wegen Insolvenzverschleppung ist seit lan- 71 gem äußerst umstritten177 und durch den BGH bisher nicht geklärt.178 Nach einer Ansicht sind die § 64 Satz 4 GmbHG a.F. i.V.m. § 43 Abs. 4 GmbHG (heute wohl § 15b Abs. 7 InsO) analog heranziehen mit der Folge, dass der Anspruch kenntnisunabhängig fünf Jahre nach

171 Vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 350; Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 270; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a Rz. 273. 172 So A. Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 39 (§ 64 Satz 4, § 43 Abs. 3, § 9b Abs. 1 GmbHG analog); Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 241 (§ 15b Abs. 4 Satz 3–5 InsO analog); Kolmann in Saenger/Inhester, 4. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 252 (§ 43 Abs. 3, § 9b Abs. 1 GmbHG analog); K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a GmbHG Rz. 46 (Rechtsgedanke der §§ 50, 93 Abs. 5 Satz 3 AktG); Mätzig in BeckOK/GmbHG, § 64 GmbHG Rz. 126 (Stand: 52. Ed. 1.12.2021) (§ 64 Satz 4, § 43 Abs. 3, § 9b Abs. 1 GmbHG analog). 173 Ausdrücklich Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 350; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 273. 174 Zur Zuständigkeit für Vergleich und Verzicht nach § 92 InsO s. etwa Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 263, 270; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 99; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 273; Oetker in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 73; restriktiver für den Vergleich Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 351; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 242; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 128; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 46. 175 Dazu schon Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 351. 176 So Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 351. 177 Dazu Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 353 ff.; Haas, DStR 2003, 423, 430; Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 198 f.; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 249 ff. 178 In BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, NJW 2011, 2427 = ZIP 2011, 1007, äußert sich das Höchstgericht allein zum Neugläubigerschaden. Teilweise wird die Begründung allerdings so verstanden, dass sie auch für die Insolvenzverschleppungshaftung gegenüber Altgläubigern trage: Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 243; Steffek in Kübler/Prütting/Bork,§ 15a InsO Rz. 113 (Stand: 89. EL August 2021); a.A. Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 271; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 251.

Korch | 769

§ 42 Rz. 71 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift Entstehung verjährt.179 Die Gegenansicht will die allgemeinen Verjährungsregeln anwenden (§§ 195, 199 BGB).180 Für die Haftung wegen verspäteter Insolvenzanzeige enthält § 43 Abs. 3 StaRUG nun eine ausdrückliche Regelung. Ansprüche verjähren danach innerhalb von fünf Jahren, bei börsennotierten Gesellschaften innerhalb von zehn Jahren (dazu § 43 Rz. 76 ff.). Die Vorschrift sollte auf etwaige deliktische Ansprüche analog angewendet werden.

7. Haftung mehrerer Verpflichteter 72 Waren mehrere Personen zur Anzeige der materiellen Insolvenz verpflichtet und haben sie

ihre Pflichten schuldhaft verletzt, haften sie den Gläubigern als Gesamtschuldner. Das ergibt sich für deliktische Ansprüche aus § 840 BGB,181 gilt aber ebenso für § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG (§ 43 Rz. 64 ff.). Im Innenverhältnis können die Inanspruchgenommenen von den übrigen Gesamtschuldnern anteiligen Regress verlangen, dessen Höhe sich nach den Verursachungsbeiträgen bemisst (§ 426 BGB).182 Dafür kann insbesondere der Ressortaufteilung Bedeutung zukommen.

VII. Haftung für verspätete Insolvenzanzeige gegenüber Neugläubigern 1. Anspruchsgrundlage und Konkurrenzen 73 § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ist nach einhelliger Ansicht Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2

BGB.183 Die Norm schützt nicht allein die Allgemeinheit, sondern auch und gerade die individuellen Interessen möglicher Neugläubiger. Durch die rechtzeitige Insolvenzanzeige sollen sie vor Schäden bewahrt werden. Der Schutzzweck deckt sich folglich mit § 15a InsO,184 der eben-

179 OLG Köln v. 19.12.2000 – 22 U 144/00, NZG 2001, 411, 412 = WM 2001, 1160; A. Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 85; Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 350 (gestützt auf § 130a Abs. 2 HGB a.F.); Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 243; Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 271; Haas, NZG 2009, 976, 978; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 106; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 251; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 47 (gestützt auf § 130a Abs. 2 HGB a.F.). 180 OLG Schleswig v. 6.11.2000 – 16.11.2000, DZWiR 2001, 330, 331; OLG Saarbrücken 6.5.2008 – 4 U 484/07, NJW-RR 2008, 1621, 1622; OLG Frankfurt a.M. v. 4.4.2007 – 19 U 230/06, BeckRS 2007, 10668; Bork in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 64 GmbHG Rz. 75; Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 42; Kolmann in Saenger/Inhester, 4. Aufl. 2020, Vor § 64 GmbHG Rz. 250 (widersprüchlich dann aber die Anwendung des § 200 BGB); H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 278; Steffek in Kübler/Prütting/Bork, § 15a InsO Rz. 113 (Stand: 89. EL August 2021); Wolfer in BeckOK/InsR, § 15a InsO Rz. 35 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022). 181 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 29 (Stand: 44. EL Nov. 2021); vgl. für § 15a InsO Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 358; Bork in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 64 GmbHG Rz. 73; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 245; Habersack/Foerster in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 92 AktG Rz. 114; H.-F. Müller in MünchKomm/ GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 276; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 36. 182 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 271. 183 Bitter, ZIP 2021, 321, 333; Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 27 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 17; Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 37; Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293, 1299; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 193; Smid, ZInsO 2021, 117, 124. 184 So auch Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 37; Kunz in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 2 Rz. 11; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 2.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 76 § 42

falls als Schutzgesetz anzusehen ist.185 Daneben können Ansprüche aus culpa in contrahendo bestehen (Rz. 95).

Im Gegensatz zum Schaden der Altgläubiger (Rz. 41 f.) erfasst § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG den 74 Schaden der Neugläubiger nicht, da es sich um Individual- und nicht um Gesamtschäden handelt. Der deliktische Anspruch wird deshalb nicht durch konkurrierende Binnenhaftungsansprüche verdrängt.

2. Anspruchsinhaber: Neugläubiger Anspruchsinhaber sind zunächst vertragliche Neugläubiger. Sie kontrahieren erst nach Ein- 75 tritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung mit dem Schuldner und erlangen ihre Forderung somit erst im Zeitpunkt der materiellen Insolvenz.186 Zur Abgrenzung von Altgläubigern Rz. 48 f.; zu nachrangigen Gläubigern Rz. 50; zu Aus- und Absonderungsberechtigten Rz. 51. Ob auch gesetzliche Neugläubiger (insbesondere deliktische Gläubiger) in den Schutzbereich 76 des § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG einbezogen sind, kann nicht anders als bei § 15a InsO beurteilt werden. Dort ist die Frage heftig umstritten.187 BGH und Teile der Literatur gehen davon aus, dass gesetzliche Neugläubiger nicht vom Schutzbereich der Vorschrift erfasst sind.188 Sie träten nicht im Vertrauen auf die Solvenz der schuldnerischen Gesellschaft in Vorleistung.189 Sie könnten allerdings bei weiterer Verzögerung der Anzeige und weiterer Aufzehrung der Masse Anspruch auf Ersatz ihres Quotenschadens haben.190 Dagegen wendet die überwiegende Ansicht im Schrifttum zu Recht ein, dass bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung regelmäßig auch die gesetzlichen Gläubiger vor Schäden bewahrt worden wären.191 Denn bei zeitnaher

185 Dazu nur BGH v. 16.12.1958 – VI ZR 245/57, BGHZ 29, 100, 102 f.; BGH v. 3.2.1987 – VI ZR 268/ 85, BGHZ 100, 19, 21; BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 190; BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rz. 8; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, GmbHR 2015, 244 Rz. 11 ff. = NZG 2015, 227; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 140. 186 Siehe zu § 15a InsO A. Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 74; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 213; H.-F. Müller in MünchKomm/ GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 267; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 34; Wicke, 4. Aufl. 2020, § 64 GmbHG Rz. 11; abw. Altmeppen, 10. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 123; Wagner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665, 1677 (Zeitpunkt der Leistungserbringung); differenzierend auch Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 182. 187 Umfassende Nachweise zum Meinungsstand bei Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 209 ff. 188 BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 60 ff.; BGH v. 20.10.2008 – II ZR 211/07, ZIP 2009, 366 = NZG 2009, 280 Rz. 3 (Anspruch auf Entgeltfortzahlung); aus der Literatur nur Altmeppen, 10. Aufl. 2021, Vor § 64 GmbHG Rz. 135; Bayer/Lieder, WM 2006, 1, 6; Bork, ZGR 1995, 505, 519; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 271; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 40; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 232; Haas, NZG 1999, 373, 377; Haas, DStR 2003, 423, 429 f. 189 Vgl. etwa BGH v. 20.10.2008 – II ZR 211/07, ZIP 2009, 366 = NZG 2009, 280 Rz. 3 (Anspruch auf Entgeltfortzahlung); Bayer/Lieder, WM 2006, 1, 6 f. 190 Vgl. Bayer/Lieder, WM 2006, 1, 7 f.; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 40. 191 Dazu und zum Folgenden Fleischer, ZGR 2004, 437, 451 f.; Habersack/Foerster in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 92 AktG Rz. 111; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20 Aufl. 2020, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 96; Klöhn, KTS 2012, 133, 156 ff.; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 211 ff.; knapper auch A. Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 78; Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 333; Wagner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665, 1678 ff.

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§ 42 Rz. 76 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift Beendigung der unternehmerischen Tätigkeit wäre die Schädigung möglicherweise ausgeblieben. Alternativ hätten die gesetzlichen Gläubiger zumindest eine Masseforderung erlangt. Es entspricht deshalb gerade den Schutzzwecken sowohl des § 15a InsO als auch des § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, dass alle Gläubiger unabhängig vom Rechtsgrund ihrer Forderung davor bewahrt werden, freiwillige oder unfreiwillige Vermögenseinbußen zu erleiden und dafür lediglich eine weitgehend wertlose Insolvenzforderung zu erlangen.

3. Haftungsvoraussetzungen a) Rechtswidrige Verletzung der Anzeigepflicht 77 Der Anspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG besteht gegen denje-

nigen, der seine Pflicht zur Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft verletzt hat. Es handelt sich um ein Dauerdelikt, d.h. die Verletzung dauert während des gesamten Zeitraums an, innerhalb dessen die Anzeige gegenüber dem Restrukturierungsgericht erfolgen müsste.192 Die Amtsniederlegung oder eine verspätete Anzeige haben folglich nur Ex-nunc-Wirkung und lassen eine einmal verwirklichte Haftung nicht entfallen.193

78 Die Rechtswidrigkeit wird durch den Pflichtenverstoß indiziert; Rechtfertigungsgründe sind

kaum vorstellbar.194 Insbesondere steht die Anzeigepflicht nicht zur Disposition der Gesellschafter; etwaige Gesellschafterweisungen (etwa der GmbH-Gesellschafter gegenüber dem Geschäftsführer) sind unwirksam.195 Gleiches gilt für Weisungen von Überwachungsorganen. b) Verschulden

79 Die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB setzt Verschulden voraus, soweit nicht bereits das Schutz-

gesetz eine Verschuldensprüfung gebietet.196 Das ist bei § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG der Fall, da die Vorschrift fordert, dass die Anzeige ohne schuldhaftes Zögern erfolgt (Rz. 32). Damit genügt für die Ersatzpflicht einfache Fahrlässigkeit.197 Das Verschulden wird zu Lasten der Geschäftsleiter vermutet (Rz. 87). Im Übrigen gelten die Ausführungen in Rz. 54 ff. c) Schaden und haftungsausfüllende Kausalität

80 Als Vermögensdelikt führt die Insolvenzverschleppungshaftung zum Ersatz der Vermögens-

schäden.198 Vertragliche Neugläubiger erwerben ihre Forderung erst nach materieller Insolvenz der schuldnerischen Gesellschaft. Sie erleiden deshalb einen über den Quotenschaden hinausgehenden Vertrauensschaden, „der ihnen dadurch entsteht, dass sie in Rechtsbeziehungen zu einer überschuldeten oder zahlungsunfähigen Gesellschaft getreten sind [...] Anders als der Schaden der Altgläubiger, der in der durch die Insolvenzverschleppung bedingten Masse- und Quotenverminderung besteht, liegt der Schaden eines Neugläubigers deshalb darin, dass er der Gesellschaft im Vertrauen auf deren Solvenz noch Geld- oder Sachmittel zur Verfügung gestellt hat, ohne einen entsprechend werthaltigen Gegenanspruch oder eine ent192 Vgl. für § 15a InsO Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 143. 193 Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 10; Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 16; vgl. ferner Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 9 (Stand: 44. EL Nov. 2021); K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 26, 30. 194 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 159, 169. 195 Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 26. Für § 15a InsO auch Leithaus in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 15a InsO Rz. 5. 196 Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 826 BGB Rz. 606. 197 Vgl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199. 198 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 144.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 84 § 42

sprechende Gegenleistung zu erlangen“.199 Das entspricht dem negativen Interesse.200 Der vertragliche Neugläubiger ist deshalb regelmäßig so zu stellen, als hätte er den Vertrag mit der insolventen Gesellschaft nie geschlossen.201 Der Schaden der deliktischen Gläubiger bestimmt sich nach dem Alternativszenario, das darin 81 bestehen kann, dass die insolvente Gesellschaft sie nicht mehr geschädigt hätte oder dass sie zumindest eine Masseforderung erlangt hätten. Im ersten Fall können sie vollen Ersatz für ihren Forderungsausfall verlangen, im zweiten Fall die Quote auf eine hypothetische Masseforderung.202 Entgangener Gewinn (§ 252 BGB) ist nur dann Teil des negativen Interesses, wenn der Gläu- 82 biger ohne das abgeschlossene Geschäft ein anderweitiges Geschäft hätte abschließen können.203 Er zählt dann zum negativen Interesse. Teil des negativen Interesses können ferner freiwillige Aufwendungen sein, wie das OLG Karlsruhe in einem Fall zu § 15a InsO entschied, in dem der Neugläubiger ein selbstständiges Beweisverfahren gegen die spätere Insolvenzschuldnerin anstrengte.204 Der Gläubiger hat den Schaden zu beweisen (Rz. 86). Der Schaden kann allerdings gem. 83 § 287 ZPO geschätzt werden. Die Höhe einer vereinbarten Gegenleistung kann zur Bestimmung des Schadens allenfalls ein erster, grober Anhaltspunkt sein.205 Die Insolvenzforderung des Neugläubigers ist nach der übertragbaren Rechtsprechung zu 84 § 15a InsO in Anwendung des § 255 BGB bei der Schadensberechnung außer Betracht zu lassen.206 Der Schuldner steht vielmehr – Zug-um-Zug gegen Zahlung des Schadensersatzes – ein Anspruch auf Abtretung der Insolvenzforderung gegen die Insolvenzschuldnerin zu.207 Auf diese Weise wird dem schadensrechtlichen Bereicherungsverbot Rechnung getragen.208

199 BGH v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, NJW 2014, 698 Rz. 7; zuvor bereits BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/ 91, BGHZ 126, 181, 198; BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 60; BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rz. 13; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 = NZG 2009, 750 Rz. 15; BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, NJW 2012, 3510 = ZIP 2012, 1455 Rz. 13; BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, NJW 2011, 2427 = ZIP 2011, 1007 Rz. 40. Siehe ferner Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 39. 200 BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 = NZG 2009, 750 Rz. 15; BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, NJW 2012, 3510 = ZIP 2012, 1455 Rz. 13; Klöhn, KTS 2012, 133, 153 f.; Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 163. 201 BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 = NZG 2009, 750 Rz. 15; vgl. auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 94. Zu Gläubigern, die ihre Forderung nach Insolvenzanzeige/Stellung des Insolvenzantrags erworben haben, s. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 218 ff. 202 Vgl. dazu Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 192. 203 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, NJW 2011, 2427 = ZIP 2011, 1007 Rz. 40; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 = NZG 2009, 750 Rz. 16; Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 163. 204 OLG Karlsruhe v. 9.9.2020 – 6 U 109/19, ZIP 2021, 1396, 1398. 205 Zur Bedeutung für die Beweislast s. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 269. 206 Je zu § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rz. 20; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 = NZG 2009, 750 Rz. 21; BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, NJW 2011, 2427 = ZIP 2011, 1007 Rz. 40; Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673, 677; Wagner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665, 1676; zu § 15a InsO statt vieler Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 36. 207 Vgl. BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rz. 20; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 = NZG 2009, 750 Rz. 21. 208 Vgl. BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rz. 20.

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§ 42 Rz. 85 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift 85 Eine Kürzung des Anspruchs wegen Mitverschuldens kommt gem. § 254 BGB in Betracht,

wenn der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung kannte oder hätte kennen müssen.209 Zum Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens (Rz. 60). d) Beweislast

86 Die Beweislast hinsichtlich der Pflichtverletzung (verspätete Insolvenzanzeige) tragen die

Gläubiger.210 Zu den Einzelheiten Rz. 61. Auch der Schaden ist grundsätzlich von den Gläubigern zu beweisen.211 Er kann aber gem. § 287 ZPO durch das Gericht geschätzt werden.

87 Hinsichtlich des Verschuldens wurde schon bisher für die verschleppte Insolvenz-

antragstellung unter Verweis auf § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 64 Satz 2 GmbHG a.F., § 130a Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. vertreten, dass der Antragspflichtige sich im Falle einer objektiven Pflichtverletzung exkulpieren muss.212 So formulierte der BGH zu § 64 Abs. 2 GmbHG a.F., dass die Beweislast für die fehlende Erkennbarkeit den Geschäftsleiter treffe.213 Diese Beweislastumkehr lässt sich auch auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG übertragen. Naheliegend ist eine Analogie zu § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG.

4. Geltendmachung 88 Neugläubiger können ihre Schäden auch während des Insolvenzverfahrens selbst geltend ma-

chen, da es sich nicht um einen Gesamtschaden der Gläubiger handelt.214 § 92 InsO ist deshalb nicht anwendbar.

5. Verzicht, Vergleich, Verjährung 89 Da Neugläubiger selbst Inhaber der Ansprüche sind und diese auch selbst geltend machen,

können sie auf die Ansprüche auch ohne Einschränkungen verzichten und sich über die Ansprüche vergleichen.215

209 Vgl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200 f.; Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 344; Habersack/Foerster in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 92 AktG Rz. 113; Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 43. 210 Für § 15a InsO Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 268; Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 31; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 43; für § 64 GmbHG a.F. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200; BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rz. 16; BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 57. Detailliert zur Überschuldungsprüfung Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 267. 211 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 266. 212 Siehe etwa Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 268; Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 31; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 45; Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 163; in der Sache auch Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 240. 213 BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 185. 214 Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 40. So auch die h.M. für § 15a InsO: BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 201; BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211, 214 ff.; Bork, ZGR 1995, 505, 523 ff.; Haas, DStR 2003, 423, 430; Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 38; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 256; H.-F. Müller in MünchKomm/ GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 274; Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 162; a.A. K. Schmidt in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. 11.25 ff.; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 42. 215 Vgl. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 346; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 272.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 93 § 42

Schon zur allgemeinen Insolvenzverschleppungshaftung hat der BGH entschieden, dass die 90 Ansprüche der Neugläubiger keinem besonderen Verjährungsregime, sondern den allgemeinen Verjährungsregeln unterliegen.216 Das gilt auch für Ansprüche wegen verspäteter Insolvenzanzeige.

6. Haftung mehrerer Verpflichteter Waren mehrere Personen zur Anzeige der materiellen Insolvenz verpflichtet und haben sie 91 ihre Pflichten schuldhaft verletzt, haften sie den Gläubigern nach § 840 BGB als Gesamtschuldner.217 Im Innenverhältnis können sie von den anderen Gesamtschuldnern anteiligen Regress verlangen, dessen Höhe sich nach den Verursachungsbeiträgen bemisst (§ 426 BGB).218 Dafür kann insbesondere der Ressortaufteilung Bedeutung zukommen.

VIII. Weitere Haftungstatbestände bei Insolvenzverschleppung 1. Anspruch gem. § 826 BGB Eine deliktische Haftung wegen Insolvenzverschleppung kann auch auf § 826 BGB gestützt 92 werden.219 Voraussetzung ist allerdings eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, wobei sich der Vorsatz auch auf den Schaden der Gläubiger beziehen muss.220 Praktische Bedeutung kann der deliktische Anspruch erlangen, weil er nicht auf die in § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG Verpflichteten beschränkt ist, sondern gegen jedermann erhoben werden kann.221 Deliktsschuldner können deshalb auch Gesellschafter oder Gläubiger sein.222 Zu beachten ist allerdings § 89 Abs. 1, 2 StaRUG (§ 89 Rz. 46 ff., Rz. 66 ff.). Ist der Anspruch gegen Geschäftsleiter oder andere Anzeige- oder Antragspflichtige gerichtet, 93 soll schon der bloße Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht den Sittenwidrigkeitsvorwurf begründen.223 Für § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG dürfte der BGH das nicht anders beur216 Vgl. BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, NJW 2011, 2427 = ZIP 2011, 1007 Rz. 14 (§ 64 Abs. 1 GmbHG a.F.); Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 347; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 47; Wolfer in BeckOK/InsR, § 15b InsO Rz. 35 (Stand: 25. Ed. 15.10.2021). 217 Vgl. für § 15a InsO Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 358; Bork in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 64 GmbHG Rz. 73; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 245; Habersack/Foerster in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 92 AktG Rz. 114; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 276; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 36. 218 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 271. 219 BGH v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 142; BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, NZI 2008, 242 = ZIP 2008, 361 Rz. 15 (insoweit in BGHZ 175, 58 nicht abgedruckt); BGH v. 27.7.2021 – II ZR 164/20, ZIP 2021, 1856 Rz. 19 ff. 220 Jüngst BGH v. 27.7.2021 – II ZR 164/20, ZIP 2021, 1856 Rz. 20, 22 ff.; aus der Literatur statt aller Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 826 BGB Rz. 26 f. 221 Vgl. Bork in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 64 GmbHG Rz. 76; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 254; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 296. 222 Dazu etwa Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 300 ff.; Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 826 BGB Rz. 173 ff. 223 BGH v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 144 f.; BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, NZI 2008, 242 = ZIP 2008, 361 Rz. 15 (insoweit in BGHZ 175, 58 nicht abgedruckt); BGH v. 27.7.2021 – II ZR 164/20, ZIP 2021, 1856 Rz. 26; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 298; Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 826 BGB Rz. 172; a.A. Casper in Habersack/Casper/ Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 254.

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§ 42 Rz. 93 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift teilen. Demgegenüber kann aus einem Verhalten, das § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG nicht verletzt, auch kein Sittenwidrigkeitsvorwurf hergeleitet werden.224 Ob hingegen der Vorwurf ebenfalls entfällt, wenn die Anzeigepflichtigen die Anzeige unterlassen, weil sie noch einen lohnend erscheinenden Sanierungsversuch unternehmen wollten,225 scheint mit Blick auf das gerichtliche Ermessen in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG offen. 94 Für Schäden der Altgläubiger wird der Anspruch gegen die Geschäftsleiter allerdings durch

§ 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG verdrängt (Rz. 43 ff.), da der Gesetzgeber den gebündelten Gesamtgläubigerschaden der Gesellschaft zur Liquidation zuweist. Das steht im Einklang mit der Wertung des § 92 InsO für das Insolvenzverfahren, der auch sämtliche deliktische Ansprüche erfasst.226

2. Anspruch gem. § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2, 3 BGB (c.i.c.) 95 In der Literatur wird teilweise vertreten, dass eine Haftung der Geschäftsleiter gegenüber Neu-

gläubigern (auch) auf § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2, 3 BGB (culpa in contrahendo) gestützt werden kann.227 Konstruktiv lautet der Vorwurf dann allerdings nicht, die Insolvenz verspätet angezeigt oder den Insolvenzantrag verspätet gestellt zu haben, sondern die Gläubiger trotz Verletzung der Insolvenzanzeige- oder -antragspflicht nicht über die materielle Insolvenz der Gesellschaft aufgeklärt zu haben.228 Da der Anspruch allerdings wie der deliktische auf das negative Interesse gerichtet ist, ist seine praktische Bedeutung gering.229

3. Straftatbestände als Schutzgesetze 96 Neben den Ansprüchen wegen Insolvenzverschleppung kommen weitere Ansprüche in Be-

tracht, die sich auf andere Schutzgesetze stützen können, gegen die häufig im Zusammenhang mit der Insolvenz einer Gesellschaft verstoßen wird. Dazu zählen etwa die Straftatbestände Betrug und Kreditbetrug (§§ 263, 265b StGB), Untreue (§ 266 StGB), Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) sowie die Insolvenzstraftatbestände (§§ 283–283d StGB).230

224 Für § 15a InsO ebenso Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 298; Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 826 BGB Rz. 172. 225 So Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 299 (für § 15a InsO). 226 Vgl. K. Schmidt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 92 InsO Rz. 4. 227 Freitag/Korch, GmbHR 2013, 1184, 1188 ff.; Könen in BeckOGK/HGB, § 130a HGB Rz. 164 (Stand: 15.11.2021); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 36 II 5. (S. 1086 ff.); K. Schmidt, ZIP 1988, 1497, 1503; zustimmend wohl auch Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, 2000, S. 375; dagegen etwa Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 165. 228 Freitag/Korch, GmbHR 2013, 1184, 1188 f.; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 288; K. Schmidt, ZIP 1988, 1497, 1503 f. 229 So auch Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 257; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 284; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 287; vgl. ferner Wagner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665, 1673. 230 Vgl. dazu A. Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 88; Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 404 ff.; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 250 ff.; Habersack/Foerster in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 92 AktG Rz. 118; Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 45 ff.; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 288 ff.; Schneider/M. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Pentz, 7. Aufl. 2022, Anh. II § 60 GmbHG Rz. 107; Ristelhuber in FK/InsO, 9. Aufl. 2018, Anh. nach § 15a InsO Rz. 60 ff.; Wolfer in BeckOK/InsR, § 15a InsO Rz. 37–37b (Stand: 25. Ed. 15.10.2021).

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IX. Haftung für verbotene Zahlungen (§ 15b InsO) 1. Überblick Neben der Insolvenzverschleppungshaftung hat vor allem die Haftung für Zahlungen nach In- 97 solvenzreife praktische Bedeutung erlangt. Seit dem 1.1.2021 findet sich die zentrale und rechtsformübergreifende Anspruchsgrundlage in § 15b Abs. 4 Satz 1 InsO.231 Sie verpflichtet Geschäftsleiter und Abwickler von juristischen Personen oder gleichgestellten Gesellschaften (§ 15b Abs. 1, 6 InsO)232 zum Ersatz der Zahlungen, die entgegen § 15b Abs. 1 InsO nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung geleistet wurden und nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Die Vorschrift gilt zudem kraft Verweises in § 116 Satz 1 AktG für Aufsichtsratsmitglieder einer AG. Standardmäßig werden die Ansprüche von einer D&O-Versicherung erfasst (eingehend § 43 Rz. 131).233 Seit der Neuregelung besteht für die Verpflichteten nach § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO die Mög- 98 lichkeit, nachzuweisen, dass der Gesellschaft kein oder nur ein geringerer Schaden entstanden ist.234 Damit besteht kein Bedürfnis mehr, von einem Anspruch eigener Art zu sprechen; vielmehr handelt es sich um einen Schadensersatzanspruch, wobei die Höhe des Schadens widerleglich in Höhe des Auszahlungsbetrags vermutet wird.235 Verzicht, Vergleich und Verjährung regelt § 15b Abs. 4 Satz 4, 5, Abs. 7 InsO.236 Der Anspruch gem. § 15b Abs. 4 InsO wird in der Insolvenz durch den Insolvenzverwalter 99 oder den Sachwalter geltend gemacht.237 Im Falle der Abweisung mangels Masse können sich 231 Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 2 (Stand: 89. EL August 2021); Bremen in Graf-Schlicker, 6. Aufl. 2022, § 15b InsO Rz. 2; Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 35; Thole, BB 2021, 1347, 1352; Wolfer in BeckOK/InsR, § 15b InsO Rz. 41 (Stand: 25. Ed. 15.10.2021). 232 Dazu Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 7 f. (Stand: 87. EL März 2021). Vgl. ausführlich zum Adressatenkreis Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 61 ff. 233 BGH v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, BGHZ 227, 279 = NJW 2021, 231 Rz. 16 ff. (a.A. die Vorinstanz: OLG Düsseldorf v. 20.7.2018 – 4 U 93/16, NZI 2018, 758 = ZIP 2018, 1542 Rz. 70 ff.); Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 76; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 228; Schneider/M. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Pentz, 7. Aufl. 2022, Anh. II § 60 GmbHG Rz. 59; vgl. zu § 64 GmbHG a.F. auch Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 216 ff.; Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 74. 234 Dazu Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 69 ff. (Stand: 87. EL März 2021); Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 62 ff.; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 196; Mönning in Nerlich/Römermann, § 15b InsO Rz. 28 (Stand: 44. EL November 2021); Wolfer in BeckOK/InsR, § 15b InsO Rz. 33 (Stand: 25. Ed. 15.10.2021). 235 Siehe auch BT-Drucks. 19/24181: „Ist der Gläubigerschaft der juristischen Person ein geringerer Schaden entstanden, beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens.“ Zuvor bereits Altmeppen, ZIP 2021, 1, 2; zu § 15b InsO; Bitter, GmbHR 2022, 57, 65 f.; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 18; Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 61; Haas in Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 64 Rz. 18; Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG, erscheint in KTS 2023; H.-F. Müller, GmbHR 2021, 737, 741; terminologisch anders, in der Sache aber wie hier Thole, BB 2021, 1347, 1353; a.A. Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/ Bork, § 15b InsO Rz. 5 (Stand: 87. EL März 2021); Wolfer in BeckOK/InsR, § 15a InsO Rz. 27 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022); wohl auch Bremen in Graf-Schlicker, 6. Aufl. 2022, § 15b InsO Rz. 4. 236 Vertiefend Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 74 ff. (Stand: 87. EL März 2021); Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 69, 71; Wolfer in BeckOK/InsR, § 15b InsO Rz. 39–42 (Stand: 25. Ed. 15.10.2021). 237 Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 73 (Stand: 87. EL März 2021); H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 232; Schneider/M. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Pentz, 7. Aufl. 2022, Anh. II § 60 GmbHG Rz. 56; vgl. zu § 64 GmbHG a.F. Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 77; Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64

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§ 42 Rz. 99 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift die Gläubiger den Anspruch pfänden und überweisen lassen.238 In diesem Fall sollen die Gläubiger den gesamten Schaden geltend machen können.239

2. Anwendbarkeit im Restrukturierungsverfahren 100 Die Vorschrift findet auch Anwendung, wenn Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung wäh-

rend der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache eintreten.240 Der Wortlaut des § 15b Abs. 1 Satz 1 InsO stellt nämlich nicht auf die Insolvenzantragspflicht, sondern auf das Vorliegen der Insolvenzgründe ab.241 Problematischer ist freilich, dass die Norm nur von den Antragspflichtigen spricht, womit auf § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO verwiesen wird. Der zu eng geratene Wortlaut erfasst damit bei formaler Betrachtung nicht die Anzeigepflichtigen nach § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Allerdings ist die Vorschrift – wohl schon im Wege der systematischen und teleologischen Auslegung und nicht erst im Wege der Analogie – ebenso auf die Anzeigepflichtigen nach § 42 Abs. 1 Satz 1 StaRUG anwendbar.242 Das ergibt sich aus § 89 Abs. 3 StaRUG, der redundant wäre, wenn § 15b InsO die Geschäftsleiter einer Gesellschaft im Restrukturierungsverfahren nicht erfasste. Auch im Restrukturierungsverfahren besteht ein Bedürfnis, die Masse bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu erhalten. Die Haftung wird nicht durch § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG verdrängt (Rz. 107).

3. Verbotene und privilegierte Zahlungen nach Insolvenzreife a) Vorgaben des § 15b InsO 101 Mit Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung sind die Geschäftsleiter (oder Ab-

wickler) grundsätzlich verpflichtet, keine Zahlungen mehr zu leisten.243 Schon vor der gesetzlichen Neuregelung im Jahr 2021 wurden Ausnahmen davon zugelassen, allerdings nur sehr restriktiv, namentlich bei Notgeschäftsführung, masseneutralen Zahlungen sowie Zahlungen aufgrund einer strafbewehrten Pflichtenkollision (insbesondere Steuerzahlungen und Abführung von Sozialversicherungsabgaben).244 Ein Sanierungsprivileg bestand nur unter sehr en-

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240 241 242 243 244

GmbHG Rz. 41; unzutreffend auf § 92 InsO stützen die Geltendmachung Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 67. Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 73 (Stand: 87. EL März 2021); H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 233; Schneider/M. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Pentz, 7. Aufl. 2022, Anh. II § 60 GmbHG Rz. 57; vgl. ferner zu § 64 GmbHG a.F. BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, NJW 2001, 304, 305 = ZIP 2000, 1896; Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 78. Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 73 (Stand: 87. EL März 2021); Schneider/ M. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Pentz, 7. Aufl. 2022, Anh. II § 60 GmbHG Rz. 57; zu § 64 GmbHG a.F. BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, NJW 2001, 304, 305 = ZIP 2000, 1896; Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2210; Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 41; a.A. Bitter, WM 2001, 666, 671. Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 11 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 14; Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 42; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 29. Mock in Skauradszun/Fridgen, § 42 StaRUG Rz. 28. So auch Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293, 1299; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 29. Ausführlich Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 15 ff. (Stand: 87. EL März 2021). Dazu Baumert, NZG 2021, 443, 443 f.; Bork in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 64 GmbHG Rz. 15, 22 f.; Klöhn/Zell, NZI 2022, 673, 674; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 196 f.; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 64 GmbHG Rz. 153 ff.; zum Ausgleich durch zufließende Mittel Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 22 ff. (Stand: 87. EL März 2021).

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 103 § 42

gen Voraussetzungen.245 Der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen für erlaubte Zahlungen in § 15b Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO deutlich herabgesetzt und damit den Anwendungsbereich der Ausnahme spürbar erweitert.246 Danach gelten Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.247 Das gilt nach § 15b Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 InsO allerdings nicht im Stadium der Insolvenzverschleppung, in dem regelmäßig alle Zahlungen verboten sind.248 b) Rechtslage im Restrukturierungsverfahren aa) Überblick Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache sind Zahlungen nach Eintritt der 102 Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung gem. § 15b Abs. 1 Satz 1 InsO grundsätzlich ebenfalls verboten. Allerdings kommen auch hier Privilegierungen in Betracht. Dabei ist zwischen vier Szenarien zu unterscheiden: Zahlungen können nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet werden, ohne dass die Insolvenz rechtzeitig angezeigt wurde. Zweitens kann – je nach vertretener Auffassung – zwar ein Insolvenzgrund vorliegen, die Drei- beziehungsweise Sechs-Wochen-Sanierungshöchstfrist aber noch nicht abgelaufen sein. Drittens können im Zeitraum zwischen Anzeige der materiellen Insolvenz gegenüber dem Restrukturierungsgericht und dessen Entscheidung nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG Zahlungen erfolgen. Viertens kann das Gericht von der Aufhebung des Restrukturierungsverfahrens (vorläufig) absehen und der Betrieb des Unternehmens weiterlaufen. bb) Zeitraum der Insolvenzverschleppung Für den Zeitraum der Insolvenzverschleppung wegen verspäteter Anzeige nach § 42 Abs. 1 103 Satz 2 StaRUG fehlt eine gesetzliche Regelung, da § 15b Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 InsO allein auf § 15a InsO verweist. Allerdings bietet sich auch hier eine teleologische Auslegung dahin an, dass eine Insolvenzverschleppung nach beiden Vorschriften gleichbehandelt werden soll. Alternativ ist eine analoge Anwendung des § 15b InsO denkbar,249 die sich einerseits auf die ähnliche Zweckrichtung von Insolvenzanzeigepflicht und Insolvenzantragspflicht stützt, andererseits auf einen systematischen Abgleich mit § 89 Abs. 3 StaRUG. Denn dort ist der Zeitraum bis zur Entscheidung des Restrukturierungsgerichts geregelt, nicht jedoch der Zeitraum der Insolvenzverschleppung. Es liegt nahe, dass der Gesetzgeber im recht zügigen Gesetzgebungsprozess die nötige Abstimmung der Vorschriften versäumt hat. Zahlungen im Zeitraum der Insolvenzverschleppung sind deshalb grundsätzlich verboten.250 245 Siehe BGH v. 21.5.2019 – II ZR 337/17, ZIP 2019, 1719 Rz. 18; ferner BGH v. 23.6.2015 – II ZR 366/ 13, BGHZ 206, 52 Rz. 24, dazu Haas in Baumbach/Hueck, 22. Aufl. 2019, § 64 GmbHG Rz. 91; Kleindiek, EWiR 2015, 565; BGH v. 4.7.2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619; Klöhn/Franke, ZEuP 2022, 44, 78; Klöhn/Zell, NZI 2022, 673, 674. 246 Vgl. Baumert, NZG 2021, 443, 444; Bitter, ZIP 2021, 321, 326; Bitter, GmbHR 2022, 57, 58 ff.; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 16; Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 40; Klöhn/Zell, NZI 2022, 673, 674 f.; Thole, BB 2021, 1347, 1352 f. 247 Dazu ausführlich Baumert, ZRI 2021, 962, 965; Bitter, GmbHR 2022, 57, 59 ff.; Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 42 f. (Stand: 87. EL März 2021); Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 38 ff.; Kunz in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 20 Rz. 16 ff. 248 Vgl. Bitter, GmbHR 2022, 57, 58 f. (zu Ausnahmen ebd. 61 f.); Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/ Bork, § 15b InsO Rz. 51 (Stand: 87. EL März 2021); Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 57; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 197; Mönning in Nerlich/Römermann, § 15b InsO Rz. 24 (Stand: 44. EL November 2021); Thole, BB 2021, 1347, 1353. 249 Für eine analoge Anwendung Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 45 (Stand: 87. EL März 2021). 250 Zu möglichen Ausnahmen s. Klöhn/Zell, NZI 2022, 673, 674 ff.

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§ 42 Rz. 104 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift cc) Zeitraum der Sanierungsbemühungen 104 Nach überwiegender Ansicht besteht im Rahmen des § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG kein Zeit-

fenster für Sanierungsbemühungen nach erkannter Insolvenz (Rz. 34 ff.), weshalb Zahlungen grundsätzlich verboten wären. Wer demgegenüber eine solche Sanierungsfrist anerkennen möchte, wird § 15b Abs. 2 Satz 1 InsO anwenden müssen.251 Das hätte allerdings zur Konsequenz, dass in diesem Zeitraum Zahlungen in größerem Umfang möglich wären als während der Prüfung durch das Restrukturierungsgericht (Rz. 105). dd) Zeitraum bis zur Entscheidung des Restrukturierungsgerichts

105 Ausdrücklich geregelt hat der Gesetzgeber Zahlungen, die im Zeitraum zwischen Anzeige der

Insolvenz gegenüber dem Restrukturierungsgericht und dessen Entscheidung getätigt werden: § 89 Abs. 3 Satz 1 StaRUG sieht vor, dass Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar gelten. Das erfasst insbesondere Zahlungen, die für die Fortführung der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und die Vorbereitung und Umsetzung des angezeigten Restrukturierungsvorhabens erforderlich sind. Die Vorschrift ähnelt § 15b Abs. 2 Satz 1 InsO.252 Allerdings sieht § 89 Abs. 3 Satz 2 StaRUG eine Einschränkung vor, die § 15b InsO nicht kennt: Ausgenommen sind danach Zahlungen, die bis zur absehbaren Entscheidung des Restrukturierungsgerichts zurückgehalten werden können, ohne dass damit Nachteile für eine Fortsetzung des Restrukturierungsvorhabens verbunden sind.253 Hinsichtlich der Einzelheiten sei auf die Kommentierung zu § 89 StaRUG verwiesen (§ 89 Rz. 77 ff.). ee) Entscheidung für (vorläufige) Fortführung des Restrukturierungsverfahrens

106 Hebt das Gericht die Restrukturierungssache gem. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG nicht auf,

kann sich aus Sicht des Schuldners die Notwendigkeit ergeben, zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs bis zum geplanten Abschluss der Restrukturierung Zahlungen zu tätigen. Auch in diesem Fall gilt § 89 Abs. 3 Satz 1 InsO, so dass Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar gelten.254 Das erfasst insbesondere Zahlungen, die für die Fortführung der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und die Vorbereitung und Umsetzung des angezeigten Restrukturierungsvorhabens erforderlich sind. Damit entspricht der Maßstab dem des § 15b Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO. Die Einschränkung des § 89 Abs. 3 Satz 2 StaRUG gilt nach der Entscheidung des Restrukturierungsgerichts nicht mehr, auch nicht in analoger Anwendung.

4. Verhältnis zur Insolvenzverschleppungshaftung 107 Die Haftung aus § 15b Abs. 4 Satz 1 InsO steht in Idealkonkurrenz zur Insolvenz-

verschleppungshaftung gegenüber den Altgläubigern.255 Bei einer parallelen Geltendmachung ist allerdings zu beachten, dass sich der Anspruchsinhalt überschneiden kann. Denn der Quotenschaden der Altgläubiger kann sich gerade daraus ergeben, dass im Verschleppungs-

251 Einzelheiten etwa bei Wolfer in BeckOK/InsR, § 15b InsO Rz. 17 ff. (Stand: 25. Ed. 15.10.2021); ähnlich auch Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 45 (Stand: 87. EL März 2021). 252 Zum Vergleich der Vorschriften Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 15. 253 Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 44 (Stand: 87. EL März 2021); Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293, 1299. 254 Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 14. 255 Vgl. Bitter, ZIP 2021, 321, 334; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 156.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 111 § 42

zeitraum noch Zahlungen geleistet wurden, für die die Masse keinen gleichwertigen Wertzuwachs erlangt hat. Nach der Neufassung des § 15b Abs. 4 InsO sowie der Normierung des Binnenhaftungsanspruchs nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG stellt der Schaden wegen verbotener Auszahlungen einen Ausschnitt aus dem gesamten Quotenverschlechterungsschaden der Gläubiger dar.256 Er erfasst den Teil der Quotenminderung, der auf die Auszahlungen zurückgeht.257 Der Anspruch kann allerdings über den Quotenschaden hinausreichen, wenn den Geschäftsleitern der Gegenbeweis nach § 15 Abs. 4 Satz 2 InsO misslingt. Werden beide Ansprüche parallel geltend gemacht, ist deshalb eine doppelte Befriedigung 108 der Masse bei der Berechnung des Gesamtschadens zu vermeiden. Bei einer zeitversetzten Geltendmachung ist die bereits titulierte Forderung auf den zweiten Anspruch anzurechnen, soweit sich der Schaden deckt. Werden etwaige verbotene Zahlungen durch die Geschäftsleiter erstattet, verringert sich gegebenenfalls der Quotenschaden der Gläubiger nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Umgekehrt kann der zuvor zugesprochene Quotenschaden bereits den durch die verbotenen Zahlungen entstandenen Schaden ganz oder teilweise enthalten. Praktische Schwierigkeiten bei der Schadensberechnung können sich wegen der abweichen- 109 den Beweislastverteilung ergeben: Den Quotenschaden wegen Verletzung des § 42 Abs. 1 StaRUG muss der Insolvenzverwalter oder der Sachwalter beweisen, während der Anspruch wegen verbotener Zahlungen zunächst in voller Auszahlungshöhe vermutet wird und der Nachweis eines niedrigeren Gläubigerschadens den Geschäftsleitern obliegt (§ 15b Abs. 4 Satz 2 InsO).258 Auch künftig dürfte die Haftung wegen verbotener Zahlungen deshalb praktisch bedeutsamer sein als die Insolvenzverschleppungshaftung hinsichtlich des Altgläubigerschadens. Bisher nicht geklärt ist demgegenüber das Verhältnis der Schadensposten nach § 15b Abs. 4 110 InsO und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 Abs. 1 InsO oder § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, da die Ansprüche verschiedenen Inhabern zustehen und deshalb eine Anrechnung schwer begründbar ist. Zugleich trifft aber eine doppelte Inanspruchnahme ebenfalls nicht das Richtige.

5. Haftung für insolvenzverursachende Zahlungen (§ 15b Abs. 5 InsO) Schon vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung können Zahlungen gem. 111 § 15b Abs. 5 InsO eine Haftung auslösen, wenn sie an Gesellschafter einer juristischen Person geleistet werden und zur Zahlungsunfähigkeit der juristischen Person führen mussten, sog. insolvenzverursachende Zahlungen.259 Die Vorschrift gilt auch im Restrukturierungsverfahren. Ist Zahlungsunfähigkeit allerdings bereits eingetreten, gilt nicht Abs. 5, sondern Abs. 1.260 Deshalb kommt die Norm grundsätzlich nicht zur Anwendung, wenn der Gesellschafter ei-

256 Eingehend dazu Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG, erscheint in KTS 2023; mit ähnlichem Verständnis schon zur alten Rechtslage K. Schmidt, ZIP 2005, 2177, 2183. 257 Eine Ausnahme gilt für den Sanierungszeitraum, in dem keine Insolvenzverschleppungshaftung besteht, ein Anspruch nach § 15b InsO allerdings nicht ausgeschlossen ist. Ein solcher Sanierungszeitraum wird allerdings für § 42 Abs. 1 StaRUG ganz überwiegend abgelehnt (Rz. 34 ff.). 258 Zur Beweislastverteilung des § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO: Bitter, ZIP 2021, 321, 338 f.; Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2367 (zum Regierungsentwurf); Mönning in Nerlich/Römermann, § 15b InsO Rz. 28 f. (Stand: 44. EL November 2021); Wolfer in BeckOK/InsR, § 15b InsO Rz. 17 (Stand: 25. Ed. 15.10.2021). 259 Ausführlich zu den Voraussetzungen Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 94 ff. (Stand: 87. EL März 2021); vgl. auch A. Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 46 ff. 260 Vgl. Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 91 (Stand: 87. EL März 2021).

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§ 42 Rz. 111 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift nen fälligen Anspruch besitzt.261 Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist folglich schmal. So sind Rückzahlungen von Überbrückungshilfen der Gesellschafter grundsätzlich nur dann an § 15b Abs. 5 InsO zu messen, wenn der Rückzahlungsanspruch noch nicht fällig war. Ist der objektive Tatbestand erfüllt, steht den Geschäftsleitern (und Abwicklern) der Beweis offen, dass die Verursachung der Zahlungsunfähigkeit nicht erkennbar war und es folglich am Verschulden fehlt.262 Zudem sollen Geschäftsleiter sich exkulpieren können, wenn die Zahlung der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs sowie der Sanierungschance diente.263

X. Haftung anderer Beteiligter 1. Überblick 112 Eine Haftung wegen Insolvenzverschleppung kommt grundsätzlich nur zu Lasten der nach

§ 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG Verpflichteten in Betracht.264 Andere Personen können somit allenfalls als Teilnehmer gem. § 830 Abs. 2 BGB haften.265 Dabei kommen die strafrechtlichen Grundsätze zur Anstiftung und Beihilfe zum Tragen.266 Erforderlich ist deshalb eine vorsätzliche Teilnahmehandlung zu einer vorsätzlich rechtswidrigen Haupttat.267 Fehlt dem tauglichen Täter der Vorsatz, kann eine Haftung Dritter auf § 826 BGB gestützt werden, wenn ihr Beitrag die Hürde der Sittenwidrigkeit überschreitet und zudem der Vorsatz auch die Schädigung anderer Personen, insbesondere der Gläubiger, einschließt.268 Mögliche Teilnehmer kön261 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 Rz. 10 ff. (allerdings mit Ausnahmen bei geringfügigen Deckungslücken, Rangrücktritt und der provozierten Kündigung von Kreditlinien anderer Gläubiger); aus der Literatur zu § 64 GmbHG a.F. etwa Altmeppen, 10. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 82; A. Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 48 f.; Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 241 ff.; Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 200; Kolmann in Saenger/Inhester, 4. Aufl. 2020, § 64 GmbHG Rz. 99, 102 ff.; kritisch z.B. Casper in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 196. 262 Dazu Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 106 (Stand: 87. EL März 2021); H.F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 225. 263 Bork/Kebekus in Kübler/Prütting/Bork, § 15b InsO Rz. 107 (Stand: 87. EL März 2021); H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 247; zu § 64 Satz 3 GmbHG a.F. Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 202; Knof, DStR 2007, 1580, 1584. 264 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 275 (für die Insolvenzverschleppungshaftung); zu § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. schon BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 57. 265 Vgl. zu § 15a InsO Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 299; Habersack/ Foerster in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 92 AktG Rz. 115; Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 29; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 338; Nerlich in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, Anh. § 64 GmbHG Rz. 99; Wagner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665, 1690; zuvor bereits BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 107 – Herstatt (zu § 92 Abs. 2 AktG a.F.); BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 57 (zu § 64 Abs. 1 GmbHG a.F.); Hommelhoff/M. Schwab in FS Kraft, 1998, S. 263, 269; K. Schmidt, JZ 1978, 661, 666. 266 Allgemein BGH v. 4.11.1997 – VI ZR 348/96, BGHZ 137, 89, 102; Wagner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665, 1690; für § 15a InsO auch Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 276. 267 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 107 – Herstatt (zu § 92 Abs. 2 AktG a.F.); BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 57 (zu § 64 Abs. 1 GmbHG a.F.); Bayer/Lieder, WM 2006, 1, 9 ff.; Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 363; Habersack/Foerster in GroßKomm/ AktG, 5. Aufl. 2015, § 92 AktG Rz. 116; Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 29; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 276; Wagner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665, 1690 f.; kritisch Ehricke, ZGR 2000, 351, 358 ff. (für die Teilnahme an einer fahrlässigen Haupttat); Hommelhoff/M. Schwab in FS Kraft, 1998, S. 263, 269; K. Schmidt, JZ 1978, 661, 666. 268 Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 338; Wagner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665, 1691; vgl. ferner Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 29.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 114 § 42

nen neben den Beratern (Rz. 113) vor allem die Gesellschafter sein, wenn sie – ohne die Grenze zur faktischen Geschäftsführung zu überschreiten – im Hintergrund die Fäden in der Hand halten und etwa den Geschäftsführer veranlassen, die materielle Insolvenz nicht gegenüber dem Restrukturierungsgericht anzuzeigen.269 Eine Teilnahmehaftung wegen verbotener Zahlungen nach § 15b InsO kommt hingegen nicht in Betracht, da der Anspruch im organschaftlichen Verhältnis zwischen Gesellschaft und Verpflichteten ruht und keinen Deliktstatbestand darstellt.270

2. Beraterhaftung Berater des Schuldners (Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensbera- 113 ter usw.) haften gegenüber Gläubigern im Außenverhältnis grundsätzlich nur im Fall der vorsätzlichen Teilnahme an einer vorsätzlich begangenen Haupttat (§ 830 Abs. 2 BGB). Daneben kommt eine Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung in Betracht (§ 826 BGB), wenn ihr Beitrag zur Schädigung von erheblichem Gewicht ist. Allerdings ist zu beachten, dass berufstypische, neutrale Unterstützungshandlungen nicht ohne weiteres eine Beihilfe oder gar Anstiftung begründen.271 Erforderlich ist vielmehr, dass die Berater wissen, dass der Anzeigepflichtige die Insolvenz verschleppen will; dem steht ein Für-möglich-Halten gleich, wenn der Täter erkennbar tatgeneigt war.272 Ob wegen § 102 StaRUG auch eine Beihilfe durch Unterlassen in Betracht kommt, bleibt abzuwarten (§ 102 Rz. 32). Gegenüber der Gesellschaft kommt eine Haftung aus dem Mandatsverhältnis in Betracht. 114 Ob etwa eine Pflicht bestand, auf eine etwaige Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung hinzuweisen, bestimmt sich primär nach dem erteilten Mandat.273 Zu beachten ist allerdings, dass der Gesetzgeber – im Anschluss an den BGH274 – in § 102 StaRUG die Pflicht zum Hinweis auf das mögliche Vorliegen von Insolvenzgründen aufgenommen hat, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind.275 Zudem müssen die Berater auf daran anknüpfende Pflichten der Geschäftsleiter hinweisen, wenn anzunehmen ist, dass diese sich der Pflichten nicht bewusst sind (zur Hinweispflicht s. § 102 Rz. 12 ff.). Diese Pflicht dürfte auf die Mandatsverhältnisse ausstrahlen und unabhängig davon bestehen, ob die Parteien dies ausdrück-

269 Vgl. für die verhinderte Insolvenzantragstellung Bayer/Lieder, WM 2006, 1, 10; Ehricke, ZGR 2000, 351, 355 f.; Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 299; Nerlich in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, Anh. § 64 GmbHG Rz. 87 f.; A. Schmidt in HambKomm/InsO, 7. Aufl. 2019, Anh. I H. Rz. 82 f. 270 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, NJW-RR 2008, 1066 Rz. 6 (zu § 64 GmbHG a.F.); BGH v. 6.8.2019 – X ARZ 317/19, NZI 2019, 775 Rz. 20; vgl. auch Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 77 (zu § 64 GmbHG a.F.). 271 Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 277; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 102 StaRUG Rz. 23. 272 BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 112 f.; BGH v. 20.9.1999 – 5 StR 729/98, NStZ 2000, 34, 34; OLG Köln v. 3.12.2010 – 1 Ws 146/10 (128), ZInsO 2011, 288, 289; allgemein auch BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996, 2999; BGH v. 13.7.2010 – XI ZR 28/09, NZG 2011, 69 Rz. 47; zu § 15a InsO ferner Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 277. 273 A. Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 92; Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 7 Rz. 3; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 280; Thole, ZfPW 2015, 31, 33 ff.; vgl. auch Kayser, ZIP 2014, 597, 601. 274 BGH v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, BGHZ 213, 374 Rz. 43 ff.; zuvor bereits Kayser, ZIP 2014, 597, 602; ferner Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 280; allgemein auch BGH v. 18.12.2008 – IX ZR 12/05, NJW 2009, 1141, 1143; kritisch aber A. Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 92. 275 Dazu Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 7 Rz. 11; Neu/Senger, GmbHR 2021, 517, 520.

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§ 42 Rz. 114 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift lich vereinbart haben.276 Bestand eine Pflicht zur Warnung, greift regelmäßig die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ein,277 allerdings ist eine Kürzung gem. § 254 BGB (i.V.m. § 31 BGB analog) denkbar.278 Problematisch ist allerdings die Bestimmung des Schadens, da der Schaden der Gläubiger nicht notwendig mit dem Schaden der Gesellschaft übereinstimmt.279 115 Eine Haftung gegenüber den Geschäftsleitern, den Mitgliedern der Aufsichtsorgane sowie

den Gesellschaftern kommt nur unter den Voraussetzungen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in Betracht.280

XI. Strafbarkeit für verspätete Insolvenzanzeige (§ 42 Abs. 3 StaRUG) 1. Überblick 116 § 42 Abs. 3 Satz 1, 2 StaRUG belegt Verstöße gegen die Insolvenzanzeigepflicht mit Strafe.281

Es handelt sich um ein echtes Unterlassungsdelikt.282 Die Norm unterscheidet dabei zwischen der vorsätzlichen Begehung, die mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird, und der fahrlässigen Begehung, die mit Freiheitstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe geahndet werden kann. Der Strafrahmen gleicht dem des § 15a Abs. 4, 5 InsO.

117 Der Versuch der Insolvenzverschleppung ist nicht strafbar, da es sich um ein Vergehen han-

delt und § 42 StaRUG (ebenso wie § 15a InsO283) keine Versuchsstrafbarkeit vorsieht (§ 23 Abs. 1, § 12 Abs. 2 StGB).

118 Zuständig ist gem. § 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GVG die Wirtschaftsstrafkammer beim LG.

2. Taugliche Täter 119 Es handelt sich um ein Sonderdelikt, das nur von den nach § 42 Abs. 1 StaRUG Anzeige-

pflichtigen begangen werden kann.284 Nach Ansicht des BGH zu § 15a InsO können auch

276 BGH v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, BGHZ 213, 374 Rz. 44. 277 BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 Rz. 39; einschränkend BGH v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 Rz. 15 ff. (wenn auch Sanierungsbemühungen denkbar gewesen wären); aus der Literatur Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 7 Rz. 13; Kayser, ZIP 2014, 597, 603; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 281; anders wohl A. Arnold in Henssler/ Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 64 GmbHG Rz. 92. 278 Dazu BGH v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 Rz. 29 ff. 279 Vgl. auch Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 281. 280 Dazu BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 Rz. 12 ff.; BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, NZI 2013, 438 Rz. 19 ff.; OLG Köln v. 12.8.2021 – 18 U 197/20, BeckRS 2021, 22718; OLG Hamm v. 18.3.2021 – 28 U 279/19, ZIP 2021, 2279; ausführlich auch Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 282 f.; im Kontext des § 102 StaRUG knapp auch Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 102 StaRUG Rz. 20; Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 102 StaRUG Rz. 14. 281 Zu weiteren Strafbarkeitsrisiken Köllner, NZI-Beilage 2021, 71, 73. 282 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 34 (Stand: 44. EL Nov. 2021). 283 Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 338; Ransiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 42. 284 Für § 15a InsO gleichsinnig Bremen in Graf-Schlicker, 6. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 17; Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 64; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 65; Sorg in Braun, 9. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 39; zuvor schon BGH v. 20.9.1999 – 5 StR 729/98, NStZ 2000, 34, 36; Bayer/Lieder, WM 2006, 1, 8.

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Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift | Rz. 123 § 42

faktische Organe Täter sein.285 Wegen des Verweises in § 42 Abs. 1 Satz 1 StaRUG auf § 15a Abs. 3 InsO können zudem im Fall der Führungslosigkeit die Gesellschafter einer GmbH und die Aufsichtsratsmitglieder einer AG oder Genossenschaft strafbar sein. Allerdings ist in diesem Fall Kenntnis erforderlich. Die Beweislastumkehr des § 15a Abs. 3 a.E. InsO (i.V.m. § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) kommt dabei nicht zur Anwendung.286 Ausgenommen sind gem. § 42 Abs. 3 Satz 1 StaRUG Organmitglieder von Vereinen und Stif- 120 tungen. Die Ausnahme entspricht jener zur Insolvenzantragspflicht, die sich dort aus § 15a Abs. 7 InsO ergibt.287 Für andere Personen kommt lediglich eine Strafbarkeit wegen Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) an 121 der vorsätzlich begangenen Haupttat in Betracht. Das gilt etwa für leitende Angestellte und Berater,288 aber auch für Gesellschafter und Aufsichtsratsmitglieder, wenn kein Fall der Führungslosigkeit oder der faktischen Organschaft vorliegt.

3. Objektiver Tatbestand Das strafbare Verhalten liegt in der unterlassenen oder nicht rechtzeitigen Anzeige der Zah- 122 lungsunfähigkeit oder der Überschuldung unter Verletzung der Pflicht aus § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Die Tatbestandsalternative „nicht rechtzeitig“ ist redundant, da die nicht rechtzeitige Anzeige stets eine Nichterfüllung der Anzeigepflicht für die Dauer der Verspätung darstellt,289 da § 42 Abs. 3 StaRUG ein Dauerdelikt normiert.290 Die Unschärfe dürfte aber praktisch ohne Auswirkung sein. Da die Insolvenzanzeige nach § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG keinen Formanforderungen unter- 123 liegt, hat der Gesetzgeber die Handlungsvariante des „Nicht richtig“-Stellens aus § 15a Abs. 4 Nr. 2, Abs. 6 InsO nicht übernommen. Wegen des strafrechtlichen Analogieverbots verbietet sich eine Ausdehnung auf Fälle, in denen die Anzeige unklar oder sonst schwer verständlich ist, solange überhaupt die Insolvenz jedenfalls angedeutet wurde und damit kein Fall des Unterlassens vorliegt.291

285 BGH v. 28.6.1966 – 1 StR 414/65, BGHSt 21, 101, 104 f.; BGH v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118, 122; BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 112 f.; BGH v. 18.12.2014 – 4 StR 323/ 14 u. 4 StR 324/14, GmbHR 2015, 191, 191 f.; zustimmend Bremen in Graf-Schlicker, 6. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 24; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 65; kritisch Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 64; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 328; H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 78; Ransiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 44. Das BVerfG hat Verfassungsbeschwerden gegen diese gerichtliche Praxis nicht zur Entscheidung angenommen, weil es keinen Verstoß gegen die Wortlautgrenze sah: BVerfG v. 16.8.2021 – 2 BvR 972/21, ZInsO 2021, 2080 Rz. 11 ff. 286 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 326, 335; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 65; Ransiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 46. 287 Vgl. auch Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 145; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 42 StaRUG Rz. 22; zu den Hintergründen Sorg in Braun, 9. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 40 ff. 288 Zur Teilnahmestrafbarkeit von Beratern s. BGH v. 20.9.1999 – 5 StR 729/98, NStZ 2000, 34, 36. 289 Vgl. K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 65. 290 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 34 (Stand: 44. EL Nov. 2021); vgl. zu § 84 Abs. 1 GmbHG a.F. BGH v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, BGHSt 53, 24 Rz. 22; zu § 15a InsO etwa Ransiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 42. 291 I.E. auch Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 42 StaRUG Rz. 64.

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§ 42 Rz. 124 | Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Strafvorschrift 124 Eine Vermögensgefährdung oder ein anderer Erfolg ist nicht erforderlich.292 Es handelt sich

um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.293

4. Subjektiver Tatbestand 125 Hinsichtlich der Bestimmung des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit gelten die allgemeinen

Maßstäbe (§§ 15, 16 StGB).294 Besonderheiten ergeben sich allein für Gesellschafter einer GmbH sowie Aufsichtsratsmitglieder einer AG oder Genossenschaft bei Führungslosigkeit, da ihre Pflicht nach § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG i.V.m. § 15a Abs. 3 InsO nur bei Kenntnis besteht. Dolus eventualis genügt insofern nicht.295 Die Beweislastumkehr des § 15a Abs. 3 a.E. InsO ist nicht anwendbar, da sie mit der Unschuldsvermutung unvereinbar ist.296

126 Irren die Verpflichteten über das Vorliegen eines Insolvenzgrundes, liegt ein vorsatzausschlie-

ßender Tatbestandsirrtum vor (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB).297 In diesem Fall kommt allerdings eine fahrlässige Begehung in Betracht (§ 16 Abs. 1 Satz 2 StGB). Bezieht sich der Irrtum hingegen auf die Anzeigepflicht selbst, handelt es sich um einen regelmäßig unbeachtlichen Verbotsirrtum (§ 17 StGB).298 Aufgrund der vielen noch ungeklärten Rechtsfragen und der teils ungenauen Einpassung des § 42 Abs. 1 StaRUG durch den Gesetzgeber sind allerdings bis zu einer gerichtlichen Klärung auch unverschuldete Verbotsirrtümer denkbar.

5. Verjährung 127 Die Verjährung regelt § 78 Abs. 3 StGB. Die vorsätzliche Begehung verjährt demnach in fünf

Jahren (Nr. 4), die fahrlässige in drei Jahren (Nr. 5).299 Die Verjährungsfrist beginnt nach § 78a StGB mit Beendigung der Tat. Bei der Insolvenzverschleppung endet die Tat mit der Anzeige nach § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, mit Insolvenzantragstellung nach § 42 Abs. 2 StaRUG oder mit dem Ende der Insolvenzanzeigepflicht.300

6. Weitere Rechtsfolgen der Verurteilung 128 Neben den strafrechtlichen Sanktionen können sich weitere Rechtsfolgen an eine Verurteilung

wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung knüpfen, namentlich die Amtsunfähigkeit nach 292 Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 324. 293 Curtze in Nerlich/Römermann, § 42 StaRUG Rz. 34 (Stand: 44. EL Nov. 2021); vgl. ferner Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 65; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 323. 294 Vgl. K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 67. Zum Nachweis über die sog. wirtschaftskriminalistische Methode Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 65 (m.w.N.). 295 Vgl. zu § 15a InsO H.-F. Müller in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 82; Ransiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 52. 296 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 326, 335; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 65; Ransiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 15a InsO Rz. 46. 297 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 336. 298 Vgl. A. Arnold in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 15a InsO Rz. 13; Klöhn in MünchKomm/ InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 336. 299 Vgl. BGH v. 10.8.2017 – 3 StR 227/17, NStZ 2018, 86, 87. 300 Vgl. zu § 15a InsO/§ 84 Abs. 1 GmbHG a.F.: BGH v. 4.4.1979 – 3 StR 488/78, BGHSt 28, 371, 379 f.; BGH v. 10.8.2017 – 3 StR 227/17, NStZ 2018, 86, 87.

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Pflichten und Haftung der Organe | § 43

§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a GmbHG und § 76 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AktG. Allerdings sprechen beide Vorschriften von einer Verurteilung wegen unterlassener Insolvenzantragstellung. Eine Erweiterung auf die Insolvenzanzeigepflicht nach § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG hat der Gesetzgeber versäumt. Nach Sinn und Zweck sollte die Vorschrift freilich auch auf diesen Fall Anwendung finden, da hinsichtlich der Amtseignung auch im zweiten Fall erhebliche Bedenken bestehen. Kritisch ist eine solche weite Auslegung oder gar eine Analogie allerdings vor dem Hintergrund, dass die Vorschriften ohnehin teils als unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig angesehen werden.301 Da der BGH diese Bedenken indes nicht teilt,302 stehen die Zeichen wohl auf Berücksichtigung der Anzeigepflicht für die Amtsunfähigkeit.

§ 43 Pflichten und Haftung der Organe (1) 1Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit [ab 1.1.2024: „rechtsfähige Personengeselschaft“] im Sinne des § 15a Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 der Insolvenzordnung, wirken dessen Geschäftsleiter darauf hin, dass der Schuldner die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahrt. 2Für die Verletzung dieser Pflicht haften sie dem Schuldner in Höhe des den Gläubigern entstandenen Schadens, es sei denn sie haben die Pflichtverletzung nicht zu vertreten. (2) 1Ein Verzicht des Schuldners auf Ansprüche nach Absatz 1 Satz 2 oder ein Vergleich über diese Ansprüche ist unwirksam, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. 2Dies gilt nicht, wenn sich der Ersatzpflichtige zur Abwendung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen mit seinen Gläubigern vergleicht, wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird oder wenn für den Ersatzberechtigten ein Insolvenzverwalter handelt. (3) 1Ansprüche nach Absatz 1 Satz 2 verjähren in fünf Jahren. 2Ist der Schuldner zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung eine börsennotierte Gesellschaft, verjähren die Ansprüche in zehn Jahren. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256), Abs. 2 mit Wirkung v. 1.1.2024 geändert durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436) I. 1. 2. 3.

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungen in der Krise . . . . . . . . . . Vorgaben und Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 2 3 3

b) Vorgaben zu den Interessen der Betroffenen (Art. 19 Buchst. a Restrukturierungs-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorgaben zur Insolvenzvermeidung (Art. 19 Buchst. b RestrukturierungsRL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4 7

301 Kritisch etwa Koch 16. Aufl. 2022, § 76 AktG Rz. 62; Kögel, GmbHR 2019, 384, 386 ff.; Mertens/ Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 76 AktG Rz. 123; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 76 AktG Rz. 138. 302 BGH v. 3.12.2019 – II ZB 18/19, NZG 2020, 145 Rz. 19.

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§ 43 | Pflichten und Haftung der Organe

4. 5. 6. II. 1. 2. 3. III. 1. 2.

3.

4. 5. IV. 1. 2.

3.

d) Vorgaben zur Bestandsgefährdung (Art. 19 Buchst. c RestrukturierungsRL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzgebungsmaterialien . . . . . . . . . . . Praktische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . Subjektiver Anwendungsbereich . . . . . . Internationaler Anwendungsbereich . . . Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . Verhaltenspflichten (§ 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Sanierungspflichten . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wahrung der Interessen der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Restrukturierungsziel und Restrukturierungsgefährdung . . . . . . . . . . . . . . d) Sorgfältiges Betreiben der Restrukturierungssache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Informationspflichten gegenüber dem Restrukturierungsgericht . . . . . . . . . . Geschäftsleiterermessen im Restrukturierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit der Business Judgment Rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Voraussetzungen des Ermessens . . . d) Ermessen beim Einsatz der Restrukturierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Horizontale Delegation . . . . . . . . . . . b) Vertikale Delegation . . . . . . . . . . . . . Entgegenstehende Gesellschafterweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftungsvoraussetzungen (§ 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Typisierender Verschuldensmaßstab b) Privilegierung ehrenamtlicher Geschäftsleiter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verschuldenszurechnung (Weiterverweis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsirrtum und Expertenrat . . . . . Schaden und haftungsausfüllende Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Quotenschaden der Gläubiger . . . . . b) Vorteilsausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . c) Haftungsausfüllende Kausalität . . . .

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8 11 14 16 17 17 23 25 27 27 30 30 31 32 33 34 35 35 36 38 40 42 42 43 45 48 48 49 49 50 52 53 54 54 57 58

4. Keine haftungsbefreienden Gesellschafterweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mitverschuldenseinwand . . . . . . . . . . . . 6. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . V. Haftung mehrerer Geschäftsleiter . . . VI. Abdingbarkeit; Verzicht und Vergleich (§ 43 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . VII. Verjährung (§ 43 Abs. 3 StaRUG) . . . . VIII. Geltendmachung und Prozessuales . . 1. Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltendmachung in der Insolvenz . . b) Geltendmachung außerhalb der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Haftung der Geschäftsleiter vor Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geltung der allgemeinen Vorschriften . 2. Berufung auf die Business Judgment Rule X. Außenhaftung der Geschäftsleiter . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung wegen Verstoßes gegen § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . 3. Deliktische Anspruchsgrundlagen . . . . 4. Vertragliche oder vorvertragliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis zur gesellschaftsrechtlichen Geschäftsleiterhaftung . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis zu § 57 StaRUG . . . . . . . . . . 3. Verhältnis zur Insolvenzverschleppungshaftung . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zu Zahlungsverboten (§ 15b InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Pflichten und Haftung von Mitgliedern der Überwachungsorgane . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache . . . . . . . . . . a) Überwachungspflicht . . . . . . . . . . . . b) Eigene Entscheidungen . . . . . . . . . . . 3. Pflichten vor Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache . . . . . . . . . . . . . . . 4. Haftung der Mitglieder der Überwachungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltung der allgemeinen Haftungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59 62 63 64 68 76 79 79 80 81 84 84 87 89 89 91 94 94 96 98 101 105 105 108 109 110 111 111 113 113 115 116 119 119 120 124 125

Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 1 § 43 e) Mitverschuldenseinwand . . . . . . . . . . 127 f) Gesamtschuldnerische Haftung und Binnenregress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

XIII. D&O-Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . 130

Schrifttum: Bea/Dressler, Business Judgement Rule versus Gläubigerschutz? – Praktische Erwägungen zur Organhaftung im Kontext des StaRUG, NZI 2021, 67; Birnbreier, Sorgfaltspflichten der Geschäftsführung während der Vornahme von Restrukturierungsmaßnahmen, NZI-Beilage 2021, 25; Bitter, Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz – Alles neu durch SanInsFoG und StaRUG?, ZIP 2021, 321; Brinkmann, Die Haftung der Geschäftsleiter in der Krise nach dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), ZIP 2020, 2361; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG – Nachtrag zu ZInsO 2021, S. 1 ff., ZInsO 2021, 125; Eckert/Holze/Ippen, StaRUG aus dem Gleichgewicht?, NZI 2021, 153; Fuhrmann/Heinen/Schilz, Die gesellschaftsrechtlichen Aspekte des StaRUG, NZG 2021, 684; Guntermann, StaRUG: Neuausrichtung der Geschäftsleiterpflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit, WM 2021, 214; Hoffmann, Unternehmerische Leitungsentscheidungen in der (Corona-)Krise, WM 2021, 429; Huber/Kranzfelder/Wiedeck, Geschäftsleiterhaftung nach Anzeige einer Restrukturierungssache gem. §§ 43, 57 StaRUG, DB 2021, 2880; Jungmann, Die Ausrichtung der Pflichten von Gesellschaftsorganen an den Interessen der Residualberechtigten, ZRI 2021, 209; Korch, Restrukturierungshaftung der Geschäftsleiter nach dem StaRUG, GmbHR 2021, 793; Korch, Restrukturierungsgesellschaftsrecht – Zur Überformung des Gesellschaftsrechts durch den StaRUG-Regierungsentwurf, NZG 2020, 1299; Korch, Insolvenzverwalterhaftung für unternehmerische Entscheidungen, ZIP 2020, 1596; Korch, Sanierungsverantwortung von Geschäftsleitern – Krisenpflichten im Lichte des Art. 19 der Restrukturierungsrichtlinie, ZGR 2019, 1050; Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG – Ein später Teilerfolg für die Einheitslehren, erscheint in KTS 2023; Kranzfelder/Ressmann, Geschäftsleiterpflichten im Fokus: Haftungserweiterung und Haftungserleichterung nach SanInsFoG, ZInsO 2021, 191; Kuntz, Geschäftsleiterhaftung bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach StaRUG, ZIP 2021, 597; Ristelhuber, Gläubigerinteresse versus Gesellschafterweisung, NZI 2021, 417; J. Schmidt, Präventiver Restrukturierungsrahmen: Internationale Zuständigkeit, Anerkennung und anwendbares Recht, ZInsO 2021, 654; P. Scholz, Die Krisenpflichten von Geschäftsleitern nach Inkrafttreten des StaRUG, ZIP 2021, 219; Schülke, Überwindung der Krise: Die Restrukturierung mit dem neuen StaRUG, DStR 2021, 621; Skauradszun, Grundfragen zum StaRUG, KTS 2021, 1; Skauradszun/Amort, Krisenfrüherkennung und -management, Organkompetenzen und die Frage nach der Restrukturierungsverschleppung, DB 2021, 1317; Smid, Innen- und Außenhaftung des Geschäftsleiters bei Inanspruchnahme des Restrukturierungsrahmens durch die schuldnerische Gesellschaft nach § 43 StaRUG, ZInsO 2021, 117; Thole, Die Geschäftsleiterhaftung im StaRUG und nach § 15b InsO n.F., BB 2021, 1347; Thole, Vertrauliche Restrukturierungsverfahren: Internationale Zuständigkeit, anwendbares Recht und Anerkennung, ZIP 2021, 2153; Weber/Dömmecke, Das Haftungsregime des StaRUG, NZI-Beilage 2021, 27; Wollring/Quitzau, Plandispositive Geschäftsführerhaftung? – Die Entlastung von Geschäftsführern im Insolvenz- und Restrukturierungsplan, ZRI 2021, 616; Wucherer/Zickgraf, Dividenden und Aktienrückkäufe: Rechtsökonomischer Hintergrund und Handlungsspielräume des Vorstands in der Krise, ZGR 2021, 259.

I. Überblick 1. Regelungsgegenstand Die Vorschrift des § 43 StaRUG ist die Zentralnorm zu Pflichten und Haftung der Ge- 1 schäftsleiter während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. Sie dient der Verhaltenssteuerung und muss stets zusammen mit § 32 StaRUG gelesen werden, der die Pflichten des Schuldners ausdefiniert. § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG spiegelt diese Außenpflichten in das Innenverhältnis,1 während § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG Verstöße durch eine Haftung sanktio1 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 2; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 194; Scholz, ZIP 2021, 219, 222; Thole, BB 2021, 1347, 1351; Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 43 StaRUG Rz. 1; vgl. auch Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 6.

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§ 43 Rz. 1 | Pflichten und Haftung der Organe niert. Im Gegensatz zu den Entwürfen sieht die Norm eine bloße Binnenhaftung vor.2 Demgegenüber berechnet sich der Schaden nach dem Gesamtschaden der Gläubiger (Rz. 54 ff.).

2. Anforderungen in der Krise 2 § 43 StaRUG erfasst mit der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nur einen schmalen

zeitlichen Ausschnitt der Restrukturierungsphase. Gleichwohl steigen die Anforderungen an die Geschäftsleiter auch im Zeitraum davor bereits an. Es lassen sich vier Phasen identifizieren. Im Vorfeld der Krise haben die Geschäftsleiter die Gesellschaft nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Maßstäben zu führen, wozu auch die Verantwortung zur ausreichenden Planung der Finanzierung sowie eine angemessene Krisenfrüherkennung zählt.3 Gerät die Gesellschaft in die Krise, sind geeignete Maßnahmen zur Krisenbeseitigung zu ergreifen. § 1 StaRUG fasst die bisher unter dem Stichwort Sanierungsverantwortung bekannten Pflichten zusammen. Die zweite Phase beginnt mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit gem. § 18 InsO. Zwar hat der deutsche Gesetzgeber für diesen Zeitraum keine besonderen Pflichten für Schuldner oder Geschäftsleiter in das StaRUG aufgenommen (anders noch in den Entwürfen, dazu Rz. 11 f.). Allerdings gebietet Art. 19 Restrukturierungs-RL eine richtlinienkonforme Auslegung (Rz. 4 ff.), so dass die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften in modifizierter Form Anwendung finden (Rz. 89 ff.). Die dritte Phase beginnt mit Anzeige der Rechtshängigkeit; ab diesem Zeitpunkt finden die §§ 32, 43 StaRUG Anwendung. Tritt materielle Insolvenz ein, sind die insolvenzrechtlichen Pflichten nach §§ 15a, 15b InsO sowie § 42 StaRUG zu beachten. Zudem haften die Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung nach §§ 60–62 InsO, wie § 276a Abs. 2 InsO nun ausdrücklich klarstellt.

3. Vorgaben und Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie a) Überblick 3 § 43 StaRUG dient der Umsetzung des Art. 19 der Restrukturierungsrichtlinie (Restruktu-

rierungs-RL). Die Vorschrift hat im Laufe des Richtliniengebungsverfahrens erhebliche Veränderungen erfahren. Der damalige Art. 18 des Kommissionsentwurfs der Richtlinie4 verpflichtete die Mitgliedstaaten, die Geschäftsleiter an die aufgezählten Einzelpflichten zu binden. Die Richtlinie spricht nur noch von der Pflicht, die Aspekte gebührend zu berücksichtigen. Die Vorgaben für die Mitgliedstaaten sind folglich abgeschwächt worden. b) Vorgaben zu den Interessen der Betroffenen (Art. 19 Buchst. a Restrukturierungs-RL)

4 Art. 19 Buchst. a Restrukturierungs-RL hat seine heutige Fassung erst in der Richtlinie erfah-

ren. Im Kommissionsentwurf waren die Interessen der Anteilsinhaber noch nicht erfasst,

2 Guntermann, WM 2021, 214, 218 f.; Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 25; Skauradszun, KTS 2021, 1, 43; zu den Entwürfen Korch, NZG 2020, 1299, 1303 f. 3 Bork, ZIP 2011, 101, 102; Fleischer in BeckOGK/AktG, § 93 AktG Rz. 74 f. (Stand: 1.7.2022); Graewe/Pellens, BB 2019, 1478, 1479; Korch, ZGR 2019, 1050, 1052 f.; Veil, ZGR 2006, 374, 379; ausführlich zur Krisenfrüherkennung Sinz in K. Schmidt/Uhlenbruck, GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. 1.191 ff. 4 COM (2016) 723 final: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU; abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/? uri=CELEX:52016PC0723&from=RO (zuletzt abgerufen am 24.8.2022).

790 | Korch

Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 7 § 43

sondern allein die der Gläubiger und der sonstigen Interessenträger. Erst in der Trilog-Fassung, die lediglich auf Englisch veröffentlicht wurde, fanden sich auch die Interessen der equity holder, allerdings noch an letzter Stelle.5 Die Anteilseigner haben folglich auf dem Weg zur Richtlinienfassung eine legislatorische Aufwertung erfahren.6 In ihrer Konsequenz ist ein shift of fiduciary duties im Sinne eines Vorrangs der Gläubigerinteressen nicht mehr zwingend geboten.7 Diskutiert wird indes, ob die Richtlinie jedenfalls zu einem interessenpluralistischen Ansatz in 5 der Krise zwingt,8 wofür der Wortlaut zu sprechen scheint.9 Gerade im Recht der GmbH seien Geschäftsleiter nämlich nicht gehindert, allein die Interessen der Gesellschafter im Blick zu behalten. Das verstieße gegen Art. 19 Buchst. a Restrukturierungs-RL.10 Allerdings wollte der Richtliniengeber den mitgliedstaatlichen Befindlichkeiten mit Blick auf das Gesellschaftsrecht Rechnung tragen und die Eingriffe auf ein notwendiges Minimum reduzieren.11 Aus diesem Grund liest man in ErwGr. 71: „Diese Richtlinie zielt nicht darauf ab, eine Rangfolge zwischen den verschiedenen Parteien festzulegen, deren Interessen gebührend berücksichtigt werden müssen.“ Vielmehr sollten die Mitgliedstaaten selbst „in der Lage sein, eine solche Rangfolge festzulegen.“ Der Wortlaut des Art. 19 Buchst. a Restrukturierungs-RL muss im Lichte dessen so verstanden werden, dass er nationale Rangverhältnisse grundsätzlich unberührt lässt. Er gibt allein vor, dass die aufgezählten Interessen überhaupt berücksichtigt werden. Die Richtlinie verlangt mithin keine ausgewogene Berücksichtigung aller betroffenen Interessen im Sinne eines interessenpluralistischen Ansatzes.12 Im Gegenzug bedeutet gebührendes Berücksichtigen aber auch, dass die Abwägung offen stattfinden muss und sich nicht stets die Interessen der Anteilseigner durchsetzen dürfen. Die deutsche Rechtslage verstößt nicht gegen die Richtlinienvorgaben, obschon § 32 Abs. 1 6 Satz 1, § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG lediglich den Zeitraum der Rechtshängigkeit erfassen (Rz. 25).13 Da die europäischen Vorgaben abgeschwächt wurden und letztlich vage bleiben, genügt eine richtlinienkonforme Auslegung der allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften.14 Eine haftungsrechtliche Spezialnorm ist demgegenüber ebenso wenig erforderlich wie eine generelle Suspendierung der Weisungsrechte der Gesellschafter.15 c) Vorgaben zur Insolvenzvermeidung (Art. 19 Buchst. b Restrukturierungs-RL) Art. 19 Buchst. b Restrukturierungs-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, einen abstrak- 7 ten Vorrang des Restrukturierungsverfahrens vor dem Insolvenzverfahren zu normieren.

5 Siehe Art. 18 Buchst. b Restrukturierungs-RL-E (Trilog); abgedruckt etwa in Flöther, SanierungsR, 2019, 410 (Synopse). 6 Ausführlich Korch, ZGR 2019, 1050, 1058; Korch, ZIP 2020, 446, 446. 7 Korch, ZGR 2019, 1050, 1058 f.; dem folgend Scholz, ZIP 2021, 219, 220. 8 So Fritz, BB 2019, Heft 10, S. I; dagegen Seibt/Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1193. 9 Vgl. Goetker in Flöther, SanierungsR, 2019, G. Rz. 32. 10 Vgl. Eckert/Holze/Ippen, NZI 2021, 153, 156; Jungmann, ZRI 2021, 209, 212 f.; Kuntz, ZIP 2021, 597, 610. 11 Vgl. etwa ErwGr. 96 Restrukturierungs-RL; ferner das Impact Assessment der Kommission EU SWD (2016) 357 final v. 22.11.2016, S. 25: „[member states] were reluctant to mandatory detailed provisions on directors’ duties, due to the implications on company law.“ 12 Korch, ZGR 2019, 1050, 1059; a.A. Fritz, BB 2019, Heft 10, S. I; wohl auch Henriques, ECL 16 (2019), Heft 2, 50, 56. 13 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 20 f.; Scholz, ZIP 2021, 219, 220; a.A. Eckert/Holze/Ippen, NZI 2021, 153, 156; skeptisch auch Guntermann, WM 2021, 214, 221; Kuntz, ZIP 2021, 597, 610. 14 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 20 f.; zweifelnd Guntermann, WM 2021, 214, 221. 15 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 20; Korch, ZGR 2019, 1050, 1063 ff.; Thole, BB 2021, 1347, 1349; vgl. auch Goetker in Flöther, SanierungsR, 2019, Kap. G. Rz. 34; abw. Guntermann, WM 2021, 214, 221.

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§ 43 Rz. 7 | Pflichten und Haftung der Organe Zwar sind die Geschäftsleiter verpflichtet, die Notwendigkeit, Schritte zur Vermeidung der Insolvenz einzuleiten, gebührend zu berücksichtigen. Gemeint sein dürfte damit allerdings nicht die Insolvenzantragstellung, sondern die materielle Insolvenz.16 Mit dem Ziel der Restrukturierungsrichtlinie wäre es unvereinbar, Geschäftsleiter zu einer möglichst späten Insolvenzantragstellung zu zwingen, wenn durch einen frühen Insolvenzantrag gerade die Erfolgswahrscheinlichkeit der Sanierung erhöht werden kann.17 Der vierte Erwägungsgrund erkennt ausdrücklich an, dass einige mitgliedstaatliche Insolvenzverfahren – wie das deutsche – eine Sanierung fördern und nicht zwingend eine Liquidation vorsehen.18 Da der Wortlaut ausreichend Flexibilität gewährt, sollte die Norm aufgrund der teleologischen Erwägungen so verstanden werden, dass die Geschäftsleiter insbesondere die Zahlungsunfähigkeit und den ungeordneten Zusammenbruch verhindern und im Übrigen die Nachteile eines Insolvenzverfahrens gebührend berücksichtigen sollen. Eine solche Vorgabe lässt sich auch am besten mit dem Leitungsermessen und der nötigen Einzelfallabwägung in Einklang bringen. d) Vorgaben zur Bestandsgefährdung (Art. 19 Buchst. c Restrukturierungs-RL) 8 Die unverständliche Formulierung des Buchstaben c lässt sich als Ergebnis einer Kompro-

misssuche in englischer Sprache19 verstehen. Im Kommissionsentwurf waren die Unternehmensleiter noch verpflichtet, vorsätzliche oder grob fahrlässige, rentabilitätsgefährdende Handlungen zu unterlassen.20 Nun sollen sie nur noch die Notwendigkeit der Vermeidung bestandsgefährdender Handlungen gebührend berücksichtigen. Ob dadurch schädigende Handlungen selbst dann zulässig sein sollen, wenn sie vorsätzlich begangen werden, scheint indes zweifelhaft.21 Plausibler wäre, die Verpflichtung zur Berücksichtigung als Öffnungsklausel für sachliche Gründe zu verstehen. So kann gerade die Eingehung von Risiken erforderlich sein, um eine erfolgversprechende Neuausrichtung voranzutreiben. Eine vorsätzliche Bestandsgefährdung ohne sachlichen Grund sollte hingegen stets unzulässig sein. Konkreter gefasst sind der Geschäftsleitung Maßnahmen untersagt, die den Unternehmenswert verringern und die Sanierung im Sinne eines going concern unwahrscheinlicher machen.22

9 Hierzulande spielt die Auslegungsunsicherheit jedenfalls für den Zeitraum der Rechtshängig-

keit der Restrukturierungssache keine Rolle. Der Gesetzgeber hat die Vorgaben in § 32 StaRUG ausreichend umgesetzt, wonach sämtliche Maßnahmen unzulässig sind, die mit dem Restrukturierungsziel unvereinbar sind oder die in Aussicht genommene Restrukturierung gefährden. Diese Vorgabe gilt über § 43 Abs. 1 StaRUG auch für die Geschäftsleiter.

10 Im Zeitraum zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Rechtshängigkeit hingegen findet

sich allein die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Aufgrund der nur vagen Vorgaben

16 Vgl. auch die Differenzierung zwischen materieller Insolvenz und dem Vorliegen der Voraussetzungen für ein Insolvenzverfahren in ErwGr. (24). 17 Vgl. auch Wieland-Blöse/Oberle in IDW, Sanierung und Insolvenz, 2017, Kap. A., Rz. 93; zum Zielkonflikt einer solchen Deutung mit dem deutschen Insolvenzrecht auch Sax/Ponseck/Swierczok, BB 2017, 323, 328. 18 Vgl. ferner ErwGr. 38, wo unterschieden wird, ob Insolvenzverfahren (auch) auf Sanierung oder allein auf Liquidation gerichtet sind. 19 Siehe Art. 18 Buchst. d des Entwurfs in der Trilog-Fassung, der lediglich auf Englisch veröffentlicht wurde. 20 Plausibel scheint indes, dass nicht mehr auf die Rentabilität, sondern die Bestandsfähigkeit abgestellt wird, ist doch die Insolvenz bereits wahrscheinlich. Jedenfalls kurzfristig steht deshalb nicht die Wiedererlangung der Rentabilität, sondern die einstweilige Sicherung des Bestandes im Vordergrund. 21 Siehe ferner die Kritik in der Stellungnahme des Bundesrats zum Kommissionsentwurf (Beschluss v. 10.3.2017, BR-Drucks. 1/17), Rz. 34 (gegen den Umkehrschluss, dass eine fahrlässige Bestandsgefährdung zulässig sei); zudem Scholz, ZIP 2021, 219, 221 f. 22 Siehe die entsprechenden Ausführungen in ErwGr. (70).

792 | Korch

Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 13 § 43

der Restrukturierungsrichtlinie wird man dies zur Umsetzung genügen lassen können, verlangt die Vorschrift doch, dass geeignete Gegenmaßnahmen getroffen werden, um die Gefährdung des Fortbestandes abzuwenden.23 Zudem war bereits bisher anerkannt, dass Geschäftsleiter in Krisenzeiten eine besondere Sanierungsverantwortung tragen.24 Gleichwohl legt die europäische Vorgabe nahe, die allgemeine Geschäftsleiterhaftung während der drohenden Zahlungsunfähigkeit maßvoll zu verschärfen (Rz. 89 ff.).

4. Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Norm Die Vorschrift hat eine bewegte Entstehungsgeschichte.25 Im Referentenentwurf waren Pflich- 11 ten und Haftung der Geschäftsleiter noch in § 2 StaRUG-RefE vor die Klammer gezogen und galten für den gesamten Zeitraum der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Die Norm statuierte einen Vorrang der Gläubigerinteressen (sog. shift of fiduciary duties)26 und die Unbeachtlichkeit von Weisungen anderer Organe, die diesen Vorrang verletzen. Abs. 3 regelte die Haftung der Geschäftsleiter und der Mitglieder der Aufsichtsorgane für die Verletzung der Pflichten. Für den Zeitraum der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache sah § 43 StaRUGRefE sogar eine Außenhaftung der Organmitglieder vor. Der Regierungsentwurf brachte sowohl inhaltliche als auch systematische Veränderungen.27 12 Die Pflichten waren fortan in § 2 StaRUG-RegE getrennt von der Haftung in § 3 StaRUG-RegE normiert. Hinzugekommen war einerseits eine an § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG erinnernde Formulierung in § 2 Abs. 1 Satz 2 StaRUG-RegE, die überwiegend als Normierung der Business Judgment Rule zugunsten der Geschäftsleiter verstanden wurde.28 Zusätzlich war eine Haftung für den Fall der Führungslosigkeit vorgesehen (§ 3 Abs. 3 StaRUG-RegE). Eine Außenhaftung während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache sah § 45 StaRUG-RegE nur noch für die Geschäftsleiter vor. Nach deutlicher Kritik29 wurden die Vorschriften allerdings während der Verhandlungen im Rechtsausschuss in letzter Minute gestrichen und durch den deutlich schlankeren § 43 StaRUG ersetzt, der lediglich eine Innenhaftung vorsieht.30 Die erste Änderung seit Inkrafttreten des StaRUG wird durch das MoPeG31 erforderlich. Ab 13 dem 1.1.2024 wird der Begriff der Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit in § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG durch den der rechtsfähigen Personengesellschaft ersetzt. 23 Ähnlich auch Thole, BB 2021, 1347, 1349; a.A. Guntermann, WM 2021, 214, 221. Vgl. ferner Scholz, ZIP 2021, 219, 222 (mit eigenem Ansatz zur richtlinienkonformen Auslegung). 24 Zur Sanierungsverantwortung Bork, ZIP 2011, 101; Fleischer in BeckOGK/AktG, § 93 AktG Rz. 75 f. (Stand: 1.9.2021); Kleindiek in FS Uwe H. Schneider, 2011, 617, 618–620; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 32 ff.; Korch, ZGR 2019, 1050, 1052 ff.; Seibt, ZIP 2013, 1597; Veil, ZGR 2006, 374; H.P. Westermann, DZWiR 2006, 485; nun auch G. Hoffmann, WM 2021, 429, 429 ff. 25 Dazu etwa Mohamed, ZInsO 2021, 1262. 26 Dazu Korch, NZG 2020, 1299, 1301. 27 Zum Regierungsentwurf Guntermann, WM 2021, 214, 214 ff.; Korch, NZG 2020, 1299, 1301 ff. 28 Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2365; Korch, NZG 2020, 1299, 1302; Kuntz, ZIP 2020, 2423, 2423; Weber/Dömmecke, NZI-Beilage 2021, 27, 28. 29 Korch, NZG 2020, 1299, 1302 ff.; Kuntz, ZIP 2020, 2423, 2423; Mülbert/Wilhelm, Börsen-Zeitung v. 23.10.2020, S. 10; kritisch zu § 43 StaRUG-RefE bereits Thole, ZIP 2020, 1985, 1986 f. (allerdings mit abw. Stoßrichtung). 30 Siehe Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) v. 15.12.2020 zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), BT-Drucks. 19/25303, S. 15 f.; 41. 31 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).

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§ 43 Rz. 14 | Pflichten und Haftung der Organe

5. Gesetzgebungsmaterialien 14 Die Gesetzgebungsmaterialien zu § 43 StaRUG sind für die Auslegung der Vorschrift wenig

ergiebig und von geringer Autorität. Denn wesentliche Teile der Begründung sowohl im Referenten- als auch im Regierungsentwurf ergingen zu Normen, die gestrichen und damit nicht Teil des Gesetzes geworden sind (Rz. 11). Jeder Verweis auf die Begründung zu §§ 2, 3 StaRUG-RegE müsste deshalb zunächst darlegen, weshalb die Begründung trotz Streichung der Vorschriften auch für § 43 StaRUG herangezogen werden kann. In den meisten Fällen dürfte der Aufwand den Ertrag übersteigen. Entsprechend irrelevant ist auch die Begründung zu § 45 StaRUG-RegE, da dieser noch eine Außenhaftung vorsah und auf die gestrichenen §§ 2, 3 StaRUG-RegE Bezug nahm, weshalb auch diese Ausführungen im Wesentlichen von der Entwicklung im Rechtsausschuss überholt wurden.

15 Die Begründung des Berichts des Rechtsausschusses32 leidet ihrerseits an autoritätsschwä-

chenden Ungereimtheiten. So wird die Streichung der §§ 2, 3 StaRUG-RegE auf deren unklares Verhältnis zu den gesellschaftsrechtlichen Haftungsregeln gestützt. Tatsächlich dürfte aber vor allem das Ausmaß der Haftungsverschärfung und der harte (aber nicht unklare) Bruch mit gesellschaftsrechtlichen Haftungsvorschriften Ursache der Streichung gewesen sein. Umgekehrt ist es § 43 StaRUG, dessen Tatbestand und Verhältnis zu den gesellschaftsrechtlichen Haftungsvorschriften unklar und friktionsreich ist.33 Noch deutlicher treten die Defizite bei der Erläuterung des § 43 StaRUG hervor: Dieser sei „inhaltlich unverändert“ zu § 45 StaRUG, obschon jener noch eine Außenhaftung der Geschäftsleiter vorsah.

6. Praktische Bedeutung 16 Welche praktische Bedeutung die Vorschrift, allen voran die Haftung nach § 43 Abs. 1 Satz 2

StaRUG, haben wird, lässt sich noch nicht beurteilen. Die Bedeutung wird sich nicht allein an den gerichtlichen Fallzahlen ablesen lassen, da die Norm – jedenfalls bei anwaltlich beratenen Schuldnern und Organen – eine erhebliche präventive, verhaltenssteuernde Wirkung entfalten dürfte. Vorhersehbar ist indes, dass die Norm ihren wesentlichen praktischen Anwendungsbereich in der Insolvenz der Gesellschaft hat.34 Das liegt am Modus der Schadensberechnung. Die Höhe bestimmt sich nämlich nach dem Schaden der Gesellschafter. Scheitert die Restrukturierung und fällt die Gesellschaft in die Insolvenz, kann den Gläubigern ein Schaden in Form einer niedrigeren Insolvenzquote entstehen. Bleibt die Gesellschaft zahlungsfähig und ist sie nicht überschuldet, können die Forderungen der Gläubiger weiter bedient werden und ihnen entsteht kein Schaden. Außerhalb der Insolvenz kommt der Anspruch deshalb nur ausnahmsweise in Betracht, wenn etwa die Gläubiger im Restrukturierungsplan auf Forderungen verzichten, um eine Insolvenz abzuwenden, und der Forderungsverzicht aufgrund der Pflichtverletzung höher ausfallen musste. Das wird einerseits schwer zu beweisen sein, andererseits kommt dann auch ein Verzicht auf die Ansprüche gegen die Geschäftsleiter im Restrukturierungsplan in Betracht (§ 43 Abs. 2 Satz 2 StaRUG), auf den diese drängen werden. Außerhalb der Insolvenz dürften die gesellschaftsrechtlichen Haftungsvorschriften höhere praktische Relevanz entfalten (z.B. § 43 Abs. 2 GmbHG; § 93 Abs. 2 AktG).

32 BT-Drucks. 19/25353. 33 Ähnlich Thole, BB 2021, 1347, 1347. 34 Ebenso Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 37 (Stand: 44. EL Nov. 2021).

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 20 § 43

II. Anwendungsbereich 1. Subjektiver Anwendungsbereich Die Norm erfasst Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften und Gesellschaften ohne 17 Rechtspersönlichkeit i.S.d. § 15a Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 InsO. Ab dem 1.1.2024 wird der Begriff der Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit durch den der rechtsfähigen Personengesellschaft ersetzt. Die Anpassung ist erforderlich wegen der Reform des Personengesellschaftsrechts durch das MoPeG.35 In den Anwendungsbereich fallen demnach Gesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. Erfasst sind die AG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AktG), die KGaA (§ 278 Abs. 1 AktG), die GmbH (§ 13 Abs. 1 GmbHG) inklusive UG, die SE (Art. 1 Abs. 1 SE-VO) sowie die eG (§ 17 Abs. 1 GenG), ferner kapitalistische Personengesellschaften (vor allem GmbH & Co. KG).36 Bisher ungeklärt ist, ob auch die Vorstände eines Vereins den gesteigerten Anforderungen 18 genügen müssen. Für § 15a InsO stellt Abs. 7 ausdrücklich klar, dass die Norm vom spezielleren § 42 BGB verdrängt wird.37 Eine derartige Ausnahme fehlt in § 43 StaRUG. Und auch der Telos spricht gegen eine Ausnahme. Denn § 15 Abs. 7 InsO soll vor allem vor Strafbarkeit schützen,38 die für eine Verletzung des § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG nicht im Raum steht. Zudem fehlt eine korrespondierende Vorschrift zu § 42 BGB, so dass Vereinsvorstände von den weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten des StaRUG Gebrauch machen könnten, ohne dass damit eine gesteigerte Verantwortlichkeit einherginge. Eine generelle Ausnahme für Vereine ist deshalb abzulehnen (zur Berücksichtigung des § 31a BGB beim Verschulden Rz. 50 f.). Subjektiv erfasst die Vorschrift die Mitglieder der zur Geschäftsführung berufenen Organe 19 (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 StaRUG), namentlich GmbH-Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder einer AG.39 Hinzu zählen auch gerichtlich bestellte Notgeschäftsführer und Liquidatoren, grundsätzlich jedoch nicht sonstige Personen (etwa leitende Angestellte). Pflichten und Haftung greifen mit Wirksamwerden der Bestellung und enden mit der Beendigung der Amtsstellung, ohne dass es auf den Anstellungsvertrag ankäme. Ausgeschiedene Geschäftsleiter haften grundsätzlich nicht über das Ende ihrer Amtszeit hinaus, es sei denn, sie führen die Geschäfte weiter und sind als faktische Geschäftsleiter anzusehen (Rz. 20). Parallel zu den gesellschaftsrechtlichen Haftungsvorschriften sind Erweiterungen etwa mit 20 Blick auf fehlerhaft bestellte und faktische Geschäftsleiter denkbar. Leidet die Bestellung an einem Wirksamkeitsmangel, treffen den fehlerhaft bestellten Geschäftsleiter alle Pflichten sowie die Haftung des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG.40 Ebenso erfasst die Vorschrift faktische Geschäftsleiter, die zwar formal keine Organmitglieder sind, gleichwohl aber in maßgeblichem Umfang die Geschäftsführung in organtypischer Weise wahrnehmen.41 Denn schon

35 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). 36 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 12 f. (Stand: 44. EL Nov. 2021); zu § 15a InsO s. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 48 f. 37 Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 48; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 8. 38 Begr. im RegE BT-Drucks. 17/11268, S. 21; Sorg in Braun, 9. Aufl. 2022, § 15a InsO Rz. 41; K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 15a InsO Rz. 8. 39 Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 43 StaRUG Rz. 3. 40 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 15 (Stand: 44. EL Nov. 2021); vgl. zu § 93 AktG BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287; zu § 43 GmbHG statt vieler Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 219 (m.w.N. aus Rspr. und Schrifttum). 41 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 15 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 12. Zu § 93 AktG s. nur Koch, 16. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 74; Fleischer, AG

Korch | 795

§ 43 Rz. 20 | Pflichten und Haftung der Organe früh hatte der BGH die Haftung faktischer Organe zur Insolvenzverschleppung entwickelt42 und jüngst zu den Zahlungsverboten bei materieller Insolvenz (vormals § 64 GmbHG, heute § 15b InsO) bestätigt.43 Dass der BGH zur Restrukturierungshaftung i.e.S. anders urteilen wird, ist nicht zu erwarten, zumal dann der Adressatenkreis von dem des § 42 StaRUG abwiche. Allerdings ist gerade mit Blick auf die GmbH zu beachten, dass allein eine engmaschige Weisungserteilung der Gesellschafter für eine faktische Geschäftsführung nicht genügt.44 21 Die Norm gilt allein für die geschäftsführenden Organmitglieder, nicht hingegen für die Mit-

glieder von Überwachungsorganen. Sie waren von § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 2 StaRUG-RegE noch ausdrücklich erfasst. In der Sache ändert die Streichung der Vorschrift indes wenig (zur Haftung der Mitglieder von Überwachungsorganen s. Rz. 111 ff.).

22 Nach teilweise vertretener Ansicht sollen die Gesellschafter im Falle der Führungslosigkeit

analog § 43 Abs. 1 StaRUG verantwortlich sein.45 Eine generelle analoge Anwendung auf Gesellschafter kommt indes nicht in Betracht, da es bereits an der Regelungslücke fehlt. Denn in § 3 Abs. 3 StaRUG-REG war noch eine Regelung für den Fall der Führungslosigkeit enthalten. Die Vorschrift wurde gestrichen und hat in § 43 StaRUG keine neue Heimat gefunden. § 43 Abs. 1 StaRUG ist folglich grundsätzlich abschließend. Einzig eine punktuelle Analogie wäre denkbar für Fälle, in denen die Pflichtverletzung in einer verspäteten Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung besteht. In diesem Fall würden Gesellschafter und Mitglieder der Aufsichtsorgane sonst nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG im Außenverhältnis haften, während Geschäftsleiter nach hier vertretener Ansicht allein gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG gegenüber der Gesellschaft verpflichtet sind (§ 42 Rz. 43 ff.). Insoweit könnte man § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG analog auf den Fall der Führungslosigkeit anwenden, um einen Gleichlauf bei der Insolvenzverschleppungshaftung zu gewährleisten.

2. Internationaler Anwendungsbereich 23 Der deutsche Gesetzgeber hat keine Regelung zum Internationalen Restrukturierungsrecht ge-

troffen. Sofern eine öffentliche Restrukturierungssache i.S.d. Anhangs A zu Art. 1 EuInsVO46 vorliegt, findet das Recht am Center of Main Interest (COMI) gem. Art. 7 EuInsVO i.V.m. Art. 3 EuInsVO Anwendung.47 Die besonderen Geschäftsleiterpflichten nach § 43 StaRUG sind dann insolvenzrechtlich zu qualifizieren (Anh. § 88 Rz. 210 ff.).48 Damit gilt § 43 StaRUG auch für ausländische Gesellschaften mit COMI in Deutschland, die eine Restrukturierungssache anzeigen und damit rechtshängig machen.49

24 Im Falle eines sog. vertraulichen Restrukturierungsverfahrens gilt für § 43 StaRUG das

Recht, welches auf das Restrukturierungsverfahren Anwendung findet. Mangels gesetzlicher Regelung herrscht insofern Streit sowohl hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit als auch des daraus regelmäßig folgenden anwendbaren Rechts. Während einige Stimmen für

42 43 44 45 46 47 48 49

2004, 517, 524 ff.; zu § 43 GmbHG Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 225 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 38. BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 46 ff.; BGH v. 24.10.1973 – VIII ZR 82/72, WM 1973, 1354, 1355. BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550. Für § 43 GmbHG Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 240. Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 72. VO (EU) 2015/848 in der seit 9.1.2022 geltenden Fassung. J. Schmidt, ZInsO 2021, 654, 654–656; Skauradszun, NZI 2021, 568, 568–570; Thole, ZIP 2021, 2153, 2153 f. So auch Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 10. Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 10.

796 | Korch

Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 26 § 43

die Anwendbarkeit der EuGVVO (Brüssel Ia-VO) plädieren,50 spricht sich die überwiegende Ansicht für die Geltung autonomen Rechts aus. Demnach würde sich die Zuständigkeit aus einer analogen Anwendung des § 35 StaRUG (sog. doppelfunktionale Anwendung der örtlichen Zuständigkeitsvorschriften, dazu Anh. § 88 Rz. 151) ergeben.51 Berufen ist das Gericht, in dessen Bezirk der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners liegt. Das anwendbare Recht ergibt sich sodann nach überwiegender Ansicht aus der lex fori (concursus),52 teils gestützt auf eine (analoge) Anwendung des § 335 InsO (dazu Anh. § 88 Rz. 267 ff.).53

3. Zeitlicher Anwendungsbereich Die Vorschrift gilt nach ganz herrschender Ansicht erst ab Rechtshängigkeit der Restruktu- 25 rierungssache,54 die nach § 31 Abs. 3 StaRUG mit der Anzeige beim Restrukturierungsgericht beginnt. Dem wird man sich aufgrund der Anknüpfung an die Pflichten des Schuldners gem. § 32 StaRUG anschließen können. Der besondere Pflichten- und Haftungsrahmen korrespondiert mit den erweiterten Eingriffsbefugnissen des Schuldners in die Rechte der Betroffenen. Auf eine zeitliche Beschränkung der Geschäftsleiterpflichten deutet letztlich auch der Wortlaut hin, auch wenn eine ausdrückliche Klarstellung – anders als im Wortlaut des § 42 Abs. 1 Satz 1 StaRUG – fehlt. § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG spricht vom Betreiben der Restrukturierungssache und setzt damit die Rechtshängigkeit voraus, da vor der Anzeige keine Restrukturierungssache besteht.55 Zudem kann sich diese Lesart auf die Entstehungsgeschichte stützen (Rz. 26). Vor Rechtshängigkeit beurteilen sich Pflichten und Haftung der Geschäftsleiter nach den all- 26 gemeinen Vorschriften. Aufgrund des Art. 19 Restrukturierungs-RL, der den gesamten Zeitraum der wahrscheinlichen Insolvenz erfasst, wird allerdings teilweise vorgeschlagen, § 43 StaRUG analog bereits vor Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache anzuwenden.56 Dagegen spricht indes, dass eine planwidrige Regelungslücke aufgrund der Normentwicklung kaum begründbar ist.57 Denn §§ 2, 3 StaRUG-RegE erfassten noch ausdrücklich den gesamten Restrukturierungszeitraum, wurden aber gestrichen und durch § 43 StaRUG ersetzt, dessen Vorgängervorschrift (§ 45 StaRUG Reg-E) ebenfalls nur den Zeitraum ab Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache erfasste. Zudem würde eine analoge Anwendung den engen Zu-

50 J. Schmidt, ZInsO 2021, 654, 657 ff., mit dem Ergebnis, dass das Gesellschaftsstatut gem. Art. 24 Nr. 2 EuGVVO und damit für europäische und U.S.-Gesellschaften die Gründungstheorie gilt. Dagegen Madaus, Darf der StaRUG-Plan Rechtsverhältnisse gestalten, die ausländischem Recht unterliegen?, https://perma.cc/6V87-93ED; Thole, ZIP 2021, 2153, 2155 f. 51 So Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 31. 52 Thole, ZIP 2021, 2153, 2159 (lex fori); Kahlert/M. Schumann, DStR 2021, 2741, 2749. 53 Für eine analoge Anwendung Skauradszun in Skauradszun/Fridgen/, 2022, § 84 Rz. 98 ff.; Skauradszun, NZI 2021, 568, 571 f.; abw. Madaus, Darf der StaRUG-Plan Rechtsverhältnisse gestalten, die ausländischem Recht unterliegen?, https://perma.cc/6V87-93ED; dagegen Thole, ZIP 2021, 2153, 2157 f. 54 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 16 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 11; Guntermann, WM 2021, 214, 217; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 194; Kuntz, ZIP 2021, 597, 610; Scholz, ZIP 2021, 219, 223; Weber/Dömmecke, NZI-Beilage 2021, 27, 29; a.A. Hölzle in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, II. B. Rz. 41 f. (S. 174 f.), der auf die „faktische Verfahrenseinleitung“ abstellen und damit auch den Zeitraum erfassen will, in dem Vorbereitungshandlungen stattfinden; Smid, ZInsO 2021, 117, 120. 55 Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 20; Kuntz, ZIP 2021, 597, 610. 56 Kuntz, ZIP 2021, 597, 610; vgl. auch Hölzle in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, II. B. Rz. 41 f. (S. 174 f.); dagegen Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1325. 57 So auch Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1325.

Korch | 797

§ 43 Rz. 26 | Pflichten und Haftung der Organe sammenhang mit § 32 StaRUG lösen, der ebenfalls nicht für die Zeit vor der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache gilt (§ 32 Rz. 5). Zuletzt ist eine analoge Anwendung nicht erforderlich, da sich die Vorgaben des Art. 19 Restrukturierungs-RL durch richtlinienkonforme Auslegung der allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften (zur Haftung vor Rechtshängigkeit Rz. 89 ff.) umsetzen lassen (Rz. 6, 10 f.).

III. Verhaltenspflichten (§ 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) 1. Grundlagen 27 § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG spiegelt die Vorgaben des § 32 StaRUG, die den Schuldner und

damit die Gesellschaft betreffen, in das Innenverhältnis.58 Die Geschäftsleiter haben darauf hinzuwirken, dass die Gesellschaft die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers betreibt und die Interessen der Gläubiger wahrt.59

28 Da § 32 StaRUG nach herrschender Ansicht eine externe Pflichtenbindung begründet, ist § 43

Abs. 1 Satz 1 StaRUG überwiegend deklaratorisch.60 Denn ein Verstoß der Gesellschaft gegen § 32 Abs. 1 StaRUG führt aufgrund der Legalitätspflicht zu einer Pflichtverletzung im Innenverhältnis.61 Das bedeutet zunächst, dass nicht allein die Pflichten nach § 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG, die § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG wiederholt, sondern auch die Pflichten nach § 32 Abs. 1 Satz 2, 3, Abs. 2–4 StaRUG zum Pflichtenkanon der Geschäftsleiter zählen. Neben den Interessen der Gläubiger haben die Geschäftsleiter also auch das Restrukturierungsziel im Auge zu behalten und Maßnahmen zu unterlassen, welche die Erfolgsaussichten der Restrukturierung gefährden. Eine besonders gefährliche Maßnahme – die Begleichung oder Besicherung zu gestaltender Forderungen – verbietet § 32 Abs. 1 Satz 3 ausdrücklich (§ 32 Rz. 18).62 Weitere Auswirkungen hat die Einordnung als Legalitätspflicht auf das Geschäftsleiterermessen und die gerichtliche Kontrolldichte (Rz. 35 ff.) sowie auf die Rechtmäßigkeit von Gesellschafterweisungen (Rz. 45 ff.).

29 Die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Sorgfalts- und Treuepflichten (z.B. § 93 Abs. 1

AktG und § 43 Abs. 1 GmbHG) gelten auch während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache, werden durch § 32 Abs. 1, § 43 Abs. 1 StaRUG allerdings modifiziert und ergänzt.63 Zusammen ergeben die gesellschaftsrechtlichen und restrukturierungsrechtlichen Anforderungen den Sorgfaltsmaßstab, den die Geschäftsleiter während der Rechtshängigkeit zu beachten haben. Ein solcher einheitlicher Gesamtsorgfaltsmaßstab ist erforderlich, um unterschiedliche oder divergierende Verhaltensanforderungen an die Geschäftsleiter zu vermeiden.64

58 Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 36; Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 2; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 194; Scholz, ZIP 2021, 219, 222; Thole, BB 2021, 1347, 1351; Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 43 StaRUG Rz. 1. 59 Kritisch zum Gesetzeswortlaut Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 37. 60 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 17 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Hirschberger/Herms in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 8; ähnlich Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 5.1 (dort unter dem Stichwort „Sinnhaftigkeit“ diskutiert). 61 Siehe BT-Drucks. 19/25353, S. 6; ferner die ganz h.M. Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 127; Demisch/ Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 18; Guntermann, WM 2021, 214, 219; Kunz in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 13 Rz. 24; Scholz, ZIP 2021, 219, 222 ff.; Weber/ Dömmecke in Braun, 2021, § 43 StaRUG Rz. 8. 62 Vgl. Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 16. 63 Vgl. für § 32 StaRUG auch Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 2 f. 64 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 24; Korch, NZG 2020, 1299, 1303; Riedemann in Pannen/Riedemann/ Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 19 („Gleichlauf“); Smid, ZInsO 2021, 117, 119; ähnlich wohl auch Ristelhuber, NZI 2021, 417, 419; a.A. Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 55 f.

798 | Korch

Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 31 § 43

Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache besteht deshalb kein Unterschied zwischen der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters und der eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers.65 Die Geschäftsleiter haben unabhängig von der Haftungsvorschrift die Interessen der Gläubiger zu berücksichtigen und sämtliche Handlungen zu unterlassen, die das Restrukturierungsziel sachgrundlos gefährden.66

2. Besondere Sanierungspflichten a) Überblick Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache unterliegen die Geschäftsleiter be- 30 sonderen Sanierungspflichten. Sie müssen bei jeder Entscheidung die Interessen der Gläubiger wahren (Rz. 31), dürfen das Restrukturierungsziel nicht gefährden (Rz. 32) und müssen die Restrukturierungssache ordentlich und gewissenhaft betreiben (Rz. 33). Zudem sind die Informationspflichten gegenüber dem Restrukturierungsgericht zu erfüllen (Rz. 34) und die Liquiditätsplanung fortlaufend zu aktualisieren (dazu § 1 Rz. 25).67 b) Wahrung der Interessen der Gläubiger Die Geschäftsleiter haben darauf hinzuwirken, dass die Gesellschaft als Schuldnerin die Inte- 31 ressen der Gläubiger wahrt. Abweichend davon sah § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StaRUG-RegE noch einen Vorrang der Interessen der Gläubiger vor den Interessen der Gesellschafter und der übrigen Stakeholder vor. Gesetz geworden ist dieser sog. shift of fiduciary duties nicht.68 Allerdings bringt auch die abgeschwächte Fassung des § 43 Abs. 1 GmbHG Veränderung,69 allen voran für die Geschäftsleiter der GmbH, die nach Ansicht des BGH und der herrschenden Lehre sonst primär den Gesellschafterinteressen verpflichtet sind.70 Künftig müssen sie bei ihren Entscheidungen stets auch die Interessen der Gläubiger im Blick behalten. Ausdrücklich klargestellt hat der Gesetzgeber, dass die Interessen der Gesamtheit und nicht die Interessen einzelner Gläubiger handlungsleitend sein sollen.71

65 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 24; a.A. Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 17 f. (Stand: 44. EL Nov. 2021); Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 38. 66 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 24. 67 Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 36; Smid, ZInsO 2021, 117, 122; zuvor bereits Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 33. 68 Guntermann, WM 2021, 214, 218; G. Hoffmann, WM 2021, 429, 432; Hopt/Kumpan, AG 2021, 129, 133; Jungmann, ZRI 2021, 209, 211 f.; Korch, GmbHR 2021, 794 Rz. 2; Kuntz, ZIP 2021, 597, 602 f.; Scholz, ZIP 2021, 219, 220; wohl auch Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 44 f.; zu § 32 StaRUG ferner Kramer in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 32 StaRUG Rz. 19; vermittelnd Thole, BB 2021, 1347, 1348 f., 1351; a.A. Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 69; Bitter, ZIP 2021, 321, 333 f.; Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 106; Huber/Kranzfelder/Wiedeck, DB 2021, 2880, 2881; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 191 f.; Kunz in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 13 Rz. 44. 69 So auch Kuntz, ZIP 2021, 597, 603 f. 70 BGH v. 31.1.2000 – II ZR 189/99, NJW 2000, 1571; BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, NJW-RR 2003, 895, 895 f.; Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 16 ff. (m.w.N.); Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 5; Rönnau in FS Amelung, 2009, 247, 260 f.; vermittelnd Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 54 ff.; a.A. OLG Naumburg v. 30.11.1998 – 11 U 22/98, NZG 1999, 353, 354; OLG Zweibrücken v. 22.12.1998 – 8 U 98/98, NZG 1999, 506, 507; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen auf die Geschäftsführung der GmbH, 1996, 86. 71 Vgl. Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 22.

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§ 43 Rz. 32 | Pflichten und Haftung der Organe c) Restrukturierungsziel und Restrukturierungsgefährdung 32 Nach § 32 Abs. 1 Satz 2 StaRUG hat der Schuldner alle Maßnahmen zu unterlassen, die mit

dem Restrukturierungsziel unvereinbar sind und die Erfolgsaussichten der Restrukturierung gefährden.72 Im Innenverhältnis sind die Geschäftsleiter auch ohne ausdrücklichen Hinweis in § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG in gleicher Weise verpflichtet (Rz. 28).73 Die Geschäfte der Gesellschaft sind deshalb so zu führen, dass die angestrebte Fortführung des Unternehmens möglichst wahrscheinlich ist. Dabei kann freilich – entgegen dem etwas zu weit geratenen Wortlaut – nicht verlangt werden, dass die Maßnahmen die Sanierungsaussichten nicht gefährden. Häufig werden Entscheidungen in Krisenzeiten nämlich ebenso wie mögliche Alternativen mit Risiken behaftet sein. Eine strenge Lesart würde hier verhindern, dass überhaupt Maßnahmen getroffen werden können, die prognostischen Charakter haben. Gerade die Krise der Gesellschaft erfordert aber häufig entschlossenes Handeln der Geschäftsleiter. Deshalb ist die Norm aufgrund ihres Zwecks so zu verstehen, dass sie jeder grundlosen Gefährdung der Sanierung entgegensteht, nicht aber pauschal jeder Eingehung von Risiken. Zudem kann die Vorgabe mit den Interessen der Gläubiger in Konflikt geraten, denn nicht stets ist die erfolgversprechendste Sanierungsoption auch in ihrem Interesse. Man wird daher lediglich verlangen können, dass Sanierungschancen und Gläubigerinteressen gewürdigt und mit vertretbarem Ergebnis gegeneinander abgewogen worden sind. d) Sorgfältiges Betreiben der Restrukturierungssache

33 Die Geschäftsleiter sind zudem verpflichtet, das Restrukturierungsverfahren zielstrebig und

zügig zu betreiben.74 Das schließt den Einsatz von Restrukturierungsinstrumenten des StaRUG ein.75 Für eine solche haftungsbewehrte Pflicht zum Betreiben der Restrukturierungssache sprechen bereits die Wortlaute der § 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG und § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG.76 Zudem ist sie erforderlich, da allein der Schuldner die Sache betreiben kann. Gläubiger können weder einen Plan vorlegen noch ein Moratorium beantragen (vgl. §§ 17, 49 StaRUG). Die Geschäftsleiter sind deshalb regelmäßig verpflichtet, einen Planentwurf auszuhandeln, über den die Betroffenen abstimmen können. Dabei haben sie die Vorgaben über Gestaltung und Verfahren zu beachten (etwa §§ 8 f., 17 ff. StaRUG).77 Sie können von der Ausarbeitung eines Plans nur dann absehen, wenn die nötigen Sanierungsbeiträge der Betroffenen voraussichtlich auch ohne Zwang erreichbar sind. Deutet sich indes an, dass einzelne Betroffene den ausgehandelten Kompromissen nicht zustimmen werden, muss die Möglichkeit einer Überstimmung sowohl innerhalb einer Klasse als auch der Einsatz eines cross-class cram-downs erwogen werden. Deshalb sind die Gruppen der Planbetroffenen regelmäßig so festzulegen und der Inhalt des Plans so zu konzipieren, dass sie wahrscheinlich einer etwaigen späteren gerichtlichen Kontrolle standhalten würden.78 Geschäftsleiter müssen zudem prüfen, ob eine Stabilisierungsanordnung (auch Moratorium, §§ 49 ff. StaRUG) erforderlich ist. Reichen die Sanierungsinstrumente des StaRUG nicht aus, ist auch ein fakultativer Insolvenzantrag in Betracht zu ziehen.79

72 So bereits Guntermann, WM 2021, 214, 219; Smid, ZInsO 2021, 117, 122. 73 I.E. auch Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 22; Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 16; Huber/Kranzfelder/Wiedeck, DB 2021, 2880, 2881. 74 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 11; Smid, ZInsO 2021, 117, 121; ähnlich auch Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 15 f.; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 35; Seibt/ Bulgrin, DB 2020, 2226, 2229; Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 49 ff.; vgl. ferner Kramer in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 32 StaRUG Rz. 22. 75 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 11 ff.; Smid, ZInsO 2021, 117, 121. 76 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 11. 77 Vgl. Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 9. 78 Vgl. auch Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 50. 79 Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 41.

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 36 § 43

e) Informationspflichten gegenüber dem Restrukturierungsgericht Auch wenn § 43 Abs. 1 StaRUG vor allem § 32 Abs. 1 StaRUG spiegelt, aufgrund der Legali- 34 tätspflicht sind sämtliche Pflichten des Schuldners in § 32 StaRUG zugleich Pflichten der Geschäftsleiter. Für die Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 32 Abs. 3 StaRUG hat der Gesetzgeber die Pflicht der Geschäftsleiter explizit in § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG verankert und eine Verletzung unter Strafe gestellt (§ 42 Abs. 3 StaRUG). Daneben gehören aber auch die weiteren Informationspflichten zum Pflichtenkanon eines sorgfältigen und gewissenhaften Geschäftsleiters. So sind dem Restrukturierungsgericht80 nach § 32 Abs. 2 StaRUG wesentliche Änderungen mitzuteilen81 und nach § 32 Abs. 4 StaRUG müssen die Geschäftsleiter im Namen der schuldnerischen Gesellschaft unverzüglich anzeigen, wenn das Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat, insbesondere wenn sich eine Ablehnung des Plans andeutet.82

3. Geschäftsleiterermessen im Restrukturierungsverfahren a) Grundlagen Geschäftsleitern steht unstreitig auch während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungs- 35 sache ein Ermessensspielraum bei ihren Entscheidungen zu.83 Dem steht nicht entgegen, dass § 32 StaRUG eine externe Pflichtenbindung auslöst, weshalb jede Verletzung auch einen Verstoß gegen die Legalitätspflicht darstellt (Rz. 28). Denn § 32 StaRUG selbst gewährt dem Schuldner Ermessen,84 das dann auch im Innenverhältnis zugunsten der Geschäftsleiter besteht.85 Im Unterschied zu unternehmerischen Entscheidungen im Vorfeld unterliegen die Sanierungspflichten aber einer rechtlichen Bindung.86 b) Anwendbarkeit der Business Judgment Rule Umstritten ist, ob sich die Geschäftsleiter während der Rechtshängigkeit der Restrukturie- 36 rungssache auf die gesellschaftsrechtliche Business Judgment Rule (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) berufen können. Die vertretenen Ansichten reichen von einer direkten oder analogen Anwendung87 bis hin zu einer „Anleihe“.88 Andere sprechen sich dezidiert gegen die An-

80 Nach § 32 Abs. 2 Satz 3 StaRUG besteht diese Informationspflicht auch gegenüber dem Restrukturierungsbeauftragten, sofern dieser bestellt wurde. 81 Vgl. Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 52; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 42. 82 Kramer in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 32 Rz. 46; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, § 43 StaRUG Rz. 44; dazu Hirschberger/Herms in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 41. 83 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 12; Kuntz, ZIP 2021, 597, 607 f.; Scholz, ZIP 2021, 219, 224; Thole, BB 2021, 1347, 1351; Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 43 StaRUG Rz. 8; vgl. auch Guntermann, WM 2021, 214, 219 f.; in der Sache wohl auch Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 17 („Beurteilungsspielraum“, anders aber Rz. 41). 84 Dazu nur Kramer in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 32 StaRUG Rz. 25. 85 Ähnlich Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 6 f.; Scholz, ZIP 2021, 219, 224. 86 Eingehend Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 6 ff. 87 Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 68 f.; Birnbreier, NZI-Beilage 2021, 25, 27; Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 47; Guntermann, WM 2021, 214, 220 (analoge Anwendung); Kunz in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 13 Rz. 39; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 10; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 32. 88 Scholz, ZIP 2021, 219, 224; ähnlich auch Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 25 (Grundgedanken übertragen); G. Hoffmann, WM 2021, 429, 432, 436.

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§ 43 Rz. 36 | Pflichten und Haftung der Organe wendbarkeit der Business Judgment Rule aus.89 Die letztgenannte Ansicht kann zur Begründung anführen, dass in § 2 Abs. 1 Satz 2 StaRUG-RegE noch eine ausdrückliche Regelung der Business Judgment Rule enthalten war, die sich in § 43 StaRUG nicht mehr findet.90 Die Ansicht will stattdessen insolvenzrechtliche Maßstäbe heranziehen, nach denen Insolvenzverwalter und die Organe von Gesellschaften in Eigenverwaltung (§ 60 InsO, ggf. i.V.m. § 276a Abs. 2 Satz 1 InsO) haften.91 Der XI. Senat hatte im Jahr 2020 einerseits klargestellt, dass Insolvenzverwalter einen unternehmerischen Ermessensspielraum in Anspruch nehmen können, andererseits die gesellschaftsrechtliche Business Judgment Rule nicht übertragbar sei.92 Der wesentliche Unterschied der Maßstäbe liegt in der gerichtlichen Kontrolldichte, die in der Insolvenz auf Vertretbarkeit zielt, während die Business Judgment Rule lediglich eine Evidenzkontrolle kennt.93 37 Geht man davon aus, dass Geschäftsleitern während der Restrukturierung jedenfalls kein ge-

ringerer als der insolvenzrechtliche Ermessensspielraum zugutekommt, sind die Unterschiede zwischen den Ansichten gering. Aufgrund der § 32 Abs. 1, § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG müsste man nämlich auch im Rahmen der Business Judgment Rule sicherstellen, dass die Interessen der Gläubiger nicht nur in der Entscheidungsdokumentation bedacht werden. Folglich bedürfte es einer bereichsspezifischen Modifikation der Business Judgment Rule.94 Dogmatisches Einfallstor ist die Anforderung, dass die Geschäftsleiter vernünftigerweise annehmen durften, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.95 Dieses Wohl ist einerseits um die Interessen der Gläubiger zu ergänzen, andererseits genügt eine bloße Evidenzkontrolle nicht mehr.96 Gibt der Gesetzgeber – wie in § 32 Abs. 1, § 43 Abs. 1 StaRUG – maßgebliche Wertungen vor, ist die Kontrolldichte auch dann erhöht, wenn die Business Judgment Rule anwendbar ist.97 Damit verschwimmen die vorgeschlagenen Maßstäbe derart, dass die Unterschiede vor allem semantischer Natur sind. Wichtiger als die Bezeichnung scheint deshalb, dass Gerichte bei der Ex-post-Überprüfung die gebotene Zurückhaltung walten lassen und nicht von der nachträglichen negativen Entwicklung auf die Pflichtwidrigkeit der Entscheidung schließen.98 Insbesondere kommt einer späteren Insolvenz keine Indizwirkung für die Pflichtwidrigkeit zu. c) Voraussetzungen des Ermessens

38 In Anlehnung an die Business Judgment Rule müssen die Geschäftsleiter bei der Ermessens-

ausübung einige Voraussetzungen erfüllen, die unabhängig von der konkreten Bezeichnung vorliegen müssen.99 Zuerst müssen sie die Entscheidung ausreichend vorbereiten, um auf ei-

89 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 22 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 39; Kuntz, ZIP 2021, 597, 607 ff.; Thole, BB 2021, 1347, 1351; Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 43 StaRUG Rz. 8; ferner Jungmann, ZRI 2021, 209, 227 ff. (überwiegend noch zum Regierungsentwurf). 90 Mit diesem Hinweis Kuntz, ZIP 2021, 597, 608. 91 Kuntz, ZIP 2021, 597, 608; vgl. auch Jungmann, ZRI 2021, 209, 229. 92 BGH v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, BGHZ 225, 90 = ZIP 2020, 1080 Rz. 23 ff., 32. 93 Korch, ZIP 2020, 1596, 1599; Kuntz, ZIP 2021, 597, 608; allgemein auch Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte, 2021, 352. 94 Vgl. Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 47. 95 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 8. 96 Korch, NZG 2020, 1299, 1302; zur Wahrung der Gläubigerinteressen auch Mock in Skauradszun/ Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 12; Scholz, ZIP 2021, 219, 224. 97 So wohl auch Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 69; allgemein Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte, 2021, 272 (intensivierte Prüfung bei Bestandsgefährdung). 98 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 8. 99 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 9.

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 41 § 43

ner angemessenen Informationsgrundlage entscheiden zu können.100 Denn auch der IX. Zivilsenat hat in seinem Urteil aus dem Jahr 2020 die angemessene Informationsgrundlage zur Voraussetzung des unternehmerischen Ermessens erhoben.101 Mit dem IX. Senat ist dabei von der missverständlichen Formulierung des II. Senats abzugehen, wonach alle Informationsquellen ausgeschöpft werden müssen.102 Es genügt vielmehr eine Entscheidung auf Grundlage angemessener Informationen.103 Unklar ist indes, ob in der Insolvenz ebenfalls ein subjektivobjektiver Maßstab (wie in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG)104 gilt, da der IX. Senat auf die subjektive Einkleidung verzichtet hatte.105 Sofern dem Insolvenzrechtssenat hier eine strengere Überprüfung vorschwebt, sollte dies jedenfalls für § 43 StaRUG nicht übernommen werden. Zudem müssen die Geschäftsleiter davon ausgehen können, zum Wohle der Gesellschaft zu 39 handeln. Weiter müssen die Geschäftsleiter gutgläubig und frei von Interessenkonflikten entscheiden. Folglich ist eine intensivere Prüfung der Entscheidung angezeigt, wenn sich die Geschäftsleiter in einem Interessenkonflikt befinden. Das betrifft in Sanierungslagen wegen der angeordneten Gläubigerberücksichtigung namentlich Gesellschafter-Geschäftsleiter. d) Ermessen beim Einsatz der Restrukturierungsinstrumente Auch hinsichtlich des Einsatzes der Restrukturierungsinstrumente steht den Geschäftsleitern 40 ein Ermessensspielraum zu.106 Ob und zu welchem Zeitpunkt der Schuldner etwa eine Stabilisierungsanordnung beantragt, kann keiner vollen gerichtlichen Ex-post-Kontrolle unterliegen. Gerichte sind nicht die besseren Sanierungsgeschäftsführer. Haben die Geschäftsleiter einen Antrag erwogen und nach informationsbasierter Abwägung verworfen, ist dies grundsätzlich hinzunehmen. Umgekehrt ist noch größere Zurückhaltung geboten, wenn die Geschäftsleiter von den Instrumenten Gebrauch machen, selbst wenn dies die Interessen einzelner Betroffener oder ganzer Gruppen beeinträchtigt. Liegen die Anordnungsvoraussetzungen nach § 51 StaRUG vor und haben die Geschäftsleiter die Stabilisierungsanordnung nicht durch falsche Angaben erschlichen, ist eine Haftung wegen Benachteiligung der betroffenen Gläubiger grundsätzlich ausgeschlossen. Denn was ein Gericht ohne Täuschung anordnet, kann keine Pflichtverletzung der Geschäftsleiter darstellen. Den Fall einer täuschungsbedingten Anordnung erfasst hingegen die besondere Haftungsvorschrift des § 57 StaRUG (zum Konkurrenzverhältnis s. Rz. 108). Ähnlich sind die Verhandlungen über den Restrukturierungsplan und dessen Vorlage zu be- 41 urteilen. Vorwerfbar ist den Geschäftsleitern vor allem Untätigkeit. Demgegenüber machen die §§ 24 ff. StaRUG klare Vorgaben für die Gestaltung des Plans. Daneben ist kein Platz für weitere Anforderungen etwa dahin, dass die Gläubigerinteressen ausreichend zu berücksichti-

100 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 9; vgl. allgemein auch Harnos, Gerichtliche Kontrolldichte, 2021, 353; zur Inanspruchnahme von Hilfskrediten auch G. Hoffmann, WM 2021, 429, 438; a.A. Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 40 („Ausschöpfung aller Informationsquellen“). 101 BGH v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, BGHZ 225, 90 = ZIP 2020, 1080 Rz. 37; zu den Details s. Korch, ZIP 2020, 1596, 1599. 102 BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rz. 30 (für GmbH-Geschäftsführer); BGH v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 Rz. 11; kritisch Freitag/Korch, ZIP 2012, 2281, 2282; Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 36; aus insolvenzrechtlicher Sicht Berger/Frege/ Nicht, NZI 2010, 321, 326; Rein in Nerlich/Römermann, § 60 InsO Rz. 83 (Stand: 44. EL Nov. 2022). 103 BGH v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, BGHZ 225, 90 = ZIP 2020, 1080 Rz. 37; Korch, ZIP 2020, 1596, 1599. 104 Dazu Bachmann in FS Stilz, 2014, 25, 29; Fleischer in BeckOGK/AktG, § 93 AktG Rz. 92 ff. (Stand: 1.9.2021); Koch, ZGR 2006, 769, 788 f. 105 BGH v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, ZIP 2020, 1080 Rz. 37. 106 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 12.

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§ 43 Rz. 41 | Pflichten und Haftung der Organe gen seien. Vielmehr ist die Planbestätigung gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG zu versagen, wenn die zwingenden Vorgaben nicht eingehalten wurden. Zudem sind die Gläubiger ausreichend geschützt, weil sie über den Plan abstimmen dürfen (§§ 24 f. StaRUG). Erzielt der Plan die erforderlichen Mehrheiten und ist er auch im Übrigen rechtmäßig, können enttäuschte Betroffene keine Schadensersatzansprüche gegen den Schuldner oder (mittelbar) die Geschäftsleiter mit dem Argument herleiten, ihre Interessen seien gleichwohl nicht ausreichend berücksichtigt worden. Damit kommt eine Haftung wegen des Inhalts des Planentwurfs nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn etwa der Vorschlag erwartbar von keiner Gruppe angenommen wurde und keine Zeit mehr für Nachbesserungen verbleibt. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt hier aber auf der vergebenen Chance auf eine erfolgreiche Restrukturierung. Gleiches gilt für die Vorlage eines rechtswidrigen Planentwurfs, wenn die Rechtswidrigkeit für die Geschäftsleiter erkennbar war und den Gläubigern etwa durch die Verzögerung oder Mehraufwand ein Schaden entstanden ist.

4. Delegation a) Horizontale Delegation 42 Auch während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache dürfen Geschäftsleiter Auf-

gaben delegieren. Das gilt zunächst für die Aufgabenverteilung innerhalb des Organs (horizontale Delegation). Aufgabenbereiche dürfen von einzelnen Geschäftsleitern schwerpunktmäßig betreut werden.107 Die Aufteilung muss klar, eindeutig und einvernehmlich erfolgen.108 Es verbleibt indes stets eine Residualverantwortlichkeit aller Geschäftsleiter, die sie zur Überwachung der ordnungsgemäßen Aufgabenwahrung durch die betrauten Geschäftsleiter und gegebenenfalls auch zum Einschreiten zwingen.109 Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache sind die Anforderungen an die Überwachung erhöht. Aufgrund der vorangegangenen krisenhaften Entwicklung und der unmittelbaren Bestandsgefährdung der Gesellschaft ist erhöhte Achtsamkeit geboten.110 Zudem zählen existentielle Entscheidungen zur Gesamtverantwortung des jeweiligen Geschäftsführungsorgans,111 weshalb in der Krise weniger Aufgaben vollständig delegiert werden dürfen. Zuletzt begründet § 32 StaRUG Legalitätspflichten, deren Einhaltung jedem Geschäftsleiter obliegt.112 Namentlich die Inanspruchnahme der Restrukturierungsinstrumente des StaRUG geht alle Geschäftsleiter an. Denkbar bleibt allerdings die schwerpunktmäßige Betreuung durch ein Geschäftsführungsmitglied, wobei der 107 BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, NJW 1995, 2850, 2851; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = ZIP 2019, 261 Rz. 15 – Weltruf (zur GmbH). 108 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = ZIP 2019, 261 Rz. 17, 20 ff. – Weltruf (Schriftlichkeit fordert der II. Zivilsenat – entgegen dem BFH – nicht). 109 Dazu BGH v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, NJW 1986, 54, 55; BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, NJW 1995, 2850, 2851; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = ZIP 2019, 261 Rz. 33 ff. – Weltruf; Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 23 (Stand: 44. EL Nov. 2021); für das Gesellschaftsrecht auch Altmeppen, 10. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 23; Fleischer, DB 2019, 472, 475 f.; Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 376; Mertens/Cahn in KölnKomm/ AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 AktG Rz. 92. 110 Zur verschärften Kontrollpflicht bei krisenhaften Entwicklungen BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = ZIP 2019, 261 Rz. 36 – Weltruf; BGH v. 15.10.1996 – II ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 379; BGH v 9.1.2001 – VI ZR 407/99, NJW 2001, 969, 971; ferner Fleischer, DB 2019, 472, 476 f.; Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 381; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 37 GmbHG Rz. 32; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 177; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 133. 111 Vgl. Fleischer, DB 2019, 472, 476 f.; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 125. 112 Vgl. Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 378; zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, NJW 2001, 969, 970 f.

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Umfang der Delegation von der Befähigung des Delegatars abhängt.113 Einem erfahrenen Chief Restructuring Officer darf stärker vertraut werden als Geschäftsleitern, denen Krisenerfahrung fehlt. b) Vertikale Delegation Darüber hinaus dürfen Geschäftsleitungsaufgaben auch auf nachgeordnete Mitarbeiter und 43 externe Berater übertragen werden (vertikale Delegation). Eine Haftung wegen zugerechneten Fehlverhaltens kommt – wie sonst im Gesellschaftsrecht114 – nicht in Betracht. Die Haftung des Insolvenzverwalters für Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB115 lässt sich nicht übertragen. Für eigenes Hilfspersonal haftet der Insolvenzverwalter, weil er es in seinem Wirkungskreis einsetzt; für die Mitarbeiter des Schuldners ergibt sich die Einstandspflicht aus § 60 Abs. 2 InsO, der diese zwar beschränkt, damit aber auch voraussetzt.116 Die Geschäftsleiter setzen hingegen Hilfspersonal nicht im eigenen Pflichtenkreis, sondern dem der Gesellschaft ein.117 Daran ändert auch die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nichts. Eine Haftung für die Aufgabenwahrnehmung durch Dritte kann allerdings auf eigenem Fehl- 44 verhalten der Geschäftsleiter bei der Delegation beruhen. Einerseits muss die Aufgabe überhaupt delegierbar sein, andererseits müssen Auswahl und Einweisung sorgfältig erfolgen.118 Bei der gerichtlichen Nachprüfung ist das Organisationsermessen der Geschäftsleiter zu respektieren.119 Auch im Falle der vertikalen Delegation verbleibt die Pflicht, die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung zu überwachen und erforderlichenfalls einzugreifen.120 Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache gelten insofern Besonderheiten: Einerseits sind die Anforderungen aufgrund der Krisensituation und der Existenzgefährdung erhöht,121 andererseits kann gerade die besonders herausfordernde Situation ein stärkeres Vertrauen auf (ex113 Siehe für GmbH-Geschäftsführer Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 121; Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 28; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 124; für Vorstände der AG Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 173 f. 114 Siehe etwa BGH v. 7.11.1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336, 347 = ZIP 1994, 1934; BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 = NZG 2011, 1271 Rz. 17; Fleischer in MünchKomm/ GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 126 (m.w.N.); Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 384 (m.w.N.); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 30; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 202; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142 f. 115 Dazu statt aller Lüke in Kübler/Prütting/Bork, § 60 InsO Rz. 41c f. (Stand: 88. EL Mai 2021). 116 Dazu Baumert in Braun, 9. Aufl. 2022, § 60 InsO Rz. 39 ff.; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, § 60 InsO Rz. 40 (Stand: 88. EL Mai 2021); Rein in Nerlich/Römermann, § 60 InsO Rz. 88, 90 ff. (Stand: 42. EL Februar 2021); Schoppmeyer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 60 InsO Rz. 93 f.; Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 60 InsO Rz. 97 ff.; Thole in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 60 InsO Rz. 49 f. 117 Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 384; Koch, 16. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 85; Harnos, Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013, 308; H.-F. Müller, NZG 2012, 981, 983; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142 f.; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 141. 118 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336, 347 = ZIP 1994, 1934; Fleischer in MünchKomm/ GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 127 ff., 132 f.; Fleischer, AG 2003, 291, 293; Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 160 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 30; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 202; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 142 f. 119 Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 28; vgl. auch Hopt/Roth in GroßKomm/ AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 163. 120 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336, 347 = ZIP 1994, 1934; Fleischer, AG 2003, 291, 293 f.; Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 30; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 202; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 144 ff. 121 Fleischer, AG 2003, 291, 293, 295.

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§ 43 Rz. 44 | Pflichten und Haftung der Organe terne) Berater rechtfertigen. Insbesondere können notwendige Maßnahmen durch Sanierungsexperten vorbereitet werden. Das schließt etwa die Ausarbeitung eines Restrukturierungsplans oder die Stellung eines Antrags auf eine Stabilisierungsanordnung durch das Restrukturierungsgericht ein. Selbst die Verhandlungen über den Plan können durch Berater geführt werden, allerdings stets begleitet durch die Geschäftsleiter.122 Die Letztentscheidungskompetenz für besonders bedeutsame Entscheidungen verbleibt bei den Geschäftsleitern.

