Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG): Kommentar 9783504387822

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz fordert bereits ab dem 1.1.2023 von größeren deutschen Unternehmen die Einhaltu

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Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG): Kommentar
 9783504387822

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsübersicht
Verzeichnis der Bearbeiter
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Einleitung
Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen (§§ 1, 2)
1 Anwendungsbereich
2 Begriffsbestimmungen
Abschnitt 2 Sorgfaltspflichten (§§ 3–10)
3 Sorgfaltspflichten
4 Risikomanagement
5 Risikoanalyse
6 Präventionsmaßnahmen
7 Abhilfemaßnahmen
8 Beschwerdeverfahren
9 Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung
10 Dokumentations- und Berichtspflicht
Abschnitt 3 Zivilprozess (§ 11, Anhang § 11)
11 Besondere Prozessstandschaft
Abschnitt 4 Behördliche Kontrolle und Durchsetzung (§§ 12–18)
Unterabschnitt 1 Berichtsprüfung (§§ 12, 13)
12 Einreichung des Berichts
13 Behördliche Berichtsprüfung; Verordnungsermächtigung
Unterabschnitt 2 Risikobasierte Kontrolle (§§ 14–18)
14 Behördliches Tätigwerden; Verordnungsermächtigung
15 Anordnungen und Maßnahmen
16 Betretensrechte
17 Auskunfts- und Herausgabepflichten
18 Duldungs- und Mitwirkungspflicht
Unterabschnitt 3 Zuständige Behörde, Handreichungen, Rechenschaftsbericht (§§ 19–21)
19 Zuständige Behörde
20 Handreichungen
21 Rechenschaftsbericht
Abschnitt 5 Öffentliche Beschaffung (§ 22)
22 Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge
Abschnitt 6 Zwangsgeld und Bußgeld (§§ 23, 24)
23 Zwangsgeld
24 Bußgeldvorschriften
Stichwortverzeichnis

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Gehling . Ott LkSG Kommentar

.

LkSG Kommentar Herausgegeben von

RA Christian Gehling und

RA Dr. Nicolas Ott bearbeitet von

RAin Dr. Michaela Balke RA Prof. Dr. Kristian Fischer RA Dr. Jürgen Fluck RA Christian Gehling RAin Dr. Cäcilie Lüneborg RA Dr. Florian Mader RA Dr. Nicolas Ott RA Niklas Schmelzeisen RA Dr. Ben Steinbrück 2022

Zitierempfehlung: Bearbeiter in Gehling/Ott, LkSG, § …, Rz. …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-11002-4 ©2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: Schäper, Bonn Druck und Verarbeitung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

Vorwort Das LkSG ist das weltweit erste Gesetz, das die UN Guiding Principles on Business and Human Rights in nationales Recht umsetzt. Die neuen Regeln unterscheiden sich grundlegend von anderen Compliance-Vorschriften: Unternehmen müssen Verantwortung nicht nur für den eigenen Geschäftsbereich übernehmen, sondern auch in ihren Lieferketten. Der Gesetzgeber hat nicht nur die ComplianceZiele festgelegt, sondern auch vorgeschrieben, wie die Unternehmen zur Erreichung der Ziele vorzugehen haben. Da wirtschaftliche Betätigung vielgestaltig ist, musste er in hohem Maße zu unbestimmten Rechtsbegriffe greifen. Die UN Guiding Principles on Business and Human Rights sind schließlich ein politisches Instrument und kein fertiges und für eine Anwendung durch Unternehmen ausgereiftes Regelwerk. Das hat auf das LkSG ausgestrahlt. Was geltendes Recht ist, ergibt sich nicht abschließend aus dem Gesetzestext, sondern ist durch Verweise auf internationale Übereinkommen geregelt. Bei der Rechtsanwendung müssen sich Unternehmen mit diesen Übereinkommen zum Schutz von Menschenrechten befassen, für nahezu alle Beteiligten eine neue Materie. Das alles macht die Anwendung des Gesetzes zu einer komplexen, mühevollen und herausfordernden Aufgabe. Der vorliegende Kommentar soll Unternehmen und Beratungspraxis noch vor Inkrafttreten der Neuregelungen am 1. Januar 2023 eine Hilfestellung bieten und rasche Einblicke in die junge rechtliche Diskussion und die Hintergründe des Gesetzes vermitteln. Er ist an die Praxis gerichtet und auf sie ausgerichtet. Die unbestimmten Rechtsbegriffe im neuen LkSG sind nicht nur ein Risiko für Rechtsanwender, sondern auch eine Chance. Jeder, der mit der Anwendung des Gesetzes befasst ist, kann durch Hinweise, aber auch durch Kritik und Anregung zur Ausformung des neuen Rechts und zur Konturierung der vorhandenen gesetzgeberischen Unschärfen beitragen. Herausgeber und Autoren freuen sich über Hinweise an den Verlag ([email protected]), die Herausgeber, oder unmittelbar an die Autoren selbst, die E-Mail-Adressen ergeben sich aus dem Bearbeiterverzeichnis. Wir richten diese Bitte um Feedback an jeden Nutzer dieses Kommentars, gleich ob er in oder für ein Unternehmen tätig ist, Verantwortung für die Rechtsbefolgung im Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle trägt, in einem NGO oder bei einem Unternehmensverband arbeitet, auf deutscher oder europäischer Ebene an dem Gesetzgebungsverfahren beteiligt ist oder war, und gleich ob im Inland oder als ausländischer Beobachter des deutschen Rechts. Die Autoren haben die Bearbeitung der ersten Auflage im Mai 2022 abgeschlossen. Der Kommentar ist aber auch Online in einer Datenbankversion verfügbar, deren Inhalte der Rechtsentwicklung entsprechend aktualisiert werden. Die Herausgeber möchten sich bei den vielen Ansprechpartnern in Unternehmen und in NGOs bedanken, die uns für Gespräche zur Verfügung standen und V

Vorwort

uns wertvolle Hinweise gegeben haben. Unser besonderer Dank gilt Frau Katrin Ott für die mühevolle Arbeit an vielen technischen Details. Frankfurt/Main, im August 2022 Christian Gehling und Dr. Nicolas Ott

VI

Inhaltsübersicht Seite

Vorwort . . . . . . . . . . Verzeichnis der Bearbeiter Abkürzungsverzeichnis . . Literaturverzeichnis . . .

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V IX XI XVII

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen (§§ 1, 2) §1 §2

Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschnitt 2 Sorgfaltspflichten (§§ 3–10)

_

__ 89 130

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§ 11 Besondere Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang zu § 11 LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen . . . . . . . .

__

§3 §4 §5 §6 §7 §8 §9 § 10

Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . . . Risikoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Präventionsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . Abhilfemaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerdeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung Dokumentations- und Berichtspflicht . . . . . .

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Abschnitt 3 Zivilprozess (§ 11, Anhang § 11)

287 349 378 403 451 483 544 593

625 639

VII

Inhaltsübersicht

Abschnitt 4 Behördliche Kontrolle und Durchsetzung (§§ 12–18) Unterabschnitt 1 Berichtsprüfung (§§ 12, 13) § 12 § 13

Einreichung des Berichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Behördliche Berichtsprüfung; Verordnungsermächtigung . . . . Unterabschnitt 2 Risikobasierte Kontrolle (§§ 14–18)

§ 14 § 15 § 16 § 17 § 18

__ __ _

Zuständige Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handreichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechenschaftsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abschnitt 5 Öffentliche Beschaffung (§ 22) § 22

Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge . . . . . . . . Abschnitt 6 Zwangsgeld und Bußgeld (§§ 23, 24)

§ 23 § 24

Zwangsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bußgeldvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VIII

679 683

. . . . .

Behördliches Tätigwerden; Verordnungsermächtigung Anordnungen und Maßnahmen . . . . . . . . . . . . Betretensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auskunfts- und Herausgabepflichten . . . . . . . . . Duldungs- und Mitwirkungspflicht . . . . . . . . . .

Unterabschnitt 3 Zuständige Behörde, Handreichungen, Rechenschaftsbericht (§§ 19–21) § 19 § 20 § 21

__

Seite

688 700 706 718 732

735 739 746

_

751

__

767 771 831

Verzeichnis der Bearbeiter Balke

[email protected]

§§ 4, 5

Fischer

[email protected]

§§ 2 (mit Gehling), 22

Fluck

[email protected]

§§ 12–18

Gehling

[email protected]

Einleitung, § 2 (mit Fischer)

Lüneborg

[email protected]

§§ 8, 9

Mader

[email protected]

§§ 3, 10, 19–21

Ott

[email protected]

§§ 6, 7

Schmelzeisen

[email protected]

§§ 1, 23, 24

Steinbrück

[email protected]

§§ 11, Anhang zu 11

IX

Abkürzungsverzeichnis a.E. aA aaO ABA MCC Abs. AcP AEntG AEUV AG AGB AGG AktG AllgVwR ArbRB ARP III Art. Aufl. AÜG Az. AZR BAFA BaFin BAG BB BDI BDSG BeckRS Begr. BetrVG BGB BGBl BGH BGHZ BHO BImSchG BKartA BKR BMAS BMUB

am Ende anderer Ansicht am angegebenen Ort Model Contract Clauses for Human Rights der American Bar Association Absatz Zeitschrift Das Archiv für die civilistische Praxis Arbeitnehmer-Entsendegesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz Aktiengesetz Allgemeines Verwaltungsrecht Arbeits-Rechtsberater Accountability and Remedy Project III Artikel Auflage Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Aktenzeichen Ausländerzentralregister Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesamt für Güterverkehr Betriebs-Berater Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. Bundesdatenschutzgesetz Beck-Rechtssachen Begründung Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundeskartellamt Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit XI

Abkürzungsverzeichnis

BPCode BT-Ausschuss für Arbeit und Soziales BT-Drucks. Buchst. BVerfG BVerwG

Bundestagsdrucksache Buchstabe Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht

CB CCZ ChemG CMS CSR

Compliance Berater Corporate Compliance Zeitschrift Chemikaliengesetz Compliance Management-Systems Corporate social responsibility

DAV DB DICO DK DÖV DrittelbG DSGVO DVBl

Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb Deutsches Institut für Community Organizing Deutsche Kreditwirtschaft Die Öffentliche Verwaltung Gesetz über die Drittelbeteiligung Datenschutz-Grundverordnung Deutsches Verwaltungsblatt

EDV eIDAS-VO EnWG EPfZG ErfK/ArbR Erw-Gr. ESG

EuZW

Elektronische Datenverarbeitung electronic Identification, Authentication and trust Services Energiewirtschaftsgesetz Entgeltfortzahlungsgesetz Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Erwägungsgründe Environmental Social Governance – ESG (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung Europäische Union Europäisches Gericht Europäischer Gerichtshof Verordnung des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-und Handelsrechtssachen EU-Richtlinien Vertrag über die Europäische Union (EUV) in dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

f. FAQs

folgend Frequently Asked Questions

EU EuG EuGH EuGVVO EU-RL EUV/AEUV

XII

Businesspartner Code of Conduct Deutscher Bundestag Ausschuss für Arbeit und Soziales

Abkürzungsverzeichnis

ff. FLEGT

folgende Forest Law Enforcement, Governance and Trade (Rechtsdurchsetzung, Politikgestaltung und Handel im Forstsektor )

GastG GenTG GewA GewArch GewO GG ggf. GmbHR grds. GRUR GWB GwG GWR

Gaststättengewerbe Gentechnikgesetz Zeitschrift für Gewerbe- und Wirtschaftsverwaltungsrecht Gewerbearchiv Zeitschrift für Wirtschaftsverwaltungsrecht Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls GmbH-Rundschau grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Geringwertige Wirtschaftsgüter Geldwäschegesetz

h.M. HGB HR HwO

herrschende Meinung Handelsgesetzbuch Human Resources Handwerksordnung

i.S.d. i.V.m. idR ILO ILO-IOE insbes. iSd ISO ISO/FDIS iVm IWRZ

im Sinne der/des in Verbindung mit in der Regel International Labour Organization Child Labour Guidance Tool for Business insbesondere im Sinne des International Organization for Standardization Draft International Standard in Verbindung mit Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht

JuS

Die Juristische Schulung (Zs)

KAGB Kap. KartellR KGaA KRB KrWG KSchG KWG

Kapitalanlagegesetz Kapitel Kartellrecht Kommanditgesellschaft auf Aktien Rechtsbeschwerden in Kartellbußgeldverfahren Kreislaufwirtschaftsgesetz Kündigungsschutzgesetz Kreditwesengesetz XIII

Abkürzungsverzeichnis

lit LkSG LVwG

littera (= Buchstabe) Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz Landesverwaltungsgesetz

m.w.N. MAR MDR MiLoG MitbestG MSorgfaltsG

mit weiteren Nachweisen Marktmissbrauchsverordnung Monatsschrift für Deutsches Recht Mindestlohngesetz Mitbestimmungsgesetz Menschenrechtsbezogene Sorgfaltspflichten-Gesetz

NAP NGOs NJOZ NJW NJW-RR Nr. NStZ NVwZ NVwZ-RR

Nationaler Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte Non-governmental organisations Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, RechtsprechungsReport Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Kartellrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht

NWJ-RR NZA NZBau NZG NZKart NZWiSt ObOWi OECD OECD-FAO OHCHR OLG OLGR OWI OWiG

Register für Bußgeldsachen Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit Guidance for Responsible Agricultural Supply Chains Office of the High Commissioner of Human Rights Oberlandesgericht OLG-Report Ordnungswidrigkeit Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PflegeZG PolG

Pflegezeitgesetz Polizeigesetz

RAW RdA RdE

Recht Automobil Wirtschaft Recht der Arbeit Recht der Energiewirtschaft

XIV

Abkürzungsverzeichnis

RdTW RefE RegE RIW Rspr. Rz.

Zeitschrift für das Recht der Transportwirtschaft Referentenentwurf Regierungsentwurf Recht der internationalen Wirtschaft Rechtsprechung Randziffer

S. SDGs SE SPA StGB StPO

Seite Sustainable Development Goals der VN Societas Europaea (SE) oder Europäische Aktiengesellschaft Schnellinformation für Personalmanagement und Arbeitsrecht Strafgesetzbuch Strafprozessordnung

TKG

Telekommunikationsgesetz

u.a. UNGP UNLP UN-UDHR uU UVgO

unter anderem UN Guiding Principles Reporting Framework United Nations laissez-passer United Nations - Universal Declaration of Human Rights unter Umständen Unterschwellenvergabeordnung

VAG Vergabe-RL VerSanG-E VGH Vgl. VK VO (EG) VwGO VwVfG VwVG

Versicherungsaufsichtsgesetz Vergabe-Richtlinie Verbandssanktionengesetz Verfassungsgerichtshof/Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vergabekammer Verordnung der Europäischen Union Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz

WBRL WettbewerbsR WHG wistra WiVerw WM WpHG WpÜG WRegG WuW

EU-Whistleblower-Richtlinie WettbewerbsR Wasserhaushaltsgesetz Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wirtschaft und Verwaltung (Zs) Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Wertpapierhandelsgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wettbewerbsregistergesetz Wirtschaft und Wettbewerb XV

Abkürzungsverzeichnis

z.B. ZBB ZfA ZfBR ZGR ZHR Ziff. ZIP ZLR ZPO ZStV ZUR ZVertriebsR ZWH

XVI

zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht Zivilprozessordnung Zentrales Staatsanwaltschaftliches Verfahrensregister Zeitschrift für Umweltrecht Zeitschrift für Vertriebsrecht Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen (ZS)

Literaturverzeichnis Aufsätze und Festschriftbeiträge Beckers/Micklitz, Eine ganzheitliche Perspektive auf die Regulierung globaler Lieferketten, EWS 2020, 324 Bettermann/Hoes, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Besondere Pflichten für Kreditinstitute?, BKR 2022, 23 Bettermann/Hoes, Der Entwurf der Europäischen Corporate Sustainability Due Diligence Richtlinie – Vergleich zum deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, WM 2022, 697 Bicker, Compliance - organisatorische Umsetzung im Konzern AG 2012, 542 Bomsdorf/Blatecki-Burgert, Haftung deutscher Unternehmen für „Menschenrechtsverstöße“, ZRP 2020, 42 von Brevern/Scheidtmann, Der Zeitpunkt für die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit im Sinne des § 81 Abs. 4 Satz 3 GWB, WuW 2014, 668 Brouwer, Noch viele offene Rechts- und Auslegungsfragen zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Hinweise zum VCI-Diskussionspapier zur Umsetzung des LkSG, CCZ 2022, 137 Charnitzky/Weigel, Die Krux mit der Sorgfalt - Zu den Untiefen und der Unschärfe des neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes aus Unternehmenssicht,RIW 2022, 12 Creutzburg, Amazon bleibt vom geplanten Lieferkettengesetz verschont, FAZ vom 22.4.2021 Dilling, Cat’s Gold-Plating – Der neue Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz, CCZ 2022, 145 Dohrmann, Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz als Vorbild für den europäischen Gesetzgeber? – Eine kritische Analyse, CCZ 2021, 265 Dohrmann, Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz als Vorbild für den europäischen Gesetzgeber? – Eine kritische Analyse, CCZ 2021, 265 Dutzi/Schneider/Hasenau, Lieferkettenregulierung und Risk Governance – Implikationen für die betriebliche Praxis und Kritik, Der Konzern 2021, 454 Edel/Frank/Heine/Heine, Pionierarbeiten in der Lieferkette – Praxisfolgen für das Handels- und Arbeitsrecht (Teil II), BB 2021, 2890 Ehmann, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LKsG) kommt!, ZVertriebsR 2021, 205 Ehmann, Der Regierungsentwurf für das Lieferkettengesetz: Erläuterung und erste Hinweise zur Anwendung, ZVertriebsR 2021, 141 Ehmann/Berg, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG): ein erster Überblick, GWR 2021, 287 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, 2. Aufl. 2015 XVII

Literaturverzeichnis

von Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 2020 Fehse/Markmann, Die Konfliktmineralienverordnung der Europäischen Union, EuZW 2021, 113 Fischer/Zickgraf, Zur Reichweite der wirtschaftlichen Einheit im Kartellrecht, ZHR 186 (2022), 125 Fleischer, Zivilrechtliche Haftung im Halbschatten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, DB 2022, 920 Fleischer/Danninger, Konzernhaftung für Menschenrechtsverletzungen – Französische und schweizerische Reformen als Regelungsvorbilder für Deutschland?, DB 2017, 2849 Frank/Edel/Heine/Heine, Pionierarbeiten in der Lieferkette, BB 2021, 2165 Freund/Krüger, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Was haben öffentliche Auftraggeber im Vergabeverfahren zu beachten? – Ein erster Überblick, NVwZ 2022, 665 Fritz/Klaedtke, Lieferketten im Vergabeverfahren: Sofortige und zukünftige Änderungen durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NZBau 2022, 131 Gailhofer/Verheyen, Klimaschutzbezogene Sorgfaltspflichten: Perspektiven der gesetzlichen Regelung in einem Lieferkettengesetz, ZUR 2021, 402 Gehling/Lüneborg, Pflichten des Güterhändlers nach dem Geldwäschegesetz, NZG 2020, 1164 Gehling/Ott/Lüneborg, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230 Goßler/Palder, Distributionslogistik, Vertriebsmittler, Endkunde – Glieder der Lieferkette iSd LkSG? BB 2022, 906 Götz, Ein Lieferkettengesetz nordischer Prägung – Norwegens neues Transparenzgesetz, RIW 2022, 99 Graf von Westphalen, Einige Vorüberlegungen zum bevorstehenden Lieferkettengesetz, ZIP 2020, 2421 Groß, Das „Lieferkettengesetz“: umfassende Handlungspflichten und Notwendigkeit zur Anpassung der Compliance-Management-Systeme zeichnen sich ab, SPA 2021, 69 Habersack/Ehrl, Verantwortlichkeit inländischer Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen durch ausländische Zulieferer – de lege lata und de lege ferenda, AcP 219 (2019), 155 Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012 Häfeli, Der Menschenrechtsbeauftragte im Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz – ein weiterer betrieblicher Beauftragter?, ARP 2021, 299 Haider, Haftung von transnationalen Unternehmen und Staaten für Menschenrechtsverletzungen, 2019 Harings/Jürgens, Die Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf die Transportwirtschaft, RdTW 2021, 297 Harings/Jürgens/Thalhammer, Die Rolle des Menschenrechtsbeauftragten im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, CB 2022, 93 XVIII

Literaturverzeichnis

Heimig/Schütte/Franken/Klein, Zinn aus Myanmar - Ein Anwendungsszenario zur EU-Verordnung zur Sorgfaltspflicht in Rohstofflieferketten, Commodity TopNews Nr. 61/2019 der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Helck, Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten: Worauf sich Unternehmen zukünftig vorbereiten müssen, BB 2021, 1603 Hembach, Der australische Modern Slavery Act, CB 2019, 388 Herrmann/Rünz, Praktische Hinweise und Maßnahmen zur Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes im Unternehmen, DB 2021, 3078 Heße/Klimke, Die EU-Verordnung zu Konfliktmineralien: Ein stumpfes Schwert?, EuZW 2017, 446 Hilpold, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, JuS 2013, 1081 Holzner, Die drohende Gefahr, DÖV 2018, 946 Hommelhoff, Statt des Reichsaktienamts nun ein Bundesamt für Unternehmenskontrolle? NZG 2022, 577 Jungkind/Raspé/Terbrack, Unternehmensverantwortung in der Lieferkette – Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und seine Folgen für die Unternehmensorganisation, DK 2021, 445 Kamann/Irmscher, Das Sorgfaltspflichtengesetz – Ein neues Sanktionsrecht für Menschenrechts- und Umweltverstöße in Lieferketten, NZWiSt 2021, 249 Keilmann/Schmidt, Der Entwurf des Sorgfaltspflichtengesetzes – Warum es richtig ist, auf eine zivilrechtliche Haftung zu verzichten, WM 2021, 717 Krebs, Menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflicht: Der Wettlauf zwischen europäischer und deutscher Rechtssetzung, ZUR 2021, 394 Kubiciel, Sonderunternehmensstrafrecht für fehlende Sorgfalt in Lieferketten, jurisPR-StrafR 7/2021 Anm. 1 Leisner-Egensperger, Polizeirecht im Umbruch: Die drohende Gefahr, DÖV 2018, 677 Lepsius, Risikosteuerung durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung oder Begrenzung von Innovationen? VVDStRL 63 (2004), 264 Leuering, Schafft es das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz noch über die Ziellinie?, NZG 2021, 753 Leuering/Rubner, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NJW-Spezial 2021, 399 Lüneborg, Neue Pflichten zur Einrichtung von Hinweisgebersystemen – Integrierte Umsetzung in der Unternehmenspraxis, DB 2022, 375 Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, Menschenrechte und Umweltschutz in Lieferketten – der Regierungsentwurf eines Sorgfaltspflichtengesetzes, BB 2021, 906 Mansel, Internationales Privatrecht de lege lata wie de lege ferenda und Menschenrechtsverantwortlichkeit deutscher Unternehmen, ZGR 2018, 439 Mayer, Zur Implementierung des UK Modern Slavery Act 2015, CB 2015, 115

XIX

Literaturverzeichnis

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Literaturverzeichnis

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Einleitung I. Inkrafttreten/Vorbereitung auf die Anwendung des Gesetzes . . 1. Vorprüfungsphase . . . . . . . . . . 2. Risikoanalyse . . . . . . . . . . . . . 3. Einrichtung des Risikomanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtliche Einordnung 1. Regelungsziel: Schutz vor Produkten und Dienstleistung mit menschenrechts- oder umweltbezogenem Mangel . . . . . . . . . 2. Angemessenheitsgrundsatz . . . 3. Bemühenspflicht . . . . . . . . . . . 4. Unternehmensbezogenes vs. marktbezogenes Regelungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gesetzgebungsgeschichte 1. International Labour Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinte Nationen . . . . . . . . . . a) Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Dezember 1948 . . . b) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (UN-RechtePakt) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966 (UN-Sozial-Pakt) . c) UN Global Compact . . . . . . . d) UN Guiding Principles on Business and Human Rights . aa) Übersicht über die Guiding Principles on Business and Human Rights . bb) Rechtsqualität der Guiding Principles on Business and Human Rights . cc) Die Pflicht von Staaten zur Beachtung der Menschenrechte durch Unternehmen . . . . . . . . . . . . (1) Leitprinzip 1 (Pflicht der Staaten zum Schutz von Menschenrechten) . . . . .

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(2) Leitprinzip 2 (Inpflichtnahme von Unternehmen) (3) Leitprinzip 3 (Gesetzgeberische Maßnahmen) (4) Leitprinzip 4 (Staatliche Maßnahmen in Unternehmen im staatlichen Anteilsbesitz oder unter staatlicher Kontrolle) . . . (5) Leitprinzip 5 (Staatliche Aufsicht bei Übernahme von Dienstleistungen für die öffentliche Hand durch private Unternehmen) . . (6) Leitprinzip 6 (Beachtung von Menschenrechten durch staatliche Zulieferer) (7) Leitprinzip 7 (Unterstützung von Unternehmen, die in von Konflikten betroffenen Gebieten tätig sind/Ausschluss von öffentlichen Aufträgen) . (8) Leitprinzip 8 (Gewährleistung von Politikkohärenz) (9) Leitprinzip 9 (Investitionsabkommen und -verträge) (10) Leitprinzip 10 (Multilaterale Institutionen) . . . . . dd) Die Pflicht von Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte . . . . . . (1) Leitprinzip 11 (Generelle Pflicht zur Achtung von Menschenrechten) . . . . . (2) Leitprinzip 12 (Schutz der „international anerkannten Menschenrechte“) . . (3) Leitprinzip 13 (Verantwortung in der Wertschöpfungskette) . . . . . . (4) Leitprinzip 14 (Umfang der Verantwortung) . . . . (5) Leitprinzip 15 (Umfang der Verantwortung) . . . . (6) Leitprinzip 16 (Grundsatzverpflichtung) . . . . .

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1

Einleitung || (7) Leitprinzip 17 (Grundlagen der Sorgfaltspflicht von Unternehmen) . . . . (8) Leitprinzip 18 (Risikoanalyse) . . . . . . . . . . . . (9) Leitprinzip 19 (Prävention) (10) Leitprinzip 20 (Wirksamkeitskontrolle) . . . . . . . . (11) Leitprinzip 21 (Rechenschaft und Berichterstattung) . . . . . . . . . . . . . . (12) Leitprinzip 22 (Einschreiten bei Menschenrechtsverletzungen) . . . . . . . . (13) Leitprinzip 23 (Behandlung als Compliance-Frage) . . (14) Leitprinzip 24 (Zeitliche Priorisierung) . . . . . . . . ee) Zugang zu Abhilfe . . . . . (1) Leitprinzip 25 (Gewährung von Rechtsschutz durch Staaten) . . . . . . . . (2) Leitprinzip 26 (Zugang zu Gerichten) . . . . . . . . (3) Leitprinzipien 27 bis 30 (Außergerichtliche Beschwerdemechanismen der Staaten) . . . . . . . . . (4) Leitprinzip 31 (Anforderungen an wirksame Beschwerdemechanismen) . 3. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . 4. Gesetzesentwicklung in Deutschland a) Abschlusserklärung des G7Gipfels vom 7. und 8.6.2015 . b) Nationaler Aktionsplan „Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte 2016–2020“ . . . . . . . . aa) Erwartungshaltung an die menschenrechtliche Sorgfalt von Unternehmen . . bb) Ankündigung von gesetzlichen Maßnahmen bei unzureichender Erfüllung der Erwartung an die menschenrechtliche Sorgfalt von Unternehmen . . . . .

2

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IV. 1. 2. 3.

cc) Fünf Kernelemente des Sorgfaltskonzepts . . . . . . (1) Grundsatzerklärung zur Achtung von Menschenrechten . . . . . . . . . . . . . (2) Verfahren zur Ermittlung tatsächlicher und potentiell nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . (3) Maßnahmen zur Abwendung potentiell negativer Auswirkungen und Überprüfung der Wirksamkeit dieser Maßnahmen . . . . (4) Berichterstattung . . . . . . (5) Beschwerdemechanismus dd) Monitoring . . . . . . . . . . c) Referentenentwurf . . . . . . . . d) Regierungsentwurf . . . . . . . . e) Parlamentarisches Verfahren aa) Bundesrat . . . . . . . . . . . bb) Bundestag . . . . . . . . . . . f) Rechtspolitische Kritik . . . . . aa) Anwendungsbereich des Gesetzes . . . . . . . . . . . . bb) Keine Wettbewerbsgleichheit . . . . . . . . . . . cc) Fokus der Sorgfaltspflichten im eigenen Geschäftsbereich und mit Blick auf unmittelbare Zulieferer/kein risikobasierter Ansatz . . . . . . . . . . . . . dd) Zivilrechtliche Haftung . ee) Aufsicht durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle . . ff) Verlagerung staatlicher Aufgaben auf private Unternehmen . . . . . . . . gg) Unbestimmte Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . hh) Prozessstandschaft . . . . . ii) Europäische Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . Internationale Entwicklung . . . Kalifornien . . . . . . . . . . . . . . . Großbritannien . . . . . . . . . . . . Frankreich . . . . . . . . . . . . . . .

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103 106 107 108 110 111 112 113 114 116 120

4. 5. 6. 7.

Niederlande Norwegen . . Schweiz . . . . Österreich . .

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V. Vorschlag einer europäischen Richtlinie zu Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen vom 23.2.2022 1. EU-Strategie (2011 – 14) für die soziale Verantwortung der Unternehmen (CSR) . . . . . . . . 2. Entschließungen des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . 3. Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . a) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sorgfaltspflichten im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . c) Geschützte Rechte . . . . . . . . aa) Vergleichende Übersicht zu den im Richtlinienvorschlag ausdrücklich benannten geschützten Rechten und Verboten . . bb) Vergleichende Übersicht über in Bezug genommene internationale Übereinkommen und Erklärungen zum Schutz von Menschenrechten . . cc) Vergleichende Übersicht über die umweltbezogenen Verbote . . . . . . . . . d) Wertschöpfungskette . . . . . . e) Konkrete Sorgfaltspflichten („Due Diligence“) . . . . . . . . aa) Strategie zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten . . . bb) Identifizierung tatsächlicher und potentieller nachteiliger Auswirkungen – Risikoanalyse . . . . cc) Verhinderung und Milderung potentieller nachteiliger Auswirkungen . . . .

Einleitung

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125 129 135 137

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138

VI.

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1.

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2.

143 144 146 147

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151 152 153 156 157

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3.

dd) Beendigung tatsächlicher nachteiliger Auswirkungen ee) Monitoring . . . . . . . . . . f) Öffentliche Berichterstattung g) Beschwerdeverfahren . . . . . . h) Klimaschutz . . . . . . . . . . . . i) Zivilrechtliche Haftung . . . . . j) Sanktionen . . . . . . . . . . . . . k) Unterstützung bei der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . Europäische Rechtsvorschriften zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette . . . . . . . . . . . . . . . Konfliktdiamanten-Verordnung vom 20.12.2002 . . . . . . . . . . . . a) Historischer Hintergrund . . . b) Regelungskonzept . . . . . . . . c) Verhältnis von Konfliktdiamanten-Verordnung und LkSG . . . . . . . . . . . . . . . . . Holzhandels-Verordnung vom 20.10.2010 . . . . . . . . . . . . . . . a) Historischer Hintergrund . . . b) Überblick über die Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Regelungskonzept . . . . . . . . d) Verhältnis von HolzhandelsVerordnung und LkSG . . . . . Konfliktmineralien-Verordnung vom 17.5.2017 . . . . . . . . a) Historischer Hintergrund . . . b) Gegenstand und sachlicher Anwendungsbereich der Verordnung . . . . . . . . . . . . c) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . d) Geographischer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sorgfaltspflichten in der Lieferkette . . . . . . . . . . . . . . aa) Risikomanagementsystem bb) Risikomanagement . . . . (1) Risikomanagement in der Lieferkette für Konfliktminerale . . . . . . . . . . . . (2) Risikomanagement in der Lieferkette für Konfliktmetalle . . . . . . . . . . . . . f) Audit . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Offenlegungspflichten . . . . .

Gehling

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164 167 168 170 173 177 180 181 182 183 184 185 187 188 189 191 193 194 195 196 199 201 202 204 206 210 212 214 215 217

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3

Einleitung ||

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h) Anerkennung von Systemen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

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i) Verhältnis von Konfliktmineralien-Verordnung und LkSG . . . . . . . . . . . . . . 219

Literatur: Creutzburg, Amazon bleibt vom geplanten Lieferkettengesetz verschont, FAZ vom 22.4.2021; Fehse/Markmann, Die Konfliktmineralienverordnung der Europäischen Union, EuZW 2021, 113; Götz, Ein Lieferkettengesetz nordischer Prägung – Norwegens neues Transparenzgesetz, RIW 2022, 99; Heimig/Schütte/Franken/Klein, Zinn aus Myanmar – Ein Anwendungsszenario zur EU-Verordnung zur Sorgfaltspflicht in Rohstofflieferketten, Commodity TopNews Nr. 61/2019 der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe; Hembach, Der australische Modern Slavery Act, CB 2019, 388; Heße/Klimke, Die EU-Verordnung zu Konfliktmineralien: Ein stumpfes Schwert?, EuZW 2017, 446; Hommelhoff, Statt des Reichsaktienamts nun ein Bundesamt für Unternehmenskontrolle? NZG 2022, 577; Leuering, Schafft es das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz noch über die Ziellinie? NZG 2021, 753; Mayer, Zur Implementierung des UK Modern Slavery Act 2015, CB 2015, 115; Nietsch/Wiedmann, Der Vorschlag zu einer europäischen Sorgfaltspflichten-Richtlinie im Unternehmensbereich (Corporate Sustainability Due Diligence Directive), CCZ 2022, 125; Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1; Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, Zur Anwendung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes im Konzern, DB 2021, 238; Teicke/ Rust, Gesetzliche Vorgaben für Supply Chain Compliance – Die neue KonliktmineralienVerordnung, CCZ, 2018, 39; Wagner/Ruttloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145.

I. Inkrafttreten/Vorbereitung auf die Anwendung des Gesetzes 1 Das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vom

16.7.2021 tritt am 1.1.2023 in Kraft. Die Vorbereitung von Unternehmen auf die Anwendung des Gesetzes untergliedert sich in der Regel in drei Phasen:

1. Vorprüfungsphase 2 Das Leitungs- oder Geschäftsführungsorgan legt in einem ersten Schritt fest,

welchem Vorstands- oder Geschäftsleitungsressort die Verantwortung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben aus dem LkSG zugewiesen wird. Wenn eine Ressortzuweisung nicht vorgenommen wird, ist das Gesamtorgan für die Erfüllung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten des LkSG zuständig. Im zweiten Schritt bestimmt das ressortleitende Mitglied des Leitungs- oder Geschäftsführungsorgans zweckmäßigerweise, welche interne Funktion die Anwendung des Gesetzes federführend vorbereitet und welche weiteren Funktionen im Unternehmen zu beteiligen sind. Zum Kreis der in die Vorbereitung einzubeziehenden Funktionen gehören in der Regel: die für das Nachhaltigkeitsmanagement verantwortliche Funktion (soweit eingerichtet), der Rechtsbereich, der Einkauf und die Personalabteilung. Darüber hinaus können dem Kreis angehören: die Logistik, der Finanzbereich oder die für die Unternehmenssicherheit verantwortliche Funktion. Die Federführung bei der Vorbereitung wird vielfach einer Compliance-Funktion oder den für Corporate Social Responsibility und 4

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Einleitung Nachhaltigkeitsmanagement zuständigen Führungskräften oder der Rechtsabteilung zugeordnet. In der Vorprüfungsphase ist der rechtliche Rahmen der gesetzlichen Sorgfalts- 3 pflichten zu konkretisieren. Soweit nicht ein konzernweites SorgfaltspflichtenManagement eingerichtet wird, gehört dazu die Klärung, welches Unternehmen in der Unternehmensgruppe die gesetzlichen Sorgfaltspflichten zu erfüllen hat, wie weit der eigene Geschäftsbereich reicht, insbesondere welche Konzerngesellschaften notwendig einzubeziehen sind, ob die Sorgfaltspflichten jeweils gesondert von den nach § 1 LkSG verpflichteten Unternehmen im Konzern erfüllt werden oder eine gemeinsame Pflichtenerfüllung im Konzern geplant ist. Das verpflichtete Unternehmen kann diese Prüfung abkürzen, wenn es die – häufig sinnvolle und mit Blick auf die Entwicklung des europäischen Rechts1 auch naheliegende – Entscheidung trifft, alle Konzernunternehmen in das Sorgfaltspflichten-Management einzubeziehen. Zur Konkretisierung gehört weiter, die unmittelbaren Zulieferer2 zu erfassen. Die Erfassung der unmittelbaren Zulieferer sollte die Kriterien für die zeitliche Abgrenzung festlegen:3 Ist ein unmittelbarer Zulieferer, mit dem seit zwei Jahren kein Geschäft mehr gemacht worden ist, noch einzubeziehen? Die Erfassung der Zulieferer sollte ferner zu einer ersten risikobasierten Einteilung der eigenen Geschäftsaktivitäten sowie einer Untergliederung der unmittelbaren Zulieferer nach Clustern führen: Zulieferer von seltenen Erden und Konfliktmineralien oder von Produkten, in denen seltene Erden und Konfliktmineralien verarbeitet werden, haben ein anderes Risikoprofil als der Zulieferer von Engineering-Dienstleistungen, Zulieferer von Rohbaumwolle ein anderes Risikoprofil als ein europäischer Stromlieferant, der Windparks betreibt. Ein Zulieferer, bei dem gelegentlich geringe Einkaufsvolumina eingekauft werden, kann anders behandelt werden als die (häufig kleine) Gruppe der Zulieferer, mit denen der Großteil des Einkaufsvolumens abgewickelt wird.4 Die erste Clusterung der unmittelbaren Zulieferer setzt voraus, dass die Kriterien, anhand derer die Risikoanalyse und -bewertung vorgenommen werden soll, erfasst werden. Es zeichnet sich ab, dass die Einteilung in Cluster nach geographischen, sector- oder branchenbezogenen, produkt- und verfahrensbezogenen Kriterien sinnvoll ist. Schließlich ist zu klären, ob dem Unternehmen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht bei mittelbaren Zulieferern möglich erscheinen lassen (substantiierte Kenntnis). 2. Risikoanalyse In der zweiten Phase empfiehlt es sich, die nach § 5 gebotene Risikoanalyse vor- 4 zubereiten. Ob eine Risikoanalyse im Vorfeld auch rechtlich geboten ist, ist un1 2 3 4

Vgl. dazu Vgl. dazu Vgl. dazu Vgl. dazu

Rz. 143. näher § 2 Rz. 362. § 2 Rz. 364 f. näher zur Informationstiefe bei der Risikoanalyse § 5 Rz. 35.

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Einleitung || geklärt. Dafür spricht die Gesetzesbegründung.5 Die Übergangszeit zwischen Verabschiedung des Gesetzes im Juni 2021 und Inkrafttreten sei so bemessen, dass Unternehmen genügend Vorbereitungszeit haben und die Anforderungen des Gesetzes ab Inkrafttreten umsetzen können. Zur Vorbereitung wird man auch die erste Risikoanalyse rechnen müssen, da eine Anwendung des Gesetzes ohne Risikoanalyse kaum sinnvoll denkbar ist. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat in seinen FAQs zum Lieferkettengesetz6 allerdings erläutert, dass die erste Risikoanalyse erst ab Inkrafttreten des Gesetzes (2023 bzw. 2024) – nämlich als Bestandteil eines angemessenen und wirksamen Risikomanagements – durchzuführen sei. Das deutet darauf hin, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Vorbereitung auf die Anwendung des Gesetzes auch ohne Risikoanalyse für möglich hält. Die Risikoanalyse besteht aus zwei Stufen, (i) der Sammlung von Information über relevante Risiken7 und (ii) der Bewertung der Information und die Priorisierung von Risiken.8 Beide Aspekte greifen ineinander: Eine effiziente Sammlung von Information kann nur vornehmen, wer aufgrund seiner Branchenkenntnis, Expertise oder Erfahrung weiß und beurteilen kann, wo im eigenen Geschäftsbereich oder in der Lieferkette relevante Risiken anzunehmen sind. Unternehmen, die zu nicht-finanzieller Berichterstattung verpflichtet sind,9 verfügen in der Regel bereits über vertiefte Kenntnisse zu den Umweltbelangen und der Achtung von Menschenrechten durch das Unternehmen. Umgekehrt kann die Bewertung von Risiken nur so gut sein, wie die zugrunde liegende Information. Es gehört zu den Mängeln des Gesetzes, dass es nicht deutlich macht und kein Bild vermittelt, wie weit die Pflicht zu Beschaffung von Information reicht.10 Im Kern geht es aber um die im Unternehmen selbst verfügbare Information, nur bei genügendem Anlass ist auch externe Information einzuholen.11 Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 erfordert eine ordnungsgemäße Risikoanalyse, dass die ermittelten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken angemessen gewichtet und priorisiert werden.12 Bei der Risikoanalyse wird es sich in der Regel empfehlen, zwischen den verschiedenen Bereichen – eigener Geschäftsbereich, unmittelbare Zulieferer und mittelbare Zulieferer – zu unterscheiden. Wegen der hohen Anforderungen des menschenrechtlichen Verbots nach § 2 Abs. 2 Nr. 12 unterscheidet sich die Risikoanalyse zu geschützten Rechtspositionen von 5 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 59. 6 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FAQs zum Lieferkettengesetz (Stand: 28.4.2022), Ziffer VIII 1. 7 Dazu § 6 Rz. 8 ff. 8 Dazu § 6 Rz. 46 ff. 9 Vgl. § 289b HGB. 10 Vgl. zur Informationstiefe allgemein § 5 Rz. 35. 11 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 44: „Bei der Risikoanalyse ist im Rahmen der Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, auch externes Wissen zu konsultieren.“ 12 Dazu auch § 5 Rz. 46 ff.

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Einleitung der Risikoanalyse im Übrigen.13 § 5 Abs. 4 stellt klar, dass die Risikoanalyse kein einmaliger Vorgang ist, sondern einmal im Jahr sowie anlassbezogen durchzuführen ist. Das entspricht auch allgemeiner Erkenntnis zum Compliance Management.14 3. Einrichtung des Risikomanagements Die dritte Phase der Vorbereitung befasst sich mit der Einrichtung des Manage- 5 mentsystems, mit dem die fortlaufende Erfüllung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten nach dem 1.1.2023 sichergestellt wird. Die Einrichtung des Managementsystems umfasst – die vollständige Erfassung der neuen gesetzlichen Aufgaben, – Vorbereitung der Grundsatzerklärung über die Menschenrechtsstrategie des Unternehmens,15 – die Festlegung der internen Verantwortlichkeiten für die Erfüllung der Sorgfaltspflichten und ggf. die Ernennung eines Menschenrechtsbeauftragten des Unternehmens,16 – Prüfung, ob interne Regeln, Prozesse und Verfahren neu geschaffen oder bestehenden Regeln angepasst werden müssen (etwa der Kodex für Lieferanten, die Regeln zur Geschäftspartnerprüfung, die Regeln zur Steuerung der Einkaufsprozesse, die Regeln über interne Berichtswege und interne Berichterstattung, Verfahren zum Umgang mit festgestellten Risiken oder Verstößen, Regeln über die Überwachung der Erfüllung der Sorgfaltspflichten; Ablaufroutinen),17 – die Implementierung von Präventions- und ggfs. auch Abhilfemaßnahmen, jedenfalls eine Befassung mit den gesetzlichen Regelbeispielen in §§ 6 Abs. 3 und 4 und 7 Abs. 2 und 3,18 – die Einrichtung eines neuen oder Anpassung eines bestehenden Beschwerdemechanismus19 und – die Schulung der an der Erfüllung der gesetzlichen Pflichten beteiligten Führungskräfte und Mitarbeiter.20

13 14 15 16 17 18 19 20

Vgl. dazu § 2 Rz. Dazu § 5 Rz. 60 ff. Dazu § 6 Rz. 11 ff. Dazu § 4 Rz. 39 ff. Zu den Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich allgemein § 6 Rz. 46 ff. Vgl. dazu § 6 Rz. 46 ff. und 96 ff. sowie § 7 Rz. 79 ff. Vgl. zum Erfordernis einer Verfahrensordnung nur § 8 Rz. 39 ff. Vgl. dazu § 6 Rz. 88 f. und 143 ff.

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Einleitung || II. Rechtliche Einordnung 1. Regelungsziel: Schutz vor Produkten und Dienstleistung mit menschenrechts- oder umweltbezogenem Mangel 6 Das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten legt

den verpflichteten Unternehmen die gesetzliche Pflicht auf, Verantwortung für die Beachtung der gesetzlichen menschenrechts- und umweltbezogenen Verbote in ihrem eigenen Geschäftsbereich und ihren Lieferketten zu übernehmen. Gewinnerzielung und – allgemein – unternehmerischer Tätigkeit ohne genügende Rücksicht auf Menschenrechte und grundlegende Umweltbelange werden rechtliche Grenzen gesetzt.21 Das Gesetz verbietet Unternehmen wegzuschauen, wo menschenrechts- und umweltbezogene Risiken erkennbar sind und wo ein verantwortungsvoll handelndes Unternehmens einschreiten würde. Es führt dazu 12 menschenrechtliche22 und 8 umweltbezogene Verbote ein.23

7 In ihrer Zielsetzung steht das neue Gesetz den Vorschriften des klassischen Ar-

beits- und Umweltschutzes nahe. Wie diese bildet das LkSG einen gesetzlichen Ordnungsrahmen für unternehmerisches Handeln. Während letztere aber auf den Schutz von Mensch24 und Umwelt25 in Deutschland und zum Schutz der in einem deutschen Unternehmen oder Betrieb beschäftigten Personen beschränkt sind, nimmt das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz Unternehmen mit ihren weltweiten Lieferketten in die Pflicht. Sie tragen nicht nur Verantwortung für ihre eigene Geschäftstätigkeit, was dem klassischen Compliance-Ansatz entsprechen würde, sondern haben gesetzliche Pflichten, wenngleich abgestuft, auch dann, wenn die durch § 2 geschützten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Verbote durch unmittelbare oder mittelbare Zulieferer verletzt werden oder bei ihnen ein Verletzungsrisiko besteht. Anders als die allgemeinen Compliance-Pflichten ist die Pflichtenlage nicht auf Fälle beschränkt, in denen 21 Eindringlich das Vorwort der britischen Innenministerin Amber Rudd in der Handreichung „Transparency in Supply Chains etc. – A practical guide“ zur britischen Gesetzgebung gegen Sklaverei und Menschenhandel: „The Prime Minister has described modern slavery as the great human rights issue of our time. It is simply not acceptable that anyone should be profiting, however indirectly, from this appalling abuse and exploitation. All businesses must take sustained and concerted action to ensure this is not the case.“ (abrufbar unter https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/sys tem/uploads/attachment_data/file/1040283/Transparency_in_Sup ply_Chains_A_Prac tical_Guide_2017_final.pdf). 22 Vgl. dazu näher § 2 Rz. 103 ff. 23 Vgl. dazu näher § 2 Rz. 250 ff. 24 Zur Geltung des Territorialitätsprinzips im Arbeitsschutz vgl. nur Winkelmüller/Gabriel in Winkelmüller/Felz/Hussing, BeckOK Arbeitsschutzrecht, 9. Edition, Stand: 15.1.2022, § 1 Rz. 47. 25 Zur Geltung des des Territorialitätsprinzips im Immissionsschutzrecht vgl. nur Schulte/ Michalk in Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, 61. Edition, Stand: 1.1.2022, § 2 Rz. 13.

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Einleitung eigene Mitarbeiter als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen einen Beitrag zu der Gesetzesverletzung geleistet haben. Ausreichend ist vielmehr, wie sich aus § 4 Abs. 2 LkSG ergibt, jedes ursächliche Handeln und jeder Beitrag.26 Das Gesetz regelt ein in seinen einzelnen Elementen und in der Gesamtheit 8 komplexes Schrankensystem, das in vier Stufen untergliedert werden kann: – Anwendungsvoraussetzungen nach § 1 LkSG: Das Gesetz findet abweichend vom Konzept der UN Guiding Principles on Business and Human Rights nicht auf alle Unternehmen Anwendung. Vielmehr unterscheidet das Gesetz nach Unternehmensgröße, die es nach der Anzahl der in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer bemisst. Unternehmen unterhalb der Anwendungsschwellen haben keine gesetzlichen Sorgfaltspflichten, selbst dann nicht, wenn in ihren Lieferketten menschenrechtliche oder umweltbezogene Belange besonders schwerwiegend beeinträchtigt werden und dies offensichtlich ist. Nur wenn sich dies aus anderen Gesetzen ergibt, müssen sie für ihr eigenes Unternehmen Compliance sicherstellen. – Lieferkette: Die gesetzlichen Sorgfaltspflichten knüpfen an die Lieferkette an, zu der der eigene Geschäftsbereich des Unternehmens sowie die unmittelbaren und mittelbaren Zulieferer rechnen.27 Zur vorgelagerten Lieferkette (jenseits des eigenen Geschäftsbereichs) rechnen nur die Waren und Dienstleistungen, die die Zulieferer an das verpflichtete Unternehmen liefern oder leisten, nicht aber alle Produkte und Dienstleistungen der Zulieferer.28 Ein Beispiel: Wenn bei einem Zulieferer Menschenrechte verletzt werden, die sich aber nicht in den zugelieferten Produkten niederschlagen, sondern ausschließlich an Dritte gelieferte Produkte des Zulieferers betreffen, löst dies keine Sorgfaltspflichten des nach § 1 LkSG verpflichteten Unternehmens aus. – Ursachenbeitrag: Die gesetzlichen Sorgfaltspflichten sind nicht schon zu erfüllen, wenn das zugelieferte Produkt oder die vom Zulieferer erbrachte Dienstleistung mit einem menschenrechts- oder umweltbezogenen Mangel behaftet ist.29 Aus § 4 Abs. 2 LkSG geht hervor, dass das verpflichtet Unternehmen nur Verantwortung trägt, wenn es „diese Risiken oder Verletzungen innerhalb der Lieferkette verursacht oder dazu beigetragen hat.“ Was unter 26 27 28 29

Vgl. dazu näher § 4 Rz. 31 ff. Vgl. näher § 2 Rz. 323. Vgl. näher § 2 Rz. 367 ff. Anders der UK Modern Slavery Act 2015 (vgl. dazu Rz. 116) und das niederländische Wet Zorgplicht Kinderarbeid (dazu Rz. 125); vgl. auch das Vorwort der britischen Innenministerin Amber Rudd in der Handreichung „Transparency in Supply Chains etc. – A practical guide“ zur britischen Gesetzgebung gegen Sklaverei und Menschenhandel: „The Prime Minister has described modern slavery as the great human rights issue of our time. It is simply not acceptable that anyone should be profiting, however indirectly, from this appalling abuse and exploitation. All businesses must take sustained and concerted action to ensure this is not the case.“ (abrufbar unter https://assets.publish ing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1040283/ Transparency_in_Supply_Chains_A_Practical_Guide_2017_final.pdf).

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Einleitung || einem Beitrag zu dem menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiko oder der Verletzung zu verstehen ist, ist höchst unklar.30 Nach der Gesetzesbegründung31 bedeutet das, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Tun oder pflichtwidrige Unterlassen des verpflichteten Unternehmens und dem menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiko bzw. der Verletzung bestehen muss. Verursachen bedeutet, so die Gesetzesbegründung, dass das Unternehmen das Risiko unmittelbar alleine hervorgerufen hat oder durch seine Handlung zu der Entstehung oder Verstärkung des Risikos (kausal) beigetragen hat. Nach den Erläuterungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales32 muss ein Unternehmen nicht für solche Ereignisse einstehen, die nach der normalen Lebensanschauung eines objektiven, informierten Dritten völlig außerhalb der Erfahrung und Erwartung liegen.33 – Angemessenheitsgrundsatz: Das gesetzliche Pflichtenprogramm des LkSG wird schließlich durch die besonderen Angemessenheitsvorgaben des § 3 LkSG geformt. 2. Angemessenheitsgrundsatz 9 Die gesetzlichen Sorgfaltspflichten stehen unter einem allgemeinen Angemes-

senheitsvorbehalt des § 3 LkSG. Das Angemessenheitsprinzip hat pflichtenbegrenzende Funktion: Nicht alle denkbaren Maßnahmen zum Schutz von den, durch das Gesetz geschützten Menschenrechten und Umweltbelange müssen ergriffen werden, sondern nur solche, die nicht mit einem unangemessenen Aufwand verbunden oder dem verpflichteten Unternehmen gar nicht möglich sind. Die pflichtenbegrenzenden Elemente des Angemessenheitsgrundsatz sind in § 3 LkSG nicht abschließend definiert.

10 Das Angemessenheitsprinzip hat umgekehrt auch pflichtenbegründende Funk-

tion. In diesem Punkt wartet § 3 Abs. 2 LkSG mit einer Besonderheit auf: Die pflichtenbegründenden Elemente werden dort, wenngleich wiederum unter Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen, aber doch abschließend geregelt.34 Beachtet ein Unternehmen die in § 3 Abs. 2 LkSG vorgegebenen Kriterien und wägt sie plausibel gegeneinander ab, bevor es einzelne Maßnahmen der Sorgfaltspflicht ergreift, dann hat es – so das Bundesministerium für Arbeit und Soziales35 – alles Erforderliche getan, selbst wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass es zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist.

30 Vgl. § 4 Rz. 31 ff. 31 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 43. 32 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FAQs zum Lieferkettengesetz (Stand: 28.4.2022), Ziffer VIII 1. 33 Vgl. näher § 4 Rz. 36. 34 Vgl. dazu näher § 3 Rz. 54. 35 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FAQs zum Lieferkettengesetz (Stand: 28.4.2022), Ziffer VI 3.

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Einleitung Das Angemessenheitsprinzip beschränkt die Kontrolle durch die zuständige 11 Aufsichtsbehörde und Gerichte. In der Regel stehen für Unternehmen mehrere Möglichkeiten und Methoden zur Verfügung, ihre gesetzlichen Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Welche Methode sie wählen, entscheidet das verpflichtete Unternehmen in eigener Verantwortung. Aufsichtsbehörden haben nicht die Aufgabe, das durchzusetzen, was sie selbst als „best practice“ verstehen, sondern nur zu überprüfen, ob sich das verpflichtete Unternehmen im Rahmen des Angemessenen bewegt.36 Auch die gerichtliche Kontrolle ist darauf beschränkt zu überprüfen, ob sich die vom Unternehmen ergriffenen Maßnahmen nicht mehr im Rahmen des Angemessenen bewegen. Rechtspolitisch führt das zu einer sinnvollen Begrenzung der gesetzlichen Sanktionsmöglichkeiten. Allerdings steht auch die allgemeine Anordnungsbefugnis der Aufsichtsbehörden37 unter demselben Angemessenheitsvorbehalt. Die Aufsichtsbehörde kann Unternehmen nur zu einem Handeln anhalten, wenn sich das Unternehmen außerhalb des durch § 3 LkSG vorgegebenen Angemessenheitsrahmens bewegt. 3. Bemühenspflicht Die gesetzlichen Sorgfaltspflichten begründen, so die Erläuterung in der Gesetzes- 12 begründung,38 eine Bemühens- und keine Erfolgspflicht. Unternehmen tragen nicht Verantwortung, dass in ihren Lieferketten keine Menschenrechte oder umweltbezogenen Pflichten verletzt werden oder Verletzungsrisiken eintreten, sondern müssen sicherstellen, dass sie die in den §§ 4 bis 10 näher beschriebenen gesetzlichen Sorgfaltspflichten erfüllen, soweit dies vor dem Hintergrund ihres individuellen Kontextes machbar und angemessen ist. Unternehmen tragen, so die Gesetzesbegründung,39 für die Verletzung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Verbote nicht schon deswegen Verantwortung, weil es zu einer Verletzung gekommen ist, sondern nur und ausschließlich, wenn sie ihre gesetzlichen Sorgfaltspflichten nicht erfüllt haben und bei gehöriger Erfüllung der gesetzlichen Pflichten eine Verletzung nicht eingetreten wäre. Eine Pflichtverletzung ist umgekehrt nicht davon abhängig, dass ein menschenrechts- oder umweltbezogenes Risiko zu einer Verletzung führt.40 Sie kann schon gegeben sein, wenn ein Unternehmen nicht auf ein rechtlich relevantes Risiko einer Verletzung reagiert. Das Fehlen einer Erfolgspflicht ist allerdings das Kennzeichen jeder Sorgfalts- 13 pflicht. Die „Bemühenspflicht“ ist in diesem Punkt kein Sonderfall. Während 36 Vgl. dazu näher § 3 Rz. 38. 37 Vgl. auch Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FAQs zum Lieferkettengesetz (Stand: 28.4.2022), Ziffer VI 3. 38 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 41; vgl. auch Wagner/Ruttloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145 Rz. 4 ff. 39 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 41. 40 Auch Wagner/Ruttloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145 Rz. 4.

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Einleitung || die zur Sorgfalt verpflichtete Person aber bei anderen Sorgfaltspflichten in der Regel immer verantwortlich ist, wenn die Verletzung vorhersehbar und vermeidbar war und die zur Sorgfalt verpflichtete Person nicht die Schritte unternommen hat, die zur Vermeidung der Verletzung geführt hätte, sind die Bemühenspflichten nach §§ 3 ff. LkSG weniger strikt. Insbesondere muss die Lieferbeziehung nicht in jedem Fall sofort beendet werden, um das Verletzungsrisiko, wenn nicht anders möglich, zu beseitigen. Die Bemühenspflicht ist – wie im Schrifttum41 zutreffend angenommen wird – ein neuer Rechtsbegriff, der sich von den allgemeinen Sorgfaltspflichten unterscheidet. 14 Umgekehrt darf der Begriff der Bemühenspflicht nicht dahin missverstanden

werden, dass sich das verpflichtete Unternehmen stets nur „irgendwie bemühen“ müsse.42 Insbesondere im eigenen Geschäftsbereich reicht ein Bemühen nicht aus. § 7 Abs. 1 Satz 3 und 4 stellt klar, dass eine Verletzung oder ein Risiko im eigenen Geschäftsbereich sofortiges Handeln erfordert: Im Inland muss die Abhilfemaßnahme zu einer Beendigung der Verletzung führen, im Ausland und im eigenen Geschäftsbereich gem. § 2 Abs. 6 Satz 3 muss die Abhilfemaßnahmen in der Regel zur Beendigung der Verletzung führen. Nur bei Verletzungen im Geschäftsbereich eines unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferers kann sich die Pflichtenlage anders entwickeln. Selbst wenn das verpflichtete Unternehmen Kenntnis von einer Verletzung im Geschäftsbereich eines unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferers hat, ist es nicht in jedem Fall verpflichtet, für eine sofortige und wirksame Beendigung der Verletzungshandlungen Sorge zu tragen und weiteren Verletzungen für die Zukunft wirksam vorzubeugen. Dahinter steht eine rechtspolitische Abwägungsentscheidung: Das verpflichtete Unternehmen kann häufig gar nicht für eine sofortige und sichere Beendigung von menschenrechts- und umweltbezogenen Verletzungen Sorge tragen und eine Wiederholung in Zukunft ausschließen. Aus Sicht der Betroffenen kann eine konstante Verbesserung der menschenrechts- oder umweltbezogenen Lage unter Umständen vorteilhafter sein als der sofortige Rückzug des verpflichteten Unternehmens aus der Lieferbeziehung. Der sofortige Rückzug aus der Lieferbeziehung kann zu einem Verlust des Arbeitsplatzes der betroffenen Personen führen und trägt häufig auch nicht zur Beseitigung oder Verminderung von menschenrechts- und umweltbezogenen Risiken bei.43 4. Unternehmensbezogenes vs. marktbezogenes Regelungskonzept

15 Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hat ein unternehmens-, kein markt-

bezogenes Regelungskonzept. Adressaten des Gesetzes sind Unternehmen mit satzungsmäßigem oder Verwaltungssitz, Hauptverwaltung, Hauptniederlassung oder Zweigniederlassung44 in Deutschland. Ihnen wird untersagt, Gewinne ohne 41 So auch Wagner/Ruttloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145 Rz. 4. 42 Vgl. näher zur Bemühenspflicht in § 3 Rz. 17. 43 Vgl. zum Abbruch einer Geschäftsbeziehung eingehend § 7 Rz. 99 ff. 44 § 13d HGB.

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Einleitung genügende Erfüllung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten zu erzielen.Ein marktbezogenes Regelungskonzept zielt dagegen auf den Schutz eines Marktes: In dem Markt dürfen keine Produkte in Verkehr gebracht oder verwendet werden, die einen menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Mangel haben. Beispiele für marktbezogene Regelungskonzepte sind der California Transparency in Supply Chains Act of 201045 und das niederländische der Wet Zorgplicht Kinderarbeid.46 Sie wollen verhindern, dass in Kalifornien bzw. den Niederlanden Produkte oder Dienstleistungen angeboten werden, die zu Sklaverei oder Menschenhandel beigetragen haben bzw. unter Verletzung der ILO-Übereinkommen zum Schutz gegen Kinderarbeit von Kindern hergestellt worden sind. Beispiele für marktbezogene Regelungsmodelle in der Lieferkette sind auch drei europäische Verordnungen zur Regulierung von Lieferketten: die KonfliktdiamantenVerordnung vom 20.12.2002,47 die Holzhandels-Verordnung vom 20.10.201048 und die Konfliktmineralien-Verordnung vom 17.5.2017.49 Der Vorschlag der europäischen Kommission für eine Nachhaltigkeitsrichtlinie50 kombiniert ein markt- und unternehmensbezogenes Konzept. Unternehmensbezogene Regelungskonzepte entsprechen der traditionellen Me- 16 thode im öffentlichen Recht. Die Aufsichtsbehörde kann die Adressaten des Gesetzes leicht identifizieren. Anordnungen und ihre Vollstreckung können in den herkömmlichen und der Verwaltung bekannten Formen des Verwaltungsrechts vorgenommen werden. Es müssen keine neuen Wege beschritten werden, um die Rechtsdurchsetzung sicherzustellen. Der Nachteil unternehmensbezogener Regelungskonzepte liegt vor allem darin, dass sie kein level playing field schaffen. Ausländische Unternehmen, die nicht denselben gesetzlichen Regeln unterliegen wie inländische Unternehmen, können Wettbewerbsvorteile haben, gerade wenn und weil sie sich nicht an dieselben menschen- und umweltrechtlichen Standards halten müsse wie deutsche Unternehmen.51 Auf die kleine Anfrage aus der FDP-Bundestagsfraktion hat die Bundesregierung im April 202152 etwa bestätigt, dass der Internethandel nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes einbezogen sei.53 Das Gesetz finde nur Anwendung, wenn sich Hauptverwaltung, Hauptniederlassung, der Verwaltungssitz oder der satzungsmäßige Sitz 45 46 47 48 49 50 51

Vgl. dazu unter Rz. 114. Vgl. dazu unter Rz. 125. Vgl. dazu unter Rz. 183. Vgl. dazu unter Rz. 188. Vgl. dazu unter Rz. 195. Vgl. dazu unter Rz. 143. Vgl. auch Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30543, 2. 52 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sandra Weeser, Michael Theurer, Reinhard Houben, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, BT-Drucks. 19/28642 zu Frage 4. und 5. 53 Dazu kritisch Creutzburg, Amazon bleibt vom geplanten Lieferkettengesetz verschont, FAZ vom 22.4.2021; Leuering, Schafft es das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz noch über die Ziellinie? NZG 2021, 753, 754.

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Einleitung || des betreffenden Unternehmens im Inland befindet. Die Bundesregierung setze sich für eine EU-weite Regelung ein und wirbt auch im Rahmen internationaler Organisationen wie der Internationalen Arbeitsorganisation und den Vereinten Nationen sowie in internationalen Foren wie den G7 und G20 für ein globales „Level Playing Field“. 17 Die Nachteile eines unternehmensbezogenen Regelungsmodells versuchen

marktbezogene Regelungskonzepte zu vermeiden, etwa die oben schon genannten drei europäischen Verordnungen mit Regelungen zur Lieferketten, die Konfliktdiamanten-Verordnung vom 20.12.2002,54 die Holzhandels-Verordnung vom 20.10.201055 und die Konfliktmineralien-Verordnung vom 17.5.2017.56 Ihnen ist gemeinsam, dass sie den gesamten europäischen Markt für Produkte sperren, die nicht den materiellen Vorgaben der Verordnung entsprechen. Maßgebend ist allein, ob die im Binnenmarkt in Umlauf gebrachten Produkte den materiellen Vorgaben des europäischen Rechts entsprechen. Unerheblich ist, ob ein deutsches, europäisches oder außereuropäisches Unternehmen die Produkte im Binnenmarkt in Verkehr bringt.

18 Marktbezogene Regelungskonzepte erfordern allerdings neue und moderne

Aufsichtsinstrumente. Der Vorschlag der Europäische Kommission für eine Richtlinie zu Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen vom 23.2.2022 enthält dafür erste, aber bei weitem nicht genügende Ansätze: Art. 16 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags sieht vor, dass nicht im Binnenmarkt niedergelassene oder ansässige Unternehmen, auf die die Richtlinie Anwendung findet, der zuständigen Aufsichtsbehörde einen Bevollmächtigten benennen. Dadurch wird der Kontakt, aber auch die Zustellung von Verwaltungsakten gegenüber den Unternehmen erleichtert. Wenn Aufsicht wirksam sein soll, müssen neue Aufsichtsinstrumente geschaffen werden, die einerseits „Bringschulden“ des außereuropäischen Unternehmens bei der ordnungsgemäßen Erfüllung von Sorgfaltspflichten begründen, andererseits klar machen, dass der Marktzutritt von der Erfüllung der Sorgfaltspflichten abhängig ist. Ein Vorbild können die Auditierungsvorschriften in Art. 6 der europäischen Konfliktmineralien-Verordnung sein.57 Als wirksam, aber auch besonders rigoros gelten die U.S.-amerikanischen Embargovorschriften. Unternehmen, die U.S.-amerikanische Embargovorschriften verletzen, drohen selbst Ziel amerikanischer Sanktionen zu werden. Sie können von amerikanischen Behörden auf die Liste der Unternehmen gesetzt werden, mit denen amerikanische Unternehmen, Banken und Personen keine Geschäfte machen dürfen. Das gilt ganz unabhängig davon, ob das Unternehmen einen Sitz oder eine Haupt- oder Zweigniederlassung in den Vereinigten Staaten hat.

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Vgl. dazu näher unter Rz. 183. Vgl. dazu näher unter Rz. 188. Vgl. dazu näher unter Rz. 195. Vgl. Art. 6 der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017; dazu Rz. 215.

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Einleitung III. Gesetzgebungsgeschichte 1. International Labour Organisation Zu den wichtigsten historischen Wurzeln des Lieferkettensorgfaltspflichtenge- 19 setzes gehören die acht Kernübereinkommen der International Labour Organisation (ILO)58 nebst einem Zusatzprotokoll über Zwangs- und Pflichtarbeit aus dem Jahre 2014.59 Ziel der International Labour Organisation (ILO) ist es, verbindliche interna- 20 tionale Arbeits- und Sozialstandards zu entwickeln und menschenwürdige Arbeitsbedingungen sowie soziale Sicherung zu fördern. Die Gründung der International Labour Organisation (ILO) geht auf die Pariser Friedenskonferenz nach Beendigung des ersten Weltkriegs zurück. Die Pariser Konferenz setzte am 25.1.1919 eine Kommission für internationale Arbeitsgesetzgebung mit dem Auftrag ein, eine Konvention zur Einrichtung einer ständigen Organisation zur Förderung der internationalen Arbeitsgesetzgebung vorzubereiten.60 Die Kommission legte ihren Bericht mit einem Konventionsentwurf am 24.3.1919 vor. Die Friedenskonferenz nahm den Bericht und die Konvention in ihrer Plenumssitzung am 11.4.1919 an61 und die Konvention als Art. 387 bis 426 in den Versailler Vertrag auf. Bis 1946 war die ILO eine Sonderorganisation des Völkerbundes. Unmittelbar nach Beendigung des zweiten Weltkriegs, auf der Arbeitskonferenz 21 im Herbst 1945 in Paris, beschloss die ILO, Beziehungen zu den Vereinten Nationen aufzunehmen.62 Nach Auflösung des Völkerbundes im April 1946 trat die ILO in Verhandlungen mit dem Econmic and Social Council der Vereinten Nationen ein, um als Sonderorganisation i.S.v. Art. 57 der UN-Charta anerkannt zu werden.63 Der Anerkennungsvertrag wurde am 30.5.1946 unterzeichnet. Die Generalversammlung der ILO hat den Anerkennungsvertrag am 2.10. 1946, die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 14.12.1946 genehmigt.64 Seitdem ist die ILO eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. 58 Vgl. die Auflistung der Übereinkommen in Anlage zu § 2 Abs. 1 LkSG, Ziff. 1 und 3 bis 9. 59 Protokoll vom 11.6.2014 zum Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit (BGBl. 2019 II, S. 437, 438). 60 Vgl. International Labour Office, The Labour Provisions of the Peace Treaties 1920, vor Seite 1 (abrufbar unter https://www.ilo.org/public/libdoc/ilo/1920/20B09_18_engl.pdf). 61 Vgl. International Labour Office, The Labour Provisions of the Peace Treaties 1920, vor Seite 1 (abrufbar unter https://www.ilo.org/public/libdoc/ilo/1920/20B09_18_engl.pdf). 62 Vgl. Protocol concerning the Entry into Force of the Agreement between the United Nations and the International Labour Organization, Official Bulletin der ILO vom 20. December 1946, Vol. XXIX, No. 6, Seite 383 – https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/ public/–dgreports/–jur/documents/genericdocument/wcms_433792.pdf. 63 Vgl. Official Bulletin der ILO vom 20. December 1946, Vol. XXIX, No. 6, Seite 384 (Fundstelle wie vor). 64 Vgl. Official Bulletin der ILO vom 20. December 1946, Vol. XXIX, No. 6, Seite 384 (Fundstelle wie vor).

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Einleitung || 22 Die ILO hat bis heute 189 Konventionen zum Arbeitsschutz verabschiedet. Die

acht Kernkonventionen sind (in historischer Reihenfolge): – Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28.6. 1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit, ergänzt durch das Protokoll vom 11.6. 2014 zum Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit. – Übereinkommen Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 9.7. 1948 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, geändert durch das Übereinkommen vom 26.6.1961. – Übereinkommen Nr. 98 der internationalen Arbeitsorganisation vom 1.7. 1949 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen, geändert durch das Übereinkommen vom 26.6.1961. – Übereinkommen Nr. 100 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29.6. 1951 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit. – Übereinkommen Nr. 105 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 25.6. 1957 über die Abschaffung der Zwangsarbeit. – Übereinkommen Nr. 111 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 25.6. 1958 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf. – Übereinkommen Nr. 138 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 26.6. 1973 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung. – Übereinkommen Nr. 182 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 17.6. 1999 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit.

23 Die acht Kernübereinkommen und das Protokoll vom 11.6.2014 über Zwangs-

und Pflichtarbeit sind sämtlich in die Anlage zu § 2 Abs. 1 LkSG aufgenommen worden. Die in den Übereinkommen und dem Protokoll geregelten Rechtspositionen sind geschützte Rechtspositionen i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG.

2. Vereinte Nationen 24 Die Vereinten Nationen sehen den allgemeinen Schutz der Menschenrechte als

ein Hauptziel ihrer Tätigkeit an. Nach Art. 1 der Charta der Vereinten Nationen gehört es zu den vier Kernzielen der Vereinten Nationen, „eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen.“

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Einleitung a) Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Dezember 1948 Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat mit Beschluss vom 10.12. 25 194865 die International Bill of Human Rights und damit zugleich die Universal Declaration of Human Rights66 verabschiedet. Ziel war es damals, weltweit das Bewusstsein für die Achtung der Menschenrechte zu fördern. Die International Bill of Human Rights ist daher (nur) als allgemeine Erklärung, nicht als völkerrechtlich bindender Vertrag verabschiedet worden. Dementsprechend ist weder die Universal Declaration of Human Rights noch die International Bill of Human Rights den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zur Ratifizierung vorgelegt worden. Sie gehören heute zum Völkergewohnheitsrecht.67 Es war aber von Anfang an geplant, die völkerrechtlich bindenden Pflichten der Vertragsstaaten alsbald nach der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch gesonderten völkerrechtlichen Pakt zu regeln.68 Die Vollversammlung der Vereinten Nationen beauftragte die damalige Commission on Human Rights, einen Menschenrechtspakt (Covenant on Human Rights) zur Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten vorzubereiten und Maßnahmen zur Umsetzung vorzuschlagen.69 b) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12. 1966 (UN-Rechte-Pakt) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966 (UNSozial-Pakt) Die Commission on Human Rights70 legte der Vollversammlung71 im Juli 1954 26 die ersten Entwürfe für die beiden bis heute maßgebenden Vertragswerke der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte vor: (i) den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.196672 (UN-RechtePakt) und (ii) den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und 65 Vgl. International Bill of Human Rights: Universal Declaration of Human Rights, Resolution adopted by the General Assembly of the United Nations on 10 December 1948, A/RES/217(III). 66 Unter Buchstabe A) der International Bill of Human Rights, A/RES/217(III). 67 Vgl. nur Herdegen in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 95. EL Juli 2021, Art. 1 Abs. 2 GG, Rz. 29; auch die Millenniums-Erklärung der Vollversammlung der Vereinten Nationen, A/RES/55/2, Ziff. 25. 68 Vgl. Buchstabe F) der International Bill of Human Rights „Preparation of a Draft Covenant on Human Rights and Draft Measures of Implementation“. 69 Vgl. Buchstabe F) der International Bill of Human Rights „Preparation of a Draft Covenant on Human Rights and Draft Measures of Implementation“. 70 Heute: Human Rights Council. 71 Vorlage über den Economic and Social Council; vgl. Resolution 545 (XVIII) (A) des Economic and Social Council vom 29.7.1954. 72 International Covenant on Civil and Political Rights, adopted and opened for signature, ratification and accession by General Assembly resolution 2200A (XXI) of 16 December 1966, entry into force 23 March 1976.

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Einleitung || kulturelle Rechte vom 19.12.196673 (UN-Sozial-Pakt). Die Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete die beiden Pakte in seiner Plenarsitzung am 16.12.196674 und legte sie den Mitgliedsstaaten zur Unterzeichnung und Ratifizierung vor. Am 23.3.1976 sind der UN-Zivil-Pakt und der UN-Sozial-Pakt in Kraft getreten. Sie bilden bis heute mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte den Kern des menschenrechtlichen Regelwerks der Vereinten Nationen. Die Bundesrepublik Deutschland hat den UN-Zivil-Pakt am 9.10.1968 unterzeichnet und am 15.11.1973 ratifiziert.75 Den UN-Sozial-Pakt hat sie am 9.10.1968 unterzeichnet und am 23.11.197376 ratifiziert. 27 Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hat beide Pakte in den Anhang zu § 2

Abs. 1 LkSG aufgenommen. Die in den Pakten bestimmten Rechtspositionen sind damit zugleich geschützte Rechtsposition i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG. Beide Pakte regeln ausschließlich Pflichten der Vertragsstaaten. Die Verantwortung von Unternehmen zum Schutz von Menschenrechten regeln sie nicht. Eine Transformation der in den Pakten geregelten Rechtspositionen in Sorgfaltspflichten von Unternehmen steht bis heute aus.

c) UN Global Compact 28 Mit der raschen Globalisierung der Märkten in den 1990er Jahren entwickelte

sich eine Debatte um die Verantwortung von Wirtschaftsunternehmen für die Beachtung von Menschenrechten.77 Der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, bot dem Weltwirtschaftsforum in Davos am 31.1.1999 einen globalen Pakt (Global Compact) mit dem Ziel an, sich auf die grundlegenden Werte zum Schutz von Menschenrechten, Arbeitsnormen und Umwelt in Unternehmen zu verständigen.78 Am 26.7.2000 legte er neun Leitprinzipien zur Achtung von Menschenrechten durch Unternehmen und zu grundlegenden Arbeits- und Umweltstandards vor,79 die federführend sein Sonderberater, John Ruggie, entwickelt hatte. Am 24.6.2004 ergänzte er die Leitprinzipien um 73 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, adopted and opened for signature, ratification and accession by General Assembly resolution 2200A (XXI) of 16 December 1966, entry into force 3 January 1976, a/res/2200(xxi). 74 Vgl. Resolution 2200A (XXI) of 16 December 1966 of the General Assembly of the United Nations, entry into force 23 March 1976. 75 Vgl. Gesetz zu dem Internationalen Pakt vom 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte vom 15.11.1973 (BGBl. 1973 II S. 1533). 76 Vgl. Gesetz zu dem Internationalen Pakt vom 19.12.1966 über wirtschaftliche, und kulturelle Rechte vom 23.11.1973 (BGBl. 1973 II S. 1569). 77 Vgl. Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie, vom 21.3.2011, A/HRC/17/31, Seite 3 Ziff. 1. 78 Vgl. Press Release SG/SM/6881 vom 1.2.1999. 79 Vgl., die begleitende Presseerklärung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan, vom 26.7.2000 (https://www.un.org/sg/en/content/sg/articles/2000-0726/new-coalition-universal-values).

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Einleitung ein zehntes Leitprinzip zur weltweiten Bekämpfung von Korruption.80 Grundlage der zehn Leitprinzipien sind: (i) die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,81 (ii) die Erklärung der Internationalen Arbeitsorganisation über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit,82 (iii) die Erklärung von Rio über Umwelt und Entwicklung83 und (iv) das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption.84 Die zehn Leitprinzipien haben den folgenden Wortlaut:

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„Human Rights 30 Principle 1: Businesses should support and respect the protection of internationally proclaimed human rights; and Principle 2: make sure that they are not complicit in human rights abuses. Labour Principle 3: Businesses should uphold the freedom of association and the effective recognition of the right to collective bargaining; Principle 4: the elimination of all forms of forced and compulsory labour; Principle 5: the effective abolition of child labour; and Principle 6: the elimination of discrimination in respect of employment and occupation. Environment Principle 7: Businesses should support a precautionary approach to environmental challenges; Principle 8: undertake initiatives to promote greater environmental responsibility; and Principle 9: encourage the development and diffusion of environmentally friendly technologies. Anti-Corruption Principle 10: Businesses should work against corruption in all its forms, including extortion and bribery.“ Der UN Global Compact enthält keine rechtlich bindenden Vorschriften, son- 31 dern freiwillige Leitprinzipien für verantwortungsvolles unternehmerisches 80 Vgl. Global Compact Leaders Summit, 24 June 2004, Final report, page 5 (https://d306 pr3pise04h.cloudfront.net/docs/news_events%2F8.1%2Fsummit_rep_fin.pdf). 81 Vgl. dazu Rz. 25. 82 Vgl. ILO Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work vom 18.6.1998 (abrufbar unter https://www.ilo.org/public/libdoc/ilo/1998/98B09_234_engl.pdf). 83 Vgl. Abschlusserklärung der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung vom 3. bis zum 14. Juni in Rio de Janeriro (abrufbar unter https://www.un.org/ depts/german/conf/agenda21/rio.pdf). 84 Vgl. Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption vom 31.10.2003, BGBl. II 2014, S. 762.

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Einleitung || Handeln. Unternehmen können dem UN Global Compact durch Erklärung gegenüber dem Generalsekretär der Vereinten Nationen beitreten. Darüber hinaus können nicht-unternehmerische Institutionen, etwa Unternehmensverbände, Städte und Gemeinden, Organisationen der Zivilgesellschaft, Arbeitnehmerorganisationen und öffentliche Institutionen als Mitglieder zugelassen werden. Der UN Global Compact hat 20 Jahre nach Start der Initiative mehr als 19.000 Mitglieder, darunter 15.000 Unternehmen. Mitglieder der Government Group sind gegenwärtig China, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Norwegen, Spanien, Schweden, Schweiz und das Vereinigte Königreich.85 Von den UN-Organen und Organisationen sind u.a. der Hohe Kommissar für Menschenrechte, die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP, die Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung UNIDO und das Büro der Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechen UNODC am Global Compact beteiligt.86 32 Mit dem Beitritt verpflichten sich Unternehmen, (i) die Leitprinzipien anzuer-

kennen und ihnen zu folgen, (ii) einen Beitrag zu den Sustainable Development Goals (SDGs) der 2030 Agenda for Sustainable Development der Vereinten Nationen87 zu leisten und (iii) einen jährlichen Fortschrittsbericht zu erstellen. Mitgliedsunternehmen werden seit 2018 zudem aufgefordert, einen umsatzabhängigen jährlichen Finanzierungsbeitrag zu leisten.

33 Die Aktivitäten des UN Global Compact werden durch das 25-köpfige Board un-

ter Leitung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen geleitet und durch das Global Compact Office unterstützt. Das Board tritt zweimal jährlich zu Board Meetings zusammen und lädt zu dem jährlichen UN Global Compact Leaders Summit ein. Die Aktivitäten des UN Global Compact werden nicht aus dem Haushalt der Vereinten Nationen, sondern aus den Beiträgen der Mitgliedsunternehmen und den Mitteln der Foundation for the Global Compact gedeckt, einer nach dem Recht des U.S.-amerikanischen Bundesstaats New York gegründeten Stiftung.

d) UN Guiding Principles on Business and Human Rights 34 Zeitlich parallel zu den Bemühungen des Generalsekretärs um einen UN Global

Compact hat die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen Ende der 1990er Jahre eine Arbeitsgruppe mit dem Ziel eingesetzt, konkrete Regeln zur Beachtung von Menschenrechten durch Unternehmen zu entwickeln. Die Arbeitsgruppe legte im August 2003 ein erstes Grundlagenpapier „Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with

85 Vgl. https://www.unglobalcompact.org/about/finances. 86 Vgl. die Nachweise bei ICC Germany e.V. Internationale Handelskammer, UN Global Compact (abrufbar unter https://www.iccgermany.de/ueber-icc-germany/un-globalcompact/). 87 Vgl. Resolution 70/1 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 25.9.2015 „Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development“, A/RES/70/1.

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Einleitung Regard to Human Rights“ vor.88 Darin schlug sie vor, Unternehmen im Wesentlichen dieselben Menschenrechtspflichten aufzuerlegen, wie sie die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen im Rahmen der von ihnen ratifizierten Abkommen und Verträge übernommen hatten. Diesen Vorschlag lehnte die Commission on Human Rights als zu weitgehend ab und erteilte dem Generalsekretär der Vereinten Nation mit Beschluss vom 20.4.200589 das Mandat, einen Sonderbeauftragten mit der Entwicklung von Standards zur Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechte zu betrauen. Der damalige Generalsekretär setzte als Sonderbeauftragten wie schon bei der Vorbereitung des UN Global Compact den Harvard-Professor John Ruggie ein, der nach mehrjährigen Konsultationen am 21.3.2011 seinen Abschlussbericht und seinen Vorschlag für die „Guiding Principles on Business and Human Rights“90 vorlegte. Mit Beschluss vom 6.7.2011 nahm der Human Rights Council der Vereinten Nationen den Bericht und die Guiding Principles an.91 aa) Übersicht über die Guiding Principles on Business and Human Rights Die Guiding Principles on Business and Human Rights sind das international 35 wichtigste Rahmenwerk zur Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechte. Sie haben sich seit 2011 als Referenzrahmen in der Arbeit vieler internationaler Organisationen zu Wirtschaft und Menschenrechten fest etabliert. Die Guiding Principles on Business and Human Rights sind in drei Kapitel un- 36 tergliedert, die mit insgesamt 31 handlungsleitenden Prinzipien unterlegt sind: Das erste Kapitel umfasst 10 Leitprinzipien, die die Pflichten von Staaten zum Schutz von Menschenrechten durch Unternehmen beschreiben. Das zweite Kapitel, das in 14 Leitprinzipien untergliedert ist, zeigt die Sorgfaltspflichten von Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten auf. Das dritte Kapitel beschreibt in 7 Leitprinzipien die Maßnahmen, die Staaten und Unternehmen ergreifen sollen, um Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen zu untersuchen, zu ahnden und Abhilfe zu schaffen. Jedem Kapitel wird durch ein allgemeines Leitprinzip eingeleitet und durch weitere Leitprinzipien ausgeführt. Jedes Leitprinzip ist mit Kommentaren versehen. 88 Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights, Resolution 2003/ 16, U.N. Doc. E/CN.4/Sub.2/2003/L.11 at 52 (2003). 89 The Commission on Human Rights, Human rights and transnational corporations and other business enterprises, Human Rights Resolution 2005/69, E/CN.4/RES/2005/69. 90 Vgl. Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie, vom 21.3.2011, A/HRC/17/31, im Annex. 91 Vgl. Human Rights Council, Resolution 17/4 dated 6 July 2011 unter Ziff. 1.: „Human rights and transnational corporations and other business enterprises“, A/HRC/RES/17/4: „The Human Rights Council … welcomes the work and contributions of the Special Representative of the Secretary-General on human rights and transnational corporations and other business enterprises, and endorses the Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations ‚Protect, Respect and Remedy‘ Framework, as annexed to the report of the Special Representative; …“.

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Einleitung || bb) Rechtsqualität der Guiding Principles on Business and Human Rights 37 Die Guiding Principles on Business and Human Rights schaffen keine neuen

Menschenrechtsstandards und beinhalten – wie der UN Global Compact – keine zusätzlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen von Staaten oder Unternehmen.92 Sie formulieren politische Zielsetzungen für Unternehmen und Staaten, deren Umsetzung aber rechtlich nicht einklagbar ist.93 Sie sind auch nicht als völkerrechtlicher Vertrag ausgestaltet und nicht offen für die Ratifizierung durch Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages nimmt an, dass sie gleichwohl im Wege der völkerrechtsfreundlichen Auslegung Berücksichtigung im nationalen Rechtsraum finden können.94 Für den deutschen Gesetzgeber des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes waren sie ein wesentlicher Orientierungspunkt.95

38 Der Human Rights Council strebt eine stärkere Integration der Guiding Princi-

ples in das nationale Recht der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen an: Mit Beschluss vom 14.7.2014 hat er eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die ein völkerrechtlich bindendes Abkommen zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte vorbereiten soll.96 cc) Die Pflicht von Staaten zur Beachtung der Menschenrechte durch Unternehmen

39 Die ersten zehn Leitprinzipien richten sich an Staaten und sind eine Art „Auf-

gabenheft“ für Staaten. Sie zeigen auf, in welchen Punkten Staaten im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit von Unternehmen besondere Verantwortung übernehmen sollten und in welchen Politikfeldern ein Hebel zur Anhebung menschenrechtlicher Standards in den globalen Märkten besteht.97 Sie reichen von der Aufforderung, sinnvolle und ausreichende gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, über den Hinweis, im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten und mit Blick auf Unternehmen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist, 92 So auch Nationaler Aktionsplan „Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte 2016–2020“ der Bundesregierung, Seite 4. 93 Vgl. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten und die VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, Sachstand vom 17.3.2021, WD 2 – 3000 – 022/21, Seite 6. 94 Vgl. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten und die VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, Sachstand vom 17.3.2021, WD 2 – 3000 – 022/21, Seite 6. 95 Vgl. Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 2. 96 Vgl. Human Rights Council, Resolution 26/9 adopted on 14 July 2014 „Elaboration of an international legally binding instrument on transnational corporations and other business enterprises with respect to human rights“, A/HRC/RES/26/9. 97 Vgl. So auch Nationaler Aktionsplan „Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte 2016–2020“ der Bundesregierung, Seite 5.

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Einleitung „mit gutem Beispiel voranzugehen“, bis hin zur Aufforderung, Unternehmen bei der weltweiten Achtung von Menschenrechten Unterstützung und Hilfe anzubieten. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Bundesregierung in dem Nationalen Aktionsplan „Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte 2016–2020“98 darlegt, mit welchen Beispielen in öffentlichen Unternehmen sie vorangehen und wie sie Unternehmen unterstützen will, menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken zu erkennen und zu bewerten. Tatsächlich hat der Nationale Aktionsplan beide Aspekte unberücksichtigt gelassen. Erst recht fehlt es an einem planmäßigen und seit 2016 verfolgten systematischen Aufbau von Instrumenten, mit denen die Erfüllung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen unterstützt wird. Nahegelegen hätte etwa der Aufbau oder die Mitwirkung an europäischen oder internationalen Datenbanken oder wenigsten die Erarbeitung von rechtlichen und technischen Methoden, mit denen europäische oder internationale Datenbanken aufgebaut werden könnten. Auch die frühzeitige Schaffung eines öffentlichen Meldekanals oder eines Gremiums, in dem Personen mit richterlicher Unabhängigkeit Vorwürfe von internationalen Menschenrechtsverletzungen mit Bezug zu Unternehmen in Deutschland feststellen und bewerten, hätte nicht ferngelegen. Das hätte dem Gesetzgeber auch eine bessere empirische Grundlage bei der Bewertung von menschenrechts- oder umweltbezogenen Risiken gegeben. (1) Leitprinzip 1 (Pflicht der Staaten zum Schutz von Menschenrechten) Leitprinzip 1 erinnert Staaten an ihre allgemeine völkerrechtliche Pflicht, in ih- 40 rem Hoheitsgebiet Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu gewährleisten, gleich ob diese von Unternehmen oder Dritten begangen werden. Ziel der Schutzmaßnahmen der Staaten müsse es sein, Menschenrechtsverletzungen zu verhüten, also präventiven Schutz zu gewähren, eingetretene Menschenrechtsverletzungen zu untersuchten und zu ahnden sowie für Wiedergutmachung Sorge zu tragen. (2) Leitprinzip 2 (Inpflichtnahme von Unternehmen) Leitprinzip 2 trägt Staaten auf, gegenüber allen in ihrem Hoheitsgebiet ansässi- 41 gen oder ihrem Recht unterliegenden Unternehmen klar die Erwartung zum Ausdruck zu bringen, die Menschenrechte bei ihrer gesamten Geschäftstätigkeit zu achten, gleich ob im oder außerhalb des staatlichen Hoheitsgebiets. Staaten seien zum Schutz der Menschenrechte nur in ihrem Hoheitsgebiet verpflichtet. Es gebe aber gewichtige Gründe, Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten auch im Ausland anzuhalten. Das gelte insbesondere, wenn der Staat selbst an dem Unternehmen beteiligt ist oder das Unternehmen durch staatliche Leistungen unterstützt.

98 Vgl. dazu näher unter Rz. 77.

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Einleitung || (3) Leitprinzip 3 (Gesetzgeberische Maßnahmen) 42 Leitprinzip 3 hält Staaten an, sinnvolle und angemessene gesetzgeberische

Maßnahmen zu ergreifen, um Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten in ihrer Geschäftstätigkeit zu verpflichten. Dabei schwebt den Verfassern der Guiding Principles offensichtlich nicht nur ein bloßes Verbotsregime vor. Die Staaten sollten vielmehr, so die Kommentierung zu dem dritten Leitprinzip, „eine intelligente Mischung nationaler und internationaler, bindender und freiwilliger Maßnahmen in Erwägung ziehen, um die Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen zu fördern.“ (4) Leitprinzip 4 (Staatliche Maßnahmen in Unternehmen im staatlichen Anteilsbesitz oder unter staatlicher Kontrolle)

43 Leitprinzip 4 nimmt Staaten besonders in die Pflicht, wenn sie an einem Unter-

nehmen selbst beteiligt sind, dieses kontrollieren oder unterstützen, etwa durch staatliche Exportkredite, öffentliche Investitionsversicherungen oder staatliche Garantien. Die Guiding Principles sehen Staaten mit Recht in einer Vorreiterrolle und erinnern daran, dass die Verletzung von Menschenrechten durch Unternehmen im staatlichen Anteilsbesitz oder unter staatlicher Kontrolle im Einzelfall sogar als eine Verletzung von völkerrechtlichen Verpflichtungen durch den Staat selbst zu beurteilen sein können.

(5) Leitprinzip 5 (Staatliche Aufsicht bei Übernahme von Dienstleistungen für die öffentliche Hand durch private Unternehmen) 44 Leitprinzip 5 sieht die Staaten in einer besonderen Aufsichtspflicht auch gegen-

über Unternehmen, die auf vertraglicher oder gesetzlicher Grundlage Dienstleistungen für Staaten übernehmen. Die Staaten seien gehalten, durch wirksame Aufsicht die Beachtung von Menschenrechten durch diese Unternehmen sicherzustellen. (6) Leitprinzip 6 (Beachtung von Menschenrechten durch staatliche Zulieferer)

45 Leitprinzip 6 gibt Staaten auf, insbesondere staatlichen Zulieferern im Rahmen

des öffentlichen Beschaffungswesens die Achtung von Menschenrechten zwingend vorzugeben. (7) Leitprinzip 7 (Unterstützung von Unternehmen, die in von Konflikten betroffenen Gebieten tätig sind/Ausschluss von öffentlichen Aufträgen)

46 Leitprinzip 7 sieht Staaten in einer besonderen Pflicht, wenn Unternehmen in

von Konflikten betroffenen Gebieten tätig sind. In solchen Gebieten sei die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen erhöht. Staaten sollten in einer möglichst 24

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Einleitung frühen Phase das Gespräch mit Unternehmen suchen und ihnen helfen, menschenrechtsbezogene Risiken in ihrer Geschäftstätigkeit und bei Geschäftspartnern zu erkennen, zu vermeiden und zu mildern. Besondere Aufmerksamkeit sei der Prävention gegen geschlechtsbasierte und sexualisierte Gewalt geschuldet. Einem Unternehmen, das an groben Menschenrechtsverletzungen beteiligt sei und sich weigere, bei der Handhabung der Lage zu kooperieren, müsse der Zugang zu öffentlicher Förderung und öffentlichen Dienstleistungen verwehrt werden. Aus der Kommentierung des Leitsatzes ergibt sich, dass der Leitsatz auf eine engere Zusammenarbeit zwischen Unternehmen einerseits und Entwicklungshilfeorganisationen, Außen- und Handelsministerien, Exportfinanzierungseinrichtungen und Botschaften des Gast- und Heimatlandes hinwirken will. Er empfiehlt, Frühwarnindikatoren zu erarbeiten, um staatliche Einrichtungen und Wirtschaftsunternehmen auf Probleme aufmerksam zu machen. (8) Leitprinzip 8 (Gewährleistung von Politikkohärenz) Zur Gewährleistung einer kohärenten Politik fordert das Leitprinzip 8 Staaten 47 auf, Sorge zu tragen, dass sich staatliche Stellen, die Einfluss auf die Unternehmen haben, insbesondere die für Unternehmens- und Kapitalmarktrecht sowie die für Investitionen, Exportkredite und Exportversicherung, Handel und Arbeit zuständigen Stellen, den Pflichten des Staates zum Schutz der Menschenrechte bewusst sind und diese beachten. Den Staaten wird empfohlen, mit einem „umfassenden, auf vertikale wie horizontale innerstaatliche Politikkohärenz gerichteten Konzept an die unternehmerische und die menschenrechtsbezogene Agenda heranzugehen“.99 (9) Leitprinzip 9 (Investitionsabkommen und -verträge) Leitprinzip 9 gibt den Vertragsstaaten auf, der Erfüllung ihrer menschenrecht- 48 lichen Verpflichtungen besondere Beachtung zu schenken, wenn sie mit anderen Staaten oder mit Wirtschaftsunternehmen Investitionsabkommen oder Investitionsverträge abschließen. Dahinter steht die Sorge, dass die Vertragsbedingungen internationaler Investitionsvereinbarungen, Staaten von der uneingeschränkten Umsetzung neuer menschenrechtsbezogener Rechtsvorschriften abhalten oder sie bei Umsetzung dem Risiko eines bindenden internationalen Schiedsverfahrens aussetzen können. (10) Leitprinzip 10 (Multilaterale Institutionen) Leitprinzip 10 weitet den Grundgedanken von Leitsatz 9 auf die Mitgliedschaft 49 in multilateralen Institutionen aus, insbesondere internationalen Handels- und Finanzinstitutionen, und fordert auch für diese einen auf strikte Politikkohärenz ausgerichteten Ansatz. 99 Vgl. den Kommentar zum achten Leitprinzip: Guiding Principles on Business and Human Rights, A/HRC/17/31, Seite 11 f.

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Einleitung || dd) Die Pflicht von Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte 50 14 Leitprinzipien – die Leitprinzipien 11 bis 24 – beschreiben die Regeln, denen

Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte folgen sollen.

(1) Leitprinzip 11 (Generelle Pflicht zur Achtung von Menschenrechten) 51 Leitprinzip 11 formuliert eine (vor die Klammer gezogene) Generalregel, näm-

lich die generelle Pflicht von Unternehmen, Menschenrechte in ihrer Geschäftstätigkeit zu achten. Das Leitprinzip stellt klar, dass Unternehmen dem Schutz von Menschenrechten weltweit verpflichtet sind. Die Guiding Principles sind zwar vor allem mit Blick auf international tätige Unternehmen entwickelt worden, beanspruchen aber Beachtung durch alle Wirtschaftsunternehmen, ungeachtet ihrer Größe, der Branchen, in denen sie tätig sind, ihres Standorts, ihrer Eigentumsverhältnisse und ihrer Struktur.100 Eine Unterscheidung nach Mitarbeiterzahl, wie sie in § 1 LkSG bestimmt ist, kennen die Guiding Principles nicht. Die Pflicht zur Achtung von Menschenrechten besteht, so Leitprinzip 11, selbst dann, wenn es dem Staat, in dem sie tätig sind, an der Fähigkeit oder Bereitschaft fehlt, den eigenen menschenrechtlichen Pflichten nachzukommen.

52 Leitprinzip 11 versteht unter der Achtung von Menschenrechten, dass Unter-

nehmen einerseits Menschenrechte anderer nicht beeinträchtigen und andererseits nachteiligen menschenrechtlichen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit begegnen. Anders als die ersten zehn, an Staaten gerichteten Leitprinzipien steht nicht der Begriff der Menschenrechtsverletzung im Vordergrund, sondern die rechtlich wesentlich unschärferen Begriffe der Beeinträchtigung der Menschenrechte Dritter und der negativen menschenrechtlichen Auswirkungen. Die mit den Guiding Principles veröffentlichten Kommentare zu den Leitprinzipien erklären die beiden Begriffe nicht. Unter dem Begriff der Beeinträchtigung ist ein Verhalten zu verstehen, mit dem in ein geschütztes Menschenrecht eingegriffen wird. Der Begriff der negativen menschenrechtlichen Auswirkung schließt auch Sachverhalte ein, in denen es noch nicht zu einer Beeinträchtigung gekommen ist, von einem verantwortlich handelnden Unternehmen aber bei vernünftiger Betrachtung ein rechtewahrendes und einer möglichen Menschenrechtsverletzung vorbeugendes Verhalten erwartet werden kann. Das LkSG hat den Begriff der „negativen menschenrechtlichen Auswirkung“ nicht übernommen, sondern knüpft in § 2 Abs. 2 an das Bestehen eines menschenrechtlichen Risikos an. Darunter versteht das Gesetz einen Zustand, bei dem aufgrund tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen eines der in Abs. 2 bestimmten menschenrechtlichen Verbote droht.101 Wenn man annimmt, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass ein verantwortungsbewusster Kaufman bei verständiger Beurteilung in der gegebenen Situation den Sachverhalt weiter aufklären und/oder präventive Maßnah100 Vgl. Guiding Principles on Business and Human Rights, A/HRC/17/31, Seite 6. 101 Vgl. dazu näher § 2 Rz. 101.

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Einleitung men ergreifen würde,102 deckt sich der Begriff des menschenrechtlichen Risikos weitgehend mit dem Begriff der negativen menschenrechtlichen Auswirkungen in Leitprinzip 11. (2) Leitprinzip 12 (Schutz der „international anerkannten Menschenrechte“) Leitprinzip 12 verlangt von Unternehmen, die „international anerkannten Men- 53 schenrechte“ zu achten und legt damit fest, was Gegenstand der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen ist. Das Leitprinzip rechnet zu den international anerkannten Menschenrechten (i) die durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte geschützten Rechte, (ii) die durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte geschützten Rechtspositionen und (iii) die durch die acht ILO-Kernabkommen der Internationalen Arbeitsorganisation geschützten grundlegenden Arbeitnehmerrechte. Die Menschenrechte, deren Beachtung die Guiding Principles Unternehmen aufgeben, deckt sich mit dem Begriff der geschützten Rechtspositionen in § 2 Abs. 1 LkSG.103 Die ILO-Übereinkommen sind ebenso wie der UN-Zivil-Pakt und der UN-Sozial-Pakt völkerrechtliche Verträge, die die Vertragsstaaten in die Pflicht nehmen. Es ist ein wesentliches Versäumnis der internationalen Diskussion, dass nicht klarer herausgearbeitet worden ist, welche in den Übereinkommen und insbesondere in den beiden UN-Pakten geschützten Rechte auch von Unternehmen zu achten sind und was der auch von Unternehmen zu achtende Schutzbereich der Rechte ist. Dass es Unterschiede in dem Pflichtenkatalog von Vertragsstaaten und Unternehmen geben muss, ist offensichtlich.104 Darüber hinaus fordern die Guiding Principles Wirtschaftsunternehmen auf, die 54 international und insbesondere durch UN-Rechtsakte geschützten Rechte von indigenen Völkern, Frauen, Personen, die nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten angehören, Kindern, Menschen mit Behinderungen sowie Wanderarbeitnehmern und ihren Familienangehörigen zu wahren und im Rahmen bewaffneter Konflikte die Standards des humanitären Völkerrechts einzuhalten. Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit105 greift diese Gesichtspunkte auf, das LkSG ist dagegen auf die Gewährleistung der international anerkannten Menschenrechte konzentriert.

102 103 104 105

Vgl. dazu Vgl. dazu Vgl. dazu Vgl. dazu

näher näher näher näher

§ 2 Rz. 102. § 2 Rz. 2. § 2 Rz. 4. Rz. 143.

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Einleitung || (3) Leitprinzip 13 (Verantwortung in der Wertschöpfungskette) 55 Leitprinzip 13 stellt klar, dass sich die menschenrechtliche Verantwortung von

Unternehmen nicht nur auf den eigenen Tätigkeitsbereich beschränkt, sondern in alle Teile einer Wertschöpfungskette hineinreichen könne. Die Guiding Principles unterscheiden anders als das LkSG nicht trennscharf zwischen den Sorgfaltspflichten mit Blick auf unmittelbare Zulieferer einerseits und mittelbare Zulieferer andererseits. Nach den Guiding Principles stehen Unternehmen nicht erst dann in der Pflicht, wenn sie, durch ein positives Tun oder ein pflichtwidriges Unterlassen, einen Beitrag zu einer Menschenrechtsverletzung leisten, sondern schon dann, wenn nachteilige Auswirkungen auf Menschenrechte „auf Grund einer Geschäftsbeziehung mit ihrer Geschäftstätigkeit, ihren Produkten oder Dienstleistungen unmittelbar verbunden sind.“ Wann diese Voraussetzung gegeben ist, wird nicht weiter erläutert und bleibt unklar. (4) Leitprinzip 14 (Umfang der Verantwortung)

56 Leitprinzip 14 bestimmt, dass sich die Verantwortung von Unternehmen nach

Größe, Branche, operativem Umfeld, Eigentumsverhältnissen und Struktur, aber vor allem auch nach der Schwere der menschenrechtlichen Beeinträchtigungen richte. Kleinere Unternehmen müssten die Beachtung der Menschenrechte in der Regel mit anderen, nicht notwendig weniger nachhaltigen Verfahren sichern als große Unternehmen. Umfang und Komplexität der Maßnahmen, durch die Unternehmen ihrer Verantwortung nachkommen, können jedoch nach Maßgabe dieser Faktoren und der Schwere ihrer nachteiligen menschenrechtlichen Auswirkungen variieren.

57 Die Sorgfaltspflichten könnten sich auch danach unterscheiden, so die Kom-

mentierung zum Leitprinzip 14, ob das Unternehmen Teil einer Unternehmensgruppe ist oder ihr Geschäft eigenständig betreibt. Wie die Beachtung der Menschenrechte in einem Konzern sicherzustellen ist, beschreiben die Guiding Principles nicht. Der Grund dafür ist wohl, dass die Guiding Principles jedes Unternehmen in der Pflicht sehen, für die Beachtung der Menschenrechte Sorge zu tragen. Gleichwohl wäre es wünschenswert gewesen, Sonderregeln für die Gewährleistung der Menschenrechte in einem Konzern zu entwickeln.

(5) Leitprinzip 15 (Umfang der Verantwortung) 58 Leitprinzip 15 verlangt Unternehmen, die erforderlichen Prozesse und Maß-

nahmen zum Schutz von Menschenrechten zu ergreifen. Sie rechnet dazu insbesondere (i) eine Grundsatzerklärung über die Beachtung der Menschenrechte, (ii) ausreichende Präventivmaßnahmen, um einer Beeinträchtigung von Menschenrechten vorzubeugen, und (iii), wenn eine Menschenrechtsverletzung eintritt, die Beendigung und Wiedergutmachung. Alle drei Aspekte werden in den Leitprinzipien 16 bis 24 näher erläutert.

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Einleitung (6) Leitprinzip 16 (Grundsatzverpflichtung) Leitprinzip 16 konkretisiert die Anforderungen an die menschenrechtliche 59 Grundsatzverpflichtung eines Unternehmens. Sie muss – durch die höchste Führungsebene im Unternehmen verabschiedet worden sein; – sich auf ausreichendes internes und/oder externes Fachwissen stützen; – einen klaren „tone from the top“ geben, d.h. menschenrechtsbezogene Erwartungen an Mitarbeiter, Geschäftspartner und sonstigen Dritten formulieren; – öffentlich verfügbar sein und allen Mitarbeitern, Geschäftspartnern und sonstigen Dritten, etwa Investoren oder staatlichen Organen, zur Kenntnis gebracht werden, etwa durch ein Schulungsangebot; – die Verfahren und Regeln benennen, die zur Achtung von Menschenrechten beitragen sollen, etwa Vergütungsregeln, interne Vorgaben für Beschaffung oder Lobbytätigkeiten. (7) Leitprinzip 17 (Grundlagen der Sorgfaltspflicht von Unternehmen) Leitprinzip 17 beschreibt die Grundlagen, an denen sich die menschenrecht- 60 lichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen ausrichten müssen. (a) Sie müssen sich sowohl auf mögliche eigene Beeinträchtigungen von Menschenrechten als auch auf die Beeinträchtigungen Dritter erstrecken, zu denen das Unternehmen beiträgt oder die infolge ihrer Geschäftsbeziehungen zu dem Dritten mit seiner Geschäftstätigkeit, seinen Produkten oder Dienstleistungen unmittelbar verbunden sind. Einen Beitrag sieht das Leitprinzip nicht nur in einer – möglicherweise zur Mittäterschaft führenden – Unterstützungsleistung, sondern bereits dann, wenn das Unternehmen von den Menschenrechtsverletzungen Dritter profitiert. (b) Der Umfang der Sorgfaltspflichten muss sich an der Größe des Unternehmens, dem Risiko schwerer Menschenrechtsverletzungen und der Art und Komplexität der Geschäftstätigkeit des Unternehmens orientieren. In der Kommentierung zum Leitsatz wird empfohlen, bereits bei Aufnahme von neuen Geschäftsbeziehungen der Prävention von Menschenrechtsverletzungen, etwa durch Vertragsbestimmungen, angemessenen Raum zu geben. Bei komplexen Wertschöpfungsketten kann, so erkennt die Kommentierung an, eine umfassende Kontrolle menschenrechtlicher Standards nicht zumutbar sein. Es empfiehlt eine Ermittlung der Risikoposition nach Risikoclustern und eine Priorisierung. (c) Der präventive Schutz von Menschenrechten soll als eine fortlaufende Aufgabe verstanden werden und Änderungen in der Geschäftstätigkeit und im operativen Umfeld des Unternehmens berücksichtigen.

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Einleitung || (8) Leitprinzip 18 (Risikoanalyse) 61 Zu den Sorgfaltspflichten von Unternehmen zählt Leitprinzip 18 die Risikoana-

lyse. Die Risikoanalyse müsse auf genügendes internes oder externes Fachwissen gestützt werden. Sie solle, wo dies sinnvoll erscheine, Konsultationen mit den in Betracht kommenden Stakeholdern einschließen. Die Kommentierung zum Leitprinzip ergänzt, dass sie die Feststellung des potentiell betroffenen Personenkreises, eine Katalogisierung der einschlägigen Menschenrechtsnormen und -probleme und eine Prognose der menschenrechtlichen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit einschließe. Die Risikoanalyse solle frühzeitig, etwa bei Aufnahme einer neuen Geschäftsbeziehung oder eines neuen Geschäftsvorhabens, vorgenommen werden. Veränderungen im Geschäftsumfeld (etwa zunehmende soziale Spannungen) seien ebenso zu berücksichtigen. Besondere Aufmerksamkeit sei dem Schutz besonders vulnerablen oder von Marginalisierung bedrohten Gruppen oder Bevölkerungsteile sowie den unterschiedlichen Risiken zu schenken, denen Frauen und Männer ausgesetzt sein können. (9) Leitprinzip 19 (Prävention)

62 Leitprinzip 19 gibt Hinweise zur Prävention gegen Menschenrechtsverletzung im

Unternehmen und der Wertschöpfungskette. Nach dem Leitprinzip ist erforderlich, – die Verantwortung für den Schutz von Menschenrechten einer angemessenen Führungsebene im Unternehmen zuzuordnen und eine klare Aufgabenzuweisung vorzunehmen; – interne Entscheidungs-, Mittelzuweisungs- und Aufsichtsverfahren einzuführen, die es ermöglichen, menschenrechtlichen Risiken wirksam entgegenzuwirken.

63 Die Prävention müsse unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob das Unterneh-

men ein menschenrechtliches Risiko selbst verursacht oder daran lediglich beteiligt ist. Für den Umfang der Sorgfaltspflicht komme es ferner auf die Einflussmöglichkeiten des Unternehmens an. Wie das Unternehmen auf eine durch einen Dritten verursachte Risikolage reagiere, hänge auch davon ab, welche Auswirkung eine Beendigung der Geschäftsbeziehung zu dem Dritten auf das Unternehmen habe. Besondere Schwierigkeiten könnten entstehen, wenn das Unternehmen auf die Zulieferung des Dritten angewiesen sei.

(10) Leitprinzip 20 (Wirksamkeitskontrolle) 64 Nach Leitprinzip 20 schließt die Sorgfaltspflicht von Unternehmen Wirksam-

keitskontrollen ein.

(11) Leitprinzip 21 (Rechenschaft und Berichterstattung) 65 Leitprinzip 21 fordert Unternehmen zu regelmäßiger Rechenschaft und Bericht-

erstattung über ihre Anstrengungen zum Schutz von Menschenrechten auf. 30

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Einleitung (12) Leitprinzip 22 (Einschreiten bei Menschenrechtsverletzungen) Leitprinzip 22 verlangt von Unternehmen, die zu Menschenrechtsverletzungen 66 beigetragen haben, sofortige Anstrengungen zur Beendigung der nachteiligen Auswirkungen auf Menschenrechte zu unternehmen und begangenes Unrecht wieder gut zu machen. (13) Leitprinzip 23 (Behandlung als Compliance-Frage) Leitprinzip 22 empfiehlt Unternehmen, schon um eigene Haftung zu vermeiden, 67 die Fragen des Umgangs mit menschenrechtlichen Risiken weltweit als Compliance-Fragen zu behandeln, also Fragen der Konformität der eigenen Geschäftstätigkeit mit geltendem Recht. (14) Leitprinzip 24 (Zeitliche Priorisierung) Leitprinzip 22 gibt Unternehmen eine Priorisierungsregel in Fällen, in denen sich 68 das Unternehmen nicht mit gleicher Intensität um die Behandlung aller menschenrechtlichen Risiken befassen kann: Unternehmen sollen die schwerwiegendsten menschenrechtlichen Risikolagen bzw. die Fälle mit Vorrang behandeln, in denen eine Verzögerung zu nicht wiedergutzumachenden Nachteilen führen kann. ee) Zugang zu Abhilfe Die Leitprinzipien 25 bis 31 befassen sich mit der Gewährung von Rechtsschutz 69 für betroffene Personen und andere Formen der Abhilfe bei eingetretenen oder drohenden Menschenrechtsverletzung. (1) Leitprinzip 25 (Gewährung von Rechtsschutz durch Staaten) Leitprinzip 25 erinnert Staaten – erneut als eine vor die Klammer gezogene all- 70 gemeine Generalvorschrift – an ihre allgemeine Pflicht, in ihrem Hoheitsgebiet mit gerichtlichen, administrativen, gesetzgeberischen oder anderen geeigneten Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass die Betroffenen Zugang zu wirksamem Rechtsschutz und Abhilfe haben, wenn ihre Menschenrechte verletzt werden. (2) Leitprinzip 26 (Zugang zu Gerichten) Leitprinzip 26 führt ergänzend aus, dass der Zugang zu Gerichten von zentraler 71 Wichtigkeit für alle Formen der Abhilfe ist. Es müssen geeignete gerichtliche Verfahren zur Verfügung stehen, aber auch materielle Schutznormen, deren Ziel es etwa sein müsse, entstandenen menschenrechtlichen Schäden entgegenzuwirken und sie wiedergutzumachen. Die Abhilfe könne, so der Kommentar zum Leitprinzip, Entschuldigungen, Rückerstattung, Folgenbeseitigung, finanziellen oder nicht-finanziellen Schadensersatz und Strafmaßnahmen (straf- oder verwaltungsrechtlicher Art, wie etwa Geldstrafen) sowie die Schadensverhütung Gehling

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Einleitung || etwa durch einstweilige Verfügungen und Nichtwiederholungsgarantien umfassen. Die Abhilfeverfahren sollten, so die Kommentierung zum Leitprinzip weiter, unparteiisch, vor Korruption geschützt und frei von politischen oder sonstigen Einflüssen sein. (3) Leitprinzipien 27 bis 30 (Außergerichtliche Beschwerdemechanismen der Staaten) 72 Die UN Guiding Principles erwarten von Staaten darüber hinaus, auch Zugang

zu außergerichtlichen Schutzverfahren und Beschwerdemechanismen zu eröffnen. Solche Verfahren könnten mit Vorteilen verbunden sein, etwa den leichten Zugang zum Verfahren, rasche Entscheidungen über Wiedergutmachung, geringeren Kosten und grenzüberschreitender Reichweite.

(4) Leitprinzip 31 (Anforderungen an wirksame Beschwerdemechanismen) 73 Leitprinzip 31 gibt einen Anforderungskatalog vor, dem wirksame Beschwerde-

mechanismen entsprechen sollen. Sie sollen (a) legitim, (b) leicht zugänglich, (c) berechenbar, (d) ausgewogen, (e) transparent, (f) Rechte-kompatibel, (g) eine Quelle kontinuierlichen Lernens sein und – soweit im Unternehmen – (h) auf Austausch und Dialog aufbauen. 3. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen

74 Zeitlich parallel zur Vorbereitung der UN Guiding Principles on Business and

Human Rights hat die OECD die 1976 erstmals aufgelegten Leitsätze für multinationale Unternehmen überarbeitet und – in enger inhaltlicher Abstimmung mit den UN Guiding Principles on Business and Human Rights – ein Kapital aufgenommen, das multinationale Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte auffordert.106 Die Überarbeitung der OECD-Leitsätze wurde von den 42 Regierungen der Teilnehmerstaaten auf der Tagung des Rats der OECD auf Ministerebene am 25.5.2011 angenommen.107 Die OECD hat die Leitsätze für multinationale Unternehmen 2018 um den „OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflichten für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln“108 sowie weitere branchenspezifische Leitfäden109 ergänzt. 106 Vgl. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Neufassung 2011, Seite 4 und 36 f. (abrufbar unter https://mneguidelines.oecd.org/48808708.pdf). 107 Vgl. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Neufassung 2011, Seite 4 (abrufbar unter https://mneguidelines.oecd.org/48808708.pdf). 108 Vgl. OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflichten für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, 2018 (abrufbar unter http://mneguidelines.oecd.org/ OECD-leitfaden-fur-die-erfullung-der-sorgfaltspflicht-fur-verantwortungsvolles-unter nehmerisches-handeln.pdf). 109 Vgl. den Überblick auf Seite 11 des OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflichten für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, 2018.

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Einleitung 4. Gesetzesentwicklung in Deutschland a) Abschlusserklärung des G7-Gipfels vom 7. und 8.6.2015 Die Gesetzesentwicklung in Deutschland geht auf die Abschlusserklärung des 75 G7-Gipfels vom 7. und 8.6.2015 in Deutschland zurück.110 Die Abschlusserklärung führt zur „Verantwortung in der Lieferkette“ aus: „Aufgrund unseres herausragenden Anteils am Globalisierungsprozess kommt 76 den G7-Staaten eine wichtige Rolle bei der Förderung von Arbeitnehmerrechten, guten Arbeitsbedingungen und des Umweltschutzes in globalen Lieferketten zu. Wir streben eine bessere Anwendung international anerkannter Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards, -grundsätze und -verpflichtungen (insbesondere von Übereinkünften der VN, der OECD und der IAO sowie anwendbarer Umweltabkommen) in globalen Lieferketten an. […] Wir unterstützen nachdrücklich die VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und begrüßen die Bestrebungen zur Erstellung substanzieller Nationaler Aktionspläne. […] Wir werden Maßnahmen zur Förderung besserer Arbeitsbedingungen ergreifen, indem wir die Transparenz erhöhen, das Erkennen und die Prävention von Risiken fördern und Beschwerdemechanismen stärken. […] Zur Verbesserung von Transparenz und Rechenschaftslegung in Lieferketten ermutigen wir Unternehmen, die in unseren Staaten operieren oder ihren Hauptsitz haben, Verfahren zur Wahrung der Sorgfaltspflicht bezüglich ihrer Lieferketten einzuführen, beispielsweise freiwillige Maßnahmen oder Leitlinien zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht. […] Wir unterstützen einen ‚Vision-Zero-Fonds‘, der in Zusammenarbeit mit der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) eingerichtet wird. Der Fonds hat zum Ziel, durch die Stärkung öffentlicher Rahmenbedingungen und die Einführung nachhaltiger Geschäftspraktiken dazu beizutragen, arbeitsbedingte Todesfälle und schwere Arbeitsunfälle zu vermeiden beziehungsweise deren Anzahl zu verringern, und wird so auch einen Mehrwert für bereits bestehende IAO-Projekte schaffen. […] Wir verpflichten uns ferner zur Stärkung von Mechanismen, die den Zugang zu Abhilfe ermöglichen, darunter die Nationalen Kontaktstellen zur Umsetzung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. […]“ b) Nationaler Aktionsplan „Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte 2016–2020“ Am 16.12.2016 hat das Bundeskabinett den Nationalen Aktionsplan „Umset- 77 zung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte 2016–2020“ beschlossen, den eine interministeriellen Arbeitsgruppe unter Federführung des Auswärtigen Amts in zweijähriger Vorarbeit entwickelt hatte.111

110 Vgl. https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/398758/b2a8d4e26f0198 195f810c572510733f/2015-06-08-g7-abschluss-deu-data.pdf?download=1. 111 Vgl. Nationaler Aktionsplan, Seite 6.

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Einleitung || aa) Erwartungshaltung an die menschenrechtliche Sorgfalt von Unternehmen 78 Wie in Leitprinzip 14 der UN Guiding Principles on Business and Human

Rights vorgesehen, äußert die Bundesregierung zunächst die Erwartungshaltung, dass Unternehmen einen „Prozess der unternehmerischen Sorgfalt mit Bezug auf die Achtung der Menschenrechte in einer ihrer Größe, Branche und Position in der Liefer- und Wertschöpfungskette angemessenen Weise“ einführen. Dies gelte insbesondere dann, wenn sie in Ländern tätig seien, in denen rechtsstaatliche Grundsätze nicht oder nur unzureichend durchgesetzt werden. bb) Ankündigung von gesetzlichen Maßnahmen bei unzureichender Erfüllung der Erwartung an die menschenrechtliche Sorgfalt von Unternehmen

79 Die Bundesregierung hat als Zielerwartung formuliert, dass mindestens 50 Pro-

zent aller in Deutschland ansässigen Unternehmen mit über 500 Beschäftigten bis 2020 die fünf (nachstehend erläuterten) Kernelemente für ein menschenrechtliches Sorgfaltskonzept umsetzen oder, wenn bestimmte Verfahren und Maßnahmen nicht umsetzbar waren, die Gründe dafür darzulegen („Comply or Explain“-Mechanismus). Für den Fall, dass das 50-Prozent-Ziel nicht erreicht wird, kündigte die Bundesregierung an, weitergehende Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen zu prüfen. cc) Fünf Kernelemente des Sorgfaltskonzepts

80 Als die fünf Kernelemente für ein menschenrechtliches Sorgfaltskonzept sah die

Bundesregierung in enger Anlehnung an die Leitprinzipien der UN Guiding Principles on Business and Human Rights an: (1) Grundsatzerklärung zur Achtung von Menschenrechten

81 Von Unternehmen wurde erwartet, dass sie in einer Grundsatzerklärung öf-

fentlich erklären, dass sie ihrer Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte nachkommen. Die Grundsatzerklärung sollte von der Unternehmensleitung verabschiedet und intern wie extern kommuniziert werden. Sie sollte das Verfahren beschreiben, mit dem das Unternehmen seinen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachkommt, insbesondere klare Verantwortlichkeiten im Unternehmen festlegen die notwendige Schulungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anbieten. Die Bundesregierung erwartete, dass Unternehmen die Grundsatzerklärung kontinuierlich weiterentwickeln. * Vgl. zu den Anforderungen an die Grundsatzerklärung auch Leitprinzip 16 der UN Guiding Principles on Business and Human Rights.112 112 Vgl. Rz. 59.

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Einleitung (2) Verfahren zur Ermittlung tatsächlicher und potentiell nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte Im Zentrum der Sorgfaltspflichten hatte die Einrichtung eines Verfahrens zu 82 stehen, mit dem das Unternehmen potentiell nachteilige Auswirkungen unternehmerischen Handelns auf Menschenrechte ermittelt, verhütet oder mindert. Unternehmen waren angehalten, bei der Untersuchung möglicher Risiken zwischen Auswirkungen zu unterscheiden, (i) die direkt vom Unternehmen verursacht werden, (ii) zu welchen das Unternehmen z.B. durch direkte Vertragsbeziehungen mit Lieferanten beiträgt oder (iii) mit welchen das Unternehmen indirekt aufgrund seiner Geschäftsbeziehungen, seiner Geschäftstätigkeit, seiner Produkte oder Dienstleistungen trotz fehlender direkter Vertragsbeziehungen (z.B. bei einer Vielzahl von Zwischenhändlern) verbunden ist. Mit Hilfe der Analyse sollte aufgeklärt werden, ob eine vertiefte Prüfung not- 83 wendig ist. Dies sei insbesondere dann erforderlich, wenn das Risiko negativer Auswirkungen auf Menschenrechte besonders hoch war und umfassendere Informationen notwendig waren, um Maßnahmen ergreifen zu können. Für die erkannten Problemfelder war eine Priorisierung vorzunehmen. * Vgl. dazu auch Leitprinzip 17 der UN Guiding Principles on Business and Human Rights.113 (3) Maßnahmen zur Abwendung potentiell negativer Auswirkungen und Überprüfung der Wirksamkeit dieser Maßnahmen Unternehmen waren weiter gehalten, geeignete und angemessene Maßnahmen 84 zur Abwendung potentiell negativer Auswirkungen auf Menschenrechte einzuführen und die Wirksamkeit der Maßnahmen regelmäßig zu überprüfen. Dazu könne etwa gehören: spezialisierte Schulung bestimmter Beschäftigter im Unternehmen oder bei Lieferanten; Anpassung bestimmter Managementprozesse; Veränderungen in der Lieferkette; Beitritt zu Brancheninitiativen. Je nach Art der Auswirkungen könne das Unternehmen selbst Abhilfemaßnahmen einleiten. Wo es nicht ausreichendes Einflussvermögen habe, komme ein mit anderen Akteuren abgestimmtes Vorgehen in Betracht, um den Einfluss zu erhöhen. Der Rückzug aus einem Geschäftsfeld oder einem Standort müsse allenfalls ein letzter Schritt sein. Mit Hilfe einer Wirksamkeitskontrolle sollte das Unternehmen den Erfolg der 85 ergriffenen Maßnahmen regelmäßig überprüfen und mit Betroffenen hierzu in einen Dialog eintreten. * Vgl. dazu auch Leitprinzipien 18 und 19 der UN Guiding Principles on Business and Human Rights.114

113 Vgl. Rz. 60. 114 Vgl. Rz. 61 f.

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Einleitung || (4) Berichterstattung 86 Von Unternehmen wurde die regelmäßige Berichterstattung über die Anstren-

gungen zum Schutz von Menschenrechten erwartet. * Vgl. dazu auch Leitprinzip 21 der UN Guiding Principles on Business and Human Rights.115 (5) Beschwerdemechanismus

87 Zur frühzeitigen Identifikation von (tatsächlich oder potentiell) nachteiligen

Auswirkungen auf Menschenrechte sollten Unternehmen schließlich entweder ein eigenes Beschwerdeverfahren einrichten oder sich an externen Verfahren beteiligen. Bei der Einrichtung neuer ebenso wie bei der Nutzung bestehender Mechanismen sollte darauf geachtet werden, dass diese ein faires, ausgewogenes und berechenbares Verfahren sicherstellen, das für alle potentiell Betroffenen zugänglich ist (Abbau von sprachlichen oder technischen Barrieren). Der Beschwerdemechanismus und der gesamte Sorgfaltsprozess des Unternehmens müsse regelmäßig, so der Nationale Aktionsplan, auf ihre Effektivität hin überprüft werden. * Vgl. dazu auch Leitprinzipien 29 bis 31 der UN Guiding Principles on Business and Human Rights.116 dd) Monitoring

88 Das Auswärtige Amt hat die Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesell-

schaft beauftragt, in Zusammenarbeit mit ihren Konsortialpartnern adelphi consult GmbH, Systain Consulting GmbH und focusright GmbH den Umsetzungsstand der im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte 2016– 2020 beschriebenen menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht durch deutsche Unternehmen (Monitoring) zu überprüfen. Die beauftragten Unternehmen haben der interministeriellen Arbeitsgruppe ihren Abschlussbericht im September 2020 vorgelegt. Die interministeriellen Arbeitsgruppe hat den Bericht am 8.10.2020 abgenommen.117 Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Zielvorgaben, die der NAP zur Vermeidung einer gesetzlichen Regelung vorgegeben hat, bei weitem nicht erreicht wurden.118

89 Die wesentlichen Ergebnisse des Monitorings waren allerdings bereits deutlich

früher bekannt geworden. Am 14.7.2020 gab das für den Nationalen Aktionärsplan federführende Auswärtige Amt eine erste Ergebnisindikation bekannt:

115 Vgl. Rz. 65. 116 Vgl. Rz. 72 f. 117 Vgl. den Abschlussbericht des NAP Monitorings (2018–2020), abrufbar unter: https:// www.auswaertiges-amt.de/blob/2405080/23e76da338f1a1c06b1306c8f5f74615/201013nap-monitoring-abschlussbericht-data.pdf. 118 Vgl. den Abschlussbericht des NAP Monitorings (2018–2020), Seite 5 ff.

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Einleitung „Zentrales Erhebungsergebnis ist, dass zum Zeitpunkt der Erhebung 2020 deutlich weniger als 50 Prozent der Unternehmen mit Sitz in Deutschland und mehr als 500 Beschäftigten die im NAP beschriebenen Kernelemente menschenrechtlicher Sorgfalt angemessen in ihre Unternehmensprozesse integriert haben.“119 In einer gemeinsamen Pressemitteilung120 teilten das Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am 14.7.2020 mit, dass die Zielvorgabe des Nationalen Aktionsplans klar verfehlt werde und daher gesetzgeberische Maßnahmen notwendig seien. c) Referentenentwurf Am 28.2.2021 legte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Refe- 90 rentenentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vor. Eine Vorfassung hatte das Bundesministerium bereits am 15.2. 2021 Verbänden und Institutionen zugeleitet, die zur Teilnahme an der sog. Verbändeanhörung am 1.3.2021 eingeladen waren.121 Am 1.3.2021 führte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine nur Stunden vorher einberufene Verbändeanhörung durch.122 91 Zu den wichtigen Vorarbeiten zählen: – Der Vorschlag für ein „Gesetz über die unternehmerische Sorgfaltspflicht zum Schutz der Menschenrechte (Menschenrechtsbezogene Sorgfaltspflichten-Gesetz-MSorgfaltsG)“, den Klinger, Krajewski, Krebs und Hartmann im Auftrag von Amnesty International Sektion der Bundesrepublik Deutschland, Brot für die Welt, Germanwatch und Oxfam Deutschland vorbereitet haben.123 Der Vorschlag war darauf ausgerichtet, die Achtung der international anerkannten Menschenrechte durch Unternehmen sicherzustellen. Umweltrechtliche Schutzrechte schlug er nicht vor. – Das Rechtsgutachten zur Ausgestaltung eines Lieferkettengesetzes der Initiative Lieferkettengesetz e.V. (bearbeitet von Heike Drillisch, Annelie Evermann, Dr. Franziska Humbert, Johanna Kusch, Maren Leifker, Dr. Miriam 119 Vgl. BT-Drucks. 19/22090, 1. 120 Abrufbar unter https://www.bmz.de/de/aktuelles/heil-mueller-lieferkettengesetz-30764. 121 Vgl. nur Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme im Rahmen der Verbändeanhörung zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom März 2021, Seite 1 (https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/ Redaktion/Publikationen/Stellungnahmen/Stellungnahme_im_Rahmen_der_Verbaende anhoerung_zum_Referentenentwurf_des_BMAS.pdf). 122 Vgl. nur Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme im Rahmen der Verbändeanhörung zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom März 2021, Seite 1 (https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/ Redaktion/Publikationen/Stellungnahmen/Stellungnahme_im_Rahmen_der_Verbaende anhoerung_zum_Referentenentwurf_des_BMAS.pdf). 123 Vgl. https://www.oxfam.de/system/files/gutachten-sorgfaltspflichten-oxfam.pdf.

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Einleitung || Saage-Maaß, Robert Grabosch), vorgelegt im Februar 2020, aktualisiert im Mai 2020.124 Die Initiative Lieferkettengesetz ist ein breites Bündnis aus 125 zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter viele kirchliche Organisationen. Es ist im September 2019 gegründet worden. – Das Eckpunktepapier für einen Gesetzesvorschlag des Bundesministerium für Arbeit und Soziales und des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, veröffentlicht bereits am 10.3.2020.125 Das Eckpunktepapier sah nur die Einführung von Sorgfaltspflichten zum Schutz von anerkannten Menschenrechten zum Gegenstand. Umweltrechtliche Schutzrechte sah das Eckpunktepapier nicht vor. Das Gesetz sollte auf alle in Deutschland ansässigen Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern anwendbar sein. Die unternehmerischen Sorgfaltspflichten sollten aus den Vorgaben der UN Guiding Principles on Business and Human Rights und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen abgeleitet werden. Das Gesetz sollte Bemühungs-, keine Erfolgspflichten begründen. In Anlehnung an die fünf Kernpflichten, die die Bundesregierung bereits mit dem Nationalen Aktionsplan angenommen hatte,126 sah das Eckpunktepapier 6 Kernparameter für die unternehmerischen Sorgfaltspflichten vor: „Risiken ermitteln“, „Risiken analysieren“, „Maßnahmen ergreifen“, „Wirksamkeit überprüfen“, „Beschwerdemechanismus einrichten“ und „transparent und öffentlich berichten“. Das Gesetz sollte eine zivilrechtliche Haftung bei Verstößen gegen das Gesetz vorsehen, die vor deutschen Gerichten durchsetzbar sein sollte. Die Beweislast dafür, dass die Verletzung von Menschenrechten bei ordentlicher Erfüllung der Sorgfaltspflichten vorhersehbar und vermeidbar war, sollte beim Kläger liegen. Das Unternehmen sollte sich durch den Nachweis exkulpieren können, dass es angemessene Vorkehrungen im Rahmen der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten getroffen hatte und es dennoch zu einer Schädigung gekommen war (Bemühungspflicht). Die Haftung sollte auf wesentliche Rechtsgüter wie Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und das allgemeine Persönlichkeitsrecht beschränkt werden. Nach dem Eckpunktepapier sollte zudem eine Safe-Harbour-Regelung eingeführt werden: Danach hätten Unternehmen ihre Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränken können, wenn sie einer staatlich anerkannten Brancheninitiative beitraten.

124 Abrufbar unter https://lieferkettengesetz.de/wp-content/uploads/2020/02/200527_lk_ rechtsgutachten_sw_zum_selbstausdrucken.pdf. 125 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Entwurf für Eckpunkte eines Bundesgesetzes über die Stärkung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in globalen Wertschöpfungsketten (Sorgfaltspflichtengesetz), abrufbar unter https://die-korrespondenten.de/fileadmin/user_upload/diekorrespondenten.de/Lieferkettengesetz-Eckpunkte-10.3.2020.pdf. 126 Vgl. dazu Rz. 80.

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Einleitung d) Regierungsentwurf Bereits drei Tage nach Veröffentlichung des Referentenentwurfs, am 3.3.2021, 92 hat das Bundeskabinett den Regierungsentwurf verabschiedet und dem Bundestag und dem Bundesrat zugeleitet. e) Parlamentarisches Verfahren aa) Bundesrat Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 7.5.2021 beschlossen, gegen den Gesetz- 93 entwurf keine Einwendungen zu erheben.127 bb) Bundestag Der Deutsche Bundestag hat den Regierungsentwurf in erster Lesung am 22.4. 94 2021 beraten und den Gesetzesentwurf an die nachfolgend genannten Ausschüsse überwiesen; dem Ausschuss für Arbeit und Soziales hat er die Federführung übertragen:128 – Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) – Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz – Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit – Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe – Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Haushaltsausschuss. Die Ausschussberatungen haben am 17.5.2021 stattgefunden. In der politi- 95 schen Diskussion standen Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen129 zum Regierungsentwurf, der Antrag der Fraktion DIE LINKE,130 die Kritik an der im Gesetz vorgesehenen Prozessstandschaft (§ 11) und die Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, die den Gesetzestext kennzeichnen, im Vordergrund.131 In der rechtlichen Diskussion haben die Beratungen im Ausschuss vor 127 Vgl. BR-Drucks. 239/21. 128 Vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/224 vom 22.4.2021, Seite 28432 (28440). 129 Vgl. BT-Drucks. 19/30543, BT-Drucks. 19/30544, BT-Drucks. 19/30545 und BTDrucks. 19/30546. 130 Vgl. BT-Drucks. 19/29279. 131 Vgl. die Zusammenfassung unter https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/ 2021/kw16-de-lieferkettengesetz-834842.

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Einleitung || allem zur Einführung von neuen Regeln zur Erfüllung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten im Konzern132 geführt.133 96 Die zweite und dritte Lesung im Bundestag war zunächst für den 20.5.2021 ge-

plant, ist dann aber zur Klärung noch offener Fragen angesetzt worden. Der Bundestag hat am Freitag, den 11.6.2021, den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (BT-Drucks. 19/28649) in der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales geänderten Fassung (BT-Drucks. 19/30505) angenommen.134 In namentlicher Abstimmung votierten 412 Abgeordnete für den Gesetzentwurf, 159 stimmten dagegen, 59 enthielten sich.135 Die Abgeordneten der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben den Gesetzentwurf überwiegend unterstützt, die Fraktionen der Freien Demokraten und der AfD haben überwiegend gegen den Gesetzentwurf gestimmt, die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE haben sich überwiegend enthalten.136 f) Rechtspolitische Kritik

97 Das Gesetz war im Vorfeld erheblicher rechtspolitischer Kritik ausgesetzt. Die

im parlamentarischen Verfahren geäußerte Kritik lässt sich wie folgt zusammenzufassen:

aa) Anwendungsbereich des Gesetzes 98 Die Bundestagsfraktion DIE LINKE kritisiert, dass die gesetzliche Regelung nur

auf Unternehmen mit 3.000 Arbeitnehmern und später mit 1.000 Arbeitnehmern Anwendung finde. Das entspreche 0,1 Prozent der deutschen Unternehmen.137 Mit der Anwendungsgrenze entferne sich das Gesetz von den Grundgedanken der UN Guiding Principles on Business and Human Rights.138

99 Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hält jedenfalls die Anknüpfung

an eine von der Arbeitnehmerzahl abhängige Grenze für kritisch. Eine solche dem Rechtsverkehr fremde und frei gewählte Grenze von 3.000 bzw. 1.000 Be-

132 Vgl. dazu nur Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, Zur Anwendung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes im Konzern, DB 2021, 238. 133 Vgl. näher unter § 2 Rz. 347. 134 Vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/234 vom 11.6.2021, Seite 30253 ff. 135 Vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/234 vom 11.6.2021, Seite 30272. 136 Vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/234 vom 11.6.2021, Seite 30272. 137 Vgl. Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE „Sorgfaltspflichtengesetz grundlegend nachbessern – Menschenrechte in Lieferketten wirksam schützen“, BT-Drucks. 19/29279, 2. 138 Vgl. Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE „Sorgfaltspflichtengesetz grundlegend nachbessern – Menschenrechte in Lieferketten wirksam schützen“, BT-Drucks. 19/29279, 2.

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Einleitung schäftigen sei willkürlich. Sie bevorzugt die Anknüpfung an die „dem Rechtsund Wirtschaftsverkehr bekannten Größenklassen des HGB“.139 bb) Keine Wettbewerbsgleichheit Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen140 beanstandet weiter, dass das 100 Gesetz die Wettbewerbsgleichheit zwischen im Inland ansässigen und mit diesen im Inland konkurrierenden, aber im Ausland ansässigen Unternehmen nicht gewährleistet werde. Es sei ein Wettbewerbsnachteil für im Inland niedergelassene Unternehmen, wenn sie an das Sorgfaltspflichtengesetz gebunden seien, ihre Konkurrenten jedoch nicht. Sie schlägt vor, jedenfalls außereuropäische Unternehmen einzubeziehen, die im Inland für ein Jahr Waren und Dienstleistungen anbieten und nachfragen. Dieses Marktprinzip141 finde sich auch in Art. 4 Abs. 1 des niederländischen Wet Zorgplicht Kinderarbeid142 und Art. 54 des UK Modern Slavery Act.143 Auch die Bundestagesfraktion der FDP144 beanstandet, dass das Gesetz eine 101 Wettbewerbsungleichheit schaffe, die insbesondere kleine und mittlere Unternehmen treffe. Die Bundestagsfraktion der AfD145 teilt diese Sicht. Der lediglich nationale Gel- 102 tungsbereich benachteilige deutsche Unternehmen gegenüber konkurrierenden Unternehmen aus dem Ausland. cc) Fokus der Sorgfaltspflichten im eigenen Geschäftsbereich und mit Blick auf unmittelbare Zulieferer/kein risikobasierter Ansatz Die Bundestagsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen146 beanstandet, dass das Ge- 103 setz mit seiner grundsätzlichen Beschränkung auf unmittelbare Zulieferer von dem risikobasierten Ansatz der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie dem im Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) vereinbarten Ansatz abweiche. Er stehe außerdem im Widerspruch zu Regelungen in anderen EU-Mitgliedstaaten sowie rechtspoliti139 Vgl. Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 9.6.2021, BTDrucks. 19/30543, 2. 140 Vgl. Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 9.6.2021, BTDrucks. 19/30543, 2. 141 Zu marktbezogenen Regelungsmodellen näher Rz. 15. 142 Vgl. dazu Rz. 125. 143 Vgl. dazu Rz. 116. 144 Vgl. Entschließungsantrag der Fraktion der FDP zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 19/30547, 2. 145 Vgl. Antrag der Bundestagsfraktion der AFD „Lieferkettengesetz absagen – Deutsche Unternehmen schützen – Entwicklung durch Eigenverantwortung und Handel“, BTDrucks. 19/26235, 1. 146 Vgl. Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 9.6.2021, BTDrucks. 19/30545, 4.

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Einleitung || schen Entwicklungen auf europäischer und internationaler Ebene. Die Unterscheidung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern im Rahmen der Verpflichtung zur Risikoanalyse nehme dieser ihren Präventionscharakter. 104 Die Bundestagsfraktion DIE LINKE kritisiert ähnlich, dass der die unternehmeri-

schen Sorgfaltspflichten faktisch auf die eigenen Geschäftstätigkeiten und unmittelbare Zulieferer begrenze.147 Statt die Sorgfaltspflichten anhand des Vorsorgeprinzips und des Konzeptes folgenschwerer menschenrechtlicher Risiken zu fokussieren, werde ein unnötig breiter Schwerpunkt auf die erste Stufe der Lieferkette gelegt.148 Da Unternehmen nur dann auf Menschenrechtsprobleme in mittelbaren, nachgelagerten Lieferketten reagieren müssten, wenn sie darüber substantiierte Kenntnis haben, bietet der Gesetzentwurf einen Anreiz, so wenig über die gesamte Lieferkette wie möglich zu wissen.149

105 Die Bundestagsfraktion der FDP greift diesen Aspekt in anderer Weise auf: Die

Komplexität und Flexibilität von Lieferketten bzw. Liefernetzwerken würden sich je nach Produkt stark voneinander unterscheiden, weshalb ein risikozentrierter Ansatz zielgenauer wirkt als eine gesetzliche Regelung, die alle Anwendungsbereiche betreffe.150 In den letzten Jahren hätten sich bereits viele freiwillige Initiativen deutscher Unternehmen und ganzer Branchen gebildet, um die bestehenden Risiken in ihren Lieferketten zu minimieren. Diese vorausschauenden Bemühungen gelte es zu unterstützen und als Anknüpfungspunkt zu nutzen. Wenn deutsche Unternehmen ihre Investitionen in den sich rasch entwickelnden Ländern einschränken würde oder von weiterem Engagement zurückschrecken, beispielsweise aufgrund von rechtlich unklar gefassten Haftungsrisiken, könne dies der wirtschaftlichen Entwicklung in Entwicklungsländern schaden.151 147 Vgl. Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE „Sorgfaltspflichtengesetz grundlegend nachbessern – Menschenrechte in Lieferketten wirksam schützen“, BT-Drucks. 19/29279, 2. 148 Wie vor; vgl. auch den offenen Brief des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, vom 9.3.2021 (https://media.business-humanrights.org/media/documents/Shift_John-Ruggie_Letter_ German-DD.pdf); auch Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme im Rahmen der Verbändeanhörung zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom März 2021, Seite 2. 149 Vgl. auch den offenen Brief des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, vom 9.3.2021 (https:// media.business-humanrights.org/media/documents/Shift_John-Ruggie_Letter_GermanDD.pdf); auch Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme im Rahmen der Verbändeanhörung zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom März 2021, Seite 2. 150 Vgl. Entschließungsantrag der Fraktion der FDP zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BR-Drucks. 19/30547, 2. 151 Vgl. Entschließungsantrag der Fraktion der FDP zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BR-Drucks. 19/30547, 2.