5. Entgegenstehende Gesellschafterweisungen 45 Umstritten ist die insbesondere für die GmbH bedeutsame Frage, ob und in welchem Umfang

die Gesellschafter Weisungen erteilen können und diesen Weisungen eine haftungsbefreiende Wirkung zukommt. Nach teilweise vertretener Ansicht sollen Gesellschafterweisungen bindend sein.123 Die Ansicht beruft sich auf die Entstehungsgeschichte des StaRUG: § 2 Abs. 2 Satz 2 StaRUG-RegE sah weitgehende Einschränkungen der Weisungsbefugnis der Gesellschafter vor, um eine sanierungshemmende oder gläubigergefährdende Einflussnahme zu verhindern. Weisungen sollten „unbeachtlich“ sein, wenn deren Befolgung zu einem Verstoß gegen die Sanierungspflichten der Geschäftsleiter führen würde.124 Aus der ersatzlosen Streichung der Vorschrift folgert die Ansicht, dass Weisungen der GmbH-Gesellschafter wirksam sind und ihnen auch eine haftungsbefreiende Wirkung zukommt.125

46 Nach vorzugswürdiger Ansicht beschränkt § 32 Abs. 1 StaRUG die Weisungsbefugnis der

Gesellschafter.126 Die Vorschrift bindet die Gesellschaft im Außenverhältnis und im Wege der Legalitätspflicht auch die Geschäftsleiter im Innenverhältnis.127 Weisungen der GmbH-Gesellschafter, die zur Verletzung der Legalitätspflicht führen würden, sind nach einhelliger Ansicht nichtig und damit unbeachtlich.128 Dies betrifft zwar überwiegend Pflichten ohne Ermessen, etwa zur Kapitalerhaltung gem. §§ 30 f. GmbHG129 oder die Insolvenzantragspflicht.130 Aller122 Vgl. Fleischer, AG 2003, 291, 293, 295 („Die ‚Oberaufsicht‘ verbleibt in allen Fällen beim Vorstand.“). 123 Guntermann, WM 2021, 214, 220; Kuntz, ZIP 2021, 597, 609; ferner Eckert/Holze/Ippen, NZI 2021, 153, 157. 124 Zur Regelung des Regierungsentwurfs s. Korch, NZG 2020, 1299, 1303. 125 Eckert/Holze/Ippen, NZI 2021, 153, 157; Guntermann, WM 2021, 214, 220; Jungmann, ZRI 2021, 209, 213; Kuntz, ZIP 2021, 597, 609; vgl. auch Goetker in Flöther, 2021, § 1 StaRUG Rz. 6. 126 Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 80 f.; Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 35 f., 42 f.; Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 16; Kunz in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 13 Rz. 43 f.; Ristelhuber, NZI 2021, 417, 419 f.; Thole, BB 2021, 1347, 1351 f.; i.E. auch Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 128; Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 21; Scholz, ZIP 2021, 219, 224 (der von einem Redaktionsversehen bei § 43 StaRUG ausgeht); Skauradszun, KTS 2021, 1, 49 f. (Einschränkung aufgrund richtlinienkonformer Auslegung); Wucherer/Zickgraf, ZGR 2021, 259, 297 ff. (zur Nichtigkeit von Gewinnverwendungsbeschlüssen der AG). 127 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 16; wohl auch Rauhut, NZI-Beilage 2021, 52, 54; a.A. Guntermann, WM 2021, 214, 220. 128 Jacoby in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 37 GmbHG Rz. 18; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 37 GmbHG Rz. 5, 12, 18; Lenz in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 37 GmbHG Rz. 19; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 37 GmbHG Rz. 98; Stephan/Tieves in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 37 GmbHG Rz. 118; Wicke, GmbHG, 4. Aufl. 2020, § 37 GmbHG Rz. 5. 129 Siehe etwa BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 278; Altmeppen, 10. Aufl. 2021, § 37 GmbHG Rz. 6. 130 BGH v. 18.3.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 37 GmbHG Rz. 99; für § 64 GmbHG a.F. auch OLG Düsseldorf v. 9.12.2021 – 12 U 23/21, ZIP 2022, 1438, 1442.

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 49 § 43

dings hat der BGH die Nichtigkeit der Weisungen nicht mit dem fehlenden Ermessen begründet, sondern damit, dass die Pflichten im öffentlichen Interesse oder im Interesse der Gläubiger bestünden.131 Dass § 43 Abs. 1 StaRUG primär den Interessen der Gläubiger dient,132 belegt die Schadensberechnung, die auf den Quotenschaden der Gläubiger abstellt. Damit sind die Pflichten nach § 32 Abs. 1, § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG nicht verzichtbar.133 Im Unterschied zu vollständig gebundenen Entscheidungen sind Weisungen allerdings be- 47 achtlich, sofern sie sich innerhalb des Ermessensspielraums bewegen.134 Die Beurteilung ähnelt damit der Legalitätskontroll- oder Compliance-Pflicht, zu der ebenfalls vertreten wird, dass die Weisungsbefugnis der Gesellschafter nur so weit reicht wie das Ermessen der Geschäftsleiter.135

IV. Haftungsvoraussetzungen (§ 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) 1. Pflichtverletzung Verstoßen Geschäftsleiter gegen ihre Pflichten aus § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG, können sie gem. 48 § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG gegenüber der Gesellschaft haften. Neben den besonderen Sanierungspflichten (Rz. 30 ff.) müssen Geschäftsleiter auch alle anderen Pflichten einhalten, die ihnen die gesellschaftsrechtlichen und allgemeinen Vorschriften auferlegen (Rz. 29).136 Der Maßstab des ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsleiters lässt sich deshalb als Summe der Sanierungs- und sonstigen Pflichten verstehen.

2. Verschulden a) Typisierender Verschuldensmaßstab Die Geschäftsleiter haften nur, wenn sie die Pflichtverletzung zu vertreten haben. Das wird zu 49 ihren Lasten vermutet (zur Beweislast Rz. 63). Nach § 276 Abs. 1 BGB haben Geschäftsleiter Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten.137 Allerdings besitzt § 43 Abs. 1 StaRUG eine Doppelfunktion und beschreibt neben den Sorgfaltspflichten auch einen typisierenden Verschuldensmaßstab.138 Der Maßstab für die Fahrlässigkeit orientiert sich folglich an der Sorgfalt, die 131 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 278; BGH v. 18.3.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089; vgl. auch BGH NZG 2019, 505 Rz. 37 („vorbehaltlich gesetzlicher Pflichten“); OLG Frankfurt v. 7.2.1997 – 24 U 88/95, GmbHR 1997, 346, 348; OLG Naumburg v. 10.2.1999 − 6 U 1566/97, ZIP 1999, 1362, 1363. 132 Kuntz, ZIP 2021, 597, 603; Thole, BB 2021, 1347, 1351 f. 133 Bitter, ZIP 2021, 321, 334; Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 16 f. 134 Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 128; Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 82; Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 16; Thole, BB 2021, 1347, 1352; ferner Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 35 f.; Ristelhuber, NZI 2021, 417, 420. 135 Stephan/Tieves in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 37 GmbHG Rz. 25, 34. 136 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 24; a.A. Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 17 (Stand: 44. EL Nov. 2021) (sonstige Organpflichten sollen keine Verletzung des § 43 StaRUG begründen); Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 38. 137 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 27 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 17; zu § 43 GmbHG statt vieler Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 167; zu § 60 InsO etwa Schoppmeyer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 60 InsO Rz. 89; Thole in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 60 InsO Rz. 37. 138 Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 60 f.; vgl. allgemein RG v. 28.2.1940 – II 115/39, RGZ 163, 200, 208 (zu §§ 34, 41 GenG a.F.); ähnlich für § 43 GmbHG Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 255; Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019,

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§ 43 Rz. 49 | Pflichten und Haftung der Organe ein ordentlicher und gewissenhafter Sanierungsgeschäftsleiter an den Tag legen würde und geht über die Sorgfalt hinaus, die jedermann gem. § 276 Abs. 2 BGB zu beachten hat.139 Insbesondere entlastet individuelle Unfähigkeit nicht140 und muss gegebenenfalls durch qualifizierte Beratung ausgeglichen werden.141 Wer dennoch nicht über die nötigen Fähigkeiten verfügt, um die Restrukturierungssache sorgfältig zu betreiben und die Gesellschaft in der Krise zu leiten, darf das Amt nicht antreten oder muss es niederlegen.142 Spezielle Kenntnisse verschärfen allerdings die Anforderungen,143 so dass etwa an einen erfahrenen Chief Restructuring Officer höhere Anforderungen gestellt werden können. Die arbeitsrechtlichen Sonderregelungen zum innerbetrieblichen Schadensausgleich finden keine Anwendung.144 b) Privilegierung ehrenamtlicher Geschäftsleiter? 50 Ob für ehrenamtliche Vereinsvorstände wegen § 31a Abs. 1 Satz 1 BGB ein abweichender

Maßstab gilt, ist bisher nicht geklärt.145 Dafür spräche die vom Gesetzgeber gewollte Privilegierung des Ehrenamtes. Gewichtiger scheinen indes die Gegenargumente: § 43 Abs. 1 StaRUG ist der Ausgleich für die erheblichen Eingriffsmöglichkeiten in die Rechte der Gläubiger, die das StaRUG den Geschäftsleitern an die Hand gibt. Diese Befugnisse sind unabhängig davon, ob die Tätigkeit ehrenamtlich ausgeübt wird oder nicht. Zudem können ehrenamtliche Vorstände die Haftung vermeiden, indem sie, statt die Restrukturierungssache anzuzeigen, einen Insolvenzantrag stellen.

51 Ob darüber hinaus sogar für alle ehrenamtlich tätigen Geschäftsleiter analog § 31a BGB

Erleichterungen angezeigt sind, ist bereits mit Blick auf die gesellschaftsrechtlichen Haftungs-

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§ 43 GmbHG Rz. 64; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 268; für § 93 AktG etwa Dauner-Lieb in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 93 AktG Rz. 32; Hopt/Roth in GroßKomm/ AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 391 f.; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 198; für § 60 InsO statt vieler Lüke in Kübler/Prütting/Bork, § 60 InsO Rz. 36 (Stand: 88. EL Mai 2021); Schoppmeyer in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 60 InsO Rz. 90; Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 60 InsO Rz. 91. Hirschberger/Herms in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 55; für § 43 GmbHG Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 64; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 275; Ziemons in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 43 GmbHG Rz. 408; zu § 93 AktG s. nur Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 AktG Rz. 137; zu § 60 InsO Thole in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 60 InsO Rz. 37. Vgl. RG v. 28.2.1940 – II 115/39, RGZ 163, 200, 208 (zum Vorstand einer Genossenschaft); BGH v. 7.11.1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336, 347 = ZIP 1994, 1934; BGH v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, GmbHR 1983, 300 = NJW 1983, 1856, 1857; BGH v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 34; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = ZIP 2019, 261 Rz. 12 – Weltruf; für Vorstandsmitglieder einer AG statt vieler Koch, 16. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 79; zur GmbH Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, 5. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 61; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 275; zu § 60 InsO Lohmann in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 60 InsO Rz. 30. Vgl. Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 61 Vgl. allgemein BGH v. 16.2.1981 – II ZR 49/80, GmbHR 1981, 191, 192; Fleischer in MünchKomm/ GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 255; Ziemons in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 43 GmbHG Rz. 411 f. Vgl. allgemein BGH v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 Rz. 17 = ZIP 2006, 1529; BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 = NZG 2011, 1271 Rz. 28 (jeweils für Aufsichtsratsmitglieder); für den GmbH-Geschäftsführer Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 255; Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 63; für den Insolvenzverwalter Thole in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 60 InsO Rz. 37. Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 63. Ablehnend Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 27 (Stand: 44. EL Nov. 2021).

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 54 § 43

vorschriften heftig umstritten146 und für § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG völlig offen, nach hier vertretener Ansicht aber abzulehnen. Auch eine generelle mildernde Berücksichtigung des Ehrenamts in Anlehnung an § 34 Abs. 2 Satz 3 GenG ist aus den genannten Gründen (Rz. 50) nicht angezeigt. Vielmehr ist die Struktur und Komplexität der Restrukturierungssache im jeweiligen Einzelfall bei den Sorgfaltsanforderungen der Pflichtverletzung zu berücksichtigen.147 c) Verschuldenszurechnung (Weiterverweis) Fremdes Handeln und Verschulden wird Geschäftsleitern nicht gem. § 278 BGB zugerechnet 52 (Rz. 43); allerdings kommt ein eigenes Auswahl- und Überwachungsverschulden bei der Aufgabendelegation in Betracht (Rz. 44).148 Zum Vertrauen auf Expertenrat Rz. 53. d) Rechtsirrtum und Expertenrat

Während der Restrukturierung sind Geschäftsleiter regelmäßig auf Expertenrat angewiesen, 53 etwa zur Durchführbarkeit geplanter Sanierungsmaßnahmen sowie zu den rechtlichen Voraussetzungen der Restrukturierungsinstrumente. Erweist sich der Expertenrat als fehlerhaft, verletzen die Geschäftsleiter nach zutreffender Ansicht zwar ihre Pflichten, können sich aber möglicherweise auf der Verschuldensebene darauf berufen, nicht fahrlässig gehandelt zu haben.149 Die Anforderungen an die Exkulpation hat der BGH in seiner Ision-Rechtsprechung150 ausbuchstabiert: Danach müssen sich die Geschäftsleiter (1) unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen (2) von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lassen und (3) die erteilte Rechtsauskunft einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterziehen.151

3. Schaden und haftungsausfüllende Kausalität a) Quotenschaden der Gläubiger Für die Schadensberechnung gelten die §§ 249 ff. BGB, allerdings mit einer wesentlichen Be- 54 sonderheit: Geschäftsleiter haften nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG nicht in Höhe des Scha-

146 Zum Meinungsstand etwa Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, E 30 f.; Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 226b (m.w.N.); ablehnend etwa Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 39; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 269, 274. 147 Vgl. schon BGH v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 34; vgl. aber Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 274 (möglicherweise Berücksichtigung beim Verschulden im Rahmen des § 43 GmbHG). 148 Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 62; vgl. allgemein Dauner-Lieb in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 93 AktG Rz. 33; Koch, 16. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 85; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 35; Spindler in MünchKomm/ AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 202 (je zu § 93 AktG); Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 63; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 277 (je zu § 43 GmbHG). 149 Vgl. BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rz. 12 (zu § 64 GmbHG a.F.); BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rz. 28; Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 66; Koch, 16. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 79. 150 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 = NZG 2011, 1271 Rz. 18; zuvor bereits BGH v.14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 126 = NJW 2007, 2118 Rz. 18. 151 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rz. 18; BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rz. 28; zuvor bereits BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 126 = NJW 2007, 2118 Rz. 18; dazu Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 65; ausführlich auch Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 280 ff.

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§ 43 Rz. 54 | Pflichten und Haftung der Organe dens der Gesellschaft, sondern in Höhe des Schadens, den die Gläubigergesamtheit infolge der Pflichtverletzung erfährt.152 Der Schaden entspricht damit konzeptionell dem Quoten(verringerungs)schaden der Altgläubiger bei verschleppter Insolvenzantragstellung153 oder dem Quotenschaden der Insolvenzgläubiger nach § 60 Abs. 1 InsO im Fall des Gesamtschadens.154 Die gesetzgeberische Entscheidung für eine Schadensfiktion in Höhe des Gläubigerschadens ist sinnvoll, weil sie die Schadensberechnung erleichtert. Denn ein Schaden der Gesellschaft wird sich häufig nur schwer bestimmen lassen und in vielen Fällen nicht mit dem Quotenschaden der Gesellschafter übereinstimmen.155 Wählt ein Geschäftsleiter etwa eine extrem riskante Sanierungsoption unter Außerachtlassung der Gläubigerinteressen, kann dies den Wert des Unternehmens sogar kurzfristig erhöhen, wenn sich nur diese Option im Erfolgsfall auch für die Gesellschafter auszahlt.156 Das Nachsehen hätten allerdings die Gläubiger. Da § 43 StaRUG ebendiese schützen soll, ist es konsequent, auch beim Schaden auf die Gläubiger abzustellen. Diesem Regelungsmuster folgten bereits § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG a.F. und § 64 Satz 1 GmbHG a.F., die am 1.1.2021 in § 15b InsO aufgegangen sind. 55 Nach der Differenzhypothese ist die hypothetische Befriedigungsquote ohne Pflichtverlet-

zung mit der tatsächlichen Befriedigungsquote zu vergleichen.157 Die Berechnung der hypothetischen Befriedigungsquote dürfte in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten verursachen.158 Das Gericht wird sie regelmäßig nach § 287 ZPO – ggf. unterstützt durch einen Sachverständigen – zu schätzen haben. Unzulässig ist demgegenüber, lediglich auf einen etwaigen Vermögensabfluss abzustellen.159

56 Ersatzfähig ist stets nur der Gesamtschaden der Gläubiger, nicht jedoch individuelle Schäden

einzelner Gläubiger. Diese Abweichung von § 45 StaRUG-RegE ist sinnvoll, weil der Anspruch vor allem Bedeutung in der Insolvenz hat, setzt er doch faktisch das Scheitern der Restrukturierung voraus. Folglich ist es Sache des Insolvenzverwalters oder Sachwalters, den Anspruch geltend zu machen (Rz. 80).160 Die dann notwendige Bündelung gleichartiger Einzelansprüche nimmt § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG als Binnenhaftungsvorschrift vorweg. 152 Dazu Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 100; Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 23; Hirschberger/Herms in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 59; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 195; Smid, ZInsO 2021, 117, 118; Weber/Dömmecke, NZI-Beilage 2021, 27, 29; abw. Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 16. Teilweise wird darin eine gesetzliche Drittschadensliquidation gesehen: Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 48; Scholz, ZIP 2021, 219, 224 f. 153 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 5; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 16; Weber/ Dömmecke in Braun, 2021, § 43 StaRUG Rz. 9; zum Quotenschaden der Altgläubiger bei Insolvenzverschleppung s. nur Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 181 ff. 154 Dazu Sinz in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 60 InsO Rz. 119; Thole in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 60 InsO Rz. 21, 42. 155 Vgl. dazu BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 Rz. 11, 14 (zur Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern bei Zahlungen nach Insolvenzreife); Hass in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 293; Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 67; Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 191; Pöschke in BeckOK/GmbHG, § 43 GmbHG Rz. 309.10 (Stand: 52. Ed. 1.6.2022). 156 Erläuternd dazu Klöhn, ZGR 2008, 110, 112 ff.; Korch, ZGR 2019, 1050, 1057. 157 Siehe zur parallelen Problematik bei § 60 InsO etwa Lüke in Kübler/Prütting/Bork, § 60 InsO Rz. 31 (Stand: 88. EL Mai 2021); Rein in Nerlich/Römermann, § 60 InsO Rz. 94 (Stand: 42. EL Februar 2021). 158 So auch Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 99; Gehrlein, BB 2021, 66, 67; für den Quotenschaden der Altgläubiger bei Insolvenzverschleppung auch K. Schmidt, NZG 2015, 129, 130, und jüngst Brinkmann, ZIP 2020, 2361, 2365. 159 In diese Richtung aber Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 103 f.; Smid, ZInsO 2021, 117, 118. 160 Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 23; Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293, 1300; Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 5.

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 59 § 43

b) Vorteilsausgleich Bei der Schadensberechnung sind Vorteile zu berücksichtigen, die den Gläubigern durch die 57 pflichtwidrige Handlung entstehen (sog. Vorteilsausgleich), sofern die Anrechnung nicht dem Sinn und Zweck der verletzten Vorschrift widerspricht.161 Ein solcher Widerspruch soll nach bestrittener Ansicht vor allem bei „nützlichen Rechtsverletzungen“ vorliegen.162 Ungeachtet der dazu vertretenen Ansichten lassen sich aus den §§ 32, 43 StaRUG keine Einschränkungen der Vorteilsanrechnung herleiten. Die Vorschriften dienen dem Schutz der Gläubiger; dafür genügt, dass sie ihren tatsächlich entstandenen Schaden regressieren können. Eine Bereicherung ist hingegen nicht geboten. Zugleich widerspricht die Vorteilsanrechnung nicht den Interessen der Allgemeinheit. Den Nachweis für die anzurechnenden Vorteile haben die Geschäftsleiter zu erbringen.163 c) Haftungsausfüllende Kausalität Geschäftsleiter haften nur für solche Schäden, die durch die Pflichtverletzung verursacht wor- 58 den sind (haftungsausfüllende Kausalität). Neben der Kausalität im Sinne der Äquivalenzformel ist auch objektive Zurechenbarkeit erforderlich. Sie fehlt bei atypischen Kausalverläufen und bei unterbrochenem Schutzzweckzusammenhang. Hierunter fällt etwa der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens.164 Wäre der Schaden auch dann eingetreten, wenn sich die Geschäftsleiter pflichtgemäß verhalten hätten, scheidet eine Haftung aus.165 Allerdings obliegt ihnen die dahingehende Beweislast, wie der BGH im Schloss-Eller-Urteil klargestellt hat.166 Danach müssen sie den sicheren Nachweis erbringen, dass der Schaden auf jeden Fall eingetreten wäre; die bloße Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit genügt nicht.167

4. Keine haftungsbefreienden Gesellschafterweisungen Weisungen der Gesellschafter sind nichtig, soweit ihre Befolgung zu einer Verletzung des 59 § 32 StaRUG und damit der Legalitätspflicht führen würde (Rz. 46). Sie befreien deshalb folgsame Geschäftsleiter auch nicht von ihrer Haftung. Geschäftsleitern steht zudem kein Ein-

161 Vgl. BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 = NZG 2011, 1271 Rz. 31; BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, NJW 2013, 1958 = AG 2013, 259 Rz. 26 – Coreal (je zu § 93 AktG); Fleischer, ZIP 2005, 141, 151; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 46. 162 Fleischer, DStR 2009, 1204, 1210; Illhardt/P. Scholz, DZWiR 2013, 512, 513 ff.; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 107; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 529 f.; wohl auch Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 AktG Rz. 137; a.A. Hölters/Hölters in Hölters, 4. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 243; Kersting, ZIP 2016, 1266, 1272 f.; Seibt, NZG 2015, 1097, 1101; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 298 (m.w.N.; ausführlich zur Ersatzfähigkeit von Verbandsbußen Rz. 304 ff.). 163 Ständige Rspr. und allg. Ansicht im Gesellschaftsrecht, s. nur BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, NJW 2013, 1958 = ZIP 2013, 455 Rz. 29 – Coreal; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, 5. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 67; Fleischer, DStR 2009, 1204, 1210; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 182 (m.w.N.). 164 So auch Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 32 (Stand: 44. EL Nov. 2021). 165 Vgl. BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 = ZIP 2018, 1923 Rz. 38 f. – Schloss Eller (zu § 93 Abs. 2 AktG); BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, BGHZ 189, 299 = ZIP 2011, 1419 Rz. 47 (für den vorläufigen Insolvenzverwalter). 166 Vgl. BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 = ZIP 2018, 1923 Rz. 45 – Schloss Eller; BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, NJW 2013, 1958 = ZIP 2013, 455 Rz. 14 – Coreal; zuvor bereits für den vorläufigen Insolvenzverwalter BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, BGHZ 189, 299 = ZIP 2011, 1419 Rz. 47. 167 BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 = ZIP 2018, 1923 Rz. 45 – Schloss Eller.

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§ 43 Rz. 59 | Pflichten und Haftung der Organe wand unzulässiger Rechtsausübung in Anlehnung an die GAMMA-Entscheidung168 des BGH zu. Danach soll die Gesellschaft die Ersatzpflicht nicht auf nichtige Weisungen der Gesellschafter stützen können,169 ausgenommen Ansprüche gem. § 43 Abs. 3 GmbHG und wegen Existenzvernichtung.170 Im Unterschied zu § 43 Abs. 2 GmbHG dient § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG jedoch vorrangig dazu, den Verlust der Gläubiger durch pflichtwidriges Verhalten auszugleichen. Der Vorschrift ist deshalb immanent, dass die auf sie gestützten Schadensersatzforderungen zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich sind.171 Das zeigt auch das besondere Verzichtsverbot des § 43 Abs. 2 StaRUG, das ebenfalls auf die Befriedigung der Gläubiger abstellt und so den konzeptionellen Unterschied etwa zu § 43 GmbHG verdeutlicht.172 Gegen den Anspruch aus § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG kann der Geschäftsleiter deshalb keine Einwände erheben.173 60 Weisungen der Gesellschafter bleiben beachtlich, sofern sie sich innerhalb des Ermessens-

spielraums des § 32 Abs. 1 StaRUG bewegen.174 Möglicherweise gläubigerbeeinträchtigende Weisungen sind deshalb nicht ohne Haftungsrisiko für Geschäftsleiter. Befolgen sie nichtige Weisungen, haften sie gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Verweigern sie rechtmäßigen Weisungen die Gefolgschaft, droht ihnen eine Haftung gem. § 43 Abs. 2 GmbHG.175 Zudem können sie von den Gesellschaftern abberufen werden, da eine Parallelvorschrift zu § 276a Abs. 1 Satz 2 InsO fehlt.176 Gänzlich neu ist eine solche Situation indes nicht: Bereits bisher durften Geschäftsleiter Weisungen nicht ausführen, die zu einer Existenzgefährdung der Gesellschaft führen177 oder eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht darstellen.178

168 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = GmbHR 2008, 805 Rz. 39; BGH v. 18.2.2008 – II ZR 62/07, GmbHR 2008, 488 Rz. 11; vgl. zudem BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92, 95 f. 169 BGH v. 18.3.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089; dazu auch Fleischer in MünchKomm/ GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 278. 170 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = GmbHR 2008, 805 Rz. 39; BGH v. 18.2.2008 – II ZR 62/07, GmbHR 2008, 488 Rz. 11; vgl. zudem BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92, 95 f.; OLG Düsseldorf v. 9.12.2021 – 12 U 23/21, ZIP 2022, 1438, 1442 (für Verstöße gegen § 64 GmbHG a.F.); Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 214; kritisch Altmeppen, DStR 2002, 2048, 2049 f.; a.A. auch Goette, DStR 1998, 938, 942; restriktiver hingegen Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 21 (keine Ausweitung auf die Existenzvernichtungshaftung). 171 Zum Vorstehenden Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 17. 172 Zudem sehen einige Stimmen in der Literatur § 43 Abs. 3 GmbHG als nicht abschließend an, weshalb auch Verstöße gegen andere gläubigerschützende Regeln nicht erfasst seien: Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 42, 64 f.; Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 63; Pöschke in BeckOK/GmbHG, § 43 GmbHG Rz. 282 (Stand: 49. Ed. 1.8.2021); a.A. aber Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 21. 173 So i.E. auch Scholz, ZIP 2021, 219, 224; Thole, BB 2021, 1347, 1352. 174 Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 128; Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 82; Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 35 f.; Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 16; Thole, BB 2021, 1347, 1352; Ristelhuber, NZI 2021, 417, 420. 175 Dazu etwa Jacoby in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 37 GmbHG Rz. 19; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 37 GmbHG Rz. 40. 176 Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 45. 177 Altmeppen, 10. Aufl. 2021, § 37 GmbHG Rz. 7; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 37 GmbHG Rz. 18; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 37 GmbHG Rz. 101; Wicke, 4. Aufl. 2020, § 37 GmbHG Rz. 5. 178 Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 21; Jacoby in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 37 GmbHG Rz. 12; Kruth/Jakobs, DStR 2019, 999, 1001; Ziemons in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 43 GmbHG Rz. 101.

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 63 § 43

Haben die Geschäftsleiter die Rechtmäßigkeit der Weisung falsch eingeschätzt, muss für die 61 Haftung geprüft werden, ob ihnen ein Verschulden zur Last fällt.179 Im Rahmen dieser Prüfung sollte ein gewisser Beurteilungsspielraum der schwierigen Situation der Geschäftsleiter und dem möglicherweise hohen Zeitdruck während der Restrukturierung Rechnung tragen.180 Für ungeklärte Rechtsfragen gewährt etwa die Ision-Rechtsprechung des BGH181 einen Ausweg.182 Häufig ist die Situation allerdings noch komplizierter, da nicht nur der Maßstab der § 32 Abs. 1, § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG sehr vage ist, sondern auch die Tatsachengrundlage unverschuldet ungewiss bleibt, da zahlreiche Prognosen erforderlich sind. Deshalb bietet sich eine Überprüfung lediglich auf Vertretbarkeit der Entscheidung an, vorausgesetzt, die Geschäftsleiter haben sich ausreichend über die Rechtslage und die Folgen der Gesellschafterweisung informiert.183 In der Literatur wird zudem diskutiert, ob eine Beratung mit dem Restrukturierungsbeauftragten bei der Verschuldensprüfung positiv zu würdigen sein sollte.184

5. Mitverschuldenseinwand Geschäftsleitern steht regelmäßig kein Mitverschuldenseinwand zu. Sie können grundsätzlich 62 nicht einwenden, dass auch andere Geschäftsleiter ihre Pflichten verletzt haben,185 da eine solche Erleichterung der Funktion des § 43 Abs. 1 StaRUG widerspräche, die Interessen der Gläubiger zu schützen. Unbenommen bleibt die Möglichkeit zum Binnenregress (Rz. 65). Eine Ausnahme ist allerdings denkbar für ausgeschiedene Geschäftsleiter, wenn pflichtwidriges Handeln nach ihrem Ausscheiden den Schaden ermöglicht oder vertieft hat.186 Ferner können sich Geschäftsleiter nicht darauf berufen, von den Gesellschaftern oder den Mitgliedern der Überwachungsorgane mangels ausreichender Qualifikation unzulässig ausgewählt oder nur unzureichend überwacht worden zu sein (zu Weisungen der Gesellschafter Rz. 45 ff.).187

6. Darlegungs- und Beweislast Die Beweislastverteilung des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG weicht von der im Kapitalgesell- 63 schaftsrecht üblichen ab. Im Gegensatz zu § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, der analog für § 43 Abs. 2 179 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 18; vgl. zur GmbH Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 278; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 42; Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 62; Oetker in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 36. 180 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 18. 181 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 = NZG 2011, 1271 Rz. 18. 182 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 18; vgl. für die GmbH Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 278. 183 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 18. 184 Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 84. 185 Für § 43 GmbHG auch Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, 5. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 79; Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 260; ähnlich Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 65 (auch mit Ausnahmen). 186 Vgl. allgemein Bayer/P. Scholz, GmbHR 2016, 841, 843; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 64; Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 260; Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 404; Schnorbus in Rowedder/Pentz, 7. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 83. 187 Vgl. zu § 43 GmbHG Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 260; Klöhn in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 70; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 173, 175; zu § 93 AktG statt vieler Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 404; für den Insolvenzverwalter Thole in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 60 InsO Rz. 38 (zu § 60 InsO).

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§ 43 Rz. 63 | Pflichten und Haftung der Organe GmbHG gilt,188 wird nach zutreffender Ansicht allein das Vertretenmüssen zum Nachteil der Geschäftsleiter vermutet, nicht hingegen die Pflichtverletzung.189 Die Gegenansicht, die auch eine Vermutung der Pflichtverletzung annimmt,190 übergeht den deutlichen Wortlaut des § 43 Abs. 1 Satz 2 a.E. StaRUG, dessen negative Formulierung allein das Vertretenmüssen erfasst.191 Ob diese Erleichterung zugunsten der Geschäftsleiter allerdings zu einer spürbaren Einschränkung der Haftungsrisiken führen wird, hängt von der künftigen Verteilung der Substantiierungslast ab. Trifft die Gesellschafter eine strenge sekundäre Darlegungslast, verschwimmen die Grenzen zur Beweislastverteilung gem. § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG.192 Jedenfalls hat die Gesellschaft Kausalität und Schaden zu beweisen, der Geschäftsleiter hingegen den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens.193

V. Haftung mehrerer Geschäftsleiter 64 Mehrere Geschäftsleiter haften der Gesellschaft auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anord-

nung (anders § 43 Abs. 2 GmbHG: „solidarisch“) als Gesamtschuldner gem. §§ 421 ff. BGB, sofern sie ihre Pflichten verletzt haben.194 Das gilt auch bei horizontaler Aufgabenverteilung, wenn die übrigen Geschäftsleiter ihrer Auswahl- oder Überwachungspflicht nicht hinreichend nachgekommen sind.195 Allerdings werden weder Fehlverhalten noch Verschulden zugerechnet.196 Der Einwand des Mitverschuldens eines Mitgeschäftsleiters kann gegenüber der Gesellschaft regelmäßig nicht erhoben werden (Rz. 62).

65 In Anspruch genommene Geschäftsleiter können im Innenverhältnis die übrigen Geschäfts-

leiter nach § 426 BGB auf Regress in Anspruch nehmen. Das gilt im Ausgangspunkt auch für Mitglieder von Überwachungsorganen. Da der Schadensersatz gegen diese allerdings nicht auf § 43 StaRUG, sondern allein auf die allgemeinen Vorschriften (insbesondere § 116 Satz 1 AktG i.V.m. § 93 Abs. 2 AktG) gestützt werden kann (Rz. 111 ff.), ist der Anspruch der Höhe nach auf den Schaden der Gesellschafter beschränkt (Rz. 125).

66 Der jeweilige Haftungsumfang im Innenverhältnis bestimmt sich analog § 254 BGB nach

dem jeweiligen Verschulden,197 das aufgrund der Objektivierung des Verschuldens im Rah-

188 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 283 f. = ZIP 2002, 2314. 189 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 4; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 18; Scholz, ZIP 2021, 219, 225; Weitzmann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 1 StaRUG Rz. 136. 190 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 34 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 72; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, 191, 195; Weber/ Dömmecke in Braun, 2021, § 43 StaRUG Rz. 11. 191 Eine analoge Anwendung des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG auf § 60 InsO lehnt der IX. Senat ab (BGH v. 15.10.2015 – IX ZR 296/14, NZI 2016, 52 Rz. 4 f.), weshalb sie auch für § 43 Abs. 1 StaRUG nicht zu erwarten ist. 192 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 4; Korch, NZG 2020, 1299, 1302; Scholz, ZIP 2021, 219, 225; vgl. zur parallelen Diskussion zu § 60 InsO BGH v. 15.10.2015 – IX ZR 296/14, NZI 2016, 52 Rz. 5; Thole in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 60 InsO Rz. 53. 193 Vgl. BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 = ZIP 2018, 1923 Rz. 45 – Schloss Eller. 194 Curtze in Nerlich/Römermann§ 43 StaRUG Rz. 36 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Hirschberger/Herms in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 61; Smid, ZInsO 2021, 117, 118; allg. Ansicht für § 93 Abs. 2 AktG (statt aller Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 100; Koch, 16. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 116), der ebenfalls keine ausdrückliche Anordnung trifft. 195 Hirschberger/Herms in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 62. 196 Für § 93 AktG statt aller Dauner-Lieb in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 93 AktG Rz. 37. 197 Hirschberger/Herms in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 63; vgl. allgemein BGH v. 22.4.1980 – VI ZR 134/78, NJW 1980, 2348, 2349; Guntermann/Noack in FS Grunewald, 2021, 253, 255 f.; Heinemeyer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2019, § 426 BGB Rz. 23; für § 43 GmbHG auch Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 349.

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 70 § 43

men des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG im Wesentlichen dem Grad der Pflichtwidrigkeit entspricht. Unterscheiden sich die Verursachungsbeiträge nicht, haften alle Geschäftsleiter zu gleichen Teilen. Treffen primäre Pflichtverletzung und bloßes Überwachungsverschulden zusammen, haftet der ressortzuständige und ausführende Geschäftsleiter im Innenverhältnis regelmäßig allein.198 Prozessual kann es aus Sicht der verklagten Geschäftsleiter sinnvoll sein, den übrigen Ge- 67 schäftsleitern oder Mitgliedern der Aufsichtsorgane den Streit zu verkünden (§ 72 ZPO), um die Nebeninterventionswirkung gem. §§ 74, 68 ZPO zu erzielen.199 Die Streitverkündung kann zudem eine drohende Verjährung hemmen.200

VI. Abdingbarkeit; Verzicht und Vergleich (§ 43 Abs. 2 StaRUG) § 43 StaRUG ist nicht dispositiv, d.h. den Geschäftsleitern kann die Haftung nicht im Voraus 68 erlassen werden. Das ergibt sich bereits aus dem gläubigerschützenden Charakter der Vorschrift, der eine Disposition der Gesellschafter verbietet. In die gleiche Richtung deutet Abs. 2, der Haftungserleichterungen durch Verzicht und Vergleich nach Entstehung des Schadens verbietet. Die schuldnerische Gesellschaft kann auf Schadensersatzansprüche nach § 43 Abs. 2 Satz 1 69 StaRUG nicht verzichten oder sich darüber vergleichen, soweit diese zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich sind. Die Erforderlichkeit muss – wie bei § 9b GmbHG – nicht bereits im Zeitpunkt des Verzichts oder Vergleichs vorliegen, sondern kann auch später eintreten.201 Sie muss nach überwiegender Ansicht auch nicht vorhersehbar gewesen sein.202 Da der Anspruch gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG regelmäßig in einer nachfolgenden Insolvenz geltend gemacht wird,203 dürfte die Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung überwiegend gegeben sein. Die Norm ist nötig, da die schuldnerische Gesellschaft als Anspruchsinhaberin sonst über Ansprüche verfügen könnte, die dem Schutz der Gläubiger dienen. Verzicht erfasst Erlassverträge und negative Schuldanerkenntnisse (§ 397 BGB)204 sowie Ent- 70 lastungsbeschlüsse,205 ebenso wirkungsgleiche prozessuale Handlungen wie den Verzicht i.S.d.

198 Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 64; Guntermann/Noack in FS Grunewald, 2021, 253, 256 ff.; für § 43 GmbHG auch Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, 5. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 72; Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 319 (m.w.N. zum Meinungsstand); Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 349; für bewusst geschaffene Gefahrenlagen allgemein auch BGH v. 22.4.1980 – VI ZR 134/78, NJW 1980, 2348, 2349. 199 Dazu etwa S. Fischer, ZIP 2014, 406, 409; Guntermann, AG 2017, 606, 609 (zu § 93 AktG). 200 Vgl. S. Fischer, ZIP 2014, 406, 409; zu § 93 AktG Guntermann, AG 2017, 606, 610; Koch, 16. Aufl. 2021, § 93 AktG Rz. 118. 201 A.A. Hirschberger/Herms in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 8; wie hier aber die ganz herrschende Lehre zu § 9b GmbHG: Altmeppen, 10. Aufl. 2021, § 9b GmbHG Rz. 3; Herrler in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 9b GmbHG Rz. 22; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, 3. Aufl. 2019, § 9b GmbHG Rz. 13; Veil in Scholz, 13. Aufl. 2022, § 9b GmbHG Rz. 8. 202 Vgl. Herrler in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 9b GmbHG Rz. 22; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2019, § 9b GmbHG Rz. 13; Veil in Scholz, 13. Aufl. 2022, § 9b GmbHG Rz. 8; wohl auch Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 23. 203 So auch Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 43 StaRUG Rz. 12. 204 Curtze in Nerlich/Römermann, 44. EL Nov. 2021, § 43 StaRUG Rz. 44; zum gleichlautenden § 9b GmbHG s. BGH v. 14.6.2018 – IX ZR 232/17, BGHZ 219, 98 = NJW 2018, 2494 Rz. 20; Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2019, § 9b GmbHG Rz. 8. 205 Curtze in Nerlich/Römermann, 44. EL Nov. 2021, § 43 StaRUG Rz. 44; vgl. ferner BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, NJW-RR 1986, 1293, 1294; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2019, § 9b GmbHG Rz. 9; Veil in Scholz, 13. Aufl. 2022, § 9b GmbHG Rz. 6 (je zu § 9b GmbHG).

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§ 43 Rz. 70 | Pflichten und Haftung der Organe § 306 ZPO und das Anerkenntnis i.S.d. § 307 ZPO. Ergeht gleichwohl ein Urteil, steht allerdings die Rechtskraft einer erneuten Geltendmachung entgegen,206 so dass der Anspruch faktisch doch vereitelt werden kann. Allerdings kommt dann ein Schadensersatzanspruch gegen den prozessführenden Geschäftsleiter oder den Prozessbevollmächtigten in Betracht. Unter Vergleich fallen Verträge i.S.d. § 779 BGB einschließlich des Prozessvergleichs.207 71 Die Vorschrift gilt analog für alle sonstigen Rechtsgeschäfte, welche die Regressmöglichkei-

ten der Gesellschaft mittelbar oder unmittelbar beeinträchtigen. Erfasst sind deshalb auch Erfüllungssurrogate, wenn diese nicht gleichwertig sind, namentlich die Annahme einer minderwertigen Leistung an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB).208 Unzulässig ist deshalb auch eine Abtretung der Ansprüche an Dritte ohne gleichwertige Gegenleistung.209 Das gilt wegen § 43 Abs. 2 Satz 2 StaRUG wiederum nicht für die Abtretung durch den Insolvenzverwalter. Ungeklärt ist, ob Abs. 2 auch den Abschluss einer Schiedsabrede erfasst (Rz. 87).210

72 Ob ein bewusstes Verjährenlassen einem Verzicht gleichgestellt werden kann, ist fraglich.

Denkbar scheint auch, bei bewusstem Zusammenwirken mit dem ersatzpflichtigen Geschäftsleiter die Berufung auf die Einrede nach Treu und Glauben zu versagen.211 Verjährt der Anspruch hingegen, stellt die Nicht-Geltendmachung eine eigenständige Pflichtverletzung der übrigen Geschäftsleiter oder gegebenenfalls der Aufsichtsratsmitglieder dar.212 Eine Verkürzung der Verjährung kommt bereits wegen Abs. 3 nicht in Betracht (zur Verjährung Rz. 76 ff.).

73 Ob ein Entlastungsbeschluss der Gesellschafter hinsichtlich § 43 StaRUG grundsätzlich zu-

lässig ist, hat regelmäßig keine praktische Bedeutung. Denn ist der Anspruch zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich, tritt die Entlastungswirkung aufgrund des Verzichtsverbots nach Abs. 2 Satz 1 nicht ein. Genügt das Gesellschaftsvermögen zur vollständigen Befriedigung der Gläubiger, dürfte regelmäßig der Schaden fehlen, da dieser sich nach dem Verlust der Gläubiger berechnet.

74 Verzicht und Vergleich sind – wie Verstöße gegen § 9b Abs. 1 GmbHG – auflösend be-

dingt.213 Bedingung ist dabei, dass die Befriedigung der Gläubiger aus Gesellschaftsmitteln nicht oder nur teilweise erfolgen kann,214 insbesondere bei Eintritt der materiellen Insolvenz. 206 Vgl. für § 9b GmbHG Herrler in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 9b GmbHG Rz. 27. 207 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 44 (Stand: 44. EL Nov. 2021); für § 9b GmbHG etwa Schäfer in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 9b GmbHG Rz. 5; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2019, § 9b GmbHG Rz. 10 f. 208 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 45 (Stand: 44. EL Nov. 2021); vgl. zu § 9b GmbHG Herrler in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 9b GmbHG Rz. 18; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2019, § 9b GmbHG Rz. 12. 209 Vgl. BGH v. 14.6.2018 – IX ZR 232/17, BGHZ 219, 98 = NJW 2018, 2494 Rz. 21; BGH v. 29.9.1977 – II ZR 157/76, BGHZ 69, 274, 282 = NJW 1978, 160 (zur Abtretung des Anspruchs aus § 31 GmbHG); BGH v. 7.11.1994 – II ZR 270/93, NJW 1995, 326, 330. 210 Umstritten auch für § 9b GmbHG, s. einerseits Bork, ZZP 100 (1987), 249, 264 ff.; Tebben in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 9b GmbHG Rz. 5; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2019, § 9b GmbHG Rz. 12 (nicht erfasst) und andererseits Wöstmann in Rowedder/Pentz, 7. Aufl. 2022, § 9b GmbHG Rz. 8 (erfasst). 211 Vgl. dazu im Kontext des § 43 GmbHG Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 109. 212 Keine erneute Pflichtverletzung stellt indes das Verjährenlassen durch den betroffenen Geschäftsleiter dar (vgl. BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, NJW 2009, 68 Rz. 17 f.; BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = ZIP 2018, 2117 Rz. 35 – Easy Software). 213 Zu § 9b GmbHG etwa Altmeppen, 10. Aufl. 2021, § 9b GmbHG Rz. 3; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, 23. Aufl. 2022, § 9b GmbHG Rz. 2; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2019, § 9b GmbHG Rz. 15; Veil in Scholz, 13. Aufl. 2022, § 9b GmbHG Rz. 10. 214 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 43 (Stand: 44. EL Nov. 2021).

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 77 § 43

Nach Bedingungseintritt sind Verzicht oder Vergleich unwirksam und entfalten keine Wirkungen, soweit sie zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich waren.215 Die Vorschrift sieht in Satz 2 Ausnahmen vor, etwa für den Fall der drohenden Insolvenz des 75 Geschäftsleiters. Auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit hat der Gesetzgeber – anders als in § 9b Abs. 1 Satz 2 GmbHG – verzichtet.216 Zudem kann auf Ansprüche verzichtet werden, wenn die Forderung in einem Insolvenzplan gestaltet217 oder durch einen Insolvenzverwalter geltend gemacht wird. In beiden Fällen entfällt die Missbrauchsgefahr, die dem Verzicht durch die Gesellschaft oder die Gesellschafter innewohnt.218

VII. Verjährung (§ 43 Abs. 3 StaRUG) Nach der zwingenden Vorschrift des § 43 Abs. 3 StaRUG verjähren die Ansprüche nach fünf 76 Jahren; allein für börsennotierte Gesellschaften ist eine längere Frist von zehn Jahren vorgesehen. Die Norm entspricht § 93 Abs. 6 AktG. Die Verjährung beginnt gem. § 200 Satz 1 BGB mit Entstehung des Anspruchs und unabhängig von der Kenntnis der Gläubigerin.219 Der Anspruch entsteht in Anlehnung an die gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung „mit Eintritt des Schadens dem Grunde nach, ohne dass der Schaden in dieser Phase schon bezifferbar sein muss; es genügt die Möglichkeit einer Feststellungsklage“220.221 Liegen mehrere Pflichtverletzungen vor, beginnt die Verjährung mit Eintritt des jeweiligen Schadens und nicht erst nach der letzten Pflichtverletzung.222 Demgegenüber beginnt die Verjährung bei schädigendem Dauerverhalten erst, wenn der rechtswidrige Zustand beendet ist.223 Bei pflichtwidrigem Unterlassen differenziert der II. Zivilsenat danach, ob sich das Unterlas- 77 sen als Dauerhandlung darstellt; dann läuft die Frist erst, wenn das pflichtwidrige Unterlassen endet.224 In allen anderen Fällen, auch bei wiederholten, aber neuen Pflichtverletzungen durch Unterlassen, beginnt die Verjährung für jeden eintretenden Schaden gesondert.225 Die Pflichtwidrigkeit einer Dauerhandlung endet, wenn die unterbliebene Handlung nicht mehr nach215 Zur Teilunwirksamkeit statt vieler Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2019, § 9b GmbHG Rz. 16. 216 Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 43 StaRUG Rz. 12, vgl. ferner Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 49 (Stand: 44. EL Nov. 2021). 217 Ausführlich Wollring/Quitzau, ZRI 2021, 616; ferner Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 50 (Stand: 44. EL Nov. 2021). 218 Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 24; vgl. ferner Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 6 Rz. 27. 219 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 52 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Hirschberger/Herms in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 67; für den gleichlautenden § 93 Abs. 6 AktG mittlerweile ganz h.M.: BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = ZIP 2018, 2117 Rz. 16 – Easy Software; Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 586 f.; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 AktG Rz. 200; zu § 43 IV GmbHG auch BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, NJW 2009, 68 Rz. 16. 220 BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, NJW 2009, 68 Rz. 16; zuvor bereits BGH v. 23.3.1987 – II ZR 190/ 86; BGH v. 23.3.1987 – II ZR 190/86, BGHZ 100, 228, 231 f. = NJW 1987, 1887; bestätigt in BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = ZIP 2018, 2117 Rz. 17 – Easy Software. 221 Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 111. 222 Vgl. BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, NJW 2009, 68 Rz. 20; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 105; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 67 (für § 43 Abs. 4 GmbHG). 223 Zu § 93 Abs. 6 AktG Koch, 16. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 178. 224 BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = ZIP 2018, 2117 Rz. 18 – Easy Software. 225 BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = ZIP 2018, 2117 Rz. 18 (m.w.N.) – Easy Software.

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§ 43 Rz. 77 | Pflichten und Haftung der Organe geholt werden kann.226 Nach bestrittener Ansicht beginnt die Verjährungsfrist zudem für Teilschäden zu laufen, sofern diese abgrenzbar sind.227 Werden Ersatzansprüche gegen andere Geschäftsleiter nicht geltend gemacht, tritt der Schaden mit Verjährung der Ansprüche ein.228 78 Die Frist berechnet sich nach § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB. Die Verjährung kann durch

Verhandlungen (§ 203 BGB) oder Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) gehemmt werden und unter den Voraussetzungen des § 212 BGB neu beginnen (etwa durch Anerkennung). Zudem gilt die 30-jährige Verjährungshöchstfrist des § 199 Abs. 3 Nr. 2 BGB, die mit der pflichtwidrigen Handlung oder dem pflichtwidrigen Unterlassen zu laufen beginnt.

VIII. Geltendmachung und Prozessuales 1. Geltendmachung 79 Inhaberin des Schadensersatzanspruchs ist die Gesellschaft. Mangels besonderer Regelung in

§ 43 StaRUG bestimmt sich die Geltendmachung außerhalb der Insolvenz nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften (Rz. 81 ff.). Die größte praktische Bedeutung hat der Anspruch freilich in der Insolvenz (dazu Rz. 80). a) Geltendmachung in der Insolvenz

80 Im praktischen Regelfall wird der Anspruch gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG im Insolvenz-

verfahren erhoben, welches sich an eine gescheiterte Restrukturierung anschließt. Wird ein Insolvenzverwalter bestellt, obliegt ihm die Geltendmachung des Anspruchs.229 Das folgt bereits aus § 80 Abs. 1 InsO, da die Gesellschaft Inhaberin des Anspruchs ist; der Anspruch fällt deshalb in die Insolvenzmasse.230 § 92 Satz 1 InsO ist insofern deklaratorisch.231 Ein Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 GmbHG ist in der Insolvenz nicht erforderlich.232 Im Rahmen der Eigenverwaltung macht der Sachwalter den Anspruch gem. § 280 InsO geltend. Dieser verweist zwar auf § 92 InsO, dem insofern nur deklaratorische Bedeutung zukommt, allerdings kann der Anspruch aus § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG unter den Wortlaut des § 92 InsO gefasst werden. Zudem entspricht es dem Sinn und Zweck des § 280 InsO, offensicht-

226 Vgl. Koch, 16. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 179. 227 Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2345; Fleischer in BeckOGK/AktG, § 93 AktG Rz. 366 (Stand: 1.9.2021); Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 105 ff.; Guntermann, NZG 2018, 851, 852 f.; abw. Bayer/Scholz, NZG 2019, 201, 208 (die unter Berufung auf den Grundsatz der Schadenseinheit auch bei Dauerunterlassen vom Fristbeginn hinsichtlich des gesamten Schadens ausgehen); anders noch Hölters/Hölters in Hölters/Weber, 4. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 325; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 327 (jeweils für Fristbeginn nicht vor Abschluss des pflichtwidrigen Unterlassens); ferner Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 593; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 AktG Rz. 203 (je unter Heranziehung der Rechtsfigur der sozialen Handlungseinheit). 228 BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = ZIP 2018, 2117 Rz. 20 ff. – Easy Software. 229 Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 128; Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 112; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 23; Smid, ZInsO 2021, 117, 117. 230 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 42 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Hölzle/Curtze, ZIP 2021, 1293, 1300; Huber/Kranzfelder/Wiedeck, DB 2021, 2880, 2883; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 19. 231 Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 49; vgl. ferner Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 92 InsO Rz. 1; K. Schmidt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 92 InsO Rz. 4. 232 BGH v.14.7.2004 – VIII ZR 224/02, NZG 2004, 962, 964; aus dem Schrifttum statt vieler Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 366.

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 82 § 43

liche Interessenkonflikte zu vermeiden, die bei der Verfolgung durch die Organe des Schuldners entstehen würden.233 b) Geltendmachung außerhalb der Insolvenz Außerhalb der Insolvenz obliegt die Geltendmachung den nach dem jeweiligen Gesellschafts- 81 recht berufenen Organen, da § 43 StaRUG keine abweichende Regelung trifft.234 Der Restrukturierungsbeauftragte ist nicht zur Geltendmachung berechtigt.235 In der GmbH sind die Gesellschafter gem. § 46 Nr. 8 GmbHG zuständig, da auch § 43 Abs. 1 82 Satz 2 StaRUG einen Ersatzanspruch gegen die Geschäftsführer aus der Geschäftsführung begründet.236 Es bedarf eines Gesellschafterbeschlusses, bei dem die einfache Mehrheit genügt, wobei betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer vom Stimmrecht ausgeschlossen sind (vgl. § 47 Abs. 4 GmbHG).237 Ob der Beschluss allerdings wie bei § 43 Abs. 2 GmbHG materielle Anspruchsvoraussetzung ist, ohne deren Vorliegen die Klage als unbegründet abzuweisen ist,238 bleibt wegen der Gläubigerschutzfunktion des § 43 Abs. 1 StaRUG abzuwarten. Denn das Beschlusserfordernis soll nicht gelten, wenn es im Widerspruch zu vorrangigen Zielen steht, namentlich dem Gläubigerschutz.239 Umstritten ist zudem, ob das Beschlusserfordernis auch nach Abtretung gelten soll.240 Das kann für § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG Bedeutung erlangen, wenn die Gläubiger im Restrukturierungsplan oder sonst auf Forderungen verzichten, um die Insolvenz abzuwenden, sich im Gegenzug allerdings den Anspruch gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG abtreten lassen. Im Fall der masselosen Insolvenz gewährt die ganz überwiegende Ansicht den Gläubigern analog § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG ein eigenes Verfolgungsrecht,241 das auch auf Ansprüche nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ausgedehnt werden sollte. Auch nach Ansicht des BGH soll der Gesellschafterbeschluss in der Liquidation infolge masseloser Insolvenz entbehrlich sein.242 Nach § 46 Nr. 8, 2. Fall GmbHG bestimmen die Gesellschafter, wer

233 Zum Normzweck etwa Kirchhof/Kern in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2020, § 280 InsO Rz. 1; Undritz in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 280 InsO Rz. 1. 234 Vgl. Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 38 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 50; Smid, ZInsO 2021, 117, 118. 235 Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 39 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 50; Smid, ZInsO 2021, 117, 118. 236 Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 50; Hirschberger/Herms in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 71; Smid, ZInsO 2021, 117, 118. Vgl. zu den erfassten Ansprüchen Altmeppen, 10. Aufl. 2021, § 46 GmbHG Rz. 85; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 46 GmbHG Rz. 101 ff.; K. Schmidt in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 46 GmbHG Rz. 144 ff. 237 Vgl. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 46 GmbHG Rz. 109; Liebscher in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 46 GmbHG Rz. 247 f.; K. Schmidt in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 46 GmbHG Rz. 155. 238 BGH v. 20.11.1958 – II ZR 17/57, BGHZ 28, 355, 359 = NJW 1959, 194, 195; BGH v. 21.4.1986 – II ZR 165/85, BGHZ 97, 382, 390 = NJW 1986, 2250. 239 Liebscher in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 46 GmbHG Rz. 241; K. Schmidt in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 46 GmbHG Rz. 152; vgl. auch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 46 GmbHG Rz. 110. 240 Zum Meinungsstand Liebscher in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 46 GmbHG Rz. 241. 241 Altmeppen, 10. Aufl. 2021, § 47 GmbHG Rz. 94; Bayer, GmbHR 2014, 897, 902; Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 327; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 51; i.E. auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 313; dagegen Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, 5. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 131; Stobbe, Die Durchsetzung gesellschaftsrechtlicher Ansprüche der GmbH in Insolvenz und masseloser Liquidation, 2001, 456 ff. 242 BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, NZG 2004, 962, 964 f.

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§ 43 Rz. 82 | Pflichten und Haftung der Organe die Gesellschaft gegenüber den Geschäftsführern vertritt.243 Ohne Beschluss übernehmen die Mitgeschäftsführer die Vertretung.244 Besteht ein Aufsichtsrat, obliegt diesem nach § 112 AktG i.V.m. § 52 Abs. 1 GmbHG die Vertretung.245 83 In der AG obliegt dem Aufsichtsrat die Geltendmachung der Ersatzansprüche gegenüber den

Vorstandsmitgliedern, § 112 AktG.246 Das gilt auch für ausgeschiedene Vorstandsmitglieder.247 Kommt der Aufsichtsrat seiner Pflicht nicht nach, können Minderheitsaktionäre den Anspruch unter den Voraussetzungen des § 148 AktG im Wege der Prozessstandschaft durchsetzen. Zudem kann auf Beschluss der Hauptversammlung ein besonderer Vertreter bestellt werden, § 147 AktG. Gläubiger können die Ansprüche gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG grundsätzlich nicht geltend machen. Allerdings sollte § 93 Abs. 5 AktG analog auf § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG angewendet werden. Praktische Bedeutung erlangt dies in der masselosen Insolvenz, weil sie den Gläubigern erspart, zunächst die insolvente Gesellschaft zu verklagen, um dann die Ersatzansprüche zu pfänden.248

2. Prozessuales a) Zuständigkeit 84 Der Ersatzanspruch ist vor den ordentlichen Gerichten durchzusetzen. Es besteht keine Zu-

ständigkeit der Arbeitsgerichte, da die Geschäftsleiter keine Arbeitnehmer sind (§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG). Etwas anderes gilt allenfalls nach § 2 Abs. 3 ArbGG, wenn die geltend gemachten Ansprüche in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang mit zuständigkeitsbegründenden Ansprüchen nach § 2 Abs. 1, 2 ArbGG stehen.

85 Sachlich zuständig ist unabhängig vom Streitwert das Landgericht nach § 71 Abs. 2 Nr. 6

GVG.249 Funktional zuständig sind gem. § 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG spezialisierte Zivilkammern.250

86 Örtlich zuständig ist gem. § 19b Abs. 1 ZPO ausschließlich das Gericht, in dessen Bezirk das

für die Restrukturierungssache zuständige Restrukturierungsgericht seinen Sitz hat.251 b) Schiedsverfahren

87 Streitigkeiten nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG sind als vermögensrechtliche Ansprüche

schiedsfähig, § 1030 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Auch das Verzichtsverbot des § 43 Abs. 2 Satz 1 dürfte dem nicht entgegenstehen, da die bloße Vereinbarung einer schiedsgerichtlichen Streitbeile-

243 Vgl. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2020, § 46 GmbHG Rz. 118, 121; K. Schmidt in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 46 GmbHG Rz. 164. 244 BGH v. 22.3.2016 – II ZR 253/15, GmbHR 2016, 1035 Rz. 10. 245 Siehe etwa Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, 5. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 108. 246 Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 114; Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 50; Hirschberger/Herms in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 71. 247 BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151, 154 = NJW 2004, 1528; BGH v. 29.12013 – II ZB 1/11, AG 2013, 257 Rz. 10; BGH v. 30.4.2019 – II ZR 317/17, NJW 2019, 2473 Rz. 5. 248 Vgl. Bayer, GmbHR 2014, 897, 902; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 51. 249 Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 118; Feldmann in BeckOK/GVG, § 71 GVG Rz. 10d (Stand: 15. Ed. 15.5.2022). 250 Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 119; Wittschier in Musielak/Voit, 19. Aufl. 2022, § 72a GVG Rz. 9; a.A. Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 43 StaRUG Rz. 14 (Handelskammer). 251 Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 117; a.A. Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 43 StaRUG Rz. 14 (Wohnsitz des Geschäftsleiters gem. §§ 12, 13 ZPO).

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 90 § 43

gung einem Verzicht nicht gleich kommt.252 Problematisch dürfte allerdings eine Entscheidung nach Billigkeit sein (§ 1051 Abs. 3 ZPO).253 Erforderlich ist eine Schiedsabrede. Da die Geschäftsleiter beim Abschluss regelmäßig als Ver- 88 braucher (§ 13 BGB) anzusehen sind, muss diese schriftlich geschlossen werden (§ 1031 Abs. 5 ZPO).254 Findet sich die Schiedsabrede bereits in der Satzung, stellen sich – wie auch zu den gesellschaftsrechtlichen Haftungsvorschriften – Fragen nach der Form, der Rückwirkung sowie zur Erstreckung auf faktische Geschäftsleiter.255

IX. Haftung der Geschäftsleiter vor Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache 1. Geltung der allgemeinen Vorschriften Weder § 32 StaRUG noch § 43 Abs. 1 StaRUG machen Vorgaben zu den Pflichten und für die 89 Haftung der Geschäftsleiter vor Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache (Rz. 25). § 43 Abs. 1 StaRUG ist auch nicht analog auf diesen Zeitraum anzuwenden (Rz. 26). Vielmehr finden die allgemeinen Vorschriften Anwendung, allen voran die gesellschaftsrechtlichen Pflichten und Haftungsregeln. Im Zeitraum der drohenden Zahlungsunfähigkeit (Restrukturierungs-RL: wahrscheinlichen Insolvenz) sind diese Vorschriften richtlinienkonform auszulegen, um den Vorgaben des Art. 19 Restrukturierungs-RL Rechnung zu tragen (dazu Rz. 6, 9 f.).256 Das bedeutet vor allem, dass die Gläubigerinteressen und das Restrukturierungsziel gebührend zu berücksichtigen sind.257 Eine haftungsrechtliche Spezialnorm ist demgegenüber ebenso wenig erforderlich wie eine Suspendierung der Weisungsrechte der Gesellschafter.258 Ausgangspunkt ist die bereits vor Inkrafttreten des StaRUG anerkannte Sanierungsverant- 90 wortung von Geschäftsleitern.259 Sie wird nun durch § 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG konkretisiert: Die Vorschrift verpflichtet nicht nur zur Krisenfrüherkennung, sondern verlangt auch geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der Krise.260 Hinzu tritt die gesteigerte Bedeutung der Interessen der Gläubiger und sonstiger Stakeholder, die mittelbar aus Art. 19 Buchst. a Restruktu252 So jedenfalls die h.M. für § 9b GmbHG: Bork, ZZP 100 (1987), 249, 264 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 9b GmbHG Rz. 2; Tebben in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 3. Aufl. 2017, § 9b GmbHG Rz. 5; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, 3. Aufl. 2019, § 9b GmbHG Rz. 12; anders vor allem Wöstmann in Rowedder/Pentz, 7. Aufl. 2022, § 9b GmbHG Rz. 8. Zu § 93 AktG s. Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 282 (Schiedsklauseln zulässig). 253 Vgl. Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 369 (unzulässig für Ansprüche nach § 43 GmbHG). 254 OLG Hamm v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, AG 2007, 910, 911 f. (für Vorstandsmitglieder einer AG); Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, 5. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 107; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 370 (je für die Geschäftsführer einer GmbH). 255 Zu den parallelen Fragen bei § 43 GmbHG s. Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 370. 256 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 20 f.; erwägend auch Kuntz, ZIP 2021, 597, 610. 257 Skeptisch aber Guntermann, WM 2021, 214, 221. 258 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 20; Korch, ZGR 2019, 1050, 1063 ff.; Thole, BB 2021, 1347, 1349; vgl. auch Goetker in Flöther, SanierungsR, 2019, Kap. G. Rz. 34; abw. Guntermann, WM 2021, 214, 221. 259 Dazu Bork, ZIP 2011, 101; Fleischer in BeckOGK/AktG, § 93 AktG Rz. 75 f. (Stand: 1.7.2022); Kleindiek in FS Uwe H. Schneider, 2011, 617, 618–620; Korch, ZGR 2019, 1050, 1052 ff.; Seibt, ZIP 2013, 1597; Veil, ZGR 2006, 374; H. P. Westermann, DZWiR 2006, 485. 260 Zu § 1 StaRUG s. bereits Scholz, ZIP 2021, 219, 229 f.; Seibt/Bulgrin, DB 2020, 2226, 2229; Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1318 f., 1323 ff.; zurückhaltender Riedemann in Pannen/Riedemann/ Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 16; Schülke, DStR 2021, 621, 623.

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§ 43 Rz. 90 | Pflichten und Haftung der Organe rierungs-RL gewonnen werden kann. Die Geschäftsleiter haben folglich auf die Überwindung der Krise hinzuwirken und dürfen dabei keine Entscheidungen treffen, welche die Interessen der Gesellschafter einseitig über die Interessen der Gläubiger und übrigen Betroffenen stellt. Gegenüber § 43 StaRUG hat dies sogar den Vorteil, dass die Interessen der übrigen Stakeholder nicht übergangen werden, namentlich die Interessen der Arbeitnehmer, denen sich die Restrukturierungsrichtlinie besonders verschrieben hatte261 und die der deutsche Gesetzgeber jedenfalls bei den Sorgfaltspflichten der Geschäftsleiter vergessen hat (§ 32 Abs. 1 Satz 1, § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG).

2. Berufung auf die Business Judgment Rule 91 Vor diesem Hintergrund können sich Geschäftsleiter weiter auf die Business Judgment Rule

berufen.262 Die Voraussetzungen sind jedoch modifiziert. Einerseits sind die Anforderungen an die Informationsgrundlage höher. Die Geschäftsleiter haben – jedenfalls bei bedeutsamen Entscheidungen – stets auch die Auswirkungen auf die Gläubiger und sonstigen Stakeholder zu prüfen. Für den späteren Nachweis ist eine Dokumentation anzuraten. Zu den Informationspflichten zählt wegen § 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ferner, den Einsatz der Restrukturierungsinstrumente des StaRUG zu prüfen, wenn die Krise nicht aus eigener Kraft überwunden werden kann.263

92 Zudem müssen die Geschäftsleiter zum Wohle der Gesellschaft handeln. Dieses darf sich

nicht mehr allein anhand der Gesellschafterinteressen bestimmen, sondern muss auch die Stakeholder-Interessen ausreichend würdigen.264 Räumen die Geschäftsleiter den Gesellschafterinteressen den Vorrang ein, kann das Gericht die Abwägungsentscheidung auf Vertretbarkeit prüfen. Insbesondere müssen die Vorteile für die Gesellschafter in einem angemessenen Verhältnis zu den Nachteilen der Gläubiger stehen. Eine bloße Evidenzkontrolle würde den Vorgaben des Art. 19 Restrukturierungs-RL nicht genügen.

93 Neben den Interessen der Gläubiger und Gesellschafter ist auch das Ziel einer erfolgreichen

Restrukturierung in die Abwägung einzustellen. Das kann dazu führen, dass die Interessen der Gläubiger zurücktreten müssen, beispielsweise weil die einzige Sanierungsoption mit Risiken behaftet ist. Bis zur materiellen Insolvenz gibt es keinen generellen Vorrang der Gläubigerinteressen, der im Zweifel auch eine vorzeitige Liquidation rechtfertigen würde. Die Erhaltung von Sanierungschancen erweitert deshalb den Ermessensspielraum der Geschäftsleiter.

X. Außenhaftung der Geschäftsleiter 1. Überblick 94 Geschäftsleiter haften nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG grundsätzlich allein gegenüber der

Gesellschaft, wenn auch in Höhe des Gesamtschadens der Gläubiger. Die ursprünglich geplante Außenhaftung in § 45 StaRUG-RegE wurde während der Verhandlungen im Rechtsaus-

261 Siehe Art. 13, ErwGr. 3, 23, 60 ff. Restrukturierungs-RL. 262 Korch, GmbHG 2021, 793 Rz. 21; Kunz in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 2 Rz. 72; wohl auch Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1323; vgl. allgemein Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 35. 263 Thole, BB 2021, 1347, 1348. Auch eine Sanierung in der Insolvenz kann eine Option sein. Zu den Handlungsoptionen und Entscheidungsparametern Korch, ZGR 2019, 1050, 1073 ff.; H.-F. Müller, ZGR 2018, 56, 83 f.; Seibt/v. Treuenfeld, DB 2019, 1190, 1192 f. 264 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 21; ähnlich auch G. Hoffmann, WM 2021, 429, 432.

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 99 § 43

schuss aufgegeben (Rz. 12). In seiner Gesetz gewordenen Fassung folgt § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG der im Gesellschaftsrecht üblichen Haftungskonzentration.265 Eine Außenhaftung kommt somit nur aufgrund besonderer Haftungsgrundlagen in Be- 95 tracht. So sieht etwa § 57 StaRUG einen unmittelbaren Anspruch der betroffenen Gläubiger vor (§ 57 Rz. 8; zum Konkurrenzverhältnis Rz. 108). Daneben kommt eine Außenhaftung in Betracht, wenn die Geschäftsleiter ihre Insolvenzanzeigepflichten nach § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG (Rz. 96 f.) verletzen oder ihr Verhalten auf sonstige Weise die Voraussetzungen für eine deliktische Haftung erfüllt (Rz. 98 ff.). Ausnahmsweise kann sich eine Haftung auch aus Vertrag oder vorvertraglichem Schuldverhältnis ergeben (Rz. 101 ff.).

2. Haftung wegen Verstoßes gegen § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG Neben den Restrukturierungspflichten müssen die Geschäftsleiter auch ihre insolvenzrechtlichen 96 Pflichten im Blick behalten. Dazu zählt die Pflicht zur Anzeige einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gem. § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, welche die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache substituiert (§ 42 Rz. 1). Verstöße führen gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 42 Abs. 1 Satz 2 zu einer Haftung gegenüber Neugläubigern, die nicht von § 43 Abs. 1 StaRUG verdrängt wird (§ 42 Rz. 73 f.). Anders sind Schäden der Altgläubiger zu beurteilen. Zwar lässt sich auch in diesem Fall ver- 97 treten, dass § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB ist. Da der Anspruch aber auch § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG unterfällt, wird der allgemeine deliktische Anspruch verdrängt. Andernfalls bestünden parallele Binnen- und Außenhaftungsansprüche, die bei Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse zu einer mehrfachen Inanspruchnahme der Geschäftsleiter für den gleichen Schadensposten führen könnten (ausführlich § 42 Rz. 43 ff.).

3. Deliktische Anspruchsgrundlagen § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB,266 wie sich aus 98 § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ergibt. Der Gesetzgeber hat letztlich eine bloße Binnenhaftung der Geschäftsleiter aufgenommen.267 Zudem schützt § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG erkennbar die Gläubiger in ihrer Gesamtheit und damit gerade nicht die Individualinteressen einzelner Gläubiger.268 Ähnliches dürfte für § 32 StaRUG gelten;269 zudem gewährte dieser i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB jedenfalls keinen Anspruch gegen die Geschäftsleiter.270 Weniger eindeutig zu beantworten ist die Frage, ob andere Vorschriften des StaRUG Schutz- 99 gesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sein können. Gerade mit Blick auf die einschneidenden Instrumente (wie Restrukturierungsplan und Moratorium) finden sich Regelungen, die erkennbar

265 Dazu statt vieler Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 453. 266 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 25; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 20; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 20; Ristelhuber, NZI 2021, 417, 420; Scholz, ZIP 2021, 219, 226; tendenziell auch Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 124. 267 Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 59; Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 25. 268 Zum Schutz individueller Interessen durch Schutzgesetze s. statt aller Wagner in MünchKomm/ BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 562. 269 Ähnlich Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 124; Kramer in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 32 Rz. 55; Thole, BB 2021, 1347, 1351. 270 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 25; Scholz, ZIP 2021, 219, 226.

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§ 43 Rz. 99 | Pflichten und Haftung der Organe dem Schutz der Beteiligten dienen sollen. Allerdings legt die explizite Haftungsregelung des § 57 StaRUG für unrichtige Angaben zur Erlangung eines Moratoriums den Umkehrschluss nahe, dass Verstöße im Übrigen grundsätzlich keine Außenhaftung der Geschäftsleiter begründen, auch nicht über § 823 Abs. 2 BGB.271 Es handelt sich zudem um Pflichten des Schuldners und damit der Gesellschaft selbst, nicht aber um Pflichten der Geschäftsleiter gegenüber den Gläubigern oder anderen Stakeholdern.272 100 Nicht ausgeschlossen sind deliktische Ansprüche, die auf der Verletzung anderer Schutzgeset-

ze beruhen. So kann die Erfüllung eines Straftatbestandes (etwa Betrug mit Drittbereicherungsabsicht) über § 823 Abs. 2 BGB zu einer Haftung führen.273 Grundsätzlich unberührt bleibt zudem § 826 BGB,274 der eine Außenhaftung der Geschäftsleiter zur Folge hat, sofern die Voraussetzungen einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung vorliegen (zur möglichen Ausnahme bei Insolvenzverschleppung § 42 Rz. 94).

4. Vertragliche oder vorvertragliche Haftung 101 Eine vertragliche Haftung scheidet regelmäßig aus, weil keine vertraglichen Beziehungen der

Geschäftsleiter zu Dritten bestehen. Mögliche Ausnahmen sind Garantieversprechen,275 Bürgschaften,276 Schuldbeitritte277 sowie Schuldanerkenntnisse278 durch die Geschäftsleiter persönlich. Der Anstellungsvertrag ist auch in der Krise kein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.279

102 Auch ein vorvertragliches Schuldverhältnis i.S.d. § 311 Abs. 2 BGB besteht im Ausgangs-

punkt nur zwischen der Gesellschaft und den Dritten. Allerdings kommt eine Haftung gegenüber Dritten nach § 311 Abs. 3 BGB in zwei Fallgruppen in Betracht: wirtschaftliches Eigeninteresse und Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens.

103 Die Geschäftsleiter haften nach der ersten Fallgruppe aus culpa in contrahendo, wenn sie ein

eigenes wirtschaftliches Interesse am Rechtsgeschäft haben, wobei ein mittelbares Interesse nicht genügt.280 Allein das Geschäftsleitergehalt oder ein Provisionsanspruch begründen des-

271 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 25; konkret für § 1 auch Skauradszun/Amort, DB 2021, 1317, 1326 f.; a.A.: Smid, ZInsO 2021, 117, 124. 272 Aus diesem Grund dürfte auch § 32 Abs. 4 StaRUG kein Schutzgesetz sein; i.E. ebenso Kramer in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 32 StaRUG Rz. 55. 273 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 26; Kuntz, ZIP 2021, 597, 604; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 20; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 55; Smid, ZInsO 2021, 117, 124; Weber/Dömmecke, NZI-Beilage 2021, 27, 29. 274 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 26; Kuntz, ZIP 2021, 597, 604; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 20; Weber/Dömmecke, NZI-Beilage 2021, 27, 29. 275 BGH v. 18.6.2001 – II ZR 248/99, ZIP 2001, 1496, 1497 f.; vgl. auch BAG v. 15.11.2012 – 6 AZR 321/11, NZI 2013, 284 (verneint im konkreten Fall für den Insolvenzverwalter). 276 BGH v. 28.1.2003 – XI ZR 243/02, BGHZ 153, 337 = NJW 2003, 1250; BGH v. 24.9.1996 – IX ZR 316/95, ZIP 1997, 449; BGH v. 16.12.1999 – IX ZR 36/98, GmbHR 2000, 326. 277 BGH v. 8.11.2005 – XI ZR 34/05, BGHZ 165, 43, 46 ff. = NJW 2006, 431. 278 BGH v. 9.7.2007 – II ZR 30/06, ZIP 2007, 1602; BGH v. 4.4.2000 – XI ZR 152/99, NJW 2000, 2984. 279 Vgl. für § 43 GmbHG BAG v. 23.2.2016 – 9 AZR 293/15, BAGE 154, 162 = NJW 2016, 2204 Rz. 17 ff.; Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 90; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 453. 280 Vgl. BGH v. 23.10.1985 – VIII ZR 210/84, NJW 1986, 586, 587 f.; BGH v. 3.10.1989 – XI ZR 157/88, NJW 1990, 389, 390; BGH v. 17.6.1991 – II ZR 171/90, NJW-RR 1991, 1241, 1242; BGH v. 27.3.1995 – II ZR 136/94, NJW 1995, 1544, 1544 (keine Haftung des GmbH-Geschäftsleiters); BGH v. 17.10.1989 – XI ZR 173/88, NJW 1999, 506, 506; BGH v. 5.10.2001 – V ZR 275/00, NJW 2002, 208, 212; BGH v. 13.12.2005 – KZR 12/04, NJW-RR 2006, 993 Rz. 16 (bloßes Konzerninteresse).

824 | Korch

Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 105 § 43

halb keine Außenhaftung. Es genügt nicht einmal, dass die Geschäftsleiter auch Alleingesellschafter sind.281 Andernfalls würde die gesetzgeberische Entscheidung zugunsten einer Innenhaftung (§ 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) in einer Vielzahl von Fällen konterkariert.282 In der zweiten Fallgruppe nehmen Geschäftsleiter besonderes persönliches Vertrauen in An- 104 spruch (§ 311 Abs. 3 Satz 2 BGB). Dafür genügt nicht das Auftreten als Repräsentanten der Gesellschaft.283 Vielmehr müssen sie persönlich – garantieähnlich – eine zusätzliche Gewähr für die Seriosität und die Erfüllung des Geschäfts übernehmen.284 Hinsichtlich eines Sanierungsberaters hat der BGH diese Vorgaben in der Vergangenheit sehr streng gehandhabt.285 Dem XI. Zivilsenat genügte im Jahr 1990 noch, dass der Berater seine bisherigen Sanierungserfolge herausgestellt hat.286 Dass die Begründung aber aus der Zeit gefallen ist,287 zeigen die weiteren Erwägungen deutlich: Der Sanierungsberater hafte auch, „weil er sich anheischig macht, das Unternehmen aus den Schwierigkeiten zu führen, die die bisherige Unternehmensleitung nicht zu bewältigen vermochte.“288 Heute dürfte vielmehr die Ansicht des IV. Zivilsenats aus dem Jahr 2018 den allgemeinen Konsens spiegeln, wonach nicht genügt, dass der Geschäftsleiter als „Sanierungsgeschäftsführer“ auftritt.289 Will man die Sanierung von Unternehmen fördern und nicht behindern, ist äußerste Zurückhaltung bei der Annahme besonderen persönlichen Vertrauens geboten. Jedenfalls kann nicht genügen, dass Geschäftsleiter die Sanierungschancen betonen oder ihre Sanierungserfahrung und -erfolge herausstellen.

XI. Konkurrenzen 1. Verhältnis zur gesellschaftsrechtlichen Geschäftsleiterhaftung Die Vorschrift des § 43 StaRUG enthält keinen Hinweis auf ihr Verhältnis zu den allgemeinen 105 Haftungsvorschriften. Nach überzeugender Ansicht sind die gesellschaftsrechtlichen Anspruchsgrundlagen nicht verdrängt (z.B. § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 AktG).290 Eine exklusive Anwendung des § 43 StaRUG während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache könnte nämlich zu Haftungslücken führen. Entsteht den Gläubigern infolge einer

281 Vgl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 184 ff.; BGH v. 5.10.1988 – VIII ZR 222/87, NJW 1989, 292, 292 f. 282 Vgl. BGH v. 23.10.1985 – VIII ZR 210/84, NJW 1986, 586, 587 f. (begründet mit einer drohenden Aushöhlung des Trennungsprinzips). 283 Vgl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 189; BGH v. 3.10.1989 – XI ZR 157/88, NJW 1990, 389, 389 f. 284 BGH v. 4.7.1983 – II ZR 220/82, BGHZ 88, 67, 69; BGH v. 29.1.1992 – VIII ZR 80/91, NJW-RR 1992, 605, 606; BGH v. 29.1.1997 – VIII ZR 256/95, NJW 1997, 1233, 1233 f.; BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 114/01, NJW-RR 2005, 1137, 1138; für § 60 InsO auch Thole in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 60 InsO Rz. 47. 285 BGH v. 3.4.1990 – XI ZR 206/88, NJW 1990, 1907, 1908. 286 BGH v. 3.4.1990 – XI ZR 206/88, NJW 1990, 1907, 1908: „Ein mit der Sanierung beauftragter Unternehmensberater nimmt jedenfalls dann, wenn er die Geschäftsführung des sanierungsbedürftigen Unternehmens übernimmt, typischerweise persönliches Vertrauen in Anspruch.“ 287 Kritisch auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 75. 288 BGH v. 3.4.1990 – XI ZR 206/88, NJW 1990, 1907, 1908. 289 BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 = NZG 2018, 895 Rz. 38; zuvor schon OLG Düsseldorf v. 7.9.2017 – 16 U 33/17, ZIP 2017, 2211, 2212. 290 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 23; Kuntz, ZIP 2021, 597, 607; Scholz, ZIP 2021, 219, 225; Smid, ZInsO 2021, 117, 119; ferner Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 7 (Stand: 44. EL Nov. 2021); Demisch/Schwencke in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 33 f.; Hirschberger/Herms in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 43 StaRUG Rz. 73; abw. wohl Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 78 (§ 43 als lex specialis).

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§ 43 Rz. 105 | Pflichten und Haftung der Organe pflichtwidrigen Geschäftsführungsmaßnahme kein Schaden, wohl aber der Gesellschaft, bliebe die Pflichtverletzung sanktionslos.291 Zwar wird dieser Fall in der Krise nicht sonderlich häufig vorkommen, ausgeschlossen ist er indes nicht.292 Verringert etwa die Pflichtverletzung die Quoten der Gläubiger aus dem (bereits konzipierten) Restrukturierungsplan nicht, treffen die Folgen die Gesellschaft und damit letztlich die Gesellschafter. In einem solchen Fall muss ein Regress möglich sein. Das Gleiche gilt, soweit der Schaden der Gesellschaft über den Schaden der Gläubiger hinausgeht. 106 Die Vorschriften stehen allerdings nicht isoliert nebeneinander, da nicht unterschiedliche und

voneinander abweichende Verhaltensanforderungen an die Geschäftsleiter gestellt werden können.293 Maßgeblich ist § 32 Abs. 1 StaRUG, der die Gesellschaft unmittelbar und damit mittelbar auch die Geschäftsleiter verpflichtet, die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers einzuhalten.294 Die Vorgaben strahlen auf die gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltspflichten aus.295 Während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache besteht deshalb kein Unterscheid zwischen der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters und der eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers.296 Die Geschäftsleiter haben unabhängig von der Haftungsvorschrift die Interessen der Gläubiger zu berücksichtigen und sämtliche Handlungen zu unterlassen, die das Restrukturierungsziel sachgrundlos gefährden.297

107 Abweichungen ergeben sich hinsichtlich der Schadensberechnung (Rz. 105) und der Beweis-

last.298 Letzteres ist aus dogmatischer Sicht unschön, aber de lege lata hinzunehmen.299

2. Verhältnis zu § 57 StaRUG 108 Für vorsätzlich oder fahrlässig fehlerhafte Angaben bei der Beantragung einer Stabilisierungs-

anordnung normiert § 57 Satz 1 StaRUG eine Außenhaftung gegenüber den geschädigten Gläubigern (dazu § 57 Rz. 8). Die herrschende Ansicht betrachtet § 57 Satz 1 StaRUG als lex specialis gegenüber § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG (so auch § 57 Rz. 37).300 Im Standardfall, in dem die Gläubiger individuell von einer Stabilisierungsanordnung betroffen sind und einen Schaden erleiden, besteht allerdings von vornherein kein Konkurrenzverhältnis, da § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG derartige Schäden nicht erfasst, sondern allein den Quotenschaden der Gläubigergesamtheit. Individualschäden sind deshalb allein nach § 57 Satz 1 StaRUG ersatzfähig, ohne dass ein Vorrang konstruiert werden müsste. Zu einem Nebeneinander der Anspruchsgrundlagen kommt es überhaupt nur, wenn durch unrichtige Angaben neben einzelnen Gläubigern auch alle Gläubiger in ihrer Gesamtheit geschädigt werden. Das kann etwa der Fall

291 Zum Ganzen Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 23. 292 Vgl. Bitter, ZIP 2021, 321, 334 (Frage von „weitgehend theoretischer Natur“). 293 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 24; Korch, NZG 2020, 1299, 1303; vgl. auch Riedemann in Pannen/ Riedemann/Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 19; Smid, ZInsO 2021, 117, 119. 294 Guntermann, WM 2021, 214, 219; Scholz, ZIP 2021, 219, 225. 295 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 24; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 43 StaRUG Rz. 19 („Gleichlauf“); ähnlich wohl auch Ristelhuber, NZI 2021, 417, 419; a.A. Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 55 f. 296 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 24; a.A. Curtze in Nerlich/Römermann, § 43 StaRUG Rz. 17 f. (Stand: 44. EL Nov. 2021); Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 38. 297 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 24. 298 Goetker in Flöther, 2021, § 43 StaRUG Rz. 57; Kuntz, ZIP 2021, 597, 607; Scholz, ZIP 2021, 219, 225. 299 Korch, GmbHR 2021, 793 Rz. 24. 300 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 3; Mock in Skauradszun/Fridgen, 2022, § 43 StaRUG Rz. 21, § 57 StaRUG Rz. 5; Schröder in Nerlich/Römermann, § 57 StaRUG Rz. 1 (Stand: 44. EL Nov. 2021);

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 109 § 43

sein, wenn die Gläubiger aufgrund eines durch Falschangaben erschlichenen Moratoriums das Vertrauen in die Geschäftsleitung der Schuldnerin verlieren und deshalb die Restrukturierung scheitert. Die Geschäftsleiter könnten dann sowohl gegenüber den einzelnen Gläubigern als auch gegenüber der Gesellschaft haften. Der kursorische Hinweis der herrschenden Ansicht auf den Vorrang des § 57 Satz 1 StaRUG müsste für diesen Fall so verstanden werden, dass dieser Schaden im Rahmen der Außenhaftung von den betroffenen Gläubigern geltend zu machen wäre. Sinnvoll ist indes allein, diesen Gesamtschaden nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG zu ersetzen. Begründen lässt sich dieses Ergebnis entweder damit, dass § 57 StaRUG den Gesamtschaden der Gläubiger nicht erfasst301 oder insofern § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG der Vorschrift des § 57 StaRUG als lex specialis vorgeht. Für diese Lösung spricht zunächst die Entscheidung des Gesetzgebers, die Haftung für Gesamtschäden bei der Gesellschaft zu bündeln (§ 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG). In die gleiche Richtung zeigt auch der Wortlaut des § 57 Satz 1 StaRUG, der von den „betroffenen Gläubigern“ und dem Schaden spricht, „den diese durch die Anordnung erleiden.“ Es liegt nahe, dass der Gesetzgeber damit die unmittelbaren Folgen der Anordnung für die davon Betroffenen – und damit Individualschäden – gemeint hat (vgl. § 57 Rz. 27). Das gilt umso mehr, als dass regelmäßig nicht sämtliche Gläubiger von der Anordnung erfasst sein werden. Der Quotenverschlechterungsschaden müsste dann aufgeteilt werden, da § 57 Satz 1 StaRUG ausweislich seines Wortlauts nicht sämtliche Gläubiger, sondern nur die von der Anordnung betroffenen umfasst. Dann würde ein Teil des Gesamtschadens der Außenhaftung des § 57 Satz 1 StaRUG unterfallen, ein anderer Teil der Binnenhaftung des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, wobei unklar bliebe, ob § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG hinsichtlich dieses Schadensanteils gesperrt sein soll. Dann wäre jener Teil des Gesamtschadens, der auf nicht betroffene Gläubiger entfällt, nicht ersatzfähig, was in der Sache kaum zu erklären wäre. Unabhängig davon ist das Konstrukt der herrschenden Ansicht unnötig kompliziert: Haben die Geschäftsleiter neben unrichtigen Angaben i.S.d. § 57 Satz 1 StaRUG weitere Pflichtverletzungen begangen, müsste bei der Schadensberechnung im Rahmen des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG hinsichtlich der Quotenverschlechterung der Anteil herausgerechnet werden, der auf die unrichtigen Angaben zurückzuführen ist. Das dürfte in der Praxis kaum je zu leisten sein. Sämtliche Friktionen werden indes vermieden, wenn Individualschäden § 57 Satz 1 StaRUG und Gesamtschäden § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG zugeschlagen werden.

3. Verhältnis zur Insolvenzverschleppungshaftung Die Haftung wegen verspäteter Insolvenzanzeige nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 42 Abs. 1 109 Satz 2 StaRUG gegenüber Neugläubigern wird nicht von § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG verdrängt, da § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG Individualschäden nicht erfasst (§ 42 Rz. 74). Demgegenüber kann der Quotenschaden der Altgläubiger nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG von der Gesellschaft geltend gemacht werden. Die allgemeine deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB gegenüber Altgläubigern wird deshalb verdrängt (ausführlich § 42 Rz. 43 ff.).302 Andernfalls bestünden parallele Binnen- und Außenhaftungsansprüche, die bei Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse zu einer mehrfachen Inanspruchnahme der Geschäftsleiter führen könnten.303

301 So auch Huber/Kranzfelder/Wiedeck, DB 2021, 2880, 2885 f. 302 Dies andeutend Bitter, ZIP 2021, 321, 333; i.E. auch Haas in Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 64 GmbHG Rz. 215, der die Schutzgesetzeigenschaft des § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG hinsichtlich der Altgläubiger verneint. A.A. Goetker in Flöther, 2021, § 42 StaRUG Rz. 33. 303 Eingehend Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG, erscheint in KTS 2023.

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§ 43 Rz. 110 | Pflichten und Haftung der Organe

4. Verhältnis zu Zahlungsverboten (§ 15b InsO) 110 Treten Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ein, dürfen Geschäftsleiter gem. § 15b Abs. 1

Satz 1 InsO grundsätzlich keine Auszahlungen mehr vornehmen. Die Vorschrift gilt auch während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache (§ 42 Rz. 102 ff.). Die korrespondierende Haftung nach § 15b Abs. 4 InsO tritt neben die Haftung aus § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG (ausführlich § 42 Rz. 107 ff.). Ob in der Auszahlung entgegen § 15b InsO zugleich ein Verstoß gegen die Pflichten gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG zu sehen ist, dürfte praktisch selten relevant werden, da § 15 Abs. 4 InsO den Schaden in Höhe der Auszahlungen vermutet. Der Insolvenzverwalter oder Sachwalter wird sich deshalb in vielen Fällen vorrangig auf § 15b Abs. 4 InsO und nicht auf § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG stützen.304 Allerdings ist bei der Berechnung des Schadens eine doppelte Erfassung zu verhindern, da sich der Quotenschaden nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG und der Schaden wegen verbotener Auszahlungen teilweise decken können.305

XII. Pflichten und Haftung von Mitgliedern der Überwachungsorgane 1. Überblick 111 Die Vorschrift des § 43 Abs. 1 StaRUG erfasst Mitglieder von Überwachungsorganen nicht

(Rz. 21). Gleichwohl verschiebt § 32 Abs. 1 StaRUG auch ihren Pflichtenrahmen: Infolge der externen Pflichtenbindung haben sie die Restrukturierungspflichten selbst zu beachten und ihre Einhaltung durch die Geschäftsleiter zu überwachen. Das formulierte § 2 Abs. 2 StaRUG-RegE noch ausdrücklich; die Streichung bleibt im Ergebnis aber ohne Auswirkungen.306

112 Die Pflichtenbindung trifft sämtliche Mitglieder von Überwachungsorganen, allen voran Mit-

glieder des Aufsichtsrats einer AG, einer dualistischen SE, der GmbH mit Aufsichtsrat und gegebenenfalls ausländischer Gesellschaften (zum internationalen Anwendungsbereich Rz. 23 f.). Welche konkreten Pflichten und Haftungsrisiken sich daraus ergeben, bestimmen die jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften. Im Folgenden ist lediglich auf die Besonderheiten während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache (Rz. 113 ff.) und im vorgelagerten Zeitraum der drohenden Zahlungsunfähigkeit einzugehen (Rz. 116 ff.).

2. Pflichten während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache a) Überwachungspflicht 113 Die Mitglieder der Überwachungsorgane haben die Geschäftsleiter auch während der Rechts-

hängigkeit der Restrukturierungssache zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG, ggf. i.V.m. § 52 GmbHG; Art. 40 Abs. 1 Satz 1 SE-VO). In dieser Zeit sind die Anforderungen an die Überwachung erhöht, da sich die Gesellschaft definitionsgemäß in einer Krise befindet.307 Entscheidender erster Schritt ist eine krisengerechte Informationsversorgung des Überwachungsorgans. Die Grundlage bildet die Berichterstattung durch das Leitungsorgan, an die 304 Bitter, ZIP 2021, 321, 334. 305 Dazu Korch, Binnenhaftung wegen Insolvenzverschleppung nach dem StaRUG, erscheint in KTS 2023. 306 Vgl. Weber/Dömmecke, NZI-Beilage 2021, 27, 29. 307 Vgl. für den Aufsichtsrat BGH v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = AG 2009, 81 Rz. 21; OLG Düsseldorf v. 31.5.2012 – 16 U 176/10, AG 2013, 171, 172; Hasselbach, NZG 2012, 41, 45 f.; Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 116 AktG Rz. 138; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 84 AktG Rz. 29.

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 116 § 43

während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ebenfalls erhöhte Anforderungen zu stellen sind.308 Das gilt schon wegen § 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Die periodische Berichterstattung des Vorstandes wird regelmäßig nicht genügen.309 Je nach den Umständen des konkreten Falls können Nachfragen, eigene Erkundigungen bis hin zur Mandatierung eigener (externer) Berater durch das Überwachungsorgan geboten sein.310 In welcher Form die Kontrolle auszuüben ist, bestimmt sich nach den jeweiligen gesellschafts- 114 rechtlichen Vorschriften (z.B. §§ 90, 111 AktG). So hat etwa der Aufsichtsrat einer AG, sofern bestehende Zustimmungsvorbehalte nicht einschlägig sind, kriseninduzierte Zustimmungsvorbehalte (ggf. ad hoc) zu erlassen (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG), um die nötige Mitwirkung bei schwerwiegenden Entscheidungen zu sichern.311 Zudem kann der Aufsichtsrat den Geschäftsleitern beratend zur Seite stehen.312 Der Einfluss darf allerdings nicht so weit reichen, dass die Geschäftsleiter ihrer Geschäftsführungskompetenz beraubt würden (vgl. z.B. § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG; Art. 40 Abs. 1 Satz 2 SE-VO). Die Mitglieder der Überwachungsorgane dürfen folglich die Verhandlungen über den Restrukturierungsplan begleiten, nicht jedoch vollständig an sich ziehen. Weiterer Einfluss besteht über die Personalpolitik: Der Aufsichtsrat muss etwa beurteilen, ob sämtliche Mitglieder des Vorstandes der Restrukturierungsaufgabe gewachsen sind. Fällt die Beurteilung für bestimmte Vorstandsmitglieder trotz bestehender Beratungsmöglichkeiten negativ aus, sind diese durch kompetente Personen zu ersetzen.313 b) Eigene Entscheidungen Wird das Überwachungsorgan auf Zustimmung zu einer geplanten Maßnahme ersucht oder 115 ist es sonst zur Mitwirkung berufen, entsprechen die Pflichten denen der Geschäftsleiter. So genießt etwa der Aufsichtsrat bei seiner Zustimmungsentscheidung den Ermessensspielraum im gleichen Umfang. Das bedeutet, dass die Interessen der Gläubiger gewahrt und das Restrukturierungsziel beachtet werden müssen (§ 32 Abs. 1 StaRUG). Zudem ist die Restrukturierungssache zügig und gewissenhaft zu betreiben. Deshalb dürfen notwendige Entscheidungen (z.B. eine Zustimmung) nicht derart verzögert werden, dass der Erfolg der Restrukturierung gefährdet wird.

3. Pflichten vor Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache Da § 32 StaRUG den Zeitraum vor Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nicht erfasst 116 (§ 32 Rz. 4), bestimmen sich die Pflichten der Mitglieder der Überwachungsorgane bis zur Restrukturierungsanzeige nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften. Al308 Vgl. zu den gesteigerten Anforderungen an den Aufsichtsrat in der Krise statt vieler Habersack in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 AktG Rz. 56 f.; Hasselbach, NZG 2012, 41, 43. 309 Vgl. Hasselbach, NZG 2012, 41, 43 (ebenso für die Krise). 310 Allgemein Drygala in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 111 AktG Rz. 7 f., 32 ff.; Graewe, NZI 2021, 619, 620; Hasselbach, NZG 2012, 41, 43 ff.; Koch, 16. Aufl. 2022, § 111 AktG Rz. 30, 34 ff. 311 Zur Ad-hoc-Begründung von Zustimmungsvorbehalten BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 127 = NJW 1994, 520; Habersack in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 AktG Rz. 130; zur Zustimmungsvorbehaltspflichtigkeit bei gravierenden Risiken Fleischer, BB 2013, 835, 839; Hasselbach, NZG 2012, 41, 47; Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 116 AktG Rz. 91. 312 Drygala in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 111 AktG Rz. 18; Habersack in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 AktG Rz. 50; Hasselbach, NZG 2012, 41, 46 f.; Koch, 16. Aufl. 2022, § 111 AktG Rz. 28. 313 Vgl. Grigoleit in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 84 AktG Rz. 43; Hasselbach, NZG 2012, 41, 46; Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 84 AktG Rz. 54; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 84 AktG Rz. 135.

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§ 43 Rz. 116 | Pflichten und Haftung der Organe lerdings sind diese während der drohenden Zahlungsunfähigkeit aufgrund der Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie europarechtskonform auszulegen. Namentlich sind die Interessen der Gläubiger und übrigen Stakeholder auch in diesem Zeitraum zu berücksichtigen, wenn auch nicht mit gleichem Gewicht wie während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. Das gilt sowohl für die Überwachung als auch für etwaige Mitwirkungshandlungen. Zudem gilt § 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, der die Geschäftsleiter auffordert, geeignete Krisenabwendungsmaßnahmen zu ergreifen. Das haben die Aufsichtsorgane zu überwachen und gegebenenfalls durch Mitwirkung (z.B. durch Zustimmung zu erforderlichen Maßnahmen) zu unterstützen. 117 Im Zeitraum der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) sind die Anforderungen so-

wohl an die Informationsbeschaffung als auch die Überwachung gesteigert.314 Spätestens mit dem Bericht der Geschäftsleiter an das Überwachungsorgan nach § 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG wird dessen Mitgliedern der Ernst der Lage deutlich vor Augen geführt. Die Anforderungen an Überwachung und Kontrolle unterscheiden sich deshalb nicht wesentlich von denen während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache (Rz. 113 ff.).

118 Gelingt es über längere Zeit nicht, die Krise zu überwinden, stellt sich sowohl aufseiten der

Geschäftsleiter als auch der Überwachungsorgane die Frage, ob das Restrukturierungsvorhaben beim Restrukturierungsgericht angezeigt werden sollte (§ 31 Abs. 1 StaRUG), um den Einsatz von Restrukturierungsinstrumenten des StaRUG zu ermöglichen. Die Überwachungsorgane können diese Entscheidung sowohl in die eine als auch die andere Richtung beeinflussen. Einerseits können sie einen Zustimmungsvorbehalt (auch ad hoc) erlassen, der es ihnen ermöglicht, sowohl die rechtlichen Voraussetzungen (insbesondere den Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit) als auch die Zweckmäßigkeit der Anzeige zu prüfen. Andererseits können sie aber auch ihre Bedenken wegen der Untätigkeit der Geschäftsleiter äußern und auf eine Einleitung des Restrukturierungsverfahrens drängen.315 Zwingen können sie die Geschäftsleiter allerdings regelmäßig nicht, weshalb sie zunächst durch Beratungen auf deren Einsicht setzen müssen.316 Als ultima ratio bleibt die Abberufung der Vorstandsmitglieder (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG; Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 1 SE-VO), sofern die Weigerung im konkreten Fall einen wichtigen Grund darstellt.317

4. Haftung der Mitglieder der Überwachungsorgane a) Geltung der allgemeinen Haftungsvorschriften 119 Das StaRUG enthält keine Haftungsvorschrift für die Mitglieder von Überwachungsorganen

(anders noch die Entwürfe Rz. 11). Deshalb gelten die allgemeinen Vorschriften, allen voran § 116 AktG i.V.m. § 93 AktG. Besteht ein Aufsichtsrat in der GmbH, gelten die Vorschriften über § 52 GmbHG, in der dualistischen SE über Art. 51 SE-VO.

314 Vgl. für den Aufsichtsrat BGH v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = AG 2009, 81 Rz. 21; OLG Düsseldorf v. 31.5.2012 – 16 U 176/10, AG 2013, 171, 172; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 84 AktG Rz. 29. 315 Vgl. allgemein Habersack in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 AktG Rz. 33; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 111 AktG Rz. 37 ff. 316 Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 111 AktG Rz. 38. 317 Graewe, NZI 2021, 619, 623; allgemein auch Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 116 AktG Rz. 110; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 111 AktG Rz. 42; zum Erfordernis eines wichtigen Grundes bei der SE statt vieler Reichert/Brandes in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, Art. 39 SE-VO Rz. 34; Seibt in Habersack/Drinhausen, 2. Aufl. 2016, Art. 39 SE-VO Rz. 25.

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 125 § 43

b) Pflichtverletzung Anknüpfungspunkt für eine Pflichtverletzung kann zunächst eine unzulängliche Über- 120 wachung sein. Trotz der gesteigerten Anforderungen in der Krise der Gesellschaft ist allerdings zu berücksichtigen, dass primär die Geschäftsleiter für die Überwindung der Krise zuständig sind (§ 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Bei der gerichtlichen Überprüfung ist zudem zu beachten, dass die Aufsichtsratsmitglieder lediglich im Nebenamt tätig sind.318 Allerdings steigen die Anforderungen an Mitglieder, die über einschlägige Kenntnisse oder Erfahrungen verfügen. Sie müssen diese in der Krisensituation einsetzen.319 Aufsichtsratsmitglieder können ihre Pflichten auch durch unterlassene oder sorgfaltswidrige 121 Mitwirkungshandlungen verletzen, etwa bei der Entscheidung über die Zustimmung zu einer geplanten Maßnahme. Bei der späteren Überprüfung der Entscheidung hat das Gericht allerdings zu berücksichtigen, dass den Aufsichtsratsmitgliedern der gleiche Ermessensspielraum zusteht wie den Geschäftsleitern selbst (dazu s. Rz. 35 ff.). Deshalb sind Entscheidungen während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache auf Vertretbarkeit zu prüfen. Aufgrund der externen Pflichtenbindung (§ 32 Abs. 1 StaRUG) kann sich das Gericht trotz § 116 Satz 1, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht auf eine bloße Evidenzkontrolle i.S.d. gesellschaftsrechtlichen Business Judgment Rule beschränken (vgl. Rz. 36). Vor Rechtshängigkeit gelten hingegen die allgemeinen Vorschriften mit lediglich geringen 122 Modifikationen aufgrund der richtlinienkonformen Auslegung (Rz. 6, 10 f.). Aufsichtsratsmitglieder können sich deshalb bis zur Rechtshängigkeit gem. § 116 Satz 1, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf die Business Judgment Rule berufen.320 Abweichungen gegenüber § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ergeben sich hinsichtlich der Beweislast- 123 verteilung, da nach § 116, § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG auch die Pflichtverletzung zu Lasten der Aufsichtsratsmitglieder vermutet wird.321 c) Verschulden Hinsichtlich des Verschuldens ergeben sich keine Besonderheiten. Es greifen die jeweiligen 124 gesellschaftsrechtlichen Vorschriften. Grundsätzlich gilt, dass individuelle Schwächen nicht entlasten und besondere Fähigkeiten eingesetzt werden müssen.322 Zum Vertrauen auf Expertenrat Rz. 53. Die Beweislast obliegt nach § 116, § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG den Aufsichtsratsmitgliedern. d) Schaden Erhebliche Unterschiede im Vergleich zu den Geschäftsleitern ergeben sich hinsichtlich des 125 Schadens. Da § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG die Mitglieder von Überwachungsorganen nicht erfasst, kann der Schaden nicht mit dem Quotenschaden der Gläubiger gleichgesetzt werden. 318 Vgl. auch Graewe, NZI 2021, 619, 620 f.; Habersack in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 AktG Rz. 2; Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 116 AktG Rz. 93; Koch, 16. Aufl. 2022, § 116 AktG Rz. 1. 319 Vgl. Binder, ZGR 2012, 757, 773 f.; Drygala in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 116 AktG Rz. 44; Habersack in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 AktG Rz. 28; Koch, 16. Aufl. 2022, § 116 AktG Rz. 4; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 116 AktG Rz. 63. 320 Eingehend Habersack in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 AktG Rz. 39 ff.; Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 116 AktG Rz. 59 ff. 321 Statt vieler Drygala in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 116 AktG Rz. 50; Graewe, NZI 2021, 619, 621; Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 116 AktG Rz. 288 (m.w.N.). 322 Statt aller Habersack in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 AktG Rz. 75; Hasselbach, NZG 2012, 41, 47; Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 116 AktG Rz. 275.

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§ 43 Rz. 125 | Pflichten und Haftung der Organe Und auch für eine analoge Anwendung des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG besteht mangels planwidriger Regelungslücke kein Raum, da § 3 Abs. 2 StaRUG-RegE, der die Haftung der Mitglieder der Überwachungsorgane regelte, ersatzlos gestrichen wurde. Folglich muss der Gesellschaft selbst ein Schaden entstanden sein.323 126 Für die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder ist deshalb erforderlich, dass die Gesellschaft so-

wohl den Schaden, also eine konkrete Verschlechterung der Vermögenslage der Gesellschaft, als auch die haftungsausfüllende Kausalität nachweist.324 Gerät die Gesellschaft infolge der Pflichtverletzung in die Insolvenz, enthebt dies nicht vom Nachweis eines konkret bezifferbaren Schadens. Das mag Schwierigkeiten bereiten; eine Beweislastumkehr kommt gleichwohl nicht in Betracht. Und selbst Beweiserleichterungen, etwa im Sinne einer sekundären Darlegungs- und Beweislast, sind allenfalls wohldosiert einzusetzen. Immerhin befindet sich der Insolvenzverwalter oder Sachwalter, der die Haftung regelmäßig geltend machen wird, nicht in Beweisnot. Er hat Zugang zu allen Unterlagen der Gesellschaft. Gelingt der Nachweis des Schadens, können die Aufsichtsratsmitglieder den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens erheben, dessen tatsächliche Voraussetzungen sie allerdings zu beweisen haben.325 e) Mitverschuldenseinwand

127 Aufsichtsratsmitgliedern steht regelmäßig kein Mitverschuldenseinwand gegenüber der Ge-

sellschaft zu. Insbesondere können sie sich nicht auf die vorrangige Pflichtverletzung des Vorstands oder anderer Geschäftsleiter berufen, wenn ihnen lediglich ein Überwachungsverschulden zur Last fällt. Ein solcher Einwand würde dem Umstand nicht ausreichend Rechnung tragen, dass es gerade die Aufgabe der Aufsichtsratsmitglieder ist, die Geschäftsleitung zu überwachen und etwaige Schäden von der Gesellschaft abzuwenden.326 f) Gesamtschuldnerische Haftung und Binnenregress

128 Pflichtwidrig handelnde Aufsichtsratsmitglieder haften zusammen mit pflichtvergessenen Ge-

schäftsleitern als Gesamtschuldner,327 sofern sich die geltend gemachten Schäden decken (Rz. 129). Verlangen Sie von den Geschäftsleitern Regress, ist im Fall des bloßen Überwachungsverschuldens zu beachten, dass dieses im Binnenverhältnis gegenüber der primären Pflichtverletzung der Geschäftsleiter regelmäßig zurücktritt.328 Aufsichtsratsmitglieder können sich deshalb häufig bei den Geschäftsleitern schadlos halten, während die Geschäftsleiter in der Regel keinen Regress bei den Aufsichtsratsmitgliedern nehmen können.

129 Besonderheiten ergeben sich während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache, wenn

die Haftung der Geschäftsleiter auf § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG (und nicht auf die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften) gestützt wird. Hintergrund sind die unterschiedlichen Schadenspositionen: Die Geschäftsleiter haben den Schaden der Gläubiger zu ersetzen, die Aufsichtsräte den der Gesellschaft. Das hat Auswirkungen auf den Gesamtschuldneraus323 Zur Schadensberechnung etwa Habersack in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 AktG Rz. 73. 324 Drygala in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 116 AktG Rz. 50; Groß-Bölting/Rabe in Hölters/Weber, 4. Aufl. 2022, § 116 AktG Rz. 108; Henssler in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 116 AktG Rz. 14. 325 Vgl. allgemein Graewe, NZI 2021, 619, 622; Habersack in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 AktG Rz. 74; Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 116 AktG Rz. 280; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 116 AktG Rz. 66. 326 Statt vieler Habersack in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 AktG Rz. 75; Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 116 AktG Rz. 277. 327 Für § 116 AktG statt vieler Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 116 AktG Rz. 286; Koch, 16. Aufl. 2022, § 116 AktG Rz. 13; abw. Drygala in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 116 AktG Rz. 52. 328 Siehe nur Hopt/Roth in GroßKomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 116 AktG Rz. 287.

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Pflichten und Haftung der Organe | Rz. 131 § 43

gleich: Die Geschäftsleiter können Regress nur in Höhe des Schadens der Gesellschaft verlangen, nicht jedoch in Höhe des Gläubigerschadens. Der Regress der Aufsichtsräte scheitert indes regelmäßig nicht am differierenden Schaden, weil die allgemeinen Vorschriften (insbesondere § 93 Abs. 2 AktG) auch für die Geschäftsleiter gelten und nicht durch § 43 Abs. 1 StaRUG verdrängt werden, die Geschäftsleiter mithin auch für den Schaden der Gesellschaft haften.

XIII. D&O-Versicherung Die haftungsrechtlichen Risiken der Geschäftsleiter werden vielfach durch sog. Directors-and- 130 Officers-Versicherungen (kurz D&O-Versicherungen) abgedeckt.329 Es handelt sich um freiwillige Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungen (§§ 100 ff. VVG) für fremde Rechnung (§§ 43 ff. VVG).330 Sie werden von der Gesellschaft (Versicherungsnehmerin) zugunsten der Organmitglieder abgeschlossen (versicherte Personen).331 Der Abschluss einer D&O-Versicherung ist zulässig, auch wenn dadurch die verhaltenssteuernde Wirkung der abgedeckten Haftungsansprüche vermindert wird.332 Das ergibt sich im Umkehrschluss zu § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG, der einen Mindestselbstbehalt für Vorstandsmitglieder vorsieht.333

Erfasst werden regelmäßig Ersatzansprüche für Vermögensschäden sowohl im Innen- als auch 131 Außenverhältnis,334 einschließlich solcher aus § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Mögliche Zweifel hat der BGH bereits im Jahr 2020 ausgeräumt: Erfasst seien nach den üblichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht allein Schadensersatzansprüche gem. § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 AktG, sondern auch aus § 64 Satz 1 GmbHG a.F., obwohl diese als Ersatzansprüche eigener Art zu qualifizieren waren.335 Aufgrund dieses weiten Verständnisses sind Ansprüche gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG ebenfalls erfasst, zumal diese unstreitig den Charakter eines Schadensersatzanspruchs im Innenverhältnis haben. Es ist insbesondere unschädlich, dass sich der Schaden nach dem Verlust der Gläubiger und nicht der Gesellschaft bestimmt.336 329 Zu den prozessualen Aspekten im Überblick s. Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 433 ff.; zu den Einzelheiten Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, 6. Aufl. 2020, § 108 Rz. 111 ff. (zu D&O-Versicherungen in Schiedsverfahren); Baur/Holle, AG 2017, 141 (Beweislast im Direktprozess gegen den D&O-Versicherer); Brinkmann, ZIP 2017, 301 (zu den prozessualen Konsequenzen der Abtretung des Freistellungsanspruchs an die Gesellschaft). Zu den Obliegenheiten ausführlich Lange, D&O-Versicherung, 2014, § 12 Rz. 1 ff.; knapper Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, 6. Aufl. 2020, § 108 Rz. 58 ff. 330 OLG München v. 15.3.2005 – 25 U 3940/04, AG 2005, 817, 817; Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, 6. Aufl. 2020, § 108 Rz. 1 ff.; Brinkmann, ZIP 2017, 301, 301; Dreher/Thomas, ZGR 2009, 31, 35; Lange, D&O-Versicherung, 2014, § 1 Rz. 5; Lüneborg/Resch, AG 2017, 691, 692. 331 Lange, D&O-Versicherung, 2014, § 5 Rz. 1 ff., § 6 Rz. 1 ff.; Lüneborg/Resch, AG 2017, 691, 692; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 428. 332 Vgl. nur Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 375 f.; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 198; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 428. 333 Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 428. 334 Siehe A-1 AVB D&O 2020; Lange, D&O-Versicherung, 2014, § 8 Rz. 1 ff.; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 429. 335 BGH v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, BGHZ 227, 279 = NJW 2021, 231 Rz. 16 ff. (a.A. die Vorinstanz: OLG Düsseldorf v. 20.7.2018 – 4 U 93/16, NZI 2018, 758 = ZIP 2018, 1542 Rz. 70 ff.); zuvor bereits Armbrüster/Schilbach, ZIP 2018, 1853. Für § 15b InsO gilt diese Rechtsprechung erst recht: Bitter, ZIP 2021, 321, 331. 336 Vgl. BGH v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, BGHZ 227, 279 = NJW 2021, 231 Rz. 23: „Vielmehr hängt der Versicherungsschutz für ihn entscheidend davon ab, dass der Versicherte – wie im Falle des § 64 Satz 1 GmbHG – den Zustand vor Vornahme seiner pflichtwidrigen Zahlungen wiederherzustellen hat, gleichviel, ob dies der Gesellschaft oder den Gesellschaftsgläubigern zugutekommt [...]“. Aus dem Schrifttum etwa Armbrüster/Schilbach, ZIP 2018, 1853, 1858 f.

Korch | 833

§ 43 Rz. 132 | Pflichten und Haftung der Organe 132 Der Versicherungsschutz wird jedoch durch zahlreiche Risikoausschlüsse begrenzt.337 Größte

Bedeutung hat der Ausschluss wegen vorsätzlicher Schadensverursachung (A-1.1 AVB D&O 2020).338 Missachten die Geschäftsleiter wissentlich die Interessen der Gläubiger, kann dies zu einem Deckungsausschluss führen.

133 Der zeitliche Deckungsschutz richtet sich nach dem sog. Claims-made-Prinzip, wonach es

für den Versicherungsschutz darauf ankommt, dass die Ansprüche während der Laufzeit des Versicherungsvertrags geltend gemacht werden.339 Das Prinzip wird durch eine Einschränkung der sog. Rückwärtsdeckung begrenzt und durch eine Nachmeldefrist erweitert.340 Letzte ist für § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG bedeutsam, wenn der Versicherungsvertrag in der Insolvenz der Gesellschaft gekündigt wird.341 Denn innerhalb der Nachmeldefrist wird der versicherten Person zugestanden, Schadensfälle auch nach Vertragsbeendigung anzuzeigen.342 Voraussetzung ist allerdings regelmäßig, dass die Prämien bis zur Vertragsbeendigung gezahlt wurden.343 Stellt der Insolvenzverwalter die Zahlungen ein, erlischt der Versicherungsschutz.344 Es besteht keine Verpflichtung des Insolvenzverwalters gegenüber Geschäftsleitern, den Versicherungsschutz aufrechtzuerhalten.345

§ 44 Verbot von Lösungsklauseln (1) 1Die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens durch den Schuldner ist ohne Weiteres kein Grund 1. für die Beendigung von Vertragsverhältnissen, an denen der Schuldner beteiligt ist, 2. für die Fälligstellung von Leistungen oder 3. für ein Recht des anderen Teils, die diesem obliegende Leistung zu verweigern oder die Anpassung oder anderweitige Gestaltung des Vertrags zu verlangen. 2 Sie berühren ohne Weiteres auch nicht die Wirksamkeit des Vertrags. (2) Dem Absatz 1 entgegenstehende Vereinbarungen sind unwirksam. (3) 1Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für Geschäfte nach § 104 Absatz 1 der Insolvenzordnung und Vereinbarungen über das Liquidationsnetting nach § 104 Absatz 3 und 4 der Insolvenzordnung und Finanzsicherheiten im Sinne von § 1 Absatz 17 des Kreditwesengesetzes. 2Dies gilt auch für Geschäfte, die im Rahmen eines Systems nach § 1 Absatz 16 des Kreditwesengesetzes der Verrechnung von Ansprüchen und Leistungen unterliegen.

337 Siehe A-7 AVB D&O 2020; eingehend auch Lange, D&O-Versicherung, 2014, § 8 Rz. 11 ff. 338 Erläuternd Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, 6. Aufl. 2020, § 108 Rz. 66 ff. 339 A-2 AVB D&O 2020; Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, 6. Aufl. 2020, § 108 Rz. 32; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 430. 340 Zur Nachmeldefrist s. A-5.3 AVB D&O 2020 (dort auch Abs. 2 zur Möglichkeit, gegen einen zusätzlichen Beitrag die Nachmeldefrist zu verlängern, die allerdings durch Insolvenzeröffnung regelmäßig erlischt). Zur Rückwärtsdeckung: Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, 6. Aufl. 2020, § 108 Rz. 40 f.; Lüneborg/Resch, AG 2017, 691, 693 f. 341 Vgl. allgemein Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, 6. Aufl. 2020, § 108 Rz. 42. 342 A-5.3 AVB D&O 2020; dazu etwa Lüneborg/Resch, AG 2017, 691, 695. 343 A-5.3 AVB D&O 2020 (vierter Absatz); Drenker/Boche, BB 2021, 515, 519. 344 Zur Verfügungsbefugnis und Kündigungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters Drenker/Boche, BB 2021, 515, 518. 345 Drenker/Boche, BB 2021, 515, 519; Verse in Scholz, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 436.

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Verbot von Lösungsklauseln | Rz. 3 § 44 In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). Schrifttum: Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Heckschen/Weitbrecht, Kurzer Zwischenruf zu § 44 StaRUG-E: Zur vorsorglichen Rettung restrukturierungsbedingter Einziehungsklauseln und Rückforderungsrechte, NZI 2020, 976; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRuG-RefE), ZIP 2020, 1985. I. II. III. IV. 1. 2. V. 1. 2. 3. VI. 1. 2.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richtlinienumsetzung . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenständlicher Anwendungsbereich . Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . Vorbemerkung (Restrukturierungsbezogenheit der Lösungsklausel) . . . . . . . . . . Anhängiges Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . „ohne Weiteres“, Anforderungen an den Nachweis weiterer Auslösetatbestände . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgensystem im Allgemeinen . . . Beendigung von Vertragsverhältnissen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StaRUG) . . . . .

1 5 9 12 12 16 18 18 24 26 30 30

3. Fälligstellung (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Leistungsverweigerung, Anpassung oder sonstige Gestaltung (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorleistungspflichten sowie Verarbeitungs- und Einziehungsklauseln . . . . 5. Keine Unwirksamkeit des Vertrages (§ 44 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . 6. Klauselverbot (Unwirksamkeit entgegenstehender Regelungen, § 44 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Bereichsausnahme für bestimmte Finanzleistungsverträge (§ 44 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 39 39 41 46 48 51

34

I. Regelungsgegenstand Die Vorschrift des § 44 StaRUG beinhaltet eine für den Schuldner wesentliche Anordnung, 1 um das Verfahren und seine Auswirkungen auf den operativen Geschäftsbetrieb vorhersehbar auszugestalten. Die Vorschrift ist im Kontext mit § 55 StaRUG zu lesen und eng angelehnt an die Regelungswirkung der §§ 103 ff., 119 InsO. § 44 StaRUG greift in die schuldrechtliche Gestaltungsfreiheit ein, indem er nach dem Vorbild des § 119 InsO anordnet, dass die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme einer Stabilisierungsanordnung ohne weiteres kein Grund für die Fälligstellung von Forderungen, Loslösung vom Vertrag oder die Ausübung von Zurückbehaltungsrechten ist (§ 44 Abs. 1 StaRUG) und ordnet dran anknüpfend an, dass entgegenstehende Vereinbarungen unwirksam sind (§ 44 Abs. 2 StaRUG). Allein an die Einleitung des Verfahrens und die Inanspruchnahme seiner Institutionen dürfen daher keine schuldrechtlichen Auswirkungen geknüpft werden.1 Genau wie § 55 StaRUG erkennt allerdings auch § 44 StaRUG das vertragliche Synallagma 2 an und lässt es unangetastet, weshalb andere (schuldrechtliche) Auslösetatbestände als allein die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens oder die Inanspruchnahme seiner Instrumente i.S.d. § 29 StaRUG sehr wohl für die Ausübung vertraglicher oder gesetzlicher Gestaltungs- oder Zurückbehaltungsrechte von der Vorschrift unberührt bleiben. Das Grundprinzip der Norm besteht somit darin, dass zwar einerseits die Einleitung des Ver- 3 fahrens und die Inanspruchnahme von Stabilisierungsinstrumenten für sich allein kein Grund für eine (außerordentliche) Beendigung von gegenseitigen Verträgen, die Fälligstellung vertragskonform noch ausstehender Leistungen oder die Ausübung von Zurückbehaltungsrechten sind, dass aber andererseits der Vertragspartner auch nicht zu einer Risikoerhöhung 1 Ähnlich Skauradszun/Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 44 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Hölzle | 835

§ 44 Rz. 3 | Verbot von Lösungsklauseln verpflichtet und daher sehr wohl berechtigt ist, seinerseits noch ausstehende Leistungen von der Zug- um-Zug Erbringung der Gegenleistung des Schuldners oder einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.2 4 Die Auslegung der Vorschrift kann wegen ihrer dogmatischen Verwandtschaft an § 119 InsO

orientiert werden.

II. Normzweck 5 Das Verbot von Lösungsklauseln dient dem Zweck, die vorinsolvenzliche Sanierung zu

schützen und den Sanierungserfolg des Restrukturierungsvorhabens nicht dadurch zu gefährden, dass Vertragsverhältnisse des Schuldners zu seinen Vertragspartnern durch die Einleitung des Verfahrens oder die Inanspruchnahme der Instrumente automatisch beendet werden,3 oder dass Vertragspartner (allein) die Einleitung des Verfahrens zum Anlass nehmen, die Geschäftsverbindung zum Schuldner zu kappen.4

6 Unter Anerkennung der Fortgeltung des Synallagmas dient die Vorschrift allerdings nicht

dem Zweck, dem Schuldner zum Deckmantel für das Fehlen eigener Vertragstreue zu werden. Der Schuldner soll allein darauf vertrauen dürfen, dass sich seine Vertragspartner vom Vertrag nicht allein wegen der Inanspruchnahme des Restrukturierungsverfahrens als Gestaltungshilfe von bestehenden Verträgen lossagen oder diese inhaltlich anpassen können. Andererseits dient die Vorschrift aber auch nicht der Legitimation einer oktroyierten Risikoerhöhung gegenüber den Vertragspartnern des Schuldners. Eine solche sind diese nicht hinzunehmen verpflichtet. Der Schuldner darf auf den Fortbestand des Vertragsverhältnisses also nur solange und soweit vertrauen, wie er sich selbst vertragstreu verhält.

7 Der Schutz des Vertragspartners, seinerseits keine Leistung mehr erbringen zu müssen, für

welche die Erbringung der Gegenleistung ungewiss ist, folgt mittelbar auch aus § 3 Abs. 2 StaRUG. Danach sind im Restrukturierungsverfahren nur solche Restrukturierungsforderungen aus gegenseitigen Verträgen gestaltbar, bei welchen die dem anderen Teil obliegende Leistung bereits erbracht ist. Hat der Vertragspartner seine Leistung noch nicht erbracht, ist also nicht in Vorleistung getreten, wodurch er einseitig auf den Schutz der Abwicklung im Synallagma verzichtet hat, kann er auch nicht durch Einleitung des Verfahrens hierzu gezwungen werden; würde § 44 StaRUG den Vertragspartner zur ungesicherten Vorleistung verpflichten, würde hierdurch der mit § 3 Abs. 2 StaRUG verfolgte Schutzzweck unterlaufen, weil der Vertragspartner gezwungen würde, seine bisher nicht gestaltbaren Ansprüche in den Rang und die Qualität einer gestaltbaren Restrukturierungsforderung abzuwerten. Hierfür fehlt es an einer Legitimation. Aus diesem Gesichtspunkt und der fehlenden Verpflichtung des Vertragspartners, eine Risikoerhöhung in Kauf zu nehmen, folgt zugleich, dass der Schuldner auch nicht vor Vorkasseverlangen der Vertragspartner geschützt wird. Solche sind in der verfahrensbedingten Liquiditätsplanung daher regelmäßig zu berücksichtigen (§ 14 Rz. 34). Zum Einfluss der Norm auf Verarbeitungs- und Verwertungsklauseln Rz. 41 ff.

8 Dass § 44 Abs. 1 Satz 1 StaRUG vor dem Hintergrund der Streichung einer dem § 103 InsO

entsprechenden Vertragsbeendigungsmöglichkeit im Gesetzgebungsverfahren des StaRUG lediglich klarstellende Funktion zukomme,5 scheint indes nicht vertretbar. Bei § 44 StaRUG geht es nämlich nicht um die Rechte des Restrukturierungsschuldners zur Vertragsbeendigung, sondern es geht um die Rechte des Gläubigers/Vertragspartners, den Vertrag seiner2 3 4 5

Ebenso Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 44, 55 StaRUG Rz. 2. Skauradszun/Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 44 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Ähnlich Kuleisa in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 44 StaRUG Rz. 1. So aber Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2021, § 44 StaRUG Rz. 9.

836 | Hölzle

Verbot von Lösungsklauseln | Rz. 14 § 44

seits aus Anlass der Einleitung des Restrukturierungsverfahrens außerordentlich zu kündigen und sich von der eigenen Leistungspflicht zu befreien.

III. Richtlinienumsetzung § 44 StaRUG setzt gemeinsam mit § 55 StaRUG die Vorgabe des Art. 7 Abs. 5 Restrukturie- 9 rungs-RL um, wonach die Mitgliedstaaten ohne Gestaltungsspielraum sicherzustellen haben, dass es Gläubigern nicht gestattet ist, aufgrund einer Vertragsklausel, die entsprechende Maßnahmen vorsieht, Leistungen aus noch zu erfüllenden Verträgen zu verweigern oder diese Verträge zu kündigen, vorzeitig fällig zu stellen oder in sonstiger Weise zum Nachteil des Schuldners zur ändern, allein weil Antrag auf Eröffnung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens oder auf Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen gestellt ist, ein solches Verfahren eröffnet ist oder Einzelvollstreckungsmaßnahmen tatsächlich ausgesetzt werden. Da die Vorschrift die Richtlinienvorgabe nahezu 1:1 umsetzt, wie in der Literatur empfohlen,6 10 bestehen Umsetzungsdefizite nicht. Art. 7 Abs. 6 Restrukturierungs-RL gestattet die mit § 44 Abs. 3 StaRUG umgesetzte Be- 11 reichsausnahme für Geschäfte nach § 104 Abs. 1 InsO und Vereinbarungen über das Liquidationsnetting nach § 104 Abs. 3, 4 InsO und Finanzsicherheiten i.S.v. § 1 Abs. 17 KWG.

IV. Anwendungsbereich 1. Gegenständlicher Anwendungsbereich Dem Anwendungsbereich des § 44 StaRUG unterfallen alle Arten von vertraglichen Schuld- 12 verhältnissen. Die Gegenseitigkeit des Vertragsverhältnisses ist nicht Voraussetzung; auch einseitig verpflichtende Verträge unterfallen der Beendigungssperre, soweit der Ausschluss der Leistungspflicht des Vertragspartners an die Einleitung des Verfahrens oder die Inanspruchnahme der Instrumente geknüpft werden soll. Die Anwendbarkeit des § 44 StaRUG setzt voraus, dass das Schuldverhältnis i.S.v. und ent- 13 sprechend § 103 Abs. 1 InsO wechselseitig noch nicht vollständig erfüllt ist. Auf einen wechselseitig durch Erfüllung vollständig erloschenen Vertrag kann die nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 StaRUG verbotene Rechtsausübung nicht mehr einwirken. Keine Anwendung findet § 44 StaRUG – genauso wenig wie § 119 InsO7 – daher vor allem auf solche Vertragskonstellationen, in welchen die Einleitung des Restrukturierungsverfahrens nicht auf die Abwicklung eines noch nicht beidseitig vollständig erfüllten Vertragsverhältnisses unmittelbar einwirkt, sondern auslösende Bedingung für das Entstehen eines Rückübertragungsanspruchs ist, z.B. in Übertragungsverträgen betreffs Geschäftsanteile, Grundstücke etc. mit Blick auf ein zuvor bereits durch Erfüllung erloschenes Schuldverhältnis.8 Dies folgt nicht nur aus der dogmatischen Nähe und dem dogmatischen Gleichlauf des § 44 StaRUG mit § 119 InsO, sondern auch aus dem Tatbestand des § 44 StaRUG selbst, da dieser das Entstehen von Rechten und Ansprüchen als Folge der Einleitung des Verfahrens oder der Inanspruchnahme von Instrumenten gerade nicht ausschließt. Von § 44 StaRUG geschützt sind nicht nur Vertragsverhältnisse, die vor Einleitung des Re- 14 strukturierungsverfahrens oder Inanspruchnahme der Instrumente abgeschlossen wurden, 6 Boss/Luttmann in Morgen, Präventive Restrukturierung, Art. 7 Rz. 107. 7 BGH v. 12.10.2017 – IX ZR 288/14, ZIP 2017, 2267. 8 Ebenso Kuleisa in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 44 StaRUG Rz. 3.

Hölzle | 837

§ 44 Rz. 14 | Verbot von Lösungsklauseln sondern auch Verträge, die nach Anzeige des Restrukturierungsvorhabens vom Schuldner abgeschlossen worden und noch nicht vollständig erfüllt sind.9 15 Keine Anwendung findet § 44 StaRUG auf Vertragsverhältnisse, an welchen der Schuldner

nicht beteiligt ist.10 Geschützt wird lediglich die Parteirolle des Schuldners im konkreten Vertragsverhältnis. Dies folgt aus dem schuldrechtlichen Charakter der Norm und dem Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse. Kann daher z.B. die Inanspruchnahme einer Drittsicherheit im Einzelfall bereits bei Gefährdung der Befriedigungsinteressen des Gläubigers erfolgen, so ist der Drittsicherheitengeber nicht vor der Inanspruchnahme durch den Gläubiger mit dem Argument geschützt, der Gläubiger dürfe nach § 44 auf das Vertragsverhältnis zum Schuldner keinen Einfluss nehmen.

2. Zeitlicher Anwendungsbereich 16 Die vertragliche Veränderungssperre des § 44 StaRUG gilt vom Zeitpunkt der Rechtshängig-

keit der Restrukturierungssache (§ 31 Rz. 22) an, also mit Zugang der Anzeige beim Restrukturierungsgericht, § 31 Abs. 3 StaRUG. Dies folgt zum einen unmittelbar aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 Satz 1 StaRUG, zum anderen daraus, dass es sich um eine Eingriffsnorm in die vertragliche Gestaltungsfreiheit zu Lasten der Gläubiger handelt. Jeder Eingriff in Gläubigerrechte im Rahmen des Restrukturierungsvorhabens setzt aber dessen Anzeige beim Restrukturierungsgericht gem. § 31 StaRUG voraus, da erst im Anschluss an diese Anzeige dessen Voraussetzungen geprüft werden und die Möglichkeit für das Gericht eröffnet ist, die Restrukturierungssache unter Wahrung des Gläubigerinteresses aufzuheben.11 Andererseits genügt der Eingang der Anzeige bei Gericht12 und ist nicht auch eine irgendwie geartete Zulassungsentscheidung, die das StaRUG ohnehin nicht vorsieht, vonnöten.

17 Auch in der Tatbestandsalternative der Inanspruchnahme von Stabilisierungsinstrumen-

ten gilt die Beendigungssperre erst, aber auch bereits mit Zugang des Antrages auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung und nicht erst mit deren tatsächlicher Anordnung durch das Gericht. Das Tatbestandsmerkmal der „Inanspruchnahme“ ist in richtlinienkonformer Auslegung entsprechend weit auszulegen,13 weil die Restrukturierungs-RL in Art. 7 Abs. 5 Buchst. a und b ausdrücklich auf den Antrag abstellt und die Eröffnung des Verfahrens bzw. die Gewährung der Stabilisierungsanordnung davon in Buchst. a und b ausdrücklich abgrenzt.

V. Tatbestandsvoraussetzungen 1. Vorbemerkung (Restrukturierungsbezogenheit der Lösungsklausel) 18 Da § 44 StaRUG darauf abzielt, die Planbarkeit und damit den Erfolg des Verfahrens nicht zu

gefährden, indem der vertragliche Status Quo erhalten und lediglich eine Beeinflussung desselben allein infolge der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder der Inanspruchnahme von Stabilisierungsinstrumenten vermieden werden soll,14 setzt die Unwirksamkeitsfolge des § 44 Abs. 2 StaRUG voraus, dass die betreffende Klausel gerade auf das Ziel aus9 10 11 12

Skauradszun/Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 44 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Kuleisa in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 44 StaRUG Rz. 3. Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 44, 55 StaRUG Rz. 26. BT-Drucks. 19/24181, S. 143; ebenso Skauradszun/Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 44 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 13 BT-Drucks. 19/24181, S. 146. 14 BT-Drucks. 19/24181, S. 158.

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Verbot von Lösungsklauseln | Rz. 22 § 44

gerichtet ist, eine Beendigungs-, Fälligstellungs- oder Zurückbehaltungsmöglichkeit an die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens oder die Inanspruchnahme von Stabilisierungsinstrumenten zu knüpfen.15 Das deckt sich auch mit der weiteren Gesetzesbegründung, wonach von § 44 Abs. 2 StaRUG Klauseln unberührt bleiben, die allein oder zusätzlich an weitere Gründe anknüpfen wie insbesondere einen Verzug des Schuldners oder eine sonstige Leistungsstörung.16 Tatbestandlich kommt dieses Erfordernis in den Worten des § 44 Abs. 1 Satz 1 StaRUG „ohne weiteres kein Grund“ zum Ausdruck. Im Umkehrschluss kann sich der Gläubiger auf andere oder zusätzliche Umstände sehr wohl 19 berufen, die isoliert oder im Zusammenhang mit einem bestehenden Rückstand ein Leistungsstörungsrecht begründen. Insbesondere berechtigt ein nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder des Antrags auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung eintretender Verzug des Schuldners den Gläubiger dazu, sämtliche Folgen, die sich an einen solchen Verzug im Einzelfall knüpfen können, auch geltend zu machen.17 Wie bei §§ 103, 119 InsO18 ist auch für die Anwendung des § 44 StaRUG erforderlich, dass es 20 sich um konkret restrukturierungsbezogene Lösungsklauseln oder -rechte handelt, also dass das vertraglich bedungene Recht zur Änderung oder Beendigung des Vertrages monokausal auf die Inanspruchnahme von Instrumenten des Restrukturierungs- und Stabilisierungsrahmens oder die Rechtshängigkeit einer Restrukturierungssache abstellt bzw. die Ausübung der Leistungsstörungsrechte allein durch die infolge der Inanspruchnahme des Stabilisierungsinstruments bedingte Nichtleistung des Schuldners (im Anwendungsbereich des § 55 StaRUG) veranlasst ist. Insbesondere ist der Vertragspartner nicht verpflichtet, eine Ausweitung der sich in der Offen- 21 barung der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners manifestierende Gefährdung seiner Vermögensinteressen hinzunehmen und sein Insolvenzrisiko weiter zu erhöhen.19 Klauseln, die allgemein an die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners bzw. an deren Verschlechterung und die Gefährdung der Befriedigungsaussichten des Gläubigers anknüpfen, ohne konkreten Bezug zur Einleitung von Restrukturierungsmaßnahmen zu haben (vgl. etwa Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken oder Nr. 26 AGB-Sparkassen), bleiben auch in Ansehung des § 44 Abs. 2 StaRUG wirksam.20 Zu der Frage, ob allein die Einleitung des Verfahrens auf eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse schließen lässt, s. Rz. 26. Auch eine Kündigung, die an Leistungsstörungen des Schuldners anknüpft, die nicht auf eine Stabilisierungsanordnung zurückzuführen ist, bleibt daher selbstverständlich weiterhin möglich und wirksam.21 Die Zweckgerichtetheit der Klausel bzw. der Ausübung des Leistungsstörungsrechts zu ver- 22 langen und dadurch den Anwendungsbereich des § 44 StaRUG zu beschränken, ist auch in der Sache richtig, da eine solche Beschränkung der Beendigungssperre bereits aus allgemeinem Zivilrecht, nämlich der (Fort-)Geltung der Unsicherheiteneinrede des § 321 BGB folgt. Die Unsicherheiteneinrede ist Ausprägung des vertraglichen Synallagmas.22 In das vertragliche Synallagma greift § 44 StaRUG aber gerade nicht ein. Für die Feststellung der Zweckgerichtetheit kommt es daher darauf an, ob die Gestaltungsmöglichkeit für den Vertragspart-

15 16 17 18 19 20 21 22

So für § 119 InsO: BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 232/04, ZIP 2006, 479. BT-Drucks. 19/24181, S. 146; s. auch Thole, ZIP 2020, 1985. BT-Drucks. 19/24181, S. 158. Vgl. z.B. BGH v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, ZIP 2013, 274. BT-Drucks. 19/24181, S. 158. Thole, ZIP 2020, 1985; Gehrlein, BB 2021, 66. BT-Drucks. 19/24181, S. 146. Emmerich in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 321 BGB Rz. 2 m.w.N.

Hölzle | 839

§ 44 Rz. 22 | Verbot von Lösungsklauseln ner infolge des Betreibens der Restrukturierungssache oder der Inanspruchnahme von Stabilisierungsinstrumenten eine andere ist, als außerhalb eines solchen Verfahrens.23 23 Darüber hinaus ist die enge Auslegung des § 44 StaRUG und die Beschränkung seines An-

wendungsbereichs auf ziel- und zweckgerichtete Lösungsklauseln, die gerade an das Restrukturierungsverfahren anknüpfen, auch gesetzessystematisch geboten. Denn macht ein Gläubiger wegen der Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners von einer nicht restrukturierungsspezifischen Vertragsbeendigungsmöglichkeit Gebrauch, so steht dem Schuldner der Antrag auf Erlass einer Verwertungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG offen. Der Erlass einer solchen Stabilisierungsanordnung ist von den weiteren Voraussetzungen des § 51 StaRUG abhängig. Diese drohten unterlaufen zu werden, wenn jedwede, auch die nicht monokausal restrukturierungsspezifischen Lösungsklauseln bereits von § 44 StaRUG erfasst würden.24

2. Anhängiges Verfahren 24 Bereits aus dem zeitlichen Anwendungsbereich der Norm (Rz. 16) aber auch aus dem Tat-

bestand und der Ratio der Norm folgt, dass Voraussetzung für die Anwendung der Verbotswirkung des § 44 Abs. 2 StaRUG die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache (§ 31 Abs. 3 StaRUG) ist, die unmittelbar mit Eingang der Anzeige bei Gericht eintritt. Alternativ stellt das Gesetz auf einen dem zwingend nachgelagerten Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung (§§ 49 ff. StaRUG) ab, was in der Sache den Anwendungsbereich aber nicht erweitert, da die Inanspruchnahme der Instrumente (§ 29 StaRUG) nur nach Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache möglich ist.

25 Hebt das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache nach § 33 StaRUG auf oder

verliert die Anzeige nach § 31 Abs. 4 StaRUG ihre Wirkung, so endet auch die der Verbotswirkung des § 44 StaRUG. Der Vertragspartner kann einen gescheiterten Restrukturierungsversuch daher zur Grundlage materiell-rechtlicher Einwirkung auf den Vertrag nehmen, soweit hierfür eine zivilrechtliche Grundlage besteht. Entsprechenden Vertragsklauseln jedenfalls stünde § 44 Abs. 2 StaRUG nicht entgegen.

3. „ohne Weiteres“, Anforderungen an den Nachweis weiterer Auslösetatbestände 26 § 44 StaRUG ist eng auszulegen. Die Ausübung der Rechte entgegen § 44 Abs. 1 StaRUG und

das Klauselverbot des § 44 Abs. 2 StaRUG greifen nur für die Ausübung solcher Rechte, die monokausal an die Einleitung des Verfahrens oder die Inanspruchnahme der Instrumente anknüpfen (Rz. 18 ff.). Die Ausübung materiell-rechtlicher Gestaltungsrechte, insbesondere einer außerordentlichen Vertragskündigung wegen der Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners bleibt daher, wo zivilrechtlich eröffnet, möglich und kann sowohl auf der Ausübung gesetzlicher wie auch vertraglicher Rechte beruhen.

27 Es stellt sich damit aber unmittelbar die Frage, ob allein aus der Einleitung eines Restruktu-

rierungsverfahrens oder der Inanspruchnahme von Instrumenten auf eine tatbestandliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse im zivilrechtlichen Sinne geschlossen werden kann, an welche sodann entsprechende Rechte des Vertragspartners geknüpft werden könnten. Wäre dies der Fall, verbliebe für § 44 StaRUG nur ein äußerst geringer Anwendungs-

23 In diesem Sinne für § 119 InsO Sinz in Uhlenbruck, § 119 InsO Rz. 14. 24 Wie hier insgesamt Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 44, 55 StaRUG Rz. 4 ff.

840 | Hölzle

Verbot von Lösungsklauseln | Rz. 29 § 44

bereich, weil die materiell-rechtliche Einflussnahme auf den Vertragsbestand immer auf die Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse und nicht monokausal an die Einleitung des Verfahrens angeknüpft würde.25 Auch die Tatsache, dass die Einleitung des Verfahrens tatbestandlich den Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit voraussetzt, soll deshalb die Möglichkeit des Gläubigers ausschließen, sich zur Begründung einer Einwirkung auf den schuldrechtlichen Vertragsbestand auf die allein aus der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens abgeleitete drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und eine daraus folgende Vermögensgefährdung zu berufen.26 Das Argument, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit der Anzeige des Restrukturierungs- 28 vorhabens immanent ist und deshalb allein keinen Grund für die Ausübung vertraglicher Gestaltungs-, Anpassungs- oder Zurückbehaltungsrechte sein kann, weil § 44 StaRUG sonst ins Leere ginge,27 scheint zwar zunächst überzeugend. Es ist aber dahingehend einzuschränken, dass es seine Grenze in dem Erhalt des vertraglichen Synallagmas und dem §§ 44, 55 StaRUG zugrunde liegenden Gebot findet, dass der Vertragspartner nicht verpflichtet ist, eine weitere Erhöhung seines wirtschaftlichen Risikos in Kauf zu nehmen.28 Vor diesem Hintergrund ist die allein aus der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens abzuleitende drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners sehr wohl gewichtiges Indiz für eine zivilrechtlich tatbestandliche Gefährdung der Vermögensinteressen, soweit nicht durch das Verfahren ausgeschlossen bleibt, dass das vertragliche Synallagma der konkreten Vertragsbeziehung beeinträchtigt wird. Wie in den Wertungen der § 3 Abs. 2 StaRUG und § 55 Abs. 3 StaRUG zum Ausdruck kommt, ist der Vertragspartner nicht zur (weiteren) Leistungserbringung verpflichtet, wenn und soweit der Erhalt der vollständigen Gegenleistung nicht gewährleistet ist. Das ist aber nur dann der Fall, wenn die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erstens durch das Verfahren mit hinreichender Wahrscheinlichkeit beseitig werden wird und zweitens gewährleistet ist, dass sämtliche Verpflichtungen gegenüber dem betreffenden Vertragspartner bei Fälligkeit erfüllt werden. Daraus folgt ein abgestuftes System der Rechteausübung: Zeigt der Schuldner das Restruktu- 29 rierungsvorhaben dem Gericht an, so manifestiert sich darin die Gefährdung der wirtschaftlichen Interessen seiner Vertragspartner, weil der Anzeige die Erklärung, drohend zahlungsunfähig zu sein, immanent ist. Diese konkretisierte Gefährdung der Vermögensinteressen begründet eine besondere Schutzpflicht des Schuldners gegenüber seinen Vertragspartnern aus § 241 Abs. 2 BGB, aus welcher besondere Aufklärungs- und Informationspflichten29 erwachsen.30 Der Vertragspartner hat daher konkret Anspruch auf Information und Dokumentation durch den Schuldner, welche Maßnahmen im Verfahren geplant sind und welche Restrukturierungsgläubiger in das Verfahren einbezogen werden sollen (§ 8 StaRUG) sowie vor allem Anspruch auf Vorlage der Erklärung zu den Bestandsaussichten nach § 14 Abs. 1 StaRUG und insbesondere der Liquiditätsplanung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 StaRUG (§ 14 Rz. 32), die der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens als Anlage zu dem Entwurf des Restrukturierungsplans beizufügen sind und dem Schuldner deshalb vorliegen. Nur soweit sich aus dieser Planung ergibt, dass die wirtschaftlichen Interessen des Vertragspartners betreffs

25 26 27 28 29

In diesem Sinne Kuleisa in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 44 StaRUG Rz. 7 f. Thole, ZIP 2020, 1985; Heckschen/Weitbrecht, NZI 2020, 976. Thole, ZIP 2022, 1985; Kuleisa in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 44 StaRUG Rz. 8. BT-Drucks. 19/24181, S. 158. Dass die Konkretisierung einer zunächst abstrakten Gefahr eine (auch ungefragte) Aufklärungspflicht auslösen kann, hat der BGH v. 27.3.2009 – V ZR 30/08, NJW 2009, 2120, in anderem Zusammenhang bereits anerkannt. 30 Zu der dogmatischen und rechtsökonomischen Herleitung von Aufklärungs- und Informationspflichten in der Vertragsbeziehung grundlegend Hölzle, Verstrickung durch Desinformation, 2012, S. 254 ff.