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Einleitung dd) Zivilrechtliche Haftung Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen152 erinnert daran, dass die 106 VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte im Kapitel „Zugang zu Abhilfe“ einfordern, dass Betroffene durch Gerichtsverfahren Abhilfe gegen Verletzungen durchsetzen können. Aus rechtspolitischer Sicht sei eine deliktsrechtliche Haftung für Unternehmen im Falle von nachgewiesenen Sorgfaltspflichtverletzungen und daraus folgenden Schäden an elementaren Rechtsgütern wie Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum essentiell: Sie verschaffe Geschädigten Kompensation für erlittene Schäden und wirke gleichzeitig präventiv und verhaltenssteuernd auf Unternehmen. ee) Aufsicht durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Die Bundestagsfraktion DIE LINKE sieht kritisch, dass die Aufsichtsbehörde, das 107 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), mit lediglich 65 Beamten und Angestellten personell nicht in der Lage sei, mehrere tausend Unternehmen mit einer Vielzahl von häufig komplexen Lieferketten zu beaufsichtigen.153 ff) Verlagerung staatlicher Aufgaben auf private Unternehmen Staatliche Verantwortung für die Durchsetzung von Recht dürfe nicht, so die 108 Bundestagsfraktionen der AfD,154 von den jeweiligen Regierungen der Produktionsstaaten zu privaten deutschen Unternehmen verschoben werden. Das Entwicklungsdefizit der meisten Entwicklungsländer sei nicht auf wirtschaftliche Ausbeutung in Form prekärer Produktionsstandards zurückzuführen, sondern auf ihre hochgradig korrupten, unfähigen und tatenlosen Regierungen. Sie lehnt das Gesetz daher insgesamt ab. Ähnlich die Position des CDU-Politikers Roland Koch:155 Die weltweite Wah- 109 rung von Menschenrechten sei Aufgabe der freiheitlichen Staaten und internationalen Organisationen, insbesondere der Vereinten Nationen, der internatio152 Vgl. Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 9.6.2021, BTDrucks. 19/30544, 4; ähnlich der Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE „Sorgfaltspflichtengesetz grundlegend nachbessern – Menschenrechte in Lieferketten wirksam schützen“, BT-Drucks. 19/29279, 2. 153 Vgl. Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE „Sorgfaltspflichtengesetz grundlegend nachbessern – Menschenrechte in Lieferketten wirksam schützen“, BT-Drucks. 19/29279, 2 f. 154 Vgl. Antrag der Bundestagsfraktion der AFD „Lieferkettengesetz absagen – Deutsche Unternehmen schützen – Entwicklung durch Eigenverantwortung und Handel“, BTDrucks. 19/26235, 1. 155 Vgl. nur Roland Koch, Lieferkettengesetz ist der falsche Weg, in Erhard heute vom 21.5.2021: „Menschenrechte sind Verfassungsrecht. Sie werden von souveränen Staaten gewährt und leider zu oft auch verweigert. Es ist Aufgabe der freiheitlichen Staaten, daran etwas zu ändern. Es sind Themen für die UN, die internationale Arbeitsorgani-

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Einleitung || nalen Arbeitsorganisation ILO und der Welthandelsorganisation. Wenn sie versagen, könnten nicht Unternehmen in die Pflicht genommen werden. Eine freie Wirtschaftsordnung leiste ihren Beitrag zu einer humanen Welt durch Wettbewerb, Garantie des Privateigentums, Risiko und Leistungsbereitschaft. Nicht der Staat entscheide, welche Produkte sich am Markt durchsetzen, sondern der Verbraucher. gg) Unbestimmte Rechtsbegriffe 110 Die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten156 kritisiert, dass die zahlreichen

unbestimmten Rechtsbegriffe des Gesetzes zu vermeidbarer Unsicherheit in Unternehmen führen. Das ist auch einer der wesentlichen Kritikpunkte des Deutschen Anwaltsvereins.157 Das Gesetz begegne teilweise verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere mit Blick auf die Unbestimmtheit und Fülle weitreichender bußgeldbewehrter Bestimmungen, die durch Verweise auf einen umfangreichen Katalog internationaler Abkommen von zum Teil programmatischer Natur wie des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte und des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte noch verstärkt würden. hh) Prozessstandschaft

111 Die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten158 sieht auch die neuen Regeln

zur Prozessstandschaft kritisch. Gerade aus der Kombination von unbestimmten Begrifflichkeiten (wie z.B. angemessen, substantiiert) und der neuen gesetzlichen sation ILO, die Welthandelsorganisation und für Abkommen zwischen einzelnen Staaten. Wenn diese Institutionen versagen, können nicht Tausende von großen und mittleren Unternehmen das Problem auf die Schultern geladen bekommen. Eine freie Wirtschaftsordnung leistet ihren Beitrag zu einer humanen Welt durch Wettbewerb, Garantie des Privateigentums, Risiko und Leistungsbereitschaft. Die Welt retten kann sie nicht. Das Lieferkettengesetz stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Das ist nicht sozial, es ist falsch!“ (https://www.ludwig-erhard.de/erhard-aktuell/kom mentar/lieferkettengesetz-ist-der-falsche-weg/). 156 Vgl. Entschließungsantrag der Fraktion der FDP zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BR-Drucks. 19/30547, 2. 157 Vgl. Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch die Ausschüsse Corporate Social Responsibility und Compliance, Handelsrecht sowie Menschenrechte zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, Stellungnahme 27/2021, April 2021, Rz. 1 und 13 (abgerufen unter https://an waltverein.de/de/newsroom/sn-27-21-sorgfaltspflichtengesetz); auch Pressemitteilung des Deutschen Anwaltsvereins PM 15/21: „Zu unklar, zu weit, zu früh – DAV übt Kritik am Lieferkettengesetz“ vom 13.4.2021 (abrufbar unter https://anwaltverein.de/de/ newsroom/pm-15-21-zu-unklar-zu-weit-zu-fr%C3%BCh-dav-%C3%BCbt-kritik-amlieferkettengesetz). 158 Vgl. Entschließungsantrag der Fraktion der FDP zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BR-Drucks. 19/30547, 2.

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Einleitung Prozessstandschaft entstünden Verzerrungen. Wenn die Prozessstandschaft auch von Gewerkschaften wahrgenommen werden könne, die in der betreffenden Branche Tarifverhandlungen führen, dann werde die Verhandlungsposition der Sozialpartner einseitig beeinflusst. ii) Europäische Gesetzgebung Die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten159 weist weiter darauf hin, dass 112 auf europäischer Ebene Verhandlungen über eine europäische Regulierung von Sorgfaltspflichten in Lieferketten zügig voranschreiten würde.160 Die Entwicklung eines einheitlichen europäischen Rahmenwerkes sei zu begrüßen, wenn angemessene und unbürokratische Regelungen gefunden würden, die insbesondere kleine und mittlere Unternehmen nicht benachteiligen. Der derzeitige deutsche Alleingang verschärfe den bestehenden Flickenteppich, führe zu Doppelstrukturen und vermeidbarer Bürokratie. Dieses Vorgehen wird weder dem Ziel der Entbürokratisierung noch dem Kernziel, die Lebensbedingungen der Menschen in Entwicklungsländern zu verbessern, gerecht.

IV. Internationale Entwicklung Seit 2010 haben eine Reihe von Nationalstaaten gesetzliche Regelungen geschaf- 113 fen, die Unternehmen anhalten, selbst Menschenrechte und grundlegende Umweltbelange zu achten und dafür auch in ihren Lieferketten Sorge zu tragen. Andere Länder haben Gesetzesinitiativen gestartet. Zu unterscheiden sind Gesetze, die nur den Schutz von einzelnen menschenrechtlichen Aspekten zum Gegenstand haben, von solchen, die auf einen breiten Schutz von grundlegenden menschenrechts- und umweltbezogenen Belangen angelegt sind. Daneben sind gesetzliche Vorschriften, die Unternehmen nur zur Berichterstattung über ihre Bemühung zum Schutz von menschenrechts- und umweltbezogenen Belangen im eigenen Unternehmen und in ihren Lieferketten verpflichten, von solchen Regelungen zu unterscheiden, die Unternehmen aufgeben, Risiken für die Beachtung von Menschenrechten und grundlegenden Umweltbelangen im eigenen Unternehmen und in ihren Lieferketten zu erkennen und ihnen in geeigneter Weise präventiv und repressiv entgegenzuwirken.

159 Vgl. Entschließungsantrag der Fraktion der FDP zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BR-Drucks. 19/30547, 2. 160 Kritisch auch Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch die Ausschüsse Corporate Social Responsibility und Compliance, Handelsrecht sowie Menschenrechte zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, Stellungnahme 27/2021, April 2021, Rz. 6.

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Einleitung || 1. Kalifornien 114 Der U.S.-amerikanische Bundesstaat Kalifornien hat mit dem California Trans-

parency in Supply Chains Act of 2010161 früh und noch vor Verabschiedung der UN Guiding Principles on Business and Human Right eine gesetzliche Pflicht für Unternehmen eingeführt zu berichten, wie sie Menschenhandel und Sklaverei in ihrem Unternehmen und in ihren Lieferketten entgegenwirken. Der California Transparency in Supply Chains Act of 2010 richtet sich an Unternehmen, die in Kalifornien tätig sind und mehr als USD 100 Mio. Bruttoeinnahmen erzielen.162 Er ist in eine Reihe weiterer gesetzlicher Vorschriften eingebettet, mit denen der Bundesstaat Kalifornien Menschenhandel und Sklaverei entgegenwirkt.163 Ziel ist es, Verbraucher und Unternehmen eine genügende Grundlage für informierte und verantwortliche Entscheidungen beim Kauf von Produkten zu geben.164 Konkrete Schutzpflichten, etwa zur Risikoanalyse, zur Prävention oder Abhilfe, führt der California Transparency in Supply Chains Act of 2010 nicht ein.

115 Im Rahmen der jährlichen Disclosure haben die Unternehmen zumindest an-

zugeben:165 – wie sie ihre Lieferketten überprüfen, um das Risiko von Menschenhandel oder Sklaverei zu bewerten und Risiken zu behandeln; – ob und wie das Unternehmen bei Lieferanten Audits durchführt, um die Einhaltung der Unternehmensstandards für Menschenhandel und Sklaverei in Lieferketten zu überprüfen; dabei ist offenzulegen, ob es sich bei den Audits um unabhängige und unangekündigte Prüfungen handelte; – ob das Unternehmen von unmittelbaren Zulieferern eine Bestätigung verlangt, dass die in den Produkten verwendeten Materialien, die in das Produkt einfließen, mit den Gesetzen gegen Sklaverei und Menschenhandel des Landes oder der Länder, in denen sie geschäftlich tätig sind, übereinstimmen; – ob das Unternehmen interne Sanktionsregeln und -verfahren für Mitarbeiter oder Auftragnehmer eingerichtet hat, die gegen die Unternehmensstandards zum Schutz gegen Sklaverei und Menschenhandel verstoßen; – ob das Unternehmen Mitarbeitern und Führungskräften, die für das Management der Lieferketten Verantwortung tragen, Schulungen über Menschenhandel und Sklaverei, insbesondere im Hinblick auf die Risikominderung innerhalb der Lieferketten, anbietet.

161 Vgl. The California Transparency in Supply Chains Act of 2010 (https://oag.ca.gov/ sites/all/files/agweb/pdfs/cybersafety/sb_657_bill_ch556.pdf); dazu Kamala D. Harris, The California Transparency in Supply Chains Act – A Resource Guide, 2015 (https:// oag.ca.gov/sites/all/files/agweb/pdfs/sb657/resource-guide.pdf). 162 Vgl. Section 1714.43 (a) (1) des kalifornischen Civil Code. 163 Vgl. dazu nur Section 2 (d) und (e) des California Transparency in Supply Chains Act of 2010. 164 Vgl. Section 2 (h) bis (j) des California Transparency in Supply Chains Act of 2010. 165 Vgl. Section 1714.43 (c) des kalifornischen Civil Code.

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Einleitung 2. Großbritannien Der britische Gesetzgeber hat 2015 den Modern Slavery Act verabschiedet.166 Er 116 ist darauf gerichtet, die Verfolgung von Sklaverei, Knechtschaft und Menschenhandel im Vereinigten Königreich zu verbessern und staatlichen Verfolgungsbehörden zusätzliche Instrumente zur Bekämpfung von Sklaverei, Knechtschaft und Menschenhandel vor allem in England und Wales zu geben. Anfänglich enthielt der Gesetzesentwurf gar keine auf Unternehmen zugeschnittenen Pflichten, in ihrem Geschäftsbereich oder in Lieferketten dafür Sorge zu tragen, dass Sklaverei, Knechtschaft und Menschenhandel nicht stattfindet.167 Erst während des Gesetzgebungsverfahrens ist mit Section 54 des Modern Slavery Act 2015 eine Regelung aufgenommen worden, die Unternehmen, die Waren und Dienstleistungen im Vereinigten Königreich vertreiben und einen Konzernumsatz168 von weltweit mindestens GBP 36 Mio.169 erzielen, verpflichtet, jährlich ein Slavery and Human Trafficking Statement vorzubereiten. Die Pflicht trifft auch Unternehmen, die ihren Sitz nicht im Vereinigten Königreich haben.170 Das Statement muss die Maßnahmen beschreiben, die das Unternehmen im Geschäftsjahr unternommen hat, um Sklaverei und Menschenhandel in ihren Lieferketten und im eigenen Unternehmen zu verhindern.171 Wenn das Unternehmen keine Maßnahmen ergriffen hat, ist dies in dem Statement offenzulegen.172 Ein gesetzlicher Mindestinhalt für das Statement ist nicht vorgeschrieben. Section 54 (5) regt aber an, dass die folgenden Punkte ausgeführt werden sollten („may include“): – eine Beschreibung der Struktur und Organisation des Unternehmens, ihre Geschäftstätigkeit und ihre Lieferketten; – eine Beschreibung der Politik, die das Unternehmen in Bezug auf Sklaverei und Menschenhandel verfolgt; – eine Beschreibung der internen Prozesse, die der Verhinderung von Sklaverei und Menschenhandel in ihrer Geschäftstätigkeit und ihren Lieferketten dienen; 166 Vgl. Modern Slavery Act 2015 (abrufbar unter https://www.legislation.gov.uk/ukpga/ 2015/30/contents/enacted). 167 Vgl. Draft Modern Slavery Bill, December 2013 (abrufbar unter https://assets.publish ing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/266165/ Draft_Modern_Slavery_Bill.pdf); auch Michael Pollitt, Unfinished abolitionists: Britain returns to the frontline of the war on slavery, The New Stateman 16.10.2014 (abrufbar unter https://www.newstatesman.com/politics/2014/10/unfinished-abolitionistsbritain-returns-frontline-war-slavery). 168 Vgl. Section 3 der Modern Slavery Act 2015 (Transparency in Supply Chains) Regulations 2015 vom 28.10.2015. 169 Vgl. Section 54 (3) des Modern Slavery Act 2015 in Verbindung mit Section 3 der Modern Slavery Act 2015 (Transparency in Supply Chains) Regulations 2015 vom 28.10.2015. 170 So auch Mayer, Zur Implementierung des UK Modern Slavery Act 2015, CB 2015, 115. 171 Vgl. Section 54 (4) (a) des Modern Slavery Act 2015. 172 Vgl. Section 54 (4) (b) des Modern Slavery Act 2015.

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Einleitung || – eine Beschreibung der Teile im eigenen Geschäftsbereich und in den Lieferketten, in denen das Risiko der Sklaverei und des Menschenhandels besteht, und die Schritte, die das Unternehmen zur Bewertung und Steuerung dieses Risikos unternommen hat; – die Wirksamkeit der Maßnahmen, mit denen das Unternehmen sicherstellt, dass Sklaverei und Menschenhandel in ihrer Geschäftstätigkeit oder ihren Lieferketten nicht vorkommen, gemessen an den von ihr als angemessen erachteten Leistungsindikatoren; – eine Beschreibung der Schulungen, die das Unternehmen seinen Mitarbeitern zum Thema Sklaverei und Menschenhandel anbietet. 117 Der Secretary of State hat auf der Grundlage von Section 54 (9) als Handrei-

chung einen Leitfaden für Unternehmen verabschiedet.173

118 Das Unternehmen muss das jährliche Slavery and Human Trafficking Statement

auf der Internetseite der Gesellschaft veröffentlichen und, wenn es keine Internetseite hat, jedermann auf Verlangen eine Kopie übermitteln.174

119 Konzeptionell ist Section 54 des Modern Slavery Act 2015 an den California

Transparency in Supply Chains Act of 2010 angelehnt: Die Unternehmenspflichten sind auf die Berichterstattung beschränkt. Ziel ist es, Unternehmen durch öffentliche Berichterstattung in die Pflicht zu nehmen und zur Rechenschaft anzuhalten. Regelungsgegenstand des Gesetzes ist wie beim California Transparency in Supply Chains Act of 2010 allein der Schutz gegen Sklaverei und Menschenhandel. Der australische Gesetzgeber hat 2018 ein Modern Slavery Act verabschiedet, der sich ganz auf das jährliche Slavery Statement beschränkt175 und eng an Section 54 des UK Modern Slavery Act 2015 angelehnt ist.176 3. Frankreich

120 Der französische Gesetzgeber hat 2017 ein Gesetz177 verabschiedet, mit dem Un-

ternehmen Pflichten zum Schutz von Menschenrechten auferlegt werden. Das

173 Secretary of State, Transparency in Supply Chains etc. – A practical guide (abrufbar unter https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/at tachment_data/file/1040283/Transparency_in_Supply_Chains_A_Practical_Guide_2017 _final.pdf). 174 Vgl. Section 54 (7) und (8) des Modern Slavery Act 2015. 175 Vgl. die Einleitung zum Australian Modern Slavery Act 2018, No. 153, 2018 (abrufbar unter https://www.legislation.gov.au/Details/C2018A00153/Html/Text): „An Act to require some entities to report on the risks of modern slavery in their operations and supply chains and actions to address those risks, and for related purposes.“ 176 Vgl. Australia, Modern Slavery Act 2018, No. 153, 2018 (abrufbar unter https://www.le gislation.gov.au/Details/C2018A00153/Html/Text); auch Hembach, Der australische Modern Slavery Act, CB 2019, 388. 177 Vgl. LOI no. 2017-399 du 27 mars 2017 relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d’ordre.

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Einleitung Gesetz richtet sich an Unternehmen mit Sitz in Frankreich, die (i) entweder selbst oder über ihre Konzerngesellschaften mit Sitz in Frankreich mindestens fünftausend Arbeitnehmer beschäftigen, oder (ii) selbst und über ihre Konzerngesellschaften, gleich ob mit Sitz in Frankreich oder im Ausland, mindestens zehntausend Arbeitnehmer beschäftigen.178 Die Unternehmen müssen einen plan de vigilance (Due Diligence Plan) erstel- 121 len.179 Der Plan muss die Maßnahmen aufzeigen, mit denen das Unternehmen schwere Verstöße gegen die Menschenrechte und Grundfreiheiten, Gesundheit und Sicherheit von Personen sowie die Umwelt vermeiden und Risiken erkennen will. Er muss sich auf den eigenen Geschäftsbereich, die von der Gesellschaft kontrollierten Unternehmen und Subunternehmern oder Lieferanten beziehen, letztere allerdings nur, wenn es mit den Subunternehmern oder Lieferanten eine etablierte Geschäftsbeziehung unterhält. Der plan de vigilance muss enthalten:180 122 – eine Risikokarte, die der Identifizierung, Analyse und Priorisierung von Risiken dient; – ein Verfahren, mit dem die menschenrechtliche Lage bei den von ihr kontrollierten Unternehmen sowie bei Subunternehmen oder Lieferanten, mit denen eine etablierte Geschäftsbeziehung besteht, aufgezeigt wird; – angemessene Maßnahmen zur Risikominderung oder zur Vermeidung schwerwiegender Beeinträchtigungen; – die Einrichtung eines Warnmechanismus und eines Meldeverfahrens, das mit den im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften abzustimmen ist; – ein System zur Überwachung der im Plan enthaltenen Schutzmaßnahmen und zur Bewertung ihrer Wirksamkeit. Nicht näher bestimmt ist in dem französischen Sorgfaltspflichtengesetz, welche 123 menschenrechts- und umweltbezogenen Rechtspositionen geschützt sind. Auch die Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf Subunternehmen und Lieferanten, mit denen eine etablierte Geschäftsbeziehung besteht, ist wenig präzise. Es kann der Fall eintreten, dass das Unternehmen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette kennt, es aber mangels „etablierter Geschäftsbeziehung“ gleichwohl nicht zum Handeln verpflichtet ist. Weiter als das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz geht das französische Recht bei der Eröffnung eines Rechtswegs in Frankreich. Jedermann, der ein rechtliches Interesse hat, kann eine gerichtliche Zwangsanordnung erwirken, wenn ein Unternehmen seinen gesetzlichen Pflichten nicht nachkommt.181 Das französische Sorgfaltspflichtengesetz unterscheidet sich in seinem Konzept 124 deutlich vom California Transparency in Supply Chains Act of 2010 und vom 178 179 180 181

Vgl. Art. Vgl. Art. Vgl. Art. Vgl. Art.

L. 225-102-4 Abs. 1 des L. 225-102-4 Abs. 1 des L. 225-102-4 Abs. 1 des L. 225-102-4 Abs. 2 des

Code de Code de Code de Code de

Commerce. Commerce. Commerce. Commerce.

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Einleitung || UK Modern Slavery Act 2015. Es ist nicht nur auf den Schutz einzelner Menschenrechte angelegt und beschränkt die gesetzlichen Pflichten auch nicht auf die bloße Berichterstattung über die von dem Unternehmen ergriffenen Schutzmaßnahmen. 4. Niederlande 125 Der niederländische Gesetzgeber hat im Oktober 2019 ein Gesetz182 verabschie-

det, mit dem er Unternehmen Sorgfaltspflichten auferlegt, um die Lieferung von Waren und Dienstleistungen, die unter Einsatz von Kinderarbeit hergestellt wurden, zu verhindern. Das Gesetz tritt erst durch gesonderten königlichen Erlass in Kraft,183 der nicht vor Mitte 2022 erwartet wird. Als verbotene Kinderarbeit sieht das Gesetz jede Beschäftigung an, die mit dem ILO- Übereinkommen Nr. 182 vom 17.6.1999 über die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit und mit ILO-Übereinkommens Nr. 136 vom 26.6.1973 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung unvereinbar ist.184

126 Wie das französische Sorgfaltspflichtengesetz ist der Wet Zorgplicht Kinderarbeid

nicht auf die öffentliche Berichterstattung von Unternehmen beschränkt, sondern erlegt den Unternehmen konkrete Schutzpflichten auf: Wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass die zu liefernden Waren oder zu erbringenden Dienstleistungen mit Hilfe von Kinderarbeit hergestellt worden sind, müssen sie den Sachverhalt mit der erforderlichen Sorgfalt untersuchen und gegebenenfalls einen Aktionsplan aufstellen und durchführen.185 Dabei kann sich die Untersuchung auf Quellen beschränken, die dem Unternehmen hinreichend bekannt und zugänglich sind.186 Das Gesetz erlegt dem Unternehmen keine weitreichenden und ohnehin nur in sehr abstrakter Form regelbaren Informationsbeschaffungspflichten auf. Die Sorgfaltspflicht besteht auch dann, wenn es die Waren oder Dienstleistungen von einem anderen Unternehmen bezogen hat, das nicht denselben gesetzlichen Sorgfaltspflichten unterliegt. Es kann sich also nicht auf die Vorarbeiten eines anderen Unternehmens in der Lieferkette verlassen.187 Durch Verordnung können die Sorgfaltspflichten in Anlehnung an das ILO-IOE Child Labour Guidance Tool for Business konkretisiert werden.188

127 Unternehmen müssen der zuständigen Aufsichtsbehörde zudem, und zwar

gleich ob sie in den Niederlanden niedergelassen sind oder nicht, eine jährliche 182 Vgl. Wet van 24 oktober 2019 houdende de invoering van een zorgplicht ter voorkoming van de levering van goederen en diensten die met behulp van kinderarbeid tot stand zijn gekomen (Wet zorgplicht kinderarbeid), Staatsblad 2019, 401 (https:// zoek.officielebekendmakingen.nl/stb-2019-401.html). 183 Vgl. Art. 12 Abs. 1 der Wet Zorgplicht Kinderarbeid. 184 Vgl. Art. 2 der Wet Zorgplicht Kinderarbeid. 185 Vgl. Art. 5 Abs. 1 der Wet Zorgplicht Kinderarbeid. 186 Vgl. Art. 5 Abs. 2 der Wet Zorgplicht Kinderarbeid. 187 Vgl. Art. 5 Abs. 1 der Wet Zorgplicht Kinderarbeid. 188 Vgl. Art. 5 Abs. 4 der Wet Zorgplicht Kinderarbeid.

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Einleitung Erklärung übersenden, in der sie bestätigen, dass sie mit der erforderlichen Sorgfalt sichergestellt haben, dass die Waren oder Dienstleistungen nicht in Kinderarbeit hergestellt worden sind.189 Die Aufsichtsbehörde veröffentlicht die Erklärungen in einem Register auf ihrer Internetseite.190 Jede natürliche oder juristische Person, deren Interessen durch Handlungen 128 oder Unterlassungen eines Unternehmens entgegen den Anforderungen des Gesetzes beeinträchtigt werden, kann beim Datenschutzbeauftragten eine Beschwerde einreichen.191 Die Beschwerde muss konkrete Hinweise zur Nichteinhaltung von Bestimmungen des Gesetzes geben.192 Der Beschwerdeführer muss identifizierbar sein.193 Die Beschwerde kann vom Datenschutzbeauftragten erst behandelt werden, wenn die Gesellschaft Gelegenheit hatte, der Beschwerde abzuhelfen, aber ihr nicht abgeholfen hat, oder sechs Monate verstrichen sind, ohne dass die Gesellschaft die Beschwerde bearbeitet hat.194 5. Norwegen Mit Gesetz vom 10.6.2021195 hat der norwegische Gesetzgeber Unternehmen ge- 129 setzliche Sorgfaltspflichten zum Schutz von Menschenrechten auferlegt.196 Der Gesetzestitel „åpenhetsloven“ (Transparenzgesetz) legt die Annahme nahe, dass sich das Gesetz darauf beschränkt, Unternehmen eine Berichtspflicht über ihre Anstrengungen zum Schutz von menschenrechts- und umweltbezogenen Belangen in eigenen Unternehmen und den Lieferketten aufzuerlegen. Das war auch tatsächlich die ursprüngliche Ausrichtung des Gesetzesentwurfs. Der Gesetzgeber hat aber im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahren die Ausrichtung des Gesetzes verändert und in Anlehnung an die UN Guiding Principles on Business und Human Rights konkrete Sorgfaltspflichten für Unternehmen entwickelt.197 Anwendung findet das Gesetz auf „große Unternehmen“,198 die ihren Sitz in Nor- 130 wegen haben und Waren oder Dienstleistungen inner- oder außerhalb von Norwegen anbieten, ferner auf „große ausländische Unternehmen“, wenn sie in Norwegen Waren oder Dienstleistungen anbieten und in Norwegen steuerpflichtig sind.199 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199

Vgl. Art. 4 Abs. 1 der Wet Zorgplicht Kinderarbeid. Vgl. Art. 4 Abs. 5 der Wet Zorgplicht Kinderarbeid. Vgl. Art. 3 Abs. 2 der Wet Zorgplicht Kinderarbeid. Vgl. Art. 3 Abs. 3 der Wet Zorgplicht Kinderarbeid. Wie vor. Vgl. Art. 3 Abs. 3 der Wet Zorgplicht Kinderarbeid. Vgl. Lov om virksomheters åpenhet og arbeid med grunnleggende menneskerettigheter og anstendige arbeidsforhold (åpenhetsloven) vom 10.6.2021; abrufbar unter https:// www.stortinget.no/globalassets/pdf/lovvedtak/2020-2021/vedtak-202021-176.pdf. Dazu Götz, Ein Lieferkettengesetz nordischer Prägung – Norwegens neues Transparenzgesetz, RIW 2022, 99. Vgl. näher Götz, RIW 2022, 99, 101. Vgl. dazu die Gesetzesdefinition in § 3 (a) des Transparenzgesetzes. Vgl. § 2 des Transparenzgesetzes.

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Einleitung || Das norwegische Transparentgesetz ist auf den Schutz von Menschenrechten konzentriert. Umweltbezogene Pflichten hat der norwegische anders als der deutsche Gesetzgeber nicht in das Pflichtenprogramm von Unternehmen aufgenommen. Geschützte Rechtspositionen sind die „international anerkannten Menschenrechten“, worunter das Gesetz in Übereinstimmung mit den UN Guiding Principles on Business and Human Rights alle Recht ansieht, die in den acht ILO-Kernübereinkommen und den beiden UN-Pakten zum Schutz der Menschenrechte bestimmt sind.200 Anders als das deutsche Recht unterscheidet das norwegische Transparenzgesetz nicht zwischen menschenrechtlichen Verboten201 und geschützten Rechtspositionen,202 die nur unter qualifizierten Voraussetzungen (§ 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG) zu menschenrechtlichen Verboten erstarken. Wie in Deutschland203 ist auch in Norwegen diskutiert worden, ob der Verweis auf die acht ILO-Kernübereinkommen und die beiden UN-Pakten zum Schutz der Menschenrechte dem Bestimmtheitsgebot genügt.204 131 Unternehmen müssen menschenrechtliche Risiken in Übereinstimmung mit

den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen erfassen, analysieren, priorisieren und ihnen entgegenwirken.205 Insbesondere müssen sie – in ihren Unternehmensrichtlinien die internen Verantwortlichkeiten klar festlegen; – potentielle und eingetretene negative Auswirkung auf geschützte Menschenrechte und menschenwürdige Arbeitsbedingungen ermitteln und bewerten, die das Unternehmen entweder verursacht oder zu denen es beigetragen hat oder die in direktem Zusammenhang mit den Geschäftsaktivitäten, Produkten oder Dienstleistungen des Unternehmens über Lieferketten oder Geschäftspartner stehen; – Austausch mit Stakeholders und Betroffenen über den Umgang mit Risiken und gegebenenfalls die Folgenbeseitigung führen; – zur Zusammenarbeit bereit sein, um die Folgen von Menschenrechtsverletzungen wiedergut zu machen und Entschädigung zu leisten; – geeignete Maßnahmen ergreifen, um negative Auswirkungen zu beenden, zu verhindern oder aufgrund der Priorisierung und Risikobewertung zu begrenzen.

132 Das Transparenzgesetz erlegt den verpflichteten Unternehmen eine umfassende

Berichtspflicht auf.206 Die Unternehmen unterliegen einer Berichtspflicht gem. § 5. Der Bericht muss enthalten:207

200 201 202 203 204 205 206 207

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Vgl. § 3 (b) des Transparenzgesetzes. Vgl. § 2 Abs. 2 LkSG. Vgl. § 2 Abs. 1 LkSG. Vgl. § 2 Rz. 5. Vgl. Götz, RIW 2022, 99, 102. Vgl. § 4 Abs. 1 des Transparenzgesetzes. Vgl. § 5 des Transparenzgesetzes. Vgl. § 5 Abs. 1 des Transparenzgesetzes.

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Einleitung – eine allgemeine Beschreibung der Organisation, Richtlinien und Routinen zum Umgang mit tatsächlichen und potentiellen negativen Folgen für Grundrechte und menschenwürdige Arbeitsbedingungen; – die Ergebnisse der Due Diligence-Prüfung; – Hinweise zu den Maßnahmen, die das Unternehmen implementiert hat oder plant, um negativen Auswirkungen zu beenden oder Risiken zu vermindern. Der Bericht ist auf der Internetseite des Unternehmens zugänglich zu machen 133 und kann in die Erklärung zur Corporate Social Responsibility aufgenommen werden. Er ist bis zum bis zum 30. Juni jeden Jahres sowie bei wesentlichen Änderungen zu aktualisieren.208 Eine Besonderheit des norwegischen Transparenzgesetzes ist, dass jeder das Recht auf schriftliche Auskunft im Zusammenhang mit den Pflichten des Unternehmens nach dem Transparenzgesetz hat.209 Eine besondere Haftung von Unternehmen bei unzureichender Erfüllung der 134 gesetzlichen Pflichten hat das norwegische Transparenzgesetz ebenso wenig eingeführt wie das deutsche LkSG.210 6. Schweiz Im Oktober 2016 hat die eidgenössische Volksinitiative „Für verantwortungs- 135 volle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“ einen Entwurf für eine Volksabstimmung vorgelegt.211 Ziel war es, durch Ergänzung der Bundesverfassung dem Bund aufzugeben, Maßnahmen zu ergreifen, um Unternehmen zur stärkeren Achtung von Menschenrechten und Umwelt nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit anzuhalten, konkret: Unternehmen mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz durch Gesetz die Achtung der international anerkannten Menschenrechte sowie von internationalen Umweltstandards aufzugeben. Die Unternehmen sollten auch im Ausland die international anerkannten Menschenrechte sowie die internationalen Umweltstandards respektieren und dafür sorgen, dass die international anerkannten Menschenrechte und die internationalen Umweltstandards auch von den durch sie kontrollierten Unternehmen respektiert werden. Zu den gesetzlichen Pflichten von Unternehmen sollte eine angemessene Sorgfaltsprüfung gehören. Unternehmen sollten ferner verpflichtet werden, geeignete Maßnahmen zur Verhütung von Verletzungen international anerkannter Menschenrechte und internationaler Umweltstandards zu ergreifen, bestehende Verletzungen zu beenden und Rechenschaft über ergriffene Maßnahmen abzulegen. Die Sorgfaltspflichten sollten in Bezug auf kontrollierte Unternehmen sowie auf sämtliche Geschäftsbeziehungen gelten. Der Umfang der Sorgfaltsprüfungen müsse abhängig von den Risiken in den Bereichen Menschenrechte und Umwelt sein. Unternehmen sollten 208 209 210 211

Vgl. § 5 Abs. 4 des Transparenzgesetzes. Vgl. § 6 des Transparenzgesetzes. Vgl. näher Götz, RIW 2022, 99, 104. Vgl. Verfügung der Schweizerischen Bundeskanzlei vom 1.11.2016, BBl 2016, 8107.

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Einleitung || schließlich für den Schaden haften, den sie oder durch sie kontrollierte Unternehmen aufgrund der Verletzung von international anerkannten Menschenrechten oder internationalen Umweltstandards in Ausübung ihrer geschäftlichen Verrichtung verursacht haben. 136 Am 19.6.2020 hat die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossen-

schaft beschlossen, die Volksinitiative zur Abstimmung durch Volk und Stände zu unterbreiten.212 Sie hat zugleich empfohlen, die Initiative abzulehnen. Die Vorschläge der Volksinitiative, insbesondere die vorgeschlagene Haftung von Unternehmen, wurde als zu weitgehend angesehen.213 Ein international abgestimmtes Vorgehen sei vorzugswürdig. Bei der Volksabstimmung am 29.11.2020 hat die Mehrheit der stimmberechtigten Bürger (50,7 Prozent) bei einer Stimmbeteiligung von 47 Prozent für die Volksinitiative gestimmt. Allerdings hat die Volksinitiative nicht die zusätzlich erforderliche Ständemehrheit erreicht. 7. Österreich

137 Die Abgeordnete Julia Herr, SPÖ, hat am 21.3.2021 einen Entschließungsantrag

in den Justizausschuss des österreichischen Nationalrats eingebracht.214 Der Ausschuss hat die Beratung am 19.10.2021 mit Blick auf die Vorbereitungen einer europäischen Nachhaltigkeitsrichtlinie vertagt.215

V. Vorschlag einer europäischen Richtlinie zu Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen vom 23.2.2022 1. EU-Strategie (2011 – 14) für die soziale Verantwortung der Unternehmen (CSR) 138 Am 25.10.2011 hat die Europäische Kommission dem Europäischen Parlament

und dem Europäischen Rat die „EU-Strategie (2011–14) für die soziale Verantwortung der Unternehmen (CSR)“216 vorgelegt. Sie ist Ausgangspunkt der gesetzlichen Entwicklung zur Berichterstattung von Unternehmen in der Europäi212 Vgl. Beschluss der Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 19.6.2020, BBl 2020, 5505. 213 Vgl. Botschaft des Schweizerischen Bundesrats vom 15.9.2017 zur Volksinitiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“, BBl 2017, 6335; auch Schweizerische Eidgenossenschaft, Volksabstimmung 29.11.2020, Volksinitiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“, BBl 2015, 3245. 214 Abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/A/A_01453/index. shtml. 215 Vgl. Republik Österreich, Parlament, Parlamentskorrespondenz Nr. 1146 vom 19.10.2021 (abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2021/PK0410/#XXVII _A_01454). 216 KOM(2011)681 und BR-Drucks. 664/11.

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Einleitung schen Union zu Corporate Social Responsibility. Die Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechte ist ein Teilaspekt der CSR-Strategie der Europäischen Kommission. Die Europäische Kommission hat seit Oktober 2011 einen auf der freiwilligen 139 Entscheidung von Unternehmen beruhenden Ansatz verfolgt. In der Einleitung der EU-Strategie 2011-14217 definiert sie soziale Verantwortung der Unternehmen (Corporate Social Responsibility = CSR) „als ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren“. Der mit der Strategie verabschiedete Aktionsplan umfasste „Verpflichtungen für die Kommission selbst sowie Anregungen für Unternehmen, Mitgliedstaaten und andere Stakeholder-Gruppen.“218 Mit Blick auf die Achtung von Menschenrechten äußert die Europäische Kommission die Erwartung, „dass [europäische Unternehmen] ihrer Verantwortung gerecht werden und die Menschenrechte einhalten, so wie dies in den Leitprinzipien der Vereinten Nationen festgelegt ist“.219 Das Konzept ist ähnlich dem California Transparency in Supply Chains Act of 2010220 und dem UK Modern Slavery Act 2015.221 Aus der Umsetzung der EU-Strategie (2011 – 14) für die soziale Verantwortung 140 der Unternehmen (CSR) ist die CSR-Richtlinie hervorgegangen.222 Die Richtlinie erlegt Unternehmen keine Sorgfaltspflichten, sondern – wie der California Transparency in Supply Chains Act of 2010 und der UK Modern Slavery Act – allein Berichtspflichten auf. Unternehmen, die bestimmte Größenmerkmale erfüllen,223 müssen jährlich im Lagebericht zu Umweltbelangen, Arbeitnehmerbelangen, Sozialbelange, zur Achtung der Menschenrechte und zur Bekämpfung von Korruption und Bestechung berichten. Dagegen bilden die Richtlinie und die nationalen Vorschriften zu ihrer Umsetzung keine Rechtsgrundlage, die Unterneh217 Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine neue Strategie (2011-2014) für die soziale Verantwortung der Unternehmen (CSR), KOM(2011) 681, Seite 4. 218 Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine neue Strategie (2011-2014) für die soziale Verantwortung der Unternehmen (CSR), KOM(2011) 681, Seite 10. 219 Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine neue Strategie (2011-2014) für die soziale Verantwortung der Unternehmen (CSR), KOM(2011) 681, Seite 16. 220 Vgl. dazu näher unter Rz. 114. 221 Vgl. dazu näher unter Rz. 116. 222 Vgl. Richtlinie 2014/95/EU vom 22.10.2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen. 223 Vgl. näher § 289b HGB.

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Einleitung || men Sorgfaltspflichten bei der Wahrnehmung von Corporate Social Responsibility auferlegt. Die CSR-Richtlinie setzt auf soziale Kontrolle, insbesondere durch Anleger und Öffentlichkeit, nicht auf gesetzliche Verbote und Sorgfaltspflichten. 141 In den rechtlich nicht bindenden Leitlinien zur nicht-finanziellen Berichterstat-

tung224 beschränkt sich die Europäischen Kommission daher auch weitgehend auf Anregungen, wie die Corporate Social Responsibility von Unternehmen wahrgenommen werden könnte. Es sei aber letztlich Sache der Unternehmen festzulegen, wessen Rechte geschützt werden sollen, also etwa die Rechte von Kindern, Frauen, indigenen Völkern, Menschen mit Behinderungen, lokalen Gemeinschaften, Kleinbauern oder Opfern von Menschenhandel. Das Unternehmen könne auch die Rechte von Arbeitnehmern einschließlich Teilzeitbeschäftigten, von Arbeitnehmern in den Liefer- oder Unterauftragnehmerketten sowie von Wanderarbeitnehmern und den jeweiligen Familienangehörigen einbeziehen.

2. Entschließungen des Europäischen Parlaments 142 Seit 2016 hat in der Europäischen Union eine rechtspolitische Entwicklung von

reinen Berichtspflichten zu materiellen Sorgfaltspflichten stattgefunden,225 die sich insbesondere an drei Schritten ablesen lässt, die sämtlich auf die Initiative des Europäischen Parlaments zurückgehen: – Am 25.10.2016 hat das Europäische Parlament die Entschließung zur Verantwortlichkeit von Unternehmen für schwere Menschenrechtsverletzungen in Drittstaaten verabschiedet.226 Die Entschließung endet mit einem an die Europäische Kommission gerichteten Katalog an Forderungen und gibt der Überzeugung Ausdruck, dass sich europäisches Recht nicht darauf beschränken könne, den Verbrauchern und anderen Stakeholders die Information zu geben, die sie für eine eigene verantwortungsvolle Verbraucherentscheidung benötigen, sondern einen Regulierungsrahmen schaffen müsse, um schwere Menschenrechtsverletzungen in Wertschöpfungsketten zu verhindern.227 – Im Juni 2020 hat das dem Generalsekretär des Europäischen Parlaments zugeordnete Directorate-General for External Policies auf Anfordern des Menschenrechtsausschusses des Europäischen Parlaments das von zwei Professorinnen228 verfasstes Briefing Paper „EU Human Rights Due Diligence Le224 Vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission, Leitlinien für die Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen (Methode zur Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen) (2017/C 215/01). 225 Kritisch dazu Hommelhoff, NZG 2022, 577. 226 Vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25.10.2016 zur Verantwortlichkeit von Unternehmen für schwere Menschenrechtsverletzungen in Drittstaaten (2015/2315(INI)) (2018/C 215/21). 227 Vgl. nur Ziff. 37 der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25.10.2016 (a.a.O.). 228 Claire Methven O’Brien, Chief Adviser Human Rights and Business, Danish Institute for Human Rights, Denmark and Olga Martin-ortega, Professor, University of Greenwich, UK (vgl. Seite II des Briefing Paper).

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Einleitung gislation: Monitoring, Enforcement and Access to Justice for Victims“ vorgelegt.229 Der Rechtsausschuss hat das Briefing Paper seinem ersten Entwurf einer Entschließung des Parlament zugrunde gelegt, mit dem er den Vorschlag über eine Richtlinie über die Sorgfaltspflicht und die Rechenschaftspflicht von Unternehmen vorbereitet hat.230 – Mit Entschließung vom 10.3.2021 hat das Europäische Parlament der Europäischen Kommission schließlich einen eigenen Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen vorgelegt,231 ein ungewöhnlicher Schritt, weil das Europäische Parlament kein eigenen Initiativrecht für europäische Richtlinien hat. 3. Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit Am 23.2.2022 hat die Europäische Kommission den lange erwarteten Vorschlag 143 für eine Europäische Nachhaltigkeitsrichtlinie232 vorgelegt.233 Wenn das Europäische Parlament und der Europäische Rat den Vorschlag verabschieden sollten, werden sich die menschenrechts- und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten von Unternehmen gegenüber dem deutschen Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vom 16.7.2021 nochmals erhöhen. a) Persönlicher Anwendungsbereich Das deutsche Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferket- 144 ten tritt am 1.1.2023 in Kraft und ist dann für Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitern, ab dem 1.1.2024 für Unternehmen mit mindestens 1.000 Mit229 Vgl. European Parliament, Policy Department for External Relations, Directorate General for External Policies of the Union, „EU Human Rights Due Diligence Legislation: Monitoring, Enforcement and Access to Justice for Victims“, PE 603.505, Juni 2020 (abrufbar unter https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2020/60 3505/EXPO_BRI(2020)603505_EN.pdf). 230 Vgl. Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments, Entwurf eines Berichts mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen vom 11.9.2020 (2020/2129(INL)), abrufbar unter https://www.europarl. europa.eu/meetdocs/2014_2019/plmrep/COMMITTEES/JURI/PR/2021/01-27/12124 06DE.pdf. 231 Vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10.3.2021 mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen (2020/2129(INL)), 2021/C 474/02, Amtsblatt der Europäischen Union vom 24.11.2021, C 474. 232 Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit vom 23.2.2022 (2022/0051 (COD)), abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/DOC/?uri= CELEX:52022PC0071&from=EN. 233 Zur Entstehungsgeschichte s. auch Rz. 142 sowie Nietsch/Wiedmann, CCZ 2022, 125.

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Einleitung || arbeitern anwendbar.234 Der Richtlinienentwurf senkt dagegen die Mitarbeiterzahl und führt gleichzeitig Mindestumsatzschwellen ein: – In der EU gegründete Unternehmen sollen nach dem Vorschlag der Kommission die neuen Vorschriften anwenden, wenn sie im Durchschnitt über 500 Arbeitnehmer beschäftigen und in dem letzten Geschäftsjahr weltweit einen Nettoumsatz von über € 150 Mio. erzielt haben.235 – Erfasst werden darüber hinaus Unternehmen, die im Durchschnitt mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigen und einen weltweiten Nettoumsatz von € 40 Mio. erzielt haben, wenn sie mindestens die Hälfte ihres Umsatzes in einer Risikobranche erwirtschaften. Zu den Risikobranchen rechnen u.a. die Textil- und die Lebensmittelherstellung, die Land- und Forstwirtschaft, die Gewinnung mineralischer Rohstoffe und die Metallherstellung.236 – Neu gegenüber dem deutschen Gesetz ist die von einer Zweigniederlassung in der EU unabhängige Anwendung auf Unternehmen außerhalb der EU: Wenn das Unternehmen außerhalb der EU gegründet worden ist, muss es die neuen Regeln anwenden, wenn es im vorletzten Geschäftsjahr einen Nettoumsatz von mehr als € 150 Mio. im Binnenmarkt erzielt hat.237 Diese Ausdehnung der Regeln auf Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU ist zu begrüßen. Dadurch wird das level playing field verbreitert. Wie in diesem Fall aber eine wirksame Aufsicht erreicht werden kann, lässt die Richtlinie noch weitgehend unbeantwortet. 145 Die Mitarbeiter von Konzerngesellschaften werden bei der Ermittlung der An-

wendbarkeitsschwellen nicht zugerechnet. Enger als im LkSG ist dagegen der Unternehmensbegriff: Während das LkSG Unternehmen unabhängig von der Rechtsform und sogar natürliche Personen an der Spitze einer Unternehmensgruppe erfasst, gilt der Richtlinienentwurf lediglich für Kapitalgesellschaften (SE; AG; KGaA und GmbH) und Personenhandelsgesellschaften, die im ausschließlichen Anteilsbesitz von Kapitalgesellschaften stehen, sowie – in diesem Spezialfall unabhängig von der Rechtsform – für Versicherungen und Financial Sector Entities.238 b) Sorgfaltspflichten im Konzern

146 Der Richtlinienentwurf erlegt den Unternehmen Verantwortung für die Wah-

rung der geschützten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Belange nicht nur im eigenen Geschäftsbereich auf. Verantwortung trägt das Unternehmen

234 235 236 237

Vgl. § 1 Abs. 1 LkSG. Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit (a) des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit (b) des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 2 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags; bei Unternehmen, die mindestens 50 Prozent ihres Umsatzes in einer Risikobranche erwirtschaftet haben, liegt der Schwellenwert zwischen € 40 und 150 Mio. Die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer ist nicht mehr relevant. 238 Vgl. Art. 3 lit (a) des Richtlinienvorschlags.

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Einleitung vielmehr auch dafür, dass die geschützten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Belange in den von ihm abhängigen Unternehmen („subsidiaries“) und deren Wertschöpfungsketten gewahrt werden.239 Im deutschen Gesetz werden nur Konzernunternehmen einbezogen, auf die das Unternehmen bestimmenden Einfluss ausübt.240 Eine Regelung zur einheitlichen und gemeinsamen Erfüllung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten im Konzern fehlt in dem Richtlinienvorschlag ebenso wie im deutschen Gesetz. Allerdings müssen die Mitgliedsstaaten im Rahmen der kartellrechtlichen Grenzen ein Recht auf Auskunft und Information gegenüber den Konzernunternehmen einräumen.241 c) Geschützte Rechte Der Richtlinienvorschlag unterscheidet zwischen zwei Arten von geschützten 147 Rechten:242 (i) zwischen menschenrechts- und umweltbezogenen Verboten, die ausdrücklich im Anhang zur Richtlinie genannt werden (z.B. Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit), und (ii) Verboten oder Rechten, die sich aus den in der Anlage genannten internationalen Übereinkommen zum Schutz von Menschenrechten ergeben. In Teil I Ziff. 1. des Annexes zum Richtlinienvorschlag sind – vergleichbar § 2 148 Abs. 2 LkSG – die ausdrücklich benannten menschenrechtlichen Verbote aufgelistet, in Teil I Ziff. 2. die anzuwendenden internationalen Übereinkommen und Erklärungen. In der Regelungstechnik ist das an die Unterscheidung zwischen menschenrechtlichen Verboten in § 2 Abs. 2 LkSG und geschützten Rechtspositionen in § 2 Abs. 1 LkSG angelehnt:243 Der Richtlinienvorschlag hat – wie in § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG – einen Auffangtatbestand, der regelt, dass auch nicht ausdrücklich (in Teil I Ziff. 1.) genannte Rechte Gegenstand der Sorgfaltspflichten sind, wenn „das betreffende Unternehmen das Risiko einer solchen Beeinträchtigung und die zur Einhaltung der in Artikel 4 dieser Richtlinie genannten Verpflichtungen zu treffenden geeigneten Maßnahmen unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände seiner Geschäftstätigkeit, wie etwa des Sektors und des betrieblichen Umfelds, angemessen hätte ermitteln können.“ § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG bezieht die nach § 2 Abs. 1 LkSG geschützten Rechtsposition dagegen erst und nur ein, wenn es sich um eine schwerwiegende Beeinträchtigung handelt und die Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung offensichtlich ist. In Teil II sind – in der Regelungstechnik ähnlich wie § 2 Abs. 3 LkSG – umwelt- 149 bezogene Verbote aufgelistet. 239 240 241 242

Vgl. Art. 1 Abs. 1 lit (a) des Richtlinienvorschlags. Vgl. § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG. Vgl. Art. 4 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags. Vgl. die Definitionen von „adverse environmental impact“ und „adverse human rights impact“ in Art. 3 lit (b) und (c) des Richtlinienvorschlags. 243 Vgl. dazu § 2 Rz. 3 ff.

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Einleitung || aa) Vergleichende Übersicht zu den im Richtlinienvorschlag ausdrücklich benannten geschützten Rechten und Verboten 150 Der Richtlinienvorschlag benennt im Annex244 20 menschenrechtliche Rechts-

positionen und Verbote und ergänzt einen Auffangtatbestand in Ziff. 21. Nachfolgend wird eine Übersicht gegeben, welche Stellung die 20 menschenrechtliche Rechtspositionen und Verbote in § 2 LkSG haben. Nr. Verbot

§ 2 LkSG

1.

Violation of the people’s right to dispose of a land’s natural resources and to not be deprived of means of subsistence in accordance with Article 1 of the International Covenant on Civil and Political Right

Geschützte Rechtsposition (§ 2 Abs. 1 LkSG)

2.

Violation of the right to life and security in accordance with Article 3 of the Universal Declaration on Human Rights

Geschützte Rechtsposition (§ 2 Abs. 1 LkSG)

3.

Violation of the prohibition of torture, cruel, inhuman or de- Geschützte grading treatment in accordance with Article 5 of the Universal Rechtsposition (§ 2 Abs. 1 LkSG) Declaration of Human Rights

4.

Violation of the right to liberty and security in accordance with Geschützte Article 9 of the Universal Declaration of Human Rights Rechtsposition (§ 2 Abs. 1 LkSG)

5.

Violation of the prohibition of arbitrary or unlawful interference with a person’s privacy, family, home or correspondence and attacks on their reputation, in accordance with Article 17 of the Universal Declaration of Human Rights

6.

Violation of the prohibition of interference with the freedom of Geschützte thought, conscience and religion in accordance with Article 18 Rechtsposition of the Universal Declaration of Human Rights (§ 2 Abs. 1 LkSG)

7.

Violation of the right to enjoy just and favourable conditions of work including a fair wage, a decent living, safe and healthy working conditions and reasonable limitation of working hours in accordance with Article 7 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights

Geschützte Rechtsposition (§ 2 Abs. 1 LkSG)

8.

Violation of the prohibition to restrict workers’ access to adequate housing, if the workforce is housed in accommodation provided by the company, and to restrict workers’ access to adequate food, clothing, and water and sanitation in the work place in accordance with Article 11 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights

Geschützte Rechtsposition (§ 2 Abs. 1 LkSG)

Geschützte Rechtsposition (§ 2 Abs. 1 LkSG)

244 Teil I, Ziff. 1. „Violations of Rights and Prohibitions included in International Human Rights Agreements“ (abrufbar unter https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/1_2_ 183888_annex_dir_susta_en.pdf).

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Einleitung Nr. Verbot 9.

§ 2 LkSG

Violation of the right of the child to have his or her best inter- Keine ausdrückests given primary consideration in all decisions and actions liche Referenz im that affect children in accordance with Article 3 of the ConLkSG vention of the Rights of the Child; violation of the right of the child to develop to his or her full potential in accordance with Article 6 of the Convention of the Rights of the Child; violation of the right of the child to the highest attainable standard of health in accordance with Article 24 of the Convention on the Rights of the Child; violation of the right to social security and an adequate standard of living in accordance with Article 26 and 27 of the Convention on the Rights of the Child; violation of the right to education in accordance with Article 28 of the Convention on the Rights of the Child; violation of the right of the child to be protected from all forms of sexual exploitation and sexual abuse and to be protected from being abducted, sold or moved illegally to a different place in or outside their country for the purpose of exploitation, in accordance with Articles 34 and 35 of the Convention of the Rights of the Child

10. Violation of the prohibition of the employment of a child under the age at which compulsory schooling is completed and, in any case, is not less than 15 years, except where the law of the place of employment so provides in accordance with Article 2 (4) and Articles 4 to 8 of the International Labour Organization Minimum Age Convention, 1973 (No. 138)

Menschenrechtliches Verbot (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 LkSG)

11. Violation of the prohibition of child labour pursuant to Article 32 of the Convention on the Rights of the Child, including the worst forms of child labour for children (persons below the age of 18 years) in accordance with Article 3 of the of the International Labour Organization Worst Forms of Child Labour Convention, 1999 (No. 182)

Menschenrechtliches Verbot (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 LkSG)

12. Violation of the prohibition of forced labour; this includes all work or service that is exacted from any person under the menace of any penalty and for which the said person has not offered himself or herself voluntarily, for example as a result of debt bondage or trafficking in human beings; excluded from forced labour are any work or services that comply with Article 2 (2) of International Labour Organization Forced Labour Convention, 1930 (No. 29) or with Article 8 (3) (b) and (c) of the International Covenant on Civil and Political Rights

Menschenrechtliches Verbot (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG)

13. Violation of the prohibition of all forms of slavery, practices akin to slavery, serfdom or other forms of domination or oppression in the workplace, such as extreme economic or sexual exploitation and humiliation in accordance with Article 4 of the Universal Declaration of Human Rights and Art. 8 of the International Covenant on Civil and Political Rights

Menschenrechtliches Verbot (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 LkSG)

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Einleitung || Nr. Verbot

§ 2 LkSG

14

Keine ausdrückliche Referenz im LkSG

Violation of the prohibition of human trafficking in accordance with Article 3 of the Palermo Protocol to Prevent, Suppress and Punish Trafficking in Persons Especially Women and Children, supplementing the United Nations Convention against Transnational Organized Crime

15. Violation of the right to freedom of association, assembly, the rights to organise and collective bargaining in accordance with Article 20 of the Universal Declaration of Human Rights, Articles 21 and 22 of the International Covenant on Civil and Political Rights Article 8 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, the International Labour Organization Freedom of Association and Protection of the Right to Organise Convention, 1948 (No. 87) and the International Labour Organization Right to Organise and Collective Bargaining Convention, 1949 (No. 98)

Menschenrechtliches Verbot (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 LkSG)

16. Violation of the prohibition of unequal treatment in employment, unless this is justified by the requirements of the employment in accordance with Article 2 and Article 3 of the International Labour Organisation Equal Remuneration Convention, 1951 (No. 100), Article 1 and Article 2 of the International Labour Organisation Discrimination (Employment and Occupation) Convention, 1958 (No. 111) and Article 7 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights; unequal treatment includes, in particular, the payment of unequal remuneration for work of equal value

Menschenrechtliches Verbot (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG)

17. Violation of the prohibition of withholding an adequate living wage in accordance with Article 7 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights

Menschenrechtliches Verbot (§ 2 Abs. 2 Nr. 8 LkSG)

18. Violation of the prohibition of causing any measurable environmental degradation, such as harmful soil change, water or air pollution, harmful emissions or excessive water consumption or other impact on natural resources in accordance with Article 3 of the Universal Declaration of Human Rights, Article 5 of the International Covenant on Civil and Political Rights and Article 12 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights

Menschenrechtliches Verbot (§ 2 Abs. 2 Nr. 9 LkSG)

19. Violation of the prohibition to unlawfully evict or take land, forests and waters when acquiring, developing or otherwise use land, forests and waters, including by deforestation, the use of which secures the livelihood of a person in accordance with Article 11 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights

Menschenrechtliches Verbot (§ 2 Abs. 2 Nr. 10 LkSG)

20. Violation of the indigenous peoples’ right to the lands, territories Keine ausdrückand resources which they have traditionally owned, occupied liche Referenz im LkSG or otherwise used or acquired in accordance with Article 25,

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Einleitung Nr. Verbot

§ 2 LkSG

26 (1) and (2), 27, and 29 (2) of the United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples

bb) Vergleichende Übersicht über in Bezug genommene internationale Übereinkommen und Erklärungen zum Schutz von Menschenrechten Der Richtlinienvorschlag245 weitet auch den Katalog mit internationalen Über- 151 einkommen und Erklärungen zum Schutz der Menschenrechte weit über den Katalog des LkSG und der UN Guiding Principles on Business and Human Rights hinaus aus. Der Richtlinienvorschlag bezieht auch nicht nur völkerrechtlich bindende Übereinkommen ein, sondern auch Erklärung ohne völkerrechtliche Bindung. Die folgende Übersicht zeigt, auf welche Übereinkommen auch der Annex zu § 2 LkSG Bezug nimmt. Internationales Übereinkommen oder Erklärung

LkSG

The Universal Declaration of Human Rights

Nein

The International Covenant on Civil and Political Rights

Ja, s. Nr. 10 der Anlage zu § 2 LkSG

The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights

Ja, s. Nr. 11 der Anlage zu § 2 LkSG

The Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Nein Genocide The Convention against Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment

Nein

The International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination

Nein

The Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women

Nein

The Convention on the Rights of the Child

Nein

The Convention on the Rights of Persons with Disabilities

Nein

The United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples Nein The Declaration on the Rights of Persons Belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities

Nein

United Nations Convention against Transnational Organised Crime Nein and the Palermo Protocol to Prevent, Suppress and Punish Trafficking in Persons Especially Women and Children, supplementing the United Nations Convention against Transnational Organized Crime 245 Vgl. Annex, Teil I, Ziff. 2. zum Richtlinienvorschlag.

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Einleitung || Internationales Übereinkommen oder Erklärung

LkSG

The International Labour Organization’s Declaration on Fundamen- Nein tal Principles and Rights at Work The International Labour Organization’s Tripartite Declaration of Principles concerning Multinational Enterprises and Social Policy

Nein

Freedom of Association and Protection of the Right to Organise Convention, 1948 (No. 87)

Ja, s. Nr. 3 der Anlage zu § 2 LkSG

Right to Organise and Collective Bargaining Convention, 1949 (No. 98)

Ja, s. Nr. 4 der Anlage zu § 2 LkSG

Forced Labour Convention, 1930 (No. 29) and its 2014 Protocol

Ja, s. Nr. 1 und 2 der Anlage zu § 2 LkSG

Abolition of Forced Labour Convention, 1957 (No. 105)

Ja, s. Nr. 6 der Anlage zu § 2 LkSG

Minimum Age Convention, 1973 (No. 138)

Ja, s. Nr. 8 der Anlage zu § 2 LkSG

Worst Forms of Child Labour Convention, 1999 (No. 182)

Ja, s. Nr. 9 der Anlage zu § 2 LkSG

Equal Remuneration Convention, 1951 (No. 100)

Ja, s. Nr. 5 der Anlage zu § 2 LkSG

Discrimination (Employment and Occupation) Convention, 1958 (No. 111)

Ja, s. Nr. 7 der Anlage zu § 2 LkSG

cc) Vergleichende Übersicht über die umweltbezogenen Verbote 152 Der Richtlinienvorschlag benennt im Annex246 12 umweltbezogene Verbote. Die

nachfolgende Übersicht zeigt, in welchen Punkten der Richtlinienvorschlag über § 2 Abs. 3 LkSG hinausgeht. Nr. Verbot

§ 2 Abs. 3 LkSG

1.

Nein

Violation of the obligation to take the necessary measures related to the use of biological resources in order to avoid or

246 Teil I, Ziff. 1. „Violations of Rights and Prohibitions included in International Human Rights Agreements“ (abrufbar unter https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/1_2_ 183888_annex_dir_susta_en.pdf).

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Einleitung Nr. Verbot

§ 2 Abs. 3 LkSG

minimize adverse impacts on biological diversity, in line with Article 10 (b) of the 1992 Convention on Biological Diversity and [taking into account possible amendments following the post 2020 UN Convention on Biological Diversity], including the obligations of the Cartagena Protocol on the development, handling, transport, use, transfer and release of living modified organisms and of the Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity of 12 October 2014 2.

Violation of the prohibition to import or export any specimen in- Nein cluded in an Appendix of the Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (CITES) of 3 March 1973 without a permit, pursuant to Articles III, IV and V

3.

Violation of the prohibition of the manufacture of mercuryadded products pursuant to Article 4 (1) and Annex A Part I of the Minamata Convention on Mercury of 10 October 2013 (Minamata Convention)

4.

Violation of the prohibition of the use of mercury and mercury § 2 Abs. 3 Nr. 2 compounds in manufacturing processes within the meaning of LkSG Article 5 (2) and Annex B Part I of the Minamata Convention from the phase-out date specified in the Convention for the respective products and processes

5.

Violation of the prohibition of the treatment of mercury waste § 2 Abs. 3 Nr. 3 contrary to the provisions of Article 11 (3) of the Minamata LkSG Convention

6.

Violation of the prohibition of the production and use of che- § 2 Abs. 3 Nr. 4 LkSG micals pursuant to Article 3 (1) (a) (i) and Annex A of the Stockholm Convention of 22 May 2001 on Persistent Organic Pollutants (POPs Convention), in the version of Regulation (EU) 2019/1021 of the European Parliament and of the Council of 20 June 2019 on persistent organic pollutants (OJ L 169 of 25 June 2019 pp. 45-77

7.

Violation of the prohibition of the handling, collection, storage § 2 Abs. 3 Nr. 5 and disposal of waste in a manner that is not environmentally LkSG sound in accordance with the regulations in force in the applicable jurisdiction under the provisions of Article 6 (1) (d) (i) and (ii) of the POPs Convention

8.

Violation of the prohibition of importing a chemical listed in Annex III of the Convention on the Prior Informed Consent Procedure for Certain Hazardous Chemicals and Pesticides in International Trade (UNEP/FAO), adopted on 10 September 1998, as indicated by the importing Party to the Convention in line with the Prior Informed Consent (PIC) Procedure

§ 2 Abs. 3 Nr. 1 LkSG

Nein

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Einleitung || Nr. Verbot

§ 2 Abs. 3 LkSG

9.

Nein

Violation of the prohibition of the production and consumption of specific substances that deplete the ozone layer (i.e., CFCs, Halons, CTC, TCA, BCM, MB, HBFCs and HCFCs) after their phase-out pursuant to the Vienna Convention for the protection of the Ozone Layer and its Montreal Protocol on substances that deplete the Ozone Layer

10. Violation of the prohibition of exports of hazardous waste § 2 Abs. 3 Nr. 6 within the meaning of Article 1 (1) and other wastes within the LkSG meaning of Article 1 (2) of the Basel Convention on the Control of Transboundary Movements of Hazardous Wastes and their Disposal of 22 March 1989 (Basel Convention) and within the meaning of Regulation (EC) No 1013/2006 of the European Parliament and of the Council of 14 June 2006 on shipments of waste (OJ L 190 of 12 July 2006 pp. 1-98) (Regulation (EC) No 1013/2006), as last amended by Commission Delegated Regulation (EU) 2020/2174 of 19 October 2020 (OJ L 433 of 22 December 2020 pp. 11-19) (a) to a party that has prohibited the import of such hazardous and other wastes (Article 4 (1) (b) of the Basel Convention), (b) to a state of import as defined in Article 2 no. 11 of the Basel Convention that does not consent in writing to the specific import, in the case where that state of import has not prohibited the import of such hazardous wastes (Article 4 (1) (c) of the Basel Convention), (c) to a non-party to the Basel Convention (Article 4 (5) of the Basel Convention), (d) to a state of import if such hazardous wastes or other wastes are not managed in an environmentally sound manner in that state or elsewhere (Article 4 (8) sentence 1 of the Basel Convention) 11. Violation of the prohibition of the export of hazardous wastes § 2 Abs. 3 Nr. 7 from countries listed in Annex VII to the Basel Convention to LkSG countries not listed in Annex VII (Article 4A of the Basel Convention, Article 36 of Regulation (EC) No 1013/2006) 12. Violation of the prohibition of the import of hazardous wastes § 2 Abs. 3 Nr. 8 and other wastes from a non-party to the Basel Convention LkSG (Article 4 (5) of the Basel Convention)

d) Wertschöpfungskette 153 Während das deutsche Gesetz den eigenen Geschäftsbereich bis zum Werkstor

des Kunden und die Lieferketten (upstream) regelt,247 erfasst der Richtlinienvorschlag auch unmittelbare oder mittelbare Geschäftsbeziehungen in den nach247 Vgl. § 2 Abs. 5 LkSG.

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Einleitung gelagerten Teilen der Wertschöpfungskette (downstream), also vor allem zu Kunden.248 Der Downstream-Bereich soll selbst das Recycling und die Entsorgung einschließen. Auslöser der Pflichten außerhalb der eigenen Unternehmensgruppe ist nach 154 dem Richtlinienvorschlag,249 in Anlehnung an das französische Recht,250 das Bestehen einer etablierten Geschäftsbeziehung („established business relationship“). Diese definiert der Richtlinienvorschlag251 als eine mit Blick auf Intensität oder Dauer langfristige bzw. beständige Geschäftsbeziehung, die einen nicht vernachlässigbaren oder lediglich untergeordneten Teil der Wertschöpfungskette darstellt. Hierin liegt nur auf den ersten Blick eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie. Im 20. Erwägungsgrund stellt der Richtlinienvorschlag aber klar, dass alle nachgelagerten Glieder der Wertschöpfungskette als etablierte Geschäftsbeziehung gelten, wenn die Geschäftsbeziehung zum unmittelbaren Vertragspartner dieser Definition unterfällt. Während das deutsche Recht mit Blick auf mittelbare Zulieferer Pflichten nur 155 und erst bei substantiierter Kenntnis von einer Verletzung oder einem Risiko auslöst, bezieht der Richtlinienentwurf indirekte Geschäftsbeziehungen ohne Einschränkung ein, vorausgesetzt allein, dass es sich um eine etablierte Geschäftsbeziehung handelt. e) Konkrete Sorgfaltspflichten („Due Diligence“) Kern des deutschen und des europäischen Regelwerks sind die gesetzlichen 156 Sorgfaltspflichten, die den verpflichteten Unternehmen auferlegt werden. Dem Richtlinienvorschlag und dem LkSG liegt dasselbe Prinzip zugrunde: Die verpflichteten Unternehmen müssen auf der Grundlage einer regelmäßigen Risikoanalyse entscheiden, welche Präventionsmaßnahmen sie ergreifen, um menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken zu vermieden oder zu verringern. Wenn es zur Verletzung von menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Verboten kommt, sind Abhilfemaßnahmen einzuleiten. Hinzu kommen die Pflichten zur Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens, der jährlichen Berichterstattung, sowie einer regelmäßigen und anlassbezogenen Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen. aa) Strategie zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten Während das LkSG den Aufbau eines angemessenen Risikomanagements an 157 den Anfang des Pflichtenkanons stellt, haben Unternehmen nach dem europäischen Richtlinienvorschlag mit der die Entwicklung einer unternehmensinter248 Vgl. Art. 1 Abs. 1 (a) des Richtlinienvorschlags und die Definition in Art. 3 lit (g) des Richtlinienvorschlags. 249 Vgl. Art. 1 Abs. 1 (a) des Richtlinienvorschlags. 250 Vgl. dazu Rz. 121; wie hier auch Nietsch/Wiedmann, CCZ 2022, 125, 127. 251 Vgl. Art. 3 lit (f) des Richtlinienvorschlags.

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Einleitung || nen Strategie zur Achtung von menschenrechtlichen und umweltbezogenen Pflichten zu beginnen. Die verpflichteten Unternehmen müssen, so der Richtlinienvorschlag, die gesetzlichen Sorgfaltspflichten in alle Bereiche ihrer Unternehmenspolitik aufnehmen und über eine Strategie zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten verfügen.252 Die Strategie muss die folgenden Punkte abdecken: – Eine Darstellung des Ansatzes, den das Unternehmen – auch langfristig – verfolgt, – einen Verhaltenskodex, sowie – eine Beschreibung des Implementierungsprozesses, der auch die getroffenen Maßnahmen zur Sicherstellung der Beachtung des Verhaltenskodex und dessen Anwendung in etablierten Geschäftsbeziehungen darstellt. Der 16. Erwägungsgrund des Richtlinienvorschlags erläutert, dass sich die Europäische Kommission am OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln253 orientiert habe. Der OECD-Leitfaden empfiehlt den Unternehmen, die Grundsätze für verantwortliches unternehmerisches Handeln, also eine Strategie oder Policy festzulegen. Dazu rechnet der OECD-Leitfaden insbesondere die Erläuterung, welche inhaltlichen Aspekte als maßgebend für verantwortliches unternehmerisches Handeln angesehen werden, und wie diesen Aspekten im Unternehmen Rechnung getragen werden soll. Aus Sicht des OECD-Leitfadens macht das Sinn, da der Leitfaden von der Situation ausgeht, dass es an einer gesetzlichen Regelung der Sorgfaltspflichten gerade noch fehlt. Wie das Unternehmen weltweit mit Menschenrechten umgeht, bedarf aus Sicht des OECD-Leitfadens einer Entscheidung und der Integration in das allgemeine Nachhaltigkeitsmanagement. Wenn dagegen die Schutzpflichten von Unternehmen gesetzlich vorgegeben sind, und das ist das Ziel des Richtlinienvorschlags, stehen nicht mehr die strategischen Entscheidungen oder die unternehmensinternen Policies im Vordergrund, sondern das Bekenntnis zu den gesetzlichen Regelungszielen und die Beschreibung, wie das Unternehmen die Erfüllung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten im Unternehmen sichergestellt. Inhaltlich ist die Verpflichtung zur Aufnahme der gesetzlichen Sorgfaltspflichten und zur Entwicklung einer Strategie weitgehend angenähert an die Regelung zur Grundsatzerklärung und dem Erfordernis einer Menschenrechtsstrategie in § 6 Abs. 2 LkSG. 158 Die Strategie soll – so der Richtlinienvorschlag – jährlich aktualisiert und ver-

öffentlicht werden.254 In diesem Punkt stimmt der Richtlinienvorschlag mit § 5 Abs. 5 LkSG überein.

252 Vgl. Art. 5 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags. 253 Vgl. OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflichten für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, 2018 (abrufbar unter http://mneguidelines.oecd.org/ OECD-leitfaden-fur-die-erfullung-der-sorgfaltspflicht-fur-verantwortungsvolles-unter nehmerisches-handeln.pdf). 254 Vgl. Art. 5 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags.