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§ 44 Rz. 29 | Verbot von Lösungsklauseln die weitere31 Abwicklung des Vertragsverhältnisses tatsächlich nicht gefährdet sind, ist die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nicht „ohne Weiteres“ ein Grund für Eingriffe i.S.d. § 44 Abs. 1 StaRUG. Ist die Planung in Ansehung der konkreten Interessen des Vertragspartners, was auch die Offenlegung der Planungsprämissen durch den Schuldner erfordert, nicht aussagekräftig oder kommt der Schuldner seiner Auskunftsverpflichtung gegenüber dem Vertragspartner nicht, nicht hinreichend oder verspätet nach, so ist die Ausübung materieller Gestaltungsrechte nicht ausschließlich an die Rechtshängigkeit des Verfahrens, sondern vorrangig an die Gefährdung der wirtschaftlichen Interessen geknüpft. § 44 StaRUG steht dem nicht entgegen.

VI. Rechtsfolgen 1. Rechtsfolgensystem im Allgemeinen 30 Während § 44 Abs. 1 Satz 1 StaRUG anordnet, welche schuldrechtlichen Rechtsfolgen an

die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme einer Stabilisierungsanordnung nicht geknüpft werden dürfen und damit die Rechtsausübung insgesamt einschließlich der Ausübung gesetzlicher Gestaltungs- und Zurückbehaltungsrechte betrifft, ordnet § 44 Abs. 2 StaRUG die Unwirksamkeit entgegenstehender Vereinbarungen an, schränkt also mit der Wirkung des § 134 BGB die Parteiautonomie und die vertragliche Dispositionsfreiheit ein.

31 § 44 Abs. 1 Satz 2 StaRUG stellt klar, dass ein Vertrag durch die Rechtshängigkeit der Re-

strukturierungssache oder die Inanspruchnahme einer Stabilisierungsanordnung ebenfalls nicht „ohne Weiteres“ unwirksam wird. In dieser auch hier einschränkenden Formulierung kommt allerdings zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber die grundsätzliche Möglichkeit, dass die Umstände, die zur Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache geführt haben oder diese begleiten materiell-rechtlich sehr wohl einen Unwirksamkeitsgrund darstellen können.32 Es gelten daher die oben (Rz. 26 ff.) dargestellten Grundsätze.

32 Rechtsdogmatisch werden das Verbot, bestimmte Rechte auszuüben, und die Unwirksamkeits-

folge entgegenstehender Klauseln von § 134 BGB erfasst, da unter § 134 BGB Vorschriften fallen, die eine nach der Rechtsordnung grundsätzlich mögliche rechtsgeschäftliche Regelung wegen ihres Inhalts untersagen.33 Die Nichtigkeit nach § 134 BGB erfasst hier jedoch nicht, wie sonst im Anwendungsbereich der Norm, das gesamte Rechtsgeschäft, sondern gem. § 139 BGB nur die verbotene (Teil-)Klausel oder Rechtsausübung, wie sich aus § 44 Abs. 1 Satz 2 StaRUG unmittelbar ergibt.34

33 Da von § 44 StaRUG nicht nur Verträge erfasst sind, die vor Rechtshängigkeit der Restruktu-

rierungssache abgeschlossen wurden, sondern auch zeitlich danach begründete Verträge, ist von dem Rechtsausübungsverbot nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StaRUG u.a. auch das Recht zur Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB erfasst.35 Denn allein der Irrtum über die Rechtshängigkeit eines solchen Verfahrens darf nicht Grund für die Beendigung des Vertrages sein. Dies schließt jedoch nicht aus, dass im Einzelfall die Beendigung nach § 280 BGB möglich ist, 31 Für durch den Restrukturierungsplan gestaltbare Rückstände i.S.d. § 3 Abs. 2 StaRUG gilt dies freilich nicht, da hier der Vertragsgläubiger durch die von ihm erbrachte Vorleistung selbst auf den Schutz des Synallagmas verzichtet hat. 32 Skauradszun/Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 44 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 33 Ellenberger in Grüneberg, § 134 BGB Rz. 5. 34 Ebenso Kuleisa in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2021, § 44 StaRUG Rz. 14; wie hier auch Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 44, 55 StaRUG Rz. 10. 35 Skauradszun/Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 44 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

842 | Hölzle

Verbot von Lösungsklauseln | Rz. 37 § 44

wenn der Schuldner im Rahmen der Vertragsanbahnung Aufklärungspflichten nach §§ 311, 241 BGB vorwerfbar verletzt hat. Da das Verfahren (jedenfalls) ab Rechtshängigkeit desselben vorrangig im Gläubigerinteresse zu führen ist (§ 32 Abs. 1 StaRUG), folgt neben den in Rz. 29 genannten Gründen nicht zuletzt auch aus der Pflicht zur Wahrung der Gläubigerinteressen – und zwar auch der Interessen der nicht planbetroffenen Gläubiger – die grundsätzliche Pflicht des Schuldners zur Aufklärung36 über den Umstand der bereits bestehenden drohenden Zahlungsunfähigkeit und die Tatsache der Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens. Nach allgemeinen Grundsätzen der Risikoverteilung und der rechtsökonomisch sinnvollen Verteilung der Informationslast darf der Restrukturierungsschuldner seinem designierten Vertragspartner nicht die Entscheidung darüber vorenthalten, ob er das mit der Kontrahierung mit einem restrukturierungsbefangenen Schuldner verbundene erhöhte Vertragserfüllungsrisiko einzugehen bereit ist. Die Entscheidung, ob er die Restrukturierungsplanung für valide und deren Erfüllung für überwiegend wahrscheinlich hält, muss dem designierten Vertragspartner in der Vertragsanbahnung selbst überlassen bleiben, weshalb die allgemeinen zivilrechtlichen Rechtsfolgen, die an eine Aufklärungspflichtverletzung geknüpft sind, uneingeschränkt erhalten bleiben.

2. Beendigung von Vertragsverhältnissen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StaRUG) Während die Restrukturierungs-RL in Art. 7 Abs. 5 verbindlich vorgibt, dass die Einleitung 34 des Verfahrens oder die Inanspruchnahme der Instrumente keinen Kündigungsgrund für Vertragsverhältnisse bewirken darf, an welchen der Schuldner beteiligt ist, geht die deutsche Umsetzung darüber hinaus, indem jedwede Beendigung erfasst wird (zu § 119 BGB vgl. bereits Rz. 33). Neben der außerordentlichen Kündigung sind daher alle sonstigen Gestaltungsrechte erfasst, durch welche der Erfüllungsanspruch des Restrukturierungsschuldners untergeht oder sonst einwendungsbehaftet wird, mithin auch auflösende Bedingungen, Rücktrittsrechte, Vereinbarungen über das Ruhendstellen des Vertrages.37 Der Wegfall des Erfüllungsanspruchs wegen eines ausnahmsweise aus § 313 BGB (Wegfall 35 der Geschäftsgrundlage) herzuleitenden Vertragsaufhebungsanspruchs fällt nicht unter § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StaRUG, sondern wird von Nr. 3 erfasst.38

Nicht untersagt ist demgegenüber die Ausübung eines ordentlichen Kündigungsrechts. Ist ein 36 Vertrag wegen Zeitablaufs oder sonst voraussetzungslos ordentlich kündbar, so folgt das Kündigungsrecht aus der schuldrechtlichen Position des Vertragspartners im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache. Ziel des § 44 StaRUG ist es aber nicht, diese materiellrechtliche Position zu verschlechtern, sondern lediglich, allein wegen der Inanspruchnahme des Verfahrens keine zusätzlichen Rechte zu begründen. Letzteres ist bei Ausübung eines vom Verfahren unabhängig eröffneten Kündigungsrechts aber gerade nicht der Fall.

3. Fälligstellung (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StaRUG) Das StaRUG kennt (bewusst) keine dem § 41 InsO vergleichbare Vorschrift. Nicht fällige An- 37 sprüche gelten daher nicht mit Einleitung des Verfahrens automatisch als fällig. Im Gegenteil: § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StaRUG untersagt ausdrücklich, die Fälligstellung ausschließlich an die Verfahrenseinleitung oder die Inanspruchnahme von Instrumenten zu knüpfen. Da eine

36 Vgl. z.B. BGH v. 12.11.2002 – XI ZR 25/00, ZIP 2003, 160 Rz. 14; BGH v. 4.8.2016 – 4 StR 523/15, ZIP 2017, 370; BGH v. 15.6.2005 – VIII ZR 118/03 (für den Unternehmenskauf). 37 Kuleisa in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 44 StaRUG Rz. 10. 38 Skauradszun/Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 44 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 44 Rz. 37 | Verbot von Lösungsklauseln gesetzliche Fälligkeit aus diesem Anlass ausgeschlossen ist, adressiert Nr. 2 ausschließlich entsprechende vertragliche Abreden oder außerordentlich geltend gemachte Rechte. 38 Nr. 2 entfaltet Wirkung in beide Richtungen: Selbstverständlich ist auch der Schuldner nicht be-

rechtigt, seinerseits Ansprüche gegen den Vertragspartner aus Anlass des Verfahrens fällig zu stellen,39 z.B. weil er auf entsprechende Liquidität aus von ihm gewährten Darlehen angewiesen ist.

4. Leistungsverweigerung, Anpassung oder sonstige Gestaltung (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StaRUG) a) Grundsatz 39 Der Ausschluss von Leistungsverweigerungs- und sonstigen Anpassungs- oder Gestaltungsrech-

ten zielt – mit Ausnahme der Geltendmachung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB, die von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StaRUG erfasst wird – ausschließlich auf vertragliche Leistungsverweigerungs- und Gestaltungsrechte.40 Denn alle gesetzlichen Zurückbehaltungsoder Gestaltungsrechte verwirklichen entweder lediglich das von § 44 StaRUG unberührt bleibende vertragliche Synallagma (Rz. 6 f.) oder sind von weiteren Tatbestandsmerkmalen (Leistungsstörungen) abhängig, weshalb ihre Ausübung nicht „ohne Weiteres“ wegen der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder der Inanspruchnahme von Instrumenten erfolgt.

40 Von Nr. 3 nicht erfasst sind daher insbesondere die Einreden aus §§ 273, 320, 321 BGB und

die Rücktrittsrechte aus §§ 323 ff. BGB.

b) Vorleistungspflichten sowie Verarbeitungs- und Einziehungsklauseln 41 Nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers ist weder der Restrukturierungsplan noch ist

die Stabilisierungsanordnung ein Instrument zum Eingriff in das vertragliche Synallagma.41 Dieses bleibt von § 44 Abs. 1, § 55 Abs. 1 StaRUG unbeeinträchtigt. Von § 44 Abs. 1, § 55 Abs. 1 StaRUG daher nicht erfasst und möglich bleibt die Geltendmachung der Einwendungen aus §§ 320, 321 BGB, nämlich das Abhängigmachen der eigenen Leistung von der Zug-um-Zug Erbringung der Gegenleistung durch den Schuldner, auch wenn eine Vorleistungspflicht vereinbart sein sollte. Hierbei handelt es sich nämlich weder um eine Fälligstellung noch um eine vertragliche Änderung. Selbst wenn im Einzelfall die Vorleistungspflicht des Vertragspartners vereinbart ist, ist diese nach § 55 Abs. 3 StaRUG (dort) ausgesetzt und kann der Gläubiger abweichend von der vertraglichen Vereinbarung Leistung Zug-um-Zug verlangen. Im Umkehrschluss aus § 55 Abs. 3 StaRUG folgt, dass eine vertraglich vereinbarte Vorleistungspflicht vor Beantragung und Erlass einer Stabilisierungsanordnung grundsätzlich wirksam bleibt und nicht nach § 44 Abs. 2 StaRUG wegen Verstoßes gegen § 44 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG unwirksam ist.42

42 Daraus folgt, dass in der Praxis regelmäßig damit zu rechnen und deshalb in der Restrukturie-

rungsplanung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 StaRUG (§ 14 Rz. 34) zu berücksichtigen ist, dass wesentliche Lieferanten nach Kenntnis von der Einleitung des Restrukturierungsverfahrens zulässigerweise auf Vorkasseleistung umstellen werden.

43 Gleichzeitig folgt daraus aber auch, dass der Gläubiger eine dem Schuldner erteilte Verarbei-

tungs-, Verwertungs- oder Einziehungsbefugnis nach Anzeige des Restrukturierungsvor39 In diesem Sinne wohl auch Skauradszun/Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 44 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 40 Ohne die Einschränkung des § 313 BGB vorzunehmen in diesem Sinne auch Kuleisa in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 44 StaRUG Rz. 12. 41 BT-Drucks. 19/24181, S. 114. 42 Wie hier Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 44, 55 StaRUG Rz. 1.

844 | Hölzle

Verbot von Lösungsklauseln | Rz. 46 § 44

habens widerrufen darf und im Falle des Widerrufs der Schuldner nicht länger berechtigt ist, auf die entsprechenden Gegenstände, insbesondere Vorratsbestände, die noch unter Eigentumsvorbehalt stehen, zuzugreifen und diese während des Betreibens der Restrukturierungssache weiter zu nutzen bzw. zu verarbeiten und zu verbrauchen.43

Zunächst unterbinden § 44 Abs. 1, § 55 Abs. 1 StaRUG lediglich das Verlangen der Anpassung 44 vertraglicher Vereinbarungen bzw. die Ausübung von Zurückbehaltungsrechten allein wegen des Betreibens der Restrukturierungssache. Die Ausübung sonstiger, nicht an das Verfahren gebundener und nicht zweckgerichteter Gestaltungs- und sonstiger Rechte bleibt möglich (Rz. 18 ff., 26 ff.). Das grundsätzliche zivilrechtliche Konzept der Leistung Zug-um-Zug wird daher nicht angetastet, weshalb ein darauf gerichtetes Verlangen des Gläubigers im Grundsatz auch keine vertragliche Änderung darstellt. Soweit vertraglich tatsächlich einmal ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist, ist nach § 321 BGB grundsätzlich davon auszugehen, dass eine solche Einigung unter dem Vorbehalt keiner wesentlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners steht, die Anwendung des § 321 BGB durch eine solche vertragliche Vereinbarung daher nicht suspendiert werden sollte. Im Übrigen ist schon fraglich, ob der Widerruf einer Verwertungs- oder Einziehungsermächtigung überhaupt eine vertragliche Änderung i.S.v. § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StaRUG darstellt. Der Widerruf einer analog § 185 Abs. 1 BGB zu behandelnden44 Verwertungs- oder Einziehungsermächtigung fällt in die rechtsdogmatische Kategorie der Gestaltungserklärungen. Seine rechtstechnische Funktionsweise ist damit die einer Bewirkungshandlung. Seine Geltung ist, mit anderen Worten, nicht darauf angewiesen, dass einem „Verlangen“, wie es § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StaRUG erfordert, des Widerrufenden durch den anderen Teil entsprochen wird, weil gemäß dem (entsprechend) anzuwendenden § 183 Satz 1 BGB die Rechtsfolge mit Wirksamwerden, d.h. mit Zugang, eintritt.45 Darüber hinaus wirkt ein Widerruf der Verarbeitungs- oder Veräußerungsermächtigung nicht auf das Verpflichtungs-, sondern auf das Verfügungsgeschäft ein. Dass der andere Teil dem Schuldner die Verfügung vor Erlangung des Eigentums gestattet, stellt ein grundsätzlich gegenleistungsloses Zugeständnis dar. Wird dieses Zugeständnis in Ansehung der Gefährdung seiner Vermögensinteressen vom Lieferanten zurückgezogen, liegt darin keine Änderung der vertraglichen Bedingungen, sondern vielmehr eine Rückbesinnung auf den Kern des vertraglichen Synallagmas. § 44 StaRUG steht daher dem Widerruf einer Einziehungs- oder Verwertungsermächtigung im Zusammenhang mit der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nicht entgegen. Im Anwendungsbereich des § 55 StaRUG gilt dasselbe, was sich dort bereits aus dessen Abs. 3 unmittelbar ableiten lässt. Die Verwertungs- und Einziehungsbefugnis endet jedoch nicht automatisch mit Anzeige des 45 Restrukturierungsvorhabens, sondern erst mit Zugang des (auch konkludent möglichen) Widerrufs des Vertragspartners beim Schuldner.46

5. Keine Unwirksamkeit des Vertrages (§ 44 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) Die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme von Instrumen- 46 ten berühren ohne weiteres nicht die Wirksamkeit von Verträgen, an welchen der Schuldner

43 So und wie nachfolgend ebenfalls bereits Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, 3. Aufl. 2022, §§ 44, 55 StaRUG Rz. 17; und Hölzle in Bieg/Borchard/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil B. Ziff. 5.1 Rz. 5 ff. (S. 205 f.). 44 Für die Einziehungsermächtigung vgl. BGH v. 23.2.1978 – VII ZR 11/76, NJW 1978, 1375; zur Veräußerungsermächtigung vgl. BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, ZIP 2019, 472. 45 Bub in BeckOK/BGB, § 183 BGB Rz. 6 (Stand: 63. Ed. 1.8.2022). 46 Für das Insolvenzverfahren BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, ZIP 2019, 472; BGH v. 6.4.2000 – IX ZR 422/98, ZIP 2000, 895, woraus wegen der fehlenden Gesamtwirkung des Verfahrens a maiore ad minus dasselbe für das Restrukturierungsverfahren gilt.

Hölzle | 845

§ 44 Rz. 46 | Verbot von Lösungsklauseln beteiligt ist. Die Möglichkeit der Unwirksamkeit aus anderem oder ergänzendem Rechtsgrund bleibt unberührt (Rz. 31). Es gelten daher die Grundsätze aus Rz. 26 ff. 47 Bei § 44 Abs. 1 Satz 2 StaRUG handelt es sich damit um eine Anspruchserhaltungsnorm für

den Fall, dass vertragliche oder – im Ausnahmefall – gesetzliche Rechte an den normspezifischen Tatbestand eine Unwirksamkeitsfolge knüpfen sollten. Es gilt auch hier: Die materiell schuldrechtliche Situation des Schuldners soll sich durch die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme von Instrumenten nicht ändern. Darüber hinausgehende Umstände bleiben von § 44 Abs. 1 Satz 2 StaRUG unberührt.

6. Klauselverbot (Unwirksamkeit entgegenstehender Regelungen, § 44 Abs. 2 StaRUG) 48 § 44 Abs. 2 StaRUG sichert das Ausübungsverbot des § 44 Abs. 1 StaRUG, das den schuld-

rechtlichen Bestand der Rechtsverhältnisse des Schuldners im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder der Inanspruchnahme der Instrumente dadurch ab, dass dieser Bestand nicht im Sinne der präventiven Schaffung eines entsprechenden vertraglichen Ausübungsrechts gefährdet wird. Entsprechend § 119 InsO sind daher vertragliche Vereinbarungen, die auf eine nach § 44 Abs. 1 StaRUG unzulässige Rechtsausübung abzielen, unwirksam.

49 Daraus folgt aber auch, dass Klauseln, die (auch) an andere Umstände als allein die Rechts-

hängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme von Instrumenten anknüpfen, also nicht restrukturierungsbezogen im Sinne der Norm sind (Rz. 18 ff.), wirksam bleiben und von der Unwirksamkeitsfolge nicht erfasst sind.47 Insbesondere für institutionelle Gläubiger bleibt damit Gestaltungsspielraum, in ihren Verträgen hinreichend Vorsorge für die Rechtewahrung auch im Falle der Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens durch ihren Vertragspartner zu treffen.

50 Die Unwirksamkeitsfolge selbst ergibt sich aus § 134 BGB und ist allein auf die gegen § 44

Abs. 1 StaRUG verstoßende Klausel beschränkt; die Wirksamkeit des Vertrages im Übrigen bleibt nach § 139 BGB unberührt (Rz. 32).

VII. Bereichsausnahme für bestimmte Finanzleistungsverträge (§ 44 Abs. 3 StaRUG) 51 § 44 Abs. 3 StaRUG enthält eine Bereichsausnahme für die dort benannten Warentermin-

und Finanzleistungsverträge i.S.d. § 104 Abs. 1 InsO sowie Vereinbarungen über das Liquidationsnetting i.S.d. § 104 Abs. 3, 4 InsO und Finanzsicherheiten i.S.d. § 1 Abs. 17 KWG einschließlich solcher Geschäfte, die im Rahmen des § 1 Abs. 16 KWG der Verrechnung von Ansprüchen und Leistungen unterliegen.

52 Im Rahmen der hier genannten Verträge bleibt die Ausübung von vertraglichen Beendi-

gungs- und Sicherungsklauseln daher wirksam und möglich. Die Gesetzesbegründung stellt darauf ab, dass die genannten Geschäfte keine Unsicherheit darüber vertragen, ob sie durchgeführt werden oder nicht,48 weshalb es bei den für sie getroffenen Vereinbarungen der Parteien verbleiben soll.

47 Skauradszun/Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 44 StaRUG Rz. 14 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Kuleisa in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 44 StaRUG Rz. 14. 48 BT-Drucks. 19/24181, S. 147.

846 | Hölzle

Erörterungs- und Abstimmungstermin | Rz. 1 § 45

Abschnitt 2 Gerichtliche Planabstimmung (§§ 45-46)

§ 45 Erörterungs- und Abstimmungstermin (1) 1Auf Antrag des Schuldners bestimmt das Restrukturierungsgericht einen Termin, in dem der Restrukturierungsplan und das Stimmrecht der Planbetroffenen erörtert werden und anschließend über den Plan abgestimmt wird. 2Die Ladungsfrist beträgt mindestens 14 Tage. (2) Dem Antrag ist der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen beizufügen. (3) 1Die Planbetroffenen sind zu dem Termin zu laden. 2Der Ladung ist der vollständige Restrukturierungsplan nebst Anlagen beizufügen. 3Die Ladung enthält den Hinweis darauf, dass der Termin und die Abstimmung auch dann durchgeführt werden können, wenn nicht alle Planbetroffenen teilnehmen. 4Das Gericht kann den Schuldner mit der Zustellung der Ladungen beauftragen. (4) 1Auf das Verfahren finden die §§ 239 bis 242 der Insolvenzordnung sowie die §§ 24 bis 28 dieses Gesetzes entsprechende Anwendung. 2Ist streitig, welches Stimmrecht die Forderung, die Absonderungsanwartschaft, die gruppeninterne Drittsicherheit oder das Anteils- oder Mitgliedschaftsrecht einem Planbetroffenen gewährt und lässt sich darüber keine Einigung zwischen den Beteiligten erzielen, legt das Gericht das Stimmrecht fest. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften v. 20.7.2022 (BGBl. I 2022, 1166). I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Antrag (§ 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Notwendiger Restrukturierungsbeauftragter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Termin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Terminbestimmung (§ 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ladung (§ 45 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergänzende Hinweise . . . . . . . . . . . . .

1 2 3 8 9 10 12 12 13 13 14

3. 4. VI. 1. 2. VII. 1. 2.

c) Nichterscheinen Beteiligter (§ 45 Abs. 3 Satz 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Folgen des Nichterscheinens für Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesonderter Abstimmungstermin . . . . . Entscheidung über Stimmrecht (§ 45 Abs. 4 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reichweite der Entscheidung . . . . . . . . . Entbehrlichkeit einer Entscheidung . . . . Ergänzende Bestimmungen . . . . . . . . . Terminprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 17 18 19 20 21 23 24 24 25

I. Regelungsgegenstand Die Vorschrift des § 29 Abs. 2 StaRUG enthält als Schlüsselbestimmung eine Aufzählung der 1 auf Antrag dem Schuldner zur Verfügung stehenden gerichtlichen Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens. Dies sind gem. Abs. 2 Nr. 1 die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens (gerichtliche Planabstimmung), nach Nr. 2 Gehrlein | 847

§ 45 Rz. 1 | Erörterungs- und Abstimmungstermin die gerichtliche Vorprüfung von Fragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich sind (Vorprüfung),1 nach Nr. 3 die gerichtliche Anordnung von Regelungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung (Stabilisierung) und nach Nr. 4 die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans (Planbestätigung). Damit gehören die gerichtliche Planabstimmung (§§ 45 f. StaRUG) und die gerichtliche Vorprüfung (§§ 47, 48 StaRUG) zu den gesetzlichen Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumenten. Eine ordnungsgemäße Planabstimmung und eine gerichtliche Vorprüfung können Rechtsfehler vermeiden, die einer Planbestätigung (§ 63 StaRUG) entgegenstehen. Grundvoraussetzung dieser Maßnahmen ist die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) des Schuldners.2

II. Normzweck 2 Das Kernstück jeder Restrukturierung bildet der Restrukturierungsplan, der das Programm für

die Überwindung der Krise und der Sanierung enthält. Darum ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Abstimmung über den Plan rechtssicher ausgestaltet wird. Das Gesetz eröffnet dem Schuldner für die Planabstimmung grundsätzlich zwei von ihm frei wählbare Verfahrensvarianten: Der Schuldner kann die Planabstimmung außergerichtlich im Blick auf Einladung, Organisation und Durchführung gem. § 20 StaRUG weitgehend frei gestalten. Diese Abstimmung kann entweder schriftlich (§§ 17–19 StaRUG) oder in einer von dem Schuldner einzuberufenden Versammlung (§ 20 StaRUG) stattfinden.3 Daneben bietet das Gesetz in §§ 45 ff. StaRUG die Alternative einer gerichtlichen Planabstimmung. Wenn der Schuldner die Organisation und Durchführung der Abstimmung der Planbetroffenen über den Restrukturierungsplan in die Hände des Restrukturierungsgerichts legt, kann er Risiken vermeiden, die sich bei einer außergerichtlichen Planabstimmung ergeben können.4 Insbesondere muss der Schuldner in Rechnung stellen, dass bei einer außergerichtlichen Planabstimmung gem. § 64 Abs. 3 Satz 1 StaRUG Zweifel an der ordnungsgemäßen Annahme des Restrukturierungsplans durch die Planbetroffenen zu seinen Lasten gehen.5 Insbesondere entscheidet das Gericht gem. § 64 Abs. 3 Satz 2 StaRUG, falls Streit über das einem Planbetroffenen zustehende Stimmrecht besteht.6 Derartige Unwägbarkeiten eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs, die gem. § 64 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG zur Versagung der Planbestätigung führen, können mit Hilfe einer gerichtlichen Planabstimmung vermieden werden. Das gerichtliche Verfahren bietet sich insbesondere an, wenn nicht nur Finanzgläubiger, sondern einer Vielzahl von unterschiedlichen Gruppen zuzuordnende Kleingläubiger beteiligt sind.7 Zudem kann bei einer gerichtlichen Planabstimmung vor der Planbestätigung gem. § 61 StaRUG eine weitere Anhörung unterbleiben.

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage 3 Grundlage der Vorschrift bildet die Restrukturierungs-RL.8 Dort ist in ErwGr. 43 ausgeführt: 4 „Die von einem Restrukturierungsplan betroffenen Gläubiger, einschließlich der Arbeitneh-

mer, und – wenn nach nationalem Recht zulässig – die Anteilsinhaber sollten das Recht ha1 2 3 4 5

Commandeur/Utsch, NZG 2020, 1338, 1339; Bork, NZI-Beilage 2021, 38. Desch, BB 2020, 2498; Bork, NZI-Beilage 2021, 38; Bork, WM 2021, 575; Rechtmann, WM 2021, 520, 521. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 1. BT-Drucks. 19/24181, S. 147; Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 2. Desch, BB 2020, 2498, 2503; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 45 StaRUG Rz. 3; Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 2. 6 Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 2. 7 Thole, ZIP 2020, 1985, 1994; Gehrlein, BB 2021, 66, 73. 8 ABl. EU Nr. L 172 v. 26.6.2019.

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Erörterungs- und Abstimmungstermin | Rz. 9 § 45

ben, über die Annahme eines Restrukturierungsplans abzustimmen. Die Mitgliedstaaten sollten begrenzte Ausnahmen von dieser Regel vorsehen können. Die von dem Restrukturierungsplan nicht betroffenen Parteien sollten weder Stimmrechte in Bezug auf den Plan haben, noch sollte ihre Unterstützung für die Annahme eines Plans erforderlich sein. Der Begriff der betroffenen Parteien sollte Arbeitnehmer nur in ihrer Eigenschaft als Gläubiger einschließen. Wenn Mitgliedstaaten beschließen, die Forderungen von Arbeitnehmern vom präventiven Restrukturierungsrahmen auszunehmen, sollten Arbeitnehmer daher nicht als betroffene Parteien betrachtet werden. Die Abstimmung über die Annahme eines Restrukturierungsplans könnte in Form eines förmlichen Abstimmungsverfahrens oder einer Konsultation und des Abschlusses einer Vereinbarung mit einer erforderlichen Mehrheit der betroffenen Parteien durchgeführt werden. Wenn die Abstimmung in Form einer Vereinbarung mit der erforderlichen Mehrheit durchgeführt wird, könnten die betroffenen Parteien, die an der Zustimmung nicht beteiligt waren, dennoch die Möglichkeit erhalten, sich dem Restrukturierungsplan anzuschließen.“ In Art. 9 Abs. 2 Restrukturierungs-RL ist Folgendes geregelt:9

5

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass betroffene Parteien das Recht haben, über die Annah- 6 me eines Restrukturierungsplans abzustimmen. Parteien, die von einem Restrukturierungsplan nicht betroffen sind, haben bei dessen Annahme kein Stimmrecht.“ Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgaben übernommen. Eine Abstimmung über den Re- 7 strukturierungsplan wird sichergestellt. Nicht betroffene Planbeteiligte erhalten kein Stimmrecht. Dies gilt etwa für Arbeitnehmer, die nicht zu den Restrukturierungsgläubigern gehören (§ 4 Nr. 1 StaRUG).

IV. Antrag (§ 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StaRUG) Der Antrag auf Durchführung eines gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermins 8 kann von dem Schuldner oder dem notwendigen Restrukturierungsbeauftragten gestellt werden. Inhaltlich orientiert sich § 45 Abs. 1 StaRUG an § 235 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO.

1. Schuldner Die gerichtliche Planabstimmung erfolgt auf Antrag des Schuldners.10 Der Schuldner hat sei- 9 nem Antrag nach § 45 Abs. 2 StaRUG den vollständigen Restrukturierungsplan nebst Anlagen beizufügen. Dieses Erfordernis soll die vollständige Information des Restrukturierungsgerichts und der Planbetroffenen über den Gegenstand des anzuberaumenden Erörterungsund Abstimmungstermins sicherstellen.11 Zugleich wird mit dem Eingang des Antrags einschließlich des Plans auch der Zeitpunkt der Planvorlage (§ 2 Abs. 5, § 24 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) festgelegt.12 Nach diesem Zeitpunkt bestimmt sich, welche Rechtsverhältnisse und welche Forderungsbeträge dem Plan zugrunde zu legen sind.13 Die besonderen Antragsvoraussetzungen des § 60 Abs. 2 StaRUG, die für den Bestätigungsantrag eine Zustimmung der nicht von ihrer Haftung befreiten persönlich haftenden Gesellschafter verlangen, sind auf die Vorprüfung nicht zu erstrecken. 9 10 11 12 13

ABl. EU Nr. L 172 v. 26.6.2019. Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2678; Gehrlein, BB 2021, 66, 73. BT-Drucks. 19/24181, S. 147; Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 4. BT-Drucks. 19/24181, S. 147; T. Hirte in Braun, 2021, § 45 StaRUG Rz. 5. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 4.

Gehrlein | 849

§ 45 Rz. 10 | Erörterungs- und Abstimmungstermin

2. Notwendiger Restrukturierungsbeauftragter 10 Ein Antragsrecht hinsichtlich der Form der Abstimmung verleiht § 76 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG

dem notwendigen Restrukturierungsbeauftragten,14 der auf der Grundlage von § 73 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StaRUG oder § 73 Abs. 2 StaRUG eingesetzt wurde. Die Fälle einer notwendigen Bestellung zeichnen sich dadurch aus, dass man bei ihnen nicht unterstellen kann, dass sämtliche Beteiligte gleichermaßen in der Lage sind, ihren Interessen im Prozess Geltung zu verschaffen (§ 73 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) und dass die erfassten Fälle von ihrem Zuschnitt und den Wirkungen der Verfahrenshilfen des Rahmens kaum mehr von den Wirkungen eines in Eigenverwaltung geführten Insolvenzverfahrens zu unterscheiden sind (§ 73 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StaRUG). In diesen Fällen bedarf es einer neutralen Instanz, welche die Interessen der Beteiligten wahrt und unter Berücksichtigung des Interesses der Gesamtheit zwischen den Interessen der Beteiligten vermittelt.15 Keine Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich der Art der Planabstimmung hat der Restrukturierungsbeauftragte, der gem. § 73 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG zur Planüberwachung oder gem. § 73 Abs. 3 StaRUG zur Vornahme von Prüfungen bestellt wurde. Der gem. § 77 Abs. 1 StaRUG zur Förderung von Verhandlungen eingesetzte fakultative Restrukturierungsbeauftragte ist ebenfalls nicht antragsbefugt.16

11 Der Restrukturierungsbeauftragte entscheidet nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG lediglich, wie

der Restrukturierungsplan zur Abstimmung gebracht wird, ob im Rahmen einer privatautonomen oder einer gerichtlichen Abstimmung.17 Es verbleibt aber dabei, dass die Antragstellung allein dem Schuldner vorbehalten ist. Verweigert der Schuldner den Antrag bei Gericht, ist das Restrukturierungsvorhaben gescheitert. Es endet spätestens durch Zeitablauf nach § 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG, falls nicht der Schuldner die Anzeige nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG zurücknimmt oder das Gericht die Sache nach § 33 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 StaRUG wegen Aussichtslosigkeit der Umsetzung aufhebt.18 Erfolgt die Abstimmung nicht im gerichtlichen, sondern einem privatautonomen Verfahren, leitet der Beauftragte die Versammlung der Planbetroffenen und dokumentiert die Abstimmung.

V. Termin 1. Terminbestimmung (§ 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) 12 Auf den Antrag bestimmt das Gericht nach § 45 Abs. 1 StaRUG einen Termin, in dem zu-

nächst der Restrukturierungsplan und die Stimmrechte der Planbetroffenen erörtert werden und anschließend über den Plan abgestimmt wird. Die Terminbestimmung hat auch zu erfolgen, falls dem Restrukturierungsplan etwaige Mängel anhaften sollten. Der Termin dient gerade dem Zweck, mögliche Mängel zwischen dem Schuldner und den Planbetroffenen zu erörtern. Für die Ladung der Planbetroffenen sieht Abs. 1 Satz 2 eine Frist von 14 Tagen vor. Innerhalb welchen Zeitraums nach Eingang des Antrags der Termin zu bestimmen ist, regelt das Gesetz nicht. Dem Gericht sollte stets bewusst sein, dass es sich regelmäßig um ein eilbedürftiges Verfahren handelt und deswegen eine rasche Terminierung angezeigt ist.19 Das Gericht kann den Schuldner gem. Abs. 3 Satz 3 mit der Zustellung der Ladungen beauftragen, welche sich dann nach § 41 Abs. 3 StaRUG, §§ 191 ff. ZPO richtet. Ebenso kann das Gericht den Restrukturierungsbeauftragten, sofern dieser von seinem Antragsrecht (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 14 15 16 17 18 19

Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2678; Gehrlein, BB 2021, 66, 73. BT-Drucks. 19/24181, S. 174. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 1. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 3. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 3. T. Hirte in Braun, 2021, § 45 StaRUG Rz. 8.

850 | Gehrlein

Erörterungs- und Abstimmungstermin | Rz. 15 § 45

StaRUG) Gebrauch gemacht hat, gem. § 76 Abs. 6 Satz 1 StaRUG beauftragen, die Ladungen zuzustellen. Bei Vornahme der Zustellungen kann sich der Restrukturierungsbeauftragte nach § 76 Abs. 6 Satz 2 StaRUG Dritter, insbesondere seines Personals, bedienen. Die Mindestladungsfrist muss unabhängig davon, wer die Ladungen zustellt, eingehalten werden.20 Insbesondere kann der Restrukturierungsbeauftragte anders als der an §§ 191–94 ZPO gebundene Schuldner eine vereinfachte Zustellung durch Aufgabe zur Post vornehmen.21 Eine Terminverlegung ist infolge der Unanwendbarkeit des § 227 Abs. 3 Satz 1 ZPO im Zeitraum vom 1.7. bis 31.8. erschwert (§ 39 Abs. 3 Satz 2 StaRUG). Die weiteren in der ZPO geregelten Verlegungsgründe sind beachtlich.22

2. Ladung (§ 45 Abs. 3 StaRUG) a) Grundsatz Alle Planbetroffenen i.S.d. § 7 Abs. 1 StaRUG sind nach § 45 Abs. 3 Satz 1 StaRUG zu dem 13 Termin zu laden. Dies sind die Inhaber von Restrukturierungsforderungen, von Absonderungsanwartschaften, von gruppeninternen Drittsicherheiten und von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten.23 Der Ladung ist der vollständige Restrukturierungsplan als Voraussetzung der Planbestätigung beizufügen.24 Dies wurde durch die Einfügung des neuen Satzes 2 durch das Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen ausdrücklich geregelt.25 Die Durchführung des Termins hängt gem. § 13a GKG davon ab, dass der Schuldner einen Kostenvorschuss gezahlt hat. b) Ergänzende Hinweise Es dürfte sich empfehlen, in der Ladung mit Rücksicht auf § 64 Abs. 2, 4 StaRUG eine Beleh- 14 rung aufzunehmen, dass eine Schlechterstellung durch den Plan im Planbestätigungsverfahren nur gerügt werden kann, wenn dies glaubhaft gemacht wird und dem Plan im Abstimmungsverfahren widersprochen wurde.26 Ferner erscheint es ratsam, in der Ladung auf die Notwendigkeit eines Widerspruchs gegen den Plan und eine ablehnende Stimmausübung hinzuweisen, wenn mit einer künftigen Beschwerde eine Schlechterstellung durch den Plan gerügt werden soll (§ 66 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StaRUG).27 Es handelt sich um obligatorische Hinweise, deren Versäumung Angriffe gegen den Plan erleichtert. c) Nichterscheinen Beteiligter (§ 45 Abs. 3 Satz 3 StaRUG) Damit einzelne ordnungsgemäß geladene Planbetroffene die Durchführung des Erörterungs- 15 und Abstimmungstermins nicht durch schlichtes Nichterscheinen vereiteln, kann der Termin auch durchgeführt werden, wenn nicht alle Planbetroffenen teilnehmen. Hierauf ist gem. § 45 Abs. 3 Satz 3 StaRUG in der Ladung hinzuweisen.28 Unterbleibt der Hinweis nach Abs. 3

20 21 22 23 24 25 26 27 28

BT-Drucks. 19/24181, S. 147; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 45 StaRUG Rz. 19. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 8. Laroche in Flöther, 2021, § 39 StaRUG Rz. 8. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 6. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 45 StaRUG Rz. 8, 11; Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 4. Gesetz v. 20.7.2022, BGBl. I 2022, 1166. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 45 StaRUG Rz. 16. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 45 StaRUG Rz. 17. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 45 StaRUG Rz. 14.

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§ 45 Rz. 15 | Erörterungs- und Abstimmungstermin Satz 3, hat dies keine nachteiligen Folgen für die Planbestätigung. Die Wirksamkeit der Ladung wird durch den fehlenden Hinweis nicht berührt, so dass auch keine wesentliche Verfahrensvorschrift in einem wichtigen Punkt verletzt ist (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG). Der unterbliebene Hinweis könnte allenfalls zu dem Missverständnis führen, der Ladung Folge leisten zu müssen, was die vom Gesetz intendierte Anwesenheit nach sich zöge. Würde man hier zu einem Verfahrensfehler gelangen, würde das gesetzgeberische Ziel verfehlt, durch Abwesenheit die Durchführung des Erörterungs- und Abstimmungstermins nicht verhindern zu können.29 16 Diese Grundsätze sind auch einschlägig, wenn es sich um eine privatautonome Abstimmung

(§ 20 InsO) handelt. Zwar fehlt es an einer § 45 Abs. 3 Satz 3 StaRUG entsprechenden ausdrücklichen Regelung. Allerdings verweist § 48 Abs. 2 Satz 2 StaRUG im Rahmen der Ladung zum Termin über die Vorprüfung einer privatautonomen Abstimmung auf § 45 Abs. 2 Satz 3 StaRUG. Diese Bestimmung deutet darauf hin, dass für die Abstimmung nichts anderes gilt.30 Freilich kann diese rechtliche Unsicherheit Anlass geben, dem gerichtlichen Planabstimmungsverfahren den Vorzug zu geben, um die Unwägbarkeit zu vermeiden, dass die Planbestätigung an der Abwesenheit einzelner Planbetroffener scheitert.31 d) Folgen des Nichterscheinens für Abstimmung

17 Abweichend von § 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind für die Mehrheitsbildung nicht die tatsächlich

abstimmenden Gläubiger ausschlaggebend. Der Restrukturierungsplan bedarf vielmehr nach § 25 Abs. 1 StaRUG der Zustimmung der Mehrheit aller, also auch der nicht anwesenden Gläubiger der jeweiligen Gruppe. Darum wirken sich die Stimmrechte der nicht teilnehmenden Planbetroffenen wie Ablehnungen aus.32 Um dies zu vermeiden, sollte den Planbetroffenen der Hinweis erteilt werden, dass sie sich zulässigerweise auf der Grundlage einer von ihnen zu erteilenden Vollmacht vertreten lassen können.33

3. Mündlichkeit 18 Der Termin findet regelmäßig mündlich statt. § 40 Satz 2 StaRUG stellt klar, dass in Ver-

sammlungen und Terminen, insbesondere bei einem Erörterungs- und Abstimmungstermin gem. § 45 StaRUG, das Restrukturierungsgericht nach § 128a ZPO einzelnen oder allen Beteiligten nach deren Wahl die Möglichkeit eröffnet, entweder physisch am Versammlungsort oder virtuell im Wege der Bild- und Tonübertragung an dem Termin teilzunehmen. Heimliche Aufnahmen sind unzulässig und begründen bei nichtöffentlichen Terminen eine Strafbarkeit nach § 201 StGB. Vor diesem Hintergrund ist in der Ladung ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass keine wissentlichen Bild- und Tonaufzeichnungen gefertigt werden dürfen und Dritten nicht die Möglichkeit verschafft werden darf, heimlich die Bild- und Tonübertragung zu verfolgen, was – im Rahmen des technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren – durch geeignete Maßnahmen, z.B. aktuelle Virenschutzprogramme, sicherzustellen ist.34

29 30 31 32

Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 9. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 10. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 10. BT-Drucks. 19/24181, S. 147; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 45 StaRUG Rz. 14; Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 11. 33 T. Hirte in Braun, 2021, § 45 StaRUG Rz. 11. 34 BT-Drucks. 19/24181, S. 142 f.; Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG § 45 Rz. 7.

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Erörterungs- und Abstimmungstermin | Rz. 21 § 45

4. Gesonderter Abstimmungstermin Wie im Insolvenzplanrecht kann auch für die Abstimmung über einen Restrukturierungsplan 19 in entsprechender Anwendung von § 241 InsO durch das Restrukturierungsgericht ein gesonderter Termin bestimmt werden. In diesen Fällen kann entsprechend § 241 InsO auch schriftlich abgestimmt werden. Die Regelungen der §§ 24 ff. StaRUG über das Stimmrecht, die erforderlichen Mehrheiten und die gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung gelten ebenfalls entsprechend,35 wobei § 24 Abs. 4 StaRUG im Hinblick auf die Regelung von § 45 Abs. 4 Satz 2 StaRUG nur insoweit zur Geltung kommt, als im gerichtlichen Terminsprotokoll festzuhalten ist, inwieweit und aus welchem Grund Stimmrechte streitig waren.36 Die Abstimmung der Gläubiger über den Plan stellt zugleich einen Marktkonformitätstest dar, der die Ersteinschätzung des Schuldners bestätigen oder ihr diese Bestätigung versagen kann.37

VI. Entscheidung über Stimmrecht (§ 45 Abs. 4 StaRUG) Aufgrund der Verweisung des § 45 Abs. 4 Satz 1 StaRUG auf §§ 24–28 StaRUG werden die im 20 privatautonomen Abstimmungsverfahren maßgeblichen Vorschriften über die erforderlichen Mehrheiten, gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidungen und den Minderheitenschutz (§§ 17 ff. StaRUG) für das gerichtliche Abstimmungsverfahren nutzbar gemacht. Von besonderer Bedeutung ist die durch Abs. 4 Satz 2 abweichend von § 24 Abs. 4 StaRUG dem Gericht zugewiesene Befugnis, bei Streit der Verfahrensbeteiligten über das Stimmgewicht von Forderungen, Absonderungsanwartschaften, gruppeninterner Drittsicherheiten sowie von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten zu befinden. Das Stimmgewicht der Beteiligten ist für die Frage ausschlaggebend, ob der Restrukturierungsplan mit den notwendigen Mehrheiten beschlossen wird.

1. Reichweite der Entscheidung Die vom Gericht im Falle der Streitigkeit eines Stimmrechts im Termin vor der Abstimmung 21 gem. § 45 Abs. 4 Satz 2 StaRUG zu treffende Entscheidung ist ausschließlich für die Frage, ob der Plan die erforderlichen Mehrheiten erreicht hat, verbindlich.38 Die Stimmrechtsfestsetzung erfolgt nach billigem Ermessen aufgrund summarischer Prüfung der Forderung und unter Berücksichtigung der eingereichten Unterlagen. Die Entscheidung des Gerichts über das Stimmrecht enthält notwendig auch die Entscheidung, ob ein Gläubiger überhaupt abstimmen darf; die Feststellung der Abstimmungsberechtigung gehört als Vorfrage zur gerichtlichen Stimmrechtsentscheidung.39 Rechtsmittel gegen diese Entscheidung sind nicht eröffnet.40 Freilich kann eine abweichende Entscheidung über das Stimmrecht im Verfahren über eine sofortige Beschwerde gegen die Planbestätigungsentscheidung nach § 66 StaRUG ergehen.41 Die im Termin zu treffende Entscheidung beschränkt sich auf die Abstimmung. Sie legt nicht fest, in welcher Höhe der betreffende Rechtsinhaber sein Recht gegenüber dem Schuldner geltend machen kann. Eine spätere abweichende Feststellung insbesondere durch das zuständige Fachgericht im Zuge eines außerhalb der Restrukturierungssache zu führenden Rechtsstreits, die zwar nicht das Abstimmungsergebnis, wohl aber die Höhe, in der die Forderung oder das 35 36 37 38 39 40 41

Bork, NZI-Beilage 2021, 38; WM 2021, 573, 579. BT-Drucks. 19/24181, S. 148. Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1092. BT-Drucks. 19/24181, S. 147; Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 17. BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, ZIP 2021, 203 = DB 2021, 171 Rz. 15. T. Hirte in Braun, 2021, § 45 StaRUG Rz. 14. BT-Drucks. 19/24181, S. 147; T. Hirte in Braun, 2021, § 45 StaRUG Rz. 14; Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 17.

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§ 45 Rz. 21 | Erörterungs- und Abstimmungstermin Recht gegenüber dem Schuldner geltend gemacht werden kann, beeinflusst, bleibt möglich (vgl. § 70 Abs. 1 StaRUG).42 Freilich ist die Stimmrechtsentscheidung bis zur endgültigen Feststellung der Forderungshöhe nach § 70 Abs. 2 StaRUG für die Beurteilung verbindlich, ob sich der Schuldner mit der Erfüllung des Plans erheblich in Rückstand befindet und deshalb eine Stundung oder ein Erlass der Restrukturierungsforderung gem. § 69 Abs. 1 StaRUG entfällt.43 22 Die Vorgehensweise, eine Einigung oder eine gerichtliche Entscheidung über die Stimmrechts-

festsetzung zunächst zurückzustellen, eine Abstimmung unter Beteiligung aller anwesenden Gläubiger unabhängig von ihrer Stimmberechtigung durchzuführen und erst nachträglich über die Stimmrechtsfestsetzung zu entscheiden, begründet einen Verfahrensmangel. Die Erörterung und Festsetzung des Stimmrechts der Beteiligten ist Teil des Erörterungstermins oder des entsprechenden Teils eines einheitlichen Erörterungs- und Abstimmungstermins. Die Festsetzung der Stimmrechte der Gläubiger durch das Insolvenzgericht muss vor dem Beginn der Abstimmung über den Insolvenzplan abgeschlossen sein.44 Waren bei Durchführung der Abstimmung die Stimmrechtsverhältnisse ungeklärt, handelt es sich lediglich um eine Probeabstimmung; die eigentliche Abstimmung nach der Festsetzung der Stimmrechte hat das Gericht dann aber noch nicht durchgeführt.45 Die nach der durchgeführten Abstimmung vorgenommene Festsetzung des Stimmrechts führt nicht dazu, dass rückwirkend vom Vorliegen einer Stimmberechtigung im Zeitpunkt der Abstimmung ausgegangen werden kann.46 Da eine ordnungsgemäße Abstimmung nicht stattgefunden hat, ist das Gericht auch daran gehindert, ein Abstimmungsergebnis festzustellen und auf dieser Grundlage dem Restrukturierungsplan die gerichtliche Bestätigung zu versagen.47

2. Entbehrlichkeit einer Entscheidung 23 Zu nicht streitigen Stimmrechten oder zu solchen Stimmrechten, die zwar zunächst streitig

sind, hinsichtlich derer sich die Beteiligten aber im Termin einigen können, bedarf es keiner Stimmrechtsentscheidung durch das Restrukturierungsgericht. Hier ist das von dem Schuldner unbestritten angesetzte Stimmrecht bzw. das Stimmrecht, auf das sich die Beteiligten im Termin geeinigt haben, für das Abstimmungsergebnis dauerhaft gültig.48 Kommt keine Einigung über das Stimmrecht zustande, so ist es vom Gericht für die Abstimmung über den Restrukturierungsplan festzusetzen.49

VII. Ergänzende Bestimmungen 1. Terminprotokoll 24 § 45 Abs. 4 StaRUG verweist auf die Regelungen der §§ 239–242 InsO. In entsprechender An-

wendung von § 239 InsO hält der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in einem Verzeichnis

42 BT-Drucks. 19/24181, S. 147 f.; T. Hirte in Braun, 2021, § 45 StaRUG Rz. 14; Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 17. 43 Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 17. 44 BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, DB 2021, 171 Rz. 14 f. = ZIP 2021, 203. 45 BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, DB 2021, 171 Rz. 17 = ZIP 2021, 203. 46 BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, DB 2021, 171 Rz. 18 = ZIP 2021, 203. 47 BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, DB 2021, 171 Rz. 22 = ZIP 2021, 203. 48 BT-Drucks. 19/24181, S. 148; BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, DB 2021, 171 Rz. 15 = ZIP 2021, 203; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 45 StaRUG Rz. 25; Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 16. 49 BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, DB 2021, 171 Rz. 15 = ZIP 2021, 203.

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Erörterungs- und Abstimmungstermin | Rz. 25 § 45

fest, welche Stimmrechte den Planbetroffenen nach dem Ergebnis der Erörterung im Termin zustehen.50 Im Terminprotokoll ist ferner zu dokumentieren, inwieweit und aus welchem Grund Stimmrechte streitig waren.51 Die Protokollierung hat gem. § 70 Abs. 2 StaRUG Bedeutung, ob ein Rückstand bei der Erfüllung des Restrukturierungsplans gegeben ist.52 Die Stimmrechte werden durch das Protokoll bewiesen.53

2. Planänderungen Aufgrund des Verweises auf § 240 InsO sind bei einem Restrukturierungsplan in dem selben 25 Umfang Änderungen möglich, ohne eine Abstimmung über den geänderten Plan im selben Termin zu vereiteln, wie bei einem Insolvenzplan.54 Mit anderen Worten kann über die durch die Erörterung des Plans bedingten Planänderungen im gleichen Termin abgestimmt werden.55 Der Plan kann nur so angenommen oder im Ganzen abgelehnt werden, wie er von dem Schuldner zur Abstimmung gestellt wird. Deshalb kann auch nur der Schuldner, weder das Gericht die Planbetroffenen noch der Restrukturierungsbeauftragte,56 Änderungen an dem Restrukturierungsplan vornehmen.57 Grundsätzlich ist der Schuldner berechtigt, einzelne Regelungen des Restrukturierungsplans aufgrund der Erörterung im Termin inhaltlich zu ändern, soweit der Kern des ursprünglichen Plans erhalten bleibt und der Plan nicht eine gänzlich andere Zielrichtung erfährt.58 Zulässig dürften Änderungen sein, welche die Rechtsstellung der Gläubiger verbessern.59 Gleiches dürfte für Änderungen gelten, gegen die von den Gläubigern keine Einwendungen erhoben werden.60 Selbst gravierende61 Änderungen und Modifikationen dürften bei Regelungen über Fälligkeiten, Stundungen, einen Kreditrahmens, die Bestellung von Sicherheiten, Eingriffe in Absonderungsrechte und die Modifizierung von Verträgen möglich sein.62 Eingriffe in Rechte Planbetroffener sind jedoch unzulässig, falls sie im Termin nicht anwesend sind und darum kein rechtliches Gehör wahrnehmen können.63 Bei Änderungen der Gruppenstruktur handelt es sich um eine unzulässige Änderung des vorgelegten Insolvenzplans.64 Der Umstand, dass Beteiligungen an Gesellschaften bestanden haben, die möglicherweise einen Wert darstellen, den der Schuldner in Unkenntnis der Gläubiger über das Insolvenzverfahren hinaus behält, erfordert eine Erwähnung der Beteiligungen im darstellenden Teil des Planes, ohne dass dieser Mangel nachträglich behoben werden kann.65 Das Gericht ist infolge der Verweisung auf § 241 Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO berechtigt, einen gesonderten Termin für die Abstimmung anzuberaumen, wobei eine Frist von nicht

50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65

Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 12. BT-Drucks. 19/24181, S. 148; Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 12. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 12. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 45 StaRUG Rz. 26. BT-Drucks. 19/24181, S. 148. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 14. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 45 StaRUG Rz. 28; Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 14. BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, DB 2021, 171 Rz. 14 f. = ZIP 2021, 203. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 14. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 14. LG Bielefeld v. 15.6.2015 – 23 T 914/14, Rz. 7. Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 240 InsO Rz. 4; enger Silcher in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 240 InsO Rz. 8. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 14; Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 240 InsO Rz. 4. Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 15. AG Düsseldorf v. 8.10.2019 – 513 IK 220/17, ZInsO 2020, 425, 426; großzügiger Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 14. AG Köln v. 15.5.2019 – 72 IN 269/17, ZInsO 2019, 1754, 1756 f. = ZIP 2019, 1182.

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§ 45 Rz. 25 | Erörterungs- und Abstimmungstermin mehr als einem Monat einzuhalten ist. Dies dürfte sich insbesondere anbieten, wenn es um wesentliche Änderungen des Plans geht, die einer Abstimmung im Erörterungstermin entgegenstehen. In diesen Fällen kann entsprechend § 242 InsO auch schriftlich abgestimmt werden.66

§ 46 Vorprüfungstermin (1) 1Auf Antrag des Schuldners bestimmt das Gericht einen gesonderten Termin zur Vorprüfung des Restrukturierungsplans vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin. 2 Gegenstand dieser Vorprüfung kann jede Frage sein, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich ist, insbesondere, 1. ob die Auswahl der Planbetroffenen und die Einteilung der Planbetroffenen in Gruppen den Anforderungen der §§ 8 und 9 entspricht, 2. welches Stimmrecht eine Restrukturierungsforderung, eine Absonderungsanwartschaft oder ein Anteils- oder Mitgliedschaftsrecht gewährt oder 3. ob dem Schuldner die Zahlungsunfähigkeit droht. 3 § 45 Absatz 3 gilt entsprechend. 4Die Ladungsfrist beträgt mindestens sieben Tage. (2) Das Ergebnis der Vorprüfung fasst das Gericht in einem Hinweis zusammen. (3) Das Gericht kann einen Vorprüfungstermin auch von Amts wegen bestimmen, wenn dies zweckmäßig ist. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV. 1. 2. V. 1. 2.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historie und EU-Richtlinien-Grundlage Vorprüfungstermin . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung auf Antrag (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung von Amts wegen (§ 46 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenstände der Vorprüfung (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mögliche Prüfungsgegenstände (§ 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–3 StaRUG) . . . . . . . .

1 2 3 7 8 10 11 11

3. Beschränkter Prüfungsmaßstab . . . . . . . a) Wesentlichkeit und Unbehebbarkeit eines Mangels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt des Restrukturierungsplans . . . aa) Darstellender Teil, Vergleichsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gestaltender Teil . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erfüllbarkeit von Ansprüchen, neue Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Hinweisbeschluss (§ 46 Abs. 2 StaRUG)

13 13 14 14 15 16 17 18 19

12

I. Regelungsgegenstand 1 Das Gesetz eröffnet dem Schuldner grundsätzlich zwei Varianten, für die Bestätigungsfähig-

keit des Restrukturierungsplans wesentliche Fragen einer gerichtlichen Vorprüfung zu unterwerfen. Wird über den Restrukturierungsplan nicht im gerichtlichen Verfahren, sondern auf Initiative des Schuldners (§§ 17 ff. StaRUG) im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffe-

66 BT-Drucks. 19/24181, S. 148; Laroche in Flöther, 2021, § 45 StaRUG Rz. 13.

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Vorprüfungstermin | Rz. 5 § 46

nen (§ 20 StaRUG) abgestimmt, kann auf der Grundlage des § 48 StaRUG eine Vorprüfung stattfinden. Ist eine gerichtliche Planabstimmung (§ 45 StaRUG) vorgesehen, kann nach § 46 StaRUG zum Zwecke der Vorprüfung ein gesonderter Termin anberaumt werden.

II. Normzweck Im Unterschied zu § 231 InsO kennt § 46 StaRUG keine obligatorische Vorprüfung. Die im 2 StaRUG statuierte Vorprüfung findet im Insolvenzplanverfahren lediglich eine gewisse Entsprechung in § 231 InsO, unterscheidet sich von der insolvenzplanrechtlichen Vorprüfung aber darin, dass die Prüfung nur auf Antrag des Schuldners erfolgt und dass im Falle der fehlenden Bestätigungsfähigkeit des Plans keine Zurückweisung erfolgt, sondern ein Hinweis auf die Mängel, auf denen die fehlende Betätigungsfähigkeit beruht.1 Die Bestimmung des § 46 StaRUG eröffnet dem Schuldner mithin lediglich die frei wählbare Möglichkeit, Fragen, von denen die Bestätigungsfähigkeit des Restrukturierungsplans abhängt, vorab einer gerichtlichen Klärung zuzuführen.2 Dadurch wird der Abstimmungstermin von einer möglichen streitigen Erörterung etwa über den Bestand von Forderungen und damit Stimmrechten befreit.3 Die Vorprüfung kann einen schnellen Weg zur Planbestätigung bahnen und gerade in komplexen und umfangreichen Verfahren frühzeitig Planungssicherheit bieten. Mit ihrer Hilfe können handwerkliche Fehler, die einer Planbestätigung entgegenstehen, rechtzeitig behoben werden.4 In eher einfach gelagerten Eilfällen kann auf die Vorprüfung verzichtet werden.5

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage Grundlage der Vorschrift bildet die Restrukturierungs-RL.6 Dort ist in ErwGr. 43 ausgeführt:

3

„Die Mitgliedstaaten sollten auf jeden Fall gewährleisten, dass Fragen, die für die Klassenbil- 4 dung von besonderer Bedeutung sind, zum Beispiel Forderungen verbundener Parteien, in geeigneter Weise in ihrem nationalen Recht behandelt werden, und das ihr nationales Recht Vorschriften enthält, die sich mit Eventualforderungen und streitigen Forderungen befassen. Den Mitgliedstaaten sollte gestattet sein, zu regeln, wie streitige Forderungen im Hinblick auf die Zuteilung von Stimmrechten zu behandeln sind. Die Justiz- oder Verwaltungsbehörde sollte die Klassenbildung – einschließlich der Auswahl der vom Plan betroffenen Gläubiger – prüfen, wenn ein Restrukturierungsplan zur Bestätigung vorgelegt wird. Die Mitgliedstaaten sollten jedoch vorsehen können, dass eine solche Behörde die Klassenbildung auch zu einem früheren Zeitpunkt prüfen kann, falls derjenige, der den Plan vorschlägt, vorab um eine Validierung oder um Orientierungshilfen ersucht.“ 5 Weiter heißt es in Art. 9 Abs. 5 der Restrukturierungs-RL.7 „Die Stimmrechte und die Bildung der Klassen werden von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde geprüft, wenn ein Antrag auf Bestätigung des Restrukturierungsplans gestellt wird. Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass die Stimmrechte und die Bildung der Klassen zu einem früheren Zeitpunkt als dem in Unterabsatz 1 genannten von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde geprüft und bestätigt werden.“ 1 2 3 4 5 6 7

BT-Drucks. 19/24181, S. 148; Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 3. Schelo, WM 2021, 513, 516. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 46 StaRUG Rz. 1. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 2. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 2. ABl. EU Nr. L 172 v. 26.6.2019. ABl. EU Nr. L 172 v. 26.6.2019.

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§ 46 Rz. 6 | Vorprüfungstermin 6 Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgaben weithin übernommen. Insbesondere wird be-

reits vor der Planbestätigung wird ein Prüfungsverfahren eingerichtet. Die möglichen Gegenstände der Vorprüfung sind allerdings weiter gefasst als in der Richtlinie geregelt, die nur die Stimmrechte und die Gruppenbildung nennt.8

IV. Vorprüfungstermin 7 Im Termin findet eine mündliche Erörterung zur Vorprüfung des Restrukturierungsplans

statt. Sein Zweck besteht darin, mögliche Rechtsfragen zu erörtern und zu klären, die einer Planbestätigung entgegenstehen. Dadurch kann das weitere Verfahren in neue Bahnen gelenkt werden. Es besteht etwa die Möglichkeit, dass der Schuldner rechtlichen Einwänden mit einer Modifizierung des Restrukturierungsplans begegnet.9

1. Durchführung auf Antrag (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) 8 Der Vorprüfungstermin wird nach § 46 Abs. 1 Satz 1 StaRUG auf Antrag des Schuldners

anberaumt,10 nachdem dieser gem. § 13a GKG einen Kostenvorschuss einbezahlt hat. Die besonderen Antragsvoraussetzungen des § 60 Abs. 2 StaRUG, die für den Bestätigungsantrag eine Zustimmung der nicht von ihrer Haftung befreiten persönlich haftenden Gesellschafter verlangen, sind auf die Vorprüfung nicht zu erstrecken. Der Termin hat vor dem Erörterungsund Abstimmungstermin zu erfolgen.11 Die Ladungsfrist beträgt nach § 46 Abs. 1 Satz 4 StaRUG mindestens sieben Tage. Die gegenüber dem Erörterungs- und Abstimmungstermin kürzere Ladungsfrist berücksichtigt, dass die Planbetroffenen sich vor dem Anhörungstermin noch keine abschließende Meinung bilden müssen.12 Das Gericht sollte einem Antrag auf Durchführung eines Vorprüfungstermins nach Möglichkeit alsbald entsprechen. Aus Sicht des Schuldners empfiehlt sich ein Antrag, wenn vorherige Sondierungen mit den Gläubigern ergeben haben, dass die notwendigen Mehrheiten für die Billigung des Plans erzielt werden können.13 Aus der entsprechenden Anwendung von § 45 Abs. 3 StaRUG ergibt sich, dass die Planbetroffenen zu laden sind, der Termin auch ohne Anwesenheit aller geladenen Planbetroffenen durchgeführt werden kann und dass das Gericht auch den Schuldner mit den Ladungen beauftragen kann.14 Soweit der notwendige Restrukturierungsbeauftragte sein Antragsrecht wahrnimmt, kann das Gericht ihn nach § 76 Abs. 6 Satz 1 StaRUG mit der Durchführung der Ladungen betrauen.15 Anders als der an §§ 191–194 ZPO gebundene Schuldner kann der Restrukturierungsbeauftragte eine vereinfachte Zustellung durch Aufgabe zur Post bewirken.16 Auch ihm ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.17 Der Vorprüfungstermin hat im Interesse eines unmittelbaren Austauschs der Verfahrensbeteiligten mündlich zu erfolgen, anders als bei der Vorprüfung nach §§ 47, 48 StaRUG scheidet ein schriftliches Verfahren aus.18 § 40 Satz 2 StaRUG stellt klar, dass auch im Rahmen des Vorprüfungstermins das Restrukturierungsgericht nach § 128a ZPO einzelnen oder allen Beteiligten nach deren Wahl die Möglich8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 1. Schelo, WM 2021, 513, 516. Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2678. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 46 StaRUG Rz. 3. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 12. T. Hirte in Braun, 2021, § 46 StaRUG Rz. 10. BT-Drucks. 19/24181, S. 148. T. Hirte in Braun, 2021, § 46 StaRUG Rz. 5. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 12. BT-Drucks. 19/24181, S. 161. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 12.

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Vorprüfungstermin | Rz. 11 § 46

keit eröffnen kann, entweder physisch am Versammlungsort oder virtuell im Wege der Bildund Tonübertragung an dem Termin teilzunehmen.19 Die Vorprüfung nach § 46 StaRUG kann wiederholt beantragt werden. Ein solches Bedürfnis 9 kann sich ergeben, wenn nach der ersten Vorprüfung Änderungen an dem Plan vorgenommen wurden oder bei den Verhandlungen zwischen dem Schuldner und den Beteiligten neue Zweifelsfragen auftauchen.20 Für eine informelle Vorprüfung ohne ausdrücklichen Antrag des Schuldners soll aus kostenrechtlichen Erwägungen ausscheiden, weil sich bei Inanspruchnahme von mehr als drei Instrumenten nach Nr. 2512 KV GKG die Gebühr von 1.000,– Euro auf 1.500,– Euro erhöht.21 Man kann jedoch zweifeln, ob dieser Gebührensprung bei einer nur informellen Fühlungnahme eintritt. Allerdings können etwaige Fragen von Amts wegen nach § 46 Abs. 3 StaRUG durch einen gerichtlichen Hinweisbeschluss geklärt werden. In diesem Fall kann der Schuldner seinen Antrag zurücknehmen oder für erledigt erklären.

2. Durchführung von Amts wegen (§ 46 Abs. 3 StaRUG) Wenn das Gericht von sich aus erkennt, dass bestimmte Punkte, die Gegenstand eines Vor- 10 prüfungstermins nach § 46 Abs. 1 StaRUG sein könnten, streitig oder zweifelhaft sind und einer umfangreicheren Erörterung bedürfen, kann das Gericht nach Abs. 3 einen gesonderten Vorprüfungstermin auch von Amts wegen anberaumen, um den späteren Abstimmungstermin zu entlasten.22 Eine derartige Vorgehensweise erscheint insbesondere angezeigt, wenn rechtliche Zweifelsfragen, die der Bestätigung entgegenstehen können, den Beteiligten gar nicht bewusst sind. Bei dem Gericht können etwa Bedenken auftreten, ob die Auswahl der Planbetroffenen (§ 8 StaRUG) und ihre Einteilung in Gruppen (§ 9 StaRUG) den gesetzlichen Anforderungen genügt. Dies kann anzunehmen sein, wenn der Schuldner nicht sämtliche unberücksichtigten Forderungen und Absonderungsanwartschaften dargelegt hat.23 Das Gericht hat die Vorprüfung grundsätzlich auf sämtliche möglichen Prüfungsgegenstände zu erstrecken. Nimmt es nur eine beschränkte Prüfung vor, hat es die Beteiligten entsprechend zu unterrichten.24 Die Gebührenerhöhung nach Nr. 2512 KV GKG fällt bei einer Amtsprüfung nicht an.

V. Gegenstände der Vorprüfung (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) 1. Grundsatz Die Vorprüfung kann sich nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StaRUG auf alle Rechtsfragen erstrecken, 11 die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans nach §§ 60 ff. StaRUG erheblich sind,25 die drohende Zahlungsunfähigkeit, die Auswahl der Planbetroffenen, die Gruppenbildung und die Stimmrechte.26 Folglich ist ebenso wie bei § 231 InsO eine umfassende Rechtsprü-

19 20 21 22 23 24 25 26

T. Hirte in Braun, 2021, § 46 StaRUG Rz. 6. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 17. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 16. BT-Drucks. 19/24181, S. 148; Desch, BB 2020, 2498, 2504; Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 18. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 46 StaRUG Rz. 11. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 18. Thole, ZIP 2020, 1985, 1994; Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2678; Desch, BB 2020, 2498, 2504; Gehrlein, BB 2021, 66, 73; Stahlschmidt, ZInsO 2021, 205, 210; Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 4. Stahlschmidt, ZInsO 2021, 205, 210; Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 6.

Gehrlein | 859

§ 46 Rz. 11 | Vorprüfungstermin fung möglich, deren Durchführung dem Interesse aller Beteiligten entspricht.27 Eine Prüfung scheidet naturgemäß aus, wenn der Prüfungsgegenstand für die Planbestätigung bedeutungslos ist.28 Eine beschränkte Prüfung hat stattzufinden, wenn der Schuldner auf der Grundlage seiner Dispostionsbefugnis nur einzelne Gegenstände aufgreift,29 wodurch er freilich eine umfassende Amtsprüfung des Gerichts nach Abs. 3 nicht verhindern kann.30 Es handelt sich um eine Rechtmäßigkeitsprüfung solcher Fragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans nach §§ 60 ff. StaRUG maßgeblich sind. Die gerichtliche Prüfung hat die Entscheidungskompetenz der Planbetroffenenversammlung bestmöglich zu wahren. Deswegen ist dem Gericht eine Prüfung, ob der Plan wirtschaftlich zweckmäßig gestaltet ist und ob er voraussichtlich Erfolg haben wird, verwehrt,31 es sei denn, es geht um eine neue Finanzierung (§ 63 Abs. 2 StaRUG).32 Die Zweckmäßigkeit des Plans ist nur insoweit Prüfungsgegenstand, als sie nicht in Rechtsfragen hineinwirkt.

2. Mögliche Prüfungsgegenstände (§ 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–3 StaRUG) 12 Beispielhaft und darum nicht abschließend33 werden in § 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–3 StaRUG

Fragen aufgezählt, die den Gegenstand einer solchen Vorprüfung bilden können, namentlich die am Maßstab der §§ 8 f. StaRUG zu beurteilende Auswahl der Planbetroffenen sowie die Gruppenbildung (Nr. 1), die Zuordnung von Stimmrechten (Nr. 2) oder das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit, die nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG Voraussetzung für die Planbestätigung ist. Den Beteiligten ist zu empfehlen, im Interesse einer umfassenden Klärung sämtliche rechtliche Zweifelsfragen gegenüber dem Gericht offenzulegen.34 Das Gericht prüft unter Berücksichtigung sämtlicher rechtlicher Gesichtspunkte, ob die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorlagerecht und den Inhalt des Plans beachtet sind. Es prüft, ob der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans für die unmittelbare Gestaltungswirkung und die Vollstreckbarkeit bestimmt genug ist, ob die Informationen im darstellenden Teil für die Entscheidung der Beteiligten und des Gerichts ausreichen und ob die Plananlagen vollständig und richtig sind. Dabei hat das Gericht nicht nur offensichtliche Rechtsfehler zu beanstanden.35 Wird der Plan im Verfahren nach § 46 StaRUG zurückgewiesen, ist der Schuldner nicht gehindert, hilfsweise einen neuen Plan vorzulegen. Die Zurückweisung im gerichtlichen Vorprüfungsverfahren eröffnet das Zurückweisungsrecht für den neuen Plan nicht.36

3. Beschränkter Prüfungsmaßstab a) Wesentlichkeit und Unbehebbarkeit eines Mangels 13 Da die Vorprüfung nicht weiter gehen kann als die im Rahmen der Planbestätigung durch-

zuführende Prüfung, sind die beschränkten Prüfungsmaßstäbe des § 63 StaRUG zu beachten.

27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 4. Thole, ZIP 2020, 1985, 1994; Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 5. Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2678. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 4. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, NJW 2015, 2660 Rz. 8 = ZIP 2015, 1346; Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 4. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 46 StaRUG Rz. 8. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 46 StaRUG Rz. 4; Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 6. T. Hirte in Braun, 2021, § 46 StaRUG Rz. 10. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, NJW 2015, 2660 Rz. 8 = ZIP 2015, 1346. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, NJW 2015, 2660 Rz. 42 = ZIP 2015, 1346.

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Vorprüfungstermin | Rz. 15 § 46

Die Bestimmung des § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG fordert die Nichtbeachtung von Vorschriften über den Inhalt die verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans und die Annahme in einem wesentlichen Punkt nebst der Unbehebbarkeit des Mangels. Die Bestätigung des Restrukturierungsplans darf von dem Gericht bei Inhalts- und Verfahrensfehlern nach Maßgabe des § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG darum nur versagt werden, wenn ein wesentlicher Mangel vorliegt und der Schuldner diesen nicht beheben kann. Ein wesentlicher Verstoß liegt stets vor, wenn es sich um einen Mangel handelt, der Einfluss auf die Annahme des Insolvenzplans gehabt haben kann. Es muss nicht feststehen, sondern lediglich ernsthaft in Betracht kommen, dass der Mangel tatsächlich Einfluss auf die Annahme des Plans hatte.37 Ein wesentlicher Verstoß liegt stets vor, wenn es sich um einen Mangel handelt, der Einfluss auf die Annahme des Insolvenzplans gehabt haben kann. Es muss nicht feststehen, sondern lediglich ernsthaft in Betracht kommen, dass der Mangel tatsächlich Einfluss auf die Annahme des Plans hatte.38 Handelt es sich nur um die Verletzung von Hinweispflichten, dürfte kein wesentlicher Verstoß vorliegen. Anders verhält es sich indessen, wenn zwingende Normen missachtet werden.39 b) Inhalt des Restrukturierungsplans aa) Darstellender Teil, Vergleichsrechnung Der Plan muss einen darstellenden und einem gestaltenden Teil enthalten. Der darstellende 14 Teil eines Restrukturierungsplans muss alle Angaben zu den Grundlagen und den Auswirkungen des Plans enthalten, die für die Entscheidung der Gläubiger über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind. Da das Gesetz auf dem Grundgedanken beruht, dass kein Beteiligter durch den Restrukturierungsplan schlechter als ohne ihn gestellt werden darf, erläutert die Vergleichsrechnung den Umfang der Gläubigerbefriedigung bei einer Verwertung der Masse mit und ohne Plan und unterrichtet die Gläubiger folglich, inwieweit der Plan ihre Befriedigungsaussichten verbessert.40 Nähere Angaben sind für die Vergleichsrechnung (§ 6 Abs. 2 StaRUG) erforderlich, inwieweit der Plan die Befriedigungschancen der Gläubiger verändert.41 Hierbei ist der Umfang der Masse von wesentlicher Bedeutung. Anzugeben sind jedenfalls die Werte, die im Verhältnis zur Größe des Verfahrens von Bedeutung sind für die Meinungsbildung der Gläubiger und des Gerichts.42 Im Ergebnis läuft dies auf eine Evidenz- und Plausibilitätskontrolle hinaus. Es findet keine detaillierte Kontrolle der Richtigkeit von Einzelwerten und prognostischen Annahmen statt.43 Allerdings ist zu untersuchen, ob die Zahlenwerke aktuell, in sich stimmig und nicht widersprüchlich sind, die Alternativen plausibel dargestellt und berechnet werden.44 bb) Gestaltender Teil

Der Grundsatz der Klarheit gebietet den Verzicht auf mehrdeutige und folglich irreführende 15 Regelungen, die einen falschen Eindruck erwecken können. Die Planvorschläge erfordern eine widerspruchsfreie Konzeption und müssen ihrem Inhalt nach so gefasst werden, dass sie weder Widersprüche noch Zweifel aufkommen lassen, welche etwa die künftige Vollstreckbarkeit beeinträchtigen können. Die einzelnen Regelungen des gestaltenden Teils müssen Art, Zeit und 37 38 39 40 41 42 43 44

BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZInsO 2018, 1404 Rz. 54 = ZIP 2018, 1141. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZInsO 2018, 1404 Rz. 54 = ZIP 2018, 1141. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZInsO 2018, 1404 Rz. 9 = ZIP 2018, 1141. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZInsO 2018, 1404 Rz. 33 = ZIP 2018, 1141; Frind, ZInsO 2021, 1093, 1097. Vgl. Frind, ZInsO 2021, 1093, 1097. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZInsO 2018, 1404 Rz. 33 = ZIP 2018, 1141. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 7. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 7.

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§ 46 Rz. 15 | Vorprüfungstermin Umfang der Gläubigerbefriedigung eindeutig und umfassend festlegen.45 Unschädlich ist die Verwendung genereller und abstrakter Anordnungen mit Normcharakter, sofern sie auslegungsfähig sind. Zu beanstanden ist ein Insolvenzplan, der hinsichtlich der Verteilung des Erlöses in sich widersprüchlich ist und deshalb die Gefahr birgt, nicht ausgelegt werden zu können.46 Ein Restrukturierungsplan entbehrt der erforderlichen Klarheit und Widerspruchsfreiheit, wenn zwar eine feste Insolvenzquote bestimmt wird, ihre Fälligkeit aber von aufschiebenden Bedingungen abhängt, die tatsächlich nicht eintreten können und die gebotene Vollstreckungsfähigkeit in Frage stellen. Eine unmögliche Bedingung liegt vor, wenn eine Übereinkunft mit einer Bedingung verbunden wird, von der feststeht, dass sie sich nicht verwirklichen kann. Die Unmöglichkeit des Bedingungseintritts bedeutet im Falle einer auflösenden Bedingung die unbedingte Gültigkeit des Geschäfts. Hingegen führt die Unmöglichkeit des Bedingungseintritts bei einer aufschiebenden Bedingung zur Unwirksamkeit des Geschäfts, weil es keine Geltung erlangen kann.47 Jedenfalls könnte ein Restrukturierungsplan nicht vollstreckbar sein, wenn die Zahlung der Quote von Fälligkeitszeitpunkten abhinge, die nicht eintreten können. Eine Vollstreckung kann nur stattfinden, wenn das maßgebliche Ereignis einer aufschiebenden Bedingung ungewiss ist, aber eintreten kann. Fehlt es daran, ist der Titel nicht vollstreckungsfähig.48 Als zulässige Bedingung kommt in Betracht die Verwirklichung von Gesellschafterbeschlüssen verschiedenster Art, insbesondere eine Kapitalerhöhung oder eine Kapitalherabsetzung, die Neubesetzung von Gremien. Oder auch eine Änderung des Gesellschaftsvertrages. cc) Verfügungen 16 Die Wirksamkeit dinglicher Übertragungen und gesellschaftsrechtlicher Vereinbarungen kann

kontrolliert werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Restrukturierungsplan nach § 68 StaRUG die notarielle Form ersetzt. Vorschriften über die Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung sind zu prüfen.49 Hingegen scheidet eine Prüfung aus, soweit es sich um Maßnahmen handelt, die erst nach Bestätigung des Plans zu vollziehen sind. Dabei geht es um gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen wie eine Übernahmeerklärung bei einer Kapitalerhöhung, die Leistung einer Bareinlage oder die Werthaltigkeit einer Sacheinlage. Insoweit kann sich eine Abstimmung mit dem Registergericht empfehlen.50 c) Gruppenbildung

17 Das Insolvenzgericht untersucht, ob im Restrukturierungsplan die Pflichtgruppen (§ 9 Abs. 1

StaRUG) nach der unterschiedlichen Rechtsstellung der Gläubiger gebildet sind. Die Kontrolle ist darauf zu erstrecken, ob bei der fakultativen Gruppenbildung (§ 9 Abs. 2 StaRUG) Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung und mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zusammengefasst und die Gruppen sachgerecht voneinander abgegrenzt sind, es also für die Unterscheidung zwischen zwei oder mehr gebildeten Gruppen einen sachlich gerechtfertigten Grund gibt. Weiter prüft das Insolvenzgericht, ob die Voraussetzungen der Gruppenbildung eingehalten sind. Prüfungsgrundlage hinsichtlich der Gruppenbildung ist allein die Tragfähigkeit der im Plan angegebenen Kriterien.51 Es kann nur die Rechtmäßigkeit, nicht Zweckmäßigkeit der Gruppenbildung geprüft werden.52

45 46 47 48 49 50 51 52

BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZInsO 2018, 1404 Rz. 41 ff., 47 ff. = ZIP 2018, 1141. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZInsO 2018, 1404 Rz. 40 = ZIP 2018, 1141. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZInsO 2018, 1404 Rz. 43 = ZIP 2018, 1141. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZInsO 2018, 1404 Rz. 47 ff. = ZIP 2018, 1141. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 11. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 11. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 Rz. 9 = ZIP 2015, 1346. Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 9.

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Antrag | § 47

d) Erfüllbarkeit von Ansprüchen, neue Finanzierung Gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG ist lediglich zu prüfen, ob Ansprüche der Planbetroffenen 18 und der übrigen Gläubiger offensichtlich nicht erfüllt werden können. Handelt es sich um eine neue Finanzierung, beschränkt § 63 Abs. 2 StaRUG die Prüfung auf die Schlüssigkeit des Restrukturierungskonzepts, die Richtigkeit der tatsächlichen Grundlagen sowie begründete Erfolgsaussichten.

VI. Hinweisbeschluss (§ 46 Abs. 2 StaRUG) Das Ergebnis der Vorprüfung fasst das Gericht in einem Hinweisbeschluss zusammen. Dieser 19 kann nach Maßgabe des § 38 StaRUG entweder in dem Termin mündlich verkündet oder schriftlich im Nachgang zu dem Termin erlassen werden.53 Der Hinweisbeschluss entfaltet zwar keine Bindungswirkung für das weitere Verfahren.54 § 46 StaRUG enthält keine Regelung, wonach das Insolvenzgericht bei der Entscheidung über die Bestätigung eines Insolvenzplans nach § 63 StaRUG an das Ergebnis seiner Vorprüfung gebunden ist. Dies wäre mit Sinn und Zweck der Vorprüfung nicht vereinbar. Vielmehr hat das Gericht unabhängig von der im Rahmen der Vorprüfung getroffenen Entscheidung stets zu prüfen, ob die Bestätigung eines Insolvenzplans nach § 63 StaRUG von Amts wegen zu versagen ist.55 Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs wird das Restrukturierungsgericht allerdings, wenn es im weiteren Verfahrensverlauf von seinem Hinweisbeschluss abweichen will, regelmäßig auf die beabsichtigte Abweichung rechtzeitig hinweisen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen.56

Abschnitt 3 Vorprüfung (§§ 47-48)

§ 47 Antrag 1

Auf Antrag des Schuldners führt das Restrukturierungsgericht auch dann eine Vorprüfung durch, wenn der Restrukturierungsplan nicht im gerichtlichen Verfahren zur Abstimmung gebracht werden soll. 2Gegenstand einer solchen Vorprüfung kann jede Frage sein, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich ist. 3Neben den in § 46 Abs. 1 Satz 2 genannten Gegenständen können dies insbesondere auch die Anforderungen sein, die an das Planabstimmungsverfahren nach den §§ 17 bis 22 zu stellen sind. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256).

53 Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 14. 54 BT-Drucks. 19/24181, S. 148; Thole, ZIP 2020, 1985, 1994; Gehrlein, BB 2021, 66, 73; Bork, NZI-Beilage 2021, 38, 39; Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 46 StaRUG Rz. 9. 55 BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, BGHZ 214, 78, NJW 2017, 2280 Rz. 15 = ZIP 2017, 482. 56 BT-Drucks. 19/24181, S. 148; Gehrlein, BB 2021, 66, 73; Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 15.

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§ 47 Rz. 1 | Antrag I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Antrag (§ 47 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) . . . .

1 2 3

IV. Prüfungsgegenstände (§ 47 Abs. 1 Satz 2, 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4

I. Regelungsgegenstand 1 Die §§ 47 f. StaRUG erlauben eine Vorprüfung nach dem Vorbild des § 46 StaRUG auch dann,

wenn der Plan nicht in einem gerichtlichen Verfahren zur Abstimmung gestellt wird, sondern im Rahmen eines privatautonom organisierten Abstimmungsprozesses (§§ 17 ff. StaRUG).1 Die Vorprüfung nach Maßgabe des § 47 StaRUG wird ermöglicht, wenn der Plan entweder im schriftlichen Verfahren nach §§ 17–19 StaRUG oder in einer Versammlung der Planbetroffenen nach § 20 StaRUG angenommen wurde.2 Damit bildet § 47 StaRUG das Gegenstück zu § 46 StaRUG, der die Vorprüfung gestattet, wenn der Plan in einem gerichtlichen Abstimmungstermin gebilligt wurde. Es ist sachgerecht, dass der Gesetzgeber ungeachtet der Form der Planabstimmung die Vorprüfung ermöglicht.3 Auch in den Fällen privatautonomer Abstimmung können Unsicherheiten zu der Frage bestehen, ob der Restrukturierungsplan bestätigungsfähig ist.4

II. Normzweck 2 Die Norm setzt Art. 9 Abs. 5 Satz 2 der Restrukturierungs-RL um. Danach soll eine gericht-

liche Vorprüfung auch dann möglich sein, wenn der Restrukturierungsplan nicht im gerichtlichen Verfahren zur Abstimmung gestellt wird.5 Die Gegenstände der Vorprüfung entsprechen grundsätzlich den Vorgaben des § 46 StaRUG. Freilich dürfte es sich eher um eine punktuelle Prüfung handeln, weil die Abstimmung in den Händen des Schuldners liegt. Das Gericht muss sich zu einer konkreten Rechtsfrage äußern, ohne in das bisherige und weitere Verfahren umfassend eingebunden zu sein.6

III. Antrag (§ 47 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) 3 Die Vorprüfung erfordert gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 StaRUG, wie auch die Vorprüfung nach

§ 46 StaRUG, einen Antrag des Schuldners. Die besonderen Antragsvoraussetzungen des § 60 Abs. 2 StaRUG, die für den Bestätigungsantrag eine Zustimmung der nicht von ihrer Haftung befreiten persönlich haftenden Gesellschafter verlangen, sind auf die Vorprüfung nicht zu erstrecken. Der notwendige Restrukturierungsbeauftragte ist gem. § 76 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG ebenfalls antragsbefugt. Im Unterschied zu § 46 StaRUG sieht § 47 StaRUG keine Vorprüfung von Amts wegen vor.7 Dies leuchtet ein, weil das Gericht nicht in das Abstimmungsverfahren einbezogen ist und darum schwerlich Kenntnis über rechtliche Zweifelsfragen erlangt. Mit dem Antrag können mehrere Rechtsfragen zur Prüfung gestellt werden.8 Eine über die unter1 2 3 4 5 6 7 8

Desch, BB 2020, 2498, 2504. Laroche in Flöther, 2021, § 47 StaRUG Rz. 1. Laroche in Flöther, 2021, § 47 StaRUG Rz. 1. BT-Drucks. 19/24181, S. 148 f. ABl. EU Nr. L 172 v. 26.6.2019. Thole, ZIP 2020, 1985, 1994; T. Hirte in Braun, 2021, § 47 StaRUG Rz. 1. Laroche in Flöther, 2021, § 47 StaRUG Rz. 2. Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 47 StaRUG Rz. 4; Laroche in Flöther, 2021, § 47 StaRUG Rz. 2.

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Verfahren | § 48

breiteten Prüfungsgegenstände hinausgehende gerichtliche Kontrolle findet grundsätzlich nicht statt. Freilich ist das Gericht berechtigt, nach Maßgabe von § 38 StaRUG i.V.m. § 139 ZPO über den Antrag hinausgehende Hinweise zu erteilen, wenn es entsprechende Kenntnisse gewinnt.9

IV. Prüfungsgegenstände (§ 47 Abs. 1 Satz 2, 3 StaRUG) Gegenstand der Vorprüfung können, wie auch im Rahmen eines Vorprüfungstermins im ge- 4 richtlichen Planabstimmungsverfahrens nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG, alle für eine etwaige spätere Planbestätigung erheblichen Fragen sein, insbesondere also auch die in der Aufzählung des § 46 Abs. 1 StaRUG genannten Gegenstände.10 Diese Aufzählung ist aber auch für die Vorprüfung nach § 47 StaRUG nicht abschließend.11 Insbesondere können Fragen, die das Verfahren der privatautonom organisierten Planabstimmung betreffen, einer Klärung zugeführt werden,12 etwa die Auswahl der Planbetroffenen und die Gruppeneinteilung,13 die Ladung und Tagungsleitung14 sowie die Bemessung der Stimmrechte.15 Damit können sämtliche über § 46 Abs. 1 Satz 2 StaRUG rechtliche Zweifelsfragen hinaus durch einen Hinweisbeschluss des Restrukturierungsgerichts geklärt werden.16 Die Prüfung kann sich insbesondere auf die Rechtmäßigkeit der von dem Schuldner privatautonom nach §§ 17 ff. StaRUG durchgeführten Planabstimmung erstrecken,17 zumal das Gesetz bei der außergerichtlichen Abstimmung dem Schuldner weitgehende Freiheiten lässt.18 Diese Prüfungsmöglichkeit ist im Interesse einer Fehlervermeidung gerade bei der privatautonomen Abstimmung im Blick auf die spätere Bestätigung des Restrukturierungsplans zu begrüßen.19 Für die gerichtliche Bestätigung des Plans bedeutungslose Fragen können nicht Gegenstand der Vorprüfung sein. Ebenfalls ist eine Vorprüfung verwehrt, wenn der Schuldner tatsächlich eine gerichtliche Planbestätigung nicht erstrebt oder eine Planbestätigung aus anderen Gründen ausscheidet.20

§ 48 Verfahren (1) Die von der Vorprüfungsfrage berührten Planbetroffenen sind anzuhören. (2) 1Das Ergebnis der Vorprüfung fasst das Gericht in einem Hinweis zusammen. 2Der Hinweis soll innerhalb von zwei Wochen nach Antragstellung oder, sofern ein Anhörungstermin stattfindet, innerhalb von zwei Wochen nach diesem Termin ergehen. 3Für die Ladung zu dem Anhörungstermin gelten § 45 Absatz 3 und § 46 Absatz 1 Satz 4 entsprechend. 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Laroche in Flöther, 2021, § 47 StaRUG Rz. 2. Rechtmann, WM 2021, 520, 524; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 47 StaRUG Rz. 2. Laroche in Flöther, 2021, § 47 StaRUG Rz. 3. BT-Drucks. 19/24181, S. 149; Laroche in Flöther, 2021, § 47 StaRUG Rz. 3. Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 47 StaRUG Rz. 2. Laroche in Flöther, 2021, § 47 StaRUG Rz. 3. Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 47 StaRUG Rz. 3; Laroche in Flöther, 2021, § 47 StaRUG Rz. 3. Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 47 StaRUG Rz. 1. T. Hirte in Braun, 2021, § 47 StaRUG Rz. 5. Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 47 StaRUG Rz. 6. Thole, ZIP 2020, 1985, 1994. Laroche in Flöther, 2021, § 47 StaRUG Rz. 4.

Gehrlein | 865

§ 48 Rz. 1 | Verfahren In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften v. 20.7.2022 (BGBl. I 2022, 1166). I. II. III. IV. 1.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhörung (§ 48 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . Hinweisbeschluss (§ 48 Abs. 2 StaRUG) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Drohende Zahlungsunfähigkeit . . . . . . b) Vergleichsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswahl der Planbetroffenen . . . . . . . .

1 2 3 5 5 6 7 8

aa) Gruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . d) Schlechterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Konsortialkredit . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Unlauterkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 11 12 13 14 15

I. Regelungsgegenstand 1 Die Bestimmung befasst sich mit dem Ablauf der in § 47 StaRUG geregelten Vorprüfung. Zu-

gleich wird das von dem Gericht zu beachtende Verfahren geregelt.1 Damit ergänzt die Vorschrift die Vorprüfung des § 47 StaRUG um Verfahrensregeln.2 Das Gericht hat nach Anhörung der Planbetroffenen (§ 48 Abs. 1 StaRUG) das Ergebnis der Vorprüfung in einem Hinweisbeschluss zusammenzufassen (§ 48 Abs. 2 Satz 1 StaRUG). Dem Gericht ist es freigestellt, ob es einen mündlichen Anhörungstermin anberaumt oder eine schriftliche Anhörung durchführt.3 Abweichend ist im Verfahren der Vorprüfung nach § 46 StaRUG stets ein mündlicher Anhörungstermin geboten.4

II. Normzweck 2 Das Erfordernis der vorherigen Anhörung der von den Vorprüfungsfragen berührten Plan-

betroffenen dient zum einen dazu, diesen Planbetroffenen rechtliches Gehör zu gewähren. Zum anderen werden dem Restrukturierungsgericht so etwaige Einwände der Planbetroffenen bekannt. Dadurch kann vermieden werden, dass das Gericht später allein deshalb von seiner im Hinweisbeschluss nach § 48 Abs. 2 StaRUG geäußerten Auffassung wieder abrücken muss, weil ihm erst später Einwände bekannt werden, die Planbetroffene schon im Zeitpunkt der Vorprüfungsentscheidung hatten.5 Es liegt im Ermessen des Gerichts, ob es einen Anhörungstermin ansetzt oder die Anhörung schriftlich vornimmt.6 Etwaige Anregungen des Schuldners oder der Planbetroffenen sollten angemessen berücksichtigt werden.7 Es dient den Interessen des Schuldners, die zu prüfende Frage exakt zu umschreiben und die zutreffende ladungsfähige Anschrift der Betroffenen mitzuteilen, um eine ordnungsgemäße Anhörung zu gewährleisten.8

1 Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 48 StaRUG Rz. 1; T. Hirte in Braun, 2021, § 48 StaRUG Rz. 1. 2 Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 1. 3 Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 1. 4 Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 1. 5 BT-Drucks. 19/24181, S. 149; Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 3. 6 BT-Drucks. 19/24181, S. 149; Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 3. 7 Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 6. 8 Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 2.

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Verfahren | Rz. 5 § 48

III. Anhörung (§ 48 Abs. 1 StaRUG) Nach § 48 Abs. 1 StaRUG sind die von der Vorprüfungsfrage berührten Planbetroffenen an- 3 zuhören.9 Nach dem Wortlaut der Bestimmung ist nicht allen Planbetroffenen rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) zu gewähren, sondern nur denjenigen, deren Rechtsstellung durch die vorgelegte Prüfungsfrage beeinträchtigt werden kann.10 Freilich sollte das Gericht bei der Bestimmung des Kreises der Anhörungsberechtigten großzügig verfahren, um zu verhindern, dass mit Rücksicht auf möglicherweise entfernte Auswirkungen eine gebotene Anhörung versäumt wird.11 Sämtliche Beteiligten sind betroffen, wenn die Vorprüfung das Stimmrecht, auch eine Vollmacht, oder die Gruppenbildung tangiert und damit Auswirkungen auf die Mehrheitsverhältnisse hat.12 Gleiches dürfte gelten, wenn die Vergleichsrechnung, die Bewertung von Sicherheiten oder die Vollstreckbarkeit des Plans in Rede steht.13 Eine beschränkte Anhörung ist angezeigt, soweit die zu prüfende Frage sich auf die Mitglieder einer Gruppe beschränkt.14 Unschädlich ist es, wenn sämtliche Betroffenen, auch falls sie nicht tangiert sind, angehört werden.15 Der Zweck der Anhörung liegt über der Gewährung rechtlichen Gehörs darin, dem Gericht im Rahmen der Amtsermittlung die tatsächlichen Grundlagen seiner Entscheidung zu vermitteln.16 Nach§ 48 Abs. 2 Satz 3 StaRUG finden § 45 Abs. 3, § 46 Abs. 1 Satz 4 StaRUG entsprechende 4 Anwendung. Aus der entsprechenden Anwendung von § 45 Abs. 3 StaRUG ergibt sich, dass die Planbetroffenen zu laden sind, der Termin aber auch ohne Anwesenheit aller geladenen Planbetroffenen durchgeführt werden kann. Der Verweis auf § 46 Abs. 1 Satz 4 StaRUG soll klarstellen, dass die Ladungsfrist mindestens sieben Tage beträgt.17 Der in der Ursprungsfassung des StaRUG insoweit enthaltene Redaktionsfehler wurde mit dem Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen behoben.18 Mit der Ladung kann das Gericht den Schuldner nach Maßgabe der §§ 191–194 ZPO betrauen, an seiner Stelle den Restrukturierungsbeauftragten, wenn dieser die Vorprüfung beantragt hat.19 Dem Restrukturierungsbeauftragten, nicht dem an §§ 191–194 ZPO gebundene Schuldner steht die vereinfachte Ladung durch Aufgabe zur Post offen. Nach einem Antrag auf Vorprüfung sollte das Gericht die Ladung unverzüglich anordnen.20

IV. Hinweisbeschluss (§ 48 Abs. 2 StaRUG) 1. Inhalt Den wesentlichen Inhalt der Vorprüfung fasst das Gericht in einem Hinweisbeschluss zusam- 5 men. Der Hinweisbeschluss entfaltet, ebenso wie der Hinweisbeschluss bei der Vorprüfung im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren nach § 46 Abs. 2 StaRUG, keine Bindungswirkung.21 Das Restrukturierungsgericht kann späteren Entscheidungen, insbesondere der Plan9 Rechtmann, WM 2021, 520, 524. 10 Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 48 StaRUG Rz. 2. 11 Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 48 StaRUG Rz. 2; Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 4. 12 Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 4. 13 Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 4. 14 Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 4. 15 Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 2. 16 Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 48 StaRUG Rz. 2. 17 BT-Drucks. 19/24181, S. 149. 18 Gesetz v. 20.7.2022, BGBl. I 2022, 1166. 19 T. Hirte in Braun, 2021, § 48 StaRUG Rz. 4. 20 T. Hirte in Braun, 2021, § 48 StaRUG Rz. 5. 21 BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, BGHZ 214, 78, NJW 2017, 2280 Rz. 15 = ZIP 2017, 482.

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§ 48 Rz. 5 | Verfahren bestätigungsentscheidung, eine abweichende Rechtsauffassung zugrunde legen. Freilich muss es vor einem Abweichen von dem Hinweisbeschluss den Beteiligten rechtliches Gehör eröffnen.22 a) Drohende Zahlungsunfähigkeit 6 Grundsätzlich ist für die Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) die vol-

le richterliche Überzeugung erforderlich, die im Rahmen der Amtsermittlung nach § 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG zu bilden ist. An der Überzeugung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit fehlt es danach, wenn es einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % entbehrt, dass Kredite über den Ablauf von 24 Monaten hinaus nicht verlängert werden sollen.23 b) Vergleichsrechnung

7 Die Vergleichsrechnung ist nicht zu beanstanden, wenn die „absolute“ Untergrenze – ein Ver-

gleich mit den Werten, die sich bei der Liquidation im Insolvenzverfahren ergeben – eingehalten ist. Wird ein alternatives Fortführungsszenario oder die Möglichkeit einer Veräußerbarkeit ohne Planeingriffe von der Schuldnerin vereint, müssen solche Möglichkeiten, wenn sie nicht ohne weiteres ersichtlich sind, von den widersprechenden Planbetroffenen dargelegt werden. Wer sich dann darauf beruft, dass es auch ohne die Insolvenz glimpflicher für die Gläubiger ausgehen würde, muss dies entsprechend belegen.24 Eine Vergleichsrechnung ist unschlüssig, wenn sie nur auf die beiden Szenarien „Fortführung auf einer Standalone-Basis mit Verkaufs- und Verwertungsprozess betreffend die E-Gruppe“ und „Fortführung unter Akquisition einer Zielgesellschaft mit Verkaufs- und Verwertungsprozess betreffend die E-Gruppe“ (Restrukturierungsszenario) abstellt. Es ist das Restrukturierungsszenario auch mit dem Szenario „Fortführung auf einer Standalone-Basis ohne Verkaufs- und Verwertungsprozess betreffend die E-Gruppe“ als möglicherweise nächstbestem Szenario zu vergleichen.25 Eine Vergleichsrechnung ist nicht unschlüssig, soweit die Schuldnerin das Restrukturierungszenario nicht mit einem Szenario mit einem anderen Restrukturierungsplan vergleicht. Dies würde entgegen dem Willen des Gesetzgebers dazu führen, dass eine Überprüfung jeder Regelung eines Restrukturierungsplans auf seine Erforderlichkeit hin vorzunehmen wäre.26 c) Auswahl der Planbetroffenen

8 Die Auswahl der Planbetroffenen hat den Vorgaben des § 8 StaRUG zu genügen. Es ist un-

schädlich, wenn der von der Schuldnerin vorgelegte Restrukturierungsplan nur die Kreditgeberinnen eines Konsortialkreditvertrags durch einen Eingriff in ihre Rechte, nicht jedoch auch Anteilseigner bzw. Anteilsrechte oder nachrangige Gesellschafterdarlehen betrifft. Weder § 2 Abs. 3 StaRUG noch § 8 StaRUG erfordern eine Planbetroffenheit von Anteilseignern bzw. Eingriffe in Anteilsrechte oder nachrangige Gesellschafterdarlehen.27

22 BT-Drucks. 19/24181, S. 149; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 48 StaRUG Rz. 4; T. Hirte in Braun, 2021, § 48 StaRUG Rz. 6; Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 5. 23 AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZInsO 2021, 868 = ZIP 2021, 806. 24 AG Hamburg v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, NZI 2021, 544 Rz. 11 m. Anm. Grau/Pohlmann/Radunz, NZI 2021, 522 ff. = ZIP 2021, 1354. 25 AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZInsO 2021, 868, 870 = ZIP 2021, 806. 26 AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZInsO 2021, 868, 870 = ZIP 2021, 806. 27 AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZInsO 2021, 868, 869 = ZIP 2021, 806.

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Verfahren | Rz. 12 § 48

aa) Gruppenbildung § 9 Abs. 1 StaRUG sieht vor, dass bei der Festlegung der Rechte der Planbetroffenen im Re- 9 strukturierungsplan Gruppen zu bilden sind, soweit Planbetroffene mit unterschiedlicher Rechtsstellung betroffen sind. Im Regelfall sind vier Gruppen einzurichten. Dabei ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen Inhabern von Absonderungsanwartschaftsrechten (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StaRUG), den Inhabern von Forderungen, die im Falle einer Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als nicht nachrangige Insolvenzforderungen geltend zu machen wären nebst darauf entfallender Zinsen und Säumniszuschläge (einfache Restrukturierungsgläubiger, § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StaRUG), den Inhabern in einem Insolvenzverfahren gem. § 39 Abs. 1 Nr. 4, 5 Abs. 2 InsO nachrangigen Forderungen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StaRUG) und den Inhabern von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StaRUG). Eine weitere Gruppe ist im Blick auf Gläubiger aus gruppeninternen Drittsicherheiten zu bilden, wenn der gestaltende Teil des Restrukturierungsplans Eingriffe in die Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten vorsieht (§ 9 Abs. 1 Satz 3 StaRUG).28 Werden Kreditgeberinnen eines Konsortialkredits drei verschiedenen Gruppen zugeteilt, wi- 10 derspricht dies dem auch für einen Restrukturierungsplan anzunehmenden Differenzierungsverbot.29 Ausnahmsweise ist diese nicht sachgerechte Einteilung jedoch unschädlich. Die Zusammensetzung aller drei Gruppen und die anteiligen Stimmrechte in jeder der drei Gruppen sind identisch, so dass faktisch ein „Ein-Gruppen-Plan“ vorliegt. Da keine weiteren Gruppen mit weiteren Planbetroffenen vorliegen und die Zusammensetzung aller drei Gruppen und die anteiligen Stimmrechte in jeder der drei Gruppen identisch sind, kann keiner der Planbetroffenen einfacher oder schwieriger überstimmt werden, als dies bei der sachgerechten Bildung nur einer Gruppe der Fall wäre.30 bb) Ungleichbehandlung Eine Ungleichbehandlung einer Planbetroffenen liegt nicht vor, wenn die Option, eine Siche- 11 rung für eine neue Finanzierung zu erhalten, allen Kreditgebern gleichermaßen eingeräumt wird. Dass ein Planbetroffener diese Option nicht wahrnehmen möchte, ist für die Frage einer Ungleichbehandlung unerheblich. Unerheblich ist auch, dass diese Option den hierfür optierenden Kreditgebern zugleich eine nachrangige Absicherung der Verbindlichkeiten aus dem bestehenden Konsortialkreditvertrag verschafft, den nicht hierfür optierenden Kreditgebern hingegen nicht.31 d) Schlechterstellung Bei der Prüfung, ob überstimmte Planbetroffene durch den Restrukturierungsplan schlechter 12 gestellt werden als ohne diesen Plan, kann als Vergleichsmaßstab nicht ohne weiteres ein Insolvenzverfahren mit einem Liquidationsszenario als Vergleichsmaßstab herangezogen werden, sondern es ist vielmehr grundsätzlich auf das nächstbeste Alternativszenario32 abzustellen. Sofern sich aber kein konkretes und verlässliches Alternativszenario unter Ansatz von Fortführungswerten darstellen lässt, ist die Insolvenz des Schuldners Vergleichsmaßstab. Haben sämtliche überstimmte Planbetroffene Forderungen, die in einem Insolvenzverfahren nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig wären, würden sie auch in einem solchen Szenario

28 29 30 31 32

AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZInsO 2021, 868, 869 = ZIP 2021, 806. AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZInsO 2021, 868, 869 = ZIP 2021, 806. AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZInsO 2021, 868, 869 = ZIP 2021, 806. AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZInsO 2021, 868, 869 = ZIP 2021, 806. Vgl. Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1092.

Gehrlein | 869

§ 48 Rz. 12 | Verfahren aller Voraussicht nach keine Befriedigung ihrer Forderungen zu erwarten haben.33 Als nächstbestes Alternativszenario maßgeblich ist die Situation, in der sich der Gläubiger im Fall des Scheiterns des Plans wiederfinden würde; eine Liquidation als bestes Alternativszenario darf nur dann unterstellt werden, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist.34 Nächstbestes Alternativszenario ist die Liquidation, wenn Auftraggeber die Geschäftsbeziehung nicht mit einem in Insolvenz befindlichen Unternehmen fortsetzen werden und ein Übernahmeinteressent nicht vorhanden ist.35 e) Konsortialkredit 13 Der gerichtliche Prüfungsmaßstab ist hinsichtlich der wirtschaftlichen Annahmen des Plans

deutlich reduziert. Es hat anstelle einer Amtsprüfung lediglich eine Schlüssigkeitskontrolle zu erfolgen. Der Maßstab entspricht dem aus dem Insolvenzplanverfahren bekannten Prüfungsmaßstab.36 Ein Konsortialkreditvertrag und eine Sanierungsvereinbarung können durch einen Restrukturierungsplan umfassend geändert werden. Eine Beschränkung auf die für die Erreichung des Restrukturierungsziels zwingend erforderlichen Änderungen ist weder dem Gesetz noch der Gesetzesbegründung zu entnehmen. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich vielmehr, dass es für die Phase der Umsetzung der Restrukturierung zweckmäßig (nicht: erforderlich) sein kann, übermäßig restriktive Bedingungen und Nebenbestimmungen zu lockern oder an die Restrukturierungssituation anzupassen. Möglich sind damit auch Regelungen mit einer „überschießenden Tendenz“, da keine Erforderlichkeit, sondern nur eine Zweckmäßigkeit für eine Änderung vorliegen muss.37 f) Unlauterkeit

14 Unlauterkeit liegt noch nicht vor, wenn ein Planbetroffener anders als die übrigen Planbetrof-

fenen vom Informationsfluss im Vorfeld der Anzeige des Restrukturierungsverfahrens abgeschnitten wurde. Etwaige Verpflichtungen der Beteiligten vor Anzeige des Restrukturierungsvorhabens sind dem StaRUG nicht zu entnehmen. Sie wären auch nicht von § 63 Abs. 4 StaRUG erfasst, der lediglich die unlautere Herbeiführung der Annahme eines Restrukturierungsplans erfasst. Unerheblich für das Restrukturierungsverfahren wäre es, wenn Informations- und Treuepflichten im Innenverhältnis eines Konsortiums verletzt worden wären, solange dies nicht weitere Folgen nach sich zieht. Die auch im Restrukturierungsverfahren geltenden Grundsätze des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs stellen letztlich sicher, dass jeder Verfahrensbeteiligte im laufenden Restrukturierungsverfahren seine Rechte wahren kann.38

2. Frist 15 Das Gericht soll nach § 48 Abs. 2 Satz 2 StaRUG innerhalb von zwei Wochen nach Antrag-

stellung oder, sofern ein Anhörungstermin stattfindet, innerhalb von zwei Wochen nach dem Termin den Hinweisbeschluss erlassen. Die nicht zwingend einzuhaltende Sollfrist von zwei Wochen zur Entscheidung über den Vorprüfungsantrag dient der Verfahrensbeschleuni-

33 AG Hamburg v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, NZI 2021, 544 Rz. 7 m. Anm. Grau/Pohlmann/Radunz, NZI 2021, 522 ff. = ZIP 2021, 1354. 34 AG Dresden v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, ZInsO 2021, 1398; vgl. Skauradszun, KTS 2019, 161, 186 f. 35 AG Dresden v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, ZInsO 2021, 1398. 36 AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZInsO 2021, 868, 870 = ZIP 2021, 806. 37 AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZInsO 2021, 868 = ZIP 2021, 806. 38 AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZInsO 2021, 868, 870 = ZIP 2021, 806.

870 | Gehrlein

Stabilisierungsanordnung | § 49

gung.39 Die zeitlichen Vorgaben können nicht eingehalten werden, falls der Schuldner vom Gericht angeforderte Unterlagen nachreichen muss.40 Bei mehreren Vorprüfungsfragen oder einer hohen Komplexität kann im Einzelfall auch eine längere Entscheidungsfrist gerechtfertigt sein.41

Abschnitt 4 Stabilisierung (§§ 49-59)

§ 49 Stabilisierungsanordnung (1) Soweit dies zur Wahrung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist, ordnet das Restrukturierungsgericht auf Antrag des Schuldners an, dass 1. Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagt oder einstweilen eingestellt werden (Vollstreckungssperre) und 2. Rechte an Gegenständen des beweglichen Vermögens, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Ab- oder Aussonderungsrecht geltend gemacht werden könnten, von dem Gläubiger nicht durchgesetzt werden dürfen und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind (Verwertungssperre). (2) 1Forderungen, die nach § 4 einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan unzugänglich sind, bleiben von einer Anordnung nach Absatz 1 und deren vertragsrechtlichen Wirkungen unberührt. 2Die Anordnung kann sich im Übrigen gegen einzelne, mehrere oder alle Gläubiger richten. (3) Die Anordnung nach Absatz 1 kann auch das Recht von Gläubigern zur Durchsetzung von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Absatz 4) sperren. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV. 1.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historie und EU-Richtlinien-Grundlage Erlass einer Stabilisierungsanordnung . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 4 6 11 11 12 16

c) Drohende Zahlungsunfähigkeit . . . . . d) Erforderlich zur Wahrung der Aussichten auf Verwirklichung des Restrukturierungsziels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auslegung anhand der Restrukturierungs-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auslegung anhand von Wortsinn und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . .

18 21 22 23 24

39 Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 5. 40 T. Hirte in Braun, 2021, § 48 StaRUG Rz. 7. 41 BT-Drucks. 19/24181, S. 149; T. Hirte in Braun, 2021, § 48 StaRUG Rz. 7; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 48 StaRUG Rz. 5; Laroche in Flöther, 2021, § 48 StaRUG Rz. 5.

Gehrlein und Schönen/Bender | 871

§ 49 Rz. 1 | Stabilisierungsanordnung (2) Kein gleich geeignetes milderes Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonderfall der gruppeninternen Drittsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Voraussetzungen des § 51 StaRUG . . . 2. Anordnungsgegner (§ 49 Abs. 2 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anordnungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . a) Vollstreckungssperre (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Reichweite einer Vollstreckungssperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . (2) Arrestverfahren; einstweilige Verfügungsverfahren . . . . . . . . (3) Maßnahmen der Geltendmachung von Forderungen; keine Stundungswirkung . . . . . . . . . . (4) Aufrechnung und Verrechnung

31 32 35 36 37 40 40 42 42 43 44 47

bb) Rechtsfolgen einer Vollstreckungssperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwertungssperre (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Durchsetzungssperre . . . . . . . . . . . bb) Verwendungsbefugnis . . . . . . . . . . c) Sperrung der Durchsetzung von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 49 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . d) Ausschluss von Forderungen und Rechten nach § 49 Abs. 2 Satz 1 StaRUG . . 4. Rechtsfolgen des Antrags . . . . . . . . . . . . a) Entscheidung über den Antrag . . . . . . b) Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Besondere Mitteilungspflichten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der gestaltbaren Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gerichtskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51 57 60 63 68 71 73 73 76 78 79 80

Schrifttum: Balthasar, Allgemeine Zugangsvoraussetzungen zu den Restrukturierungsinstrumenten, NZI-Beilage 2021, 18; Bork, Neue Grundfragen des Restrukturierungsrechts, ZRI 2021, 345; Fischer, Steuerrechtliche Implikationen des StaRUG, NZI-Beilage 2021, 69; Frind, Nutzen und Grenzen der Stabilisierungsanordnung im StaRUG-Verfahren aus gerichtlicher Sicht, ZRI 2021, 697; Hintzen, Vollstreckungssperre nach § 49 StaRUG in der Immobiliarvollstreckung, ZfIR 2021, 64; Hoegen/Kranz, Neue Möglichkeiten der Konzernsanierung durch SanInsFoG und StaRUG, NZI 2021, 105; Knauth, Revolvierende Kreditsicherheiten und vorinsolvenzliche Restrukturierung nach Maßgabe des StaRUG, NZI 2021, 158; Riggert, Allgemeine Grundsätze der Stabilisierung nach dem StaRUG, NZI-Beilage 2021, 40; Skauradszun, Unterbricht die Aussetzung in präventiven Restrukturierungsrahmen auch anhängige Erkenntnisverfahren?, ZRI 2020, 404; Smid, Verwertungssperren nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, ZInsO 2021, 198; Thole, Der Richtlinienvorschlag zum präventiven Restrukturierungsrahmen, ZIP 2017, 101; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Thole, Stabilisierung und vertragsrechtliche Wirkungen des StaRUG, ZRI 2021, 231; Trowski, Die „anderweitige Vereinbarung“ nach § 54 II StaRUG: Braucht das StaRUG den „unechten“ Restrukturierungskredit?, NZI 2021, 297; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 2), ZInsO 2020, 2677.

I. Regelungsgegenstand 1 Bei der Stabilisierungsanordnung handelt es sich um ein Instrument des Stabilisierungs-

und Restrukturierungsrahmens (§ 29 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG), das der Schuldner gleichzeitig oder unabhängig von dem Planabstimmungsverfahren in Anspruch nehmen kann. Es ist eine der vom Gesetzgeber geschaffenen gesetzlichen Verfahrenshilfen, um vorinsolvenzliche Sanierungen zu stärken.1 Die Vorschrift regelt die Ausgestaltung der verschiedenen Typen der Stabilisierungsanordnung (Vollstreckungs- und Verwertungssperre) und konkretisiert damit den § 29 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG. Eine Stabilisierungsanordnung wird dabei nur auf Antrag des Schuldners erlassen (§ 49 Abs. 1 i.V.m. § 50 StaRUG). 1 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 93; IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Vorbemerkung.

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Stabilisierungsanordnung | Rz. 5 § 49

§ 49 Abs. 1 StaRUG enthält die allgemeine Vorgabe, dass die Stabilisierungsanordnung zur 2 Wahrung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels dienen muss. Die konkreten Voraussetzungen für den Erlass einer Stabilisierungsanordnung ergeben sich aus § 51 StaRUG. § 49 Abs. 2 und 3 StaRUG betreffen die Reichweite einer Stabilisierungsanordnung. Gemäß 3 Abs. 2 bleiben von einer Stabilisierungsanordnung jene Forderungen unberührt, die nach § 4 StaRUG von einer Umgestaltung im Rahmen eines Restrukturierungsplans generell ausgeschlossen sind. Jenseits dieser Einschränkung können aber sämtliche Gläubiger des Schuldners und nicht nur die Planbetroffenen von einer Stabilisierungsanordnung erfasst werden. Aus Abs. 3 ergibt sich zudem, dass die Wirkung einer Stabilisierungsanordnung nicht auf Forderungen und Rechte der Gläubiger gegenüber dem Schuldner beschränkt sein muss, sondern sich auch auf Rechte der Gläubiger gegenüber mit dem Schuldner verbundenen Unternehmen erstrecken kann.

II. Normzweck Die Stabilisierungsanordnung ist eines der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturie- 4 rungsrahmens, die dem Schuldner die Umsetzung seines Restrukturierungsvorhabens ermöglichen bzw. die Verhandlungen über einen Restrukturierungsplan unterstützen sollen (vgl. ErwGr. 32 der Restrukturierungs-RL).2 Indem die Stabilisierungsanordnung Gläubiger daran hindert, ihre Rechte im Wege der Zwangsvollstreckung oder Verwertung von Vermögensgegenständen gegen den Schuldner durchzusetzen, soll das Restrukturierungsvorhaben im Interesse aller Beteiligten geschützt und die erfolgreiche Durchführung ermöglicht werden.3 Ziel einer Stabilisierungsanordnung kann dabei insbesondere auch der Zusammenhalt des 5 für die Betriebsfortführung erforderlichen technisch-organisatorischen Verbunds des Schuldnervermögens sein.4 Außerdem kann eine Stabilisierungsanordnung der passiven Sicherung der erforderlichen Liquidität während der Umsetzung des Restrukturierungsvorhabens dienen, indem sie den Schuldner vor unfreiwilligem Vermögensentzug schützt.5 Zwar kann der Schuldner mit einer Stabilisierungsanordnung keine Stundung seiner fälligen und fällig werdenden Verbindlichkeiten erreichen.6 Insoweit bleiben die Anforderungen an die Liquiditätsausstattung des Schuldners unverändert. Aber die Stabilisierungsanordnung kann bewirken, dass Vollstreckungen in Bankkonten des Schuldners untersagt sind. Bei mit Pfandrechten belasteten Bankkonten bleibt jedoch ein Widerruf der Befugnis, über das Kontoguthaben zu verfügen, unter Umständen weiterhin zulässig, so dass der Schuldner ungeachtet der Verwertungssperre das Bankguthaben nicht für die Zwecke der Fortführung seines Geschäfts2 Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 – im Folgenden: Restrukturierungs-RL. 3 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154; vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 9; vgl. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 12. 4 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 10; vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 44; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 12. 5 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 8. 6 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 12 f.; Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 8; Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 20; Thole, ZIP 2020, 1985, 1996; Thole, ZRI 2021, 231, 232.

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§ 49 Rz. 5 | Stabilisierungsanordnung betriebs einsetzen kann (vgl. § 49 Rz. 67). Wenigstens kann mit Hilfe der Stabilisierungsanordnung erreicht werden, dass der Schuldner die für die Aufrechterhaltung seines Geschäftsbetriebs benötigten Vermögensgegenstände weiterhin nutzen kann, ohne dass er den Entzug von Seiten eines Gläubigers zu befürchten hat. Besonderheiten gelten für seine mit Sicherungsrechten belasteten beweglichen Sachen (wie insb. Warenlager) und seine zur Sicherheit abgetretenen Forderungen: Er kann die Sachen weiterhin im Rahmen der vertraglichen Regelungen veräußern und seine zur Sicherheit abgetretenen Forderungen einziehen. Allerdings ist der Schuldner insoweit auf eine Vereinbarung mit den sicherungsnehmenden Gläubigern angewiesen, die es ihm erlaubt, die aus diesen Maßnahmen erlangte Liquidität für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs einzusetzen. Andernfalls muss er nach § 54 Abs. 2 StaRUG die bei der Einziehung bzw. Veräußerung erzielten Erlöse an den Berechtigten auskehren oder unterscheidbar verwahren. Der Gesetzgeber weist im Zusammenhang mit den Folgen der Verwertungssperre nach § 54 StaRUG ausdrücklich darauf hin, dass mit dem präventiven Restrukturierungsverfahren grundsätzlich keine weitergehenden Eingriffe in Gläubigerrechte ermöglicht werden sollen als in einem Insolvenzverfahren (vgl. § 54 Rz. 2).7

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage 6 Die Vorschrift des § 49 StaRUG beruht auf der Umsetzung von Art. 6 der Restrukturie-

rungs-RL.8 Die Restrukturierungs-RL macht den Mitgliedstaaten in Art. 6 Abs. 1 die Vorgabe, sicherzustellen, dass der Schuldner eine Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen zur Unterstützung der Verhandlungen über einen Restrukturierungsplan im Rahmen eines präventiven Restrukturierungsrahmens in Anspruch nehmen kann. Nach der Begriffsbestimmung in Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 der Restrukturierungs-RL bedeutet die Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen „das von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde gewährte oder kraft Gesetzes geltende vorübergehende Ruhen des Rechts eines Gläubigers, eine Forderung gegen einen Schuldner und, wenn im nationalen Recht vorgesehen, gegen einen Dritten, der Sicherheiten geleistet hat, im Rahmen eines Gerichts-, Verwaltungs- oder anderen Verfahrens durchzusetzen, oder des Rechts, die Vermögenswerte oder das Unternehmen des Schuldners zu pfänden oder außergerichtlich zu verwerten“. Die Richtlinie erfasst mit dem Begriff der auszusetzenden Einzelvollstreckungsmaßnahmen also sowohl die Durchsetzung von Rechten in einem Gerichts-, Verwaltungs- oder anderen Verfahren als auch die Pfändung und außergerichtliche Verwertung. Dementsprechend sieht § 49 Abs. 1 StaRUG eine Sperre sowohl für Vollstreckungsmaßnahmen als auch für Verwertungsmaßnahmen vor.

7 Die Wirkungen der Sperre müssen nicht auf die Planbetroffenen beschränkt werden, son-

dern können sich gem. Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Restrukturierungs-RL auch allgemein gegen alle Gläubiger oder einen bzw. mehrere Gläubiger oder Gläubigergruppen richten – mit Einschränkungen bei Forderungen von Arbeitnehmern (Art. 6 Abs. 5 der Restrukturierungs-RL). Von diesem Spielraum hat der deutsche Gesetzgeber in § 49 Abs. 2 Gebrauch gemacht und dabei in Umsetzung von Art. 6 Abs. 4 der Restrukturierungs-RL nur diejenigen Kategorien von Forderungen von dem Geltungsbereich der Stabilisierungsanordnung ausgenommen, die

7 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 157. 8 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) unter Bezugnahme auf Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 und Art. 6 der Restrukturierungsrahmen-RL; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 7; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 1; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 1; Thole, ZRI 2021, 231, 232; soweit manche Autoren auch auf Art. 7 der Restrukturierungsrahmen-RL hinweisen, sei ergänzt, dass diese Vorschrift die Rechtsfolgen der Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen regelt und im deutschen Recht insbesondere mit §§ 42, 44, 55, 56, 58 StaRUG umgesetzt wurde.

874 | Schönen/Bender

Stabilisierungsanordnung | Rz. 9 § 49

nach § 4 StaRUG einer Gestaltung im Restrukturierungsplan generell unzugänglich sind.9 Die Restrukturierungs-RL stellt in Art. 6 Abs. 5 bestimmte Anforderungen an den Ausschluss von Forderungen aus dem Anwendungsbereich. Der Ausschluss muss wohl definiert und ausreichend begründet sein. Außerdem wird vorausgesetzt, dass die Vollstreckung der ausgenommenen Forderungen die Restrukturierung des Unternehmens nicht gefährdet und die Gläubiger dieser Forderungen durch die Aussetzung nicht in unangemessener Weise beeinträchtigt werden. Ausgenommen von der Gestaltung im Rahmen des Plans und damit auch von einer Stabilisierungsanordnung sind nach § 4 Nr. 1 StaRUG Forderungen von Arbeitnehmern. Insoweit macht der deutsche Gesetzgeber von dem in Art. 1 Abs. 5 Buchst. a und Art. 6 Abs. 5 der Restrukturierungs-RL vorgesehenen Wahlrecht Gebrauch.10 Eine Einbeziehung in den Wirkungskreis der Stabilisierungsanordnung käme auch im Lichte der Restrukturierungs-RL ohnehin nur in Betracht, wenn die Erfüllung der Arbeitnehmerforderungen mit Hilfe anderer Schutzmechanismen garantiert wäre (Art. 6 Abs. 5 Unterabs. 2 Restrukturierungs-RL). Auch für die Ausklammerung von Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen gem. § 4 Nr. 2 StaRUG gilt, dass dies auf einem von der Richtlinie selbst eröffneten Spielraum beruht (s. Art. 1 Abs. 5 Buchst. c Restrukturierungs-RL, der den Ausschluss von Forderungen aus einer deliktischen Haftung des Schuldners aus dem Restrukturierungsvorhaben erlaubt). Gleiches dürfte für die Absage der Anwendbarkeit der Stabilisierungsanordnung bei Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgeldern und Zwangsgeldern sowie Forderungen auf Geldzahlung gelten, die als Nebenfolgen aus Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten resultieren (§ 4 Nr. 3 StaRUG). Die Zulässigkeit des Ausschlusses dieser Forderungen ergibt sich aus einem Erst-Recht-Schluss aus dem für deliktische Schadensersatzansprüche geltenden Art. 1 Abs. 5 Buchst. c der Restrukturierungs-RL.11 Wenn demzufolge die vorgenannten Forderungen i.S.v. § 4 Nr. 2 und 3 StaRUG gem. Restrukturierungs-RL generell aus dem Restrukturierungsvorhaben ausgeschlossen werden dürfen, kann nichts anderes für den Ausschluss aus dem Anwendungsbereich der Stabilisierungsmaßnahmen gelten. Mit der Regelung in § 49 Abs. 3 StaRUG setzt der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben gemäß 8 ErwGr. 32 und Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 der Restrukturierungs-RL um, wonach dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet werden soll, eine Stabilisierungsanordnung nicht nur zur Abwehr der Durchsetzung von Rechten gegenüber dem Schuldner zu beantragen, sondern auch gegenüber von Dritten, die Sicherheiten geleistet haben.12 Dabei hat sich der deutsche Gesetzgeber darauf beschränkt, eine Stabilisierungsanordnung auch gegen i.S.v. § 15 AktG mit dem Schuldner verbundene Unternehmen zu ermöglichen, um auf diese Weise die Aussetzung der Vollstreckung in und Verwertung von gruppeninternen Drittsicherungsrechten zu erreichen. Mit dem StaRUG hat sich der deutsche Gesetzgeber gegen eine von Gesetzes wegen eingrei- 9 fende und für eine auf gerichtlicher Anordnung basierende Aussetzung von Vollstreckungen und Verwertungen entschieden, da auf diesem Wege sichergestellt ist, dass die Besonderheiten des Einzelfalls geprüft und berücksichtigt werden können.13 Aufgrund der mit einer Stabilisierungsanordnung verbundenen weitreichenden Eingriffe in Gläubigerrechte sieht der Gesetzgeber das Erfordernis einer gerichtlichen Anordnung als vorzugswürdig gegenüber einem gesetzlichen Automatismus an.14 Hintergrund ist die Ermöglichung des bestmöglichen Ausgleichs der widerstreitenden Interessen im Einzelfall.15 Widerstreitende Interessen sind ei-

9 10 11 12 13

Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 114 f. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 115. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154; die Restrukturierungs-RL sieht das Erfordernis eines Antrags nur für Verlängerungen einer Stabilisierungsanordnung vor, vgl. Art. 6 Abs. 7. 14 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154. 15 Vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 7.

Schönen/Bender | 875

§ 49 Rz. 9 | Stabilisierungsanordnung nerseits das sozialstaatsrechtliche Interesse an der Unternehmenssanierung und der Sicherung von Arbeitsplätzen bzw. das über Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Interesse der Anteilseigner an dem Erhalt ihrer Beteiligung sowie des schuldnerischen Unternehmens an der Sanierung und andererseits die ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Interessen der Gläubiger an einer Forderungsdurchsetzung.16 10 Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens hat die Regelung des § 49 StaRUG vom Regie-

rungsentwurf17 hin zur in Kraft getretenen Gesetzesfassung18 bis auf redaktionelle Anpassungen19 keine Änderungen erfahren.

IV. Erlass einer Stabilisierungsanordnung 1. Voraussetzungen 11 Die Voraussetzungen für den Erlass einer Stabilisierungsanordnung sind in §§ 49, 50 und 51

StaRUG normiert. Der vom Gericht anzusetzende Prüfungsmaßstab sowie der Prüfungsumfang ergeben sich dabei aus § 51 (vgl. § 51 Rz. 9 ff.). a) Antrag

12 Die Stabilisierungsanordnung ergeht ausschließlich auf Antrag des Schuldners (§ 49 Abs. 1

i.V.m. § 50 StaRUG). Weder ein Gläubiger noch der Restrukturierungsbeauftragte sind befugt, eine Stabilisierungsanordnung zu beantragen. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 49 Abs. 1 StaRUG: „auf Antrag des Schuldners“. Der Antrag kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle beim zuständigen Restrukturierungsgericht eingereicht werden (§ 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 496 ZPO).20

13 Der Antrag ist an das nach §§ 34, 35 StaRUG zuständige Restrukturierungsgericht zu rich-

ten. Geht der Antrag bei einem unzuständigen Gericht ein, gelten über § 38 Satz 1 StaRUG die Vorschriften der ZPO entsprechend. Das angerufene Gericht erteilt analog § 139 ZPO einen Hinweis an den Schuldner. Auf Antrag des Schuldners hat es sich für unzuständig zu erklären und die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen (§ 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 281 ZPO).21

14 Im Rahmen des Antragsverfahrens ist eine Anhörung der Gläubiger nicht vorgesehen.22 Der

Gesetzgeber zieht eine Parallele zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzeröffnungsverfahren (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 5 InsO), die ebenfalls keine Anhörung der Gläubiger voraussetzt, und begründet dies damit, dass es sich im Regelfall um eine Eilmaßnahme handele.23 Das Erfordernis einer vorherigen Anhörung von unter Umständen einer 16 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 7; Grundlage für den verfassungsrechtlichen Schutz des Interesses an der Forderungsdurchsetzung ist Art. 14 Abs. 1 GG. 17 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 33 (zu § 56 StaRUG-RegE). 18 SanInsFoG v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). 19 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25303, S. 47. 20 Riggert in Braun, 2021, § 49 StaRUG Rz. 1; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 30. 21 Vgl. für den Fall der Anzeige nach § 31 StaRUG beim unzuständigen Gericht: Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 31 StaRUG Rz. 12. 22 AG Hamburg v. 18.1.2022 – 61 c RES 1/21, NZI 2022, 437 Rz. 17; Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, 2021, § 49 StaRUG Rz. 10; Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 40; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 34; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 49 StaRUG Rz. 33. 23 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154.

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Stabilisierungsanordnung | Rz. 16 § 49

Vielzahl an Gläubigern würde die Anordnung verzögern und stünde im Widerspruch zu dem Ziel der Stabilisierungsanordnung, einen effektiven Schutz der Aussichten des Restrukturierungsverfahrens zu erreichen.24 Die von einer Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubiger können sich daher nur im Wege der Hinterlegung einer Schutzschrift, wenn sie rechtzeitig vorher von dem geplanten Antrag auf Stabilisierung erfahren,25 oder im Nachgang, d.h. nach Anordnung der Stabilisierungsmaßnahme, im Wege eines Antrags auf Aufhebung der Stabilisierungsanordnung nach § 59 Abs. 2 StaRUG äußern.26 Dies steht auch im Einklang mit der Restrukturierungs-RL, die den Mitgliedstaaten in Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 sogar die Möglichkeit einräumt, eine Aussetzung von Vollstreckungs- und Verwertungsmaßnahmen kraft Gesetzes vorzusehen, ohne dass es einer vorgeschalteten Entscheidung einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde bedarf.27 Die Zulässigkeit einer Anordnung ohne vorherige Anhörung der Betroffenen ergibt sich darüber hinaus auch aus Art. 6 Abs. 9 Unterabs. 2 der Restrukturierungs-RL.28 Der Inhalt des Antrags richtet sich nach § 50 StaRUG (vgl. § 50 Rz. 5 ff.). Der Inhalt der 15 begehrten Stabilisierungsanordnung sowie Adressatenkreis29 und Dauer müssen hinreichend bestimmt bezeichnet sein. Aufgrund der mit der Stabilisierungsanordnung verbundenen Eingriffe in Gläubigerrechte sind hohe Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen.30 Der Antrag muss das Gericht dazu in die Lage versetzen, in der Stabilisierungsanordnung Art und Umfang der Betroffenheit der jeweiligen Gläubigerrechte sowie die von der Anordnung betroffenen Gläubiger konkret zu bezeichnen.31 Die Angaben im Antrag müssen außerdem so beschaffen sein, dass dem Gericht anhand dieser Angaben die Prüfung der Rechtfertigung des mit der Stabilisierungsanordnung verbundenen Eingriffs möglich ist.32 Konkret bedeutet dies insbesondere, dass im Antrag die Erforderlichkeit der Stabilisierungsanordnung dargelegt werden muss und zwar hinsichtlich Art und Umfang der Betroffenheit der jeweiligen Gläubigerrechte sowie hinsichtlich der Auswahl der betroffenen Gläubiger (vgl. § 50 Rz. 12 ff.). b) Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache Ebenfalls setzt der Erlass einer Stabilisierungsanordnung voraus, dass eine Restrukturierungs- 16 sache (noch) rechtshängig ist.33 Der Schuldner muss also eine Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach § 31 StaRUG beim Restrukturierungsgericht eingereicht haben. Der Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung kann mit der Anzeige verbunden werden, d.h. die Anzeige muss dem Antrag gem. § 50 StaRUG nicht zwingend vorausgehen.34 Seit der 24 Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 6 Rz. 10. 25 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 40 und § 51 StaRUG Rz. 14; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 39. 26 Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, 2021, § 49 StaRUG Rz. 10; Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 40; vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 83; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 23. 27 Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 6 Rz. 10. 28 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154. 29 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 84. 30 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 33. 31 Vgl. Andres in Buth/Hermanns, RSI, 5. Aufl. 2022, 5. Teil § 25 Rz. 44. 32 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 4. 33 Hölzle in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2.B.V. Rz. 11. 34 Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 134: die Anzeige soll „möglichst“ mit Vorlauf erfolgen; Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 StaRUG Rz. 117 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hoffmann/ Braun in Flöther, 2. Aufl. 2022, § 31 StaRUG Rz. 1; Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 31 StaRUG Rz. 3; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 Rz. 15; s. auch AG Hamburg v. 18.1.2022 – 61 c RES 1/21, BeckRS 2022, 3530 Rz. 1 ff.

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§ 49 Rz. 16 | Stabilisierungsanordnung Anzeige dürfen nicht mehr als sechs Monate bzw. zwölf Monate, wenn der Schuldner die Anzeige innerhalb der ersten sechs Monate erneuert hat, vergangen sein. Andernfalls verliert die Anzeige automatisch ihre Wirkung und damit endet dann auch die Rechtshängigkeit (§ 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG). 17 Außerdem darf die Restrukturierungssache zum Zeitpunkt des vorgesehenen Erlasses der

Stabilisierungsanordnung nicht vorzeitig vom Gericht gem. § 33 Abs. 1 oder 2 StaRUG aufgehoben worden sein (vgl. § 33 StaRUG). Insbesondere hat das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache grundsätzlich von Amts wegen aufzuheben, wenn der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung angezeigt hat (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG). Insoweit gilt für den Fall, dass nach Einreichung der Anzeige gem. § 31 StaRUG Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 InsO eintritt, eine Pflicht des Schuldners zur unverzüglichen Anzeige beim Restrukturierungsgericht (§ 32 Abs. 3 und § 42 Abs. 1 StaRUG). Bei juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften, bei denen keine natürliche Person unbeschränkt haftet, gilt das Gleiche bei Eintritt der Überschuldung i.S.d. § 19 Abs. 2 InsO. Die Anzeigepflicht tritt an die Stelle der Insolvenzantragspflicht gem. § 15a Abs. 1–3 InsO bzw. § 42 Abs. 2 BGB, die während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ruht (§ 42 Abs. 1 StaRUG). Das Restrukturierungsgericht hebt im Fall der Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Restrukturierungssache grundsätzlich auf (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 1 StaRUG). Es steht aber im Ermessen des Restrukturierungsgerichts, von einer Aufhebung abzusehen, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Blick auf den erreichten Stand in der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegt (§ 33 Satz 1 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2 StaRUG) oder wenn der zwingende Insolvenzantragsgrund aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept umgestaltet werden soll, vorausgesetzt, dass die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 3 StaRUG). c) Drohende Zahlungsunfähigkeit

18 Da es sich bei der Stabilisierungsanordnung um ein Instrument des Stabilisierungs- und Re-

strukturierungsrahmens handelt, müssen die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 StaRUG erfüllt sein. Es muss also drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegen.35 Dies ergibt sich auch aus § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StaRUG, wonach eine Stabilisierungsanordnung nicht ergeht, wenn dem Restrukturierungsgericht Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist. Darunter ist drohende Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 InsO zu verstehen.36 Nach § 18 Abs. 2 InsO liegt drohende Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen, wobei in aller Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen ist.

19 Umgekehrt darf grundsätzlich kein zwingender Insolvenzantragsgrund im Sinne von Zah-

lungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) oder Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO) gegeben sein; dies würde den Erlass einer Stabilisierungsanordnung regelmäßig hindern.37 Denn das Vorlie-

35 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 13 ff.; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 9; Mönning in Nerlich/Römermann, § 49 StaRUG Rz. 12 (Stand: 44. EL November 2021); Riggert, NZI-Beilage 2021, 40, 41. 36 Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 10a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 18; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 16. 37 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 20; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 9; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 37.

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Stabilisierungsanordnung | Rz. 22 § 49

gen eines zwingenden Insolvenzantragsgrundes führt dazu, dass eine Restrukturierungssache nicht anhängig gemacht werden kann (arg. e contrario § 32 Abs. 3 und § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG)38 bzw. in der Regel aufzuheben ist (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG). Ausnahmsweise kann auch bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eine Stabilisierungsanordnung erlassen werden, wenn die Gläubigerinteressen dadurch nicht gefährdet werden.39 Der Schuldner muss in seinem Antrag auf Erlass der Stabilisierungsanordnung die drohende 20 Zahlungsunfähigkeit darlegen (vgl. § 50 Rz. 15). Das Gericht prüft sodann im Rahmen der Ausschlussgründe des § 51 Abs. 1 Satz 1 StaRUG für den Erlass der Stabilisierungsanordnung, ob auf Basis des dem Gericht bekannten Sachverhalts Anhaltspunkte für ein Fehlen der drohenden Zahlungsunfähigkeit vorliegen (vgl. § 51 Rz. 28 ff.). Die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit muss erst für die Planbestätigung (§ 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) vorliegen.40 Voraussetzung für die Anordnung einer Stabilisierungsmaßnahme ist die schlüssige Darlegung der drohenden Zahlungsunfähigkeit (vgl. § 29 Abs. 1 StaRUG).41 d) Erforderlich zur Wahrung der Aussichten auf Verwirklichung des Restrukturierungsziels Die Stabilisierungsmaßnahme muss zur Wahrung der Aussichten auf Verwirklichung des Re- 21 strukturierungsziels erforderlich sein (§ 49 Abs. 1 StaRUG). Dieses Merkmal ermöglicht dem Gericht – wie vom deutschen Gesetzgeber bezweckt42 – die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. In diesem Rahmen erfolgt somit die Prüfung der Erforderlichkeit der Maßnahme. Es stellt sich die Frage, welche Anforderungen an die Erforderlichkeit zu stellen sind. Insoweit handelt es sich um einen auslegungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff. aa) Auslegung anhand der Restrukturierungs-RL Die Auslegung des Begriffs der Erforderlichkeit hat im Lichte der Restrukturierungs-RL zu 22 erfolgen.43 Die Restrukturierungs-RL führt hierzu wie folgt aus: Nach ErwGr. 32 der Restrukturierungs-RL sollen die Verhandlungen des Schuldners über einen Restrukturierungsplan durch Erlass einer Vollstreckungssperre bei Bedarf unterstützt werden. Der Schuldner soll auf diese Weise in die Lage versetzt werden, seinen Betrieb fortzusetzen und/oder den Wert seines Vermögens zu erhalten. Hingegen soll die Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen seitens der jeweils zuständigen Stelle verweigert werden können, sofern die Aussetzung nicht erforderlich ist, um die Verhandlungen über einen Restrukturierungsplan zu unterstützen. Die an die Erforderlichkeit im Einzelnen zu stellenden Anforderungen ergeben sich aus einer an der Richtlinie orientierten Auslegung des Gesetzes noch nicht abschließend. Nur die Zielvorgabe, die Verhandlungen zum Plan zu unterstützen, lassen sich der Richtlinie entnehmen.

38 39 40 41

Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 29 StaRUG Rz. 2. IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 38. Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 31. AG Hamburg v. 18.1.2022 – 61 c RES 1/21, NZI 2022, 437, 439; den Vollbeweis der drohenden Zahlungsunfähigkeit scheinen zu fordern: Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 16 ff.; Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18. 42 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154. 43 Zum Gebot der richtlinienkonformen Auslegung: EuGH v. 4.7.2006 – C-212/04, NJW 2006, 2465, 2467 f. = ZIP 2006, 2141 – Konstantinos Adeneler u.a./Ellinikos Organismos Galaktos (ELOG); BGH v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427 Rz. 19 = MDR 2009, 248 = ZIP 2009, 176; BGH v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073 Rz. 24 = MDR 2012, 333= ZIP 2012, 430.