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Einleitung bb) Identifizierung tatsächlicher und potentieller nachteiliger Auswirkungen – Risikoanalyse Wie in § 5 LkSG bestimmt, haben Unternehmen auch nach dem künftigen euro- 159 päischen Recht zunächst die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken (oder Beeinträchtigungen) zu ermitteln. Sie müssen – wie der Richtlinienvorschlag formuliert – geeignete Maßnahmen ergreifen, um tatsächliche und potentielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt zu ermitteln, die sich aus ihren eigenen Tätigkeiten oder denen ihrer Tochterunternehmen und – sofern sie mit ihren Wertschöpfungsketten im Zusammenhang stehen – aus ihren etablierten Geschäftsbeziehungen ergeben.255 Merkwürdig wirkt eine Sonderregel zur Risikoanalyse: Art. 6 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags bestimmt für Unternehmen einer Risikobranche,256 dass sie nur zur Identifizierung solcher tatsächlichen oder potentiellen nachteiligen Auswirkungen verpflichtet sind, die den Risikosektor betreffen.257 Ein Mehr an Risiko führt zu einem weniger an Analysepflichten. Besonders in die Pflicht genommen werden Unternehmen der Finanz- und Versicherungswirtschaft: Menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken müssen sie vor der Vergabe von Krediten und Finanzierungen bzw. der Bereitstellung von (Rück-)Versicherungen in Bezug auf ihre Kunden und – soweit ein sachlicher Zusammenhang besteht – auch auf deren Tochterunternehmen analysieren.258 cc) Verhinderung und Milderung potentieller nachteiliger Auswirkungen Unternehmen müssen geeignete Maßnahmen ergreifen, um mögliche Beein- 160 trächtigungen von Menschenrechten und Umwelt zu vermeiden oder in ihren Auswirkungen abzuschwächen259 also Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Zu den gesetzlichen Präventivmaßnahmen, die das Unternehmen gegebenenfalls („where relevant“) anwenden muss, rechnet der Richtlinienvorschlag:260 – Festlegung eines Präventionsplan, sofern Art und Komplexität der gebotenen Maßnahmen dies erfordern, jeweils mit qualitativen und quantitativen Indikatoren zur Messung der Verbesserung; der Plan soll mit den relevanten Stakeholdern abgestimmt werden; – Einholung der vertraglichen Zusicherung von direkten Geschäftspartnern, den Code of Conduct zu beachten oder an einem Präventionsplan mitzuwirken; dies kann auch vertragliche Weitergabeverpflichtungen („Kaskadierung“) einschließen; – Bereitstellung der notwendigen Mittel für Investitionen in Managementund Produktionsprozesse sowie Infrastruktur; 255 256 257 258 259 260

Vgl. Art. 6 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags. Zum Begriff der Risikobranche s. Rz. 144. Vgl. Art. 6 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 6 Abs. 3 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 7 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 7 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags.

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Einleitung || – gezielte Unterstützung von KMU, mit denen das verpflichtete Unternehmen eine etablierte Geschäftsbeziehung unterhält, „sofern die Einhaltung des Verhaltenskodexes oder des Präventionsaktionsplans die Tragfähigkeit des KMU gefährden würde“; – Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, um nachteiligen Auswirkungen wirksam zu begegnen; für die rechtliche Zulässigkeit der Zusammenarbeit, insbesondere die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit, ist ungeachtet der gesetzlichen Pflicht zur Zusammenarbeit das verpflichtet Unternehmen verantwortlich. 161 Die Parallelregelung im deutschen Recht ist § 6 Abs. 3 und 4 LkSG, der mit der

Unterscheidung zwischen Präventivmaßnahme im eigenen Geschäftsbereich und gegenüber den unmittelbaren Zulieferern eine klarere Struktur aufweist. Die Regelungen im Richtlinienvorschlag wirken weniger ausgereift: Die Bereitstellung von notwenigen Mitteln ist eine Selbstverständlichkeit, die nicht der gesetzlichen Regelung bedarf. Die Regeln zur Unterstützung von KMU und zur vorgeschriebenen Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen sind völlig unbestimmt.

162 Wie ein Fremdkörper wirkt die Regelungen in Art. 7 Abs. 3 und 4 des Richtlini-

envorschlags: Der Vorschlag weist Unternehmen auf alternative Vorgehensweisen hin, die ergriffen werden können, wenn eine Vermeidung oder eine angemessene Abschwächung der „negativen Auswirkungen“ nicht sofort möglich ist. Dann bestehe die Möglichkeit, mit einem (mittelbaren) Zulieferer einen Vertrag über die Einhaltung des Verhaltenskodex abzuschließen oder sich mit ihm auf einen „Präventionsaktionsplan“ zu einigen.261 Das wäre auch ohne gesetzliche Regelung klar gewesen. Für den Fall, dass das verpflichtete Unternehmen eine solche Vereinbarung mit dem (mittelbaren) Zulieferer trifft, macht die Richtlinien wiederum bindende Vorgaben: Es müssen dann flankierende Kontrollen stattfinden. Die Bedingungen der Vereinbarung müssen zudem fair, angemessen und nicht-diskriminierend sein. Zudem muss das verpflichtete Unternehmen die Kosten für die Kontrolle durch unabhängige Dritte tragen. Der Hintergrund der Regelungen ergibt sich erst in der Zusammenschau mit der besonderen Haftungsregelung in Art. 22 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags.

163 Können potentielle nachteilige Auswirkungen nicht vermieden oder angemessen

verringert werden, schreibt der Richtlinienvorschlag vor, dass die verpflichteten Unternehmen keine neuen Beziehungen zu dem Geschäftspartner eingehen und bestehende Beziehungen nicht erweitern.262 Allerdings steht die Richtlinienregelung unter dem Vorbehalt, dass das für das Vertragsverhältnis maßgebende Recht dies zulässt. Die Unternehmen können sich darauf beschränken, die Geschäftsbeziehung temporär auszusetzen und Präventions- und Abmilderungsmaßnahmen zu treffen, wenn die begründete Aussicht besteht, dass die Präventions- und Abmilderungsmaßnahmen innerhalb kurzer Zeit erfolgreich sein werden. Sind die potentiellen nachteiligen Auswirkungen schwerwiegend, soll 261 Vgl. Art. 7 Abs. 3 des Richtlinienvorschlags. 262 Vgl. Art. 7 Abs. 5 des Richtlinienvorschlags.

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Einleitung die Geschäftsbeziehung dauerhaft beendet werden. Eine Ausnahme besteht insoweit für Unternehmen der Kredit- und Finanzwirtschaft, sofern diesen durch die Beendigung der Beziehung ein erheblicher Schaden droht. Die Regelung führt im Vergleich zum deutschen Recht (§ 7 Abs. 3 LkSG) zu einer Vorverlagerung der Notwendigkeit, eine Vertragsbeziehung vorübergehend auszusetzen oder zu beenden. Während das deutsche Recht die Aussetzung oder Beendigung systematisch in den Kontext der Abhilfemaßnahmen einordnet, verlagert der Richtlinienvorschlag die Aussetzung oder Beendigung der Geschäftsbeziehung deutlich vor und sieht sie als Teil der Präventionsstrategie an. dd) Beendigung tatsächlicher nachteiliger Auswirkungen Die Unternehmen sollen durch das europäische Recht verpflichtet werden, ge- 164 eignete Maßnahmen zu ergreifen, um tatsächliche nachteilige Auswirkungen zu beheben. Ist das nicht vollständig möglich, müssen jedenfalls die Auswirkungen minimiert werden und ein Abhilfemaßnahmenplan aufgestellt werden. Abweichend vom deutschen Recht, aber in Übereinstimmung mit den Leitprinzipien 22263 und 27 bis 31264 der UN Guiding Principles on Business and Human Rights sollen Unternehmen künftig verpflichtet werden, Schadensersatz an betroffene Personen und finanzielle Entschädigungen an betroffene Gemeinschaften zu zahlen. Welche weiteren Abhilfemaßnahmen geboten sind, bestimmt der Richtlinien- 165 vorschlag265 ebenso wie bei den Präventivmaßnahmen: von der Aufstellung eines Korrekturmaßnahmenplans über vertragliche Zusicherungen des unmittelbaren Geschäftspartners bis hin zu Überwachungsmaßnahmen. Auch die vorgesehenen Folgen für den Fall, dass eine Beendigung oder Mil- 166 derung nicht möglich ist, sind vergleichbar den Präventionsbestimmungen geregelt:266 Es sollen mit dem Geschäftspartner, bei dem die nachteiligen Auswirkungen eingetreten sind bzw. in der betroffenen Wertschöpfungskette keine neuen Geschäftsbeziehungen aufgenommen, bestehende Geschäftsbeziehungen sollen nicht ausgeweitet werden. Das Unternehmen soll die Geschäftsbeziehung vielmehr temporär aussetzen und sich bemühen, die nachteiligen Auswirkungen zu beenden oder zu minimieren. Nur wenn die nachteiligen Auswirkungen schwerwiegend sind, soll eine dauerhafte Beendigung der Geschäftsbeziehung geboten sein. Eine Ausnahme gilt wiederum für die Kredit- und Finanzwirtschaft bei drohenden erheblichen Schäden.267

263 264 265 266 267

Vgl. Rz. 66. Vgl. Rz. 70 ff. Vgl. Art. 8 Abs. 3 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 8 Abs. 6 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 8 Abs. 7 des Richtlinienvorschlags.

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Einleitung || ee) Monitoring 167 Wie auch nach deutschem Recht sollen die Unternehmen verpflichtet werden,

die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Ermittlung, Verhütung, Beendigung und Minimierung der nachteiligen Auswirkungen auf die geschützten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Rechtspositionen jährlich sowie anlassbezogen zu überprüfen.268 f) Öffentliche Berichterstattung

168 Darüber hinaus sieht der Richtlinienentwurf vor, dass Unternehmen, die nicht

bereits nach den neuen und ergänzten Vorgaben der CSR-Richtlinie269 bzw. den nationalen Umsetzungsgesetzen zur Berichtserstattung zu CSR-Themen im (konsolidierten) Lagebericht verpflichtet sind, künftig jährlich bis zum 30. April einen Bericht über die Einhaltung der neuen gesetzlichen Vorgaben veröffentlichen sollen.270 Genauere Kriterien soll der nationale Gesetzgeber vorgeben. Die zur nicht-finanziellen Berichterstattung verpflichteten Unternehmen werden durch neue Regeln in Art. 19a und 29a der Richtlinie 2013/34/EU271 zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet.

169 An der entsprechenden deutschen Regelung wurde bekanntlich vielfach bemän-

gelt, dass der deutsche Gesetzgeber entgegen entsprechenden Hinweisen aus der Praxis keine Integration des Berichts in die nicht-finanzielle Erklärung/Konzernerklärung nach §§ 289f, 315b HGB ermöglicht hat, die bereits Angaben zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen sowie Arbeitsschutz- und Umweltbelangen erfordert. Eine derartige fehleranfällige Doppelarbeit will der EUGesetzgeber den Unternehmen nicht abverlangen. g) Beschwerdeverfahren

170 Wie auch nach deutschem Recht sollen die Unternehmen verpflichtet werden, ein

Beschwerdeverfahren einzurichten.272 Dieses soll betroffenen und möglicherweise betroffenen Personen, Arbeitnehmervertretern der in der Wertschöpfungskette tätigen Personen, sowie Organisationen der Zivilgesellschaft, die auf den Gebieten der Wertschöpfungskette tätig sind, ermöglichen, berechtigte Bedenken über tatsächliche oder potentielle nachteilige menschenrechts- oder umweltbezogene Auswirkungen im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit des Unternehmens, seiner Tochtergesellschaften oder der Wertschöpfungskette zu melden. 268 269 270 271

Vgl. Art. 10 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Richtlinie 2013/34/EU vom 26.6.2013. Vgl. Art. 11 des Richtlinienvorschlags. Vgl. den Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinien 2013/34/EU, 2004/109/EG und 2006/43/EG und der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen vom 21.4.2021, COM(2021) 189 final. 272 Vgl. Art. 9 des Richtlinienvorschlags.

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Einleitung Anders als das deutsche Recht sieht der Richtlinienentwurf vor, dass die Auf- 171 sichtsbehörden zur Entgegennahme von Hinweisen auf Sorgfaltspflichtverstöße auch öffentlicher Meldekanäle einrichten.273 Zudem soll der Anwendungsbereich der EU-Hinweisgeber-RL auf die Meldung 172 von Verstößen gegen die Vorgaben der Nachhaltigkeits-RL und den Schutz der meldenden Personen erweitert werden.274 h) Klimaschutz Auf dem Gebiet der EU gegründeten Unternehmen, die im Durchschnitt über 173 500 Mitarbeiter beschäftigen und über einen weltweiten Nettoumsatz von über € 150 Mio. verfügen, sowie in Drittstaaten gegründeten Unternehmen, die auf dem Gebiet der EU einen Nettoumsatz dieser Höhe erzielen, wird – und das ist im Vergleich zum deutschen LkSG ein völliges Novum – eine Verantwortung zur Bekämpfung des Klimawandels auferlegt.275 Unternehmen müssen ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie künftig so ausrich- 174 ten, dass sie mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und mit der Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C im Einklang stehen, wie im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbart. Dafür müssen sie einen Umsetzungsplan entwickeln.276 Der Plan muss auf einer Analyse der Risiken aufsetzen, die der Klimawandel für das Geschäftsmodell des Unternehmens mit sich bringt. Dieser Plan soll auch darlegen, ob der Klimawandel ein Hauptrisiko für die Geschäftstätigkeit des Unternehmens darstellt und ob dieses einen wesentlichen Einfluss auf den Klimawandel hat. Ist dies der Fall, soll das Unternehmen zusätzlich verpflichtet sein, konkrete Ziele zur Emissionsreduktion in diesen Plan aufzunehmen.277 Bei erster Beurteilung mutet es überraschend an, das die Unternehmen nicht einfach zur Reduktion ihrer Emissionen verpflichtet werden, sondern zur Absicherung ihres Geschäftsmodells gegen Risiken aus dem Klimawandel und den zu erwartenden staatlichen Vorgaben, um die Klimaziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Der Grund für diese Regelungstechnik ist wohl darin zu sehen, dass sich das Pariser Klimaschutzabkommen an Staaten richtet. Sie müssen Klimaschutzbeiträge leisten und nationale Aktionsprogramme entwickeln und umsetzen. Pflichten von Unternehmen enthält das Pariser Klimaschutzabkommen nicht. Aus dem Abkommen lässt sich auch nicht entnehmen, wie Unternehmen zur Erreichung der vereinbarten Klimaschutzziele beitragen müssen, außer durch Erfüllung ihrer Pflichten nach den nationalen Gesetzen zum Klimaschutz. Bemerkenswert ist die besondere Incentivierung bzw. Inpflichtnahme der Ge- 175 schäftsleiter in diesem Zusammenhang: Die Erfüllung der in dem Plan vorgesehenen Vorgaben soll im Rahmen der variablen Vergütung der Unternehmens273 274 275 276 277

Vgl. Art. 19 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 27 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 15 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 15 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 15 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags.

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Einleitung || leitung Berücksichtigung finden, um zur Geschäftsstrategie, den langfristigen Interessen und der Nachhaltigkeit des Unternehmens beizutragen.278 In diesem Zusammenhang soll sichergestellt werden, dass klare und verständliche Kriterien für die Gewährung jeglicher Art von variabler Vergütung aufgestellt werden. 176 Ein Novum ist auch die Bestimmung in Art. 25 des Richtlinienvorschlags: Die Mit-

glieder der Unternehmensleitung müssen künftig bei Ausübung ihrer Pflicht, im besten Interesse des Unternehmens zu handeln, die kurz-, mittel- und langfristigen Folgen ihrer Entscheidungen für Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen, darunter insbesondere die Folgen für Menschenrechte, Klimawandel und Umwelt.279

i) Zivilrechtliche Haftung 177 Mit der europäischen Richtlinie wird den Mitgliedsstaaten aufgegeben, eine zi-

vilrechtliche Haftung bei Nichterfüllung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten einzuführen:280 Für den Fall, dass ein Unternehmen die Sorgfaltspflichten verletzt und eine nachteilige Auswirkung eintritt, die durch die erforderlichen Maßnahmen hätte verhindert, beendet oder abgeschwächt werden können, sieht der Richtlinienentwurf ausdrücklich eine zivilrechtliche Haftung des Unternehmens vor.

178 Eine Haftung für Schäden, die durch die Tätigkeit mittelbarer Geschäftspartner

verursacht werden, soll in der Regel ausgeschlossen sein, wenn das Unternehmen sich die Beachtung des Code of Conduct sowie ggf. des Präventionsaktionsoder des Abhilfemaßnahmenplans hat vertraglich zusichern lassen und die Einhaltung dieser Zusicherung durch angemessene Maßnahmen überprüft hat. In diesem Fall soll eine Haftung nur begründet sein, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahme vernünftigerweise nicht hätte angenommen werden dürfen.281

179 Nach dem Richtlinienvorschlag282 soll bei der Bemessung der Haftung dem

Grunde und der Höhe nach berücksichtigt werden, welche Anstrengungen das Unternehmen bei der Erfüllung der erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat. Das ähnelt eher Straf- oder Sanktionszumessungskriterien als einer Regelung zur zivilrechtlichen Haftung. Dem deutschen Schadensrecht ist eine Haftungsmilderung wegen besonderer Anstrengungen zur Vermeidung des schädigenden Ereignisses bisher fremd. j) Sanktionen

180 Neben einer zivilrechtlichen Haftung sollen Unternehmen bei einer Verletzung

der Sorgfaltspflichten auch öffentlich-rechtliche Sanktionen, also etwa Bußgel-

278 279 280 281 282

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Vgl. Art. 15 Abs. 3 des Richtlinienvorschlags. Kritisch dazu Hommelhoff, NZG 2022, 577. Vgl. Art. 22 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 22 Abs. 2 erster Unterabsatz des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 22 Abs. 2 zweiter Unterabsatz des Richtlinienvorschlags.

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Einleitung der, drohen.283 Diese sollen umsatzbezogen berechnet werden.284 Eine umsatzbezogene Sanktion sieht das LkSG285 bislang lediglich teilweise und für Unternehmen einer bestimmten Größe vor. Der Richtlinienvorschlag bestimmt außerdem, dass alle Entscheidungen über behördliche Sanktionen zu veröffentlichen sind („naming & shaming“).286 k) Unterstützung bei der Umsetzung Die Europäische Kommission soll Unternehmen bei der Umsetzung der Vor- 181 gaben unterstützen und Mustervertragsklauseln287 und Leitlinien288 bereitstellen. Diese Zusage einer gesetzgeberischen bzw. behördlichen Hilfestellung ist aus dem deutschen Recht von den Handreichungen des BAFA bekannt.

VI. Europäische Rechtsvorschriften zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette Auf europäischer Ebene gibt es drei spezialgesetzliche Regelungen, die die Sorg- 182 faltspflichten von Unternehmen in ihren Lieferketten regeln: die Konfliktdiamanten-Verordnung vom 20.12.2002, die Holzhandels-Verordnung vom 20.10. 2010 und die Konfliktmineralien-Verordnung vom 17.5.2017. 1. Konfliktdiamanten-Verordnung vom 20.12.2002 Die Konfliktdiamanten-Verordnung289 ist eine europäische Verordnung, die die 183 Einfuhr von Rohdiamanten in die Europäische Union regelt. Nach Art. 3 der Verordnung dürfen Rohdiamanten nur mit einem staatlichen Herkunftszertifikat in die Europäische Union eingeführt und aus ihr ausgeführt werden. Jedes Herkunftszertifikat ist in dem Einfuhr- oder Bestimmungsland in der Europäischen Union gegen zu prüfen. a) Historischer Hintergrund Die Verordnung geht auf Bürgerkriege in Afrika, insbesondere in Liberia, Si- 184 erra Leone und Angola,290 in den 1990er Jahren zurück. Aufständische Truppen finanzierten sich nach den Erkenntnissen des Sicherheitsrates der Vereinten Na283 284 285 286 287 288 289

Vgl. Art. 20 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 20 Abs. 3 des Richtlinienvorschlags. § 24 Abs. 3 LkSG. Vgl. Art. 20 Abs. 4 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 12 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Art. 13 des Richtlinienvorschlags. Vgl. Verordnung (EG) Nr. 2368/2002 vom 20.12.2002 zur Umsetzung des Zertifikationssystems des Kimberley-Prozesses für den internationalen Handel mit Rohdiamanten. 290 Vgl. den Erwägungsgrund (1) der Verordnung (EG) Nr. 2368/2002 vom 20.12.2002.

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Einleitung || tionen vor allem durch den Verkauf von illegal geschürften Diamanten („Blutdiamanten“/„Konfliktdiamanten“). Der Sicherheitsrat hat das mehrfach scharf verurteilt.291 Im Mai 2000, haben sich die Vertreter von Diamanten-produzierenden Ländern auf einer Tagung im südafrikanischen Kimberley darauf geeinigt, dem Handel mit Blutdiamanten entgegenzuwirken.292 Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat die Initiative mit Beschluss vom 29.1.2001293 begrüßt und die Schaffung eines einfachen und praktikablen internationalen Zertifikationssystems für Rohdiamanten eingefordert. Die an dem Kimberley Prozess beteiligten Parteien, darunter viele diamantenfördernde Länder, der World Diamond Council und zivilgesellschaftliche Organisationen, haben bis November 2002 einen detaillierten Zertifizierungsprozess, das Kimberley Process Certification Scheme,294 entwickelt. Mit der Erklärung von Interlaken vom 5.11.2002 haben die an dem Prozess beteiligten Staaten und die Europäische Union das Kimberley Process Certification Scheme verabschiedet.295 Die Europäische Union hat das Kimberley Process Certification Scheme mit der Konfliktdiamanten-Verordnung vom 20.12.2002 in europäisches Recht umgesetzt. Neben der Europäischen Union ist das Kimberley Process Certification Scheme in 55 nicht zur Europäischen Union gehörenden Staaten umgesetzt. b) Regelungskonzept 185 Das Kimberley Process Certification Scheme ist eines der ersten Regelwerke in

Europa, mit dem Lieferketten einer internationalen Kontrolle unterworfen werden. Das Regelungskonzept ist ein marktbezogenes Konzept: Die Verordnung reguliert in Übereinstimmung mit dem Kimberley Process Certification Scheme jede Einfuhr und Ausfuhr von Rohdiamanten in und aus der Europäischen Union. Gegenstand der Regulierung ist nur den Handel in Rohdiamanten, also mit einem einzigen Produkt. Die Kontrolle findet im Wesentlichen durch staatliche Aufsichtsbehörden statt. Die Beteiligten müssen sicherstellen, dass die von ihnen verwendeten Rohdiamanten prozesskonform und unter Kontrolle der zuständigen Behörden in die Europäische Union eingeführt oder aus ihr ausgeführt werden. Weitergehende Sorgfaltspflichten, insbesondere die Pflicht, sich selbst von der Herkunft der Rohdiamanten zu überzeugen, haben sie nicht. 291 Vgl. nur Security Council, Resolutions 1173 (1998) of 12 June 1998 (Angola), 1295 (2000) of 18 April 2000 (Angola), 1306 (2000) of 5 July 2000 (Sierra Leone), 1304 (2000) of 16 June 2000 (Kongo) und 1343 (2001) of 7 March 2001 (Liberia). 292 Vgl. den Erwägungsgrund (5) der Verordnung (EG) Nr. 2368/2002 vom 20.12.2002. 293 General Assembly, Resolution 55/56 of29 January 2001 „The role of diamonds in fuelling conflict: breaking the link between the illicit transaction of rough diamonds and armed conflict as a contribution to prevention and settlement of conflicts“, A/RES/55/56. 294 https://www.kimberleyprocess.com/en/system/files/documents/KPCS%20Core%20Do cument.pdf. 295 Vgl. den Text in Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 2368/2002 vom 20.12.2002; ferner https://www.kpcivilsociety.org/wp-content/uploads/2019/10/KP-InterlakenDeclarationKPCS-1102.pdf.

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Einleitung Inzwischen sind allerdings auch die Schwächen des Systems klar geworden, mit 186 dem die Konfliktdiamanten-Verordnung die Lieferketten für Rohdiamanten zu kontrollieren versucht: Die Wirksamkeit staatlicher Kontrollen kann durch Fälschung und Korruption beeinträchtigt werden. Staatliche Aufsichtsbehörden in den Förderländern haben häufig weder die Kompetenz noch die Bereitschaft und Mittel, in einem sich ständig ändernden Umfeld wirksame Kontrolle auszuüben. Die Konfliktdiamanten-Verordnung zielt zudem nur auf Einzelaspekte in der Lieferkette: die Verhinderung von Rohdiamant-Importen aus illegaler Förderung. Der Schutz von Menschenrechten und grundlegenden Umweltstandards gehört nicht zu den Zielen der Konfliktdiamanten-Verordnung.296 c) Verhältnis von Konfliktdiamanten-Verordnung und LkSG Die Konfliktdiamanten-Verordnung und das LkSG sind nebeneinander an- 187 wendbar.297 Wie ausgeführt, zielt die Konfliktdiamanten-Verordnung nur auf einzelnen Schutzaspekte in der Lieferkette: die Verhinderung von RohdiamantImporten aus illegaler Förderung. Der Schutz der in § 2 Abs. 2 und 3 benannten Menschenrechte und Umweltstandards ist nicht Gegenstand der Verordnung. Das Kimberely-Zertifikat bietet keine Gewähr, dass die Rohdiamanten aus einem Abbau stammen, der mit den Anforderungen des LkSG vereinbar ist. Die Verordnung ist nicht lex specialis zum LkSG. 2. Holzhandels-Verordnung vom 20.10.2010 Die europäische Holzhandels-Verordnung298 dient dem weltweiten Schutz ge- 188 gen illegalen Holzeinschlag. Im Mittelpunkt steht das in Art. 4 Abs. 1 der Holz296 Vgl. Global Witness, Press Release vom 12.11.2018: „‚Time is up for the diamond industry. Image is everything to the value of diamonds, yet the industry continues to be tainted by association with human rights abuses like child labour and forced labour, as well as conflict, environmental damage, and corruption. If the diamond industry genuinely wants to address these issues, it needs to clean-up its act and no longer approach respect for human rights and responsible business as an optional exercise,‘ Joanne Lebert, IMPACT’s Executive Director.“ (https://www.globalwitness.org/en/press-re leases/diamond-industry-fails-clean-its-act/) und die Pressemitteilung des World Diamond Council vom 21.6.2021: „‚The prevailing subjects that are today on the agenda of the international community, as well as that of the diamond industry, are: human rights, environmental protection and social justice. They are certainly being discussed and advanced outside of the Kimberley Process. And we must not be left behind,‘ the WDC President stated.“ (https://www.worlddiamondcouncil.org/2021/06/21/withconsumers-demanding-greater-accountability-and-sustainability-the-kimberley-pro cess-must-not-be-left-behind-wdc-president-declares/). 297 Anderer Ansicht Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, Rz. 18 (EU-Verordnung hat Vorrang). 298 Verordnung (EU) Nr. 995/2010 vom 20.10.2010 über die Verpflichtungen von Marktteilnehmern, die Holz und Holzerzeugnisse in Verkehr bringen.

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Einleitung || handels-Verordnung geregelte Verbot, Holz- oder Holzerzeugnisse aus illegalem Einschlag in den Verkehr zu bringen.299 a) Historischer Hintergrund 189 Die Anstrengungen der Europäischen Union zur Bekämpfung von illegalem

Holzeinschlag gehen auf die Entschließung des Rates der Europäischen Union vom 15.12.1998 über eine Forststrategie für die Europäische Union300 und den Weltgipfel der Nachhaltigkeit zurück, den die Vereinten Nationen im August und September 2002 in Johannesburg veranstaltet haben. Der mit der Abschlussresolution vom 4.9.2002 verabschiedete Durchführungsplan301 fordert u.a. einen nachhaltigen Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern auf einzelstaatlicher und weltweiter Ebene, namentlich durch Partnerschaften zwischen den holzproduzierenden und den holzverarbeitenden Ländern.

190 Die Europäische Kommission hat am 21.5.2003 parallel zu ähnlichen Initiativen

in Asien und Afrika den Vorschlag für einen EU-Aktionsplan „Rechtsdurchsetzung, Politikgestaltung und Handel im Forstsektor (FLEGT)“302 vorgelegt, den der Rat am 7.11.2003303 gebilligt hat. Der Aktionsplan sah als kurzfristige Maßnahme ein freiwilliges Genehmigungssystem auf der Grundlage von internationalen Partnerschaftsabkommen mit holzproduzierenden Ländern vor, bei dem die Partnerländer die Legalität der Herkunft des in die Europäische Union ausgeführten Holzes zertifizieren. Die Kommission behielt sich vor, bei fehlenden Fortschritten weitergehende Regelungen zum Schutz gegen illegalen Holzeinschlag vorzusehen. Mit Verordnung (EG) Nr. 2173/2005 vom 20.12.2005 sind die rechtlichen Grundlagen zur Einrichtung des FLEGT-Genehmigungssystems für Holzeinfuhren in die Europäische Gemeinschaft geschaffen worden. Allerdings hat die Europäische Union in der Folgezeit nur sieben Partnerschaftsabkommen304 mit holzproduzierenden Ländern abschließen können. Seit dem 299 Vgl. auch Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die in Verbindung mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen, auf dem Unionsmarkt sowie ihre Ausfuhr aus der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 995/2010, 17. November 2021, 2021/0366 (COD). 300 Vgl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 26.2.1999, C 56/1. 301 Vgl. Vereinte Nationen, Bericht des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung, Johannesburg (Südafrika), 26. August – 4.9.2002, A/CONF.199/20, Seite 38 Nr. 45 (https:// www.un.org/depts/german/conf/jhnnsbrg/a.conf.199-20.pdf). 302 Vgl. Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 21.5.2003, KOM (2003) 251. 303 Vgl. Schlussfolgerung des Rates „Rechtsdurchsetzung, Politikgestaltung und Handel im Forstsektor (FLEGT)“, 2003/C 268/0, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 7.11.2003, C 268, Ziff. 3. 304 Vgl. die Homepage der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (https:// www.ble.de/DE/Themen/Wald-Holz/Handel-Holz/_functions/partnerlaender_table. html?nn=8904396).

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Einleitung 15.11.2016 darf Indonesien – als bislang einziges FLEGT-Partnerland – für seine Holzlieferungen in die Europäische Union FLEGT-Genehmigungen zum Nachweis der legalen Herkunft der Hölzer ausstellen.305 b) Überblick über die Verordnung Da das zwischenstaatliche Genehmigungssystem (FLEGT) keinen ausreichenden 191 Schutz gegen Holzeinfuhren aus illegalem Holzeinschlag versprach, verabschiedete die Europäische Union am 20.10.2010 ergänzend die Verordnung (EU) Nr. 995/2010 (Holzhandelsverordnung). Sie sieht in Art. 4 Abs. 1 ein generelles Verbot vor, im Binnenmarkt Holz oder Holzerzeugnisse aus illegalem Einschlag in den Verkehr zu bringen. Zudem erlegt sie den Marktteilnehmern gesetzliche Sorgfaltspflichten auf, die sicherstellen sollen, dass nur legal geschlagenes Holz in die Europäische Union eingeführt wird.306 Der Einführer muss Informationen u.a. zu Art, Herkunft und Menge des Holzes, zum Lieferanten, zum Land und zur Konzession für den Holzeinschlag vorhalten und ein „Risikobewertungsverfahren“ durchführen, um das Risiko beurteilen zu können, ob das Holz aus illegalem Einschlag stammen könnte.307 Wenn ein relevantes Risiko besteht, muss das einführende Unternehmen geeignete Maßnahmen ergreifen, um das Risiko der Einfuhr von Hölzern aus illegalem Einschlag weitestgehend zu vermindern. Hölzer, die mit einer FLEGT-Genehmigung in den Binnenmarkt eingeführt werden, gelten als legal geschlagenes Holz.308 Das einführende Unternehmen kann die „Sorgfaltspflichtregelung“ selbst erstel- 192 len, aber auch das Regelwerk einer zugelassenen Überwachungsorganisation anwenden. Die Überwachungsorganisation ist dann zugleich verantwortlich, die Anwendung des eigenen Regelwerks durch die einführenden Unternehmen zu überwachen. c) Regelungskonzept Die Holzhandels-Verordnung hat ebenso wie die Konfliktdiamanten-Verord- 193 nung309 ein marktorientiertes Regelungskonzept. Jeder, der Holzprodukte in die Europäische Union einführt, unterliegt denselben gesetzlichen Regelungen. Die Verordnung bemüht sich, ein gleiches Kontrollniveau in allen Mitgliedsstaaten zu erreichen. Die Holzhandelsverordnung schafft – anders als das LkSG – ein angemessenes level playing field für alle Marktteilnehmer. Die Kontrolle der Lieferketten ist anders als in der Konfliktdiamanten-Verordnung nicht allein 305 Vgl. den Anhang zur Delegierten Verordnung (EU) 2016/1387 der Kommission vom 9.6.2016. 306 Vgl. Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 995/2010 vom 20.10.2010. 307 Vgl. Art. 6 Abs. 1 it. a) und b) der Verordnung (EU) Nr. 995/2010 vom 20.10.2010. 308 Vgl. Art. 6 Abs. 1 it. a) und b) der Verordnung (EU) Nr. 995/2010 vom 20.10.2010; gleichgestellt sind Hölzer, die mit einer Genehmigung nach dem CITES-Übereinkommen eingeführt werden. 309 Vgl. dazu näher Rz. 183.

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Einleitung || staatlichen Stellen zugewiesen. Vielmehr nimmt die Holzhandels-Verordnung auch die einführenden Unternehmen in die Pflicht. Wenn keine FLEGT- oder CITES-Genehmigung vorliegt, müssen Sie durch Dokumentation, Risikoanalyse und Maßnahmen zur Risikominderung gewährleisten, dass keine Hölzer aus illegalem Holzeinschlag in den Binnenmerkt eingeführt werden. Die gesetzlichen Sorgfaltspflichten sind aber nicht so weitgehend geregelt wie im LkSG. Es fehlen etwa Vorgaben zu vorbeugenden Maßnahmen und zu einem Beschwerdemechanismus. Die Grundstruktur mit der Pflicht zur Risikoanalyse und der Pflicht, durch geeigneten Maßnahmen das Risiko illegaler Holzimporte zu verringern, ist aber in der Holzhandels-Verordnung und im LkSG gleich. Mit seinem marktorientierten Regelungskonzept kann die Holzhandels-Verordnung nur überzeugen, wenn eine flächendeckende und gleichmäßige Anwendung der Vorschriften im gesamten Binnenmarkt sichergestellt werden kann. Nur dann schafft die Verordnung ein level playing field im Wettbewerb. An der wirksamen Umsetzung der Verordnung wird zum Teil erhebliche Kritik geübt.310 Die Europäische Kommission hat bisher keine Untersuchungen zur Durchsetzung der Verordnung im Binnenmarkt vorgelegt. d) Verhältnis von Holzhandels-Verordnung und LkSG 194 Die Holzhandels-Verordnung und das LkSG sind nebeneinander anwend-

bar.311 Regelungsziel der Holzhandels-Verordnung ist es, die Einfuhr von Holz aus illegalem Einschlag in den Binnenmarkt zu unterbinden. Sie erlegt den einführenden oder verarbeitenden Unternehmen keine Pflichten zum Schutz von Menschenrechten oder Umweltstandards in der Lieferkette auf. Die Verordnung ist daher nicht lex specialis zum LkSG. Allerdings ist die Abstimmung der Sorgfaltspflichten nach der Holzhandels-Verordnung und nach dem LkSG möglich und zu empfehlen. 3. Konfliktmineralien-Verordnung vom 17.5.2017

195 Die Konfliktmineralienverordnung312 ist das inhaltlich am weitesten fort-

geschrittene Regelwerk der Europäischen Union zu gesetzlichen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette. 310 Vgl. nur WWF, Illegaler Holzhandel in Deutschland: WWF reicht Beschwerde bei EUKommission ein, Pressemitteilung vom 25.6.2021 (abrufbar unter https://www.wwf.de/ 2021/juni/deutschland-auf-dem-holzweg) und Lena Walker, Lessons Learned – Die EU Holzhandelsverordnung als Beispiel für umweltbezogene Sorgfaltspflichten (abrufbar unter https://verfassungsblog.de/lessons-learned-die-eu-holzhandelsverordnung-alsbeispiel-fuer-umweltbezogene-sorgfaltspflichten/). 311 Anderer Ansicht Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, Rz. 18 (EU-Verordnung hat Vorrang). 312 Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017 zur Festlegung von Pflichten zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette für Unionseinführer von Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erzen und Gold aus Konflikt- und Hochrisikogebieten.

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Einleitung a) Historischer Hintergrund Die Konfliktmineralien-Verordnung hat ihre historischen Wurzeln in den Krie- 196 gen und bürgerkriegsähnlichen Unruhen in den 1990er Jahren und im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts im Osten der Demokratischen Republik Kongo.313 Ähnlich dem Handel mit Konfliktdiamanten war der illegale Abbau und Handel mit seltenen Erzen und Mineralen eine der wichtigsten Finanzierungsquellen für die Konflikte.314 Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beobachtet die Lage im Kongo seit 1999 und hat zahlreiche Resolutionen verabschiedet, mit denen er insbesondere die Gewalt gegen Frauen und Kinder im Ostkongo verurteilt, Waffenlieferungen in die Konfliktgebiete untersagt und die Staaten aufgefordert hat, in ihrer Gesetzgebung Abhilfe gegen die Finanzierung von kriegerischen Konflikten durch den Handel mit Konfliktmineralien zu schaffen.315 Die Vereinigten Staaten haben 2010 als erster Staat reagiert und mit Sec. 1502 des Dodd Frank Act316 den Handel mit Konfliktmineralien aus der Demokratischen Republik Kongo und Anrainerstaaten reguliert. Der U.S.-amerikanische Kongress erläutert dazu in Sec. 1502 (a): „It is the sense of Congress that the exploitation and trade of conflict minerals originating in the Democratic Republic of the Congo is helping to finance conflict characterized by extreme levels of violence in the eastern Democratic Republic of the Congo, particularly sexual- and gender-based violence, and contributing to an emergency humanitarian situation therein, warranting the provisions of section 13(p) of the Securities Exchange Act of 1934, as added by subsection (b).“ Mit Sec. 1502 werden an U.S.-amerikanischen Börsen notierte Unternehmen verpflichtet, ihre Lieferketten für Zinn, Wolfram, Tantal und Gold zu prüfen, wenn diese aus dem Kongo oder seinen Nachbarländern stammen könnten, Maßnahmen zu ergreifen, um etwaige Risiken zu beseitigen, und der US Börsenaufsichtsbehörde (SEC) jedes Jahr über ihre Bemühungen zu berichten. Unternehmen wird die Beschaffung von Konfliktmineralien aus dem Kongo und den Anrainerstaaten nicht vollständig untersagt. Sie müssen aber offenlegen, dass 313 Vgl. auch Heße/Klimke: Die EU-Verordnung zu Konfliktmineralien: Ein stumpfes Schwert? EuZW 2017, 446. 314 Vgl. nur Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, Resolution 1457 (2003) vom 24.1. 2003, S/RES/1457 (2003) („Notes with concern that the plundering of the natural resources and other forms of wealth of the Democratic Republic of the Congo continues and is one of the main elements fuelling the conflict in the region, and in this regard, demands that all States concerned take immediate steps to end these illegal activities, which are perpetuating the conflict, impeding the economic development of the Democratic Republic of the Congo, and exacerbating the suffering of its people; …“); Resolution 1807 (2008) vom 31.3.2008, S/RES/1807 (2008), Seite 2 („Recognizing the linkage between the illegal exploitation of natural resources, illicit trade in such resources and the proliferation and trafficking of arms as one of the factors fuelling and exacerbating conflicts in the Great Lakes region of Africa …“); auch Resolution 2136 (2014) vom 30.1.2014, S/RES/2136, Seite 2. (2014). 315 Vgl. nur Security Council, Resolution 1493 (2003) vom 28.7.2003, S/RES/1493 (2003), Ziff. 20. 316 Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act of July 21, 2010.

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Einleitung || sie mit angemessener Sorgfalt (Due Diligence) sicherstellen, dass sie keine bewaffneten Gruppen oder Menschenrechtsverletzungen finanzieren. 197 Wenig später, am 25.5.2011, veröffentlichte die OECD einen „Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für Minerale aus Konflikt- und Hochrisikogebieten“. Der Leitfaden liegt seit 2019 in dritter Auflage vor. 198 Das Europäische Parlament forderte den Rat und die Kommission mit Entschließungen vom 7.10.2010, 8.3.2011, 5.7.2011 und 26.2.2014 auf, mit dem U.S.-amerikanischen Gesetz über Konfliktminerale vergleichbare Rechtsvorschriften zu erlassen.317 Die Kommission bekundete in ihren Mitteilungen „Grundstoffmärkte und Rohstoffe: Herausforderungen und Lösungsansätze“ vom 2.2.2011 und „Handel, Wachstum und Entwicklung: eine maßgeschneiderte Handels- und Investitionspolitik für die bedürftigsten Länder“ vom 27.1. 2012 ihre Absicht, Möglichkeiten zur Verbesserung der Transparenz entlang der gesamten Lieferkette, einschließlich Aspekten der Sorgfaltspflicht, zu untersuchen.318 Gleichwohl verabschiedete die Europäische Union erst am 17.5.2017, also fast sieben Jahre nach der ersten Entschließung des Europäischen Parlaments, die Verordnung „zur Festlegung von Pflichten zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette für Unionseinführer von Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erzen und Gold aus Konflikt- und Hochrisikogebieten“. b) Gegenstand und sachlicher Anwendungsbereich der Verordnung 199 Die EU-Verordnung ist eine Spezialverordnung zur Kontrolle von Lieferketten,

über die Minerale und Metalle in die Europäische Union eingeführt werden, in denen Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold („3TG“ – „Tin, Tungsten, Tantalum & Gold“) enthalten sind.319 Anhang I der Verordnung320 enthält eine abschließende Liste der Konfliktminerale und -metalle und erfasst die gesamte Herstellungskette vom Abbau der Minerale bis zum Endprodukt. 200 Recycelte Metalle sind vom Anwendungsbereich der Verordnung grundsätzlich ausgenommen.321 Wer recycelte Konfliktstoffe in die Union einführt, kann sich darauf beschränken offenzulegen, aufgrund welcher Maßnahmen und Feststellungen er zu der Einschätzung gelangt ist, dass es sich um recycelte Konfliktstoffe handelt. Keine Anwendung findet die Verordnung ferner auf Bestände, die nachweislich vor dem 1.2.2013 angelegt worden sind.322 317 Vgl. den Überblick im Erwägungsgrund (9) der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5. 2017; zur Entwicklungsgeschichte auch Heße/Klimke: Die EU-Verordnung zu Konfliktmineralien: Ein stumpfes Schwert? EuZW 2017, 446, 447. 318 Wie vor. 319 Vgl. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. 320 Zuletzt geändert durch Delegierte Verordnung (EU) 2020/1588 der Kommission vom 25.6.2020 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EU) 2017/821 des Europäischen Parlaments und des Rates. 321 Art. 1 Abs. 6 der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. 322 Art. 1 Abs. 7 der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017.

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Einleitung c) Persönlicher Anwendungsbereich Die Verordnung richtete sich nicht an alle Unternehmen in der Lieferkette, son- 201 dern nur an den Unionseinführer. Das ist jede natürliche oder juristische Person, die die Konfliktminerale oder -metalle zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr der EU anmeldet oder in deren Auftrag eine solche Anmeldung abgegeben wird.323 Betroffen sind Unionseinführer, deren jährliche Einfuhren die in Anhang I der Verordnung nach Gewicht festgelegten Mengenschwellen überschreiten. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission und der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe wird das europaweit für etwa 600 bis 1.000 Unternehmen der Fall sein.324 d) Geographischer Anwendungsbereich Die Verordnung trifft anders als Section 1502 des U.S.-amerikanischen Dodd- 202 Frank Act keine abschließende Regelung, welche Gebiete außerhalb der Europäischen Union als Konflikt- und Hochrisikogebiete gelten. Der Unionseinführer kann daher nicht durch Negativtest klären, ob die von ihm eingeführten Minerale und Metalle aus einem Konflikt- und Hochrisikogebiet stammen. Vielmehr muss er selbständig prüfen, ob eines der Herkunfts- oder Durchfuhrländer in der Lieferkette als Konflikt- oder Hochrisikogebiet zu gelten hat. Das ist nach der gesetzlichen Definition in Art. 2 lit. f der Verordnung der Fall, wenn in einem Gebiet bewaffnete Konflikte geführt werden oder wenn sich das Herkunftsgebiet nach Konflikten „in einer fragilen Situation“ befindet. Konflikt- oder Hochrisikogebiet sind ferner Gebiete, in denen „Staatsführung und Sicherheit schwach oder nicht vorhanden sind“ und in denen weitverbreitete und systematische Verstöße gegen internationales Recht einschließlich Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Die gesetzliche Definition des „Konflikt- oder Hochrisikogebiets“ ist äußerst unbestimmt. Der europäische Gesetzgeber hat daher der Europäischen Kommission aufgegeben, eine indikative Liste der Konflikt- und Hochrisikogebiete zu erstellen und fortlaufend zu aktualisieren, die bisher nicht vorliegt. Mit der Empfehlung (EU) 2018/1149 vom 10.8.2018 hat die Kommission immerhin Hinweise zum Verständnis des Begriffs des Konflikt- oder Hochrisikogebiets gegeben. Zudem benennt die Kommission einige Informationsquellen, die Unternehmen nach Einschätzung der Kommission nutzen können, um Konflikt- und Hochrisikogebiete zu erkennen.325 Die gesetzlichen Sorgfaltspflichten bestehen nicht nur dann, wenn das Mineral 203 oder Metall aus einem Konflikt- oder Hochrisikogebiet stammt. Auch wenn an323 Art. 2 lit. (l) der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. 324 Vgl. Fehse/Markmann, Die Konfliktmineralienverordnung der Europäischen Union, EuZW 2021, 113. 325 Vgl. die instruktive Analyse von Heimig/Schütte/Franken/Klein, Zinn aus MyanmarEin Anwendungsszenario zur EU-Verordnung zur Sorgfaltspflicht in Rohstofflieferketten, Commodity TopNews Nr. 61/2019 der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.

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Einleitung || dere Teile der Lieferkette, etwa Transportwege, durch ein Konflikt- oder Hochrisikogebiet führen, sind die gesetzlichen Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Dasselbe gilt, wenn begründete Zweifel bestehen, dass die Minerale oder Metalle aus einem anderen als einem Konflikt- oder Hochrisikogebiet stammen. e) Sorgfaltspflichten in der Lieferkette 204 Die Sorgfaltspflichten des Unionseinführers untergliedert die Verordnung in

vier Gruppen: – Risikomanagementsystem,326 – Risikomanagementpflichten,327 – Audits durch unabhängige Dritte328 und – Offenlegungspflicht.329

205 Wie die Pflichten zu erfüllen sind, ist nur in Teilen in der Verordnung selbst ge-

regelt. In zentralen Fragen verweist die Verordnung auf OECD-Leitsätze für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für Minerale aus Konflikt- und Hochrisikogebieten (Dritte Ausgabe, 2019). Das führt zu einem schwer verständlichen Regelungsmix, zumal die OECD-Leitsätze überwiegend nicht in Form von Rechtssätzen formuliert sind. Sie sind auch nicht nur aus der Perspektive eines Unionseinführers verfasst, sondern an eine Vielzahl von beteiligten Personen und Unternehmen in der Lieferkette gerichtet. aa) Risikomanagementsystem

206 Zur Entwicklung eines Risikomanagementsystems gibt die Verordnung den

Unionseinführern zunächst auf, eine Grundsatzerklärung (Lieferkettenpolitik) für den Bezug von aus Konflikt- und Hochrisikogebieten stammenden oder auch nur möglicherweise stammenden Mineralen und Metallen festzulegen und darüber „in unmissverständlicher Weise […] Lieferanten und […] Öffentlichkeit“ zu informieren.330 Die Grundsatzerklärung fasst die grundlegenden Wertentscheidungen fest, denen der Unionseinführer in seiner Lieferkette folgt. Sie muss mindestens den inhaltlichen Anforderungen der Musterstrategie in Anhang II der OECD-Leitsätze entsprechen. Die Öffentlichkeit kann beispielsweise durch Aufnahme auf der Internetseite des Unionseinführers unterrichtet werden, die Lieferanten durch Informationsschreiben oder durch Aufnahme in eine Vertragsanlage.331 326 327 328 329 330 331

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Art. 4 der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. Art. 5 der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. Art. 6 der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. Art. 7 der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. Art. 4 lit. (a) und (b) der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. Vgl. Fehse/Markmann, Die Konfliktmineralienverordnung der Europäischen Union, EuZW 2021, 113, 114.

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Einleitung Die Unionseinführer haben ihr internes Management System so einzurichten, 207 dass es die Erfüllung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten und der Grundsatzerklärung gewährleistet.332 Ein Mitglied des gehobenen Managements muss damit betraut werden, die Erfüllung der Sorgfaltspflicht in der Lieferkette zu überwachen. Die Funktion hat Ähnlichkeit mit der des Menschenrechtsbeauftragten nach § 4 Abs. 3 Satz 1 LkSG und kann mit ihr verbunden werden. Über die Überwachungstätigkeit sind Aufzeichnungen zu machen und fünf Jahre verfügbar zu halten. Die Unionseinführer müssen in die vertraglichen Vereinbarungen mit Lieferanten 208 Regeln zur Beachtung der Vorgaben in der Grundsatzerklärung aufnehmen333 und – gegebenenfalls mit anderen Unternehmen oder Organisationen und wiederum so, wie in den OECD-Leitlinien vorgesehen – einen „Beschwerdemechanismus“ einrichten, der als „Frühwarnsystem zur Risikoerkennung“ dienen soll.334 Sie haben ferner die Pflicht, ein System zur Rückverfolgung der Gewahrsams- 209 oder Lieferkette zu schaffen.335 Darunter ist nach Art. 2 lit. (e) der Verordnung die Aufzeichnung der Abfolge aller Wirtschaftsbeteiligten zu verstehen, in deren Gewahrsam sich die Minerale oder Metalle auf ihrem Weg durch die Lieferkette befinden. Im Schrifttum wird unterschiedlich beantwortet, ob das eine lückenlose Aufzeichnung über alle Stationen der Lieferkette erfordert,336 oder Zwischenhändler nicht zu erfassen sind.337 Für die letztgenannte Ansicht spricht der Wortlaut von Art. 4 lit. (f) und (g) der Verordnung. Die Informationsanforderungen sind erhöht, wenn die Metalle oder Mineralien aus einem Konfliktoder Hochrisikogebiet stammen. Die Anforderungen an das Dokumentationssystem unterscheiden zwischen der Lieferung von Metallen und Mineralen. Besondere Informationsregeln hat die Verordnung für Nebenprodukte eingeführt.338 bb) Risikomanagement Risikomanagement meint alle Maßnahmen zur Umsetzung der Grundsatz- 210 erklärung, also die konkrete Kontrolle der Lieferkette. Sie schließt eine Risikoanalyse, die Entwicklung eines Risikomanagementplans und seine Umsetzung ein. In die Entwicklung eines Risikomanagementplans müssen – wie schon bei der Vorbereitung der Grundsatzerklärung – „Mitglieder des gehobenen Managements“ eingebunden sein. 332 333 334 335 336

Art. 4 lit. (c) der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. Art. 4 lit. (d) der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. Art. 4 lit. (e) der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. Art. 4 lit. (f) und (g) der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. So Fehse/Markmann, Die Konfliktmineralienverordnung der Europäischen Union, EuZW 2021, 113, 116. 337 So Teicke/Rust, Gesetzliche Vorgaben für Supply Chain Compliance – Die neue Konliktmineralien-Verordnung, CCZ, 2018, 39. 338 Vgl. Art. 4 lit. (h) der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017.

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Einleitung || 211 Die Verordnung unterscheidet zwischen dem Risikomanagement in der Liefer-

kette für Konfliktminerale und dem Risikomanagement in der Lieferkette für Konfliktmetalle. (1) Risikomanagement in der Lieferkette für Konfliktminerale

212 Das Risikomanagement in der Lieferkette für Konfliktminerale kann in Risiko-

analyse, sowie Entwicklung und Umsetzung eines Managementplans untergliedert werden. (i) Die Risikoanalyse ist darauf gerichtet, die negativen Auswirkungen auf geschützte Rechte in der Lieferkette zu erkennen. Die Verordnung benennt keinen eigenen Katalog von möglichen Risiken, die der Unionseinführer in seine Risikoanalyse einbeziehen muss. Negative Auswirkungen sind vielmehr alle Ereignisse, Umstände oder Entwicklungen, die in Widerspruch zu der vom Unionseinführer verabschiedeten Grundsatzerklärung (und damit auch der Musterstrategie in Anhang II der OECD-Leitsätze) stehen. Die Risikoanalyse muss in jedem Fall die Information nach Art. 4 lit. (f) der Verordnung zugrundelegen.339 Wenn Risiken erkannt werden, kann die Informationsbeschaffungspflicht auch über die Information nach Art. 4 lit. (f) der Verordnung hinausgehen. (ii) Aus der Risikobewertung ist der Managementplan zu entwickeln. Die Verordnung skizziert die Maßnahmen zur Minderung von Risiken ohne jede weitere Konkretisierung als eine Art Stufenplan: – Fortsetzung des Handels bei gleichzeitiger Durchführung messbarer Bemühungen um Risikominderung, – vorübergehende Aussetzung des Handels bei Weiterverfolgung der laufenden messbaren Bemühungen um Risikominderung oder – Beendigung der Beziehungen zu einem Lieferanten nach fehlgeschlagenen Versuchen der Risikominderung. Bei welchen Risiken in der Lieferkette welche Stufe anzuwenden ist, regelt die Verordnung nicht. Aus Anhang II der OECD-Leitsätze ergeben sich die folgenden Grundsätze: – Die Geschäftsbeziehung ist umgehend auszusetzen oder zu beenden, wenn ein begründetes Risiko besteht, dass der Zulieferer seine Ware von einer Partei bezieht oder mit einer Partei in Verbindung steht, die mit gravierenden Missständen in Verbindung steht, wie Folter, grausamer, unmenschlicher oder herabwürdigender Behandlung, Zwangsarbeit, gravierenden Formen der Kinderarbeit, anderen schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, wie dem verbreiteten Auftreten sexueller Gewalt, Kriegsverbrechen oder anderen schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord (Anhang II, Ziff. 1 und 2). 339 So auch Teicke/Rust, Gesetzliche Vorgaben für Supply Chain Compliance – Die neue Konliktmineralien-Verordnung, CCZ, 2018, 39.

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Einleitung – Dasselbe gilt, wenn ein begründetes Risiko besteht, dass ein vorgelagerter Zulieferer seine Ware von nich-staatlichen bewaffneten Gruppierungen bezieht. Jede Form der direkten oder indirekten Unterstützung von nicht-staatlichen bewaffneten Gruppierungen ist unvereinbar mit den OECD-Leitsätzen (Anhang II, Ziff. 3 und 4). Im Übrigen hat sich der Unionseinführer an den – sehr allgemeinen – Maßnah- 213 menvorschlägen in Anhang III der OECD-Leitsätze zu orientieren, die allerdings nur eine Orientierung bieten und nicht notwendig sämtlich anzuwenden sind. (2) Risikomanagement in der Lieferkette für Konfliktmetalle Die Verordnung erkennt an, dass Konfliktmetalle nach Verhüttung oder Ver- 214 arbeitung in einer Raffinerie in der Regel nicht mehr bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgt werden können. Hütten und Raffinerien sind häufig, so erläutert der 16. Erwägungsgrund der Verordnung, die letzte Stufe, auf der die Erfüllung von Sorgfaltspflichten effektiv nachgewiesen werden kann. Daher sieht die Verordnung die Möglichkeit vor, dass sich der Unionseinführer auf die Kontrolle der Lieferkette von der Hütte oder Raffinerie bis zur Unionseinführung beschränkt. Die Kontrolle der Hütte oder Raffinerie kann er dabei auf die Berichte über die Prüfung der Hütte oder Raffinerie durch unabhängige Dritte (Third Party Audit Reports; dazu sogleich) stützen. Liegt ein Third Party Audit Report nicht vor, bleibt es bei den weiteren Sorgfaltspflichten, wie zur Lieferkette für Konfliktmineralen dargestellt. f) Audit Die Unionseinführer müssen die Erfüllung der Sorgfaltspflichten von einem un- 215 abhängigen Dritten prüfen lassen.340 Für den Third Party Audit, insbesondere die Unabhängigkeit, Kompetenz und Rechenschaftspflicht des Prüfers gelten wiederum die OECD-Leitsätze. Die Prüfer haben über das Ergebnis des Audits zu berichten und schließen den Bericht mit weiterführenden Empfehlungen ab. Wann und wie häufig die Prüfung stattfinden muss, regelt die Verordnung nicht. Keine Prüfung ist erforderlich, wenn der Unionseinführer „substanzielle Nach- 216 weise“ dafür vorlegt, dass alle Hütten und Raffinerien in der Lieferkette die Bestimmungen der Verordnung einhalten.341 Der Nachweis gilt für eine Hütte oder Raffinerie als geführt, wenn die Hütte oder Raffinerie bezüglich Unabhängigkeit, Kompetenz und Rechenschaftspflicht auf einer von der Europäischen Kommission zu führenden „weltweiten Liste verantwortungsvoller Hütten und Raffinerien“ eingetragen ist.342 Die Liste liegt bisher nicht vor.

340 Vgl. Art. 6 der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. 341 Vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. 342 Vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017.

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Einleitung || g) Offenlegungspflichten 217 Die Unionseinführer haben Berichts- und Offenlegungspflichten.343 Sie haben:

– den Bericht des externen Prüfers über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten (Third Party Audit Report) der zuständigen Aufsichtsbehörde zu überreichen. Für Unionseinführer in Deutschland ist dies die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. – den unmittelbar nachgelagerten Abnehmern alle im Rahmen der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten in der Lieferkette erlangten und auf aktuellem Stand gehaltenen Informationen zur Verfügung zu stellen. – jährlich – jedenfalls auch auf der Internetseite der Gesellschaft – ihre Strategien zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette und deren Umsetzung zu veröffentlichen. h) Anerkennung von Systemen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht 218 Die Kommission kann Systeme zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht in Lieferketten,

die von Regierungen, Industrieverbänden und Gruppierungen interessierter Organisationen entwickelt und beaufsichtigt werden, anerkennen und so standardisierte Compliance-Programme zur Erfüllung der Vorgaben der Verordnung zur Verfügung stellen.344 i) Verhältnis von Konfliktmineralien-Verordnung und LkSG

219 Die Konfliktmineralien-Verordnung und das LkSG sind nebeneinander an-

wendbar.345 Das LkSG enthält keine Bereichsausnahme, wonach sich die Sorgfaltspflichten in den Lieferketten bei Beschaffung von Konfliktmineralien allein nach der Verordnung richten. Die Verordnung ist nicht lex specialis zum LkSG, hat aber Anwendungsvorrang.346 Die Sorgfaltspflichten beider Regelwerke sind ähnlich, aber nicht deckungsgleich.

343 Vgl. Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017. 344 Vgl. dazu näher die Delegierte Verordnung (EU) 2019/429 vom 11.1.2019. 345 Anderer Ansicht Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1 Rz. 18 (EU-Verordnung hat Vorrang). 346 Vgl. zum Anwendungsvorrang des Europäischen Rechts nur EuGH, Urt. v. 22.10.1998 – C-10–97 bis C-22–97, NJW 1999, 200 Rz. 20 f.

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Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen (§§ 1, 2) § 1 Anwendungsbereich (1) Dieses Gesetz ist anzuwenden auf Unternehmen ungeachtet ihrer Rechtsform, die 1. ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben und 2. in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen; ins Ausland entsandte Arbeitnehmer sind erfasst. Abweichend von Satz 1 Nummer 1 ist dieses Gesetz auch anzuwenden auf Unternehmen ungeachtet ihrer Rechtsform, die 1. eine Zweigniederlassung gemäß § 13d des Handelsgesetzbuchs im Inland haben und 2. in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen. Ab dem 1. Januar 2024 betragen die in Satz 1 Nummer 2 und Satz 2 Nummer 2 vorgesehenen Schwellenwerte jeweils 1.000 Arbeitnehmer. (2) Leiharbeitnehmer sind bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Satz 2 Nummer 2) des Entleihunternehmens zu berücksichtigen, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt. (3) Innerhalb von verbundenen Unternehmen (§ 15 des Aktiengesetzes) sind die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer sämtlicher konzernangehöriger Gesellschaften bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2) der Obergesellschaft zu berücksichtigen; ins Ausland entsandte Arbeitnehmer sind erfasst. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Unternehmen . . . . . . . . . . . . . III. Hauptverwaltung, Hauptniederlassung, Verwaltungssitz oder satzungsmäßiger Sitz im Inland (Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . IV. Zweigniederlassung im Inland (Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . V. Arbeitnehmerbegriff und Schwellenwert 1. Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . 2. Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . 3. Schwellenwert („in der Regel“) 4. Leiharbeitnehmer (Abs. 2) . . . . VI. Persönlicher Anwendungsbereich in verbundenen Unternehmen (Abs. 3) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .

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10 15 18 29 32 37

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2. Der Unternehmensverbund als Normadressat? . . . . . . . . . . . . 3. Anwendbarkeit des LkSG auf konzernangehörige Gesellschaften kraft eigenständiger Überschreitung des Schwellenwerts . 4. Zurechnung der Arbeitnehmer a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . b) Der Zurechnung unterliegende Formen der Unternehmensverbindung . . . . . . . . . c) Zurechnungsadressat aa) Unterordnungskonzern (§ 18 Abs. 1 AktG) . . . . . bb) Gleichordnungskonzern (§ 18 Abs. 2 AktG) . . . . . cc) Abhängigkeit und Beherrschung (§ 17 Abs. 1 AktG) . . . . . . . . . . . . . .

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§ 1 | Anwendungsbereich dd) Mehrheitsbeteiligung (§ 16 Abs. 1 AktG) . . . . . ee) Wechselseitige Beteiligung (§ 19 Abs. 1 Satz 1 AktG) ff) Unternehmensvertrag (§§ 291, 292 AktG) . . . . gg) Zusammenfassung . . . . . hh) Keine Zurechnung der Arbeitnehmer der Obergesellschaft an konzernangehörige Gesellschaften

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d) Grenzüberschreitende Sachverhalte aa) Überblick . . . . . . . . . . bb) Zurechnungsobjekt . . . cc) Zurechnungsadressat . . e) Bedeutung der Zurechnung . VII. Mittelbare Anwendbarkeit . . . VIII. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur: Bettermann/Hoes, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Besondere Pflichten für Kreditinstitute?, BKR 2022, 23; Dutzi/Schneider/Hasenau, Lieferkettenregulierung und Risk Governance – Implikationen für die betriebliche Praxis und Kritik, DK 2021, 454; Ehmann, Der Regierungsentwurf für das Lieferkettengesetz: Erläuterung und erste Hinweise zur Anwendung, ZVertriebsR 2021, 141; Frank/Edel/Heine/Heine, Pionierarbeiten in der Lieferkette, BB 2021, 2165 Gehling/Ott/Lüneborg, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230; Herrmann/ Rünz, Praktische Hinweise und Maßnahmen zur Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes im Unternehmen, DB 2021, 3078; Jungkind/Raspé/Terbrack, Unternehmensverantwortung in der Lieferkette, DK 2021, 445; Leuering, Schafft es das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz noch über die Ziellinie?, NZG 2021, 753; Nietsch/Wiedmann, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, CCZ 2021, 101; Nietsch/Wiedmann, Adressatenkreis und sachlicher Anwendungsbereich des neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NJW 2022, 1; Niklas/Lex, Das neue Lieferkettengesetz, ArbRB 2021, 212; Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, Zur Anwendung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes im Konzern, DB 2022, 238; Passarge, Zum Anwendungsbereich des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf Konzerngesellschaften, CB 2021, 332; Rothenburg/Rogg, Die Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes im Konzern, AG 2022, 257; Schäfer, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und seine Auswirkungen auf die Ernährungswirtschaft, ZLR 2022, 22; Seibt/Vesper-Gräske, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erweitert Compliance-Pflichten, CB 2021, 357; Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67; Valdini, Die Anwendung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf ausländische Unternehmen, BB 2021, 2955; Wagner/Ruttloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145; Wagner/Ruttloff/Wagner/Hahn, Der Entwurf des „Sorgfaltspflichtengesetzes“, CB 2021, 89.

I. Allgemeines 1 § 1 LkSG regelt den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes. Verpflich-

tet, die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten des LkSG zu wahren, sind Unternehmen, die die in § 1 Abs. 1 LkSG geregelten Voraussetzungen erfüllen. Wesentliches Anknüpfungskriterium für die persönliche Anwendbarkeit des Gesetzes ist danach die Größe eines Unternehmens, die anhand der Zahl der bei dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer zu messen ist. 90

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Anwendungsbereich | § 1

Nicht durchgesetzt haben sich im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens diskutierte alternative Ansätze, nach denen die Größe eines Unternehmens anhand von Umsatz und Bilanz zu bestimmen sein soll1 oder der Anwendungsbereich risikobasiert nach der Branchenzugehörigkeit festzulegen sein soll.2 Das Abstellen auf die Arbeitnehmerzahl als maßgebliches und ausschließliches Kriterium ist vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks diskussionswürdig,3 als gesetzgeberische Entscheidung durch den Rechtsanwender aber hinzunehmen (zu den abweichenden Tendenzen auf EU-Ebene s. Rz. 98 ff.). Nach der Konzeption des Gesetzes indiziert die durch die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer bestimmte Größe eines Unternehmens unwiderleglich seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Diese dient als Anknüpfungspunkt für die unternehmerische Verantwortung zur Wahrung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten.4 Dagegen liegt dem Gesetz nicht etwa die Annahme zugrunde, dass die menschenrechts- und umweltbezogenen Risiken unmittelbar von den beschäftigten Arbeitnehmern selbst ausgingen und die Verantwortlichkeit eines Unternehmens in ihrer Beschäftigung wurzelte. Auch besteht die unternehmerische Verantwortung nicht ausschließlich oder in erster Linie im Interesse der bei dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer.5 Das Gesetz bezieht vielmehr im Grundsatz die gesamte Lieferkette eines Unternehmens in seinen Schutzbereich ein. Die Schwellenwerte des § 1 LkSG dienen damit allein der Bestimmung der wirtschaftlichen Größe eines Unternehmens. Dies ist von Bedeutung für die Auslegung des § 1 LkSG und die Frage der Berechnung der Arbeitnehmerzahl. Verpflichtet ist ein Unternehmen, das in der Regel mindestens 3.000 Arbeitneh- 2 mer beschäftigt. Ab dem 1.1.2024 sinkt der Schwellenwert auf 1.000 Arbeitnehmer. Unternehmen, die in der Regel zwischen 1.000 und 2.999 Arbeitnehmern beschäftigen, wird damit ein weiteres Jahr Umsetzungsfrist gewährt. 1 Vgl. den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks. 19/ 30543. 2 Vgl. z.B. die Stellungnahme zum Gesetzesentwurf für ein Lieferkettengesetz der Initiative Lieferkettengesetz aus März 2021, S. 5. 3 Kritisch etwa Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 142; Passarge, CB 2021, 332; Nietsch/ Wiedmann, NJW 2022, 1, 2; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 74; zustimmend dagegen Jungkind/Raspé/Terbrack, DK 2021, 445, 446. 4 Vgl. das Abstellen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in BT-Drucks. 19/28649, 34; ausführlich zu den Grundlagen unternehmerischer Verantwortung Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, 2017, S. 505 ff. 5 Die Interessen der Beschäftigten können allerdings im Rahmen der einzelnen Sorgfaltspflichten Bedeutung erlangen. So hat z.B. nach § 4 Abs. 4 LkSG ein verpflichtetes Unternehmen bei der Errichtung und Umsetzung seines Risikomanagementsystems die Interessen seiner Beschäftigten und der Beschäftigten innerhalb seiner Lieferketten und derjenigen, die in sonstiger Weise durch das wirtschaftliche Handeln des Unternehmens oder durch das wirtschaftliche Handeln eines Unternehmens in seinen Lieferketten in einer geschützten Rechtsposition unmittelbar betroffen sein können, angemessen zu berücksichtigen (s. dazu § 4 Rz. 40 ff.).

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§ 1 | Anwendungsbereich 3 Der Gesetzgeber schätzt, dass zurzeit ca. 2.900 Unternehmen mindestens 1.000

Arbeitnehmer beschäftigen und damit ab 2024 in den Anwendungsbereich des LkSG fallen werden.6 Andere Schätzungen nehmen perspektivisch bis zu 3.900 verpflichtete Unternehmen an.7

II. Unternehmen 4 Das Gesetz ist anzuwenden auf Unternehmen. Ein einheitlicher, für die gesamte

Rechtsordnung Geltung beanspruchender Unternehmensbegriff existiert nicht.8 Vielmehr ist der Begriff des Unternehmens nach dem Sachzusammenhang und dem Sinn und Zweck der Norm, in der er verwendet wird, zu bestimmen.9 Der Begriff des Unternehmens dient in § 1 LkSG der Bestimmung des Normadressaten und damit der Festlegung des persönlichen Anwendungsbereichs des Gesetzes. Er bezeichnet somit einen Rechtsträger und nicht den Gegenstand einer Geschäftstätigkeit.10

5 Dem LkSG liegt die Zielsetzung zugrunde, den Schutz der erfassten menschen-

rechts- und umweltbezogenen Rechtspositionen durch Statuierung entsprechender Sorgfaltspflichten zu verbessern.11 Zur Begründung der menschenrechtsund umweltbezogenen Verantwortung eines Unternehmens knüpft das Gesetz ausschließlich an seine wirtschaftliche Größe an. Nach dieser Konzeption bestehen menschenrechts- und umweltbezogene Risiken unabhängig von der Art und der Rechtsform eines Unternehmens. Eine Begrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs des Gesetzes durch eine enge Auslegung des Begriffs des 6 BT-Drucks. 19/28649, 26. 7 Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 102; s. auch Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 56. 8 BGH v. 26.10.1959 – KZR 2/59, NJW 1960, 145, 146; BGH v. 13.10.1977 – II ZR 123/76, NJW 1978, 104; OLG Stuttgart v. 3.5.1989 – 8 W 38/89, NWJ-RR 1989, 936, 937; OLG Frankfurt v. 21.4.2008 – 20 W 8/07; Bayer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 15 AktG Rz. 9; Koch in Koch, 16. Aufl. 2022, § 15 AktG Rz. 9; Schall in BeckOGK/AktG, Stand: 06/2021, § 15 Rz. 53; Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 5 Rz. 32; Franz in Wachter, AktG, 3. Aufl. 2018, § 15 Rz. 4; Petersen/Zwirner, DB 2008, 481 f.; speziell zum Unternehmensbegriff im CSR-Kontext Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, 2017, S. 467 ff. 9 BGH v. 13.10.1977 – II ZR 123/76, NJW 1978, 104; OLG Stuttgart v. 3.5.1989 – 8 W 38/ 89, NWJ-RR 1989, 936, 937; OLG Frankfurt v. 21.4.2008 – 20 W 8/07, NJOZ 2010, 1094; Bayer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 15 AktG Rz. 10; Emmerich in Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 15 AktG Rz. 8; Schall in BeckOGK/AktG, Stand: 06/2021, § 15 Rz. 53; Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 5 Rz. 32; Franz in Wachter, AktG, 3. Aufl. 2018, § 15 Rz. 4; Petersen/ Zwirner, DB 2008, 481 f.; Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2018, Rz. 36; so auch speziell zu § 1 LkSG Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 259. 10 BT-Drucks. 19/28649, 33; Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 16. 11 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 33.

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Anwendungsbereich | § 1

Unternehmens ist daher nicht geboten.12 Es kann somit der typologische Begriff des Unternehmens zugrunde gelegt werden. Ein Unternehmen i.S.d. § 1 LkSG ist danach jede Einheit, die regelmäßig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.13 Eine Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich.14 Erfasst werden können danach auch non-profit-Organisationen wie Verbände und Kirchen, sofern diese wirtschaftlich tätig werden,15 sowie reine Holdings ohne eigenes operatives Geschäft.16 Der Begriff des Unternehmens wird nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut 6 rechtsformneutral gebraucht.17 Rechtsträger eines Unternehmens können daher sowohl eine natürliche als auch eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft sein.18 Auch Rechtssubjekte ausländischer Rechtsformen kommen als Unternehmen in diesem Sinne in Betracht.19 Ausgenommen sind nach der Gesetzesbegründung juristische Personen des öf- 7 fentlichen Rechts, die Verwaltungsaufgaben einer Gebietskörperschaft wahrnehmen, soweit sie nicht am Markt unternehmerisch tätig sind.20 Der Aussagegehalt dieser Ausführung ist zwar begrenzt, da eine Entität ohnehin nur dann ein Unternehmen ist, wenn sie auch unternehmerisch tätig ist. Dennoch lässt sich dieser Äußerung ebenso wie der Betonung der Rechtsformneutralität des Unternehmensbegriffs entnehmen, dass der persönliche Anwendungsbereich des LkSG nicht auf privatrechtliche Unternehmen beschränkt ist, sondern grundsätzlich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts erfasst werden.21 Dies entspricht auch dem Normzweck, da in den Lieferketten öffentlicher Unternehmen gleichermaßen menschenrechts- und umweltbezogene Risiken auftreten können. Das Gesetz findet daher grundsätzlich auch auf öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen Anwendung, sofern diese wirtschaftlich tätig werden.22 Abzugrenzen ist nach der Art der Tätigkeit zwischen einer wirtschaftlichen Tätigkeit und einer hoheitlichen Tätigkeit. Beschränkt 12 So auch die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 19/28649, 33. 13 So auch die funktionale Unternehmensdefinition, die insbesondere im europäischen Wettbewerbsrecht verbreitet ist, vgl. auch die Definition in Art. 1 der Empfehlung der Kommission vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (2003/361/EG). 14 Vgl. auch Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, 2017, S. 475. 15 Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 5; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 73; s. grundsätzlich zu non-profit-Organisationen als Unternehmen Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, 2017, S. 475 ff. 16 Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 259. 17 Vgl. auch BT-Drucks. 19/28649, 33. 18 BT-Drucks. 19/28649, 33; Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 231. 19 BT-Drucks. 19/28649, 33; Harings/Jürgens, RdTW 2021, 297, 298. 20 BT-Drucks. 19/28649, 33. 21 S. auch Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 5; Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 231; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 73; auch im Rahmen der DSGVO können juristische Personen des öffentlichen Rechts Unternehmen sein, vgl. Schröder in Kühling/Buchner, DSGVO BDSG, 3. Aufl. 2020, Art. 4 Nr. 18 DSGVO Rz. 1. 22 Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 5.