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§ 49 Rz. 23 | Stabilisierungsanordnung bb) Auslegung anhand von Wortsinn und Systematik 23 Ausgehend vom Wortlaut des § 49 Abs. 1 StaRUG muss die Stabilisierungsanordnung erfor-

derlich sein, um die Aussichten auf Verwirklichung des Restrukturierungsziels zu wahren. In Betracht könnte eine Anlehnung an das Begriffsverständnis der Erforderlichkeit im öffentlichen Recht kommen.44 Wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der voraussetzt, dass ein Mittel einen legitimen Zweck verfolgt und zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und im engeren Sinne angemessen ist.45 Erforderlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn kein anderes, gleich geeignetes und dabei weniger belastendes Mittel zur Verfügung steht.46 Soweit es den legitimen Zweck (dazu unter (1), Rz. 24 ff.) und die Erforderlichkeit im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (dazu unter (2), Rz. 31) betrifft, überzeugt es, die Maßstäbe des öffentlichen Rechts zu übernehmen. Das zusätzliche Erfordernis der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, d.h. der Angemessenheit bzw. Zumutbarkeit, lässt sich hingegen nicht übertragen47 (dazu unter (3), Rz. 32 ff.). (1) Legitimer Zweck

24 Zweck der Stabilisierungsanordnung muss die Wahrung der Aussichten auf Verwirklichung

des Restrukturierungsziels (§ 49 Abs. 1 StaRUG) und insbesondere die Unterstützung der Verhandlungen zum Restrukturierungsplan (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 RestrukturierungsRL) sein. Sie soll einer Gefährdung der Erreichung des Restrukturierungsziels durch Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung von Gläubigern vorbeugen.48 Daran schließt sich die Frage an, ob bereits die Vermeidung einer abstrakten Gefahr ausreicht oder es einer konkreten Gefahr bedarf, um von einem legitimen Zweck der Stabilisierungsmaßnahme auszugehen.

25 Abstrakte Gefährdung des Restrukturierungsziels: Nach einer Auffassung reicht eine abs-

trakte Gefährdung des Restrukturierungsziels aus der objektiven Sicht eines verständigen und nach wirtschaftlich vernünftigen Maßstäben handelnden Schuldners aus.49 Ein solches Verständnis dürfte das AG Hamburg zugrunde gelegt zu haben, als es die Erforderlichkeit einer Stabilisierungsanordnung allein mit der Begründung bejahte, dass eine erfolgreiche Restrukturierung bis zur Planabstimmung durch Vollstreckung der Planbetroffenen vereitelt werden könnte.50 Das AG Hamburg konkretisiert dabei in seiner Entscheidungsbegründung nicht, durch welche Planbetroffenen oder in Bezug auf welche Forderungen eine Vollstreckung droht und warum in dem zugrunde liegenden Fall ein Vollstreckungsrisiko besteht. Das Fehlen dahingehender Ausführungen spricht dafür, dass das AG Hamburg eine konkrete

44 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 16 ff. 45 BVerfG v. 15.12.1983 – 1 BvR 269/83, BVerfGE 65, 1, 54 = DB 1984, 36; BVerfG v. 20.6.1984 – 1 BvR 1494/78, BVerfGE 67, 157, 173; BVerfG v. 26.4.1995 – 1 BvR 1454/94, BVerfGE 92, 262, 273 = DB 1995, 1399 = ZIP 1995, 923; Schulze-Fielitz in Dreier, 3. Aufl. 2015, Art. 20 GG Rz. 182 ff.; Grzeszick in Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 VII. GG Rz. 112 (Stand: 97. EL Januar 2022). 46 Stellv. BVerfG v. 20.6.1984 – 1 BvR 1494/78, BVerfGE 67, 157, 177; Schulze-Fielitz in Dreier, 3. Aufl. 2015, Art. 20 GG Rz. 183 m.w.N.; Grzeszick in Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 GG VII. Rz. 115 ff. (Stand: 97. EL Januar 2022). 47 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 7a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); a.A. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 16; wohl auch Smid, ZInsO 2021, 198, 199. 48 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 9; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 2; Hölzle in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2.B.V. Rz. 15. 49 Hölzle in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2.B.V. Rz. 15. 50 AG Hamburg v. 18.1.2022 – 61 c RES 1/21, NZI 2022, 437, 439.

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Stabilisierungsanordnung | Rz. 28 § 49

Prüfung in Bezug auf die vorgenannten Aspekte nicht vorgenommen hat und somit das Vorliegen einer abstrakten Gefährdung des Restrukturierungsziels für ausreichend erachtet. Konkrete Gefährdung des Restrukturierungsziels: Nach anderer Auffassung ist hingegen 26 ein strengerer Maßstab in Erwägung zu ziehen. So wird für die Erforderlichkeit der Vollstreckungssperre das Drohen der Vollstreckung aufgrund konkreter Maßnahmen der Gläubiger gefordert.51 Da die Zwangsvollstreckung in Vermögensgegenstände des Schuldners einen vollstreckbaren Titel voraussetzt (§§ 704, 794 ZPO) und dieser typischerweise nicht innerhalb der dreimonatigen Anordnungshöchstdauer der Stabilisierung erlangt werden kann, hat dies zur Folge, dass in der Regel bereits ein Vollstreckungstitel vorliegen müsste, um die Anordnung einer Vollstreckungssperre rechtfertigen zu können.52 Andernfalls, d.h. bei Fehlen einer konkreten Gefährdung, unterliege der Antrag auf Erlass einer Vollstreckungssperre jedenfalls einem besonderen Begründungserfordernis.53 Stellungnahme: Für das Erfordernis einer konkreten Gefährdung des Restrukturierungsziels 27 spricht, dass die Stabilisierungsanordnung funktional mit den Sicherungsmaßnahmen im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 5 InsO vergleichbar ist. Im Rahmen dieser Maßnahmen wird regelmäßig eine auf Tatsachen beruhende konkrete Gefahr gefordert, um die Erforderlichkeit i.S.d. § 21 InsO anzunehmen.54 Tragendes Argument dafür ist, dass der Maßstab einer bloß abstrakten Gefahr die Prüfung der Erforderlichkeit weitgehend entbehrlich machen würde.55 Das Argument lässt sich auf die Stabilisierungsanordnung übertragen. Die Beurteilung der Geeignetheit einer Maßnahme zur Erreichung des Zwecks ebenso wie die Beantwortung der Frage, ob es ein milderes Mittel gibt, dürfte im Hinblick auf eine abstrakte Gefahr kaum möglich sein. Im Übrigen ergibt sich das Erfordernis einer konkreten Gefährdung des Restrukturierungsziels aus der mit der Konzeption einer gerichtlichen Anordnung verfolgten gesetzgeberischen Intention, anstelle einer Geltung kraft Gesetzes eine Einzelfallprüfung durch das Gericht zu ermöglichen.56 Würde jede abstrakte Gefahr der Vollstreckung oder Verwertung genügen, kämen die Umstände des Einzelfalls nicht hinreichend zum Tragen. Bei einer abstrakten Absicherung des Restrukturierungsziels fehlt es daher an der Erforderlichkeit.57 Gleichwohl ist der Maßstab für die Bestimmung der konkreten Gefährdung des Restruktu- 28 rierungsziels nicht zu hoch anzusetzen.58 Von der Erforderlichkeit einer Stabilisierungsanordnung ist etwa bereits auszugehen, wenn sich abzeichnet, dass es opponierende Gläubiger geben wird, die versuchen werden, von ihren Rechten auf Vollstreckung und/oder Verwertung Gebrauch zu machen.59 Es muss nicht zwingend bereits ein Vollstreckungstitel zugunsten dieser Gläubiger vorliegen, um die Erforderlichkeit einer Vollstreckungssperre annehmen zu können. Zwar kann die Erlangung eines Vollstreckungstitels eine gewisse Dauer in Anspruch nehmen,60 dennoch ist nicht auszuschließen, dass eine Restrukturierungssache länger als die

51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Mönning in Nerlich/Römermann, § 51 StaRUG Rz. 13 (Stand: 44. EL November 2021). Thole, ZRI 2021, 231, 235. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 33. Schröder in HambKomm/InsolvenzR, 9. Aufl. 2021, § 21 InsO Rz. 16 f.; Laroche in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 21 InsO Rz. 9; Haarmeyer/Schildt in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 21 InsO Rz. 19; Vallender in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 21 InsO Rz. 3. Haarmeyer/Schildt in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 21 InsO Rz. 19 m.w.N. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154. Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 12.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 28 f. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Restrukturierungsschuldner bei der Anzeige der Restrukturierungssache auch den Stand der Verhandlungen mit Gläubigern darzustellen hat, § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG. So Thole, ZRI 2021, 231, 235.

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§ 49 Rz. 28 | Stabilisierungsanordnung Erlangung des Vollstreckungstitels andauern wird.61 Im Übrigen könnte sich der opponierende Gläubiger auch eines Arrestverfahrens bedienen, um im Wege eines Eilverfahrens die Durchsetzung seiner Rechte zumindest so weitgehend abzusichern, dass dem Schuldner die Möglichkeit der freien Verfügung über Vermögensgegenstände genommen wird. Das Fehlen eines Vollstreckungstitels im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung hat daher für sich genommen nicht zur Folge, dass die konkrete Gefährdung des Restrukturierungsziels durch eine Zwangsvollstreckung abzulehnen ist. 29 Gegen die Erforderlichkeit einer Stabilisierungsanordnung dürfte hingegen sprechen, wenn es

bereits an den rechtlichen Voraussetzungen für eine Vollstreckung bzw. Verwertung fehlt (und diese auch nicht absehbar eintreten werden), etwa weil noch kein Sicherungsfall eingetreten ist, die gesicherte Forderungen also beispielsweise noch nicht fällig ist (sofern dies eine Vollstreckungs- oder Verwertungsvoraussetzung darstellt), oder sonstige vertragliche Vereinbarungen einer Vollstreckung oder Verwertungsreife entgegenstehen.62

30 Eine Stabilisierungsanordnung ist darüber hinaus auch dann nicht erforderlich, wenn die für

die Umsetzung des Restrukturierungsziels erforderlichen Mehrheiten der Gläubiger fehlen63 oder das Restrukturierungsvorhaben aus anderen Gründen von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hat. Das gilt für die Vollstreckungssperre und Verwertungssperre gleichermaßen. (2) Kein gleich geeignetes milderes Mittel

31 Die Erforderlichkeit im Sinne des öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes setzt

ferner voraus, dass es zur Erreichung des legitimen Zwecks kein milderes Mittel gibt, das gleich geeignet zur Erreichung des Zwecks ist.64 So ist beispielsweise die einstweilige Einstellung einer Vollstreckung das mildere Mittel im Vergleich zu einer Untersagung der Vollstreckung.65 (3) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne

32 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips.66 Die Prüfung

der Verhältnismäßigkeit erfolgt demnach in drei Stufen und umfasst neben dem legitimen Zweck die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Mittels zur Erreichung des Zwecks sowie auf dritter Stufe die Angemessenheit, auch umschrieben mit Zumutbarkeit oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.67 Eine staatliche Maßnahme darf nicht außer Verhältnis zum mit der Maßnahme verfolgten Zweck stehen. Die Beurteilung der Angemessenheit einer Maßnahme beruht dabei auf einer Abwägung zwischen dem Nutzen der Maßnahme einerseits und den 61 Dafür spricht auch, dass die Stabilisierungsanordnung verlängert werden kann, § 52 Alt. 2 StaRUG. 62 Mönning in Nerlich/Römermann, § 51 StaRUG Rz. 13 (Stand: 44. EL November 2021); Smid, ZInsO 2021, 198, 202. 63 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 31. 64 BVerfG v. 20.6.1984 – 1 BvR 1494/78, BVerfGE 67, 157 Rz. 54; v. 8.6.2010 – 1 BvR 2011/07, 1 BvR 2959/07, BVerfGE 126, 112 Rz. 103; v. 14.1.2014 – 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12, BVerfGE 135, 90 Rz. 80 = GmbHR 2014, 301 = ZIP 2014, 368; Schulze-Fielitz in Dreier, 3. Aufl. 2015, Art. 20 GG Rz. 183; Grzeszick in Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 GG VII. Rz. 115 ff. (Stand: 97. EL Januar 2022). 65 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 45. 66 Schulze-Fielitz in Dreier, 3. Aufl. 2015, Art. 20 GG Rz. 179; Grzeszick in Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 GG VII. Rz. 109 (Stand: 97. EL Januar 2022). 67 BVerfG v. 15.12.1983 – 1 BvR 269/83, BVerfGE 65, 1, 54 = DB 1984, 36; v. 20.6.1984 – 1 BvR 1494/ 78, BVerfGE 67, 157, 173; v. 26.4.1995 – 1 BvR 1454/94, BVerfGE 92, 262, 273 = DB 1995, 1399 = ZIP 1995, 923; Schulze-Fielitz in Dreier, 3. Aufl. 2015, Art. 20 GG Rz. 182 ff.; Grzeszick in Dürig/ Herzog/Scholz, Art. 20 GG VII. Rz. 112 (Stand: 97. EL Januar 2022).

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Stabilisierungsanordnung | Rz. 34 § 49

durch die Maßnahme für den Betroffenen verursachten Beeinträchtigungen andererseits.68 Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist allerdings kein Kriterium, welches das Restrukturierungsgericht vor dem Erlass einer Stabilisierungsanordnung zu prüfen hat.69 Dies ergibt sich aus den folgenden Erwägungen: Ausgehend vom Wortlaut des § 49 Abs. 1 StaRUG setzt die Anordnung einer Stabilisierungs- 33 maßnahme lediglich deren Erforderlichkeit, nicht hingegen zusätzlich deren Angemessenheit oder Zumutbarkeit voraus. Insoweit unterscheidet sich die Regelung von § 30d Abs. 1 Satz 2 ZVG und § 30g Abs. 1 Satz 2 ZVG, wonach der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in unbewegliches Vermögen, sowohl im Insolvenzverfahren als auch im Restrukturierungsverfahren, abzulehnen ist, wenn die Einstellung dem betreibenden Gläubiger unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zuzumuten ist. Die Restrukturierungs-RL hat es den Mitgliedstaaten ausdrücklich überlassen, auch die Anordnung einer Stabilisierungsmaßnahme auszuschließen für den Fall, dass die Gläubiger der betroffenen Forderungen durch die Stabilisierung in unangemessener Weise beeinträchtigt würden (Art. 6 Abs. 4 Buchst. b Restrukturierungs-RL). Der deutsche Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Er hat sich anders als in § 30d Abs. 1 Satz 2 ZVG und § 30g Abs. 1 Satz 2 ZVG gegen eine Härtefallregelung entschieden. Die Angemessenheit ist weder Anordnungsvoraussetzung noch stellt die Unangemessenheit einen Aufhebungsgrund dar, der von einem Gläubiger geltend gemacht werden könnte (vgl. § 59 Abs. 2 i.V.m. § 59 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StaRUG). Das Erfordernis der Angemessenheit könnte sich vor diesem Hintergrund nur daraus ergeben, 34 dass eine Stabilisierungsanordnung als staatliche Maßnahme einzuordnen ist, die sich am Maßstab der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeit, einschließlich des Gebots der Angemessenheit, messen lassen muss.70 Zwar beruht die Anordnung der Stabilisierungsmaßnahme auf staatlichem Handeln. Allerdings liegt der Erlass der Anordnung, anders als bei den vorläufigen Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO,71 nicht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Das Gericht erlässt die Anordnung vielmehr, wenn eine Restrukturierungssache anhängig ist, ein ordnungsgemäßer Antrag des Schuldners vorliegt und die Anordnungsvoraussetzungen gem. § 51 StaRUG erfüllt sind. Die Anordnung richtet sich dabei hinsichtlich Inhalt, Adressatenkreis und Dauer nach dem Antrag des Schuldners (vgl. § 50 Abs. 1 StaRUG).72 Im Grunde ist es bei der Stabilisierungsanordnung nicht anders als beim Restrukturierungsplan. Auch dieser richtet sich nicht danach, ob die darin vorgesehenen Umgestaltungen von Rechtsverhältnissen angemessen aus Sicht des einzelnen Gläubigers sind. Die Planbetroffenen dürfen durch den Plan lediglich nicht (wesentlich) schlechter gestellt werden, als sie ohne Plan stünden (§ 64 Abs. 1, § 66 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG). So wie die Rechtsverhältnisse im Plan umgestaltet werden können, können sie auch Gegenstand einer Stabilisierungsanordnung sein – freilich mit Ausnahme von Aussonderungsrechten, die zwar einer Stabilisierung zugänglich sind, nicht aber einer Regelung im Restrukturierungsplan (vgl. Rz. 57). Letztlich 68 Schulze-Fielitz in Dreier, 3. Aufl. 2015, Art. 20 GG Rz. 184; Grzeszick in Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 GG VII. Rz. 119 (Stand: 97. EL Januar 2022). 69 Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 19; a.A. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 16 ff.; wohl auch Smid, ZInsO 2021, 198, 199. 70 So auch Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 16. 71 Im Rahmen von § 21 InsO bestimmt das Insolvenzgericht das Sicherungsmittel nach pflichtgemäßem Ermessen, ohne an Anträge gebunden zu sein. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, einschließlich der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, zu beachten: BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 208/05, MDR 2006, 647 = ZIP 2005, 2333 = NZI 2006, 122 Rz. 11; Vallender in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 21 InsO Rz. 43. 72 Abweichend Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der davon ausgeht, dass die Entscheidung über die Dauer der Anordnung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegt; ebenso Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 6.

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§ 49 Rz. 34 | Stabilisierungsanordnung dürfte entscheidend sein, dass die Stabilisierungsanordnung nicht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht, dem mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt werden müssten, sondern vom Schuldner konturiert wird und konkreten gesetzlichen Anordnungsvoraussetzungen unterliegt. Diese sind als abschließend zu betrachten. Für die Annahme, dass die Stabilisierungsanordnung zusätzlich dem ungeschriebenen Erfordernis der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne unterliegt, ist kein Raum. cc) Sonderfall der gruppeninternen Drittsicherheit 35 Die Stabilisierungsanordnung kann auch das Recht von Gläubigern zur Durchsetzung von

Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 2 Abs. 4 StaRUG) sperren (§ 49 Abs. 3 StaRUG). Zweck der Erstreckung der Stabilisierungsanordnung auf gruppeninterne Drittsicherheiten ist es, das verbundene Unternehmen vor einem Zusammenbruch zu bewahren und auf diese Weise einen Dominoeffekt und Folgeinsolvenzen innerhalb des Konzerns zu vermeiden, die sich letztlich auch negativ auf den Schuldner und dessen Restrukturierungsvorhaben auswirken könnten (vgl. Rz. 68 ff.). Zugleich wird auf diese Weise sichergestellt, dass Vermögensgegenstände, die im Eigentum von verbundenen Unternehmen stehen und für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs des Schuldners dienen (bspw. im Wege der Nutzungsüberlassung), diesem nicht mittelbar entzogen werden. Hierbei geht es um den Zusammenhalt des für die Betriebsfortführung erforderlichen technisch-organisatorischen Verbunds des Schuldnervermögens. Es mag daher Fälle geben, in denen die Durchsetzung der gruppeninternen Drittsicherheit zwar nicht zur Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz oder gar zur Insolvenz des Drittsicherungsgebers führt, etwa weil dieser auch unter Berücksichtigung einer Vollstreckung oder Verwertung der vom ihm gewährten Sicherheit solvent ist. Das Restrukturierungsvorhaben des Schuldners kann die Durchsetzung der Drittsicherheit aber dessen ungeachtet gefährden, wenn der Schuldner auf die Sicherungsgegenstände in seinem laufenden Geschäftsbetrieb angewiesen ist (z.B. Fuhrpark, Immobilien,73 gewerbliche Schutzrechte). Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass bei Beantragung einer Stabilisierungsanordnung in Bezug auf gruppeninterne Drittsicherheiten die Erforderlichkeit regelmäßig schon dann nicht gegeben ist, wenn die Durchsetzung der Drittsicherheit nicht die wirtschaftliche Existenz des Drittsicherungsgebers gefährdet.74 Vielmehr bedarf es einer Prüfung im jeweiligen Einzelfall, welche negativen Konsequenzen aufgrund der Vollstreckung oder Verwertung betreffend die Drittsicherheit für den Gesamtkonzern und damit den Schuldner zu erwarten sind. Erst auf Basis dieser Prüfung kann beurteilt werden, ob die Stabilisierungsanordnung auch in Bezug auf diese Drittsicherheit erforderlich ist. e) Voraussetzungen des § 51 StaRUG

36 Der Erlass einer Stabilisierungsanordnung setzt zudem nach § 51 StaRUG voraus, dass die ge-

richtliche Prüfung die Vollständigkeit und Schlüssigkeit der vom Schuldner vorgelegten Restrukturierungsplanung ergeben hat. Die Restrukturierungsplanung setzt sich dabei zusammen aus dem Entwurf des Restrukturierungsplans bzw. -konzepts und dem sechsmonatigen Finanzplan (zur temporären Verkürzung des 6-Monatszeitraums durch SanInsKG auf vier Monate s. § 50 Rz. 17). Zudem darf das Gericht keine Kenntnis von den in § 51 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 StaRUG genannten Umständen haben. Darunter fallen gem. § 51 Abs. 1 Satz 1 StaRUG das Beruhen der eingereichten Antragsunterlagen in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen, die Aussichtslosigkeit der Restrukturierung, das Fehlen der drohenden Zah73 Für den Fall einer Zwangsversteigerung kommt dem Erwerber ein Sonderkündigungsrecht gegenüber dem Mieter nach § 57a ZVG zugute. 74 Vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 65; Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108.

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Stabilisierungsanordnung | Rz. 39 § 49

lungsunfähigkeit und die fehlende Erforderlichkeit der Stabilisierungsanordnung für die Verwirklichung des Restrukturierungsziels. Im Fall der Kenntnis von Umständen nach § 51 Abs. 2 Satz 1 StaRUG, d.h. erheblichen Zahlungsrückständen gegenüber bestimmten Gläubigern, Verletzung von Offenlegungspflichten oder vorangegangenen Krisen des Schuldners, kann eine Stabilisierungsanordnung dennoch ergehen, wenn trotz dieser Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten (vgl. ausführlich zu den Voraussetzungen einer Stabilisierungsanordnung § 51 Rz. 9 ff.).

2. Anordnungsgegner (§ 49 Abs. 2 Satz 2 StaRUG) Eine Stabilisierungsanordnung kann gegen alle Gläubiger (kollektive Stabilisierungsanord- 37 nung) oder einzelne Gläubiger oder Gläubigergruppen des Schuldners (teilkollektive Stabilisierungsanordnung) erlassen werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass die gem. § 4 StaRUG von einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan ausgenommenen Forderungen von vornherein nicht Gegenstand einer Stabilisierungsanordnung sein können (§ 49 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG).75 Die Adressaten der Stabilisierungsanordnung müssen nicht mit der Auswahl der Planbetroffenen übereinstimmen.76 Der Schuldner entscheidet darüber, gegen welchen Adressatenkreis er eine Stabilisierungs- 38 anordnung beantragt (§ 50 Abs. 1 StaRUG).77 Bei seiner Entscheidung über die Bestimmung des Adressatenkreises muss sich der Schuldner daran orientieren, ob die Erstreckung der Stabilisierungsanordnung auf die ausgewählten Gläubiger zur Wahrung der Aussichten auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist.78 Wenn dies nicht der Fall sein sollte, fehlt es bereits an der Grundvoraussetzung für die Stabilisierungsanordnung (vgl. § 49 Abs. 1 und § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StaRUG). Hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs kann insofern auf Rz. 21 ff. verwiesen werden. Bei der Bestimmung des Adressatenkreises ist der Schuldner zusätzlich zur Gleichbehand- 39 lung der Gläubiger und/oder der Planbetroffenen verpflichtet. Es ist also nicht allein entscheidend, ob die getroffene Auswahl dem Maßstab der Erforderlichkeit (vgl. Rz. 21 ff.) gerecht wird, sondern die Auswahl der von der Anordnung betroffenen Gläubiger muss auch sachgerecht sein, d.h. es bedarf eines sachlichen Grundes, warum bestimmte Gläubiger nicht von der Stabilisierungsanordnung erfasst werden sollen. Das Kriterium der Sachgerechtigkeit ergibt sich in analoger Anwendung von § 8 Satz 1 StaRUG, der die Anforderungen an die Auswahl der Planbetroffenen regelt, wobei die Regelbeispiele gem. § 8 Satz 2 StaRUG nur für die Auswahl der Planbetroffenen passen, nicht hingegen für die Adressaten einer Stabilisierungsanordnung, da diese gerade nicht auf Planbetroffene beschränkt sein muss. Das heißt, wenn der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung gegen bestimmte Planbetroffene oder bestimmte Planbetroffene einer Gruppe beantragt, muss er zwar nicht darüber hinaus eine Stabilisierungsanordnung gegen sämtliche Planbetroffenen bzw. alle Planbetroffenen derselben Gruppe beantragen, aber er muss dazu vortragen, dass es kein gleich geeignetes milderes Mittel gibt und warum die getroffene Auswahl sachgerecht ist. Es darf insbesondere nicht zu einem Sonderopfer bestimmter Gläubiger kommen, die mit einer Stabilisierungsanordnung be-

75 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154. 76 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 72; vgl. Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 66. 77 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 78; Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2682. 78 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 78; vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 58; vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 72.

Schönen/Bender | 885

§ 49 Rz. 39 | Stabilisierungsanordnung legt werden, während anderen Gläubigern, die hinsichtlich Rechtsposition und Interessenlage vergleichbar aufgestellt sind, die Möglichkeit der Durchsetzung ihrer Rechte unbenommen bleibt. Hingegen zählt es nicht zu den Anordnungsvoraussetzungen der Stabilisierung, dass dem jeweiligen Adressaten der mit der Anordnung verbundene Eingriff in seine Rechte zuzumuten ist (vgl. Rz. 32 ff.).79 Dazu muss der Schuldner im Antrag also nicht vortragen.

3. Anordnungsgegenstand a) Vollstreckungssperre (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) 40 Das Institut der Vollstreckungssperre ist angelehnt an § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO.80 Eine

Vollstreckungssperre kann die Untersagung oder einstweilige Einstellung von sämtlichen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in Bezug auf einen Vermögensgegenstand beinhalten. Da die Untersagung in ihren Rechtswirkungen weitergehend ist als die einstweilige Einstellung, darf sie nur angeordnet werden, wenn sie im Vergleich zu einer einstweiligen Einstellung erforderlich ist, um das Restrukturierungsziel zu erreichen.81 Bei der Anordnung einer einstweiligen Einstellung hat das Restrukturierungsgericht den Zeitraum anzugeben, für den die Einstellung gelten soll.82

41 Bei der Vollstreckungssperre handelt es sich nicht um eine materiell-rechtliche Regelung,

d.h. die Fälligkeit der von der Vollstreckungssperre betroffenen Forderung wird nicht berührt, sie betrifft lediglich die prozessuale Durchsetzung der Gläubigerrechte.83 aa) Reichweite einer Vollstreckungssperre (1) Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen

42 Eine Vollstreckungssperre erfasst sämtliche Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen,84 sowohl

von privaten als auch öffentlich-rechtlichen Gläubigern.85 Anders als vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO kann die Vollstreckungssperre sich auch auf die Vollstreckung in unbewegliches Vermögen erstrecken.86 Bei Zwangsversteigerungsverfahren bezogen auf unbewegliches Vermögen greift die im Zuge des Erlasses des StaRUG neu eingefügte Vorschrift des § 30g ZVG, die eine Stabilisierungsanordnung des Restrukturierungsgerichts voraussetzt, auf dessen Basis der Schuldner einen Antrag beim jeweiligen Vollstreckungsgericht gerichtet auf Vollzug der Stabilisierung stellen kann (vgl. Rz. 52 f.).87 Ob auch das Zwangsverwaltungs-

79 80 81 82 83 84 85 86

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A.A. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 16 ff. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 37. Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 12 f.; Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 8; Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 20; Thole, ZIP 2017, 101, 105; Thole, ZRI 2021, 231, 232. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 38; Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 28. Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 75 f.; Skauradszun, ZRI 2020, 404, 404. Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. Riggert in Braun, 2021, § 49 StaRUG Rz. 3; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 41; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 20; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 26. Eingefügt mit Wirkung zum 1.1.2021 durch SanInsFoG v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256).

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Stabilisierungsanordnung | Rz. 44 § 49

verfahren Gegenstand einer Stabilisierungsanordnung sein kann, ist hingegen unklar.88 Eine dem § 30g ZVG entsprechende Spezialregelung wurde für das Zwangsversteigerungsverfahren nicht eingeführt. In Betracht käme allenfalls die Anwendung der Generalklausel des § 146 Abs. 1 ZVG, wonach auf die Anordnung der Zwangsverwaltung die Vorschriften über die Anordnung der Zwangsversteigerung entsprechende Anwendung finden, soweit sich nicht aus den §§ 147– 151 ZVG ein anderes ergibt.89 (2) Arrestverfahren; einstweilige Verfügungsverfahren Von der Wirkung der Vollstreckungssperre wird darüber hinaus auch der Vollzug von Maß- 43 nahmen im Eilverfahren erfasst, jedenfalls im Fall von Arrestverfahren.90 Ob auch einstweilige Verfügungsverfahren von einer Vollstreckungssperre berührt werden, ist nicht eindeutig zu beantworten.91 Im Rahmen von § 21 Abs. 2 InsO ist umstritten, ob der Vollzug von einstweiligen Verfügungen unter die Vollstreckungssperre fällt.92 Dagegen wird vorgebracht, dass dem Schuldner im Fall der einstweiligen Verfügung kein Vermögen entzogen werde,93 so dass nicht die Gefahr bestehe, dass dem Schuldner das zur Fortsetzung des Geschäftsbetriebs benötigte Vermögen entzogen werde. (3) Maßnahmen der Geltendmachung von Forderungen; keine Stundungswirkung Nach dem Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG werden durch den Erlass einer Stabilisie- 44 rungsanordnung nur Maßnahmen der Zwangsvollstreckung untersagt. Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung, die einer Zwangsvollstreckung vorgelagert sind, sind keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und damit nicht von der Regelung der Vollstreckungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG erfasst. Daher bleiben schuldrechtliche Zahlungsaufforderungen und Mahnungen ungeachtet einer Vollstreckungssperre zulässig.94 Insbesondere ändert eine Vollstreckungssperre nichts an der Fälligkeit von gegen den Schuldner gerichteten Forderungen; es wird keine Stundung bewirkt.95 Die Vollstreckungssperre führt für sich genommen auch nicht dazu, dass von einem nicht ernsthaften Einfordern des von der Sperre

88 Dafür: Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 9.4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); dagegen Hintzen, ZfIR 2021, 64, 68, insbesondere auch gegen eine Analogie zu § 30g ZVG mangels planwidriger Regelungslücke, wobei sich eine Analogie aber ohnehin erübrige, da die Verwertungssperre von Amts wegen auch das Zwangsverwaltungsverfahren erfasse. 89 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 35. 90 Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 9.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 42; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 38; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 28; ebenso zu § 21 InsO: OLG Hamm v. 16.4.2020 – 18 U 38/20, NZI 2020, 830 Rz. 41; AG Göttingen v. 14.8.2003 – 74 AR 16/03, NZI 2003, 612, 613; Kopp in BeckOK/InsO § 21 InsO Rz. 89 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022). 91 Dafür: Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 9.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 42; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 38; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 28. 92 Dafür OLG Hamm v. 16.4.2020 – 18 U 38/20, NZI 2020, 830 Rz. 41; AG Göttingen v. 14.8.2003 – 74 AR 16/03, NZI 2003, 612, 613; Kopp in BeckOK/InsO, § 21 InsO Rz. 89 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022); Gerhardt in Jaeger, 2004, § 21 InsO Rz. 39; dagegen Haarmeyer/Schildt in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 21 InsO Rz. 72 Fn. 340. 93 Haarmeyer/Schildt in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 21 InsO Rz. 72 Fn. 340. 94 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 42. 95 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 12 f.; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 38; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 8; Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 20; Thole, ZIP 2020, 1985, 1996; Thole, ZRI 2021, 231, 232.

Schönen/Bender | 887

§ 49 Rz. 44 | Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubigers im Sinne der Rechtsprechung des BGH96 auszugehen ist, das die Außerachtlassung der Forderung bei der Bestimmung der Zahlungsfähigkeit nach § 17 InsO rechtfertigen würde.97 Denn der Gläubiger, dessen Forderung von der Vollstreckungssperre erfasst wird, hat nicht in eine spätere oder nachrangige Befriedigung eingewilligt, wie es der BGH fordert,98 sondern wird aufgrund der gerichtlich angeordneten Sperre an der Durchsetzung seiner Forderung gehindert (sog. erzwungene Stundung).99 45 Eine Geltendmachung von Forderungen und Rechten eines Gläubigers gegenüber dem

Schuldner im Wege des Mahnverfahrens oder der Klageerhebung ist ebenfalls ungeachtet einer Vollstreckungssperre zulässig.100 Ein Verfahren zur Erlangung eines Titels stellt selbst keine Maßnahme der Zwangsvollstreckung dar. Die Geltendmachung von Forderungen und Rechten steht einer Durchsetzung im Wege der Vollstreckung oder Verwertung nicht gleich, sondern ist dieser vorgeschaltet. Auch sonstige Maßnahmen, die der Vorbereitung einer Vollstreckung dienen, wie die Erteilung einer Vollstreckungsklausel nach § 725 ZPO,101 sind zulässig.102 Die Anstrengung eines Mahnverfahrens oder eine Klageerhebung kann selbst bei Forderungen und Rechten eines Planbetroffenen, die im Rahmen des Restrukturierungsplans umgestaltet werden sollen, zweckmäßig oder sogar erforderlich sein, um den Eintritt einer Verjährung zu vermeiden bzw. zu hemmen (vgl. aber § 204 Abs. 1 Nr. 10a BGB zur Hemmung der Verjährung bei Anordnung einer Vollstreckungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG).103

46 Teilweise wird vertreten, dass die Restrukturierungs-RL mit den Regelungen zu Stabilisie-

rungsanordnungen als Rechtsfolge nicht nur die Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen, sondern auch die Unterbrechung von Erkenntnisverfahren ermöglicht.104 Für den Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist in § 240 ZPO eine kraft Gesetzes eintretende Unterbrechung von Zivilgerichtsverfahren vorgesehen. Eine entsprechende Regelung für den Fall eines Restrukturierungsverfahrens wurde jedoch im StaRUG nicht geschaffen. Während der Dauer der Stabilisierungsanordnung kann allerdings die gerichtliche Anordnung eines Ruhens des Verfahrens (§ 251 ZPO) zweckmäßig sein.105 Dies müssten allerdings beide Parteien übereinstimmend bei Gericht beantragen. (4) Aufrechnung und Verrechnung

47 Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung im Wege der Aufrechnung nach §§ 387 ff.

BGB werden von einer Vollstreckungssperre nicht unterbunden.106 Die Aufrechnung bleibt

96 Stellv. BGH v. 14.2.2008 – IX ZR 38/04, NZI 2008, 299 Rz. 21 = ZIP 2008, 706. 97 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 38; Thole, ZIP 2020, 1985, 1996; zust. Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 20. 98 Stellv. BGH v. 14.2.2008 – IX ZR 38/04, NZI 2008, 299 Rz. 21 = ZIP 2008, 706. 99 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 38; Thole, ZIP 2020, 1985, 1996; zust. Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 20. 100 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 10b (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 44; vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 39. 101 Vgl. zu § 89 InsO: BGH v. 12.12.2007 – VII ZB 108/06, NJW 2008, 918 Rz. 13 = MDR 2008, 410 = ZIP 2008, 527. 102 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 43; Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 33. 103 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 43. 104 Skauradszun, ZRI 2020, 404, 404 ff.; a.A. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 44. 105 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 44; vgl. Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 35. 106 Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 10a.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 42; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG

888 | Schönen/Bender

Stabilisierungsanordnung | Rz. 48 § 49

vielmehr auch während der Dauer der Sperre zulässig. Ein Aufrechnungsverbot gem. § 394 BGB, wonach die Aufrechnung gegen eine Forderung nicht stattfindet, wenn diese der Pfändung nicht unterworfen ist, greift nicht. Die Aufrechnung wird zwar auch als „Selbstexekution“ beschrieben.107 Es bleibt aber dabei, dass es sich nicht um eine förmliche Zwangsvollstreckungsmaßnahme handelt. Außerdem fordert das Gesetz auch nicht die Gleichbehandlung von Zwangsvollstreckung und Aufrechnung.108 Im Rahmen von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO entspricht es allgemeiner Meinung, dass eine vom Insolvenzgericht angeordnete Untersagung oder einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in bewegliche Gegenstände eine Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB nicht hindert.109 Auch eine systematische Auslegung von § 49 StaRUG in Zusammenschau mit § 56 Abs. 2 StaRUG führt nicht zu dem Ergebnis, dass die Anordnung einer Vollstreckungssperre Aufrechnungen sperrt.110 Denn der wesentliche Regelungsgehalt des § 56 Abs. 2 StaRUG liegt darin, dass er abweichend von § 55 StaRUG die Möglichkeit der Beendigung der einem Liquidationsnetting zugrunde liegenden Einzelgeschäfte aufrechterhält.111 Liquidationsnetting (bzw. Close-out Netting) bedeutet die Ermittlung der geschuldeten Abschlusszahlung nach Beendigung von bestimmten Einzelgeschäften, die Saldierung ihrer Marktwerte sowie die Verrechnung mit eventuellen rückständigen Zahlungen und Leistungen.112 Eben jene Vertragsbeendigung, die einem Liquidationsnetting notwendigerweise vorauszugehen hat, bleibt gem. § 56 Abs. 2 StaRUG auch im Fall einer Verwertungssperre weiterhin möglich. Zu einem Aufrechnungsausschluss käme man allenfalls im Wege einer Analogie zu der Rege- 48 lung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG. Für eine Analogie bedürfte es einer planwidrigen Regelungslücke sowie einer teleologischen Vergleichbarkeit der Sachverhalte.113 Eine Regelungslücke könnte anzunehmen sein, weil das StaRUG – anders als die InsO in den §§ 94 ff. InsO – das Thema Aufrechnung während eines Restrukturierungsvorhabens nicht regelt. Die Planwidrigkeit dieser Lücke ist aber sehr zweifelhaft. Zwar können sich Gläubiger des Restrukturierungsschuldners durch die Möglichkeit der Aufrechnung einen Vorteil verschaffen. Das ist aber gleichermaßen auch im Rahmen eines vorläufigen Insolvenzverfahrens möglich und es ist nicht ersichtlich, warum das StaRUG über die InsO hinausgehen und strenger sein sollte. Gegen eine Planwidrigkeit der Regelungslücke sprechen zudem Sinn und Zweck des § 49 StaRUG. Es geht im Kern um den Erhalt des technisch-organisatorischen Vermögensverbundes des Schuldners und den Schutz des schuldnerischen Vermögens vor Abfluss von Liquidität (vgl. Rz. 5). Die Aufrechnung führt nicht zu einem Liquiditätsabfluss. Sie verhindert „ledig-

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Rz. 67 f.; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 22; Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 6 Rz. 48; Thole, ZRI 2021, 231, 234; Thole, ZIP 2020, 1985, 1996; mit dieser Tendenz auch Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 13; a.A. Smid, ZInsO 2021, 198, 203. BGH v. 28.4.1987 – VI ZR 1, 43/86, NJW 1987, 2997, 2998; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 22; vgl. Smid, ZInsO 2021, 198, 203, der insoweit von Selbsthilfe spricht. BGH v. 18.7.2013 – VII ZR 241/12, NJW 2013, 2975 Rz. 15 = MDR 2013, 1310. BGH 29.6.2004 – IX ZR 195/03, BGHZ 159, 388, 390 ff. = ZIP 2004, 1558 Leitsatz: „Die Insolvenzordnung enthält zum Aufrechnungsausschluss eine abschließende Regelung, die nicht über eine entsprechende Anwendung von § 394 BGB erweitert werden kann.“; BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09 = NZI 2012, 365 Rz. 24 = ZIP 2012, 737; umfassend dazu Gerhardt in Jaeger, 2004, § 21 InsO Rz. 62 ff.; Haarmeyer/Schildt in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019; § 21 InsO Rz. 72; Vallender in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 21 InsO Rz. 27 m.w.N. A.A. Smid, ZInsO 2021, 198, 203. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 159 unter Bezugnahme auf § 62 StaRUG-RegE, der dem Gesetz gewordenen § 55 entspricht. Fried in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 104 InsO Rz. 212. BGH v. 13.7.1988 – IVa ZR 55/87, BGHZ 105, 140, 143 = MDR 1988, 1038; v. 13.11.2001 – X ZR 134/00, BGHZ 149, 165, 174 = MDR 2002, 471; v. 14.12.2006 – IX ZR 92/05, BGHZ 170, 187 Rz. 14 ff. = MDR 2007, 660 = ZIP 2007, 352.

Schönen/Bender | 889

§ 49 Rz. 48 | Stabilisierungsanordnung lich“ einen Liquiditätszufluss beim Schuldner. Die zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens erforderlichen Vermögensgegenstände werden durch eine Aufrechnung eines Gläubigers ebenfalls nicht berührt. Insofern dürfte eine Erstreckung des § 49 StaRUG auf die Aufrechnung durch den Gesetzgeber nicht gewollt sein. Dies spricht im Ergebnis auch dagegen, dass das Restrukturierungsgericht die Vollstreckungssperre auf Antrag des Schuldners ausdrücklich auch auf die Aufrechnung ausweiten kann.114 Es besteht dafür keine gesetzliche Grundlage. Im Übrigen erscheint das Ergebnis der Ablehnung eines Aufrechnungsausschlusses sachgerecht. Dies gilt auch für den Fall, dass Gläubiger mit während der Anhängigkeit der Restrukturierungssache erworbenen Forderungen aufrechnen. Zwar können Gläubiger, deren Forderungen im Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen, ihre Forderungen nach Anzeige der Restrukturierungssache an Drittschuldner des Restrukturierungsschuldners gegen eine Kaufpreiszahlung zum Nominalwert abtreten, auf diese Weise eine Aufrechnungslage schaffen und selbst eine vollständige Befriedigung erlangen, ohne dass dies in einem späteren Insolvenzverfahren beispielsweise im Wege einer Anfechtung sanktioniert würde.115 Allerdings hat der BGH bereits im Zusammenhang mit § 21 InsO selbst zu diesem Argument Stellung bezogen und festgehalten, dass im Insolvenzeröffnungsverfahren Aufrechnungslagen durch Rechtshandlungen Dritter (wie z.B. Forderungsabtretungen) begründet werden können, ohne dass diese Handlungen von den in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 InsO vorgesehenen Verboten erfasst werden. Daher sei es auch nicht überzeugend, ein Verfügungs- oder Vollstreckungsverbot als aufrechnungsausschließend zu behandeln.116 Diese Argumentation lässt sich auf § 49 StaRUG übertragen. 49 Da Sinn und Zweck eines Restrukturierungsvorhabens anders als im Fall eines Insolvenz-

verfahrens (par conditio creditorum, § 1 InsO) nicht die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger des Schuldners ist, sondern vielmehr die Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und die Sicher- bzw. Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des Schuldners (§ 29 Abs. 1 und § 14 Abs. 1),117 erscheint es auch nicht geboten, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die Aufrechnungen nach Erlass einer Vollstreckungssperre ausschließt.118

50 Für Verrechnungen gilt das Gleiche wie für Aufrechnungen: Verrechnungen bleiben auch

nach dem Erlass einer Vollstreckungssperre zulässig.119 Verrechnungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie im Unterschied zu Aufrechnungen nicht auf einer einseitigen Erklärung gem. §§ 387 ff. BGB beruhen, sondern auf der Grundlage einer vertraglichen Abrede vollzogen werden (sog. Verrechnungsabrede).120 In diesem Rahmen können die Parteien auch von den §§ 387 ff. BGB abweichende, d.h. dahinter zurückbleibende oder darüber hinausgehende, Anforderungen vorsehen.121 Auch hierbei handelt es sich nicht um eine förmliche Zwangsvollstreckungsmaßnahme. Da Verrechnungen auch nach Erlass einer Vollstreckungssperre zulässig bleiben, steht die Vollstreckungssperre auch einer vertraglich vereinbarten Kontokorrentverrechnung nicht entgegen.122 Anders stellt sich dies im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens dar. Die Vollstreckungssperre nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO steht 114 Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 10a.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); für diese Möglichkeit hingegen Fischer, NZI-Beilage 2021, 69, 70; Frind, ZRI 2021, 697, 704. 115 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 68. 116 BGH 29.6.2004 – IX ZR 195/03, BGHZ 159, 388, 390 ff. = ZIP 2004, 1558. 117 Vgl. Bauch in BeckOK/ZVG, § 30g ZVG Rz. 9 ff. (Stand: 8. Ed. 1.3.2022). 118 A.A. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 69; vgl. auch Thole, ZRI 2021, 231, 234 zu Kritik an der aktuellen Konzeption. 119 Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 10a.2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 42; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 23 f. 120 Schlüter in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 387 BGB Rz. 51. 121 Schlüter in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 387 BGB Rz. 52. 122 Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 10a.3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 42; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 23.

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Stabilisierungsanordnung | Rz. 53 § 49

einer Verrechnung zwar nicht entgegen. Aber das Gericht kann eine Verfügungsbeschränkung zu Lasten des Schuldners dergestalt anordnen, dass bei Zahlungseingängen auf debitorischen Schuldnerkonten keine Verrechnungen mehr stattfinden (sog. Kontensperre).123 Die in einem Kontokorrentvertrag regelmäßig enthaltenen Verfügungsvereinbarungen, wonach künftige Forderungen lediglich zur Verrechnung zu stellen sind mit der Folge, dass sie nicht mehr selbständig geltend gemacht oder abgetreten werden können, und dass sich die Verrechnung am Ende einer Rechnungsperiode automatisch vollzieht, sind beide nicht mehr möglich, wenn der Schuldner nicht mehr uneingeschränkt verfügungsbefugt ist.124 Die Vollstreckungssperre gem. § 49 StaRUG bewirkt keine Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Schuldners. bb) Rechtsfolgen einer Vollstreckungssperre Bei Erlass einer Vollstreckungssperre ist diese von den jeweiligen Vollstreckungsorganen 51 grundsätzlich von Amts wegen zu berücksichtigen.125 Laufende Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sind daher einstweilig einzustellen bzw. der Beginn einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme ist zu unterlassen. Bezüglich des von der Vollstreckungssperre erfassten unbeweglichen Vermögens ist für den 52 Vollzug der Sperre das Vollstreckungsgericht zuständig; die Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung der Vollstreckungssperre bleibt jedoch dem Restrukturierungsgericht vorbehalten.126 Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung richtet sich nach dem mit dem SanInsFoG127 eingefügten § 30g ZVG. Wenn das Restrukturierungsgericht eine Vollstreckungssperre i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG angeordnet hat, die auch unbewegliches Vermögen des Schuldners erfasst, steht es dem Schuldner frei, beim Vollstreckungsgericht nach § 30g Abs. 1 ZVG die einstweilige Einstellung des Vollstreckungsverfahrens in das unbewegliche Vermögen zu beantragen. Das Vollstreckungsgericht stellt das Vollstreckungsverfahren einstweilen ein, es sei denn, dass die Einstellung dem betreibenden Gläubiger unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zuzumuten ist (§ 30g Abs. 1 Satz 2 ZVG).128 Das Vollstreckungsgericht hat also eine Interessenabwägung vorzunehmen.129 Für den Schuldner empfiehlt es sich daher darzulegen, aus welchen Gründen die betreffende Immobilie für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs benötigt wird.130 Teilweise wird das Erfordernis eines zusätzlichen Antrags beim Vollstreckungsgericht mit 53 der Begründung in Frage gestellt, dass das Vollstreckungsgericht die vom Restrukturierungsgericht erlassene Anordnung der Vollstreckungssperre von Amts wegen zu berücksichtigen habe.131 Eine Entbehrlichkeit des schuldnerischen Antrags steht jedoch zum einen im Widerspruch zu dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 30g Abs. 1 Satz 1 ZVG, wonach die Einstellung auf Antrag des Schuldners erfolgt. Zum anderen erscheint das Antragserfordernis auch vor dem Hintergrund sinnvoll, dass das Vollstreckungsgericht die einstweilige Einstel123 Vgl. BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, NZI 2012, 325 Rz. 21 = ZIP 2012, 737; Vallender in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 21 InsO Rz. 20 f. 124 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, NZI 2012, 325 Rz. 21 = ZIP 2012, 737. 125 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 39; Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 29. 126 Riggert in Braun, 2021, § 49 StaRUG Rz. 3; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 41. 127 Eingefügt mit Wirkung zum 1.1.2021 durch SanInsFoG v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). 128 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 41; Bauch in BeckOK/ ZVG, § 30g ZVG Rz. 9 ff. (Stand: 8. Ed. 1.3.2022); a.A. Böttcher in Böttcher, 7. Aufl. 2022, § 30g ZVG Rz. 1. 129 Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 6 Rz. 9. 130 Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 6 Rz. 9. 131 Hintzen, ZfIR 2021, 64, 67 f.; zust. Böttcher in Böttcher, 7. Aufl. 2022, § 30g ZVG Rz. 1.

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§ 49 Rz. 53 | Stabilisierungsanordnung lung der Vollstreckung grundsätzlich mit einer Auflage an den Schuldner zu verbinden hat, wonach dieser dem betreibenden Gläubiger eine Kompensation für die einstweilige Einstellung der Vollstreckung zahlen muss. Angesichts der durch das Restrukturierungsgericht erfolgten Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen, dürfte es sich bei der Entscheidung über den Antrag nach § 30g ZVG grundsätzlich um eine gebundene Entscheidung handeln, allerdings mit Ausnahme der in § 30g Abs. 1 Satz 2 ZVG vorgesehenen Prüfung der Zumutbarkeit der Einstellung für den betreffenden Gläubiger. Die als Kompensation für den Eingriff in unbewegliches Vermögen anzuordnende Auflage beinhaltet die Zahlung der geschuldeten Zinsen und den Ausgleich des durch Nutzung entstandenen Wertverlusts durch laufende Zahlungen (§ 30g Abs. 2 Satz 1 ZVG). Eine entsprechende Auflage hat das Gericht hingegen nicht anzuordnen, wenn nach der Höhe der Forderung sowie dem Wert und der sonstigen Belastung des Grundstücks nicht mit einer Befriedigung des Gläubigers aus dem Versteigerungserlös zu rechnen (§ 30g Abs. 2 Satz 2 ZVG).132 Das Verfahren wird auf Antrag des Gläubigers fortgesetzt, wenn die Voraussetzungen für die einstweilige Einstellung entfallen sind, wenn die Auflagen nach § 30g Abs. 2 nicht beachtet werden oder der Schuldner der Fortsetzung zustimmt (§ 30g Abs. 3 Satz 1 ZVG). Vor der Entscheidung des Gerichts ist der Schuldner zu hören (§ 30g Abs. 3 Satz 2 ZVG). 54 Erfolgt trotz des Erlasses einer Vollstreckungssperre eine Vollstreckung in die von der Sperre

erfassten Vermögensgegenstände des Schuldners, kann der Schuldner Erinnerung nach § 766 ZPO beantragen.133

55 Vertragsrechtliche Wirkungen der Vollstreckungssperre ergeben sich aus § 55 StaRUG. 56 Nach § 204 Abs. 1 Nr. 10a BGB hemmt die Anordnung einer Vollstreckungssperre die Ver-

jährung des Anspruchs, wegen dem vollstreckt werden soll. Diese Regelung ist geboten, da die Anordnung der Vollstreckungssperre den Neubeginn der Verjährung durch Vornahme oder Beantragung einer Vollstreckungshandlung nach § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB verhindert.134

b) Verwertungssperre (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) 57 Eine Stabilisierungsanordnung kann nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG neben oder anstelle einer

Vollstreckungssperre eine Verwertungssperre zum Inhalt haben. Eine Verwertungssperre hat zwei mögliche Elemente: Zum einen kann das Gericht im Wege der Verwertungssperre anordnen, dass Rechte an Gegenständen des beweglichen Vermögens des Schuldners, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Ab- oder Aussonderungsrecht geltend gemacht werden können, nicht durchgesetzt werden dürfen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1, Durchsetzungssperre, Rz. 60 ff.). Zum anderen – und zwar zusätzlich zur Durchsetzungssperre – kann die Verwertungssperre beinhalten, dass die von der Vollstreckungssperre erfassten Gegenstände zur Fortführung des Geschäftsbetriebs des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2, Verwendungsbefugnis, Rz. 63 ff.). Dabei setzt die Anordnung der Verwendungsbefugnis die Anordnung der Durchsetzungssperre voraus. Vollstreckungssperre und Verwertungssperre sind hingegen voneinander unabhängig; sie können gemeinsam oder einzeln beantragt und erlassen werden.135 Verwertungssperren können gegen Inhaber von Ab- oder Aussonderungsrechten (§§ 47 ff.

132 Vgl. Bauch in BeckOK/ZVG, § 30g ZVG Rz. 15 (Stand: 8. Ed. 1.3.2022). 133 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 40; Riedemann in Pannen/ Riedemann/Smid, 2021, § 49 StaRUG Rz. 34; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 31; Hölzle in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2.B.V., Rz. 67. 134 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 45. 135 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 48.

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Stabilisierungsanordnung | Rz. 61 § 49

InsO) erlassen werden.136 Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Zwar können Aussonderungsrechte nicht Gegenstand von Restrukturierungsplangestaltungen sein (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, der nur Absonderungsrechte einbezieht),137 dennoch ist eine Erstreckung der Verwertungssperre auch auf Aussonderungsrechte sinnvoll, da andernfalls während des Restrukturierungsverfahrens das Risiko des Abzugs von wesentlichen Betriebsmittelns des Schuldners bestünde.138 Verwertungssperren können nur in Bezug auf bewegliche Vermögensgegenstände angeord- 58 net werden, nicht in Bezug auf das unbewegliche Vermögen. Das folgt schon aus dem Wortlaut von § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Gegenstand von Verwertungssperren können alle Sicherungsrechte sein, die im Fall der Insolvenzeröffnung als Ab- oder Aussonderungsrechte gem. §§ 47 ff. InsO geltend gemacht werden können. Dazu gehören insbesondere Pfandrechte, Sicherungszession und Sicherungsübereignung, die allesamt Absonderungsrechte i.S.v. § 49 InsO begründen, und der einfache Eigentumsvorbehalt, das Eigentum des Vermieters oder Leasinggebers und die Forderungsinhaberschaft des echten Factors, die jeweils Aussonderungsrechte i.S.v. § 47 InsO begründen.139 Vertragsrechtliche Wirkungen der Verwertungssperre ergeben sich aus § 55 StaRUG. Inso- 59 weit ist ein Gleichlauf zwischen Vollstreckungs- und Verwertungssperre gegeben. Besondere Rechtsfolgen allein der Verwertungssperre regelt § 54 StaRUG. Die Vorschrift sieht zum einen eine Kompensation zugunsten des von der Verwertungssperre betroffenen Gläubigers für die Nutzung des Sicherungsgegenstands durch den Schuldner und den damit einhergehenden Wertverlust vor (§ 54 Abs. 1 StaRUG). Zum anderen schützt sie insbesondere Gläubiger revolvierender Sicherheiten vor einem Verlust der Sicherheitenerlöse, indem die bei der Einziehung, Veräußerung oder Verarbeitung erzielten Erlöse vom Schuldner grundsätzlich an die Berechtigten auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren sind (§ 54 Abs. 2 StaRUG). aa) Durchsetzungssperre Mittels einer Durchsetzungssperre wird die Durchsetzung der Sicherungsrechte von Gläubi- 60 gern im Wege der Verwertung verboten. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass ein Sicherungseigentümer oder Eigentumsvorbehaltsverkäufer nicht mehr die Herausgabe des zur Sicherheit übereigneten Gegenstands bzw. des Vorbehaltseigentums an sich verlangen darf und der Sicherungszessionar die zedierte Forderung nicht einziehen darf.140 Vorbereitungshandlungen im Vorfeld einer Verwertung sind ungeachtet einer Durchset- 61 zungssperre weiterhin zulässig. Für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungshandlungen und Verwertungsmaßnahmen kommt es darauf an, ob die Handlung den Sicherungsgegenstand dem Vermögen des Schuldners entzieht oder auf die Entziehung gerichtet ist. Solange die Handlung die Zuordnung des Sicherungsgegenstands zum Vermögen des Schuldners unberührt lässt, liegt eine bloße Vorbereitungshandlung vor, deren Zulässigkeit von einer Durchsetzungssperre unberührt bleibt. Hingegen dürfte es nicht entscheidend sein, ob die Handlung auf einem Recht des Gläubigers beruht, das diesem erst bei Fälligkeit der gesicherten Forde136 Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, 2021, § 49 StaRUG Rz. 4; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 46; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 42; Riedemann in Pannen/Riedemann/ Smid, 2021, § 49 StaRUG Rz. 19; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 38. 137 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 111; Westpfahl/Dittmar in Flöther, § 2 StaRUG Rz. 24. 138 Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 6 Rz. 12. 139 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 48. 140 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 52; vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 50.

Schönen/Bender | 893

§ 49 Rz. 61 | Stabilisierungsanordnung rung zusteht.141 Zum einen ist bei nicht akzessorischen Sicherheiten der Eintritt der Fälligkeit kein notwendiges Kriterium für die Verwertungsbefugnis. Dies ist nur bei akzessorischen Sicherheiten der Fall, wobei es den Parteien unbenommen ist, darüberhinausgehend höhere Anforderungen zu stellen. Zum anderen ist es sowohl bei nicht akzessorischen als auch bei akzessorischen Sicherheiten der parteiautonomen Gestaltung überlassen, welche (weiteren) Rechtsfolgen an eine Fälligkeit geknüpft werden. Der Umstand allein, dass eine dem Gläubiger erlaubte Handlung an der Fälligkeit ansetzt, gibt daher keine Auskunft darüber, ob es sich um eine Vorbereitungs- oder Verwertungshandlung handelt. Dementsprechend bleibt der vertraglich vorgesehene Widerruf einer Einziehungs-, Weiterveräußerungs- oder Verarbeitungsermächtigung auch nach dem Erlass einer Durchsetzungssperre zulässig unabhängig davon, ob der Widerruf die Fälligkeit der gesicherten Forderung voraussetzt; Einschränkungen könnten sich allenfalls aus §§ 44, 55 StaRUG ergeben.142 Gleiches gilt für die Kündigung eines Nutzungsüberlassungsvertrages oder die Fälligstellung des gesicherten Anspruchs. Die vorgenannten Maßnahmen sind allesamt lediglich Vorbereitungsmaßnahmen und keine Verwertungsmaßnahmen. Die Offenlegung einer Sicherungszession gegenüber dem Drittschuldner fällt hingegen bereits unter die Verwertungsmaßnahmen, da der Drittschuldner in der Folge nur noch an den Sicherungszessionar schuldbefreiend leisten kann (vgl. §§ 407, 409 BGB).143 Damit wird der Sicherungsgegenstand dem Vermögen des Schuldners mittelbar entzogen. 62 Der zulässigerweise ausgesprochene Widerruf einer Einziehungs-, Weiterveräußerungs- oder

Verarbeitungsermächtigung hindert den Schuldner aber dann nicht an dem weiteren Einsatz des betreffenden mit Sicherungsrechten belasteten Gegenstands für die Zwecke der Fortführung des Geschäftsbetriebs, wenn das Restrukturierungsgericht zusätzlich zur Durchsetzungssperre eine Verwendungsbefugnis zugunsten des Schuldners anordnet (vgl. Rz. 63 ff.). bb) Verwendungsbefugnis

63 Das Gericht kann die Anordnung der Durchsetzungssperre mit der Anordnung einer Verwen-

dungsbefugnis zugunsten des Gläubigers verbinden. Die Einräumung einer Verwendungsbefugnis erlaubt es dem Schuldner, die erfassten beweglichen Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens einzusetzen. Dem Schuldner bleibt der Zugriff auf die Vermögensgegenstände auch im Fall des Widerrufs von Einziehungs-, Weiterveräußerungs- oder Verarbeitungsermächtigungen erhalten,144 allerdings nur insoweit, wie es um die Nutzung der Gegenstände und nicht deren Verbrauch geht (dazu sogleich Rz. 64). Voraussetzung für die Anordnung der Verwendungsbefugnis ist allerdings, dass der Gegenstand zur Fortführung des Unternehmens von erheblicher Bedeutung ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 StaRUG). Dies ist der Fall, wenn eine ungestörte Fortführung des Geschäftsbetriebs andernfalls nicht möglich wäre und das Nutzungsrecht an dem betreffenden Gegenstand nicht ohne weiteres kurzfristig anderweitig erworben werden könnte.145 Insbesondere im Fall von Anlagevermögen wird eine erhebliche Bedeutung für die Fortführung des Unternehmens regelmäßig gegeben sein.146

141 A.A. Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 61. 142 Vgl. Riggert in Braun, 2021, § 54 StaRUG Rz. 2 unter Hinweis auf § 55 StaRUG; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 52; Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 10; Thole, ZRI 2021, 231, 234 und 238 f.; Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 44 f. 143 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 61. 144 Knauth, NZI 2021, 158, 158; Trowski, NZI 2021, 297, 299; vgl. Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 10: im Fall des Widerrufs bedürfe es ggf. einer Verwertungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. 145 Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 65; vgl. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 42. 146 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 54.

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Stabilisierungsanordnung | Rz. 65 § 49

Die Anordnung einer Verwendungsbefugnis berechtigt den Schuldner für sich genommen 64 aber nur zur Nutzung, nicht hingegen zur Veräußerung, Verarbeitung oder zum Verbrauch des betreffenden Gegenstands, wenn dies nicht in der Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger vorgesehen ist.147 Die Einziehung einer sicherungszedierten Forderung seitens des Schuldners ist ebenfalls ungeachtet der gerichtlich angeordneten Verwendungsbefugnis ohne entsprechende vertragliche Vereinbarung nicht zulässig.148 Den Gläubigern sollen durch die Verwertungssperre nicht mehr Rechte eingeräumt werden, als sie ihnen außerhalb eines Restrukturierungsvorhabens zustünden, insbesondere soll keine von der Gestattung durch den Berechtigten unabhängige Befugnis zur Einziehung, Veräußerung oder Verarbeitung geschaffen werden.149 Die von einer Verwertungssperre betroffenen Gegenstände und Forderungen dürfen bei Fehlen einer vertraglichen Vereinbarung nicht zur Finanzierung des Unternehmens im Wege der Einziehung, Weiterverarbeitung oder Veräußerung eingesetzt werden. Zweck der Verwertungssperre ist unter diesen Umständen vielmehr, dem Schuldner Zeit einzuräumen, um mit den Gläubigern Vereinbarungen zur Finanzierung der Fortführung des Unternehmens zu treffen.150 Einziehung, Veräußerung oder Verarbeitung von Gegenständen seitens des Schuldners 65 sind möglich, wenn dies aufgrund einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung zulässig ist.151 In Bezug auf Gegenstände des Umlaufvermögens wird regelmäßig eine vertragliche Ermächtigung zur Verarbeitung und Veräußerung der Gegenstände im gewöhnlichen Geschäftsverkehr vorliegen. Auch die Einziehung von zur Sicherheit abgetretenen Forderungen ist typischerweise im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erlaubt. Die Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens ist kein Umstand, der dazu führt, dass eine Veräußerung oder Einziehung nicht mehr im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgt.152 Einziehungs-, Verarbeitungs- und Weiterveräußerungsermächtigungen erlöschen auch nicht automatisch mit Anzeige des Restrukturierungsvorhabens, Antrag auf Erlass von Stabilisierungsanordnungen und/oder Erlass einer Stabilisierungsanordnung, sondern müssen von den Gläubigern aktiv widerrufen werden.153 Solange die vertraglich eingeräumte Einziehungs-, Verarbeitungs- oder Weiterveräußerungsermächtigung fortbesteht, bedarf es demnach eigentlich keiner Verwertungssperre. Zur Wahrung der Aussichten auf eine Restrukturierung kann eine Verwertungssperre aber erforderlich werden, wenn mit Bekanntwerden der Restrukturierungssache der Widerruf von Einziehungs-, Weiterveräußerungs- und Verarbeitungsermächtigungen und/oder die Verwertung von Sicherungsgegenständen konkret droht bzw. von Gläubigern angedroht wird.154 Eine Anordnung der Verwendungsbefugnis kann den Widerruf der Einziehungs-, Verarbeitungs- oder 147 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 56; vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 47; vgl. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 55; Bork, ZRI 2021, 345, 359; Thole, ZRI 2021, 231, 238 f. 148 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 57. 149 Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 19/25353, S. 9; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 56. 150 Knauth, NZI 2021, 158, 159. 151 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 56. 152 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 60; Trowski, NZI 2021, 297, 299; mit dieser Tendenz auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1996 unter Hinweis auf BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, NZI 2019, 274 Rz. 25 = ZIP 2019, 472, wonach eine Einziehungsermächtigung nicht ohne weiteres mit der Stellung des Insolvenzantrags oder der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters entfällt. 153 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 61; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 44; Thole, ZIP 2020, 1985, 1996; Trowski, NZI 2021, 297, 299; vgl. BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, NZI 2019, 274 Rz. 25 = ZIP 2019, 472, wonach eine Einziehungsermächtigung selbst dann nicht ohne Weiteres entfällt, wenn ein Insolvenzantrag gestellt oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird. 154 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 44.

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§ 49 Rz. 65 | Stabilisierungsanordnung Weiterveräußerungsermächtigung grundsätzlich nicht überwinden, sondern nur die Berechtigung zur Nutzung eines Gegenstands im Rahmen der Betriebsfortführung verschaffen.155 Zwar hat der BGH zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO entschieden, dass eine gerichtliche Anordnung nach dieser Vorschrift über den Widerruf der Einziehungsermächtigung hinweghelfe.156 Dass dies auch für die Verwertungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG gilt, ist nicht ersichtlich.157 Vielmehr hat der Gesetzgeber ausdrücklich festgehalten, dass keine von der Gestattung durch den Berechtigten unabhängige Befugnis zur Einziehung geschaffen werden soll.158 66 Die im Rahmen einer vertraglich zugelassenen Veräußerung von Gegenständen erzielten Ver-

äußerungserlöse sowie die Einziehungserlöse aus einer zulässigerweise eingezogenen Forderung sind nach § 54 Abs. 2 StaRUG zu separieren oder an den berechtigten Gläubiger auszukehren, wenn das Restrukturierungsgericht eine Verwertungssperre angeordnet hat. Eine Verwendung der Erlöse zur Unternehmensfortführung ist unter diesen Umständen also nicht zulässig, es sei denn, der Schuldner hat mit dem jeweiligen Gläubiger eine entsprechende Vereinbarung geschlossen.159

67 Gläubiger, insbesondere Kreditinstitute, verfügen typischerweise über Pfandrechte an Bank-

konten zur Absicherung ihrer Forderungen. In den Kontoverpfändungsverträgen wird dem Schuldner üblicherweise die Befugnis zur Verfügung über das Konto im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs eingeräumt, wobei die Befugnis unter bestimmten Umständen widerrufen werden kann. Oftmals genügt für den Widerruf der Verfügungsbefugnis ein berechtigtes Sicherungsinteresse des Gläubigers.160 Bei Übertragung der vorstehenden Überlegungen (vgl. Rz. 57 ff.) auf das Kontopfandrecht kann Folgendes festgehalten werden: Die Verwertungssperre hindert den Widerruf nicht, da es sich lediglich um eine Vorbereitungsmaßnahme für die Vollstreckung bzw. Verwertung handelt.161 Allenfalls können im Einzelfall §§ 44, 55 StaRUG dem Widerruf entgegenstehen. Im Fall des Widerrufs der Verfügungsbefugnis darf der Schuldner nicht mehr über das Konto verfügen. Es kommt zu einer Kontosperre. Das Gericht kann diese Sperre nicht im Wege der Anordnung der Verwendungsbefugnis nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 StaRUG zugunsten des Schuldners überwinden, da dem Schuldner mit Hilfe der gerichtlichen Anordnung nicht mehr Rechte eingeräumt werden können, als ihm der Berechtigte gestattet hat. Im Übrigen kann im Fall der vom Sicherungsrecht des Gläubigers erfassten Guthabenforderung von vornherein nicht angenommen werden, dass diese für die Unternehmensfortführung von erheblicher Bedeutung i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG ist.162 Eine Anordnung der Verwendungsbefugnis kann dem Schuldner auch aus diesem Grund keinen Zugriff auf das gesperrte Kontoguthaben verschaffen. Freilich ist der in der Guthabenforderung verkörperte Wert für die Fortführung des Geschäftsbetriebs von „erheblicher Bedeutung“. Genauso wie Erlöse aus der Einziehung von sicherungszedierten Forderungen oder aus der Verwertung von sicherungsübereigneten Gegenständen von „erheblicher Bedeutung“ sind. Für Letztere hat der Gesetzgeber ausdrücklich festgehalten, dass sie ohne entsprechende Vereinbarung mit dem Gläubiger nicht dem Schuldner zustehen (§ 54 Abs. 2 StaRUG). Nichts anderes kann für das vom Pfandgläubiger gesperrte Kontoguthaben gelten. 155 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 57 f. und 59; Thole, ZRI 2021, 231, 238 f. 156 BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, NZI 2019, 274 Rz. 32 = ZIP 2019, 472. 157 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 56; Thole, ZRI 2021, 231, 238 f. 158 Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 19/25353, S. 9. 159 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 58; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 64; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 56; Trowski, NZI 2021, 297, 298 ff. 160 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 62. 161 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 62 und 64. 162 Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 65 ff.

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Stabilisierungsanordnung | Rz. 71 § 49

c) Sperrung der Durchsetzung von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 49 Abs. 3 StaRUG) Stabilisierungsanordnungen können sich auch auf gruppeninterne Drittsicherheiten erstre- 68 cken. Diese Regelung beruht auf Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 und ErwGr. 32 Satz 2 der Restrukturierungs-RL und bezweckt die Vermeidung der Insolvenzverfahrenseröffnung oder eines Restrukturierungsverfahrens des Sicherheiten gewährenden Konzernunternehmens, da beides negative Auswirkungen auf das laufende Restrukturierungsverfahren des Schuldners haben könnte. Auf diese Weise sollen finanzielle Restrukturierungen im Konzern erleichtert werden.163 Von § 49 Abs. 3 StaRUG erfasst sind Rechte der Gläubiger, die diesen aus einer von einem mit 69 dem Schuldner verbundenen Unternehmen i.S.d. § 15 des Aktiengesetzes als Bürge, Mitschuldner oder aufgrund einer anderweitig übernommenen Haftung oder an Gegenständen des Vermögens dieses Unternehmens zustehen (§ 2 Abs. 4 StaRUG). Im Gegensatz zu der Stabilisierungsanordnung nach § 49 Abs. 1 StaRUG werden nach Abs. 3 also auch Personalsicherheiten erfasst. Neben Sachsicherheiten (wie z.B. Anteilspfandrechten, Sicherungsübereignungen von Warenlagern, Grundpfandrechten an Gewerbeimmobilien oder Sicherungsrechten an gewerblichen Schutzrechten) kann daher bei Erlass einer entsprechenden Stabilisierungsanordnung auch eine persönliche Mithaftung eines Konzernunternehmens nicht durchgesetzt werden.164 Das heißt aber nur, dass keine Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt werden dürfen. Eine Zahlungsaufforderung, Mahnung oder Klageerhebung auf Zahlung hindert die Stabilisierungsanordnung auch im Fall von gruppeninternen persönlichen Drittsicherheiten nicht.165 Die Wirkungen einer Stabilisierungsanordnung gegenüber verbundenen Unternehmen gehen nicht über die Wirkungen einer Stabilisierungsanordnung gegenüber dem Schuldner hinaus. In beiden Fällen richtet sich der Inhalt der Anordnung nach § 49 Abs. 1 StaRUG. Das ergibt sich bei systematischer Auslegung von § 49 Abs. 3 StaRUG. Auch die Gesetzesbegründung spricht nur von einer „Erstreckung der Stabilisierungsanordnung“ auf gruppeninterne Drittsicherheiten,166 ohne dass sich ein Anhaltspunkt für über die Wirkungen des § 49 Abs. 1 StaRUG hinausgehende Rechtsfolgen ergibt. Auch die Einbeziehung von gruppeninternen Drittsicherheiten in eine Stabilisierungsanord- 70 nung kommt nur in Betracht, wenn dies i.S.v. § 49 Abs. 1 StaRUG und § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StaRUG erforderlich ist, um das Restrukturierungsziel zu verwirklichen (s. hierzu bereits Rz. 35). d) Ausschluss von Forderungen und Rechten nach § 49 Abs. 2 Satz 1 StaRUG Gegenstand von Stabilisierungsanordnungen können grundsätzlich nur Forderungen und 71 Rechte sein, die durch einen Restrukturierungsplan gestaltbar sind.167 Dementsprechend kann eine Stabilisierungsanordnung gem. § 49 Abs. 2 Satz 1 StaRUG keine Forderungen betreffen, die gem. § 4 StaRUG nicht durch einen Restrukturierungsplan gestaltet werden können. Dies betrifft Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung, sowie Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen und Geldstrafen, Geldbu163 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 74; Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 71; Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 6 Rz. 19. 164 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 76 f. 165 A.A. Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 93; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 76. 166 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154. 167 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 154.

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§ 49 Rz. 71 | Stabilisierungsanordnung ßen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie Forderungen auf Geldzahlung, die als Nebenfolgen aus Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten resultieren. Der Grundsatz, dass nur durch den Restrukturierungsplan gestaltbare Forderungen von einer Stabilisierungsanordnung erfasst werden können, erfährt insofern eine Ausnahme, als sich eine Verwertungssperre auch auf Rechte beziehen kann, die einem Gläubiger im Insolvenzverfahren Aussonderungsrechte verschaffen, auch wenn diese einer Plangestaltung unzugänglich sind (vgl. Rz. 57). 72 Ebenfalls unberührt von den Wirkungen einer Stabilisierungsanordnung bleiben Verfügungen

über Finanzsicherheiten i.S.v. § 1 Abs. 17 KWG sowie bestimmte Zahlungs- und Abwicklungssysteme und das Liquidationsnetting i.S.v. § 104 Abs. 3 und 4 InsO. Das folgt unmittelbar aus der Regelung in § 56 StaRUG.

4. Rechtsfolgen des Antrags a) Entscheidung über den Antrag 73 Das Restrukturierungsgericht entscheidet über den Antrag des Schuldners auf Erlass einer

Stabilisierungsanordnung durch Beschluss (§ 51 Abs. 5 Satz 1 StaRUG). Liegen die Voraussetzungen für eine Anordnung vor, muss das Gericht die Anordnung erlassen, ein Ermessen steht dem Gericht insoweit nicht zu.168 Die vom Gesetzgeber gewünschte Einzelfallprüfung erfolgt im Rahmen der Prüfung der einzelnen Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Prüfung der Erforderlichkeit (vgl. Rz. 21 ff.).169

74 Das Gericht kann hinter dem gestellten Antrag in Bezug auf Inhalt, Dauer und Adressaten-

kreis zurückbleiben und eine weniger umfangreiche Stabilisierungsanordnung erlassen, wenn die Stabilisierungsanordnung in der vom Schuldner beantragten Gestalt nicht erforderlich ist, um das Restrukturierungsziel zu erreichen (vgl. § 49 Abs. 1 StaRUG). Eine über den Antrag hinausgehende Stabilisierungsanordnung ist hingegen nicht möglich.170

75 Für den Fall einer mit behebbaren Mängeln behafteten Restrukturierungsplanung kann das

Restrukturierungsgericht die Anordnung auf zunächst bis zu 20 Tage beschränken und dem Schuldner die Möglichkeit zur Nachbesserung innerhalb dieser Frist eröffnen (§ 51 Abs. 1 Satz 3 StaRUG). Entsprechend dieser gesetzlichen Regelung für die Restrukturierungsplanung sollte das Gericht auch bei sonstigen behebbaren Mängeln des Antrags auf Erlass der Stabilisierungsanordnung wie beispielsweise bei mangelhafter Begründung der Auswahlentscheidung der Planbetroffenen nach § 8 Satz 1 StaRUG171 oder bei der unzureichenden Darlegung der Erforderlichkeit (vgl. § 50 Rz. 12 ff.) die Möglichkeit haben, die Anordnung für einen Zeitraum von höchstens 20 Tagen zu erlassen und dem Schuldner die Beseitigung der Mängel aufzugeben.172

168 Vgl. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 20; Hölzle in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2.B.V. Rz. 14; abweichend Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der davon ausgeht, dass die Entscheidung über die Dauer der Anordnung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegt; ebenso Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 6. 169 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 19 f.; vgl. Hölzle in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2.B.V. Rz. 14. 170 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 32; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 9; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 22. 171 AG Hamburg v. 18.1.2022 – 61 c RES 1/21, NZI 2022, 437 Rz. 18 f. 172 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155.

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Stabilisierungsanordnung | Rz. 80 § 49

b) Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten

Nach § 73 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG bestellt das Restrukturierungsgericht von Amts wegen einen 76 Restrukturierungsbeauftragten, wenn sich die beantragte Stabilisierungsanordnung mit Ausnahme der nach § 4 StaRUG ausgenommenen Forderungen gegen alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger richten soll. In allen anderen Fällen der Stabilisierungsanordnung, d.h. bei Stabilisierungsanordnungen mit einem eingeschränkten Adressatenkreis, steht es im Ermessen des Gerichts, einen Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen, damit dieser als Sachverständiger Prüfungen im Zusammenhang mit den Voraussetzungen einer Stabilisierungsanordnung vornimmt (§ 73 Abs. 3 StaRUG). Daneben kann sich das Erfordernis der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten auch aus anderen in § 73 StaRUG genannten Gründen von Amts wegen oder aufgrund eines Antrags des Schuldners bzw. der Gläubiger nach § 77 Abs. 1 StaRUG ergeben. Wenn ein Restrukturierungsbeauftragter von Amts wegen bestellt worden ist, richtet sich sein 77 Aufgabenkreis nach § 76 StaRUG. Bei Anordnung einer Stabilisierungsmaßnahme zugunsten des Schuldners umfasst sein Aufgabenkreis u.a. die fortlaufende Prüfung, ob die Anordnungsvoraussetzungen fortbestehen und ob ein Aufhebungsgrund i.S.v. § 59 StaRUG vorliegt (§ 76 Abs. 3 StaRUG). Zu diesem Zweck hat der Restrukturierungsbeauftragter die Verhältnisse des Schuldners zu untersuchen (§ 76 Abs. 3 Nr. 1 StaRUG). Ihm steht ferner das Recht zu, Gründe für die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung nach § 59 StaRUG geltend zu machen (§ 76 Abs. 3 Nr. 2 StaRUG). Entsprechendes gilt, wenn ein fakultativer Restrukturierungsbeauftragter auf Antrag des Schuldners oder der Gläubiger bestellt wird und er mit den Aufgaben i.S.v. § 76 Abs. 3 StaRUG betraut wird (vgl. § 77 Abs. 2 StaRUG). c) Besondere Mitteilungspflichten des Schuldners Der Erlass einer Stabilisierungsanordnung nach § 49 StaRUG hat zur Folge, dass der Schuld- 78 ner einer besonderen Mitteilungspflicht gegenüber dem Restrukturierungsgericht nach § 32 Abs. 2 Satz 2 StaRUG unterliegt. So hat er wesentliche Änderungen, welche die Restrukturierungsplanung betreffen, dem Gericht unverzüglich mitzuteilen. Ist ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, besteht diese Mitteilungspflicht auch gegenüber dem Restrukturierungsbeauftragten (§ 32 Abs. 2 Satz 3 StaRUG). d) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der gestaltbaren Rechtsverhältnisse

Für die Frage, welche Forderungen und Rechte im Rahmen des Restrukturierungsplans umge- 79 staltet werden können, kommt es gem. § 2 Abs. 5 Satz 1 StaRUG im außergerichtlichen Planabstimmungsverfahren grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Unterbreitung des Planangebots (§ 17 StaRUG) und im Fall einer Abstimmung im gerichtlichen Planabstimmungsverfahren auf den Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht (§ 45 StaRUG) an. Der Erlass einer Stabilisierungsanordnung nach § 49 StaRUG hat zur Folge, dass sich zugleich der maßgebliche zeitliche Anknüpfungspunkt verändert, indem gem. § 2 Abs. 5 Satz 2 StaRUG an die Stelle des Planangebots oder des Antrags der Zeitpunkt der Erstanordnung der Stabilisierungsmaßnahme tritt. e) Gerichtskosten Die Gerichtskosten für das Verfahren über einen Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanord- 80 nung richten sich nach § 1 Abs. 1 Nr. 3a, § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Anlage 1, Teil 2, Hauptabschnitt 5, Abschnitt 1, Nr. 2511 KV GKG. Danach beträgt die Gebühr für das Verfahren über den Antrag auf Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens 1.000,– Euro, wobei die Gebühr für die Entgegennahme der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach Nr. 2510 KV GKG i.H.v. 150,– Euro vollständig angerechnet wird. Sofern das gesamte Restrukturierungsverfahren vor dem Beginn des gerichtliches ErörSchönen/Bender | 899

§ 49 Rz. 80 | Stabilisierungsanordnung terungs- und Abstimmungstermins oder vor der gerichtlichen Planbestätigung endet, kann das Gericht die Gebühr nach billigem Ermessen auf die Hälfte ermäßigen (Nr. 2511 KV GKG). Werden in dem gleichen Restrukturierungsverfahren mehr als drei Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens beantragt, beträgt die Gebühr nach Nr. 2511 KV GKG 1.500,– Euro (Nr. 2512 KV GKG).

§ 50 Antrag (1) Der Schuldner hat die beantragte Stabilisierungsanordnung nach § 49 Absatz 1 ihrem Inhalt, dem Adressatenkreis und der Dauer nach zu bezeichnen. (2) Der Schuldner fügt dem Antrag eine Restrukturierungsplanung bei, welche umfasst: 1. einen auf den Tag der Antragstellung aktualisierten Entwurf des Restrukturierungsplans oder ein auf diesen Tag aktualisiertes Konzept für die Restrukturierung nach § 31 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, 2. einen Finanzplan, der den Zeitraum von sechs [siehe dazu Rz. 17] Monaten umfasst und eine fundierte Darstellung der Finanzierungsquellen enthält, durch welche die Fortführung des Unternehmens in diesem Zeitraum sichergestellt werden soll; dabei bleiben Finanzierungsquellen außer Betracht, die sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen. (3) Des Weiteren hat der Schuldner zu erklären, 1. ob, in welchem Umfang und gegenüber welchen Gläubigern er sich mit der Erfüllung von Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen, Pensionszusagen oder dem Steuerschuldverhältnis, gegenüber den Sozialversicherungsträgern oder Lieferanten in Verzug befindet, 2. ob und in welchen Verfahren zu seinen Gunsten innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Antrag Vollstreckungs- oder Verwertungssperren nach diesem Gesetz oder nach § 21 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 oder 5 der Insolvenzordnung angeordnet wurden und 3. ob er für die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre seinen Verpflichtungen aus den §§ 325 bis 328 oder aus § 339 des Handelsgesetzbuchs nachgekommen ist. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV. 1. 2. 3. 4.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Historie und EU-Richtlinien-Grundlage 3 Antrag auf Anordnung einer Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Inhalt der angestrebten Anordnung (§ 50 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Darlegung der Erforderlichkeit . . . . . . . . . 12 Beizufügende Unterlagen: Restrukturierungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 a) Entwurf des Restrukturierungsplans bzw. Restrukturierungskonzept (§ 50 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . 16

b) Finanzplan (§ 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erklärung zu Zahlungsrückständen (§ 50 Abs. 3 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . b) Erklärung über vorherige Stabilisierungsanordnungen oder Maßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder 5 InsO (§ 50 Abs. 3 Nr. 2 StaRUG) . . . . c) Erklärung über die handelsrechtlichen Offenlegungspflichten (§ 50 Abs. 3 Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Schrifttum: Thole, Stabilisierung und vertragsrechtliche Wirkungen des StaRUG, ZRI 2021, 231.

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Antrag | Rz. 4 § 50

I. Regelungsgegenstand Die Vorschrift des § 50 StaRUG konkretisiert den Inhalt des Antrags auf Erlass einer Stabili- 1 sierungsanordnung und legt fest, welche Unterlagen dem Antrag beizufügen und welche Erklärungen in den Antrag aufzunehmen sind.

II. Normzweck § 50 StaRUG dient der Sicherstellung der hinreichenden Unterrichtung des Gerichts über 2 das geplante Restrukturierungsvorhaben und die Gründe für den Antrag auf Erlass der Stabilisierungsanordnung.1 Damit soll für das Gericht eine Entscheidungsgrundlage geschaffen und die Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass einer Stabilisierungsanordnung erleichtert werden.2 Mittels Vorlage des Finanzplans soll sichergestellt werden, dass der Schuldner mindestens während der Dauer der Stabilisierungsanordnung durchfinanziert ist.3

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage Das Erfordernis eines Antrags auf Erlass der Stabilisierungsanordnung ergibt sich aus der Re- 3 strukturierungs-RL4 nur im Fall der angestrebten Verlängerung einer Stabilisierungsanordnung (Art. 6 Abs. 7 der Restrukturierungs-RL). Die Restrukturierungs-RL hat es im Übrigen den Mitgliedstaaten überlassen zu entscheiden, ob sie eine Stabilisierungsanordnung kraft Gesetzes vorsehen und auf das Antragserfordernis verzichten oder eine Entscheidung im Einzelfall aufgrund eines entsprechenden Antrags vorsehen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich für Letzteres entschieden. Einzelheiten des Antrags auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung regelt die Restrukturierungs-RL nicht.5

IV. Antrag auf Anordnung einer Stabilisierungsanordnung 1. Anwendungsbereich Die Vorschrift des § 50 StaRUG gilt für den erstmaligen Antrag auf Erlass einer Stabilisie- 4 rungsanordnung ebenso wie grundsätzlich auch für Folge- und Neuanordnungen.6 Bei Folgeanordnungen können jedoch die Einreichung einer Restrukturierungsplanung und eines Finanzplans und die Abgabe der Erklärungen nach § 50 Abs. 3 StaRUG unter Umständen ent-

1 Mock in BeckOK/StaRUG, § 50 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 2 Mock in BeckOK/StaRUG, § 50 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 1; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 1. 3 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155, wonach die Durchfinanzierung über die Anordnungshöchstdauer nach § 53 Abs. 1 und 2 StaRUG hinaus sichergestellt werden soll; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 5. 4 Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 – im Folgenden: Restrukturierungs-RL. 5 Mock in BeckOK/StaRUG, § 50 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 6 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 1; vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 50 StaRUG Rz. 5.

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§ 50 Rz. 4 | Antrag behrlich sein (vgl. § 52 Rz. 19 ff.).7 Gleiches kann bei der Neuanordnung gelten (vgl. § 52 Rz. 31 ff.). Dem Schuldner ist allerdings anzuraten, auch im Fall von Folge- und Neuanordnungen vollständige Antragsunterlagen beizufügen, um dem Gericht eine zügige Entscheidung zu erleichtern und Diskussionen zur Frage der Vollständigkeit der Unterlagen zu vermeiden.

2. Inhalt der angestrebten Anordnung (§ 50 Abs. 1 StaRUG) 5 Der Antrag an das Restrukturierungsgericht muss den Inhalt der beantragten Stabilisierungs-

anordnung, den Adressatenkreis sowie die Dauer der begehrten Stabilisierungsanordnung hinreichend bestimmt bezeichnen (§ 50 Abs. 1 StaRUG).

6 Soweit es den Inhalt der Stabilisierungsanordnung betrifft, hat der Schuldner u.a. anzugeben,

ob er eine Vollstreckungssperre (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) oder eine Verwertungssperre (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) oder beide Maßnahmen in der Kombination begehrt.8 Bei der Beantragung einer Verwertungssperre ist wiederum zwischen Durchsetzungssperre (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StaRUG) und Verwendungsbefugnis (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StaRUG) zu differenzieren.9

7 Im Fall der Beantragung einer Vollstreckungssperre ist neben der Angabe der beantragten

Anordnung das potentielle Vollstreckungsrechtsverhältnis so konkret wie möglich zu bezeichnen.10 Bei Vorliegen eines Vollstreckungstitels ist dieser anzugeben und zwecks Substantiierung der Erforderlichkeit der Vollstreckungssperre, wenn möglich, nachzuweisen.11 Bei Beantragung einer Untersagung der Kontopfändung sind beispielsweise der Vollstreckungstitel und das zu pfändende Konto zu benennen.12 Liegt ein Vollstreckungstitel noch nicht vor, ist das Drohen der Vollstreckung besonders darzulegen und zu begründen.13

8 Bei Beantragung einer Verwertungssperre sind der Sicherheitenvertrag und die für die Verwer-

tung der Sicherheit geltenden Verwertungsvoraussetzungen zu bezeichnen14 sowie deren Vorliegen oder zumindest deren drohender Eintritt darzulegen. Zudem sind die Gegenstände, an denen Rechte bestehen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Ab- oder Aussonderungsrecht geltend gemacht werden könnten, konkret im Sinne des sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes zu benennen.15 Dies kann durch Vorlage des Sicherheitenvertrages erreicht werden.16 Im Fall eines Antrags auf Erlass einer Verwertungssperre wegen des Widerrufs oder Wegfalls der Einziehungsermächtigung im Rahmen einer Globalzession sind die zedierten Forderungen zu bezeichnen, wobei eine zusammenfassende Umschreibung der Forderungen zulässig ist, sofern dies eine eindeutige Zuordnung der Forderungen ermöglicht.17

7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 11. Schönfelder in Flöther, 2021, § 50 StaRUG Rz. 3. Vgl. Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 50 StaRUG Rz. 10. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 8. Riggert in Braun, 2021, § 50 StaRUG Rz. 3; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 9 und § 51 StaRUG Rz. 33. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 8. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 9 und § 51 StaRUG Rz. 33; weitergehend: Riggert in Braun, 2021, § 50 StaRUG Rz. 3, der eine Glaubhaftmachung der drohenden Vollstreckung fordert. Riggert in Braun, 2021, § 50 StaRUG Rz. 4; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 9; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 9. Riggert in Braun, 2021, § 50 StaRUG Rz. 4; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 10. Riggert in Braun, 2021, § 50 StaRUG Rz. 4; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 9; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 9. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 10.

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Antrag | Rz. 12 § 50

Im Rahmen der Angabe des Adressatenkreises muss der Schuldner konkret bezeichnen, ge- 9 gen welche Gläubiger sich die Anordnung richten soll. Die beantragte Anordnung kann sich gegen alle Gläubiger (allgemeine Stabilisierungsanordnung), gegen einzelne Gläubiger oder gegen Gläubigergruppen (individuelle Stabilisierungsanordnung) richten, wobei die als Adressaten ausgewählten Gläubigergruppen den in § 9 StaRUG genannten Gruppen entsprechen können, aber nicht müssen.18 Die Gläubiger sind namentlich zu bezeichnen. Handelt es sich bei einem Gläubiger um ein Unternehmen, ist die genaue Firmierung anzugeben.19 Erforderlich ist zudem sowohl bei natürlichen als auch juristischen Personen die Nennung einer zustellfähigen Anschrift, da die Stabilisierungsanordnung nach § 51 Abs. 4 StaRUG jedenfalls in nicht-öffentlichen Restrukturierungssachen durch das Gericht oder den Restrukturierungsbeauftragten (§ 76 Abs. 6 StaRUG) allen von der Anordnung betroffenen Gläubigern zuzustellen ist.20 Bei der Bestimmung des Adressatenkreises hat der Schuldner das Kriterium der Erforderlichkeit und den Gleichbehandlungsgrundsatz zu berücksichtigen (vgl. § 49 Rz. 38 f.). Der Schuldner hat die Dauer der Stabilisierungsanordnung gemäß den Vorgaben des § 53 Sta- 10 RUG zu bestimmen. Danach beträgt die Höchstdauer der Erstanordnung drei Monate (§ 53 Abs. 1 StaRUG). Vor dem Hintergrund, dass die beantragte Anordnungsdauer dem Kriterium der Erforderlichkeit genügen muss, sollte sich die Dauer an dem voraussichtlichen Zeitpunkt der Abstimmung über den Restrukturierungsplan orientieren.21 Das heißt aber nicht, dass die Dauer nicht darüber hinausgehen darf. Denn erst mit der gerichtlichen Planbestätigung treten die Wirkungen des Restrukturierungsplans für und gegen alle Planbetroffenen ein (§ 67 Abs. 1 StaRUG). Dies darf bei der Bestimmung der Dauer einer beantragten Stabilisierungsanordnung Berücksichtigung finden, ohne dass dies die Erforderlichkeit der Anordnung in Frage stellt. Unter bestimmten Umständen kommt im weiteren Verlauf des Restrukturierungsverfahrens eine Verlängerung der Anordnungshöchstdauer auf vier bzw. acht Monate im Wege einer Folge- bzw. Neuanordnung in Betracht (§ 53 Abs. 2 und 3 StaRUG). Anträge auf eine Folgeoder Neuanordnung einer Stabilisierungsmaßnahme können nicht mit dem Erstantrag verbunden werden (vgl. § 53 Rz. 13).22 Bei der Ausgestaltung des Antrags sollte sich der Schuldner möglichst eng an der Struktur 11 und der Terminologie des § 50 StaRUG orientieren, um dem Restrukturierungsgericht eine zügige Bearbeitung zu erleichtern.23

3. Darlegung der Erforderlichkeit Die Darlegung der Erforderlichkeit der Stabilisierungsanordnung sieht das Gesetz für den An- 12 trag nicht vor, dennoch sollte der Antrag eine Begründung enthalten, weshalb die Stabilisierungsanordnung für die Verwirklichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist.24 Es müsste nach hier vertretener Auffassung die konkrete Gefahr einer drohenden Vollstreckung 18 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 10. 19 Mönning in Nerlich/Römermann, § 50 StaRUG Rz. 4 (Stand: 44. EL November 2021); Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 17. 20 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 11; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 10. 21 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 12; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 19. 22 Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 7; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 11. 23 Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 21 und § 50 StaRUG Rz. 2. 24 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 7, 14; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 17; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 21 und § 50 StaRUG Rz. 21.

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§ 50 Rz. 12 | Antrag bzw. Verwertung bestehen und es dürfte kein milderes Mittel zur Verfügung stehen, das gleich geeignet ist zur Verwirklichung des Restrukturierungsziels (vgl. § 49 Rz. 21 ff.). Vor diesem Hintergrund sind die Dauer, der Adressatenkreis und der angestrebte Inhalt entsprechend zu begründen. Es bedarf Ausführungen im Antrag zur konkret drohenden Vollstreckung bzw. Verwertung (vgl. Rz. 7 f.). Darüber hinaus sollten in Betracht kommende Handlungsalternativen dargestellt und im Hinblick auf deren Eingriffsintensität und Geeignetheit zur Zielerreichung bewertet und gegenübergestellt werden. Auch die drohenden negativen Folgen für das Restrukturierungsvorhaben für den Fall, dass die Stabilisierungsanordnung nicht erlassen wird, sollten im Einzelnen dargelegt werden.25 13 Wird eine Stabilisierungsanordnung in Bezug auf gruppeninterne Drittsicherheiten beantragt,

ist die Erforderlichkeit durch den Nachweis darzulegen, dass in Bezug auf den Drittsicherungsgeber bei Durchsetzung bzw. Verwertung der Sicherheit ein Insolvenzgrund einzutreten droht, oder mit Hilfe einer Erläuterung zu belegen, warum trotz Abwesenheit von Insolvenzgefahr bei dem Drittsicherungsgeber eine Stabilisierungsanordnung zur Vermeidung einer Gefährdung des Restrukturierungserfolgs auf Ebene des Schuldners erforderlich ist (vgl. § 49 Rz. 35).26

4. Beizufügende Unterlagen: Restrukturierungsplanung 14 Dem Antrag auf Erlass der Stabilisierungsanordnung ist eine Restrukturierungsplanung bei-

zufügen. Diese umfasst entweder einen auf den Tag der Antragstellung aktualisierten Restrukturierungsplan oder ein auf den Tag der Antragstellung aktualisiertes Konzept für die Restrukturierung (§ 50 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) sowie einen Finanzplan (§ 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG). Wird lediglich ein Restrukturierungskonzept vorgelegt, kann das Gericht dem Schuldner eine Frist setzen, binnen derer der Restrukturierungsplan vorzulegen ist (§ 51 Abs. 3 StaRUG).

15 Die Vorschrift soll sicherstellen, dass dem Restrukturierungsgericht die mit der Anzeige des

Restrukturierungsvorhabens nach § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG eingereichten Unterlagen in tagesaktueller Fassung vorliegen27 sowie darüber hinaus zusätzlich ein Finanzplan, aus dem sich die Durchfinanzierung des Schuldners mindestens für die Dauer der Stabilisierungsanordnung ergibt.28 a) Entwurf des Restrukturierungsplans bzw. Restrukturierungskonzept (§ 50 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG)

16 Für den einzureichenden Entwurf des Restrukturierungsplans bzw. für das Restrukturierungs-

konzept gelten die Vorgaben des § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG als Mindestvorgaben.29 Zu berücksichtigen ist dabei, dass das Restrukturierungsgericht im Zusammenhang mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens zunächst keine Prüfung der eingereichten Unterlagen hinsichtlich der Aussicht auf erfolgreiche Umsetzung des Restrukturierungsvorhabens vorzunehmen hat. Bei Einreichung eines Antrags auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung hingegen hat das Gericht das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen nach § 51 StaRUG auf Basis der gem. § 50 StaRUG eingereichten Unterlagen zu prüfen.30 Zum Prüfungsumfang zählt

25 26 27 28 29

Vgl. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 8. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 Rz. 19. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 16; vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 50 StaRUG Rz. 8. 30 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 50 StaRUG Rz. 9.

904 | Schönen/Bender

Antrag | Rz. 18 § 50

insbesondere die Erforderlichkeit der Stabilisierungsanordnung für die Erreichung des Restrukturierungsziels (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StaRUG). Insofern sind an die Vollständigkeit, Schlüssigkeit und die Tatsachengrundlage des Restrukturierungsplans bzw. Restrukturierungskonzepts vergleichsweise hohe Anforderungen zu stellen.31 Das zuvor im Rahmen der Anzeige nach § 31 StaRUG bei Gericht eingereichte Restrukturierungskonzept bzw. der Planentwurf sind vom Schuldner kritisch daraufhin zu überprüfen, ob sie ausreichen, um die Erforderlichkeit der beantragten Stabilisierungsanordnung darzulegen. Im Rahmen der Darstellung des Krisenstadiums des schuldnerischen Unternehmens ist im Rahmen des Antrags insbesondere auch eine Darlegung der drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 18 InsO vorzunehmen, da dies eine wesentliche Anordnungsvoraussetzung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StaRUG ist (vgl. § 51 Rz. 28 ff.).32 b) Finanzplan (§ 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) Um sicherzustellen, dass der Schuldner nicht nur während der Zeit der Anordnungshöchst- 17 dauer von bis zu vier Monaten nach § 53 Abs. 1 und 2 StaRUG sondern auch darüber hinaus durchfinanziert ist, hat der Schuldner dem Antrag einen Finanzplan beizufügen, der einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten umfasst (§ 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG).33 Nach § 4 SanInsKG (BGBl. I 2022, 1966, 1968) wird bis zum 31.12.2023 der Zeitraum von sechs Monaten auf vier Monate verkürzt, um Prognoseunsicherheiten im Rahmen der Energiepreiskrise Rechnung zu tragen. Der Finanzplan hat auf einem aktuellen stichtagsbezogenen Finanzstatus aufzusetzen, er 18 hat diesen fortzuschreiben und aufzuzeigen, dass der Schuldner für mindestens sechs (bzw. bis zum 31.12.2023 vier) Monate durchfinanziert ist.34 Die Planung sollte mindestens auf Monatsbasis erfolgen, wenn nicht sogar auf Basis von kürzeren Intervallen.35 Aus dem Finanzplan muss sich ergeben, welche Verbindlichkeiten im Planungshorizont fällig werden und welche Zahlungseingänge bzw. verfügbaren liquiden Mittel in diesem Zeitraum vom Schuldner konkret angenommen und eingeplant werden.36 Der Finanzplan muss insbesondere eine fundierte Darstellung der Finanzierungsquellen enthalten, durch welche die Fortführung des Unternehmens in diesem Zeitraum sichergestellt werden soll.37 Außerdem muss der Finanzplan die Kosten des Restrukturierungsverfahrens einschließlich der Kosten für Berater berücksichtigen.38 Mit Hilfe eines detaillierten Finanzplans soll dem Gericht ermöglicht werden nachzuvollziehen, mit welchen Einnahmen und Ausgaben der Schuldner rechnet. Das Gericht soll in die Lage versetzt werden, den Finanzplan insgesamt einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen.39

31 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 20; Riggert in Braun, 2021, § 50 StaRUG Rz. 7. 32 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 18; vgl. auch Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 33; AG Hamburg v. 18.1.2022 – 61 c RES 1/21, NZI 2022, 437, 439. 33 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155. 34 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 33. 35 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 33. 36 Zu Einzelheiten des Finanzplans s. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 25. 37 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155; weitergehend Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 23, der einen Nachweis über die Finanzierungsquellen fordert. 38 Riggert in Braun, 2021, § 50 StaRUG Rz. 9; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 21; vgl. zur Parallelvorschrift für die Eigenverwaltungsplanung in § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO: Begr. RegE SanInsFoG zur InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. 39 Vgl. zur Parallelvorschrift für die Eigenverwaltungsplanung in § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO: Begr. RegE SanInsFoG zur InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204.

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§ 50 Rz. 19 | Antrag 19 Finanzierungsquellen, die sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen, dür-

fen im Finanzplan nicht berücksichtigt werden (§ 50 Abs. 2 Nr. 2 Halbs. 2 StaRUG). Das heißt, dass der Stabilisierungszeitraum z.B. nicht durch die Veräußerung der Unternehmenssubstanz finanziert werden darf. Es dürfen daher beispielsweise Erlöse aus der Veräußerung von Anlagevermögen, dessen Einsatz für die Realisierung des Restrukturierungsziels erforderlich ist, nicht im Finanzplan berücksichtigt werden.40 Demgegenüber kann es zulässig und betriebswirtschaftlich sinnvoll sein, wenn Veräußerungen von nicht betriebsnotwendigem Anlagevermögen eingeplant werden oder eine Sale & Lease-Back Transaktion umgesetzt wird, um auf diese Weise die Finanzierung der sonst negativen operativen Ergebnisse zu kompensieren, auch wenn hierdurch die Verlustsituation des Schuldners nicht strukturell behoben wird.41

20 Die Umsetzung der im Finanzplan genannten Maßnahmen muss überwiegend wahrschein-

lich sein.42 Insoweit ist also ein strengerer Maßstab anzulegen als bei der Prüfung der Schlüssigkeit des Grobkonzepts, das den Entwurf des Restrukturierungsplans bzw. das aktualisierte Konzept für die Restrukturierung umfasst und bei dem lediglich die Realisierbarkeit zu prüfen ist (vgl. § 51 Rz. 18 f.). Es dürfen in der Planung bei den verfügbaren Mitteln für die nächsten sechs (bzw. bis zum 31.12.2023 vier) Monate auch solche Mittel eingeplant werden, deren Zugang noch nicht sicher feststeht, aber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.43 Für eine Berücksichtigung von Fremdfinanzierungen oder Gesellschafterfinanzierungen im Finanzplan müssen grundsätzlich bereits Finanzierungsvereinbarungen rechtsverbindlich abgeschlossen sein, wobei noch ausstehende formelle Bedingungen wie insbesondere der Erlass der Stabilisierungsanordnung oder die Planannahme unschädlich sind, vorausgesetzt, dass die Planannahme mit den erforderlichen Mehrheiten überwiegend wahrscheinlich ist.44 Hingegen ist es nicht erforderlich, dass die Durchfinanzierung im Betrachtungszeitraum als sicher einzustufen ist, sondern es ist dem Finanzplan immanent, dass es einer Prognose mit Wahrscheinlichkeitsabschätzung bedarf.45 Um die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Durchfinanzierung belastbar darzulegen, empfiehlt es sich, die Liquiditätsplanung nicht nur auf Basis des von der Geschäftsleitung angenommenen Base Case bzw. Management Case zu erstellen, sondern zusätzlich auf Basis eines Stress Case bzw. Downside Case, in dem vorsorglich verschlechterte Bedingungen zugrunde gelegt werden.46

5. Erklärungen 21 Dem Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung hat der Schuldner verschiedene Erklä-

rungen beizufügen. Beruhen die Erklärungen in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden

40 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155; Thole, ZRI 2021, 231, 235; vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 50 StaRUG Rz. 12. 41 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 34; ebenso Mock in BeckOK/ StaRUG, § 50 StaRUG Rz. 16.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); kritisch Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 25: es müsse begründet werden, warum die Veräußerung nicht nur zu einem kurzfristigen Liquiditätseffekt führt. 42 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 33; vgl. zur Parallelvorschrift für die Eigenverwaltungsplanung in § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO: Begr. RegE SanInsFoG zur InsO, BTDrucks. 19/24181, S. 204, wonach der Maßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit anzulegen ist; Riggert in Braun, 2021, § 50 StaRUG Rz. 9; a.A. Schönfelder in Flöther, 2021, § 50 StaRUG Rz. 14 f. 43 Vgl. zur Parallelvorschrift für die Eigenverwaltungsplanung in § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO: Begr. RegE SanInsFoG zur InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. 44 Vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 23 und 26; Mock in BeckOK/StaRUG, § 50 StaRUG Rz. 16.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der von konkreten Finanzierungszusagen spricht. 45 A.A. Schönfelder in Flöther, 2021, § 50 StaRUG Rz. 14 f. 46 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 50 StaRUG Rz. 15, der vom Vorhalten von Liquiditätsreserven spricht.

906 | Schönen/Bender

Antrag | Rz. 24 § 50

Tatsachen und hat das Restrukturierungsgericht Kenntnis davon, ist der Antrag auf Erlass der Stabilisierungsanordnung abzulehnen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 StaRUG). Bei Kenntnis von Zahlungsrückständen gegenüber bestimmten Gläubigern, Verletzung von Offenlegungspflichten oder vorangegangenen vorherigen Stabilisierungsanordnungen oder Maßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder 5 InsO liegt es hingegen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zu beurteilen, ob die Stabilisierungsanordnung dessen ungeachtet erlassen werden kann, weil der Schuldner dazu in der Lage und bereit ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten (§ 51 Abs. 2 StaRUG). a) Erklärung zu Zahlungsrückständen (§ 50 Abs. 3 Nr. 1 StaRUG) Der Schuldner muss erklären, ob, in welchem Umfang und gegenüber welchen Gläubigern er 22 sich mit der Erfüllung von Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen, Pensionszusagen oder dem Steuerschuldverhältnis, gegenüber den Sozialversicherungsträgern oder Lieferanten in Verzug befindet (§ 50 Abs. 3 Nr. 1 StaRUG). Zahlungsrückstände aufgrund üblicher Zahlungsziele müssen nicht angegeben werden.47 Die Informationen sollen dem Gericht ermöglichen, das Vorliegen eines konkreten Vollstreckungsrisikos zu beurteilen.48 Befindet sich der Schuldner in erheblichem Maße in Verzug, wird eine Stabilisierungsanordnung nach § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG nur erlassen, wenn trotz dieser Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. b) Erklärung über vorherige Stabilisierungsanordnungen oder Maßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder 5 InsO (§ 50 Abs. 3 Nr. 2 StaRUG) Nach § 50 Abs. 3 Nr. 2 StaRUG muss der Schuldner erklären, ob und in welchen Verfahren zu 23 seinen Gunsten innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Antrag Vollstreckungs- oder Verwertungssperren nach dem StaRUG oder nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder 5 InsO angeordnet wurden. Wurden zuvor bereits Stabilisierungsanordnungen erlassen, sind in der Erklärung das betreffende Gericht und das jeweilige Aktenzeichen anzugeben.49 Falls es in den letzten drei Jahren vor Antragstellung zu Stabilisierungs- oder Sicherungsanordnungen gekommen sein sollte, wird ebenso wie im Fall von erheblichen Zahlungsrückständen (vgl. Rz. 22) und der Verletzung von Offenlegungspflichten (vgl. Rz. 24) eine Stabilisierungsanordnung nach § 51 Abs. 2 Satz 2 StaRUG nur erlassen, wenn trotz dieser Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. Allerdings gilt dies nicht, wenn der Anlass dieser Anordnungen durch eine nachhaltige Sanierung des Schuldners bewältigt wurde (§ 51 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbs. StaRUG). c) Erklärung über die handelsrechtlichen Offenlegungspflichten (§ 50 Abs. 3 Nr. 3) Zuletzt muss der Antragsteller gem. § 50 Abs. 3 Nr. 3 StaRUG erklären, ob er für die letzten 24 drei abgeschlossenen Geschäftsjahre seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Offenlegung der Jahresabschlüsse gem. §§ 325–328 HGB bzw. § 339 HGB nachgekommen ist. Hat der Antragsteller in den letzten drei Geschäftsjahren gegen eine der Offenlegungspflichten verstoßen, wird eine Stabilisierungsanordnung nach § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG nur angeordnet, wenn trotz dieser Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. 47 Mönning in Nerlich/Römermann, § 50 StaRUG Rz. 13 (Stand: 44. EL November 2021). 48 Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 50 StaRUG Rz. 19. 49 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155.

Schönen/Bender | 907

§ 51 | Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung

§ 51 Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung (1) 1Die Stabilisierungsanordnung ergeht, wenn die von dem Schuldner vorgelegte Restrukturierungsplanung vollständig und schlüssig ist und keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass 1. die Restrukturierungsplanung oder die Erklärungen zu § 50 Absatz 3 in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht oder beruhen, 2. die Restrukturierung aussichtslos ist, weil keine Aussicht darauf besteht, dass ein das Restrukturierungskonzept umsetzender Plan von den Planbetroffenen angenommen oder vom Gericht bestätigt werden würde, 3. der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist oder 4. die beantragte Anordnung nicht erforderlich ist, um das Restrukturierungsziel zu verwirklichen. 2 Schlüssig ist die Planung, wenn nicht offensichtlich ist, dass sich das Restrukturierungsziel nicht auf Grundlage der in Aussicht genommenen Maßnahmen erreichen lässt. 3Weist die Restrukturierungsplanung behebbare Mängel auf, erlässt das Gericht die Anordnung für einen Zeitraum von höchstens 20 Tagen und gibt dem Schuldner auf, die Mängel innerhalb dieses Zeitraums zu beheben (2) 1Sind Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass 1. erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber den in § 50 Absatz 3 Nummer 1 genannten Gläubigern bestehen oder 2. der Schuldner für mindestens eines der letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre gegen die Offenlegungspflichten nach den §§ 325 bis 328 oder nach § 339 des Handelsgesetzbuchs verstoßen hat, erfolgt die Stabilisierungsanordnung nur, wenn trotz dieser Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. 2Dies gilt auch, wenn zugunsten des Schuldners in den letzten drei Jahren vor der Stellung des Antrags die in § 49 Absatz 1 genannten Vollstreckungs- oder Verwertungssperren oder vorläufige Sicherungsanordnungen nach § 21 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 oder 5 der Insolvenzordnung angeordnet wurden, sofern nicht der Anlass dieser Anordnungen durch eine nachhaltige Sanierung des Schuldners bewältigt wurde. (3) Liegt zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung kein Restrukturierungsplan vor, kann das Gericht dem Schuldner eine Frist setzen, binnen derer der Restrukturierungsplan vorzulegen ist. (4) 1Die Stabilisierungsanordnung ist allen Gläubigern, die von ihr betroffen sind, zuzustellen. 2In öffentlichen Restrukturierungssachen (§ 84) kann auf eine Zustellung verzichtet werden, wenn sich die Anordnung mit Ausnahme der in § 4 genannten Gläubiger gegen alle Gläubiger richtet. (5) 1Das Restrukturierungsgericht entscheidet über den Antrag auf Erlass der Stabilisierungsanordnung durch Beschluss. 2Soweit das Gericht den Antrag zurückweist, steht dem Schuldner gegen den Beschluss die sofortige Beschwerde zu. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256).

908 | Schönen/Bender

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung | Rz. 2 § 51

I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vollständigkeit und Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung . . . . . . . . . . a) Vollständigkeit der Restrukturierungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . bb) Schlüssigkeit des Grobkonzepts . cc) Schlüssigkeit des Finanzplans . . . 2. Keine Kenntnis von absoluten Ausschlussgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beruhen auf unzutreffenden Tatsachen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aussichtslosigkeit der Restrukturierung (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StaRUG) . . . . . . .

1 5

3.

7 9 12 13 14 14 18 20

V.

21

VI.

23

VII.

26

4.

VIII.

d) Erforderlichkeit (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Kenntnis von relativen Ausschlussgründen (§ 51 Abs. 2 StaRUG) a) Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zahlungsrückstände (§ 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . c) Verstoß gegen Offenlegungspflichten (§ 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG) . . d) Vorherige Anordnungen (§ 51 Abs. 2 Satz 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . (Kein) Erfordernis einer gutachterlichen Bescheinigung . . . . . . . . . . . . . . . Vorläufige Anordnung bei behebbaren Mängeln (§ 51 Abs. 1 Satz 3 StaRUG) Fristsetzung zur Vorlage eines Restrukturierungsplans (§ 51 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustellung der Stabilisierungsanordnung (§ 51 Abs. 4 StaRUG) . . . . . . . . . Beschluss, Rechtsmittel (§ 51 Abs. 5 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 32 33 34 35 37 42 46 49 52 55

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Schrifttum: Gehrlein, Anfechtung versus Sanierung – Anfechtungsgefahren für Sanierungszahlungen?, WM 2011, 577; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 2), ZInsO 2020, 2677; Weber/Nentwig, An gesetzliche Vorgaben angepasst: IDW überarbeitet die Standards IDW S 11 (Insolvenzeröffnungsgründe), IDW S 9 (Bescheinigung nach § 270d InsO) und schafft einen neuen Standard IDW S 15 (Stabilisierungsanordnung nach § 49 StaRUG), ZInsO 2022, 857.

I. Regelungsgegenstand § 51 StaRUG normiert die positiven Tatbestandsvoraussetzungen (Vollständigkeit und Schlüs- 1 sigkeit der vorgelegten Restrukturierungsplanung) und die negativen Tatbestandsvoraussetzungen (keine Kenntnis des Gerichts von Umständen, aus denen sich bestimmte Sachverhalte ergeben), unter denen das Gericht eine Stabilisierungsanordnung erlassen muss. Der Gesetzesbegründung ist im Hinblick auf die positiven Tatbestandsvoraussetzungen zu 2 entnehmen, dass mit der Formulierung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StaRUG, wonach die „vorgelegte Restrukturierungsplanung vollständig und schlüssig ist“ und „keine Umstände bekannt sind“ der gerichtliche Prüfungsmaßstab dahingehend festgelegt wird, dass das Gericht die Restrukturierungsplanung auf ihre formale Vollständigkeit prüft und im Übrigen nur eine Plausibilitätskontrolle vorzunehmen hat.1 Die Vorschrift des § 51 Abs. 1 Satz 3 StaRUG sieht außerdem die Möglichkeit zur Nachbesserung bei behebbaren Mängeln der dem Antrag beigefügten Restrukturierungsplanung vor. Wird bei Antragstellung kein Restrukturierungsplan vorgelegt,

1 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155.

Schönen/Bender | 909

§ 51 Rz. 2 | Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung kann das Restrukturierungsgericht diesen nachfordern und hierfür eine Frist setzen (§ 51 Abs. 3 StaRUG). 3 Zu den relevanten Umständen, die einem Erlass der Stabilisierungsanordnung entgegenstehen

(sog. negative Tatbestandsvoraussetzungen), zählen Kenntnis von unzutreffenden Angaben des Schuldners (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StaRUG), Aussichtslosigkeit der Restrukturierung, weil keine Aussicht darauf besteht, dass ein das Restrukturierungskonzept umsetzender Plan von den Planbetroffenen angenommen oder vom Gericht bestätigt werden würde (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StaRUG), fehlende drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StaRUG) und fehlende Erforderlichkeit der beantragten Anordnung zur Erreichung des Restrukturierungsziels (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StaRUG). Falls bekannt ist, dass der Schuldner erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber bestimmten Gläubigern hat, er sich in den letzten drei Jahren bereits in einer relevanten finanziellen Krise befand, ohne dass es zu einer nachhaltigen Sanierung kam, oder der Schuldner Offenlegungspflichten für die letzten drei vorangegangenen Geschäftsjahre verletzt hat, kommt eine Stabilisierungsanordnung nur in Betracht, wenn trotz dieser Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten (§ 51 Abs. 2 StaRUG).

4 Das Gericht entscheidet über den Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung durch

Beschluss (§ 51 Abs. 5 Satz 1 StaRUG). Wenn das Gericht dem Antrag stattgibt, ist die Stabilisierungsanordnung grundsätzlich allen von ihr betroffenen Gläubigern zuzustellen (§ 51 Abs. 4 Satz 1 StaRUG). Im Fall einer öffentlichen Restrukturierungssache kann sich das Gericht ausnahmsweise auf eine öffentliche Bekanntmachung der Stabilisierungsanordnung beschränken, wenn sich die Anordnung mit Ausnahme der in § 4 genannten Gläubiger gegen alle Gläubiger richtet (§ 51 Abs. 4 Satz 2 StaRUG). Gegen die Zurückweisung des Antrags durch das Restrukturierungsgericht steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu (§ 51 Abs. 5 Satz 2 StaRUG).

II. Normzweck 5 Hintergrund des begrenzten Prüfungsmaßstabs des Restrukturierungsgerichts ist, dass es

sich bei der Stabilisierungsanordnung um eine Eilmaßnahme handelt. Der Erlass der Stabilisierungsanordnung soll nicht durch eine umfangreiche und damit zeitintensive gerichtliche Prüfung verzögert werden.2

6 Indem der Erlass einer Stabilisierungsanordnung bei Kenntnis des Gerichts von den in § 51

Abs. 1 Satz 1 StaRUG aufgezählten Umständen ausgeschlossen wird, soll verhindert werden, dass das Gericht eine Stabilisierungsanordnung wider besseres Wissen erlassen muss.3

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage 7 Die in § 51 StaRUG genannten Anordnungsvoraussetzungen ergeben sich nicht aus der Re-

strukturierungs-RL.4 Die Restrukturierungs-RL sieht allerdings in ErwGr. 26 vor, dass es den Mitgliedstaaten frei steht, eine Bestandsfähigkeitsprüfung des Schuldners als generelle Voraus2 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155. 3 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155. 4 Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 – im Folgenden: Restrukturierungs-RL.

910 | Schönen/Bender

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung | Rz. 11 § 51

setzung für den Zugang zu dem Restrukturierungsverfahren einzuführen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich dagegen entschieden, die Stabilisierungsanordnung von einer vorherigen Bestandsfähigkeitsprüfung des Schuldners abhängig zu machen.5 Lediglich dem Restrukturierungsplan ist nach § 14 Abs. 1 StaRUG eine begründete Erklärung zu den Aussichten beizufügen, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners durch den Plan beseitigt und die Bestandsfähigkeit des Schuldners sicher- oder wiederhergestellt wird. Mit dem Regierungsentwurf zum SanInsFoG6 wurden gegenüber dem Referentenentwurf7 8 verschiedene Regelungsbestandteile des § 51 StaRUG ergänzt: Es wurde die Legaldefinition der Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung sowie die Möglichkeit der Fristsetzung seitens des Restrukturierungsgerichts zur Vorlage eines Restrukturierungsplans aufgenommen. Auf das Erfordernis einer Zustellung der Stabilisierungsanordnung bei öffentlichen Restrukturierungssachen wurde verzichtet. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens hat die Regelung des § 51 StaRUG vom Regierungsentwurf8 hin zur in Kraft getretenen Gesetzesfassung9 abgesehen von redaktionellen Änderungen insoweit eine Anpassung erfahren, als dem Schuldner der Rechtsbehelf der sofortigen Beschwerde gegen eine Ablehnung der beantragten Stabilisierungsanordnung unabhängig davon zusteht, ob das Gericht die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners feststellt.

IV. Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung Das Restrukturierungsgericht hat eine Stabilisierungsanordnung zu erlassen, sofern ein voll- 9 ständiger Antrag nach § 50 StaRUG vorliegt, die Restrukturierungsplanung vollständig und schlüssig ist und dem Restrukturierungsgericht keine Ausschlussgründe bekannt sind (§ 51 Abs. 1 und 2 StaRUG). Die sich aus § 29 Abs. 1 und § 49 Abs. 1 StaRUG ergebenden Voraussetzungen für den Erlass einer Stabilisierungsanordnung (drohende Zahlungsunfähigkeit und Erforderlichkeit) sind im Rahmen der Prüfung der Ausschlussgründe (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 StaRUG) zu prüfen. Liegt einer der in § 51 Abs. 1 Satz 1 StaRUG genannten Negativtatbestände vor, darf eine Stabilisierungsanordnung nicht erlassen werden. Es handelt sich mithin um absolute Ausschlussgründe. Der Prüfungsumfang beschränkt sich diesbezüglich auf die dem Gericht bekannten Umstände und es hat keine Ermittlung von Amts wegen zu erfolgen (vgl. Rz. 22).

Hat das Restrukturierungsgericht Kenntnis von Gründen nach § 51 Abs. 2 Satz 1 StaRUG oder 10 wurden in den letzten drei Jahren vor der Stellung des Antrags Vollstreckungs- oder Verwertungssperren nach § 49 Abs. 1 StaRUG oder vorläufige Sicherungsanordnungen nach § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 oder 5 InsO angeordnet (§ 51 Abs. 2 Satz 2 StaRUG), erweitert sich der Prüfungsumfang des Gerichts. Unter diesen Umständen ist zusätzlich zu beurteilen, ob der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten (vgl. Rz. 32 ff.). Hierbei handelt es sich um relative Ausschlussgründe. Eine ergänzende Prüfung der Abwesenheit von Aufhebungsgründen nach § 59 Abs. 1 StaRUG 11 ist weder vom Gesetz vorgeschrieben noch in der Sache geboten.10 Denn soweit die Auf5 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 19 f. 6 RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 34 (zu § 58 StaRUG-RegE). 7 RefE SanInsFoG v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (zuletzt abgerufen am 1.5.2022). 8 RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 34 (zu § 58 StaRUG-RegE). 9 SanInsFoG v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256); Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BTDrucks. 19/25303, S. 54. 10 A.A. Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 20.

Schönen/Bender | 911

§ 51 Rz. 11 | Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung hebungsgründe i.S.d. § 59 Abs. 1 StaRUG einschlägig sein könnten, sind sie von der Prüfung des Gerichts ohnehin (implizit) erfasst. Einen Aufhebungsantrag des Schuldners wird es parallel zum Antrag nicht geben (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG). Bei Wirkungslosigkeit der Anzeige oder Vorliegen von Aufhebungsgründen nach § 33 StaRUG (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) muss das Gericht die Restrukturierungssache ohnehin von Amts wegen aufheben und entzieht damit der Stabilisierungsanordnung die nach § 31 Abs. 1 StaRUG erforderliche Basis. Ein Versäumnis der fristgerechten Vorlage eines Restrukturierungsplans (§ 59 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) kann es bei der Erstanordnung mangels Fristsetzung nicht geben. Fehlende Bereitschaft des Schuldners, sich an den Interessen der Gesamtgläubigerschaft auszurichten (§ 59 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG) ist – zumindest unter bestimmten Umständen – schon im Rahmen der Anordnungsvoraussetzungen gem. § 51 Abs. 2 StaRUG zu prüfen. Das Regelbeispiel nach § 59 Abs. 1 Nr. 4a StaRUG, wonach fehlende Bereitschaft anzunehmen ist bei in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruhender Restrukturierungsplanung, wird aber jedenfalls im Rahmen der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StaRUG von Amts wegen zu prüfen sein. Gleiches gilt für das Regelbeispiel nach § 59 Abs. 1 Nr. 4b StaRUG bei unvollständiger oder mangelhafter Rechnungslegung und Buchführung des Schuldners mit der Folge, dass eine Beurteilung der Restrukturierungsplanung nicht möglich ist. Dieser Umstand wird bei der Prüfung der Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StaRUG mit zu berücksichtigen sein.

1. Vollständigkeit und Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung 12 Das Restrukturierungsgericht prüft nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StaRUG die Vollständigkeit und

Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung.

a) Vollständigkeit der Restrukturierungsplanung 13 Das Restrukturierungsgericht hat eine formale Vollständigkeitsprüfung durchzuführen.11 Die

Restrukturierungsplanung ist vollständig, wenn alle in § 50 StaRUG genannten Unterlagen und Erklärungen vorliegen (vgl. § 50 Rz. 5 ff.).12 Zwar bezieht sich der Wortlaut des § 51 Abs. 1 Satz 1 StaRUG und die darin enthaltene Vorgabe der Vollständigkeit nur auf die Restrukturierungsplanung. Vor dem Hintergrund, dass der § 51 Abs. 2 StaRUG jedoch Rechtsfolgen an die Inhalte der Erklärungen nach § 50 Abs. 3 StaRUG knüpft, muss das Vollständigkeitserfordernis auch für die weiteren Bestandteile des Antrags gem. § 50 StaRUG gelten.13 Um dem Vollständigkeitserfordernis zu genügen, müssen sämtliche Unterlagen zudem so ausgestaltet sein, dass sie ein aussagekräftiges Bild darstellen und keine Lücken aufweisen.14 b) Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung aa) Grundsätzliches

14 Die Schlüssigkeit ist gemäß Legaldefinition in § 51 Abs. 1 Satz 2 StaRUG gegeben, wenn

nicht offensichtlich ist, dass sich das Restrukturierungsziel nicht auf Grundlage der in Aussicht genommenen Maßnahmen erreichen lässt. Mit anderen Worten, das Restrukturierungsvorhaben darf nicht offensichtlich aussichtslos sein.15 Mit dieser Formulierung bringt der Ge11 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155. 12 Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 3. 13 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 9. 14 Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 3. 15 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 15.

912 | Schönen/Bender

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung | Rz. 17 § 51

setzgeber für den Prüfungsmaßstab zum Ausdruck, dass das Restrukturierungsgericht lediglich eine Plausibilitätskontrolle im Hinblick auf die Restrukturierungsplanung durchzuführen hat,16 eine Prüfung der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit der Restrukturierungsplanung erfolgt nicht.17 Gegenstand der Beurteilung der Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung ist ein aktuali- 15 sierter Entwurf des Restrukturierungsplans oder ein aktualisiertes Konzept für die Restrukturierung nach § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG (im Folgenden zusammen auch als Grobkonzept der Sanierung bezeichnet18) (§ 50 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) sowie eine sechsmonatige Finanzplanung (§ 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG, zur temporären Verkürzung des 6-Monatszeitraums durch SanInsKG auf vier Monate s. § 50 Rz. 17).19 Die Anforderungen an das Grobkonzept und den Finanzplan gemäß IDW ES 15 (vgl. Rz. 44 f.) entsprechen in weiteren Teilen den Anforderungen nach Maßgabe des IDW ES 9 für die Bescheinigung nach § 270d InsO in Vorbereitung auf ein Schutzschirmverfahren.20 Der eingeschränkte gerichtliche Prüfungsmaßstab führt dazu, dass das Restrukturierungs- 16 gericht auch bei verbleibenden Zweifeln an der Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung eine Stabilisierungsanordnung zunächst einmal zu erlassen hat.21 Ein abweichender Maßstab gilt nach hier vertretener Auffassung nur für den Finanzplan (vgl. Rz. 20). Der Schutz der Gläubiger vor unnötigen Nachteilen soll nach ErwGr. 36 der Restrukturierungs-RL durch die Möglichkeit der gerichtlichen Aufhebung der Stabilisierungsanordnung gewährleistet werden. Denn nach ErwGr. 36 der Restrukturierungs-RL sollen Aussetzungsmaßnahmen von den zuständigen Stellen aufgehoben werden können, wenn sie nicht länger den Zweck erfüllen, die Verhandlungen zu unterstützen. Dementsprechend sieht § 59 StaRUG vor, dass die Stabilisierungsanordnung unter bestimmten Umständen aufzuheben ist. Von der in Art. 6 Abs. 9 Buchst. c der Restrukturierungs-RL eingeräumten Möglichkeit, eine Aussetzungsmaßnahme aufgrund einer unangemessenen Beeinträchtigung der Gläubiger aufzuheben, hat der Gesetzgeber hingegen keinen Gebrauch gemacht. Aufgrund der regelmäßig vorliegenden Eilbedürftigkeit sollte das Restrukturierungsgericht 17 grundsätzlich von der Einschaltung eines Restrukturierungsbeauftragten für die Zwecke einer sachverständigen Prüfung absehen.22 Beantragt der Schuldner allerdings eine Stabilisierungsanordnung, die sich (mit Ausnahme der nach § 4 StaRUG ausgenommenen Forderungen) gegen alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger richten soll, hat das Restrukturierungsgericht von Amts wegen einen Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StaRUG). Bei der Auswahl des Restrukturierungsbeauftragten ist das Gericht bei Vorlie16 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155; Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 6; Dankert-Gellert in Nerlich/Römermann, § 73 StaRUG Rz. 170 (Stand: 44. EL November 2021); Vallender, ZInsO, 2020, 2677, 2682. 17 Riggert in Braun, 2021, § 51 StaRUG Rz. 3; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 13; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 6 ff. 18 Sowohl der aktualisierte Entwurf des Restrukturierungsplans als auch des Restrukturierungskonzepts i.S.v. § 50 Abs. 2 StaRUG werden im IDW ES 15 zusammen als Grobkonzept bezeichnet, IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 12 und 27. 19 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 27. 20 Weber/Nentwig, ZInsO 2022, 857, 861 unter Hinweis auf IDW ES 9 Rz. 26, 23 (Grobkonzept) und Rz. 28, 29 (Finanzplan); vgl. IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 14. 21 Riggert in Braun, 2021, § 51 StaRUG Rz. 1; Mönning in Nerlich/Römermann, § 51 StaRUG Rz. 15 (Stand: 44. EL November 2021); Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 17; abweichend Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 14, die davon ausgehen, dass bei Zweifeln eine vorläufige Anordnung nach § 50 Abs. 1 Satz 3 StaRUG in Betracht kommt. 22 Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 51 StaRUG Rz. 3.

Schönen/Bender | 913

§ 51 Rz. 17 | Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung gen der Voraussetzungen nach § 74 Abs. 2 Satz 2 StaRUG grundsätzlich an den Vorschlag des Schuldners gebunden (vgl. Rz. 44 f.). bb) Schlüssigkeit des Grobkonzepts 18 Das Grobkonzept ist am Maßstab der nicht offensichtlichen Aussichtslosigkeit zur Errei-

chung des Restrukturierungsziels zu messen.23 Ein schlüssiges Restrukturierungskonzept bzw. ein schlüssiger Restrukturierungsplan liegen vor, wenn die geplanten Sanierungsmaßnahmen grundsätzlich realisierbar sind und die intendierten Maßnahmen zur Erreichung des Restrukturierungsziels ausreichen können.24 Dies setzt voraus, dass der Schuldner in seiner Planung die Realisierungswahrscheinlichkeit der Maßnahmen qualitativ erläutert und dem Grobkonzept nicht Annahmen und Maßnahmen mit lediglich pauschalem und allgemein unverbindlichem Charakter zugrunde legt.25

19 Die Schlüssigkeit des Restrukturierungsplans bzw. -konzepts ist zu verneinen, wenn auf Basis

der eingereichten Unterlagen evident ist, dass die geplanten Maßnahmen objektiv ungeeignet zur Erreichung des Restrukturierungsziels sind oder Umstände vorliegen, die eine Zustimmung zum Restrukturierungsplan oder eine gerichtliche Bestätigung ausschließen.26 Gleiches gilt, wenn der Umsetzung des Restrukturierungsplans bzw. des Restrukturierungskonzepts offensichtliche Hinderungsgründe entgegenstehen. Hinderungsgründe können beispielsweise fehlende sachliche oder personelle Kapazitäten oder ein nicht gedeckter Finanzierungsbedarf sein.27 Zu berücksichtigen ist dabei, dass es sich bei der eingereichten Restrukturierungsplanung lediglich um einen Entwurf handelt und eine Vorprüfung des Restrukturierungskonzepts oder -plans nicht erfolgen soll.28 Der Restrukturierungsplan bzw. das Konzept müssen darüber hinaus in sich stimmig und nachvollziehbar sein und dürfen keine offensichtlichen Inkonsistenzen oder logischen Widersprüche aufweisen.29 cc) Schlüssigkeit des Finanzplans

20 Das Restrukturierungsgericht wird den sechsmonatigen Finanzplan und die Angaben zu Ein-

und Ausgaben verplausibilisieren (zur temporären Verkürzung des 6-Monatszeitraums durch SanInsKG auf vier Monate s. § 50 Rz. 17). Dabei schaut sich das Gericht vor allem die eingeplanten Zuflüsse und die Finanzierungsquellen an. Die Umsetzung der im Finanzplan genannten Maßnahmen muss überwiegend wahrscheinlich sein (vgl. § 50 Rz. 20).30 Zweifel an der Durchfinanzierung dürften zu Lasten des Schuldners gehen.31 Insoweit ist also ein strengerer Maßstab anzulegen als bei der Prüfung der Schlüssigkeit des Grobkonzepts, bei dem lediglich die Realisierbarkeit zu prüfen ist (vgl. Rz. 18 f.).

23 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 11 und 17; Weber/Nentwig, ZInsO 2022, 857, 862. 24 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 28. 25 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 28 f. 26 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 6 f.; Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 15. 27 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 30. 28 Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 15. 29 Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 5. 30 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 33; vgl. zur Parallelvorschrift für die Eigenverwaltungsplanung in § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO: Begr. RegE SanInsFoG zur InsO, BTDrucks. 19/24181, S. 204, wonach der Maßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit anzulegen ist; Riggert in Braun, 2021, § 50 StaRUG Rz. 9; a.A. Schönfelder in Flöther, 2021, § 50 StaRUG Rz. 14 f. 31 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 15.

914 | Schönen/Bender

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung | Rz. 25 § 51

2. Keine Kenntnis von absoluten Ausschlussgründen Das Restrukturierungsgericht darf eine Stabilisierungsanordnung nicht erlassen, wenn es 21 Kenntnis von Umständen hat, aus denen sich absolute Ausschlussgründe i.S.d. § 51 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ergeben. Grundsätzlich gilt nach § 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG für das Restrukturierungsverfahren der 22 Amtsermittlungsgrundsatz, soweit nicht das Gesetz Abweichendes vorsieht. Zwar regelt § 51 StaRUG nicht ausdrücklich, dass der Amtsermittlungsgrundsatz in Bezug auf die Prüfung der Voraussetzungen keine Anwendung findet, allerdings ist eine Anwendbarkeit des Amtsermittlungsgrundsatzes mit den Regelungen des § 51 StaRUG (nämlich Begrenzung des Prüfungsmaßstabes auf eine Vollständigkeits- und Schlüssigkeitsprüfung) und vor allem mit dem dahinterstehenden Zweck der Norm (nämlich der zügigen Entscheidungsfindung) nicht vereinbar. Insofern ist der Amtsermittlungsgrundsatz gem. § 39 StaRUG im Rahmen des § 51 StaRUG nicht anwendbar.32 Es gilt der Beibringungsgrundsatz.33 Sollte das Restrukturierungsgericht jedoch auf anderem Wege als aufgrund der eingereichten Unterlagen Kenntnis von relevanten Umständen erlangen, sind diese gleichwohl zu berücksichtigen.34 Es gelten die Grundsätze über gerichtskundige Tatsachen,35 d.h. das erkennende Gericht muss die Tatsachen in amtlicher Eigenschaft selbst wahrgenommen haben und die Tatsachen müssen dem Gericht nunmehr noch bekannt sein oder durch eine Nachprüfung in den Akten wiederum bekannt gemacht werden können.36 a) Beruhen auf unzutreffenden Tatsachen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StaRUG) Eine Stabilisierungsanordnung darf nicht erlassen werden, wenn dem Restrukturierungs- 23 gericht bekannt ist, dass die Restrukturierungsplanung oder die Erklärungen des Schuldners gem. § 50 Abs. 3 StaRUG in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht oder beruhen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StaRUG). Die unzutreffenden Tatsachen berühren wesentliche Punkte, sofern sie grundlegende Prä- 24 missen der Durchführung der Restrukturierungsplanung betreffen.37 Können die Abweichungen zwischen erklärten und tatsächlichen Angaben Auswirkungen auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels haben, sind diese als wesentlich einzustufen.38 Nach diesem Maßstab ist die Schwelle zur Einstufung als wesentlich bei Erklärungen nach 25 § 50 Abs. 3 StaRUG erheblich niedriger anzusetzen, da die Erklärungen für die Verwirklichung des Restrukturierungsziels weniger ausschlaggebend sind.39 Bei nur geringfügigen Tatsachenabweichungen hinsichtlich der Erklärungen nach § 50 Abs. 3 StaRUG liegt daher nicht bereits ein absoluter Ausschlussgrund vor.40 32 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 8; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 8 und 19; vgl. Riggert in Braun, 2021, § 51 StaRUG Rz. 1. 33 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 8. 34 Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 9; vgl. auch Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 19: gerichtsbekannte Tatsachen sind zu berücksichtigen. 35 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 26. 36 Prütting in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, § 291 ZPO Rz. 9 ff. 37 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 28; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 12. 38 Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 8. 39 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 13; Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 9. 40 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 29; Mock in BeckOK/StaRUG, 5. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 51 Rz. 26 | Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung b) Aussichtslosigkeit der Restrukturierung (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StaRUG) 26 Ferner dürfte die Restrukturierung nicht aussichtslos sein. Aussichtslosigkeit ist anzunehmen,

wenn keine Aussicht darauf besteht, dass ein das Restrukturierungskonzept umsetzender Plan von den Planbetroffenen angenommen oder vom Gericht bestätigt werden würde (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StaRUG).

27 Die Beurteilung dieses Ausschlussgrundes bedarf einer Prognose durch das Restrukturie-

rungsgericht. An die Prognose sind aufgrund der regelmäßig vorliegenden Eilbedürftigkeit der Entscheidung keine zu hohen Anforderungen zu stellen.41 Eine Befragung der Planbetroffenen, ob eine Planannahme beabsichtigt ist, bedarf es dabei nicht.42 Ein Ausschlussgrund wegen Aussichtslosigkeit ist nur zu bejahen, wenn eine Planannahme mit den erforderlichen Mehrheiten oder eine Planbestätigung nahezu ausgeschlossen ist. Dies kann der Fall sein, wenn Mehrheiten von Planbetroffenen sich mit Schutzschriften gegen das Restrukturierungsvorhaben gewandt43 oder dem Plan seine Unterstützung anderweit versagt bzw. den Plan bereits abgelehnt haben,44 Versagungsgründe für die Planbestätigung nach § 63 StaRUG vorliegen oder ein Gläubiger die Geltendmachung einer Schlechterstellung nach § 64 StaRUG geltend macht oder die Geltendmachung ankündigt, ohne dass ersichtlich ist, dass für den Fall der Schlechterstellung im Plan Mittel zwecks Kompensation vorgesehen werden (vgl. § 64 Abs. 3 und § 66 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG).45 Gleichwohl ist eine Planannahme oder eine Planbestätigung nicht in jedem Fall von vornherein ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Schuldner bis zur Planabstimmung die vorgenannten Hindernisse noch beseitigt, insbesondere durch Änderung des Restrukturierungsplans.46

c) Drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StaRUG) 28 Darüber hinaus ist die Stabilisierungsanordnung zu versagen, wenn dem Restrukturierungs-

gericht bekannt ist, dass der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StaRUG). Das Erfordernis des Vorliegens der drohenden Zahlungsunfähigkeit ergibt sich bereits aus § 29 Abs. 1 StaRUG, da andernfalls eine Stabilisierungsanordnung als Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nicht in Anspruch genommen werden kann.47 Durch die Aufnahme als Ausschlussgrund in § 51 Abs. 1 Satz 1 StaRUG wird deutlich, dass die Prüfung auf Basis der durch die Antragsunterlagen oder anderweitig erlangten Kenntnis des Gerichts zu erfolgen hat und keine weitergehende Amtsermittlungspflicht besteht (vgl. Rz. 22). Die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit muss erst für die Planbestätigung (§ 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) vorliegen.48 Voraussetzung für die Anordnung einer Stabilisierungsmaßnahme ist die schlüssige Darlegung der drohenden Zahlungsunfähigkeit (vgl. § 29 Abs. 1 StaRUG).49 Falls aus Sicht des 41 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 42 Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 43 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 37; vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 14; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 39. 44 Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 11. 45 Vgl. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 25; Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 15 f. 46 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 15; Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 25. 47 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 16. 48 Hirschberger/Siepmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 29 StaRUG Rz. 31. 49 AG Hamburg v. 18.1.2022 – 61 c RES 1/21, NZI 2022, 437, 439; den Vollbeweis der drohenden Zahlungsunfähigkeit scheinen zu fordern: Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 16 ff.; Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18.

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Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung | Rz. 32 § 51

Restrukturierungsgerichts Zweifel an dem Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit verbleiben, gehen diese zu Lasten des Schuldners und ein Erlass der Stabilisierungsanordnung scheidet – anders als bei Zweifeln am Grobkonzept (vgl. Rz. 16) – aus.50 Der mit der Anordnung verbundene Eingriff in die Rechte der hiervon betroffenen Gläubiger ist nur gerechtfertigt, wenn die drohende Zahlungsunfähigkeit zumindest schlüssig vorgetragen worden ist.51 Bei der Beurteilung des Vorliegens der drohenden Zahlungsunfähigkeit wird sich das Gericht 29 insbesondere auf die Darlegung der drohenden Zahlungsunfähigkeit im Restrukturierungsplan bzw. Restrukturierungskonzept und auf den Finanzplan stützen. Dem Schuldner ist anzuraten zu diesem Zweck, einen Finanzplan vorzulegen, aus dem sich (zweifelsfrei) ergibt, dass innerhalb des nach § 18 InsO jeweils maßgeblichen Prognosehorizonts von in der Regel 24 Monaten die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Wenn der Schuldner nicht schlüssig dargelegt hat, dass drohende Zahlungsunfähigkeit vor- 30 liegt, kann einerseits keine Stabilisierungsanordnung erlassen werden und muss andererseits vom Gericht von Amts wegen die Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG geprüft werden.52 Denn ohne drohende Zahlungsunfähigkeit können die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (vgl. § 29 Abs. 1 StaRUG) und insbesondere die gerichtliche Planbestätigung (§ 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) nicht in Anspruch genommen werden.53 d) Erforderlichkeit (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StaRUG) Sind Umstände bekannt, aus denen sich das Fehlen der Erforderlichkeit der Stabilisierungs- 31 anordnung für das Erreichen des Restrukturierungsziels ergeben, darf eine Stabilisierungsanordnung ebenfalls nicht erlassen werden (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StaRUG). Es müsste nach hier vertretener Auffassung die konkrete Gefahr einer drohenden Vollstreckung bzw. Verwertung bestehen und es dürfte kein milderes Mittel zur Verfügung stehen, das gleich geeignet ist zur Verwirklichung des Restrukturierungsziels. Zu den Anforderungen an die Erforderlichkeit im Einzelnen kann auf die Ausführungen in § 49 Rz. 21 ff. verwiesen werden. Die Erforderlichkeit ist vom Restrukturierungsgericht auf Basis der Darlegung der Erforderlichkeit durch den Schuldner im Rahmen des Antrags auf Erlass der Stabilisierungsanordnung zu prüfen (vgl. § 50 Rz. 12 f.). An der Erforderlichkeit fehlt es etwa, wenn das Restrukturierungsziel auch ohne die Stabilisierungsanordnung zu erreichen ist, etwa weil die Gläubiger ihre Bereitschaft zu Sanierungsbeiträgen auch unabhängig von einer entsprechenden gerichtlichen Anordnung erklärt haben.54

3. Keine Kenntnis von relativen Ausschlussgründen (§ 51 Abs. 2 StaRUG) Hat das Restrukturierungsgericht Kenntnis von Umständen nach § 51 Abs. 2 Satz 1 oder 2 32 StaRUG, ist eine Stabilisierungsanordnung nur zu erlassen, wenn trotz dieser Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den 50 Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 8; vgl. zur gerichtlichen Planbestätigung nach § 63 Abs. 1: AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433, 433 = ZIP 2021, 806; a.A. wohl Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 31, die genügen lassen, dass dem Gericht keine Informationen vorliegen, wonach die Zahlungsunfähigkeit noch nicht droht. 51 Vgl. zum Anknüpfungspunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit für Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens: Begr. RegE BT-Drucks. 19/24181, S. 90 ff. 52 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 19. 53 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 19. 54 Vgl. IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 39.