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§ 1 | Anwendungsbereich sich der Wirkkreis einer öffentlich-rechtlichen juristischen Person auf wesentliche Staatsaufgaben, die üblicherweise in einem Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse stehen wie z.B. Verwaltungsaufgaben, stellt sie kein Unternehmen im Sinne des LkSG dar. 8 Der Inhalt der wirtschaftlichen Tätigkeit ist für die persönliche Anwendbarkeit

des Gesetzes ohne Bedeutung. Der Gesetzgeber hat sich bewusst gegen eine Beschränkung auf in Risikobranchen tätige Unternehmen entschieden und allein auf die Größe eines Unternehmens gemessen an der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer abgestellt. Daher sind auch nicht solche Unternehmen, die typischerweise über keinen mittelbaren oder unmittelbaren Kontakt zu Herstellungs- oder Dienstleistungsprozessen verfügen wie z.B. Kreditinstitute23, von dem persönlichen Anwendungsbereich ausgenommen.

9 Das gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip gilt auch für den Anwendungs-

bereich des LkSG. Normadressat ist danach auch in Konzernstrukturen das einzelne Rechtssubjekt und nicht der Unternehmensverbund als solcher (s. ausführlich dazu Rz. 43 ff.).

III. Hauptverwaltung, Hauptniederlassung, Verwaltungssitz oder satzungsmäßiger Sitz im Inland (Abs. 1 Satz 1) 10 Das Gesetz ist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LkSG anwendbar auf Unternehmen, die

ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben. Die Tatbestandsmerkmale werden im LkSG nicht definiert. Sie lassen sich jedoch auch in anderen Rechtsnormen (vgl. Art. 63 EuGVVO, Art. 54 Abs. 1 AEUV, Art. 7 Satz 1 SE-VO, § 17 KAGB, § 17 Abs. 1 ZPO) finden. Auf die insoweit entwickelten Kriterien kann zurückgegriffen werden.

11 Bei der Hauptverwaltung und dem Verwaltungssitz handelt es sich um syno-

nyme Begriffe.24 Sie befinden sich an dem Ort, an dem die Willensbildung und die eigentliche unternehmerische Leitung der Gesellschaft stattfinden.25 Maß23 S. ausführlich zur sachlichen Anwendbarkeit des LkSG auf Kreditinstitute Bettermann/ Hoes, BKR 2022, 23. 24 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 11; vgl. auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG Großkommentar, 3. Aufl. 2019, § 4a Rz. 6; D. Jasper/Kötteritzsch in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 3, 5. Aufl. 2018, § 75 Rz. 19; Diekmann in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 3. Aufl. 2022, Art. 7 SE-VO Rz. 13. 25 BGH v. 27.6.2007 – XII ZB 114/06, ZIP 2007, 1626 = NJW-RR 2008, 551, 552; BAG v. 24.9.2009 – 8 AZR 305/08, BeckRS 2010, 66974 und OLG Frankfurt v. 30.11.2007 – 14 UH 34/07, ZIP 2008, 1040 = NJW-RR 2008, 633, 634 zu Art. 60 Abs. 1 lit. b Brüssel IVO, jetzt Art. 63 Abs. 1 lit. b EuGVVO; Korte in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 54 AEUV Rz. 19; Schmidt in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 63 EuGVVO Rz. 2.

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Anwendungsbereich | § 1

geblich hierfür ist der Ort, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden.26 Dies ist in der Regel der Sitz der Organe.27 Die Hauptniederlassung ist der Ort, von dem aus die Gesellschaft mit dem 12 Markt in Kontakt tritt und an dem der Schwerpunkt des unternehmensexternen Geschäftsverkehrs liegt.28 Die Hauptniederlassung wird auch als „tatsächlicher Sitz“ eines Unternehmens bezeichnet.29 An der Hauptniederlassung konzentrieren sich bedeutsame Personal- und Sachmittel des Unternehmens.30 Satzungsmäßiger Sitz ist der formale Sitz einer Gesellschaft, mithin der in der 13 Gesellschaftssatzung genannte Ort, eine dortige Verwaltungs- oder Geschäftstätigkeit ist nicht erforderlich.31 Hintergrund der Regelung ist nach der Gesetzesbegründung, dass in diesen Fäl- 14 len die relevanten Entscheidungen zum Risikomanagement im Inland getroffen werden.32 Ob dies im Einzelfall tatsächlich der Fall ist, ist nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut jedoch unerheblich, sofern nur eine der Varianten erfüllt ist. Hat ein Unternehmen z.B. seinen Satzungssitz im Inland, führt seine 26 BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, ZIP 1986, 643 = DB 1986, 2019 = NJW 1986, 2194, 2195; BGH v. 10.3.2009 – VIII ZB 105/07, ZIP 2009, 987 = NJW 2009, 1610, 1611; BGH v. 10.11.2009 – VI ZB 25/09, ZIP 2010, 148 = NJW-RR 2010, 250; Kindler in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2021, Internationales Wirtschaftsrecht Rz. 459; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 17 Rz. 6. 27 BAG v. 24.9.2009 – 8 AZR 305/08, BeckRS 2010, 66974; E. Peiffer/M. Peiffer in Geimer/ Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Stand 07/2021, Art. 63 VO (EG) 1215/2012 Rz. 8; Winterhalder in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 3. Aufl. 2021, § 17 Rz. 12; Thole in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Aufl. 2019, § 17 Rz. 8. 28 BAG v. 24.9.2009 – 8 AZR 305/08, BeckRS 2010, 66974; OLG München v. 6.7.2021 – 5 U 710/20 Rz. 30, BeckRS 2021, 17142; Schmidt in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 63 EuGVVO Rz. 2; abweichend wohl Schäfer, ZLR 2022, 22, 36, der den Begriff der Hauptniederlassung synonym zu den Begriffen der Hauptverwaltung und des Verwaltungssitzes als Ausdruck für den räumlichen Ort, von dem aus die Geschäfte dauerhaft geleitet werden, versteht. Zwar überschneiden sich die Begriffe inhaltlich und werden in vielen Fällen auch kumulativ erfüllt sein, der Begriff der Hauptniederlassung knüpft nach allgemeinem Verständnis jedoch an den Ort der wesentlichen persönlichen und sachlichen Mittel eines Unternehmens an, der von der Hauptverwaltung/dem Verwaltungssitz räumlich getrennt sein kann, vgl. Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 12. 29 BAG v. 24.9.2009 – 8 AZR 305/08, BeckRS 2010, 66974; E. Peiffer/M. Peiffer in Geimer/ Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Stand 07/2021, Art. 63 VO (EG) 1215/2012 Rz. 9. 30 BAG v. 24.9.2009 – 8 AZR 305/08, BeckRS 2010, 66974; OLG München v. 6.7.2021 – 5 U 710/20 Rz. 30, BeckRS 2021, 17142; E. Peiffer/M. Peiffer in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Stand 07/2021, Art. 63 VO (EG) 1215/ 2012 Rz. 9; Korte in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 54 AEUV Rz. 19. 31 So für Art. 63 Abs. 1 lit. a EuGVVO BGH v. 14.11.2017 – VI ZR 73/17, NZG 2018, 259, 260 f.; Schmidt in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 63 EuGVVO Rz. 2. 32 BT-Drucks. 19/28649, 33.

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§ 1 | Anwendungsbereich Verwaltung jedoch im Ausland, findet das Gesetz nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LkSG auf das Unternehmen Anwendung, auch wenn das Risikomanagement nicht im Inland betrieben wird. Weiter verwässert wird dieser Gesetzeszweck auch durch die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 2 LkSG (s. Rz. 15 ff.).

IV. Zweigniederlassung im Inland (Abs. 1 Satz 2) 15 Das Gesetz ist nach § 1 Abs. 1 Satz 2 LkSG auch auf Unternehmen anzuwenden,

die lediglich eine Zweigniederlassung im Inland unterhalten.33 Diese Variante war im Regierungsentwurf noch nicht enthalten und wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erst nachträglich durch einen Vorschlag des Ausschusses für Arbeit und Soziales eingeführt, um eine Benachteiligung inländischer Unternehmen zu vermeiden.34 Anders als in der Variante des § 1 Abs. 1 Satz 1 LkSG werden bei solchen Unternehmen ins Ausland entsandte Arbeitnehmer bei der Berechnung des Schwellenwerts nicht berücksichtigt.35 Ein Unternehmen, das im Inland lediglich eine Zweigniederlassung betreibt, unterfällt daher dem persönlichen Anwendungsbereich nur, wenn es in der Regel mindestens 3.000 (ab dem 1.1.2024 mindestens 1.000) Arbeitnehmer im Inland beschäftigt. Ist diese Voraussetzung erfüllt, findet das Gesetz auf das ausländische Unternehmen vollumfänglich hinsichtlich seines gesamten weltweiten Geschäftsbereichs Anwendung, die Pflichten beschränken sich nicht etwa auf den Bereich der Zweigniederlassung.36

16 Zur Definition der Zweigniederlassung verweist das Gesetz auf § 13d HGB.

Zwar definiert auch diese Vorschrift den Begriff nicht, im Rahmen des § 13d HGB wird nach allgemeiner Ansicht unter einer Zweitniederlassung aber eine von der Hauptniederlassung getrennte Niederlassung verstanden, die für eine gewisse Dauer mit einer gewissen organisatorischen, sachlichen und personellen Selbstständigkeit nach außen eigene Geschäfte tätigt.37 Die Zweigniederlassung 33 Kritisch hinsichtlich dieses Erfordernisses für ausländische Unternehmen Leuering, NZG 2021, 753, 754, da so ausländische Unternehmen, die keine Zweigniederlassung, sondern lediglich Tochterunternehmen im Inland unterhalten, nicht erfasst werden (s. dazu auch Rz. 17, 89 ff.), vgl. auch Dohrmann, CCZ 2021, 265, 269. 34 BT-Drucks. 19/30505, 6; vgl. zu der entsprechenden Kritik am Referenten- und Regierungsentwurf die Stellungnahme des BDI zum Referentenentwurf, S. 7 und Keilmann/ Schmidt, WM 2021, 717, 718. 35 BT-Drucks. 19/30505, 35. 36 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 13. 37 Schaal in BeckOGK/HGB, Stand: 09/2019, § 13d Rz. 29; Müther in BeckOK/HGB, Stand: 04/2021, § 13d Rz. 16; Pentz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl. 2020, § 13 Rz. 22 ff.; Lamsa in Heidel/Schall, HGB, 3. Aufl. 2020, § 13d Rz. 11; Krafka in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 12; weiter Roth in Koller/Kindler/ Roth/Drüen, HGB, 9. Aufl. 2019, § 13d Rz. 5, nach dem jede Außenstelle erfasst sei, die nennenswert Geschäftsabschlüsse tätigt und nicht nur Hilfsdienste erbringt, ohne dass es auf ihre organisatorische und personelle Selbständigkeit ankomme.

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Anwendungsbereich | § 1

selbst ist nicht rechtsfähig, verpflichtet ist nach § 1 Abs. 1 Satz 2 LkSG allein das ausländische Unternehmen.38 Ein Unternehmen kann mehrere Zweigniederlassungen im Inland unterhal- 17 ten.39 In diesem Fall sind die in den Zweigniederlassungen beschäftigten Arbeitnehmer des ausländischen Unternehmens zusammenzurechnen. Verfügt das ausländische Unternehmen neben einer oder mehreren inländischen Zweigniederlassungen auch über eine Tochtergesellschaft im Inland, sind deren Arbeitnehmer bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl im Rahmen des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LkSG dagegen nicht zu berücksichtigen,40 da es sich nicht um Arbeitnehmer des ausländischen Unternehmens handelt, sondern um solche der von diesem zu trennenden Tochtergesellschaft. Auch nach § 1 Abs. 3 LkSG findet nach umstrittener, aber zutreffender Ansicht keine Zurechnung der Arbeitnehmer einer inländischen Tochtergesellschaft an die ausländische Obergesellschaft statt (s. Rz. 89 ff.). Andere Formen einer Betriebsstätte im Inland als eine Zweigniederlassung wie Fabrikations- oder Werkstätten, Warenlager oder Geschäftsstellen (vgl. § 12 AO) sind dagegen unbeachtlich.41

V. Arbeitnehmerbegriff und Schwellenwert 1. Arbeitnehmer Das LkSG definiert den Begriff des „Arbeitnehmers“ nicht. Der Begriff ist norm- 18 zweckorientiert auszulegen. Nach der Regelung des Arbeitsvertrags in § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB ist Arbeit- 19 nehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.42 Da das LkSG aber auch auf öffentliche Unternehmen – unabhängig davon, ob diese in privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Form organisiert sind – anwendbar sein soll (s. Rz. 7), kann das Bestehen eines privatrechtlichen Vertrags kein Erfordernis eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des Gesetzes sein. Vielmehr müssen nach dem Normzweck auch Arbeitnehmer im Öffentlichen Dienst, Beamte und Soldaten als Arbeitnehmer i.S.d. § 1 LkSG in Betracht kommen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vertritt diesbezüglich allerdings eine abweichende Auffassung. Nach den gemeinsam mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) 38 Valdini, BB 2021, 2955, 2956; Schäfer, ZLR 2022, 22, 38; unpräzise daher Öttinger/Reidick, StoffR 2022, 2, 7. 39 OLG Schleswig v. 11.7.2007 – 2 W 143/07, ZIP 2007, 2357 = NZG 2007, 918; Schaal in BeckOGK/HGB, Stand: 09/2019, § 13d Rz. 33. 40 So auch Valdini, BB 2021, 2955, 2956. 41 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 15. 42 BAG v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, ZIP 2021, 1024 = NZA 2021, 552, 555; Maties in BeckOGK/BGB, Stand: 08/2021, § 611a Rz. 61; Baumgärtner in BeckOK/BGB, Stand: 05/2021, § 611a Rz. 12.

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§ 1 | Anwendungsbereich und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) erstellten „Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz“ sollen öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse keine Arbeitsverhältnisse im Sinne des Gesetzes darstellen.43 Welchen Zweck der Arbeitsplatz in der Unternehmensorganisation erfüllt, ist wie auch die Nationalität des Arbeitnehmers44 nach der gesetzlichen Regelung unbeachtlich. Ebenso ist die Wirksamkeit des Arbeitsvertrags unerheblich, so dass auch aufgrund eines faktischen Arbeitsverhältnisses Beschäftigte Arbeitnehmer i.S.d. § 1 LkSG sind. 20 Ins Ausland entsandte Arbeitnehmer sind bei der Berechnung der Arbeitneh-

merzahl nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LkSG zu berücksichtigen. Dies gilt dagegen nicht bei ausländischen Unternehmen, die nur eine Zweigniederlassung im Inland unterhalten. Diese Unternehmen sind vom persönlichen Anwendungsbereich nur erfasst, wenn sie auch tatsächlich mindestens 3.000 bzw. 1.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen (s. Rz. 15).

21 Zur Berufsausbildung beschäftigte Personen wie Auszubildende sind entgegen

der bisher wohl h.M. keine Arbeitnehmer i.S.d. § 1 Abs. 1 LkSG.45 Berufsausbildungsverhältnisse sind bereits nach allgemeinem juristischen Verständnis keine Arbeitsverhältnisse, da Berufsausbildungsverträge andere Pflichten als Arbeitsverträge zum Gegenstand haben: Während der Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung schuldet, ist der Auszubildende verpflichtet, sich ausbilden zu lassen.46 Nach § 10 Abs. 2 BBiG sind die für Arbeitsverhältnisse geltenden Vorschriften auf das Ausbildungsverhältnis nur anzuwenden, soweit sich aus seinem Wesen und Zweck und dem BBiG nichts anderes ergibt.47 Der Zweck des LkSG gebietet die Erfassung Auszubildender nicht. Grundlage der unternehmerischen Verantwortung für die geschützten Rechtspositionen ist die Größe 43 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Ziff. III Nr. 2 der „Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz“, abrufbar unter https://www.csr-in-deutschland.de/ DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichtenin-Lieferketten/FAQ/faq-art.html. 44 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 5. 45 Anders Grabosch, Stellungnahme zum Regierungsentwurf, BT-Ausschuss für Arbeit und Soziales, Ausschussdrucksache 19(11)1122, S. 5; Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 5; Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 53; wie hier Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Ziff. III Nr. 2 der „Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz“, abrufbar unter https://www.csr-in-deutsch land.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfalts pflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html. 46 BAG v. 18.5.2011 – 10 AZR 360/10 Rz. 13, DB 2011, 2728 = NJOZ 2011, 1449, 1150. Dass die Arbeitnehmereigenschaft Auszubildender im Rahmen bestimmter Vorschriften gesetzlich fingiert wird, ändert daran nichts. Während § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und § 2 Satz 1 BUrlG für ihren Anwendungsbereich jeweils ausdrücklich erwähnen, dass Auszubildende als Arbeitnehmer gelten, schließen § 267 Abs. 5 HGB, § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BEEG, § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG Auszubildende dagegen explizit vom Kreise der Arbeitnehmer aus. 47 BAG v. 21.9.2011 – 7 AZR 375/10, DB 2012, 462 = NZA 2012, 255.

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Anwendungsbereich | § 1

und damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens. Dem Gesetz liegt dagegen nicht die Wertung zugrunde, dass die menschenrechts- und umweltbezogenen Risiken unmittelbar von den Beschäftigten als solchen ausgehen (s. Rz. 1). Die Größe eines Unternehmens soll nach der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer zu bestimmen sein. Ausschlaggebend für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens ist damit nach § 1 LkSG sein Anspruch gegen die Arbeitnehmer auf Erbringung der Arbeitsleistung. Die Tätigkeit von Auszubildenden mag zwar faktisch in gewissem Umfang auch zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens beitragen, ihre Beschäftigung dient jedoch nicht der Erbringung einer Arbeitsleistung, sondern ausschließlich der Ausbildung. Sie ist damit nicht für die Größe eines Unternehmens i.S.d. § 1 Abs. 1 LkSG relevant. Dies unterstreicht auch die Vorschrift des § 267 Abs. 5 HGB. Danach sind Auszubildende bei der für die Einstufung einer Kapitalgesellschaft als kleine, mittlere oder große Kapitalgesellschaft zu berechnenden Arbeitnehmerzahl nicht zu berücksichtigen. An die Klassifizierung knüpfen unterschiedliche Pflichten hinsichtlich des Einzelabschlusses an. Der Gesetzgeber versteht Auszubildende insoweit nicht als prägend für die Größe einer Kapitalgesellschaft. Werden dagegen in arbeitsrechtlichen Spezialnormen wie § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und § 2 Satz 1 BUrlG Auszubildende Arbeitnehmern gleichgestellt, ist dies der vergleichbaren Schutzwürdigkeit der Auszubildenden und ihrer Integration in den Betriebsablauf geschuldet, Rückschlüsse auf ihren Beitrag zur Größe eines Unternehmens lassen sich daraus jedoch nicht ziehen. Hinsichtlich Praktikanten und Volontären ist dementsprechend zu differenzie- 22 ren, ob sie zu einer Arbeitsleistung verpflichtet sind oder ob ein Ausbildungszweck im Vordergrund steht.48 Letzteres wird in aller Regel bei Schulpraktika und Pflichtpraktika im Rahmen eines Studiums der Fall sein. Leitende Angestellte sind Arbeitnehmer i.S.d. § 1 Abs. 1 LkSG.49 Die mit- 23 bestimmungsrechtliche Behandlung50 ist insoweit ohne Bedeutung. Bei juristischen Personen bleiben Mitglieder des zur gesetzlichen Vertretung be- 24 rechtigten Organs bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl unberücksichtigt. 48 Vgl. auch LAG Schleswig-Holstein v. 25.3.2003 – 2 TaBV 39/02 (Im zu entscheidenden Fall war allerdings der Arbeitnehmerbegriff des BetrVG maßgeblich, der auch zur Berufsausbildung beschäftigte Personen umfasst. Da das Praktikumsverhältnis ausbildenden Charakter hatte, war die Arbeitnehmereigenschaft danach zu bejahen.); Henssler in Habersack/Henssler, 4. Aufl. 2018, § 3 MitbestG Rz. 27; generell ablehnend Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Ziff. III Nr. 2 der „Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz“, abrufbar unter https://www.csr-in-deutschland.de/DE/WirtschaftMenschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferket ten/FAQ/faq-art.html. 49 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 5; Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 53. 50 Vgl. § 3 Abs. 1 DrittelbG und § 3 Abs. 1 Satz. 1 Nr. 2 MitbestG.

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§ 1 | Anwendungsbereich 25 Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer und geringfügig Beschäftigte fließen als

vollwertige Arbeitnehmer in die Berechnung ein, es erfolgt keine Berücksichtigung lediglich pro rata temporis (zu Altersteilzeit s. Rz. 30).51 Dem Gesetzeswortlaut lässt sich eine entsprechende Beschränkung nicht entnehmen. In systematischer Hinsicht ist zu beachten, dass andere Vorschriften wie § 622 Abs. 5 Satz 2 BGB oder § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG eine anteilige Zählweise von Teilzeitbeschäftigten ausdrücklich vorsehen, so dass ein Umkehrschluss zu diesen Bestimmungen nahe liegt.52 Der sozialpolitische Hintergrund der Beschäftigung ist für den Gesetzeszweck des § 1 LkSG irrelevant.53 Da die Frage nach der vollwertigen oder lediglich anteiligen Berücksichtigung von Teilzeitkräften bereits Gegenstand einer vergleichbaren Diskussion im Rahmen der Novellierung des BetrVG im Jahre 2001 war, ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber des LkSG die Problematik bekannt gewesen ist und sein Verzicht auf eine entsprechende Formulierung als Anerkennung der Teilzeitbeschäftigten als vollwertige Arbeitnehmer i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Satz 2 Nr. 2 LkSG zu verstehen ist. Obgleich auch die lediglich anteilige Berücksichtigung von Teilzeitarbeitnehmern mit dem Gesetzeszweck vereinbar wäre, entspricht diese daher nicht dem geltenden Recht. Entsprechendes gilt für Arbeitnehmer in Kurzarbeit.

26 Arbeitnehmerähnliche Personen (vgl. § 12a TVG) wie Heimarbeiter sind

keine Arbeitnehmer i.S.d. § 1 LkSG. Verbreitet werden Heimarbeiter zwar bei der Bestimmung der Arbeitnehmerzahl im Rahmen des § 267 HGB ohne nähere Begründung für berücksichtigungsfähig erachtet.54 Zudem gelten in Heimarbeit Beschäftigte, die in der Hauptsache für den Betrieb arbeiten, nach § 3 MitBestG i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG als Arbeitnehmer und sind anders als sonstige 51 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 5; Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 53; so auch im Rahmen des § 267 HGB Reiner in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2020, § 267 HGB Rz. 8; Störk/Lawall in BeckBilanzkomm, 12. Aufl. 2020, § 267 HGB Rz. 12; Böcking/Gros in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl. 2020, § 267 Rz. 8. 52 So auch schon Grabosch, Stellungnahme zum Regierungsentwurf, BT-Ausschuss für Arbeit und Soziales, Ausschussdrucksache 19(11)1122, S. 5; vgl. auch Henssler in Habersack/Henssler, 4. Aufl. 2018, § 3 MitbestG Rz. 23. 53 Hinsichtlich der Zielrichtung des Gesetzes wohl a.A.: Wagner/Ruttloff/Wagner/Hahn, CB 2021, 89, 91, die davon ausgehen, dass das LkSG „gerade auch Arbeitnehmer in prekären Arbeitssituationen zu schützen versucht“. 54 Reiner in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2020, § 267 HGB Rz. 8; Störk/Lawall in BeckBilanzkomm, 12. Aufl. 2020, § 267 HGB Rz. 10; Suchan in BeckOGK/BilanzR, Stand: 09/2021, § 267 HGB Rz. 17; Karrenbrock in Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht, 2. Aufl. 2020, § 267 HGB Rz. 20; Böcking/Gros in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, HGB, 4. Aufl. 2020, § 267 Rz. 8; Morck/Drüen in Koller/Kindler/Roth/Drüen, HGB, 9. Aufl. 2019, § 267 Rz. 7; Schellhorn in BilR – eKommentar, Stand: 02/2020, § 267 Rz. 27; wohl anderer Ansicht, wenn auch nicht ausdrücklich Marx/Dallmann in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, 1. Aufl. 2002, 103. Lieferung, § 267 HGB Rz. 28 f., die die Erfordernisse der persönlichen Abhängigkeit und der Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers betonen.

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Anwendungsbereich | § 1

arbeitnehmerähnliche Personen im Mitbestimmungsrecht von Bedeutung.55 Nach allgemeinem Arbeitsrecht sind arbeitnehmerähnliche Personen allerdings keine Arbeitnehmer (vgl. nur § 7 Abs. 1 Nr. 3 PflegeZG; § 2 Abs. 2 Nr. 3 ArbSchG, § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG, § 20 Abs. 2 BEEG).56 Wird ihre Arbeitnehmereigenschaft teilweise gesetzlich fingiert, ist dies durch ihre Schutzwürdigkeit bedingt. Sie tragen aber mangels Weisungsgebundenheit und persönlicher Abhängigkeit nicht einem Arbeitnehmer vergleichbar zur Größe eines Unternehmens bei. Da das LkSG die Arbeitnehmereigenschaft der arbeitnehmerähnlich Beschäftigten oder zumindest der Heimarbeiter nicht gesetzlich fingiert, ist der allgemeine arbeitsrechtliche Arbeitnehmerbegriff zugrunde zu legen und arbeitnehmerähnliche Personen einschließlich Heimarbeitern bleiben unberücksichtigt. Das BMAS hält dagegen Heimarbeiter und unselbstständige Handelsvertreter für berücksichtigungsfähig.57 Ruht ein Arbeitsverhältnis, führt dies nicht zu einer Aufhebung der Arbeitneh- 27 mereigenschaft.58 Aus dem weiteren Erfordernis der Beschäftigung kann sich jedoch ergeben, dass ein solches Arbeitsverhältnis dennoch nicht zu berücksichtigen ist. S. daher zu Arbeitnehmern in Mutterschutz, Eltern- oder Pflegezeit, Altersteilzeit etc. Rz. 29 ff. Personen, mit denen das Unternehmen in einem werk- oder dienstvertraglichen 28 Verhältnis steht, werden nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift nicht erfasst.59 2. Beschäftigung Zu berücksichtigen sind nach dem Wortlaut der Vorschrift Arbeitnehmer, die 29 von dem Unternehmen beschäftigt sind.60 Allein das Bestehen eines Arbeitsvertrags ist daher nicht ausreichend, der Arbeitnehmer muss auch im Unternehmensbetrieb eingesetzt sein.61 Ob ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses dies aus55 Wichert in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2020, § 3 Rz. 4; Annuß in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 3 MitbestG Rz. 7; Henssler in Habersack/ Henssler, 4. Aufl. 2018, § 3 MitbestG Rz. 18; C. Arnold in Goette/Arnold, Handbuch Aufsichtsrat, 1. Aufl. 2021, § 7 Rz. 38; Uffmann in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 4, 4. Aufl. 2018, § 373 Rz. 7 f. 56 Annuß in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 3 MitbestG Rz. 7; Henssler in Habersack/Henssler, 4. Aufl. 2018, § 3 MitbestG Rz. 18. 57 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, „Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz“, Ziff. III Nr. 2 abrufbar unter https://www.csr-in-deutschland.de/DE/WirtschaftMenschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/ FAQ/faq-art.html. 58 C. Arnold in Goette/Arnold, Handbuch Aufsichtsrat, 1. Aufl. 2021, § 7 Rz. 36; Henssler in Habersack/Henssler, 4. Aufl. 2018, § 3 MitbestG Rz. 31, 33; Oetker in Hirte/Mülbert/ Roth, Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2018, § 1 MitbestG Rz. 23. 59 Vgl. Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 53 zu „freien Mitarbeitern“; s. auch Mauer in BeckOK/ArbR, Stand: 12/2021, § 38 BetrVG Rz. 1. 60 Vgl. den abweichenden Wortlaut des § 1 Abs. 1 DrittelbG, der ein solches Erfordernis nicht vorsieht. 61 Vgl. Annuß in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 1 MitbestG Rz. 16.

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§ 1 | Anwendungsbereich schließt, wird bei der Schwellenwertberechnung für § 267 HGB und §§ 1, 3 MitbestG, § 5 BetrVG unterschiedlich beurteilt. Während die allgemeine Meinung ruhende Arbeitsverhältnisse im Rahmen des § 267 HGB unberücksichtigt lässt,62 wird bei den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften verbreitet darauf abgestellt, ob der Arbeitnehmer nur vorübergehend oder dauerhaft freigestellt ist.63 Dauerhaft von der Arbeitsleistung suspendierte Arbeitnehmer wie Arbeitnehmer in Altersteilzeit nach dem Blockmodell (§ 3 Abs. 3 ATG) seien nicht zu berücksichtigen. Bei einer nur vorübergehenden Freistellung z.B. aufgrund von Mutterschutz, Eltern- oder Pflegezeit sei der Arbeitsplatz hingegen zu berücksichtigen, wenn er fortgeführt wird.64 Diese Argumentation beruht jedoch im Wesentlichen darauf, dass vorübergehend freigestellte Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse an der Mitbestimmung haben.65 30 § 1 LkSG dient hingegen nicht den Arbeitnehmerinteressen, sondern allein der

Bestimmung der menschenrechts- und umweltbezogenen Verantwortlichkeit eines Unternehmens. Die Rückkehrperspektive eines freigestellten Arbeitnehmers kann daher nicht allein maßgeblich sein, es ist vielmehr darauf abzustellen, ob ein ruhendes Arbeitsverhältnis noch zur wirtschaftlichen Größe des Unternehmens beiträgt. Dies wird bei dauerhaft freigestellten Arbeitnehmern zu verneinen sein.66 62 Suchan in BeckOGK/BilanzR, Stand: 09/2021, § 267 HGB Rz. 18; Suchan in MünchKomm/BilanzR, 1. Aufl. 2013, § 267 HGB Rz. 14; Reiner in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2020, § 267 HGB Rz. 8; Störk/Lawall in BeckBilanzkomm, 12. Aufl. 2020, § 267 HGB Rz. 11; Poll in BeckOK/HGB, Stand: 01/2022, § 267 Rz. 22; Marx/Dallmann in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, 1. Aufl. 2002, 103. Lieferung, § 267 HGB Rz. 29; Karrenbrock in Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht, 2. Aufl. 2020, § 267 HGB Rz. 21; anders wird dies allerdings für wegen einer Wehrübung (nicht aber für den Grundwehr- oder Ersatzdienst) kurzfristig freigestellte Arbeitnehmer bewertet, vgl. Reiner in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2020, § 267 HGB Rz. 8; Suchan in BeckOGK/BilanzR, Stand: 09/2021, § 267 HGB Rz. 17; Morck/Drüen in Koller/Kindler/ Roth/Drüen, HGB, 9. Aufl. 2019, § 267 Rz. 7. 63 Henssler in Habersack/Henssler, 4. Aufl. 2018, § 3 MitbestG Rz. 31 ff.; Annuß in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 1 MitbestG Rz. 16; anders aber Oetker in Hirte/ Mülbert/Roth, Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2018, § 1 MitbestG Rz. 23. 64 Annuß in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 1 MitbestG Rz. 16; Henssler in Habersack/Henssler, 4. Aufl. 2018, § 3 MitbestG Rz. 31 ff. 65 Henssler in Habersack/Henssler, 4. Aufl. 2018, § 3 MitbestG Rz. 31 allgemein zur Arbeitnehmereigenschaft im Mitbestimmungsrecht und unter Berufung auf den Beschluss des BAG v. 29.3.1974 – 1 ABR 27/73, AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 2, der die Frage des Wahlrechts des zur Ableistung des Wehrdienstes freigestellten Arbeitnehmers zum Gegenstand hat. 66 Auf den ersten Blick droht zwar insbesondere bei der Altersteilzeit ein Wertungswiderspruch, wenn Arbeitnehmer im Gleichverteilungsmodell über den kompletten Zeitraum berücksichtigt werden, während Arbeitnehmer im Blockmodell nur bis zu ihrem Ausscheiden erfasst sind. Dies ist allerdings eine Folge der Gleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitkräften (s. Rz. 25). Entscheidend ist, dass einem Unternehmen nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers wegen Altersteilzeit im Blockmodell kein Anspruch mehr auf die Erbringung von dessen Arbeitsleistung zusteht. Er trägt damit an-

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Hinsichtlich vorübergehend freigestellter Arbeitnehmer liegt es nahe, auf den Rechtsgedanken des § 1 Abs. 2 LkSG abzustellen. Danach trägt ein Leiharbeitnehmer zur wirtschaftlichen Größe des Entleihunternehmens bei, wenn die Einsatzdauer innerhalb eines Jahres sechs Monate übersteigt (s. Rz. 37). Die vorübergehende Freistellung eines Arbeitnehmers ist dementsprechend als unbeachtlich einzustufen, wenn sie innerhalb eines Jahres einen Zeitraum von sechs Monaten nicht übersteigt. Ist ein Arbeitnehmer umgekehrt innerhalb eines Jahres länger als sechs Monate freigestellt, trägt er nicht mehr maßgeblich zur wirtschaftlichen Größe des Unternehmens bei und ist bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl nicht zu berücksichtigen. Das BMAS vertritt grundsätzlich eine ähnliche Ansicht. Allerdings unterscheidet das Ministerium nicht zwischen dauerhafter und vorübergehender Freistellung. So soll auch bei ausgeschiedenen Vorruheständlern und Personen in der passiven Phase der Altersteilzeit auf die Sechsmonatsfrist abzustellen sein. Darüber hinaus sollen Arbeitnehmer in Mutterschaftsurlaub zu berücksichtigen sein.67 Schließt sich an die Schutzfristen vor und nach der Entbindung die Elternzeit an, steht dem Unternehmen aber die Arbeitskraft des betroffenen Arbeitnehmers ggf. auch über den Zeitraum von sechs Monaten innerhalb eines Jahres hinaus nicht zur Verfügung. In diesem Falle können daher auch Arbeitnehmer im Mutterschutz nicht zu berücksichtigen sein. Auch hinsichtlich befristet beschäftigter Arbeitnehmer ist nach der Gesetzes- 31 begründung – analog zu der Regelung für Leiharbeitnehmer (s. Rz. 37) – darauf abzustellen, ob sie für den größten Teil des Jahres beschäftigt werden.68 In Saisonbetrieben, die einen regelmäßig nur vorübergehend erhöhten Bedarf an Arbeitnehmern haben, sind für wenige Wochen oder Monate beschäftigte Arbeitnehmer daher nicht zu berücksichtigen.69 Dient die Anstellung eines zeitweilig beschäftigten Arbeitnehmers der Vertretung eines vorübergehend verhinderten Arbeitnehmers, ist dieser Arbeitsplatz nur einfach zu berücksichtigen (s. Rz. 36). ders als der Arbeitnehmer in Altersteilzeit nach dem Gleichverteilungsmodell nicht über den kompletten Zeitraum der Altersteilzeit zur wirtschaftlichen Größe des Unternehmens bei. 67 S. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Ziff. III Nr. 2 der „Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz“, abrufbar unter https://www.csr-in-deutschland.de/DE/ Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichtenin-Lieferketten/FAQ/faq-art.html. 68 BT-Drucks. 19/28649, 34 unter Bezugnahme auf BGH v. 25.6.2019 – II ZB 21/18, ZIP 2019, 1661 = NJW 2019, 2856, 2859; so auch bei anderen Schwellenwerten st. Rspr., s. BAG v. 4.11.2015 – 7 ABR 42/13, DB 2016, 1081 = NZA 2016, 559, 564 (zu dem Schwellenwert in § 9 Abs. 1 u. 2 MitbestG); BAG v. 18.1.2017 – 7 ABR 60/15, ZIP 2017, 1634 = NZA 2017, 865, 867 ff. und BAG v. 2.8.2017 – 7 ABR 51/15, NZA 2017, 1343, 1345 (jeweils zu § 38 Abs. 1 BetrVG); BAG v. 16.11.2004 -1 AZR 642/03, NJOZ 2005, 4140, 4142 m.w.N.; vgl. auch Hay/Grüneberg, NZA 2014, 814, 817; Brors/Schüren, BB 2004, 2745, 2751. Nach der Gesetzesbegründung handelt es sich nicht um eine Frage der Beschäftigung, sondern um eine Frage der regelmäßigen Beschäftigung (s. dazu Rz. 32 ff.). 69 BAG v. 16.11.2004 -1 AZR 642/03, NJOZ 2005, 4140, 4142 m.w.N.

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§ 1 | Anwendungsbereich 3. Schwellenwert („in der Regel“) 32 Verpflichtet ist ein Unternehmen, wenn die Zahl der beschäftigten Arbeitneh-

mer „in der Regel“ den einschlägigen Schwellenwert erreicht.70 Danach ist nicht die konkrete, natürlichen Schwankungen unterliegende und mehr oder weniger zufällige Anzahl an Beschäftigten maßgeblich, sondern die für das Unternehmen im Allgemeinen kennzeichnende Personalstärke.71 Dies soll den Unternehmen Planungs- und Rechtssicherheit verschaffen.72 Das Gesetz verwendet mit diesem Begriff ein u.a. schon aus § 111 Satz 1 BetrVG, § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG bekanntes Tatbestandsmerkmal.73 Zwar weist die Gesetzesbegründung zurecht darauf hin, dass § 1 Abs. 1 LkSG eigenständig auszulegen ist. Dennoch können die im Zusammenhang mit anderen Normen bereits gewonnenen Erkenntnisse auch für die Auslegung des § 1 Abs. 1 LkSG fruchtbar gemacht werden.74

33 Der Wendung „in der Regel“ ist eine zeitliche Komponente zu entnehmen,75 so

dass die im Allgemeinen kennzeichnende Personalstärke durch eine Kombination aus Rückblick auf die bisherige Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und Prognose der voraussichtlichen zukünftigen Entwicklung zu ermitteln ist.76 Unter- oder überschreitet die Zahl der tatsächlich beschäftigten Arbeitnehmer kurzfristig den Schwellenwert, kann dies daher unbeachtlich sein, sofern die Zahl der Beschäftigten nicht die übliche Personalstärke des Unternehmens widerspiegelt und damit zu rechnen ist, dass diese in Zukunft wieder erreicht werden wird. Der für die Rückschau und Prognose zu berücksichtigende Zeitraum kann nicht einheitlich und pauschal bestimmt werden, sondern ist einzelfallabhängig.77 Nach der Gesetzesbegründung soll sich die Prognose am Geschäftsjahr orientieren.78 70 Rechtsvergleichend fällt auf, dass die französische Loi de vigilance einen höheren Schwellenwert vorsieht und erst auf Unternehmen, die 5.000 Arbeitnehmer beschäftigen, Anwendung findet, vgl. Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 74; s. auch die entsprechende Kritik in den Stellungnahmen zum Referentenentwurf des BDI, S. 7 und von textil + mode, S. 2. 71 BAG v. 18.5.2011 – 10 AZR 360/10 Rz. 13, DB 2011, 2728 = NJOZ 2011, 1449, 1150; BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, ZIP 2013, 1442 = DB 2013, 1494 = NZA 2013, 726, 729; Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 8. 72 BT-Drucks. 19/28649, 33. 73 So auch der Gesetzgeber in BT-Drucks. 19/28649, 33. 74 Niklas/Lex, ArbRB 2021, 212. 75 Vgl. entsprechend für § 111 Satz 1 BetrVG BAG v. 16.11.2004 -1 AZR 642/03, NJOZ 2005, 4140, 4142. 76 BT-Drucks. 19/28649, 33; Jungkind/Raspé/Terbrack, DK 2021, 445, 446; Schäfer, ZLR 2022, 22, 35; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 74; Dutzi/Schneider/Hasenau, DK 2021, 454, 456 empfehlen dagegen, grundsätzlich die durchschnittliche Beschäftigtenzahl des Vorjahres heranzuziehen. 77 Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 54: „Zeitraum zwischen sechs Monaten bis zu zwei Jahren“. 78 BT-Drucks. 19/28649, 33; Hettich/Charnitzky in Kubis/Tödtmann, Arbeitshandbuch für Vorstandsmitglieder, § 14 Rz. 260; im Rahmen des § 1 MitbestG werden unterschiedliche Referenzzeiträume vorgeschlagen, die allerdings in engem Zusammenhang

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Für die Praxis ist daher zu empfehlen, grundsätzlich das Geschäftsjahr der Prognose zugrunde zu legen und hiervon nur bei Vorliegen besonderer Umstände abzuweichen. Allein die Heranziehung des Durchschnittswerts des Vorjahres wird diesen Vorgaben nicht gerecht.79 Dieser spiegelt nicht zwingend die regelmäßige Personalstärke des Unternehmens wider. Bei der Bemessung der üblichen Personalstärke können auch unternehmerische 34 Entscheidungen, die erst noch einer Umsetzung bedürfen, berücksichtigt werden. Voraussetzung ist aber, dass das zuständige Gesellschaftsorgan den entsprechenden Beschluss, z.B. über eine Verringerung der Personalstärke, bereits gefasst hat und dessen Umsetzung nichts Wesentliches mehr im Wege steht.80 Beschäftigt ein Unternehmen eine unter dem Schwellenwert liegende Anzahl an 35 Arbeitnehmern, kann eine Anwendung des LkSG auf einen prognostizierten Anstieg der Personalstärke dagegen nur unter der zusätzlichen Voraussetzung gestützt werden, dass das Unternehmen zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt bereits den Schwellenwert überschritten hat. Ein Unternehmen, das sich im Wachstum befindet, dessen Personalstärke den Schwellenwert dabei jedoch noch nie überschritten hat, beschäftigt nicht „in der Regel“ mehr als 3.000 bzw. 1.000 Arbeitnehmer, sondern plant eine solche Beschäftigung lediglich perspektivisch.81 Auf ein solches Unternehmen findet das LkSG daher erst mit dem erstmaligen Überschreiten des Schwellenwerts Anwendung. Wird ein Arbeitnehmer als Vertretung eines kurzfristig freigestellten und damit 36 berücksichtigungsfähigen (s. Rz. 30) Arbeitnehmers eingestellt, erhöht dies die regelmäßige Personalstärke nicht.82 Denn der Zweck seiner Anstellung liegt in der Beibehaltung der Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer. Dies entspricht den Regelungen der § 21 Abs. 7 BEEG, § 6 Abs. 4 PflegeZG und § 2 Abs. 3 EPfZG i.V.m. § 6 Abs. 4 PflegeZG, die zwar keine direkte Anwendung finden, da das LkSG kein arbeitsrechtliches Gesetz im Sinne dieser Vorschriften ist.

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mit der Vorbereitung und der Dauer des Wahlverfahrens stehen und daher nicht auf § 1 LkSG übertragbar sein dürften, vgl. OLG Düsseldorf v. 9.12.1994 – 19 W 2/94, DB 1995, 277 AktE Rz. 14, BeckRS 1994, 9503; OLG Saarbrücken v. 2.3.2016 – 4 W 1/15 Rz. 118, NZG 2014, 941, 942 f.; Heither/von Morgen in Boecken/Düwell/Diller/Hanau [Hrsg.], § 1 MitbestG Rz. 11; Oetker in ErfK/ArbR, 22. Aufl. 2022, § 1 MitbestG Rz. 14 m.w.N. (jeweils 17-20 Monate); Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 1 DrittelbG Rz. 11 (18-24 Monate). So aber Dutzi/Schneider/Hasenau, DK 2021, 454, 456. BT-Drucks. 19/28649, 33; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 74; Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 54; so auch schon die Rechtsprechung zu § 1 MitbestG, vgl. OLG Düsseldorf v. 9.12.1994 – 19 W 2/94 AktE Rz. 14, BeckRS 1994, 9503; OLG Saarbrücken v. 2.3.2016 – 4 W 1/15 Rz. 119, NZG 2014, 941, 943 sowie zu § 1 BetrVG BAG v. 7.5.2008 – 7 ABR 17/07, DB 2009, 352 = NZA 2008, 1142, 1144. Vgl. Lambrich/Reinhard, NJW 2014, 2229, 2234 (zu § 1 Abs. 1 DrittelbG und § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG). Vgl. Annuß in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 1 MitbestG Rz. 16; Oetker in ErfK/ ArbR, 22. Aufl. 2022, § 1 MitbestG Rz. 15.

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§ 1 | Anwendungsbereich Die Vorschriften sind aber ebenfalls Ausdruck des Gedankens, dass bei der Berechnung von Schwellenwerten lediglich vertretungsweise befristet eingestellte Arbeitnehmer unbeachtlich sind, sofern dies dem Gesetzeszweck entspricht. 4. Leiharbeitnehmer (Abs. 2) 37 Leiharbeitnehmer sind bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl des Entleih-

unternehmens zu berücksichtigen, wenn ihre Einsatzdauer sechs Monate übersteigt, § 1 Abs. 2 LkSG. Der Gesetzgeber hat damit eine von der Rechtsprechung zuvor schon für Schwellenwerte im Betriebsverfassungsrecht und im Mitbestimmungsrecht entwickelte und seit 2017 auch in § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG für das Mitbestimmungsrecht kodifizierte Lösung für das LkSG übernommen.83

38 Die Einsatzdauer ist ausweislich der Gesetzesbegründung arbeitsplatzbezogen

zu bestimmen.84 Im Rahmen des ähnlich formulierten § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG ist zwischen der Rechtsprechung und Teilen der Literatur äußerst umstritten, ob eine arbeitsplatz- oder personenbezogene Betrachtung stattzufinden hat. Während der BGH sich in einem ausführlich begründeten Beschluss auf eine arbeitsplatzbezogene Auslegung der Vorschrift festgelegt hat,85 zieht die im Schrifttum wohl herrschende Ansicht eine personenbezogene Betrachtung vor.86 Im Rahmen des § 1 Abs. 2 LkSG hat sich der Gesetzgeber in Kenntnis dieses Streites in der Gesetzesbegründung nunmehr ausdrücklich für eine arbeitsplatzbezogene Auslegung ausgesprochen. Es wäre allerdings wünschenswert gewesen, dass dies deutlicher Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hätte, da der Wortlaut der Vorschrift wie bei § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG grundsätzlich beide Auslegungs83 S. BAG v. 4.11.2015 – 7 ABR 42/13, ZIP 2016, 783 = DB 2016, 1081 = NZA 2016, 559, 564 (zu dem Schwellenwert in § 9 Abs. 1 u. 2 MitbestG); BAG v. 18.1.2017 – 7 ABR 60/ 15, ZIP 2017, 1634 = NZA 2017, 865, 867 ff. und BAG v. 2.8.2017 – 7 ABR 51/15, NZA 2017, 1343, 1345 (jeweils zu § 38 Abs. 1 BetrVG); in der Tendenz auch schon BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, ZIP 2013, 1442 = DB 2013, 1494 = NZA 2013, 726, 729 (zu § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG); den obergerichtlichen Entscheidungen ist ein Streit bzgl. der einzelnen Schwellenwerte in den Vorschriften der Unternehmensmitbestimmung vorausgegangen, s. Thüsing in Thüsing, AÜG, 4. Aufl. 2018, § 14 Rz. 63; Hay/Grüneberg, NZA 2014, 814, 815 jeweils m.w.N.; kritisch bzgl. der Mindesteinsatzdauer von sechs Monaten in § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG Schubert/Liese, NZA 2016, 1297, 1302. 84 BT-Drucks. 19/28649, 34; so auch Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2166; Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 142; Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 8; wohl auch Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 55. 85 BGH v. 25.6.2019 – II ZB 21/18, ZIP 2019, 1661, BeckRS 2019, 18562 Rz. 21 ff.; zustimmend Boemke, ZfA 2021, 100, 115 ff.; Markworth, RdA 2020, 119, 120 ff.; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 3 MitbestG Rz. 1. 86 Oetker in ErfK/ArbR, 22. Aufl. 2022, § 1 MitbestG Rz. 9 ff.; Oetker, NZA 2017, 29, 33; Thüsing in Thüsing, AÜG, 4. Aufl. 2018 § 14 Rz. 76; Schubert/Liese, NZA 2016, 1297, 1303; Bissels in Henssler/Grau, Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträge, 2. Aufl. 2019, § 5 Rz. 394; Motz in BeckOK/ArbeitsR, Stand: 09/2021, § 14 AÜG Rz. 26; Ulrici, jurisPR-ArbR 41/2019 Anm. 2.

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varianten zulässt.87 Aufgrund des eindeutig geäußerten gesetzgeberischen Willens und in Anbetracht der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur vergleichbaren Problematik bei § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG ist dessen ungeachtet in der Unternehmenspraxis jedoch dringend zu empfehlen, die arbeitsplatzbezogene Auslegung zugrunde zu legen. Maßgeblich ist nach der arbeitsplatzbezogenen Auslegung nicht die Einsatzdauer 39 eines konkret beschäftigten Leiharbeitnehmers, sondern ob ein Unternehmen innerhalb eines Jahres über einen längeren Zeitraum als sechs Monate Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern besetzt, unabhängig davon, ob es sich dabei um den Einsatz eines bestimmten oder wechselnder Leiharbeitnehmer handelt und ob die Leiharbeitnehmer auf demselben oder auf verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt werden.88 Die Bemessungsdauer von einem Jahr lässt sich der Vorschrift zwar nicht ausdrücklich entnehmen,89 entspricht aber der Gesetzesbegründung und der der Kodifikation zugrunde liegenden Rechtsprechung zur Berechnung der Arbeitnehmerzahl im Rahmen der Unternehmensmitbestimmung.90 Auch Leiharbeitnehmer sind nur zu berücksichtigen, wenn das Unternehmen 40 sie in der Regel beschäftigt, ihre Arbeitsplätze also Ausdruck der üblichen Personalstärke eines Unternehmens sind. Es ergibt sich damit eine zweistufige Prüfung:91 Zunächst ist zu prüfen, ob die durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern geschaffenen Arbeitsplätze grundsätzlich zu erfassen sind. Dies ist der Fall, wenn innerhalb eines Jahres über die Dauer von mindestens sechs Monaten ein Leiharbeitsplatz besteht. Anschließend stellt sich die Frage, ob die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern über die Dauer von sechs Monaten hinaus in dem Unternehmen regelmäßig erfolgt.92 Insoweit ist eine Prognose zu treffen, der grundsätzlich das Geschäftsjahr zugrunde zu legen ist (s. Rz. 33). Insbesondere bei Umstrukturierungen oder im Rahmen zeitlich begrenzter Sondersituationen kann es daher dazu kommen, dass Leiharbeitnehmer trotz einer Einsatzdauer von über sechs Monaten nicht zu berücksichtigen sind, da ihre Beschäftigung nicht Ausdruck der das Unternehmen in der Regel prägenden Personalstärke ist.93 87 S. aber auch ablehnend Oetker in ErfK/ArbR, 22. Aufl. 2022, § 1 MitbestG Rz. 9b, der den Begriff der „Einsatzzeit“ als untrennbar mit der Person des konkret eingesetzten Leiharbeitnehmers verbunden versteht. 88 BT-Drucks. 19/28649, 34. 89 Kritisch daher Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165: Der Bemessungszeitraum von einem Jahr finde keinen Rückhalt im Gesetz und stelle eine Vermischung des Tatbestandsmerkmals der „Einsatzdauer“ mit dem Erfordernis, dass die zu berücksichtigenden Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Satz 2 Nr. 2 LkSG „in der Regel“ beschäftigt sein müssen, dar. 90 BT-Drucks. 19/28649, 34; BGH v. 25.6.2019 – II ZB 21/18, ZIP 2019, 1661, BeckRS 2019, 18562. 91 Vgl. Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2166; Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 55. 92 BT-Drucks. 19/28649, 34. 93 Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 55.

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§ 1 | Anwendungsbereich 41 Zur Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer im Verleihunternehmen schweigt

das Gesetz. Die Formulierung des § 1 Abs. 2 LkSG schließt es nicht aus, dass Leiharbeitnehmer, die die Voraussetzungen des Abs. 2 erfüllen, darüber hinaus nach Abs. 1 auch zugleich bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl des Verleihunternehmens zu berücksichtigen sind. Hinsichtlich der Betriebsverfassung sieht § 14 Abs. 1 AÜG eine solche Doppelberücksichtigung vor.94 § 1 Abs. 3 LkSG zeigt, dass die mehrfache Berücksichtigung eines Arbeitnehmers bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl verschiedener Unternehmen (s. Rz. 48) auch dem LkSG grundsätzlich nicht fremd ist. Leiharbeitnehmer bleiben auch während des Zeitraums der Arbeitnehmerüberlassung ausschließlich Arbeitnehmer des Verleihers.95 Eine doppelte Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer entspricht dem Schutzzweck des LkSG. Denn gerade die verliehenen Arbeitnehmer sind prägend für die wirtschaftliche Größe eines Arbeitnehmerüberlassungsunternehmens. Auch das Erfordernis der Beschäftigung (s. Rz. 29 ff.) steht dem nicht entgegen. Die Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers durch das Verleihunternehmen ist in der dem Arbeitsvertrag zwischen den Parteien entsprechenden Entsendung in das Entleihunternehmen zu sehen.

VI. Persönlicher Anwendungsbereich in verbundenen Unternehmen (Abs. 3) 1. Allgemeines 42 Besondere Schwierigkeiten bereitet der persönliche Anwendungsbereich des Ge-

setzes bei Unternehmen, die in Konzernstrukturen im weiteren Sinne96 organisiert sind. Zur konzernrechtlichen Dimension des persönlichen Anwendungsbereiches äußert sich das Gesetz lediglich in § 1 Abs. 3 LkSG. Danach sind in verbundenen Unternehmen i.S.d. § 15 AktG bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl der Obergesellschaft nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer (zu denen auch die ins Ausland entsandten Arbeitnehmer zählen) sämtlicher konzernangehöriger Gesellschaften zu berücksichtigen. Zur Bedeutung wie auch zur Auslegung dieser Vorschrift werden im Schrifttum bisher unterschiedliche Standpunkte vertreten. 94 BT-Drucks. 19/28649, 34. 95 Waas in Thüsing, AÜG, 4. Aufl. 2018, § 1 Rz. 5; Motz in BeckOK/ArbR, Stand: 01.03. 2022, § 14 AÜG Rn. 3. 96 Aktienrechtlich bezeichnet der Begriff des Konzerns lediglich den Unternehmensverbund nach § 18 AktG. Er wird jedoch häufig unpräzise in einem weiteren Sinne auch für andere Arten der Unternehmensverbindung genutzt. Auch in § 1 Abs. 3 LkSG ist missverständlich von konzernangehörigen Gesellschaften die Rede, obwohl durch den Verweis auf § 15 AktG auch Unternehmensverbunde erfasst werden, die kein Konzern i.S.d. § 18 AktG sind (s. dazu Rz. 51 ff.). Entsprechendes gilt für den ursprünglich für § 1 Abs. 3 LkSG vorgesehenen Begriff der „Konzernmutter“, der im Gesetzgebungsverfahren durch den der „Obergesellschaft“ ersetzt worden ist, vgl. Rz. 62.

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2. Der Unternehmensverbund als Normadressat? Aus der Regelung des § 1 Abs. 3 LkSG wird teilweise geschlossen, dass bei ver- 43 bundenen Unternehmen der Unternehmensverbund als solcher Normadressat des LkSG sei.97 Verpflichtete Unternehmen seien nicht die einzelnen dem Unternehmensverbund angehörigen Gesellschaften, sondern der Unternehmensverbund selbst unterliege den Pflichten des Gesetzes. Ein solches Verständnis ist in mehrfacher Hinsicht Bedenken ausgesetzt. Zu- 44 nächst steht es in Widerspruch zu dem gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip, nach dem auch verbundene Unternehmen ihre Eigenschaft als Rechtssubjekt und damit als Normadressat behalten.98 Mag ein Unternehmensverbund i.S.d. § 15 AktG aus betriebswirtschaftlicher Sicht auch als einheitliches Unternehmen zu klassifizieren sein,99 fehlt es diesem bei der für den Anwendungsbereich des LkSG maßgeblichen juristischen Betrachtung an Rechtspersönlichkeit.100 Er kann daher nicht selbst Träger von Rechten und Pflichten sein und kommt als Normadressat nicht in Betracht. Hätte der Gesetzgeber des LkSG eine (wenn auch nur bereichsspezifische) Auflösung dieses fundamentalen gesellschaftsrechtlichen Prinzips bezweckt, wäre zu erwarten gewesen, dass dies deutlicher im Gesetzestext zum Ausdruck gekommen wäre101 oder zumindest der Gesetzesbegründung ein entsprechender Hinweis zu entnehmen gewesen wäre.102 Zudem ist eine Allokation der Pflichten bei dem Unternehmensverbund als solchem auch nicht mit der Systematik von § 1 Abs. 3; § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG in Einklang zu bringen. Nach § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG zählt in verbundenen Unternehmen eine konzernangehörige Gesellschaft zum eigenen Geschäftsbereich der Obergesellschaft, wenn die Obergesellschaft auf diese einen bestimmenden Einfluss ausübt. Die Berücksichtigung der Arbeitnehmer konzernangehöriger Gesellschaften bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl der Obergesellschaft und die Erfassung konzernangehöriger Gesellschaften bei der Bestimmung des eigenen Geschäftsbereichs der Obergesellschaft sind überflüssig, wenn der Kon97 Dutzi/Schneider/Hasenau, Der Konzern 2021, 454, 456: Verbundene Unternehmen seien „für die Zwecke des LkSG konsolidiert als ein Unternehmen zu betrachten“. Dies entspricht dem funktionalen Unternehmensbegriff des Europarechts, der im Kartellrecht und nach teilweise vertretener Ansicht auch im Rahmen der DSGVO (s. § 24 Rz. 3) Anwendung findet, vgl. dazu Ebner/Schmidt, CCZ 2020, 84 m.w.N. 98 Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 259, zum Trennungsprinzip s. statt vieler etwa Grigoleit in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 15 Rz. 6; Gehring/Kasten/Mäger, CCZ 2013, 1, 5. 99 S. nur Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 11. Aufl. 2020, § 4 Rz. 7. 100 Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 15 Rz. 27 m.w.N. 101 So z.B. in § 36 Abs. 2 Satz 1 GWB. In dieser Vorschrift wird ausdrücklich angeordnet, dass nach § 17 AktG oder § 18 AktG verbundene Unternehmen für die Zwecke des Gesetzes als einheitliches Unternehmen anzusehen sind. 102 Vgl. auch die Gesetzesbegründung zu § 83a Abs. 3a GWB, BT-Drucks. 18/10207, 88: „bewusste Lösung vom gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip und den Besonderheiten der nationalen Regelungen über die Verantwortlichkeit juristischer Personen“ und S. 89: „Der Begriff des Unternehmens i.S.d. Abs. 3a ist insoweit inhaltlich identisch mit dem Begriff der wirtschaftlichen Einheit in § 81 Abs. 4 Satz 3“.

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§ 1 | Anwendungsbereich zern bereits als solcher Normadressat sein soll. Die Bedeutung des Erfordernisses der Ausübung bestimmenden Einflusses in § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG bliebe unklar. 45 Schließlich sieht § 24 Abs. 3 Satz 2 LkSG für die Bestimmung des umsatzbezoge-

nen (Sonder-)Bußgeldrahmens die Berücksichtigung des Jahresumsatzes einer wirtschaftlichen Einheit vor. Das Gesetz nimmt damit hinsichtlich der Sanktionierung von Verstößen teilweise eine konsolidierte Betrachtung konzernangehöriger Unternehmen vor, so dass der Verzicht auf eine entsprechende ausdrückliche Regelung hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereiches des Gesetzes als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zu werten ist.

46 Hiervon zu trennen ist die Frage nach der Art und Weise, auf die Unternehmen

in Unternehmensverbunden den Pflichten aus dem LkSG nachkommen können. Soweit dies die einzelnen Pflichten erlauben, kann eine konzernweite Adressierung durchaus zulässig und ggf. auch zweckmäßig sein.103 In Betracht kommt etwa die Einrichtung eines konzernweiten Beschwerdeverfahrens nach § 8 LkSG (s. § 8 Rz. 10). Dies ist jedoch eine Frage der Pflichterfüllung, die der Ebene des persönlichen Anwendungsbereiches nachgelagert ist und erst relevant wird, wenn die Anwendbarkeit des LkSG auf ein Unternehmen feststeht. 3. Anwendbarkeit des LkSG auf konzernangehörige Gesellschaften kraft eigenständiger Überschreitung des Schwellenwerts

47 Zunächst ergeben sich auch in Konzernstrukturen für die Anwendbarkeit des

LkSG auf die einzelnen Konzernunternehmen keine Besonderheiten. Unter den rechtsträgerbezogenen Begriff des Unternehmens nach § 1 Abs. 1 LkSG fallen dem gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip (s. dazu auch Rz. 44) entsprechend auch in einen Konzern integrierte Unternehmen. Maßgeblich ist daher auf einer ersten Prüfungsstufe, ob das einzelne Konzernunternehmen isoliert betrachtet die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 LkSG erfüllt, insbesondere also, ob das Unternehmen eine den einschlägigen Schwellenwert überschreitende Zahl an Arbeitnehmern beschäftigt. Ist dies zu bejahen, ist der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes auch für ein konzernangehöriges Unternehmen eröffnet.104

48 Auch die Zurechnung seiner Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 LkSG an die Ober-

gesellschaft (s. Rz. 49 ff.) ändert im Übrigen nichts an der Adressatenstellung eines konzernangehörigen Unternehmens. Die Arbeitnehmer sind in diesem Falle mehrfach zu berücksichtigen, sowohl auf der Ebene der Obergesellschaft als auch auf der Ebene des Unternehmens, das sie beschäftigt.105

103 Vgl. ausführlich hierzu Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 264 ff. 104 Passarge, CB 2021, 332, 334; Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3080; Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 265. 105 Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2166; Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 264 f.

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4. Zurechnung der Arbeitnehmer a) Überblick Beschäftigt ein Unternehmen nicht selbst eine den Schwellenwert überschrei- 49 tende Anzahl an Arbeitnehmern, kann das LkSG kraft der Arbeitnehmerzurechnung nach § 1 Abs. 3 LkSG gleichwohl Anwendung finden. Nach dieser Vorschrift sind in verbundenen Unternehmen i.S.d. § 15 AktG die Arbeitnehmer der konzernangehörigen Gesellschaften der Obergesellschaft zuzurechnen. Umstritten ist, für welche Arten der Unternehmensverbindung die Zurechnungs- 50 norm des § 1 Abs. 3 LkSG gilt (dazu Rz. 51 ff.). Da das Gesetz die Begriffe der Obergesellschaft und der konzernangehörigen Gesellschaft nicht definiert, ist zudem unklar, ob die Zurechnung lediglich an die ultimative Konzernobergesellschaft oder an jede Muttergesellschaft innerhalb eines Konzerns, einschließlich Zwischenholdinggesellschaften, erfolgt (dazu Rz. 58 ff.). Darüber hinaus wird die Zurechnung in grenzüberschreitenden Sachverhalten unterschiedlich beurteilt. Umstritten ist insoweit, ob nur inländische oder auch ausländische Obergesellschaften als Zurechnungsadressaten in Betracht kommen (dazu Rz. 86 ff.). b) Der Zurechnung unterliegende Formen der Unternehmensverbindung § 1 Abs. 3 LkSG sieht dem Wortlaut nach eine Zurechnung bei verbundenen 51 Unternehmen vor und verweist auf § 15 AktG. Maßgeblich für die Zurechnung nach § 1 Abs. 3 LkSG ist demnach der Begriff des verbundenen Unternehmens, wie er in § 15 AktG definiert wird.106 Verbundene Unternehmen i.S.d. § 15 AktG sind rechtlich selbständige Unternehmen, die im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen nach § 16 AktG, abhängige und herrschende Unternehmen nach § 17 AktG, Konzernunternehmen nach § 18 AktG, wechselseitig beteiligte Unternehmen nach § 19 AktG oder Vertragsteile eines Unternehmensvertrags nach §§ 291, 292 AktG sind. Trotz des klaren Wortlauts der Vorschrift wird teilweise vertreten, die Zurech- 52 nung der Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 LkSG erfolge ausschließlich bei einer Unternehmensverbindung nach § 18 AktG, mithin einem Konzern im engeren Sinne.107 Dies ergebe sich aus der Verwendung der Begriffe der „Obergesellschaft“ und der „konzernangehörigen“ Gesellschaft und dem Zusammenhang der Vorschrift mit § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG. Dieser Ansicht ist zuzugeben, dass in aktienrechtlicher Terminologie allein die 53 Unternehmensverbindung nach § 18 AktG einen „Konzern“ darstellt. Allerdings 106 Ein abweichender Begriff des verbundenen Unternehmens findet sich z.B. in Art. 2 Nr. 12 RL 2013/34/EU. Danach sind verbundene Unternehmen zwei oder mehrere Unternehmen innerhalb einer Gruppe, eine Gruppe wird definiert als die Gesamtheit von Mutterunternehmen und allen Tochterunternehmen. 107 Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 2 u. 6.

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§ 1 | Anwendungsbereich erwiese sich der Verweis auf § 15 AktG als weitgehend sinnbefreit, ließe sich aus dem Begriff der konzernangehörigen Gesellschaft eine Beschränkung auf den Konzern i.S.d. § 18 AktG ableiten. Außerdem verwendet das Gesetz mit dem Begriff des „verbundenen Unternehmens“ zugleich einen weiteren technischen Rechtsbegriff, der zudem in der Vorschrift des § 15 AktG, auf die § 1 Abs. 3 LkSG verweist, legaldefiniert wird. Die präzise terminologische Bedeutung des Konzernbegriffs sollte daher bei der Auslegung des § 1 Abs. 3 LkSG nicht überschätzt werden. Im Gesetzgebungsverfahren wurde eine Formulierung des § 1 Abs. 3 LkSG vorgeschlagen, die an § 5 Abs. 1 Satz 1 MitbestG orientiert einen Verweis lediglich auf § 18 AktG vorgesehen hätte.108 Ein reines Redaktionsversehen erscheint daher unwahrscheinlich. Näher liegt es, dass das Gesetz den Begriff des Konzerns im weiteren Sinne verwendet, der alle Arten der Unternehmensverbindung nach § 15 AktG einschließt.109 54 Auch aus § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG lässt sich keine Beschränkung des Verweises

in § 1 Abs. 3 LkSG ableiten. Nach dieser Vorschrift zählt in verbundenen Unternehmen zum eigenen Geschäftsbereich der Obergesellschaft eine konzernangehörige Gesellschaft, wenn die Obergesellschaft auf die konzernangehörige Gesellschaft einen bestimmenden Einfluss ausübt. Dem Begriff des eigenen Geschäftsbereichs kommt eine Bedeutung bei der Bestimmung der Lieferkette (vgl. § 2 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 LkSG) und damit des Pflichtenumfangs eines dem Vorschriften des LkSG unterliegenden Unternehmens zu. Neben dem Handeln mittelbarer und unmittelbarer Zulieferer umfasst die Lieferkette das Handeln eines Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich. Für Maßnahmen im eigenen Geschäftsbereich stellt das Gesetz dabei die strengsten Anforderungen auf (vgl. § 6 Abs. 3, § 7 Abs. 1 Satz 3 u. 4 LkSG, s. § 3 Rz. 24). Fällt nach § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG eine konzernangehörige Gesellschaft in den eigenen Geschäftsbereich der Obergesellschaft, führt dies dementsprechend zu einer Erweiterung des Pflichtenumfangs dieser Obergesellschaft. Für die Obergesellschaft gilt in diesem Fall auch das Handeln der konzernangehörigen Gesellschaft als Handeln im eigenen Geschäftsbereich und begründet die insoweit einschlägigen besonderen Pflichten.

55 Keine Auswirkung hat die Einbeziehung konzernangehöriger Gesellschaften in

den eigenen Geschäftsbereich nach § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG dagegen auf die persönliche Anwendbarkeit des Gesetzes nach § 1 LkSG sowohl hinsichtlich der Obergesellschaft als auch hinsichtlich der konzernangehörigen Gesellschaft. Zwar scheint § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG auf den ersten Blick missverständlich formuliert zu sein, da nach dem Wortlaut der Norm zum eigenen Geschäftsbereich der Obergesellschaft „die konzernangehörige Gesellschaft“ und nicht die Tätigkeit dieser Gesellschaft zählt. Aus dem Bezugspunkt der Einbeziehung und dem

108 S. die Stellungnahme des DAV zum RegE des LkSG aus dem April 2021, S. 9 Rz. 11 (abgedruckt in NZG 2021, 546, 548 und BT-Ausschuss für Arbeit und Soziales, Ausschussdrs. 19(11)1136, S. 125). 109 S. zu diesem unpräzisen, aber verbreiteten Wortgebrauch Fn. 96 und Bayer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 15 AktG Rz. 6; Schall in BeckOGK/AktG, Stand: 09/ 2021; § 15 Rz. 1 m.w.N.

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systematischen Zusammenhang ergibt sich jedoch deutlich, dass Regelungsgehalt der Vorschrift allein der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes bzgl. der Obergesellschaft ist. Denn dieser wird für eine Obergesellschaft bei der Ausübung bestimmenden Einflusses durch die Einbeziehung konzernangehöriger Gesellschaften in den eigenen Geschäftsbereich erweitert.110 Voraussetzung dafür, dass diese Erweiterung auf ein Unternehmen Anwendung findet, ist, dass die Obergesellschaft überhaupt erst dem persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes unterliegt. Da die Einbeziehung sich allein auf die Lieferkette und damit den Anknüpfungspunkt der materiellen Pflichten des LkSG bezieht und die Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs systematisch der abschließenden Vorschrift des § 1 LkSG zuzuordnen ist, lässt sich der Vorschrift des § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG darüber hinaus keine Aussage über den persönlichen Anwendungsbereich entnehmen. Das Erfordernis des Ausübens bestimmenden Einflusses in § 2 Abs. 6 Satz 3 56 LkSG kann daher nicht auf § 1 Abs. 3 LkSG übertragen werden. Es wäre zudem auch untauglich, eine Beschränkung des Verweises auf Konzerne i.S.d. § 18 AktG zu bewirken, da es inhaltlich nicht deckungsgleich mit dem für das Vorliegen eines solchen Konzerns konstitutiven Merkmals der einheitlichen Leitung ist (s. dazu § 2 Rz. 349). Zwar bereitet der Verweis in § 1 Abs. 3 LkSG auf § 15 AktG insbesondere in 57 mehrstufigen Konzernstrukturen durchaus Schwierigkeiten (s. dazu Rz. 58 ff.). Er ist als gesetzgeberische Entscheidung vom Rechtsanwender jedoch zu respektieren.111 Der Begriff der konzernangehörigen Gesellschaft bezeichnet danach jede Gesellschaft, die Teil eines Unternehmensverbundes nach § 15 AktG ist. Diese Ansicht vertreten im Übrigen auch das BMAS und das BAFA in ihren „Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz“.112 Welche Gesellschaft Obergesellschaft i.S.d. § 1 Abs. 3 LkSG ist, ist für die verschiedenen Formen der Unternehmensverbindung jeweils unterschiedlich zu bestimmen (s. dazu im Einzelnen Rz. 58 ff.). c) Zurechnungsadressat aa) Unterordnungskonzern (§ 18 Abs. 1 AktG) Bisher noch nicht abschließend geklärt ist, ob innerhalb eines mehrstufigen 58 Konzernverhältnisses die Zurechnung der Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 LkSG 110 Auch nach Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 260 regelt die Vorschrift den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes. 111 So auch Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2166; Öttinger/Reidick, StoffR 2022, 2, 7. 112 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Ziff. IV Nr. 1 der „Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz“ abrufbar unter https://www.csr-in-deutschland.de/ DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflich ten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html.

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§ 1 | Anwendungsbereich bei jeder Muttergesellschaft, d.h. auch bei Zwischenholdings, oder lediglich bei der ultimativen Konzernobergesellschaft erfolgt. Diese Frage ist für die Arbeitnehmerzurechnung im Konzern nach § 18 AktG von Bedeutung (s. Rz. 68). 59 Der Unterordnungskonzern nach § 18 Abs. 1 AktG ist dadurch gekennzeichnet,

dass ein herrschendes und ein abhängiges oder mehrere abhängige Unternehmen unter einheitlicher Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind (§ 18 Abs. 1 Satz 1 AktG). Das Konzernverhältnis wird bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags nach § 291 AktG unwiderleglich (§ 18 Abs. 1 Satz 2 AktG) und bei Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses widerleglich (§ 18 Abs. 1 Satz 3 AktG) vermutet.

60 Teilweise wird vertreten, die Arbeitnehmerzurechnung nach § 1 Abs. 3 LkSG

habe an alle Muttergesellschaften innerhalb eines Konzerns zu erfolgen.113 Dies wird damit begründet, dass anderenfalls eine Umgehungsgefahr bestehe, wenn die Obergesellschaft eines Konzerns sich auf die Verwaltung von Beteiligungen beschränkt, während Einkauf und Beschaffung in die Verantwortung von Tochtergesellschaften fallen, die sich selbst nicht im Anwendungsbereich des Gesetzes befinden.114 Zudem spreche auch die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Einheit bei der Bußgeldbemessung nach § 24 Abs. 3 LkSG für eine Erfassung sämtlicher Konzerngesellschaften.115 Danach wäre für jede konzernangehörige Gesellschaft zu prüfen, ob die Zahl der bei ihr untergeordneten Gesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer den einschlägigen Schwellenwert überschreitet. Auch für reine Zwischenholdinggesellschaften könnte so der persönliche Anwendungsbereich eröffnet sein. Es käme dadurch in mehrstufigen Konzernstrukturen ggf. zu einer Kaskadierung der menschenrechts- und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten nach dem LkSG.

61 Andere Autoren ziehen eine Parallele zu der Arbeitnehmerzurechnung nach

§ 5 Abs. 1 MitbestG.116 Im Mitbestimmungsrecht erkennen Rechtsprechung und herrschende Lehre aus Schutzgesichtspunkten die Möglichkeit eines „Konzerns im Konzern“ an. Eine Zurechnung der Arbeitnehmer erfolgt in diesem Fall nicht nur an die Konzernobergesellschaft, sondern auch an ihr untergeordnete Gesellschaften, wenn diesen ein eigener Gestaltungsspielraum zur einheitlichen, eigenverantwortlichen Leitung der ihnen nachgeordneten Konzerngesellschaften zusteht.117 113 Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, die allerdings auch einen Auslegungsspielraum konzedieren; tendenziell auch Rack, CB 2022, Heft 06 Beilage, 1, 23. 114 Rack, CB 2022, Heft 06 Beilage, 1, 23. 115 Rack, CB 2022, Heft 06 Beilage, 1, 23. 116 Vgl. Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2166, die aber auch auf den weiteren Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 LkSG hinweisen. 117 BAG v. 14.2.2007 – 7 ABR 26/06, Rz. 49, ZIP 2007, 1518 = DB 2007, 1589, NZA 2007, 999, 1003 f.; BAG v. 16.5.2007 – 7 ABR 63/06, Rz. 31, NJOZ 2008, 726, 732 f.; BAG v. 23.5.2018 – 7 ABR 60/16 Rz. 21, ZIP 2018, 1993 = DB 2018, 2510, NZA 2018, 1562, 1564; Oetker in ErfK/ArbR, 22. Aufl. 2022, § 5 MitBestG Rz. 8 f. m.w.N.

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Die besseren Gründe sprechen für eine Beschränkung der Zurechnung auf die 62 ultimative Konzernobergesellschaft.118 Bereits der Wortlaut der Vorschrift legt, wenn auch nicht zwingend, eine solche Auslegung nahe: Zum einen ist in § 1 Abs. 3 LkSG von einer Zurechnung an die Obergesellschaft im Singular die Rede. Zum anderen fällt es schwer, eine Gesellschaft, die im Konzerngefüge lediglich eine Zwischenholding darstellt, als „Obergesellschaft“ dieses Unternehmensverbundes zu verstehen.119 Der Unterordnungskonzern ist durch die einheitliche Leitung eines herrschenden Unternehmens geprägt. Konzernangehörige Unternehmen, die nicht diese einheitliche Leitung ausüben, können kaum als Obergesellschaft des Unterordnungskonzerns nach § 18 Abs. 1 LkSG bezeichnet werden.120 Das entscheidende Argument für diese Auslegung ist allerdings der Gesetzesgenese zu entnehmen. Sowohl im Referenten- als auch im Regierungsentwurf wurde noch der Begriff der „Konzernmutter“ verwendet. Dessen Ersetzung mit dem Begriff der „Obergesellschaft“ war ausweislich der Begründung des letztlich übernommenen Vorschlags des Ausschusses für Arbeit und Soziales „lediglich stilistischer Natur“, ohne dass damit eine inhaltliche Änderung einhergehen sollte.121 Das BMAS spricht sich in seinen „Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz“ ebenfalls für eine Beschränkung der Zurechnung auf die „oberste Konzernmutter“ aus.122 Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten nicht die Zurechnung der Arbeitnehmer an sämtliche Muttergesellschaften innerhalb eines Konzerns. Zwar würde dies eine erheblichen Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereiches des Gesetzes bedeuten. Wesentliche Schutzlücken bei einer Beschränkung der Zurechnung auf die ultimative Konzernmutter sind jedoch nicht zu befürchten. Unterliegt der Konzern einer einheitlichen Leitung, führt eine Vervielfältigung der ggf. umfangreichen Organisations-, Dokumentations- und Berichtspflichten nicht zu einem effektiveren Schutz der betroffenen Rechtspositionen. Vielmehr steht zu befürchten, dass durch eine Verpflichtung auch zwischengeschalteter Holdinggesellschaften Ressourcen der Konzerngesellschaften in erheblichem Maße gebunden werden, ohne dass sich der erhöhte Aufwand in 118 So auch Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 2; Passarge, CB 2021, 323, 335; Rothenburg/ Rogg, AG 2022, 257, 260; Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, DB 2022, 238, 240 f.; im Ergebnis wohl auch Valdini, BB 2021, 2955, 2956 ff. (für den Spezialfall einer Konzernstruktur mit ausländischer Obergesellschaft und inländischen Zwischenholdings). 119 Valdini, BB 2021, 2955, 2957. 120 Aus der Perspektive der konzernangehörigen Gesellschaften könnte allerdings auch eine Muttergesellschaft, die lediglich eine Zwischenholding ist, durchaus als Obergesellschaft bezeichnet werden. Sie wäre dann allerdings allein in diesem bilateralen Verhältnis eine Obergesellschaft, nicht aber bei Bezugnahme auf den Unterordnungskonzern in seiner Gesamtheit. 121 BT-Drucks. 19/30505, 34. 122 So heißt es in den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales abrufbaren FAQs unter Ziff. IV.4 auf die Frage, ob „die Beschäftigten auf jeder Stufe zugerechnet [werden] oder nur zur obersten Konzernmutter“: „Die Arbeitnehmer*innen werden nur zur obersten Konzernmutter (in Deutschland) zugerechnet“, abrufbar unter https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueberdie-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html.

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§ 1 | Anwendungsbereich einem wirksameren Schutz der geschützten menschenrechts- und umweltbezogenen Rechtspositionen widerspiegelte.123 63 Eine Schutzlücke könnte allenfalls bei Konzernstrukturen in Betracht kommen,

in denen dem Konzern eine nicht operativ tätige Holdinggesellschaft als ultimative Konzernobergesellschaft vorsteht, die über keine eigenen unmittelbaren Zulieferer verfügt und auch keinen bestimmenden Einfluss i.S.d. § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG auf die nicht schon selbst dem persönlichen Anwendungsbereich unterfallenden konzernangehörigen Gesellschaften ausübt.124 Bei einer Beschränkung der Zurechnung auf die ultimative Konzernobergesellschaft sind in einer solchen Konzernstruktur lediglich die formellen Pflichten (Organisations-, Dokumentations- und Berichtspflichten), nicht aber die materiellen Pflichten einschlägig.

64 Hierbei handelt es sich allerdings um einen seltenen Ausnahmefall. Auch wenn

die Begriffe nicht deckungsgleich sind, wird eine Gesellschaft nur ausnahmsweise zwar die für einen Konzern nach § 18 Abs. 1 AktG erforderliche einheitliche Leitung, nicht aber zugleich auch einen bestimmenden Einfluss i.S.d. § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG auf die konzernangehörigen Gesellschaften ausüben.125 Eine 123 Ähnlich in anderem Zusammenhang auch Goßler/Palder, BB 2022, 906, 910 f. 124 Übt die Gesellschaft auf ein konzernangehöriges Unternehmen einen bestimmenden Einfluss aus, zählt dieses nach § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG zum eigenen Geschäftsbereich der Obergesellschaft und das Pflichtenprogramm der Obergesellschaft erweitert sich entsprechend. 125 Nach dem herrschenden weiten Konzernbegriff, dem auch die Rechtsprechung zum Mitbestimmungsrecht folgt, genügt die einheitliche Leitung in wenigstens einem wesentlichen Bereich unternehmerischer Tätigkeit zur Begründung eines Konzerns i.S.d. § 18 AktG, vgl. BAG v. 16.8.1995 – 7 ABR 57/94, DB 1996, 335 = NZA 1996, 274, 275; BAG v. 15.12.2011 – 7 ABR 56/10, NZG 2012, 754, 758; BAG v. 26.8.2020 – 7 ABR 24/ 18, ZIP 2021, 1492, 1494; Grigoleit in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 18 Rz. 16; Bayer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 18 AktG Rz. 48; Krieger in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 69 Rz. 74; Koch in Koch, 16. Aufl. 2022, § 18 Rz. 10; Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 18 Rz. 11. Die einheitliche Leitung kann sich in allen Formen der Einflussnahme vollziehen, in Betracht kommen auch personelle Verflechtungen, Beratungen, Empfehlungen oder Zielvorgaben, ein Weisungsrecht ist nicht erforderlich, Koch in Koch, 16. Aufl. 2022, § 18 Rz. 12; Bayer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 18 AktG Rz. 34 ff. Anhaltspunkte für bestimmenden Einfluss i.S.d. § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG sind nach der Gesetzesbegründung u.a. eine hohe Mehrheitsbeteiligung, das Bestehen eines konzernweiten Compliance-Systems, die Übernahme von Verantwortung für die Steuerung von Kernprozessen im Tochterunternehmen und personelle Überschneidungen in der (Geschäfts-)Führungsebene, vgl. BT-Drucks. 19/30505, 38, s. dazu ausführlich § 2 Rz. 350 ff. Danach wird ein Unternehmen, dem eine einheitliche Leitung zukommt, in aller Regel auch bestimmenden Einfluss ausüben. Dem Merkmal der Ausübung bestimmenden Einflusses kommt im Rahmen des § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG dennoch eigenständige Bedeutung zu, da die Vorschrift nicht nur für den Konzern nach § 18 AktG gilt, sondern auch auf sonstige Formen der Unternehmensverbindung, die keine einheitliche Leitung der Obergesellschaft voraussetzen, anwendbar ist (insoweit a.A.: Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 6; Frank-Fahle/Falder, RIW 2022, 261, 262).

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einem Konzern übergeschaltete reine Finanzholding, die keine einheitliche Leitung ausübt,126 ist dagegen schon nicht Bestandteil des Konzerns i.S.d. § 18 Abs. 1 AktG.127 Sie kann daher auch nicht die Obergesellschaft der konzernangehörigen Gesellschaften i.S.d. § 1 Abs. 3 LkSG und somit auch nicht Adressat der Zurechnung der Arbeitnehmer der konzernangehörigen Gesellschaften sein. Die Zurechnung der Arbeitnehmer der dem Unterordnungskonzern angehörigen Gesellschaften erfolgt vielmehr an die Gesellschaft, die die einheitliche Leitung ausübt. Durch eine solche Konstruktion können die materiellen Bestimmungen des LkSG somit nicht umgangen werden. Bestehen zwischen der reinen Finanzholding und einzelnen konzernangehörigen Gesellschaften andere Formen der Unternehmensverbindung, z.B. eine Mehrheitsbeteiligung oder eine Beherrschung ohne einheitliche Leitung, können einer Finanzholding innerhalb eines solchen Unternehmensverbundes ggf. die Arbeitnehmer einer im Mehrheitsbesitz stehenden oder abhängigen Gesellschaft zuzurechnen sein. Sie ist jedoch von der Zurechnung der Arbeitnehmer der dem Konzern nach § 18 Abs. 1 AktG angehörigen Gesellschaften ausgeschlossen. Auch wenn danach theoretisch der Ausnahmefall einer einem Konzern nach § 18 65 Abs. 1 AktG vorstehenden Holdinggesellschaft, die zwar die einheitliche Leitung ausübt, aber nicht selbst operativ tätig ist und keinen bestimmenden Einfluss i.S.d. § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG ausübt, denkbar ist, gebietet dies keine andere Auslegung der Vorschrift. Denn das Pflichtenspektrum des LkSG erschöpft sich nicht in den zuliefererbezogenen Pflichten, sondern sieht im eigenen Geschäftsbereich auch umfangreiche Organisations-, Dokumentations- und Berichtspflichten vor. Beschränkt sich der Pflichtenkatalog einer Konzernobergesellschaft mangels eigener operativer Tätigkeit und unmittelbarer Zulieferer auf diese Vorgaben, kann daher nicht von einer Verfehlung des Gesetzeszweck die Rede sein.128 126 Die Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung nach § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG, dass ein abhängiges und ein herrschendes Unternehmen einen Konzern bilden, sind insbesondere bei Zugrundelegung des herrschenden weiten Konzernbegriffs (s. dazu die Nachweise in der vorherigen Fn. 125) sehr hoch und in der Praxis häufig nicht zu erfüllen. Wird einem Konzern aber eine reine Finanzholding übergeschaltet, ist eine solche Widerlegung jedoch denkbar, vgl. OLG Düsseldorf v. 4.6.2018 – 26 W 12/17, NZG 2018, 1229, 1232; Bayer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 18 AktG Rz. 48; Krieger in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 69 Rz. 74; Emmerich in Emmerich/Habersack, 9. Aufl. 2019, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 18 AktG Rz. 7. 127 S. auch zu der vergleichbaren Konstellation eines Unternehmens, das die Partner eines Gleichordnungskonzerns beherrscht, aber auf die Ausübung einheitlicher Leitung verzichtet Bayer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 18 AktG Rz. 53 m.w.N.; Grigoleit in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 18 Rz. 20. In diesem Fall erfolgt eine Zurechnung der Arbeitnehmer der dem Gleichordnungskonzern angehörigen Gesellschaften gem. § 1 Abs. 3 LkSG nach den für Gleichordnungskonzerne geltenden Regeln (s. Rz. 70 ff.) an die Partner des Gleichordnungskonzerns und nicht an das herrschende Unternehmen. Diesem können lediglich die Arbeitnehmer zugerechnet werden, die unmittelbar bei den Gesellschaften beschäftigt sind, die das herrschende Unternehmen beherrscht, mithin die Arbeitnehmer der Partner des Gleichordnungskonzerns. 128 Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, DB 2022, 238, 241.

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§ 1 | Anwendungsbereich 66 Gegen eine Beschränkung der Zurechnung auf die ultimative Obergesellschaft

könnte sprechen, dass auch innerhalb eines Konzerns zwischen einzelnen konzernangehörigen Gesellschaften in aller Regel Unternehmensverbunde i.S.d. § 15 AktG bestehen,129 die von dem Verweis des § 1 Abs. 3 LkSG dem Grunde nach erfasst sind. So begründet z.B. ein mehrstufiges Abhängigkeitsverhältnis nach § 17 AktG bei einheitlicher Leitung der ultimativen Obergesellschaft einen Konzern i.S.d. § 18 Abs. 1 AktG. Der Verweis des § 1 Abs. 3 LkSG erfasst seinem Wortlaut nach neben dem Unternehmensverbund des Konzerns nach § 18 Abs. 1 AktG auch das Abhängigkeitsverhältnis zwischen einer Tochter- und einer Enkelgesellschaft nach § 17 AktG innerhalb des Konzerns. Es liegt jedoch aufgrund des durch die Regelungen in § 17 Abs. 2 AktG und § 18 Abs. 1 Satz 2 und 3 AktG begründeten Stufenverhältnisses130 nahe, den Konzern nach § 18 AktG als den spezielleren Unternehmensverbund zu verstehen. Von dem Verweis des § 1 Abs. 3 LkSG sind daher die zwischen den einzelnen Konzernunternehmen bestehenden sonstigen Formen der Unternehmensverbindung ausgenommen, wenn und soweit die Konzerngesellschaften einem Konzern nach § 18 AktG angehören.131 Nur auf diese Weise lässt sich dem Willen des Gesetzgebers zur Beschränkung der Zurechnung auf die Konzernmutter, mithin die ultimative Konzernobergesellschaft, Rechnung tragen.

67 Zuzurechnen sind der ultimativen Konzernobergesellschaft die Arbeitnehmer

sämtlicher konzernangehöriger Gesellschaften, d.h. nicht nur die Arbeitnehmer einer Tochtergesellschaft, sondern ggf. auch die Arbeitnehmer, die bei einer Enkelgesellschaft usf. beschäftigt sind.132 Bei den anderen konzernangehörigen Gesellschaften findet keine Zurechnung statt.133

68 Die Beschränkung der Zurechnung auf die ultimative Obergesellschaft kann

sinnvollerweise nur im Konzern nach § 18 AktG (Unterordnungs- und Gleichordnungskonzern) stattfinden. Denn nur diese Form der Unternehmensverbindung kann aus mehreren Unternehmen bestehen, die auch untereinander als verbunden gelten. Bei anderen Formen der Unternehmensverbindung nach § 15 AktG handelt es sich dagegen um rein bilaterale Verbindungen,134 so dass in solchen Verbindungen eine Obergesellschaft per se auch die ultimative Obergesellschaft ist. § 15 AktG fasst als Definitionsform lediglich die verschiedenen For129 Die in § 15 AktG aufgelisteten Formen der Unternehmensverbindung schließen sich nicht gegenseitig aus, vielmehr bestehen häufig Überschneidungen, vgl. Grigoleit in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 15 Rz. 44. 130 Schall in BeckOGK/AktG, Stand: 09/2021, § 15 Rz. 46. 131 Im Ergebnis bei Vorliegen eines Konzerns nach § 18 AktG ebenso Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 2 (s. auch S. 6). Allerdings gilt der Verweis des § 1 Abs. 3 LkSG nach hier vertretener Ansicht im Gegensatz zur Auffassung von Nietsch/Wiedmann auch für Unternehmensverbindungen i.S.d. § 15 AktG, soweit diese nicht Teil eines Konzerns i.S.d. § 18 AktG sind, s. Rz. 51 ff. 132 Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145; Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, DB 2022, 238, 239. 133 Passarge, CB 2021, 332, 333. 134 Emmerich in Emmerich/Habersack, 9. Aufl. 2019, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 18 AktG Rz. 7.

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men der Unternehmensverbindung unter dem Begriff des verbundenen Unternehmens zusammen. In einer Unternehmensgruppe, die mangels einheitlicher Leitung i.S.d. § 18 AktG keinen Konzern darstellt, bestehen Unternehmensverbindungen daher nur zwischen den einzelnen Unternehmen, die einen der in § 15 AktG aufgelisteten Tatbestände erfüllen.135 Bei einem mehrstufigen Abhängigkeitsverhältnis ohne einheitliche Leitung sind daher die einzelnen Abhängigkeitsverhältnisse für die Zurechnung maßgeblich (s. Rz. 74).136 Die Möglichkeit einer mehrfachen Konzernzugehörigkeit ist für Gemeinschafts- 69 unternehmen dem Grunde nach anerkannt.137 Üben mehrere Muttergesellschaften die einheitliche Leitung über ein Unternehmen gemeinsam aus, sind ihnen dessen Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 LkSG zuzurechnen. Die gemeinsame Ausübung der einheitlichen Leitung rechtfertigt die mehrfache Arbeitnehmerzurechnung (vgl. zur Parallele bei dem Gleichordnungskonzern Rz. 71). bb) Gleichordnungskonzern (§ 18 Abs. 2 AktG) Der Gleichordnungskonzern nach § 18 Abs. 2 AktG setzt die Zusammenfassung 70 mehrerer selbstständiger Unternehmen unter einheitlicher Leitung, ohne dass ein Abhängigkeitsverhältnis vorliegt, voraus. An der einheitlichen Leitung sind die gleichgeordneten Konzernunternehmen gleichberechtigt beteiligt.138 Zwar kann zur Durchführung der Leitung ein eigenes Leitungsorgan geschaffen werden oder auch eine Leitungsholdinggesellschaft eingesetzt werden. Dem Leitungsorgan bzw. der Leitungsholdinggesellschaft dürfen im Gleichordnungskonzern jedoch nur Koordinierungsaufgaben zukommen, die Ausübung der Leitung obliegt den Partnern des Gleichordnungskonzerns.139 Demzufolge kann die Leitungsholdinggesellschaft im Gleichordnungskonzern auch nicht als Obergesellschaft verstanden werden. 135 Schall in BeckOGK/AktG, Stand: 09/2021, § 15 Rz. 45. 136 Beherrscht das Mutterunternehmen A das Tochterunternehmen B, das seinerseits das Enkelunternehmen C beherrscht, bestehen zwischen Unternehmen A und Unternehmen B sowie zwischen Unternehmen B und Unternehmen C Unternehmensverbunde nach § 17 AktG. Darüber hinaus kann Unternehmen C auch mittelbar abhängig von Unternehmen A sein. Die Abhängigkeitsverhältnisse stehen in diesem Fall nebeneinander, vgl. Bayer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 17 AktG Rz. 76; Schall in BeckOGK/AktG, Stand: 09/2021, § 17 Rz. 16; Koch in Koch, 16. Aufl. 2022, § 17 Rz. 6. Sind die Voraussetzungen eines Konzerns i.S.d. § 18 AktG nicht erfüllt, erfolgt die Arbeitnehmerzurechnung nach § 1 Abs. 3 LkSG innerhalb der jeweiligen Beherrschungsverhältnisse nach § 17 AktG (vgl. dazu Rz. 73 ff.). 137 Schall in BeckOGK/AktG, Stand: 02/2022, § 18 Rz. 23; Grigoleit in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 18 Rz. 12; Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 18 Rz. 15; Bayer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 18 AktG Rz. 43; Emmerich in Emmerich/Habersack, 9. Aufl. 2019, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 18 AktG Rz. 18. 138 Krebs in Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 18 Rz. 25 f.; Bayer in MünchKomm/ AktG, 5. Aufl. 2019, § 18 AktG Rz. 53 m.w.N. 139 Bayer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 18 AktG Rz. 53; Grigoleit in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 18 Rz. 23.

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§ 1 | Anwendungsbereich 71 Da die Ausübung der einheitlichen Leitung gleichberechtigt den Konzernunter-

nehmen zusteht,140 gelten diese im Verhältnis zueinander jeweils als Obergesellschaft i.S.d. § 1 Abs. 3 LkSG. Aufgrund der Gleichberechtigung der Unternehmen fehlt es zwar an einem Überordnungsverhältnis, so dass der Begriff der „Obergesellschaft“ in dieser Konstellation zumindest missverständlich ist.141 Der Gesetzeszweck gebietet jedoch auch im Gleichordnungskonzern eine Zurechnung der Arbeitnehmer. Denn die für die Anwendung des Gesetzes maßgebliche wirtschaftliche Größe kann auch durch das koordinierte Handeln der Konzernunternehmen im Gleichordnungskonzern erreicht werden. Zudem drohte anderenfalls eine erhebliche Umgehungsgefahr. Die gleichberechtigte Beteiligung an der Leitung rechtfertigt es, auch jedem Partner des Gleichordnungskonzerns die Arbeitnehmer der anderen Konzernunternehmen zuzurechnen.142

72 Handelt es sich bei einem Partner eines Gleichordnungskonzerns zugleich um die

Obergesellschaft eines Unterordnungskonzerns, hat dies zur Folge, dass auch alle diesem Unterordnungskonzern angehörigen Gesellschaften Bestandteil des Gleichordnungskonzerns werden und der Unterordnungskonzern in dem Gleichordnungskonzern aufgeht.143 Den Unternehmen, die im Gleichordnungskonzern die einheitliche Leitung ausüben, sind in diesem Fall auch die Arbeitnehmer der dem Unterordnungskonzern angehörigen Gesellschaften zuzurechnen.144

140 Koch in Koch, 16. Aufl. 2022, § 18 Rz. 20; Grigoleit in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 18 Rz. 20. 141 Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2166; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 75. 142 So auch Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2166; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 75; Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 6; wohl ablehnend Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 55 f., der allerdings die Zurechnung zwischen gleichgeordneten Unternehmen im Gleichordnungskonzern mit einer Zurechnung von der Ober- an eine Tochtergesellschaft gleichsetzt (s. dazu Fn. 138). 143 Krieger in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 69 Rz. 84; Keßler in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 18 Rz. 12; Emmerich in Emmerich/Habersack, 9. Aufl. 2019, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 18 AktG Rz. 7; Koch in Koch, 16. Aufl. 2022, § 18 Rz. 15; Grigoleit in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 18 Rz. 12; Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 18 Rz. 23; die teilweise nur in Details abw. Konzeptionen Schall in BeckOGK/AktG, Stand: 02/2022, § 18 Rz. 24 (einheitlicher Konzern, jedoch kein Gleichordnungskonzern, sondern Unterordnungskonzern mit den gleichgeordneten Müttern an der Spitze); K. Schmidt, FS Lutter (2000), S. 1167, 1186 f. und K. Schmidt, FS Wiedemann (2002), 1199, 1208 (Annahme eines Teilunterordnungskonzerns neben dem Gleichordnungskonzern an der Spitze) dürften iRd Arbeitnehmerzurechnung nach § 1 Abs. 3 LkSG zu keinen unterschiedlichen Ergebnissen führen, da auch nach diesen Konstruktionen eine Zurechnung an dieselben Gesellschaften geboten ist. 144 Begründen z.B. Unternehmen A und Unternehmen B einen Gleichordnungskonzern, sind ihnen die Arbeitnehmer des jeweils anderen Unternehmens zuzurechnen. Übt Unternehmen A zugleich die einheitliche Leitung gegenüber den von ihm abhängigen Gesellschaften C und D aus, sind sowohl Unternehmen A als auch Unternehmen B darüber hinaus die Arbeitnehmer der Gesellschaften C und D zuzurechnen.

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cc) Abhängigkeit und Beherrschung (§ 17 Abs. 1 AktG) Bei einem Abhängigkeitsverhältnis nach § 17 Abs. 1 AktG, in dem entgegen der 73 Vermutungsregel des § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG mangels einheitlicher Leitung kein Unterordnungskonzern besteht, gilt das herrschende Unternehmen als die Obergesellschaft des abhängigen Unternehmens. Bei mehrstufigen Abhängigkeitsverhältnissen, in denen kein Unterordnungskon- 74 zern begründet ist, kann daher eine Zurechnung auch an die Zwischengesellschaft erfolgen. Denn stellen die Unternehmen keinen Konzern i.S.d. § 18 AktG dar, fehlt es zwischen ihnen an einer Unternehmensverbindung, die alle Unternehmen erfasst (s. Rz. 68, 74). Es kann daher auch keine Obergesellschaft ermittelt werden, die sich für alle Unternehmen der Kette als ultimativ darstellt.145 Die Arbeitnehmer der Gesellschaften sind bei mehrstufigen Abhängigkeitsverhältnissen jeweils innerhalb der bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse von dem abhängigen Unternehmen an das herrschende Unternehmen zuzurechnen. Aufgrund der Vermutungsregel des § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG stellt dies jedoch 75 eine Ausnahmekonstellation dar. dd) Mehrheitsbeteiligung (§ 16 Abs. 1 AktG) Bei einer Mehrheitsbeteiligung nach § 16 Abs. 1 AktG, bei der entgegen § 17 76 Abs. 2, § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG kein Abhängigkeitsverhältnis und auch kein Unterordnungskonzern besteht, ist das mehrheitlich beteiligte Unternehmen Obergesellschaft des im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens. Die Zurechnung erfolgt von dem im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen an das mehrheitlich beteiligte Unternehmen. Bei mehrstufigen Verhältnissen erfolgt die Zurechnung innerhalb des jeweils bestehenden Unternehmensverbundes. ee) Wechselseitige Beteiligung (§ 19 Abs. 1 Satz 1 AktG) Bei einer wechselseitigen Beteiligung nach § 19 Abs. 1 Satz 1 AktG ist wie folgt 77 zu differenzieren. Ist eines der wechselseitig beteiligten Unternehmen nach § 19 Abs. 2 AktG ein herrschendes Unternehmen, da es an dem anderen Unternehmen mehrheitlich beteiligt ist oder auf dieses beherrschenden Einfluss ausübt, ist es die Obergesellschaft des beherrschten Unternehmens und Adressat der Zurechnung. Ist dagegen jedes der Unternehmen an dem jeweils anderen mehrheitlich betei- 78 ligt oder kann jedes der Unternehmen auf das jeweils andere beherrschenden 145 Beherrscht z.B. das Unternehmen A das Unternehmen B, das wiederum das Unternehmen C beherrscht, ohne dass eine einheitliche Leitung des Unternehmens A vorliegt, bestehen jeweils nur zwischen A und B, zwischen B und C sowie ggf. auch zwischen A und C Unternehmensverbindungen. Es fehlt aber an einer Unternehmensverbindung, der sowohl A als auch B und C angehören. A sind dann die Arbeitnehmer von B (und ggf. C) zuzurechnen, B die Arbeitnehmer von C.

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§ 1 | Anwendungsbereich Einfluss ausüben (§ 19 Abs. 3 AktG), gilt auch jedes der Unternehmen als Obergesellschaft des jeweils anderen Unternehmens. Es erfolgt eine gegenseitige Zurechnung der Arbeitnehmer. Dies gilt auch, wenn keines der Unternehmen an dem anderen Unternehmen mehrheitlich beteiligt ist. ff) Unternehmensvertrag (§§ 291, 292 AktG) 79 Besteht zwischen den Unternehmen ein Unternehmensvertrag nach §§ 291, 292

AktG, ist für die Bestimmung der Obergesellschaft zwischen den Arten des Unternehmensvertrags zu differenzieren.

80 Bei einem Beherrschungsvertrag gem. § 291 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AktG besteht

gem. § 18 Abs. 1 Satz 2 AktG die unwiderlegliche Vermutung, dass das herrschende Unternehmen eine einheitliche Leitung ausübt. Es ist damit die Obergesellschaft des beherrschten Unternehmens. Eine Gesellschaft kann nach herrschender Meinung mit mehreren Vertragspartnern Beherrschungsverträge abschließen, wenn diese ihre Weisungsrechte koordinieren.146 In diesem Fall ist aufgrund der unwiderlegbaren Vermutung nach § 18 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AktG eine mehrfache Konzernangehörigkeit anzunehmen mit der Folge, dass jeder Gesellschaft, die beherrschendes Unternehmen im Rahmen eines Beherrschungsvertrags ist, die Arbeitnehmer der beherrschten Gesellschaft zuzurechnen sind.

81 Bei einem Gewinnabführungsvertrag nach § 291 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AktG so-

wie bei einem Teilgewinnabführungsvertrag nach § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG ist das Unternehmen, an das die Gewinne (teilweise) abzuführen sind, die Obergesellschaft.

82 Bei einer Gewinngemeinschaft nach § 292 Abs. 1 Nr. 1 AktG fehlt es an einer

einseitigen Beherrschung. Beide Unternehmen gelten daher im Verhältnis zueinander jeweils als Obergesellschaft. Es erfolgt eine gegenseitige Zurechnung der Arbeitnehmer.

83 Bei einem Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsvertrag nach § 292 Abs. 1

Nr. 3 AktG gilt das Unternehmen, dem der Betrieb des anderen Unternehmens verpachtet oder sonst überlassen worden ist, als Obergesellschaft. gg) Zusammenfassung

84 Zusammenfassend ist der Begriff der Obergesellschaft danach im Rahmen des

§ 1 Abs. 3 LkSG für die verschiedenen Formen der Unternehmensverbindung wie folgt auszulegen: – In einem (Unterordnungs-)Konzern nach § 18 Abs. 1 AktG ist die ultimative Konzernobergesellschaft, d.h. das Unternehmen, das die einheitliche Lei-

146 Vgl. statt vieler Altmeppen in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2020, § 291 AktG Rz. 109 m.w.N.

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tung ausübt, die Obergesellschaft i.S.d. § 1 Abs. 3 LkSG. Andere zwischen den konzernangehörigen Gesellschaften bestehende Unternehmensverbunde sind für die Arbeitnehmerzurechnung unbeachtlich. In einem (Gleichordnungs-)Konzern nach § 18 Abs. 2 AktG gilt jedes Unternehmen, das gleichberechtigt an der Ausübung der einheitlichen Leitung beteiligt ist, im Verhältnis zu den anderen konzernangehörigen Gesellschaften als Obergesellschaft. Es erfolgt eine gegenseitige Zurechnung der Arbeitnehmer. Bei einem Abhängigkeitsverhältnis nach § 17 Abs. 1 Satz 1 AktG ist das herrschende Unternehmen Obergesellschaft des abhängigen Unternehmens. Bei einer Mehrheitsbeteiligung nach § 16 Abs. 1 AktG ist das mit einer Mehrheit beteiligte Unternehmen Obergesellschaft des im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens. Bei wechselseitig beteiligten Unternehmen nach § 19 AktG gilt jedes Unternehmen im Verhältnis zu dem anderen als Obergesellschaft, wenn entweder keinem der beiden Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung an dem anderen Unternehmen zusteht oder beide Unternehmen jeweils mehrheitlich an dem anderen Unternehmen beteiligt sind. Ist nur eines der wechselseitig beteiligten Unternehmen an dem anderen mehrheitlich beteiligt, ist dieses Obergesellschaft des anderen Unternehmens. Bei einem Beherrschungsvertrag nach § 291 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AktG gilt das Unternehmen, das die Leitung innehat, bei einem Gewinnabführungsvertrag nach § 291 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AktG gilt das Unternehmen, an das die Gewinne abzuführen sind, im Verhältnis zu der anderen Gesellschaft als Obergesellschaft. Bei einer Gewinngemeinschaft nach § 292 Abs. 1 Nr. 1 AktG gelten die Gesellschaft und das andere Unternehmen im Verhältnis zueinander jeweils als Obergesellschaft. Es erfolgt eine gegenseitige Zurechnung der Arbeitnehmer. Bei einem Teilgewinnabführungsvertrag nach § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG gilt das Unternehmen, an das die teilweise Abführung des Gewinns zu erfolgen hat, als Obergesellschaft der zur teilweisen Abführung des Gewinns verpflichteten Gesellschaft. Bei einem Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsvertrag nach § 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG gilt das Unternehmen, dem der Betrieb des anderen Unternehmens verpachtet oder sonst überlassen worden ist, als Obergesellschaft.

hh) Keine Zurechnung der Arbeitnehmer der Obergesellschaft an konzernangehörige Gesellschaften Umgekehrt findet eine Zurechnung von Arbeitnehmern der Obergesellschaft 85 oder anderer konzernangehöriger Gesellschaften an eine konzernangehörige (Tochter-)Gesellschaft, die nicht die Konzernobergesellschaft ist, nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, der ausschließlich auf die Obergesellschaft abSchmelzeisen

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§ 1 | Anwendungsbereich stellt, nicht statt.147 Auch eine derartig erweiternde Auslegung der Vorschrift ist abzulehnen.148 d) Grenzüberschreitende Sachverhalte aa) Überblick 86 Erfüllt ein inländisches Tochterunternehmen einer ausländischen149 Obergesell-

schaft die Voraussetzungen des § 1 LkSG, ist das Gesetz auf das Tochterunternehmen, unabhängig von seiner Rechtsform (s. Rz. 47), unproblematisch anwendbar.150 Gewisse Schwierigkeiten ergeben sich in Konzernstrukturen mit Auslandsbezug dagegen hinsichtlich der Arbeitnehmerzurechnung nach § 1 Abs. 3 LkSG. Während aus dem Wortlaut des Gesetzes noch hinreichend klar abzuleiten ist, welche Arbeitnehmer der Zurechnung in Auslandssachverhalten unterliegen (dazu Rz. 88), werden im Schrifttum unterschiedliche Meinungen zu der Frage vertreten, ob die Arbeitnehmerzurechnung auch an eine ausländische Obergesellschaft erfolgt (dazu Rz. 89 ff.).

87 Im Zuge der nachträglichen Einfügung des § 1 Abs. 1 Satz 2 LkSG im Laufe des

Gesetzgebungsverfahrens äußerte die SPD-Fraktion die Ansicht, dass nunmehr auch ausländische Unternehmen erfasst seien, „die ihre Zweitniederlassung [sic]

147 Passarge, CB 2021, 332, 333; Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 259; Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 55. Bisweilen wird vorgebracht, eine solche Auslegung werde in der Literatur vertreten, s. Passarge, CB 2021, 332, 333; wohl auch Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 259 Fn. 34; unklar dagegen Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 55 f., der die gegenseitige Zurechnung gleichgeordneter Unternehmen im Gleichordnungskonzern in diesem Zusammenhang anführt, bei der es jedoch nicht um eine Zurechnung von der Ober- an die Tochtergesellschaft geht, sondern um die gegenseitige Zurechnung zwischen Gesellschaften, die untereinander jeweils als Obergesellschaft gelten, s. Rz. 70 ff.). Den jeweils aufgeführten Fundstellen lässt sich dies jedoch nicht zwingend entnehmen, auch wenn die Formulierung „Bei verbundenen Unternehmen (§ 15 AktG) sind nach Abs. 3 der Vorschrift die Arbeitnehmer sämtlicher konzernangehöriger Gesellschaften zu berücksichtigen“ (so Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 102) ggf. missverständlich ist. In einer anderen Veröffentlichung vertreten Nietsch/Wiedmann jedenfalls eine Zurechnung nach § 1 Abs. 3 LkSG ausschließlich an „das den tragenden Einfluss ausübende Unternehmen im Konzern“, Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 2 (s. näher dazu auch Rz. 151 ff.). Soweit ersichtlich, wird eine solche Auslegung im Schrifttum bisher zumindest nicht ausdrücklich vertreten. 148 S. dazu Passarge, CB 2021, 332, 334 ff. 149 Unter einer „ausländischen“ Gesellschaft wird im Folgenden eine Gesellschaft verstanden, die weder ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung ihren Verwaltungssitz noch ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland hat. Dass eine Gesellschaft ausländischer Rechtsform, die eines dieser Kriterien erfüllt, dem Anwendungsbereich des LkSG nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LkSG unterfallen kann, wird unter Rz. 6 dargestellt. 150 Valdini, BB 2021, 2955, 2956; Schäfer, ZLR 2022, 22, 38; Nasse, RAW 2022, 3, 5; Öttinger/Reidick, StoffR 2022, 2, 7.

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Anwendungsbereich | § 1

oder ihre Tochterunternehmen in Deutschland“ hätten.151 Dies widerspricht allerdings dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, die allein auf die Existenz einer Zweigniederlassung abstellt.152 bb) Zurechnungsobjekt Zugerechnet werden nach dem klaren Wortlaut des § 1 Abs. 3 LkSG lediglich im 88 Inland beschäftigte Arbeitnehmer konzernangehöriger Gesellschaften. Dies schließt es nicht aus, auch Arbeitnehmer konzernangehöriger ausländischer Gesellschaften zu berücksichtigen, sofern diese im Inland beschäftigt werden.153 Im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer ausländischer konzernangehöriger Gesellschaften sind dagegen von der Zurechnung ausgeschlossen.154 cc) Zurechnungsadressat Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob eine Zurechnung nach § 1 Abs. 3 LkSG 89 nur an eine inländische Obergesellschaft erfolgt oder auch ausländischen Obergesellschaften die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer konzernangehöriger Gesellschaften zugerechnet werden. Teilweise wird im Schrifttum vertreten, die Zurechnung müsse auch bei auslän- 90 dischen Obergesellschaften stattfinden.155 Dafür spreche, dass im Rahmen des § 15 AktG, auf den § 1 Abs. 3 LkSG verweist, auch ausländische Unternehmen verbundene Unternehmen sein können.156 Unterhält eine ausländische Obergesellschaft mehrere inländische Tochtergesellschaften und überschreitet die Zahl der bei diesen Tochtergesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer lediglich bei einer Addition der Arbeitnehmer aller dieser Tochtergesellschaften den einschlägigen Schwellenwert, stelle es einen Wertungswiderspruch dar, die Anwendbarkeit des LkSG auszuschließen, da dieses bei Existenz einer inländischen Obergesellschaft anwendbar wäre. Dies begründe eine Umgehungsgefahr, da durch die Umgestaltung von Zweigniederlassungen zu Tochtergesellschaften die Obergesellschaft sich und weitere Konzernunternehmen den Vorgaben des LkSG entziehen könnte.157 Zudem bestände anderenfalls ein systematischer Widerspruch zu § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG, da dort für die Zurechnung eines Verhaltens zum eigenen Geschäftsbereich auf die tatsächliche Beherrschung abzustellen sei. 151 BT-Drucks. 19/30505, 33. 152 S. dazu Valdini, BB 2021, 2955, 2956; Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 14. 153 So auch Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 3 Rz. 6 und wohl auch Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 142. 154 Tendenziell wohl weiter Wagner/Ruttloff/Wagner/Hahn, CB 2021, 89, 91. 155 Schäfer, ZLR 2022, 22, 38 f. 156 Schäfer, ZLR 2022, 22, 39; vgl. zu § 15 AktG Schall in BeckOGK/AktG, Stand: 06/2021, § 15 Rz. 39 ff.; Emmerich in Emmerich/Habersack, 9. Aufl. 2019, Aktien- und GmbHKonzernrecht, § 15 AktG Rz. 5; Westpfahl/Dittmar, NZI-Beilage 2021, 46 m.w.N. 157 Schäfer, ZLR 2022, 22, 39 befürchtet eine „Menschenrechtsflucht“.

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§ 1 | Anwendungsbereich 91 Richtigerweise findet die Arbeitnehmerzurechnung nach § 1 Abs. 3 LkSG allein

bei einer inländischen Obergesellschaft statt.158 Die Zurechnung erfolgt nach dem Wortlaut der Vorschrift nur bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LkSG, nicht aber bei der Berechnung nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LkSG. § 1 Abs. 3 LkSG gilt danach nur bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl in Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben. Bei einer ausländischen Obergesellschaft erfolgt die Berechnung der Arbeitnehmerzahl dagegen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LkSG und damit unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass sie eine Zweigniederlassung im Inland betreibt. Ausländische Obergesellschaften werden also von dem Verweis in § 1 Abs. 3 LkSG nicht erfasst.159 Dass im Rahmen des § 15 AktG grundsätzlich auch ausländische Unternehmen verbundene Unternehmen sein können, ist für den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 LkSG daher unbedeutend. In systematischer Hinsicht ist zudem zu beachten, dass § 1 Abs. 1 LkSG abschließend festlegt, wie der Inlandsbezug eines verpflichteten Unternehmens ausgestaltet sein muss, § 1 Abs. 3 LkSG regelt allein die Arbeitnehmerzurechnung innerhalb dieses Rahmens. Verfügt eine ausländische Gesellschaft über keine Hauptverwaltung, keine Hauptniederlassung, keinen Verwaltungssitz und keinen satzungsmäßigen Sitz im Inland und betreibt sie auch keine Zweigniederlassung im Inland, fehlt es nach der Konzeption des Gesetzes an einem Anknüpfungspunkt für die menschenrechts- und umweltbezogene Verantwortung nach deutschem Recht. Nach dem Willen des Gesetzgebers rechtfertigt die Erfüllung einer der Tatbestände des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LkSG die Anwendbarkeit des LkSG, da in diesen Fällen davon ausgegangen werden könne, dass die Entscheidung zum Risikomanagement im Inland getroffen werde (s. Rz. 14). Die Vorschrift des im Gesetzgebungsverfahren nachträglich eingefügten (s. Rz. 15) § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LkSG stellt demgegenüber eine eng begrenzte Ausnahmevorschrift dar.

92 Ausländische Unternehmen, die keine Zweigniederlassung im Inland betreiben,

sind daher von vornherein vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen. Dies begründet jedoch keine durchgreifende Besorgnis einer drohenden Umgehung. Verlegt ein Unternehmen lediglich den satzungsmäßigen Sitz ins Ausland, betreibt seine Geschäfte aber effektiv im Inland, indem es seine Hauptverwaltung, Hauptniederlassung oder den Verwaltungssitz im Inland belässt, bleibt das LkSG anwendbar (s. Rz. 14). Eine unterschiedliche Behandlung ausländischer Unternehmen, die eine Tochtergesellschaft im Inland unterhalten, und ausländischer Unternehmen, die über eine Zweigniederlassung im Inland verfügen, ist auch nicht ungerechtfertigt. Insbesondere gebietet die Beschränkung der Anwendung des § 1 Abs. 3 LkSG nach dem Wortlaut und der Gesetzessystematik auf inländische Unternehmen keine analoge Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LkSG 158 So auch Valdini, BB 2021, 2955, 2956; Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, DB 2022, 239, 242; Öttinger/Reidick, StoffR 2022, 2, 7; wohl auch Nasse, RAW 2022, 3, 5 und Rothenburg/ Rogg, AG 2022, 257, 266. 159 Valdini, BB 2021, 2955, 2956; Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, DB 2022, 239, 242.

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Anwendungsbereich | § 1

auf Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen.160 Unternehmen, die eine Zweigniederlassung im Inland unterhalten, sind selbst im Inland tätig. Der Unterhalt einer Tochtergesellschaft allein vermag dagegen nicht den nach § 1 Abs. 1 LkSG erforderlichen engen Bezug zum Inland herzustellen. Operiert ein ausländisches Unternehmen lediglich mittelbar über Tochtergesellschaften im Inland, wertet der Gesetzgeber die Einflussmöglichkeiten als nicht ausreichend, um die Anwendbarkeit des Gesetzes zu begründen. Es fehlt somit auch an einer vergleichbaren Interessenlage, so dass die Voraussetzungen einer Analogie nicht vorliegen. Der Ausschluss der Zurechnung an ausländische Unternehmen widerspricht 93 auch nicht § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG. Die Erweiterung des eigenen Geschäftsbereichs nach dieser Vorschrift steht unter dem Vorbehalt, dass das LkSG nach Maßgabe des § 1 LkSG überhaupt auf die Obergesellschaft Anwendung findet (s. Rz. 55). Unterfällt ein ausländisches Unternehmen nicht den Regelungen des LkSG, findet insoweit auch § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG keine Anwendung. Schließlich verletzte eine Zurechnung der Arbeitnehmer einer inländischen Tochtergesellschaft an eine ausländische Obergesellschaft über den Wortlaut des § 1 LkSG hinaus das strafrechtliche Analogieverbot, soweit darauf der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 LkSG gestützt werden soll. Eine Zurechnung erfolgt darüber hinaus auch nicht schon unmittelbar über § 1 94 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LkSG: Dem eindeutigen Wortlaut nach sind insoweit allein die bei dem die Zweigniederlassung betreibenden (ausländischen) Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer zu berücksichtigen, nicht etwa auch Arbeitnehmer, die bei einem inländischen Tochterunternehmen der ausländischen Obergesellschaft angestellt sind (s. Rz. 14).161 e) Bedeutung der Zurechnung Die Berücksichtigung der Arbeitnehmer der konzernangehörigen Gesellschaften 95 bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl der Obergesellschaft ist ausschließlich für die Frage nach der Anwendbarkeit des LkSG auf die Obergesellschaft von Relevanz. Welchen Pflichten die Obergesellschaft in diesem Zuge inhaltlich unterliegt, wird in den §§ 3 ff. LkSG geregelt. § 1 Abs. 3 LkSG trifft dagegen keine Aussage über den Inhalt der Pflichten der Obergesellschaft. In diesem Zusammenhang ist zudem insbesondere die Vorschrift des § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG über den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes zu beachten (s. § 2 Rz. 346 ff.). Danach zählt in verbundenen Unternehmen zum eigenen Geschäftsbereich der Obergesellschaft eine konzernangehörige Gesellschaft, wenn die Obergesellschaft auf die konzernangehörige Gesellschaft einen bestimmenden Einfluss ausübt. Voraussetzung der Erweiterung des eigenen Geschäftsbereiches einer Obergesellschaft ist zunächst, dass diese ein verpflichtetes Unternehmen ist, also das Gesetz auf sie nach der Maßgabe des § 1 LkSG Anwendung findet. 160 So aber wohl Schäfer, ZLR 2022, 22, 39 Fn. 74, der eine analoge Anwendung des „§ 1 Abs. 2 Nr. 1 LkSG“ vorschlägt, gemeint dürfte § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LkSG sein. 161 Valdini, BB 2021, 2955, 2956.

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§ 1 | Anwendungsbereich 96 Die Zurechnung hat zudem nicht zur Folge, dass die Pflichten nach dem LkSG

im Konzern ausschließlich die Obergesellschaft treffen. Erfüllt eine konzernangehörige Gesellschaft selbstständig die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 LkSG, findet das Gesetz auf sie Anwendung. Ihre Arbeitnehmer sind in diesem Fall ggf. zweifach bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl zu berücksichtigen, sowohl auf Ebene der konzernangehörigen Gesellschaft als auch auf Ebene der Obergesellschaft (s. Rz. 48). Ob eine konzernweite Adressierung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Sorgfaltspflicht zulässig ist, ist im Rahmen der Auslegung der betroffenen Sorgfaltspflicht zu entscheiden und keine Frage des persönlichen Anwendungsbereichs des Gesetzes (s. Rz. 46).

VII. Mittelbare Anwendbarkeit 97 Auch für Unternehmen, die nicht selbst in den in § 1 LkSG definierten persönli-

chen Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, kann das LkSG mittelbar Wirkung entfalten (sog. „trickle-down-Effekt“).162 Das Gebot an verpflichtete Unternehmen, sich die Einhaltung der menschenrechts- und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten von ihren Geschäftspartnern vertraglich zusichern zu lassen, ist die Grundlage für eine mittelbare Wirkung dieser Sorgfaltspflichten auch für nicht vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfasste Unternehmen.163 Den verpflichteten Unternehmen wird somit eine entscheidende Rolle bei der Etablierung der materiellen Vorgaben des Gesetzes zugewiesen. Ihnen wird neben der Einhaltung der sie selbst treffenden menschenrechts- und umweltbezogenen Pflichten die Verantwortung zugewiesen, das Verhalten anderer Privatrechtssubjekte zu überprüfen und eine Beachtung der Vorgaben einzufordern. Auch wenn sich der Gesetzgeber letztlich gegen die Kodifizierung einer eigenständigen privatrechtlichen Klagebefugnis (§ 3 Abs. 3 Satz 1 LkSG) und damit gegen das private enforcement164 zugunsten des public enforcement entschieden hat,165 werden zur Durchsetzung der Verhaltensnormen auch Private zumindest mittelbar in Dienst genommen.

VIII. Ausblick 98 Auch auf europäischer Ebene wird bereits seit Längerem an einer Regelung der

unternehmerischen Verantwortung für Menschenrechte und die Umwelt gearbeitet. Der im Februar 2022 von der Europäischen Kommission vorgelegte

162 Wagner/Ruttloff/Wagner/Hahn, CB 2021, 89, 91; Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145; Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 3; Jungkind/Raspé/Terbrack, DK 2021, 445, 446; Schäfer, ZLR 2022, 22, 26 („Spillover-Effekt“); Becker/Buschfeld, RAW 2022, 32, 37. 163 Seibt/Vesper-Gräske, CB 2021, 357; Niklas/Lex, ArbRB 2021, 212. 164 S. insbesondere zu den entsprechenden europarechtlichen Tendenzen Ruffert in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 1 AEUV Rz. 29; Poelzig, ZGR 2015, 801, 803; Zimmer/Höft, ZGR 2009, 662. 165 Kamann/Irmscher, NZWiSt 2021, 249, 253; Rühl/Knauer, JZ 2022, 105, 107.

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Anwendungsbereich | § 1

Entwurf einer neuen Europäischen Nachhaltigkeitsrichtlinie („Corporate Sustainability Due Diligence Directive“) sieht hinsichtlich vieler Aspekte dem LkSG vergleichbare Vorgaben vor, weicht in wesentlichen Punkten jedoch auch von der deutschen Regelung ab. So liegt dem Richtlinienentwurf auch hinsichtlich der Bestimmung des persönli- 99 chen Anwendungsbereichs ein vom LkSG abweichendes Konzept zugrunde. Zunächst kommt ein engerer Unternehmensbegriff zur Verwendung, der grundsätzlich nicht wie im LkSG rechtsformunabhängig ist.166 Erfasst werden Kapitalgesellschaften und Personenhandelsgesellschaften, die im ausschließlichen Anteilsbesitz von Kapitalgesellschaften stehen. Unabhängig von ihrer Rechtsform fallen lediglich Versicherungen und financial sector entities in den persönlichen Anwendungsbereich. Natürliche Personen sind dagegen ausgenommen. Auch die Anwendungsvoraussetzungen unterscheiden sich. Es soll differenziert 100 werden zwischen in der EU und in Drittstaaten gegründeten Unternehmen. In der EU gegründete Unternehmen sollen in den persönlichen Anwendungsbereich fallen, wenn sie entweder im Durchschnitt über 500 Arbeitnehmer beschäftigen und einen Jahresumsatz von über 150 Millionen Euro vorweisen oder im Durchschnitt über 250 Arbeitnehmer beschäftigen und einen Jahresumsatz von über 40 Millionen Euro erzielen, der mindestens zur Hälfte in einer Risikobranche erwirtschaftet wird. Als Risikobranchen listet die Richtlinie u.a. die Textilherstellung, die Land- und Forstwirtschaft, die Fischerei, die Lebensmittelherstellung, den Nahrungsmittelgroßhandel und die Metallherstellung auf. Auf Unternehmen aus Drittstaaten sollen die Vorgaben Anwendung finden, wenn diese im EU-Binnenmarkt entweder einen Jahresumsatz von 150 Millionen Euro erzielen oder einen Jahresumsatz von 40 Millionen Euro erzielen und dieser mindestens zur Hälfte in einer Risikobranche erwirtschaftet wird. Die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer ist für diese Unternehmen ohne Bedeutung. Eine Zurechnung der Arbeitnehmer in Konzernstrukturen ist nicht vorgesehen.

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Wird es zum Erlass einer Richtlinie mit einem dem Entwurf entsprechenden 102 oder ähnlichen Inhalt kommen, wird der nationale Gesetzgeber mithin verpflichtet sein, u.a. auch den persönlichen Anwendungsbereich des LkSG erheblich zu erweitern. Die Kommission geht davon aus, dass ca. 13.000 Unternehmen aus der EU und 4.000 Unternehmen aus Drittländern, mithin 1 % aller in der EU tätigen Unternehmen, die im Richtlinienentwurf vorgesehenen Anwendungsvoraussetzungen erfüllen.

166 Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 259.

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§ 2 Begriffsbestimmungen (1) Geschützte Rechtspositionen im Sinne dieses Gesetzes sind solche, die sich aus den in den Nummern 1 bis 11 der Anlage aufgelisteten Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte ergeben. (2) Ein menschenrechtliches Risiko im Sinne dieses Gesetzes ist ein Zustand, bei dem aufgrund tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen eines der folgenden Verbote droht: 1. das Verbot der Beschäftigung eines Kindes unter dem Alter, mit dem nach dem Recht des Beschäftigungsortes die Schulpflicht endet, wobei das Beschäftigungsalter 15 Jahre nicht unterschreiten darf; dies gilt nicht, wenn das Recht des Beschäftigungsortes hiervon in Übereinstimmung mit Artikel 2 Absatz 4 sowie den Artikeln 4 bis 8 des Übereinkommens Nr. 136 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 26.6.1973 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung (BGBl. 1976 II S. 201, 202) abweicht; 2. das Verbot der schlimmsten Formen der Kinderarbeit für Kinder unter 18 Jahren; dies umfasst gemäß Artikel 3 des Übereinkommens Nr. 182 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 17.6.1999 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (BGBl. 2001 II S. 1290, 1291): a) alle Formen der Sklaverei oder alle sklavereiähnlichen Praktiken, wie den Verkauf von Kindern und den Kinderhandel, Schuldknechtschaft und Leibeigenschaft sowie Zwangs- oder Pflichtarbeit, einschließlich der Zwangs- oder Pflichtrekrutierung von Kindern für den Einsatz in bewaffneten Konflikten, b) das Heranziehen, Vermitteln oder Anbieten eines Kindes zur Prostitution, zur Herstellung von Pornographie oder zu pornographischen Darbietungen, c) das Heranziehen, Vermitteln oder Anbieten eines Kindes zu unerlaubten Tätigkeiten, insbesondere zur Gewinnung von und zum Handel mit Drogen, d) Arbeit, die ihrer Natur nach oder aufgrund der Umstände, unter denen sie verrichtet wird, voraussichtlich für die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern schädlich ist; 3. das Verbot der Beschäftigung von Personen in Zwangsarbeit; dies umfasst jede Arbeitsleistung oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung von Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat, etwa in Folge von Schuldknechtschaft oder Menschenhandel; ausgenommen von der Zwangsarbeit sind Arbeits- oder Dienstleistungen, die mit Artikel 2 Absatz 2 des Übereinkommens Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit (BGBl. 1956 II S. 640, 641) oder mit Artikel 8 Buchstabe b und c des Internationalen Paktes vom 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte (BGBl. 1973 II S. 1533, 1534) vereinbar sind; 130

| Gehling/Fischer

Begriffsbestimmungen | § 2

4. das Verbot aller Formen der Sklaverei, sklavereiähnlicher Praktiken, Leibeigenschaft oder anderer Formen von Herrschaftsausübung oder Unterdrückung im Umfeld der Arbeitsstätte, etwa durch extreme wirtschaftliche oder sexuelle Ausbeutung und Erniedrigungen; 5. das Verbot der Missachtung der nach dem Recht des Beschäftigungsortes geltenden Pflichten des Arbeitsschutzes, wenn hierdurch die Gefahr von Unfällen bei der Arbeit oder arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren entstehen, insbesondere durch: a) offensichtlich ungenügende Sicherheitsstandards bei der Bereitstellung und der Instandhaltung der Arbeitsstätte, des Arbeitsplatzes und der Arbeitsmittel, b) das Fehlen geeigneter Schutzmaßnahmen, um Einwirkungen durch chemische, physikalische oder biologische Stoffe zu vermeiden, c) das Fehlen von Maßnahmen zur Verhinderung übermäßiger körperlicher und geistiger Ermüdung, insbesondere durch eine ungeeignete Arbeitsorganisation in Bezug auf Arbeitszeiten und Ruhepausen oder d) die ungenügende Ausbildung und Unterweisung von Beschäftigten; 6. das Verbot der Missachtung der Koalitionsfreiheit, nach der a) Arbeitnehmer sich frei zu Gewerkschaften zusammenzuschließen oder diesen beitreten können, b) die Gründung, der Beitritt und die Mitgliedschaft zu einer Gewerkschaft nicht als Grund für ungerechtfertigte Diskriminierungen oder Vergeltungsmaßnahmen genutzt werden dürfen, c) Gewerkschaften sich frei und in Übereinstimmung mit dem Recht des Beschäftigungsortes betätigen dürfen; dieses umfasst das Streikrecht und das Recht auf Kollektivverhandlungen; 7. das Verbot der Ungleichbehandlung in Beschäftigung, etwa aufgrund von nationaler und ethnischer Abstammung, sozialer Herkunft, Gesundheitsstatus, Behinderung, sexueller Orientierung, Alter, Geschlecht, politischer Meinung, Religion oder Weltanschauung, sofern diese nicht in den Erfordernissen der Beschäftigung begründet ist; eine Ungleichbehandlung umfasst Insbesondere die Zahlung ungleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit; 8. das Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns; der angemessene Lohn ist mindestens der nach dem anwendbaren Recht festgelegte Mindestlohn und bemisst sich ansonsten nach dem Recht des Beschäftigungsortes; 9. das Verbot der Herbeiführung einer schädlichen Bodenveränderung, Gewässerverunreinigung, Luftverunreinigung, schädlichen Lärmemission oder eines übermäßigen Wasserverbrauchs, die a) die natürlichen Grundlagen zum Erhalt und der Produktion von Nahrung erheblich beeinträchtigt, Gehling/Fischer

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§ 2 | Begriffsbestimmungen b) einer Person den Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser verwehrt, c) einer Person den Zugang zu Sanitäranlagen erschwert oder zerstört oder d) die Gesundheit einer Person schädigt; 10. das Verbot der widerrechtlichen Zwangsräumung und das Verbot des widerrechtlichen Entzugs von Land, von Wäldern und Gewässern bei dem Erwerb, der Bebauung oder anderweitigen Nutzung von Land, Wäldern und Gewässern, deren Nutzung die Lebensgrundlage einer Person sichert: 11. das Verbot der Beauftragung oder Nutzung privater oder öffentlicher Sicherheitskräfte zum Schutz des unternehmerischen Projekts, wenn aufgrund mangelnder Unterweisung oder Kontrolle seitens des Unternehmens bei dem Einsatz der Sicherheitskräfte a) das Verbot von Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung missachtet wird, b) Leib oder Leben verletzt werden oder c) die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit beeinträchtigt werden; 12. das Verbot eines über die Nummern 1 bis 11 hinausgehenden Tuns oder pflichtwidrigen Unterlassens, das unmittelbar geeignet ist, in besonders schwerwiegender Weise eine geschützte Rechtsposition zu beeinträchtigen und dessen Rechtswidrigkeit bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. (3) Ein umweltbezogenes Risiko im Sinne dieses Gesetzes ist ein Zustand, bei dem auf Grund tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen eines der folgenden Verbote droht; 1. das Verbot der Herstellung von mit Quecksilber versetzten Produkten gemäß Artikel 4 Absatz 1 und Anlage A Teil I des Übereinkommens von Minamata vom 10.10.2013 über Quecksilber (BGBl. 2017 II S. 610, 611) (Minamata-Übereinkommen); 2. das Verbot der Verwendung von Quecksilber und Quecksilberverbindungen bei Herstellungsprozessen im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 und Anlage B Teil I des Minamata-Übereinkommens ab dem für die jeweiligen Produkte und Prozesse im Übereinkommen festgelegten Ausstiegsdatum; 3. das Verbot der Behandlung von Quecksilberabfällen entgegen den Bestimmungen des Artikels 11 Absatz 3 des Minamata-Übereinkommens; 4. das Verbot der Produktion und Verwendung von Chemikalien nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a und Anlage A des Stockholmer Übereinkommens vom 23.5.2001 über persistente organische Schadstoffe (BGBl. 2002 II S. 803, 804) (POPs-Übereinkommen), zuletzt geändert durch den Beschluss vom 6.5.2005 (BGBI. 2009 II S. 1060, 1061), in der Fassung der Verordnung (EU) 2019/1021 des Europäischen Par1aments und des Rates vom 20.6.2019 über persistente organische Schadstoffe (ABl. L 169 vom 26.5.2019, S. 45), die zuletzt durch die Delegierte Verordnung (EU) 2021/ 132

| Gehling/Fischer

Begriffsbestimmungen | § 2

277 der Kommission vom 16.12.2020 (ABl. L 62 vom 23.2.2021, S. 1) geändert worden ist; 5. das Verbot der nicht umweltgerechten Handhabung, Sammlung, Lagerung und Entsorgung von Abfällen nach den Regelungen, die in der anwendbaren Rechtsordnung nach den Maßgaben des Artikels 6 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer i und ii des POPs-Übereinkommens gelten; 6. das Verbot der Ausfuhr gefährlicher Abfälle im Sinne des Artikel 1 Absatz 1 und anderer Abfälle im Sinne des Artikel 1 Absatz 2 des Basler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung vom 22.3.1989 (BGBl. 1994 II S. 2703, 2704) (Basler Übereinkommen, zuletzt geändert durch die Dritte Verordnung zur Änderung von Anlagen zum Basler Übereinkommen vom 22.3.1989 vom 6.5.2014 (BGBl. II S. 306, 307), und im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2006 über die Verbringung von Abfällen (ABl. L 190 vom 12.7.2006, S. 1) (Verordnung (EG) Nr. 1013/2006), die zuletzt durch die Delegierte Verordnung (EU) 2020/2174 der Kommission vom 19.10.2020 (ABl. L 433 vom 22.12.2020, S. 11) geändert worden ist a) in eine Vertragspartei, die die Einfuhr solcher gefährlichen und anderer Abfälle verboten hat (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b des Basler Übereinkommens), b) in einen Einfuhrstaat im Sinne des Artikel 2 Nummer 11 des Basler Übereinkommens, der nicht seine schriftliche Einwilligung zu der bestimmten Einfuhr gegeben hat, wenn dieser Einfuhrstaat die Einfuhr dieser gefährlichen Abfälle nicht verboten hat (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c des Basler Übereinkommens), c) in eine Nichtvertragspartei des Basler Übereinkommens (Artikel 4 Absatz 5 des Basler Übereinkommens), d) in einen Einfuhrstaat, wenn solche gefährlichen Abfälle oder andere Abfälle in diesem Staat oder anderswo nicht umweltgerecht behandelt werden (Artikel 4 Absatz 8 Satz 1 des Basler Übereinkommens); 7. das Verbot der Ausfuhr gefährlicher Abfälle von in Anlage VII des Basler Übereinkommens aufgeführten Stuten in Staaten, die nicht in Anlage VII aufgeführt sind (Artikel 4A des Basler Übereinkommens, Artikel 36 der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006) sowie 8. das Verbot der Einfuhr gefährlicher Abfälle und anderer Abfälle aus einer Nichtvertragspartei des Basler Übereinkommens (Artikel 4 Absatz 5 des Basler Übereinkommens). (4) Eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen Pflicht im Sinne dieses Gesetzes ist der Verstoß gegen ein in Absatz 2 Nummer 1 bis 12 genanntes Verbot. Eine Verletzung einer umweltbezogenen Pflicht im Sinne dieses Gesetzes ist der Verstoß gegen ein in Absatz 3 Nummer 1 bis 8 genanntes Verbot. Gehling/Fischer

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§ 2 | Begriffsbestimmungen (5) Die Lieferkette im Sinne dieses Gesetzes bezieht sich auf alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens. Sie umfasst alle Schritte im Inund Ausland, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind, angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zu der Lieferung an den Endkunden und erfasst 1. das Handeln eines Übernehmens im eigenen Geschäftsbereich, 2. das Handeln eines unmittelbaren Zulieferers und 3. das Handeln eines mittelbaren Zulieferers. (6) Der eigene Geschäftsbereich im Sinne dieses Gesetzes erfasst jede Tätigkeit des Unternehmens zur Erreichung des Unternehmensziels. Erfasst ist damit jede Tätigkeit zur Herstellung und Verwertung von Produkten und zur Erbringung von Dienstleistungen, unabhängig davon, ob sie an einem Standort im In- oder Ausland vorgenommen wird. In verbundenen Unternehmen zählt zum eigenen Geschäftsbereich der Obergesellschaft eine konzernangehörige Gesellschaft, wenn die Obergesellschaft auf die konzernangehörige Gesellschaft einen bestimmenden Einfluss ausübt. (7) Unmittelbarer Zulieferer im Sinne dieses Gesetzes ist ein Partner eines Vertrages über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, dessen Zulieferungen für die Herstellung des Produktes des Unternehmens oder zur Erbringung und Inanspruchnahme der betreffenden Dienstleistung notwendig sind. (8) Mittelbarer Zulieferer im Sinne dieses Gesetzes ist jedes Unternehmen, das kein unmittelbarer Zulieferer ist und dessen Zulieferungen für die Herstellung des Produktes des Unternehmens oder zur Erbringung und Inanspruchnahme der betreffenden Dienstleistung notwendig sind. I. Regelungszweck . . . . . . . . . . II. Geschützte Rechtspositionen (Abs. 1) 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliche Bedeutung des Begriffs der geschützten Rechtsposition . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestimmung des Begriffs der geschützten Rechtsposition . . a) Abgrenzung zu technischen Umsetzungsvorschriften . . . b) Abgrenzung der menschenrechtlichen Ge- und Verbote von den Schutz-, Förderund Umsetzungspflichten der Vertragsstaaten . . . . . . c) Rechtspositionen, die allein die Sphäre der Vertragsstaaten berühren . . . . . . . .

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| Gehling/Fischer

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d) Sachlicher Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit von Unternehmen . . . . . . . . e) Verhältnis zu menschenrechtlichen Verboten des § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 11 LkSG . . . . 4. Geschützte Rechtspositionen aus den ILO-Übereinkommen . a) ILO-Übereinkommen Nr. 29 vom 28.6.1930 über Zwangsoder Pflichtarbeit . . . . . . . . . b) ILO-Übereinkommen Nr. 105 vom 25.6.1957 über die Abschaffung der Zwangsarbeit . c) Protokoll vom 11.6.2014 zum Übereinkommen über Zwangsarbeit . . . . . . . . . . . . d) ILO-Übereinkommen Nr. 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung .

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Begriffsbestimmungen | § 2 e) ILO-Übereinkommen Nr. 182 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit . . . f) ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf . . . . g) ILO-Übereinkommen Nr. 100 vom 29.6.1951 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit h) ILO-Übereinkommen Nr. 87 vom 9.7.1948 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes . . . . i) ILO-Übereinkommen Nr. 98 vom 1.7.1949 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Geschützte Rechtspositionen des UN-Zivilpakts . . . . . . . . . . a) Selbstbestimmungsrecht der Völker . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichten der Vertragsstaaten c) Angeborenes Recht auf Leben/Todesstrafe . . . . . . . . d) Folterverbot . . . . . . . . . . . . e) Verbot von Sklaverei, Sklavenhandel und Leibeigenschaft/ Verbot von Zwangs- und Pflichtarbeit . . . . . . . . . . . . . f) Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit . . . . . . . . . . . g) Gefangenenrechte . . . . . . . . h) Recht auf freie Bewegung innerhalb eines Staates . . . . . i) Rechtsschutz bei Abschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Justizgewährungsrechte . . . . k) Schutz von Privatleben, Familie, Wohnung und Schriftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . l) Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit . . m) Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . .