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§ 51 Rz. 32 | Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. Von diesen Umständen wird das Restrukturierungsgericht regelmäßig auf Basis der nach § 50 Abs. 3 StaRUG abzugebenden Erklärungen Kenntnis erlangen, anderweitige Kenntniserlangung beispielsweise durch Gläubiger55 oder den Restrukturierungsbeauftragten56 ist ebenfalls möglich. Insbesondere können Gläubiger das Gericht durch Hinterlegung von Schutzschriften über relevante Umstände in Kenntnis setzen.57 a) Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit 33 Die Geschäftsleitung des Schuldners ist bereits nach § 32 Abs. 1 Satz 1 StaRUG dazu verpflich-

tet, während des Restrukturierungsverfahrens die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Die Umstände nach § 51 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG stellen jedoch besondere Indizien für die mangelnde Berücksichtigung von Gläubigerinteressen seitens des Schuldners dar.58 Vor diesem Hintergrund hat der Schuldner für den Erlass einer Stabilisierungsanordnung darzulegen, warum Verstöße in Zukunft vermieden werden bzw. die Interessen der Gläubigergesamtheit gewahrt werden.59 Auf Basis dieser Darlegungen muss das Restrukturierungsgericht für eine Stabilisierungsanordnung zu der Überzeugung gelangen, dass der Schuldner trotz der Umstände bereit und in der Lage ist, die Interessen der Gläubigergesamtheit zu wahren.60 b) Zahlungsrückstände (§ 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG)

34 Zu den relevanten Umständen i.S.v. § 51 Abs. 2 Satz 1 StaRUG gehören erhebliche Zahlungs-

rückstände in Bezug auf Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen, Pensionszusagen oder dem Steuerschuldverhältnis oder gegenüber den Sozialversicherungsträgern oder Lieferanten. Zahlungsrückstände gegenüber den in § 50 Abs. 3 Nr. 1 StaRUG genannten Gläubigern sind ein Hinweis auf die Nichterfüllung von fälligen Forderungen in größerem Umfang und damit eine unzureichende Liquiditätsausstattung.61 Hintergrund ist, dass Zahlungsverzug gegenüber diesen Gläubigern typischerweise erst eintritt, wenn nur noch sehr wenig Liquidität vorhanden ist, da die Nichtzahlung insbesondere von Steuerschulden und Sozialversicherungsabgaben mit persönlichen Haftungsrisiken für die Geschäftsleitung verbunden ist und sogar eine Ordnungswidrigkeit darstellen bzw. strafbar sein kann.62 Zahlungsrückstände gegenüber Lieferanten wiederum können eine Gefahr für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs darstellen. Dies ist der Fall, wenn Lieferanten ihre Lieferungen nur noch gegen Vorkasse erbringen (und so die Liquiditätsplanung belasten, die auf der Einräumung von Zahlungszielen beruht) oder Lieferungen sogar gänzlich einstellen.63

55 Riggert in Braun, 2021, § 51 StaRUG Rz. 9. 56 Vgl. § 76 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StaRUG, wonach es zu den Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten zählt, fortlaufend zu prüfen, ob ein Aufhebungsgrund vorliegt und etwaige Gründe für die Aufhebung der Anordnung geltend zu machen. 57 Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 14; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 39. 58 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 29. 59 Riggert in Braun, 2021, § 51 StaRUG Rz. 9; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 36. 60 Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 51 StaRUG Rz. 13. 61 Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Mock in BeckOK/StaRUG, § 50 StaRUG Rz. 20.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 62 Mock in BeckOK/StaRUG, 5. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 20.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 63 Kritisch hingegen Schönfelder in Flöther, 2021, § 50 StaRUG Rz. 18.

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Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung | Rz. 39 § 51

c) Verstoß gegen Offenlegungspflichten (§ 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG) Auch ein Verstoß gegen die handelsrechtlichen Offenlegungspflichten nach §§ 325–328 HGB 35 oder § 339 HGB in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren stellt einen relevanten Umstand i.S.v. § 51 Abs. 2 Satz 1 StaRUG dar. Dem liegt zugrunde, dass die Offenlegungspflichten dem Gläubigerschutz dienen, indem sie sicherstellen, dass die Gläubiger umfassend und zeitnah über die wirtschaftliche Entwicklung des Schuldners informiert sind.64 Es kommt dabei allein auf die Offenlegung und nicht die inhaltliche Richtigkeit der Jahresabschlüsse an, da Letzteres nach den §§ 325–328 HGB bzw. § 339 HGB nicht geprüft wird.65 Für die Darlegung, dass Verstöße in Zukunft vermieden werden, kann der Schuldner bei- 36 spielsweise die Inanspruchnahme externer Unterstützung oder Beratung oder die Auswechslung der verantwortlichen Geschäftsleiter nachweisen.66 Beruht eine mangelnde Offenlegung der Jahresabschlüsse darauf, dass der Abschlussprüfer die Erteilung des uneingeschränkten Bestätigungsvermerks in Frage stellt, dürfte ein Nachweis des Schuldners, dass die Jahresabschlüsse aufgestellt wurden, und eine Darlegung, warum den Offenlegungspflichten (bislang) nicht genügt werden konnte, für eine Überzeugung des Gerichts ausreichen, dass die Verletzung der Offenlegungspflichten einer Stabilisierungsanordnung nicht entgegensteht.67 d) Vorherige Anordnungen (§ 51 Abs. 2 Satz 2 StaRUG) Schließlich ist auch die Kenntnis von früheren Anordnungen von Vollstreckungs- oder Ver- 37 wertungssperren oder vorläufigen Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 oder 5 InsO in den letzten drei Jahren vor Stellung des Antrags auf Erlass der Stabilisierungsanordnung Auslöser für einen strengeren Prüfungsmaßstab des Gerichts i.S.v. § 51 Abs. 2 Satz 1 StaRUG. Unter diesen Umständen darf die Stabilisierungsanordnung nur erlassen werden, wenn zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten (§ 51 Abs. 2 Satz 2 StaRUG). Auf diese zusätzliche Anforderung kommt es nur dann nicht an, wenn der Anlass dieser früheren Anordnungen durch eine nachhaltige Sanierung des Schuldners bewältigt wurde (§ 51 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbs. StaRUG). Die Darlegungslast für die nachhaltige Sanierung liegt beim Schuldner.68 Fraglich ist, wann eine nachhaltige Sanierung in diesem Sinne anzunehmen ist. Es handelt 38 sich hierbei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der auslegungsbedürftig ist. Das Erfordernis der nachhaltigen Sanierung geht nicht auf eine entsprechende Vorgabe in der Restrukturierungs-RL zurück, so dass sich hieraus keine Anhaltspunkte für die Auslegung ergeben. Bereits aus dem Wortsinn ergibt sich, dass die bloße Beseitigung der drohenden Zahlungs- 39 unfähigkeit sowie der etwaig während des Verfahrens eingetretenen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht ausreichen.69 Dies sind vielmehr die notwendigen Mindestvoraussetzungen, um zu einer Sanierung des Schuldners zu gelangen.70 Über die Nachhaltigkeit gibt dies noch keine Auskunft. Teilweise wird angenommen, dass bereits die hinzutretende Sicher-bzw.

64 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 23.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 65 Mock in BeckOK/StaRUG, § 50 StaRUG Rz. 24 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 66 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 34. 67 Vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 35. 68 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 30. 69 Vgl. zur Frage, wann das Sanierungsprivileg nach § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO endet, was ebenfalls nachhaltige Sanierung des Schuldners voraussetzt: Kleindiek in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 39 InsO Rz. 63. 70 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 30.

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§ 51 Rz. 39 | Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit für die Annahme einer nachhaltigen Sanierung ausreiche.71 40 Bei systematischer Auslegung ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der nachhaltigen Sanie-

rung im Gesetz auch an anderer Stelle Verwendung findet und zwar u.a. im Zusammenhang mit der Aufhebung der Restrukturierungssache von Amts wegen gem. § 33 Abs. 2 Satz 2 StaRUG. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StaRUG hebt das Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache von Amts wegen auf, wenn in einer früheren Restrukturierungssache der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung oder eine Planbestätigung erwirkt hat oder eine Aufhebung nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG erfolgt ist. Hingegen gilt dies nicht, wenn der Anlass für die frühere Restrukturierungssache infolge einer nachhaltigen Sanierung bewältigt wurde (§ 33 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbs. StaRUG). Bemerkenswert ist, dass nach § 33 Abs. 2 Satz 3 StaRUG im Zweifel anzunehmen ist, dass keine nachhaltige Sanierung erfolgt ist, wenn seit dem Ende des Anordnungszeitraums oder der Entscheidung über den Antrag auf Planbestätigung in der früheren Restrukturierungssache weniger als drei Jahre vergangen sind. Bei Übertragung dieser Zweifelsregelung auf § 51 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbs. StaRUG wäre im Zweifel stets vom Fehlen einer nachhaltigen Sanierung auszugehen. Denn um überhaupt in den Anwendungsbereich des § 51 Abs. 2 Satz 2 StaRUG zu gelangen, dürften zwischen der früheren Anordnung und dem Zeitpunkt des jetzigen Antrags auf Stabilisierung nicht mehr als drei Jahre liegen. Das bedeutet zugleich, dass sowohl das Ende des Anordnungszeitraums als auch die Entscheidung über die Planbestätigung weniger als drei Jahre zurückliegen, da der Zeitpunkt des Erlasses der Stabilisierungsanordnung im früheren Verfahren notwendigerweise vor dem Ende des Anordnungszeitraums und typischerweise auch vor der Entscheidung über die Planbestätigung liegt. Umso höher wären die Anforderungen an den Schuldner und seine Darlegung, dass es – entgegen der Zweifelsregelung – innerhalb des kurzen Zeitraums zu einer nachhaltigen Sanierung gekommen ist. Der Begriff der nachhaltigen Sanierung findet außerdem in § 90 StaRUG (Anfechtungsprivilegierung des Planvollzugs) und § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO (Sanierungsprivileg bei Anteilserwerb zwecks Sanierung) Verwendung. Es werden in diesem Zusammenhang unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, inwiefern allein aufgrund des Ablaufs eines bestimmten Zeitraums von einer nachhaltigen Sanierung ausgegangen werden kann.72

41 Ausgehend vom Telos des § 51 Abs. 2 Satz 2 StaRUG dürfte eine nachhaltige Beseitigung des

Anlasses der vorherigen Anordnung in jedem Fall zu bejahen sein, wenn die neuerliche Restrukturierung in keinem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der vorherigen Restrukturierung oder Sanierung steht.73 Ein gewisser zeitlicher Zusammenhang wird jedoch meist gegeben sein, da nach § 51 Abs. 2 Satz 2 StaRUG von vornherein nur Anordnungen innerhalb der letzten drei Jahre vor Antrag auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung relevant sind. Letztlich sind starre Fristvorgaben ungeeignet, um festzustellen, ob ein Unternehmen seine Krise nachhaltig überwunden hat. Das wird den Umständen des Einzelfalls nicht hinreichend gerecht. Der Fokus der gerichtlichen Prüfung der Nachhaltigkeit vorheriger Sanierungen sollte vielmehr auf der sachlichen Abgrenzung der Anlässe für die jeweilige Sanierung liegen. Allein der nach nur kurzem Abstand erneute Eintritt einer Krise ist somit kein Indiz für 71 Tashiro in Braun, 2021, § 90 StaRUG Rz. 11. 72 Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 39 InsO Rz. 67 („Gefahr des Eintritts von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, mindestens für das laufende und das gesamte folgende Geschäftsjahr abgewendet worden ist“); Preuß in Kübler/Prütting/Bork, § 39 InsO Rz. 77 (Stand: 92. EL Juni 2022) („eine mindestens ein Jahr anhaltende Sanierung“); Gehrlein, WM 2011, 577, 584 f. („Kreditwürdigkeit der Gesellschaft über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr wiederhergestellt ist“); Thiessen in Bork/ Schäfer, 4. Aufl. 2019, Anhang zu § 30 GmbHG Rz. 54 („wenn zwischen dem Wegfall des Eröffnungsgrundes (§ 212 InsO) und dem erneuten Insolvenzantrag bzw. der Titulierung mindestens ein Jahr liegt“). 73 Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung | Rz. 44 § 51

einen Zusammenhang. Maßgeblich ist, ob die krisenauslösenden Faktoren zunächst dauerhaft beseitigt wurden und die aktuelle Krise durch neue Faktoren ausgelöst wurde.74 Dabei kann auf die Darstellung der Krisenursachen im Restrukturierungsplan bzw. -konzept zurückgegriffen werden.75 Als Anhaltspunkte für eine nachhaltige Sanierung können die in der zur Beseitigung der vorhergehenden Krise aufgestellten Restrukturierungs- oder Sanierungsplanung enthaltenen Vorgaben dienen. Sind die in der damaligen Planung identifizierten Vorgaben zur Umsetzung der Restrukturierung bzw. Sanierung innerhalb des genannten Sanierungs- oder Restrukturierungszeitraums erfüllt, spricht dies für eine nachhaltige Beseitigung der Krise.76

4. (Kein) Erfordernis einer gutachterlichen Bescheinigung Für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung ist im 42 Gesetz keine gutachterliche Bescheinigung vorgesehen. Weder muss der Schuldner eine Bescheinigung eines externen Fachmanns beibringen, wenn er den Antrag auf Stabilisierungsanordnung stellt, noch muss das Gericht einen Sachverständigen hinzuziehen, um die Voraussetzungen prüfen zu lassen. Dem Schuldner bleibt es freilich unbenommen, einen externen Fachmann mit der Erstellung der Restrukturierungsplanung zu beauftragen.77

Der Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, den Prüfungsmaßstab für das Gericht auf 43 die Vollständigkeit der Unterlagen und im Übrigen die Plausibilitätskontrolle der Restrukturierungsplanung zu beschränken.78 Auf diese Weise soll eine langwierige Prüfung, für die gegebenenfalls sogar die Einschaltung eines Restrukturierungsbeauftragten als Sachverständiger erforderlich wäre, gerade vermieden und eine möglichst kurzfristige gerichtliche Entscheidung ermöglicht werden. Verzögernde gerichtliche Ermittlungen dürften daher in der Regel untunlich sein, bleiben aber zulässig.79 So steht es u.a. im Ermessen des Restrukturierungsgerichts, nach § 73 Abs. 3 StaRUG einen Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen, um von ihm die Prüfung der Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung als Sachverständiger – auf Basis der vom Schuldner vorgelegten Unterlagen und Informationen – vornehmen zu lassen, unabhängig davon, ob ein Restrukturierungsbeauftragter bereits von Amts wegen zu bestellen ist.80 Dem Schuldner wird daran gelegen sein, das Risiko einer Ablehnung seines Antrags auf Stabi- 44 lisierungsanordnung im Vorfeld möglichst weitgehend zu reduzieren, um die Transaktionssicherheit zu erhöhen. Zu diesem Zweck bietet es sich an, dass er eine gutachterliche Stellungnahme bei einem externen Fachmann in Auftrag gibt, die bestätigt, dass die Voraussetzungen gem. § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG erfüllt sind.81 Auftragsgegenstand sollte die Erstellung einer Bescheinigung gemäß IDW S 15 sein,82 der zwar bislang nur im Entwurf (= IDW ES 1583) vorliegt, aber mit dem ausdrücklichen Hinweis versehen ist, dass sowohl der Fachaus74 Vgl. IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 44; Weber/Nentwig, ZInsO 2022, 857, 862. 75 Vgl. Fridgen in BeckOK/StaRUG, § 90 StaRUG Rz. 34a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 76 Vgl. Bork in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 90 StaRUG Rz. 21; Behme in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 39 InsO Rz. 91. 77 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 13. 78 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155. 79 Dankert-Gellert in Nerlich/Römermann, § 73 StaRUG Rz. 170 (Stand: 44. EL November 2021); a.A. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 8. 80 Dankert-Gellert in Nerlich/Römermann, § 73 StaRUG Rz. 170 (Stand: 44. EL November 2021); a.A. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 8. 81 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 6. 82 Vgl. IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 6. 83 IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022; Weber/Nentwig, ZInsO 2022, 857, 860 ff.

Schönen/Bender | 921

§ 51 Rz. 44 | Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung schuss Sanierung und Insolvenz als auch der Hauptfachausschuss des IDW eine vorzeitige Anwendung dieser Entwurfsfassung empfehlen.84 Der IDW ES 15 geht auf die Regelung in § 74 Abs. 2 Satz 2 StaRUG zurück. Demnach spielen die Voraussetzungen für den Erlass einer Stabilisierungsanordnung gem. § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG und deren gutachterliche Bestätigung eine maßgebliche Rolle für die Frage, ob das Restrukturierungsgericht bei der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten von Amts wegen an den Vorschlag des Schuldners zur Person des Beauftragten gebunden ist (§ 73 Abs. 1 und 2 StaRUG). Legt der Schuldner eine Bescheinigung eines in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers, Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vor, die bestätigt, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer Stabilisierungsanordnung nach § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG vorliegen, kann das Restrukturierungsgericht grundsätzlich nicht vom Vorschlag des Schuldners zur Person des Restrukturierungsbeauftragten abweichen. Eine Abweichung ist unter diesen Umständen nur zulässig, wenn das Gericht begründen kann, dass die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist (§ 74 Abs. 2 Satz 2 StaRUG). 45 Die Anforderungen an die Prüfung des mit der Bescheinigung i.S.d. § 74 Abs. 2 Satz 2 StaRUG

beauftragten Gutachters und an die Bescheinigung selbst sind im IDW ES 15 konkretisiert.85 Aus der Bescheinigung muss sich ergeben, dass die Restrukturierungsplanung i.S.d. § 51 Abs. 1 StaRUG vollständig und schlüssig ist,86 dass keine Umstände i.S.d. § 51 Abs. 2 StaRUG bekannt sind87 bzw. für den Fall des Vorliegens der Umstände i.S.d. § 51 Abs. 2 StaRUG, dass keine Zweifel an der Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit bestehen.88 Der Gutachter hat in berufsüblicher Form Bericht zu erstatten89 und dabei u.a. die Art und Dauer etwaiger früherer Auftragsverhältnisse zwischen Schuldner und Gutachter mitzuteilen.90 Neben der Bestätigung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG erfüllt sind, muss die Bescheinigung eine Dokumentation der durchgeführten Tätigkeiten (einschließlich Angaben zu den verwendeten Dokumenten, Fakten und Annahmen) und eine Vollständigkeitserklärung der gesetzlichen Vertreter des begutachteten Schuldners beinhalten.91 Indem der Schuldner vor Beantragung der Stabilisierungsanordnung eine den Vorgaben des IDW ES 15 entsprechende Bescheinigung über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Stabilisierungsanordnung einholt und diese dem Gericht vorlegt, dürfte sich das Risiko einer Ablehnung der Stabilisierungsanordnung weitgehend reduzieren lassen.

V. Vorläufige Anordnung bei behebbaren Mängeln (§ 51 Abs. 1 Satz 3 StaRUG) 46 Sofern die Restrukturierungsplanung behebbare Mängel aufweist, erlässt das Restrukturie-

rungsgericht die Stabilisierungsanordnung für einen Zeitraum von höchstens 20 Tagen und gibt dem Schuldner auf, die Mängel innerhalb dieses Zeitraums zu beheben (§ 51 Abs. 1 Satz 3 StaRUG, vorläufige Anordnung). Der Regelung liegt eine abstrakte Nachteilsabwägung zugrunde, sie stellt einen Kompromiss zwischen den möglichen drohenden Nachteilen für den Schuldner bei einer Verzögerung der Stabilisierungsanordnung und den möglichen drohenden Nachteilen für die von der Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubiger dar.92 Eine 84 85 86 87 88 89 90 91 92

IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Vorbemerkung. Weber/Nentwig, ZInsO 2022, 857, 861. IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 25 ff. IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 35 ff. IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 40 ff. Zu den Einzelheiten IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 49 ff. IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 50. IDW ES 15, IDW Verlautbarungen, Werkstand: IDW Life 7/2022, Rz. 45 ff. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 24.

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Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung | Rz. 49 § 51

vorläufige Stabilisierungsanordnung kommt dabei nur in Betracht, wenn abgesehen von den behebbaren Mängeln an der Restrukturierungsplanung sämtliche sonstigen Voraussetzungen für eine Stabilisierungsanordnung gegeben sind. Behebbare Mängel sind solche, die sich innerhalb der vom Restrukturierungsgericht gesetz- 47 ten Frist von maximal 20 Tagen beseitigen lassen.93 Mängel, die so schwerwiegend sind, dass die Restrukturierungsplanung unmöglich gemacht oder erschwert wird, so dass eine Beseitigung innerhalb von 20 Tagen ausgeschlossen erscheint, sind nicht behebbar.94 Fraglich ist, ob auch solche Mängel nicht behebbar sind, die zur Folge haben, dass ein neuer Restrukturierungsplan eingereicht werden muss – etwa weil nicht der Schuldner, sondern ein Dritter die Restrukturierungsplanung eingereicht hat oder weil die Restrukturierungsplanung entgegen § 49 Abs. 2 StaRUG auf dem Eingriff in nicht gestaltbare Rechtsverhältnisse (§ 4 StaRUG) beruht.95 Falls ein Dritter und nicht der nach § 49 Abs. 1 StaRUG allein antragsberechtigte Schuldner den Antrag auf Stabilisierungsanordnung nebst Restrukturierungsplanung eingereicht haben sollte, ist der Antrag mangels Antragsbefugnis unzulässig. Eine vorläufige Stabilisierungsanordnung scheidet aus. Sollte die Restrukturierungsplanung hingegen z.B. eine Abänderung nicht gestaltbarer Rechtsverhältnisse vorsehen, so ist es eine Frage des Einzelfalls, ob eine vorläufige Stabilisierungsanordnung in Betracht kommt. Dies hängt davon ab, ob der Verstoß gegen § 49 Abs. 2 i.V.m. § 4 StaRUG innerhalb von 20 Tagen im Wege geeigneter Anpassung der Restrukturierungsplanung behoben werden kann. Je größer die Bedeutung der Umgestaltung der nach § 4 StaRUG ausgenommenen Rechtsverhältnisse für den Erfolg der Restrukturierung ist, desto unwahrscheinlicher dürfte die Behebbarkeit des Mangels innerhalb von höchstens 20 Tagen sein. Das AG Hamburg hat die Zulässigkeit einer vorläufigen Anordnung für den Fall bejaht, dass der Antrag Mängel bei der Begründung der Auswahlentscheidung der Planbetroffenen nach § 8 Satz 1 StaRUG aufweist.96 Wenn die Auswahlentscheidung nicht von vornherein unzulässig und der Mangel bei der Begründung im Einzelfall innerhalb von höchstens 20 Tagen behebbar erscheint, ist dem zuzustimmen. Kommt der Schuldner der Aufforderung nach und beseitigt die Mängel innerhalb der ihm 48 gesetzten Frist, ordnet das Restrukturierungsgericht die Stabilisierungsanordnung endgültig an.97 Andernfalls erlischt die vorläufige Stabilisierungsanordnung mit Ablauf der vom Restrukturierungsgericht bestimmten Frist.98 Eine Fristverlängerung ist nicht möglich.99

VI. Fristsetzung zur Vorlage eines Restrukturierungsplans (§ 51 Abs. 3 StaRUG) Das Restrukturierungsgericht kann eine Stabilisierungsanordnung auch erlassen, wenn der 49 Schuldner anstelle eines Restrukturierungsplans lediglich ein Restrukturierungskonzept vorlegt (§ 50 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG). In diesem Fall kann das Restrukturierungsgericht von dem Schuldner innerhalb einer Frist die Vorlage eines Restrukturierungsplans verlangen. Ein Entwurf des Restrukturierungsplans ist dafür wie im Rahmen von § 50 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG 93 Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 25; ausführlich Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 18 ff. 94 Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 95 Diese Mängel als nicht behebbar einordnend: Riggert in Braun, 2021, § 51 StaRUG Rz. 8. 96 AG Hamburg v. 18.1.2022 – 61 c RES 1/21, NZI 2022, 437 Rz. 18 f. 97 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155; a.A. Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 28, wonach der Schuldner zunächst eine Folge- oder Neuanordnung beantragen müsste. 98 Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 28. 99 Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 29.

Schönen/Bender | 923

§ 51 Rz. 49 | Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung ausreichend, auch wenn der Wortlaut des § 51 Abs. 3 StaRUG den Eindruck vermittelt, es müsse der finale Plan vorgelegt werden.100 50 Die Dauer der vom Gericht zu setzenden Frist wird vom Gesetzgeber nicht konkretisiert. Die

Dauer der Frist muss in jedem Fall angemessen sein.101 Teilweise wird vertreten, dass die Frist sich an der 20-tägigen Frist für die Beseitigung von behebbaren Mängeln (§ 51 Abs. 1 Satz 3 StaRUG) orientieren soll.102 Von anderer Seite wird die beantragte Anordnungsdauer als Höchstgrenze angesehen mit der Folge, dass eine Frist von maximal drei Monaten Betracht kommen kann (vgl. § 53 Abs. 1 StaRUG).103 Teilweise wird auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt, wie die Art und Größe des schuldnerischen Unternehmens, die Komplexität des Restrukturierungsvorhabens und die damit verbundene Zeitspanne, die Gläubiger vor dem Abstimmungstermin für die Analyse des Restrukturierungsplans benötigen.104 Die fehlende gesetzliche Vorgabe einer Höchstfrist spricht zunächst gegen eine pauschale Höchstfrist von 20 Tagen und für eine Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Die Stabilisierungsanordnung soll dem Schuldner ausreichend Zeit sowohl für die Ausarbeitung des Restrukturierungsplans als auch für die Verhandlungen mit den Planbetroffenen und die Durchführung der Planabstimmung einräumen.105 Mit anderen Worten es soll eine Brücke bis zum Abschluss des Verfahrens im Wege der Planbestätigung geschlagen werden.106 Das spricht auf den ersten Blick dafür, dass die vom Gericht für die Planvorlage dem Schuldner zu setzende Frist deutlich vor dem Ablauf der Stabilisierungsanordnung enden müsste. Andererseits eröffnet § 53 Abs. 2 StaRUG gerade die Möglichkeit, die Anordnungsdauer von drei auf vier Monate zu verlängern, wenn und weil der Schuldner den Planbetroffenen zwischenzeitlich ein Planangebot unterbreitet hat. Das wiederum spricht dafür, dass die Vorlagefrist bis zum Ende der Anordnungsdauer erstreckt werden und bis zu maximal drei Monate betragen kann. Ausgehend von der Prämisse, dass der Schuldner den Restrukturierungsplan parallel zur Vorlage bei Gericht als Grundlage für die Unterbreitung des Planangebots an die Planbetroffenen einsetzt, erfüllt die Vorlagefrist das Kriterium der Angemessenheit, wenn die Frist mit Ablauf der dreimonatigen Anordnungsdauer endet.

51 Legt der Schuldner den Restrukturierungsplan nicht innerhalb der gesetzten Frist vor, hebt das

Restrukturierungsgericht die Stabilisierungsanordnung von Amts wegen auf (§ 59 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG),107 es sei denn, die Aufrechterhaltung der Stabilisierungsanordnung erscheint zur Erreichung eines geordneten Übergangs in ein Insolvenzverfahren geboten (§ 59 Abs. 3 StaRUG).

VII. Zustellung der Stabilisierungsanordnung (§ 51 Abs. 4 StaRUG) 52 Das Restrukturierungsgericht hat die Stabilisierungsanordnung allen von ihr betroffenen

Gläubigern zuzustellen (§ 51 Abs. 4 Satz 1 StaRUG). Wenn von Amts wegen ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt worden ist, kann das Gericht diesen mit der Durchführung der Zustellung beauftragen (§ 76 Abs. 6 StaRUG). Die Zustellung hat den Zweck zu verhindern, dass Gläubiger aufgrund ihrer Unkenntnis von der Stabilisierungsanordnung Vollstreckungs- oder Verwertungsversuche unternehmen.108

100 Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 36; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 31 f. 101 Riggert in Braun, 2021, § 51 StaRUG Rz. 10; Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 37; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 33. 102 Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 29 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 103 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 37. 104 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 33. 105 Vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 3. 106 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 11. 107 Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 37. 108 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 156.

924 | Schönen/Bender

Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung | Rz. 57 § 51

Auch in öffentlichen Restrukturierungssachen, d.h. wenn der Schuldner beantragt, dass im 53 Rahmen der Restrukturierungssache öffentliche Bekanntmachungen gem. §§ 84 ff. StaRUG erfolgen sollen, ist die Stabilisierungsanordnung grundsätzlich allen hiervon betroffenen Gläubigern zuzustellen. Nur für den Fall, dass sich die Stabilisierungsanordnung (mit Ausnahme der in § 4 StaRUG genannten Gläubiger) gegen alle Gläubiger richtet, kann in öffentlichen Restrukturierungssachen auf eine Zustellung verzichtet werden (§ 51 Abs. 4 Satz 2 StaRUG) und stattdessen eine öffentliche Bekanntmachung der Stabilisierungsanordnung nach § 85 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 86 Abs. 1 StaRUG erfolgen. Der Verzicht auf die Zustellung liegt im Ermessen des Gerichts.109 Die Modalitäten der Zustellung richten sich nach § 41 StaRUG. Bei Zustellungen im Inland 54 gilt demnach das Schriftstück drei Tage nach Aufgabe zur Post als zugestellt (§ 41 Abs. 1 Satz 3 StaRUG) und bei Zustellungen im Ausland zwei Wochen nach Aufgabe zur Post, wenn nicht das Gericht eine längere Frist bestimmt (§ 41 Abs. 1 Satz 2 StaRUG i.V.m. § 184 Abs. 2 ZPO).

VIII. Beschluss, Rechtsmittel (§ 51 Abs. 5 StaRUG) Das Restrukturierungsgericht entscheidet über den Erlass der Stabilisierungsanordnung durch 55 Beschluss (§ 51 Abs. 5 Satz 1 StaRUG). Eine mündliche Verhandlung ist nach § 39 Abs. 3 Satz 1 StaRUG nicht zwingend vorgeschrieben und dürfte wegen der Eilbedürftigkeit der Entscheidung in der Regel nicht anberaumt werden.110 Gegen den Beschluss des Restrukturierungsgerichts, mit dem der Antrag auf Erlass einer Sta- 56 bilisierungsanordnung ganz oder teilweise zurückgewiesen wird, steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu (§ 51 Abs. 5 Satz 2 StaRUG). Die im Regierungsentwurf des SanInsFoG vorgesehene Einschränkung, dass dem Schuldner eine sofortige Beschwerde nur zusteht, wenn das Gericht zugleich mit der Ablehnung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldner feststellt, hat keinen Eingang in das Gesetz gefunden.111 Die sofortige Beschwerde ist gem. § 40 Abs. 1 Satz 2 StaRUG bei dem Restrukturierungsgericht einzulegen.112 Die Beschwerdefrist beträgt zwei Wochen (§ 38 StaRUG i.V.m. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und beginnt mit der Verkündung bzw. Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses (§ 40 Abs. 2 StaRUG). Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit Rechtskraft wirksam, es sei denn, das Gericht ordnet die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an (§ 40 Abs. 3 StaRUG). Gläubigern, die sich gegen die Stabilisierungsanordnung richten möchten, steht kein Rechts- 57 behelf zu.113 Sie können sich jedoch nach § 59 Abs. 2 StaRUG gegen die Stabilisierungsanordnung richten, indem sie bei Gericht einen Antrag auf Aufhebung stellen.114 Zudem haben Gläubiger die Möglichkeit das Restrukturierungsgericht vor Erlass einer Stabilisierungsanordnung durch Hinterlegung einer Schutzschrift über das Fehlen von Anordnungsvoraussetzungen oder das Vorliegen von Ausschlussgründen zu informieren und das Restrukturierungsgericht auf diese Weise an dem Erlass zu hindern.115

109 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 40. 110 Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 41. 111 Mock in BeckOK/StaRUG, § 51 StaRUG Rz. 35.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 43. 112 Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 44; Mönning in Nerlich/Römermann, § 51 StaRUG Rz. 26 (Stand: 44. EL November 2021). 113 Schönfelder in Flöther, 2021, § 51 StaRUG Rz. 45. 114 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 42; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 39. 115 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 49 StaRUG Rz. 40 und § 51 StaRUG Rz. 14; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 51 StaRUG Rz. 39.

Schönen/Bender | 925

§ 52 Rz. 1 | Folgeanordnung, Neuanordnung

§ 52 Folgeanordnung, Neuanordnung Unter den Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 und 2 kann eine Stabilisierungsanordnung auf weitere Gläubiger erstreckt, inhaltlich erweitert oder zeitlich verlängert werden (Folgeanordnung) oder, sofern die Anordnungsdauer bereits überschritten ist, erneuert werden (Neuanordnung). In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV. 1. 2. 3.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historie und EU-Richtlinien-Grundlage Folgeanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt der Folgeanordnung . . . . . . . . . . . . Dauer der Folgeanordnung . . . . . . . . . . . . Anordnungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . a) Antrag des Schuldners nach § 50 Abs. 1 StaRUG während andauernder Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Restrukturierungsplanung nach § 50 Abs. 2 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erklärungen des Schuldners nach § 50 Abs. 3 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis der Folgeanordnung zur andauernden Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 3 11 11 14 15 16 19 22

V. 1. 2. 3.

Neuanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt der Neuanordnung . . . . . . . . . . . . . Dauer der Neuanordnung . . . . . . . . . . . . . Anordnungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . a) Antrag des Schuldners nach § 50 Abs. 1 StaRUG nach Ablauf vorheriger Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Restrukturierungsplanung nach § 50 Abs. 2 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erklärungen des Schuldners nach § 50 Abs. 3 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zulässigkeit kumulativer und wiederholter Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26 26 28 29 30 31 35 36 38

23 25

Schrifttum: Smid, Verwertungssperren nach § 49 I Nr. 2 StaRUG, ZInsO 2021, 199.

I. Regelungsgegenstand 1 Die Vorschrift des § 52 StaRUG sieht die Möglichkeit vor, eine bereits erteilte Stabilisierungs-

anordnung für die Zukunft abzuändern, indem sie auf weitere Gläubiger erstreckt, inhaltlich erweitert oder zeitlich verlängert wird (sog. Folgeanordnung). Der Erlass einer Folgeanordnung setzt dabei voraus, dass die Anordnungsdauer der zuvor erteilten Stabilisierungsanordnung noch nicht abgelaufen ist und die Voraussetzungen für eine Stabilisierungsanordnung nach § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG gegeben sind. Sofern die Anordnungsdauer der zuvor erteilten Stabilisierungsanordnung hingegen bereits überschritten ist, scheidet eine Folgeanordnung aus. Unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und 2 eröffnet § 52 StaRUG aber unter diesen Umständen die Möglichkeit der erneuten Erteilung einer Stabilisierungsanordnung (sog. Neuanordnung). Sowohl Folgeanordnungen als auch Neuanordnungen ergehen nur auf Antrag des Schuldners.

II. Normzweck 2 Mit Hilfe von Folge- und Neuanordnungen soll das Restrukturierungsgericht auf Antrag des

Schuldners die Möglichkeit erhalten, Stabilisierungsanordnungen kumulativ und wiederholt 926 | Schönen/Bender

Folgeanordnung, Neuanordnung | Rz. 6 § 52

zu erlassen und damit der Dynamik des Restrukturierungsverfahrens Rechnung zu tragen.1 Auf diese Weise wird dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet, während der Vorbereitung der Planabstimmung auf veränderte Rahmenbedingungen, wie z.B. unerwartet opponierende Gläubiger oder Verzögerungen der Verhandlungen mit den Planbetroffenen, zu reagieren und die Erfolgsaussichten des Restrukturierungsvorhabens abzusichern.2

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage Die Regelung beruht auf Art. 6 Abs. 7 der Restrukturierungs-RL,3 der vorsieht, dass eine 3 Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen verlängert oder neu angeordnet werden kann. Die Verlängerung oder neue Aussetzung soll dabei nur auf Antrag des Schuldners, eines Gläubigers oder ggf. eines Restrukturierungsbeauftragten gewährt werden. Der deutsche Gesetzgeber hat sich in Bezug auf Stabilisierungsanordnungen dafür entschieden, dass diese generell nur auf Antrag des Schuldners erlassen werden (vgl. § 49 Abs. 1 StaRUG). Gläubiger oder der Restrukturierungsbeauftragte sind hierzu nicht berechtigt. Art. 6 Abs. 7 der Restrukturierungs-RL regelt darüber hinaus, dass eine Verlängerung der 4 Aussetzung oder neue Aussetzung nur zu gewähren ist, wenn genau festgelegte Umstände zeigen, dass diese Verlängerung oder neue Aussetzung ausreichend begründet ist. Als Beispiele nennt die Restrukturierungs-RL den Fall, dass in den Verhandlungen über den Restrukturierungsplan deutliche Fortschritte erzielt wurden (Art. 6 Abs. 7 Buchst. a), die Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen die Rechte bzw. Beteiligungen betroffener Parteien nicht in unangemessener Weise beeinträchtigt (Art. 6 Abs. 7 Buchst. b) oder gegen den Schuldner noch kein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, das nach nationalem Recht zur Liquidation des Schuldners führen kann (Art. 6 Abs. 7 Buchst. c). Die Regelung des § 52 zu Folge- und Neuanordnungen stellt keine besonderen, über die allgemeinen Voraussetzungen einer Stabilisierungsanordnung nach § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG hinausgehenden Anforderungen auf.4 Insbesondere muss für eine Verlängerung innerhalb der Anordnungshöchstdauer von drei Monaten (§ 53 Abs. 1 StaRUG) grundsätzlich weder das Erreichen eines Verhandlungsfortschritts dargelegt werden5 noch nachgewiesen werden, dass es nicht zu einer unangemessenen Beeinträchtigung der Gläubiger kommt (vgl. zum fehlenden Erfordernis der Angemessenheit § 49 Rz. 32 ff.). Abweichendes gilt für den Fall, dass die Dauer der Stabilisierungsanordnung von drei Mona- 5 ten auf vier Monate verlängert werden soll. Um dies zu erreichen, muss der Schuldner den Planbetroffenen inzwischen ein Planangebot unterbreitet haben und es dürfen keine Umstände bekannt sein, aus denen sich ergibt, dass mit einer Planannahme innerhalb eines Monats nicht zu rechnen ist (§ 53 Abs. 2 StaRUG). Auch bei Beantragung einer Verlängerung der Stabilisierungsanordnung auf bis zu insgesamt 6 acht Monate seit Erlass der Erstanordnung gelten erhöhte Anforderungen. Die Planbetroffenen müssen den Plan bereits mit den erforderlichen Mehrheiten angenommen und der Schuldner muss einen Antrag auf gerichtliche Planbestätigung gestellt haben (§ 53 Abs. 3 1 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 156; Mock in BeckOK/StaRUG, § 52 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 2 Smid, ZInsO 2021, 199, 200; zust. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 1 f. 3 Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 – im Folgenden: Restrukturierungs-RL. 4 Schönfelder in Flöther, 2021, § 52 StaRUG Rz. 3 und 5. 5 Schönfelder in Flöther, 2021, § 52 StaRUG Rz. 3 und 5.

Schönen/Bender | 927

§ 52 Rz. 6 | Folgeanordnung, Neuanordnung Satz 1 StaRUG). Eine Verlängerung scheidet selbst unter diesen Umständen aus, wenn der Restrukturierungsplan offensichtlich nicht bestätigungsfähig ist (§ 53 Abs. 3 Satz 2 StaRUG). 7 In jedem Fall eines Antrags auf Verlängerung oder Neuerlass einer Stabilisierungsanordnung

gilt darüber hinaus, dass das Restrukturierungsgericht dem Antrag nicht stattgeben wird, wenn der Schuldner zuvor einen Insolvenzantrag gestellt hat oder über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet ist. Denn unter diesen Umständen ist das Restrukturierungsgericht zur Aufhebung der Restrukturierungssache von Amts wegen verpflichtet (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG), es sei denn, das Gericht sieht zunächst von der Aufhebung der bestehenden Stabilisierungsanordnung ab (§ 33 Abs. 3 i.V.m. § 59 Abs. 3 StaRUG), um einen geordneten Übergang in das Insolvenzverfahren zu gewährleisten. Mit Wegfall der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache entfällt die Möglichkeit, Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens wie die Stabilisierungsanordnung in Anspruch zu nehmen (§ 31 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG). Selbst wenn die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache zwecks Gewährleistung eines geordneten Übergangs in das Insolvenzverfahren zunächst noch aufrechterhalten bleiben sollte, so wird unter diesen Umständen der Erlass einer Folge- oder Neuanordnung daran scheitern, dass die Restrukturierung aussichtslos geworden ist, weil keine Aussicht mehr darauf besteht, dass ein das Konzept umsetzender Plan von den Planbetroffenen angenommen oder vom Gericht bestätigt wird (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StaRUG).

8 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der deutsche Gesetzgeber im Einklang mit den Vorgaben

der Richtlinie hinreichende Hürden für eine Folge- oder Neuanordnung geschaffen hat. Jedenfalls die Anforderung gem. Art. 6 Abs. 7 Buchst. c der Restrukturierungs-RL, wonach noch kein Insolvenzverfahren eröffnet worden sein darf, gilt (implizit) auch für Folge- und Neuanordnungen nach § 52 StaRUG. Die Regelung des § 52 StaRUG dürfte also richtlinienkonform sein.

9 Im Rahmen der Umsetzung der Restrukturierungs-RL hat der deutsche Gesetzgeber nicht nur

die Möglichkeit einer Verlängerung der bereits erteilten Stabilisierungsanordnung und den Erlass einer neuen Anordnung vorgesehen, sondern darüber hinaus auch die Möglichkeit, eine bereits erteilte Anordnung auf weitere Gläubiger zu erstrecken oder inhaltlich zu erweitern. Dies dürfte als richtlinienkonform einzuordnen sein. Wenn die Restrukturierungs-RL die erneute Anordnung einer Stabilisierungsmaßnahme erlaubt, dann ist im Wege des Erst-RechtSchlusses anzunehmen, dass auch die Erweiterung einer bereits erteilten Anordnung hinsichtlich ihrer Adressaten oder ihrer inhaltlichen Reichweite von der Richtlinie abgedeckt ist.

10 Die Vorschrift des § 52 StaRUG entspricht dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung6 und

hat im Gesetzgebungsverfahren, abgesehen von redaktionellen Anpassungen, keine Änderungen erfahren.

IV. Folgeanordnung 1. Inhalt der Folgeanordnung 11 Gegenstand einer Folgeanordnung ist die Änderung der Erstanordnung bzw. der vorangegan-

genen Stabilisierungsanordnung, die noch andauert. Die Änderung kann nach dem Wortlaut von § 52 StaRUG eine Erstreckung auf weitere Gläubiger, eine inhaltliche Erweiterung oder eine zeitliche Verlängerung der bestehenden Anordnung sein (§ 52 Alt. 1 StaRUG).7

6 Vgl. § 59 StaRUG-RegE, BT-Drucks. 19/24181, S. 34. 7 Mock in BeckOK/StaRUG, § 52 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 52 StaRUG Rz. 4; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 2; Boss/ Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 1.

928 | Schönen/Bender

Folgeanordnung, Neuanordnung | Rz. 14 § 52

Soweit es die Einzelheiten der möglichen Erweiterungen betrifft, sind die Vorgaben des § 49 StaRUG zu beachten, der für sämtliche Stabilisierungsanordnungen gilt.8 Insofern kann auf die Ausführungen zu § 49 StaRUG verwiesen werden (vgl. § 49 Rz. 11 ff.). Grundsätzlich denkbar, wenn auch weniger praxisrelevant dürfte das umgekehrte Bestreben 12 eines Schuldners sein, die bestehende Anordnung auf weniger Gläubiger zu erstrecken, inhaltlich einzuschränken oder auch zeitlich zu verkürzen. Hintergrund für das Anliegen, eine bestehende Anordnung dergestalt in ihren Wirkungen zu beschränken, können etwa die mit einer Stabilisierungsanordnung für den Schuldner nach § 54 StaRUG verbundenen nachteiligen Folgen einer Verwertungssperre sein, wonach der Schuldner Zinsen zu zahlen und den durch Nutzung eintretenden Wertverlust zu ersetzen hat (§ 54 Abs. 1 StaRUG) sowie bei Einziehung von zur Sicherheit abgetretenen Forderungen bzw. Veräußerung von zur Sicherheit übereigneten beweglichen Sachen Verwertungserlöse zu separieren oder an den Berechtigten auszukehren hat (§ 54 Abs. 2 StaRUG). Auch wenn der Wortlaut des § 52 StaRUG eine Beschränkung der Wirkungen einer bestehenden Stabilisierungsanordnung im Wege der Folgeanordnung nicht vorsieht, ist im Wege der teleologischen Auslegung des Gesetzes davon auszugehen, dass eine Folgeanordnung auch dies zum Gegenstand haben kann. Das Gesetz weist das Initiativrecht für eine Stabilisierungsanordnung allein dem Schuldner zu (vgl. § 49 Abs. 1 StaRUG). Außerdem steht dem Schuldner das Recht zu, jederzeit die Aufhebung der Anordnung insgesamt zu beantragen (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG). Das spricht dafür, dass beim Schuldner auch die Entscheidung darüber liegt, nicht nur die Erweiterung einer bestehenden Anordnung, sondern auch deren Einschränkung zu beantragen. Dass eine Beschränkung der bestehenden Anordnung möglich sein muss, ergibt sich im Übrigen schon daraus, dass im Fall einer zeitlichen Verlängerung der Anordnung auf insgesamt vier Monate die Stabilisierungsanordnung sich nunmehr ausschließlich gegen Planbetroffene richtet (§ 53 Abs. 2 Satz 2 StaRUG), auch wenn zuvor ggf. noch weitere Gläubiger betroffen waren. Der Schuldner wird sich unter diesen Umständen aber anstelle der Beantragung von einer Folgeanordnung für die Beantragung einer teilweisen Aufhebung der Stabilisierungsanordnung nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG entscheiden, da hierfür keine weiteren Antragsunterlagen vorzulegen sind und dies daher der effizientere Weg zum angestrebten Ziel ist (vgl. § 59 Rz. 16). Die Folgeanordnung muss einen Hinweis enthalten, dass es sich um eine Folgeanordnung 13 handelt und mithin bereits eine bzw. mehrere vorherige Stabilisierungsanordnungen existieren.9 Auf diese Weise wird sichergestellt, dass für die von der Anordnung betroffenen Gläubiger erkennbar ist, dass es sich um eine Folgeanordnung handelt. Dies erleichtert den Gläubigern zugleich die eigene Überprüfung der Anordnung.

2. Dauer der Folgeanordnung Die Dauer der Folgeanordnung richtet sich nach § 53 Abs. 2 und 3 StaRUG. Grundsätzlich 14 beträgt die maximale Anordnungsdauer drei Monate, wobei die Dauer der ursprünglichen und jeder weiteren vorhergehenden Stabilisierungsanordnung bei der Berechnung, ob die Höchstdauer erreicht ist, zu berücksichtigen ist (vgl. § 53 Rz. 16). Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Anordnungshöchstdauer auf vier bzw. acht Monate verlängert werden (vgl. § 53 Rz. 17 und 20 ff.).

8 Mock in BeckOK/StaRUG, § 52 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 9 Mock in BeckOK/StaRUG, § 52 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Schönen/Bender | 929

§ 52 Rz. 15 | Folgeanordnung, Neuanordnung

3. Anordnungsvoraussetzungen 15 Während der Dauer einer Stabilisierungsanordnung erlässt das Restrukturierungsgericht eine

erneute Stabilisierungsanordnung in Gestalt der Folgeanordnung, sofern der Schuldner eine Änderung der ursprünglichen bzw. der unmittelbar vorhergehenden Stabilisierungsanordnung beantragt und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG gegeben sind (§ 52 Alt. 1 StaRUG). Der Erlass einer Folgeanordnung unterliegt im Grundsatz den gleichen Anforderungen wie der Erlass der Erstanordnung.10 a) Antrag des Schuldners nach § 50 Abs. 1 StaRUG während andauernder Stabilisierungsanordnung

16 Voraussetzung für den Erlass einer Folgeanordnung ist, dass die Dauer der zuletzt erlassenen

Stabilisierungsanordnung im Zeitpunkt des Antrags auf Erlass der Folgeanordnung noch nicht abgelaufen ist.11 Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 52 StaRUG.

17 Der Erlass einer Folgeanordnung erfolgt – ebenso wie der Erlass der ursprünglichen Stabilisie-

rungsanordnung gem. § 50 StaRUG – nur auf Antrag des Schuldners.12 Zwar geht dies nicht aus dem Wortlaut des § 52 StaRUG hervor, ergibt sich aber in der systematischen Zusammenschau mit § 49 Abs. 1 StaRUG, wonach die Anordnung von Stabilisierungsmaßnahmen nur auf Antrag des Schuldners erfolgt. Die Entscheidung darüber, mit welchem Inhalt, Adressatenkreis und welcher Dauer eine Folgeanordnung beantragt wird, liegt beim Schuldner, der bei seiner Entscheidung an die Vorgaben der §§ 49 ff. StaRUG gebunden ist. Im Übrigen ist nur der Schuldner dazu in der Lage, die nach § 51 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 50 StaRUG auch für eine Folgeanordnung erforderlichen Unterlagen beizubringen und Erklärungen abzugeben. Bei der Beantragung einer Folgeanordnung sollte der Schuldner auf die vorherige Stabilisierungsanordnung Bezug nehmen und deutlich machen, dass es sich um den Antrag auf Erlass einer Folgeanordnung handelt. Im Übrigen gelten für den Antrag die Vorgaben des § 50 StaRUG. Hinsichtlich der Einzelheiten kann auf die Kommentierung zu § 50 StaRUG verwiesen werden (vgl. § 50 Rz. 4 ff.), soweit sich nicht aus den nachstehenden Ausführungen Abweichungen für den Fall der Folgeanordnung ergeben.

18 Nach § 50 Abs. 1 StaRUG hat der Schuldner die beantragte Stabilisierungsanordnung ins-

besondere dem Inhalt, Adressatenkreis und der Dauer nach zu bezeichnen. Der Adressatenkreis kann auf alle Gläubiger des Schuldners ausgeweitet werden, vorausgesetzt, dass es sich nicht um Gläubiger mit Forderungen handelt, die einer Gestaltung im Restrukturierungsplan generell unzugänglich sind (vgl. § 49 Abs. 2 StaRUG). Der Schuldner ist bei der Bestimmung des Adressatenkreises also nicht auf die Auswahl von Planbetroffenen beschränkt,13 es sei denn, er begehrt die Verlängerung um den vierten Monat (§ 53 Abs. 2 StaRUG). Für die Folgeanordnung bedeutet dies, dass der Schuldner die begehrten Änderungen an der bestehenden Stabilisierungsanordnung hinreichend konkret zu benennen hat (vgl. § 52 Rz. 11 ff.).14 Der Schuldner wird sich außerdem mit der Frage auseinandersetzen müssen, warum die konkret beantragte Folgeanordnung hinsichtlich Inhalts, Adressatenkreis und Dauer 10 Riggert in Braun, 2021, § 52 StaRUG Rz. 2; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 2. 11 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 52 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, 2021, § 52 StaRUG Rz. 2; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 2. 12 Mock in BeckOK/StaRUG, § 52 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 9; Mönning in Nerlich/Römermann, § 52 StaRUG Rz. 5 (Stand: 44. EL November 2021). 13 A.A. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 8. 14 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 2; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 9.

930 | Schönen/Bender

Folgeanordnung, Neuanordnung | Rz. 20 § 52

erforderlich ist, um das Restrukturierungsziel zu erreichen. Seine Überlegungen, die für die Erforderlichkeit sprechen, sollte er in den Antrag als Begründung aufnehmen, um dem Gericht die Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzung (vgl. Rz. 23) zu ermöglichen.15 b) Restrukturierungsplanung nach § 50 Abs. 2 StaRUG Gemäß § 50 Abs. 2 StaRUG hat der Schuldner außerdem eine vollständige und schlüssige 19 Restrukturierungsplanung vorzulegen. Da der Schuldner dem Restrukturierungsgericht während der Dauer einer Stabilisierungsanordnung nach § 32 Abs. 2 Satz 2 StaRUG ohnehin jegliche wesentliche Änderung betreffend die Restrukturierungsplanung unverzüglich mitzuteilen hat, ließe sich unter Umständen argumentieren, dass die erneute Beifügung einer Restrukturierungsplanung nach § 50 Abs. 2 StaRUG, bestehend aus einem aktuellen Entwurf des Restrukturierungsplans bzw. -konzepts und einem Finanzplan, bei einem Antrag auf Erlass einer Folgeanordnung entbehrlich ist.16 Der Erlass einer Folgeanordnung ohne die erneute Einreichung der Restrukturierungsplanung kann dabei nur in Betracht kommen, wenn dem Gericht bereits alle erforderlichen Unterlagen in der zum Zeitpunkt der Beantragung der Folgeanordnung tagesaktuellen Fassung vorliegen. Das heißt, wenn (i) sich seit der zuletzt dem Gericht übermittelten Fassung des Restrukturierungsplans bzw. -konzepts und des Finanzplans an diesen Dokumenten keine Änderungen ergeben haben und (ii) der Schuldner explizit und für das Gericht gut nachvollziehbar auf die konkreten bereits eingereichten Unterlagen Bezug nimmt und deren Aktualität bestätigt.

Weitergehende Anforderungen können sich im Hinblick auf die zeitliche Reichweite des Fi- 20 nanzplans ergeben. So stellt sich die Frage, ob nicht in jedem Fall die Vorlage eines (neuen) sechsmonatigen Finanzplans gerechnet ab dem Datum der Beantragung der Folgeanordnung oder zumindest eines um die Dauer der Folgeanordnung verlängerten Finanzplans erforderlich ist, ungeachtet dessen, dass die Folgeanordnung noch im Rahmen des bereits vorgelegten Finanzplans enden wird. Gegen dieses Erfordernis spricht allerdings, dass der Gesetzgeber sich dafür entschieden hat, die erstmalige Anordnung einer Stabilisierungsanordnung von der Vorlage eines Finanzplans abhängig zu machen, der einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten abdeckt (§ 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG; zur temporären Verkürzung des 6-Monatszeitraums durch SanInsKG auf vier Monate s. § 50 Rz. 17), um auf diese Weise sicherzustellen, dass der Schuldner über die Anordnungshöchstdauer nach § 53 Abs. 1 und 2 StaRUG hinaus durchfinanziert ist.17 Der Gesetzgeber möchte also bereits für den Fall der Erstanordnung sicherstellen, dass die Liquiditätsausstattung des Schuldners planerisch mindestens für die Anordnungshöchstdauer von vier Monaten sowie während zweier weiterer Monate gewährleistet ist. Zumindest den Fall der nahtlosen18 Verlängerung der ursprünglichen Stabilisierungsanordnung aufgrund von Folgeanordnungen auf bis zu in der Summe maximal vier Monate sieht der Gesetzgeber demnach als mit dem ursprünglichen Finanzplan abgedeckt an. Nicht ausdrücklich ist dem Gesetz oder den Gesetzesmaterialien hingegen zu entnehmen, wie im Fall einer nach § 53 Abs. 3 Satz 1 StaRUG ausnahmsweise zulässigen Verlängerung der Stabilisierungsanordnung auf bis zu insgesamt acht Monate zu verfahren ist. Der bei Beantragung der Erstanordnung vorgelegte sechsmonatige Finanzplan deckt den Zeitraum dieser Folgeanordnung nicht mehr vollständig ab (zur temporären Verkürzung des 6-Monatszeitraums durch SanInsKG auf vier Monate s. § 50 Rz. 17). Zweck des Finanzplans ist es aber, dem Restrukturierungsgericht 15 Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 5 und 7. 16 Vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 11; a.A. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 4, wonach der Schuldner sämtliche Voraussetzungen erneut vorzutragen und darzulegen habe, ein Verweis auf den Erstantrag reiche nicht aus. 17 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155 (unter Bezugnahme auf § 60 Abs. 1 und 2 StaRUG-RegE). 18 Zum Fall der Neuanordnung sogleich unter Rz. 33.

Schönen/Bender | 931

§ 52 Rz. 20 | Folgeanordnung, Neuanordnung die Prüfung zu ermöglichen, ob schlüssig dargelegt ist, dass das Unternehmen während der Dauer der Stabilisierungsanordnung fortgeführt werden kann (vgl. § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG). Diesen Zweck kann der Finanzplan nur erfüllen, wenn er sich zumindest auf die gesamte Dauer der beantragten Stabilisierungsanordnung erstreckt. Aus der Gesetzesbegründung lässt sich herleiten, dass der Gesetzgeber darüber hinausgehend einen Finanzplan vor Augen hat, der nicht nur die Anordnungshöchstdauer abdeckt, sondern zusätzlich rund zwei weitere Monate.19 Ein paar Tage oder ggf. Wochen wird das Gericht für die Entscheidung über den Antrag auf Stabilisierungsanordnung benötigen, so dass der vom Finanzplan abgedeckte Zeitraum nach Ablauf der Anordnungsdauer nicht zwei vollständige Monate umfassen wird. Das spricht aber dessen ungeachtet im Ergebnis dafür, dass im Fall der Beantragung einer Folgeanordnung die Vorlage eines Finanzplans erforderlich ist, der mindestens den Zeitraum bis zum Ablauf der beantragten Folgeanordnung (bzw. bis zu dem Ablauf der Anordnungshöchstdauer von vier Monaten, falls die Folgeanordnung dahinter zurückbleiben sollte) zzgl. rund zweier Monate abdeckt. Soweit der bereits zuvor vorgelegte Finanzplan diesen Anforderungen genügt und er nach wie vor aktuell ist, mag die erneute Vorlage entbehrlich sein. 21 Solange der Umfang der für eine Folgeanordnung vorzulegenden Unterlagen allerdings nicht

gerichtlich geklärt ist, ist es dem Schuldner anzuraten, seinem Antrag vorsorglich vollständige Antragsunterlagen i.S.d. § 50 Abs. 2 StaRUG (einschließlich tagesaktuellem Entwurf des Restrukturierungsplans bzw. -konzepts und tagesaktuellem Finanzplan) beizufügen, unabhängig davon, ob diese dem Gericht ggf. bereits aus anderen Gründen vorliegen, um dem Gericht eine zügige Entscheidung zu erleichtern und Diskussionen zur Frage der Vollständigkeit der Unterlagen zu vermeiden. c) Erklärungen des Schuldners nach § 50 Abs. 3 StaRUG

22 Nach § 50 Abs. 3 StaRUG hat der Schuldner Erklärungen zu bestehenden Zahlungsrück-

ständen gegenüber bestimmten Gläubigern sowie zu vorangegangenen Stabilisierungsanordnungen bzw. Sicherungsmaßnahmen und zur Einhaltung von Offenlegungspflichten abzugeben. Soweit es diese bei der Beantragung einer Stabilisierungsanordnung erforderlichen Erklärungen des Schuldners betrifft, wird vertreten, dass wegen der Pflicht zur Unterrichtung des Restrukturierungsgerichts über wesentliche Änderungen betreffend den Gegenstand des angezeigten Restrukturierungsvorhabens und die Darstellung des Verhandlungsstands während des Restrukturierungsverfahrens (§ 32 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) eine erneute Abgabe dieser Erklärungen entbehrlich sei.20 Dem ist insoweit zuzustimmen, wie der Inhalt dieser Erklärungen keinen Veränderungen unterliegen kann und die erneute Abgabe dieser Erklärungen daher bloßer Formalismus wäre. Die Erklärungen in Bezug auf vorangegangene Stabilisierungsanordnungen bzw. Sicherungsmaßnahmen zugunsten des Schuldners (§ 50 Abs. 3 Nr. 2 StaRUG) können sich seit der erstmaligen Beantragung einer Stabilisierungsanordnung nicht verändert haben, die Erklärungen betreffend die Erfüllung der handelsrechtlichen Offenlegungspflichten (§ 50 Abs. 3 Nr. 3 StaRUG) hingegen schon. Dies wäre etwa ausnahmsweise der Fall, wenn die Beantragung der Folgeanordnung zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem ein weiteres Geschäftsjahr des Schuldners abgeschlossen ist, so dass eine Aussage dazu zu treffen ist, ob die Offenlegungspflichten auch bezogen auf dieses weitere Geschäftsjahr erfüllt sind. Eine Aktualisierung wird darüber hinaus regelmäßig in Bezug auf die Erklärung nach § 50 Abs. 3 Nr. 1 StaRUG über den Umfang des Verzugs gegenüber bestimmten Gläubigern erforderlich sein. Trotz etwaiger (teilweiser) Entbehrlichkeit der Erklärungen nach § 50 Abs. 3 StaRUG empfiehlt es sich für den Schuldner, sämtliche Erklärungen erneut abzugeben, um auf Seiten des Restrukturierungsgerichts Zweifeln und Rückfragen hinsichtlich der Vollständigkeit 19 Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155 mit Erläuterung, warum es bei einer Anordnungshöchstdauer von vier Monaten eines sechsmonatigen Finanzplans bedarf. 20 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 11.

932 | Schönen/Bender

Folgeanordnung, Neuanordnung | Rz. 27 § 52

der Unterlagen vorzubeugen und den Anordnungserlass zu beschleunigen – zumal die Aufnahme dieser Erklärungen in den Antrag ohne größeren Aufwand möglich ist. d) Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG Nach § 52 StaRUG ergeht eine Folgeanordnung unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 23 und 2 StaRUG.21 Insbesondere muss die beantragte Änderung der Stabilisierungsanordnung zur Erreichung des Restrukturierungsziels erforderlich sein (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StaRUG). Hinsichtlich der Einzelheiten kann auf die Kommentierung zu § 51 StaRUG verwiesen werden (vgl. § 51 Rz. 21 ff.). Neben den positiv festzustellenden Anordnungsvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 und 2 Sta- 24 RUG hat das Gericht außerdem die Abwesenheit von Aufhebungsgründen nach § 59 StaRUG als negative Tatbestandsmerkmale zu prüfen.22

4. Verhältnis der Folgeanordnung zur andauernden Anordnung Bei Erlass einer Folgeanordnung ist die zuvor erlassene und noch andauernde Anordnung 25 vom Restrukturierungsgericht nicht aufzuheben.23 Vielmehr tritt mit dem Erlass der Folgeanordnung eine Änderung der vorangegangenen Anordnung(en) ein. Die Erstanordnung bleibt in der Gestalt, die sie aufgrund von einer oder mehreren Folgeanordnungen erfahren hat, fortbestehen.24

V. Neuanordnung 1. Inhalt der Neuanordnung Für den Inhalt der Neuanordnung kann auf die Ausführungen zum Inhalt der Stabilisierungs- 26 anordnung nach § 49 StaRUG verwiesen werden (vgl. § 49 Rz. 11 ff.).25 Im Wege der Neuanordnung kann demnach eine Vollstreckungs- ebenso wie eine Verwertungssperre erlassen werden. Adressaten können einzelne oder alle Gläubiger des Schuldners sein, vorausgesetzt, dass es sich nicht um Gläubiger mit Forderungen handelt, die einer Gestaltung im Restrukturierungsplan generell unzugänglich sind (vgl. § 49 Abs. 2 StaRUG). Der Schuldner ist bei der Bestimmung des Adressatenkreises der beantragten Neuanordnung nicht auf die Auswahl von Planbetroffenen beschränkt,26 es sei denn, er begehrt die Verlängerung um den vierten Monat (§ 53 Abs. 2 StaRUG). Die Neuanordnung muss einen Hinweis enthalten, dass es sich um eine Neuanordnung han- 27 delt und mithin bereits eine bzw. mehrere vorherige Stabilisierungsanordnungen existieren.27 Auf diese Weise wird sichergestellt, dass für die von der Anordnung betroffenen Gläubiger

21 Schönfelder in Flöther, 2021, § 52 StaRUG Rz. 5; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 8; vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 52 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der auf die Anforderungen von §§ 49 und 51 StaRUG abstellt. 22 Schönfelder in Flöther, 2021, § 52 StaRUG Rz. 6. 23 A.A. Mock in BeckOK/StaRUG, § 52 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 24 Vgl. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 6, der annimmt, dass die Folgeanordnung an die bestehende Anordnung anknüpft und diese erweitert. 25 Mock in BeckOK/StaRUG, § 52 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 26 A.A. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 8. 27 Mock in BeckOK/StaRUG, § 52 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Schönen/Bender | 933

§ 52 Rz. 27 | Folgeanordnung, Neuanordnung erkennbar ist, dass es sich um eine Neuanordnung handelt. Dies erleichtert den Gläubigern zugleich die eigene Überprüfung der Anordnung.

2. Dauer der Neuanordnung 28 Die zulässige Dauer der Neuanordnung richtet sich wie die Dauer der Folgeanordnung (vgl.

Rz. 14) nach § 53 Abs. 2 und 3 StaRUG. Die Dauer der Neuanordnung darf zusammen mit der bzw. den zuvor im Rahmen der gleichen Restrukturierungssache erlassenen Stabilisierungsanordnungen grundsätzlich maximal drei Monate betragen. Unter bestimmten Voraussetzungen verlängert sich die Anordnungshöchstdauer auf vier bzw. acht Monate (vgl. § 53 Rz. 17 und 20 ff.). Bei der Berechnung, ob bereits die Anordnungshöchstdauer von drei bzw. vier Monaten erreicht ist, sind Zeiträume, während derer keine Stabilisierungsanordnung bestand, nicht mitzurechnen (vgl. § 53 Rz. 19). Bei der Berechnung hingegen, ob die Höchstdauer von acht Monaten nach § 53 Abs. 3 StaRUG bereits erschöpft ist, kommt es allein darauf an, ob seit Erlass der Erstanordnung bereits acht Monate verstrichen sind (§ 53 Rz. 20).

3. Anordnungsvoraussetzungen 29 Nach Ablauf einer Stabilisierungsanordnung erlässt das Restrukturierungsgericht eine erneute

Stabilisierungsanordnung in Gestalt der Neuanordnung, sofern der Schuldner eine erneute Stabilisierungsanordnung beantragt und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG gegeben sind (§ 52 Alt. 2 StaRUG). a) Antrag des Schuldners nach § 50 Abs. 1 StaRUG nach Ablauf vorheriger Stabilisierungsanordnung

30 Wenn die Dauer der vorherigen Stabilisierungsanordnung bereits abgelaufen ist, kann vom

Schuldner eine Neuanordnung beantragt werden.28 Auch der Erlass einer Neuanordnung ergeht – ebenso wie eine Folgeanordnung (vgl. Rz. 16) – nur auf Antrag des Schuldners. Der Antrag des Schuldners auf Erlass einer Neuanordnung hat die Voraussetzungen des § 50 StaRUG zu erfüllen (vgl. zur Begründung Rz. 16). Der Schuldner entscheidet darüber, mit welchem Inhalt, Adressatenkreis und welcher Dauer er eine Neuanordnung beantragt, wobei er an die Vorgaben der §§ 49 ff. StaRUG gebunden ist. Das bedeutet insbesondere, dass die konkret beantragte Neuanordnung hinsichtlich Inhalts, Adressatenkreis und Dauer erforderlich sein muss, um das Restrukturierungsziel zu erreichen. Seine Überlegungen, die für die Erforderlichkeit sprechen, sollte der Schuldner in den Antrag als Begründung aufnehmen, um dem Gericht die Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzung (vgl. Rz. 36) zu ermöglichen.29 In dem Antrag sollte zudem darauf hingewiesen werden, dass es sich um eine Neuanordnung handelt und mithin bereits eine bzw. mehrere vorherige Stabilisierungsanordnungen existieren. b) Restrukturierungsplanung nach § 50 Abs. 2 StaRUG

31 Für die mit dem Antrag einzureichende Restrukturierungsplanung, bestehend aus dem Ent-

wurf des Restrukturierungsplans bzw. -konzepts und dem Finanzplan, gilt im Grundsatz das zur Folgeanordnung Gesagte entsprechend (vgl. § 52 Rz. 19 ff.).

28 Mock in BeckOK/StaRUG, § 52 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, 2021, § 52 StaRUG Rz. 3; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 5; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 6. 29 Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 5 und 11.

934 | Schönen/Bender

Folgeanordnung, Neuanordnung | Rz. 36 § 52

Soweit es keine Änderungen an dem im Rahmen der Beantragung der vorherigen Stabilisie- 32 rungsanordnung oder aus anderen Gründen im weiteren Verlauf des Verfahrens bereits eingereichten Entwurf des Restrukturierungsplans bzw. -konzepts gab und diese daher nach wie vor aktuell sind, bedarf es keiner erneuten Einreichung.30 In diesem Fall genügt eine Bezugnahme auf die bereits eingereichten Unterlagen. Abweichendes gilt allerdings im Hinblick auf den Finanzplan. Wie schon zur Folgeanordnung 33 ausgeführt (Rz. 20), ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass bei der Beantragung einer Stabilisierungsanordnung ein Finanzplan vorzulegen ist, der die Anordnungshöchstdauer von vier Monaten und zusätzlich zwei weitere Monate abdeckt. Im Fall der Beantragung einer Neuanordnung müsste bei Zugrundelegung dieses Maßstabs in jedem Einzelfall berechnet werden, wie lang der Zeitraum sein muss, den der Finanzplan abdeckt. Soweit der bereits zuvor vorgelegte Finanzplan diesen Anforderungen genügt und er nach wie vor aktuell ist, mag die erneute Vorlage sogar ausnahmsweise entbehrlich sein und eine Bezugnahme auf den bereits eingereichten Finanzplan genügen. Wie bei der Folgeanordnung gilt auch für die Neuanordnung: Solange der Umfang der für 34 eine Neuanordnung vorzulegenden Unterlagen nicht gerichtlich geklärt ist, ist es dem Schuldner anzuraten, seinem Antrag vorsorglich vollständige Antragsunterlagen i.S.d. § 50 Abs. 2 StaRUG (einschließlich tagesaktuellem Entwurf des Restrukturierungsplans bzw. -konzepts und tagesaktuellem Finanzplan) beizufügen, unabhängig davon, ob diese dem Gericht ggf. bereits aus anderen Gründen vorliegen, um dem Gericht eine zügige Entscheidung zu erleichtern und Diskussionen zur Frage der Vollständigkeit der Unterlagen zu vermeiden. c) Erklärungen des Schuldners nach § 50 Abs. 3 StaRUG In Bezug auf die nach § 50 Abs. 3 StaRUG abzugebenden Erklärungen gelten die gleichen 35 Grundsätze wie bei der Folgeanordnung (vgl. § 52 Rz. 22). Liegen keine Änderungen vor, dürfte eine erneute Abgabe entbehrlich sein und eine Bezugnahme auf die bereits abgegebenen Erklärungen genügen. Wie bei der Folgeanordnung gilt auch für die Neuanordnung: Trotz etwaiger (teilweiser) Entbehrlichkeit der Erklärungen nach § 50 Abs. 3 StaRUG empfiehlt es sich für den Schuldner, sämtliche Erklärungen erneut abzugeben, um auf Seiten des Restrukturierungsgerichts Zweifeln und Rückfragen hinsichtlich der Vollständigkeit der Unterlagen vorzubeugen und den Anordnungserlass zu beschleunigen – zumal die Aufnahme dieser Erklärungen in den Antrag ohne größeren Aufwand möglich ist. d) Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 und 2 StaRUG Nach § 52 StaRUG ergeht eine Neuanordnung unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 36 und 2 StaRUG.31 Insoweit ergeben sich keine Unterschiede im Vergleich zur Folgeanordnung. Insbesondere muss die beantragte erneue Stabilisierungsanordnung zur Erreichung des Restrukturierungsziels erforderlich sein (§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StaRUG). Hinsichtlich der Einzelheiten kann auf die Kommentierung zu § 51 StaRUG verwiesen werden (vgl. § 51 Rz. 21 ff.).

30 A.A. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 12; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 4, wonach der Schuldner sämtliche Voraussetzungen erneut vorzutragen und darzulegen habe, ein Verweis auf den Erstantrag reiche nicht aus. 31 Schönfelder in Flöther, 2021, § 52 StaRUG Rz. 5; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 52 StaRUG Rz. 8; vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 52 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der auf die Anforderungen von §§ 49 und 51 abstellt.

Schönen/Bender | 935

§ 52 Rz. 37 | Folgeanordnung, Neuanordnung 37 Neben den positiv festzustellenden Anordnungsvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 und 2 Sta-

RUG hat das Gericht – wie bei der Folgeanordnung (vgl. Rz. 24) – außerdem die Abwesenheit von Aufhebungsgründen nach § 59 StaRUG als negative Tatbestandsmerkmale zu prüfen.32

VI. Zulässigkeit kumulativer und wiederholter Anordnungen 38 Sofern die gesetzliche Höchstdauer von Stabilisierungsmaßnahmen nach § 53 StaRUG nicht

überschritten wird, können Folgeanordnungen und Neuanordnungen kumulativ und wiederholt erlassen werden.33

§ 53 Anordnungsdauer (1) Die Stabilisierungsanordnung kann für eine Dauer von bis zu drei Monaten ergehen. (2) 1Folge- oder Neuanordnungen können nur im Rahmen der Anordnungshöchstdauer nach Absatz 1 ergehen, es sei denn, 1. der Schuldner hat den Gläubigern ein Planangebot unterbreitet und 2. es sind keine Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass mit einer Planannahme innerhalb eines Monats nicht zu rechnen ist. 2 In diesem Fall verlängert sich die Anordnungshöchstdauer um einen Monat und die Anordnung richtet sich ausschließlich gegen Planbetroffene. (3) 1Hat der Schuldner die gerichtliche Bestätigung des von den Planbetroffenen angenommenen Restrukturierungsplans beantragt, können Folge- oder Neuanordnungen bis zur Rechtskraft der Planbestätigung, höchstens aber bis zum Ablauf von acht Monaten nach dem Erlass der Erstanordnung ergehen. 2Dies gilt nicht, wenn der Restrukturierungsplan offensichtlich nicht bestätigungsfähig ist. (4) Absatz 3 ist nicht anzuwenden, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor der ersten Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das Inland verlegt wurde und keine öffentlichen Bekanntmachungen nach den §§ 84 bis 86 erfolgen. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Historie und EU-Richtlinien-Grundlage 7 Dauer der Erstanordnung (§ 53 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 V. Dauer der Folge- und Neuanordnungen 16 1. Grundsatz (§ 53 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . 16

2. Verlängerung nach Unterbreitung des Planangebots (§ 53 Abs. 2 StaRUG) . . . . 17 3. Verlängerung nach Planabstimmung und Beantragung der gerichtlichen Planbestätigung (§ 53 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . 20 VI. Keine Verlängerung bei Verlegung des COMI (§ 53 Abs. 4 StaRUG) . . . . . . . . . 24

32 Schönfelder in Flöther, 2021, § 52 StaRUG Rz. 6. 33 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 156.

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Anordnungsdauer | Rz. 4 § 53 Schrifttum: Schluck-Amend, Non Performing Loans nach der EU-Richtlinie: Zur Richtlinie (EU) 2019/ 1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019, NZI-Beilage 2019, 14; Schmidt, Der Richtlinienvorschlag für präventive Restrukturierungsrahmen aus Bankensicht, WM 2017, 1735.

I. Regelungsgegenstand Die Vorschrift des § 53 StaRUG regelt die maximale Anordnungsdauer von Stabilisierungs- 1 anordnungen i.S.v. § 49 StaRUG. Für die Erstanordnung gilt eine absolute Obergrenze von drei Monaten (§ 53 Abs. 1 StaRUG). Eine Verlängerung im Rahmen von Folge- oder Neuanordnungen auf bis zu insgesamt vier Monate ist möglich, wobei für die Dauer des vierten Monats eine Stabilisierung nur gegenüber Planbetroffenen erreicht werden kann und auch dies nur, wenn der Schuldner den Planbetroffenen bereits ein Planangebot vorgelegt hat und keine Umstände bekannt sind, dass nicht innerhalb dieses Monats mit der Planannahme zu rechnen ist (§ 53 Abs. 2 StaRUG). Hat der Schuldner die gerichtliche Planbestätigung eines von den Planbetroffenen bereits angenommenen Restrukturierungsplans beantragt, ist eine Verlängerung der Anordnungsdauer auf insgesamt acht Monate möglich (§ 53 Abs. 3 StaRUG). Dies gilt nicht, wenn der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor der ersten Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das Inland verlegt hat und in der Restrukturierungssache keine öffentlichen Bekanntmachungen nach den §§ 84–86 StaRUG erfolgen (§ 53 Abs. 4 StaRUG). Dann bleibt es bei der Höchstdauer von vier Monaten.

II. Normzweck Die Regelung der Höchstdauer für die Stabilisierungsanordnung soll die Verhältnismäßigkeit 2 des Eingriffs der Stabilisierungsanordnung in die Rechte der von ihr betroffenen Gläubiger sicherstellen.1 Die Begrenzung in zeitlicher Hinsicht tritt neben die Beschränkungen betreffend die inhaltliche Reichweite der Stabilisierungsanordnung, die sich aus dem Kriterium der Erforderlichkeit ergeben.2 Der Gesetzgeber hält einen Zeitraum von bis zu drei Monaten regelmäßig für ausreichend, 3 um einen Restrukturierungsplan zu erarbeiten und in den Verhandlungen mit den Gläubigern Fortschritte zu erzielen.3 Man wird sogar davon ausgehen können, dass innerhalb von drei Monaten typischerweise so weitgehende Fortschritte erzielt werden dürften, dass der Plan im Anschluss zur Abstimmung gestellt werden kann. Die Verlängerung auf einen Zeitraum von vier Monaten soll dazu dienen, eine Restrukturie- 4 rung im fortgeschrittenen Verfahrensstadium, d.h. nach Unterbreitung des Planangebots, zu schützen und deren Abschluss durch Planabstimmung zu ermöglichen.4 Es sollen die Chancen auf die Planannahme erhalten werden.5 Da zum Zeitpunkt nach Unterbreitung des Planangebots feststeht, welche Gläubiger von den Wirkungen des Plans betroffen sein werden, entspricht es dem Maßstab der Erforderlichkeit, dass ab diesem Zeitpunkt nur noch eine Stabilisierungsanordnung gegen die Planbetroffenen in Betracht kommt.6 1 2 3 4 5 6

Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 3. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 1. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 156. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 9. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 157. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 157; Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 16.

Schönen/Bender | 937

§ 53 Rz. 5 | Anordnungsdauer 5 Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der Verlängerung auf bis zu acht Monate bei einem

bereits von den erforderlichen Mehrheiten angenommenen Restrukturierungsplan, für den der Schuldner die gerichtliche Planbestätigung beantragt hat. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Verzögerungen im Rahmen der Entscheidung des Gerichts über die Bestätigung des Plans, die gem. § 65 Abs. 1 StaRUG entweder im Anhörungstermin, im Erörterungs- und Abstimmungstermin oder in einem „alsbald“ zu bestimmenden besonderen Termin zu verkünden ist, nicht zu Lasten des Schuldners und des Restrukturierungserfolgs gehen.7 Denn erst mit der gerichtlichen Planbestätigung treten die im Plan vorgesehenen Wirkungen für und gegen alle Planbetroffenen ein (§ 67 Abs. 1 StaRUG). Bis dahin kann es also noch der Überbrückung mit Hilfe einer Stabilisierungsanordnung bedürfen.

6 Hat ein Schuldner hingegen innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor der ersten Inan-

spruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das Inland verlegt und erfolgen in der Restrukturierungssache keine öffentlichen Bekanntmachungen nach den §§ 84–86 StaRUG so beträgt die maximale Anordnungsdauer vier Monate. Mit dieser Regelung soll missbräuchlichem forum shopping begegnet werden.8

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage 7 Die Regelung beruht auf den Vorgaben der Art. 6 Abs. 6–8 der Restrukturierungs-RL,9 wo-

nach die Dauer der ursprünglichen Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen auf bis zu vier Monate begrenzt ist. Nach Art. 6 Abs. 6 der Restrukturierungs-RL ist die Erstanordnung für die Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen auf höchstens vier Monate zu begrenzen. Einschließlich Verlängerungen und Erneuerungen darf der Aussetzungszeitraum gem. Art. 6 Abs. 8 der Restrukturierungs-RL eine Dauer von insgesamt zwölf Monaten nicht überschreiten.

8 Der deutsche Gesetzgeber hat den gemäß Restrukturierungs-RL zulässigen zeitlichen Rahmen

mit der Umsetzung in § 53 StaRUG nicht vollends ausgeschöpft und für die Erstanordnung anstelle einer Dauer von vier Monaten nur eine Dauer von drei Monaten vorgesehen. Die Wahl einer dreimonatigen Anordnungshöchstdauer ist an die Frist zur Ausarbeitung und Vorlage des Insolvenzplans im Schutzschirmverfahren gem. § 270d Abs. 1 Satz 2 InsO angelehnt.10 Auf diese Weise soll zugleich vermieden werden, dass Kreditinstitute ihre von der Stabilisierungsanordnung betroffenen Forderungen – allein aufgrund dieser – als ausgefallen qualifizieren müssen, was nach Art. 178 Abs. 1 CRR11 der Fall ist, wenn der Forderungsschuldner mehr als 90 Tage im Verzug ist.12 Insoweit wird zu berücksichtigen sein, dass drei Monate einen geringfügig längeren Zeitraum bedeuten können als 90 Tage mit der Folge, dass das gesetzgeberische Ziel der Vermeidung der Forderungsqualifizierung als ausgefallen nicht erreicht würde. Zudem kann eine Vermeidung der Umqualifizierung nur bewirkt wer7 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 19. 8 Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 27. 9 Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 – im Folgenden: Restrukturierungs-RL. 10 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 156. 11 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012 Text von Bedeutung für den EWR. 12 Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 1 f.; Schluck-Amend, NZI-Beilage 2019, 14, 16; Schmidt, WM 2017, 1735, 1738.

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Anordnungsdauer | Rz. 12 § 53

den, wenn sich der Schuldner nicht bereits vor dem Erlass der Stabilisierungsanordnung in Verzug befunden hat. Eine Verlängerung von Stabilisierungsanordnungen ist nach der Restrukturierungs-RL nur 9 zulässig, wenn die Verlängerung ausreichend begründet ist (vgl. § 52 Rz. 4 ff.). Zu den beispielhaft aufgeführten Gründen zählt nach Art. 6 Abs. 7 a der Restrukturierungs-RL, wenn in den Verhandlungen über den Restrukturierungsplan deutliche Fortschritte erzielt wurden. Der deutsche Gesetzgeber stellt im Grundsatz keine besonderen Anforderungen an eine Verlängerung von Stabilisierungsanordnungen. Insbesondere wird kein Verhandlungsfortschritt gefordert.13 Eine Ausnahme gilt für die Verlängerung auf vier Monate, die voraussetzt, dass der Schuldner inzwischen ein Planangebot unterbreitet hat und zu erwarten ist, dass innerhalb des vierten Monats die Zustimmung zum Plan eingeholt wird (§ 53 Abs. 2 StaRUG). Dies setzt einen entsprechenden Verhandlungsfortschritt voraus. Noch offensichtlicher ist das Erfordernis eines Verhandlungsfortschritts bei einer begehrten Verlängerung auf bis zu acht Monate, die nur gewährt wird, wenn der Plan bereits angenommen worden ist und der Schuldner einen Antrag auf gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans gestellt hat (§ 53 Abs. 3 StaRUG). Auch wenn im Übrigen keine besonderen Anforderungen an eine Verlängerung gestellt werden, dürfte die Regelung des § 53 StaRUG richtlinienkonform sein (vgl. § 52 Rz. 8). Art. 6 Abs. 8 Unterabs. 2 der Restrukturierungs-RL gibt vor, dass bei Maßnahmen, die nicht 10 die Bedingungen für Mitteilungen nach Anhang A der Restrukturierungs-RL erfüllen, eine Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen in jedem Fall auf vier Monate beschränkt sein muss, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor Einreichung eines Antrags auf Eröffnung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde. Da öffentliche Bekanntmachungen im Zusammenhang mit dem Erlass einer Stabilisierungsanordnung nur auf Antrag des Schuldners erfolgen (§ 84 StaRUG), war diese Beschränkung vom deutschen Gesetzgeber für alle Restrukturierungsvorhaben, die vom Schuldner nicht als öffentliche Restrukturierungssachen i.S.d. §§ 84 ff. StaRUG betrieben werden, umzusetzen. Dies ist mit § 53 Abs. 4 StaRUG geschehen, wonach eine Folge- oder Neuanordnung der Stabilisierung und damit eine Verlängerung über vier Monate hinaus unter den vorstehend beschriebenen Umständen der COMI-Verlegung ausscheidet. Von der in Art. 6 Abs. 9 der Restrukturierungs-RL gewährten Möglichkeit, für die Aussetzung 11 der Vollstreckungsmaßnahmen neben einer Höchstdauer auch eine Mindestdauer von bis zu vier Monaten vorzusehen, während derer die Aussetzung nicht aufgehoben werden kann, hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Insoweit ist aber auch nicht ersichtlich, welche Sinnhaftigkeit mit einer Mindestdauer verbunden sein soll.14 Die Vorschrift des § 53 StaRUG entspricht weitestgehend dem Gesetzesentwurf der Bundes- 12 regierung15 und hat im Gesetzgebungsverfahren lediglich redaktionelle Änderungen erfahren.16 Korrigiert wurde die zunächst wörtlich aus der Restrukturierungs-RL in § 53 Abs. 3 StaRUG übernommene Formulierung. Während es im Regierungsentwurf noch geheißen hatte, „Absatz 3 ist nicht anzuwenden, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor der ersten Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verlegt wurde“, lautet die Formulierung in der letztlich Gesetz gewordenen Fassung: „Absatz 3 ist nicht anzuwenden, wenn der Mittelpunkt der hauptsächli13 14 15 16

Schönfelder in Flöther, 2021, § 52 StaRUG Rz. 3 und 5. Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 6. Vgl. § 60 StaRUG-RegE, BT-Drucks. 19/24181, S. 35. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25303, S. 50 f.

Schönen/Bender | 939

§ 53 Rz. 12 | Anordnungsdauer chen Interessen des Schuldners innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor der ersten Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das Inland verlegt wurde.“

IV. Dauer der Erstanordnung (§ 53 Abs. 1 StaRUG) 13 Eine Stabilisierungsanordnung kann im Rahmen der Erstanordnung zunächst nur für einen

Zeitraum von bis zu drei Monaten beantragt und durch das Restrukturierungsgericht erlassen werden (§ 53 Abs. 1 StaRUG).17 Eine Verlängerung dieser Höchstdauer auf vier bzw. acht Monate ist nur im Rahmen von Folge- oder Neuanordnungen nach § 53 Abs. 2 bzw. 3 StaRUG möglich.18 Dabei kann die Erstanordnung nicht mit einer Folgeanordnung verbunden werden, um von vornherein eine längere Dauer der Stabilisierungsanordnung als nur maximal drei Monate zu erreichen.19 Vielmehr bedarf es einer erneuten Antragstellung, gerichtet auf eine Folge- oder Neuanordnung, nachdem eine Erstanordnung erfolgt ist und die besonderen Voraussetzungen für eine Verlängerung auf vier bzw. acht Monate eingetreten sind (vgl. Rz. 17 ff. und 20 ff.).

14 Bei der Entscheidung über die Dauer der Stabilisierungsanordnung ist das Gericht grundsätz-

lich an den Antrag des Schuldners gebunden, der in seinem Antrag u.a. Angaben zur begehrten Dauer zu machen hat (§ 50 Abs. 1 StaRUG).20 Nur für den Fall, dass die beantragte Dauer nach Einschätzung des Gerichts nicht erforderlich ist, um das Restrukturierungsziel zu verwirklichen und daher eine der Anordnungsvoraussetzungen gem. § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StaRUG nicht erfüllt ist, darf (bzw. muss) das Gericht bei seiner Anordnung hinter der beantragten Dauer zurückbleiben.21 Ob die Höchstdauer von drei Monaten hinsichtlich der Erstanordnung erforderlich ist, wird im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden sein. In den Fällen, in denen der Schuldner bereits den Entwurf eines Restrukturierungsplans bei Gericht vorgelegt hat, werden die Verhandlungen mit den Planbetroffenen typischerweise weit fortgeschritten sein. Unter diesen Umständen mag ein kürzerer Zeitraum als drei Monate ausreichen, um den Restrukturierungsplan fertigzustellen und eine Planabstimmung durchzuführen mit der Folge, dass auch nur eine kürzere Dauer der Stabilisierungsanordnung erforderlich ist.22

15 Vor Erlass einer Anordnung mit gegenüber dem Antrag verkürzter Dauer ist das Gericht un-

ter Umständen dazu verpflichtet, dem Schuldner einen Hinweis zu erteilen und Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. So läge ein Verstoß gegen das Verfahrensgrundrecht des

17 Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, 2021, § 53 StaRUG Rz. 1; Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 7; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 5; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 3. 18 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, 2021, § 53 StaRUG Rz. 1, Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 5. 19 Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 7; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 50 StaRUG Rz. 11. 20 A.A. Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der davon ausgeht, dass die Entscheidung über die Dauer im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegt; ebenso Undritz/ Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 6. 21 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 9; im Ergebnis auch Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 6; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 5. 22 Weitergehend Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 6, wonach ein Zeitraum von drei Monaten regelmäßig zu lang sein wird; ebenso Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 5.

940 | Schönen/Bender

Anordnungsdauer | Rz. 17 § 53

Schuldners auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch gewissenhafte und kundige Verfahrensbeteiligte nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht zu rechnen brauchten.23

V. Dauer der Folge- und Neuanordnungen 1. Grundsatz (§ 53 Abs. 1 StaRUG) Für Folge- und Neuanordnungen gilt zunächst ebenfalls die Anordnungshöchstfrist von drei 16 Monaten gem. § 53 Abs. 1 StaRUG.24 Der Erlass von Folge- und Neuanordnungen setzt daher grundsätzlich voraus, dass die Anordnungshöchstdauer von drei Monaten unter Berücksichtigung der Erstanordnung (und der weiteren vorausgehenden Anordnungen) noch nicht ausgeschöpft wurde.25 Die Bezeichnung der Drei-Monatsfrist als Anordnungshöchstdauer in § 53 Abs. 2 Satz 1 StaRUG ist missverständlich, da die Anordnungsdauer unter Umständen auf vier bzw. acht Monate verlängert werden kann.26

2. Verlängerung nach Unterbreitung des Planangebots (§ 53 Abs. 2 StaRUG) Die Anordnungshöchstdauer von drei Monaten kann jedoch im Rahmen von Folge- und 17 Neuanordnungen ausnahmsweise um einen Monat auf damit insgesamt vier Monate verlängert werden, wenn die Voraussetzungen von § 53 Abs. 2 Satz 1 StaRUG kumulativ erfüllt sind.27 Dafür muss der Schuldner den Gläubigern ein Planangebot nach § 17 StaRUG unterbreitet haben (§ 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StaRUG) und es dürfen keine Umstände bekannt sein, aus denen sich ergibt, dass mit einer Planannahme innerhalb eines Monats nicht zu rechnen ist (§ 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG). Das Planangebot muss den Planbetroffenen auch zugegangen sein.28 Dem Planangebot nach § 17 StaRUG im außergerichtlichen Abstimmungsverfahren steht die Einberufung zu einem Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 45 StaRUG im gerichtlichen Abstimmungsverfahren gleich. Hintergrund der Regelung ist, dass fortgeschrittene Restrukturierungsbemühungen des Schuldners nicht durch ein Auslaufen der Stabilisierungsanordnung gefährdet werden sollen.29 Aufgrund der Negativformulierung des § 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG beschränkt sich der Prüfungsumfang des Restrukturierungsgerichts auf die ihm bekannten Tatsachen, die einer Planannahme innerhalb des vierten Monats entgegenstehe könnten. Aus Sicht von opponierenden Gläubigern empfiehlt es sich daher ihre Ablehnung des Restrukturierungsplans beispielsweise im Rahmen einer Schutzschrift dem Gericht mitzuteilen.30

23 Stellv. BVerfG v. 25.4.2015 – 1 BvR 2314/12, NJW 2015, 1867 Rz. 20; Kunig/Saliger in v. Münch/Kunig, 7. Aufl. 2021, Art. 103 GG Rz. 19. 24 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 7. 25 Riggert in Braun, 2021, § 53 StaRUG Rz. 2; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 7. 26 Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 8. 27 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 8. 28 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 8 f. 29 Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 9. 30 Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 13 f.

Schönen/Bender | 941

§ 53 Rz. 18 | Anordnungsdauer 18 Sind die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt, kann das Gericht bei Erlass einer Folge- oder

Neuanordnung auf Antrag eine Anordnungshöchstdauer von insgesamt vier Monaten ausschöpfen.31 In diesem Fall darf sich die Anordnung ausschließlich gegen die Planbetroffenen richten (§ 53 Abs. 2 Satz 2 StaRUG). Adressaten der verlängerten oder neu angeordneten Stabilisierungsmaßnahme dürfen also nicht mehr jene Gläubiger sein, die zwar von der Erstanordnung belastet waren, deren Forderungen aber nicht Gegenstand des Restrukturierungsplans sind.32 Das Gericht hat in der Folge- bzw. Neuanordnung ausdrücklich anzugeben, dass sich diese nur gegen die Planbetroffenen richtet.33

19 Bei der Berechnung der drei- bzw. viermonatigen Frist für Neuanordnungen sind die Zeiträu-

me, die zwischen der Erstanordnung und einer Neuanordnung oder zwischen zwei Neuanordnungen liegen, nicht mitzurechnen.34 Dafür spricht bereits der Wortlaut der § 53 Abs. 1 und 2 StaRUG, der explizit auf die Dauer der Anordnung abstellt und nicht wie in § 53 Abs. 3 StaRUG auf den Ablauf einer Zeitspanne „nach Erlass der Erstanordnung“. Zeiten, in denen keine Stabilisierungsanordnung galt, sind daher bei der Berechnung der Höchstdauer von vier Monaten nicht mitzurechnen.35

3. Verlängerung nach Planabstimmung und Beantragung der gerichtlichen Planbestätigung (§ 53 Abs. 3 StaRUG) 20 Hat der Schuldner in Bezug auf einen von den Planbetroffenen angenommen Restrukturie-

rungsplan eine gerichtliche Planbestätigung gem. § 60 StaRUG beantragt, kann das Restrukturierungsgericht auf Antrag eine Folge- oder Neuanordnung bis zur Rechtskraft der Planbestätigung, höchstens aber mit einer Dauer von bis zu acht Monaten nach Erlass der Erstanordnung erlassen.36 Die Regelung beruht darauf, dass das Restrukturierungsziel nicht durch Vollstreckungs- und Verwertungsmaßnahmen, die während einer in der Sphäre des Restrukturierungsgerichts liegenden Verzögerung erfolgen, gefährdet werden soll.37 Insofern greift die Möglichkeit der Verlängerung ab Eingang des Antrags auf Planbestätigung bei dem Restrukturierungsgericht.38

21 Der Zeitpunkt, zu dem die Rechtskraft der Planbestätigung eintreten wird, ist zur Zeit der

Beantragung und des Erlasses der Folge- oder Neuanordnung noch nicht bekannt. Der Erlass einer Stabilisierungsanordnung für die Dauer „bis zum Eintritt der Rechtskraft“ kommt daher nicht in Betracht, da dieser Zeitpunkt – zumindest theoretisch – außerhalb der maximal zulässigen acht Monate seit Erlass der Erstanordnung liegen könnte. Demgegenüber ist es durchaus möglich, dass das Gericht eine Stabilisierungsanordnung mit der Maßgabe erlässt, dass diese mit Eintritt der Rechtskraft der Planbetätigung, spätestens aber mit Ablauf von acht Monaten nach dem Erlass der Erstanordnung endet. Alternativ kann das Gericht einen nach dem Kalender bestimmten Zeitpunkt für das Ende der Folge- oder Neuanordnung wählen, der innerhalb der achtmonatigen Höchstdauer seit Erlass der Erstanordnung liegt.39 Aufgrund 31 Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 32 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 15. 33 Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 15. 34 Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 11. 35 Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 11. 36 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 157; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 10. 37 Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 18; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 11. 38 Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 18. 39 Zu dieser Möglichkeit: Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 22.

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Anordnungsdauer | Rz. 24 § 53

des Anknüpfens der achtmonatigen Höchstdauer an den Erlasszeitpunkt der Erstanordnung kann die Höchstdauer nicht durch Zeitspannen zwischen dem Ablauf der Erstanordnung und dem Beginn einer Neuanordnung bzw. zwischen zwei Neuanordnungen, in denen keine Stabilisierungsanordnung galt, verlängert werden.40 In dem Antrag auf Erlass der Folge- oder Neuanordnung muss der Schuldner darlegen, dass 22 der Restrukturierungsplan mit den erforderlichen Mehrheiten angenommen worden ist. Dies kann durch Beifügung des Protokolls über die Annahme des Plans bei gerichtlicher Planabstimmung oder einer Urkunde, in der der Ablauf des Planannahmeverfahrens und das Ergebnis der Planabstimmung dokumentiert sind (§ 22 StaRUG), erfolgen.41 Eine durch die Verlängerung bewirkte weitere Beschränkung der Gläubigerrechte ist jedoch 23 nur gerechtfertigt, wenn die Bestätigung des Restrukturierungsplans nicht bereits offensichtlich ausscheidet.42 Daher kommt eine Verlängerung der Stabilisierungsanordnung bis zu maximal acht Monate dann nicht in Betracht, wenn das Restrukturierungsgericht nach summarischer Prüfung zu dem Schluss kommt, dass der Restrukturierungsplan nicht bestätigungsfähig ist.43 Dabei prüft das Restrukturierungsgericht nicht die Einzelheiten des Restrukturierungsplans.44 Die Bestätigungsfähigkeit ist vielmehr nur zu verneinen, wenn sie sich ohne weitere Begutachtung oder umfassende Abklärungen aufdrängt.45 Die Bestätigungsfähigkeit fehlt insbesondere, wenn einer der in §§ 63 oder 64 Abs. 1 StaRUG genannten Versagungsgründe offensichtlich vorliegt.46 Falls nach Einschätzung eines Planbetroffenen Versagungsgründe gegeben sind und er den Erlass einer Stabilisierungsanordnung verhindern möchte, kann es sich anbieten, eine Schutzschrift zu hinterlegen, um das Gericht von den Umständen in Kenntnis zu setzen. Ob der Plan offensichtlich nicht bestätigungsfähig ist, muss dann das Gericht entscheiden.

VI. Keine Verlängerung bei Verlegung des COMI (§ 53 Abs. 4 StaRUG) Die Möglichkeit einer Verlängerung der Stabilisierungsanordnung auf bis zu acht Monate 24 nach § 53 Abs. 3 StaRUG ist ausgeschlossen, wenn der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO (center of main interest – COMI) innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor der ersten Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das Inland verlegt hat und in der Restrukturierungssache keine öffentlichen Bekanntmachungen nach §§ 84–86 StaRUG erfolgen. Zwar stellt die Restrukturierungs-RL für den Beginn der dreimonatigen Frist auf die Einreichung des Eröffnungsantrags für das Restrukturierungsverfahren ab, da ein solcher nach dem StaRUG jedoch nicht vorgesehen ist, stellt der Gesetzgeber auf die erstmalige Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ab.47 40 Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 24. 41 Mönning in Nerlich/Römermann, § 53 StaRUG Rz. 9 (Stand: 44. EL November 2021). 42 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 157; Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, 2021, § 53 StaRUG Rz. 3; Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 20; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 7. 43 Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 13. 44 Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 45 Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 20. 46 Vgl. Riggert in Braun, 2021, § 53 StaRUG Rz. 3. 47 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 157; Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, 2021, § 53 StaRUG Rz. 4; Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 27.

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§ 53 Rz. 25 | Anordnungsdauer 25 Es gilt in diesen Fällen eine absolute Höchstdauer der Stabilisierungsanordnung(en) von vier

Monaten, wobei es auf die Dauer der Geltung der Anordnungen ankommt und nicht auf den Ablauf von vier Monaten ab Erlass der Erstanordnung. Zeiten zwischen einer Erst- und einer Neuanordnung bzw. zwischen zwei Neuanordnungen, in denen keine Stabilisierungsanordnung galt, sind daher auch hier nicht zu berücksichtigen.48

26 Hintergrund der Beschränkung der Höchstfrist ist die Vermeidung der missbräuchlichen

Verlegung des COMI.49 Der Sinn und Zweck der Regelung ist jedoch fraglich: Einerseits kann diese Regelung ein forum shopping nicht vermeiden;50 die Regelung begrenzt lediglich die negativen Folgen für die Gläubiger in zeitlicher Hinsicht.51 Andererseits kann eine Sitzverlegung auch Sanierungsoptionen im Interesse der Gesamtgläubigerschaft eröffnen und ist daher nicht zwangsläufig negativ zu betrachten.52

§ 54 Folgen der Verwertungssperre (1) 1Ist eine Verwertungssperre ergangen, sind dem Gläubiger die geschuldeten Zinsen zu zahlen und der durch die Nutzung eintretende Wertverlust ist durch laufende Zahlungen an den Gläubiger auszugleichen. 2Dies gilt nicht, soweit nach der Höhe der Forderung und der sonstigen Belastung des Gegenstands mit einer Befriedigung des Gläubigers aus dem Verwertungserlös nicht zu rechnen ist. (2) Zieht der Schuldner nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen mit dem Berechtigten Forderungen ein, die zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten sind, oder veräußert oder verarbeitet er bewegliche Sachen, an denen Rechte bestehen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Aus- oder Absonderungsrechte geltend gemacht werden könnten, sind die dabei erzielten Erlöse an den Berechtigten auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren, es sei denn, der Schuldner trifft mit dem Berechtigten eine anderweitige Vereinbarung. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historie und EU-Richtlinien-Grundlage Entschädigung für Nutzungsausfall und Ausgleich des Wertverlusts (§ 54 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entschädigung für Nutzungsausfall (Zinsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 4 7 9

a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Höhe der Nutzungsausfallentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fälligkeit der Nutzungsausfallentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgleich des Wertverlusts . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Höhe des Ausgleichsanspruchs . . . . . . c) Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs . . .

9 12 15 16 16 17 20

48 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 15; a.A. wohl Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 28, der zur Vermeidung von Risiken dazu rät, vorsorglich davon auszugehen, dass die Höchstdauer nach Ablauf von vier Monaten ab Erlass der Erstanordnung eintritt. 49 Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 16.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 53 StaRUG Rz. 27; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 15. 50 Mock in BeckOK/StaRUG, § 53 StaRUG Rz. 16.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 51 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 15. 52 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 53 StaRUG Rz. 15.

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Folgen der Verwertungssperre | Rz. 1 § 54 3. Fehlende Aussicht auf Befriedigung aus Verwertungserlös . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Parallele zum Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . c) Untersicherung oder Übersicherung . . d) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . 4. Unbewegliche Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zwangsversteigerungsverfahren (§ 30g Abs. 2 ZVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwangsverwaltungsverfahren . . . . . . . V. Auskehrung oder Separierung von Verwertungserlösen (§ 54 Abs. 2 StaRUG) . 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einziehung, Veräußerung oder Verarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 21 22 24 25 26 26 31 32 32 35

4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auskehrung von Verwertungserlösen . b) Separierung von Verwertungserlösen . c) Umfang der auszukehrenden bzw. zu separierenden Verwertungserlöse . . . . d) Fälligkeit der Verpflichtung zur Auskehrung bzw. Separierung . . . . . . . . . . e) Anspruch auf Abrechnung . . . . . . . . . 5. Abweichende Vereinbarung . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) (Neue) Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . c) Insolvenzanfechtungsrisiken aus Gläubigersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Haftungsrisiken aus Gläubigersicht . . VI. Haftung der Geschäftsleiter . . . . . . . . . .

39 40 42 46 48 50 51 51 55 57 61 62

36

Schrifttum: Böttcher, ZVG, 7. Aufl. 2022; Dassler/Schiffhauer, ZVG, 16. Aufl. 2020; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Ganter, Betriebsfortführung durch den vorläufigen Verwalter trotz Globalzession?, NZI 2010, 551; Ganter, Echte und unechte Massekredite, NZI 2020, 249; Hintzen, Vollstreckungssperre nach § 49 StaRUG in der Immobiliarvollstreckung, ZfIR 2021, 64; Hoegen/Kranz, Neue Möglichkeiten der Konzernsanierung durch SanInsFoG und StaRUG, NZI 2021, 105; Huber, Finanzierungsoptionen für ein Kreditinstitut im Insolvenzeröffnungsverfahren – unter besonderer Berücksichtigung der unechten Massekredite, NZI 2014, 439; Knauth, Revolvierende Kreditsicherheiten und vorinsolvenzliche Restrukturierung nach Maßgabe des StaRUG, NZI 2021, 158; Madaus/Knauth, Die Wirkungsweise des Schutzes von Sanierungsfinanzierungen durch eine Restrukturierungsrichtlinie am Beispiel des unechten Massekredits, ZIP 2018, 149; Parzinger, Der Vorrang für neues Geld nach der Restrukturierungsrichtlinie, ZIP 2019, 1748; Riggert, Allgemeine Grundsätze der Stabilisierung nach dem StaRUG, NZI-Beilage 2021, 40; Stöber, ZVG, 22. Aufl. 2018; Thole, Stabilisierung und vertragsrechtliche Wirkungen des StaRUG, ZRI 2021, 231; Trowski, Der „unechte“ Massekredit in der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO aus Sicht der finanzierenden Bank, WM 2014, 1257; Trowski, Die „anderweitige Vereinbarung“ nach § 54 II StaRUG: Braucht das StaRUG den „unechten“ Restrukturierungskredit?, NZI 2021, 297; Zuleger, Kreditsicherheiten nach dem StaRUG, NZI-Beilage 2021, 43.

I. Regelungsgegenstand § 54 StaRUG regelt, wie sich schon aus der Überschrift der Vorschrift ergibt,1 die Rechtsfol- 1 gen einer gerichtlich angeordneten Stabilisierungsmaßnahme in Gestalt der Verwertungssperre gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Im Fall der Verwertungssperre sind den hiervon betroffenen Gläubigern die geschuldeten Zinsen zu zahlen und Ausgleich für den durch die Nutzung eintretenden Wertverlust durch laufende Zahlungen zu leisten (§ 54 Abs. 1 Satz 1 StaRUG), wobei dies nicht gilt, soweit der Gläubiger den Verwertungserlös ohnehin nicht zur Befriedigung seiner Forderung beanspruchen könnte (§ 54 Abs. 1 Satz 2 StaRUG). Wenn der Schuldner zur Sicherheit abgetretene Forderungen einzieht oder bewegliche Sachen veräußert oder verarbeitet, an denen im Insolvenzverfahren Aus- oder Absonderungsrechte bestünden, hat er zudem die Erlöse entweder an den Berechtigten auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren, es sei denn, der Schuldner trifft mit dem Berechtigten eine abweichende Vereinbarung (§ 54 Abs. 2 StaRUG). 1 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 15.

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§ 54 Rz. 2 | Folgen der Verwertungssperre

II. Normzweck 2 Zweck des § 54 Abs. 1 StaRUG ist der Schutz der Gläubiger vor Schäden bzw. Verlusten, die

dadurch eintreten, dass der Gläubiger sein Recht auf Verwertung einer zur Sicherheit abgetretenen Forderung oder einer zur Sicherheit übereigneten Sache während der Dauer der Verwertungssperre nicht durchsetzen kann.2 Bei der Umsetzung der Restrukturierungs-RL3 durch das StaRUG hat sich der deutsche Gesetzgeber von dem Grundgedanken leiten lassen, dass mit dem im StaRUG geregelten präventiven Restrukturierungsverfahren grundsätzlich keine weitergehenden Eingriffe in Gläubigerrechte ermöglicht werden sollen als in einem Insolvenzverfahren.4 Daher hat er die Vorschrift des § 54 StaRUG in Anlehnung an die Regelung des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO geschaffen.5 Nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 Teilsatz 2 i.V.m. § 169 Satz 2 und 3 InsO gilt, dass bei Anordnung einer Verwertungssperre im Insolvenzeröffnungsverfahren den von dieser Sperre betroffenen absonderungs- bzw. aussonderungsberechtigten Gläubigern grundsätzlich die geschuldeten Zinsen zu zahlen sind und ein durch die Nutzung eingetretener Wertverlust durch laufende Zahlungen auszugleichen ist. Bei absonderungsberechtigten Gläubigern gilt dies nur, soweit der Wertverlust die Sicherung des Gläubigers beeinträchtigt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 InsO). Die Rechtslage bei Erlass einer Verwertungssperre im Rahmen des Restrukturierungsverfahrens entspricht daher weitgehend jener im Insolvenzeröffnungsverfahren, so dass bei der Anwendung des § 54 StaRUG auch die zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO ergangene Rechtsprechung sowie die im Schrifttum hierzu angestellten Überlegungen nutzbar gemacht werden können.6 Abweichungen ergeben sich etwa insoweit, als der Anspruch auf Entschädigung für den Nutzungsausfall nach § 54 Abs. 1 Satz 1 StaRUG anders als gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 Teilsatz 2 i.V.m. § 169 Satz 2 InsO nicht erst drei Monate nach der Anordnung greift (vgl. Rz. 9) und der Anspruchsausschluss nach § 54 Abs. 1 Satz 2 StaRUG anders als in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 InsO sowohl die absonderungs- als auch die aussonderungsberechtigten Gläubiger erfasst (vgl. Rz. 21 ff.).

3 Mit der Regelung in § 54 Abs. 2 StaRUG, wonach der Schuldner Verwertungserlöse aus der

Einziehung von zur Sicherheit abgetretenen Forderungen bzw. aus der Veräußerung oder Verarbeitung von zur Sicherheit übereigneten beweglichen Sachen an die Berechtigten auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren hat, bezweckt der Gesetzgeber vor allem den Schutz jener Gläubiger, deren Forderungen durch revolvierende Sicherheiten besichert sind.7 Das Schutzbedürfnis ergibt sich aus den in Krisensituationen typischerweise erhöhten Anfechtungsrisiken betreffend die Revolvierung der Sicherheiten.8 Flankiert wird diese Vorgabe durch die Haftungsregelung des § 57 Satz 3 StaRUG, wonach der Geschäftsleiter des Schuld2 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 2; kritisch hinsichtlich der Frage, ob der Zweck erreicht werden kann: Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 27; Hoegen/Kranz, NZI 2021, 105, 108. 3 Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 – im Folgenden: Restrukturierungs-RL. 4 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 157; vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 3; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 4; kritisch zu der Frage, ob mit § 54 StaRUG das Ziel erreicht wird: Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 20 ff. 5 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 157; vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 3. 6 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 3. 7 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 157; vgl. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 14. 8 Ausführlich Knauth, NZI 2021, 158, 159 f.

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Folgen der Verwertungssperre | Rz. 5 § 54

ners persönlich für den Ersatz des Schadens haftet, der einem Gläubiger aus einer nicht ordnungsgemäßen Auskehrung oder Verwahrung der Erlöse nach § 54 Abs. 2 StaRUG entsteht.9 Eine Pflicht zur Auskehrung oder Separierung gilt hingegen nicht im Fall einer abweichenden Vereinbarung des Schuldners mit dem betreffenden Gläubiger. Die Regelung des § 54 Abs. 2 StaRUG ist angelehnt an die Grundsätze, die aufgrund der Rechtsprechung des BGH zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO im Insolvenzeröffnungsverfahren gelten,10 geht aber zugunsten der Gläubiger sogar noch darüber hinaus. Im Insolvenzeröffnungsverfahren ist der vorläufige Insolvenzverwalter nach der Rechtsprechung grundsätzlich nur zur Sicherung, nicht zur Verwertung von Sicherungsgut berechtigt und hat insoweit keine Rechte, die über diejenigen des Schuldners (des Sicherungsgebers) hinausgehen.11 Dabei erkennt der BGH aber an, dass das Insolvenzgericht dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Ermächtigung zur Einziehung von sicherungszedierten Forderungen einräumen kann; die Befugnis zur Veräußerung oder Weiterverarbeitung von unter Eigentumsvorbehalt gelieferten oder sicherungsübereigneten Sachen hingegen kann das Insolvenzgericht dem vorläufigen Verwalter nicht verschaffen.12 Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter kraft einer ihm vom Insolvenzgericht erteilten Ermächtigung Forderungen ein, die der Schuldner zur Sicherheit abgetreten hatte, hat er den eingezogenen Betrag an den Sicherungsnehmer abzuführen oder ihn jedenfalls unterscheidbar zu verwahren.13 Hingegen hat das Restrukturierungsgericht nicht die Möglichkeit, dem Schuldner im Wege der Anordnung einer Verwertungssperre i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, einschließlich Verwendungsbefugnis, die Ermächtigung zur Einziehung von sicherungszedierten Forderungen zu verschaffen.

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage Die Vorschrift des § 54 findet keine Entsprechung in den Vorgaben der Restrukturierungs- 4 RL,14 sondern beruht auf dem Bestreben des deutschen Gesetzgebers eine Schlechterstellung der von einer Verwertungssperre betroffenen Gläubiger im Vergleich zu einem Insolvenzeröffnungsverfahren zu vermeiden.15 Die Regelung zur Auskehrung bzw. Verwahrung von Erlösen aus der Verwertung von Sicher- 5 heiten in § 54 Abs. 2 StaRUG war im Referentenentwurf16 noch nicht enthalten, sondern fand erst Eingang in den Entwurfstext im Regierungsentwurf.17 Hintergrund hierfür war 9 Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 14. 10 Vgl. Knauth, NZI 2021, 158, 159. 11 BGH v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165, 172 f. = DB 2001, 864 = MDR 2001, 592 = ZIP 2001, 296 = NZI 2001, 191; BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, ECLI:DE: BGH:2019:240119UIXZR110.17.0, DB 2019, 535 = ZIP 2019, 472 = NZI 2019, 274 Rz. 39 m.w.N. 12 BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, ECLI:DE:BGH:2019:240119UIXZR110.17.0, DB 2019, 535 = ZIP 2019, 472, NZI 2019, 274 Rz. 32. 13 BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101 Rz. 28 = DB 2010, 779 = MDR 2010, 1085 = ZIP 2010, 739 = NZI 2010, 339; BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, ECLI:DE: BGH:2019:240119UIXZR110.17.0, DB 2019, 535 = ZIP 2019, 472 = NZI 2019, 274 Rz. 39. 14 Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), auch zur Vereinbarkeit der Regelung des § 54 mit Art. 6 Restrukturierungs-RL unter Hinweis auf den Umstand, dass die Richtlinie keine unbedingte Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen voraussetzt. 15 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 157. 16 RefE SanInsFoG v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (zuletzt abgerufen am 1.5.2022). 17 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 35 und 157; vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 2; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 3; Desch, BB 2020, 2498, 2507.

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§ 54 Rz. 5 | Folgen der Verwertungssperre u.a. die Stellungnahme der Deutschen Kreditwirtschaft.18 Darin hatten die verschiedenen Bankenverbände angemerkt, dass es einer Regelung zum Umgang mit Umlaufsicherheiten bedürfe. Jedenfalls müsse eine Separierung der Erlöse sichergestellt sein; andernfalls drohe ein Verbrauch der Erlöse im Rahmen der Betriebsfortführung, was selbst im Insolvenzeröffnungsverfahren nur auf Basis eines unechten Massedarlehens zugelassen sei.19 6 Auf Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz wurde kurz vor Ver-

abschiedung des SanInsFoG in § 54 Abs. 2 StaRUG noch der Zusatz eingefügt, wonach nur Verwertungen „nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen mit dem Berechtigten“ von Abs. 2 erfasst werden.20 Die Begründung hierfür lautet, dass klargestellt wird, dass dem Schuldner keine von der Gestattung durch den Berechtigten unabhängige Befugnis zur Einziehung, Veräußerung oder Verarbeitung zusteht.21

IV. Entschädigung für Nutzungsausfall und Ausgleich des Wertverlusts (§ 54 Abs. 1 StaRUG) 7 Während der Dauer einer gerichtlich angeordneten Verwertungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 2

StaRUG ist der von dieser Sperre betroffene Gläubiger daran gehindert, die ihm zustehenden Ansprüche auf Herausgabe bzw. Verwertung der betreffenden Gegenstände durchzusetzen. Ein Gläubiger, der im Rahmen eines Insolvenzverfahrens Ab- oder Aussonderungsrechte geltend machen könnte, erfährt aufgrund der Verwertungssperre einen nicht unerheblichen Eingriff in Rechte, die ihm selbst in einem Insolvenzverfahren grundsätzlich zustünden. Als Kompensation für diesen Eingriff räumt § 54 Abs. 1 StaRUG dem Gläubiger einen Anspruch gegen den Schuldner auf eine Entschädigung für den Nutzungsausfall (vgl. Rz. 9 ff.) und Ausgleich des durch die Nutzung eintretenden Wertverlusts (vgl. Rz. 16 ff.) ein, soweit der Gläubiger auch mit einer Befriedigung aus dem Verwertungserlös hätte rechnen können (vgl. Rz. 21 ff.).

8 Ebenso wie bei § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 Teilsatz 2 i.V.m. § 169 InsO ist im Rahmen von

§ 54 Abs. 1 StaRUG anzunehmen, dass dem Gläubiger auch dann ein Anspruch auf Entschädigung für den Nutzungsausfall und Anspruch auf Ausgleich des Wertverlusts zusteht, wenn sich die Verwertungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG im Nachhinein etwa wegen mangelnder Bestimmtheit22 als unwirksam erweisen sollte.23

18 Die Deutsche Kreditwirtschaft, Stellungnahme zum RefE des SanInsFoG v. 20.10.2020, S. 13 f., abrufbar unter https://die-dk.de/media/files/201002_-_StN_DK_-_SanInsFoG.pdf (zuletzt abgerufen am 1.9.2022). 19 Die Deutsche Kreditwirtschaft, Stellungnahme zum RefE des SanInsFoG v. 20.10.2020, S. 14, abrufbar unter https://die-dk.de/media/files/201002_-_StN_DK_-_SanInsFoG.pdf (zuletzt abgerufen am 1.9.2022). 20 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25303, 51. 21 Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 19/25353, 9. 22 Zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO: BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, BGHZ 183, 269 Rz. 19 = DB 2010, 103 = MDR 2010, 526 = ZIP 2010, 141 = NZI 2010, 95; BGH v. 28.6.2012 – IX ZR 219/10, BGHZ 194, 1 Rz. 18 = DB 2012, 1740 = MDR 2012, 1188 = ZIP 2012, 1566 = NZI 2012, 841. 23 Zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO: BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, BGHZ 183, 269 Rz. 23 ff. = DB 2010, 103 = MDR 2010, 526 = ZIP 2010, 141 = NZI 2010, 95; BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, DB 2012, 1034 = MDR 2012, 736 = ZIP 2012, 779 = NZI 2012, 369 Rz. 10; BGH v. 28.6.2012 – IX ZR 219/10, BGHZ 194, 1 Rz. 18 = DB 2012, 1740 = MDR 2012, 1188 = ZIP 2012, 1566 = NZI 2012, 841; Kopp in BeckOK/InsR, § 21 InsO Rz. 123.1 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022).

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Folgen der Verwertungssperre | Rz. 11 § 54

1. Entschädigung für Nutzungsausfall (Zinsen) a) Allgemeines Im Fall der Anordnung einer Verwertungssperre gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG hat der von 9 der Sperre betroffene Gläubiger gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StaRUG einen Anspruch gegen den Schuldner auf Zahlung der geschuldeten Zinsen. Gleiches gilt im Grundsatz im Fall einer gerichtlich angeordneten Verwertungssperre im Insolvenzeröffnungsverfahren gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 Teilsatz 2 i.V.m. § 169 Satz 2 und 3 InsO. Mit § 54 Abs. 1 StaRUG hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die eng angelehnt ist an die Regelungen im Eröffnungsverfahren, wobei im Rahmen von Letzterem die Zinszahlungspflicht für den Zeitraum der ersten drei Monate nach Erlass der Anordnung lediglich als Insolvenzforderung geltend gemacht werden kann (und dies auch nur für den Fall, dass ein Entgelt vereinbart wurde). Erst für den Zeitraum ab drei Monaten nach Erlass der Anordnung steht dem Gläubiger im Insolvenzeröffnungsverfahren eine Entschädigung für den Nutzungsausfall in Gestalt einer Masseforderung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 Teilsatz 2 i.V.m. § 169 Satz 2 InsO zu.24 Abweichendes gilt, wenn ausnahmsweise ein sog. starker vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wurde, so dass durch die Nutzung während des Eröffnungsverfahrens nach § 55 Abs. 2 InsO in jedem Fall Masseverbindlichkeiten entstehen.25 Eine vergleichbare zeitraumbezogene Einschränkung des Anspruchs auf Nutzungsausfallentschädigung gibt es im Restrukturierungsverfahren nicht.26 Die Entschädigung für Nutzungsausfall nach § 54 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ist unmittelbar ab Erlass der Stabilisierungsanordnung zu zahlen. Die Verpflichtung zur Zahlung von Nutzungsausfallentschädigung endet mit dem Ablauf (vgl. § 53 StaRUG) bzw. der Aufhebung (vgl. § 59 Abs. 1 und 2 StaRUG) oder Beendigung (vgl. § 59 Abs. 4 StaRUG) der Verwertungssperre.27 Die Verpflichtung zur Zahlung der geschuldeten Zinsen gilt im Hinblick auf sämtliche Gegen- 10 stände des beweglichen Vermögens, die der Gläubiger aufgrund der Verwertungssperre nicht herausverlangen bzw. verwerten kann (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG). Erfasst sind also bewegliche Sachen ebenso wie Forderungen und sonstige Rechte. Begünstigt sind sowohl Gläubiger mit Absonderungsanwartschaften als auch Gläubiger mit Aussonderungsanwartschaften, d.h. Gläubiger, die in einem Insolvenzverfahren ein Ab- bzw. Aussonderungsrecht hätten. Jene Gläubiger müssen also weder bewegliche Sachen noch Forderungen gegen Drittschuldner oder sonstige Rechte am beweglichen Vermögen des Schuldners (wie z.B. gewerbliche Schutzrechte) unentgeltlich überlassen, soweit ihnen ein Ab- oder Aussonderungsrecht zusteht und sie von der Verwertungssperre betroffen sind. Bei unbeweglichen Sachen gilt Entsprechendes gem. § 30g Abs. 2 ZVG (Rz. 26 ff.). Um dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck gerecht zu werden, den von einer Stabilisierungs- 11 anordnung betroffenen Gläubigern eine angemessene Entschädigung für den Eingriff in ihre Rechte zukommen zu lassen, erscheint es geboten, im Fall der Anordnung einer Vollstreckungssperre ohne gleichzeitige Anordnung einer Verwertungssperre den betroffenen Gläubigern analog § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StaRUG ebenfalls einen Anspruch auf Entschädigung für den Nutzungsausfall zuzubilligen, der sich etwa daraus ergeben kann, dass der Gläubiger gem. § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG an der Vertragsbeendigung und einem an24 BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, BGHZ 183, 269 Rz. 26 = DB 2010, 103 = MDR 2010, 526 = ZIP 2010, 141 und 37 ff. = NZI 2010, 95; OLG Braunschweig v. 31.3.2011 – 1 U 33/10, BeckRS 2011, 18047; zur Verfassungsmäßigkeit dieser zeitlichen Beschränkung der Nutzungsausfallentschädigung: BVerfG v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, NZI 2012, 617 Rz. 15 ff. 25 Kopp in BeckOK/InsR, § 21 InsO Rz. 123 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022). 26 Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 10; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 8. 27 Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 12.

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§ 54 Rz. 11 | Folgen der Verwertungssperre schließenden Verlangen auf Herausgabe des an den Schuldner überlassenen Gegenstands gehindert ist.28 b) Höhe der Nutzungsausfallentschädigung 12 Was unter den „geschuldeten Zinsen“ i.S.v. § 54 Abs. 1 Satz 1 StaRUG zu verstehen ist, wurde

bereits zu § 169 Satz 1 InsO, der insoweit im Wortlaut identisch ist, in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeitet.29 Gemeint ist eine Nutzungsausfallentschädigung in der Form von Zinsen.30 Wenn vertraglich ein Nutzungsentgelt bzw. Zins zwischen dem Schuldner und dem von der Verwertungssperre betroffenen Gläubiger vereinbart ist oder es einen vertragsähnlichen Anspruch auf Nutzungsentgelt bzw. Zins gibt, gilt diese Regelung auch während der Dauer der Verwertungssperre fort.31 Der Anspruch auf Entschädigung für den Nutzungsausfall setzt aber nicht voraus, dass Schuldner und Gläubiger eine Vereinbarung über die Zahlung der Entschädigung getroffen haben. Vielmehr gilt: Haben der Gläubiger und der Schuldner keine Vereinbarung über ein Nutzungsentgelt getroffen, so ist das verkehrsübliche Nutzungsentgelt zugrunde zu legen.32 Dem Restrukturierungsgericht wird es schon aus praktischen Gründen nicht möglich sein, in der Stabilisierungsanordnung konkrete Angaben zur Höhe der Nutzungsausfallentschädigung zu treffen.33 Es kann auch nicht als zur Angabe verpflichtet angesehen werden.

13 Soweit es um die Sperrung des Herausgabeanspruchs eines Gläubigers geht, der diesem Gläu-

biger in einem Insolvenzverfahren ein Aussonderungsrecht vermitteln würde, sind für die Bemessung der Nutzungsausfallentschädigung die am Markt üblicherweise angebotenen Konditionen für die Nutzungsüberlassung eines vergleichbaren Gegenstands heranzuziehen.34 Dies gilt nicht nur für die Überlassung von beweglichen Sachen zur Nutzung sondern auch für die Überlassung von Rechten (wie z.B. gewerblichen Schutzrechten) zur Nutzung, wenn dem Gläubiger insoweit eine Aussonderungsanwartschaft zusteht.

14 Im Fall von Rechten an Gegenständen des beweglichen Vermögens, die dem Gläubiger in ei-

nem Insolvenzverfahren ein Absonderungsrecht verschaffen würden, ist als Bemessungsgrundlage für die Nutzungsausfallentschädigung der bei Verwertung des betreffenden Gegenstands zu erwartende Erlös heranzuziehen,35 d.h. der geschätzte tatsächliche Wert des Gegenstands.36 Bei zur Sicherheit abgetretenen Forderungen, deren Einziehung seitens des Gläubigers aufgrund der Verwertungssperre unterbunden ist, kommt dementsprechend eine Verzin-

28 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 4. 29 Ausführlich hierzu Lütcke in BeckOK/InsR, § 169 InsO Rz. 14 ff. (Stand: 27. Ed. 15.4.2022). 30 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 4; zu § 169 InsO: BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, BGHZ 183, 269 Rz. 28 = DB 2010, 103 = MDR 2010, 526 = ZIP 2010, 141 = NZI 2010, 95; BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, DB 2012, 1034 = MDR 2012, 736 = ZIP 2012, 779 = NZI 2012, 369 Rz. 11; Kern in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 169 InsO Rz. 30 m.w.N. 31 Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 4; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 6; zu § 21 InsO: BT-Drucks. 16/3227, 16; Kopp in BeckOK/InsR, § 21 InsO Rz. 123.2 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022). 32 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 5; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 7; zu § 21 InsO: Kopp in BeckOK/InsR, § 21 InsO Rz. 123.2 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022). 33 Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 18 f. 34 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 5. 35 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 6; zu § 169 InsO: Lütcke in BeckOK/InsR, § 169 InsO Rz. 15 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022); Thole, ZRI, 231, 238. 36 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 6; zu § 169 InsO: Lütcke in BeckOK/InsR, § 169 InsO Rz. 15 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022).

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Folgen der Verwertungssperre | Rz. 15 § 54

sung des bei einer Einziehung voraussichtlich zu erlösenden Betrags zum Tragen. Die Höhe der Verzinsung richtet sich nach dem gesetzlichen Zinssatz gem. § 246 BGB i.H.v. 4 % p.a., wenn nicht im Einzelfall Abweichendes vereinbart ist.37 In Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zu § 169 InsO38 dürfte anzunehmen sein, dass ungeachtet der im Einzelfall getroffenen Vereinbarung jedenfalls eine Mindestverzinsung i.H.v. 4 % p.a. greift,39 auch wenn es an einer entsprechenden gesetzlichen Regelung fehlt.40 c) Fälligkeit der Nutzungsausfallentschädigung Die Vorschrift des § 54 Abs. 1 StaRUG regelt nicht, zu welchem Zeitpunkt die Nutzungsaus- 15 fallentschädigung zu leisten ist. Die Vorgabe einer „laufenden Zahlung“ bezieht sich dem Wortlaut nach nur auf die Leistung des Ausgleichs für den Wertverlust.41 Anders hingegen bei § 169 Satz 1 InsO, der eine „laufende Zahlung“ auch der geschuldeten Zinsen ausdrücklich vorsieht. Ausgehend vom Sinn und Zweck des § 54 Abs. 1 StaRUG, dem Gläubiger eine angemessene Entschädigung für den mit der Verwertungssperre einhergehenden Eingriff in seine Rechte zu gewähren, ist davon auszugehen, dass sich die Zahlungszeitpunkte bei Vorhandensein einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger nach dieser richten. Sollte es an einer Vereinbarung fehlen, ist – wie bei der Bemessung der Höhe der Nutzungsausfallentschädigung – grundsätzlich auf die verkehrsüblichen Konditionen für diese Art von Nutzungsausfallentschädigung zurückzugreifen. Im Zweifel wird jedoch eine monatliche Zahlung geschuldet sein.42 In Abhängigkeit vom Einzelfall kann zwar auch eine wöchentliche oder quartalsweise Zahlung verkehrsüblich sein. Ein Turnus von mehr als einem Monat für die Entrichtung der Nutzungsausfallentschädigung dürfte aber nicht mehr geeignet sein, um dem Gläubiger den mit § 54 Abs. 1 StaRUG bezweckten angemessenen Ausgleich für den Eingriff in seine Rechte zu gewähren. Mit einer monatlichen Zahlung wird dem Bedürfnis nach einer Reduktion des Ausfallrisikos des Gläubigers, der im Insolvenzfall nur eine unbesicherte Insolvenzforderung geltend machen könnte, zumindest im Ansatz Rechnung getragen.43 In jedem Fall ist nicht davon auszugehen, dass die Nutzungsausfallentschädigung erst nach Ablauf der Anordnungsdauer der Verwertungssperre zu zahlen ist.44

37 In diesem Sinne: Riggert in Braun, 2021, § 54 StaRUG Rz. 4; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 7; zu § 169 InsO: BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, BGHZ 166, 215 Rz. 31 = DB 2006, 1003 = MDR 2006, 1130 = ZIP 2006, 814 = NZI 2006, 342; BGH v. 14.11.2019 – IX ZR 50/17, DB 2019, 2793 = ZIP 2019, 2416 = NZI 2020, 20 Rz. 42. 38 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, BGHZ 166, 215 Rz. 31 = DB 2006, 1003 = MDR 2006, 1130 = ZIP 2006, 814 = NZI 2006, 342; abweichend Riggert in Braun, 2021, § 54 StaRUG Rz. 4, der bei Gegenständen, die als Sicherheit für einen Kredit dienen, den Zinssatz des Kredits heranzieht. 39 Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 9; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 7; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 4; Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 28. 40 Zu dieser Kritik, aber im Ergebnis der Rechtsprechung des BGH zu § 169 InsO folgend: Lütcke in BeckOK/InsR, § 169 InsO Rz. 17 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022); Kern in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 169 InsO Rz. 36. 41 A.A. Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der „fortlaufend“ als auch auf die Nutzungsausfallentschädigung bezogen versteht. 42 Riggert in Braun, 2021, § 54 StaRUG Rz. 4; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 7; vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 8.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) und Riggert, NZI-Beilage 2021, 40, 42, die eine monatliche Zahlung für „empfehlenswert“ bzw. „anzustreben“ halten. 43 Vgl. Riggert in Braun, 2021, § 54 StaRUG Rz. 4; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 6; Riggert, NZI-Beilage 2021, 40, 42. 44 Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 10; Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 44.

Schönen/Bender | 951

§ 54 Rz. 16 | Folgen der Verwertungssperre

2. Ausgleich des Wertverlusts a) Allgemeines 16 Für den Fall, dass das Restrukturierungsgericht in der Anordnung der Verwertungssperre

nicht nur die Verwertung seitens der betroffenen Gläubiger gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StaRUG sperrt, sondern außerdem eine Verwendungsbefugnis zugunsten des Schuldners i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StaRUG anordnet, tritt neben die Verpflichtung des Schuldners zur Leistung einer Entschädigung für den Nutzungsausfall die Verpflichtung zum Ausgleich des durch die Nutzung eintretenden Wertverlusts nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StaRUG.45 Diese Verpflichtung wird in erster Linie bei beweglichen Sachen zum Tragen kommen. Bei Forderungen oder sonstigen Rechten ist hingegen schwer vorstellbar, wie überhaupt „durch die Nutzung“ seitens des Schuldners ein Wertverlust eintreten könnte. Wenn sich die Verwertungssperre auf unbewegliche Sachen bezieht, ergibt sich aus § 30g Abs. 2 ZVG, dass vom Schuldner Ausgleich für den Wertverlust zu leisten ist (vgl. Rz. 26 ff.). Der Anspruch auf Ausgleich des Wertverlusts steht sowohl dem Gläubiger zu, der in einem Insolvenzverfahren ein Absonderungsrecht hätte, als auch dem Gläubiger, dem ein Aussonderungsanspruch zustünde. Hinsichtlich der persönlichen Reichweite der Ausgleichsverpflichtung gilt also nichts anderes als bei der Anordnung einer Verwertungssperre im Insolvenzeröffnungsverfahren.46 Der Gläubiger trägt die Darlegungs- und Beweisbelast für den Eintritt eines Wertverlusts.47 Die Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs für den Wertverlust endet mit dem Ablauf (vgl. § 53 StaRUG) bzw. der Aufhebung (vgl. § 59 Abs. 1 und 2 StaRUG) oder Beendigung (vgl. § 59 Abs. 4 StaRUG) der Verwertungssperre.48 b) Höhe des Ausgleichsanspruchs

17 Ein Anspruch auf Ausgleich für den Wertverlust, der durch die Nutzung der Sache seitens des

Schuldners während der Dauer der Verwertungssperre eintritt, kommt in Betracht, wenn der Schuldner die Sache über die vertragliche Vereinbarung hinausgehend nutzt (sog. übermäßige Nutzung).49 Soweit der durch die Nutzung eintretende Wertverlust hingegen bereits eingepreist ist in der Nutzungsausfallentschädigung, kann der Gläubiger nicht daneben einen wei-

45 A.A. Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der annimmt, dass § 54 Abs. 1 Satz 1 StaRUG keine Anspruchsgrundlage darstellt, sondern einen Anspruch vielmehr voraussetzt und klarstellt, dass dieser nach der Verwertungssperre weiter geltend gemacht werden kann. 46 Zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Teilsatz 3 InsO: BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, DB 2012, 1034 = MDR 2012, 736 = ZIP 2012, 779, NZI 2012, 369 Rz. 13 und 15 ff. 47 Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 29; zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Teilsatz 3 InsO: BGH v. 28.6.2012 – IX ZR 219/10, BGHZ 194, 1 Rz. 24 = DB 2012, 1740 = MDR 2012, 1188 = ZIP 2012, 1566 = NZI 2012, 841; BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, ECLI:DE: BGH:2016:080916UIXZR52.15.0, DB 2016, 2597 = MDR 2016, 1354 = ZIP 2016, 2131 = NZI 2016, 946 Rz. 16. 48 Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 15. 49 Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 17; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 5; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 8; zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO: BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, DB 2012, 1034 = MDR 2012, 736 = ZIP 2012, 779 = NZI 2012, 369 Rz. 22; BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, ECLI:DE:BGH:2016:080916UIXZR52.15.0, DB 2016, 2597 = MDR 2016, 1354 = ZIP 2016, 2131 = NZI 2016, 946 Rz. 8; Kopp in BeckOK/InsR, § 21 InsO Rz. 124 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022); Blankenburg in Kübler/Prütting/Bork, § 21 InsO Rz. 235 (Stand: 92. EL 2022).

952 | Schönen/Bender

Folgen der Verwertungssperre | Rz. 19 § 54

teren Ausgleich für den Wertverlust verlangen.50 Typischerweise eingepreist ist der durch eine vertragskonforme Nutzung eintretende Wertverlust.51 Die Verpflichtung zur Leistung von Ausgleich für einen Wertverlust gilt nicht nur für einen 18 nutzungsbedingten Wertverlust, sondern auch für einen Wertverlust, der aufgrund einer Beschädigung oder Zerstörung der Sache eintritt.52 Die Höhe des Wertausgleichs bemisst sich anhand der Differenz des Wertes des Gegenstands 19 zu Beginn und zum Ende der Verwertungssperre.53 Auf Beginn und Ende der tatsächlichen Nutzung durch den Schuldner abzustellen,54 überzeugt hingegen nicht. Entscheidend muss der Zeitraum sein, währenddessen der Gläubiger aufgrund der Wirkungen der Verwertungssperre an einer Verwertung gehindert ist. Bei Bedarf ist das Gericht nach § 287 ZPO zur Schätzung der Höhe des Wertausgleichs berechtigt.55 Dies betrifft den Fall, dass es zu einem streitigen Verfahren zwischen Schuldner und Gläubiger über die Höhe des Ausgleichs für Wertverlust kommt. Hingegen hat nicht bereits das Restrukturierungsgericht eine konkrete Angabe zur Höhe des Ausgleichsanspruchs in der Stabilisierungsanordnung zu treffen. Das wäre auch gar nicht möglich, da der Wertverlust erst nach dem Ende der Verwertungssperre bestimmt werden kann.

50 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 8; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 8; Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 29; zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Teilsatz 3 InsO: BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, DB 2012, 1034 = MDR 2012, 736 = ZIP 2012, 779 = NZI 2012, 369 Rz. 22 f.; BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, ECLI:DE: BGH:2016:080916UIXZR52.15.0, DB 2016, 2597 = MDR 2016, 1354 = ZIP 2016, 2131 = NZI 2016, 946 Rz. 8; Vallender in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 21 InsO Rz. 38k. 51 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 8; vgl. zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Teilsatz 3 InsO: BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, DB 2012, 1034 = MDR 2012, 736 = ZIP 2012, 779 = NZI 2012, 369 Rz. 22; BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, ECLI:DE: BGH:2016:080916UIXZR52.15.0, DB 2016, 2597 = MDR 2016, 1354 = ZIP 2016, 2131 = NZI 2016, 946 Rz. 8; Blankenburg in Kübler/Prütting/Bork, § 21 InsO Rz. 235 (Stand: 92. EL 2022). 52 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 9; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 5; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 8; vgl. zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Teilsatz 3 InsO: BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, DB 2012, 1034 = MDR 2012, 736 = ZIP 2012, 779 = NZI 2012, 369 Rz. 22 f.; Kopp in BeckOK/InsR, § 21 InsO Rz. 124 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022). 53 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 5; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 9; zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO: BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, DB 2012, 1034 = MDR 2012, 736 = ZIP 2012, 779 = NZI 2012, 369 Rz. 23 (Differenz zwischen Beginn und Ende der Nutzung); ebenso BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, ECLI:DE: BGH:2016:080916UIXZR52.15.0, DB 2016, 2597 = MDR 2016, 1354 = ZIP 2016, 2131 = NZI 2016, 946 Rz. 9; zust. Kopp in BeckOK/InsR, § 21 InsO Rz. 125 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 9 und Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 29. 54 In diesem Sinne zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO: BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, DB 2012, 1034 = MDR 2012, 736 = ZIP 2012, 779 = NZI 2012, 369 Rz. 23; BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, ECLI:DE: BGH:2016:080916UIXZR52.15.0, DB 2016, 2597 = MDR 2016, 1354 = ZIP 2016, 2131 = NZI 2016, 946 Rz. 9; zust. Kopp in BeckOK/InsR, § 21 InsO Rz. 125 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022). 55 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 10; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 5; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 9; § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO: BGH v. 8.9.2016 – IX ZR 52/15, ECLI:DE: BGH:2016:080916UIXZR52.15.0, DB 2016, 2597 = MDR 2016, 1354 = ZIP 2016, 2131 = NZI 2016, 946 Rz. 10 ff.; Kopp in BeckOK/InsR, § 21 InsO Rz. 125 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022).