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n) Verbot von Kriegspropaganda und Hetze . . . . . . . . . . . . . . o) Versammlungsrecht und Vereinigungsfreiheit . . . . . . . p) Schutz der Familie/Recht auf Heirat und Gründung einer Familie . . . . . . . . . . . . . . . . q) Kinderrechte . . . . . . . . . . . . r) Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . s) Gleichheitsgrundsatz . . . . . . t) Rechte von Minderheiten . . . u) Allgemeine Vorschriften . . . . v) Zusammenfassung . . . . . . . . 6. Geschützte Rechtspositionen des UN-Sozialpakts . . . . . . . . . a) Selbstbestimmungsrecht der Völker . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichten der Vertragsstaaten c) Recht auf Arbeit . . . . . . . . . . d) Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen . . . . e) Bildung von und Beitritt zu Gewerkschaften . . . . . . . . . . f) Recht auf soziale Sicherheit . . g) Familie als die natürliche Kernzelle der Gesellschaft . . . h) Recht auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie . . . . . . . . . i) Recht auf körperliche und geistige Gesundheit . . . . . . . j) Recht auf Bildung/Grundschulpflicht . . . . . . . . . . . . . k) Recht auf kulturelle Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . l) Allgemeine Vorschriften . . . . m) Zusammenfassung . . . . . . . . 7. Sorgfaltspflichten in Bezug auf geschützte Rechtspositionen . . a) Eignung zu besonders schwerwiegender Beeinträchtigung . b) Offensichtliche Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswirkungen der Verbotsanforderungen auf das Pflichtenprogramm nach § 3 ff. . . . III. Menschenrechtliches und umweltbezogenes Risiko . . . . . 1. Verwendung der Definition im Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Gehling/Fischer

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§ 2 | Begriffsbestimmungen 2. Der Begriff des Risikos a) Allgemeiner Risikobegriff . . . b) Risikobegriff des LkSG . . . . . 3. Drohen einer Verletzung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Menschenrechtliche Verbote (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbot der Beschäftigung eines Kindes (Nr. 1) a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Gegenstand des Verbots . . . . c) Verbotsausnahmen . . . . . . . d) Geltung in Ländern, die nicht Mitglieder der ILO sind . . . . e) Tatsächliche Bedeutung der Kinderarbeit . . . . . . . . . . . . 2. Verbot der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr. 2) . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Sklaverei oder alle sklavereiähnlichen Praktiken . . . . . . . c) Zwangs- oder Pflichtarbeit . . d) Verbot der Kinderprostitution und -pornographie . . . . . . . . e) Verbot des Einsetzens von Kindern für unerlaubte Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verbot von Kinderarbeit mit Gefahren für Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern unter 18 Jahren . 3. Verbot der Beschäftigung von Personen in Zwangsarbeit (Nr. 3) a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Definition der Zwangsarbeit . . . . . . . . . . . . aa) Arbeit oder Dienstleistung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verlangen unter Androhung von Strafe/keine freie Verfügung über die eigene Arbeitskraft . . . . c) Zwangsmittel . . . . . . . . . . . . d) Zeitpunkt der Zwangslage . . . e) Anwendung von Zwang durch Dritte . . . . . . . . . . . . f) Unzulässiger Eingriff in die Selbstbestimmungsfreiheit . . aa) Vertragliche Bindung . . .

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bb) Gesetzliche Befugnis zur Einwirkung auf die freie Selbstbestimmung . . . . . cc) Gesamtabwägung . . . . . g) Ausnahmen vom Verbot der Zwangsarbeit . . . . . . . . . . . . aa) Militärdienst . . . . . . . . . bb) Zwangsarbeit aufgrund gerichtlicher Verurteilung cc) Notstandslagen und Katastrophen . . . . . . . . dd) Bürgerpflichten . . . . . . . ee) Kleinere Gemeinschaftsarbeiten . . . . . . . . . . . . h) Tatsächliche Bedeutung . . . . i) ILO-Indikatoren . . . . . . . . . j) Leitlinien des Europäischen Auswärtigen Dienstes . . . . . . aa) Länderbezogene Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . bb) Risikofaktoren im Zusammenhang mit Migration und fehlenden Arbeitspapieren . . . . . . . . . . . . cc) Risikofaktoren in Verbindung mit Kreditvereinbarungen . . . . . . . . . . . 4. Verbot aller Formen der Sklaverei, sklavereiähnlicher Praktiken und Leibeigenschaft (Nr. 4) . . . a) Grundlage des Verbots . . . . . b) Sklaverei und Leibeigenschaft c) Herrschaftsausübung oder Unterdrückung im Umfeld der Arbeitsstätte . . . . . . . . . . 5. Verbot der Missachtung von Vorschriften des Arbeitsschutzes (Nr. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Gefahr von Unfällen bei der Arbeit und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren . . . . . . c) Regelbeispiele/Konkretisierungs- und Indikatorfunktion aa) Offensichtlich ungenügende Sicherheitsstandards . bb) Schutzmaßnahmen gegen Einwirkung von chemischen, physikalischen oder biologischen Stoffen

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cc) Arbeitszeiten und Ruhepausen . . . . . . . . . . . . . dd) Ungenügende Ausbildung und Unterweisung von Beschäftigten . . . . . . . . . Verbot der Missachtung der Koalitionsfreiheit (Nr. 6) a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Recht zur Bildung von Gewerkschaften . . . . . . . . . . c) Diskriminierungsverbot . . . . d) Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften, insbesondere Streikrecht und Recht auf Kollektivverhandlungen . . . . e) Anwendung von Abs. 2 Nr. 6 bei staatlichem Koalitionsverbot oder Koalitionsbeschränkungen? . . . . . . . . . . . . . . . Verbot der Ungleichbehandlung in Beschäftigung (Nr. 7) . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Gegenstand des Verbots der Ungleichbehandlung in Beschäftigung/Konkretisierungsfunktion der gesetzlichen Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendbares Recht . . . . . . . d) Bezugsrahmen des Diskriminierungsverbots . . . . . . . . . . e) Anwendung von Abs. 2 Nr. 7 bei staatlichen Beschränkungen des Verbots der Ungleichbehandlung in Beschäftigung? f) Risikofaktoren . . . . . . . . . . . Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns (Nr. 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Mindestlohn . . . . . . . . . . . . c) Angemessener Lohn . . . . . . . d) Vorenthalten des angemessenen Lohns . . . . . . . . . . . . . . Verbot schädlicher Bodenveränderung, Gewässerverunreinigung, Luftverunreinigung, Lärmemission oder eines übermäßigen Wasserverbrauchs (Nr. 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . .

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Begriffsbestimmungen | § 2 b) Einwirkungsverhalten . . . . . . aa) Bodenveränderungen, Gewässerverunreinigungen, Luftverunreinigungen, Lärmemissionen, Wasserverbrauch . . . . . . bb) Schädlichkeit der Bodenveränderungen, Gewässerverunreinigungen, Luftverunreinigungen, Lärmemissionen . . . . . . . . . . cc) Übermäßiger Wasserverbrauch . . . . . . . . . . . c) Verbotene Wirkung . . . . . . . aa) Erhebliche Beeinträchtigung der natürlichen Grundlagen zum Erhalt und zur Produktion von Nahrung . . . . . . . . . . . . bb) Verwehren des Zugangs zu Trinkwasser und Erschwerung oder Zerstörung des Zugangs zu Sanitäranlagen . . . . . . . . cc) Schädigung der Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . 10. Verbot widerrechtlicher Zwangsräumung und widerrechtlichen Entzugs von Land (Nr. 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen des Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nutzung des Landes zur Sicherung der Lebensgrundlage . . . . . . . . . . . bb) Geplanter Erwerb, Bebauung oder Nutzung des Landes . . . . . . . . . . . . . cc) Widerrechtliche Zwangsräumung oder widerrechtlicher Entzug . . . . . 11. Verbot menschenrechtswidriger Maßnahmen von privaten oder öffentlichen Sicherheitskräften (Nr. 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen . . . . . . . . . aa) Einsatz von Sicherheitskräften . . . . . . . . . . . . .

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§ 2 | Begriffsbestimmungen

12. V. 1. 2.

3.

4.

5.

6.

7.

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bb) Menschenrechtswidrige Maßnahmen der Sicherheitskräfte . . . . . . . . . . . cc) Mangelnde Unterweisung oder Kontrolle seitens des Unternehmens . . . . . . . Auffangtatbestand (Nr. 12) . . . Umweltbezogene Verbote (Abs. 3) Entstehungsgeschichte und Regelungsgegenstand des § 2 Abs. 3 LkSG . . . . . . . . . . . . . . Zum Katalog der umweltbezogenen Verbote a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Die Verweisung auf die Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . c) Die drei in Bezug genommenen Übereinkommen . . . . d) Zur Notwendigkeit einer Ratifikation der Übereinkommen Verbot der Herstellung von mit Quecksilber versetzten Produkten (Nr. 1) a) Gegenstand des Verbots . . . . b) Verbotsausnahmen . . . . . . . c) Prüfungsschema . . . . . . . . . Verbot der Verwendung von Quecksilber(verbindungen) bei Herstellungsprozessen (Nr. 2) a) Gegenstand des Verbots . . . . b) Verbotsausnahmen . . . . . . . c) Prüfungsschema . . . . . . . . . Verbot der unsachgemäßen Behandlung von Quecksilberabfällen (Nr. 3) a) Gegenstand des Verbots . . . . b) Verbotsausnahmen . . . . . . . c) Prüfungsschema . . . . . . . . . Verbot der Produktion und Verwendung bestimmter Chemikalien (Nr. 4) a) Gegenstand des Verbots . . . . b) Verbotsausnahmen . . . . . . . c) Prüfungsschema . . . . . . . . . Verbot der nicht umweltgerechten Handhabung, Sammlung, Lagerung und Entsorgung von Abfällen (Nr. 5) a) Gegenstand des Verbots . . . .

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VI.

VII. 1. 2. 3.

4.

5. 6. 7.

b) Verbotsausnahmen . . . . . . . c) Prüfungsschema . . . . . . . . . Vorbemerkung zum Abfallbegriff der Nr. 6 bis 8 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . b) Nach dem Basler Übereinkommen erfasste Abfälle . . . c) Nach der EU-Abfallverbringungsverordnung erfasste Abfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verhältnis zwischen den Abfallbegriffen nach dem LkSG Verbote in Bezug auf die Verbringung von Abfällen (Nr. 6 bis 8) a) Verbot der Ausfuhr gefährlicher Abfälle (Nr. 6) . . . . . . b) Verbot der Ausfuhr gefährlicher Abfälle in bestimmte Staaten (Nr. 7) . . . . . . . . . . c) Verbot der Einfuhr gefährlicher Abfälle (Nr. 8) . . . . . . Verletzung einer menschenrechtsbezogenen Pflicht/Verletzung einer umweltbezogenen Pflicht (Abs. 4) . . . . . . . . . . . . Lieferkette (Abs. 5) Einführung . . . . . . . . . . . . . . Herstellung von Produkten und Erbringung von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . Erforderlichkeit der Schritte zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistung . . . . . . . . . . . . Anfangs- und Endpunkt der Lieferkette a) Allgemeine Kriterien für die Bestimmung des Anfangsund Endpunkt der Lieferkette b) Sonderfall: Kunden von Finanzdienstleistungen? . . . . c) Sekundärrohstoffe . . . . . . . . d) Rohstoffbörsen . . . . . . . . . . Gegenleistung als Teil der Lieferkette? . . . . . . . . . . . . . . Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . Vorschlag der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . . . . .

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VIII. Eigener Geschäftsbereich (Abs. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschäftsbereich des verpflichteten Unternehmens (Satz 1 und 2) . . . . . . . . . . . . 2. Konzernrechtliches Regelungskonzept des LkSG . . . . . . . . . 3. Geschäftsbereich der Konzerngesellschaften, auf die das verpflichtete Unternehmen bestimmenden Einfluss ausübt (Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entstehungsgeschichte . . . . b) Obergesellschaft im Rahmen der Zurechnung nach Abs. 6 Satz 3 . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bestimmender Einfluss . . . . d) Einbeziehung der Zulieferer von Konzerngesellschaften in den Pflichtenkatalog des herrschenden Unternehmens? . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gemeinsame Erfüllung von Sorgfaltspflichten im Konzern? . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Internationaler Anwendungsbereich von Abs. 6 Satz 3 . . . . . . . . . . . . . . . .

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Begriffsbestimmungen | § 2

340 341

IX.

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1. 2.

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3. 4.

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5.

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6. X.

g) Sonderfall: Verpflichtetes Unternehmen mit Sitz im Ausland, aber Zweigniederlassung in Deutschland . . . . . . . . . . Unmittelbarer Zulieferer (Abs. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertragsverhältnis . . . . . . . . . . Rahmenvertrag/Dauer der Vertragsbeziehung . . . . . . . . . Gegenstand des Vertrages . . . . Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf die der Lieferkette zuzurechnenden Teile im Geschäftsbereich des unmittelbaren Zulieferers? . . . . . . . . . . a) Wortlautauslegung . . . . . . . . b) Historische Auslegung . . . . . c) Gesetzessystematik . . . . . . . . d) Regelungszweck . . . . . . . . . . Gleichstellung eines mittelbaren Zulieferers mit einem unmittelbaren Zulieferer . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . b) Missbräuchliche Gestaltung/ Umgehungsgeschäft . . . . . . . Sonderfall: Internetplattformen und Rohstoffbörsen . . . . . . . . . Mittelbarer Zulieferer (Abs. 8) .

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Literatur: Bettermann/Hoes, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Besondere Pflichten für Kreditinstitut, BKR 2022, 23; Bicker, Compliance – organisatorische Umsetzung im Konzern AG 2012, 542; Charnitzky/Weigel, Die Krux mit der Sorgfalt – Zu den Untiefen und der Unschärfe des neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes aus Unternehmenssicht, RIW 2022, 12; Dohrmann, Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz als Vorbild für den europäischen Gesetzgeber? – Eine kritische Analyse, CCZ 2021, 265; Dutzi/Schneider/Hasenau, Lieferkettenregulierung und Risk Governance – Implikationen für die betriebliche Praxis und Kritik, Der Konzern 2021, 454; Ehmann, Der Regierungsentwurf für das Lieferkettengesetz: Erläuterung und erste Hinweise zur Anwendung, ZVertriebsR 2021, 141; Gehling/Lüneborg, Pflichten des Güterhändlers nach dem Geldwäschegesetz, NZG 2020, 1164; Gehling/Ott/Lüneborg, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230; Götz, Ein Lieferkettengesetz nordischer Prägung – Norwegens neues Transparenzgesetz, RIW 2022, 99; Goßler/Palder, Distributionslogistik, Vertriebsmittler, Endkunde – Glieder der Lieferkette iSd LkSG? BB 2022, 906; Herrmann/Rünz, Praktische Hinweise und Maßnahmen zur Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes im Unternehmen, DB 2021, 3078; Hilpold, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, JuS 2013, 1081; Holzner, Die drohende Gefahr, DÖV 2018, 946; Jungkind/Raspé/Terbrack, Unternehmensverantwortung in der Lieferkette, DK 2021, 445; Krebs, Menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflicht: Der Wettlauf zwischen europäischer und deutscher Rechtssetzung, ZUR 2021, 394; Leisner-

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§ 2 | Begriffsbestimmungen Egensperger, Polizeirecht im Umbruch: Die drohende Gefahr, DÖV 2018, 677; Lepsius, Risikosteuerung durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung oder Begrenzung von Innovationen? VVDStRL 63 (2004), 264; Nietsch/Wiedmann, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der LieferketteCCZ 2021, 101; Nietsch/ Wiedmann, Adressatenkreis und sachlicher Anwendungsbereich des neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NJW 2022, 1; Ost/Kallfass/Roesen, Einführung einer Unternehmensverantwortlichkeit im deutschen Kartellsanktionenrecht – Anmerkungen zum Entwurf der 9. GWB-Novelle, NZKart 2016, 447; Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, Zur Anwendung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes im Konzern, DB 2022, 238; Passarge, Wo bleibt die Diskussion zum LkSG?, CB 2022, 93; Rothenburg/Rogg, Die Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes im Konzern, AG 2022, 257; Scherzberg, Risiko als Rechtsproblem – Ein neues Paradigma für das technische Sicherheitsrecht, VerwArch 1993, 484; Seibt/Vesper-Gräske, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erweitert CompliancePflichten, CB 2021, 357; Spindler, Compliance in der multinationalen Bankengruppe, WM 2008, 905; ders., Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67; Stöbener de Mora/Noll, Grenzenlose Sorgfalt? – Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NZG 2021, 1237; Wagner/Ruttloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145; Wehr, Die „drohende Gefahr“ im Polizeirecht, JURA 2019, 940; Zimmermannn/Weiß, Völker- und verfassungsrechtliche Parameter eines deutschen Lieferkettengesetzes, AVR 2020, 424.

I. Regelungszweck 1 § 2 definiert grundlegende Rechtsbegriffe des Gesetzes. Mehr als in anderen

Gesetzeswerken prägen die Definitionen der Abs. 2 und 3 die Anwendung des gesamten Gesetzes. In Abs. 2 werden die menschenrechtlichen, in Abs. 3 die umweltrechtlichen Verbote bestimmt, deren Beachtung in der Lieferkette der zentrale Gegenstand des Gesetzes sind. Abs. 5 bestimmt, was die Lieferkette eines Unternehmens ist. Die drei Abschnitte einer Lieferkette werden in Abs. 6 bis 8 bestimmt: der Begriff des eigenen Geschäftsbereichs in Abs. 6, der des unmittelbaren Zulieferers in Abs. 7 und der des mittelbaren Zulieferers in Abs. 8.

II. Geschützte Rechtspositionen (Abs. 1) 1. Einführung 2 Nach § 2 Abs. 1 LkSG sind geschützte Rechtsposition solche, die sich aus den in

den Nr. 1 bis 11 der Anlage zu § 2 LkSG aufgelisteten internationalen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte ergeben.1 So spröde sich die Definition

1 Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit vom 23.2.2022 unterscheidet ebenfalls zwischen ausdrücklich bestimmten menschenrechtlichen „violations“ und geschützten Rechtspositionen, die aus einer Liste von internationalen Übereinkommen abgeleitet werden müssen; Part I.1, No. 20 des Annex zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hin-

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Begriffsbestimmungen | § 2

mit ihrem Verweis auf eine Liste von völkerrechtlichen Übereinkommen liest, hinter den genannten Übereinkommen steht das „who is who“ der internationalen Regelungen zum Schutz von Menschenrechten. Die Anlage zählt acht Übereinkommen der International Labour Organisation (ILO)2 nebst einem Zusatzprotokoll aus dem Jahre 20143 auf. Die ILO bezeichnet sie selbst als die acht Kernübereinkommen der International Labour Organisation.4 Daneben nennt die Anlage die beiden maßgebenden UN-Pakte zum Schutz der Menschenrechte, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (UN-Zivilpakt) und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966 (UN-Sozialpakt). Beide Pakte haben ihre Wurzeln in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit der International Bill of Human Rights5 am 10.12.19486 verabschiedet hat. Mit den UN-Pakten (covenants) haben die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in die Form von völkerrechtlich bindenden Übereinkommen gegossen.7 In der internationalen Diskussion besteht Einigkeit, dass die in den acht Kernübereinkommen der ILO8

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blick auf Nachhaltigkeit vom 23.2.2022 bestimmt: „Violation of a prohibition or right not covered by points 1 to 20 above but included in the human rights agreements listed in Section 2 of this Part, which directly impairs a legal interest protected in those agreements, provided that the company concerned could have reasonably established the risk of such impairment and any appropriate measures to be taken in order to comply with the obligations referred to in Article 4 of this Directive taking into account all relevant circumstances of their operations, such as the sector and operational context.“ Vgl. die Auflistung der Übereinkommen in Anlage zu § 2 Abs. 1 LkSG, Ziff. 1 und 3 bis 9. Protokoll vom 11.6.2014 zum Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit (BGBl. 2019 II S. 437, 438); vgl. auch Einleitung Rz. 22 f. Vgl. ILO Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work vom 18.6.1998 (abrufbar unter https://www.ilo.org/public/libdoc/ilo/1998/98B09_234_engl.pdf); dort werden in Ziff. 2. vier grundlegende Rechte genannt, denen die ILO-Mitgliedsstaaten ungeachtet des Ratifizierungsstands folgen müssen: (i) die Vereinigungsfreiheit und die effektive Anerkennung des Rechts zu Kollektivverhandlungen: Freedom of Association and Protection of the Right to Organise Convention, 1948 (No. 87) und Right to Organise and Collective Bargaining Convention, 1949 (No. 98); (ii) die Beseitigung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit: Forced Labour Convention, 1930 (No. 29) und Abolition of Forced Labour Convention, 1957 (No. 105); (iii) die effektive Abschaffung der Kinderarbeit: Minimum Age Convention, 1973 (No. 138) und Worst Forms of Child Labour Convention, 1999 (No. 182); (iv) die Beseitigung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf: Equal Remuneration Convention, 1951 (No. 100) und Discrimination, Employment and Occupation Convention, 1958 (No. 111). Unter Buchstabe A) der International Bill of Human Rights, A/RES/217(III). Vgl. International Bill of Human Rights: Universal Declaration of Human Rights, Resolution adopted by the General Assembly of the Unitred Nations on 10 Decembre 1948, A/RES/217(III). Vgl. Einleitung Rz. 25. Nebst Protokoll vom 11.6.2014 zum Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit (BGBl. 2019 II S. 437, 438).

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§ 2 | Begriffsbestimmungen und die beiden UN-Pakte geregelten und geschützten Rechte als die „international anerkannten Menschenrechte“ anzusehen sind, deren Beachtung auch von Unternehmen erwartet wird. Das ist die klare Position der „UN Guiding Principles on Business and Human Rights“9 – sie sind die Grundlage des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes und der gesamten internationalen Entwicklung zur Frage der Beachtung von Menschenrechten durch Unternehmen –, der „OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“10 und der „Dreigliedrigen Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik“ der ILO.11 2. Rechtliche Bedeutung des Begriffs der geschützten Rechtsposition 3 Nach Abs. 2 Nr. 12 löst nicht jede Beeinträchtigung einer geschützten Rechts-

position ein menschenrechtliches Verbot aus, sondern nur ein „Tun oder pflichtwidriges Unterlassen, das unmittelbar geeignet ist, in besonders schwerwiegender Weise eine geschützte Rechtsposition zu beeinträchtigen und dessen Rechtswidrigkeit bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.“12 Das zielt darauf, die Sorgfaltspflichten von Unternehmen nach dem LkSG nicht ausufern zu lassen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Regelungstechnik dem Gesetzgeber die Kritik einbringt, dass er zwei Klassen von menschenrechtlichen Verboten geschaffen habe.

4 Während die menschenrechtlichen Verbote in Abs. 2 Nr. 1 bis 11 inhaltlich je-

weils auf ein menschenrechtliches Verbot konzentriert sind (etwa das Verbot der Kinderarbeit in Nr. 1 oder das Verbot der Zwangsarbeit in Nr. 3), ist das menschenrechtliche Verbot in Abs. 2 Nr. 12 ein „Sammelbecken“ für eine Reihe menschenrechtlicher Verbote. Welche das genau sind, lässt sich nicht 9 Vgl. die Kommentierung zu Leitprinzip 12 der UN Guiding Principles on Business and Human Rights. 10 Vgl. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Neufassung 2011, Seite 4 und 36 f. (abrufbar unter https://mneguidelines.oecd.org/48808708.pdf). 11 Vgl. Begr. zum Regierungsentwurf eines LieferkettensorgfaltspflichtenG, BT-Drucks. 19/2864. S. 35. 12 Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit vom 23.2.2022 unterscheidet ebenfalls zwischen ausdrücklich bestimmten menschenrechtlichen „violations“ und geschützten Rechtspositionen, die aus einer Liste von internationalen Übereinkommen abgeleitet werden müssen; Part I.1, No. 20 des Annex zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit vom 23.2.2022 bestimmt: „Violation of a prohibition or right not covered by points 1 to 20 above but included in the human rights agreements listed in Section 2 of this Part, which directly impairs a legal interest protected in those agreements, provided that the company concerned could have reasonably established the risk of such impairment and any appropriate measures to be taken in order to comply with the obligations referred to in Article 4 of this Directive taking into account all relevant circumstances of their operations, such as the sector and operational context.“

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aus dem Gesetz ablesen. Der Gesetzesanwender muss sie aus den in der Anlage zu § 2 Abs. 1 LkSG genannten Übereinkommen selbst ableiten. Das Gesetz bestimmt weder, auf welche Bestimmungen in den ILO-Abkommen und den beiden UN-Pakten § 2 Abs. 1 LkSG Bezug nimmt, noch klärt es, wie die geschützten Rechtspositionen methodisch aus den in Nr. 1 bis 11 des Anhangs benannten internationalen Übereinkommen und UN-Pakten zu ermitteln sind.13 Auch die UN Guiding Principles on Business and Human Rights, die OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen oder die Dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik der ILO helfen nicht weiter. Alle drei Regelwerke verweisen wie § 2 Abs. 1 LkSG pauschal und ohne weitere Erläuterung auf die acht ILO-Kernabkommen und die beiden UN-Pakte zum Schutz der Menschenrechte. Eine Analyse, wie die in den acht ILO-Kernübereinkommen und den beiden UN-Pakten geregelten Menschenrechte in einen Pflichtenkatalog für Unternehmen zu übersetzen sind, was also genau die menschenrechtlichen Positionen sind, die nicht nur die an die Übereinkommen gebundenen Staaten, sondern Unternehmen zu achten haben, hat bisher nicht stattgefunden, ein klarer Rückstand in der internationalen Diskussion. In der rechtlichen Diskussion14 hat die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Re- 5 gelungstechnik zu der Frage geführt, ob der Verweis auf internationale Übereinkommen dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot entspricht und die menschenrechtlichen Ge- und Verbote aus den internationalen Übereinkommen mit hinreichender Bestimmtheit und Klarheit entnommen werden können.15 Das BVerfG hält allerdings die Verweisung auf internationale Übereinkommen nicht schon an sich für verfassungswidrig.16 Im Vordergrund steht daher die Frage, ob der Verweis auf die in der Anlage genannten Übereinkommen 13 Vgl. nur Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67, 79. 14 Vgl. Passarge, Wo bleibt die Diskussion zum LkSG? Editorial zu Compliance-Berater, Heft 4/2022 vom 24.3.2022; Nietsch/Wiedmann, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, CCZ 2021, 101, 105 („Generalklausel nicht unproblematisch“); nur Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67, 79; Wagner/Ruttloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145, Rz. 13; kritisch auch Stöbener de Mora/Noll, Grenzenlose Sorgfalt? – Das LieferkettensorgfaltspflichtengesetzNZG 2021, 1237, 1240 (enge Auslegung). 15 Vgl. zu parallelen Diskussion im norwegischen Gesetzgebungsverfahren nur Götz, Ein Lieferkettengesetz nordischer Prägung – Norwegens neues Transparenzgesetz, RIW 2022, 99, 102. 16 Das BVerfG hält die Verweisung auf internationale Übereinkommen nicht schon an sich für verfassungswidrig; vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 11.3.2020 – 2 BvL 5/17 (Ergangen auf Vorlagebeschl. des LG Stade), NVwZ-RR 2020, 569 Rz. 78 f.; zu § 2 Abs. 1 LkSG auch Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 79.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit17 erfüllt, anders gewendet: ob die Pflichten der Unternehmen durch den Verweis auf die Übereinkommen so genau umschrieben werden, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Verbotstatbestände für den Normadressaten schon aus dem Gesetz selbst zu erkennen sind oder sich durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen. Die engen Voraussetzungen, unter denen die Beeinträchtigung einer geschützten Rechtsposition nach Abs. 2 Nr. 12 zu einem menschenrechtlichen Verbot wird, dürfte eher die Annahme stützen, dass es nicht an der verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit von § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 12 fehlt. 3. Bestimmung des Begriffs der geschützten Rechtsposition 6 Bei wörtlichem Verständnis ist unter einer geschützten Rechtsposition jede Re-

gelung in den ILO-Übereinkommen oder UN-Pakten zu verstehen, die dem Schutz einer Person oder Personengruppe dient. a) Abgrenzung zu technischen Umsetzungsvorschriften

7 Abzugrenzen sind die in den Übereinkommen geregelten geschützten Rechts-

positionen von solchen Regelungen in den ILO-Übereinkommen und den beiden UN-Pakten, die allein der technischen Umsetzung der Übereinkommen bzw. Pakte dienen, also Regelungen zur Ratifizierung und Kündigung der Übereinkommen, zu Berichtspflichten der Vertragsstaaten gegenüber den Organen der ILO und der Vereinten Nationen, zu Befugnissen der Organe oder zur Vertragssprache. Letztere regeln offensichtlich keine geschützten Rechtspositionen. 17 Vgl. nur BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 21.11.2002 – 2 BvR 2202/ 01, NJW 2003, 1030: „Das Bestimmtheitsgebot verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände für den Normadressaten schon aus dem Gesetz selbst zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen. … Das Grundgesetz will sicherstellen, dass jeder vorhersehen kann, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist, damit er sein Tun oder Unterlassen auf die Strafrechtslage eigenverantwortlich einrichten kann und willkürliche staatliche Reaktionen nicht befürchten muss … und schließt nicht generell die Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen. … Das Verfassungsgebot der Gesetzesbestimmtheit schließt allerdings die Verwendung von Begriffen, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen, nicht generell aus. Auch im Strafrecht steht der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung tragen zu müssen (…). Generalklauseln oder unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe sind im Strafrecht allerdings nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Norm eine zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung und Anwendung bietet oder wenn sie eine gefestigte Rechtsprechung übernimmt und damit aus dieser Rechtsprechung hinreichende Bestimmtheit gewinnt.“ Auch BVerfG, Beschl. v. 11.3.2020 – 2 BvL 5/17 (Ergangen auf Vorlagebeschl. des LG Stade), NVwZRR 2020, 569 Rz. 74.

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b) Abgrenzung der menschenrechtlichen Ge- und Verbote von den Schutz-, Förder- und Umsetzungspflichten der Vertragsstaaten Die verbleibenden Regelungen in den in der Anlage zu § 2 Abs. 1 LkSG genann- 8 ten Übereinkommen untergliedern sich in Regelungen, die ein menschenrechtliches Verbot oder Gebot benennen und konkretisieren, und in Bestimmungen, die vertragliche Schutz-, Förder- und sonstigen Umsetzungspflichten der Vertragsstaaten enthalten oder Ausnahmen regeln, von denen die Vertragsstaaten bei der Umsetzung der Übereinkommen in nationales Recht Gebrauch machen dürfen. Bereits der Wortlaut von § 2 Abs. 1 LkSG legt nahe, nur die in den Übereinkom- 9 men und den beiden UN-Pakten geregelten menschenrechtlichen Gebote oder Verbote als geschützte Rechtspositionen anzusehen, nicht aber die in den Übereinkommen bestimmten Schutz-, Förder- und sonstigen Umsetzungspflichten der Vertragsstaaten. Die Ge- und Verbote in den Übereinkommen legen fest, was die Übereinkommen schützen. Die Schutz-, Förder- und sonstigen Umsetzungspflichten der Vertragsstaaten bestimmen, wie die Vertragsstaaten die geschützten Rechtspositionen schützen müssen. Schutzzweck und Systematik von § 2 Abs. 1 LkSG bestätigen die Wortlautauslegung. Dass die den Vertragsstaaten auferlegten Schutz-, Förder- und Umsetzungspflichten keine geschützten Rechtspositionen i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG sind, ist offensichtlich für solche Umsetzungspflichten, die Unternehmen objektiv gar nicht erfüllen können, etwa die Pflicht, durch geeignete gesetzgeberische Maßnahmen für den Schutz des geschützten Rechtsguts Sorge zu tragen,18 die Pflicht, mit anderen Vertragsstaaten zusammenzuwirken19 oder die Pflicht, wirksamen Rechtsschutz durch staatliche Gerichte zu gewähren.20 Die ILO-Übereinkommen und die beiden UN-Pakte bestimmen aber auch Umsetzungspflichten, bei denen eine Erfüllung durch Unternehmen denkbar wäre. Ein Beispiel dafür ist Art. 3 des Protokolls vom 11.6. 2014 zum Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 18 Vgl. nur Art. 2 Abs. 2 des UN-Zivilpakts: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, im Einklang mit seinem verfassungsmäßigen Verfahren und mit den Bestimmungen dieses Paktes die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die gesetzgeberischen oder sonstigen Vorkehrungen zu treffen, die notwendig sind, um den in diesem Pakt anerkannten Rechten Wirksamkeit zu verleihen, soweit solche Vorkehrungen nicht bereits getroffen worden sind.“ 19 Vgl. als Beispiel nur Art. 5 des Protokolls vom 11.6.2014 zum Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28.6.1930: „Die Mitglieder haben zusammenzuarbeiten, um die Verhütung und Beseitigung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit sicherzustellen.“ 20 Vgl. als Beispiel nur Art. 4 Abs. 1 des Protokolls vom 11.6.2014 zum Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28.6.1930: „Jedes Mitglied hat sicherzustellen, dass alle Opfer von Zwangs- oder Pflichtarbeit, ungeachtet ihrer Anwesenheit oder ihres Rechtsstatus im Hoheitsgebiet, Zugang zu geeigneten und wirksamen Rechtsbehelfen und Abhilfemaßnahmen, wie zum Beispiel Entschädigung, haben. Die Mitglieder haben zusammenzuarbeiten, um die Verhütung und Beseitigung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit sicherzustellen.“

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§ 2 | Begriffsbestimmungen 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit.21 Danach hat jedes Mitglied der ILO, das das Zusatzprotokoll ratifiziert hat, wirksame Maßnahmen zur Ermittlung, zur Befreiung, zum Schutz, zur Erholung und zur Rehabilitation aller Opfer von Zwangs- oder Pflichtarbeit zu ergreifen und andere Formen von Hilfe und Unterstützung bereitzustellen. Maßnahmen zur Erholung und zur Rehabilitation von Opfern von Zwangs- oder Pflichtarbeit könnten im Grundsatz auch Unternehmen ergreifen, wenn es in ihrem Geschäftsbereich oder im Verantwortungsbereich von Zulieferern zu Zwangs- oder Pflichtarbeit kommt. Gleichwohl ist die hinter Art. 3 des Protokolls vom 11.6.2014 stehende geschützte Rechtsposition allein der Schutz von Menschen gegen Pflicht- und Zwangsarbeit. Das Pflichtenprogramm von Unternehmen zum Schutz der nach § 2 Abs. 1 LkSG geschützten Rechtspositionen ist abschließend in §§ 3 ff. LkSG geregelt.22 Bestätigt wird diese Auslegung durch die Gesetzesbegründung. Der Regierungsentwurf23 erläutert, dass der Verweis auf die in der Anlage aufgelisteten Übereinkommen nicht impliziere, dass Unternehmen unmittelbar an die völkerrechtlich garantierten internationalen Menschenrechte gebunden seien. Nur Staaten seien als Vertragsparteien der jeweiligen internationalen Abkommen oder durch Völkergewohnheitsrecht unmittelbar an die darin festgehaltenen Menschenrechte gebunden und müssen ihrer staatlichen Schutzpflicht gerecht werden. Auch im Ergebnis ist fernliegend anzunehmen, dass der Gesetzgeber Unternehmen die Erfüllung der eigenen Pflichten aus den ILO-Übereinkommen und den UNMenschenrechtspakten aufgeben wollte und sie sogar zur Erfüllung der Vertragspflichten anderer Vertragsstaaten anhalten will. 10 Es ergibt sich, dass die nach den Übereinkommen und den beiden UN-Pakten

den Vertragsstaaten obliegenden Schutz-, Förder- und Umsetzungspflichten keine geschützten Rechtspositionen i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG sind. c) Rechtspositionen, die allein die Sphäre der Vertragsstaaten berühren

11 Ferner bestimmen die in Anlage zu § 2 Abs. 1 LkSG bestimmten Übereinkom-

men Rechte, die nicht als geschützte Rechtsposition i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG anzusehen sind, weil sie aufgrund ihres Wesens allein die Sphäre der Vertragsstaaten berühren und allein von ihnen zu gewähren bzw. zu gewährleisten und zu schützen sind. Ein Beispiel dafür ist das nach Art. 25 des UN-Zivilpakts jedem Staatsbürger einzuräumende Recht, bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen zu wählen oder gewählt zu werden. Dieses Recht können nur Staaten, nicht aber Unternehmen einräumen. Die Sorgfaltspflichten von Unternehmen können bei diesen geschützten Rechtspositionen naturgemäß nicht auf die Gewährung des Wahlrechts gerichtet sein. Die Gewährung des Wahlrechts ist vielmehr allein den Vertragsstaaten vorbehalten und 21 Nr. 2 der Anlage; BGBl. 2019 II S. 437, 438. 22 Vorausgesetzt, dass auch die Voraussetzungen von § 2 abs. 2 Nr. 12 LkSG erfüllt sind. 23 Vgl. Begr. zum Regierungsentwurf eines LieferkettensorgfaltspflichtenG, BT-Drucks. 19/2864. S. 35.

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muss von Unternehmen auch nicht sichergestellt oder gefördert werden. Als geschützte Rechtsposition kommt nur eine Residualposition in Betracht, nämlich der Schutz gegen unangemessene Beeinträchtigung der durch den Vertragsstaat zu gewährenden Rechte, also im Beispiel: der Schutz gegen Maßnahmen eines Unternehmens, die nicht in den Arbeitsabläufen und der Arbeitsorganisation begründet sind, sondern darauf zielen, Arbeitnehmer von der Ausübung ihres freien Wahlrechts abzuhalten oder sie unlauter zu beeinflussen. d) Sachlicher Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit von Unternehmen Geschützte Rechtspositionen müssen darüber hinaus einen engen Zusammen- 12 hang mit einem Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis bzw. mit Tätigkeit des Unternehmens aufweisen und unterscheidet sich dadurch von den Pflichten der Vertragsstaaten. Ein Beispiel dafür bietet Art. 24 des UN-Zivilpakts: Der dort geregelte Schutz von Kinderrechten ist in erster Linie Aufgabe der Vertragsstaaten. Erst wenn ein genügender Zusammenhang mit einem Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis oder der Tätigkeit des Unternehmens besteht, kann Art. 24 des UN-Zivilpakts eine geschützte Rechtsposition gegenüber einem Unternehmen vermitteln. e) Verhältnis zu menschenrechtlichen Verboten des § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 11 LkSG Schließlich ist das Verhältnis zwischen den geschützten Rechtspositionen und 13 den menschenrechtlichen Verboten des § 2 Abs. 2 LkSG zu klären. Die menschenrechtlichen Verbote sind überwiegend aus den in der Anlage zu § 2 genannten ILO-Übereinkommen und UN-Pakten entwickelt und Gegenstand der unternehmerischen Sorgfaltspflichten, ohne dass die besonderen Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG gegeben sein müssen. Daraus folgt, dass sie leges speciales sind. Wenn die in den Übereinkommen geregelten Rechtspositionen bereits durch den Katalog der menschenrechtlichen Verbote in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 11 LkSG abgedeckt sind, müssen sie nicht mehr als geschützte Rechtspositionen i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG erfasst werden. 4. Geschützte Rechtspositionen aus den ILO-Übereinkommen Wendet man die vorgenannten Kriterien an, ergibt sich, dass die in der Anlage 14 zu § 2 Abs. 1 LkSG an den Stellen 1-9 genannten ILO-Übereinkommen keine geschützten Rechtspositionen enthalten, die nicht schon durch die menschenrechtlichen Verbote in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 11 LkSG erfasst ist. Das ist nicht nur eine Erleichterung für die Rechtsanwendung in Deutschland, sondern zugleich auch eine wichtige Erkenntnis für die internationale Diskussion: Die Kernübereinkommen der ILO sind jeweils auf den Schutz einzelner Menschenrechte konzentriert und lassen sich daher – wie vom deutschen Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 LkSG Gehling/Fischer

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§ 2 | Begriffsbestimmungen vorgemacht – in einen Katalog menschenrechtlicher Verbote übernehmen. Die komplizierte Regelungstechnik des § 2 Abs. 1 LkSG mit einem Verweis auf die ILO-Kernübereinkommen ist für die ILO-Übereinkommen überflüssig. a) ILO-Übereinkommen Nr. 29 vom 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit 15 Geschützte Rechtsposition dieses Übereinkommens24 ist der Schutz gegen

Zwangs- und Pflichtarbeit. (1) Art. 1 Abs. 1 regelt die Pflicht der Vertragsstaaten, „den Gebrauch der Zwangs- oder Pflichtarbeit in allen ihren Formen möglichst bald zu beseitigen“.25 (2) Art. 2 Abs. 1 definiert den Begriff der Zwangs- oder Pflichtarbeit. Abs. 2 regelt die nach dem Übereinkommen zulässigen Ausnahmen vom Verbot der Zwangsarbeit. (3) Art. 3 bis 33 sind überwiegend nicht mehr anwendbar, regeln jedenfalls keine weiteren geschützten Rechtspositionen.26

16 Die durch ILO-Übereinkommen Nr. 29 geschützte Rechtsposition ist vollständig

durch § 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG abgedeckt. Die Verbotsvorschrift in § 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG nimmt sogar ausdrücklich Bezug auf das ILO-Übereinkommen Nr. 29. Das ILO-Übereinkommen kann für die übereinkommenskonforme Auslegung des Zwangsarbeitsverbots in § 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG herangezogen werden. Eine über § 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG hinausgehende geschützte Rechtsposition regelt das Übereinkommen nicht. b) ILO-Übereinkommen Nr. 105 vom 25.6.1957 über die Abschaffung der Zwangsarbeit

17 Gegenstand des Übereinkommens27 ist – ebenso wie im ILO-Übereinkommen

Nr. 29 – die Bekämpfung und Abschaffung von Zwangs- und Pflichtarbeit.

24 Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit (BGBl. 1956 II S. 640, 641). 25 Die Abs. 2 und 3 sind nach Art. 7 des Protokolls vom 11.6.2014 zum Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit (BGBl. 2019 II S. 437, 438) nicht mehr anwendbar. 26 Art. 3 bis 24 sind nach Art. 7 des Protokolls vom 11.6.2014 zum Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit (BGBl. 2019 II S. 437, 438) nicht mehr anwendbar. Art. 25 erlegt den Vertragsstaaten die Pflicht auf, die unberechtigte Auferlegung von Zwangs- oder Pflichtarbeit unter Strafe zu stellen. Art. 26 bis 33 trifft Regelungen zum Ratifizierungsverfahren, zum Inkrafttreten des Übereinkommens, zum Kündigungsrecht, zu den Aufgaben des Internationalen Arbeitsamts und zur Vertragssprache. 27 Übereinkommen Nr. 105 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 25.6.1957 über die Abschaffung der Zwangsarbeit (BGBl. 1959 II S. 441, 442).

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Die ILO hielt es nach den Jahren nationalsozialistischer Gewaltherrschaft für erforderlich, das Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit zu erneuern. (1) Art. 1 verpflichtet die Vertragsstaaten, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu beseitigen und deckt sich darin mit Art. 1 des ILO-Übereinkommen Nr. 29. Die Mitglieder verpflichten sich darüber hinaus, Zwangs- und Pflichtarbeit „in keiner Form zu verwenden“ – als Mittel politischen Zwanges oder politischer Erziehung oder als Strafe gegen politische Gefangene („Personen, die gewisse politische Ansichten haben oder äußern oder die ihre ideologische Gegnerschaft gegen die bestehende politische, soziale oder wirtschaftliche Ordnung bekunden“); – als Methode zur Rekrutierung und Nutzung von Arbeitskräften für Zwecke der wirtschaftlichen Entwicklung; – als Maßnahme der Arbeitsdisziplin; – als Strafe für die Teilnahme an Streiks; – als Maßnahme rassischer, sozialer, nationaler oder religiöser Diskriminierung. (2) Art. 2 bis 10 sind technische Regelungen28 und bestimmen offensichtlich keine geschützte Rechtsposition. Geschützte Rechtsposition ist allein das Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit. 18 Es wird durch das Übereinkommen inhaltlich nicht ausgeweitet. Art. 1 hat klarstellende Bedeutung. Denn die Anordnung von Zwangsarbeit zu einem der genannten Zwecke würde ohnehin nicht unter die Ausnahmen nach Art. 2 Abs. 2 des ILO-Abkommens Nr. 29 fallen. Eine neue, über § 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG hinausgehende Rechtsposition stellt Art. 1 nicht unter Schutz. c) Protokoll vom 11.6.2014 zum Übereinkommen über Zwangsarbeit Das Protokoll29 regelt besondere Zusatzpflichten der Vertragsstaaten zur Prä- 19 vention gegen und zum Opferschutz bei Zwangs- und Pflichtarbeit. Das Protokoll ergänzt die ILO-Übereinkommen Nr. 29 und 105. Wie diese ist die alleinige geschützte Rechtsposition das Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit. Sie ist durch § 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG vollständig abgedeckt. Das Protokoll regelt besondere Schutz- und Förderpflichten der Vertragsstaaten, die – wie oben dargelegt30 – nicht geschützte Rechtspositionen i.S.v. § 2 Abs. 1 sind. Im Einzelnen: (1) Art. 1 Abs. 1 gibt den Mitgliedern auf, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um Zwangs- und Pflichtarbeit zu verhindern und zu beseitigen, den Opfern 28 Sie treffen ausschließlich Regelungen zu den allgemeinen Pflichten der Vertragsstaaten („wirksame Maßnahmen zur sofortigen und vollständigen Abschaffung … zu ergreifen“), zur Ratifizierung, zum Inkrafttreten, zur Kündigung, zur den Aufgaben des Verwaltungsrats des Internationalen Arbeitsamts und zu den Vertragssprachen. 29 Protokoll vom 11.6.2014 zum Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit (BGBl. 2019 II S. 437, 438). 30 Vgl. Rz. 9.

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Schutz und Zugang zu geeigneten und wirksamen Rechtsbehelfen und Abhilfemaßnahmen, wie etwa Entschädigung, zu gewährleisten und um die für Zwangs- oder Pflichtarbeit Verantwortlichen zu bestrafen. Abs. 2 verpflichtet die Mitgliedsstaaten, wirksame innerstaatliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Zwangsarbeit zu ergreifen und einen innerstaatlichen Aktionsplan zu schaffen. Diese Pflichten können von Unternehmen nicht erfüllt werden. Abs. 3 bekräftigt die im ILO-Abkommen Nr. 29 enthaltene Definition von Zwangs- und Pflichtarbeit, bestimmt aber keine neue geschützte Rechtsposition. Art. 2 konkretisiert die Pflichten der Mitglieder zur Prävention gegen Zwangs- und Pflichtarbeit.31 Die Regelung bestimmt ausschließlich die Präventivpflichten der Mitgliedsstaaten. Wie oben bereits ausgeführt,32 sind die Präventionspflichten des Art. 2, wenngleich eine Erfüllung durch Unternehmen in einzelnen Aspekten, etwa der Aufklärungs- und Unterrichtungspflichten, denkbar wäre, ausschließlich staatliche Pflichten. Die Präventionspflichten von Unternehmen werden nicht über den Begriff der geschützten Rechtsposition in § 1 Abs. 1 LkSG gesteuert, sondern sind in § 6 LkSG bestimmt. Zu den Pflichten nach § 6 LkSG können im Einzelfall allerdings auch Aufklärungspflichten gehören. Rechtsgrundlage dafür ist aber nicht das ILO-Übereinkommen Nr. 29. Art. 3 erlegt den Vertragsstaaten die Pflicht auf, bei Verdacht von Zwangsund Pflichtarbeit zu ermitteln, Opfer zu befreien, ihnen Schutz, Erholung und Rehabilitation zu gewähren und weitere Hilfen anzubieten. Es gilt dasselbe wie für Art. 2: Nach dem Regelungszweck geht es darum, den Mitgliedsstaaten repressive Hilfs- und Schutzpflichten aufzuerlegen. Die Abhilfepflichten von Unternehmen sind abschließend in § 7 LkSG geregelt. Die von den Vertragsstaaten zu leistenden Opferhilfen sind keine geschützten Rechtspositionen i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG. Art. 4 gibt den Vertragsstaaten auf, Opfern von Zwangs- und Pflichtarbeit Zugang zu wirksamen Rechtsbehelfen und Entschädigungsverfahren zu geben. Es handelt sich um eine staatliche Schutzpflicht, nicht um eine geschützte Rechtsposition. Die von Unternehmen geschuldete Abhilfe ist allein in § 7 LkSG geregelt. Art. 5 verpflichtet die Vertragsstaaten, bei der Prävention gegen Zwangsund Pflichtarbeit zusammenzuarbeiten. Eine geschützte Rechtsposition regelt sie nicht. Die Pflicht zur Zusammenarbeit trifft nur die Mitgliedsstaaten.

31 Dazu gehört insbesondere die Pflicht zur Aufklärung und Unterrichtung von möglichen Opfern und von Arbeitgebern und die Pflicht, durch umfassende Gesetzgebung und Stärkung der staatliche Aufsicht zur Bekämpfung von Zwangs- und Pflichtarbeit beizutragen, insbesondere Wanderarbeitnehmer vor Missbrauch und Betrug während des Anwerbeverfahrens zu schützen, den privaten und öffentlichen Sektor bei der Wahrnehmung von Sorgfaltspflichten zu unterstützen. 32 Wie vor.

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(7) Die weiteren Artikel sind technische Umsetzungsvorschriften und regeln keine geschützte Rechtsposition.33 d) ILO-Übereinkommen Nr. 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung Das ILO-Übereinkommen Nr. 13834 ist das zentrale Übereinkommen zum Ver- 20 bot der Kinderarbeit. (1) Art. 1 verpflichtet die Vertragsstaaten, durch innerstaatliche Maßnahmen sicherzustellen, dass Kinderarbeit abgeschafft wird. Als Umsetzungsgebot ist die Bestimmung allein an Vertragsstaaten gerichtet. Aus Art. 1 ergibt sich aber zugleich die durch das Übereinkommen geschützte Rechtsposition, nämlich das generelle Verbot von Kinderarbeit. (2) Art. 2 bestimmt den Inhalt des Kinderarbeitsverbots. Das von den Vertragsstaaten gesetzlich einzuhaltende Mindestalter für die Beschäftigung von Kindern darf 15 Jahre nicht unterschreiten und nicht unter dem Alter liegen, mit dem die Schulpflicht endet. Die Vertragsstaaten haben in der Ratifizierungsurkunde Angaben zu dem in dem Vertragsstaat geltenden Mindestalter zu machen und spätere Erhöhungen des Mindestalters dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamts in Genf anzuzeigen. Für einen vorübergehenden Zeitraum nach Ratifizierung des Abkommens darf das Mindestalter ausnahmsweise auf 14 Jahre gesenkt werden. (3) Art. 3 erhöht das Mindestalter für die Arbeit von jungen Menschen auf 18 Jahre, wenn es um eine „Beschäftigung oder Arbeit [geht], die wegen ihrer Art oder der Verhältnisse, unter denen sie verrichtet wird, voraussichtlich für das Leben, die Gesundheit oder die Sittlichkeit der Jugendlichen gefährlich ist“. Die Vertragsstaaten haben in einem näher beschriebenen innerstaatlichen Verfahren die Tätigkeiten festzulegen, für die das erhöhte Mindestalter von 18 Jahren gilt. (4) Art. 4 bis 8 regeln die Voraussetzungen, unter denen ein Vertragsstaat von den Altersgrenzen des Übereinkommens abweichen darf.35 33 Art. 6 bis 12 treffen Regelungen zur Beteiligung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden bei der innerstaatlichen Umsetzung, zur Außerkraftsetzung von Bestimmungen des ILO-Abkommens Nr. 29, zur Ratifizierung des Protokolls, zur Kündigung und zur Vertragssprache. 34 Übereinkommen Nr. 138 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 26.6.1973 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung (BGBl. 1976 II S. 201, 202). 35 Ausnahme können von den Vertragsstaaten unter näher bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden: (i) wenn bei der Beschäftigung oder Arbeit „im Zusammenhang mit der Durchführung besondere Probleme von erheblicher Bedeutung entstehen“ (Art. 4 Abs. 1), (ii) für die Anfangszeit nach Ratifizierung des Übereinkommens (Art. 5), (iii) für Arbeiten, die von Kindern und Jugendlichen in allgemeinbildenden Schulen, berufsbildenden Schulen oder Fachschulen oder in anderen Ausbildungsanstalten vorgenommen werden (Art. 6), (iv) für näher definiert „leichte Arbeiten“ und (v) bei Teilnahme an künstlerischen Veranstaltungen.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen (5) Art. 9 erlegt den Vertragsstaaten die generelle Pflicht auf, die wirksame Umsetzung des Übereinkommens durch staatliche Maßnahmen, insbesondere durch gesetzgeberische Schritte sicherzustellen. (6) Art. 10 bis 18 enthalten nur technische Umsetzungsregeln.36 21 Im menschenrechtlichen Verbotskatalog des § 2 Abs. 2 LkSG ist das Kinder-

arbeitsverbot in Nr. 1 geregelt. Das Mindestalter ist in Nr. 1 übereinstimmend mit dem ILO-Übereinkommen geregelt. Die Ausnahmen, in denen das Mindestalter unterschritten werden darf, sind sogar durch ausdrückliche Bezugnahme auf das ILO-Übereinkommen aufgenommen worden. Der Gesetzgeber hat das Kinderarbeitsverbot bewusst in Übereinstimmung mit dem ILO-Übereinkommen Nr. 138 geregelt.37 Nicht durch § 2 Abs. 2 Nr. 1 LkSG abgedeckt ist allein der besondere, in Art. 3 geregelte Schutz im Zusammenhang mit einer Beschäftigung von Jugendlichen: Danach ist jede Beschäftigung von Jugendlichen verboten, die wegen ihrer Art oder der Verhältnisse, unter denen sie verrichtet wird, voraussichtlich für das Leben, die Gesundheit oder die Sittlichkeit der Jugendlichen gefährlich ist. Dieser besondere Schutz wird aber durch das Verbot der schlimmsten Formen der Kinderarbeit in § 2 Abs. 2 Nr. 2 (d) LkSG erfasst.38

22 Es ergibt sich, dass auch das ILO-Übereinkommen Nr. 138 keine geschützte

Rechtsposition regelt, die nicht schon durch den Verbotskatalog in § 2 Abs. 2 LkSG erfasst wäre. e) ILO-Übereinkommen Nr. 182 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit

23 Das ILO-Übereinkommen Nr. 18239 befasst sich mit dem Kampf gegen die Be-

seitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Im Einzelnen:

(1) Art. 1 gibt den Vertragsstaaten auf, nach Ratifizierung durch wirksame staatliche Maßnahmen sicherzustellen, dass die schlimmsten Formen der Kinderarbeit verboten und beseitigt werden. Die Vorschrift ist an die Vertragsstaaten gerichtet. (2) Art. 2 des Übereinkommens bestimmt, dass Kind im Sinne des Übereinkommens alle Personen unter 18 Jahren sind, erhöht also das Mindestalter gegenüber dem ILO-Übereinkommen Nr. 138. 36 Es handelt sich um Vorschriften zur Ratifizierung, zur Stellung des Generaldirektors und des Verwaltungsrats des Internationalen Arbeitsamtes sowie zu den Vertragssprachen. 37 Vgl. auch Begr. zum Regierungsentwurf eines LieferkettensorgfaltspflichtenG, BTDrucks. 19/2864. S. 35. 38 So auch Begr. zum Regierungsentwurf eines LieferkettensorgfaltspflichtenG, BTDrucks. 19/2864. S. 35. 39 Vgl. Übereinkommen Nr. 182 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 17.6.1999 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (BGBl. 2001 II S. 1290, 1291).

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(3) Im Mittelpunkt des Übereinkommens steht die Regelung in Art. 3. Sie definiert, was die schlimmsten Formen der Kinderarbeit sind. § 2 Abs. 2 Nr. 2 LkSG nimmt ausdrücklich auf Art. 3 des Übereinkommens Bezug und definiert die schlimmsten Formen der Kinderarbeit wortgleich mit Art. 3 des Übereinkommens. (4) Art. 4 bis 8 des Übereinkommens konkretisieren die Umsetzungspflichten der Vertragsstaaten. Sie haben Maßnahmen zur Überwachung des Verbots einzurichten, Aktionsprogramme durchzuführen, strafrechtliche Vorschriften zu schaffen und die Durchsetzung des Verbots durch staatliche Zwangsmaßnahmen sicherzustellen, sich ferner gegenseitig zu unterstützen. Alle Regelungen dienen allein der Umsetzung des einzigen Schutzzwecks, nämlich des Verbots der schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Sie sind allein an die Vertragsstaaten gerichtet. (5) Art. 9 bis 16 enthalten technische Umsetzungsregeln zur Ratifizierung, Vertragssprache usw. Das ILO-Übereinkommens Nr. 182 wird durch § 2 Abs. 2 Nr. 2 LkSG vollstän- 24 dig und inhaltsgleich übernommen. Das Übereinkommen regelt keine geschützte Rechtsposition, die nicht durch § 2 Abs. 2 Nr. 2 LkSG erfasst wird. f) ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf Das ILO-Übereinkommen Nr. 11140 regelt das Verbot der Diskriminierung in 25 Beschäftigung und Beruf. Es korrespondiert eng mit dem Diskriminierungsverbot in § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG. (1) Art. 1 Abs. 1 definiert den Begriff der Diskriminierung und legt damit den Schutzbereich des Übereinkommens fest. Als Diskriminierung wird (i) jede Unterscheidung, Ausschließung oder Bevorzugung verstanden, die auf Grund der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, des Glaubensbekenntnisses, der politischen Meinung, der nationalen Abstammung oder der sozialen Herkunft vorgenommen wird und die dazu führt, die Gleichheit der Gelegenheiten oder der Behandlung in Beschäftigung oder Beruf aufzuheben oder zu beeinträchtigen, ferner (ii) jede andere Unterscheidung, Ausschließung oder Bevorzugung, die dazu führt, die Gleichheit der Gelegenheiten oder der Behandlung in Beschäftigung oder Beruf aufzuheben oder zu beeinträchtigen, und die von dem betreffenden Mitglied nach Anhörung der maßgebenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, soweit solche bestehen, und anderer geeigneter Stellen bestimmt wird. Das Übereinkommen stellt klar, dass eine Ungleichbehandlung, die in den Erfordernissen der Beschäftigung begründet ist, nicht als Diskriminierung gilt. 40 Übereinkommen Nr. 111 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 25.6.1958 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (BGBl. 1961 II S. 97, 98).

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§ 2 | Begriffsbestimmungen (2) Art. 2 und 3 des Übereinkommens bestimmten die allgemeinen Umsetzungs- und Förderpflichten der Vertragsstaaten, ohne den Schutz des Übereinkommens inhaltlich zu erweitern. Die Erfüllung der Förderpflichten ist allein den Vertragsstaaten vorbehalten. (3) Art. 4 und 5 enthalten Ausnahmeregelungen vom Grundsatz der nichtdiskriminierenden Behandlung in Beschäftigung und Beruf, regeln also gerade keine neue Rechtsposition. (4) Art. 6 bis 14 des Übereinkommens regeln die üblichen technischen Umsetzungsregeln zur Ratifizierung, Vertragssprache usw. 26 Das Diskrimierungsverbot in § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG bleibt inhaltlich nicht hinter

dem ILO-Abkommen Nr. 111 zurück. Ausweislich der Gesetzesbegründung41 wollte der Gesetzgeber mit § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG u.a. das im ILO-Übereinkommen Nr. 111 geregelte Diskriminierungsverbot in die menschenrechtlichen Verbote des LkSG übernehmen. Die Bestimmungen des ILO-Übereinkommen Nr. 111 können zur übereinkommenskonformen Auslegung des Diskriminierungsverbots in § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG herangezogen werden. Eine über § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG hinausgehende geschützte Rechtspositionen regelt das ILO-Abkommen Nr. 111 nicht. g) ILO-Übereinkommen Nr. 100 vom 29.6.1951 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit

27 Das ILO Übereinkommen Nr. 10042 befasst sich mit einem besonderen Aspekt

des Diskriminierungsverbots, nämlich dem Verbot, keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Vergütung von Arbeitskräften vorzunehmen. Für gleichwertige Arbeit ist Männern wie Frauen das gleiche Entgelt zu zahlen. (1) Art. 1 des Übereinkommens definiert den Begriff „Еntgelt“. (2) Art. 2 regelt den Grundsatz der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit und erlegt den Vertragsstaaten eine Förderpflicht auf. Eine inhaltliche Ausformung des Grundsatzes nimmt Art. 2 nicht vor. (3) Art. 3 befasst sich mit staatlichen Umsetzungspflichten, insbesondere zur möglichen Vorgabe von Methoden zur Ermittlung der Gleichwertigkeit von Arbeit und Entgelt. (4) Art. 4 erlegt den Vertragsstaaten die Pflicht zur Zusammenarbeit mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden auf. Es wird eine Verfahrensregelung getroffen, aber keine geschützte Rechtsposition geregelt. (5) Art. 5 bis 14 des Übereinkommens enthalten nur technische Umsetzungsregeln zur Ratifizierung, Vertragssprache usw. 41 Vgl. Begr. zum Regierungsentwurf eines LieferkettensorgfaltspflichtenG, BT-Drucks. 19/2864. S. 37. 42 Übereinkommen Nr. 100 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29.6.1951 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit (BGBl. 1956 II S. 23, 24).

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Begriffsbestimmungen | § 2

§ 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG regelt ein allgemeines Verbot der Ungleichbehandlung in 28 Beschäftigung und hebt hervor, dass Ungleichbehandlung insbesondere auch die Zahlung ungleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit sein kann. Die durch das ILO Übereinkommen Nr. 100 geschützte Rechtsposition ist vollständig durch § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG abgedeckt. h) ILO-Übereinkommen Nr. 87 vom 9.7.1948 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes Das ILO-Übereinkommen Nr. 8743 befasst sich mit dem Schutz der Vereini- 29 gungsfreiheit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. (1) Art. 1 und 11 regeln die allgemeine Pflicht der Vertragsstaaten zum Schutz der Vereinigungsfreiheit, wie in dem Übereinkommen näher bestimmt. Die Schutzpflicht ist allein an die Vertragsstaaten gerichtet. (2) Art. 2 bis 8 legen die Konturen des Rechts auf Vereinigungsfreiheit fest, insbesondere das Recht, Organisationen nach eigener Wahl zu gründen (Art. 2), das Recht, die innere Organisation zu bestimmen (Art. 3), das Verbot, Organisationen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Verwaltungswege aufzulösen (Art. 4), das Recht, Zentralverbände zu gründen und sich ihnen anzuschließen (Art. 5 und 6), die Voraussetzungen für den Erwerb der Rechtsfähigkeit (Art. 7), das Gebot, dass die Organisationen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern die allgemeinen Gesetze im ihrem Land beachten (Art. 8). (3) Art. 9 gestattete den Vertragsstaaten, Ausnahme vom Recht auf Vereinigungsfreiheit für das Heer und die Polizei zu regeln. (4) Art. 12 bis 20 des ILO-Übereinkommens enthalten technische Umsetzungsregelungen. Das ILO-Übereinkommen Nr. 87 ist das einzige in der Anlage zu § 2 LkSG ge- 30 nannte ILO-Übereinkommen, das nicht als eigenständiges menschenrechtliches Verbot in den Katalog der menschenrechtlichen Verbote in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 11 LkSG aufgenommen worden ist. Gleichwohl hat es mittelbar, nämlich über das Verbot der Missachtung der Koalitionsfreiheit (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 LkSG), Eingang in den Katalog der menschenrechtlichen Verbote gefunden. Denn Koalitionsfreiheit setzt Vereinigungsfreiheit voraus. Im Wege übereinkommenskonformer Auslegung ergibt sich, dass das Recht auf Vereinigungsfreiheit, wie durch das ILO-Übereinkommen Nr. 87 ausgeformt, Teil der Koalitionsfreiheit ist: Im Zusammenhang mit einem Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis ist die Vereinigungsfreiheit nur in ihrer besonderen Ausprägung als Koalitionsfreiheit von Bedeutung. Das ILO-Abkommen Nr. 87 regelt daher, obwohl nicht als eigenständiges Verbot in § 2 Abs. 2 LkSG geregelt, keine weitergehende geschützte Rechtsposition als die durch § 2 Abs. 2 Nr. 6 LkSG geschützte Koalitionsfreiheit. 43 Übereinkommen Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 9.7.1948 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (BGBl. 1956 II S. 2072, 2071) geändert durch das Übereinkommen vom 26.6.1961 (BGBl. 1963 II S. 1135, 1136).

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§ 2 | Begriffsbestimmungen i) ILO-Übereinkommen Nr. 98 vom 1.7.1949 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen 31 Das ILO-Übereinkommen Nr. 9844 ist das zweite Übereinkommen der ILO, dass

sich mit dem Vereinigungsrecht von Arbeitnehmer und dem Recht zu Kollektivverhandlungen mit dem Arbeitgeber oder einem Arbeitgeberverband befasst. (1) Art. 1 Abs. 1 trifft eine Regelung zum Schutzzweck des Übereinkommens: Arbeitnehmer sind „vor jeder gegen die Vereinigungsfreiheit gerichteten unterschiedlichen Behandlung, die im Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung steht, angemessen zu schützen.“ (2) Nach Art. 1 Abs. 2 darf insbesondere die Beschäftigung eines Arbeitnehmers nicht davon abhängig gemacht werden darf, dass er keiner Gewerkschaft beitritt oder aus einer Gewerkschaft austritt. Arbeitnehmer dürfen zudem nicht entlassen oder auf sonstige Weise benachteiligt werden, weil sie einer Gewerkschaft angehören oder sich außerhalb der Arbeitszeit oder mit Zustimmung des Arbeitgebers während der Arbeitszeit gewerkschaftlich betätigen. (3) Art. 2 schützt die Organisationen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber gegen Einmischung der anderen Seite. (4) Art. 3 bis 5 regeln Umsetzungspflichten der Vertragsstaaten.45 (5) Art. 6 stellt klar, dass die Stellung der öffentlichen Beamten durch das Übereinkommen unberührt bleibt. Für das Verständnis von § 2 Abs. 1 LkSG spielt die Regelung schon deswegen keine Rolle, weil die Rechtsstellung von staatlichen Beamten nicht in den Schutzbereich des Gesetzes fällt. (6) Art. 7 bis 16 des ILO-Übereinkommens enthalten technische Umsetzungsregelungen.46

32 Die in dem Übereinkommen geregelten Schutzpositionen betreffen sämtlich den

Schutz der Koalitionsfreiheit und sind gegebenenfalls im Wege der übereinkom-

44 Übereinkommen Nr. 98 der internationalen Arbeitsorganisation vom 1.7.1949 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen (BGBl. 1955 II S. 1122, 1123) geändert durch das Übereinkommen vom 26.6.1961 (BGBl. 1963 II S. 1135, 1136). 45 Die Vertragsstaaten haben den Landesverhältnissen angepasste Einrichtungen zu schaffen, um den Schutz des Vereinigungsrechtes im Sinne der vorangehenden Artikel zu gewährleisten (Art. 3) und Maßnahmen zu treffen, um im weitesten Umfang Entwicklung und Anwendung von Verfahren zu fördern, durch die Arbeitgeber oder Organisationen von Arbeitgebern einerseits und Organisationen von Arbeitnehmern anderseits freiwillig über den Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen zur Regelung der Lohnund Arbeitsbedingungen verhandeln können (Art. 4). Die Staaten können regeln, inwieweit die in dem Übereinkommen vorgesehenen Rechte auf das Heer und die Polizei Anwendung finden. 46 Nach Art. 6 bleibt die Stellung der öffentlichen Beamten unberührt. Art. 7 nimmt die öffentlichen Beamten von der Anwendung des Übereinkommens aus. Art. 7 bis 16 enthält die üblichen Ratifizierungs- und Umsetzungsvorschriften.

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menskonformen Auslegung bei der Bestimmung der Reichweite des in § 2 Abs. 2 Nr. 6 LkSG geregelten Verbots zu berücksichtigen. Eine eigenständige und über § 2 Abs. 2 Nr. 6 LkSG hinausgehende Rechtsposition regelt das Übereinkommen nicht. 5. Geschützte Rechtspositionen des UN-Zivilpakts Anders als bei den ILO-Übereinkommen (Ziff. 1 bis 9 der Anlage zu § 2 Abs. 1) 33 sind die geschützten Rechtspositionen des UN-Zivilpakts47 nicht sämtlich durch den Verbotskatalog in Abs. 2 LkSG abgedeckt. Da pflichtenauslösend nur ein Verhalten ist, das geeignet ist, eine geschützte Rechtsposition besonders schwerwiegend zu beeinträchtigten, und das offensichtlich rechtswidrig ist (Abs. 2 Nr. 12), ist für die Rechtsanwendung vor allem wichtig zu erkennen, welche geschützten Rechtspositionen sich überhaupt aus dem UN-Zivilpakt ergeben. Die nachfolgende Kommentierung gibt dazu einem Überblick. a) Selbstbestimmungsrecht der Völker Art. 1 des UN-Zivilpakts gewährleistet das Selbstbestimmungsrecht der Völker 34 und schützt die freie Verfügung der Völker über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel. Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Directive on Corporate Sustainability Due Diligence vom 23.2.2022 hat das Selbstbestimmungsrecht der Völker in den Katalog der menschenrechtlichen Verbote aufgenommen.48 Das lässt erwarten, dass sich in der Diskussion zum LkSG die Auffassung durchsetzen wird, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker eine geschützte Rechtsposition ist. Gleichwohl hat Art. 1 des UN-Zivilpakts eine Sonderstellung. Historisch zielte 35 das Selbstbestimmungsrecht der Völker darauf, Ländern und Völkern in kolonialer Abhängigkeit eine Rechtsposition gegenüber „Kolonialherren“ einzuräumen und Kolonialisierung zu beenden.49 Die Dekolonisierung gilt weltweit als abgeschlossen. In der heutigen völkerrechtlichen Diskussion werden dem Selbstbestimmungsrecht der Völker drei Funktionen zugeschrieben: Zum einen ist es ein Abwehrrecht, nämlich gegen Beherrschung und gewaltsame Bedrohung oder Beeinträchtigung der eigenen Integrität eines Volkes durch Dritt-

47 Vgl. das Ratifizierungsgesetz in BGBl. 1973 II S. 1533. 48 Vgl. Teil I, Ziff. 1, Nr. 1 des Annexes zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit, abrufbar unter https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/1_2_183888_annex_ dir_susta_en.pdf. 49 Vgl. Art. 73 der UN-Charta; IGH, Advisory Opinion „Unilateral Declaration of Independence in respct of KOSOVO“ of 22 July 2010, Rz. 79; Hipold, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, JuS 2013, 1081, 1082; Kempen/Hillgruber/Grabenwarter, Völkerrecht, 3. Aufl., § 47 Rz. 4 f.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen staaten (äußere Selbstbestimmung).50 Zum anderen ist es ein Freiheitsrecht, nämlich auf freie Entscheidung der Völker, einen souveränen und unabhängigen Staat zu bilden51, sich frei mit einem anderen Staat zusammenzuschließen oder zu verbünden und frei über den eigenen politischen Status zu entscheiden (innere Selbstbestimmung).52 Schließlich schützt Art. 1 das Recht der Völker, für ihre Zwecke „frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel zu verfügen“ (wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht).53 Träger des Rechts nach Art. 1 des UN-Zivilpakts sind nach dem Wortlaut von Art. 1 Völker.54 In seiner Funktion als Abwehrrecht wurde Art. 1 bisher allein als eine Rechtsposition zwischen Staaten verstanden.55 Mit der Anerkennung als geschützte Rechtsposition würde diese Ausrichtung des Rechts auf Selbstbestimmung der Völker deutlich verändert. Das gibt Anlass zu einem engen Verständnis: Nur in besonderen Ausnahmefällen kann unternehmerisches Handeln das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes berühren. Drei Fallgruppen sind zu unterscheiden. (1) Die erste Fallgruppe betrifft die Fälle, in denen ein Unternehmen Nutzen aus dem Eingriff eines Landes in das Selbstbestimmungsrecht eines anderen Landes zieht. Beispiel: Ein Land eignet sich unter Verletzung des Selbstbestimmungsrechts eines Volkes die natürlichen Reichtümer eines anderen Landes an, etwa im Rahmen einer kriegerischen Auseinandersetzung, macht also „Kriegsbeute“. Der „Kriegsbeute“ haftet zweifellos der Makel an, auf einer Verletzung von Art. 1 des UN-Zivilpakts zu beruhen. Das Verbot des § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG ist verletzt, wenn der Eingriff in die geschützte Rechtsposition als besonders schwerwiegend zu beurteilen und die Rechtswidrigkeit offensichtlich ist.56 Wenn es sich um „Kriegsbeute“ handelt, wird das häufig anzunehmen sein. 50 Vgl. Resolution 2625 (XXV) der Vollversammlung der Vereinten Nationen vom 24.10. 1970 „The Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States“, S. 124; Kempen/Hillgruber/Grabenwarter, Völkerrecht, 3. Aufl., § 49 Rz. 11 ff. 51 Vgl. nur IGH, Advisory Opinion „Unilateral Declaration of Independence in respect of KOSOVO“ of 22 July 2010, Rz. 84. 52 Vgl. Resolution 2625 (XXV) der Vollversammlung der Vereinten Nationaen vom 24.10. 1970 „The Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States“, S. 124; Kempen/Hillgruber/Grabenwarter, Völkerrecht, 3. Aufl., § 49 Rz. 22 ff. 53 Vgl. dazu nur Kempen/Hillgruber/Grabenwarter, Völkerrecht, 3. Aufl., § 49 Rz. 32. 54 Vgl. dazu nur Kempen/Hillgruber/Grabenwarter, Völkerrecht, 3. Aufl., § 48 Rz. 7 ff. 55 So auch IGH, Advisory Opinion „Unilateral Declaration of Independence in respct of KOSOVO“ of 22 July 2010, Rz. 84 zum parallelen Prinzip der territorialen Integrität eines Landes: „In the same vein, the Final Act of the Helsinki Conference on Security and Co-operation in Europe of 1 August 1975 (the Helsinki Conference) stipulated that „[t]he participating States will respect the territorial integrity of each of the participating States“ (Art. IV). Thus, the scope of the principle of territorial integrity is confined to the sphere of relations between States.“ 56 Vgl. dazu näher Rz. 88 ff.