Schönen/Bender | 953

§ 54 Rz. 20 | Folgen der Verwertungssperre c) Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs 20 Der Ausgleich für den Wertverlust hat gem. § 49 Abs. 1 StaRUG „laufend“ zu erfolgen. Der

Wortlaut entspricht jenem in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 Teilsatz 3 InsO. Nach dem Wortsinn schuldet der Schuldner dem von der Verwertungssperre betroffenen Gläubiger also Zahlungen während der Dauer der Verwertungssperre und nicht erst nach Ablauf der Anordnungsdauer der Verwertungssperre.56 Eine darüber hinausgehende Konkretisierung des Turnus ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Es ist anzunehmen, dass die Erbringung des Ausgleichs grundsätzlich im Wege von zumindest monatlichen Zahlungen zu erfolgen hat.57 Da die Ansprüche der Gläubiger nach § 54 Abs. 1 StaRUG für den Fall eines sich anschließenden Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner lediglich unbesicherte Insolvenzforderungen darstellen, die keine Aufwertung zu Masseverbindlichkeiten erfahren, erscheint dieser Turnus angemessen, aber auch geboten, um das Ausfallrisiko des Gläubigers möglichst zu begrenzen.58 Bei Zugrundelegung dieses Turnus wird dem betroffenen Gläubiger zudem die Refinanzierung erleichtert.59

3. Fehlende Aussicht auf Befriedigung aus Verwertungserlös a) Allgemeines 21 Voraussetzung sowohl für den Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung als auch für den

Anspruch auf Ausgleich des Wertverlusts ist gem. § 54 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, dass der Gläubiger ohne die Verwertungssperre mit einem Verwertungserlös aus dem konkreten Sicherungsgegenstand hätte rechnen können.60 Andernfalls erscheint die Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung an den Gläubiger als nicht gerechtfertigt. Ansprüche des Gläubigers auf eine Entschädigungs- oder Ausgleichsleistung nach § 54 Abs. 1 StaRUG dürften insoweit nicht bestehen, als auch ohne die Stabilisierungsanordnung eine Verzögerung der Verwertung eingetreten oder die Verwertung insgesamt oder teilweise nicht durchsetzbar gewesen wäre.61 b) Parallele zum Insolvenzeröffnungsverfahren

22 Auch im Hinblick auf die Regelung des § 54 Abs. 1 Satz 2 ist festzustellen, dass sie eine Ent-

sprechung im Recht des Insolvenzeröffnungsverfahrens findet – allerdings mit Abweichungen im Detail. Nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 Teilsatz 2 i.V.m. § 169 Satz 3 InsO ist eine Nutzungsausfallentschädigung nicht zu leisten, soweit nach der Höhe der Forderung sowie dem Wert und der sonstigen Belastung des Gegenstands nicht mit einer Befriedigung des Gläubigers aus dem Verwertungserlös zu rechnen ist. Diese Regelung zur Nutzungsausfallentschädigung ist fast identisch mit dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Letzterer stellt lediglich nicht ausdrücklich auf den Wert des Gegenstands ab, der aber in der Sache auch im Rahmen von § 54 StaRUG Berücksichtigung zu finden hat. Für den Anspruch auf Ausgleich 56 Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 44. 57 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 11; Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 10. 58 Riggert in Braun, 2021, § 54 StaRUG Rz. 4; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 6; Riggert, NZI-Beilage 2021, 40, 42. 59 Vgl. Riggert in Braun, 2021, § 54 StaRUG Rz. 4. 60 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 7. 61 Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, 2021, § 54 StaRUG Rz. 4; Riggert, NZI-Beilage 2021, 40, 42; vgl. zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO; BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, BGHZ 166, 215 Rz. 15 = DB 2006, 1003 = MDR 2006, 1130 = ZIP 2006, 814 = NZI 2006, 342.

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Folgen der Verwertungssperre | Rz. 24 § 54

für Wertverlust ergibt sich aus § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 InsO, dass die Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen im Fall von absonderungsberechtigten Gläubigern nur besteht, soweit der durch die Nutzung entstehende Wertverlust die Sicherung des absonderungsberechtigten Gläubigers beeinträchtigt. Während § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 InsO einen Ausschluss des Anspruchs auf Ausgleich für den Wertverlust nur für absonderungsberechtigte und nicht auch für aussonderungsberechtigte Gläubiger vorsieht,62 trifft die Regelung des § 54 Abs. 1 Satz 2 StaRUG insoweit keine Unterscheidung zwischen absonderungs- und aussonderungsberechtigten Gläubigern, sondern schließt den Anspruch auf Wertausgleich in beiden Fällen gleichermaßen aus. Der BGH hat zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO entschieden,63 dass für eine Ausgleichszahlung 23 bei absonderungsberechtigten Gläubigern keine Rechtfertigung bestehe, wenn das Sicherungseigentum des Absonderungsberechtigten nicht beeinträchtigt werde. Handele es sich dagegen um Aussonderungsberechtigte, die eine Herausgabe des massefremden Gegenstands verlangen können, berühre jeder durch eine Nutzung bedingte Wertverlust ihr Integritätsinteresse an dem Rückerhalt des unversehrten Gegenstands. Vor diesem Hintergrund verwundert, dass § 54 Abs. 1 Satz 2 StaRUG einen Ausschluss der Ausgleichszahlung sowohl bei im Insolvenzverfahren absonderungsberechtigten als auch aussonderungsberechtigten Gläubigern vorsieht.64 Andererseits wird der Ausschluss bei einem aussonderungsberechtigten Gläubiger ausgehend von der Argumentation des BGH rein tatsächlich nicht zum Tragen kommen. Denn ein Aussonderungsrecht setzt voraus, dass der betreffende Gläubiger auf Grund eines dinglichen oder persönlichen Rechts im Insolvenzverfahren geltend machen könnte, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört (§ 47 Satz 1 InsO). Der Gläubiger kann also Herausgabe des betreffenden Gegenstands verlangen. Daher führt auch jeder durch eine Nutzung bedingte Wertverlust des Gegenstands zu einer Beeinträchtigung dieses Herausgabeanspruchs. Er hat anders als ein absonderungsberechtigter Gläubiger nicht nur ein Sicherungsrecht an einem zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstand. D.h., der Gegenstand ist ihm nicht nur sicherungshalber in dem Umfang zugewiesen, wie er ein werthaltiges Sicherungsrecht hat und ihm der Verwertungserlös zu seiner Befriedigung zusteht, sondern ihm ist der Gegenstand selbst zugewiesen. Einen Fall der Untersicherung oder Übersicherung wie bei einem absonderungsberechtigten Gläubiger (vgl. Rz. 24) kann es unter diesen Umständen nicht geben. Der Anspruchsausschluss gem. § 54 Abs. 1 Satz 2 passt schon seinem Wortlaut nach nicht auf aussonderungsberechtigte Gläubiger und dürfte bei diesen daher praktisch leerlaufen, so dass sich auch nicht die Frage stellt, ob mit der Regelung ein verfassungskonformer Eingriff in das Eigentumsrecht gem. Art. 14 Abs. 1 GG einhergeht.65 c) Untersicherung oder Übersicherung Nur wenn der Gläubiger bei Durchführung der gesperrten Verwertung einen Erlös zu seinen 24 Gunsten erzielen könnte, soll ihm auch eine Entschädigung für den Nutzungsausfall und ein Ausgleich für den Wertverlust zustehen. Demnach steht dem Gläubiger im Fall der Untersicherung66 (also z.B. bei einer vorrangigen wertausschöpfenden Belastung des Gegenstands zu62 Diese Unterscheidung bestätigend und als sachgerecht bezeichnend: BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, DB 2012, 1034 = MDR 2012, 736 = ZIP 2012, 779 = NZI 2012, 369 Rz. 19. 63 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, DB 2012, 1034 = MDR 2012, 736 = ZIP 2012, 779 = NZI 2012, 369 Rz. 18 ff. 64 Vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 8, die es aus verfassungsrechtlichen Gründen für geboten gehalten hätten, die Anwendbarkeit des Anspruchsausschlusses nach § 54 Abs. 1 Satz 2 StaRUG auf Absonderungsberechtigte zu beschränken. 65 Vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 8. 66 Riggert in Braun, 2021, § 54 StaRUG Rz. 4; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 13.

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§ 54 Rz. 24 | Folgen der Verwertungssperre gunsten eines anderen Gläubigers67) kein Anspruch gem. § 54 Abs. 1 StaRUG zu. Fraglich ist, ob Gleiches im Fall der Übersicherung gilt. Dies hängt davon ab, ob sich die Übersicherung erst in Zusammenschau mit anderen Sicherheiten ergibt oder daraus folgt, dass die von der Verwertungssperre betroffene Sicherheit für sich genommen eine Übersicherung begründet. Vorausgesetzt, dass der Gläubiger nicht vertraglich dazu verpflichtet ist, andere ihm zur Verfügung gestellten Sicherheiten vorrangig in Anspruch zu nehmen, ist davon auszugehen, dass die Verfügbarkeit anderer Sicherheiten auch dann nicht zum Ausschluss des Anspruchs auf Entschädigung und Verlustausgleich nach § 54 Abs. 1 Satz 2 StaRUG führt, wenn sich der Gläubiger im Wege des Zugriffs auf diese anderen Sicherheiten vollumfänglich befriedigen könnte. Eine Übersicherung führt unter diesen Umständen gerade nicht zu einem Anspruchsausschluss nach § 54 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Ergibt sich die Übersicherung hingegen daraus, dass der von der Verwertungssperre erfasste Sicherungsgegenstand einen Verwertungserlös erwarten lässt, der höher ist als die gesicherte Forderung, so dürfte dem Gläubiger im Umfang dieser Übersicherung kein Anspruch auf Entschädigung für den Nutzungsausfall und auf Ausgleich für einen Wertverlust zustehen.68 In der Praxis wird es allerdings schwierig sein, dies trennscharf abzugrenzen. d) Darlegungs- und Beweislast 25 Die negative Formulierung in § 54 Abs. 1 Satz 2 StaRUG „dies gilt nicht“ bedeutet, dass den

Schuldner die Darlegung- und Beweislast für das Vorliegen der Tatsachen trifft, die zu einem Ausschluss des Anspruchs auf Nutzungsausfallentschädigung und/oder Ausgleich des Wertverlusts führen.69

4. Unbewegliche Sachen a) Zwangsversteigerungsverfahren (§ 30g Abs. 2 ZVG) 26 Während § 54 Abs. 1 Satz 1 StaRUG die Nutzungsausfallentschädigung und den Ausgleich

von Wertverlust für den Fall regelt, dass sich die Verwertungssperre auf bewegliche Sachen oder Rechte bezieht, findet sich eine im Wesentlichen wortgleiche Regelung70 für Vollstreckungssperren betreffend unbewegliche Sachen in § 30g Abs. 2 Satz 1 ZVG.71 Die Vorschrift des § 30g Abs. 2 ZVG betrifft nur Zwangsversteigerungsverfahren. Danach hat das Vollstreckungsgericht die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens mit der Auflage zu verbinden, dass dem betreibenden Gläubiger laufend die geschuldeten Zinsen zu zahlen sind und ein durch die Nutzung entstehender Wertverlust durch laufende Zahlungen auszugleichen ist, soweit der Gläubiger auch mit einer Befriedigung aus dem Verwertungserlös hätte rechnen können. Hinsichtlich der Einzelheiten kann auf die Ausführungen zu § 54 Abs. 1 Satz 1 StaRUG verwiesen werden (vgl. Rz. 9 ff. und 16 ff.). Ein Wertverlust kann sich bei unbeweglichen Sachen insbesondere daraus ergeben, dass der Schuldner Früchte oder Gebrauchsvorteile in Anspruch nimmt. Dies wäre z.B. der Fall, wenn er Kies, Sand oder Boden-

67 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 7. 68 Für einen Anspruchsausschluss bei Übersicherung ohne nähere Differenzierung zwischen einer und mehreren Sicherheiten: Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 69 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 7; Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); im Ergebnis ebenso Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 13. 70 § 30g Abs. 2 Satz 1 ZVG sieht anders als § 54 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ausdrücklich vor, dass die geschuldeten Zinsen laufend zu zahlen sind. 71 Vgl. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 12.

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Folgen der Verwertungssperre | Rz. 28 § 54

schätze abbaut.72 Auch ein Wertverlust des haftenden Zubehörs wäre relevant.73 Für die Nutzungsausfallentschädigung in Form von Zinsen ist zu berücksichtigen, dass diese gem. § 13 Abs. 1 ZVG zwei Wochen nach Eintritt der Fälligkeit zu zahlen sind.74 Wenn es keinen Fälligkeitszeitpunkt gibt, sollte das Vollstreckungsgericht den Turnus für die Zinszahlungen in der Anordnung benennen75 und zur Reduzierung des Ausfallrisikos des Gläubigers im Zweifel eine monatliche Zahlung vorsehen (vgl. Rz. 15). § 30g ZVG findet eine Parallele in § 30e ZVG für das Insolvenzeröffnungsverfahren.76 Im Unterschied zu Verwertungssperren betreffend bewegliches Vermögen nach § 49 Abs. 1 27 Nr. 2 StaRUG setzt der Anspruch auf eine Zins- und Wertverlustausgleichszahlung nach § 30g Abs. 2 ZVG eine entsprechende Auflage seitens des Vollstreckungsgerichts voraus. Soweit es unbewegliche Sachen betrifft, liegt es zunächst beim Restrukturierungsgericht die Grundsatzentscheidung zu treffen, ob auch unbewegliche Sachen des Schuldners von der Vollstreckungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG erfasst werden. Hat das Restrukturierungsgericht eine Vollstreckungssperre angeordnet, die auch unbewegliches Vermögen erfasst, so stellt das Vollstreckungsgericht das Verfahren der Zwangsvollstreckung in den unbeweglichen Gegenstand auf Antrag des Schuldners gem. § 30g Abs. 1 ZVG einstweilen ein, es sei denn, die Einstellung ist dem betreibenden Gläubiger unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zuzumuten (vgl. § 49 Rz. 52 ff.). Nach hier vertretener Auffassung bedarf es eines Antrags des Schuldners beim Vollstreckungsgericht (vgl. § 49 Rz. 53), um den Vollzug der vom Restrukturierungsgericht angeordneten Vollstreckungssperre zu erreichen. Da die Auflage vom Vollstreckungsgericht von Amts wegen zu erlassen ist, bedarf es neben 28 dem Antrag auf Vollzug der Verwertungssperre keines weiteren Antrags des Schuldners.77 Das Vollstreckungsgericht hat auch kein Ermessen hinsichtlich der Frage, „ob“ es die Leistung von Nutzungsausfallentschädigung und Ausgleich für Wertverlust anordnet.78 Ausgehend vom Wortlaut des § 30g Abs. 2 ZVG muss das Vollstreckungsgericht keine über diese abstrakte Vorgabe dem Grunde nach hinausgehende konkrete Angabe zum Umfang der Nutzungsausfallentschädigung bzw. des Wertverlusts treffen. Das wird ihm auch praktisch kaum möglich sein.79 Soweit es die geschuldeten Zinsen betrifft, ist bei der Parallelvorschrift für das Insolvenzverfahren in § 30e ZVG umstritten, wie deren Höhe zu bemessen sind.80 Nach einer Auffassung ist abzustellen auf die dinglichen Grundschuldzinsen, auch diese seien vom Schuldner vertraglich eingeräumt und damit geschuldete Zinsen.81 Nach der Gegenauffassung handelt es sich um die Zinsen, die dem Gläubiger aufgrund seines vertraglichen oder gesetzlichen Rechtsverhältnisses mit dem Schuldner jeweils zustehen.82 Für letztgenannte Ansicht spricht, dass sie dem Zweck des § 30g ZVG, dem Schuldner die Fortsetzung seines Geschäftsbetriebs während des laufenden Restrukturierungsverfahrens zu ermöglichen und dem Gläubiger (lediglich) eine angemessene Kompensation für den Eingriff in seine Rechte zuzubil-

72 73 74 75 76 77 78 79 80

Bauch in BeckOK/ZVG, § 30g ZVG Rz. 14 (Stand: 8. Ed. 1.3.2022). Bauch in BeckOK/ZVG, § 30g ZVG Rz. 14 (Stand: 8. Ed. 1.3.2022). Vgl. zu § 30e ZVG: Böttcher in Böttcher, 7. Aufl. 2022, § 30e ZVG Rz. 6. Vgl. zu § 30e ZVG: Böttcher in Böttcher, 7. Aufl. 2022, § 30e ZVG Rz. 6. Bauch in BeckOK/ZVG, § 30g ZVG Rz. 11 (Stand: 8. Ed. 1.3.2022). Vgl. zu § 30e ZVG: Bauch in BeckOK/ZVG, § 30e ZVG Rz. 1 (Stand: 8. Ed. 1.3.2022). Bauch in BeckOK/ZVG, § 30g ZVG Rz. 13 (Stand: 8. Ed. 1.3.2022). Vgl. Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 18 f. Zum Meinungsstand: Bauch in BeckOK/ZVG, § 30e ZVG Rz. 7 ff. und § 30g ZVG Rz. 13.1 ff. (Stand: 8. Ed. 1.3.2022). 81 Zu § 30e ZVG: Hintzen in Dassler/Schiffhauer, 16. Aufl. 2020, § 30e ZVG Rz. 6 ff.; Nicht in Stöber, 22. Aufl. 2018, § 30e ZVG Rz. 3. 82 Zu § 30e ZVG: LG Göttingen v. 27.1.2000 – 10 T 1/00, NZI 2000, 186; LG Stade v. 19.3.2002 – 7 T 47/02, BeckRS 2002, 10927 Rz. 9 ff.; Bauch in BeckOK/ZVG, § 30g ZVG Rz. 13.3.

Schönen/Bender | 957

§ 54 Rz. 28 | Folgen der Verwertungssperre ligen, eher gerecht wird, da dingliche Grundschuldzinsen typischerweise deutlich höher als vertraglich vereinbarte oder verkehrsübliche Zinsen ausfallen.83 29 Soweit im Schrifttum teilweise vertreten wird, dass es einer weiteren Entscheidung des Voll-

streckungsgerichts von vornherein nicht bedarf, um zu einer Einstellung der Zwangsvollstreckung in unbewegliches Vermögen auf Basis einer vom Restrukturierungsgericht dem Grunde nach angeordneten Vollstreckungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG zu gelangen, weil diese von Amts wegen nach § 28 ZVG zu beachten sei,84 vermag dies nicht zu überzeugen (vgl. § 49 Rz. 53). Diese Auffassung im Schrifttum geht teilweise so weit anzunehmen, dass zwar die einstweilige Einstellung der Vollstreckung schon aufgrund der Entscheidung des Restrukturierungsgerichts greift, dem von der Sperre betroffenen Gläubiger eine Zins- und Wertverlustausgleichszahlung aber nur zustünde, wenn der Schuldner einen darauf gerichteten Antrag beim Vollstreckungsgericht stellen und dieses eine entsprechende Auflage anordnen würde.85 Da der Schuldner kein Interesse an einer ihn wirtschaftlich belastenden Zahlungsverpflichtung habe, sei er gut beraten den Antrag nicht zu stellen.86 Im Fall von unbeweglichem Vermögen hätte es der Schuldner in der Hand zu entscheiden, ob der von einer Vollstreckungssperre betroffene Gläubiger eine Kompensation für den Eingriff in seine Rechte erhält. Das vermag (auch verfassungsrechtlich) nicht zu überzeugen.

30 Auch bei unbeweglichen Sachen gilt (wie bei beweglichen Sachen und Rechten gem. § 54

Abs. 1 Satz 2 StaRUG), dass Nutzungsausfallentschädigung und Ausgleich für Wertverlust nicht zu leisten (bzw. nicht vom Vollstreckungsgericht anzuordnen sind), soweit nach der Höhe der Forderung sowie dem Wert und der sonstigen Belastung des Grundstücks nicht mit einer Befriedigung des Gläubigers aus dem Versteigerungserlös zu rechnen ist (§ 30g Abs. 2 Satz 2 ZVG). Hinsichtlich der Einzelheiten kann auf die Ausführungen zu § 54 Abs. 1 Satz 2 StaRUG verwiesen werden (vgl. Rz. 21 ff.). b) Zwangsverwaltungsverfahren

31 Die Vorschrift des § 30g ZVG gilt nur für Zwangsversteigerungsverfahren. Eine vergleichbare

Vorschrift für Zwangsverwaltungsverfahren betreffend unbewegliche Sachen (wie etwa die §§ 153b und 153c ZVG für das eröffnete Insolvenzverfahren) gibt es nicht.87 Ob das Zwangsverwaltungsverfahren überhaupt Gegenstand einer Stabilisierungsanordnung sein kann, ist unklar.88 Eine dem § 30g ZVG entsprechende Spezialregelung wurde jedenfalls nicht eingeführt. In Betracht käme allenfalls die Anwendung der Generalklausel des § 146 Abs. 1 ZVG, wonach auf die Anordnung der Zwangsverwaltung die Vorschriften über die Anordnung der Zwangsversteigerung entsprechende Anwendung finden, soweit sich nicht aus den §§ 147– 151 ZVG ein anderes ergibt.89 Sofern man zu dem Ergebnis gelangt, dass über die Vorschrift des § 146 Abs. 1 ZVG eine Vollstreckungssperre nach § 30g Abs. 1 ZVG auch im Hinblick auf ein Zwangsverwaltungsverfahren angeordnet werden kann, steht dem betroffenen Gläubiger konsequenterweise auch ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung und Ausgleich von 83 Zu § 30g ZVG: Bauch in BeckOK/ZVG, § 30g ZVG Rz. 13.3; zu § 30e ZVG: LG Göttingen v. 27.1.2000 – 10 T 1/00, NZI 2000, 186; ausführlich hierzu LG Stade v. 19.3.2002 – 7 T 47/02, BeckRS 2002, 10927 Rz. 11 ff. 84 Hintzen, ZfIR 2021, 64, 67 f.; zust. Böttcher in Böttcher, 7. Aufl. 2022, § 30g ZVG Rz. 1. 85 Hintzen, ZfIR 2021, 64, 67 f.; zust. Böttcher in Böttcher, 7. Aufl. 2022, § 30g ZVG Rz. 1. 86 Hintzen, ZfIR 2021, 64, 68; vgl. auch Böttcher in Böttcher, 7. Aufl. 2022, § 30g ZVG Rz. 1. 87 Vgl. Hintzen, ZfIR 2021, 64, 68. 88 Dafür: Mock in BeckOK/StaRUG, § 49 StaRUG Rz. 9.4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); dagegen Hintzen, ZfIR 2021, 64, 68, insbesondere auch gegen eine Analogie zu § 30g ZVG mangels planwidriger Regelungslücke, wobei sich eine Analogie aber ohnehin erübrige, da die Verwertungssperre von Amts wegen auch das Zwangsverwaltungsverfahren erfasse. 89 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 49 StaRUG Rz. 35.

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Folgen der Verwertungssperre | Rz. 34 § 54

Wertverlust gem. § 30g Abs. 2 ZVG zu. Dies gebietet nicht zuletzt der Schutzzweck dieser Vorschrift, dem von der Anordnung betroffenen Gläubiger eine angemessene Entschädigung für den Eingriff in seine Rechte zukommen zu lassen.

V. Auskehrung oder Separierung von Verwertungserlösen (§ 54 Abs. 2 StaRUG) 1. Hintergrund Die Anordnung einer Verwertungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG hat zur Folge, dass 32 der hiervon betroffene Gläubiger seine Rechte, die ihm in einem Insolvenzverfahren einen Anspruch auf Aussonderung oder abgesonderte Befriedigung verschaffen würden, während der Dauer der Stabilisierungsanordnung nicht durchsetzen kann. Schlimmer noch: Auf Basis des Referentenentwurfs zum StaRUG90 hätte es dem Schuldner freigestanden, die zur Sicherheit abgetretenen Forderungen einzuziehen und die unter Eigentumsvorbehalt gelieferten oder sicherungsübereigneten Sachen zu veräußern sowie anschließend die Erlöse für seinen Geschäftsbetrieb einzusetzen. Denn der Referentenentwurf enthielt noch keine dem § 54 Abs. 2 StaRUG vergleichbare Regelung. Den sicherungsgebenden Gläubigern wären auf diese Weise nicht nur die Sicherungsgegenstände endgültig entzogen worden, sondern ihnen wäre auch die Möglichkeit zur Befriedigung aus den Erlösen genommen worden. Außerdem wäre nicht sichergestellt, dass an die Stelle der verwerteten Sicherungsgegenstände in gleichem Umfang neue Sicherheiten treten. Selbst wenn der betreffende Gläubiger (wie insbesondere bei revolvierenden Sicherheiten regelmäßig der Fall) neue Gegenstände als Sicherheit erhielte, wäre ihm damit nur gedient, wenn es sich um einen Fall des masseneutralen Sicherheitentauschs handelt91 oder um einen Sicherungsgegenstand, der aus anderen Gründen keinen höheren Insolvenzanfechtungsrisiken unterliegt als der vorherige, inzwischen verwertete Sicherungsgegenstand. Die damit auf Basis des Referentenentwurfs des StaRUG einhergehende Verschlechterung der Rechtsposition von besicherten Gläubigern hatte zu verbreiteter Kritik geführt.92 Vor diesem Hintergrund wurde im Regierungsentwurf die Regelung des § 54 Abs. 2 StaRUG aufgenommen, wonach der Schuldner die Erlöse an den Berechtigten auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren hat, die er bei der Einziehung von zur Sicherheit abgetretenen Forderungen bzw. bei der Veräußerung oder Verarbeitung von zur Sicherheit übereigneten beweglichen Sachen erzielt. Abweichendes gilt nur, wenn der Schuldner mit dem Berechtigten eine anderweitige Vereinbarung trifft. Zwar ergibt sich die Tatbestandsvoraussetzung der Anordnung einer Verwertungssperre 33 nicht aus dem Wortlaut des § 54 Abs. 2 StaRUG. Aber dies folgt aus der Überschrift der Vorschrift93 und dem systematischen Zusammenhang mit § 49 Abs. 1 StaRUG bzw. aus dem Regelungsstandort innerhalb des StaRUG.

Voraussetzung für die Verpflichtung des Schuldners zur Auskehrung bzw. Separierung der wäh- 34 rend der Dauer einer Verwertungssperre erzielten Erlöse ist außerdem, dass er nach Maßgabe 90 RefE SanInsFoG v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Zuletzt abgerufen am 1.5.2022). 91 Beim Sicherheitentausch fehlt es an der Gläubigerbenachteiligung i.S.v. § 129 Abs. 1 InsO und damit an der Grundvoraussetzung für eine Insolvenzanfechtung, statt aller Kayser/Freudenberg in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 129 Rz. 108d. 92 Vgl. nur Die Deutsche Kreditwirtschaft, Stellungnahme zum RefE des SanInsFoG v. 20.10.2020, S. 13 f., abrufbar unter https://die-dk.de/media/files/201002_-_StN_DK_-_SanInsFoG.pdf (zuletzt abgerufen am 1.9.2022). 93 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 15.

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§ 54 Rz. 34 | Folgen der Verwertungssperre der vertraglichen Vereinbarungen mit dem Berechtigten entweder Forderungen einzieht, die zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten sind, oder bewegliche Sachen, an denen Rechte bestehen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Aus- oder Absonderungsrechte geltend gemacht werden könnten, veräußert oder verarbeitet. Die Regelung des § 54 Abs. 2 StaRUG ist insbesondere im Zusammenhang mit Globalzessionen von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren bzw. Raumsicherungsübereignungen von Umlaufvermögen, beispielsweise des Warenlagers, relevant.94

2. Einziehung, Veräußerung oder Verarbeitung 35 Die Pflicht zur Auskehrung bzw. Separierung von Verwertungserlösen gem. § 54 Abs. 2 Sta-

RUG erstreckt sich auf die Erlöse aus der Einziehung von zur Sicherheit abgetretenen Forderungen sowie aus der Veräußerung oder Verarbeitung von beweglichen Sachen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens einem Aus- oder Absonderungsrecht unterlägen. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist daher u.a. bei Globalzessionen, Warenlieferungen unter Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignungen von Warenlagern eröffnet.

3. Nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen 36 Die Vorschrift des § 54 Abs. 2 StaRUG setzt eine Einziehung, Veräußerung oder Verarbeitung

„nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen mit dem Berechtigten“ voraus. Mit anderen Worten, der Schuldner muss aufgrund einer entsprechenden Ermächtigung des Gläubigers zur Einziehung, Veräußerung bzw. Verarbeitung befugt sein. Dem Schuldner steht keine von der Gestattung durch den Berechtigten unabhängige Befugnis zur Einziehung, Veräußerung oder Verarbeitung zu.95 Eine zuvor eingeräumte Einziehungs-, Veräußerungs- oder Verarbeitungsermächtigung fällt nicht automatisch aufgrund der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens, des Antrags auf Stabilisierungsanordnung oder des Erlasses der Stabilisierungsanordnung weg. Der Gläubiger kann aber zum Widerruf berechtigt sein, sofern die vertraglichen Voraussetzungen für einen Widerruf erfüllt sind und §§ 44, 55 StaRUG dem Widerruf nicht entgegenstehen (vgl. § 49 Rz. 65).

37 Verfügungen des Schuldners, die unter Verstoß gegen die vertragliche Abrede mit dem von

der Verwertungssperre betroffenen Gläubiger vorgenommen werden (etwa nach berechtigtem Widerruf der Einziehungs-, Veräußerungs- oder Verarbeitungsermächtigung), fallen ausgehend vom Gesetzeswortlaut nicht unter § 54 Abs. 2 StaRUG. Bei Fehlen einer Ermächtigung zur Einziehung, Veräußerung oder Verarbeitung ist der Schuldner in erster Linie zur Unterlassung der Verwertungsmaßnahme bzw. Verfügung verpflichtet. Der Verstoß gegen die vertragliche Abrede führt zu einem Schadensersatzanspruch des Gläubigers gegen den Schuldner, vorausgesetzt, dass den Schuldner ein Verschulden trifft und dem Gläubiger aus dem Verstoß ein Schaden erwächst (§§ 280, 241 Abs. 1 Satz 2 BGB). Auf der Grundlage eines Erst-Recht-Schlusses ist aber anzunehmen, dass der Schuldner zu einer Auskehrung bzw. Separierung der Erlöse auch in dem Fall verpflichtet ist, dass er Verwertungserlöse nach der Anordnung einer Verwertungssperre aufgrund einer vertragswidrigen Einziehung, Veräußerung oder Verarbeitung erlangt hat.96 Es 94 Vgl. Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 44. 95 Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 19/25353, 9. 96 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 10 und 12; zu dem gleichen Ergebnis kommen Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 17, aber auf Basis des vertraglichen Schuldverhältnisses, sobald der Grad der Bestandsgefährdung des Schuldners die Interessen des Sicherungsnehmers erheblich gefährdet und die Voraussetzungen der Ermächtigung nicht mehr vorliegen.

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Folgen der Verwertungssperre | Rz. 42 § 54

erscheint nicht sachgerecht, dass die Pflichten des Schuldners bei Verstoß gegen die vertraglichen Abreden mit dem Gläubiger weniger weit gehen sollen als bei vertragskonformem Verhalten. Im Übrigen wäre der Gläubiger aufgrund des ihm andernfalls ggf. zustehenden Ersatzaussonderungsrechts gem. § 48 InsO bzw. Ersatzabsonderungsrechts analog § 48 InsO nicht ausreichend geschützt, da dieses nur greift, wenn die Gegenleistung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch unterscheidbar in der Masse vorhanden ist (§ 48 Satz 2 InsO).97 Sowohl bei vertragskonformer als auch bei vertragswidriger Verwertung von der Verwer- 38 tungssperre unterfallenden Gegenständen riskiert der Geschäftsleiter seine persönliche Haftung gegenüber dem betroffenen Gläubiger gem. § 57 Satz 3 StaRUG, wenn er die Verwertungserlöse nicht ordnungsgemäß auskehrt bzw. separiert.98

4. Rechtsfolgen Zieht der Schuldner nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen mit dem Berechtigten 39 Forderungen ein, die zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten sind, oder veräußert oder verarbeitet er bewegliche Sachen, an denen Rechte bestehen, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Ab- oder Aussonderungsrechte geltend gemacht werden könnten, sind die dabei erzielten Erlöse entweder an den Berechtigten auszukehren (vgl. Rz. 40 ff.) oder unterscheidbar zu verwahren (vgl. Rz. 42 ff.), es sei denn, der Schuldner trifft mit dem Berechtigten eine anderweitige Vereinbarung (vgl. Rz. 51) (§ 54 Abs. 2). a) Auskehrung von Verwertungserlösen Die Auskehrung der Erlöse, die der Schuldner bei der Einziehung von sicherungsabgetretenen 40 Forderungen bzw. Veräußerung oder Verarbeitung von beweglichen Sachen erlangt, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens einem Ab- oder Aussonderungsrecht unterliegen, hat an den Berechtigten zu erfolgen. Berechtigt i.S.v. § 54 Abs. 2 StaRUG ist derjenige, dem das Ab- bzw. Aussonderungsanwartschaftsrecht zusteht.99 Wenn die Gläubiger des Schuldners einen Sicherheitentreuhänder eingeschaltet haben, der alleiniger Inhaber der Sicherungsrechte geworden und dementsprechend der einzige ist, dem in einem Insolvenzverfahren Ab- bzw. Aussonderungsrechte zustünden, so hat die Auskehrung der Verwertungserlöse an den Sicherheitentreuhänder zu erfolgen.100 Wenn hingegen nicht nur dem Sicherheitentreuhänder sondern auch den Gläubigern Sicherungsrechte eingeräumt wurden, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls und insbesondere die insoweit getroffenen Vereinbarungen an, um beurteilen zu können, an wen die Erlöse auszukehren sind.101 Anstelle einer Auskehrung der Erlöse kann sich der Schuldner auch dafür entscheiden, die 41 Erlöse unterscheidbar zu verwahren (vgl. Rz. 42). b) Separierung von Verwertungserlösen Der Schuldner hat gem. § 54 Abs. 2 StaRUG die Wahl, ob er die Verwertungserlöse an den 42 Berechtigten auskehrt oder unterscheidbar verwahrt.102 Entscheidet sich der Schuldner gegen 97 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 12; vgl. Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 35. 98 Vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 13. 99 Thole, ZRI 2021, 231, 238. 100 Vgl. Thole, ZRI 2021, 231, 238 Fn. 20. 101 Thole, ZRI 2021, 231, 238 Fn. 20. 102 Vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 13; im Ergebnis ebenso Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 33.

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§ 54 Rz. 42 | Folgen der Verwertungssperre die Auskehrung, hat er dafür Sorge zu tragen, dass die Verwertungserlöse von seinem sonstigen Vermögen getrennt aufbewahrt werden. Die Verwahrung hat dergestalt zu erfolgen, dass einem Berechtigten, dem ohne die Verwertungsmaßnahme in einem späteren Insolvenzverfahren ein insolvenzfestes Ab- oder Aussonderungsrecht zugestanden hätte, auf Grundlage der Separierung weiterhin ein insolvenzfestes Ab- oder Aussonderungsrecht zusteht. Andernfalls würde der Zweck des § 54 Abs. 2 StaRUG verfehlt, den Berechtigten vor einer Beeinträchtigung seiner Sicherheitenposition zu bewahren.103 43 Vor diesem Hintergrund wird die Ansicht vertreten, dass es der Einrichtung einer doppelnüt-

zigen Sicherungstreuhand bedarf, um dem Berechtigten eine insolvenzfeste Rechtsposition an den Verwertungserlösen zu verschaffen.104 Die doppelnützige Sicherungstreuhand setzt die Kombination einer Sicherungstreuhand mit einer Verwaltungstreuhand voraus und ist in der Insolvenz des Sicherungsgebers anerkanntermaßen insolvenzfest, vorausgesetzt, dass die Treuhand den Anforderungen der Rechtsprechung folgend aufgesetzt worden ist.105 Es müsste ein Dritter als Treuhänder eingeschaltet werden, der seinerseits ein offenes Treuhandkonto eröffnet, auf das die Verwertungserlöse eingezogen werden. Der Doppeltreuhänder verwaltet die Verwertungserlöse für den Schuldner und hält sie zugleich als Sicherheit für den Berechtigten. In der Insolvenz des Schuldners steht dem Doppeltreuhänder ein Absonderungsrecht an dem Kontoguthaben nach § 51 Nr. 1 InsO zu, das er zugunsten des Berechtigten geltend machen würde.106 Die Einrichtung einer doppelnützigen Sicherungstreuhand setzt die Einschaltung eines Treuhänders voraus und verursacht einen gewissen (Kosten-)Aufwand.

44 Nach der Gegenansicht wird der Schuldner seiner Verpflichtung zur Separierung hingegen

schon dadurch gerecht, dass er die Verwertungserlöse direkt auf ein vom Schuldner selbst zugunsten des Berechtigten eingerichtetes offenes Treuhandkonto einzieht.107 Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO genügt im Fall der Einziehung seitens eines vorläufigen Insolvenzverwalters die Einziehung der Verwertungserlöse auf einem in Absprache mit dem Treugeber zugunsten des Berechtigten errichteten offenen Treuhandkonto, um den Gläubigern, zu deren Gunsten die Verwertungserlöse separiert werden, im Fall eines im weiteren Verlauf eröffneten Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners ein insolvenzfestes Aussonderungsrecht i.S.v. § 47 InsO zu vermitteln.108 Die Einziehung auf ein allgemeines Geschäftskonto des Schuldners oder ein für die Schuldnerin gehaltenes allgemeines Treuhandkonto des vorläufigen Insolvenzverwalters führe hingegen nicht zur Entstehung einer insolvenzfesten Rechtsposition des Berechtigten.109 Die Erlöse dürften also zu keinem Zeitpunkt mit dem sonstigen Vermögen vermischt werden, sondern müssten ab dem Zeit-

103 Vgl. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 16. 104 Riggert in Braun, 2021, § 54 StaRUG Rz. 7; Riggert, NZI-Beilage 2021, 40, 42; zust. Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 13.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 105 Vgl. BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 47/12, MDR 2013, 1410 = ZIP 2013, 2025 = NZI 2014, 167 Rz. 18 ff.; BAG v. 22.9.2020 – 3 AZR 303/18, ECLI:DE:BAG:2020:220920.U.3AZR303.18.0, ZIP 2021, 145 = NZI 2021, 127 Rz. 47 ff. 106 BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 47/12, MDR 2013, 1410 = ZIP 2013, 2025 = NZI 2014, 167 Rz. 18; BAG v. 22.9.2020 – 3 AZR 303/18, ECLI:DE:BAG:2020:220920.U.3AZR303.18.0, ZIP 2021, 145 = NZI 2021, 127 Rz. 48. 107 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 19; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 13; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 16; Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 44. 108 BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, ECLI:DE:BGH:2019:240119UIXZR110.17.0, BGHZ 221, 10 Rz. 40 = NJW 2019, 1940 = DB 2019, 535 = ZIP 2019, 472; zust. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 19; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 16. 109 BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, ECLI:DE:BGH:2019:240119UIXZR110.17.0, BGHZ 221, 10 Rz. 40 = NJW 2019, 1940 = DB 2019, 535 = ZIP 2019, 472.

962 | Schönen/Bender

Folgen der Verwertungssperre | Rz. 45 § 54

punkt des Eingangs separiert sein. Ausgehend von dieser Rechtsprechung bedarf es nicht der kostenaufwendigen Einrichtung einer doppelnützigen Sicherungstreuhand unter Einschaltung eines Treuhänders, sondern es reicht die Einrichtung eines offenen Treuhandkontos, das ausdrücklich zugunsten des Berechtigten errichtet wird. Wenn es mehrere Berechtigte gibt, müsste das Treuhandkonto entsprechend zugunsten mehrerer Berechtigter eingerichtet werden.110 Bei verschiedenen Verwertungssachverhalten betreffend verschiedene Berechtigte, kann es sich anbieten, separate offene Treuhandkonten einzurichten, um Unklarheiten hinsichtlich der Aufteilung des Kontoguthabens zwischen den Berechtigten zu vermeiden. Wenn sich die Sicherungsrechte verschiedener Berechtigter nicht ohne weiteres bzw. nicht kurzfristig voneinander abgrenzen lassen (beispielsweise Sicherungsrechte aufgrund von erweiterten und verlängerten Eigentumsvorbehalten der Warenlieferanten einerseits und Sicherungsrechte aufgrund von (Raum-)Sicherungsübereignungen und Globalzessionen andererseits), bietet sich hingegen ein offenes Treuhandkonto zugunsten von sämtlichen möglicherweise Berechtigten an. Die Frage der Verteilung muss dann zunächst noch nicht geklärt werden.111 Zweifel an der Übertragbarkeit der Rechtsprechung zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO auf die 45 Einziehung von Verwertungserlösen durch den Schuldner nach § 54 Abs. 2 StaRUG könnten sich allenfalls daraus ergeben, dass im Restrukturierungsverfahren anders als im Insolvenzeröffnungsverfahren die Einziehung nicht von Seiten eines vorläufigen Insolvenzverwalters auf ein von ihm auf seinen Namen eingerichtetes Treuhandkonto erfolgt, sondern vom Schuldner auf ein vom ihm selbst eingerichtetes Treuhandkonto. Zwar ist dem Offenkundigkeitsprinzip beim offenen Treuhandkonto Genüge getan.112 Allerdings erfolgt die Einzahlung auf das Treuhandkonto nicht unmittelbar vom Berechtigten und Treugeber, sondern von einem Dritten, so dass der Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht erfüllt ist. Das Kriterium der Unmittelbarkeit hat der BGH für Treuhandkonten jedoch schon früh aufgegeben, vorausgesetzt, dass die den Zahlungen von dritter Seite zugrunde liegenden Forderungen nicht in der Person des Treuhänders und Kontoinhabers, sondern unmittelbar in der Person des Treugebers entstanden sind.113 Bei der Einziehung von an den Gläubiger zur Sicherheit abgetretenen Forderungen wäre dieses Kriterium erfüllt. Bei der Einziehung von Kaufpreisansprüchen aufgrund der Veräußerung von an den Gläubiger zur Sicherheit übereigneten beweglichen Sachen an einen Dritten hingegen käme es streng genommen darauf an, ob der Schuldner (wie im gewöhnlichen Geschäftsverkehr üblich) im eigenen Namen und aufgrund einer Ermächtigung des Gläubigers verkauft und veräußert oder in Vertretung für den Gläubiger. Jedenfalls bei vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen im Einzelfall verbleibenden Zweifeln an der insolvenzfesten Begründung eines Ab- bzw. Aussonderungsrechts mit Hilfe eines offenen Treuhandkontos empfiehlt sich die Errichtung einer doppelnützigen Sicherungstreuhand.

110 Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 16; hingegen müssen nicht zwingend getrennte Treuhandkonten eröffnet werden, vgl. BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, DB 2003, 2385 = MDR 2003, 1316 = ZIP 2003, 1404 = NZI 2003, 549, 550, wonach nicht notwendig ist, dass die Treuhandbindung nur für einen Treugeber besteht, sofern das Konto als Ganzes von der Treuhandbindung erfasst ist. 111 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 22, die darauf hinweisen, dass der Abschluss einer Verwertungsvereinbarung i.S.v. § 54 Abs. 2 StaRUG grundsätzlich die vorherige Klärung der Sicherheiten und Berechtigten voraussetzt. 112 Vgl. BGH v. 7.7.2005 – III ZR 422/04, MDR 2006, 51 = ZIP 2005, 1465 = NZI 2005, 625, 626 wonach für die Bejahung eines Aussonderungsrechts notwendig ist, dass das Konto offen ausgewiesen oder sonst nachweisbar ausschließlich zur Aufnahme von treuhänderisch gebundenen Fremdgeldern bestimmt ist; vgl. Brinkmann in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 47 InsO Rz. 94. 113 BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 75/01, BGHZ 155, 227, 231 = NJW 2003, 3414, 3415; BGH v. 7.4.1959 – VIII ZR 219/57, NJW 1959, 1223, 1225 = MDR 2003, 1254 = ZIP 2003, 1613; BGH v. 7.7.2005 – III ZR 422/04, MDR 2006, 51 = ZIP 2005, 1465 = NZI 2005, 625, 626.

Schönen/Bender | 963

§ 54 Rz. 46 | Folgen der Verwertungssperre c) Umfang der auszukehrenden bzw. zu separierenden Verwertungserlöse 46 Die vom Schuldner vereinnahmten Verwertungserlöse sind nur insoweit an den Berechtigten

auszukehren oder zu seinen Gunsten zu separieren, wie der Berechtigte nach der Höhe seiner Forderung und der sonstigen Belastung des Gegenstands mit einer Befriedigung aus dem Verwertungserlös zu rechnen hat.114 Diese Einschränkung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus § 54 Abs. 2 StaRUG, aber bei systematischer Auslegung unter Berücksichtigung von § 54 Abs. 1 Satz 2 StaRUG: Sofern bzw. soweit der Gläubiger für den Fall der Durchsetzung seines Rechts am Gegenstand keinen Anspruch auf den Verwertungserlös hat, kann er weder Nutzungsausfallentschädigung oder Ausgleich für Wertverlust noch Auskehrung oder Separierung des Verwertungserlöses selbst verlangen. Das Ergebnis wird gestützt vom Telos des § 54 Abs. 2 StaRUG: Der Gläubiger soll vor einem Rechtsverlust bewahrt werden, aber es sollen ihm nicht mehr Rechte verschafft werden, als er ohne die Anordnung der Verwertungssperre hätte. Zum Tragen kommt diese Differenzierung z.B. in jenen Fällen, in denen der Schuldner im Wege der Verarbeitung bzw. Veredelung einer beweglichen Sache einen Mehrwert geschaffen hat, der über die Kaufpreisforderung des Warenlieferanten, der unter einfachem Eigentumsvorbehalt geliefert hat, hinausgeht sowie ganz allgemein im Hinblick auf die Marge, die der Schuldner auf den Einkaufspreis für die Ware bei der Weiterveräußerung aufschlägt. Den nicht belasteten Teil des Verwertungserlöses kann der Schuldner für die Betriebsfortführung einsetzen.115

47 Anders als im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 3

InsO i.V.m. §§ 170, 171 InsO sieht § 54 Abs. 2 StaRUG nicht vor, dass der Schuldner einen Teil der Verwertungserlöse zur Abdeckung der Verwertungskosten einbehalten bzw. vereinnahmen darf. Es hängt vielmehr von der vertraglichen Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger ab, in welchem Umfang der Schuldner einen Kostenbeitrag erhält.116

d) Fälligkeit der Verpflichtung zur Auskehrung bzw. Separierung 48 Die Verpflichtung zur Auskehrung bzw. Separierung der Verwertungserlöse ist gem. § 271

Abs. 1 BGB grundsätzlich sofort fällig, d.h. im Zeitpunkt des Erhalts der Verwertungserlöse.117 Auch ist dem Schuldner keine angemessene Zeit zur Prüfung der Wirksamkeit der Sicherungsrechte zuzugestehen.118 Die Verwertungssperre kommt für den Schuldner nicht überraschend, sondern sie wird auf seinen Antrag hin erlassen. Er konnte sich darauf also vorbereiten und rechtzeitig prüfen, welchem Gläubiger Sicherungsrechte an Forderungen oder beweglichen Sachen zustehen. Soweit Zweifel an der eindeutigen Bestimmung des Berechtigten bestehen, ist der Schuldner jedenfalls dazu verpflichtet, die Erlöse sofort zugunsten der noch abschließend zu bestätigenden Berechtigten zu separieren. Entscheidet sich der Schuldner für eine Auskehrung der Erlöse, ist er nicht dazu verpflichtet, eine Direktzahlung der Verwertungserlöse vom Drittschuldner der eingezogenen Forderung bzw. vom Erwerber der veräußerten bzw. verarbeiteten Sache an den Berechtigten zu veranlassen. Er muss lediglich unmittelbar weiterleiten. Anders stellt sich die Situation dar, wenn der Schuldner sich anstelle der Auskehrung für eine unterscheidbare Verwahrung der Verwertungserlöse entscheidet. Unter diesen Umständen hat der Schuldner sicherzustellen, dass die Erlöse von dem zahlenden Dritten unmittelbar auf das zum Zweck der Separierung zugunsten des Berechtigten ein-

114 115 116 117

Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 15. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 15. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 18. A.A. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 14, die in Anlehnung an § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO davon ausgehen, dass die Verpflichtung zur Herausgabe der Erlös unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), zu erfüllen ist. Insoweit fehlt es aber für eine Analogie an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke, vgl. Knauth, NZI 2021, 158, 159. 118 Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 30; Knauth, NZI 2021, 158, 159.

964 | Schönen/Bender

Folgen der Verwertungssperre | Rz. 51 § 54

gerichtete offene Treuhandkonto bzw. direkt an den doppelnützigen Treuhänder eingezogen werden (vgl. Rz. 42 ff.). Es darf also nicht (auch nicht temporär) zu einer Vermischung mit dem sonstigen Vermögen des Schuldners, etwa im Wege der Einziehung auf das allgemeine Geschäftskonto des Schuldners, kommen. Solange die Auskehrung der Verwertungserlöse an den Berechtigten nicht stattgefunden hat, besteht weiterhin ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung und – soweit einschlägig – Anspruch auf Ausgleich von Wertverlust.119 Es bleibt zu klären, ob eine Verpflichtung zur Auskehrung auch bei noch nicht eingetretener 49 Verwertungsreife der betreffenden Sicherheit angenommen werden kann.120 Jedenfalls müssen die Erlöse separiert werden. Aus Sicht des Schuldners ist die Separierung ohnehin gegenüber einer Auskehrung vorzugswürdig, weil er sich so die Chance erhält, nach Abschluss des Restrukturierungsverfahrens ggf. wieder auf die Gelder zugreifen zu können. Dieser Fall ist zwar nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Wenn der Schuldner jedoch nach Maßgabe der Vereinbarungen mit dem Gläubiger Einziehungen, Veräußerungen oder Verarbeitungen vorgenommen und das Restrukturierungsverfahren zu einem erfolgreichen Abschluss geführt hat, ist nicht ersichtlich, warum dem Berechtigten die Verwertungserlöse auch nach Wegfall der Stabilisierungsanordnung und Beendigung des Restrukturierungsverfahrens noch zustehen und sie weiterhin zu seinen Gunsten separiert bleiben sollten. Weniger eindeutig ist die Rechtslage in dem Fall, dass das Restrukturierungsverfahren nicht erfolgreich beendet wird, sondern scheitert, es aber auch nicht (unmittelbar) zu einem Antrag auf Insolvenz über das Vermögen des Schuldners kommt. Ob die Separierung der Verwertungserlöse, die ja gerade dazu dient, die Interessen der betroffenen Gläubiger in einem sich etwaig anschließenden Insolvenzverfahren zu schützen, unter diesen Umständen noch eine gewisse Zeit (womöglich bis zur nachhaltigen Sanierung (?)) fortzudauern hat, ist unklar. Sollte Verwertungsreife der zugrunde liegenden Sicherheiten eingetreten sein, spricht dies für eine Verpflichtung zur Auskehrung der separierten Erlöse an den Berechtigten. Um im Übrigen Unklarheiten zu vermeiden, bietet es sich an, auch diesen Punkt zu regeln, wenn eine Verwertungsvereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger nach § 54 Abs. 2 StaRUG zustande kommt. e) Anspruch auf Abrechnung

Wie bei einer Verwertung von beweglichen Sachen oder Forderungen seitens eines Insolvenz- 50 verwalters, die zu einer Erlösherausgabepflicht nach § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO an den betreffenden Gläubiger führt, hat ein Gläubiger auch im Rahmen eines Restrukturierungsverfahrens, in dem der Schuldner Forderungen einzieht oder bewegliche Sachen veräußert, an denen dem Gläubiger Ab- oder Aussonderungsrechte zustehen, einen Anspruch auf Rechnungslegung.121

5. Abweichende Vereinbarung a) Allgemeines Die Regelung des § 54 Abs. 2 StaRUG hat für den Schuldner zur Folge, dass er die Erlöse aus 51 der Einziehung von Forderungen oder der Veräußerung bzw. Verarbeitung von beweglichen Sachen nicht (oder zumindest nicht vollumfänglich, vgl. Rz. 46) für die Aufrechterhaltung sei-

119 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 14, die aber nur den Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung ausdrücklich erwähnen; zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Teilsatz 4 InsO i.V.m. § 170 InsO: Lütcke in BeckOK/InsR, § 170 InsO Rz. 11 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022). 120 Vgl. Knauth, NZI 2021, 158, 159. 121 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 15; zu § 170 InsO: BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 96/06, DB 2008, 1910 = MDR 2008, 1111 = ZIP 2008, 1638 = NZI 2008, 558 Rz. 11; Lütcke in BeckOK/InsR, § 170 InsO Rz. 12 (Stand: 27. Ed. 15.4.2022).

Schönen/Bender | 965

§ 54 Rz. 51 | Folgen der Verwertungssperre nes Geschäftsbetriebs einsetzen kann, wenn es sich hierbei um zur Sicherheit abgetretene Forderungen bzw. bewegliche Sachen handelt, an denen in einem Insolvenzverfahren Ab- bzw. Aussonderungsrechte bestünden (wie z.B. unter Eigentumsvorbehalt gelieferte und noch nicht vollständig bezahlte Ware und sicherungsübereignete Warenlager). Das führt regelmäßig dazu, dass dem Schuldner ein relevanter Teil der für den Betrieb erforderlichen Liquidität fehlt und die Prämissen seiner Liquiditätsplanung in einem entscheidenden Punkt nicht mehr zutreffen. Schlimmstenfalls gerät die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners in Gefahr. Eine Stabilisierungsanordnung, die eigentlich dazu dienen soll, die von Eingriffen der Gläubiger möglichst ungestörte Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs auch während eines Restrukturierungsverfahrens zu ermöglichen, kann so einen gegenteiligen Effekt haben. 52 Um diesem Ergebnis vorzubeugen, ist der Schuldner gut beraten, eine Verwertungssperre nur

zu beantragen, wenn er zuvor eine von § 54 Abs. 2 StaRUG abweichende Vereinbarung mit den von der Anordnung betroffenen Gläubigern getroffen hat, die es ihm erlaubt, den für seinen laufenden Geschäftsbetrieb benötigten Teil der Erlöse für eigene Zwecke einzusetzen.122 Es ist dem Schuldner freilich unbenommen, erst nach der Anordnung der Verwertungssperre eine abweichende Vereinbarung mit dem betreffenden Gläubiger zu treffen.123 Aus Sicht des Schuldners ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die bloße Einziehungs-, Veräußerungsoder Verarbeitungsermächtigung des Gläubigers gerade nicht ausreicht, damit der Schuldner die unter Einsatz dieser Ermächtigung erzielten Erlöse auch für seinen Geschäftsbetrieb nutzen kann.124 Soweit der Schuldner mit dem nach § 54 Abs. 2 StaRUG Berechtigten eine entsprechende Vereinbarung trifft, ist er nicht zur Auskehrung oder Separierung der Verwertungserlöse verpflichtet (§ 54 Abs. 2 letzter Halbsatz StaRUG). Die Vereinbarung wird teilweise in Anlehnung an den unechten Massekredit im Insolvenzeröffnungsverfahren125 als unechter Restrukturierungskredit bezeichnet.126 Die Bezeichnung als unechter Kredit rührt daher, dass kein „frisches Geld“ zur Verfügung gestellt wird, sondern eine Kreditierung von Sicherheitenerlösen stattfindet.127 Die Rechtsnatur dieses unechten Restrukturierungskredits betreffend stellen sich die gleichen Fragen wie beim unechten Massekredit.128 Unter anderem wird diskutiert, ob es sich um ein Gelddarlehen i.S.v. § 488 BGB oder – zumindest bei Erlösen aus sicherungsübereigneten Sachen – um ein Sachdarlehen i.S.v. § 607 BGB handelt. Da der Gläubiger dem Schuldner im Rahmen des unechten Restrukturierungskredits nicht nur die Verfügung über bewegliche Sachen sondern unter Umständen auch über Forderungen gestattet, passt § 607 BGB nicht uneingeschränkt, der die Überlassung von (vertretbaren) Sachen zum Gegenstand hat (vgl. § 607 Abs. 1 BGB). Außerdem überlässt der Gläubiger dem Schuldner nicht das Eigentum an den Sachen. Letztlich erscheint vor diesem Hintergrund die Einord-

122 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 20; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 16; Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 16; Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 31; Knauth, NZI 2021, 158, 161; Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 44. 123 Mock in BeckOK/StaRUG, § 54 StaRUG Rz. 14 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 124 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 11; Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 44; a.A. Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 54 StaRUG Rz. 17 f. 125 Ausführlich zum unechten Massekredit Warneke/Braun in Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 4 Rz. 32 ff. und 46 ff.; Ganter, NZI 2020, 249, 252; Huber, NZI 2014, 439, 443; Madaus/Knauth, ZIP 2018, 149; Trowski, WM 2014, 1257. 126 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 21; Knauth, NZI 2021, 158, 161; Trowski, NZI 2021, 297, 299 f.; Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 45. 127 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 21; Ganter, NZI 2020, 249, 250; Knauth, NZI 2021, 158, 161; Trowski, NZI 2021, 297, 300; Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 45. 128 Ausführlich zur Rechtsnatur des unechten Massedarlehens und zum Verhältnis des Altkredits zum Neukredit: Warneke/Braun in Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 4 Rz. 35 ff.; Ganter, NZI 2020, 249, 254 f.

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Folgen der Verwertungssperre | Rz. 56 § 54

nung als Gelddarlehen vorzugswürdig.129 Anstelle eines Darlehensvertrages könnten der Schuldner und der Berechtigte grundsätzlich auch eine Stundung des sich aus § 54 Abs. 2 StaRUG ergebenden Anspruchs des Berechtigten auf Auskehrung der Erlöse vereinbaren.130 Ein entscheidender Unterschied zwischen dem unechten Restrukturierungskredit und dem 53 unechten Massekredit im Rahmen eines Insolvenzeröffnungsverfahrens besteht darin, dass der Anspruch des Berechtigten aus dem unechten Restrukturierungsdarlehen nicht im Wege einer Anordnung des Restrukturierungsgerichts zu einer in einem sich etwaig anschließenden Insolvenzverfahren vorrangig zu bedienenden Masseverbindlichkeit erhoben werden kann.131 Im Insolvenzeröffnungsverfahren besteht die Möglichkeit, dies im Wege einer (Einzel-)Ermächtigung des Insolvenzgerichts selbst in den Fällen zu erreichen, in denen kein starker Insolvenzverwalter (vgl. § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO) bestellt worden ist.132 Der deutsche Gesetzgeber hat sich dagegen entschieden, von der in Art. 17 Abs. 4 Restrukturierungs-RL vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, wonach Kreditgebern von Zwischenfinanzierungen per Gesetz in späteren Insolvenzverfahren ein Vorrang gegenüber anderen Gläubigern eingeräumt werden kann, die anderenfalls höher- oder gleichrangige Forderungen hätten.133 Der Gläubiger mag ein Interesse daran haben, dass er im Rahmen der Vereinbarung über den 54 unechten Restrukturierungskredit die Verwertungserlöse nicht vollumfänglich für die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs des Schuldners zur Verfügung stellt, sondern einen Teil der Erlöse zur Rückführung seiner Forderungen erhält.134 Ob dies für den Schuldner auf Basis seiner Liquiditätsplanung darstellbar ist und die Vereinnahmung von Teilzahlungen ohne erhöhte Anfechtungsrisiken für den Gläubiger möglich ist, wird im jeweiligen Einzelfall zu klären sein. b) (Neue) Sicherheiten Der Berechtigte wird bei der Verhandlung und dem Abschluss der abweichenden Verein- 55 barung i.S.v. § 54 Abs. 2 letzter Halbsatz StaRUG darauf hinwirken, im Gegenzug für die von ihm für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs bereitgestellten Verwertungserlöse neue Sicherheiten zu erhalten, um sein Ausfallrisiko in einem Insolvenzszenario zu reduzieren bzw. zumindest auf dem bisherigen Niveau zu halten.135 Bei revolvierenden Sicherheiten erstreckt sich die Sicherungsabrede ohnehin auch bereits auf 56 die künftig im Rahmen der Betriebsfortführung erworbenen Forderungen oder beweglichen Sachen des Schuldners. Insoweit können die neu entstehenden und von der Globalzession erfassten Forderungen bzw. die in das zur Sicherheit übereignete Warenlager zusätzlich verbrachten Sachen aber angesichts der Krise des Schuldners einem erhöhten Anfechtungsrisiko unterliegen (vgl. Rz. 57 ff.). Daher können die bestehenden Sicherheitenverträge grundsätzlich fortgeführt werden. Ggf. müsste im Wege entsprechender Nachtragsvereinbarung und Anpassung des Sicherungszwecks sichergestellt werden, dass die Ansprüche des Gläubigers

129 Warneke/Braun in Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 4 Rz. 35. 130 Vgl. zum unechten Massekredit und der Ausgestaltung im Wege der Stundung von Erlösherausgabeansprüchen: Henkel in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 3.B.IV. Rz. 59. 131 Vgl. Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 45; Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 39 f. 132 Vgl. für das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren § 270c Abs. 4 Satz 1 InsO und im nicht auf eine Eigenverwaltung zielenden Eröffnungsverfahren: BGH v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, BGHZ 220, 243 Rz. 15 = DB 2018, 3043 = MDR 2019, 186 = ZIP 2018, 2488 = NZI 2019, 236, wobei die Rechtsgrundlage einer solchen Ermächtigung § 22 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO ist. 133 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 27; Knauth, NZI 2021, 158, 162; ausführlich zu Art. 17 Abs. 4 RestrukturierungsRL: Parzinger, ZIP 2019, 1748 ff. 134 Vgl. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 19 f. 135 Vgl. Streeck in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 18.

Schönen/Bender | 967

§ 54 Rz. 56 | Folgen der Verwertungssperre aus dem unechten Restrukturierungskredit ebenfalls durch die künftig neu erworbenen und zur Sicherheit abgetretenen Forderungen bzw. sicherungsübereigneten Sachen abgesichert sind.136 Alternativ wäre daran zu denken, dass der Schuldner die ihm aus den bestehenden Sicherheitenverträgen zukommenden Herausgabeansprüche zur Absicherung der Ansprüche aus dem unechten Restrukturierungskreditvertrag an die Gläubiger abtritt. Auf diese Weise könnten die bestehenden Sicherheitenverträge unangetastet bleiben und es würden die in Krisensituationen wegen anfechtungsrechtlicher Unwägbarkeiten unliebsamen Änderungsverträge zu bestehenden Sicherheitenverträgen vermieden. Ob der Schuldner jenseits der bestehenden Sicherheiten weitere Sicherheiten zur Verfügung stellen kann, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.137 Auch insoweit können sich Anfechtungsrisiken ergeben (vgl. Rz. 57 ff.). c) Insolvenzanfechtungsrisiken aus Gläubigersicht 57 Aus Sicht des Gläubigers, der im Rahmen einer abweichenden Vereinbarung i.S.v. § 54 Abs. 2

StaRUG einen unechten Restrukturierungskredit gewährt, stellt sich die Frage, ob neue Sicherheiten, die der Gläubiger während des laufenden Restrukturierungsverfahrens aufgrund von in der Vergangenheit bereits vereinbarten revolvierenden Sicherheiten vereinnahmt, einem (erhöhten) Anfechtungsrisiko ausgesetzt sind. Die Situation ist vergleichbar mit jener beim unechten Massekredit im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens.138 Zwar wird eine Anfechtung wegen kongruenter Deckung139 bei der Hereinnahme neuer Sicherungsgegenstände aufgrund bestehender revolvierender Sicherheiten nach § 130 Abs. 1 InsO im Restrukturierungsverfahren typischerweise gerade nicht einschlägig sein. Denn eine Stabilisierungsanordnung kommt bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners im Grundsatz nicht in Betracht140 und der Gläubiger kann dementsprechend auch keine Kenntnis von einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit haben (§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO).141 Außerdem ist – anders als beim unechten Massekredit im Insolvenzeröffnungsverfahren142 – auch kein Insolvenzantrag gestellt worden, von dem der Gläubiger Kenntnis haben könnte (§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO). Anfechtungsrisiken könnten sich aber insbesondere aufgrund einer Vorsatzanfechtung gem. § 133 Abs. 1–3 InsO ergeben. Entsprechendes gilt für den Fall, dass dem Gläubiger im Gegenzug für die Einräumung des unechten Restrukturierungskredits zusätzliche Sicherheiten zur Verfügung gestellt werden. Auch insoweit stellt sich die Frage der Anfechtbarkeit im Insolvenzszenario.

58 In diesem Zusammenhang gilt es zu berücksichtigen, dass Insolvenzanfechtungsrechte im

Rahmen des StaRUG zum Schutz der Gläubiger und in Umsetzung von Art. 17 Abs. 1 Buchst. a und Art. 18 Abs. 1 Restrukturierungs-RL eine gewisse Einschränkung erfahren ha136 Trowski, WM 2014, 1257, 1262 weist darauf hin, dass es unerheblich sei, ob das ursprünglich ausgereichte Darlehen oder die Ansprüche aus dem unechten Massekredit abgesichert werden, da die Ansprüche wirtschaftlich identisch seien. Letztlich wird die Frage der Formulierung des Sicherungszwecks aber von der im konkreten Fall gewählten Rechtstechnik des unechten Restrukturierungskredits abhängen. 137 Vgl. Trowski, WM 2014, 1257, 1261 ff. 138 Vgl. zum unechten Massekredit: Ganter, NZI 2010, 551, 553. 139 Der BGH hat entschieden, dass aufgrund von Globalzessionen erlangte Sicherungsrechte an künftigen Forderungen als kongruente Deckungen einzuordnen sind (BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, BGHZ 174, 297 = DB 2008, 231 = MDR 2008, 411 = ZIP 2008, 183 = NZI 2008, 89). Für die Sicherungsübereignung von Warenlagern kann insofern nichts anderes gelten, auch wenn dies noch nicht höchstrichterlich entschieden ist (LG Berlin 13.5.2008 – 14 O 438/07, BeckRS 2008, 21380; Borries/ Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 131 InsO Rz. 36 m.w.N.). 140 Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG setzt die Stabilisierungsanordnung vielmehr eine Durchfinanzierung des Schuldners für sechs Monate voraus. 141 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 26. 142 Vgl. Ganter, NZI 2010, 551, 553.

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Folgen der Verwertungssperre | Rz. 59 § 54

ben. Allerdings werden Insolvenzanfechtungsrisiken im Hinblick auf Rechtshandlungen während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache gem. § 89 Abs. 1 StaRUG nur unvollständig143 (und aus Gläubigersicht unzureichend144) ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift gilt lediglich, dass die Annahme von Gläubigerbenachteiligungsvorsatz i.S.v. § 133 InsO nicht allein darauf gestützt werden kann, dass ein an der Rechtshandlung Beteiligter Kenntnis davon hatte, dass die Restrukturierungssache anhängig war oder dass der Schuldner Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch genommen hat. Das schließt nicht aus, dass die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz an andere Umstände geknüpft werden könnte. Die Einschränkung von Insolvenzanfechtungsrechten gem. § 90 Abs. 1 StaRUG betrifft wiederum nur Regelungen eines rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans und Rechtshandlungen, die im Vollzug eines solchen Plans erfolgen. Außerhalb des Plans eingeräumte Zwischenfinanzierungen, die den Zeitraum bis zur Planbestätigung und zum Planvollzug überbrücken sollen, sowie deren Besicherung werden hierdurch gerade nicht privilegiert.145 Für die Gläubiger, die mittels Zurverfügungstellung von ihnen als Sicherheit zugewiesenen Verwertungserlösen die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs im Restrukturierungsverfahren sicherstellen wollen, stellt dies eine Herausforderung dar.

Als zusätzliche Schutzmaßnahme zur Reduzierung von Insolvenzanfechtungsrisiken könnte in 59 Betracht kommen, den unechten Restrukturierungskredit als Brückenfinanzierung bis zum Vorliegen des Ergebnisses einer in Auftrag gegebenen Sanierungsprüfung bzw. eines Sanierungskonzepts und des Abschlusses der Verhandlungen zur Umsetzung der Sanierungsfinanzierung auszugestalten.146 So hat der BGH entschieden, dass eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners i.S.v. § 133 InsO und eine entsprechende Kenntnis des Gläubigers auch dann ausgeschlossen sein können, wenn lediglich ein Überbrückungskredit gewährt wurde, der nicht die Qualität eines Sanierungsversuchs erreicht.147 Um den Anforderungen an einen Brückenkredit zu genügen, müsste die Bereitstellung der Verwertungserlöse zeitlich befristet erfolgen und zwar zur kurzfristigen Sicherung der Überlebensfähigkeit des Schuldners, damit eine Sanierungsprüfung durch einen unabhängigen Experten erfolgen kann. D.h. insbesondere, vor Einräumung des unechten Restrukturierungskredits müsste ein Sanierungsgutachten gemäß den Anforderungen der Rechtsprechung des BGH148 vom Schuldner in Auftrag gegeben und parallel zum Restrukturierungsverfahren erstellt werden. Das dem Gutachten zugrunde liegende Sanierungskonzept wird dann typischerweise als eine der erforderlichen (finanzwirtschaftlichen) Sanierungsmaßnahmen die einstimmige Annahme oder rechtskräftige Bestätigung des Restrukturierungsplans vorsehen. Daneben müssten auch die sonstigen Anforderun143 Ausführlich zur Reichweite des Schutzes vor Anfechtungsrisiken: Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 24 ff. 144 Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 45; Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 39 ff.; vgl. auch Knauth, NZI 2021, 158, 162. 145 Hoegen/Herding in Flöther, 2021, § 90 StaRUG Rz. 20a; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 23. 146 Bismarck/Schulz/Steiger in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2.B.IX. Rz. 25 ff., 28; in diese Richtung auch Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 25: „Die Grundsätze des ‚Überbrückungsprivilegs‘ dürften sich auf die Zwischenfinanzierung während der Rechtshängigkeit einer Restrukturierungssache übertragen lassen.“; der Sanierungsgutachter wird das finale Sanierungsgutachten typischerweise erst vorlegen, wenn die für die erfolgreiche Umsetzung erforderlichen wesentlichen Sanierungsbeiträge Dritter (wie insbesondere der Finanzierer) verbindlich zugesagt sind. Übertragen auf das Restrukturierungsverfahren kann dies bedeuten, dass alle Planbetroffenen den Plan angenommen haben oder eine rechtskräftige gerichtliche Planbestätigung vorliegen müsste. 147 BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248, 252 = DB 1998, 817 (allerdings ohne nähere Ausführungen zu den Anforderungen an die Privilegierung eines Überbrückungskredits). 148 Statt aller BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ECLI:DE:BGH:2016:120516UIXZR65.14.0, BGHZ 210, 249 Rz. 15 ff. = DB 2016, 1490 = MDR 2016, 852 = ZIP 2016, 1235 = NZI 2016, 636.

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§ 54 Rz. 59 | Folgen der Verwertungssperre gen an eine Brückenfinanzierung erfüllt sein – wie insbesondere eine unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls angemessene Laufzeit der Überbrückungsfinanzierung149 (was einen realistischen Zeitplan für den erfolgreichen Abschluss des Restrukturierungsvorhabens voraussetzt), die (möglichst gutachterlich bestätigte) Durchfinanzierung des Schuldners bis zum voraussichtlichen Zeitpunkt des erfolgreichen Abschlusses des Restrukturierungsvorhabens und keine ernsthaften Zweifel an der Sanierungsfähigkeit des Schuldners.150 60 Anders als beim unechten Massekredit151 können Anfechtungsrisiken nicht dadurch reduziert

werden, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter einen Vertrauenstatbestand schafft, der einer späteren Anfechtung entgegensteht,152 oder von Seiten des Gerichts die Begründung von Masseverbindlichkeiten gestattet wird153 (vgl. Rz. 53). Anfechtungsrisiken können aber beim unechten Restrukturierungskredit ebenso wie beim unechten Massedarlehen unter Umständen dadurch weitgehend ausgeschlossen werden, dass das Bargeschäftsprivileg nach § 142 InsO zur Anwendung gebracht wird. Das setzt voraus, dass im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Entstehung neuer Sicherungsrechte des Gläubigers eine gleichwertige Gegenleistung in das Vermögen des Schuldners gelangt. Nach im Schrifttum vertretener Auffassung könne dieses Ergebnis dadurch erreicht werden, dass der Gläubiger dem Schuldner die Befugnis, Verwertungserlöse zum Zwecke der Betriebsfortführung zu verbrauchen, nur insoweit einräumt, wie durch die Betriebsfortführung neue Forderungen entstehen, die unter Anlegung solider kaufmännischer Gepflogenheiten als werthaltig zu betrachten sind.154 Auf diese Weise soll die rechtsgeschäftliche Verknüpfung zwischen Leistung und Gegenleistung geschaffen und ein gleichwertiger Leistungsaustausch erreicht werden. Höchstrichterlich bestätigt ist diese Auffassung bislang nicht. d) Haftungsrisiken aus Gläubigersicht

61 Die Einräumung eines unechten Restrukturierungskredits kann für die Gläubiger unter Um-

ständen mit Haftungsrisiken wegen der Beteiligung an einer Insolvenzverschleppung nach § 826 BGB (sog. Lender Liability) einhergehen.155 Auch dieses Risiko wird durch § 89 Abs. 1 149 Vgl. BGH v. 7.3.2017 – XI ZR 571/15, ECLI:DE:BGH:2017:070317BXIZR571.15.0, ZIP 2017, 809 = NZI 2017, 507. 150 Ausführlich zu den Anforderungen an eine Brückenfinanzierung: Kemper in Buth/Hermanns, RSI, 5. Aufl. 2022, 1. Teil § 3 Rz. 24 ff.; Sax/Amer in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, Anhang 1 Rz. 451 ff. 151 Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Anfechtung einer Rechtshandlung des vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt ausgeschlossen, wenn er durch sein Handeln einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand gesetzt hat und der Empfänger der Leistung demzufolge nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) damit rechnen durfte, ein auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr entziehbares Recht erhalten zu haben (BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, BGHZ 165, 283 Rz. 11 = NJW 2006, 1134 = DB 2006, 497 = MDR 2006, 650 = ZIP 2006, 431; vgl. auch BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, BGHZ 161, 315 = MDR 2005, 712 = ZIP 2005, 314 = NZI 2005, 218 zum Vertrauenstatbestand bei vorbehaltloser Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Erfüllung von Altverbindlichkeiten durch den Schuldner). 152 Vgl. Knauth, NZI 2021, 158, 162, der darauf hinweist, dass Überlegungen zum Vertrauensschutz beim unechten Restrukturierungskredit von vornherein nicht greifen. 153 Schönfelder in Flöther, 2022, § 54 StaRUG Rz. 39 f. 154 Ganter, NZI 2010, 551, 553; Ganter, NZI 2020, 249, 252 f.; Trowski, WM 2014 1257, 1262; zurückhaltend Knauth, NZI 2021, 158, 162. 155 Der Vorwurf sittenwidrigen Handelns eines Kreditgebers zum Schaden anderer Gläubiger kann nach der Rechtsprechung des BGH insbesondere begründet sein, wenn der Kreditgeber die Insolvenz des Unternehmens aus eigensüchtigen Beweggründen hinausschiebt, obwohl für den Kreditgeber abzusehen ist, dass die ergriffenen Stützungsmaßnahmen den Zusammenbruch allenfalls verzögern, aber nicht auf Dauer verhindern können; statt aller: BGH v. 11.11.1985 – II ZR 109/84, BGHZ 96, 231 = NJW 1986, 837 = AG 1986, 76 = DB 1986, 160 = MDR 1986, 292 = ZIP 1986, 14; BGH v.

970 | Schönen/Bender

Vertragsrechtliche Wirkungen | § 55

StaRUG nur teilweise ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift gilt lediglich, dass die Annahme eines sittenwidrigen Beitrags zur Insolvenzverschleppung nicht allein darauf gestützt werden kann, dass ein an der Rechtshandlung Beteiligter Kenntnis davon hatte, dass die Restrukturierungssache anhängig war oder dass der Schuldner Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch genommen hat. Das schließt nicht aus, dass der Sittenwidrigkeitsvorwurf an andere Umstände geknüpft werden könnte. Insoweit bietet sich grundsätzlich die Ausgestaltung des unechten Restrukturierungskredits als Überbrückungskredit an (vgl. Rz. 59), um das Risiko einer Haftung nach § 826 BGB möglichst zu vermeiden.156

VI. Haftung der Geschäftsleiter Ein Verstoß gegen die Vorgaben des § 54 Abs. 2 StaRUG betreffend die Auskehrung bzw. Se- 62 parierung von Verwertungserlösen führt zu einem persönlichen Haftungsrisiko für den Geschäftsleiter, wenn es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (ab 1.1.2024: rechtsfähige Personengesellschaft)157 i.S.d. § 15a Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 InsO handelt. Unter diesen Umständen ist der Geschäftsleiter den von der Verwertungssperre betroffenen Gläubigern gem. § 57 Satz 3 i.V.m. Satz 1 StaRUG zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese durch die nicht ordnungsgemäße Auskehrung bzw. Separierung von Verwertungserlösen erleiden. Dies gilt allerdings nicht, wenn den Geschäftsleiter kein Verschulden trifft (§ 57 Satz 3 i.V.m. Satz 2 StaRUG). Das Verschulden wird also widerleglich vermutet.158 Die Darlegungs- und Beweislast für das fehlende Verschulden liegt beim Geschäftsleiter, der sich insoweit entlasten muss. Gemäß § 57 Satz 4 i.V.m. § 43 Abs. 3 StaRUG verjähren die Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsleiter nach § 57 StaRUG grundsätzlich in fünf Jahren und bei börsennotierten Gesellschaften in zehn Jahren.

§ 55 Vertragsrechtliche Wirkungen (1) 1Ist der Schuldner zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung einem Gläubiger etwas aus einem Vertrag schuldig, so kann der Gläubiger nicht allein wegen der rückständigen Leistung eine ihm im Anordnungszeitraum obliegende Leistung verweigern oder Vertragsbeendigungs- oder -abänderungsrechte geltend machen; unberührt bleibt das Recht des Gläubigers, die Erbringung des Teils der ihm obliegenden Gegenleistung zu verweigern, der auf die rückständige Leistung des Schuldners entfällt. 2Ergehen Folge- oder Neuanordnungen, ist der Zeitpunkt der Erstanordnung maßgeblich. 9.7.1979 – II ZR 211/76, NJW 1979, 1829, 1831; BGH v. 9.12.1969 – VI ZR 50/68, NJW 1970, 657, 658; zurückgehend auf das Grundsatzurteil: BGH v. 9.7.1953 – IV ZR 242/52, BGHZ 10, 228 = NJW 1953, 1665 = MDR 1980, 126; zum Ganzen: Oechsler in Staudinger, Neubearb. 2021, § 826 BGB Rz. 483 ff. 156 Vgl. Sax/Amer in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, Anhang 1 Rz. 451 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl. 2016, Rz. 5.140 m.w.N.; vgl. auch BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561, 1564 = DB 1998, 817 = ZIP 1998, 248 (zum Gläubigerbenachteiligungsvorsatz im Rahmen von § 31 KO und ohne nähere Ausführungen zu den Anforderungen an die Privilegierung eines Überbrückungskredits). 157 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). 158 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 28; Streeck in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 54 StaRUG Rz. 17.

Schönen/Bender | 971

§ 55 Rz. 1 | Vertragsrechtliche Wirkungen (2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Schuldner für die Fortführung des Unternehmens nicht auf die dem Gläubiger obliegende Leistung angewiesen ist. (3) 1Ist der Gläubiger vorleistungspflichtig, hat er das Recht, die ihm obliegende Leistung gegen Sicherheitsleistung oder Zug um Zug gegen die dem Schuldner obliegende Leistung zu erbringen. 2Absatz 1 berührt nicht das Recht von Darlehensgebern, den Darlehensvertrag vor der Auszahlung des Darlehens wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners oder der Werthaltigkeit der für das Darlehen gestellten Sicherheit zu kündigen (§ 490 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). 3Satz 2 gilt auch für andere Kreditzusagen. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historie und EU-Richtlinien-Grundlage Einschränkung von Leistungsstörungsrechten (§ 55 Abs. 1 und 2 StaRUG) . . . 1. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . a) Zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Etwas aus einem Vertrag schuldig . . . . c) Rückständige Leistung . . . . . . . . . . . . . d) Angewiesenheit des Schuldners auf die Leistung für die Fortführung des Unternehmens (§ 55 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . 2. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einschränkung von Leistungsverweigerungs- und Vertragsbeendigungs- bzw. Vertragsabänderungsrechten . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 6 9 11 11 11 13 14 19 23 24 24 24

V. VI.

1. 2.

bb) Leistungsverweigerungsrechte . . . cc) Vertragsbeendigungs- bzw. Vertragsabänderungsrechte . . . . . . . . . b) Unzulässigkeit der Anknüpfung allein an die rückständige Leistung . . . . . . . . c) Nutzungsausfallentschädigung und Ausgleich für Wertverlust analog § 54 Abs. 1 Satz 1 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . Vorleistungspflichtige Gläubiger (§ 55 Abs. 3 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . Das Kündigungsrecht nach § 490 Abs. 1 BGB beim Darlehensvertrag und anderen Kreditzusagen (§ 55 Abs. 3 Satz 2 und 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis des Kündigungsrechts nach § 490 Abs. 1 BGB zu § 55 Abs. 1 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andere Kreditzusagen . . . . . . . . . . . . . . .

28 30 33 35 36

39 40 43

Schrifttum: Bork, Neue Grundfragen des Restrukturierungsrechts, ZRI 2021, 345; Cranshaw/Portisch, Paradigmen des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) nach dem Regierungsentwurf aus Gläubigersicht – Teil 2, ZInsO, 2020, 2617; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Frind, Nutzen und Grenzen der Stabilisierungsanordnung im StaRUG-Verfahren aus gerichtlicher Sicht, ZRI 2021, 697; Naujoks/Schönen, Die Anpassung von Einzelbestimmungen in Finanzierungsverträgen nach dem StaRUG, ZRI 2021, 437; Riggert, Allgemeine Grundsätze der Stabilisierung nach dem StaRUG, NZIBeilage 2021, 40; Schneider/Loszynski, Die Stabilisierungsanordnung nach dem StaRUG-RegE, SanB 2020, 136; Schönfelder, Kreditvertragliche Kündigungsrechte im StaRUG-Verfahren – Viel Lärm um nichts?, WM 2022, 361; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Thole, Stabilisierung und vertragsrechtliche Wirkungen des StaRUG, ZRI 2021, 231.

I. Regelungsgegenstand 1 § 55 StaRUG schränkt die Rechte der Gläubiger zur Leistungsverweigerung, Vertragsbeendi-

gung und -abänderung für den Fall, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung mit einer vertraglich geschuldeten Leistung im Rückstand ist, während der Dauer einer Stabilisierungsanordnung gem. § 49 Abs. 1 StaRUG ein. Auf diese Weise werden der 972 | Schönen/Bender

Vertragsrechtliche Wirkungen | Rz. 4 § 55

Stabilisierungsanordnung neben der Sperre der Vollstreckung und Verwertung gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StaRUG vertragsrechtliche Wirkungen verschafft. § 55 StaRUG tritt insoweit neben § 44 StaRUG und ist im Zusammenhang mit diesem zu sehen.1 § 44 StaRUG gilt bereits ab dem Zeitpunkt der Anzeige der Restrukturierungssache beim Restrukturierungsgericht und sieht in § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 StaRUG vor, dass der Schuldner ein Vertragsbeendigungs- oder Leistungsverweigerungsrecht nicht ohne weiteres auf die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache (§ 31 Abs. 1 und 3 StaRUG) oder die Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens i.S.v. § 29 Abs. 2 StaRUG durch den Schuldner stützen kann. Ebenso wenig können diese Umstände gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StaRUG als Grund für die Fälligstellung von Leistungen oder das Verlangen nach einer Vertragsanpassung oder nach einer anderweitigen Gestaltung des Vertrages seitens des Gläubigers dienen. Auch kann die Unwirksamkeit des Vertrages gem. § 44 Abs. 1 Satz 2 StaRUG nicht auf die Rechtshängigkeit oder die Inanspruchnahme von Instrumenten nach § 29 Abs. 2 StaRUG gestützt werden. § 55 StaRUG knüpft demgegenüber an eine Stabilisierungsanordnung an, also ein bestimmtes 2 Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens i.S.v. § 29 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG, das seinerseits die Anzeige der Restrukturierungssache gem. § 31 Abs. 1 StaRUG voraussetzt. § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG regelt, dass ein Gläubiger, dem der Schuldner bereits zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung etwas schuldig war, während der Anordnungsdauer nicht allein wegen der rückständigen Leistung ein Leistungsverweigerungsrecht oder ein Recht zur Vertragsbeendigung oder Vertragsabänderung geltend machen darf. Während also § 44 StaRUG verbietet, Gläubigerrechte zur Leistungsverweigerung, Vertragsbeendigung oder -abänderung auf die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme eines Restrukturierungsinstruments i.S.v. § 29 Abs. 2 StaRUG zu stützen, erweitert § 55 StaRUG diese Einschränkung der gläubigerseitigen Leistungsstörungsrechte, indem ab dem Zeitpunkt einer Stabilisierungsanordnung auch die Anknüpfung an eine bei Erlass der Anordnung2 rückständige Leistung des Schuldners ausscheidet. Diese Wirkung ist auf die Dauer der Stabilisierungsanordnung beschränkt.3 Soweit dem Gläubiger hingegen ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht, das an eine ausste- 3 hende Leistung des Schuldners anknüpft, die im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Leistung des Gläubigers steht, bleibt dessen Ausübung dem Gläubiger auch während der Dauer der Stabilisierungsanordnung unbenommen (§ 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG). Folge- und Neuanordnungen einer Stabilisierung i.S.d. § 52 StaRUG ändern nichts daran, dass der Anwendungsbereich des § 55 Abs. 1 StaRUG nur eröffnet ist, wenn der Schuldner dem Gläubiger bereits im Zeitpunkt des Erlasses der Erstanordnung etwas schuldig war (§ 55 Abs. 1 Satz 2 StaRUG).4 Die Situation zum Zeitpunkt des Erlasses der Folge- oder Neuanordnung ist insoweit irrelevant. Eine Einschränkung der Rechte der Gläubiger zur Leistungsverweigerung, Vertragsbeendi- 4 gung und -abänderung aufgrund einer Stabilisierungsanordnung gem. § 55 Abs. 1 StaRUG findet ausnahmsweise nicht statt, wenn der Schuldner für die Fortführung des Unternehmens nicht auf die Leistung des betreffenden Gläubigers angewiesen ist (§ 55 Abs. 2 StaRUG).

1 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 3; vgl. Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 55 StaRUG Rz. 2. 2 Nach hier vertretener Auffassung muss die Leistung bereits im Zeitpunkt der Anordnung fällig und einredefrei gewesen sein, um als rückständige Leistung i.S.d. § 55 Abs. 1 StaRUG zu gelten, vgl. Rz. 15. 3 Kritisch hierzu Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 3. 4 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158.

Schönen/Bender | 973

§ 55 Rz. 5 | Vertragsrechtliche Wirkungen 5 Bei bestehender Vorleistungspflicht eines Gläubigers hat der Gläubiger gem. § 55 Abs. 3

Satz 1 StaRUG das Recht, seine Leistung nur gegen Sicherheitsleistung oder Zug um Zug gegen die dem Schuldner obliegende Leistung anzubieten. Eine Besonderheit gilt im Hinblick auf Darlehensverträge und anderen Kreditzusagen: In diesen Fällen bleibt das Recht des Gläubigers zur Kündigung des Darlehens wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners gem. § 490 Abs. 1 BGB von der Stabilisierungsanordnung unberührt (§ 55 Abs. 3 Satz 2 und 3 StaRUG). Nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG bleibt das Recht zur Kündigung von Darlehen und sonstigen Kreditzusagen nur so lange erhalten, wie es noch nicht zur Auszahlung gekommen ist. Nach hier vertretener Auffassung kann der Gläubiger unabhängig von der bereits erfolgten Auszahlung Gebrauch von einem Kündigungsrecht gem. § 490 BGB machen, sofern die Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind (vgl. Rz. 41). § 55 Abs. 1 StaRUG entfaltet insoweit keine Sperrwirkung.

II. Normzweck 6 Die Regelung des § 55 StaRUG verschafft einer Stabilisierungsanordnung zum Schutz des

Schuldners und seiner Sanierungsbemühungen5 vertragsrechtliche Wirkungen und schränkt das Recht der Gläubiger zur Leistungsverweigerung, Vertragsbeendigung und -anpassung ein. § 55 StaRUG ergänzt und erweitert die vertragsrechtlichen Wirkungen, die ohnehin bereits ab dem Zeitpunkt der Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens aufgrund von § 44 StaRUG gelten (vgl. Rz. 1). Konkret soll der Schuldner davor geschützt werden, dass ihm die für die Fortführung seines Geschäftsbetriebs benötigten Leistungen allein aufgrund eines Leistungsrückstands auf Seiten des Schuldners vorenthalten werden.6 Zudem soll verhindert werden, dass Gläubiger durch Ausübung von Leistungsstörungsrechten den Schuldner faktisch zur Erbringung von Leistungen zwingen, die zwar durchaus geschuldet sind, aber im Rahmen des Restrukturierungsplans gestaltet bzw. restrukturiert werden sollen.7 Es soll verhindert werden, dass Gläubiger auf diese Weise den Wirkungen des Restrukturierungsplans zuvorkommen, ihre individuellen Rechte durchsetzen und damit das Ziel des Restrukturierungsverfahrens konterkarieren.8

7 Zugleich nimmt die Vorschrift des § 55 StaRUG jedoch auch Rücksicht auf Gläubigerrechte,

indem zum einen nicht vorleistungspflichtigen Gläubigern zugestanden wird, Leistungsverweigerungsrechte insoweit geltend zu machen, wie die im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Leistung des Gläubigers stehende Gegenleistung des Schuldners noch aussteht (§ 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG). Eine Leistungsverweigerung aufgrund von § 320 BGB bleibt dem Gläubiger daher, anders als eine Leistungsverweigerung auf Basis von § 273 BGB, unbenommen.9 Wenn keine Vorleistungspflicht des Gläubigers besteht, soll diese auch nicht durch § 55 StaRUG begründet werden.10 Vorleistungspflichtige Gläubiger können sich demgegenüber auch nach Erlass einer Stabilisierungsanordnung zumindest vor einer Vergrößerung ihres wirtschaftlichen Risikos schützen. Dies stellt § 55 Abs. 3 Satz 1 StaRUG sicher, indem er vorleistungspflichtigen Gläubigern ermöglicht, sich durch Einfordern einer Sicherheitsleistung oder Erbringung ihrer

5 Schröder in Nerlich/Römermann, § 55 StaRUG Rz. 2 (Stand: 44. EL November 2021). 6 Vgl. Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 55 StaRUG Rz. 1; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 1. 7 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 2. 8 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 3; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 1. 9 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 27. 10 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158; vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 55 StaRUG Rz. 10.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Vertragsrechtliche Wirkungen | Rz. 10 § 55

Leistung Zug um Zug zu schützen.11 Denn die Stabilisierungsanordnung soll zwar einer selektiven Befriedigung einzelner Gläubiger vorbeugen, eine Risikoerhöhung zu Lasten von Gläubigern durch Erbringung von weiteren Vorleistungen wäre jedoch mit dem Ziel der Stabilisierungsanordnung, den status quo zu bewahren, nicht vereinbar.12 Mit anderen Worten, der Schutz des Schuldners und seiner Sanierungsbemühungen findet dort seine Grenzen, wo der Gläubiger zur Erhöhung seines Risikos gezwungen würde. Die Einschränkung von Gläubigerrechten ist zudem auf die Geltendmachung derjenigen Rechte beschränkt, die an eine zum Zeitpunkt des Erlasses der Stabilisierungsanordnung (Erstanordnung) ausstehende vertraglich geschuldete Leistung des Schuldners anknüpfen. § 55 Abs. 3 Satz 2 und 3 StaRUG stellen klar, dass die Anordnung einer Stabilisierungsmaß- 8 nahme das Kündigungsrecht des Darlehensgebers nach § 490 Abs. 1 BGB nicht berührt und zwar nicht nur für Darlehen, sondern auch für andere Arten von Kreditzusagen.13

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage Die Vorschrift des § 55 StaRUG beruht auf Art. 7 Abs. 4 der Restrukturierungs-RL,14 der 9 vorgibt, dass die Mitgliedstaaten die an Leistungsstörungen anknüpfenden Rechte von Gläubigern während der Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen teilweise einzuschränken haben. So sollen Gläubiger daran gehindert sein, allein aufgrund der Tatsache, dass der Schuldner auf seine vor der Aussetzung entstandenen Schulden nicht zahlt, Leistungen aus wesentlichen noch zu erfüllenden Verträgen zu verweigern, diese Verträge zu kündigen, vorzeitig fällig zu stellen oder in sonstiger Weise zum Nachteil des Schuldners zu ändern. Wesentliche noch zu erfüllende Verträge sind dabei nach Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 der Restrukturierungs-RL solche, die für die Weiterführung des täglichen Betriebs des Unternehmens erforderlich sind – einschließlich solcher über Lieferungen, deren Aussetzung dazu führen würde, dass die Geschäftstätigkeit des Schuldners zum Erliegen kommt. Von der Möglichkeit, die vertragsrechtlichen Wirkungen nach Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 3 der RestrukturierungsRL auszudehnen auf nicht wesentliche Verträge, hat der deutsche Gesetzgeber abgesehen.15 Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 2 der Restrukturierungs-RL räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, Gläubigern angemessene Schutzvorkehrungen zu bieten, um zu verhindern, dass Gläubiger durch Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 der Restrukturierungs-RL in unangemessener Weise beeinträchtigt werden. Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber Gebrauch gemacht, insbesondere indem er für nicht vorleistungspflichtige Gläubiger die Einrede gem. § 320 BGB aufrechterhält (§ 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG) und für vorleistungspflichtige Gläubiger das Recht auf Sicherheitsleistung bzw. auf Leistungserbringung Zug um Zug unberührt lässt (§ 55 Abs. 3 Satz 1 StaRUG) (vgl. Rz. 7).16 Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens hat die Regelung des § 55 StaRUG verschiedene 10 Änderungen erfahren. Die Regelung in § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StaRUG, wonach das Recht 11 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 2. 12 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 3; Thole, ZRI 2021, 231, 235. 13 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. 14 Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 – im Folgenden: Restrukturierungs-RL; Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 157 f. 15 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 3. 16 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 4.

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§ 55 Rz. 10 | Vertragsrechtliche Wirkungen des nicht vorleistungspflichtigen Gläubigers unberührt bleibt, sich auf § 320 BGB zu berufen, d.h. die Erbringung des Teils der ihm obliegenden Gegenleistung zu verweigern, der auf die rückständige Leistung des Schuldners entfällt, wurde erst mit dem Regierungsentwurf17 eingeführt und war im Referentenentwurf noch nicht zu finden. In Bezug auf vorleistungspflichtige Gläubiger hatte der Referentenentwurf18 in § 62 Abs. 3 Satz 1 StaRUG-RefE noch vorgesehen, dass der Vorleistungspflichtige nach § 321 Abs. 2 Satz 1 BGB eine angemessene Frist bestimmen kann, in welcher der Schuldner Zug um Zug gegen die Leistung nach seiner Wahl die Gegenleistung zu bewirken oder Sicherheit zu leisten hat. Im Regierungsentwurf19 wurde der Wortlaut der Regelung dahingehend geändert, dass vorleistungspflichtigen Gläubigern das Recht zusteht, die ihnen obliegende Leistung nur gegen Sicherheitsleistung oder Zug um Zug gegen die dem Schuldner obliegende Leistung zu erbringen. Der im Regierungsentwurf20 gegenüber dem Referentenentwurf21 neu eingefügte § 55 Abs. 3 Satz 3 StaRUG stellt klar, dass die Aufrechterhaltung der Kündigungsmöglichkeit nach § 490 Abs. 1 BGB auch für andere Arten von Kreditzusagen als Darlehen gilt.

IV. Einschränkung von Leistungsstörungsrechten (§ 55 Abs. 1 und 2 StaRUG) 1. Sachlicher Anwendungsbereich a) Zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung 11 Gemäß § 55 Abs. 1 StaRUG kann der Gläubiger nicht allein wegen der rückständigen Leistung

eine ihm im Anordnungszeitraum obliegende Leistung verweigern oder Vertragsbeendigungsoder -abänderungsrechte geltend machen, wenn der Schuldner dem betreffenden Gläubiger zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung etwas aus einem Vertrag schuldig war. Der Schuldner muss also dem Gläubiger zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung vertraglich etwas schuldig gewesen sein. Maßgeblicher Zeitpunkt könnte grundsätzlich entweder der Zeitpunkt des Erlasses der Stabilisierungsanordnung oder der Zeitpunkt des Zugangs der Stabilisierungsanordnung bei den von ihr betroffenen Gläubigern (§ 51 Abs. 4 Satz 1 StaRUG) bzw. bei öffentlichen Restrukturierungssachen der Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung der Stabilisierungsanordnung (§ 51 Abs. 4 Satz 2 StaRUG i.V.m. § 85 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) sein. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers dürfte auf den Zeitpunkt des Erlasses der Stabilisierungsanordnung abzustellen sein.22 So heißt es in der Gesetzesbegründung: „Der Gläubiger soll nach Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 auch nicht verpflichtet sein, solche Leistungen zu erbringen, welche als Gegenleistung gerade diejenige Leistung des Schuldners abgelten

17 RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 35. 18 RefE SanInsFoG v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (zuletzt abgerufen am 1.5.2022), S. 37. 19 RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 35. 20 RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 36. 21 RefE SanInsFoG v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (zuletzt abgerufen am 1.5.2022), S. 37. 22 Mock in BeckOK/StaRUG, § 55 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 10 unter Hinweis auf den Umstand, dass bei einem erst im Wege der Folge- oder Neuanordnung einbezogenen weiteren Gläubiger gar keine Zustellung der Erstanordnung erfolgt sei, so dass dieser Zeitpunkt schon aus diesem Grund als Anknüpfungspunkt ausscheide; im Ergebnis ebenfalls auf den Erlasszeitpunkt abstellend: Undritz/Knof in HambKomm/ RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 8.

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Vertragsrechtliche Wirkungen | Rz. 14 § 55

sollen, welche der Schuldner vor Erlass der Stabilisierungsanordnung nicht erfüllt hat.“23 Für die Maßgeblichkeit des Erlasszeitpunkts spricht auch der Umstand, dass die Zustellung bzw. Bekanntmachung der Stabilisierungsanordnung voraussetzen, dass zuvor die Anordnung erfolgt ist (vgl. § 51 Abs. 4 StaRUG) und § 55 Abs. 1 StaRUG ausdrücklich an die Anordnung anknüpft. Die Anordnung ist also von der Zustellung bzw. Bekanntmachung zu unterscheiden und dieser vorgelagert. Der Gesetzgeber hätte ausdrücklich auf die Zustellung bzw. Bekanntmachung abstellen müssen, wenn er diesen späteren zeitlichen Anknüpfungspunkt hätte zugrunde legen wollen. Diese Annahme wird auch von der systematischen Auslegung in Zusammenschau mit § 51 Abs. 3 StaRUG gestützt, wonach das Restrukturierungsgericht dem Schuldner eine Frist setzen kann, binnen derer der Restrukturierungsplan vorzulegen ist, wenn „zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung“ kein Restrukturierungsplan vorliegt. Auch hier stellt das Gesetz auf den Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung ab und meint den Zeitpunkt des Erlasses der Stabilisierungsanordnung. Der im Rahmen von § 55 Abs. 1 StaRUG maßgebliche Zeitpunkt für die Frage, ob der Schuld- 12 ner dem Gläubiger etwas schuldig war, als die Stabilisierungsanordnung erging, bleibt auch bei Folge- oder Neuanordnungen unverändert, d.h. es ist weiterhin der Zeitpunkt der Erstanordnung entscheidend (§ 55 Abs. 1 Satz 2 StaRUG). Dies führt zu einem Gleichlauf mit § 2 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 StaRUG.24 Demnach sind all jene Forderungen durch einen Restrukturierungsplan gestaltbar, die im Zeitpunkt der Erstanordnung der Stabilisierungsanordnung begründet waren, vorausgesetzt, es handelt sich um Rechtsverhältnisse, die einer Gestaltung gem. § 4 StaRUG grundsätzlich zugänglich sind.25 b) Etwas aus einem Vertrag schuldig Die Einschränkung vertraglicher Leistungsverweigerungs-, Vertragsbeendigungs- und Ver- 13 tragsabänderungsrechte kommt nur zum Tragen, wenn der Schuldner im Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung „einem Gläubiger etwas aus einem Vertrag schuldig“ war (§ 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Bei richtlinienkonformer Auslegung im Lichte von Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 1 Restrukturierungs-RL sind hiermit vor der Stabilisierungsanordnung „entstandene Schulden“ gemeint. D.h., die Verbindlichkeit des Schuldners muss im Zeitpunkt des Erlasses der Stabilisierungsanordnung bereits begründet sein. Die Begründung muss also vor dem Erlass stattgefunden haben. Hierfür spricht auch die Zusammenschau mit § 2 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 StaRUG, wonach es für die Frage, ob eine Forderung durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden kann, darauf ankommt, ob die Forderung im Zeitpunkt der Erstanordnung der Stabilisierungsmaßnahme gegen den Schuldner bereits „begründet“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG war. Unter diesen Umständen kann die Forderung nicht nur im Rahmen des Restrukturierungsplans umgestaltet werden, sondern es können bereits im Vorfeld die Leistungsstörungsrechte des betreffenden Gläubigers mit Hilfe einer Stabilisierungsanordnung eingeschränkt werden, um die geplante Umgestaltung abzusichern. Es soll verhindert werden, dass der Gläubiger das Restrukturierungsvorhaben im Wege der Geltendmachung von Leistungsstörungsrechten unterläuft.26 c) Rückständige Leistung Vorausgesetzt, dass der Schuldner dem Gläubiger im Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung 14 etwas aus einem Vertrag schuldig war, kann der Gläubiger nicht allein wegen der rückständigen Leistung ein Leistungsverweigerungs-, Vertragsbeendigungs- oder Vertragsabänderungs23 24 25 26

Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 8. Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 6. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 6.

Schönen/Bender | 977

§ 55 Rz. 14 | Vertragsrechtliche Wirkungen recht geltend machen (§ 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Eine rückständige Leistung setzt Fälligkeit der Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner voraus.27 Hinzutreten muss außerdem die Einredefreiheit der Forderung28 und damit Durchsetzbarkeit der Forderung, andernfalls fehlt es an dem Rückstand mit einer Leistung. Hingegen muss nicht bereits Schuldnerverzug i.S.d. § 286 BGB eingetreten sein.29 Die rückständige Leistung muss sich aus der zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung begründeten vertraglichen Schuld ergeben.30 15 Der Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG lässt allerdings keinen eindeutigen Rückschluss

zu, ob eine rückständige Leistung in diesem Sinne nur anzunehmen ist, wenn Fälligkeit und Einredefreiheit bereits im Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung vorlagen.31 Nach einer Auffassung setzt § 55 Abs. 1 StaRUG nicht voraus, dass die vom Schuldner zu erbringende, aber nicht erbrachte Leistung bereits bei Anordnung der Stabilisierung fällig und einredefrei war.32 Die Gesetzesbegründung trifft insoweit zumindest keine ausdrückliche Maßgabe.33 Sie gibt lediglich vor, dass es dem Gläubiger im Fall eines erst nach der Anordnung eintretenden Verzugs unbenommen bleibt, sämtliche Folgen, die sich an einen solchen Verzug im Einzelfall knüpfen können, geltend zu machen.34 Die Einschränkungen des § 55 Abs. 1 StaRUG greifen insoweit also nicht ein. Verzug setzt zwar u.a. Fälligkeit der Leistung voraus (vgl. § 286 Abs. 1 BGB), diese könnte aber auch erst nach der Anordnung eingetreten sein, bevor es im nächsten Schritt zum Verzugseintritt gekommen ist. Insoweit ist die Gesetzesbegründung unergiebig, ob der Eintritt der Fälligkeit nach der Stabilisierungsanordnung ausreicht, um eine rückständige Leistung i.S.d. § 55 Abs. 1 StaRUG und damit einen Ausschluss von daran anknüpfenden Leistungsstörungsrechten anzunehmen.

16 Für das Erfordernis der Fälligkeit bereits im Zeitpunkt der Anordnung spricht zum einen der

Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG, wonach nicht allein aufgrund „der“ rückständigen Leistung Leistungsverweigerungs-, Vertragsbeendigungs- oder Vertragsabänderungsrechte geltend gemacht werden können. Daraus ließe sich ableiten, dass mit „der“ rückständigen Leistung jene Leistung gemeint ist, die der Schuldner im Zeitpunkt der Anordnung schuldig ist. Da ein Rückstand schon begrifflich voraussetzt, dass die Leistung vom Schuldner hätte erbracht werden müssen, was nur bei Fälligkeit und Einredefreiheit der Fall ist, hätten diese Anforderungen also schon bei Anordnung der Stabilisierung vorliegen müssen. Für das Erfordernis der Fälligkeit bei Anordnung spricht zum anderen auch die Erläuterung in der Gesetzesbegründung, wonach § 55 Abs. 1 StaRUG an eine Situation anknüpft, in der der Schuldner einem Gläubiger „zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung“ eine vertraglich geschuldete Leistung „schuldig geblieben ist“.35 Der Anwendungsbereich des § 55 Abs. 1 StaRUG wäre jedenfalls erheblich erweitert, wenn auch erst nach der Anordnung fällig oder einredefrei werdende Forderungen von den Einschränkungen des § 55 Abs. 1 StaRUG erfasst würden, solange sie nur bereits vor der Anordnung

27 Mock in BeckOK/StaRUG, § 55 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 20; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 5. 28 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 5. 29 Schönfelder in Flöther, 2021, § 55 StaRUG Rz. 6; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 5; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 9; Thole, ZIP 2020, 1985, 1994. 30 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 5. 31 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 55 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 20. 32 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 6. 33 Abweichend Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 20, die annehmen, dass sich bereits aus der Gesetzesbegründung ergibt, dass Fälligkeit der Leistung bereits vor der Anordnung eingetreten sein muss. 34 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. 35 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158.

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Vertragsrechtliche Wirkungen | Rz. 18 § 55

begründet wurden. Letztlich erscheint es überzeugender anzunehmen, dass Fälligkeit und Einredefreiheit bereits im Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung vorliegen müssen.36 § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG setzt den Rückstand mit einer vertraglich geschuldeten Leistung 17 voraus. Darunter fällt jedenfalls die Nichterbringung einer vertraglich geschuldeten Geld-, Sach-, Dienst- oder Werkleistung. Der Leistungsbegriff im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs geht aber noch darüber hinaus. Aus § 241 Abs. 1 BGB ergibt sich, dass eine Leistung ein Tun oder Unterlassen zur Erfüllung einer Schuld ist. Darüber hinaus wird der Begriff der Leistung nicht näher erläutert. Die geschuldete Leistung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann nach allgemeiner Meinung in einem bestimmten Verhalten oder in der Herbeiführung eines Erfolgs liegen.37 Soweit § 55 Abs. 1 StaRUG an den Rückstand mit einer Leistung anknüpft, kann darunter sowohl der Rückstand mit einer primären oder sekundären Leistungspflicht als auch der Rückstand mit einer Hauptleistungspflicht ebenso wie mit einer Nebenleistungspflicht gemeint sein,38 sofern dieser Rückstand dem Gläubiger Leistungsverweigerungs-, Vertragsbeendigungs- oder Vertragsabänderungsrechte eröffnet. Nicht erfasst sein dürften hingegen Nebenpflichten, da es sich hierbei um Pflichten handelt, die nicht unmittelbar auf eine Leistung i.S.v. § 241 Abs. 1 BGB gerichtet sind, sondern ein sonstiges Interesse des Gläubigers befriedigen sollen (wie z.B. Schutzpflichten, Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten sowie die sog. leistungssichernden Nebenpflichten).39 Auch bloße Obliegenheiten fallen nicht unter die Leistungen i.S.d. § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG. Denn Obliegenheiten begründen keine Pflicht, sondern deren Missachtung führt lediglich dazu, dass derjenige, dem etwas obliegt, daraus rechtliche Nachteile erleidet.40 Die Frage, ob ein Leistungsrückstand i.S.d. § 55 Abs. 1 StaRUG vorliegt, stellt sich u.a., wenn 18 ein Darlehensnehmer die in einem Darlehensvertrag vorgesehenen Vorgaben betreffend die Einhaltung bestimmter Finanzkennzahlen (sog. financial covenants) verletzt hat. Ist der Darlehensgeber nach Erlass einer Stabilisierungsanordnung daran gehindert, ein Leistungsverweigerungs-, Vertragsbeendigungs- oder Vertragsabänderungsrecht geltend zu machen, wenn es vor der Stabilisierungsanordnung zu einer negativen Abweichung von vertraglich vorgegebenen Finanzkennzahlen gekommen ist? Dagegen spricht, dass der Darlehensnehmer keinen (einklagbaren) Anspruch gegen den Schuldner auf Einhaltung der Finanzkennzahlen hat.41 Es ist gerade kein Rückstand mit einer Leistung eingetreten. Die Stabilisierungsanordnung und die vertragsrechtlichen Wirkungen gem. § 55 Abs. 1 StaRUG schränken daher auch die an die Verfehlung von Finanzkennzahlen anknüpfenden Rechte des Darlehensgebers nicht ein.42 36 Mock in BeckOK/StaRUG, § 55 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der allerdings nur auf die Fälligkeit abstellt, nicht auch auf die Einredefreiheit; Schönfelder in Flöther, 2021, § 55 StaRUG Rz. 8: „Für einen in zeitlicher Hinsicht erst nach Erlass der Stabilisierungsanordnung eintretenden Leistungsrückstand oder Verzug greift die Bestimmung gerade nicht.“; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 20; Thole, ZIP 2020, 1985, 1994: „Es muss aber im Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung schon etwas geschuldet sein, also der Anspruch fällig sein und die Leistung rückständig.“; a.A. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 5 f., die eine nach der Stabilisierungsanordnung eintretende Fälligkeit und Einredefreiheit für ausreichend erachten, solange sich diese auf eine schon bei Anordnung begründete Verbindlichkeit bezieht. 37 Statt aller Bachmann in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 241 BGB Rz. 22. 38 Zu den verschiedenen Kategorien von Leistungspflichten Bachmann in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 241 BGB Rz. 32 ff. 39 Bachmann in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 241 BGB Rz. 39. 40 Bachmann in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 241 BGB Rz. 40. 41 Vgl. Thole, ZRI 2021, 231, 238. 42 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 23 a.E.; so wohl auch Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 13, die die Verletzung von Finanzkennzahlen als tauglichen alternativen Anknüpfungspunkt für ein Kündigungsrecht benennen, das nicht durch § 55 Abs. 1 StaRUG eingeschränkt wird; Thole, ZIP 2020, 1985, 1994; mit dieser Tendenz auch Thole, ZRI 2021, 231, 238, der darauf hinweist, dass die Frage offen ist.

Schönen/Bender | 979

§ 55 Rz. 18 | Vertragsrechtliche Wirkungen Entsprechendes gilt für vergleichbare Vorgaben bzw. vertraglich vorgesehene Verhaltenspflichten in Darlehensverträgen (oder anderen Vertragstypen), die keine Leistungspflichten des Darlehensnehmers gegenüber dem Darlehensgeber begründen, deren Nichteinhaltung aber dem Gläubiger Leistungsverweigerungs-, Vertragsbeendigungs- oder Vertragsabänderungsrechte verschafft.43 An diesem Ergebnis dürfte sich auch nichts in dem Fall ändern, dass der Schuldner im Restrukturierungsplan eine Änderung der diesbezüglichen vertraglichen Regelungen im Rahmen der Anpassung von Einzelbestimmungen des Darlehensvertrages gem. § 2 Abs. 2 StaRUG plant.44 Zwar kann eine Änderung von Einzelbestimmungen nicht nur dazu dienen, für die Zukunft die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auf Basis angepasster Konditionen zu ermöglichen, sondern sie kann auch den Verzicht auf ein in der Vergangenheit bereits eingetretenes Kündigungsrecht beinhalten.45 Allerdings dürfte daraus nicht abzuleiten sein, dass der Anwendungsbereich des § 55 Abs. 1 StaRUG auch auf Leistungsverweigerungs-, Vertragsbeendigungs- oder Vertragsabänderungsrechte der Gläubiger auszuweiten ist, die nicht an eine rückständige Leistung anknüpfen. d) Angewiesenheit des Schuldners auf die Leistung für die Fortführung des Unternehmens (§ 55 Abs. 2 StaRUG) 19 Die Einschränkung von Leistungsverweigerungs-, Vertragsbeendigungs- und Vertragsabän-

derungsrechten nach § 55 Abs. 1 StaRUG greift nicht ein, wenn der Schuldner für die Fortführung des Unternehmens nicht auf die dem Gläubiger obliegende Leistung angewiesen ist (§ 55 Abs. 2 StaRUG). Es handelt sich hierbei um eine Einwendung, die der Gläubiger gegen die Einschränkungen nach § 55 Abs. 1 StaRUG erheben kann.46 Die Darlegungs- und Beweislast für diesen Ausnahmetatbestand liegt angesichts der negativen Formulierung der Regelung beim Gläubiger.47

20 Wenn der Schuldner nicht vorhaben oder gewillt sein sollte, sein Unternehmen überhaupt

fortzuführen, wird dem Gläubiger die Erhebung der Einwendung aus § 55 Abs. 2 StaRUG leicht fallen.48 Denn unter diesen Umständen kann der Schuldner von vornherein nicht auf bestimmte Leistungen für die Fortführung seines Unternehmens angewiesen sein. Dies dürfte aber einen rein theoretischen Fall darstellen. Denn das Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG ist gerade auf eine Fortführung des Unternehmens ausgerichtet und dient der nachhaltigen Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 29 Abs. 1 StaRUG) und der Sicherstellung bzw. Wiederherstellung der Bestandsfähigkeit des Schuldners (§ 14 Abs. 1 StaRUG).

43 So wohl auch Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 13, die die Verletzung von vertraglich vereinbarten Verhaltenspflichten als tauglichen alternativen Anknüpfungspunkt für ein Kündigungsrecht benennen, das nicht durch § 55 Abs. 1 StaRUG eingeschränkt wird. 44 Dies unter Hinweis auf § 32 Abs. 1 Satz 2, § 33 Abs. 2 Nr. 1, Halbs. 2 StaRUG erwägend, aber letztlich offenlassend Thole, ZRI 2021, 231, 238. 45 Esser in Braun, 2021, § 2 StaRUG Rz. 20; Doebert in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 2 StaRUG Rz. 37; Naujoks/Schönen, ZRI 2021, 437, 443; wohl auch Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 2 StaRUG Rz. 77 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); so dürfte wohl auch die Begründung zu § 4 StaRUG-RegE zu verstehen sein, Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 112 („Ausschluss bestehender Kündigungsrechte“). 46 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. 47 Mock in BeckOK/StaRUG, § 55 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, 2021, § 55 StaRUG Rz. 3; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 17; Schröder in Nerlich/Römermann/InsO, § 55 StaRUG Rz. 21 (Stand: 44. EL November 2021); Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 13. 48 Vgl. Riggert in Braun, 2021, § 55 StaRUG Rz. 3.

980 | Schönen/Bender

Vertragsrechtliche Wirkungen | Rz. 22 § 55

Solange die Angewiesenheit des Schuldners auf die Leistung des Gläubigers für die Fortfüh- 21 rung des Unternehmens nicht feststeht, ist im Zweifel davon auszugehen, dass eine entsprechende Angewiesenheit besteht.49 Dies ergibt sich schon aus der negativen Formulierung des § 55 Abs. 2 StaRUG.50 Entscheidend ist, ob der Schuldner bei objektiver Betrachtung auf die Leistung des Gläubigers angewiesen ist; die subjektive Einschätzung des Schuldners ist hingegen nicht maßgeblich.51 Die Annahme einer Angewiesenheit kommt in aller Regel nicht in Betracht, wenn die Leistung des Gläubigers nicht von erheblicher Bedeutung für die Unternehmensfortführung ist.52 Bei der Auslegung des § 55 Abs. 2 StaRUG zur Beantwortung der Frage, welche Leistungen von erheblicher Bedeutung sind, kann eine Parallele zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG bzw. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO und § 135 Abs. 3 InsO gezogen werden.53 So darf sich eine Verwertungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG nur auf Gegenstände des Schuldners beziehen, die zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners von erheblicher Bedeutung sind (vgl. § 49 StaRUG Rz. 63). Da die Ausnahme des § 55 Abs. 2 StaRUG auf einer entsprechenden Regelung in Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 1 der Restrukturierungs-RL beruht,54 ist zudem eine richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift geboten. Nach Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 1 der Restrukturierungs-RL sollen Gläubiger daran gehindert sein, allein aufgrund der Tatsache, dass der Schuldner auf seine vor der Aussetzung entstandenen Schulden nicht zahlt, Leistungen aus wesentlichen noch zu erfüllenden Verträgen zu verweigern, diese Verträge zu kündigen, vorzeitig fällig zu stellen oder in sonstiger Weise zum Nachteil des Schuldners zu ändern. Gemäß Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 der Restrukturierungs-RL sind unter noch zu erfüllenden wesentlichen Verträgen solche zu verstehen, die für die Weiterführung des täglichen Betriebs des Unternehmens erforderlich sind, einschließlich solcher Verträge, deren Aussetzung dazu führen würde, dass die Geschäftstätigkeit des Schuldners zum Erliegen käme. Konkrete Anhaltspunkte dafür, was unter einem wesentlichen Vertrag zu verstehen sein kann, ergeben sich aus ErwGr. 41 der Restrukturierungs-RL, wonach als wesentliche Verträge insbesondere Verträge über „wesentliche Lieferungen wie Gas, Strom, Wasser, Telekommunikation und Kartenzahlungsdienste“ sowie „Miet- und Lizenzverträge, langfristige Lieferverträge und Franchiseverträge“ in Betracht kommen.55 Bei der Beantwortung der Frage, ob der Schuldner auf eine bestimmte Leistung angewiesen 22 ist, sind auch Möglichkeiten zur Ersatzbeschaffung zu berücksichtigen.56 Das heißt nicht, dass schon jede theoretisch in Betracht kommende Ersatzbeschaffung ausreicht, um die Angewiesenheit zu verneinen. Vielmehr muss es sich um eine Möglichkeit zur Ersatzbeschaffung handeln, die innerhalb der hierfür zur Verfügung stehenden Zeit und zu vergleichbaren Konditionen umgesetzt werden kann.57 Entscheidend ist, dass die Ersatzbeschaffung vom Schuldner auf eine Art und Weise umgesetzt werden kann, die die Fortführung seines Unternehmens

49 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. 50 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 17; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 13. 51 Mock in BeckOK/StaRUG, § 55 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); wohl a.A. Frind, ZRI 2021, 697, 703. 52 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. 53 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 18; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 14. 54 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. 55 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 55 StaRUG Rz. 14; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 27; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 14. 56 Dies als offen beschreibend Thole, ZIP 2020, 1985, 1994. 57 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 19; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 15; ähnlich Schröder in Nerlich/Römermann/InsO, § 55 StaRUG Rz. 21 (Stand: 44. EL November 2021), wonach die Angewiesenheit ausscheidet, wenn der Schuldner „ohne größeren Aufwand“ einen Ersatz beschaffen könnte.

Schönen/Bender | 981

§ 55 Rz. 22 | Vertragsrechtliche Wirkungen nicht gefährdet.58 Ein erheblicher zusätzlicher Zeit- und/oder Kostenaufwand wird vor diesem Hintergrund typischerweise zur Folge haben, dass die Möglichkeit der Ersatzbeschaffung nicht berücksichtigungsfähig ist und der Schuldner weiterhin auf die Leistung des von § 55 Abs. 1 StaRUG betroffenen Gläubigers angewiesen ist. Immerhin wird aber dem Gläubiger die Möglichkeit eröffnet, durch Einholung von Angeboten anderer Wettbewerber konkrete Wege zur Ersatzbeschaffung aufzuzeigen und auf diese Weise die Voraussetzungen einer Einwendung nach § 55 Abs. 2 StaRUG darzulegen und ggf. zu beweisen.59

2. Persönlicher Anwendungsbereich 23 Ausgehend vom Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG gilt die Einschränkung von Leis-

tungsstörungsrechten für sämtliche Gläubiger, denen der Schuldner zum Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung etwas schuldig ist. Bei wortlautgetreuer Anwendung der Vorschrift würden sich die vertragsrechtlichen Wirkungen einer Stabilisierungsanordnung also nicht nur auf die von der Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubiger erstrecken. Die Wirkungen wären nicht einmal auf die Planbetroffenen oder wenigstens auf die Gläubiger von gem. §§ 2–4 StaRUG im Rahmen eines Restrukturierungsplans überhaupt gestaltbaren Rechtsverhältnissen beschränkt. Rechtsverhältnisse, die einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan gem. § 4 StaRUG unzugänglich sind (d.h. Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung, Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen und Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO), können von vornherein nicht Gegenstand einer Stabilisierungsanordnung sein (§ 49 Abs. 2 Satz 1 StaRUG). Dementsprechend können sich auch die vertragsrechtlichen Wirkungen einer Stabilisierungsanordnung gem. § 55 Abs. 1 StaRUG nicht auf diese Rechtsverhältnisse erstrecken. Dies ergibt sich schon aus der ausdrücklichen Regelung in § 49 Abs. 2 Satz 1 StaRUG. Soweit es Forderungen und Rechte von Gläubigern betrifft, die zwar generell einer Gestaltung im Plan zugänglich sind, aber von der konkreten Stabilisierungsanordnung nicht berührt werden, erscheint es nicht gerechtfertigt, die Leistungsstörungsrechte dieser Gläubiger zu beschränken, wenn selbst die Stabilisierungsanordnung sie nicht betrifft. Damit verbleibt die Frage, ob die vertragsrechtlichen Wirkungen einer Stabilisierungsanordnung zumindest alle Planbetroffenen des im konkreten Fall verfolgten Restrukturierungsvorhabens erfasst, unabhängig davon, ob sich die Stabilisierungsanordnung gegen diese Gläubiger richtet. Auch dies ist zu verneinen und stattdessen allein auf die Adressaten der jeweiligen Stabilisierungsanordnung abzustellen.60 Nur insoweit hat das Gericht die vom Schuldner beantragte Stabilisierungsanordnung einer Erforderlichkeitsprüfung gem. § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StaRUG auch im Hinblick auf die Auswahl der Adressaten (vgl. § 51 StaRUG Rz. 31 i.V.m. 18) unterzogen. Deswegen ist auch nur insoweit der Eintritt der vertragsrechtlichen Wirkungen gem. § 55 StaRUG gerechtfertigt.

58 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 19; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 15. 59 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 19; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 15. 60 Im Ergebnis ebenso Riggert in Braun, 2021, § 55 StaRUG Rz. 1; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 13; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 5; Schönfelder, WM 2022, 361, 363; a.A. Schneider/Loszynski, SanB 2020, 136, 140, die unter Hinweis auf den Wortlaut des § 55 StaRUG eine Wirkung gegenüber allen Gläubigern annehmen.

982 | Schönen/Bender

Vertragsrechtliche Wirkungen | Rz. 26 § 55

3. Rechtsfolgen a) Einschränkung von Leistungsverweigerungs- und Vertragsbeendigungs- bzw. Vertragsabänderungsrechten aa) Allgemeines Der Erlass einer Stabilisierungsanordnung hat ohne weiteres zur Folge, dass die vertragsrecht- 24 lichen Wirkungen des § 55 StaRUG eintreten und zwar kraft Gesetzes, ohne dass es einer gesonderten diesbezüglichen gerichtlichen Anordnung bedarf.61 Voraussetzung hierfür ist, dass der sachliche und der persönliche Anwendungsbereich des § 55 StaRUG eröffnet ist (vgl. Rz. 11 ff. und 23). Unter diesen Voraussetzungen greifen die in § 55 StaRUG vorgesehenen Einschränkungen betreffend Leistungsverweigerungs-, Vertragsbeendigungs- und Vertragsabänderungsrechte der Gläubiger. Die vertragsrechtlichen Wirkungen des § 55 Abs. 1 StaRUG erfassen dabei nur im Anord- 25 nungszeitraum vom Gläubiger an den Schuldner zu erbringende Leistungen.62 Entscheidend ist, dass die vom Gläubiger zu erbringende Leistung im Anordnungszeitraum fällig wird.63 Mit dem Anordnungszeitraum i.S.d. § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ist die Anordnungsdauer i.S.d. § 53 StaRUG gemeint. Der Anordnungszeitraum der Erstanordnung kann sich durch Folgeanordnungen gem. § 52 Alt. 1 StaRUG verlängern. Im Fall einer Neuanordnung gem. § 52 Alt. 2 StaRUG beginnt ein neuer Anordnungszeitraum zu laufen. Nach Ablauf des Anordnungszeitraums kann der von der Stabilisierungsanordnung betroffene Gläubiger seine Leistungsstörungsrechte wieder geltend machen, ohne dabei durch § 55 Abs. 1 StaRUG beschränkt zu sein. § 55 Abs. 1 StaRUG führt nur zu einer temporären Einschränkung dieser Rechte, nicht aber zu deren Wegfall.64 Solange die Restrukturierungssache rechtshängig ist, gelten aber bei der Ausübung von Leistungsstörungsrechten weiterhin die Beschränkungen des § 44 StaRUG.65 Gläubiger und Schuldner bleibt es unbenommen, vertragliche Leistungsverweigerungs-, Ver- 26 tragsbeendigungs- und Vertragsabänderungsrechte zugunsten des Gläubigers vorzusehen, die (entgegen § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) allein an eine im Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung rückständige Leistung des Schuldners anknüpfen. Vertragliche Regelungen mit diesem Inhalt sind nicht unwirksam, allerdings darf der Gläubiger von diesen Rechten während der Anordnungsdauer einer Stabilisierungsanordnung nach § 55 Abs. 1 StaRUG keinen Gebrauch machen.66 Vor diesem Hintergrund sollten Gläubiger bei der Vertragsgestaltung darauf achten, dass Anknüpfungspunkt für vertragliche Leistungsstörungsrechte insbesondere auch Umstände sind, die über einen bloßen Leistungsrückstand des Schuldners hinausgehen oder davon unabhängig sind (wie z.B. Verletzung von Finanzkennzahlen,67 drohende Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 18 InsO68 oder wesentliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse, die

61 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 1; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 1; Bork, ZRI 2021, 345, 351. 62 Vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 3. 63 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 29. 64 Mock in BeckOK/StaRUG, § 55 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 65 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 13; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 18. 66 Thole, ZRI 2021, 231, 237. 67 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 13; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 23 a.E.; Thole, ZIP 2020, 1985, 1994; mit dieser Tendenz auch Thole, ZRI 2021, 231, 238, der darauf hinweist, dass die Frage offen ist. 68 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 13; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 23; Thole, ZIP 2020, 1985, 1994.

Schönen/Bender | 983

§ 55 Rz. 26 | Vertragsrechtliche Wirkungen mit einer Gefährdung der Anspruchserfüllung einhergeht69). Ergänzend sind bei der Vertragsgestaltung die Beschränkungen des § 44 StaRUG zu berücksichtigen. 27 Dem Schuldner bleibt es ungeachtet der vertragsrechtlichen Wirkungen des § 55 Abs. 1 Sta-

RUG grundsätzlich unbenommen, seinen vertraglichen Leistungspflichten auch gegenüber seinen von der Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubigern nachzukommen. Insoweit wird aus Sicht des Schuldners aber im Einzelfall zu prüfen sein, ob die Leistungserbringung mit den Vorgaben des StaRUG vereinbar ist. Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 StaRUG hat der Schuldner Maßnahmen zu unterlassen, welche sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Restrukturierung gefährden. Mit dem Restrukturierungsziel ist es nach § 32 Abs. 1 Satz 3 StaRUG in der Regel insbesondere nicht vereinbar, Forderungen zu begleichen oder zu besichern, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen. Der Schuldner wird also vor diesem Hintergrund im Einzelfall prüfen, ob es gerechtfertigt ist einem Gläubiger, der aus dem Rückstand des Schuldners mit einer Leistung derzeit wegen § 55 Abs. 1 StaRUG keine Leistungsstörungsrechte ableiten kann, dennoch die rückständige Leistung zu erbringen.70 Eine Rechtfertigung kann sich im Einzelfall daraus ergeben, dass der Schuldner auch in anderer Hinsicht, also jenseits der von den Wirkungen des § 55 Abs. 1 StaRUG erfassten Leistung, auf die Leistungen des betreffenden Gläubigers angewiesen ist, weil es an einer geeigneten Möglichkeit zur Ersatzbeschaffung fehlt und der Gläubiger die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung von der Erbringung der rückständigen Leistung abhängig macht.71 bb) Leistungsverweigerungsrechte

28 Von § 55 Abs. 1 StaRUG erfasst sind die gesetzlichen Zurückbehaltungsrechte gem. § 273

BGB und §§ 369 ff. HGB sowie diesen vergleichbare vertragliche Leistungsverweigerungsrechte.72 Auf diese kann der Gläubiger sich im Hinblick auf während der Anordnungsdauer von ihm zu erbringende Leistungen nicht berufen. § 55 StaRUG bewirkt umgekehrt aber keine Stundung der von den vertragsrechtlichen Wirkungen erfassten rückständigen Leistungen des Schuldners.73

29 Nicht von § 55 Abs. 1 StaRUG erfasst sind die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gem.

§ 320 BGB sowie die mit dieser Einrede vergleichbaren vertraglichen Leistungsverweigerungsrechte.74 Das folgt aus § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG, wonach das Recht des Gläubigers, die Erbringung des Teils der ihm obliegenden Gegenleistung zu verweigern, der auf die rückständige Leistung des Schuldners entfällt, unberührt bleibt. In Bezug auf synallagmatisch verknüpfte Leistungen des Gläubigers kann dieser also auch nach Erlass einer Stabilisierungsanordnung das Leistungsverweigerungsrecht gem. § 320 BGB uneingeschränkt geltend machen. Wenn der Gläubiger aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet und nicht vorleistungspflichtig ist, kann er die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung seitens des Schuldners verweigern (§ 320 Abs. 1 Satz 1 BGB). Insoweit soll § 55 Abs. 1 StaRUG keine Vorleistungspflicht des Gläubigers begründen, wo eine solche außerhalb eines Restruk-

69 70 71 72

Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 13. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 11. Vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 32. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158; Schönfelder in Flöther, 2021, § 55 StaRUG Rz. 4; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 8; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 26. 73 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 10; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 17. 74 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 8; Thole, ZRI 2021, 231, 236.

984 | Schönen/Bender

Vertragsrechtliche Wirkungen | Rz. 31 § 55

turierungsverfahrens nicht bestehen würde.75 Auch die übrigen Regelungen des § 320 BGB finden uneingeschränkt Anwendung, soweit sie nicht vertraglich abbedungen wurden. Hat die Leistung des Gläubigers an mehrere zu erfolgen, so kann er dem einzelnen den ihm gebührenden Teil bis zur Bewirkung der ganzen Gegenleistung verweigern (§ 320 Abs. 1 Satz 2 BGB). Da die Vorschrift des § 273 Abs. 3 BGB auf synallagmatisch verknüpfte Leistungen ausdrücklich keine Anwendung findet (§ 320 Abs. 1 Satz 3 BGB), kann der Schuldner die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nicht durch Sicherheitsleistung abwenden. Eine Einschränkung erfährt das Leistungsverweigerungsrecht gem. § 320 Abs. 2 BGB grundsätzlich insoweit, als im Fall einer bereits vom Schuldner erbrachten Teilleistung die Gegenleistung insoweit nicht verweigert werden kann, als die Verweigerung nach den Umständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde. Indem § 55 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 StaRUG davon spricht, dass das Recht des Gläubigers „unberührt“ bleibt, die Erbringung des Teils der ihm obliegenden Gegenleistung zu verweigern, der auf die rückständige Leistung des Schuldners entfällt, ist anzunehmen, dass § 55 StaRUG dem Gläubiger insoweit keine zusätzlichen Rechte einräumen soll, die über die dem Gläubiger gem. Gesetz (vgl. § 320 BGB) oder Vertrag zustehenden Rechte hinausgehen. Allerdings wird bei der Beurteilung der Frage, ob die Leistungsverweigerung des Gläubigers gegen Treu und Glauben verstößt, auch das laufende Restrukturierungsverfahren und die sich daraus für den Gläubiger ergebende Risikoerhöhung zu berücksichtigen sein, dass der Schuldner mit der noch ausstehenden Leistung (sei sie auch geringfügig) letztlich ausfällt. cc) Vertragsbeendigungs- bzw. Vertragsabänderungsrechte Während der Dauer der Stabilisierungsanordnung wird gem. § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG u.a. 30 die Geltendmachung von Vertragsbeendigungs- und Vertragsabänderungsrechten seitens der Gläubiger eingeschränkt. Erfasst sind vertragliche und gesetzliche Kündigungsrechte ebenso wie Rücktritts- oder Widerrufsrechte76 oder sonstige Rechte zur Gesamtfälligstellung der vertraglich geschuldeten Leistung.77 Daneben werden grundsätzlich auch Rechte auf Vertragsbeendigung oder -abänderung aufgrund der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) erfasst.78 Allerdings ist kaum vorstellbar, dass der Rückstand des Schuldners mit einer Leistung zu einem Wegfall oder einer Störung der Geschäftsgrundlage führen kann.79 Ein von § 55 Abs. 1 StaRUG erfasstes Vertragsabänderungsrecht liegt z.B. vor, wenn dem Gläubiger aufgrund der rückständigen Leistung eine Anpassung des vertraglich vereinbarten Zinses oder allgemein der Marge, der vertraglich vereinbarten Zahlungsziele oder eine Erweiterung der zu seinen Gunsten zu bestellenden Sicherheiten (Stichwort: Nachbesicherung)80 zusteht. Ein im Widerspruch zu § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ausgeübtes Gestaltungsrecht, muss nach Ablauf der Anordnungsdauer vom Gläubiger erneut ausgeübt werden, um bei Vorliegen der gesetzlichen oder vertraglichen Voraussetzungen Rechtswirkungen entfalten zu können. Denn die entgegen § 55 Abs. 1 StaRUG erfolgte Ausübung ist endgültig unwirksam.81 Im Wege eines Erst-Recht-Schlusses ist davon auszugehen, dass § 55 Abs. 1 StaRUG nicht 31 nur die Ausübung von Vertragsbeendigungs- und Vertragsabänderungsrechten seitens der Gläubiger einschränkt, sondern auch dazu führt, dass einer gemäß vertraglicher Regelung au75 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. 76 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 9; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 36. 77 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 10. 78 Riggert in Braun, 2021, § 55 StaRUG Rz. 7; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 11; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 38. 79 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 38. 80 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 39; Thole, ZRI 2021, 231, 237. 81 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 34.

Schönen/Bender | 985

§ 55 Rz. 31 | Vertragsrechtliche Wirkungen tomatisch eintretenden Beendigung oder Abänderung des Vertrages (z.B. auflösende Bedingung) die Wirkung zu versagen ist, sofern diese im Widerspruch zu den Vorgaben des § 55 Abs. 1 StaRUG stünde.82 32 Bei der Ausübung eines Rechts zum Widerruf der Einziehungs-, Veräußerungs- oder Ver-

arbeitungsermächtigung stellt sich die Frage, ob dies ebenfalls zu einer Vertragsabänderung i.S.d. § 55 Abs. 1 StaRUG führt. Sollte die Frage zu bejahen sein, würde § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG auch die Ausübung dieser Gläubigerrechte entsprechend einschränken. Relevanz kommt dieser Frage insbesondere im Zusammenhang mit zur Sicherheit abgetretenen Forderungen, unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren und Raumsicherungsübereignungen von Warenlagern zu, bei denen der Schuldner nur aufgrund einer entsprechenden Ermächtigung des jeweiligen Gläubigers bzw. Sicherungsnehmers zur Einziehung, Veräußerung oder Verarbeitung ermächtigt ist. Nach hier vertretener Auffassung ist der Gläubiger an dem Widerruf der Ermächtigung nicht bereits aufgrund der gem. § 49 Abs. 1 StaRUG mit einer Stabilisierungsanordnung einhergehenden Vollstreckungs- bzw. Verwertungssperre gehindert (§ 49 Rz. 61). Fraglich ist, ob § 55 StaRUG das Widerrufsrecht einschränkt. Der Widerruf einer Ermächtigung ändert nicht den Inhalt des der Ermächtigung zugrunde liegenden Vertrages, sondern stellt die Ausübung des vertraglich eingeräumten Rechts dar, die zuvor erteilte Ermächtigung zur Veranlassung bestimmter Verfügungen (vgl. §§ 185, 362 Abs. 2 BGB) zu widerrufen. Das spricht dagegen, unter diesen Umständen von einer Vertragsabänderung i.S.d. § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG auszugehen.83 Die Geltendmachung von sonstigen Rechten, jenseits von Leistungsverweigerungs-, Vertragsbeendigungs- und Vertragsabänderungsrechten, schränkt § 55 Abs. 1 StaRUG nach seinem Wortlaut gerade nicht ein. Um den Anwendungsbereich des § 55 StaRUG auch auf den Widerruf einer Einziehungs-, Veräußerungs- oder Verarbeitungsermächtigung zu erstrecken, bedürfte es vielmehr einer Analogie. Angesichts des nicht unerheblichen Eingriffs in Gläubigerrechte, der mit § 55 StaRUG einhergeht, dürfte die Aufzählung in § 55 Abs. 1 StaRUG aber als abschließend zu verstehen sein. Der Gesetzesbegründung lassen sich zumindest keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es sich hierbei um eine planwidrige Regelungslücke handelt,84 die aber Voraussetzung für eine Analogie wäre. Solange die Frage nicht höchstrichterlich geklärt ist, empfiehlt es sich für die Vertragspraxis, das Widerrufsrecht des Gläubigers nicht allein auf eine rückständige Leistung des Schuldners gem. § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG zu stützen, sondern (auch) andere Umstände als Anknüpfungstatbestand für das Widerrufsrecht vorzusehen, wobei zugleich die Einschränkungen des Verbots von Lösungsklauseln gem. § 44 StaRUG zu berücksichtigen sind.85 b) Unzulässigkeit der Anknüpfung allein an die rückständige Leistung

33 Die Leistungsverweigerungs-, Vertragsbeendigungs- und Vertragsabänderungsrechte des

Gläubigers werden nur insofern eingeschränkt, wie diese Rechte allein auf die rückständige Leistung gestützt werden sollen (§ 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). Auf andere oder zusätzliche Umstände, die isoliert oder im Zusammenhang mit dem bestehenden Rückstand86 ein Leis-

82 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 37 f. 83 Mit dieser Tendenz Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 15; Desch, BB 2020, 2498, 2508; so auch noch Thole, ZIP 2020, 1985, 1996; a.A. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 9: eine Vertragsänderung könne auch in einem Widerruf oder dem Wegfall von vertraglich eingeräumten Einziehungs-, Veräußerungs- und Verarbeitungsermächtigungen liegen; ebenso Thole, ZRI 2021, 231, 239; offen gelassen von Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 39. 84 Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 157 f. 85 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 39. 86 So ausdrücklich Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158.

986 | Schönen/Bender

Vertragsrechtliche Wirkungen | Rz. 35 § 55

tungsstörungsrecht begründen, kann sich der Gläubiger auch weiterhin berufen.87 Zu den in Betracht kommenden alternativen Anknüpfungspunkten wird ergänzend auf die Ausführungen in Rz. 18 verwiesen. Auch das Recht zur Beendigung eines Vertrages, der ein jederzeitiges und damit vom Vorliegen eines Leistungsrückstands gänzlich unabhängiges Recht des Gläubigers zur Vertragsbeendigung vorsieht, bleibt von § 55 Abs. 1 StaRUG unberührt.88 Der Umstand, dass die Ausübung bestimmter vertraglicher Leistungsverweigerungs-, Vertragsbeendigungs- und Vertragsabänderungsrechte neben dem Eintritt der Fälligkeit und Einredefreiheit der Leistungsverpflichtung des Schuldners die erfolglose Bestimmung einer Frist voraussetzt (wie z.B. gem. § 323 Abs. 1 BGB), stellt keinen relevanten zusätzlichen Umstand dar, der zur Unanwendbarkeit des § 55 Abs. 1 StaRUG führt. Es bleibt dabei, dass das vertragliche Recht in diesem Fall allein auf die rückständige Leistung gestützt wäre.89 Insbesondere sind Gläubiger nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers bei einem 34 nach dem maßgeblichen Anordnungszeitpunkt (Erstanordnung) eintretenden Verzug des Schuldners dazu berechtigt, sämtliche Folgen, die sich an einen solchen Verzug im Einzelfall knüpfen können, geltend zu machen.90 Insoweit kann aber nur der Verzug im Hinblick auf eine nach Erlass der Stabilisierungsanordnung fällig gewordene Leistung gemeint sein.91 Soweit nach der Gegenauffassung auch ein Verzugseintritt im Hinblick auf eine im Zeitpunkt der Stabilisierungsanordnung bereits fällige Leistungspflicht dazu führt, dass die Einschränkungen des § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG nicht (mehr) eingreifen,92 kann dem nicht gefolgt werden. Der Rückstand mit der Leistung ergibt sich aus der Nichtleistung des Schuldners trotz Fälligkeit vor dem Erlass der Stabilisierungsanordnung. Die bloße Perpetuierung dieses Rückstands durch fortgesetzte Nichtleistung trotz Mahnung bzw. Eintritts eines Umstands i.S.d. § 286 Abs. 2 BGB oder Fristablaufs gem. § 286 Abs. 3 BGB im Fall von Rechnungen oder gleichgestellten Zahlungsaufstellungen ist kein hinreichend qualifizierender Umstand, um zu der Schlussfolgerung gelangen zu können, dass sich das vertragliche Leistungsstörungsrecht nicht allein auf die rückständige Leistung stützt. Insoweit gilt nichts anderes als im Fall des Fristsetzungserfordernisses nach § 323 Abs. 1 BGB. c) Nutzungsausfallentschädigung und Ausgleich für Wertverlust analog § 54 Abs. 1 Satz 1 StaRUG § 54 Abs. 1 Satz 1 StaRUG räumt den von einer Verwertungssperre betroffenen Gläubigern 35 einen Anspruch auf Zahlung der geschuldeten Zinsen und auf Ausgleich des durch die Nutzung eintretenden Wertverlusts ein. Dies gilt grundsätzlich für Gläubiger, denen im Fall eines Insolvenzverfahrens ein Ab- oder Aussonderungsrecht zustehen würde, gleichermaßen (§ 54 Rz. 10 und 16). Die Verpflichtung zum Ausgleich eines Nutzungsausfallschadens sowie eines Wertverlusts greift nach dem Wortlaut des § 54 StaRUG nur ein, wenn eine Verwertungssperre erlassen wurde, nicht hingegen bei einer isolierten Vollstreckungssperre. Der Erlass einer Verwertungssperre wiederum setzt gem. § 49 Abs. 1, § 50 Abs. 1 StaRUG einen entsprechen-

87 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158; Riggert in Braun, 2021, § 55 StaRUG Rz. 8; Schönfelder in Flöther, 2021, § 55 StaRUG Rz. 7; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 12; Desch, BB 2020, 2498, 2508; Schönfelder, WM 2022, 361, 363. 88 So Schönfelder in Flöther, 2021, § 55 StaRUG Rz. 17 zu bis auf Weiteres zugesagten Kreditlinien, die jederzeit kündbar sind. 89 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 3; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 21; Thole, ZRI 2021, 231, 236. 90 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. 91 Bork, ZRI 2021, 345, 351; Thole, ZRI 2021, 231, 236. 92 Riggert, NZI-Beilage 2021, 40, 42; so wohl auch Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 21.

Schönen/Bender | 987

§ 55 Rz. 35 | Vertragsrechtliche Wirkungen den Antrag des Schuldners voraus, der es gleichsam in der Hand hätte zu entscheiden, ob eine Verpflichtung zur Leistung von Nutzungsausfallentschädigung und Ausgleich für Wertverlust eingreift.93 Der Schutzzweck des § 54 StaRUG, dem Gläubiger eine angemessene Kompensation für den mit einer Stabilisierungsanordnung verbundenen Eingriff in seine Rechte zu gewähren (vgl. § 54 Rz. 1), spricht dafür, dass den von einer Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubigern auch dann eine Nutzungsausfallentschädigung und ein Ausgleich von Wertverlust zustehen, wenn zwar lediglich eine Vollstreckungssperre ergangen ist, sich aber aufgrund der vertragsrechtlichen Wirkungen des § 55 Abs. 1 StaRUG ein Nutzungsausfall oder Wertverlust zu Lasten des Gläubigers ergibt. Unter diesen Umständen erscheint eine Analogie zu § 54 Abs. 1 Satz 1 StaRUG geboten (vgl. § 54 Rz. 11).94

V. Vorleistungspflichtige Gläubiger (§ 55 Abs. 3 Satz 1 StaRUG) 36 Gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 StaRUG hat ein vorleistungspflichtiger Gläubiger auch während der

Anordnungsdauer einer Stabilisierungsanordnung das Recht, die ihm obliegende Leistung gegen Sicherheitsleistung oder Zug um Zug gegen die dem Schuldner obliegende Leistung zu erbringen. Auf diese Weise wird der vorleistungspflichtige Gläubiger vor einer Risikoerhöhung geschützt.95

37 Anders als § 321 Abs. 2 Satz1 BGB, der durch seinen Wortlaut „nach seiner Wahl“ ausdrück-

lich dem Schuldner die Entscheidung zuerkennt, ob er lieber eine Sicherheit leistet oder Zug um Zug die Gegenleistung erbringt, ist § 55 Abs. 3 Satz 1 StaRUG nicht ohne weiteres zu entnehmen, ob der Schuldner oder der Gläubiger darüber entscheidet, auf welchem der beiden hierfür zur Verfügung stehenden Wege die Interessen des Gläubigers geschützt werden.96 Im Rahmen von § 321 Abs. 2 Satz 1 BGB liegt das Wahlrecht beim Schuldner und der Gläubiger ist dazu berechtigt, dem Schuldner eine Frist zu setzen, innerhalb derer sich der Schuldner zwischen Sicherheitsleistung und Leistung Zug um Zug entscheiden muss (§ 321 Abs. 2 Satz 1 BGB). Nach erfolglosem Ablauf der Frist kann der Gläubiger den Vertrag kündigen (§ 321 Abs. 2 Satz 2 BGB). Das Wahlrecht dem Schuldner zuzugestehen hätte im Fall einer Stabilisierungsanordnung den Nachteil, dass dem Gläubiger die Entscheidung aus der Hand genommen wäre, sein Insolvenzanfechtungsrisiko durch Entscheidung für eine Leistung Zug um Zug im Vergleich zum Verlangen nach einer Sicherheitsleistung zu reduzieren.97 Denn die Sicherheitsleistung wäre mangels hinreichender Bestimmtheit des Anspruchs auf Sicherheitsleistung inkongruent.98 Zwar entspräche auch die vorzeitige Leistungserbringung des Schuldners unter Umständen nicht der vertraglichen Abrede und wäre demnach inkongruent, allerdings ergibt sich dieser Anspruch hinreichend bestimmt aus § 55 Abs. 3 Satz 1 StaRUG, so dass von einer kongruenten Leistung auszugehen ist.99 Der Umstand, dass der Gesetzgeber mit der Regelung in § 55 Abs. 3 Satz 1 StaRUG gerade das Ziel verfolgt, den Gläubiger vor einer Risikoerhöhung zu schützen,100 spricht dafür, dass der insoweit unklare Wortlaut des § 55 Abs. 3 Satz 1 Sta-

93 Vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 22. 94 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 24, die dies jedenfalls für den Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung bejahen und für den Fall der Beschädigung oder eines sonstigen Wertverlusts davon ausgehen, dass den Aus- und Absonderungsanwartschaftsberechtigten insoweit bereits aus der Sicherungsabrede ein Ersatzanspruch zustehen dürfte, Fn. 19. 95 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. 96 Thole, ZRI 2021, 231, 237. 97 Zum Ganzen Thole, ZRI 2021, 231, 237. 98 Thole, ZRI 2021, 231, 237; zust. Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 23. 99 Thole, ZRI 2021, 231, 237. 100 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158.

988 | Schönen/Bender

Vertragsrechtliche Wirkungen | Rz. 41 § 55

RUG im Sinne eines Wahlrechts des Gläubigers auszulegen ist.101 Dieses Ergebnis wird gestützt durch die Genese des § 55 Abs. 3 Satz 1 StaRUG (vgl. Rz. 10). Soweit es die Art und Weise der nach § 55 Abs. 3 Satz 1 StaRUG in Betracht kommenden 38 Sicherheitsleistung des Schuldners betrifft, kann Anlehnung an die Regelung in § 321 Abs. 1 Satz 2 BGB und die hierzu geltenden Grundsätze genommen werden.102

VI. Das Kündigungsrecht nach § 490 Abs. 1 BGB beim Darlehensvertrag und anderen Kreditzusagen (§ 55 Abs. 3 Satz 2 und 3 StaRUG) Ein Darlehensgeber ist auch dann berechtigt, den Darlehensvertrag mit dem Schuldner wegen 39 einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners oder der Werthaltigkeit der für das Darlehen gestellten Sicherheiten nach § 490 Abs. 1 BGB zu kündigen, wenn eine Stabilisierungsanordnung erlassen wurde. § 55 Abs. 1 StaRUG steht der Ausübung dieses Kündigungsrechts nicht entgegen. Dies hält § 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG ausdrücklich fest, der nach seinem Wortlaut jedenfalls vor Auszahlung des Darlehens und im Übrigen nicht nur für Darlehen, sondern gem. § 55 Abs. 3 Satz 3 StaRUG auch für andere Kreditzusagen gilt.

1. Verhältnis des Kündigungsrechts nach § 490 Abs. 1 BGB zu § 55 Abs. 1 StaRUG Die Vorschrift des § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG schränkt für die Dauer einer Stabilisierungs- 40 anordnung u.a. die Geltendmachung von Vertragsbeendigungsrechten seitens der von der Anordnung betroffenen Gläubiger ein. Die Einschränkung hat zur Folge, dass der Gläubiger den Vertrag nicht allein wegen der rückständigen Leistung beenden kann. Übertragen auf einen Darlehensvertrag bedeutet dies, dass ein Gläubiger nach der Stabilisierungsanordnung nicht allein aufgrund einer vor Erlass begründeten und fällig gewordenen Leistungsverpflichtung des Schuldners, die nicht erfüllt wurde, kündigen kann. Davon unberührt bleibt aber das Recht des Gläubigers zur Kündigung, wenn in den Vermögensverhältnissen des Schuldners oder in der Werthaltigkeit einer für das Darlehen gestellten Sicherheit eine wesentliche Verschlechterung eintritt oder einzutreten droht, durch die die Rückzahlung des Darlehens, auch unter Verwertung der Sicherheit, gefährdet wird. Unter diesen Umständen kann der Darlehensgeber den Darlehensvertrag gem. § 490 Abs. 1 BGB vor Auszahlung des Darlehens im Zweifel stets, nach Auszahlung nur in der Regel fristlos kündigen. Das außerordentliche Kündigungsrecht gem. § 490 Abs. 1 BGB knüpft also von vornherein nicht an eine rückständige Leistung i.S.d. § 55 Abs. 1 Satz 1 StaRUG an, sondern an eine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse bzw. der Werthaltigkeit von Sicherheiten.103 Das spricht dafür, dass der Regelung in § 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG, wonach das Kündigungsrecht gem. § 490 Abs. 1 BGB von § 55 Abs. 1 StaRUG unberührt bleibt, lediglich klarstellende Bedeutung zukommt.104 Es fällt auf, dass sich diese Klarstellung in § 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG ausdrücklich nur auf 41 den Fall bezieht, dass der Gläubiger vor einer Auszahlung des Darlehens kündigen möch-

101 Im Ergebnis ebenso Mock in BeckOK/StaRUG, § 55 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Fuhst in Desch, Das neue RestruktR, 2021, § 4 Rz. 23; offen gelassen von Thole, ZRI 2021, 231, 237, aber mit einer Tendenz zum Wahlrecht des Gläubigers. 102 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 21. 103 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 24; vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 13. 104 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 24 und 26; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 35.

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§ 55 Rz. 41 | Vertragsrechtliche Wirkungen te.105 Für diesen Fall gilt, dass das Kündigungsrecht des Gläubigers nach § 490 Abs. 1 BGB unberührt bleibt. Die Konstellation der Kündigung nach Auszahlung wird nicht ausdrücklich geregelt, so dass sich die Frage anschließt, ob das Kündigungsrecht unter diesen Umständen ebenfalls unberührt bleibt. Warum der Gesetzgeber sich in § 55 Abs. 3 StaRUG für die einschränkende und von § 490 Abs. 1 BGB abweichende Formulierung entschieden hat, ist unklar. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu lediglich: „Absatz 3 Satz 2 stellt zudem sicher, dass die Anordnung einer Stabilisierungsmaßnahme das Kündigungsrecht des Darlehensgebers nach § 490 BGB nicht berührt.“ Die Gesetzesbegründung stellt also nicht darauf ab, ob das Darlehen bereits zur Auszahlung gelangt ist oder nicht. Vielmehr soll offenbar § 490 BGB insgesamt nicht durch § 55 Abs. 1 StaRUG eingeschränkt werden, was – wie vorstehend in Rz. 40 dargestellt – auch unabhängig von § 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG ohnehin nicht der Fall wäre, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 StaRUG nicht gegeben sind. Dass § 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG nach seinem Wortlaut nur die Konstellation der Kündigung vor Auszahlung des Darlehens regelt, könnte damit zu erklären sein, dass es dem Gesetzgeber mit der Regelung in Abs. 3 in erster Linie darum ging, sicherzustellen, dass Gläubiger aufgrund einer Stabilisierungsanordnung nicht dazu gezwungen werden, ihr Insolvenzrisiko durch weitere Vorleistungen zu erhöhen.106 Mit der Auszahlung eines Darlehens ginge aber eine Risikoerhöhung einher. Diese Konstellation stellt einen Fall der Vorleistung des Gläubigers dar und bedurfte also besonderer Erwähnung. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass nach Auszahlung des Darlehens etwas anderes gelten soll.107 Nach Auszahlung des Darlehens richtet sich die Frage, ob eine Stabilisierungsanordnung die Geltendmachung des Kündigungsrechts aus § 490 Abs. 1 BGB sperrt, nach § 55 Abs. 1 StaRUG, der einer Kündigung wegen Umständen, die nicht allein auf der rückständigen Leistung beruhen, nicht entgegensteht (vgl. in Rz. 40).108 Eine Darlehenskündigung nach § 490 Abs. 1 BGB wird also auch nach Auszahlung des Darlehens nicht durch § 55 Abs. 1 StaRUG gesperrt.109 42 Ob seit Abschluss des Darlehensvertrages eine wesentliche Verschlechterung der Vermögens-

verhältnisse oder der Werthaltigkeit von Sicherheiten i.S.d. § 490 Abs. 1 BGB eingetreten ist und damit die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses Kündigungsrechts gegeben sind, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls und kann nicht pauschal beantwortet werden.110

2. Andere Kreditzusagen 43 Gemäß § 55 Abs. 3 Satz 3 StaRUG gilt die Klarstellung nach § 55 Abs. 3 Satz 2 StaRUG betref-

fend die Aufrechterhaltung des Kündigungsrechts nach § 490 BGB nicht nur bei Darlehen, sondern auch bei anderen Kreditzusagen. Ausgehend vom Sinn und Zweck des § 55 Abs. 3

105 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 22 f. 106 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 22. 107 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 13; a.A. Schönfelder in Flöther, 2021, § 55 StaRUG Rz. 33; Schönfelder, WM 2022, 361, 364. 108 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 24; Frind, ZRI 2021, 697, 703; Thole, ZRI 2021, 231, 237. 109 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 13; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 24 ff.; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 35; Thole, ZRI 2021, 231, 237; a.A. Riggert in Braun, 2021, § 55 StaRUG Rz. 10; Schönfelder in Flöther, 2021, § 55 StaRUG Rz. 33; Schönfelder, WM 2022, 361, 364; nicht ganz eindeutig Mock in BeckOK/StaRUG, § 55 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der darauf hinweist, dass Vertragsbeendigungsrechte des Darlehensgebers bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 55 Abs. 1 StaRUG nicht ausgeübt werden können, ohne näher darauf einzugehen, was dies für den Fall eines bereits valutierten Darlehens im Hinblick auf § 490 BGB bedeutet. 110 Ausführlich hierzu Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 27 ff.

990 | Schönen/Bender

Finanzsicherheiten, Zahlungs- und Abwicklungssysteme | § 56

StaRUG, einer Risikoerhöhung zu Lasten des Gläubigers vorzubeugen,111 dürften darunter Vertragsverhältnisse zu verstehen sein, die darlehensähnlich sind. Erfasst sind insbesondere Sachdarlehen, Kontokorrentkreditlinien112 und Avalkredite113 sowie Diskont-, Effekten- oder Währungskredite114. Ob auch das Garantiegeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 8 KWG mit Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen für Dritte unter die sonstigen Kreditzusagen i.S.d. § 55 Abs. 3 Satz 3 StaRUG fällt,115 erscheint zumindest fraglich. Zwar geht auch hier der Garantiegeber durch eine Vorleistung ins Risiko.116 Allerdings sind Garantiegeschäfte gerade dazu bestimmt, einem anderen Gläubiger des Schuldners für den Fall einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse auf Seiten des Schuldners eine Sicherheit zu stellen. Es besteht daher typischerweise schon kein an diese Umstände anknüpfendes Vertragsbeendigungsrecht zugunsten des Garantiegebers, so dass § 55 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Satz 2 StaRUG nicht einschlägig ist.

§ 56 Finanzsicherheiten, Zahlungs- und Abwicklungssysteme, Liquidationsnetting (1) 1Die Stabilisierungsanordnung berührt nicht die Wirksamkeit von Verfügungen über Finanzsicherheiten nach § 1 Absatz 17 des Kreditwesengesetzes und die Wirksamkeit der Verrechnung von Ansprüchen und Leistungen aus Zahlungsaufträgen, Aufträgen zwischen Zahlungsdienstleistern oder zwischengeschalteten Stellen oder Aufträgen zur Übertragung von Wertpapieren, die in Systeme nach § 1 Absatz 16 des Kreditwesengesetzes eingebracht wurden. 2Dies gilt auch dann, wenn ein solches Rechtsgeschäft des Schuldners am Tag der Anordnung getätigt und verrechnet oder eine Finanzsicherheit bestellt wird und der andere Teil nachweist, dass er die Anordnung weder kannte noch hätte kennen müssen; ist der andere Teil ein Systembetreiber oder Teilnehmer in dem System, bestimmt sich der Tag der Anordnung nach dem Geschäftstag im Sinne des § 1 Absatz 16b des Kreditwesengesetzes. (2) 1Von der Stabilisierungsanordnung und ihren Wirkungen bleiben Geschäfte, die den Gegenstand einer Vereinbarung über das Liquidationsnetting im Sinne von § 104 Absatz 3 und 4 der Insolvenzordnung bilden können, sowie Vereinbarungen über das Liquidationsnetting unberührt. 2Die aus dem Liquidationsnetting resultierende Forderung kann einer Vollstreckungssperre und, im Rahmen des nach Absatz 1 Zulässigen, auch einer Verwertungssperre unterworfen werden. In der Fassung des Gesetzes vom 22.12.2021. (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historie und EU-Richtlinien-Grundlage . Keine Auswirkungen auf Finanzsicherheiten (§ 56 Abs. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . .

1 4 6

V. Keine Auswirkungen auf die dem Liquidationsnetting unterliegenden Einzelgeschäfte (§ 56 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . 13

8

111 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 158. 112 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 35; Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 2617, 2627; Thole, ZIP 2020, 1985, 1994; ausführlich hierzu Schönfelder in Flöther, 2021, § 55 StaRUG Rz. 36 ff.; Schönfelder, WM 2022, 361, 364. 113 Riggert in Braun, 2021, § 55 StaRUG Rz. 11; Schönfelder, WM 2022, 361, 364. 114 Schönfelder, WM 2022, 361, 364. 115 In diesem Sinne Riggert in Braun, 2021, § 55 StaRUG Rz. 11; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 55 StaRUG Rz. 14. 116 Riggert in Braun, 2021, § 55 StaRUG Rz. 11.

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§ 56 Rz. 1 | Finanzsicherheiten, Zahlungs- und Abwicklungssysteme Schrifttum: Meyer/Rein, Das Ende der Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzrecht? Anmerkungen zur Umsetzung der Finanzsicherheitenrichtlinie, NZI 2004, 367; Schmidt, Der Richtlinienvorschlag für präventive Restrukturierungsrahmen aus Bankensicht; WM 2017, 1735; Zuleger, Kreditsicherheiten nach dem StaRUG, NZI-Beilage 2021, 43.

I. Regelungsgegenstand 1 § 56 StaRUG regelt, dass bestimmte Rechtsgeschäfte im Interbankenverkehr von den Wir-

kungen einer Stabilisierungsanordnung unberührt bleiben. Dies gilt nach § 56 Abs. 1 StaRUG für Verfügungen über Finanzsicherheiten nach § 1 Abs. 17 des KWG und die Wirksamkeit der Verrechnung von Ansprüchen und Leistungen aus Zahlungsaufträgen, Aufträgen zwischen Zahlungsdienstleistern oder zwischengeschalteten Stellen oder Aufträgen zur Übertragung von Wertpapieren, die in Systeme nach § 1 Abs. 16 des KWG eingebracht wurden. Unberührt bleiben diese Rechtsgeschäfte des Schuldners auch dann, wenn ein solches Rechtsgeschäft am Tag des Erlasses der Stabilisierungsanordnung getätigt und verrechnet oder eine Finanzsicherheit bestellt wird und der andere Teil nachweist, dass er die Anordnung weder kannte noch hätte kennen müssen. Sofern der Vertragspartner ein Systembetreiber oder Teilnehmer in dem System ist, bestimmt sich der Tag der Anordnung nach dem Geschäftstag i.S.d. § 1 Abs. 16b des KWG.

2 Nach § 56 Abs. 2 StaRUG bleiben zudem Vereinbarungen über das Liquidationsnetting und

Geschäfte, die den Gegenstand von Vereinbarungen über das Liquidationsnetting bilden können, von den Wirkungen einer Stabilisierungsanordnung unberührt. Dies gilt nicht für aus dem Liquidationsnetting resultierende Forderungen.

3 Es findet sich eine Parallelvorschrift zu § 56 Abs. 1 und 2 StaRUG in § 44 Abs. 3 StaRUG,1

wonach das Verbot von Lösungsklauseln sich nicht auf Geschäfte i.S.v. § 104 Abs. 1 InsO, Vereinbarungen über das Liquidationsnetting nach § 104 Abs. 3 und 4 InsO sowie Finanzsicherheiten und Wertpapiergeschäfte i.S.v. § 1 Abs. 17 bzw. 16 KWG erstreckt. Im Insolvenzeröffnungsverfahren hingegen findet sich mit § 21 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO nur eine Parallelvorschrift zu § 56 Abs. 1 StaRUG.

II. Normzweck 4 § 56 Abs. 1 StaRUG dient der Gewährleistung des freien Dienstleistungs- und Kapital-

marktverkehrs im Finanzbinnenmarkt (Interbankenverkehr)2, indem Stabilisierungsanordnungen, die wie vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO die Verwertung von Sicherheiten erschweren können, im Hinblick auf Finanzsicherheiten für wirkungslos erklärt werden.3 Die Vorschrift bewirkt damit eine Privilegierung von Finanzsicherheiten.4 Sie entspricht der Regelung in § 21 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO, die im Insolvenzeröffnungsverfahren greift und die im Rahmen dessen angeordnete vorläufige Sicherungsmaßnahmen den gleichen Privilegierungen unterwirft wie § 56 Abs. 1 StaRUG.

5 § 56 Abs. 2 StaRUG schützt Vereinbarungen über das Liquidationsnetting, welche dazu die-

nen, die wirtschaftlichen Risiken bei Ausfall der Gegenpartei zu begrenzen und die vertrags1 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 1. 2 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 3; Schröder in Nerlich/Römermann, § 56 StaRUG Rz. 2 (Stand: 44. EL November 2021); Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 1. 3 Vgl. Riggert in Braun, 2021, § 56 StaRUG Rz. 1. 4 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 3.

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Finanzsicherheiten, Zahlungs- und Abwicklungssysteme | Rz. 9 § 56

treue Partei vor unkalkulierbaren Risiken über eine ungewisse Dauer zu schützen.5 Der Schutz der Teilnehmer von Finanzgeschäften mittels Liquidationsnetting ist wesentlich für die Funktionsfähigkeit des Finanzmarkts, da er auch zur Eingrenzung systemischer Risiken dient.6

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage § 56 Abs. 1 StaRUG beruht auf Art. 31 Abs. 1 Buchst. a und b der Restrukturierungs-RL,7 6 welche regeln, dass die Richtlinie 98/26/EG und die Richtlinie 2002/47/EG ungeachtet der Restrukturierungs-RL gelten. Mit Art. 31 Abs. 1 Buchst. a, b Restrukturierungs-RL trägt der europäische Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass diese Sicherheiten gemäß den Richtlinien 2002/47/EG sowie 98/26/EG von den Wirkungen von Stabilisierungsanordnungen ausgenommen werden müssen.8 Der Europäische Gesetzgeber gewährt den Mitgliedstaaten insoweit keinen Umsetzungsspielraum. Darüber hinaus räumt Art. 7 Abs. 6 Unterabs. 1 Satz 1 der Restrukturierungs-RL den Mit- 7 gliedstaaten die Möglichkeit ein, die Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen nicht für Nettingmechanismen (einschließlich Close-out-Nettingmechanismen) auf Finanzmärkten, Energiemärkten und Rohstoffmärkten, gelten zu lassen; und zwar selbst in Fällen, in denen Art. 31 Abs. 1 Restrukturierungs-RL keine Anwendung findet. Von der Möglichkeit der Implementierung einer solchen Regelung hat der deutsche Gesetzgeber mit § 56 Abs. 2 Satz 1 StaRUG vollumfänglich Gebrauch gemacht. Zudem sieht Art. 7 Abs. 6 Unterabs. 1 Satz 2 der Restrukturierungs-RL vor, dass die Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen zumindest insoweit ihre Wirkung auch in Bezug auf Nettingmechanismen behält, als es um die Vollstreckung einer Forderung gegen den Schuldner geht, die sich aus der erfolgten Durchführung eines Nettingmechanismus ergibt. Dies hat der deutsche Gesetzgeber in § 56 Abs. 2 Satz 2 StaRUG übernommen.

IV. Keine Auswirkungen auf Finanzsicherheiten (§ 56 Abs. 1 StaRUG) Gemäß § 56 Abs. 1 StaRUG berührt eine Stabilisierungsanordnung weder die Wirksamkeit 8 von Verfügungen über Finanzsicherheiten nach § 1 Abs. 17 KWG noch die Wirksamkeit der Verrechnung von Ansprüchen und Leistungen aus Zahlungsaufträgen, Aufträgen zwischen Zahlungsdienstleistern oder zwischengeschalteten Stellen oder Aufträgen zur Übertragung von Wertpapieren, die in Systeme nach § 1 Abs. 16 KWG eingebracht wurden. Die Regelung bewirkt, dass Finanzsicherheiten i.S.v. § 1 Abs. 17 KWG trotz des Erlasses einer 9 Verwertungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG verwertet und Forderungen in bestimmten Abrechnungssystemen verrechnet werden können.9 Dies gilt nach § 56 Abs. 1 Satz 2 StaRUG auch dann, wenn das Rechtsgeschäft des Schuldners am Tag der Anordnung der Verwertungssperre getätigt und verrechnet oder eine Finanzsicherheit bestellt wird und der andere Teil nachweist, dass er die Anordnung weder kannte noch hätte kennen müssen. Die Beweislast für die fehlende Kenntnis liegt somit beim Vertragspartner. Sofern der andere Teil ein System5 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 56 StaRUG Rz. 2. 6 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 56 StaRUG Rz. 3; Schmidt, WM 2017, 1735, 1740. 7 Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 – im Folgenden: Restrukturierungs-RL. 8 Vgl. Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 44. 9 Mock in BeckOK/StaRUG, § 56 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 56 StaRUG Rz. 5; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 4.

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§ 56 Rz. 9 | Finanzsicherheiten, Zahlungs- und Abwicklungssysteme betreiber oder Teilnehmer in dem System ist, d.h. ein institutioneller Vertragspartner,10 bestimmt sich der Tag der Anordnung nach dem Geschäftstag i.S.v. § 1 Abs. 16b KWG. 10 Die Wirkungslosigkeit von Stabilisierungsanordnungen gilt dabei nur für Finanzsicherheiten

i.S.v. § 1 Abs. 17 KWG. In sachlicher Hinsicht setzt dies voraus, dass es sich um Barguthaben, Geldbeträge, Wertpapiere, Geldmarktinstrumente oder Kreditforderungen i.S.d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. o der Richtlinie 2002/47/EG11 (die durch die Richtlinie 2009/44/EG12 geändert worden ist) oder Geldforderungen aus einer Vereinbarung, auf Grund derer ein Versicherungsunternehmen i.S.d. § 1 Abs. 1 des VAG einen Kredit in Form eines Darlehens gewährt hat, handelt – jeweils einschließlich jeglicher damit in Zusammenhang stehender Rechte oder Ansprüche, die als Sicherheit in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts oder im Wege der Überweisung oder Vollrechtsübertragung auf Grund einer Vereinbarung zwischen einem Sicherungsnehmer und einem Sicherungsgeber bereitgestellt werden.13 Herkömmliche Kreditsicherheiten wie z.B. Globalzessionen, Raumsicherungsübereignungen oder Grundpfandrechte werden hingegen nicht erfasst.14

11 Grundsätzlich setzt der Begriff der Finanzsicherheit in persönlicher Hinsicht zudem voraus,

dass es sich bei den Vertragsparteien um öffentlich-rechtliche Körperschaften, Zentralbanken oder supranationale Körperschaften, beaufsichtigte Finanzinstitute oder zentrale Vertragsparteien, Verrechnungsstellen, Clearingstellen oder vergleichbare Einrichtungen handelt, die einer Aufsicht nach dem Recht eines Mitgliedstaates unterliegen und für Terminkontrakt-, Options- und Derivatemärkte fungieren.15 Dementsprechend ist der Anwendungsbereich von § 1 Art. 17 KWG in erster Linie im Interbankenverkehr eröffnet.16 Aufgrund des Verweises in § 1 Abs. 17 Satz 1 KWG auch auf Art. 1 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2002/47/EG17 (die durch die Richtlinie 2009/44/EG18 geändert wurde) kann eine Finanzsicherheit aber auch zwischen juristischen Personen, Einzelkaufleuten und Personengesellschaften vereinbart werden, die nicht dem Interbankenverkehr zuzuordnen sind. Gehört ein Sicherungsgeber zu der vorgenannten Gruppe, liegt eine Finanzsicherheit gem. § 1 Abs. 17 Satz 2 KWG aber nur vor, wenn die Sicherheit der Besicherung von Verbindlichkeiten aus Verträgen oder aus der Vermittlung von Verträgen über (i) die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten, (ii) Pensions-, Darlehens- sowie vergleichbare Geschäfte auf Finanzinstrumente oder (iii) Darlehen zur Finanzierung des Erwerbs von Finanzinstrumenten dient. In diesem Fall sind eigene Anteile des Sicherungsgebers oder Anteile an verbundenen Unternehmen i.S.v. § 290 Abs. 2 HGB keine Finanzsicherheiten (§ 1 Abs. 17 Satz 3 KWG).

12 Sowohl aufgrund der Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs in § 1 Abs. 17 Satz 2

KWG als auch angesichts der Ausklammerung von herkömmlichen Kreditsicherheiten (vgl. Rz. 10) dürfte die Regelung des § 56 Abs. 1 StaRUG außerhalb des Interbankenverkehrs letztlich keine große Rolle spielen.19 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Schönfelder in Flöther, 2021, § 56 StaRUG Rz. 8. ABl. EG Nr. L 168 v. 27.6.2002, S. 43. ABl. EU Nr. L 146 v. 10.6.2009, S. 37. Mock in BeckOK/StaRUG, § 56 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Schönfelder in Flöther, 2021, § 56 StaRUG Rz. 5; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 6. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 7 m.w.N.; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 3; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 2. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 6; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 3. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 6. ABl. EG Nr. L 168 v. 27.6.2002, S. 43. ABl. EU Nr. L 146 v. 10.6.2009, S. 37. Vgl. Riggert in Braun, 2021, § 56 StaRUG Rz. 2; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 6 f.; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 3.

994 | Schönen/Bender

Haftung der Organe | § 57

V. Keine Auswirkungen auf die dem Liquidationsnetting unterliegenden Einzelgeschäfte (§ 56 Abs. 2 StaRUG) § 56 Abs. 2 Satz 1 StaRUG regelt, dass Geschäfte, die Gegenstand von Vereinbarungen über 13 Liquidationsnetting i.S.v. § 104 Abs. 3 und 4 InsO sein können, oder Vereinbarungen über das Liquidationsnetting selbst von einer Stabilisierungsanordnung unberührt bleiben. Liquidationsnetting (bzw. Close-out Netting) ist die Ermittlung der geschuldeten Abschlusszahlung nach Beendigung von Geschäften, die Saldierung ihrer Marktwerte sowie die Verrechnung mit eventuellen rückständigen Zahlungen und Leistungen.20 Die Regelung bezieht sich auf Warenfixgeschäfte und Finanzleistungen i.S.v. § 104 InsO.21 Von der Regelung des § 56 Abs. 2 StaRUG sind die nach § 104 Abs. 3 InsO durch Rahmenvertrag als Einheit zusammengefassten Einzelgeschäfte und die nach § 104 Abs. 4 InsO vertraglich vereinbarten Modalitäten des Liquidationsnettings erfasst.22 Den Gläubigern ist es bei Erlass einer Stabilisierungsanordnung somit nicht verwehrt, die 14 wechselseitigen Forderungen im Rahmen des Liquidationsnettings zu verrechnen.23 Die in das Liquidationsnetting einzubeziehenden Einzelgeschäfte unterliegen mithin insbesondere nicht den Regelungen des § 55 StaRUG.24 Der wesentliche Regelungsgehalt des § 56 Abs. 2 StaRUG liegt darin, dass er abweichend von § 55 StaRUG die Möglichkeit der Beendigung der einem Liquidationsnetting zugrunde liegenden Einzelgeschäfte aufrechterhält.25 Eben jene Vertragsbeendigung, die einem Liquidationsnetting notwendigerweise vorauszugehen hat, bleibt gem. § 56 Abs. 2 StaRUG auch im Fall einer Verwertungssperre weiterhin möglich. Hingegen kann der saldierte Ausgleichsanspruch, d.h. der sich nach Durchführung des Net- 15 tings im Ergebnis ergebende Ausgleichsanspruch,26 durchaus Gegenstand einer Stabilisierungsanordnung und von den Wirkungen einer Vollstreckungs- oder Verwertungssperre erfasst sein, wie § 56 Abs. 2 Satz 2 StaRUG klarstellt.27

§ 57 Haftung der Organe 1Handelt

es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit [ab 1.1.2024: „rechtsfähige Personengesellschaft“] im Sinne des § 15a Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 der Insolvenzordnung und erwirkt er aufgrund vorsätzlich oder fahrlässig unrichtiger Angaben eine Stabilisierungsanordnung, ist der Geschäftsleiter den davon betroffenen Gläubigern zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese durch die Anordnung erleiden. 2Dies gilt nicht, wenn ihn kein Verschulden trifft. 3Die Sätze 1 20 Fried in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 104 InsO Rz. 212; vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 56 StaRUG Rz. 10; Schröder in Nerlich/Römermann, § 56 StaRUG Rz. 6 (Stand: 44. EL November 2021). 21 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 10; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 4. 22 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 12; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 4. 23 Schönfelder in Flöther, 2021, § 56 StaRUG Rz. 11. 24 Vgl. Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 56 StaRUG Rz. 15. 25 Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 159 unter Bezugnahme auf § 62 StaRUG-RegE, der dem Gesetz gewordenen § 55 StaRUG entspricht. 26 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/9983, S. 8; Fried in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 104 Rz. 215; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 13. 27 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 56 StaRUG Rz. 13.

Schönen/Bender | 995

§ 57 Rz. 1 | Haftung der Organe und 2 gelten auch für den Ersatz des Schadens, der einem Gläubiger aus einer nicht ordnungsgemäßen Auskehrung oder Verwahrung der Erlöse nach § 54 Absatz 2 entsteht. 4Für Ansprüche nach den Sätzen 1 und 3 gilt § 43 Absatz 3 entsprechend. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256), Satz 1 mit Wirkung v. 1.1.2024 geändert durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).“ I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . . . . 1. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . a) Schuldner und Geschäftsleiter . . . . . . b) Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Missbräuchliches Erwirken einer Stabilisierungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unrichtige Angaben (§ 57 Satz 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erwirken (Kausalität der unrichtigen Angabe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 5 7 7 7 10 11

3. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verschulden des Geschäftsleiters . . . . 4. Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Nicht ordnungsgemäße Auskehrung oder Verwahrung von Erlösen (§ 57 Satz 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verjährung (§ 57 Satz 4 StaRUG) . . . . . VII. Verhältnis zur Haftung aus § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20 21 24 26 28 34 36

11 15

Schrifttum: Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG, ZInsO 2021, 1; Desch, Das neue Restrukturierungsrecht: Praxisfragen des StaRUG, 1. Aufl. 2021; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Kluth/Harder/Harig/Kunz, Das neue Restrukturierungsrecht: Unternehmensrestrukturierung durch StaRUG und Eigenverwaltung, 1. Aufl. 2022; Knauth, Revolvierende Kreditsicherheiten und vorinsolvenzliche Restrukturierung nach Maßgabe des StaRUG, NZI 2021, 15.

I. Regelungsgegenstand 1 Mit § 57 StaRUG verschafft der Gesetzgeber Gläubigern unter bestimmten Umständen einen

Schadensersatzanspruch gegen Geschäftsleiter von juristischen Personen oder Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit i.S.d. § 15a Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 InsO. Auf diese Weise wird eine Außenhaftung der Geschäftsleiter begründet.1 Der Schadensersatzanspruch setzt im Ausgangspunkt voraus, dass der Geschäftsleiter entweder eine Stabilisierungsanordnung aufgrund vorsätzlich oder fahrlässig unrichtiger Angaben erwirkt hat oder im Falle der Anordnung einer Verwertungssperre entgegen § 54 Abs. 2 StaRUG Verwertungserlöse aus der Einziehung, Veräußerung oder Verarbeitung von Sicherungsgegenständen nicht ordnungsgemäß ausgekehrt oder verwahrt hat. Sofern einem von der Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubiger hierdurch ein Schaden entstanden ist, kann er in den vorstehend beschriebenen Fällen den Geschäftsleiter unmittelbar auf Ersatz in Anspruch nehmen, es sei denn, den Geschäftsleiter tritt kein Verschulden (§ 57 Satz 2 StaRUG).

1 Mock in BeckOK/StaRUG, § 57 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

996 | Schönen/Bender

Haftung der Organe | Rz. 6 § 57

II. Normzweck Der Schadensersatzanspruch aus § 57 StaRUG, der betroffenen Gläubigern die Möglichkeit 2 der unmittelbaren Inanspruchnahme der Geschäftsleiter eröffnet, dient dem Schutz der Gläubiger, denen unter den Voraussetzungen des § 57 StaRUG neben dem haftungsbeschränkten Unternehmensträger zumindest auch ein persönlich haftender Anspruchsgegner zur Verfügung stehen soll.2 Dies ist bei einem missbräuchlichen Erwirken der Anordnung gem. § 57 Satz 1 StaRUG nicht zuletzt deshalb geboten, da einer Stabilisierungsanordnung gem. § 49 StaRUG seitens des Restrukturierungsgerichts nur eine Plausibilitätskontrolle vorangeht und auch eine Anhörung der Gläubiger nicht vorgesehen ist,3 der Eingriff in die Rechte der Gläubiger durch den Erlass einer Vollstreckungs- und Verwertungssperre auf der anderen Seite aber erheblich ist.4 Im Endeffekt handelt es sich bei dem Haftungsanspruch um ein Korrektiv zugunsten der betroffenen Gläubiger für die bloß eingeschränkte gerichtliche Kontrolle in diesem Verfahrensstadium und die insoweit geltende Beibringungsmaxime.5

Ein vergleichbares Gefährdungspotential besteht für aus- und absonderungsanwartschaftsberech- 3 tigte Gläubiger im Falle der Anordnung einer Verwertungssperre auch im Hinblick auf den Umgang mit vom Schuldner vereinnahmten Verwertungserlösen (vgl. § 57 Satz 3 StaRUG).6 Kommen die Geschäftsleiter ihren Pflichten gem. § 54 Abs. 2 StaRUG nicht nach, weil sie die erzielten Verwertungserlöse nicht ordnungsgemäß an die berechtigten Gläubiger auskehren oder nicht unterscheidbar verwahren, tragen die Gläubiger in einer sich anschließenden Insolvenz des Schuldners das finanzielle Risiko, das bei Aufrechterhaltung ihrer Sicherungsrechte und vorbehaltlich einer insolvenzfesten Bestellung der Sicherheiten in dieser Form nicht eingetreten wäre. Aufgrund der Gefahr der persönlichen haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des Geschäfts- 4 leiters wohnt der Regelung des § 57 StaRUG insofern auch ein präventiver Schutzcharakter inne, da die Geschäftsleiter hierdurch angehalten werden sollen, behutsam und sorgfältig mit dem Instrument der Stabilisierungsanordnung sowohl bei der Beantragung als auch bei der Umsetzung umzugehen und die sich daraus ergebenden Pflichten zu beachten.7

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage Die Vorschrift des § 57 StaRUG beruht nicht auf den Vorgaben der Restrukturierungs-RL,8 5 sondern wurde vom deutschen Gesetzgeber aus eigenem Antrieb in das Regelungssystem des StaRUG eingefügt.9 Mit Ausnahme von redaktionellen Änderungen ist die Norm in der im Regierungsentwurf10 6 enthaltenen Fassung verabschiedet worden und hat seitdem keine Änderungen erfahren. 2 Mock in BeckOK/StaRUG, § 57 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 3 Gehrlein, BB 2021, 66, 74. 4 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 3; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 2. 5 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 1. 6 Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 57 StaRUG Rz. 1; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 3. 7 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 3. 8 Richtlinie 2019/1023/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz), ABl. EU Nr. L 172 v. 26.6.2019, S. 18 ff. 9 Mock in BeckOK/StaRUG, § 57 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 10 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 36.

Schönen/Bender | 997

§ 57 Rz. 6 | Haftung der Organe

IV. Anspruchsvoraussetzungen 1. Persönlicher Anwendungsbereich a) Schuldner und Geschäftsleiter 7 Bei dem Schuldner muss es sich entweder um eine juristische Person (insbesondere GmbH, UG,

AG, KGaA, eG, SE, SPE, Verein, Stiftung) oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (ab 1.1.2024: rechtsfähige Personengesellschaft)11 i.S.d. § 15a Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 InsO handeln, d.h. eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der keine natürliche Person mittelbar oder unmittelbar als persönlich haftender Gesellschafter für die Schulden der Gesellschaft einsteht.12

8 Die Geschäftsleiter des Schuldners sind die Adressaten (Passivlegitimation) der Außenhaf-

tung gem. § 57 StaRUG. Geschäftsleiter einer juristischen Person sind gemäß der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 Satz 1 StaRUG die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs. Übertragen auf die Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit bedeutet dies, dass dort insofern die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Vertretungsorgans als Geschäftsleiter i.S.d. § 57 StaRUG zu verstehen sind.13

9 Zwar spricht das Gesetz lediglich von der Haftung des Geschäftsleiters im Singular, allerdings

haften mehrere bestellte Geschäftsleiter zusammen als Gesamtschuldner i.S.d. §§ 426 ff. BGB gegenüber dem betroffenen Gläubiger.14 Die Haftung ist auch auf den faktischen Geschäftsführer, nicht jedoch auf Mitglieder des Aufsichtsrats auszudehnen.15 b) Gläubiger

10 Aktivlegitimiert sind die von der Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubiger, denen

aufgrund der Stabilisierungsanordnung (bzw. der nicht ordnungsgemäßen Auskehrung oder Separierung von Verwertungserlösen im Fall von § 57 Satz 3 StaRUG) ein Schaden entstanden ist. Damit ist verbunden, dass der Gläubiger auch Adressat der Stabilisierungsanordnung sein muss.16 Ein nur mittelbar durch die Stabilisierungsanordnung in seinen Rechten beeinträchtigter Gläubiger hingegen kann seinen Schaden nur im Wege der Inanspruchnahme des Schuldners geltend machen, der wiederum den Geschäftsleiter ggf. aufgrund seiner Innenhaftung nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG in Anspruch nehmen kann.17

2. Missbräuchliches Erwirken einer Stabilisierungsanordnung a) Unrichtige Angaben (§ 57 Satz 1 StaRUG) 11 Die haftungsrechtliche Inanspruchnahme des Geschäftsleiters seitens eines Gläubigers setzt

voraus, dass die Stabilisierungsanordnung durch den Schuldner aufgrund vorsätzlicher oder fahrlässiger unrichtiger Angaben erwirkt wurde (§ 57 Abs. 1 Satz 1 StaRUG). 11 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). 12 Vgl. Klöhn in MünchKomm/InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 49. 13 Schönfelder in Flöther, 2021, § 57 StaRUG Rz. 6. 14 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 159. 15 Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 4. 16 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 34; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 6; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 12; a.A. Schönfelder in Flöther, 2021, § 57 StaRUG Rz. 9. 17 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 34; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 12.

998 | Schönen/Bender

Haftung der Organe | Rz. 15 § 57

Unter Angaben versteht die Norm sämtliche „Angaben“, die der Schuldner generell im Rah- 12 men des Antrags auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung i.S.d. § 49 Abs. 1 StaRUG zu machen hat. Damit sind insbesondere Angaben gemeint, die den Antrag selbst gem. § 50 Abs. 1 StaRUG betreffen oder aber Teil der zwingenden Anlagen und Erklärungen des Antrags sind, also insbesondere Angaben i.R.d. Restrukturierungsplanung gem. § 50 Abs. 2 StaRUG und der Erklärungen i.S.d. § 50 Abs. 3 StaRUG. Die Haftung beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Unrichtigkeit von Pflichtangaben, sondern umfasst darüber hinaus sämtliche unrichtigen Angaben gegenüber dem Restrukturierungsgericht.18 Allerdings ist § 57 Satz 1 StaRUG insoweit einzuschränkend auszulegen, als dass die unrichti- 13 gen Angaben im Rahmen der Restrukturierungsplanung gem. § 50 Abs. 2 StaRUG oder der Erklärungen i.S.d. § 50 Abs. 3 StaRUG wesentliche Punkte betreffen müssen.19 So geht das Gesetz für diesen Fall nämlich bereits gem. § 51 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG davon aus, dass das Restrukturierungsgericht nur dann keine Stabilisierungsanordnung zu erlassen hat, wenn die Restrukturierungsplanung oder die Erklärungen i.S.d. § 50 Abs. 3 StaRUG in wesentlichen Punkten auf unrichtigen oder unzutreffenden Tatsachen beruhen. Wenn aber das Gesetz in diesem Fall den Erlass einer Stabilisierungsanordnung ausnahmsweise auch im Falle unrichtiger Angaben duldet, kann der Geschäftsleiter nicht mit einer persönlichen Haftung bedroht sein, so dass eine persönliche Haftung nur dann in Betracht kommt, wenn die unrichtigen Angaben auch wesentliche Punkte betreffen.20 Insofern ist der gesetzgeberische Wille auch i.R.d. Haftungsanspruchs aus § 57 StaRUG zu berücksichtigen. Unrichtig sind die Angaben immer dann, wenn sie objektiv falsch sind.21 Die unrichtigen An- 14 gaben müssten dem Geschäftsleiter in jedem Fall aber zumindest in irgendeiner Form nach den allgemeinen Regeln zuzurechnen sein, wenn er sie nicht selbst abgegeben hat.22 Andernfalls kann eine persönliche Haftung nach § 57 Satz 1 StaRUG nicht in Betracht kommen. b) Erwirken (Kausalität der unrichtigen Angabe) Der Wortlaut der Norm spricht von einem Erwirken der Stabilisierungsanordnung auf- 15 grund unrichtiger Angaben. Damit fordert § 57 Satz 1 StaRUG tatbestandlich einen Erfolg in Form der erfolgreichen Einwirkung auf das Restrukturierungsgericht.23 Daher müssen die unrichtigen Angaben auch objektiv kausal für den Erlass der Stabilisierungsanordnung gewesen sein.24 Dabei ist der Wortlaut der Norm jedoch nicht so eng auszulegen, dass von einem Erwirken einer Stabilisierungsanordnung nur im Fall der Beantragung der Erstanordnung gesprochen werden kann. Vielmehr ist ein Erwirken auch dann anzunehmen, wenn eine Folgeoder Neuanordnung aufgrund unrichtiger und dem Geschäftsleiter zurechenbarer Angaben ergeht.25 Um die Kausalität bejahen zu können, ist zu fordern, dass eine Stabilisierungsanordnung (auch im Falle von Folge- und Neuanordnung) durch das Restrukturierungsgericht eben 18 Mock in BeckOK/StaRUG, § 57 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 19 Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 57 StaRUG Rz. 2; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 9. 20 Vgl. Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 57 StaRUG Rz. 2; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 9. 21 Schönfelder in Flöther, 2021, § 57 StaRUG Rz. 5; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 10. 22 Mock in BeckOK/StaRUG, § 57 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 10. 23 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 14. 24 Schönfelder in Flöther, 2021, § 57 StaRUG Rz. 5; Mock in BeckOK/StaRUG, § 57 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 25 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 9; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 12.

Schönen/Bender | 999

§ 57 Rz. 15 | Haftung der Organe gerade dann nicht erlassen worden wäre, wenn der Schuldner (hypothetisch) richtige Angaben gemacht hätte.26 Fehlt es also an der Kausalität, etwa weil das Restrukturierungsgericht bereits vor Erlass der Stabilisierungsanordnung Kenntnis von der Unrichtigkeit der Angaben gehabt hat, entfällt eine Außenhaftung des Geschäftsleiters nach § 57 Satz 1 StaRUG.27 16 Fraglich ist aber, ob es mit der Vorschrift des § 57 Satz 1 StaRUG vereinbar ist, wenn die Haf-

tung auch auf solche Angaben ausgeweitet wird, deren Tatsachengehalt erst nach Abgabe der Angaben unrichtig wird und deren Unrichtigkeit nicht unverzüglich vom Schuldner mitgeteilt und korrigiert wird.28 So hat der Schuldner dem Restrukturierungsgericht nämlich auch nach Erlass der Stabilisierungsanordnung gem. § 32 Abs. 2 Satz 2 StaRUG unverzüglich wesentliche Änderungen, die die Restrukturierungsplanung betreffen, mitzuteilen. Gleichwohl liegt hierin ausgehend vom Wortlaut des § 57 Satz 1 StaRUG kein Erwirken einer Stabilisierungsanordnung, da die Stabilisierungsanordnung bereits zuvor und zwar noch auf Basis von zutreffenden Angaben erlassen wurde. Lediglich die Aufhebung einer ergangenen Stabilisierungsanordnung gem. § 59 StaRUG kann hier durch Unterlassen der Mitteilung über die Änderung oder Unrichtigkeit der Angaben verzögert oder gar vereitelt werden.

17 Gleichwohl stellt eine Ansicht im Schrifttum haftungsrechtlich die Abgabe unrichtiger Anga-

ben ohne weiteres dem Unterlassen der unverzüglichen Mitteilung über wesentliche Änderungen betreffend die Restrukturierungsplanung gem. § 32 Abs. 2 Satz 2 StaRUG gleich und erstreckt insofern die Haftung aus § 57 Satz 1 StaRUG auf eben jene Konstellation.29 Nach anderer Ansicht droht dem Geschäftsleiter für den Fall der Verletzung der Pflicht aus § 32 Abs. 2 Satz 2 StaRUG lediglich eine Innenhaftung aus § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG gegenüber dem Schuldner, da § 32 StaRUG insofern den Pflichtenkreis des Geschäftsleiters konkretisiere und abschließend regele. Weitere Haftungsfolgen sehe das Gesetz nicht vor. Darüber hinaus komme lediglich die Aufhebung der Restrukturierungssache insgesamt wegen schwerwiegender Verletzung der dem Geschäftsleiter nach § 32 StaRUG obliegenden Pflichten (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StaRUG) oder die Aufhebung der erlassenen Stabilisierungsanordnung (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) in Betracht.30

18 Nach hier vertretener Ansicht liegt im Falle des Unterlassens der Mitteilung der wesentlichen

Änderungen zwar ein gleichgelagerter unrechtmäßiger Eingriff in die Rechte der betroffenen Gläubiger vor, der aber mangels planwidriger Regelungslücke und aufgrund insoweit abschließender Regelung in §§ 32, 43 StaRUG nicht durch eine analoge Anwendung der Haftungsvorschrift des § 57 Satz 1 StaRUG erfasst werden kann. Dem Geschäftsleiter ist dessen ungeachtet auch im eigenen Interesse zur Vermeidung der Innenhaftung nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG zu empfehlen, dem Restrukturierungsgericht wesentliche Änderungen nach Erlass der Stabilisierungsanordnung unverzüglich mitzuteilen.

19 Sofern man entgegen der hier vertretenen Auffassung auch den Fall der nachträglichen Un-

richtigkeit und fehlenden unverzüglichen Korrektur der Angaben durch Geschäftsleiter zur Begründung der Haftung aus § 57 Satz 1 StaRUG ausreichen lässt, ist i.R.d. Kausalitätsprüfung zu fragen, ob das Restrukturierungsgericht in Kenntnis der wesentlichen Änderungen die Stabilisierungsanordnung gem. § 59 StaRUG aufgehoben hätte.31

26 Schröder in Nerlich/Römermann, § 57 StaRUG Rz. 13 (Stand: 44. EL November 2021); Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 12; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 14. 27 Mock in BeckOK/StaRUG, § 57 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 28 So wohl Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 12; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 11; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 9. 29 Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 12; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 11; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 9. 30 Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 32 StaRUG Rz. 8. 31 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 11.

1000 | Schönen/Bender

Haftung der Organe | Rz. 25 § 57

3. Verschulden § 57 StaRUG setzt subjektiv ein doppeltes Verschulden und zwar einerseits des Schuldners 20 und andererseits des Geschäftsleiters voraus.32 Das Verschulden auf der Ebene des Schuldners (Satz 1) ist objektives Tatbestandsmerkmal des Haftungsanspruchs, während das Verschulden des Geschäftsleiters (Satz 2) als subjektives Tatbestandsmerkmal fungiert. a) Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Schuldners Auf Ebene des Schuldners, also der Gesellschaft selbst, bedarf es eines vorsätzlichen oder 21 fahrlässigen Handelns in Bezug auf die Abgabe der unrichtigen Angaben. Vorsatz ist das Wissen und Wollen eines pflichtwidrigen Erfolgs. Es handelt derjenige vorsätzlich, der das rechtlich geschützte Interesse eines anderen bewusst und gewollt verletzen will, wobei es genügt, dass der Verletzungserfolg vielleicht unerwünscht ist, aber billigend in Kauf genommen wird.33 Fahrlässig handelt gem. § 276 Abs. 2 BGB derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Ausreichend ist bereits die einfache Fahrlässigkeit. Zwar stellt § 57 Satz 1 StaRUG formal auf den Schuldner ab, betrifft aber letztlich die entspre- 22 chenden Handlungen und Angaben des Geschäftsleiters als dem maßgeblichen Organ.34 Da die Angaben durch den Schuldner mindestens in fahrlässiger Weise unrichtig abgegeben worden sein müssen, treten auf der Ebene des Schuldners – insbesondere in größeren Unternehmen – u.U. noch eine Vielzahl an Fragen der Wissenszurechnung hinzu.35 Das Verschulden des Geschäftsleiters, der nach außen für den Schuldner auftritt und tätig 23 wird, wird über § 31 BGB dem Schuldner zugerechnet.36 Da auf der Ebene des Schuldners keine Vermutungsregelung vorgesehen ist, hat der Gläubiger das Verschulden des Schuldners nach den allgemeinen Regeln darzulegen und zu beweisen.37 b) Verschulden des Geschäftsleiters § 57 Satz 2 StaRUG sieht vor, dass das Verschulden des Geschäftsleiters vermutet wird, sich 24 dieser jedoch exkulpieren kann, es sich also um eine widerlegliche Vermutung handelt.38 Für das Verschulden des Geschäftsleiters ausreichend ist gem. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB neben Vorsatz auch hier einfache Fahrlässigkeit. Die Regelung des Doppelverschuldens wirft Fragen auf. Denn zunächst obliegt es dem Gläubi- 25 ger, dem Schuldner und damit im Endeffekt eben dem Geschäftsleiter ein vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln nachzuweisen, während das Verschulden des Geschäftsleiters grundsätzlich vermutet wird, er also im Anschluss die Vermutung seines Verschuldens widerlegen müsste.39 Wenn dem Geschäftsleiter aber i.S.v. § 57 Satz 1 StaRUG grundsätzlich ein Verschulden nachgewiesen werden muss, dürfte die Vermutungsregelung des § 57 Satz 2 StaRUG leerlaufen.40 So wird teilweise im Schrifttum gefordert, dass die Vermutungsregelung auch auf das Verschulden des Schuldners auszuweiten ist und der Geschäftsleiter folglich nicht nur die Ver32 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 159; Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 57 StaRUG Rz. 3. 33 BGH v. 15.7.2008 – VI ZR 212/07, NJW 2009, 681, 684 Rz. 30 = MDR 2008, 1209. 34 Schönfelder in Flöther, 2021, § 57 StaRUG Rz. 6. 35 Dies vertiefend Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 27 ff. 36 Vgl. etwa Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 26. 37 Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestrukturierungsR, § 6 Rz. 29. 38 Mock in BeckOK/StaRUG, § 57 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 39 Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, § 6 Rz. 29. 40 Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, § 6 Rz. 29.

Schönen/Bender | 1001

§ 57 Rz. 25 | Haftung der Organe mutung seines eigenen Verschuldens, sondern auch die Vermutung des Verschuldens des Schuldners zu widerlegen hat.41

4. Schaden 26 Der Geschäftsleiter ist nach § 57 Satz 1 StaRUG dazu verpflichtet, den kausal durch die Stabi-

lisierungsanordnung beim Gläubiger verursachten Schaden zu ersetzen.42 Dabei ist es unerheblich, ob der Gläubiger auf die Richtigkeit der Angaben vertraut hat.43 Es wird mithin der positive Schaden ersetzt.44

27 In der Regel wird der Schaden in der vereitelten Zwangsvollstreckung oder Verwertung der

bestellten Sicherheiten liegen. Wird im Anschluss an die Stabilisierungsanordnung ein Insolvenzverfahren eröffnet, ist eine Zwangsvollstreckung gem. § 89 Abs. 1 InsO nicht mehr möglich. Eine Sicherheitenverwertung kommt dann grundsätzlich nur noch bei insolvenzfest bestellten Sicherheiten und nur unter Berücksichtigung der hierfür im Insolvenzverfahren geltenden Regelungen zur Zuständigkeit für die Verwertung nach §§ 165 ff. InsO sowie der gesetzlich vorgeschriebenen Kostenbeiträge für die Insolvenzmasse nach §§ 170 f. InsO in Betracht. Bei der Berechnung des Schadens im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist ein möglicher Insolvenzanfechtungsanspruch hinsichtlich der in Aussicht genommenen hypothetischen Befriedigung schadensmindernd zu berücksichtigen.45 Für die Kostenbeiträge nach §§ 170 f. InsO gilt dies hingegen nicht, wenn ohne die Stabilisierungsanordnung eine Verwertung außerhalb des Insolvenzverfahrens und daher ohne Abzug von Verwertungskosten hätte erfolgen können.

V. Nicht ordnungsgemäße Auskehrung oder Verwahrung von Erlösen (§ 57 Satz 3 StaRUG) 28 Neben der Haftung aufgrund unrichtiger Angaben gegenüber dem Restrukturierungsgericht

im Zusammenhang mit der Beantragung einer Stabilisierungsanordnung haften die Geschäftsleiter gem. § 57 Satz 3 StaRUG auch für die nicht ordnungsgemäße Auskehrung oder Verwahrung von Verwertungserlösen der Aus- oder Absonderungsanwartschaftsberechtigten nach den Vorgaben des § 54 Abs. 2 StaRUG (vgl. § 54 Rz. 32 ff.). Die übrigen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs ergeben sich durch den Verweis in § 57 Satz 3 StaRUG auf § 57 Satz 1 und Satz 2 StaRUG, so dass es sich beim Schuldner um eine juristische Person oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (ab 1.1.2024: rechtsfähige Personengesellschaft)46 i.S.d. § 15a Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 InsO handeln muss und der Geschäftsleiter das auch insoweit vermutete Verschulden hinsichtlich der nicht ordnungsgemäßen Auskehrung oder Verwahrung der Erlöse widerlegen müsste, um einer Haftung zu entgehen.

29 Gemäß § 54 Abs. 2 StaRUG ist der Schuldner dazu verpflichtet, die i.S.d. § 54 Abs. 2 StaRUG

erzielten Erlöse während der Anordnungsdauer entweder direkt an den Gläubiger auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren, es sei denn, es existiert eine abweichende Vereinbarung

41 Desch/Hochdorfer in Desch, Das neue RestruktR, § 6 Rz. 29. 42 Schönfelder in Flöther, 2021, § 57 StaRUG Rz. 11; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 57 StaRUG Rz. 6; Mock in BeckOK/StaRUG, § 57 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 43 Mock in BeckOK/StaRUG, § 57 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 44 Mock in BeckOK/StaRUG, § 57 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 45 Weber/Dömmecke in Braun, 2021, § 57 StaRUG Rz. 6. 46 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436).

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Haftung der Organe | Rz. 33 § 57

mit dem betreffenden Gläubiger. Hinsichtlich der Einzelheiten kann auf die Ausführungen zu § 54 Abs. 2 StaRUG verwiesen werden (vgl. § 54 Rz. 32 ff.). Die Haftung erstreckt sich nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut nur auf den Anwen- 30 dungsbereich des § 54 Abs. 2 StaRUG und damit folglich nur auf solche Erlöse, die entweder vertragsgemäß eingezogen oder durch vertragsgemäße Verwertung erzielt worden sind.47 Nicht unter die Außenhaftung des § 57 Satz 3 StaRUG fallen – bei wortlautgetreuer Anwendung – Erlöse, die vertragswidrig eingezogen oder durch vertragswidrige Verwertung erzielt worden sind, etwa weil die Einziehungs- und Weiterverarbeitungs- und -veräußerungsermächtigung widerrufen wurde oder anderweitig erloschen ist, da insofern der Anwendungsbereich von § 54 Abs. 2 StaRUG (zumindest nach seinem Wortlaut) versperrt ist.48 Dieses Ergebnis überzeugt nicht. Vielmehr findet in Fällen der vertragswidrigen Einziehung, Verarbeitung oder Veräußerung und Nutzung der daraus erzielten Erlöse durch den Geschäftsleiter für die weitere Betriebsfortführung § 57 Satz 3 StaRUG analoge Anwendung.49 Dies ergibt sich aus der konsequenten Fortführung der Überlegungen zur analogen Anwendung des § 54 Abs. 2 StaRUG bei vertragswidriger Einziehung der Erlöse (vgl. § 54 Rz. 37). Zwar greift insoweit die Vorschrift des § 43 StaRUG zur Innenhaftung des Geschäftsleiters gegenüber dem Schuldner.50 Der Geschäftsleiter darf jedoch bei vertragswidrigem Verhalten nicht besser gestellt werden, als wenn er vertraglich zur Einziehung, Verarbeitung oder Veräußerung und Nutzung ermächtigt gewesen wäre. In diesen Fällen muss er erst recht einer Außenhaftung ausgesetzt sein. Eine Außenhaftung des Geschäftsleiters auf vertraglicher Basis kommt nicht in Betracht, da der Geschäftsleiter aus der vertraglichen Beziehung des Schuldners mit dem Gläubiger nicht direkt verpflichtet wird und daher auch nicht für eine Verletzung derselben persönlich haftet, solange keine gesetzliche Haftungsgrundlage existiert.51 Im Einzelfall kann es in diesen Konstellationen aber zusätzlich zu einer Außenhaftung des Geschäftsleiters über § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB kommen.52 In zeitlicher Hinsicht werden solche Erlöse von der Haftung nicht erfasst, die vor Erlass der 31 Stabilisierungsanordnung erzielt wurden.53 Wird der entsprechend eingenommene oder erzielte Erlös weder ausgekehrt noch ordnungs- 32 gemäß verwahrt, ist dem Gläubiger der daraus entstandene Schaden zu ersetzen, soweit sich der Geschäftsleiter nicht gem. § 57 Satz 2 StaRUG exkulpieren kann. Im Regelfall dürfte es sich hierbei um den Ersatz des Ausfallschadens, also die Erstattung der nicht mehr vorhandenen Erlöse, handeln.54 Die Ausführungen in Rz. 26 f. zum Erfordernis eines kausal verursachten Schadens gelten entsprechend. Dem Geschäftsleiter des Schuldners ist daher i.d.R. zu empfehlen, frühzeitig mit den Gläubi- 33 gern eine (anderweitige) Vereinbarung i.S.d. § 54 Abs. 2 StaRUG abzuschließen, die den Ein-

47 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 23; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 22 f. 48 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 23; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 23. 49 Diese Idee andeutend Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 23; Idee eines Erst-Recht-Schlusses Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 23. 50 Vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 23; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 23. 51 BGH v. 7.5.2019 – VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rz. 12; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 23. 52 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 23; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 23. 53 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 23. 54 Schönfelder in Flöther, 2021, § 57 StaRUG Rz. 19.

Schönen/Bender | 1003

§ 57 Rz. 33 | Haftung der Organe zug und die Verwendung der Erlöse hinreichend genau regelt, um eine unmittelbare haftungsrechtliche Inanspruchnahme nach Möglichkeit auszuschließen (vgl. § 54 Rz. 62).55

VI. Verjährung (§ 57 Satz 4 StaRUG) 34 Der Haftungsanspruch des Gläubigers gegen den Geschäftsleiter verjährt aufgrund des Ver-

weises gem. § 57 Satz 4 StaRUG auf die Regelung des § 43 Abs. 3 StaRUG grundsätzlich in fünf Jahren. Sofern die Gesellschaft allerdings im Zeitpunkt der Pflichtverletzung eine börsennotierte Aktiengesellschaft war, findet die Verjährungsregelung des § 43 Abs. 3 Satz 2 StaRUG Anwendung, so dass die Schadensersatzansprüche in zehn Jahren verjähren.

35 Hinsichtlich des Beginns der Verjährung enthält § 43 Abs. 3 StaRUG keine Angaben, so dass

auf die allgemeinen Verjährungsregeln zurückzugreifen ist. Damit beginnt der Lauf der Verjährungsfrist gem. § 200 Satz 1 BGB mit Entstehung des Anspruchs.56 Soweit der Anspruch gem. § 57 StaRUG (ausnahmsweise) auf ein Unterlassen geht, tritt an die Stelle der Entstehung des Anspruchs die Zuwiderhandlung (§ 200 Satz 2 i.V.m. § 199 Abs. 5 BGB).

VII. Verhältnis zur Haftung aus § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG 36 Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG haften Geschäftsleiter einer juristischen Person sowie ei-

ner Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (ab 1.1.2024: rechtsfähige Personengesellschaft)57 i.S.d. § 15a Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 InsO dem Schuldner in Höhe des den Gläubigern entstandenen Schadens, wenn sie ihre Pflicht gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 StaRUG verletzen, die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu betreiben und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Dies gilt nicht, wenn der Geschäftsleiter die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Es stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese Innenhaftung des Geschäftsleiters zur Außenhaftung nach § 57 StaRUG steht. Zunächst ist festzuhalten, dass § 43 Abs. 1 StaRUG den Ersatz eines Gesamtschadens regelt, den Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Pflichtverletzung während der Anhängigkeit der Restrukturierungssache erlitten haben, während § 57 StaRUG den Ersatz eines Individualschadens im Rahmen einer Außenhaftung vorsieht, der einem Gläubiger aufgrund einer Stabilisierungsanordnung oder der nicht ordnungsgemäßen Auskehrung oder Verwahrung von Verwertungserlösen individuell entstanden ist. Da eine Pflichtverletzung i.S.d. § 57 StaRUG immer auch eine Pflichtverletzung im Sinne des weit formulierten § 43 Abs. 1 StaRUG darstellen wird, überschneiden sich die Anwendungsbereiche beider Vorschriften. Mit anderen Worten, wenn ein Schadensersatzanspruch gem. § 57 StaRUG gegeben ist, wird tatbestandlich immer auch ein Anspruch gem. § 43 Abs. 1 StaRUG gegeben sein. Daher muss das Verhältnis der beiden Haftungsvorschriften zueinander bestimmt werden.

37 Es ist anzunehmen, dass der Anspruch des Gläubigers gegen den Geschäftsleiter aus § 57 Sta-

RUG und die sich daraus ergebende Außenhaftung der Innenhaftung des Geschäftsleiters aus § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG als lex specialis vorgeht und diese verdrängt.58 Das heißt, soweit eine Haftung nach § 57 StaRUG gegeben ist, sind die geschädigten Gläubiger darauf verwie-

55 Knauth, NZI 2021, 158, 161; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 26. 56 So auch Kluth in Kluth/Harder/Harig/Kunz, RestruktR, 2022, § 6 Rz. 55. 57 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). 58 Mock in BeckOK/StaRUG, § 57 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 12; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 4; Schröder in Nerlich/ Römermann, § 57 StaRUG Rz. 1 (Stand: 44. EL November 2021); Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 57 StaRUG Rz. 3; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 12.

1004 | Schönen/Bender

Insolvenzantrag | Rz. 3 § 58

sen, den Geschäftsleiter selbst aus § 57 StaRUG in Anspruch zu nehmen. Dies gilt auch im Fall eines sich anschließenden Insolvenzverfahrens, da der Anspruch aus § 57 StaRUG gerade nicht den Ersatz eines Gesamtschadens i.S.d. § 92 InsO beinhaltet, der vom Insolvenzverwalter geltend zu machen wäre.

§ 58 Insolvenzantrag Das Verfahren über den Antrag eines Gläubigers, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen, wird für die Anordnungsdauer ausgesetzt. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. II. III. IV. 1. 2.

Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historie und EU-Richtlinien-Grundlage Auswirkungen auf Gläubigeranträge . . Aussetzung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . Koordination zwischen Restrukturierungsgericht und Insolvenzgericht . . . . . . . . . . .

1 3 4 7 7

3. Wiederaufleben der Wirkungen des Gläubigerantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 V. Eigenantrag des Schuldners . . . . . . . . . . 16 VI. Rechtsschutzmöglichkeiten der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

10

Schrifttum: Frind, Überreguliert statt saniert? Zum RefE eines „StaRUG“, ZInsO 2020, 2241; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 2), ZInsO 2020, 2677.

I. Regelungsgegenstand Die Vorschrift des § 58 StaRUG regelt, dass für die Dauer einer Stabilisierungsanordnung Ver- 1 fahren über Anträge von Gläubigern, die gem. § 14 InsO auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners gerichtet sind, ausgesetzt sind. Keinen Einfluss hat die Vorschrift hingegen auf die nach wie vor bestehende Anzeigepflicht 2 der Geschäftsleiter des Schuldners, eine etwaig im Anordnungszeitraum auf Seiten des Schuldners eintretende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung beim Restrukturierungsgericht anzuzeigen (§ 32 Abs. 3, § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG).1 Auch ändert § 58 StaRUG nichts an der Möglichkeit der Insolvenzantragstellung durch den Schuldner.2

II. Normzweck Die Vorschrift dient der Umsetzung des mit der Restrukturierungs-RL3 verfolgten Ziels, un- 3 nötige Liquidationen von im Grundsatz bestandsfähigen Unternehmen zu vermeiden und 1 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 6. 2 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 6. 3 Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 – im Folgenden: Restrukturierungs-RL.

Schönen/Bender | 1005

§ 58 Rz. 3 | Insolvenzantrag die Restrukturierungsfähigkeit von Unternehmen zu erhalten.4 Es soll verhindert werden, dass das Erreichen des Restrukturierungsziels durch Stellung eines Gläubigerantrags gerichtet auf eine Insolvenzverfahrenseröffnung verhindert5 oder beeinträchtigt6 wird. Die Vorschrift ergänzt und vervollständigt auf diese Weise die Aussetzung von Vollstreckungs- und Verwertungsmaßnahmen während der Dauer einer Stabilisierungsanordnung.7

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage 4 Die Regelung des § 58 StaRUG beruht auf den Vorgaben des Art. 7 Abs. 2 der Restrukturie-

rungs-RL,8 der vorschreibt, dass während der Dauer der Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen gem. Art. 6 der Restrukturierungs-RL, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Antrag eines oder mehrerer Gläubiger aufzuschieben ist.

5 Von der in Art. 7 Abs. 3 der Restrukturierungs-RL eingeräumten Möglichkeit eine Ausnah-

me vorzusehen, wonach Gläubigeranträge gerichtet auf eine Insolvenzverfahrenseröffnung im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gerade keinem Aufschub unterliegen, hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht.

6 Die Regelung des § 58 StaRUG hat im Gesetzgebungsverfahren keine inhaltlichen Änderun-

gen erfahren und ist seit ihrer Einführung unverändert.

IV. Auswirkungen auf Gläubigeranträge 1. Aussetzung des Verfahrens 7 Während der Dauer einer Stabilisierungsanordnung sind Verfahren über Gläubigeranträge

i.S.v. § 14 InsO, d.h. Verfahren über Anträge eines Gläubigers ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen, nach § 58 StaRUG kraft Gesetzes ausgesetzt. Es bedarf daher grundsätzlich9 keiner Anordnung des Restrukturierungsgerichts.10 Insbesondere stünde dem Restrukturierungsgericht ein Ermessen nicht zu.11 Die Aussetzung bewirkt, dass Gläubigeranträge für die Dauer einer Stabilisierungsanordnung keine Wirkung entfalten.12 Die Aussetzung betrifft damit nicht nur die Verfahrenseröffnung selbst sondern das gesamte Antragsverfahren einschließlich des Erlasses vorbereitender Beschlüsse, beispielsweise zur Bestellung eines Sachverständigen zwecks Begutachtung des Vorliegens von Insolvenzgründen nach § 5 Abs. 1 InsO oder betreffend Maßnahmen nach § 21 InsO.13

4 5 6 7 8

9 10 11 12 13

Vgl. ErwGr. 2 der Restrukturierungs-RL. Vgl. Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 3. Mönning in Nerlich/Römermann, § 58 StaRUG Rz. 3 (Stand: 44. EL November 2021). Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 58 StaRUG Rz. 1; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 1. Richtlinie 2019/1023/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz), ABl. EU Nr. L 172 v. 26.6.2019, S. 18 ff. Zu einer Ausnahme vgl. Rz. 11. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 4; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 6. Mönning in Nerlich/Römermann, § 58 StaRUG Rz. 9 (Stand: 44. EL November 2021). Riggert in Braun, 2021, § 58 StaRUG Rz. 2. Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 58 StaRUG Rz. 7.

1006 | Schönen/Bender

Insolvenzantrag | Rz. 10 § 58

Die Aussetzung erfasst sämtliche Gläubigeranträge i.S.v. § 14 InsO unabhängig davon, ob 8 der antragstellende Gläubiger Adressat der Stabilisierungsanordnung ist oder nicht.14 Die Aussetzung gilt zudem unabhängig davon, ob es sich bei der Stabilisierungsanordnung um eine Erst-, eine Neu- oder eine Folgeanordnung handelt.15 In der Zeit zwischen einer Stabilisierungsanordnung und einer Neuanordnung greift die Aussetzung von Gläubigeranträgen jedoch nicht.16 Nach dem Wortlaut des § 58 StaRUG werden von der Aussetzung lediglich bereits anhängige 9 Verfahren über Gläubigeranträge erfasst, d.h. die Norm gilt nur, wenn der Gläubiger vor Erlass der Stabilisierungsanordnung einen Insolvenzantrag gestellt hat. Nach im Schrifttum vertretener Auffassung ist die Aussetzung im Wege der Auslegung auch auf während der Dauer der Stabilisierungsanordnung neu gestellte Gläubigeranträge zu erstrecken.17 Gegen eine solche Auslegung spricht auf den ersten Blick die Kostenregelung nach § 14 Abs. 3 Satz 2 InsO,18 wonach der Schuldner die Kosten des Verfahrens auch dann zu tragen hat, wenn der Antrag eines Gläubigers wegen einer „zum Zeitpunkt der Antragstellung“ wirksamen nichtöffentlichen Stabilisierungsanordnung abgewiesen wird und der Gläubiger von der Stabilisierungsanordnung keine Kenntnis haben konnte. Diese Regelung setzt implizit voraus, dass es während der Dauer einer Stabilisierungsanordnung zur Abweisung eines Gläubigerantrags in den Fällen kommen kann, in denen im Zeitpunkt der Stellung des Gläubigerantrags bereits eine Stabilisierungsanordnung galt. Es gibt jedoch keinen sachlichen Grund dafür, bei der Behandlung von Gläubigeranträgen danach zu unterscheiden, ob diese vor oder nach Erlass der Stabilisierungsanordnung gestellt wurden.19 Vielmehr überzeugt die Annahme, dass die Wirkung des § 58 StaRUG sowohl bei bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Stabilisierungsanordnung anhängigen Gläubigeranträgen als auch bei während der Anordnungsdauer neu gestellten Gläubigeranträgen greift. Bei der Bezugnahme in § 14 Abs. 3 Satz 2 InsO dürften wohl die Fälle gemeint sein, bei denen nach Ablauf der Stabilisierungsanordnung der Gläubigerantrag abgewiesen wird.

2. Koordination zwischen Restrukturierungsgericht und Insolvenzgericht In praktischer Hinsicht kann im Zusammenhang mit der Aussetzung von Gläubigeranträgen 10 die Schwierigkeit bestehen, dass das Insolvenzgericht bei nicht öffentlichen Restrukturierungssachen (vgl. § 84 StaRUG) keine Kenntnis von dem Restrukturierungsverfahren hat und das Verfahren über den Antrag eines Gläubigers zunächst ungeachtet der kraft Gesetzes geltenden Aussetzung betreiben wird.20 Sind Insolvenzgericht und Restrukturierungsgericht (ausnahmsweise) bzw. die zuständigen Richter nicht identisch, wird das Insolvenzgericht in der Regel erst im Rahmen der Stellungnahme des Schuldners nach § 14 Abs. 2 InsO von dem Restrukturierungsverfahren Kenntnis erlangen.21 In Ausübung des Amtsermittlungsgrundsat14 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 5; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 5. 15 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 58 StaRUG Rz. 14 f.; Mönning in Nerlich/Römermann, § 58 StaRUG Rz. 6 (Stand: 44. EL November 2021); Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 6. 16 Vgl. Riggert in Braun, 2021, § 58 StaRUG Rz. 5; Schönfelder in Flöther, 2021, § 58 StaRUG Rz. 15; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 11. 17 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 16; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 5. 18 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 17. 19 Vgl. Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 18. 20 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 3; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 2. 21 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 3.

Schönen/Bender | 1007

§ 58 Rz. 10 | Insolvenzantrag zes (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO) wird das Insolvenzgericht sodann die Akte des Restrukturierungsgerichts beiziehen.22 Gleiches wird das Restrukturierungsgericht in Bezug auf die Insolvenzakte tun (§ 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG).23 11 Äußert der Schuldner sich nicht rechtzeitig gegenüber dem Insolvenzgericht, kann es passie-

ren, dass das Insolvenzgericht in Unkenntnis des Restrukturierungsverfahrens und der Stabilisierungsanordnung bereits Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO anordnet.24 Ist dies der Fall, sollte aus Gründen der Klarstellung ungeachtet der kraft Gesetzes wirkenden Verfahrensaussetzung eine Beschlussfassung des Insolvenzgerichts betreffend die Aussetzung des Verfahrens über den Gläubigerantrag erfolgen.25 Etwaig bereits angeordnete vorläufige Sicherungsmaßnahmen müssten per Gerichtsbeschluss aufgehoben werden.26

12 Gelangt das Restrukturierungsgericht jedoch umgekehrt etwa auf Basis der Ausführungen im

Gläubigerantrag zur Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes (vgl. § 14 Abs. 1 InsO) zu der Überzeugung, dass ein Insolvenzgrund in Bezug auf den Schuldner vorliegt, sind die Stabilisierungsanordnung und die Restrukturierungssache grundsätzlich von Amts wegen aufzuheben (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 Alt. 2 StaRUG), es sei denn, das Restrukturierungsgericht sieht von einer Aufhebung der Restrukturierungssache unter Berücksichtigung der Interessen der Gesamtgläubigerschaft an einem erfolgversprechenden Restrukturierungsverfahren ab (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 und 3 StaRUG) oder stellt die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung nach § 59 Abs. 3 StaRUG zurück, um den geordneten Übergang in ein Insolvenzverfahren sicherzustellen.27 Im Fall des § 59 Abs. 3 StaRUG unterbleibt zunächst auch die Aufhebung der Restrukturierungssache (§ 33 Abs. 3 StaRUG). Eine Aussetzung des Verfahrens über den Gläubigerantrag greift hingegen nicht (mehr) im Fall der Aufhebung der Stabilisierungsanordnung.28

13 Zur Sicherstellung der wechselseitigen Information von Restrukturierungs- und Insolvenz-

gericht wird eine Mitteilungspflicht des Restrukturierungsgerichts29 bzw. die Ergänzung der Anordnung über die Mitteilungen in Zivilsachen30 vorgeschlagen. Teilweise wird auch der Vorschlag gemacht, dass eine Aussetzung des Verfahrens über den Gläubigerantrag de lege ferenda nicht kraft Gesetzes, sondern erst nach Prüfung der im Gläubigerantrag vorgebrachten Informationen im Wege einer gesonderten Stabilisierungsanordnung betreffend die Aussetzung des jeweiligen Gläubigerantrags erfolgen sollte.31

3. Wiederaufleben der Wirkungen des Gläubigerantrags 14 Gläubigeranträge werden aufgrund der kraft Gesetzes eintretenden Aussetzung nicht nichtig

oder sonst endgültig wirkungslos, sondern entfalten nur temporär keine Rechtswirkungen. Nach dem Ende der Stabilisierungsanordnung kommen den Gläubigeranträgen auto-

22 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 3. 23 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 3. 24 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 3; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 4. 25 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 3; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 7. 26 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 7. 27 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 3; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 7; Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2683. 28 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 7. 29 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 19. 30 Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2683 (Fn. 51). 31 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 7; Frind, ZInsO 2020, 2241, 2246.

1008 | Schönen/Bender

Insolvenzantrag | Rz. 16 § 58

matisch wieder uneingeschränkt ihre rechtlichen Wirkungen zu.32 Bei der dann durch das Insolvenzgericht vorzunehmenden Beurteilung des Vorliegens eines Insolvenzgrundes ist der zwischenzeitlich erfolgte Restrukturierungsfortschritt zu berücksichtigen.33

Aufgrund der durch den zwischenzeitlichen Fortschritt des Restrukturierungsverfahrens geän- 15 derten Umstände kann der Fall eintreten, dass der antragstellende Gläubiger nach dem Ende der Stabilisierungsanordnung kein Interesse mehr an dem Insolvenzantrag hat. Teilweise wird aus diesem Grund anstelle des automatischen Wiederauflebens der Wirkungen des Gläubigerantrags gefordert, eine verfahrensinitiierende Willenserklärung des Antragstellers zur Bedingung für die Fortsetzung des Antragsverfahrens zu machen.34 Dagegen spricht jedoch zunächst der Gesetzeswortlaut, der lediglich eine Aussetzung des Verfahrens anordnet und keine Unzulässigkeit des Antrags oder zwingende Abweisung des Gläubigerantrags aus anderen Gründen vorsieht. Zudem würde der Eingriff in die Gläubigerrechte durch das Erfordernis einer bestätigenden Erklärung des Gläubigers verschärft. Im Übrigen kann der Gläubiger seiner etwaig geänderten Interessenlage durch Rücknahme des Gläubigerantrags Rechnung tragen (§ 13 Abs. 2 InsO). Von dieser Möglichkeit wird ein Gläubiger insbesondere Gebrauch machen, wenn das Restrukturierungsverfahren das Stadium der Planannahme und Bestätigung durch das Restrukturierungsgericht erreicht hat und von vornherein keine Anhaltspunkte mehr für das Vorliegen eines Insolvenzgrundes bestehen.35 Dies gilt nicht zuletzt, da einem Gläubiger in diesem Fall die Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes nicht gelingen dürfte.36

V. Eigenantrag des Schuldners Nicht in den Anwendungsbereich des § 58 StaRUG fallen Eigenanträge des Schuldners gerich- 16 tet auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes kann der Schuldner daher auch während der Dauer der Stabilisierungsanordnung einen Eigenantrag stellen.37 Dies bestätigt § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StaRUG, der klarstellt, dass eine Insolvenzantragstellung durch den Schuldner selbst von Amts wegen zur Aufhebung der Restrukturierungssache führt, und ergibt sich auch aus § 42 Abs. 2 StaRUG, der regelt, dass die Insolvenzantragstellung als Erfüllung der Anzeigepflicht nach § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG gilt. Insofern hat das Insolvenzgericht auch während der Dauer einer Stabilisierungsanordnung über einen freiwillig gestellten Eigenantrag des Schuldners zu entscheiden.38 Die Pflicht zur Antragstellung durch den Schuldner ist jedoch nach § 42 Abs. 1 Satz 1 StaRUG während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ausgesetzt. Der Schuldner ist allerdings während des gesamten Restrukturierungsverfahrens gem. § 42 Abs. 1 StaRUG verpflichtet, den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 InsO oder (sofern anwendbar) Überschuldung i.S.d. § 19 Abs. 2 InsO ohne schuldhaftes Zögern gegenüber dem Restrukturierungsgericht mitzuteilen (s. auch § 32 Abs. 3 Satz 1 und 2 StaRUG).

32 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 58 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, 2021, § 58 StaRUG Rz. 2; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 4; vgl. Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 58 StaRUG Rz. 3, 5; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 6. 33 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 4; vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 6. 34 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 58 StaRUG Rz. 12. 35 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 14. 36 Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 15. 37 Mock in BeckOK/StaRUG, § 58 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Riggert in Braun, 2021, § 58 StaRUG Rz. 3; Schönfelder in Flöther, 2021, § 58 StaRUG Rz. 13; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 6. 38 Mock in BeckOK/StaRUG, § 58 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

Schönen/Bender | 1009

§ 58 Rz. 17 | Insolvenzantrag

VI. Rechtsschutzmöglichkeiten der Gläubiger 17 Gläubigern stehen keine unmittelbaren Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Aussetzung des

Verfahrens über den Gläubigerantrag zu.39 Sie können jedoch beim Restrukturierungsgericht einen Antrag auf Aufhebung der Stabilisierungsanordnung stellen, sofern sie das Vorliegen eines Insolvenzgrundes als Aufhebungsgrund glaubhaft machen können (§ 59 Abs. 2 StaRUG).40 Daneben haben Gläubiger auch die Möglichkeit, das Restrukturierungsgericht über Umstände in Kenntnis zu setzen, die eine amtswegige Aufhebung der Stabilisierungsanordnung erfordern.41 Zur Vermeidung von Insolvenzanfechtungsrisiken, die bei der Fortführung der Geschäftsbeziehungen zum Schuldner trotz Vorliegens von Insolvenzgründen entstehen, kann es sich für Gläubiger im Einzelfall empfehlen, von den vorstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen.42

§ 59 Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung (1) Das Restrukturierungsgericht hebt die Stabilisierungsanordnung auf, wenn 1. der Schuldner dies beantragt, 2. die Anzeige nach § 31 Absatz 4 ihre Wirkungen verloren hat oder wenn die Voraussetzungen einer Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 31 Absatz 4 Nummer 3, § 33 vorliegen, 3. der Schuldner es versäumt, dem Gericht nach Ablauf einer zu diesem Zweck eingeräumten angemessenen Frist den Entwurf eines Restrukturierungsplans zu übermitteln oder 4. Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner nicht bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten, insbesondere weil a) die Restrukturierungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht oder b) die Rechnungslegung und Buchführung des Schuldners so unvollständig oder mangelhaft sind, dass sie eine Beurteilung der Restrukturierungsplanung, insbesondere des Finanzplans, nicht ermöglichen. (2) Die Stabilisierungsanordnung wird wegen der in Absatz 1 Nummer 2 und 4 genannten Gründe auch auf Antrag eines von der Anordnung betroffenen Gläubigers aufgehoben, wenn dieser das Vorliegen des Beendigungsgrunds glaubhaft macht. (3) 1Das Restrukturierungsgericht kann von einer Aufhebung absehen, wenn die Fortdauer der Stabilisierungsanordnung geboten erscheint, um im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger einen geordneten Übergang in ein Insolvenzverfahren zu gewährleisten. 2Das Gericht setzt dem Schuldner eine Frist von höchstens drei Wochen, innerhalb derer er dem Gericht die Beantragung eines Insolvenzverfahrens nachzuweisen hat. 3Nach Ablauf dieser Frist ist die Stabilisierungsanordnung aufzuheben. 39 Mönning in Nerlich/Römermann, § 58 StaRUG Rz. 14 (Stand: 44. EL November 2021). 40 Riggert in Braun, 2021, § 58 StaRUG Rz. 4; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 7; Janjuah/Tangermann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 21; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 8. 41 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 58 StaRUG Rz. 8. 42 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 58 StaRUG Rz. 2 f.

1010 | Schönen/Bender

Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung | Rz. 2 § 59

(4) Die Stabilisierungsanordnung endet, wenn der Restrukturierungsplan bestätigt ist oder die Planbestätigung versagt wird. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Aufhebungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antrag des Schuldners (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wegfall der Wirkungen der Restrukturierungsanzeige; Aufhebung der Restrukturierungssache (§ 59 Abs. 1 Nr. 2) a) Wegfall der Wirkungen der Restrukturierungsanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorliegen der Voraussetzungen für die Aufhebung der Restrukturierungssache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nicht fristgerechte Vorlage des Restrukturierungsplans (§ 59 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 5 10 14 15 18 19 20

4. Fehlende Ausrichtung der Geschäftsführung an Interessen der Gläubigergesamtheit (§ 59 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG) . . . . . . a) Unzutreffende Tatsachen in der Restrukturierungsplanung . . . . . . . . . . b) Fehlerhafte Rechnungslegung und Buchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Umstände . . . . . . . . . . . . . . . V. Gläubigerantrag (§ 59 Abs. 2 StaRUG) VI. Absehen von Aufhebung durch das Restrukturierungsgericht (§ 59 Abs. 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Entscheidung des Restrukturierungsgerichts; kein Rechtsmittel . . . . . . . . . . VIII. Ende der Stabilisierungsanordnung (§ 59 Abs. 4 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . .

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22

Schrifttum: Frind, Nutzen und Grenzen der Stabilisierungsanordnung im StaRUG-Verfahren aus gerichtlicher Sicht, ZRI 2021, 697; Müller, Die Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, ZIP 2020, 2253; Riggert, Allgemeine Grundsätze der Stabilisierung nach dem StaRUG, NZI-Beilage 2021, 40; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 2), ZInsO 2020, 2677; Vallender, Die Amtsermittlungspflicht nach dem StaRUG, ZRI 2021, 165.

I. Regelungsgegenstand § 59 Abs. 1 StaRUG normiert verschiedene Gründe, bei deren Vorliegen das Restrukturie- 1 rungsgericht eine Stabilisierungsanordnung von Amts wegen aufhebt. Aufhebungsgründe sind ein Aufhebungsantrag des Schuldners, der Wegfall der Wirkung der Restrukturierungsanzeige (§ 31 Abs. 4 StaRUG), das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Aufhebung der Restrukturierungssache (§ 31 Abs. 4 Nr. 3, § 33 StaRUG), das Versäumnis der Vorlage eines Restrukturierungsplans innerhalb der vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist und die Kenntnis von Umständen, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner nicht bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. Das Gesetz nennt in diesem Zusammenhang verschiedene Umstände, die auf eine mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit des Schuldners schließen lassen, wobei die Aufzählung nicht abschließend ist. Zudem wird jedem von der Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubiger mit § 59 Abs. 2 2 StaRUG die Möglichkeit eingeräumt, bei Glaubhaftmachung des Vorliegens eines der Aufhebungsgründe – mit Ausnahme des schuldnerischen Aufhebungsantrags und des Versäumnisses der rechtzeitigen Vorlage des Restrukturierungsplans – die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung zu beantragen. Schönen/Bender | 1011

§ 59 Rz. 3 | Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung 3 Dem Restrukturierungsgericht wird in § 59 Abs. 3 StaRUG das Ermessen eingeräumt, von der

Aufhebung der Stabilisierungsanordnung abzusehen, wenn die Fortdauer der Stabilisierungsanordnung geboten erscheint, um im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger einen geordneten Übergang in ein Insolvenzverfahren zu gewährleisten. Zu diesem Zweck muss der Schuldner innerhalb einer vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist von maximal drei Wochen die Beantragung eines Insolvenzverfahrens nachweisen. Nach Ablauf dieser Frist ist die Stabilisierungsanordnung vom Restrukturierungsgericht in jedem Fall aufzuheben.

4 Zudem gilt nach § 59 Abs. 4 StaRUG eine automatische Beendigung der Stabilisierungs-

anordnung kraft Gesetzes für den Fall der gerichtlichen Planbestätigung oder der Versagung der Planbestätigung.

II. Normzweck 5 Die Vorschrift dient dem Schutz der Gläubiger, die von den Auswirkungen einer Stabilisie-

rungsanordnung betroffen sind und während der Dauer der Stabilisierungsanordnung eine Einschränkung ihrer Rechte dulden müssen.1 Aufgrund der Regelung des § 59 StaRUG ist das Restrukturierungsgericht dazu angehalten, das Vorliegen der Voraussetzungen einer erlassenen Stabilisierungsanordnung fortlaufend zu überprüfen.2 Die Vorschrift ergänzt somit das in § 49 Abs. 1 StaRUG und § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StaRUG verankerte Prinzip der Erforderlichkeit. Es soll auf diese Weise sichergestellt werden, dass Gläubiger nicht intensiver und nicht länger als zur Erreichung des Restrukturierungsziels erforderlich in ihren Rechten eingeschränkt werden.3

6 Die Regelung beruht einerseits auf der Erwägung, dass sich Sachverhalte im Laufe des Re-

strukturierungsverfahrens ändern können und bei Erlass der Stabilisierungsanordnung einmal erfüllte Voraussetzungen nicht zwingend unverändert während der gesamten Dauer der Stabilisierungsanordnung vorliegen.4 Insofern ermöglicht die Vorschrift dem Restrukturierungsgericht, nachträglich auf geänderte Umstände zu reagieren.5

7 Darüber hinaus trägt die Regelung dem Umstand Rechnung, dass bei Erlass der Stabilisie-

rungsanordnung lediglich ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab gilt, den von der Anordnung betroffenen Gläubigern mangels Anhörung keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben wird und Gläubigern kein Rechtsmittel gegen die Stabilisierungsanordnung zusteht.6 Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die es dem Restrukturierungsgericht ermöglicht, Fehleinschätzungen im Nachhinein im Wege der Aufhebung der Stabilisierungsanordnung von Amts wegen oder auf Antrag von betroffenen Gläubigern zu korrigieren.

8 Die Antragsbefugnis zugunsten der betroffenen Gläubiger dient der Wahrung der im Grund-

gesetz vorgesehenen Garantie des effektiven Rechtsschutzes.7 Da eine Aufhebung einer Stabilisierungsanordnung auf Antrag eines Gläubigers bereits bei Glaubhaftmachung einer der Aufhebungsgründe durch den Gläubiger zwingend zu erfolgen hat, kommt den Gläubigern

1 Mock in BeckOK/StaRUG, § 59 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 2 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 1; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 2. 3 Vgl. Mönning in Nerlich/Römermann, § 59 StaRUG Rz. 3 (Stand: 44. EL November 2021). 4 Mock in BeckOK/StaRUG, § 59 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 1. 5 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 2. 6 Vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 2. 7 Schönfelder in Flöther, 2021, § 59 StaRUG Rz. 4.

1012 | Schönen/Bender

Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung | Rz. 11 § 59

zugleich erhebliches Obstruktionspotential zu.8 Um dies zu vermeiden, empfiehlt es sich für den Schuldner, gegenüber den Gläubigern Transparenz zu schaffen und die Gläubiger nicht nur in den Restrukturierungsprozess, sondern auch in die Beantragung einer Stabilisierungsanordnung im Vorfeld einzubinden.9 Zudem ist die Vorschrift des § 59 StaRUG Ausdruck der Dispositionsmaxime des Schuld- 9 ners, da dem Schuldner die Möglichkeit gegeben wird, jederzeit im Wege eines Antrags die Aufhebung der erlassenen Stabilisierungsanordnung zu bewirken (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG).10

III. Historie und EU-Richtlinien-Grundlage Die Regelung des § 59 StaRUG beruht auf Art. 6 Abs. 9 Unterabs. 1 und 2 der Restrukturie- 10 rungs-RL.11 Dort ist geregelt, dass die zuständigen Stellen die Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen aufheben können sollen, wenn die Aussetzung nicht länger den Zweck erfüllt, die Verhandlungen über den Restrukturierungsplan zu unterstützen oder der Schuldner bzw. der Restrukturierungsbeauftragte die Aufhebung beantragt. Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgabe der Richtlinie betreffend die Antragsbefugnis des Restrukturierungsbeauftragen gerichtet auf die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung in § 76 Abs. 3 Nr. 2 StaRUG umgesetzt. Ein von Amts wegen bestellter oder entsprechend beauftragter fakultativer Restrukturierungsbeauftragter hat fortlaufend zu prüfen, ob die Anordnungsvoraussetzungen der Stabilisierung fortbestehen und ob ein Aufhebungsgrund vorliegt (§ 76 Abs. 3 Nr. 1 StaRUG). Nach § 76 Abs. 3 Nr. 2 StaRUG ist auch der Restrukturierungsbeauftragte berechtigt, die Aufhebung von Stabilisierungsanordnungen zu beantragen. Ein Restrukturierungsbeauftragter ist von Amts wegen nur unter bestimmen Voraussetzungen zu bestellen, die in § 73 StaRUG näher geregelt sind. Danach muss das Restrukturierungsgericht u.a. einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen, wenn sich die beantragte Stabilisierung (mit Ausnahme der nach § 4 StaRUG ausgenommenen Forderungen) gegen alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger richtet (§ 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StaRUG). Das Restrukturierungsgericht kann optional einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen, damit dieser Prüfungen als Sachverständiger vornimmt (§ 73 Abs. 3 StaRUG). Außerdem hat die Bestellung eines fakultativen Restrukturierungsbeauftragen auf Antrag des Schuldners oder einer qualifizierten Mehrheit der Planbetroffenen zu erfolgen (§ 77 Abs. 1 StaRUG), wobei dem fakultativen Beauftragten auch die Aufgaben nach § 76 StaRUG auferlegt werden können (§ 77 Abs. 2 StaRUG). Des Weiteren werden in Art. 6 Abs. 9 Unterabs. 1 der Restrukturierungs-RL als Aufhebungs- 11 gründe genannt, dass durch die Aussetzung ein oder mehrere Gläubiger oder Gläubigerklassen beeinträchtigt werden oder die Aussetzung zur Insolvenz eines Gläubigers führt. Da der deutsche Gesetzgeber jedoch nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, Forderungen im Fall einer unangemessenen Beeinträchtigung eines Gläubigers vom Geltungsbereich der Stabilisierungsanordnung auszunehmen (vgl. Art. 6 Abs. 4 Buchst. b der RestrukturierungsRL), waren diese Aufhebungsgründe nicht in das deutsche Recht umzusetzen. 8 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 3; vgl. Thole, ZIP 2020, 1985, 1997. 9 Vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 3. 10 Vgl. Riggert in Braun, 2021, § 59 StaRUG Rz. 2; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 5; vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 5; vgl. Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 59 StaRUG Rz. 2; vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 6. 11 Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 – im Folgenden: Restrukturierungs-RL.

Schönen/Bender | 1013

§ 59 Rz. 12 | Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung 12 Des Weiteren räumt Art. 6 Abs. 9 Unterabs. 2 der Restrukturierungs-RL den Mitgliedstaaten

das Recht ein, die Aufhebung der Aussetzung auf die Fälle zu beschränken, in denen Gläubiger keine Gelegenheit hatten, sich vor Erlass der Aussetzung oder deren Verlängerung zu äußern. Da eine Anhörung der von der Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubiger nach deutschem Recht weder vor Erlass noch vor Verlängerung einer Stabilisierungsanordnung vorgesehen ist, wurde auch kein entsprechender Aufhebungsgrund in das StaRUG aufgenommen.

13 Der Referentenentwurf12 und auch noch der Regierungsentwurf13 enthielten in § 59 Abs. 1

Nr. 4 StaRUG einen weiteren Buchst. c, wonach die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung von Amts wegen auch in dem Fall zu erfolgen hat, dass sich auf andere Weise ergibt, dass der Schuldner nicht bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. Auf Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz14 wurde kurz vor Verabschiedung des SanInsFoG der Buchst. c gestrichen und stattdessen in Nr. 4 eingangs klargestellt, dass sich Nr. 4 insgesamt auf den Fall fehlender Bereitschaft und Fähigkeit des Schuldners bezieht, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten und dass Buchst. a und b hierfür nur Regelbeispiele darstellen („insbesondere“). Inhaltliche Änderungen waren mit dieser Klarstellung also nicht verbunden. Weitere Änderungen (abgesehen von rein redaktionellen Änderungen) hat die Vorschrift im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nicht erfahren.

IV. Aufhebungsgründe 14 § 59 Abs. 1 StaRUG enthält eine abschließende Regelung der zwingenden Aufhebungsgründe

für Stabilisierungsanordnungen. Liegt einer dieser Gründe vor, hat das Restrukturierungsgericht die Stabilisierungsanordnung vorbehaltlich der Regelung des § 59 Abs. 3 StaRUG (vgl. Rz. 39 ff.) von Amts wegen aufzuheben.15 Für die Ermittlung des Vorliegens von zwingenden Aufhebungsgründen nach § 59 Abs. 1 StaRUG gilt grundsätzlich der Amtsermittlungsgrundsatz gem. § 39 Abs. 1 Satz 1 StaRUG.16 Das Restrukturierungsgericht hat während der Dauer der Restrukturierungssache fortlaufend zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 59 Abs. 1 Nr. 1–3 StaRUG vorliegen. Ausgenommen vom Amtsermittlungsgrundsatz ist § 59 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG. Eine Aufhebung nach dieser Ziffer hat lediglich zu erfolgen, wenn dem Gericht die im Gesetz benannten Gründe bekannt sind.17 Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach das Gericht die Stabilisierungsanordnung aufzuheben hat, wenn „Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner nicht bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten“.

12 RefE SanInsFoG v. 19.9.2020, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (zuletzt abgerufen am 1.5.2022). 13 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 37. 14 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25303, 54. 15 Mock in BeckOK/StaRUG, § 59 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 3; vgl. Mönning in Nerlich/Römermann, 44. EL November 2021, § 59 StaRUG Rz. 4; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 4 f. 16 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 4; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 5. 17 Mock in BeckOK/StaRUG, § 59 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 4; vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 5; Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2683.

1014 | Schönen/Bender

Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung | Rz. 19 § 59

1. Antrag des Schuldners (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) Der Schuldner kann jederzeit die Aufhebung der auf seinen Antrag hin erlassenen Stabilisie- 15 rungsanordnung beantragen. Weiterer Voraussetzungen bedarf es hierfür nicht.18 Das Restrukturierungsgericht hat dem Aufhebungsantrag des Schuldners zwingend stattzugeben und die Stabilisierungsanordnung aufzuheben.19 Dies beruht darauf, dass der Schuldner Herr des Restrukturierungsverfahrens ist und über dessen weiteren Fortgang entscheiden kann.20 Insofern nimmt das Restrukturierungsgericht auch keine Beurteilung vor, inwiefern der Aufhebungsantrag zweckmäßig ist.21

Als Minus zur Aufhebung der Stabilisierungsanordnung bleibt es dem Schuldner unbenommen, 16 beim Restrukturierungsgericht anstelle einer Aufhebung in Gänze zu beantragen, dass die Stabilisierungsanordnung in ihrem Umfang beschränkt wird. Dies kann im Wege eines Antrags auf teilweise Aufhebung der Stabilisierungsanordnung erfolgen.22 Alternativ könnte der Schuldner auch im Wege eines Antrags auf Erlass einer Folgeanordnung die Einschränkung der bestehenden Stabilisierungsanordnung in Bezug auf die Anzahl der betroffenen Gläubiger, die inhaltliche oder zeitliche Reichweite erreichen (vgl. § 52 Rz. 12). Begehrt der Schuldner jedoch nicht zugleich mit der Einschränkung eine teilweise Erweiterung der Stabilisierungsanordnung in anderer Hinsicht, wird er aus Praktikabilitätsgründen auf den Weg der Beantragung einer Teilaufhebung nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG zurückgreifen, da hierfür keine weiteren Antragsunterlagen vorzulegen sind und dies daher der effizientere Weg zum angestrebten Ziel ist. Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person, ist der Aufhebungsantrag von 17 dem vertretungsberechtigten Organ oder einem entsprechend bevollmächtigten Vertreter zu stellen, eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung ist nicht erforderlich.23

2. Wegfall der Wirkungen der Restrukturierungsanzeige; Aufhebung der Restrukturierungssache (§ 59 Abs. 1 Nr. 2) Nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StaRUG ist die Stabilisierungsanordnung aufzuheben, wenn die 18 Restrukturierungsanzeige ihre Wirkung gem. § 31 Abs. 4 StaRUG verliert (vgl. Rz. 19) oder die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 31 Abs. 4 Nr. 3, § 33 StaRUG vorliegen (vgl. Rz. 20 f.). a) Wegfall der Wirkungen der Restrukturierungsanzeige Die Stabilisierungsanordnung ist bei Wegfall der Wirkungen der Restrukturierungsanzeige 19 nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StaRUG aufzuheben. Die Regelung beruht darauf, dass die Inanspruchnahme von Instrumenten des Restrukturierungs- und Stabilisierungsrahmens gem. § 31 Abs. 1 StaRUG eine wirksame Anzeige der Restrukturierungssache und damit die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache voraussetzt.24 Die Restrukturierungssache verliert ihre 18 Riggert in Braun, 2021, § 59 StaRUG Rz. 2; Schönfelder in Flöther, 2021, § 59 StaRUG Rz. 7; Undritz/ Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 5. 19 Schönfelder in Flöther, 2021, § 59 StaRUG Rz. 7. 20 Vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 5; Riedemann in Pannen/Riedemann/ Smid, 2021, § 59 StaRUG Rz. 2. 21 Mönning in Nerlich/Römermann, § 59 StaRUG Rz. 5 (Stand: 44. EL November 2021). 22 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 6; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 6. 23 Mock in BeckOK/StaRUG, § 59 StaRUG Rz. 5 und 5.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 24 Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 159; vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 7; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 7.

Schönen/Bender | 1015

§ 59 Rz. 19 | Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung Wirkung, wenn der Schuldner die Anzeige zurücknimmt (§ 31 Abs. 4 Nr. 1 StaRUG), die Entscheidung über die Planbestätigung rechtskräftig wird (§ 31 Abs. 4 Nr. 2 StaRUG), das Gericht die Restrukturierungssache nach § 33 StaRUG aufhebt (§ 31 Abs. 4 Nr. 3 StaRUG) oder seit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens sechs Monate oder, sofern der Schuldner die Anzeige zuvor erneuert hat, zwölf Monate vergangen sind (§ 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG). Im Fall der Wirkungslosigkeit der Anzeige aufgrund einer rechtskräftigen Planbestätigung nach § 31 Abs. 4 Nr. 2 StaRUG erübrigt sich hingegen eine Aufhebung der Stabilisierungsanordnung per Beschluss des Restrukturierungsgerichts, da die Stabilisierungsanordnung unter diesen Umständen bereits kraft Gesetzes nach § 59 Abs. 4 StaRUG endet.25 Ausgehend vom Wortlaut des § 59 Abs. 4 StaRUG endet die Stabilisierungsanordnung zwar sogar bereits mit der gerichtlichen Planbestätigung, ohne dass es deren Rechtskraft bedarf. Nach der Gesetzesbegründung knüpft der Aufhebungstatbestand des § 59 Abs. 4 StaRUG aber an die rechtskräftige Planbestätigung an (vgl. Rz. 49).26 Ebenfalls keine praktische Bedeutung dürfte der Aufhebungsgrund des § 59 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 31 Abs. 4 Nr. 3 StaRUG haben, wonach eine Aufhebung der Stabilisierungsanordnung bei Aufhebung der Restrukturierungssache zu erfolgen hat, da bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für die Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StaRUG einen zwingenden Aufhebungsgrund darstellt.27 Der Aufhebungsgrund nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG stellt faktisch eine weitere Befristung der Stabilisierungsanordnung dar, da die Stabilisierungsanordnung bei Ablauf der Frist von sechs bzw. bei Erneuerung der Anzeige durch den Schuldner von zwölf Monaten gerechnet ab Anzeige des Restrukturierungsvorhabens von Amts wegen aufzuheben ist.28 b) Vorliegen der Voraussetzungen für die Aufhebung der Restrukturierungssache 20 Die Stabilisierungsanordnung ist nach § 31 Abs. 4 Nr. 3 StaRUG ferner von Amts wegen auf-

zuheben, wenn die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Restrukturierungssache von Amts wegen i.S.v. § 33 StaRUG vorliegen. Dabei kommt es für die Frage, ob die Stabilisierungsanordnung aufzuheben ist, weder darauf an, ob die gerichtliche Aufhebung der Restrukturierungssache stattgefunden hat,29 noch darauf, ob die Aufhebung der Restrukturierungssache rechtskräftig geworden ist.30 Der Gesetzgeber begründet diese Regelung mit dem Schutz der Interessen der Gläubiger.31 Es soll sichergestellt werden, dass nicht erst die Rechtskraft eines die Rechtswirkungen der Anzeige aufhebenden Beschlusses abzuwarten ist, sondern eine Aufhebung der Stabilisierungsanordnung schon dann zu erfolgen hat, wenn eine erhebliche Gefährdung der Interessen der Gläubiger zu befürchten ist.

21 Die verfrühte Aufhebung der Stabilisierungsanordnung kann aber vielfach dazu führen, dass

das Restrukturierungsziel nicht mehr erreicht werden kann, wodurch die Aufhebung faktisch irreversibel wird.32 Das mag daran zweifeln lassen, ob es sachgerecht ist, dass die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung bereits beim bloßen Vorliegen von Aufhebungsgründen hinsichtlich der Restrukturierungssache zu erfolgen hat und nicht die rechtskräftige Entscheidung über die Aufhebung der Restrukturierungssache abzuwarten ist. Denn gegen die Aufhebung der Restruk25 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 59 StaRUG Rz. 10; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 8. 26 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 160. 27 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 59 StaRUG Rz. 11; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 8. 28 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 8. 29 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 9. 30 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 9; Mikolajczak in Wolgast/ Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 9. 31 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 159. 32 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 9; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 10.

1016 | Schönen/Bender

Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung | Rz. 25 § 59

turierungssache steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu (§ 33 Abs. 4 StaRUG). Gegen den Aufhebungsbeschluss steht dem Schuldner hingegen kein Rechtsmittel zur Verfügung. Zur Sicherung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Schuldners wäre de lege ferenda eine Anknüpfung des § 59 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 an die Rechtskraft der Entscheidung über die Aufhebung der Restrukturierungssache33 oder alternativ die Einführung eines Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung des Gerichts über die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung zu begrüßen.

3. Nicht fristgerechte Vorlage des Restrukturierungsplans (§ 59 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) Eine Aufhebung der Stabilisierungsanordnung hat außerdem zu erfolgen, wenn der Schuldner 22 den Entwurf des Restrukturierungsplans entgegen gerichtlicher Anordnung nicht fristgerecht vorlegt (§ 59 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG). Gemäß § 51 Abs. 3 StaRUG kann das Restrukturierungsgericht dem Schuldner eine Frist zur Vorlage des Restrukturierungsplans setzen, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses der Stabilisierungsanordnung noch kein Restrukturierungplan vorliegt, sondern die Stabilisierungsanordnung auf Basis eines Restrukturierungskonzepts beantragt worden ist. Auch wenn in § 51 Abs. 3 StaRUG von der Vorlage eines Restrukturierungsplans und (anders als in § 59 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) nicht von der Vorlage eines Entwurfs des Restrukturierungsplans die Rede ist, ist davon auszugehen, dass letztlich in beiden Vorschriften die Vorlage eines Entwurfs des Restrukturierungsplans, der den Anforderungen des § 50 Abs. 2 Nr. 1 und § 51 Abs. 1 StaRUG genügt, gemeint ist (vgl. § 51 Rz. 49). Die für die Vorlage des Entwurfs des Restrukturierungsplans gesetzte Frist muss angemessen 23 sein. Die Angemessenheit der Frist orientiert sich dabei an den Umständen des Einzelfalls,34 eine pauschale Höchstfrist findet im Gesetz keine Grundlage. Sofern der Schuldner parallel zum Entwurf des Restrukturierungsplans die Unterbreitung eines Planangebots vorbereitet, kann eine Frist von bis zu drei Monaten angemessen sein (vgl. § 51 Rz. 50).

4. Fehlende Ausrichtung der Geschäftsführung an Interessen der Gläubigergesamtheit (§ 59 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG) Das Restrukturierungsgericht hebt die Stabilisierungsanordnung ferner auf, wenn ihm Um- 24 stände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner nicht bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten (§ 59 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG). Dies ist ausgehend von den im Gesetz vorgegebenen Regelbeispielen insbesondere der Fall, wenn die Restrukturierungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht (§ 59 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a StaRUG) oder die Rechnungslegung und Buchführung des Schuldners so unvollständig oder mangelhaft sind, dass sie eine Beurteilung der Restrukturierungsplanung, insbesondere des Finanzplans, nicht ermöglichen (§ 59 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b StaRUG). Die beiden letztgenannten Fälle stellen Regelbeispiele dar, die eine unwiderlegliche Vermutung für die fehlende Bereitschaft und Fähigkeit des Schuldners, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten, begründen.35 Die Bereitschaft und Fähigkeit des Schuldners, seine Geschäftsführung an den Interessen der 25 Gläubigergesamtheit auszurichten, ist bereits für den Erlass einer Stabilisierungsanordnung zu 33 Vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 10. 34 Vgl. Riggert in Braun, 2021, § 59 StaRUG Rz. 4; Schönfelder in Flöther, 2021, § 59 StaRUG Rz. 15; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 11. 35 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 159; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 15; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 59 StaRUG Rz. 7; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 18.

Schönen/Bender | 1017

§ 59 Rz. 25 | Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung prüfen, wenn das Gericht Kenntnis von Umständen hat, aus denen sich erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber den in § 50 Abs. 3 Nr. 1 StaRUG genannten Gläubigern oder eine Verletzung der handelsrechtlichen Offenlegungspflichten für mindestens eines der letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre ergeben (§ 51 Abs. 2 Satz 1 StaRUG). Gleiches gilt, wenn zugunsten des Schuldners in den letzten drei Jahren vor der Stellung des Antrags Stabilisierungsanordnungen oder vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 oder 5 InsO angeordnet wurden, es sei denn, der Anlass dieser Anordnungen wurde durch eine nachhaltige Sanierung des Schuldners bewältigt (§ 51 Abs. 2 Satz 2). Die Aufhebung kann sowohl auf nach Erlass der Stabilisierungsanordnung eingetretene und bekannt gewordene Umstände als auch auf bereits bei Erlass der Stabilisierungsanordnung existierende und erst nachträglich bekannt gewordene Umstände gestützt werden.36 26 Das Restrukturierungsgericht unterliegt in Bezug auf den Aufhebungsgrund gem. § 59 Abs. 1

Nr. 4 StaRUG keiner Amtsermittlungspflicht, sondern muss lediglich die Umstände berücksichtigen, von denen es Kenntnis hat.37 Es gelten die Grundsätze über gerichtskundige Tatsachen (vgl. § 51 Rz. 22). Kenntnis kann das Restrukturierungsgericht insbesondere durch Berichte und Anzeigen des Restrukturierungsbeauftragten gem. § 75 Abs. 1 Satz 2, § 76 Abs. 3 StaRUG oder auf sonstige Weise durch an der Restrukturierungssache beteiligte Personen erlangen.38 Im Übrigen kann das Restrukturierungsgericht auch selbst Ermittlungen vornehmen ungeachtet der Tatsache, dass der Amtsermittlungsgrundsatz bei § 59 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG nicht eingreift.39

a) Unzutreffende Tatsachen in der Restrukturierungsplanung 27 Eine unwiderlegliche Vermutung der fehlenden Ausrichtung an den Interessen der Gläubiger-

gesamtheit liegt vor, wenn die Restrukturierungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht.40 Die Regelung knüpft an § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StaRUG an, wonach eine Stabilisierungsanordnung u.a. bereits nicht erlassen werden darf, wenn Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass die Restrukturierungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht. Eine Aufhebung gem. § 59 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a StaRUG kann aufgrund von anfänglich unzutreffenden Tatsachen oder aufgrund von nachträglich veränderten und dadurch unzutreffend gewordenen Tatsachen erfolgen.41 Über nachträgliche wesentliche Änderungen betreffend die Restrukturierungsplanung hat der Schuldner das Restrukturierungsgericht nach § 32 Abs. 2 Satz 2 StaRUG unverzüglich zu unterrichten. Verstößt der Schuldner gegen diese Verpflichtung, liegt bereits ein Aufhebungsgrund nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 33 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG vor.42

28 Nach § 50 Abs. 2 StaRUG besteht die Restrukturierungsplanung aus einem Entwurf des Re-

strukturierungsplans und einem sechsmonatigen Finanzplan. Beruht die Restrukturierungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen, ist auf dieser Basis eine Beurteilung der Erforderlichkeit der Stabilisierungsanordnung nicht möglich und ein Eingriff 36 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 14; vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 17. 37 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 159 f.; Riggert in Braun, 2021, § 59 StaRUG Rz. 5; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 4, 13; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 59 StaRUG Rz. 10; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 5, 16. 38 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 159 f. 39 Riggert in Braun, 2021, § 59 StaRUG Rz. 5; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 16; Vallender, ZRI 2021, 165, 170. 40 Vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 13; vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 18 f. 41 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160. 42 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160.

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Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung | Rz. 32 § 59

in die Rechte der Gläubiger insofern nicht gerechtfertigt.43 Es gilt in Bezug auf die Wesentlichkeit der gleiche Maßstab wie bei § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StaRUG.44 Wesentliche Punkte der Restrukturierungsplanung sind betroffen, soweit sich die Tatsachen auf die Verwirklichung des Restrukturierungsziels auswirken können (vgl. § 51 Rz. 24).45 Dazu gehören insbesondere Umstände, die die Restrukturierung aussichtslos machen46 oder dazu führen, dass die Stabilisierungsanordnung nicht mehr erforderlich ist.47 b) Fehlerhafte Rechnungslegung und Buchführung Eine Aufhebung der Stabilisierungsanordnung hat gem. § 59 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b StaRUG 29 auch dann zu erfolgen, wenn die Rechnungslegung und Buchführung des Schuldners so unvollständig oder mangelhaft sind, dass sie eine Beurteilung der Restrukturierungsplanung, insbesondere des Finanzplans, nicht ermöglichen. Wurde ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, welcher nach § 76 Abs. 3 Nr. 1 StaRUG zu 30 einer fortlaufenden Prüfung des Vorliegens von Aufhebungsgründen für die Stabilisierungsanordnung verpflichtet ist und nach § 76 Abs. 3 Nr. 2 StaRUG dazu berechtigt ist, Aufhebungsgründe geltend zu machen, wird das Restrukturierungsgericht regelmäßig auf diesem Wege Kenntnis von einer fehlerhaften Rechnungslegung und Buchführung erlangen.48 Im Übrigen kann das Restrukturierungsgericht für die Zwecke der Prüfung der Rechnungs- 31 legung und Buchführung des Schuldners auch eigens einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen (§ 73 Abs. 3 StaRUG) und zwar ungeachtet der Tatsache, dass der Amtsermittlungsgrundsatz bei § 59 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG nicht eingreift.49 c) Weitere Umstände Neben den in § 59 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a und b StaRUG ausdrücklich im Rahmen von Regel- 32 beispielen genannten Umständen kann sich auch aus anderen Umständen die fehlende Bereitschaft und Fähigkeit des Schuldners, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten, ergeben.50 Ein Aufhebungsgrund nach § 59 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG liegt vor, wenn sich die fehlende Bereitschaft und Fähigkeit des Schuldners im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls ergibt.51 Umstände im Sinne dieses § 59 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG können u.a. folgende sein52:

43 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160; vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 59 StaRUG Rz. 23; Riedemann in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 59 StaRUG Rz. 8. 44 Mock in BeckOK/StaRUG, § 59 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 16. 45 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 16; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 20. 46 Vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 16. 47 Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160; vgl. Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 16. 48 Vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 21. 49 Riggert in Braun, 2021, § 59 StaRUG Rz. 7; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 18; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 21. 50 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 59 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 51 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 19; vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 22. 52 Ausführlich hierzu Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 19 ff., die auch bei in wesentlichen Punkten unrichtigen Erklärungen und Nichtzahlung von Zins oder Wertverlust von einer unwiderleglichen Vermutung ausgehen, dass der Schuldner nicht bereit und in der Lage ist seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten.

Schönen/Bender | 1019

§ 59 Rz. 32 | Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung – Kenntnis des Restrukturierungsgerichts, dass Erklärungen nach § 50 Abs. 3 StaRUG in wesentlichen Punkten auf unrichtigen Tatsachen beruhen, – Kenntnis von der fehlenden Erforderlichkeit der Stabilisierungsanordnung, – Nichtzahlung der geschuldeten Zinsen oder fehlender Ausgleich des Wertverlusts im Rahmen der Verwertungssperre (§ 54 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) oder – Nichterfüllung der Auflage im Zwangsversteigerungsverfahren, dass dem betreibenden Gläubiger laufend die geschuldeten Zinsen zu zahlen sind und ein durch die Nutzung entstehender Wertverlust durch laufende Zahlungen auszugleichen ist (§ 30g Abs. 2 Satz 1 ZVG). Auch ein Verstoß gegen die Auskehrungs- und Separierungspflicht gem. § 54 Abs. 2 StaRUG dürfte einen Umstand darstellen, aus dem sich die fehlende Bereitschaft und Fähigkeit des Schuldners ergibt, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten.53 33 Teilweise wird vertreten, dass im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sei, ob

eine Aufhebung der Stabilisierungsanordnung mit Blick auf den erreichten Stand des Restrukturierungsvorhabens im Interesse der Gläubigergesamtheit liegt und ob den betroffenen Gläubigern die Einschränkungen ihrer Rechte zur Erreichung des Restrukturierungsziels weiter zugemutet werden können.54 Die Berücksichtigung des Gesamtgläubigerinteresses losgelöst von der Fähigkeit und Bereitschaft des Schuldners, dieses zu wahren, und die Einführung des Zumutbarkeitskriteriums finden jedoch keine Grundlage im Gesetzeswortlaut. Vielmehr erfordert bereits der Erlass der Stabilisierungsanordnung nur die Erforderlichkeit und gerade nicht auch die Zumutbarkeit bzw. Angemessenheit der Stabilisierungsanordnung (vgl. § 49 Rz. 32 ff.). Vor diesem Hintergrund ist die Gesamtwürdigung im Rahmen des § 59 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG allein im Hinblick auf die Bereitschaft und Fähigkeit des Schuldners, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten, vorzunehmen.

V. Gläubigerantrag (§ 59 Abs. 2 StaRUG) 34 Die Stabilisierungsanordnung ist auf Antrag eines Gläubigers aufzuheben, wenn dieser glaub-

haft macht, dass einer der Aufhebungsgründe nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 oder 4 StaRUG vorliegt (§ 59 Abs. 2 StaRUG). Ein Aufhebungsgrund nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG ist gegeben, wenn die Anzeige der Restrukturierungssache ihre Wirkungen verloren hat oder die Voraussetzungen der Aufhebung einer Restrukturierungssache vorliegen. Ein Aufhebungsgrund nach § 59 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG setzt die Kenntnis des Gerichts von Umständen voraus, aus denen sich die fehlende Bereitschaft und Fähigkeit des Schuldners ergibt, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergesamtheit auszurichten. Antragsberechtigt sind nur diejenigen Gläubiger, die von der Stabilisierungsanordnung betroffen sind.55 Hat ein Gläubiger einen Aufhebungsantrag beim Restrukturierungsgericht eingereicht und liegen die Voraussetzungen des § 59 Abs. 2 StaRUG vor, hat das Restrukturierungsgericht die Stabilisierungsanordnung aufzuheben. Es handelt sich dabei vorbehaltlich der Regelung des § 59 Abs. 3 StaRUG (vgl. Rz. 39 ff.) um eine gebundene Entscheidung.56

35 In dem Aufhebungsantrag hat der Gläubiger das Vorliegen des geltend gemachten Auf-

hebungsgrundes glaubhaft zu machen. Unter Glaubhaftmachung ist das Aufzeigen der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Aufhebungsgrundes zu verstehen.57 Dies

53 54 55 56 57

Schönfelder in Flöther, 2021, § 59 StaRUG Rz. 19 und § 54 StaRUG Rz. 36. Vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 22. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 26. Vgl. Riggert in Braun, 2021, § 59 StaRUG Rz. 10; vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 22.

1020 | Schönen/Bender

Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung | Rz. 38 § 59

kann insbesondere im Wege der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung erfolgen (vgl. § 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO). Die Beantragung einer Aufhebung seitens eines Gläubigers ist aufgrund der fehlenden Be- 36 schwerdemöglichkeit gegen den Erlass einer Stabilisierungsanordnung der einzige Weg, auf dem Gläubiger die Wahrung ihrer Interessen überprüfen lassen können. Der § 59 Abs. 2 StaRUG eröffnet den Gläubigern jedoch nicht die Möglichkeit, den Erlass der Stabilisierungsanordnung vollumfänglich überprüfen zu lassen. Vielmehr sind Gläubiger nur berechtigt, die Aufhebungsgründe nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 oder 4 StaRUG geltend zu machen. Eine unmittelbare Geltendmachung etwa der fehlenden Erforderlichkeit der Stabilisierungsanordnung oder die Geltendmachung der individuellen Unzumutbarkeit der Stabilisierungsanordnung sind nicht möglich.58 In praktischer Hinsicht besteht für Gläubiger die Schwierigkeit, dass ihnen im Gegensatz zum Restrukturierungsgericht oftmals die notwendigen Informationen fehlen, um das Vorliegen von Aufhebungsgründen beurteilen zu können. Allerdings steht Gläubigern nach § 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 299 Abs. 1 ZPO zumindest das Recht zu, Akteneinsicht beim Restrukturierungsgericht zu nehmen.59 Andererseits muss das Restrukturierungsgericht ohnehin bereits von Amts wegen tätig werden, wenn sich auf Basis der gerichtsbekannten Umstände das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes nach § 59 Abs. 1 StaRUG ergibt. Ein Gläubigerantrag gerichtet auf die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung ist in diesem Fall entbehrlich. Aus diesem Grund wird sich ein Gläubigerantrag in der Praxis regelmäßig auf dem Gericht noch nicht bekannte Umstände stützen.60 Darunter können beispielsweise Umstände fallen, die ergeben, dass das angezeigte Restrukturierungsvorhaben keine Aussicht auf Umsetzung hat (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG), dass der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten aus § 32 verstoßen hat, z.B. gegen die Pflicht zur Auskehrung oder Separierung von Erlösen nach § 54 Abs. 2 (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StaRUG), oder dass die Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit nicht sichergestellt ist (§ 59 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG). Die Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit kann durch den Gläubiger insbesondere in Frage gestellt werden, wenn sich Umstände nachteilig verändern, auf welche die Restrukturierungsplanung gestützt wurde. Der Vortrag des Gläubigers könnte etwa lauten, dass die Beurteilung der Erforderlichkeit der Stabilisierungsanordnung auf Basis der inzwischen überholten Restrukturierungsplanung nicht mehr möglich ist. Insofern kann ein Gläubiger zumindest mittelbar das Entfallen der Erforderlichkeit einer Stabilisierungsanordnung geltend machen.61 Da dem Restrukturierungsgericht bei seiner Entscheidung über die Aufhebung einer Stabili- 37 sierungsanordnung gem. § 59 Abs. 3 StaRUG insofern Ermessen zukommt, als es von einer Aufhebung absehen kann, um einen geordneten Übergang in das Insolvenzverfahren zu ermöglichen, erfolgt die Aufhebung unter Umständen erst nach bis zu drei Wochen (vgl. Rz. 39 ff.). Somit entfaltet die Möglichkeit der Beantragung einer Aufhebung nach § 59 Abs. 2 StaRUG für den von der Stabilisierungsanordnung betroffenen Gläubiger angesichts dieser zeitlichen Verzögerung bzw. des ggf. nahtlosen Übergangs in eine vorläufige Sicherungsmaßnahme im Insolvenzeröffnungsverfahren unter Umständen keine Wirkungen zugunsten des Gläubigers.62 Ein Gläubiger wird neben der Beantragung der Aufhebung der Stabilisierungsanordnung ins- 38 besondere auch auf die Möglichkeit zurückgreifen, dem Restrukturierungsgericht Umstände 58 Vgl. Mock in BeckOK/StaRUG, § 59 StaRUG Rz. 12.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 23; vgl. Müller, ZIP 2020, 2253, 2258; vgl. Riggert, NZI-Beilage 2021, 40, 42. 59 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 25. 60 Vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 25. 61 Vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 25. 62 Vgl. Frind, ZRI 2021, 697, 704.

Schönen/Bender | 1021

§ 59 Rz. 38 | Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung i.S.d. § 59 Abs. 1 StaRUG zur Kenntnis zu bringen, die das Gericht von Amts wegen zur Aufhebung der Stabilisierungsanordnung verpflichten, und damit eine Aufhebung von Amts wegen zu bewirken.63 Auf diese Weise kann die nur eingeschränkte Überprüfbarkeit der Anordnungsvoraussetzungen einer Stabilisierungsanordnung aufgrund eines Gläubigerantrags zumindest teilweise umgangen werden.

VI. Absehen von Aufhebung durch das Restrukturierungsgericht (§ 59 Abs. 3 StaRUG) 39 Es steht im Ermessen des Restrukturierungsgerichts von einer Aufhebung abzusehen, wenn

die Fortdauer der Stabilisierungsanordnung geboten erscheint, um im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger einen geordneten Übergang in ein Insolvenzverfahren zu gewährleisten (§ 59 Abs. 3 StaRUG). Das Restrukturierungsgericht setzt dem Schuldner in diesem Fall eine Frist von bis zu drei Wochen, innerhalb derer der Schuldner die Beantragung eines Insolvenzverfahrens nachzuweisen hat. Der Nachweis ist durch Vorlage des Insolvenzantrages nebst Eingangsbestätigung oder Eingangsstempel des Insolvenzgerichts zu erbringen.64

40 Die Regelung führt ausnahmsweise dazu, dass Eingriffe in Gläubigerrechte fortdauern, ob-

wohl keine Aussichten mehr auf die Erreichung des Restrukturierungsziels bestehen. Dies dürfte nur vor dem Hintergrund gerechtfertigt sein, dass dadurch im Interesse der Gesamtgläubigerschaft das schuldnerische Vermögen erhalten wird, indem eine Vermögensreduzierung durch Vollstreckungs- oder Verwertungsmaßnahmen der Gläubiger in der Zeit zwischen Aufhebung der Stabilisierungsanordnung und Anordnung von vorläufigen Sicherungsmaßnahmen im Insolvenzeröffnungsverfahren verhindert wird.65 Die Regelung ist auch sachgerecht, um die Möglichkeit der Fortführung des schuldnerischen Unternehmens sicherzustellen. Zwar können etwaige Vermögensabflüsse durch Vollstreckungs- oder Verwertungsmaßnahmen im Rahmen eines späteren Insolvenzverfahrens unter Umständen im Wege der Insolvenzanfechtung rückgängig gemacht werden, nichtsdestotrotz könnten diese Vermögensgegenstände im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens verwendet werden.66

41 Ein temporäres Absehen von der Aufhebung nach § 59 Abs. 3 StaRUG kommt vor diesem

Hintergrund nur in Betracht, wenn aus Sicht des Restrukturierungsgerichts überhaupt mit einer Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens innerhalb von drei Wochen zu rechnen ist.67 Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Grund für die Aufhebung in der Insolvenzreife des Schuldners (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StaRUG) oder in den mangelnden Aussichten auf Umsetzung der Restrukturierungssache (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StaRUG) zu finden ist.

42 Ein Ermessen steht dem Restrukturierungsgericht hinsichtlich der Länge der Fristsetzung

und der Entscheidung darüber zu, ob und in welchem Umfang die Stabilisierungsanord-

63 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 59 StaRUG Rz. 25; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 23. 64 Riggert in Braun, 2021, § 59 StaRUG Rz. 12; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 35. 65 Vgl. Riggert in Braun, 2021, § 59 StaRUG Rz. 11; vgl. Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 30. 66 Vgl. Schönfelder in Flöther, 2021, § 59 StaRUG Rz. 34; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 33. 67 Riggert in Braun, 2021, § 59 StaRUG Rz. 11; vgl. Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 27; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 34.

1022 | Schönen/Bender

Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung | Rz. 45 § 59

nung aufrechtzuerhalten ist. Dabei kann es sich auch für eine Teilaufhebung entscheiden.68 In die Überlegungen hat mit einzufließen, dass die Interessen der Gläubigergesamtheit auch durch das Hinauszögern des Übergangs in das Insolvenzverfahren gefährdet werden können.69 Wenn der Schuldner an einem nahtlosen Übergang von der Stabilisierungsanordnung hin 43 zu einer vorläufigen Sicherungsmaßnahme i.S.v. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens interessiert ist, müsste er innerhalb der ihm vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist seinen Insolvenzantrag stellen und auf eine zügige Entscheidung des Insolvenzgerichts über Sicherungsmaßnahmen hinwirken. Nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist für den Nachweis über die Insolvenz- 44 antragstellung, ist die Stabilisierungsanordnung in jedem Fall aufzuheben. Dies gilt sowohl für den Fall, dass der Nachweis vom Schuldner erbracht wird, als auch für die fehlende Erbringung des Nachweises.70 Das Erfordernis der Setzung einer Frist seitens des Gerichts, innerhalb derer der Schuldner den Insolvenzantrag stellen müsste und nach deren Ablauf die Stabilisierungsanordnung ihre Wirkungen in jedem Fall verliert, soll sicherstellen, dass die Stabilisierungsanordnung nicht länger als erforderlich aufrechterhalten bleibt.71 Die dreiwöchige Frist orientiert sich dabei an der Frist für die Stellung eines Insolvenzantrags wegen Zahlungsunfähigkeit (§ 15a Abs. 1 Satz 2 InsO).72 Teilweise wird vertreten, dass die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung nach Ablauf der maximal dreiwöchigen Frist unter Umständen nicht sachgerecht ist, sondern stattdessen die erste insolvenzgerichtliche Entscheidung abzuwarten wäre.73 Allerdings hat sich der Gesetzgeber bewusst für die Anknüpfung an eine dreiwöchige Frist in Anlehnung an die Frist für die Insolvenzantragstellung bei Zahlungsunfähigkeit entschieden.74 Ein Schuldner, der daran interessiert ist, einen nahtlosen Übergang von der Stabilisierungsanordnung im Restrukturierungsverfahren nach § 49 StaRUG zur entsprechenden vorläufigen Sicherungsmaßnahme nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 5 InsO im Insolvenzeröffnungsverfahren zu erreichen, müsste also innerhalb der drei Wochen den Insolvenzantrag stellen und auf eine rechtzeitige Anordnung von vorläufigen Sicherungsmaßnahmen seitens des Insolvenzgerichts im Eröffnungsverfahren hinwirken. Dies gilt selbst dann, wenn der Schuldner „nur“ überschuldet und nicht (auch) zahlungsunfähig ist und daher gem. § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO erst spätestens nach sechs Wochen zur Insolvenzantragstellung verpflichtet ist (vorausgesetzt, dass Aussichten auf eine Beseitigung des Insolvenzgrundes innerhalb dieser Frist bestehen und die Sanierungsbemühungen andauern). Ein Interesse an nahtloser Anordnung von Vollstreckungs- und Verwertungssperren kann sich auf Seiten des Schuldners insbesondere daraus ergeben, dass der Schuldner nun eine Sanierung im Insolvenzverfahren anstrebt und den Geschäftsbetrieb möglichst ungestört fortsetzen sowie die Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierung des Unternehmens im Rahmen des Insolvenzverfahrens maximieren will. In diesem Zusammenhang wird aber folgender Umstand zu berücksichtigen sein: Bei der An- 45 ordnung einer Verwertungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG hat der Schuldner insbesondere im Fall von revolvierenden Sicherheiten nur dann etwas von den Wirkungen der Ver68 Riggert in Braun, 2021, § 59 StaRUG Rz. 12; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 33. 69 Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 25. 70 Riggert in Braun, 2021, § 59 StaRUG Rz. 13; Schönfelder in Flöther, 2021, § 59 StaRUG Rz. 35; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 26; Boss/Luttmann in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 29; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 35. 71 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160. 72 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160. 73 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 35. 74 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160.

Schönen/Bender | 1023

§ 59 Rz. 45 | Aufhebung und Beendigung der Stabilisierungsanordnung wertungssperre, wenn er mit den davon betroffenen Gläubigern eine Einigung über die zumindest teilweise Berechtigung des Schuldners zur Nutzung der Verwertungserlöse für die Zwecke seines laufenden Geschäftsbetriebs treffen konnte (sog. unechter Restrukturierungskredit) (vgl. § 54 Rz. 52). Andernfalls muss er die Erlöse aus diesen revolvierenden Sicherheiten nach § 54 Abs. 2 StaRUG entweder an den Berechtigten auskehren oder separieren. Diese Vereinbarung mit dem Gläubiger wird typischerweise so ausgestaltet sein, dass sie nur während der Dauer des Restrukturierungsverfahrens bzw. der Stabilisierungsanordnung gilt, aber nicht automatisch weiterläuft, wenn es zu einem Insolvenzantrag bzw. zu einer vorläufigen Sicherungsanordnung i.S.v. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO kommt. Der Schuldner müsste sich also idealerweise vor der Insolvenzantragstellung mit den betreffenden Gläubigern darauf verständigen, wie nun im Eröffnungsverfahren mit den Erlösen aus revolvierenden Sicherheiten zu verfahren ist (Stichwort: unechter Massekredit). 46 Übt das Restrukturierungsgericht sein Ermessen dahingehend aus, dass es von einer Auf-

hebung der Stabilisierungsanordnung nach § 59 Abs. 3 StaRUG absieht, unterbleibt nach § 33 Abs. 3 StaRUG währenddessen auch die Aufhebung der Restrukturierungssache.

VII. Entscheidung des Restrukturierungsgerichts; kein Rechtsmittel 47 Das zuständige Restrukturierungsgericht entscheidet über die Aufhebung der Stabilisierungs-

anordnung im Wege des Beschlusses. Die Entscheidung des Restrukturierungsgerichts kann ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 39 Abs. 3 Satz 1 StaRUG). Wenn das Gericht die Entscheidung über die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung ohne mündliche Verhandlung trifft, gebietet es grundsätzlich der grundgesetzlich geschützte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), dass das Restrukturierungsgericht vor seiner Entscheidung den Schuldner anhört bzw. ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme einräumt, es sei denn, es handelt sich um einen Fall der Aufhebung auf Antrag des Schuldners (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) oder das Interesse an einer (unmittelbaren) Aufhebung der Stabilisierungsanordnung überwiegt (etwa wegen Gefahr im Verzug) das Interesse des Schuldners an einer Aufrechterhaltung der Anordnung.

48 Gegen die Aufhebungsentscheidung des Restrukturierungsgerichts steht dem Schuldner kein

Rechtsmittel zur Verfügung.75 Da das Gesetz keine ausdrückliche Regelung zu einem Rechtsmittel trifft, scheidet auch ein Rückgriff auf die sofortige Beschwerde nach § 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 567 ZPO aus. Denn die Entscheidungen des Restrukturierungsgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen das StaRUG die sofortige Beschwerde vorsieht (§ 40 Abs. 1 StaRUG). Es steht dem Schuldner jedoch frei, nach der Aufhebung einer Stabilisierungsanordnung den erneuten Erlass in Gestalt einer Neuanordnung nach § 52 StaRUG zu beantragen. Wird der Erlass der Neuanordnung versagt, kann der Schuldner gegen den Zurückweisungsbeschluss des Restrukturierungsgerichts die sofortige Beschwerde einlegen (§ 51 Abs. 5 Satz 2 StaRUG).

VIII. Ende der Stabilisierungsanordnung (§ 59 Abs. 4 StaRUG) 49 Die Stabilisierungsanordnung endet kraft Gesetzes, wenn der Restrukturierungsplan ge-

richtlich bestätigt worden ist oder die Planbestätigung vom Restrukturierungsgericht versagt wird (§ 59 Abs. 4 StaRUG). Maßgeblich für die Beendigung der Stabilisierungsanordnung ist entgegen dem Wortlaut des Gesetzes, aber nach ausdrücklichem Willen des Gesetzgebers

75 Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 28.

1024 | Schönen/Bender

Antrag | § 60

die Rechtskraft der Entscheidung über die Planbestätigung.76 Hintergrund der Regelung ist, dass eine Stabilisierungsanordnung mit rechtskräftiger Bestätigung des Restrukturierungsplans nicht mehr zur Wahrung der Aussichten auf Verwirklichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist.77 Gleiches gilt bei der Versagung der Planbestätigung, da in diesem Fall keine Aussichten mehr auf Verwirklichung des Restrukturierungsziels bestehen.78

Abschnitt 5 Planbestätigung (§§ 60-72) Unterabschnitt 1 Bestätigungsverfahren (§§ 60-66)

§ 60 Antrag (1) 1Auf Antrag des Schuldners bestätigt das Gericht den von den Planbetroffenen angenommenen Restrukturierungsplan durch Beschluss. 2Der Antrag kann auch im Erörterungs- und Abstimmungstermin gestellt werden. 3Ist die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren (§ 45) erfolgt, hat der Schuldner dem Antrag auf Bestätigung des Restrukturierungsplans neben dem zur Abstimmung gestellten Plan und seinen Anlagen die Dokumentation über das Abstimmungsergebnis sowie sämtliche Urkunden und sonstigen Nachweise beizufügen, aus denen sich ergibt, wie die Abstimmung durchgeführt wurde und zu welchem Ergebnis sie geführt hat. (2) 1Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit [ab 1.1.2024: „rechtsfähige Personengesellschaft“] oder um eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, bedarf der Antrag auf Bestätigung eines Restrukturierungsplans, der die persönlich haftenden Gesellschafter nicht von deren Haftung für die durch den Plan gestalteten Forderungen und Rechte befreit, der Zustimmung aller persönlich haftenden Gesellschafter. 2Dies gilt nicht, soweit es sich bei den persönlich haftenden Gesellschaftern 1. um juristische Personen handelt oder 2. um Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit [ab 1.1.2024: „rechtsfähige Personengesellschaften“] handelt, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist und kein persönlich haftender Gesellschafter selbst eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ist, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist oder sich die Verbindung von Gesellschaften in dieser Art fortsetzt.

76 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 28; Mikolajczak in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 59 StaRUG Rz. 36; Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2683; a.A. Schönfelder in Flöther, 2021, § 59 StaRUG Rz. 37. 77 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160. 78 Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 160.

Schönen/Bender und Parzinger/Lappe | 1025

§ 60 Rz. 1 | Antrag In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256); Abs. 2 Satz 1 mit Wirkung v. 1.1.2024 geändert durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436). I. Regelungsgegenstand und systematischer Zusammenhang des Bestätigungsverfahrens und der Bestätigungsentscheidung 1 II. Verfahrenszweck und Bestätigungsfolgen 7 1. Verfahrenszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Bestätigungsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Recht der Willenserklärungen . . . . . . . . . 11 III. Historie und richtlinienrechtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 IV. Antragsverfahren (§ 60 Abs. 1 StaRUG) 18

1. 2. 3. 4. V.

Erfordernis gerichtlicher Planbestätigung 18 Antragsberechtigung, -frist und -gebühr 22 Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Rücknahme des Antrags . . . . . . . . . . . . . . 36 Zustimmungserfordernis bei fortbestehender Gesellschafterhaftung (§ 60 Abs. 2 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

Schrifttum: Balthasar, Allgemeine Zugangsvoraussetzungen zu den Restrukturierungsinstrumenten, NZI-Beilage 2021, 18; Bork, Neue Grundfragen des Restrukturierungsrechts, ZRI 2021, 345; De Bruyn/ Ehmke, StaRUG & InsO: Sanierungswerkzeuge des Restrukturierungs- und Insolvenzverfahrens, NZG 2021, 661; Desch, Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Regierungsentwurf StaRUG in der Praxis, BB 2020, 2498; Heckschen/Weitbrecht, Überfremdungsschutz im GmbH- und Aktienrecht, NZG 2019, 721; Hofmann, Der Restrukturierungsplan im künftigen deutschen Restrukturierungsverfahren – Restrukturierungs- vs. Insolvenzplan?, NZI-Beilage 2019, 22; Madaus, Vom Wert der rechtsdogmatischen Verankerung spezialgesetzlicher Rechtsinstitute – und über die Auslegung von Insolvenzplänen, NZI 2020, 545; Madaus, Die (begrenzte) Insolvenzfestigkeit des Restrukturierungsplans, der Planleistungen sowie unterstützender Rechtshandlungen während der Restrukturierungssache, NZI-Beilage 2021, 35; Schelo, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), WM 2021, 513; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021; Scholz, Die Krisenpflichten von Geschäftsleitern nach Inkrafttreten des StaRUG, ZIP 2021, 219; Skauradzsun, Grundfragen zum StaRUG – Ziele, Rechtsnatur, Rechtfertigung, Schutzinstrumente, KTS 2021, 1; Thomale, Der verdrängte Anspruch – Freie Anspruchskonkurrenz, Spezialität und Subsidiarität im Privatrecht, JuS 2013, 296; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des Restrukturierungsgerichts nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Teil 2), ZInsO 2020, 2677; Veil/Baumann, Informationsasymmetrien bei der Restrukturierung nach dem StaRUG, ZIP 2022, 1301.

I. Regelungsgegenstand und systematischer Zusammenhang des Bestätigungsverfahrens und der Bestätigungsentscheidung 1 § 60 StaRUG regelt das Antragserfordernis für den Schuldner als Eingangsvoraussetzung des

Planbestätigungsverfahrens. § 60 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 StaRUG sehen besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Antrag vor.1 Die Norm steht systematisch konsequent zu Beginn der Regelungen zum Bestätigungsverfahren (§§ 60–66 StaRUG) im Abschnitt der Planbestätigung (§§ 60–72 StaRUG).

2 Die Planbestätigung stellt ein Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrument dar (§ 29

Abs. 2 Nr. 4 StaRUG). Das gerichtliche Planbestätigungsverfahren steht dabei selbstständig neben dem Planannahmeverfahren.2 Die gerichtliche Planbestätigung durchbricht das all-

1 Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 60 StaRUG Rz. 2; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 60 StaRUG Rz. 1. 2 Vgl. Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), der Planannahme (§§ 17–28) und Planbestätigungsverfahren (§§ 60–66), als „Phase 2“ zwischen „Phase 1“ (Vorbereitung des Restrukturierungsplans, §§ 2–16) und „Phase 3“ (Umsetzung des Restrukturierungsplans) einordnet.

1026 | Parzinger/Lappe

Antrag | Rz. 4 § 60

gemein zivilrechtliche Konsensprinzip zur Umgestaltung privatrechtlicher Forderungen3 und bindet gem. § 67 Abs. 1 Satz 2 StaRUG auch dissentierende Planbetroffene an die Gestaltungen des Restrukturierungsplans.4 Die weiteren Wirkungen der gerichtlichen Bestätigung gem. §§ 67 ff., 90 StaRUG sind überdies auch im Fall einer vollkonsensualen Planannahme von gesonderter Bedeutung. Während dabei die Wirkungen der §§ 67 ff. StaRUG dem Plan weitgehend5 bereits mit der Bestätigungsentscheidung zukommen, bedarf es für den Anfechtungsschutz nach § 90 Abs. 1 StaRUG außerdem der Rechtskraft der Bestätigungsentscheidung. Eine Einschränkung des alleinigen schuldnerischen Antragsrechts gem. § 60 Abs. 1 StaRUG 3 regelt der zweite Absatz der Norm. § 60 Abs. 2 StaRUG räumt natürlichen Personen als (mittelbar) persönlich haftenden Gesellschaftern über ihre gesellschafsrechtlichen Einflussnahmemöglichkeiten hinaus einen Zustimmungsvorbehalt für den Bestätigungsantrag ein. Der Antrag eines Schuldners verfasst in der Rechtsform einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit6 oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien bedarf der vorigen Zustimmung der persönlich haftenden (unmittelbaren) Gesellschafter, sofern es sich bei diesen um natürliche Personen handelt. Gleiches gilt für Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit oder Kommanditgesellschaften auf Aktien als Gesellschafter, bei denen wiederum natürliche Personen unbeschränkt haftende Gesellschafter sind und ihre (jeweilige) akzessorische Gesellschafterhaftung (analog) § 128 HGB nicht entsprechend der Hauptschuld durch den Restrukturierungsplan modifiziert wird. Die wohl wichtigste Wirkung der gerichtlichen Bestätigung des Plans zum Abschluss des An- 4 tragsverfahrens ist die Bindung dissentierender Planbetroffener nach § 67 Abs. 1 Satz 1 StaRUG. Denn die gerichtliche Planbestätigung ist ex lege7 keine zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung für einen Restrukturierungsplan. Vielmehr können die Planwirkungen kraft ausdrücklicher oder im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermittelnder privatautonomer Vereinbarung im Plan8 eintreten, dann freilich beschränkt auf den Kreis den Plan annehmender Planbetroffener.9 Der Wirksamkeit des Plans zwischen diesen kann die Zweifelsregel 3 Vgl. Madaus, NZI 2020, 545, 546; Heckschen/Weitbrecht, NZG 2019, 721, 735. 4 Vgl. Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 5 Die Heilung der Verfahrensmängel und Willensmängel nach § 67 Abs. 6 StaRUG sowie die Vollstreckbarkeit nach § 71 StaRUG setzen die Rechtskraft der Bestätigungsentscheidung voraus. 6 „Unter dem im Stabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) wie auch in der Insolvenzordnung (InsO) wiederkehrenden Begriff der Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit versteht § 11 Absatz 2 Nummer 1 InsO die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die Partnerschaftsgesellschaft, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die Partenreederei und die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung“. Ab dem 1.1.2024 wird die Terminologie „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit” in § 60 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StaRUG durch den Begriff der „rechtsfähigen Personengesellschaft“ ersetzt. Diese Änderungen stellen Folgeänderungen und redaktionelle Anpassungen des Gesetzgebers im Zuge des MoPeG dar, die mit der gesetzlichen Anerkennung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und der Einführung des Gesellschaftsregisters einhergehen, vgl. BT-Drucks. 19/27635, S. 204 f. 7 Freilich steht es den Planbetroffenen frei, qua Bedingung im Plan die Planwirkungen von der gerichtlichen Bestätigung abhängig zu machen, vgl. zu bedingten Restrukturierungsplänen die Kommentierung zu § 62 Rz. 9. 8 Vgl. zur Rechtsnatur des Restrukturierungsplans BT-Drucks. 19/24181, S. 109 u. S. 121; Skauradszun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 19 m.w.N. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Madaus, NZI-Beilage 2021, 35; Hofmann, NZI-Beilage 2019, 22, 23. 9 Laroche in Flöther, 2021, § 60 Rz. 1; Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 14 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Nicht zu den konsentierenden Gläubigern gehören solche, deren Zustimmung gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 StaRUG „als erteilt gilt“. Die mögliche Bindungswirkung gegenüber diesen folgt – trotz der Formulierung des § 26 Abs. 1 Satz 1 StaRUG als gesetzliche Fiktion – allein aus § 67 StaRUG, Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 60 Rz. 4 | Antrag des § 18 StaRUG entgegenstehen.10 Danach ist im Zweifel anzunehmen, dass das Planangebot unter der Bedingung steht, dass sämtliche Planbetroffene zustimmen oder dass der Plan gerichtlich bestätigt wird. 5 Das Antragserfordernis für das gerichtliche Planbestätigungsverfahren gilt für jeden Restruk-

turierungsplan, unbesehen ob er durch ein vom Schuldner durchgeführtes Annahmeverfahren nach den §§ 17–23 StaRUG oder ein gerichtliches Abstimmungsverfahren nach den §§ 45 f. StaRUG zustande gekommen ist.11 Das Planbestätigungsverfahren als solches steht dabei zur Disposition des Schuldners. Sollen trotz fehlender Zustimmung aller Planbetroffenen sämtliche Planbetroffenen durch den Plan gebunden werden (vgl. § 18 StaRUG) und/oder die Planfolgen von den Privilegierungen des § 90 StaRUG profitieren, kann der Schuldner diese Wirkungen allerdings nur durch die Bestätigung des Plans durch das Restrukturierungsgericht nach den §§ 60 ff. StaRUG erreichen. Nicht zuletzt, da der Erfolg des Plans häufig von der Wirkung des gestaltenden Teils für sämtliche Planbetroffenen abhängt, dürfte es für den Schuldner i.d.R. zweckmäßig sein, einen Bestätigungsantrag zu stellen.12

6 Diese Überlegung wird dadurch gestützt, dass, dem Gedanken des § 18 StaRUG folgend, viele

der Planbetroffenen, die das Planangebot annehmen, dem Plan nur in der Annahme zustimmen dürften, dass alle Planbetroffenen ihren Sanierungsbeitrag leisten. Selbst wenn die Sanierungsbeiträge der zustimmenden Planbetroffenen alleine ausreichen würden, um den Schuldner erfolgreich zu restrukturieren,13 kann im Regelfall nicht davon ausgegangen werden, dass die zustimmenden Planbetroffenen ihren Sanierungsbeitrag losgelöst von den Wirkungen des Plans für alle Planbetroffenen erbringen. Der Bestätigungsantrag wird daher im Regelfall auch und gerade im Interesse der konstruktiv handelnden Gläubiger gestellt werden und die Tatsache des beabsichtigten Bestätigungsantrags Argument für möglicherweise dissentierende Gläubiger sein, dem vorgeschlagenen Plan von sich aus zuzustimmen.

II. Verfahrenszweck und Bestätigungsfolgen 1. Verfahrenszweck 7 Das Bestätigungsverfahren der §§ 60 ff. StaRUG sichert die gerichtliche Kontrolle der Ein-

haltung der formellen und materiellen Planvoraussetzungen ab. Es rechtfertigt damit die Bindung der Planbetroffenen an den Restrukturierungsplan ohne ihre Zustimmung (§ 67 StaRUG) bzw. den besonderen Schutz des § 90 StaRUG für die aufgrund des rechtskräftig bestätigten Plans vorgenommenen Rechtshandlungen. Eine gerichtliche Entscheidung auf Basis einer gesetzlichen Grundlage ist vor dem Hintergrund des Art. 14 GG gerade mit Blick auf die mit dem bestätigten Plan verknüpften Rechtsfolgen geboten. Planwirkungen und Planfolgen eines bestätigten Plans greifen unmittelbar in die Rechtspositionen auch nicht zustimmender Planbetroffener und ggf. mittelbar in die Rechtspositionen Dritter (vgl. § 90 StaRUG) ein. Es bedarf dafür einer (konsensersetzenden, vgl. auch § 26 Abs. 1 Satz 1 StaRUG) gesetzlichen Grundlage, deren gerichtliche Prüfung in den §§ 60 ff. StaRUG geregelt ist.14 Der

10 11 12 13

Vgl. Skauradzsun, KTS 2021, 1, 33. Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 60 StaRUG Rz. 2; Vallender, ZInsO 2020, 2677, 2678. Fendel in Braun, 2021, § 60 StaRUG Rz. 7. Dieses Szenario ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil es bei Bindung aller Planbetroffenen regelmäßig zu einer Übersanierung des Schuldners führen würde, die Planbetroffenen aber nicht bereit sein werden, eine solche Übersanierung zu unterstützen, sondern ihren Beitrag auf das zur Sanierung Erforderliche beschränken wollen. 14 Vgl. Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 4.

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Antrag | Rz. 10 § 60

Bestätigungsbeschluss am Ende des Bestätigungsverfahrens ist der rechtsprechenden Gewalt i.S.d. Art. 92 GG zuzuordnen.15 Das alleinige Antragsrecht des Schuldners stärkt dessen Autonomie zur Verfahrensgestal- 8 tung und ist Ausdruck der Dispositionsmaxime des verfahrensbetreibenden Schuldners.16 Die Planbetroffenen hingegen sind zum Bestätigungsantrag nur anzuhören, § 61 StaRUG, und die Anhörung ist nach Durchführung des optionalen gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermins i.S.d. §§ 45, 46 StaRUG fakultativ (§ 61 Satz 1 StaRUG). Sie ist nach dem Ermessen des Gerichts nur anzusetzen, sofern dies zur Gewährleistung ausreichenden rechtlichen Gehörs erforderlich ist (vgl. im Einzelnen hierzu § 61 Rz. 25 ff.). Nach einem durch den Schuldner durchgeführten Planannahmeverfahren nach den §§ 17 ff. StaRUG ist die gerichtliche Anhörung zwingend durchzuführen.

2. Bestätigungsfolgen Unmittelbare Rechtsfolge der Bestätigungsentscheidung ist die Bindungswirkung des Plans 9 gegenüber dem Schuldner und den Planbetroffenen (§ 67 Abs. 1 Satz 1 StaRUG).17 Die Bindung erfolgt unbesehen davon, ob die Planbetroffenen dem Plan zugestimmt oder überhaupt am Erörterungs- und Abstimmungstermin teilgenommen haben (§ 67 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, vgl. im Einzelnen hierzu § 61 Rz. 24). Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen wie auch sonstige formbedürftige Rechtsgeschäfte werden mit der Bestätigungsentscheidung als formwirksam abgeschlossen angesehen (§ 68 StaRUG). Für den Eintritt dieser und der weiteren Wirkungen der §§ 67 ff. StaRUG kommt es jeweils nicht auf die Rechtskraft der Bestätigungsentscheidung an.18 Nur die Privilegierungswirkungen des § 90 StaRUG, die Titelwirkung des § 71 StaRUG sowie die Heilungswirkung des § 67 Abs. 6 StaRUG setzen die Rechtskraft der Bestätigungsentscheidung voraus. Abgesehen von § 67 Abs. 6, §§ 68, 90 StaRUG suspendiert die (rechtskräftige) Bestätigungs- 10 entscheidung grundsätzlich keine Schutznormen außerhalb des StaRUG im Allgemeininteresse oder auch im Interesse einzelner Planbetroffener.19 Der historische Gesetzgeber nennt als solche Normen explizit „die Vorgaben des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere die §§ 35–41“ GWB.20 Die Bestätigung des Restrukturierungsplans ersetzt damit nicht die Zusammenschlusskontrolle. Ein (evidenter) Verstoß gegen etwaige Schutznormen kann indes zur Versagung der Bestätigung führen, bspw. weil bestimmte Rechtsgeschäfte im Rahmen des Planes augenfällig gegen ein Verbotsgesetz (§ 134 BGB) oder die guten Sitten (§ 138 BGB) verstoßen. Dann hat das Restrukturierungsgericht eine Bestätigung über den Wortlaut des § 63 Abs. 1 StaRUG hinaus zu versagen.21

15 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); vgl. zu § 248 InsO zum Insolvenzplan BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, NZI 2020, 1112, 1116 Rz. 51. 16 Vgl. Fendel in Braun, 2021, § 60 StaRUG Rz. 1; Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 21 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 17 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 34 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Hoffmann/Braun in Flöther, 2021, § 67 StaRUG Rz. 3, 5 ff. 18 Desch, BB 2020, 2498, 2505; Bork, ZRI 2021, 345, 353. 19 So für das Beispiel des Wettbewerbsrechts bereits die Gesetzesbegründung RegE BT-Drucks. 19/ 24181, S. 160; Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 4. Folgerichtig dürfte auch eine Haftung von Gläubigern nach § 826 BGB für im Rahmen von bestätigten Restrukturierungsplänen geleisteten Sanierungsbeiträgen ausgeschlossen sein, da Handeln in Erfüllung eines gerichtlich bestätigten Plans notwendig nicht sittenwidrig sein kann. 20 RegE BT-Drucks. 19/24181, S. 160. 21 S. § 63 Rz. 88 ff.; im Ergebnis auch Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 4.

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§ 60 Rz. 11 | Antrag

3. Recht der Willenserklärungen 11 Nach § 67 Abs. 6 StaRUG gelten mit der rechtskräftigen Bestätigung des Plans Willensmän-

gel von Planangebot und Planannahme als geheilt, insbesondere die Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB ist damit ausgeschlossen.22 Unklar ist, ob das allgemeine Recht der Willensmängel (§§ 119 ff. BGB) gleichsam e contrario § 67 Abs. 6 StaRUG zwischen Planannahme und rechtskräftiger Planbestätigung noch Anwendung findet und sich ein einzelner Planbetroffener so von seiner Annahmeerklärung lösen kann.23 Diese Frage wird auch nicht durch die Regeln der §§ 89 ff. StaRUG (Kapitel 5: „Anfechtungs- und Haftungsrecht“) beantwortet: Die Normen beziehen sich lediglich auf die Vorschriften der InsO und des AnfG. Den Fall der Anfechtung der Planannahme gem. §§ 119 ff. BGB betreffen sie hingegen nicht.24 So ist erwägenswert, dass Planangebot und Plannahmeerklärungen generell nicht den §§ 119 ff. BGB unterliegen, sondern der Schuldner auf die Rücknahme des Bestätigungsantrags (s. hierzu Rz. 36) sowie die planbetroffenen Gläubiger im Wege der Spezialität (Ordnungssystemkonkurrenz)25 auf die Geltendmachung entsprechender Versagungsgründe (§ 63 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 sowie § 64 StaRUG) im Rahmen der Anhörung sowie, falls notwendig, der sofortigen Beschwerde (§ 66 StaRUG) verwiesen sind. Im Ergebnis überzeugt jedoch eine solche umfassende „Sperrwirkung“ der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Geltendmachung von Willensmängeln, insbesondere für Fälle der bewussten Täuschung oder unvollständigen Information, nicht. Denn zum einen dient § 67 Abs. 6 StaRUG „nur“ dazu, die Rechtskraft der Bestätigungsentscheidung zu schützen und damit Rechtssicherheit zu schaffen. Dies ist bei nicht rechtskräftigen Bestätigungsentscheidungen gerade nicht geboten.26 Zum anderen sind weder die Rechtsfolgen (individuelle Lösung eines Schuldners von seiner Willenserklärung vs. Versagung der Planbestätigung) vergleichbar noch müssen die relevanten Sachverhalte der §§ 119 ff. BGB notwendig denen der §§ 63, 64 StaRUG entsprechen (bspw. dürfte der Fall des Erklärungsirrtums durch die §§ 63, 64 StaRUG regelmäßig nicht abgedeckt sein). Bis zur Rechtskraft des Planbestätigungsbeschlusses ist damit auch eine Anfechtung einzelner Annahmeerklärungen der Planbetroffen möglich. Für den Fall, dass auf die Planannahme keine gerichtliche Bestätigung erfolgt, findet § 67 Abs. 6 StaRUG bereits keine Anwendung27 und die Anfechtungsregeln sind auch nicht ausgeschlossen. Die Planannahme ohne Planbestätigung gleicht rechtlich einem mehrseitigen Rechtsgeschäft, auf das die allgemeinen Regeln über Willensmängel anwendbar sind.28 Ein besonderer Vertrauensschutz, wie er durch die rechtskräftige Planbestätigung entsteht, existiert für die Parteien hier gerade nicht.29

III. Historie und richtlinienrechtliche Grundlage 12 Das Bestätigungsverfahren der §§ 60–66 StaRUG folgt nach der Konzeption des historischen

Gesetzgebers dem Normvorbild der §§ 248–253 InsO.30 Die Regelungen zur Bestätigungsent22 23 24 25 26 27 28

Veil/Baumann, ZIP 2022, 1301, 1307. So wohl Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 36 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Näher dazu Veil/Baumann, ZIP 2022, 1301, 1307. Vgl. zu diesem Terminus Thomale, JuS 2013, 296, 298. So auch Veil/Baumann, ZIP 2022, 1301, 1307. Veil/Baumann, ZIP 2022, 1301, 1307; Backes/Arends in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 67 StaRUG Rz. 124. Zur Anwendbarkeit auf mehrseitige Verträge allgemein siehe nur Busche in in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 142 BGB Rz. 9; für den Restrukturierungsplan Veil/Baumann, ZIP 2022, 1301, 1308. 29 Vertiefend dazu Veil/Baumann, ZIP 2022, 1301, 1308. 30 Vgl. bereits RefE BT-Drucks. 19/24181, S. 161 f. zu § 62 StaRUG (dort § 69 StaRUG-RegE) und § 249 InsO sowie zu § 63 StaRUG (dort § 70 StaRUG-RegE) und § 250 InsO und zu § 64 StaRUG (dort § 71 StaRUG-RegE) und § 251 InsO; ebenso Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 2.

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Antrag | Rz. 16 § 60

scheidung als solche setzen Art. 10 Abs. 1 der Restrukturierungs-RL um.31 Danach bedürfen jedenfalls solche Restrukturierungspläne der Bestätigung einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde für ihre Verbindlichkeit gegenüber allen Planbetroffenen, wenn (Buchst. a) der Plan Forderungen oder Beteiligungen ablehnender betroffener Parteien beeinträchtigt, (Buchst. b) der Restrukturierungsplan eine neue Finanzierung vorsieht oder (Buchst. c) der Plan zum Verlust von mehr als 25 % der Arbeitsplätze führt, wenn dieser Verlust nach nationalem Recht zulässig ist. Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Restrukturierungs-RL hat der Gesetzgeber insoweit überschie- 13 ßend umgesetzt, als dass nach § 67 Abs. 1 StaRUG Planwirkungen gegenüber dissentierenden Planbetroffenen allgemein nur nach gerichtlicher Bestätigungsentscheidung eintreten. Dies obgleich beispielsweise Stundungen als solche nach ErwGr. 54 f. der Restrukturierungs-RL nicht als „Beeinträchtigung“ der Forderungen gelten,32 mithin nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Restrukturierungs-RL ein Restrukturierungsplan, der Forderungen Planbetroffener lediglich modifiziert (sog. „Amend & Extend-Transaktionen“) und keine „Kürzung ihrer Forderungen“ (vgl. ErwGr. 54 Restrukturierungs-RL a.E.) vornimmt, mangels Beeinträchtigung der Forderungen der Planbetroffenen grundsätzlich keiner staatlichen Bestätigungsentscheidung bedurft hätte. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Restrukturierungs-RL setzt das StaRUG nicht ausdrücklich in na- 14 tionales Recht um.33 Vielmehr ergibt sich aus dem besonderen Versagungsgrund der Planbestätigung nach § 63 Abs. 3 StaRUG und dem Rechtskrafterfordernis des § 90 Abs. 1 StaRUG, dass der nationale Gesetzgeber für die Privilegierung einer neuen Finanzierung (§ 12 StaRUG) die gerichtliche Bestätigung des Plans voraussetzt.34 Die Bestätigung ist nach dem StaRUG allerdings nicht zwingend, sondern nur auf Antrag des Schuldners gem. § 60 StaRUG vorgesehen. Art. 10 Abs. 1 Buchst. c Restrukturierungs-RL bedurfte keiner Umsetzung in nationales 15 Recht.35 Nach § 4 Nr. 1 StaRUG sind Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis keine durch den Restrukturierungsplan gestaltbaren Rechtsverhältnisse. Ein Restrukturierungsplan, dessen unmittelbare Planwirkungen zu einem Verlust von 25 % oder mehr der Arbeitsplätze des Schuldnerrechtsträgers führen, ist daher im deutschen Restrukturierungsrecht ausgeschlossen. Einer gesonderten Planbestätigung bedarf es daher auch nicht, wenn ein entsprechender Arbeitsplatzabbau Bedingung i.S.d. § 62 StaRUG für die Planbestätigung ist. Denn auch dann folgt der Arbeitsplatzabbau nicht unmittelbar als Rechtsfolge aus dem Plan selbst, sondern durch gesonderte und nicht nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. c Restrukturierungs-RL zu bestätigende Maßnahmen. Das Bestätigungsverfahren insgesamt muss den Anforderungen des Art. 10 Abs. 4 Restruktu- 16 rierungs-RL an eine zügige und effiziente Verfahrensweise genügen.36 Der Gesetzgeber bedient sich dazu der Beschlussform als „Wahlform“ der gerichtlichen Entscheidung, der nur dann ein Anhörungstermin vorausgehen muss, wenn das Restrukturierungsverfahren nicht gerichtlich durchgeführt wurde, § 61 Satz 2, 3 StaRUG. Im Übrigen steht die Verfahrensbeschleunigung durch Entfall einer Anhörung vor Planbestätigung durch § 61 Satz 1 StaRUG 31 S. nur Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 60 StaRUG Rz. 2; Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 2. 32 Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 60 StaRUG Rz. 2. 33 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 34 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Leichtle in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 60 StaRUG Rz. 1; vgl. auch Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 2. 35 So auch RegE BT-Drucks. 19/24181, S. 165. 36 Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 60 StaRUG Rz. 3; Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 2.

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§ 60 Rz. 16 | Antrag im Ermessen des Gerichts. Ziel ist es, eine zügige Bearbeitung der Bestätigungsentscheidung zu gewährleisten.37 17 Unmittelbare Anforderungen an die Verfahrenshandlungen des Schuldners oder der Plan-

betroffenen folgen aus dem richtlinienrechtlichen Beschleunigungsgebot nicht. Denn Art. 10 Abs. 4 Restrukturierungs-RL adressiert nur die Mitgliedsstaaten. Wohl aber kann sich aus der allgemeinen Verfahrenssorgfaltspflicht des Schuldners i.S.d. § 32 StaRUG die Pflicht ergeben, das Bestätigungsverfahren nicht grundlos zu verzögern oder zu erschweren und bei Wegfall des Bestätigungsinteresses den Bestätigungsantrag zurückzuziehen.38

IV. Antragsverfahren (§ 60 Abs. 1 StaRUG) 1. Erfordernis gerichtlicher Planbestätigung 18 Das Erfordernis der gerichtlichen Planbestätigung, um die im gestaltenden Teil des Plans

vorgesehenen Wirkungen (Planwirkungen) und die weiteren Folgen der Planbestätigung nach den § 67 ff. StaRUG zu erreichen, ergibt sich nicht unmittelbar aus § 60 StaRUG selbst, sondern aus anderen Normen des StaRUG (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1, § 63 Abs. 3, § 67 Abs. 1 Satz 2 StaRUG).

19 Die gerichtliche Planbestätigung ist insbesondere dann notwendige Voraussetzung der Plan-

wirkungen über den etwaig erzielten rechtsgeschäftlichen Konsens hinaus, wenn keine, auch innerhalb der einzelnen Abstimmungsgruppen einstimmige Planannahme gelungen ist,39 d.h. sowohl bei gruppeninterner Ablehnung des Plans durch eine Minderheit in der Gruppe von weniger als 25 % der Stimmrechte als auch bei Ablehnung des Plans durch eine Gruppe, indem dort die 75 % Mehrheit nach § 25 Abs. 1 StaRUG nicht erreicht wird; oder wenn eine neue Finanzierung im Rahmen des Plans gewährt wird.40

20 Der Eintritt der Planwirkungen kann für die zustimmenden Planbetroffenen unabhängig von

der Bestätigung des Plans vereinbart werden, auch wenn das i.d.R. nicht gewollt sein wird (s. § 18 StaRUG sowie Rz. 6). Alle weiteren Wirkungen der Planbestätigung nach den §§ 67 ff., 90 StaRUG setzen unbesehen einer einstimmigen Annahme durch die Planbetroffenen eine gerichtliche Planbestätigung voraus. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 67 Abs. 1 Satz 1 StaRUG41 und ist in der Überschrift des Unterabschnitts 2 („Wirkungen des bestätigten Plans; Überwachung der Planerfüllung“) der §§ 67 ff. StaRUG angelegt. Kraft rechtsgeschäftlicher Einigung können sich aus dem Plan nur solche wirkungsgleichen Rechtsfolgen ergeben, die privatautonom vereinbart werden können. Ihre Bindungswirkung ist dann auf die zustimmenden Planbetroffenen beschränkt. Auch im Fall einer neuen Finanzierung als Planinhalt42 tritt die Schutzwirkung des § 90 Abs. 1 StaRUG erst mit Rechtskraft der Planbestätigung ein.43 37 Skauradzsun, in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ErwGr. 86 der Restrukturierungs-RL; Art. 25 Buchst. b Restrukturierungs-RL. 38 Zu den Pflichten des Schuldners zur Antragstellung unter § 32 StaRUG sogleich Rz. 27; zur Möglichkeit der Antragsrücknahme Rz. 36. 39 De Bruyn/Ehmke, NZG 2021, 661, 668 f.; Schelo, WM 2021, 513, 516; vgl. auch die Fälle der Entscheidungen AG Hamburg v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZIP 2021, 1354 sowie AG Dresden v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, NZI 2021, 893 (nachfolgend LG Dresden v. 1.7.2021 – 5 T 363/21, ZIP 2021, 2596 ff.). 40 Fendel in Braun, 2021, § 60 StaRUG Rz. 7; Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 14, 16 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 41 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 15 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 3. 42 Fendel in Braun, 2021, § 60 StaRUG Rz. 7; Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 14, 16 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 43 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Antrag | Rz. 22 § 60

Ein gerichtlicher Bestätigungsbeschluss kann grundsätzlich nicht ohne einen entsprechenden 21 und aufrechterhaltenen Antrag des Schuldners ergehen (§ 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 308 ZPO). Der Beschluss muss sich im Rahmen des Antrags bewegen.44 Wird ein Bestätigungsbeschluss durch das Restrukturierungsgericht gefasst, ohne dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung ein entsprechender Antrag wirksam gestellt ist, beispielsweise, weil der Schuldner seinen ursprünglichen Antrag wieder zurückgenommen hat (vgl. zu dieser Möglichkeit sogleich Rz. 36), ist dieser Beschluss den allgemeinen Regeln (§ 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 308 ZPO) folgend45 anfechtbar, nicht aber nichtig.46 Die durch den unrechtmäßigen Beschluss beschwerten Planbetroffenen wie auch der Schuldner können den ergangenen Beschluss (analog) § 66 StaRUG mit der sofortigen Beschwerde angreifen, um sich gegen die grundsätzlich mögliche Rechtskraft47 des unrechtmäßigen Beschlusses zu schützen.48

2. Antragsberechtigung, -frist und -gebühr Ausschließlich der Schuldner ist antragsberechtigt. Einzelne Gläubiger, Gesellschafter oder 22 der Restrukturierungsbeauftragte sind nicht antragsberechtigt, ebenso wenig einzelne Planbetroffene oder die Gemeinschaft der Planbetroffenen.49 Nach den allgemeinen Regeln ist der Antrag auf Planbestätigung durch das Vertretungsorgan des Schuldners zu stellen; eine Bevollmächtigung ist ebenso zulässig (§ 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 80 ZPO). Der Bestätigungsantrag bedarf zu seiner Wirksamkeit im Außenverhältnis grundsätzlich nicht der Zustimmung bestimmter Gesellschaftsorgane nach dem Binnenorganisationsrecht des Schuldnerrechtsträgers.50 Für die Frage nach einem etwaigen Zustimmungserfordernis nach dem Binnenorganisationsrecht des Schuldners im Innenverhältnis gibt es – wie auch für die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit zur Anzeige des Restrukturierungsverfahrens51 – keine allgemein gültigen Grundsätze. Diese Frage richtet sich primär nach der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag sowie sekundär nach allgemeinem, jeweils einschlägigem Gesellschaftsrecht, wie sich aus der Wertung des § 1 Abs. 3 StaRUG ergibt. Enthält der Restrukturierungsplan Rechtsgeschäfte oder gesellschaftsrechtliche Maßnahmen oder Beschlüsse, die nach dem Binnenorganisationsrecht oder allgemeinem Gesellschaftsrecht der Zustimmung der Gesellschafter erfordern, bedarf der Antrag im Innenverhältnis ebenfalls der Zustimmung der Gesellschafter mit der erforderlichen Mehrheit. Dies gilt nicht, wenn die Zustimmung der Gesellschafter bereits im Grundsatz auch mit Blick auf den zur Bestätigung gestellten Inhalt des Restrukturierungsplans vor der Anzeige des Restrukturierungsverfahrens erteilt wurde. Wenn die Gesellschafter Planbetroffene sind, kann die im Innenverhältnis erforderliche Zustimmung in den Plan aufgenommen werden und gilt mit der Bestätigung des Plans nach § 68 Abs. 2 StaRUG „als in der vorgeschriebenen Form bewirkt“. Die Bestätigung des Plans nach seiner Annahme durch die Planbetroffenen ersetzt eine separate Beschlussfassung der Gesellschafter.

44 Vgl. bereits RefE SanInsFoG, S. 176 zu § 64 StaRUG; Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 45 Zu einem allgemeinen Verstoß gegen § 308 ZPO: BGH v. 16.5.2019 – IX ZR 44/18, NJW 2019, 2166, 2167 Rz. 11; Musielak in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, § 308 Rz. 22. 46 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 60 StaRUG Rz. 8. 47 BGH v. 16.5.2019 – IX ZR 44/18, NJW 2019, 2166, 2167 Rz. 11. 48 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 49 So bereits RefE BT-Drucks. 19/24181, S. 161; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 60 StaRUG Rz. 5 f.; Fendel in Braun, 2021, § 60 StaRUG Rz. 2. 50 Vgl. zum Insolvenzantrag AG Mannheim v. 21.2.2014 – 4 IN 115/14, NZI 2014, 412, 413 = ZIP 2014, 484; Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18. Zum Fall des § 60 Abs. 2 StaRUG s. sogleich Rz. 37 ff. 51 S. hierzu § 63 Rz. 106 ff.

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§ 60 Rz. 23 | Antrag 23 Mangels einer § 15a Abs. 3 InsO vergleichbaren Regelung im Rahmen des StaRUG kann den

Bestätigungsantrag weder ein (nicht geschäftsführender) Gesellschafter noch im Falle einer Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien ein Mitglied des Aufsichtsrats stellen.52 Gleichfalls kommt die Bestellung eines Prozesspflegers nach den § 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 57 ZPO nicht in Betracht, da der antragstellende Schuldner nicht Passivpartei des Restrukturierungsverfahrens ist.53 In einem solchen Fall kann der Antrag entweder – sofern vorhanden und wirksam bevollmächtigt – vom Verfahrensbevollmächtigten des Schuldnerrechtsträgers gestellt werden (§ 38 StaRUG i.V.m. § 86 ZPO)54 oder aber die Gesellschafter haben analog § 29 BGB einen Notgeschäftsleiter zu bestellen, welcher den Planbestätigungsantrag stellen kann.55

24 Der Bestätigungsantrag ist grundsätzlich nicht fristgebunden.56 Vielmehr begrenzt der Ver-

fahrensablauf den Zeitraum der zulässigen Antragstellung: Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 StaRUG kann der Bestätigungsantrag erst für einen „von den Planbetroffenen angenommenen Restrukturierungsplan“ gestellt werden. Daraus folgt, dass frühestmöglicher Zeitpunkt der zulässigen Antragstellung der Zeitpunkt nach Planannahme im gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin ist (§ 60 Abs. 1 Satz 2 StaRUG).57 Führt der Schuldner die Planerörterung und -abstimmung gem. §§ 17 ff. StaRUG selbst durch, kann zulässigerweise erst ab Feststellung – und Dokumentation (§ 60 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 22 StaRUG) – der Planannahme der Antrag auf Planbestätigung gestellt werden.

25 Die verfahrensrechtliche, „faktische“ Höchstfrist für die Antragstellung folgt aus § 31 Abs. 4

StaRUG: Verliert die Anzeige der Restrukturierungssache gem. § 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG nach der Verfahrensdauer von sechs bzw. zwölf Monaten ihre Wirksamkeit und endet damit die Anhängigkeit der Restrukturierungssache (vgl. § 31 Abs. 3 StaRUG), kann mangels anhängigem Verfahren kein Antrag auf Planbestätigung mehr gestellt und erst recht gem. § 31 Abs. 1 StaRUG keine Planbestätigungsentscheidung mehr getroffen werden.58 Faktisch ist der Antrag auf Planbestätigung daher so frühzeitig zu stellen, dass die Bestätigungsentscheidung im Rahmen der Restverfahrensdauer noch ergehen kann.

26 Innerhalb dieser zeitlichen Grenzen zulässiger Antragstellung ist der Schuldner – vorbehaltlich

etwaiger vertraglicher Verpflichtungen59 – grundsätzlich frei in der Wahl des Zeitpunkts der Antragstellung, unterliegt dabei jedoch der allgemeinen Verfahrenssorgfaltspflicht des § 32 Abs. 1 StaRUG. Danach ist der Schuldner nach der ihm obliegenden Sanierungsbetreibungspflicht60 grundsätzlich verpflichtet, den Bestätigungsantrag unverzüglich nach Planannahme 52 Vgl. Heidrich in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 60 StaRUG Rz. 7; Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 5. 53 Zur Unanwendbarkeit des § 57 ZPO auf die Aktivpartei Hübsch in BeckOK/ZPO, § 57 ZPO Rz. 1 (Stand: 45. Ed. 1.7.2022); Weth in Musielak/Voit, 19. Aufl. 2022, § 57 ZPO Rz. 1; Vogt-Beheim in Anders/Gehle, 80. Aufl. 2022, § 57 ZPO Rz. 1. 54 Vgl. BGH v. 6.2.2019 – VII ZB 78/17, NZG 2019, 511, 512 Rz. 23 = ZIP 2019, 609. 55 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/24181, S. 108; so auch für die Restrukturierungsanzeige im Fall der Führungslosigkeit Kramer in BeckOK/StaRUG, § 31 StaRUG Rz. 29 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 56 Siehe nur Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 6. 57 Vgl. Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 7; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 60 StaRUG Rz. 7; zur Möglichkeit der vorigen schriftsätzlichen Ankündigung s. Rz. 35. 58 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Arends/Beckes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 60 StaRUG Rz. 12. 59 Zweckmäßig ist es, bereits im Restrukturierungsplan oder einem anderweitig die Restrukturierung regelnden Vertragswerk (bspw. sog. „Lock-up Agreement“) eine einseitige Verpflichtung des Schuldners zur unverzüglichen Antragstellung nach Planannahme vorzusehen, um etwaige Unklarheiten zu vermeiden. 60 Vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 22 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); RegE BT-Drucks. 19/ 24181, S. 137.

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Antrag | Rz. 28 § 60

zu stellen, wenn dies zur Wahrung des Interesses der Gläubigergesamtheit erforderlich ist, insbesondere weil das Zuwarten mit der Antragstellung die Erfolgsaussichten des bereits angenommenen Restrukturierungsplans gefährden würde (§ 32 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StaRUG). Das Zuwarten ist daher regelmäßig nicht gerechtfertigt, um einen weiteren Sanierungsbeitrag zu verhandeln, der nicht Voraussetzung der Erfolgsaussicht des angenommenen Restrukturierungsplans ist. Ebenso scheidet Zuwarten aus, wenn damit Versagungsgründe einzutreten drohen und der Erfolg des Restrukturierungsplans die Planbestätigungsentscheidung voraussetzt. Umgekehrt ist ein Zuwarten mit der Antragstellung mit § 32 Abs. 1 StaRUG vereinbar, wenn bspw. noch auf den Eintritt der Bedingungen i.S.d. § 62 StaRUG gewartet werden muss oder wenn ein aussichtsreicher letzter Versuch gestartet werden soll, eine vollkonsensuale Lösung zu finden, die das Risiko späterer Beschlussanfechtung minimiert.61 Die Rechtsfolge einer pflichtwidrig verzögerten Antragstellung ist dann nicht die Unzulässigkeit des Antrags, sondern der allgemeinen Systematik folgend die Ersatzpflicht des Schuldners und seiner Geschäftsleitung gem. §§ 32, 43 StaRUG für etwaig durch die verspätete Antragstellung entstandene Schäden.62 Der mögliche Bestätigungsantrag unterliegt dann weder einer rechtlichen noch einer fak- 27 tischen Höchstfrist, wenn das Planverfahren zulässigerweise noch vor Anzeige des Restrukturierungsverfahrens alleine durch den Schuldner und die Planbetroffenen betrieben und der Plan angenommen wurde. Mangels der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach § 31 StaRUG unterliegt der Schuldner respektive seine Geschäftsleiter in solchen Fällen (noch) nicht der allgemeinen Verfahrenssorgfalt des § 32 Abs. 1 StaRUG. In Abwesenheit einer anderweitigen, expliziten vertraglichen Verpflichtung des Schuldners (dazu sogleich) erscheint daher ein unbegrenztes Zuwarten des Schuldners mit der Anzeige der Restrukturierungssache und der Stellung des Bestätigungsantrags denkbar. Für die Planbetroffenen kann dies eine „ungewisse Schwebelage“63 ergeben. Einer solchen etwaigen „ungewissen Schwebelage“ ist weder verfahrensrechtlich durch eine Versagung der Bestätigung analog § 63 Abs. 5 StaRUG zu begegnen noch materiell-rechtlich über den allgemeinen Grundsatz des venire contra factum proprium.64 Praktisch erscheint es allerdings als zweifelhaft, dass die Mehrheit der Gläubiger ein Planangebot annimmt, welches ihre Rechtspositionen beeinträchtigt, ohne von dem Schuldner im Plan zu verlangen, die Bestätigung innerhalb einer kurzen Zeitspanne zu beantragen. § 18 StaRUG legt nahe, dass viele der das Planangebot annehmenden Planbetroffenen dem Plan zustimmen, wenn bei Wirksamkeit des Plans alle Planbetroffenen einen Sanierungsbeitrag leisten. Überdies dürften regelmäßig die Zusagen für etwaige neue Finanzierungen wie auch die Bestandsfähigkeitsbescheinigung eine zeitnahe Bestätigung des Restrukturierungsplans voraussetzen. Dessen unbesehen folgt bereits nach den allgemeinen Grundsätzen aus § 241 Abs. 2 BGB 28 i.V.m. dem jeweiligen Schuldverhältnis des einzelnen Planbetroffenen mit dem Schuldner, dass dieser die Planwirksamkeit durch entsprechende Antragstellung grundsätzlich überhaupt und unverzüglich herbeizuführen hat, wenn der Plan angenommen wurde und seine Wirksamkeit nur noch von der gerichtlichen Bestätigung abhängt, sofern nicht schutzwürdige Interessen des Schuldners dem entgegen stehen.65 Fehlen – wie wohl regelmäßig zu erwarten 61 Vgl. zu letzterem Beispiel Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 25 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 62 Zu den Rechtsfolgen des § 32 StaRUG generell Scholz, ZIP 2021, 219, 225; auch hier erscheint ein Leistungsanspruch auf Antragstellung aus § 32 StaRUG i.V.m. dem planbetroffenen Schuldverhältnis denkbar; a.A. wohl Kramer in BeckOK/StaRUG, § 32 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 63 So Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 25.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 64 So zur Diskussion gestellt von Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 25.2. und 25.3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 65 Vgl. allgemein für die Herbeiführung erforderlicher Genehmigungen zur Vertragswirksamkeit Bachmann in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2019, § 241 BGB Rz. 74 sowie BGH v. 25.6.1976 – V ZR 121/ 73, NJW 1976, 1939, 1939; s. auch Sutschet in BeckOK/BGB, § 241 BGB Rz. 57 (Stand: 62. Ed. 1.5.2022) und auch Olzen in Staudinger, Neubearbeitung 2019, § 241 BGB Rz. 182.

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§ 60 Rz. 28 | Antrag – Anhaltspunkte im jeweiligen Schuldverhältnis, wie diese Nebenleistungspflicht des Schuldners ausgestaltet ist, kann im Rahmen der dann gebotenen ergänzenden Auslegung des Schuldverhältnisses zur Bestimmung der Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB auf die Wertungen des § 32 StaRUG zurückgegriffen werden.66 Die Nebenpflicht zur Restrukturierungsanzeige wie zur Stellung des Bestätigungsantrags ist – wie allgemeine Leistungsnebenpflichten – grundsätzlich klagbar67 und ihre Verletzung begründet gem. § 280 Abs. 1 BGB einen Schadensersatzanspruch des jeweiligen Gläubigers. Nehmen die Gläubiger ihre vertraglichen Rechte gegenüber dem Schuldner nicht wahr, besteht kein Bedürfnis, sie nach „verspätetem“ Bestätigungsantrag analog § 63 Abs. 5 StaRUG vor einer Bestätigung des angenommenen Plans über die allgemeinen Regeln (§§ 63, 64 StaRUG) hinaus zu schützen oder ihnen weitere Lösungsmöglichkeiten zuzugestehen. 29 Nach § 38 StaRUG i.V.m. § 13a Abs. 1 GKG soll über den Bestätigungsantrag erst nach Zah-

lung des Gerichtskostenvorschusses entschieden werden.68 Diesen hat der Schuldner im Voraus zu entrichten (§§ 25a, 13a, 6 Nr. 3a GKG).69 Um an dieser Stelle keine Verzögerung eintreten zu lassen, sollte der Schuldner den Gerichtskostenvorschuss frühzeitig einzahlen.

30 Die Gerichtskosten bestimmen sich nach Nr. 2511 der Anlage 1 zum GKG. Sie sind als Fest-

gebühr, d.h. unabhängig von einem Streitwert ausgestaltet und betragen grundsätzlich 1.000,– Euro, auf die die für die Anzeige des Verfahrens fällig gewordene Gebühr von 150,– Euro (Nr. 2510 der Anlage 1 zum GKG) anzurechnen ist.70 Dabei ist zu beachten, dass die Gebühr nach Nr. 2511 der Anlage 1 zum GKG allgemein mit dem ersten Antrag auf Inanspruchnahme eines Stabilisierungsinstruments i.S.d. § 29 StaRUG ausgelöst wird und im Grundsatz nur beim ersten entsprechenden Antrag fällig ist.71 Mithin ist bei einem Antrag auf Planbestätigung bspw. nach erfolgter Vorprüfung (§ 29 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG) grundsätzlich keine weitere Gerichtsgebühr fällig. Dies gilt nicht, wenn die beantragte Planbestätigung die vierte Inanspruchnahme eines unterschiedlichen Instruments nach § 29 StaRUG ist und sich damit gem. Nr. 2512 Anlage 1 zum GKG die Festgebühr auf 1.500,– Euro erhöht.72 Für die dann weiteren 500,– Euro Gerichtsgebühr gelten ebenfalls die §§ 25a, 13a, 6 Nr. 3a GKG.

3. Antrag 31 § 60 Abs. 1 StaRUG legt selbst keine bestimmte Form für den zustellenden Antrag fest.73 Ge-

mäß § 38 StaRUG ist daher auf die allgemeinen Regeln der ZPO zurückzugreifen. Danach ist der Antrag grundsätzlich als Schriftsatz einzureichen (§§ 253, 130 ZPO). Die Vorgaben der

66 Vgl. zur Verfahrenssorgfalt nach § 32 StaRUG im Hinblick auf die Stellung des Bestätigungsantrags bereits Rz. 26, zur Ergänzung des lückenhaften Parteiwillens durch Rückgriff auf Regelungen der Rechtsordnung für ähnliche Fälle Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, 4. Aufl. 1992, S. 324, § 16 4. b). 67 Vgl. zu allgemeinen Leistungsnebenpflichten Mansel in Jauernig, 18. Aufl. 2021, § 241 BGB Rz. 9; Sutschet in BeckOK/BGB, § 241 BGB Rz. 55 m.w.N (Stand: 62. Ed. 1.5.2022). 68 Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 60 StaRUG Rz. 17; Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 25a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 69 Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 60 StaRUG Rz. 17; Volpert in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes KostenR, 3. Aufl. 2021, KV GKG Nr. 2511 Rz. 6. 70 Volpert in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes KostenR, KV GKG Nr. 2511 Rz. 3; Sengl in BeckOK/ Kostenrecht, KV Nr. 2511 Rz. 2 (Stand: 38. Ed. 1.7.2022). 71 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 219; Sengl in BeckOK/KostenR, KV Nr. 2511 Rz. 2 (Stand: 38. Ed. 1.7.2022). 72 Sengl in BeckOK/KostenR, KV Nr. 2511 Rz. 6 (Stand: 38. Ed. 1.7.2022); BT-Drucks. 19/24181, S. 219. 73 Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 6.

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Antrag | Rz. 34 § 60

§§ 253, 130 ZPO gelten dabei jedoch nur „entsprechend“ (§ 38 Satz 1 a.E. StaRUG). Demnach muss die Antragsschrift nur das Rubrum, den verfahrensgegenständlichen Restrukturierungsplan sowie den Antrag (vgl. § 253 Abs. 2 ZPO) umfassen, nicht aber die für die Beschlussentscheidung notwendigen Angaben zu den tatsächlichen Verhältnissen i.S.d. § 130 Nr. 3 ZPO. Den tatsächlichen Sachverhalt, der Grundlage des Bestätigungsbeschlusses ist, hat das Restrukturierungsgericht gem. § 39 StaRUG selbst zu ermitteln. Der Antrag bedarf der Unterschrift eines oder ggf. der Vertretungsberechtigten des Schuldners (§ 38 StaRUG i.V.m. §§ 253, 130 Nr. 6 ZPO sowie bereits Rz. 22 f.). Demgegenüber ist es zweckmäßig, den Antrag entsprechend zu begründen und das Nicht- 32 bestehen von Versagungsgründen in der Antragsschrift darzulegen. Dies bietet sich insbesondere an, wenn kein gerichtlicher Erörterungs- und Abstimmungstermin durchgeführt wurde oder davon auszugehen ist, dass das Restrukturierungsgericht im Laufe des Verfahrens noch nicht alle für die Bestätigungsentscheidung notwendigen Tatsachenkenntnisse erlangt oder ermittelt hat. Der Schuldner trägt mit einem entsprechend begründeten Antrag seiner Verfahrenssorgfaltspflicht nach § 32 StaRUG hinreichend Rechnung und gewährleistet eine effiziente Verfahrensführung. Ist der Restrukturierungsplan nicht im Rahmen eines gerichtlichen Erörterungs- und Ab- 33 stimmungstermins angenommen worden, sind gem. § 60 Abs. 1 Satz 3 StaRUG dem Bestätigungsantrag neben dem zur Abstimmung gestellten Plan und seinen Anlagen die Dokumentation über das Abstimmungsergebnis sowie sämtliche Urkunden und sonstigen Nachweise beizufügen, aus denen sich ergibt, wie die Abstimmung durchgeführt wurde und zu welchem Ergebnis sie geführt hat. § 60 Abs. 1 Satz 3 StaRUG stellt damit sicher, dass das Gericht auch dann, wenn es im bisherigen Verfahrensverlauf nur die der Anzeige der Restrukturierungssache beizufügenden Unterlagen (§ 31 Abs. 2 StaRUG) erhalten hat, die Sachverhaltsinformationen durch den Schuldner erhält, die es jedenfalls zur Entscheidung über den Bestätigungsantrag benötigt.74 Fehlen die Unterlagen nach § 60 Abs. 1 Satz 3 StaRUG oder sind diese unvollständig, ist der Antrag des Schuldners bereits unzulässig.75 Einzureichen sind gem. § 60 Abs. 1 Satz 3 StaRUG zunächst der vollständige Plan mit sei- 34 nen Anlagen, d.h. insbesondere die nach §§ 14 f. StaRUG dem Plan beizufügenden Erklärungen.76 Aus diesen sowie ggf. der weiteren Begründung im Rahmen der Antragsschrift sollte sich für das Gericht nachprüfbar ergeben, dass keine Versagungsgründe i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 1, 2 Var. 1 und 3 sowie Abs. 3 StaRUG bestehen. Weiterhin muss sich aus den beigefügten Dokumenten und Nachweisen ergeben, dass keine wesentlichen Verfahrensvorschriften i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StaRUG verletzt worden sind. Dies betrifft die Dokumentation der pflichtgemäßen Verfahrensführung, die der Schuldner nach § 22 StaRUG zu erstellen hat.77 Der Umfang der nach § 22 StaRUG zu erstellenden Dokumentation umfasst dabei die Dokumente, die nach § 60 Abs. 1 Satz 3 StaRUG notwendig zum Bestätigungsantrag zureichen sind.78 Je nach Art des Abstimmungsverfahrens innerhalb (§ 20 StaRUG) oder außerhalb (§§ 19, 21 StaRUG) einer Versammlung sind gem. § 60 Abs. 1 Satz 3 StaRUG Nachweise darüber zu erbringen, dass das Verfahren seinen jeweiligen Voraussetzungen entsprechend (§§ 20, 41 StaRUG respektive §§ 19, 41, 21 StaRUG) durchgeführt wurde und welches Abstimmungs74 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 60 StaRUG Rz. 8. 75 Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 60 StaRUG Rz. 16. 76 Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 6; vgl. auch Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 60 StaRUG Rz. 14. 77 Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 60 StaRUG Rz. 9; vgl. auch Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 27 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 78 Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 124; Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 22 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 60 Rz. 34 | Antrag ergebnis erzielt worden ist.79 Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung des Planabstimmungsverfahrens gehen dabei gem. § 63 Abs. 4 StaRUG zu Lasten des Schuldners. Daher erscheint es zweckmäßig, die Berechtigung zur Stimmabgabe (insb. Vertretungsnachweise) der abstimmenden Planbetroffenen ebenfalls zu dokumentieren und über den Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 2 StaRUG hinaus nicht nur die Tatsache zu vermerken, dass die Gruppenbildung oder Stimmrechtsfestsetzung streitig wurde, sondern auch zu dokumentieren, wie die Gruppenbildung oder Stimmrechtsfestsetzung erfolgt ist.80 35 Im gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin kann der Schuldner nach § 60

Abs. 1 Satz 2 StaRUG den Antrag auf Planbestätigung unmittelbar im Erörterungs- und Abstimmungstermin stellen. Gemäß § 38 StaRUG i.V.m. § 297 Abs. 1 Satz 3 ZPO ist dies unmittelbar zu Protokoll des Gerichts möglich.81 Zulässig und zweckmäßig ist in einem solchen Fall, die Antragstellung gegenüber dem Gericht bereits schriftsätzlich anzukündigen (§ 38 StaRUG i.V.m. 297 Abs. 1 Satz 1 ZPO)82 sowie auch die Planbetroffenen entsprechend vorab über die beabsichtigte unmittelbare Antragstellung zu informieren. Eine entsprechende schriftsätzliche Ankündigung schreibt den Gedanken des § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG a.E. im Sinne möglichst prozessökonomischer Verfahrensführung durch den Schuldner83 fort. Darüber hinaus können sich die Planbetroffenen bereits für den Erörterungs- und Abstimmungstermin auch mit Blick auf eine unmittelbare Antragstellung vorbereiten und daher etwaige Bedenken im Rahmen der Erörterung äußern. Damit dürfte regelmäßig kein Grund für eine weitere fakultative Anhörung nach § 61 Satz 1 StaRUG nach dem Erörterungs- und Abstimmungstermin bestehen. Denn regelmäßig dürfte ausreichendes rechtliches Gehör im Rahmen des Erörterungs- und Abstimmungstermins zum Schuldnerantrag gewährt worden sein, wenn nicht neue Sachverhaltsentwicklungen einen gesonderten Anhörungstermin erforderlich machen.

4. Rücknahme des Antrags 36 Dem Schuldner steht es frei, den Antrag auf Planbestätigung gem. § 38 StaRUG i.V.m. § 269

Abs. 1 ZPO zurückzunehmen.84 Die Rücknahme bedarf grundsätzlich nicht der Zustimmung der Planbetroffenen.85 Denn es bedarf insoweit nicht ihres Schutzes vor einer „zweiten Antragstellung“ wie es des mit § 269 ZPO bezweckten Schutzes des Beklagten vor einer neuerlichen Klage86 bedarf. Zum einen ist der Schuldner während der Anhängigkeit der Restrukturierungssache ohnehin gem. § 32 StaRUG schadensersatzbewehrt an die Interessen der Gläubigergesamtheit und damit auch der Planbetroffenen gebunden, weshalb eine sachgrundlose Rücknahme Schadensersatzpflichten auslösen kann. Zum anderen beendet die Rücknahme des Planbestätigungsantrags im Gegensatz zur Klagerücknahme gem. § 269 ZPO gerade nicht 79 Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 60 StaRUG Rz. 14 f.; vgl. Spahlinger in BeckOK/StaRUG, § 22 StaRUG Rz. 10 f. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Madaus in Flöther, 2021, § 22 StaRUG Rz. 4 ff. 80 Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 60 StaRUG Rz. 14. 81 Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 7; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 60 StaRUG Rz. 7. 82 Laroche in Flöther, 2021, § 60 StaRUG Rz. 7. 83 Vgl. hierzu BT-Drucks. 19/24181, S. 131: „Mit dieser Anzeige wird es zum einen dem Gericht möglich, sich mit der Restrukturierungssache vertraut zu machen und sich damit auf spätere Anträge des Schuldners vorzubereiten, die – wie im Fall des Antrags auf Erlass einer Stabilisierungsanordnung – eilbedürftig sein können.“ 84 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 38 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 85 Im Ergebnis ebenso Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 38 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) sowie Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 63 StaRUG Rz. 29 ff. (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 86 Zum Normzweck des § 269 ZPO s. nur Bacher in BeckOK/ZPO, § 269 ZPO Rz. 1 (Stand: 45. Ed. 1.7.2022).

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Antrag | Rz. 40 § 60

die Anhängigkeit des Restrukturierungsverfahrens. Dies geschieht erst durch Rücknahme der Anzeige, welche ihrerseits indes schon keiner Zustimmung der Planbetroffenen bedarf. Dann aber bedarf die bloße Rücknahme des Bestätigungsantrags erst recht keiner Zustimmung der Planbetroffenen.87 Einer Kostengrundentscheidung entsprechend § 269 Abs. 3 ZPO bedarf es nicht.88 Gemäß § 25a Abs. 1 GKG kann ohnehin nur der Schuldner Kostenschuldner des Antragsverfahrens sein.

V. Zustimmungserfordernis bei fortbestehender Gesellschafterhaftung (§ 60 Abs. 2 StaRUG) Eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des Bestätigungsantrags regelt § 60 Abs. 2 Sta- 37 RUG. Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit89 oder um eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, bedarf der Antrag auf Bestätigung eines Restrukturierungsplans, der die persönlich haftenden Gesellschafter nicht von deren Haftung für die durch den Plan gestalteten Forderungen und Rechte befreit, der Zustimmung aller persönlich haftenden Gesellschafter, sofern die unmittelbar oder mittelbar akzessorisch haftenden Gesellschafter natürliche Personen sind. Das Zustimmungserfordernis schützt natürliche Personen als akzessorisch haftende (mittel- 38 bare) Gesellschafter davor, dass der Schuldner „auf ihre Kosten“ saniert wird. Diese Gefahr droht, wenn die Verbindlichkeiten des Schuldners im Restrukturierungsplan modifiziert werden, die entsprechende akzessorische Gesellschafterhaftung hingegen nach dem Restrukturierungsplan im Einklang mit § 11 Satz 2, § 67 Abs. 2 StaRUG uneingeschränkt fortbestehen soll.90 Ein entsprechender Schutz der persönlich unbegrenzt haftenden Gesellschafter ist insbesondere deshalb geboten, weil die Anzeige des Restrukturierungsverfahrens schon nicht notwendigerweise der Zustimmung der Gesellschafter bedarf.91 Akzessorisch haftende (mittelbare) Gesellschafter wären also ohne § 60 Abs. 2 StaRUG allein auf ihre (beschränkten) Einflussnahmemöglichkeiten auf die Geschäftsleitung im Rahmen des jeweiligen Binnenorganisationsrechts des Schuldnerrechtsträgers verwiesen, um ihre Interessen zu schützen, was der Gesetzgeber ersichtlich als unzureichend angesehen hat. Fehlt die Zustimmung einzelner oder aller persönlich haftender Gesellschafter i.S.d. § 60 39 Abs. 2 StaRUG, so kann das Restrukturierungsgericht zunächst eine Nachfrist zur Beibringung der Zustimmungserklärungen setzen (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG a.E).92 Werden die erforderlichen Erklärungen nicht fristgemäß beigebracht, ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen. Ergeht der Bestätigungsbeschluss ohne die erforderliche Zustimmung, ist der Bestätigungsbeschluss nicht nichtig, sondern kann von den Gesellschaftern gem. § 66 Abs. 1 Satz 1 StaRUG angefochten werden.93

Keinen besonderen Schutz durch § 60 Abs. 2 StaRUG erfahren natürliche Personen, die (akzes- 40 sorische) Drittsicherheiten in Form einer unbegrenzten persönlichen Haftung gestellt haben 87 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 40 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 88 A.A. Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 41 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 89 Infolge des MoPeG (BT Drucks. 20/2653) spricht § 60 StaRUG ab 1.1.2024 von „rechtsfähige Personengesellschaft“. 90 BT-Drucks. 19/24181, S. 161; Fendel in Braun, 2021, § 60 StaRUG Rz. 6; Skauradzsun in BeckOK/ StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 30 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Leichtle in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 60 StaRUG Rz. 9. 91 S. hierzu ausführlich Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18, 21 f. 92 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 23 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 93 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 60 StaRUG Rz. 23 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); zur bloßen Anfechtbarkeit fehlerhafter Bestätigungsbeschlüsse bereits s. Rz. 21.

Parzinger/Lappe | 1039

§ 60 Rz. 40 | Antrag und mit diesen gem. § 67 Abs. 3 StaRUG trotz Gestaltung der Hauptschuld entgegen §§ 768, 776 BGB unverändert forthaften.94 Ebenso wenig erfasst der Wortlaut des § 60 Abs. 2 StaRUG natürliche Personen, die eine harte Patronatserklärung95 abgegeben haben. Für beide Personengruppen erscheint jedoch eine vergleichbare Problemlage zu bestehen. Wiederum besteht die Gefahr, dass der Schuldner allein auf Kosten seiner unbeschränkt persönlich haftenden Sicherungsgeber saniert wird, ohne dass diese eine entsprechende Einflussnahmemöglichkeit auf die Plangestaltung und -annahme haben. Trotzdem scheidet eine analoge Anwendung des § 60 Abs. 2 StaRUG auf diese Personengruppen aus. Dies ergibt sich aus der Wertung der § 11 Satz 2, § 67 Abs. 2 StaRUG, die nur persönlich haftende Gesellschafter schützen, während § 67 Abs. 3 StaRUG die Haftung von Mitschuldnern und Bürgen zugunsten der Restrukturierungsgläubiger aufrechterhält. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber nur persönlich haftende Gesellschafter als schützenswert erachtet hat, nicht aber einfache Sicherungsgeber. Überdies erscheint es im Interesse der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von (weiteren) verfahrensrechtlich begründeten Hold-out-Positionen vorzugswürdig, keine ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung zum Schutz dieser Personengruppen über den Wortlaut des § 60 Abs. 2 StaRUG hinaus anzunehmen. Vielmehr ist etwaig missbräuchlichen Gestaltungen zu Lasten persönlich haftender natürlicher Personen über die Versagungsgründe des § 63 Abs. 5, § 64 StaRUG zu begegnen.

§ 61 Anhörung 1Vor

der Entscheidung über die Bestätigung des Restrukturierungsplans kann das Gericht die Planbetroffenen anhören. 2Ist die Planabstimmung nicht im gerichtlichen Verfahren erfolgt, hat das Gericht einen Termin zur Anhörung der Planbetroffenen durchzuführen. § 45 Absatz 3 und § 46 Absatz 1 Satz 4 gelten entsprechend. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Regelungsgegenstand und (historischer) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt und Umfang der Anhörung nach § 61 StaRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand und Umfang . . . . . . . . . . . . . 2. Materielle Verfahrensleitung im Anhörungstermin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Teilnahmeberechtigung . . . . . . . . . . . . . . IV. Fakultative Anhörung nach gerichtlicher Planabstimmung (§ 61 Satz 1 StaRUG) 1. Entschließungsermessen gem. § 61 Satz 1 StaRUG als Element materieller Verfahrensleitungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelfall: Erörterung der Planbestätigung erfolgt bereits im Erörterungsund Abstimmungstermin . . . . . . . . . . .

1 6 6 13 15 18 20

2. V. 1. 2. VI.

b) Ausnahmefall: Erfordernis einer fakultativen Anhörung nach gerichtlichem Erörterungs- und Abstimmungstermin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahlermessen zur Durchführung der fakultativen Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . Verpflichtende Anhörung (§ 61 Satz 2 und 3 StaRUG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbereitung und Durchführung des Anhörungstermins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgen der unterbliebenen/fehlerhaften Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 29 35 36 37 41

20

94 Zur Durchbrechung der akzessorischen Haftung durch § 67 Abs. 3 StaRUG BT-Drucks. 19/24181, S. 165. 95 Zur Terminologie vgl. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2022, § 302 AktG Rz. 10 m.w.N.

1040 | Parzinger/Lappe

Anhörung | Rz. 4 § 61 Schrifttum: Kunig/Salinger in Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar: GG, 7. Aufl. 2021, Art. 103 GG; Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) vom 2.10.2020.

I. Regelungsgegenstand und (historischer) Normzweck § 61 StaRUG stellt neben § 60 StaRUG eine Sachentscheidungsvoraussetzung für die Plan- 1 bestätigung dar1 und dient der Absicherung des rechtlichen Gehörs im Rahmen des Planbestätigungsverfahrens. Die Anhörung aller Planbetroffenen durch das Gericht übersetzt damit das Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG in das Planbestätigungsverfahren.2 Den Planbetroffenen ist vor der Entscheidung über die Planbestätigung ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu verschaffen.3 Ist die Planannahme im Wege der gerichtlichen Planabstimmung erfolgt, welche einen Erörterungs- und Abstimmungstermin gem. §§ 23, 45 StaRUG voraussetzt, besteht gem. § 61 Satz 1 StaRUG demnach lediglich ein fakultatives Anhörungserfordernis (vgl. Rz. 18 ff.). Erfolgt die Abstimmung außergerichtlich gem. §§ 17–22 StaRUG, ist die Anhörung gem. § 61 Satz 2 StaRUG obligatorisch (vgl. Rz. 35 ff.).4 Der Regelungszweck des § 61 StaRUG steht damit erkennbar im engen Zusammenhang mit 2 § 45 StaRUG, wie schon der Verweis in § 61 Satz 3 StaRUG auf §§ 45, 46 StaRUG zeigt. Hinreichendes rechtliches Gehör kann nach der Systematik des § 61 StaRUG bereits im gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin gewährt werden, insbesondere wenn das Bestätigungsverfahren bereits in diesem Termin vom Gericht berücksichtigt werden kann und mit den Verfahrensbeteiligten erörtert wird (vgl. Rz. 20 ff.). Das Gericht hat im Übrigen auch im Rahmen der Anhörung nach § 61 StaRUG gem. § 38 StaRUG i.V.m. § 139 ZPO seine materiellen Verfahrensleitungspflichten zu erfüllen (vgl. Rz. 13).5 Neben der Unterscheidung zwischen fakultativer und zwingender Anhörung regelt § 61 Sta- 3 RUG, wie und mit welcher Frist die Planbetroffenen zu laden sind. Dabei finden bei der zwingenden Anhörung nach § 61 Satz 2 StaRUG über Satz 3 i.V.m. §§ 45 f. StaRUG die Vorschriften entsprechende Anwendung, die im Rahmen des Erörterungs- und Abstimmungstermin gelten. Über § 41 StaRUG, die restrukturierungsrechtliche Zustellungsvorschrift für Zustellungen im Inland, finden bestimmte Zustellungsvorschriften der ZPO Anwendung.6 Die InsO kennt für das Insolvenzplanverfahren kein Äquivalent zu § 61 StaRUG.7 Die InsO 4 sieht stattdessen obligatorisch einen gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin vor (§ 235 InsO), im Rahmen dessen den Beteiligten die Möglichkeit gegeben werden soll, Erläuterungen, Auskünfte und Informationen des Planvorlegenden zu erhalten, aber auch ihre Bedenken geltend zu machen.8 Im Rahmen des StaRUG leitet das Restrukturierungsgericht nur den Erörterungs- und Abstimmungstermin, wenn der Schuldner dies nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StaRUG beantragt. So lässt Art. 103 GG jedenfalls bei fehlender voriger gerichtlicher Beteiligung an der Planannahme eine obligatorische Anhörung der Planbetroffenen vor der Bestätigungsentscheidung als geboten erscheinen.

1 2 3 4 5 6 7 8

So auch i.E. Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 6. Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). RegE BT-Drucks. 19/24181, S. 161. Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 3. Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Heidrich in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 1. OLG Frankfurt v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, BeckRS 2013, 17141 Rz. 20 = ZIP 2013, 2018.

Parzinger/Lappe | 1041

§ 61 Rz. 5 | Anhörung 5 § 61 StaRUG hat keinen richtlinienrechtlichen Hintergrund. Allerdings begründet der deut-

sche Gesetzgeber die Möglichkeit der fakultativen Anhörung nach § 61 Satz 1 StaRUG mit der Bezugnahme auf das in Art. 10 Abs. 4 Restrukturierungs-RL geregelte Effizienzgebot. Soweit Planbetroffene bereits Gelegenheit zur Stellungnahme im gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin hatten, kann das Gericht gem. § 61 Satz 1 StaRUG von einer Anhörung absehen.9 Dies gilt auch dann, wenn die Planbetroffenen – nach ordnungsgemäßer Ladung – nicht an diesem Termin teilgenommen haben.10 Bei bereits gerichtlich durchgeführtem Erörterungs- und Abstimmungstermin mit der Möglichkeit zur Stellungnahme für die Planbetroffenen zu Versagungsgründen gebietet Art. 103 GG insoweit nicht mehr zwingend eine Anhörung.11

II. Inhalt und Umfang der Anhörung nach § 61 StaRUG 1. Gegenstand und Umfang 6 Im StaRUG wird den Verfahrensbeteiligten an unterschiedlichen Stellen rechtliches Gehör ein-

geräumt. Der Gegenstand der Anhörung i.S.v. § 61 StaRUG ist, abgesehen vom Fall des Bestätigungsantrags oder seiner Ankündigung bereits im Erörterungs- und Abstimmungstermin,12 in Abgrenzung zu §§ 45 und 46 StaRUG zu bestimmen.

7 Gemäß § 46 Abs. 1, 3, § 48 Abs. 1 StaRUG sind die vom Gegenstand der Vorprüfung berühr-

ten Planbetroffenen anzuhören. Die Vorprüfung findet vor dem gerichtlichen Erörterungsund Abstimmungstermin statt und dient dazu, Fragen gerichtlich zu prüfen, die für die Bestätigung des Plans erheblich sind. Dem Ergebnis der Vorprüfung kommt dabei allerdings keine Bindungswirkung zu.13 Im Gegensatz zu § 61 StaRUG sind nicht notwendigerweise alle Planbetroffenen anzuhören und die Anhörung ist zudem inhaltlich auf die gestellte Frage begrenzt.14

8 Im Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 45 StaRUG werden die Planbetroffenen

ebenfalls angehört. Die Planbetroffenen erhalten die Gelegenheit, sich vor der Abstimmung zum Planangebot zu äußern.

9 Die fakultative oder obligatorische Anhörung nach § 61 StaRUG findet nach der Plan-

annahme statt. Es werden – als Minus zu § 45 und § 46 StaRUG – nicht mehr solche Punkte erörtert, die zu einer inhaltlichen Änderung des Plans selbst i.S.v. § 45 Abs. 4 StaRUG i.V.m. § 240 InsO führen würden. Denn die Planabstimmung ist zu dem Zeitpunkt bereits erfolgt.15

10 Die Anhörung ist darauf gerichtet, den Planbetroffenen die Möglichkeit zu geben, sich zu

dem Vorliegen von Versagungsgründen einschließlich Verfahrensmängeln zu äußern. Es erhalten auch die Planbetroffenen, die keinen Minderheitenschutzantrag nach § 64 StaRUG stellen können, die Gelegenheit, sich zu Versagungsgründen nach § 63 StaRUG zu äußern.16

9 10 11 12 13 14 15

BT-Drucks. 19/24181, S. 161. Fendel in Braun, 2021, § 61 StaRUG Rz. 2. Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 161. Zu dieser grundsätzlichen Möglichkeit der Verfahrensgestaltung durch den Schuldner § 60 Rz. 35. Wilke in BeckOK/StaRUG, § 46 StaRUG Rz. 1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Laroche in Flöther, 2021, § 46 StaRUG Rz. 1 ff. Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 6. 16 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 2 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); so wohl auch Arends/ Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 7.

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Anhörung | Rz. 14 § 61

Nach der Vorstellung des historischen Gesetzgebers soll die Anhörung nicht dem Zweck die- 11 nen, das Gericht wiederholt auf Einwände gegen den angenommenen Restrukturierungsplan hinzuweisen.17 Vielmehr entspricht es dem mit § 61 StaRUG angestrebten Ausgleich zwischen Verfahrenseffizienz und rechtlichem Gehör, den Planbetroffenen entweder erstmaliges rechtliches Gehör zu sichern (vgl. § 61 Satz 2 StaRUG) oder ihnen zu ermöglichen, sich erstmalig zu Umständen zu äußern, die im gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin noch nicht vorlagen oder ersichtlich waren (vgl. § 61 Satz 1 StaRUG). Im Rahmen der Anhörung nach § 61 StaRUG können die Planbetroffenen, die einen Antrag 12 gem. § 64 StaRUG gestellt haben, zu ihrem Antrag angehört werden. Denn obwohl § 64 StaRUG für den Minderheitenschutzantrag ein eigenes Antragsverfahren regelt,18 steht es im gerichtlichen Ermessen, ob und wie im Rahmen der Anhörung nach § 61 StaRUG der jeweilige Planbetroffene zu § 64 StaRUG anzuhören ist. Wie bei § 61 StaRUG allgemein ist für diese Frage maßgeblich, ob eine Anhörung zu § 64 StaRUG überhaupt mit Blick auf hinreichendes rechtliches Gehör erforderlich und ob die Anhörung mit Blick auf ein effizientes Verfahren in einem Termin zweckmäßig ist. Regelmäßig wird eine Anhörung nach § 61 StaRUG zu § 64 StaRUG daher nicht erforderlich sein, wenn der Antragsteller bereits im gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 64 Abs. 2 Satz 2 StaRUG glaubhaft gemacht hat, durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt zu werden. Demgegenüber kann eine Anhörung zu § 64 StaRUG neben § 63 StaRUG in einem Termin zweckmäßig sein, um weitere Schriftsätze oder einen weiteren Präsenztermin zu vermeiden und so ein effizientes Verfahren sicherzustellen.

2. Materielle Verfahrensleitung im Anhörungstermin Das Gericht hat im Rahmen der Anhörung nach § 61 StaRUG seine materielle Verfahrens- 13 leitungspflicht gem. § 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 139 ZPO zu beobachten. Nach der Planannahme kann der Restrukturierungsplan zwar nicht mehr geändert werden, denn die Planbetroffenen haben über den Planinhalt bereits abgestimmt (vgl. Rz. 9). Die Behebung von Mängeln ist aber auch nach der Planannahme noch möglich, wie sich aus § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG ergibt. Das Gericht treffen insoweit Hinweispflichten nach § 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 139 ZPO bereits im Rahmen der Anhörung und nicht erst nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Es wäre widersprüchlich, wenn es im Rahmen der Anhörung den Schuldner nicht auf solche Mängel hinweist, die behebbar sind, obwohl dem Schuldner vor der Planversagung gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG ohnehin eine Nachfrist zu setzen ist.19 Die Hinweispflichten dienen auch dazu, dem Schuldner die Möglichkeit zu geben, seinen Antrag gem. § 60 StaRUG zurückzunehmen, sollte im Rahmen der Anhörung ersichtlich werden, dass ein unbehebbarer Mangel vorliegt, der zur Planversagung führen würde.20 Eine zeitliche Ober- oder Untergrenze von Anhörungsterminen ist im StaRUG nicht gere- 14 gelt. Infolge seiner materiellen Verfahrensleitungsbefugnis steht dem Restrukturierungsgericht ein Beurteilungsspielraum zu, das Verfahren unter Effizienzgesichtspunkten zu strukturieren und abzuschichten (vgl. § 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 139 Abs. 1 Satz 3 ZPO).21 Es kann das rechtliche Gehör der Planbetroffenen daher maßvoll begrenzen, um einen „effizienten“, zeitgerechten Verfahrensablauf zu gewährleisten.22 Dieser gerichtliche Beurteilungsspielraum

17 18 19 20 21 22

Vgl. BT-Drucks. 19/24181, S. 161. Langer/Wolf in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 64 StaRUG Rz. 158. Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Anders in Anders/Gehle, 80. Aufl. 2022, § 139 ZPO Rz. 2, 35c. Vgl. Kunig/Salinger in Münch/Kunig, 7. Aufl. 2021, Art. 103 GG Rz. 10.

Parzinger/Lappe | 1043

§ 61 Rz. 14 | Anhörung wird einzelfallabhängig durch den Umfang des Informations- und Äußerungsbedürfnisses der Planbetroffenen einerseits und durch Aspekte der Verfahrenseffizienz andererseits bestimmt.

III. Teilnahmeberechtigung 15 Nach dem Wortlaut des § 61 Satz 1 und Satz 2 StaRUG sind nur die „Planbetroffenen“ anzu-

hören. Die Planbetroffenen sind gem. § 7 Abs. 1 StaRUG Inhaber der Restrukturierungsforderungen, der Absonderungsanwartschaften, der Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten und der Anteils- oder Mitgliedsrechte (vgl. Legaldefinition in § 7 Abs. 1 StaRUG).23 Trotz des eingeschränkten Wortlauts soll auch der Restrukturierungsbeauftragte angehört werden. Aus der Gesetzesbegründung wird ersichtlich, dass im Rahmen der Anhörung nach § 61 StaRUG auch dem Restrukturierungsbeauftragten – soweit ein solcher vorhanden ist – vor der Planbestätigung Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt werden soll.24 Der Schuldner sollte mit Blick auf seine herausgehobene Stellung im gesamten Restrukturierungsverfahren über den Wortlaut des § 61 StaRUG hinaus ebenfalls angehört werden.25 Dritte werden nicht angehört. Sie können der Anhörung, wenn ein Präsenztermin erfolgt, auch nicht als Zuhörer beiwohnen, da der Grundsatz der Öffentlichkeit (§§ 169 ff. GVG) im Restrukturierungsverfahren nicht gilt.26

16 Dritten, wie beispielsweise Journalisten, kann in Ausnahmefällen gem. § 175 Abs. 2 Satz 1

GVG Zutritt gewährt werden, wenn es sich um ein überragend bedeutsames Verfahren handelt und mithin ein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit besteht.27

17 Praxishinweis:

Die Planbetroffenen müssen nicht zwingend selbst zum Anhörungstermin erscheinen, sie können sich auch vertreten lassen. Vor dem Restrukturierungsgericht herrscht kein Anwaltszwang.28 Es kann zweckmäßig sein, dass sich unterschiedliche Gläubigergruppen jeweils von einem Bevollmächtigten vertreten lassen: Zum einen wird den Planbetroffenen dann eine (möglicherweise weite) Anreise erspart. Zum anderen kann der Bevollmächtigte die Interessen der Gläubigergruppe bündeln und damit zu einem effizienten Anhörungs- und damit Verfahrensablauf beitragen. Die Ausgestaltung der Vertretung einzelner Gläubigergruppen (§ 9 StaRUG) oder Teile dieser kann der des gemeinsamen Vertreters i.S.v. § 7 SchVG nachgebildet werden.

IV. Fakultative Anhörung nach gerichtlicher Planabstimmung (§ 61 Satz 1 StaRUG) 18 Wird über den Plan im gerichtlichen Verfahren gem. §§ 23, 45 StaRUG abgestimmt und

können die Planbetroffenen während des Erörterungs- und Anhörungstermins Stellung zu dem Antrag auf Planbestätigung nehmen, ist eine erneute Anhörung nicht zwingend erforderlich.29 Vielmehr steht das Ob und Wie einer Anhörung vor der Entscheidung über die

23 Heidrich in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 2. 24 RegE BT-Drucks. 19/24181, S. 161; vgl. auch Stellungnahme VID (Stellungnahme VID Verband Insolvenzverwalter Deutschlands zum RefE SanInsFoG vom 2.10.2020, 51). Siehe auch Synopse Anhang E § 61. 25 Vgl. Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 45 StaRUG Rz. 18. 26 Vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 92 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Blankenburg in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 45 StaRUG Rz. 33; Baumert in Braun, 2021, § 38 StaRUG Rz. 12. 27 Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 92.1 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 28 Vgl. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 17 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 29 Laroche in Flöther, 2021, § 61 StaRUG Rz. 2; Wilke in BeckOK/StaRUG, § 45 StaRUG Rz. 41 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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Anhörung | Rz. 21 § 61

Planbestätigung im pflichtgemäßen Ermessen des Restrukturierungsgerichts.30 Die Entscheidung über das Ob und Wie der Durchführung einer fakultativen Anhörung ist in diesen Fällen nach Abwägung zwischen hinreichendem rechtlichem Gehör einerseits und einem effizienten und zügigen Verfahren andererseits zu treffen.31 Dabei ist im Regelfall das aus Art. 10 Abs. 4 Restrukturierungs-RL abgeleitete Effizienzgebot vorrangig.32 Denn nach der zutreffenden Vorstellung des historischen Gesetzgebers haben die Planbetroffenen bereits im Erörterungs- und Abstimmungstermin Gelegenheit zur Stellungnahme bezüglich des Planbestätigungsverfahrens gehabt.33 Für die Frage, ob eine Anhörung nach § 61 Satz 1 StaRUG zweckmäßig ist, macht es ex lege 19 keinen Unterschied, ob der Antrag auf Planbestätigung bereits im Erörterungs- und Abstimmungstermin gestellt worden ist (§ 60 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) oder erst im Anschluss an diesen. Maßgeblich ist vielmehr, ob und in welchem Ausmaß die Planbetroffenen im Erörterungs- und Abstimmungstermin Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem (angestrebten) Antrag auf Planbestätigung hatten. Um die Effizienz des Verfahrens zu fördern, ist es zweckmäßig, dass sich der Schuldner jedenfalls bereits im Erörterungs- und Abstimmungstermin zu seiner Absicht, Planbestätigung zu beantragen, äußert, wenn er nicht ohnehin bereits vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin schriftsätzlich ankündigt, einen Bestätigungsantrag stellen zu wollen (vgl. § 60 Rz. 35).

1. Entschließungsermessen gem. § 61 Satz 1 StaRUG als Element materieller Verfahrensleitungspflicht a) Regelfall: Erörterung der Planbestätigung erfolgt bereits im Erörterungs- und Abstimmungstermin Im Regelfall ist – entsprechend der Ansicht des historischen Gesetzgebers – nach einem ge- 20 richtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin keine gesonderte Anhörung nach § 61 Satz 1 StaRUG mehr geboten. Denn es sollte bereits im Erörterungs- und Abstimmungstermin absehbar sein, ob ein Antrag auf Planbestätigung vom Schuldner gestellt werden wird, weil beispielsweise der Schuldner die Antragstellung angekündigt hat oder die gerichtliche Planbestätigung erkennbar der einzige Weg zur Wirksamkeit des Plans ist (vgl. hierzu § 60 Rz. 19). Im Rahmen des Erörterungs- und Abstimmungstermins sind vor diesem Hintergrund damit 21 nicht nur das Planangebot oder etwaige Änderungen zu erörtern, sondern das Gericht hat in Ausübung seiner materiellen Verfahrensleitung gem. § 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 139 ZPO mit den Verfahrensbeteiligten auch ein mögliches Planbestätigungsverfahren zu beleuchten.34 Das Gericht ist insbesondere verpflichtet, den Schuldner auf solche Punkte hinzuweisen, die dieser mit Blick auf ein Planbestätigungsverfahren erkennbar übersehen oder fehlerhaft bewertet hat.35 Dies ergibt sich aus dem Gebot der zügigen Bearbeitung der Restrukturierungssache: Das Gericht soll im Erörterungs- und Abstimmungsverfahren das Restrukturierungsvorhaben und die in Betracht gezogenen Instrumente des Stabilisierungs- und Restruk-

30 Fendel in Braun, 2021, § 61 StaRUG Rz. 2; Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 61 StaRUG Rz. 4. 31 Vgl. zum ermessensleitenden Normzweck bereits Rz. 18 sowie RegE BT-Drucks. 19/24181, S. 161. 32 Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 61 StaRUG Rz. 4; Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 8. 33 Vgl. AG Hamburg v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, BeckRS 2021, 7959 Rz. 17 = ZIP 2021, 1354. 34 Vgl. ausführlich Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 35 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 7 mit Beispielen (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 61 Rz. 21 | Anhörung turierungsrahmens umfassend behandeln, damit eine (erneute) Anhörung gerade nicht mehr stattfinden muss.36 22 Das Restrukturierungsgericht erhält im Rahmen des Erörterungs- und Abstimmungstermins

durch die unterschiedlichen Stellungnahmen überdies einen umfassenden Eindruck des Planangebots.37 Ergeben sich infolge der Erörterung Zweifel oder Unklarheiten an der Bestätigungsfähigkeit des Plans, dann ermöglicht und gebietet es der Amtsermittlungsgrundsatz, dass das Gericht (auch) im Rahmen des oder im Anschluss an den Erörterungs- und Abstimmungstermin(s) weitere Nachforschungen betreibt, um den Sachverhalt zur Entscheidungsreife aufzuklären.38 Hierfür bedarf es dann nicht notwendiger Weise einer gesonderten Anhörung.

23 Praxishinweis:

Opponierende Planbetroffene haben im Erörterungstermin insbesondere die Möglichkeit, begründete Zweifel an der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu äußern. Da der Schuldner die drohende Zahlungsunfähigkeit i.R.d. § 14 Abs. 1 StaRUG nicht selbst darlegen muss und da das Gericht keine Ermittlungen ins Blaue hinein vornimmt (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG), sind Planbetroffene regelmäßig gehalten, eigene Bedenken bereits im Erörterungs- und Abstimmungstermin geltend zu machen.

24 Planbetroffene, die nicht am Erörterungs- und Abstimmungstermin teilnehmen, erhalten

zwar kein rechtliches Gehör. Bei ordnungsgemäßer Ladung folgt aus der fehlenden Teilnahme jedoch kein Anspruch auf spätere Anhörung. Verzichtet ein Planbetroffener in einem solchen Fall auf die Teilnahme am Erörterungs- und Abstimmungstermin, dann geht er das Risiko ein, dass das Restrukturierungsgericht gem. § 61 Satz 1 StaRUG von einer Anhörung absieht und er sich auch später nicht mehr äußern kann.39 Dies gilt erst recht für das Fernbleiben nach ordnungsgemäßer Ladung von einem Anhörungstermin i.S.d. § 61 StaRUG. b) Ausnahmefall: Erfordernis einer fakultativen Anhörung nach gerichtlichem Erörterungs- und Abstimmungstermin

25 Eine Anhörung kann im Einzelfall nach einem gerichtlichem Erörterungs- und Abstim-

mungstermin erforderlich sein, wenn sich die Planbetroffenen im Erörterungs- und Abstimmungstermin nicht hinreichend zur Bestätigungsentscheidung und möglichen Versagungsgründen äußern konnten. Die folgenden Fälle stellen beispielhaft dar, wann der Anspruch auf rechtliches Gehör der Planbetroffenen das ermessensleitende Effizienzgebot überwiegen kann.

26 Sollten während des Erörterungs- und Abstimmungstermins die mögliche Planbestätigung

und ihre Voraussetzungen nicht oder nicht hinreichend erörtert worden sein, sind die Planbetroffenen nachträglich anzuhören, wenn sie ihr Recht auf rechtliches Gehör bisher noch nicht wahrnehmen konnten.40 Dies dürfte insbesondere der Fall sein, wenn das Gericht im Erörterungs- und Abstimmungstermin entweder seiner materiellen Verfahrensleitungspflicht nicht genügt hat (vgl. dazu Rz. 13) oder eine gemeinsame Erörterung möglicher Versagungsgründe nach der Planannahme untunlich war, z.B. weil zu Einwendungen einzelner Planbetroffener ad hoc keine ausreichende Stellung genommen werden konnte.41

36 37 38 39 40

RegE BT-Drucks. 19/24181, S. 161. Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 45 StaRUG Rz. 5. Vgl. Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 2. Fendel in Braun, 2021, § 61 StaRUG Rz. 2. Laroche in Flöther, 2021, § 61 StaRUG Rz. 4; Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 9. 41 Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 9 bilden hier das Beispiel eines nach der Abstimmung vorgelegten Sachverständigengutachtens.

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Anhörung | Rz. 30 § 61

Ebenso dürfte regelmäßig ein fakultativer Anhörungstermin geboten sein, wenn sich nach 27 dem Erörterungs- und Abstimmungstermin wesentliche Umstände, die der Planannahme zugrunde liegen, verändert haben oder erst nachträglich Anhaltspunkte für eine Planversagung erkennbar geworden sind. Der Schuldner ist insofern gem. § 32 Abs. 2 Satz 1 StaRUG dazu verpflichtet, dem Gericht jede wesentliche Änderung mitzuteilen, welche den Gegenstand des angezeigten Restrukturierungsvorhabens und die Darstellung des Verhandlungsstands betrifft.42 Ein solcher Fall der nachträglichen Veränderung der für die Planbestätigung maßgeblichen Umstände kann beispielsweise ein unvorhergesehener Wertzuwachs oder Mittelzufluss beim Schuldner darstellen, der die Versagung gem. § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG erwarten lässt. Im Einzelfall kann eine fakultative Anhörung auch ohne erkennbare Veränderung wesentli- 28 cher Umstände zweckmäßig sein, wenn beispielsweise zwischen der Planannahme und dem Planbestätigungsantrag ein längerer Zeitraum vergangen ist.43 Dies wird aber nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht kommen, denn die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ist nach § 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG zeitlich begrenzt. Nach Vorstellung des Gesetzgebers soll das Restrukturierungsvorhaben in der Regel binnen sechs Monaten umgesetzt werden können und längere Zeiträume zwischen den einzelnen StaRUG-Instrumenten sind von daher gerade nicht vorgesehen.44

2. Auswahlermessen zur Durchführung der fakultativen Anhörung Hat sich das Gericht für eine fakultative Anhörung gem. § 61 Satz 1 StaRUG entschieden 29 (Entschließungsermessen), dann kann es bestimmen, ob die weitere Anhörung mündlich oder schriftlich erfolgen soll (Auswahlermessen).45 Es beurteilt auch nach eigenem Ermessen, wann und wie der Anhörungstermin auszugestalten ist (vgl. Rz. 18). In zeitlicher Hinsicht sollte die Anhörung erst dann durchgeführt werden, wenn alle Sachentscheidungsvoraussetzungen der Planbestätigung vorliegen.46 Für die Ausübung des Auswahlermessens zwischen schriftlichem Anhörungsverfahren oder 30 Präsenztermin hat sich das Gericht grundsätzlich an dem mit dem Anhörungstermin verfolgten Ziel – Gewährung (weiteren) rechtlichen Gehörs – zu orientieren. Sind beispielsweise im Erörterungs- und Anhörungstermin noch Sachverhalts- oder Rechtsfragen hinsichtlich der §§ 63 f. StaRUG offengeblieben oder ergeben sich nachträglich Anhaltspunkte für einen Versagungsgrund, dann bietet es sich an, dass das Restrukturierungsgericht den Verfahrensbeteiligten ein Schriftsatzrecht mit Frist gem. § 38 StaRUG i.V.m. § 283 ZPO zur Stellungnahme einräumt.47 Dient die Anhörung vornehmlich der Sachverhaltsaufklärung, zu der eine Befragung eines Sachverständigen oder auch des Schuldners zweckdienlich erscheint, ist regelmäßig ein Präsenztermin anzuordnen, um eine rasche Aufklärung sicherzustellen. Eine mündliche Anhörung kann auch dann angezeigt sein, wenn zu erwarten steht, dass im Anhörungstermin auch die Bestätigungsentscheidung gem. § 65 Abs. 1 StaRUG verkündet werden kann.48 Zur materiellen Verfahrensleitungspflicht des Gerichts im Rahmen der Anhörung vgl. Rz. 13.

42 Pannen in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 32 StaRUG Rz. 17. 43 Vgl. Wilke in BeckOK/StaRUG, § 67 StaRUG Rz. 10 stellt insofern auf einen Zeitraum von 6 Monaten ab (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 44 RegE BT-Drucks. 19/24181, S. 136. 45 Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 14. 46 Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 5. 47 Laroche in Flöther, 2021, § 61 StaRUG Rz. 3. 48 Laroche in Flöther, 2021, § 61 StaRUG Rz. 3.

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§ 61 Rz. 31 | Anhörung 31 Entscheidet sich das Gericht dazu, für die Anhörung einen Termin anzuberaumen, dann sind

die Verfahrensbeteiligten zu laden. Im Rahmen der fakultativen Anhörung ist eine förmliche Zustellung der Ladung nicht erforderlich. Eine Zusendung der Ladung an den Schuldner und die Planbetroffenen per Post oder Email genügt. Das Gericht kann sich aber auch dazu entschließen, eine förmliche Zustellung vorzunehmen.49

32 Die über den Verweis des § 61 Satz 3 StaRUG geregelten (zwingenden) Anforderungen an die

Ladung gelten nur für die obligatorische Anhörung nach § 61 Satz 2 StaRUG. Bereits aus dem unterschiedlichen Wortlaut von Satz 1 („[...] kann das Gericht die Planbetroffenen anhören.“) und Satz 2 („[...] hat das Gericht einen Termin zur Anhörung durchzuführen.“) lässt sich ersehen, dass Satz 3 im Zusammenhang mit Satz 2 zu lesen ist.

33 Der Verweis auf § 45 Abs. 3 StaRUG und § 46 Abs. 1 Satz 4 StaRUG enthält Anforderungen

an den in Präsenz durchgeführten Erörterungs- und Abstimmungstermin bzw. Vorprüfungstermin. Da die Planbetroffenen im Fall der außergerichtlichen Abstimmung sich bisher vor Gericht nicht äußern konnten, ist die Übertragung der förmlichen Anforderungen im Fall von § 61 Satz 2 StaRUG sinnvoll. Die Anhörung des § 61 Satz 2 StaRUG stellt ein Funktionsäquivalent für den Erörterungstermin des § 45 StaRUG bzw. Vorprüfungstermin des § 46 StaRUG dar.

34 Bei der fakultativen Anhörung wurde der Erörterungstermin nach § 45 StaRUG hingegen

durchgeführt und die Planbetroffenen hatten regelmäßig bereits Gelegenheit zur Stellungnahme. Mithin ist es unter Zugrundelegung des aus Art. 10 Abs. 4 der Restrukturierungs-RL abgeleiteten Effizienzgebots gerechtfertigt, dem Gericht ein Ermessen über das Wie (sog. Auswahlermessen) der Ladung (und nicht nur der Anhörung) einzuräumen.

V. Verpflichtende Anhörung (§ 61 Satz 2 und 3 StaRUG) 35 Gemäß § 61 Satz 2 StaRUG ist im Fall der schuldnergeführten Planabstimmung gem. §§ 17–

22 StaRUG die Durchführung eines Anhörungstermins zwingend vorgeschrieben.

1. Vorbereitung und Durchführung des Anhörungstermins 36 § 61 Satz 2 StaRUG schreibt dabei ausdrücklich vor, dass ein „Termin zur Anhörung der Plan-

betroffenen durchzuführen [ist]“. Die mündliche Anhörung kann daher nicht durch eine schriftliche Anhörung ersetzt werden.50 Dies ist in der systematischen Zusammenschau mit § 65 Abs. 1 StaRUG auch konsequent. Denn der Gesetzgeber geht regelmäßig davon aus, dass die Entscheidung über die Planbestätigung bereits im Anhörungs- oder Erörterungs- und Abstimmungstermin verkündet werden kann. Fehlt es an einem gerichtlichen Erörterungs-und Abstimmungstermin, wird daher regelmäßig der Termin zur Anhörung auch Verkündungstermin der Bestätigungsentscheidung sein. Dies dient der Prozessökonomie und Verfahrensbeschleunigung, da die Verkündung der Entscheidung gem. § 40 Abs. 2 StaRUG den Lauf der Beschwerdefrist auslöst.51

49 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 11 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); a.A.: Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 13. 50 Fendel in Braun, 2021, § 61 StaRUG Rz. 3; Laroche in Flöther, 2021, § 61 StaRUG Rz. 5; Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 12 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 51 Laroche in Flöther, 2021, § 61 StaRUG Rz. 5.

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Anhörung | Rz. 41 § 61

2. Ladung Die Ladungsfrist beträgt gem. § 61 Satz 3 i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 4 StaRUG mindestens sieben 37 Tage. Es handelt sich um eine sog. „Nettofrist“, folglich müssen zwischen dem Tag der Zustellung und dem Tag der Anhörung mindestens sieben volle Tage liegen.52 Anders als bei der Anhörung im Vorprüfungstermin dient die Frist des § 61 Satz 3, § 46 Abs. 1 38 Satz 4 StaRUG aber nicht dazu, dass sich die Planbetroffenen mit dem Plan vertraut machen können. Die Abstimmung über den konkreten Plan ist bereits erfolgt und der Planinhalt ist mithin allen Verfahrensbeteiligten bekannt.53 Vielmehr soll den Planbetroffenen eine angemessene Zeit eingeräumt werden, um ihren Vortrag zu den (vermeintlichen) Verfahrensfehlern im Rahmen der außergerichtlichen Annahme oder den übrigen Hindernissen, die der Planbestätigung entgegenstehen könnten, vorzubereiten. Für die Vorbereitung dieses Vortrags werden nach Ansicht des Gesetzgebers regelmäßig sieben Tage genügen.54 Gerade in komplexen Restrukturierungsverfahren hat das Restrukturierungsgericht jedoch zu prüfen, ob sieben Tage Vorbereitungszeit tatsächlich ausreichend sind, um effektiv rechtliches Gehör zu gewähren. Bei der Bemessung einer etwaig längeren Ladungsfrist ist neben dem Ziel hinreichenden rechtlichen Gehörs gleichwertig zu berücksichtigen, dass die Bestätigungsentscheidung nicht über Gebühr verzögert werden darf. Folglich dürften Ladungsfristen über 21 Tage hinaus kaum zu rechtfertigen sein. In der Ladung muss gem. § 61 Satz 3 i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 StaRUG der Hinweis enthalten 39 sein, dass die Anhörung auch dann durchgeführt werden kann, wenn nicht alle Planbetroffenen teilnehmen. Nach § 61 Satz 3 i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 1 StaRUG lädt das Restrukturierungsgericht die Planbetroffenen regelmäßig selbst. Für die Inlandszustellung gilt § 41 StaRUG.55 Die Zustellung der Ladung erfolgt von Amts wegen und bedarf keiner Beglaubigung, um eine zügige Zustellung auch an viele Planbetroffene zu gewährleisten.56 Wurde ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt, kann das Gericht diesen gem. § 76 Abs. 6 40 StaRUG mit der Durchführung der Zustellung beauftragen. Nach §§ 61 Satz 3 i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 StaRUG kann das Gericht ebenso den Schuldner mit der Zustellung der Ladungen beauftragen. Über § 45 Abs. 3 StaRUG sind die §§ 191–195 ZPO anwendbar.57

VI. Folgen der unterbliebenen/fehlerhaften Anhörung Da die Anhörung Teil des Planbestätigungsverfahrens und nicht des Planannahmeverfahrens 41 ist, führt eine unterbliebene oder fehlerhafte Anhörung nicht zur Planversagung gem. §§ 63 f. StaRUG.58 Die Anhörung kann im Beschwerdeverfahren gegen die gerichtliche Planbestätigung nachgeholt werden, indem den Planbetroffenen dort rechtliches Gehör gewährt wird.59 Nach § 38 Satz 1 StaRUG i.V.m. § 321a ZPO können die Planbetroffenen bei Verletzung des rechtlichen Gehörs eine Anhörungsrüge einlegen.60

52 53 54 55 56 57 58 59 60

Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 13 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Heidrich in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 5. Skauradsun, NZI 2022, 31, 33. Ausführlich zu Auslandszustellungen Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 19 ff (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 16 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Vgl. ausführlich Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 61 StaRUG Rz. 18 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 15. Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 61 StaRUG Rz. 15. Kramer in BeckOK/StaRUG, § 38 StaRUG Rz. 72 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Laroche in Flöther, 2021, § 40 StaRUG Rz. 25.

Parzinger/Lappe | 1049

§ 62 Rz. 1 | Bedingter Restrukturierungsplan

§ 62 Bedingter Restrukturierungsplan Ist im Restrukturierungsplan vorgesehen, dass vor dessen Bestätigung bestimmte Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht werden sollen, wird der Plan nur bestätigt, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind und Versagungsgründe nicht vorliegen. In der Fassung v. 22.12.2020 (BGBl. I 2020, 3256). I. Regelungsgegenstand und Normzweck . II. EU-Richtlinien-Grundlage . . . . . . . . . . . III. Leistungserbringung und andere Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestätigungsvoraussetzungen und Vollzugsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestätigungsvoraussetzungen per se keine Bedingungen im Rechtssinn . . . b) Sicherheit durch Vollzugsbedingungen 2. Bestätigungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vollzugsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gestaltung der Bedingungen . . . . . . . . . . . IV. Strategische Überlegungen . . . . . . . . . . . 1. Strategische Überlegungen für Schuldner und Planbetroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 6 7 7 7 13 17 17 20 22 23 26

2. Strategische Überlegungen der Leistungserbringer bei der Ausgestaltung ihrer Sanierungsbeiträge außerhalb des Plans . . . a) Bedingung des Sanierungsbeitrags auf die Planannahme . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedingung des Sanierungsbeitrags auf die Planbestätigung . . . . . . . . . . . . . . . V. Verfahrensgang bei bedingten Restrukturierungsplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antragstellung durch den Schuldner . . . . 2. Bedingungsprüfung durch das Restrukturierungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Begründetheitsvoraussetzung/Keine Versagungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 28 30 31 31 35 37 41 43

26

Schrifttum: Jungmann, Gerichtliche Bestätigung von Restrukturierungsplänen mit neuen Finanzierungen, WM 2022, 353; Zulawski in Diem/Jahn, Acquisition Finance Agreements in Germany, 2017.

I. Regelungsgegenstand und Normzweck 1 § 62 StaRUG gibt dem Schuldner die Möglichkeit, durch die Aufnahme von Leistungen und

Maßnahmen in den Plan, die vor der Bestätigung des Plans erbracht bzw. verwirklicht werden sollen, den materiell-rechtlichen Prüfungskatalog des Gerichts vor der Bestätigung des Plans zu erweitern. Bei der Erfüllung solcher „Bestätigungsvoraussetzungen“1 handelt es sich demnach nicht um eine Sachentscheidungsvoraussetzung, sondern um eine materiell-rechtliche Voraussetzung der Planbestätigung (vgl. Rz. 37 ff.). Die Prüfung durch das Gericht erfolgt losgelöst vom Bedingungseintritt und legt das Augenmerk darauf, dass die Bestätigungsvoraussetzung vor der Bestätigung des Plans erbracht oder verwirklicht wurde (vgl. Rz. 7 ff.). Dies zeigt, dass es sich bei § 62 StaRUG nicht um eine lediglich klarstellende Norm handelt, sondern ein eigener Prüfungsauftrag an das Gericht erteilt wird.

2 Die Norm erfasst nicht Bedingungen für den Planvollzug. § 62 StaRUG stellt damit nicht

sicher, dass mit der Bestätigung des Plans auch alle aufschiebenden Bedingungen eingetreten sind und der Plan ohne den Nachweis des Bedingungseintritts nach § 726 ZPO vollstreckbar ist (vgl. Rz. 42).

1 S. zum Begriff sogleich Rz. 17 ff.

1050 | Parzinger/Lappe

Bedingter Restrukturierungsplan | Rz. 6 § 62

§ 62 StaRUG regt jedoch dazu an, den Plan „schlank“ zu halten, da nicht alle Restrukturie- 3 rungsmaßnahmen im Plan niedergelegt werden müssen, sondern eine Verbindung zu weiteren, nicht im Plan dokumentierten Restrukturierungsmaßnahmen über einen Bedingungszusammenhang hergestellt werden kann. Das ist besonders hilfreich, wenn der Schuldner beispielsweise für gesellschaftsrechtliche Maßnahmen auf das „normale“ außerplanmäßige Vorgehen zurückgreifen möchte. Der Schuldner ist dann nicht darauf angewiesen, auch insoweit dissentierende Planbetroffene binden zu müssen.2 Bedingungen i.S.d. § 62 StaRUG werden regelmäßig die Zustimmungsbereitschaft zum Plan 4 erhöhen. Denn die Planbetroffenen müssen ihre Sanierungsbeiträge mit der Planbestätigung nur insoweit verbindlich zusagen, als auch die Sanierungsbeiträge Dritter geleistet und durch das Gericht bestätigt werden, mithin wenn eine deutlich größere Transaktionssicherheit besteht. In gleicher Weise erhöht § 62 StaRUG die Transaktionssicherheit für Sanierungsbeiträge Dritter, die erst nach Planannahme geleistet werden müssen, da mit der Planannahme bereits ein wesentlicher Schritt getan ist. Bedingungen stärken darüber hinaus die Verhandlungsposition des Schuldners und der Planbetroffenen gegenüber nicht planbetroffenen Stakeholdern. Denn die finanzielle Restrukturierung kann nach dem StaRUG mit operativen Restrukturierungsmaßnahmen verknüpft werden, indem sie auf die Erbringung dieser operativen Maßnahmen oder bestimmte Meilensteine bedingt wird. § 62 StaRUG ist § 249 Satz 1 InsO nachgebildet, ohne aber die Fristsetzung nach § 249 Satz 2 5 InsO zu übernehmen. Der historische Gesetzgeber begründet dies mit der „weitgehend nicht verfahrensförmig“ ausgestalteten bloßen gerichtlichen Unterstützung der Restrukturierung, die „im Kern von dem Schuldner und den Planbetroffenen eigenverantwortlich“ zu gestalten ist, sowie dem Umstand, dass die Planbestätigung nur auf Antrag des Schuldners erfolgt.3 Mit anderen Worten: Im Gegensatz zur Möglichkeit der Nachfristsetzung im Rahmen des § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG ist der Schuldner gehalten, den Antrag nach § 60 StaRUG erst zu stellen, wenn entweder alle Bedingungen i.S.d. § 62 StaRUG eingetreten sind oder aber der Bedingungseintritt bis zur erwarteten Bestätigungsentscheidung sichergestellt ist (s. auch Rz. 31).

II. EU-Richtlinien-Grundlage Die Restrukturierungs-RL äußert sich nicht explizit dazu, dass ein Plan erst dann bestätigt 6 wird, wenn die vor seiner Bestätigung zu erbringenden Leistungen und zu verwirklichenden Maßnahmen geschehen sind. Die Öffnungsklausel des Art. 10 Abs. 2 Satz 1 der Restrukturierungs-RL lässt diese Möglichkeit jedoch zu.4

2 BT-Drucks. 12/2443, S. 211: „Gesellschaftsrechtliche und insolvenzrechtliche Beschlußfassungen können sinnvoll miteinander verzahnt werden.“ 3 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 3 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Fendel in Braun, 2021, § 62 StaRUG Rz. 2; Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 1 ff.; Smid in Pannen/ Riedemann/Smid, 2021, § 62 StaRUG Rz. 2; Laroche in Flöther, 2021, § 62 StaRUG Rz. 1; Heidrich in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 2; Leichtle in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 1, 7. 4 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 4 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 7.

Parzinger/Lappe | 1051

§ 62 Rz. 7 | Bedingter Restrukturierungsplan

III. Leistungserbringung und andere Maßnahmen 1. Bestätigungsvoraussetzungen und Vollzugsbedingungen a) Bestätigungsvoraussetzungen per se keine Bedingungen im Rechtssinn 7 Die Überschrift des § 62 StaRUG lautet „Bedingter Restrukturierungsplan“. Der Normtext

selbst spricht nicht von „Bedingungen“, sondern davon, dass der Plan, wenn „im Restrukturierungsplan vorgesehen [ist], dass vor dessen Bestätigung bestimmte Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht werden sollen,“ nur bestätigt wird, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind und Versagungsgründe nicht vorliegen.

8 Die bestimmten Leistungen und sonstigen Maßnahmen i.S.d. § 62 StaRUG sind nicht not-

wendig Bedingungen der Planbestätigung im Rechtssinne.5 Die Leistungen und Maßnahmen i.S.d. § 62 StaRUG müssen nicht notwendig Wirksamkeitsvoraussetzung weiterer Rechtsgeschäfte oder Eintrittsvoraussetzung weiterer Rechtsfolgen unter dem Restrukturierungsplan sein.6 Der Plan kann vielmehr auch vorsehen, dass vor der Bestätigung bestimmte Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht werden sollen, richtigerweise verwirklicht werden „müssen“, ohne dass weitere Wirkungen davon abhängig gemacht werden. Einzige unmittelbare Rechtsfolge der „Bedingungen“ i.S.d. § 62 StaRUG ist dann, dass das Gericht für die Planbestätigung zu prüfen hat, ob diese Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht wurden. Vermittelt über die Bestätigungsentscheidung als regelmäßige Bedingung der Planwirksamkeit (vgl. § 18 StaRUG), sind Leistungen und Maßnahmen i.S.d. § 62 StaRUG allerdings eine „mittelbare Bedingung“ der Planwirkungen.

9 Sofern die Leistungen oder Maßnahmen vor der Bestätigung des Plans erbracht bzw. ver-

wirklicht werden sollen, handelt es sich um Bestätigungsvoraussetzungen. Sofern es sich um Bedingungen handelt, die jedenfalls auch die Bestätigung des Plans voraussetzen, handelt es sich um Vollzugsbedingungen, deren Erfüllung Voraussetzung der Wirksamkeit des Plans oder bestimmter Restrukturierungsmaßnahmen ist. Eine Bestätigungsvoraussetzung ist nur dann gleichzeitig auch eine Vollzugsbedingung, wenn die Bestätigungsvoraussetzung als aufschiebende Bedingung i.S.d. § 158 Abs. 1 BGB für weitere Planinhalte ausgestaltet wurde. Eine Vollzugsbedingung fällt wiederum nur dann in die Kategorie der Bestätigungsvoraussetzung, wenn der Bedingungseintritt vor der Planbestätigung erforderlich ist.

10 Dass die „Doppelnatur“ einer Maßnahme oder Leistung als Bestätigungsvoraussetzung und

Vollzugsbedingung überhaupt möglich und zulässig ist, ergibt sich nicht aus § 62 StaRUG, sondern aus der vertraglichen oder vertragsähnlichen Natur des Plans. Die Möglichkeit auch der Planbestätigung als „einfacher“ Vollzugsbedingung bestätigt § 18 StaRUG. Sofern Bedingungen nicht ausdrücklich aus dem Plan hervorgehen, können sie sich aus der Auslegung des Plans ergeben. Der Bezugspunkt der aufschiebenden Bedingung wird dabei die Wirksamkeit des Plans oder die Leistung, respektive Umsetzung, einer im Plan vorgesehenen Maßnahme sein. Neben der nach § 18 StaRUG im Zweifel anzunehmenden aufschiebenden Bedingung der Planbestätigung stellen die Leistungen und Maßnahmen nach § 62 StaRUG dann weitere Bedingungen für die Wirksamkeit des Plans dar. Ist die Wirksamkeit des Plans Bezugspunkt der Bedingung, liegt die Aufnahme dieser auf Leistungen und Maßnahmen bezogenen Bedingungen in den Plan außerhalb des Anwendungsbereichs des § 62 StaRUG, da § 62 StaRUG die Erbringung der Leistungen und Verwirklichung der Maßnahmen bereits vor

5 So aber Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 21, s. auch Rz. 11. Wie hier Jungmann, WM 2022, 353, 354. 6 Vgl. zum Begriff der Bedingung i.S.d. § 158 BGB: Rövekamp in BeckOK/BGB, § 158 Rz. 3 (Stand: 62. Ed. 1.5.2022).

1052 | Parzinger/Lappe

Bedingter Restrukturierungsplan | Rz. 14 § 62

der Planbestätigung vorsieht. Gleiches gilt für die Rechtskraft des Plans als Bedingung für bestimmte Rechtswirkungen oder Leistungen und Maßnahmen.7 Sieht der Plan vor, dass die Bestätigung des Plans erst nach Eintritt bestimmter Ereignisse er- 11 folgen soll, ändert das nichts daran, dass die Wirkungen des gestaltenden Teils des Plans, zumindest regelmäßig (§ 18 StaRUG), frühestens durch die Bestätigung eintreten und nicht bereits nach Verwirklichung der Bestätigungsvoraussetzungen i.S.d. § 62 StaRUG. Es ist nur dann möglich, Planwirkungen unmittelbar an einen Bedingungseintritt vor der Bestätigung des Plans zu knüpfen, wenn die entsprechende Planwirkung die Planbestätigung nicht voraussetzt und sich folglich auf die zustimmenden Planbetroffenen beschränkt. Möchte man mit dem Eintritt der letzten Bestätigungsvoraussetzung eine rechtliche Wirkung oder die Wirksamkeit des Plans überhaupt verknüpfen, kann dies beispielsweise durch das Einführen eines definierten Datums als Bedingung in den Plan geschehen, das mit „Eintrittszeit Bestätigungsvoraussetzungen“ umschrieben werden könnte.8 Der Plan muss entsprechend vorsehen, dass die Planbestätigung erst nach der „Eintrittszeit Bestätigungsvoraussetzungen“ erfolgen soll. Möchte der Schuldner darüber hinaus sichergehen, dass die Bestätigung des Plans nicht vor der „Eintrittszeit Bestätigungsvoraussetzungen“ erfolgt, sind die im gestaltenden Teil des Plans vorgesehenen Wirkungen als echte aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Plans mit der „Eintrittszeit Bestätigungsvoraussetzungen“ zu verknüpfen, mithin als Vollzugsbedingungen auszugestalten. Will der Schuldner im Restrukturierungsplan eine bestimmte Sequenz der Restrukturie- 12 rungsmaßnahmen vorsehen und insbesondere gewährleisten, dass bestimmte Maßnahmen oder der Restrukturierungsplan als Ganzes erst nach der Planbestätigung verbindlich werden, sind die entsprechenden Bestätigungsvoraussetzungen auf die relevanten Vollzugsbedingungen abzustimmen bzw. – soweit erforderlich – als Vollzugsbedingungen auszugestalten. Auch wenn die Planwirksamkeit über die Bestätigungsvoraussetzungen hinaus von weiteren Vollzugsbedingungen abhängig ist, entbindet dieser Umstand das Gericht nicht von der ihm durch § 62 StaRUG aufgetragenen Aufgabe, vor der Planbestätigung zu prüfen, ob die Leistungen erbracht und Maßnahmen verwirklicht wurden, die im Restrukturierungsplan als Bestätigungsvoraussetzung vorgesehen sind. b) Sicherheit durch Vollzugsbedingungen Es ist dem Schuldner und den Planbetroffenen zu empfehlen, die vor der Bestätigung zu er- 13 bringenden Leistungen und zu verwirklichenden Maßnahmen nach § 62 StaRUG als echte aufschiebende Bedingungen für die Planwirksamkeit, mithin Vollzugsbedingungen, auszugestalten. So wird die zu § 62 StaRUG genannte „Zug-um-Zug-Abwicklung“, mithin eine präzise orchestrierte Restrukturierung durch verschiedene Maßnahmen ermöglicht.9 Die Ausgestaltung als echte Bedingung i.S.d. § 158 Abs. 1 BGB entspricht im Regelfall den 14 Interessen der Planbetroffenen und des Schuldners. Danach soll der Plan keine Wirkung entfalten, wenn die als Bedingung vorgesehene Leistung nicht erbracht oder die entsprechende Maßnahme nicht verwirklicht ist. In vielen Fällen wird sich der Plan nicht umsetzen lassen, bevor eine solche Leistung erbracht oder eine solche Maßnahme verwirklicht wurde, bspw., wenn zunächst außerhalb des Plans eine neue Holding-Struktur aufgebaut werden muss oder die Anteile am Schuldner außerhalb des Plans auf einen Treuhänder übertragen werden sollen. Die Ausgestaltung der Leistungen und Maßnahmen als echte Bedingung adressiert das 7 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 7a (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 8 Ähnlich dem „Utilisation Date“ in einem Kreditvertrag, s. dazu Zulawski in Diem/Jahn, Acquisition Finance Agreements in Germany, 2017, II.4. Conditions of Utilisation. 9 Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 2; Leichtle in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 5.

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§ 62 Rz. 14 | Bedingter Restrukturierungsplan Risiko, dass das Gericht entgegen § 62 StaRUG den Plan bestätigt und bestimmte Wirkungen wie die Kürzung von Forderungen unter dem Plan unmittelbar eintreten, ohne dass weitere essentielle Schritte für die Restrukturierung umgesetzt wurden. Zu denken ist an die Übertragung der Gesellschaftsanteile am Schuldner auf die Gläubiger außerhalb des Plans oder die Umsetzung anderer Maßnahmen, die beispielsweise in einem Term Sheet zwischen den Stakeholdern vorab vereinbart worden waren. 15 Die Ausgestaltung der Leistungen und Maßnahmen als echte Bedingung i.S.d. § 158 Abs. 1

BGB steht nicht im Widerspruch zu § 67 StaRUG. Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 StaRUG treten mit der Bestätigung des Restrukturierungsplans die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen ein. Sofern der gestaltende Teil weitere Bedingungen für die Wirksamkeit vorsieht, zählen diese Bedingungen zu den Wirkungen des Plans, d.h. sie müssen erst erfüllt sein, bevor der Plan insoweit wirksam wird. Auch verlangt die Vollstreckbarkeit des Plans nicht, dass alle Bedingungen mit der Bestätigung eingetreten sind. Während die Vollstreckbarkeit durch den Bedingungseintritt vereinfacht wird, kann nach § 726 ZPO auch ohne Bedingungseintritt vor oder mit der Planbestätigung vollstreckt werden, wenn nach der Planbestätigung die weiteren Bedingungen eingetreten sind, § 71 StaRUG.10

16 Die Fiktion des Bedingungseintritts nach § 162 Abs. 1 BGB gilt nur für die Parteien des

Rechtsgeschäfts (Restrukturierungsplans), mithin für Sanierungsbeiträge zustimmender Planbetroffener (und nach Bestätigungsentscheidung aller Planbetroffener), nicht hingegen für Sanierungsbeiträge Dritter. Da nach § 18 StaRUG auch die dem Plan zustimmenden Planbetroffenen im Zweifel nicht vor der Bestätigung gebunden werden, ist der Anwendungsbereich des § 162 Abs. 1 BGB praktisch meist auf Handlungen nach der Planbestätigung beschränkt, mithin hat § 62 StaRUG regelmäßig einen allenfalls geringen Anwendungsbereich. Bedeutung kommt der Norm aber in Fällen zu, in denen der Gesellschafter (nach Planbestätigung) Einfluss auf den Schuldner ausübt, einen Bedingungseintritt nicht herbeizuführen oder nicht zu bestätigen, um eigene Rechtspositionen zu schützen.

2. Bestätigungsvoraussetzungen a) Grundsatz 17 Bestätigungsvoraussetzungen sind bestimmte Leistungen oder andere Maßnahmen i.S.d. § 62

StaRUG, die vor der Planbestätigung vorliegen und umgesetzt sein müssen. Typischerweise geht es dabei um Bedingungen, die außerhalb des Einflussbereichs des Schuldners oder jedenfalls der Planbetroffenen liegen. Regelmäßig werden ohne diese Bedingungen mehrere oder einzelne Planbetroffene nicht gebunden sein wollen und/oder der Restrukturierungsplan wird keinen Erfolg versprechen. Die Formulierung der „Leistungen“ oder „andere[n] Maßnahmen“ zeigt, dass der Katalog denkbarer Bedingungen i.S.d. § 62 StaRUG sehr weit ist.11

18 Trotz der Auslegungsregelung des § 18 StaRUG ist die Klarstellung empfehlenswert, dass

auch die annehmenden Planbetroffenen erst mit der gerichtlichen Bestätigung und nicht bspw. bereits mit der Erbringung der Leistungen und der Verwirklichung der Maßnahmen nach § 62 StaRUG an das Planangebot des Schuldners gebunden sind. Je nach dem Willen der Beteiligten sollte klargestellt werden, dass auch bei einstimmiger Planannahme die Wirkungen des gestaltenden Teils erst mit der Planbestätigung eintreten. Die Planbestätigung bringt nämlich u.a. den Vorteil, dass die Wirkungen der §§ 67 ff. StaRUG eintreten, ein-

10 Thies in Bieg/Borchardt/Frind, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, 2021, Teil 2, B. Rz. 150. 11 Heidrich in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 4.

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Bedingter Restrukturierungsplan | Rz. 21 § 62

schließlich der Möglichkeit nach § 71 StaRUG aus dem Plan als Vollstreckungstitel den Vollzug einzelner Leistungspflichten zu vollstrecken, ohne dafür einen gesonderten (Urkunds)Prozess anstrengen zu müssen. Auch der Anfechtungsschutz des § 90 Abs. 1 StaRUG knüpft an die Bestätigung des Plans an, die gem. § 90 Abs. 1 StaRUG rechtskräftig sein muss. Die Leistungen oder Maßnahmen können sowohl von Planbetroffenen oder von Dritten er- 19 bracht respektive durchgeführt werden.12 b) Beispiele Der historische Gesetzgeber nennt als Beispiele die Veräußerung von Vermögensgegenstän- 20 den oder die Änderung von Anleihebedingungen durch einen Beschluss nach § 5 SchVG.13 Ein solcher Beschluss ist möglich, sofern die Anleihebedingungen die Beschlussfassung nach § 5 SchVG vorsehen. Der RegE zu § 249 InsO, dem § 62 StaRUG nachempfunden ist, nennt als weiteres vom Gesetzgeber bedachtes Beispiel den Verzicht auf ein Pfandrecht, der erst wirksam werden soll, wenn ein neues Pfandrecht an einer anderen Sache bestellt worden ist.14 Den Hauptanwendungsfall des § 249 InsO sah der RegE zur InsO darin, dass Maßnahmen des darstellenden Teils des Insolvenzplans die Grundlage für die vorgesehenen Rechtsänderungen (im gestaltenden Teil des Plans) bilden. Dazu zählen z.B. bestimmte gesellschaftsrechtliche Beschlüsse, wie etwa eine Kapitalerhöhung, von denen die Gläubiger bestimmte Zugeständnisse abhängig machen wollen. Dies dürfte auch für § 62 StaRUG einer der bedeutendsten Anwendungsfälle sein. Typische Beispiele dürften daher sein: 21 15 16 – Sanierungsdarlehen und die Gewährung von Sicherheiten für das Sanierungsdarlehen oder bestehende Restrukturierungsforderungen. – Änderungen des Sicherheitenpakets.17 – Gesellschaftsrechtliche Beschlüsse und Maßnahmen, wie eine Kapitalherabsetzung und -erhöhung (sog. Kapitalschnitt), die Gründung neuer Holding-Gesellschaften oder eine Satzungsänderung.18 Sofern der oder die Gesellschafter die Restrukturierung unterstützen, kann es gelingen, den Restrukturierungsplan um die gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen zu „verkürzen“ und die gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen nur über § 62 StaRUG mit den Sanierungsbeiträgen der Gläubiger zu verknüpfen. Diese Verknüpfung ist umso wichtiger, wenn die Gläubiger Anteile am Schuldner übernehmen. Soweit erforderlich, kann auch ein Fortsetzungsbeschluss als Maßnahme i.S.d. § 62 StaRUG vorgesehen werden.19 – Der Abschluss behördlicher Prozesse. Von besonderer Bedeutung ist eine verbindliche Auskunft der Finanzverwaltung nach § 89 Abs. 2 AO,20 die sich u.a. auf Sanierungserträ12 13 14 15 16 17 18 19 20

Fendel in Braun, 2021, § 62 StaRUG Rz. 2. BT-Drucks. 19/24181, S. 161 f. BT-Drucks. 12/2443 zu § 296, S. 211. Fendel in Braun, 2021, § 62 StaRUG Rz. 2; Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 15; Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Fendel in Braun, 2021, § 62 StaRUG Rz. 2; Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 16; s. dazu auch BT-Drucks. 12/2443 zu § 296, S. 211. So der historische Gesetzgeber zum Normvorbild des § 249 InsO, BT-Drucks. 12/2443 zu § 296, S. 211. Arends/Backes in Morgen, § 62 StaRUG Rz. 19; Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 6 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Smid in Pannen/Riedemann/Smid, 2021, § 62 StaRUG Rz. 4. Fendel in Braun, 2021, § 62 StaRUG Rz. 2; Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); s. dazu auch BT-Drucks. 12/2443 zu § 296, S. 211.

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§ 62 Rz. 21 | Bedingter Restrukturierungsplan

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ge nach § 3a EStG beziehen kann. Für den Erhalt einer verbindlichen Auskunft ist zu beachten, dass der zu bescheidende Sachverhalt noch nicht ganz oder teilweise umgesetzt wurde, d.h. der Plan die verbindliche Auskunft als Maßnahme des § 62 StaRUG nennt und weiterhin der Erhalt der verbindlichen Auskunft als Vollzugsbedingung ausgestaltet ist. Auch die Kartellfreigabe ist hier zu nennen. Die Gewinnung von staatlichen Beihilfen.21 Lieferanten- oder Kundenvereinbarungen mit bestimmten Konditionen.22 Gründung einer Transfergesellschaft.23 Zusage eines neuen Mitglieds der Geschäftsleitung, sich in die Geschäftsführung bestellen zu lassen.24 Rücknahme einer Klage oder eines Antrags durch eine andere Partei.25 Alle weiteren ausreichend bestimmten Leistungen und Maßnahmen.26

3. Vollzugsbedingungen 22 Vollzugsbedingungen sind rechtsgeschäftlich aufschiebende Bedingungen des Plans, die die

Umsetzung des Plans steuern und erst nach oder mit der Planbestätigung eintreten. Es handelt sich damit regelmäßig nicht um Leistungen oder Maßnahmen i.S.d. § 62 StaRUG. Sämtliche der genannten Bestätigungsvoraussetzungen können als Vollzugsbedingungen ausgestaltet werden. Für bestimmte Sachverhalte erscheint es besonders sinnvoll, die Vollzugsbedingung nicht als Leistung oder Maßnahme nach § 62 StaRUG auszugestalten, nämlich wenn bestimmte Leistungen oder andere Maßnahmen bedeutende Zeiträume in Anspruch nehmen und so das Zuwarten auf eine Bestätigungsentscheidung über Gebühr in die Länge gezogen würde. So kann es für die Neu- oder Nachbesicherung über Grundpfandrechte sinnvoll sein, den Plan bereits vor der Eintragung des Sicherungsrechts im Grundbuch bestätigen zu lassen und den Eintragungsanspruch ggf. über eine Vormerkung entsprechend abzusichern. Die Vollzugsbedingung muss sich nicht auf die Wirksamkeit des gesamten Plans beziehen, sondern kann einzelne Aspekte des Restrukturierungskonzepts betreffen. So ist zu erwarten, dass eine neue Finanzierung regelmäßig erst ausgezahlt wird, wenn alle (neuen) Sicherheiten bestellt sind.

4. Gestaltung der Bedingungen 23 Die Leistungen und Maßnahmen müssen im Plan so genau formuliert werden,27 dass dem

Gericht eine Prüfung des Bedingungseintritts möglich ist. Das Gericht kann den Bedingungseintritt insbesondere dann leicht nachvollziehen, wenn der Bedingungseintritt durch die Bestätigung des Schuldners, eines Notars oder auch des Sicherheitentreuhänders beteiligter Fremdkapitalgeber herbeigeführt wird. Das Gericht muss damit nur diese Bestätigung prüfen. Diese Bestätigung erfolgt idealerweise gemäß einer Anlage zum Plan, so dass das Gericht lediglich die Übereinstimmung der Bestätigung mit der Anlage prüfen muss. 21 22 23 24 25 26

Fendel in Braun, 2021, § 62 StaRUG Rz. 2. Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 17. Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 5 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 17; Leichtle in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 3. 27 Heidrich in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 4.

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Bedingter Restrukturierungsplan | Rz. 28 § 62

Sofern die Gläubiger Sorge haben, dass der Gesellschafter den Schuldner durch eine entspre- 24 chende Weisung davon abhalten könnte, die entsprechende Dokumentation bereits dem Bestätigungsantrag beizufügen oder nachzuliefern,28 kann das Zur-Akte-Reichen der notwendigen Dokumentation im Plan auf einen Dritten übertragen werden, bspw. durch die Bestätigung einer Anteilsübertragung durch den beurkundenden Notar. Dem Inhalt der Bedingungen sind kaum Grenzen gesetzt. So kann beispielsweise das erste 25 von zwei Ereignissen den Bedingungseintritt darstellen oder der Plan kann vorsehen, dass auf den Eintritt einer Bedingung durch den Schuldner bzw. einzelne Planbetroffene oder durch eine bestimmte Mehrheit der Planbetroffenen verzichtet werden kann.

IV. Strategische Überlegungen 1. Strategische Überlegungen für Schuldner und Planbetroffene Für den Schuldner und die Planbetroffenen eröffnet die Aufnahme von vor der Planbestäti- 26 gung zu erbringenden, bestimmten Leistungen oder anderen Maßnahmen die Möglichkeit, eine starke Verhandlungsposition gegenüber dritten, d.h. nicht planbetroffenen, Stakeholdern aufzubauen. Wollen beispielsweise Finanzgläubiger mit der Planannahme ihre Sanierungsbeiträge erbringen, können ihre Sanierungsbeiträge nach § 62 StaRUG unter der Bedingung stehen, dass andere Stakeholder wie z.B. Vermieter oder die Arbeitnehmer bzw. der Betriebsrat ebenfalls Zugeständnisse machen. Diese anderen Stakeholder können zwar nicht verpflichtet werden, die im Plan vorgesehenen oder vom Plan vorausgesetzten Zugeständnisse zu machen. Es dürfte jedoch regelmäßig den faktischen Handlungsdruck erhöhen, wenn eine Gruppe Stakeholder bereits ein „annahmefähiges“ Restrukturierungskonzept für den Fall der Kooperation der weiteren Stakeholder verbindlich zugesagt hat und es so die verbleibenden Stakeholder wären, an denen eine Sanierung scheitert.

2. Strategische Überlegungen der Leistungserbringer bei der Ausgestaltung ihrer Sanierungsbeiträge außerhalb des Plans Die Personen, die Bestätigungsvoraussetzungen zu erfüllen haben, suchen ihrerseits Trans- 27 aktionssicherheit.29 Sie möchten ihre Beiträge typischerweise nur erbringen, wenn der Plan wirksam werden wird. Dabei helfen ihnen Bedingungen i.S.d. § 158 Abs. 1 BGB. Es geht dabei nicht um Bedingungen des Plans, sondern um eine aufschiebend bedingte Erbringung der Leistung bzw. eine Verwirklichung von Maßnahmen. Es handelt sich damit auch nicht um Bedingungen i.S.d. § 62 StaRUG, denn § 62 StaRUG hat nicht bedingte Beiträge Dritter zum Gegenstand, sondern Leistungen und Maßnahmen, die im Plan vorgesehen sind und vor seiner Bestätigung erbracht bzw. verwirklicht werden sollen. a) Bedingung des Sanierungsbeitrags auf die Planannahme Sofern der Plan Sanierungsbeiträge Dritter vorsieht, die nicht planbetroffen sind, d.h. deren 28 Rechtsstellung nicht i.S.d. § 7 StaRUG durch den gestaltenden Teil des Plans geändert werden soll, erhalten diese Dritte ein hohes Maß an Transaktionssicherheit, wenn der Sanierungs-

28 S. aber § 162 Abs. 1 BGB. 29 Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022), Fendel in Braun, 2021, § 62 StaRUG Rz. 5, Leichtle in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 5.

Parzinger/Lappe | 1057

§ 62 Rz. 28 | Bedingter Restrukturierungsplan beitrag auf die Planannahme bedingt ist, da sie mit der Erbringung ihres Sanierungsbeitrags abwarten können, bis der Plan von der erforderlichen Mehrheit der Planbetroffenen angenommen wurde und nur mehr die Bestätigung des Plans aussteht. In den meisten Fällen ist mit der Planannahme ein großer Schritt hin zur Wirksamkeit des Plans geschafft. Wollen sich Dritte weitergehend davor schützen, Sanierungsbeiträge erbringen zu müssen, auch wenn der Restrukturierungsplan im Ergebnis nicht angenommen wird, können sie ihre Leistungen für den Fall auflösend bedingen, dass die Bestätigung des Restrukturierungsplan versagt wird.30 29 Die Planbetroffenen wiederum gewinnen durch den Bedingungseintritt vor der Bestäti-

gung die Sicherheit, dass ihre Sanierungsbeiträge erst nach oder gleichzeitig mit den Sanierungsbeiträgen außerhalb des Plans geleistet werden.31 b) Bedingung des Sanierungsbeitrags auf die Planbestätigung

30 Möchten die Dritten ein noch höheres Maß an Transaktionssicherheit erreichen, haben sie die

Möglichkeit, ihren Sanierungsbeitrag auf die Planbestätigung (oder sogar auf die Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses) zu bedingen. Sofern die Leistung auf die Planbestätigung bedingt wird und die Planbestätigung die letzte ausstehende Bedingung ist, sollte das den Anforderungen des § 62 StaRUG an vor der Planbestätigung zu erbringende Leistungen und zu verwirklichende Maßnahmen genügen. § 62 StaRUG setzt zwar voraus, dass der Plan nur bestätigt wird, wenn die Leistung bzw. Maßnahme „vor“ der Bestätigung des Plans erbracht bzw. verwirklicht wurde.32 Da in diesem Fall die Leistung oder Maßnahme gleichzeitig „mit“ der Bestätigung des Plans umgesetzt wird, sollte eine auf die Bestätigung bedingte Leistung oder Maßnahme die Voraussetzungen des § 62 StaRUG entgegen des engeren Wortlauts erfüllen, wenn der Leistungserfolg oder die Umsetzung der Maßnahme nur noch von der Bestätigungsentscheidung selbst abhängig ist, bspw. eine Anteilsübertragung unmittelbar mit Bestätigungsentscheidung wirksam wird. Denn ist lediglich die Bestätigungsentscheidung selbst der letzte Umsetzungsschritt, kann diese das Restrukturierungsgericht (denk-)notwendigerweise selbst „überprüfen“ und ist gleichsam eine „Potestativbedingung des Gerichts“.

V. Verfahrensgang bei bedingten Restrukturierungsplänen 1. Antragstellung durch den Schuldner 31 Der Schuldner kann den Antrag auf Planbestätigung bereits vor dem Bedingungseintritt

bzw. dem Zeitpunkt stellen, in dem die bestimmten Leistungen erbracht und die anderen Maßnahmen verwirklicht wurden. Nach der Vorstellung des historischen Gesetzgebers ist der Schuldner jedoch „gehalten, den Bestätigungsantrag regelmäßig erst zu stellen, nachdem die Bedingungen für die Bestätigung eingetreten sind.“33 Der Schuldner riskiert im Übrigen, dass das Gericht den Bestätigungsantrag als zur Zeit oder endgültig unbegründet abweist, wenn er bis zur Bestätigungsentscheidung den Nachweis des Bedingungseintritts nicht

30 Zur grundsätzlichen Möglichkeit auflösender Bedingungen auch im Restrukturierungsplan s. nur Leichtle in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 3 f. m.w.N. 31 Vgl. Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 8 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022). 32 S. auch BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, NZI 2017, 260, 264 Rz. 43 = ZIP 2017, 482: „Planbedingungen können nur solche Umstände sein, die vor der Bestätigung des Insolvenzplans eintreten können.“ 33 BT-Drucks. 19/24181 zu § 69, S. 162; Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 9 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); Fendel in Braun, 2021, § 62 StaRUG Rz. 3; Laroche in Flöther, 2021, § 62 StaRUG Rz. 5; Heidrich in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 7.

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Bedingter Restrukturierungsplan | Rz. 36 § 62

beibringen kann. Er riskiert weiter, im Einzelfall gegen seine Pflicht nach § 32 Abs. 1 StaRUG zur sorgfältigen und interessenwahrenden Betreibung der Restrukturierungssache zu verstoßen. Zu den Pflichten des Schuldners zählt es nämlich auch, dass er seinen Teil zur Herbeiführung des Bedingungseintritts beiträgt.34 Dauert der Eintritt der Bestätigungsvoraussetzungen zu lange, kann es vorkommen, dass die 32 Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach § 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG nach sechs Monaten bzw. nach zwölf Monaten ihre Wirkung verliert. Wenn eine Bestätigungsvoraussetzung nicht herbeigeführt werden kann, ist der Schuldner nach § 31 Abs. 4 StaRUG verpflichtet, dies dem Gericht anzuzeigen und das Gericht wird die Restrukturierungssache nach § 33 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG aufheben. Um einen klaren Zeitrahmen vorzugeben, kann der Plan selbst eine Frist enthalten, bis 33 wann die bestimmte Leistung erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht sein und der Bestätigungsantrag gestellt sein soll. Das erlaubt es dem Gericht, im Anschluss an den Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 45 StaRUG bereits einen Termin für die Bekanntgabe der Entscheidung (§ 65 Abs. 1 StaRUG) zu bestimmen.35 Die Möglichkeit eines Verzichts auf die Erbringung bestimmter Leistungen oder der Ver- 34 wirklichung bestimmter Maßnahmen als Bestätigungsvoraussetzungen kann für den Schuldner oder für benannte Planbetroffene im Plan vorgesehen werden. Der Verzicht kann sich aber nur auf solche Bestätigungsvoraussetzungen beziehen, die für den Erfolg der Restrukturierungssache nicht wesentlich sind. Im Übrigen dürften Planbetroffene im Regelfall keinem Plan zustimmen, der nicht näher ausbuchstabierte Alternativszenarien vorsieht.

2. Bedingungsprüfung durch das Restrukturierungsgericht Das Gericht muss sich nach § 39 Abs. 1 StaRUG von Amts wegen versichern,36 dass die be- 35 stimmten Leistungen erbracht und andere Maßnahmen verwirklicht wurden. Mit Blick auf etwaig zu erhebende Beweise findet § 284 ZPO über § 38 StaRUG Anwendung. Der Gesetzgeber hat die Fristsetzung nach § 249 Satz 2 InsO bewusst nicht in das StaRUG übernommen, da anders als im Insolvenzplanverfahren der Schuldner einen Antrag auf Planbestätigung stellen muss und damit abwarten kann, bis die bestimmten Leistungen erbracht und anderen Maßnahmen verwirklicht wurden.37 Kommt die gerichtliche Prüfung zu dem Ergebnis, dass bestimmte Leistungen noch nicht er- 36 bracht oder andere Maßnahmen noch nicht verwirklicht wurden, kann es eine Nachfrist setzen, ohne die nach Art. 10 Abs. 4 Restrukturierungs-RL geforderte effiziente Verfahrensführung im Hinblick auf § 62 StaRUG zu gefährden, wenn der fehlende Bedingungseintritt zeitnah herbeigeführt werden kann.38 Das Gericht ist nicht gezwungen, den Antrag auf Planbestätigung unmittelbar als unbegründet abzuweisen. Denn die fehlende Übernahme des § 249 Satz 2 InsO in § 62 StaRUG schließt es nicht aus, dass das Gericht i.R. seiner Verfahrensleitungspflicht eine Frist zur Umsetzung der bestimmten Leistungen oder anderen Maßnahmen setzt.39 Dagegen könnte zwar sprechen, dass § 62 StaRUG anders als § 63 Abs. 1 Nr. 2

34 35 36 37 38 39

Fendel in Braun, 2021, § 62 StaRUG Rz. 5. Laroche in Flöther, 2021, § 62 StaRUG Rz. 5. Heidrich in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 5. BT-Drucks. 19/24181 zu § 69, S. 162; Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 22. Vgl. Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 10 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022) So aber Laroche in Flöther, 2021, § 62 StaRUG Rz. 3 („kommt nicht in Betracht“); ähnlich auch Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022).

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§ 62 Rz. 36 | Bedingter Restrukturierungsplan StaRUG nicht vorsieht, dass ein Mangel innerhalb einer durch das Gericht zu setzenden Frist behoben wird. Es ist jedoch zu beachten, dass die materielle Verfahrensleitung durch das Gericht nach § 38 StaRUG i.V.m. § 139 ZPO die generelle Möglichkeit umfasst, Hinweise zu geben (§ 139 Abs. 3 ZPO), sodass auch der Hinweis auf den fehlenden Nachweis der Erfüllung der Bestätigungsvoraussetzung(en) unter Fristsetzung möglich sein muss. Der Möglichkeit der Fristsetzung steht auch die Gesetzesbegründung nicht entgegen. Der historische Gesetzgeber sah die Übernahme der Fristsetzung nach § 249 Satz 2 InsO als „nicht geboten“ an.40 Damit ist indes nicht gesagt, dass das Gericht in seiner materiellen Verfahrensleitungsfunktion beschnitten werden sollte. Es kommt hinzu, dass § 31 Abs. 4 Nr. 4 StaRUG aufgrund seines – für eine Restrukturierungssache – langen Zeitraums von sechs bis zu zwölf Monaten gerade keinen ausreichenden Schutz für Schuldner wie Planbetroffene vor einer (im Einzelnen) unbekannt langen gerichtlichen Prüfung bietet, welche mit einer (unerwarteten) Versagung mangels nachgewiesenen Bedingungseintritts endet.41

3. Begründetheitsvoraussetzung/Keine Versagungsgründe 37 Bei der Prüfung des § 62 StaRUG handelt es sich nicht um eine Sachentscheidungsvoraus-

setzung, sondern um eine (positive) Voraussetzung der Begründetheit des Schuldnerantrags auf Bestätigung des Plans.42 Weist das Gericht den Plan wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 62 StaRUG (endgültig) ab, entscheidet es damit in der Sache und der Antrag kann, anders als bei Nichtvorliegen einer Sachentscheidungsvoraussetzung, nicht einfach erneut gestellt werden. Es sollte dem Gericht jedoch möglich sein, den Antrag auf Bestätigung „als zurzeit unbegründet“ zurückzuweisen, vergleichbar dem Fall einer Forderung, die noch nicht fällig ist. Damit kann das Gericht dem Schuldner, der den Nachweis des Bedingungseintritts nicht erbringen konnte, eine weitere Antragstellung im selben Restrukturierungsverfahren ermöglichen (arg. § 31 Abs. 4 Nr. 2 StaRUG).

38 Für die Einordnung als Sachentscheidungsvoraussetzung spricht zwar, dass § 62 StaRUG die

Bestätigung davon abhängig macht, dass die Voraussetzungen des § 62 StaRUG erfüllt sind „und Versagungsgründe nicht vorliegen“ und der Gesetzgeber bei einer materiell-rechtlichen Einordnung von „sonstigen“ Versagungsgründen hätte sprechen können. Die Gleichordnung der Voraussetzungen des § 62 StaRUG und der Versagungsgründe entspricht aber dem Charakter des § 62 StaRUG, der nicht die Versagung der Bestätigung im Blick hat, sondern die gerichtliche Prüfung, ob die vorausgesetzten Leistungen erbracht und Maßnahmen verwirklicht wurden. Für die Einordnung als materiell-rechtliche Bestätigungsvoraussetzung spricht überdies das historische Normvorbild des § 249 InsO. Nach § 249 Satz 2 InsO ist die Bestätigung „von Amts wegen zu versagen“, wenn die Leistungen auch nach einer vom Insolvenzgericht gesetzten Frist nicht erbracht, bzw. die Maßnahmen nicht verwirklicht wurden. Dies aber entspricht der Formulierung des § 63 Abs. 1 StaRUG und legt damit den materiell-rechtlichen Gehalt des § 62 StaRUG offen. Dass § 249 Satz 2 InsO keine Entsprechung in § 62 StaRUG gefunden hat, steht dem nicht entgegen. Denn § 249 Satz 2 InsO wurde nur nicht in § 62 StaRUG übernommen, weil die Planbestätigung nur auf Antrag des Schuldners in Betracht kommt und der Grad der Eigenverantwortlichkeit höher ist als im

40 BT-Drucks. 19/24181 zu § 69, S. 162. 41 A.A. Skauradzsun in BeckOK/StaRUG, § 62 StaRUG Rz. 7 (Stand: 5. Ed. 17.7.2022); ähnlich Arends/ Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 22. 42 Arends/Backes in Morgen, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 2; wohl auch Heidrich in Wolgast/Grauer, 2. Aufl. 2022, § 62 StaRUG Rz. 3.

1060 | Parzinger/Lappe

Bedingter Restrukturierungsplan | Rz. 43 § 62

Insolvenzplanverfahren,43 nicht aber, weil § 62 StaRUG als Sachentscheidungsvoraussetzung eingeordnet werden sollte. Systematisch steht § 62 StaRUG zwischen den Sachentscheidungsvoraussetzungen der §§ 60, 39 61 StaRUG und den materiell-rechtlichen Prüfungsnormen der §§ 63, 64 StaRUG, sodass dies jedenfalls nicht gegen eine materiell-rechtliche Einordnung spricht. Vielmehr könnte man aus der Stellung nach und nicht vor der Anhörung gem. § 61 StaRU