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Begriffsbestimmungen | § 2

(2) Schwieriger ist die zweite Fallgruppe zu beurteilen, in denen ein Produkt ordnungsgemäß und ohne jede Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung hergestellt wird, die Erträge aus der Lieferung aber von einem Staat zur Finanzierung von Maßnahmen eingesetzt wird, die das Recht der Völker auf Selbstbestimmung verletzen, etwa um einen Angriffskrieg zu führen. Die rechtlich maßgebende Frage ist, ob die Verwendung der Erlöse der Lieferkette zuzuordnen ist. Dagegen spricht der Gesetzeswortlaut von § 2 Abs. 5 Satz 2 LkSG, wonach die Lieferkette alle Schritte im In- und Ausland umfasst, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind, nicht aber die Verwendung der Gegenleistung. (3) Die dritte Fallgruppe betrifft Fälle, in denen der Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht von einem Unternehmen selbst ausgeht. Eine Vorfrage ist, ob Unternehmen überhaupt das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes beeinträchtigen können oder ob Art. 1 des UN-Zivilpakts – entsprechend der historischen Sicht – ausschließlich ein Interstaatenrecht ist. Im Ergebnis ist anzunehmen, dass auch Unternehmen das Recht aus Art. 1 des UN-Zivilpakts beeinträchtigen können, im Einzelfall ist aber Zurückhaltung geboten, wie am Beispiel von Abbaurechten gezeigt werden soll: Das Nutzen von eingeräumten Konzessionen, etwa zum Abbau von Bodenschätzen, das Geltendmachen von vertraglichen Rechten und allgemein jedes Handeln in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht des Landes scheidet in aller Regel als Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung der Völker aus. Denn die Einräumung der Konzession in Übereinstimmung mit dem in dem Land geltenden rechtlichen Vorschriften ist ja gerade Ausdruck des durch Art. 1 des UN-Zivilpakts gewährleisteten Rechts auf Selbstbestimmung. Die Rechtswidrigkeit des Handelns ist notwendige Voraussetzung für die Annahme, dass ein Unternehmen in das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 1 des UN-Zivilpakts eingreift, aber nicht genügende: Denn Völker und Staaten können – und auch das ist Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts – rechtswidriges Verhalten mit hoheitlichen Maßnahmen aufklären, beenden, verfolgen und sanktionieren. Erst wenn das rechtswidrige Handeln des Unternehmens die Grundlagen souveränen Handelns durch das Land oder Volk aushöhlt, ist das Selbstbestimmungsrecht des Landes oder des Volkes berührt.57 Das ist etwa denkbar, wenn ein Unternehmen durch Einsatz von paramilitärischen Truppen die Selbstbestimmung in einem Land untergräbt und einen der Kolonialisierung vergleichbaren Einfluss ausübt, etwa um rechtswidrig erlangte Abbaurechte durchzusetzen. b) Pflichten der Vertragsstaaten Art. 2 bis 5 des UN-Zivilpakts regeln ausschließlich Umsetzungspflichten der 36 Vertragsstaaten58 und damit keine geschützten Rechtspositionen. 57 Vgl. auch Kempen/Hillgruber/Grabenwarter, Völkerrecht, 3. Aufl., § 49 Rz. 32. 58 Art. 2 erlegt den Vertragsstaaten die Pflicht auf, die in dem Pakt bestimmten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unter-

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§ 2 | Begriffsbestimmungen c) Angeborenes Recht auf Leben/Todesstrafe 37 (1) Art. 6 Abs. 1 schützt das angeborene Recht jedes Menschen auf Leben. Nie-

mand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden. Der Schutz des Lebens ist offensichtlich eine geschützte Rechtsposition i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG. Sie ist durch den Verbotskatalog des § 2 Abs. 2 LkSG nicht erfasst. Der gewillkürte Eingriff in das Leben eines anderen59 ist auch ein besonders schwerwiegender Eingriff und offensichtlich rechtswidrig. Er erfüllt alle Voraussetzungen eines menschenrechtlichen Verbots nach § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG. (2) Der Schutz von Art. 6 Abs. 1 ist allerdings nicht auf gewillkürte Eingriff in das Recht auf Leben beschränkt. Der UN-Menschenrechtsausschuss60 legt Art. 6 Abs. 1 des UN-Zivilpakts vielmehr weit aus: „It concerns the entitlement of individuals to be free from acts and omissions that are intended or may be expected to cause their unnatural or premature death, as well as to enjoy a life with dignity. … Deprivation of life involves intentional or otherwise foreseeable and preventable lifeterminating harm or injury, caused by an act or omission.“61 Für Staaten kann das zu weitreichenden Handlungspflichten in vielen Bereichen führen, angefangen von dem Schutz von Menschen, die ausgewiesen werden sollen, wenn sie in ihrer Heimat mit dem Tode bedroht sind, über die Regelung zur Sterbehilfe und den Schutz von Personen in vulnerablen Lebenslagen, die Prävention gegen Suizid im Strafvollzug bis hin zu staatliche Kontrolle über den Handel mit stehenden Personen ohne Unterschied zu gewährleisten. Dazu rechnet der Pakt insbesondere gesetzgeberische Maßnahmen, den Zugang zu Gerichten sowie die Einrichtung von wirksamen Beschwerde- und Abhilfemechanismen. Art. 2 regelt ausschließlich Umsetzungspflichten der Vertragsstaaten, aber keine eigene Rechtsposition. Art. 3 verpflichtet die Vertragsstaaten, die Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Ausübung aller in diesem Pakt festgelegten bürgerlichen und politischen Rechte sicherzustellen. Geschützte Rechtsposition ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die mit Blick auf Beschäftigungsverhältnisse vollständig durch das allgemeine Diskriminierungsverbot des § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG erfasst ist. Art. 4 gibt den Vertragsstaaten das Recht, in Fällen öffentlichen Notstandes in einem näher bestimmten Umfang bestimmte Rechte aus dem UN-Zivilpakt vorübergehend außer Kraft zu setzen. Als Ausnahmevorschrift regelt Art. 3 offensichtlich keine geschützte Rechtsposition. Art. 5 verbietet jede Maßnahme, die auf die Abschaffung oder im Pakt nicht zugelassene Einschränkung der in dem Pakt anerkannten Rechte und Freiheiten hinzielt. Die Vorschrift ist eine Auslegungs- und Anwendungsregel, bestimmt aber keine geschützte Rechtsposition. 59 Vgl. United Nations Human Rights Committee, General Comment No. 36 on Article 6: „Right to Life“, 3.9.2019, CCPR/C/GC/36, Ziff. 4: „Paragraph 1 of article 6 of the Covenant provides that no one shall be arbitrarily deprived of life and that this right shall be protected by law.“; vgl. auch Deutsches Institut für Menschenrechte, Das Recht auf Leben – Art. 6 des UN-Zivilpaktes, Oktober 2019, Seite 1. 60 Vgl. United Nations Human Rights Committee, General Comment No. 36 on Article 6: „Right to Life“, 3.9.2019, CCPR/C/GC/36, Ziff. 3. 61 Vgl. United Nations Human Rights Committee, General Comment No. 36 on Article 6: „Right to Life“, 3.9.2019, CCPR/C/GC/36, Ziff. 6.

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Begriffsbestimmungen | § 2

Kriegswaffen.62 Wie weit der Schutzumfang von Art. 6 Abs. 1 gegenüber Unternehmen reicht, ist bisher nicht geklärt. Bei Verletzung von Arbeitsschutzvorschriften findet § 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG (Verbot der Missachtung der nach dem Recht des Beschäftigungsortes geltenden Pflichten des Arbeitsschutzes) Anwendung. § 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG ist aber keine abschließende Regelung. Art. 6 Abs. 1 des UN-Zivilpakts bietet in einem Kernbereich eigenständigen, von den am Beschäftigungsort geltenden Arbeitsschutzvorschriften unabhängigen Schutz, nämlich wenn ein verantwortlich handelndes Unternehmen die Lebensgefahr für Arbeitnehmer oder Beschäftigte im konkreten Fall nicht mehr für vertretbar halten würde. Ein Beispiel ist, wenn nationale Arbeitsschutzvorschriften nicht existieren, der Abbau von Bodenschätzen aus unterirdischen Abbaustätten ohne jede fachgerechte Absicherung der am Abbau beteiligten Personen. Eine weitere mögliche Fallgruppe ist, wenn ein Unternehmen staatliche Maßnahmen zum Schutz von Eingriffen in das Leben unterläuft, etwa durch Umgehung von Waffenhandelsverboten. (3) Art. 6 Abs. 2 bis 6 treffen Regelungen, mit denen die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe reguliert wird. Eine geschützte Rechtsposition i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG sind sie nicht, sondern Vorgaben an die ausschließlich Staaten vorbehaltene Vollstreckung der Todesstrafe. d) Folterverbot Art. 7 bestimmt, dass niemand der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder 38 erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Niemand darf ohne freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden. Beide Verbote sind offensichtlich geschützte Rechtspositionen i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG.63 Sie sind auch nicht abschließend durch § 2 Abs. 2 Nr. 11 LkSG erfasst, der nur einen Sonderfall des Folterverbots regelt.64 Überschneidung wird es häufig mit dem Zwangs- und Pflichtarbeitsverbot nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG geben, ohne dass dem Zwangs- und Pflichtarbeitsverbot abschließender Charakter beizumessen wäre. Wenn eine Verletzung des Folterverbots und des Verbots, niemanden ohne freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen zu unterwerfen, in der Sphäre eines Unternehmens oder Zulieferers festgestellt wird, dürfte darin regelmäßig auch eine besonders schwerwiegende menschenrechtliche Beeinträchtigung zu sehen sein. 62 Vgl. weitere Beispiele in United Nations Human Rights Committee, General Comment No. 36 on Article 6: „Right to Life“, 3.9.2019, CCPR/C/GC/36, Ziff. 19 ff. 63 Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit sieht Verletzungen des Folterverbots als „violation“ an; s. Annex, Teil I, Ziff. 1, Nr. 3. 64 Nach § 2 Abs. 2 Nr. 11 LkSG ist es verboten, private oder öffentliche Sicherheitskräfte mit dem Schutz von unternehmerischen Projekten zu betrauen, wenn aufgrund mangelnder Unterweisung oder Kontrolle seitens des Unternehmens bei dem Einsatz der Sicherheitskräfte das Verbot von Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung missachtet wird.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen e) Verbot von Sklaverei, Sklavenhandel und Leibeigenschaft/Verbot von Zwangs- und Pflichtarbeit 39 Art. 8 ordnet ein striktes Verbot von Sklaverei, Sklavenhandel und Leibeigen-

schaft (Abs. 1 und 2), ferner das Verbot von Zwangs- und Pflichtarbeit (Abs. 3) an. Die Verbote sind inhaltlich vollständige durch die menschenrechtlichen Verbote in § 2 Abs. 2 Nr. 3 und 4 LkSG erfasst. f) Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit

40 (1) Art. 9 Abs. 1 des UN-Zivilpakts gewährleistet das Recht auf persönliche

Freiheit und Sicherheit. Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Niemandem darf die Freiheit entzogen werden, es sei denn aus gesetzlich bestimmten Gründen und unter Beachtung des im Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens. Der UN-Menschenrechtsausschuss definiert die persönliche Freiheit als den grundsätzlichen Anspruch auf Schutz vor Inhaftierung und anderen Formen des Freiheitsentzugs („confinement of the body“).65 Art. 9 Abs. 1 schützt nicht die allgemeine Handlungs-, sondern die Bewegungsfreiheit. Die persönliche Sicherheit ihrerseits umschreibt der Menschenrechtsausschuss als Recht auf physische und psychische Integrität.66 Die Beschränkung der persönlichen Freiheit und Sicherheit im Zusammenhang mit einem Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis wird häufig als Pflicht- oder Zwangsarbeit zu qualifizieren sein und ist dann durch das menschenrechtliche Verbot nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG untersagt. Das Verbot nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG deckt sich aber nicht vollständig mit dem Schutzbereich von Art. 9 Abs. 1 des UN-Zivilpakts, etwa wenn Unternehmen in das Recht auf persönliche Sicherheit und Freiheit von Menschen eingreifen, die nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zu dem Unternehmen stehen (etwa Demonstranten). Wenn und soweit das Zwangsarbeitsverbot nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG nicht eingreift, ist Art. 9 Abs. 1 des UN-Zivilpakts als geschützte Rechtsposition i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG anzusehen.67 Ob ein unzulässiger Eingriff in die persönliche Freiheit und Sicherheit vorliegt, ob er offensichtlich rechtswidrig und eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung gegeben ist, ist im Einzelfall zu klären. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung dürfte jedenfalls in Betracht kommen, wenn der Eingriff an eine Gefangenenlage oder eine Lagersituation heranreicht oder erhebliche Drohung oder Gewalt angewendet wird. (2) Art. 9 Abs. 2 bis 5 regeln die Rechte des Betroffenen bei Festnahme. Sie sind auf staatliche Festnahmen zugeschnitten. Soweit Unternehmen nach 65 Vgl. United Nations Human Rights Committee, General Comment Nr. 35 (2014), CCPR/C/GC/35, Ziff. 3. 66 Wie vor. 67 Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit sieht Verletzungen des Rechts auf persönliche Freiheit und Sicherheit als „violation“ an; s. Annex, Teil I, Ziff. 1, Nr. 4.

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dem anwendbaren Recht überhaupt Festnahmerechte zustehen, müssen sie die dafür nach dem Recht des Beschäftigungsorts vorgesehenen Schranken einhalten. Dazu können auch die Gewährleistungen nach Abs. 2 bis 5 gehören. Art. 9 Abs. 2 bis 5 regeln gleichwohl nicht eine eigene geschützte Rechtsposition, sondern nur die Voraussetzungen, unter denen das Recht auf persönliche Freiheit ausnahmsweise durch Staaten eingeschränkt werden darf. g) Gefangenenrechte Art. 10 und 11 des UN-Zivilpakts regeln Gefangenenrechte. Da Unternehmen 41 die Gefangennahme von Menschen von vornherein nicht erlaubt ist, sind die Gefangenenrechte nicht als geschützte Rechtsposition i.S.v. § 2 Abs. 2 LkSG anzusehen. Die geschützte Rechtsposition ist in diesen Fällen das Recht auf persönliche Freiheit, das in Art. 9 des UN-Rechtsakts geregelt ist. Art. 10 und 11 bestimmen nur, unter welchen Voraussetzungen Staaten ausnahmsweise das Recht auf persönliche Freiheit einschränken dürfen. h) Recht auf freie Bewegung innerhalb eines Staates Art. 12 gewährleistet das Recht, sich im Hoheitsgebiet eines Staates, in dem sich 42 die Person rechtmäßig aufhält, frei zu bewegen und den Wohnsitz frei zu wählen.68 Das schließt das Recht ein, jedes Land einschließlich des eigenen zu verlassen.69 Nur staatlichen Organen ist unter engen Voraussetzungen erlaubt, das Recht einzuschränken.70 Das Recht, in das eigene Land einzureisen, darf niemandem verwehrt werden.71 Der UN-Menschenrechtsausschuss72 erläutert, dass jede Person, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, in diesem Hoheitsgebiet das Recht genießt, sich frei zu bewegen und seinen Wohnsitz zu wählen. Bürger eines Staates befinden sich im Grundsatz immer rechtmäßig im Hoheitsgebiet dieses Staates. Die Frage ob sich ein Ausländer „rechtmäßig“ im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, bestimmt sich nach dem innerstaatlichen Recht, das die Einreise eines Ausländers in das Hoheitsgebiet eines Staates Einschränkungen unterwerfen kann, sofern diese mit den internationalen Verpflichtungen des Staates in Einklang stehen. Es gelten dieselben Überlegungen wie beim Schutz der persönliche Freiheit und 43 Sicherheit durch Art. 9.73 Das Recht aus Art. 9 ist eine geschützte Rechtsposition. In der Praxis gibt es allerdings nur wenige Fälle, in denen Art. 12 über das durch Art. 9 Abs. 1 UN-Zivilpakt geschützte Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit hinausgeht. Das Recht auf Einreise in das eigene Land dürfte im Kon68 69 70 71 72 73

Vgl. Art. 12 Abs. 1 des UN-Zivilpakts. Vgl. Art. 12 Abs. 2 des UN-Zivilpakts. Vgl. Art. 12 Abs. 3 des UN-Zivilpakts. Vgl. Art. 12 Abs. 4 des UN-Zivilpakts. Vgl. United Nations Human Rights Committee, CCPR General Comment Nr. 27, Ziff. 4. Vgl. Rz. 40.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen text von § 2 Abs. 1 LkSG kaum jemals relevant werden, da allein Staaten Kontrolle über Grenzen ausüben. Hauptanwendungsfall für die Beschränkung der Bewegungsfreiheit innerhalb eines Landes wird sein, wenn ein Unternehmen Personen unrechtmäßig am Betreten von frei zugänglichem Gelände hindert, etwa um eigenes rechtswidriges Verhalten zu verdecken. Keine Beeinträchtigung von Art. 12 liegt vor, wenn das Recht auf freie Bewegung auf dem Betriebsgelände eines Unternehmens beschränkt wird. Auf dem Betriebsgelände hat das Unternehmen Hausrecht. Es kann den Zutritt zu den verschiedenen Bereichen des Betriebsgeländes beschränken. Immer geschützt ist das Recht, das Betriebsgelände zu verlassen, wenn dem Unternehmen nicht ausnahmsweise gesetzliche und nach Art. 12 UN-Zivilpakt zulässige Festhalterechte zustehen. i) Rechtsschutz bei Abschiebung 44 Art. 13 garantiert Ausländern, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Ver-

tragsstaates aufhalten, Recht auf Rechtsschutz bei Abschiebung. Es handelt sich um ein Abwehrrecht gegen staatliche Entscheidungsträger. In der Staatenpraxis hat der Rechtsschutz gegen Abschiebung hohe Bedeutung.74 Unternehmen haben dagegen keine Abschieberechte. Wenn Unternehmen Maßnahmen ergreifen, die faktisch einer Abschiebung gleichkommen, also etwa Personen gegen ihren Willen aus dem Hoheitsgebiet eines Landes verbringen, ist darin ein Eingriff in das Recht auf persönliche Bewegungsfreiheit (Art. 9) zu sehen. Dieser Eingriff, nicht der durch Art. 13 gewährte Rechtsschutz gegen Abschiebung durch staatliche Entscheidungsträger steht im Vordergrund. Art. 13 ist daher ein allein gegen Staaten gerichtetes Recht, nicht aber eine geschützte Rechtsposition i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG. j) Justizgewährungsrechte

45 Art. 14 bis 16 regeln die grundlegenden Justizgewährungsrechte: Dazu gehört

insbesondere der Grundsatz, dass alle Menschen vor Gericht gleich sind.75 Jedermann hat Anspruch darauf, dass ein zuständiges, unabhängiges, unparteiisches und auf Gesetz beruhendes Gericht über eine gegen ihn erhobene strafrechtliche Anklage oder seine zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen in billiger Weise und öffentlich verhandelt.76 Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte hat Anspruch darauf, bis zum Nachweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten.77 Der Nachweis der Schuld muss Ergebnis des gesetzlichen

74 Vgl. nur Bericht über den Besuch des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe in Deutschland (CPT) vom August 2018, abrufbar unter https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/ fileadmin/Redaktion/PDF/DB_Menschenrechtsschutz/CPT/CPT_Besuch_Ad_hoc_DEU_ 2018.pdf. 75 Art. 14 Abs. 1 Satz 1. 76 Art. 14 Abs. 1 Satz 2. 77 Art. 14 Abs. 2.

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Verfahren vor Gerichten sein. Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder nach internationalem Recht nicht strafbar war.78 Die Justizgewährungsrechte richten sich ausschließlich gegen die Vertragsstaaten und sind von ihnen zu erfüllen.79 Sie sind keine geschützten Rechtspositionen i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG. k) Schutz von Privatleben, Familie, Wohnung und Schriftverkehr Art. 17 schützt jedermann vor willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in 46 das Privatleben, die Familie, die Wohnung und den Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen der Ehre und des Rufes (Abs. 1). Jedermann hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen (Abs. 2). Art. 17 Abs. 1 regelt eine geschützte Rechtsposition, die von Unternehmen zu respektieren80 und durch den Katalog der menschenrechtlichen Verbote in § 2 Abs. 2 LkSG nicht abgedeckt ist.81 Der in Art. 17 Abs. 2 geregelte Anspruch auf Rechtsschutz ist dagegen offensichtlich allein gegen die Vertragsstaaten gerichtet. Er kann nicht durch Unternehmen erfüllt werden. l) Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit Art. 18 schützt das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Das 47 Recht umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, ferner die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden.82 Niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde.83 Der Katalog der menschenrechtlichen Verbote in § 2 Abs. 2 LkSG befasst sich 48 mit dem Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nur in einer besonderen Ausprägung, nämlich dem Diskriminierungsverbot des § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG. Danach ist eine Ungleichbehandlung u.a. wegen politischer Meinung, Religion oder Weltanschauung verboten, sofern diese nicht in den Erfor78 Art. 15 Abs. 1 Satz 1. 79 Vgl. United Nations Human Rights Committee, General Comment Nr. 32 (2007), Ziff. 4: „Article 14 contains guarantees that States parties must respect, regardless of their legal traditions and their domestic law.“ 80 Vgl. United Nations Human Rights Committee, General Comment Nr. 16 (1988) (Right to Privacy), Rz. 1. 81 Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit sieht Verletzungen des Schutzes von Privatleben, Familie, Wohnung und Schriftverkehr als „violation“ an; s. Annex, Teil I, Ziff. 1 Nr. 5. 82 Vgl. Art. 18 Abs. 1 des UN-Zivilpakts. 83 Vgl. Art. 18 Abs. 2 des UN-Zivilpakts.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen dernissen der Beschäftigung begründet ist.84 § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG deckt damit einen Teilaspekt des durch Art. 18 geschützten Rechts ab, nämlich die Funktion von Art. 18 als Abwehrrecht. Jede nachteilige Maßnahme, die an das Recht der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit anknüpft, kann eine unzulässige Diskriminierung sein. Art. 18 des UN-Zivilpakts geht aber über den Diskriminierungsschutz hinaus und ist insoweit als eigenständige geschützte Rechtsposition zu beurteilen.85 Bei der Bestimmung des Schutzumfangs ist allerdings zu klären, in welchem Umfang das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit auf die Lebensbereiche außerhalb des Arbeitsverhältnisses, der Arbeitszeit und der Betriebsstätte verwiesen ist, und in welchem Umfang es in einem Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis Geltung beanspruchen kann. Richtigerweise ist wie beim Diskriminierungsverbot danach abzugrenzen, ob im Einzelfall eine die Gedanken-, Gewissens- oder Religionsfreiheit beeinträchtigende Anordnung des Unternehmens „in den Erfordernissen der Beschäftigung“ begründet ist. Solange das Unternehmen diskriminierungsfrei entscheidet, ist ihm ein weiter Beurteilungsspielraum einzuräumen, welche Maßnahmen in den Erfordernissen der Beschäftigung begründet sind.86 Besonders schwerwiegende Beeinträchtigungen, die offensichtlich rechtswidrig sind, sind allenfalls in Ausnahmefällen anzunehmen. m) Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit 49 Art. 19 schützt das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit.87 Das schließt

die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.88 Jede Einschränkung dieses Rechts durch staatliche Organe ist engen Grenzen unterworfen.89 Es stellen sich ähnliche Fragen wie beim Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Die Erwägungen zu Art. 18 gelten entsprechend. Art. 19 ist nicht von vorherein die Qualität einer geschützten Rechtsposition i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG absprechen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt zu klären, in welchen Fällen das Recht auf ungehinderte Meinungsfreiheit auch in einem Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis in Anspruch genommen werden 84 Vgl. zum Zusammenhang zwischen Ungleichbehandlung und Religionsfreiheit etwa EuGH (Große Kammer), Urt. v. 15.7.2021 – C-804/18, C-341/19 (IX/WABE eV und MH Müller Handels GmbH/MJ), NJW 2021, 2715, Rz. 45 ff. 85 Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit sieht Verletzungen des Rechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit als „violation“ an; s. Annex, Teil I, Ziff. 1 Nr. 6. 86 So auch EuGH (Große Kammer), Urt. v. 15.7.2021 – C-804/18, C-341/19 (IX/WABE eV und MH Müller Handels GmbH/MJ), NJW 2021, 2715, Rz. 45 ff. 87 Vgl. Art. 19 Abs. 1 des UN-Zivilpakts. 88 Vgl. Art. 19 Abs. 2 des UN-Zivilpakts. 89 Vgl. Art. 19 Abs. 3 des UN-Zivilpakts.

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kann, und wann der Arbeitnehmer bei Ausübung des Recht auf Meinungsfreiheit auf die Lebensbereiche außerhalb des Arbeitsverhältnisses, der Arbeitszeit und der Betriebsstätte verwiesen ist. Das ist nach denselben Grundsätzen zu bemessen wie bei der Gedanken-, Gewissens- oder Religionsfreiheit. n) Verbot von Kriegspropaganda und Hetze Art. 20 des UN-Zivilpakts gibt den Vertragsstaaten auf, durch Gesetz jede 50 Kriegspropaganda und jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird, zu verbieten. Es handelt sich um einen Gesetzgebungsauftrag an die Vertragsstaaten, der nur von diesen erfüllt werden kann. Gleichwohl steht hinter Art. 20 ein eigenständiges Verbot von Kriegspropaganda und von Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird, und damit eine geschützte Rechtsposition. Der Schutzumfang ist allerdings weitgehend ungeklärt. Das beginnt mit der Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen das Eintreten einer Person für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgerufen wird, einem Unternehmen zuzurechnen ist. Offen ist auch, ob das Unternehmen nur einschreiten muss, wenn ihm das Verhalten dieser Person zurechenbar ist, oder auch dann, wenn die Person Arbeitnehmer bedroht. Schwer vorstellbar ist schließlich, wie Kriegspropaganda Eingang in eine Lieferkette finden, wie also einem Produkt oder einer Dienstleistung der Makel der Kriegspropaganda anhaften kann. Wenn ein Unternehmen sich neutral verhält und sich darauf beschränkt, gegen Kriegspropaganda und Hetze Dritter nicht einschreiten, wird darin nach gegenwärtigem Erkenntnisstand in aller Regel jedenfalls kein offensichtlich rechtswidriges Verhalten zu sehen sein. Der Schutz gegen Hetze kann im Einzelfall aber eine nach Art. 7 des UN-Sozialpakts zu schützende Rechtsposition sein.90 o) Versammlungsrecht und Vereinigungsfreiheit Art. 21 erkennt das Recht an, sich friedlich zu versammeln, und regelt, unter 51 welchen Voraussetzungen Staaten in das Recht eingreifen dürfen. Art. 22 Abs. 1 gesteht jedermann das Recht zu, sich frei mit anderen zusammenzuschließen und zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten. Abs. 2 und 3 bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Staaten das Recht beschränken können. Wie schon oben zu den ILO-Übereinkommen Nr. 8791 und 9892 ausgeführt, ist die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit im Zusammenhang mit einem Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis in erster Linie in ihrer besonderen Ausprägung als Koalitionsfreiheit von Bedeutung. Anders als das Übereinkommen Nr. 87 sind aber Art. 21 und 22 UN-Zivilpakt 90 Vgl. unter Rz. 67. 91 Vgl. oben unter Rz. 29. 92 Vgl. oben unter Rz. 31.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen nicht auf Organisationen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern beschränkt, sondern regeln das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit allgemein. Eine eigenständige geschützte Rechtsposition kann etwa dann anzunehmen sein, wenn Sachverhalte außerhalb des arbeitsrechtlichen Zusammenhang betroffen sind, wenn etwa ein Unternehmen unter Einsatz von Gewalt eine rechtmäßige Demonstration gegen das Unternehmen außerhalb des Werksgeländes auflöst. p) Schutz der Familie/Recht auf Heirat und Gründung einer Familie 52 Mit Art. 23 Abs. 1 erkennen die Vertragsstaaten an, dass die Familie die natürli-

che Kernzelle der Gesellschaft ist und Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat hat. Dazu zählt auch das Recht auf Heirat und Gründung einer Familie und das Verbot der Zwangsheirat.93 Den Vertragsstaaten werden besondere Schutzpflichten auferlegt.94 Der Schutz- und Förderauftrag ist allein an die Vertragsstaaten gerichtet und nur von diesen zu erfüllen. Gleichwohl ist anzunehmen, dass es einen Kernbereich von Schutzrechten gibt, der auch von Unternehmen zu respektieren und als geschützte Rechtsposition anzusehen ist.

q) Kinderrechte 53 Art. 24 erkennt grundlegende Kinderrechte an. Kinder haben das Recht auf

Schutz durch Familie, Gesellschaft und Staat (Abs. 1), das Recht, unverzüglich nach der Geburt in ein Register eingetragen zu werden und einen Namen zu erhalten (Abs. 2) und das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben (Abs. 3). Es ist offensichtlich, dass dem Schutz von Kindern ein hoher Stellenwert beizumessen ist. Seine Bedeutung wird in der rechtlichen und rechtspolitischen Diskussion weiter zunehmen. Der deutsche Gesetzgeber hat dem dadurch Rechnung getragen, dass er die beiden menschenrechtlichen Verbote zum Schutz von Kindern, das Verbot der Kinderarbeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 LkSG) und das Verbot der schwersten Formen der Kinderarbeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG), an die ersten beiden Stellen des menschenrechtlichen Verbotskatalogs in § 2 Abs. 2 LkSG gesetzt hat.

54 Zu klären ist, ob die beiden grundlegenden Verbote als ein abschließender

Schutz von Kinderrechten anzusehen sind oder Art. 24 des UN-Zivilpakts weitergehende und hinreichend bestimmte Rechtspositionen regelt, die als geschützte Rechtsposition anzusehen sind. Das ist für die Rechte aus Art. 24 Abs. 2 und 3 des UN-Zivilpakts abzulehnen. Die Eintragung in ein Geburtsregister und das Recht auf eine Staatsangehörigkeit sind offensichtlich Rechte, die ihrem Wesen nach allein von den Vertragsstaaten erfüllt werden können. Das Recht auf einen Namen ist ebenfalls nicht von Unternehmen zu gewähren. Als 93 Vgl. Art. 23 Abs. 2 des UN-Zivilpakts. 94 Vgl. Art. 23 Abs. 3 des UN-Zivilpakts: gleiche Rechte und Pflichten bei der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe; Schutz der Kinder im Falle einer Auflösung der Ehe.

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geschützte Rechtsposition sind Art. 24 Abs. 2 und 3 nur anzusehen, wenn ein Unternehmen die Eintragung in ein Geburtsregister gezielt zu verhindern sucht oder Nutzen aus der unterlassenen Eintragung in ein Geburtenregister zieht. Die Eintragung in das Geburtsregister ist ein wesentliches Schutzinstrument, um dem Handel und der Versklavung von Kindern sowie ihrer Ausbeutung entgegenzuwirken. Als geschützte Rechtsposition kommt ferner das generelle Recht von Kindern 55 auf Schutzmaßnahmen durch Familie, Gesellschaft und Staat (Abs. 1) in Betracht. Der europäische Gesetzgeber hält den Gesichtspunkte des Kinderschutzes für so wichtig, dass er Kinderrechte neben dem Verbot der Kinderarbeit und dem Verbot der schwersten Formen der Kinderarbeit durch ein eigenes Kinderschutzgebot konkretisieren will.95 Aber auch ohne gesetzliche Konkretisierung sind Unternehmen zu Einschreiten verpflichtet, wenn es im eigenen Geschäftsbereich eines Unternehmens oder in der Lieferkette zu einem Verhalten kommt, das in den Kernbereich von Kinderrechten eingreift, also beispielsweise von einem Zulieferer Maßnahmen ausgehen, die Kinderhandel, Ausbeutung oder Vernachlässigung von Kindern oder Kindesmissbrauch fördern oder möglich machen. Wie weit die Pflichten reichen, was dem Kernbereich der Kinderrechte zuzurechnen ist, ist weiter aufzuklären. Maßstab ist das Verhalten, dass von einem verantwortungsvoll handelnden Unternehmen erwartet werden kann. Im Einzelfall ist zu klären, wann die Schwelle zu einer besonders schwerwiegenden und offensichtlich rechtswidrigen Beeinträchtigung anzunehmen ist. Bei einem Verhalten des Unternehmens, das etwa zu Kinderhandel beiträgt oder diesen fördert, wird das häufig anzunehmen sein. r) Wahlrecht Art. 25 schützte das Recht und die Möglichkeit, ohne Diskriminierung und 56 ohne unangemessene Einschränkungen (i) an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen, 95 Vgl. den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit Annex, Teil I, Ziff. 1, Nr. 9: „Violation of the right of the child to have his or her best interests given primary consideration in all decisions and actions that affect children in accordance with Article 3 of the Convention of the Rights of the Child; violation of the right of the child to develop to his or her full potential in accordance with Article 6 of the Convention of the Rights of the Child; violation of the right of the child to the highest attainable standard of health in accordance with Article 24 of the Convention on the Rights of the Child; violation of the right to social security and an adequate standard of living in accordance with Article 26 and 27 of the Convention on the Rights of the Child; violation of the right to education in accordance with Article 28 of the Convention on the Rights of the Child; violation of the right of the child to be protected from all forms of sexual exploitation and sexual abuse and to be protected from being abducted, sold or moved illegally to a different place in or outside their country for the purpose of exploitation, in accordance with Articles 34 and 35 of the Convention of the Rights of the Child; …“

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§ 2 | Begriffsbestimmungen (ii) bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleistet ist, zu wählen und gewählt zu werden, und (iii) unter allgemeinen Gesichtspunkten der Gleichheit zu öffentlichen Ämtern seines Landes Zugang zu haben. Auch das Wahlrecht gehört zu den wichtigen Bürgerrechten des UN-Zivilpakts. Es kann aber schlechterdings nicht von Unternehmen, sondern nur von Staaten eingeräumt werden. Als geschützte Rechtsposition nach § 2 Abs. 1 LkSG hat es nur eine Residualbedeutung. Die Pflichten von Unternehmen konzentrieren sich – wie oben dargestellt96 – darauf, das von einem Vertragsstaat gewährten Wahlrecht nicht in unlauterer Weise zu beeinträchtigen, also im Beispiel: nicht Maßnahmen zu ergreifen, die darauf zielen, Arbeitnehmern von der Ausübung des Wahlrechts abzuhalten.97 s) Gleichheitsgrundsatz 57 Art. 26 regelt den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz: Alle Menschen sind vor

dem Gesetz gleich und haben ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Der Schutz vor Diskriminierung ist für das Beschäftigungsverhältnis durch § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG vollständig gewährleistet. Art. 26 regelt daher keine über die menschenrechtlichen Verbote des § 2 Abs. 2 LkSG hinausgehende Rechtsposition.

t) Rechte von Minderheiten 58 Art. 27 verbietet, den Angehörigen ethnischer, religiöser oder sprachlicher Min-

derheiten das Recht vorzuenthalten, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen. Im Arbeitsund Beschäftigungsverhältnis beschränkt sich der Schutz im Wesentlichen auf den Schutz vor Diskriminierung, der bereits durch § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG als Verbot in das LkSG aufgenommen worden ist. Wie das allgemeine Diskriminierungsverbot müssen die Rechte aus Art. 27 jedenfalls da eine Grenze haben, wo dies durch die Erfordernisse der Beschäftigung begründet ist. Bei Wahrung der Neutralität gegenüber Angehörigen ethnischer, religiöser oder sprachlicher Minderheiten kann das Unternehmen Minderheiten bei der Wahrnehmung der Rechte aus Art. 27 im Regelfall auf die Lebensbereiche außerhalb des Arbeitsverhältnisses, der Arbeitszeit und der Betriebsstätte des Arbeitsgebers verweisen. Als geschützte Rechtsposition bleibt daher nur ein enger Anwendungsbereich, etwa wenn ein Unternehmen außerhalb des Arbeitsverhältnisses die Ausübung der Rechte nach Art. 27 rechtswidrig beeinträchtigt. Im Einzelfall ist zu beurteilen, ob Fälle denkbar sind, in denen eine besonders schwerwiegende und offensichtlich rechtswidrige Beeinträchtigung anzunehmen sein kann. 96 Vgl. Rz. 11. 97 Art. 25 des UN-Zivilpakts: „… unangemessene Einschränkungen …“

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u) Allgemeine Vorschriften Art. 28 bis 53 des UN-Zivilpakts regeln organisationsrechtliche Vorgaben 59 (Gründung und Tätigkeit des UN Ausschusses für Menschenrechte, Art. 28 bis 45), Auslegungsvorschriften (Art. 46 und 47) sowie technische Umsetzungsvorschriften (Ratifizierung und Sprache, Art. 48 bis 53). Sie regeln keine geschützte Rechtsposition i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG. v) Zusammenfassung Aus dem UN-Zivilpakt ergeben sich die folgenden geschützten Rechtspositio- 60 nen, die noch nicht durch den Verbotskatalog des § 2 Abs. 2 erfasst sind: – Selbstbestimmungsrecht der Völker (Art. 1 – Lebensrecht (Art. 6 Abs. 1) – Folterverbot (Art. 7) – Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit (Art. 9 Abs. 1) – Recht auf freie Bewegung innerhalb eines Staates (Art. 12) – Recht auf freie Bewegung (Art. 12) – Schutz von Privatleben, Familie, Wohnung und Schriftverkehr (Art. 17) – Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 18) – Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 19) – Verbot von Kriegspropaganda und Hetze (Art. 20) – Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 21 und 22) – Schutz der Familie (Art. 23) – Kinderrechte (Art. 24) – Schutz des Wahlrechts (Art. 25) – Rechte von Minderheiten (Art. 27) Mit der Erfassung als geschützte Rechtsposition ist noch nicht abschließend ge- 61 klärt, in welchem Rahmen die genannte Rechtsposition Schutz in einem Arbeitsoder Beschäftigungsverhältnis vermittelt. Rechtlich relevant ist eine Beeinträchtigung einer der vorgenannten geschützten Rechtspositionen zudem nur, wenn die Klärung zu dem Ergebnis führt, dass die eingetretene oder drohende Beeinträchtigung besonders schwerwiegend und offensichtlich rechtswidrig ist. 6. Geschützte Rechtspositionen des UN-Sozialpakts Die geschützten Rechtspositionen aus dem UN-Sozialpakt sind nicht sämtlich 62 durch die menschenrechtlichen Verbote in § 2 Abs. 2 LkSG abgedeckt. Da pflichtenauslösend nur ein Verhalten ist, das geeignet ist, eine geschützte Rechtsposition besonders schwerwiegend zu beeinträchtigten, und das offensichtlich rechtswidrig ist (Abs. 2 Nr. 12), ist für die Rechtsanwendung vor allem wichtig zu erGehling/Fischer

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§ 2 | Begriffsbestimmungen kennen, welche geschützten Rechtspositionen sich überhaupt aus dem UN-Sozialpakt ergeben. a) Selbstbestimmungsrecht der Völker 63 Art. 1 des UN-Sozialpakts regelt ebenso wie Art. 1 des UN-Zivilpakts das Selbst-

bestimmungsrecht der Völker. Es kann auf die Ausführungen oben verwiesen werden.98 b) Pflichten der Vertragsstaaten

64 Art. 2 bis 5 des UN-Sozialpakts regeln – inhaltlich weitgehend gleich mit Art. 2

bis 5 des UN-Zivilpakts – Umsetzungspflichten der Vertragsstaaten und damit keine geschützten Rechtspositionen.

c) Recht auf Arbeit 65 Mit Art. 6 Abs. 1 des UN-Sozialpakts erkennen die Vertragsstaaten das Recht

auf Arbeit an. Art. 6 begründet keinen Anspruch auf einen Arbeitsplatz, sondern regelt das Recht, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte Arbeit zu verdienen. Der Arbeitsmarkt muss jedem offenstehen.99 Den Vertragsstaaten erlegt Abs. 2 die Pflicht auf, fachliche und berufliche Beratung und Ausbildungsprogramme sowie die Programme zur stetigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung und einer produktiven Vollbeschäftigung unter Bedingungen auszulegen, welche die politischen und wirtschaftlichen Grundfreiheiten des einzelnen schützen.

66 Art. 6 Abs. 1 ist in erster Linie an Vertragsstaaten gerichtet, die das Recht auf

Arbeit durch staatliche Beschäftigungsförderung zu unterstützen haben und nur in den Grenzen von Art. 6 Abs. 1 des UN-Sozialpakts in das Recht des Einzelnen eingreifen dürfen, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Die in Art. 6 Abs. 1 bestimmten Förder- und Umsetzungspflichten sind nicht von Unternehmen zu erfüllen. Art. 6 Abs. 1 begründet auch keinen Beschäftigungsanspruch gegen die nach § 1 LkSG verpflichteten Unternehmen.100 Das in Abs. 1 bestimmte Recht, den Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen, ist im Verhältnis zu Unternehmen durch das Verbot der Zwangsarbeit in § 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG erfasst und daher keine eigene geschützte Rechtsposition. Die Umsetzungspflichten nach Abs. 2 sind nicht an Unternehmen, sondern an die Vertragsstaaten gerichtet. Nach Ansicht des United Nati98 Vgl. oben unter Rz. 34. 99 Vgl. United Nations Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General comment No. 18 (2005) on the Right to Work, E/C.12/GC/18, Rz. 12 (b). 100 Vgl. United Nations Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General comment No. 18 (2005) on the Right to Work, E/C.12/GC/18, Rz. 6: „The right to work should not be understood as an absolute and unconditional right to obtain employment.“

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ons Committee on Economic, Social and Cultural Rights schließt das Recht auf Arbeit allerdings auch den Anspruch auf angemessene Vergütung ein.101 Doch auch dieser Schutzgedanke ist bereits durch § 2 Abs. 2 Nr. 8 LkSG erfasst und daher keine gesonderte geschützte Rechtsposition. d) Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen Mit Art. 7 erkennen die Vertragsstaaten das Recht eines jeden auf gerechte und 67 günstige Arbeitsbedingungen an102 und konkretisiert es in vier Punkten. (1) Der erste Punkt betrifft das Arbeitsentgelt. Es muss angemessen sein. Der Arbeitgeber muss gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit gewähren, insbesondere Frauen keine ungünstigeren Arbeitsbedingungen als Männern einräumen und für gleiche Arbeit gleich entlohnen.103 Beide Aspekte sind durch § 2 Abs. 2 Nr. 8 LkSG (Verbot der Vorenthaltung eines angemessenen Lohns), und das Diskriminierungsverbot des § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG (Verbot der Ungleichbehandlung in Beschäftigung) erfasst und mithin keine eigenen geschützten Rechtspositionen i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG. Art. 7 sichert darüber hinaus das Recht auf einen angemessenen Lebensunterhalt für die Arbeitnehmer und ihre Familien (living wage). § 2 Abs. 2 Nr. 8 LkSG greift die Frage der living wage nicht ausdrücklich auf. Die Gesetzesbegründung104 erläutert aber, dass das Gebot, den Beschäftigten einen angemessenen Lohn zu zahlen, auch das Recht auf einen angemessenen Lebensunterhalt aus Art. 7 Buchstabe a Ziffer ii des UN-Sozialakts einschließt. Das Recht auf einen angemessenen Lebensunterhalt ist neben den gesetzlichen Mindestlohnvorschriften ein eigener Teilaspekt des Verbots, den angemessenen Lohn vorzuenthalten und durch § 2 Abs. 2 Nr. 8 LkSG erfasst. Eine eigene geschützte Rechtsposition i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG regelt das erste Regelbeispiel nicht. (2) Der zweite Punkt, mit dem Art. 7 das Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingung konkretisiert ist, das Recht auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen.105 Inhaltlich überschneidet sich der Anwendungsbereich 101 Vgl. United Nations Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General comment No. 18 (2005) on the Right to Work, E/C.12/GC/18, Rz. 7. 102 Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit sieht Verletzungen des Rechts auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen als „violation“ an; s. Annex, Teil I, Ziff. 1, Nr. 7. 103 Vgl. näher United Nations Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General comment No. 23 (2016) on the right to just and favourable conditions of work (article 7 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), E/C.12/GC/23, Rz. 7 ff., das die folgenden Aspekte hervorhebt: fair wages, equal remuneration, decent living wages. 104 Vgl. Begr. zum Regierungsentwurf eines LieferkettensorgfaltspflichtenG, BT-Drucks. 19/2864. S. 38. 105 Vgl. näher United Nations Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General comment No. 23 (2016), E/C.12/GC/23, Rz. 25 ff.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen von Art. 7 mit dem Verbot in § 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG (Verbot der Missachtung der nach dem Recht des Beschäftigungsortes geltenden Pflichten des Arbeitsschutzes). Das führt zu der Frage, ob das Verbot des § 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG eine abschließende Regelung ist oder Art. 7 des UN-Sozialpakts einen darüberhinausgehenden eigenen Anwendungsbereich hat, der unabhängig von den Arbeitsschutzvorschriften am Beschäftigungsort zu beachten ist. Letzteres ist anzunehmen. Das Recht auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen ist jedenfalls dann beeinträchtigt, wenn ein Herstellungsverfahren zu so erheblichen Gesundheitsgefahren oder Gesundheitsrisiken führt, dass ein verantwortungsvoll handelndes Unternehmen einschreiten würde, gleich ob nationale Arbeitsschutzvorschriften eingreifen. In diesem Kernbereich steht der Schutz aus Art. 7 des UN-Sozialpakts neben dem durch § 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG begründeten Verbot der Missachtung der nach dem Recht des Beschäftigungsortes geltenden Pflichten des Arbeitsschutzes, wird also nicht durch § 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG abschließend geregelt. (3) Der dritte Aspekt, der das Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingung prägt, ist die Gewährleistung gleicher Aufstiegschancen. Die Aufstiegschancen sind ausschließlich an der Beschäftigungsdauer und Befähigung zu messen. Für Vertragsstaaten führt dieser Aspekt von Art. 7 zu einem umfassenden Pflichtenprogramm. Im Verhältnis zu Unternehmen ist er ein Teilaspekt des Diskriminierungsverbots nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG und damit keine gesonderte geschützte Rechtsposition i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG. (4) Art. 7 des UN-Sozialpakts gewährleistet als vierten Punkt das Recht auf Arbeitspausen, Freizeit, eine angemessene Begrenzung der Arbeitszeit, regelmäßigen bezahlten Urlaub sowie Vergütung gesetzlicher Feiertage. Es gelten dieselben Grundsätze wird für den zweiten Aspekt. Das LkSG sieht die Rechte auf Arbeitspausen, Freizeit und eine angemessene Begrenzung der Arbeitszeit als einen Teilaspekt des Verbots der Missachtung der nach dem Recht des Beschäftigungsortes geltenden Pflichten des Arbeitsschutzes: Das Verbot ist bei Fehlen von Maßnahmen zur Verhinderung übermäßiger körperlicher und geistiger Ermüdung verletzt, insbesondere „durch eine ungeeignete Arbeitsorganisation in Bezug auf Arbeitszelten und Ruhepausen“.106 Aber auch wenn entsprechende Arbeitsschutzvorschriften am Beschäftigungsort fehlen, ist Art. 7 jedenfalls beeinträchtigt, wenn die Arbeitszeiten so ausgedehnt sind und das Fehlen von Pausen zu so erheblichen Gesundheitsgefahren oder Gesundheitsrisiken führt, dass ein verantwortungsvoll handelndes Unternehmen einschreiten würde, gleich ob nationale Arbeitsschutzvorschriften eingreifen. (5) Neben den vier ausdrücklich genannten Aspekten umfasst der Schutz des Art. 7 ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung allenfalls einen engen Kernbereich an Schutzrechten, etwa den Schutz gegen sexuelle Belästigung107 106 Vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 5 lit. (c) LkSG. 107 Vgl. näher United Nations Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General comment No. 23 (2016), E/C.12/GC/23, Rz. 48 f.

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oder Hetze.108 Für diesen überschießenden Anwendungsbereich ist Art. 7 zugleich als geschützte Rechtsposition anzusehen. e) Bildung von und Beitritt zu Gewerkschaften Mit Art. 8 gewährleisten die Vertragsstaaten das Recht auf Bildung und Beitritt 68 zu Gewerkschaften, ferner die grundlegenden Rechte von Gewerkschaften und die Ausübung des Streikrechts in Übereinstimmung mit innerstaatlichem Recht. Inhaltlich geht der Schutz nicht über die ILO-Abkommen Nr. 87 und Nr. 98 hinaus und ist wie die durch die beiden ILO-Abkommen geschützten Rechtspositionen durch das menschenrechtliche Verbot in § 2 Abs. 2 Nr. 6 (Verbot der Missachtung der Koalitionsfreiheit) abgedeckt. f) Recht auf soziale Sicherheit Die Vertragsstaaten erkennen mit Art. 9 des UN-Sozialpakts das Recht eines je- 69 den auf soziale Sicherheit an. Dies schließt die Sozialversicherung ein. Das Recht auf soziale Sicherheit ist ein Schutzgut des UN-Sozialpakts, das wie das allgemeine Wahlrecht im hohen Masse durch staatliche Gewährung und Umsetzungspflichten geprägt ist.109 Gleichwohl ist das Recht auf soziale Sicherheit als geschützte Rechtsposition an- 70 zusehen. Allerdings bedarf es weiterer Klärung, welche Rechte aus Art. 9 des UNSozialpakts für Unternehmen abzuleiten sind. Wesentliche Aspekte sind bereits durch § 2 Abs. 2 Nr. 8 LkSG (Verbot der Vorenthaltung eines angemessenen Lohns) abgedeckt. Wenn es am Beschäftigungsort Zugang zu öffentlichen oder privaten Institutionen zur Sicherung der Grundlagen der sozialen Sicherheit gibt, reicht der Schutz von Art. 9 ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung nicht über § 2 Abs. 2 Nr. 8 LkSG hinaus. Neben § 2 Abs. 2 Nr. 8 LkSG ist allenfalls die Pflicht anzuerkennen, gesetzliche Sozialversicherungspflichten auch tatsächlich zu erfüllen. Wenn es am Beschäftigungsort keinen Zugang zu öffentlichen oder privaten Institutionen zur Sicherung der Grundlagen der sozialen Sicherheit gibt, bedarf es weiterer Klärung im Einzelfall. Eine auf Dauer angelegte Beschäftigung ohne jede Möglichkeit, gegebenenfalls auch durch private Vorsorge Sozialversicherungsschutz zu erlangen, ist mit Art. 9 des UN-Sozialpakts nicht vereinbar. g) Familie als die natürliche Kernzelle der Gesellschaft Mit Art. 10 erkennen die Vertragsstaaten die Familie als natürliche Kernzelle 71 der Gesellschaft an. Sie genießt insbesondere bei Gründung und während der 108 Vgl. dazu auch Art. 20 des UN-Zivilpakts. 109 So auch United Nations Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General comment No. 19 (2008), E/C.12/GC/12, Rz. 10: „The system should be established under domestic law, and public authorities must take responsibility for the effective administration or supervision of the system.“

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§ 2 | Begriffsbestimmungen Dauer der Betreuung und Erziehung von unterhaltsberechtigten Kinder Schutz. Drei Aspekte hebt Art. 10 hervor: – Schutz vor Zwangsehe. Eine Ehe darf nur im freien Einverständnis der künftigen Ehegatten geschlossen werden. – Mutterschutz. Mütter genießen während einer angemessenen Zeit vor und nach der Niederkunft besonderen Schutz. Während dieser Zeit sollen berufstätige Mütter bezahlten Urlaub oder Urlaub mit angemessenen Leistungen aus Systemen der sozialen Sicherheit erhalten. – Schutz von Kindern und Jugendlichen. Die Vertragsstaaten haben schließlich Maßnahmen zum Schutz und Beistand für alle Kinder und Jugendlichen zu ergreifen. Kinder und Jugendliche sollen vor wirtschaftlicher und sozialer Ausbeutung geschützt werden. Ihre Beschäftigung mit Arbeiten, die ihrer Moral oder Gesundheit schaden, ihr Leben gefährden oder voraussichtlich ihre normale Entwicklung behindern, soll gesetzlich strafbar sein. Die Staaten sollen ferner Altersgrenzen festsetzen, unterhalb derer die entgeltliche Beschäftigung von Kindern gesetzlich verboten und strafbar ist. 72 Das Verbot der Zwangsehe ist kein Verbot, das sich an Unternehmen richtet,

da Unternehmen weder nach staatlichen noch nach religiösen Vorschriften die Stellen sind, die Ehen schließen oder auch nur Einfluss auf Eheschließungen haben. Es handelt sich um einen staatlichen Schutzauftrag. Als geschützte Rechtsposition i.S.v. § 2 Abs. 1 LkSG kann Art. 10 des UN-Sozialpakts nur in Ausnahmefällen in Stellung gebracht werden, etwa wenn sich ein Unternehmen an dem Zustandekommen von Zwangsehen beteiligt.

73 Auch der durch Art. 10 gewährte Mutterschutz ist eine geschützte Rechtspositi-

on, die allerdings eine Sonderstellung hat. Wenn der Vertragsstaat seiner Pflicht zur Einrichtung eines angemessenen Mutterschutzes nachgekommen ist, erschöpft sich die Pflicht von Unternehmen regelmäßig darin, die am Beschäftigungsort geltenden Regeln anzuwenden.110 Nicht klar ist die Rechtslage in Ländern, in denen ein gesetzlicher Mutterschutz nicht besteht, wie dies etwa in der Mehrzahl der U.S.-Bundesstaaten der Fall ist. Art. 10 trifft keine Regelung, was der gebotene Mindestschutz von Müttern vor oder nach der Geburt ist. Ein Rückgriff auf das ILO-Übereinkommen Nr. 183111, das einen Mindestschutz beschreibt,112 ist problematisch, weil das ILO-Übereinkommen Nr. 183 nicht zu den ILO-Übereinkommen gehört, die in Anlage zu § 2 Abs. 1 LkSG genannt sind. Eine Auslegung des UN-Sozialpakts anhand von ILO-Übereinkommen ist zudem methodisch angreifbar. Richtigerweise ist zu differenzieren, wie zum Recht auf soziale Sicherheit nach Art. 9 beschrieben:113 Hinter dem U.S.-ame-

110 In diese Richtung auch United Nations Committee on Economic, Sozial and Cultural Rights, General Comment Nr. 19 (2007) „The right to social security (Art. 9)“, E/C.12/ GC/19, Ziff. 45. 111 Vgl. ILO Übereinkommen Nr. 183 vom 15.6.2000 über den Mutterschutz. 112 Dafür United Nations Committee on Economic, Sozial and Cultural Rights, General Comment Nr. 19 (2007) „The right to social security (Art. 9)“, E/C.12/GC/19, Ziff. 19. 113 Vgl. dazu Rz. 68.

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rikanischen Recht steht die Vorstellung, dass jeder Einzelne Verantwortung trägt, für besondere Situationen in seinem Leben Vorsorge zu tragen. Wenn es am Beschäftigungsort Zugang zu öffentlichen oder privaten Institutionen zur materiellen Sicherung des Mutterschutzes gibt, wird der Schutz von Art. 10 ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung wesentlich durch die Gewährung des angemessenen Lohns, also durch § 2 Abs. 2 Nr. 8 LkSG gewährleistet. Der Schutz nach Art. 10 greift erst dann ein, wenn die Freistellung von der Arbeit während einer angemessenen Zeit vor und nach der Niederkunft nicht gewährt und eine Weiterbeschäftigung nach Beendigung des Mutterschutzes verweigert wird. Weiter reicht der Schutz nach Art. 10 nur, wenn es am Beschäftigungsort keinen Zugang zu öffentlichen oder privaten Institutionen zur Sicherung der materiellen Grundlagen des Mutterschutzes gibt. Der Kinder- und Jugendschutz ist durch die menschenrechtlichen Verbote in 74 § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LkSG weit ausgeformt. Ob und in welchem Umfang daneben ohne ausdrücklichen gesetzliche Regelung Raum für zusätzliche Sorgfaltspflichten verbleibt, ist weiter aufzuklären. Wie schon näher zu Art. 24 des UNZivilpakts erläutert,114 ist der in Art. 10 des UN-Sozialpakts verankerte Kinderund Jugendschutz gleichwohl nicht von vornherein als geschützte Rechtsposition auszuschließen. h) Recht auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie Art. 11 Abs. 1 des UN-Sozialpakts erkennt das Recht jedes Menschen auf einen 75 angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen. Art. 11 Abs. 2 regelt das grundlegende Recht eines jeden, vor Hunger geschützt zu werden. Den Vertragsstaaten wird die Pflicht auferlegt, die geeigneten Schritte zum Schutz dieser Rechte zu ergreifen. Sie sind verpflichtet, einzeln und im Wege internationaler Zusammenarbeit Programme aufzulegen, um die Methoden zur Erzeugung, Haltbarmachung und Verteilung von Nahrungsmitteln zu verbessern, dabei technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse zu nutzen, ernährungswissenschaftliche Grundsätze zu verbreiten, und durch Entwicklung oder Reform landwirtschaftlicher Systeme eine möglichst wirksame Erschließung und Nutzung der natürlichen Hilfsquellen anzustreben. Die Vertragsstaaten werden weiter aufgefordert, durch Sonderprogramme zu einer dem Bedarf entsprechenden gerechten Verteilung der Nahrungsmittelvorräte beizutragen. Art. 11 des UN-Zivilpakts bereitet besondere Schwierigkeiten bei der Klärung, 76 in welchem Umfang die geregelten Pflichten allein den Vertragsstaaten auferlegt und von ihnen zu erfüllen sind und was der auch von Unternehmen zu beachtende Schutzbereich ist. Es ist offensichtlich, dass es in erster Linie die Pflicht 114 Vgl. dazu Rz. 51.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen der Vertragsstaaten ist, die Rechte der Menschen nach Art. 11 in seinem Hoheitsgebiet zu gewährleisten. Der Verantwortungsbereich von Unternehmen muss notwendig auf solche Sachverhalte beschränkt sein, die einen ausreichenden Bezug zu den bestehenden Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnissen bzw. zur Geschäftstätigkeit des Unternehmens oder eines Zulieferers haben. Die wohl wichtigste geschützte Rechtsposition, die aus Art. 11 abgeleitet werden kann, ist das Verbot der Vorenthaltung eines angemessenen Lohns, die allerdings bereits in § 2 Abs. 2 Nr. 8 LkSG geregelt ist und nicht mehr als eigene geschützte Rechtsposition erfasst werden muss. Zahlt das Unternehmen angemessenen Lohn, kann es im Regelfall nicht Aufgabe des Unternehmens, Sorge für Unterkunft, Nahrung und Bekleidung außerhalb des Arbeitsverhältnisse Sorge zu tragen.115 Die europäische Kommission leitet in ihrem Vorschlag einer Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen116 aus Art. 11 das Gebot ab, angemessene Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, wenn die Belegschaft auf dem Betriebsgelände oder in Unterkünften des Unternehmens untergebracht ist, ferner die Pflicht, am Arbeitsplatz angemessenen Zugang zu Verpflegung, Kleidung, Wasser und sanitären Einrichtungen sicherzustellen. Dem ist zuzustimmen. In diesem über die Zahlung des angemessenen Lohns hinausgehenden Kernbereich ist Art. 11 des UN-Zivilpakts eine geschützte Rechtsposition. i) Recht auf körperliche und geistige Gesundheit 77 Mit Art. 12 erkennen die Vertragsstaaten das Recht eines jeden auf das für ihn

erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an. Den Vertragsstaaten zu wird aufgegeben: – die Zahl der Totgeburten und die Kindersterblichkeit zu senken und die gesunde Entwicklung von Kindern zu fördern; – Umwelt- und der Arbeitshygiene zu verbessern; – geeignete Schritte zur Vorbeugung, Behandlung und Bekämpfung epidemischer, endemischer, Berufs- und sonstiger Krankheiten zu leisten; – die Voraussetzungen zu schaffen, die für jedermann im Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherstellen.

78 Art. 12 ist in weiten Teile durch Umsetzungs-, Schutz- und Förderpflichten der

Staaten geprägt, etwa zur Senkung der Kindersterblichkeit und zur Schaffung von medizinischen Einrichtungen und ärztlicher Betreuung für jedermann.117 Gleichwohl ist das Recht auf körperliche und geistige Gesundheit auch eine ge-

115 Das kann anders zu beurteilen sein, wenn die Arbeitsstätte so abgelegen ist, dass den Beschäftigten eine eigenständige Versorgung nicht möglich ist. 116 Vgl. den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Annex, Teil I, Ziff. 1, Nr. 8. 117 Das belegen auch die Erläuterungen in United Nations Committee on Economic, Sozial and Cultural Rights, General Comment Nr. 22 (2017) on the right to sexual and reproductive health, E/C.12/GC/22, Ziff. 12: „An adequate number of functioning health-

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schützte Rechtsposition. Bei der inhaltlichen Konkretisierung sind insbesondere zwei Aspekte zu berücksichtigen: (1) Der Schutz von Art. 12 findet im Verhältnis zu Unternehmen nur Anwendung, wenn ein genügender Bezug zur Tätigkeit des Unternehmens oder seiner Zulieferer besteht. Die Senkung der Kindesterblichkeit kann als Sorgfaltspflicht für Unternehmen nur Bedeutung erlangen, wenn von dem Unternehmen oder einem Zulieferer die Gefahr einer Erhöhung der Kindersterblichkeit ausgeht. Ein Beispiel: Wenn beim Anbau von landwirtschaftlichen Produkten Pestizide eingesetzt werden, die die Fähigkeit von Männern oder Frauen beeinträchtigen, Kinder zu bekommen, oder zu Fehlgeburten führen, kann Art. 12 betroffen sein. Davon losgelöste Programme zur Senkung der Kindersterblichkeit gehören dagegen ausschließlich zu den Schutz-, Förder- und Umsetzungspflichten der Staaten. (2) Darüber hinaus ist zu klären, in welchem Umfang Art. 12 einen eigenen unantastbaren Schutzbereich hat, in den unabhängig von der Rechtslage am Beschäftigungsort nicht eingegriffen werden darf. In dem vorgenannten Beispiel: Ist das Recht aus Art. 12 des UN-Sozialpakts auch dann betroffen, wenn die Verwendung des Pestizids am Beschäftigungsort zulässig und die Verwendung von Schutzkleidung nicht zwingend vorgeschrieben ist? Ist Art. 12 auch dann betroffen, wenn das Pestizid nur im Verdacht steht, Fehlgeburten zu fördern, ohne dass dies gesichert wäre? Beides ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Recht auf körperliche und geistige Gesundheit besonders schwerwiegend beeinträchtigt wird und der Eingriff in das durch Art. 12 geschützte Recht offensichtlich ist, wenn also im Beispiel kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass das Pestizid bei den an der Ernte beteiligten beschäftigten Frauen zu Fehlgeburten führt oder die Anhaltspunkte dafür so klar sind, dass ein verantwortungsvoll handelndes Unternehmen einschreiten würde. In diesem Kernbereich steht der Schutz aus Art. 12 des UN-Sozialpakts auch neben dem durch § 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG begründeten Verbot der Missachtung der nach dem Recht des Beschäftigungsortes geltenden Pflichten des Arbeitsschutzes, wird also nicht durch § 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG abschließend geregelt. j) Recht auf Bildung/Grundschulpflicht Mit Art. 13 erkennen die Vertragsstaaten das Recht eines jeden auf Bildung an. 79 Art. 13 stellt klar, wie der Zugang zu Grundschulunterricht, zu den verschiedenen Formen des höheren Schulwesens und zum Hochschulunterricht gewährleistet werden muss. Die Vertragsstaaten verpflichten sich ferner, die Freiheit der Eltern zu achten, für ihre Kinder andere als öffentliche Schulen zu wählen, wenn diese bestimmten Anforderungen genügen. Art. 14 gibt den Vertragsstaaten schließlich auf, eine unentgeltliche Grundschulpflicht einzuführen. care facilities, services, goods and programmes should be available to provide the population with the fullest possible range of sexual and reproductive health care.“

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§ 2 | Begriffsbestimmungen 80 Die Bestimmungen sind allein an die Vertragsstaaten adressiert und regeln aus-

schließlich staatliche Umsetzungspflichten.118 Eine geschützte Rechtsposition i.S.d. § 2 Abs. 1 LkSG regeln sie nur insoweit, als Unternehmen die staatlichen Bildungs- und Schulregeln nicht unterlaufen dürfen. k) Recht auf kulturelle Teilhabe

81 Mit Art. 15 erkennen die Vertragsstaaten das Recht eines jeden an, (i) am kul-

turellen Leben teilzunehmen, (ii) an den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung teilzuhaben und (iii) den Schutz der geistigen und materiellen Interessen zu genießen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen. Den Vertragsstaaten wird aufgegeben, die zur Erhaltung, Entwicklung und Verbreitung von Wissenschaft und Kultur erforderlichen Maßnahmen zu unternehmen.

82 Das Recht auf kulturelle Teilhabe ist ausschließlich von den Vertragsstaaten zu

gewährleisten.119 Die Aufgabe von Unternehmen kann es allein sein, das geltende Recht zu respektieren, also etwa Urheberschutzrechte zu achten. Jenseits dieses Sonderfalls ist es in seiner Art nicht an Unternehmen adressiert. Es ist auch kein Kernbereich des Rechts aus Art. 15 des UN-Sozialpakts anzuerkennen, der in jedem Fall und ohne nationale Schutzvorschriften zu achten wäre. Die Rechte aus Art. 15 des UN-Sozialpakts unterscheiden sich von den klassischen Menschenrechten dadurch, dass sie nicht unverzichtbar und unveräußerlich mit Menschen verbunden sind und staatlicher Gestaltung unterliegen.120 l) Allgemeine Vorschriften

83 Art. 16 bis 31 des UN-Sozialpakts regeln allgemeine Vorschriften, insbesondere

zur Berichterstattung der Vertragsstaaten über die Umsetzung der Vertragspflichten, zur Auslegung des Pakts und zu seiner Ratifizierung. Sie regeln keine geschützte Rechtsposition. 118 So wohl auch United Nations Committee on Economic, Sozial and Cultural Rights, General Comment Nr. 11 (1999), E/C.12/1999/4, Rz. 1 f. 119 So auch United Nations Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General comment No. 21 (2009), E/C.12/GC/21, Rz. 6: „The right to take part in cultural life can be characterized as a freedom. In order for this right to be ensured, it requires from the State party both abstention (i.e., non-interference with the exercise of cultural practices and with access to cultural goods and services) and positive action (ensuring preconditions for participation, facilitation and promotion of cultural life, and access to and preservation of cultural goods).“ 120 Vgl. auch United Nations Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General comment No. 17 (2006), E/C.12/GC/17, Rz. 1: „… whereas intellectual property rights are first and foremost means by which States seek to provide incentives for inventiveness and creativity, encourage the dissemination of creative and innovative productions, as well as the development of cultural identities, and preserve the integrity of scientific, literary and artistic productions for the benefit of society as a whole.“

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Begriffsbestimmungen | § 2

m) Zusammenfassung Aus dem UN-Sozialpakt ergeben sich die folgenden geschützten Rechtspositio- 84 nen, die noch nicht durch den Verbotskatalog des § 2 Abs. 2 erfasst sind: Aus dem UN-Zivilpakt ergeben sich die folgenden geschützten Rechtspositio- 85 nen, die noch nicht durch den Verbotskatalog des § 2 Abs. 2 erfasst sind: – Selbstbestimmungsrecht der Völker (Art. 1) – Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen (Art. 7) – Recht auf soziale Sicherheit (Art. 9) – Schutz der Familie (Art. 10) – Recht auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie (Art. 11) – Recht auf Recht auf körperliche und geistige Gesundheit (Art. 12) – Recht auf Bildung/Grundschulpflicht (Art. 13 und 14) Wie oben schon dargelegt, ist mit der Erfassung als geschützte Rechtsposition 86 noch nicht geklärt, in welchem Rahmen die genannte Rechtsposition Schutz in einem Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis im Einzelfall vermittelt. 7. Sorgfaltspflichten in Bezug auf geschützte Rechtspositionen Das LkSG hat für geschützte Rechtspositionen kein eigenes Pflichtenprogramm 87 geschaffen. Die geschützten Rechtspositionen sind nur unter den einschränkenden Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG einzubeziehen: Erst wenn ein Tun oder pflichtwidriges Unterlassen geeignet ist, eine geschützte Rechtsposition besonders schwerwiegend zu beeinträchtigen, und Rechtswidrigkeit offensichtlich ist, greift das Pflichtenprogramm der §§ 3 ff. LkSG. Selbst im eigenen Geschäftsbereich müssen Unternehmen geschützte Rechtspositionen nicht uneingeschränkt beachten. Das ist der Kompromiss, den der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Vielzahl der geschützten Rechtspositionen und der geringen Bestimmtheit der Bestimmungen in den UN-Menschenrechtspakten gemacht hat. a) Eignung zu besonders schwerwiegender Beeinträchtigung Das Gesetz definiert den Begriff der besonders schwerwiegenden Beeinträchti- 88 gung nicht. Bei einer am Wortsinn orientierten Auslegung ist eine Beeinträchtigung als besonders schwerwiegend anzusehen, wenn sich die Beeinträchtigung so klar in Widerspruch zu den menschenrechtlichen Vorstellungen der in der Anlage zu § 2 Abs. 1 genannten Übereinkommen setzt, dass der Eingriff und die von ihm ausgehende Beeinträchtigung schlechterdings unerträglich wären.121 121 Vgl. zum schwerwiegenden Fehler nach § 44 VwVfG nur BVerwG, Urt. v. 17.10.1997 – 8 C 1/96, NVwZ 1998, 1061, 1062; Schemmer in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK/ VwVfG, 54. Edition, Stand: 1.1.2022, § 44 Rz. 12.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen Beurteilungskriterien sind der Stellenwert der geschützten Rechtsposition, die Intensität der Beeinträchtigung, die fehlende Reversibilität der Beeinträchtigung, die Anzahl der betroffenen Personen.122 Die Beeinträchtigung muss nicht eingetreten sein, die objektive Eignung des Verhaltens, eine solche Beeinträchtigung herbeizuführen reicht aus. Das würde freilich auch ohne die Klarstellung im Gesetz gelten, weil das Pflichtenprogramm des LkSG nicht erst bei einer Verbotsverletzung, sondern schon bei Bestehen eines menschenrechtlichen Risikos einsetzt.123 b) Offensichtliche Rechtswidrigkeit 89 Offensichtlich rechtswidrig ist die Beeinträchtigung, wenn sie ins Auge

springt124 und ein objektiver Beobachter sie auch ohne vertiefte Prüfung feststellen kann.125 Der Begriff hat zwei Komponenten: eine tatsächliche Komponente und eine rechtliche Komponente.126 In tatsächlicher Hinsicht setzt sie ein erhöhtes Maß an Sachverhaltskenntnis voraus: Offensichtlich rechtswidrig kann eine Verhalten nur sein, wenn einem objektiven Beobachter in der Lage des verpflichteten Unternehmens möglich ist, den Sachverhalt ohne weitere Nachforschung zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist auf die Kenntnis der Personen abzustellen, deren Wissen dem Unternehmen nach § 30 Abs. 1 OWiG zuzurechnen ist.127 Aus rechtlicher Sicht ist die Rechtswidrigkeit offensichtlich, wenn die Rechtslage aus Sicht eines objektiven Betrachters eindeutig und eine andere Beurteilung daher unvertretbar ist. c) Auswirkungen der Verbotsanforderungen auf das Pflichtenprogramm nach § 3 ff.

90 Das Erfordernis der Eignung zur besonders schwerwiegenden Beeinträchtigung

und der offensichtlichen Rechtswidrigkeit führt zu einer Verminderung der Pflichten nach §§ 3 ff. LkSG. Das verpflichtete Unternehmen kann sich inhaltlich auf die besonders schwerwiegenden Beeinträchtigungen beschränken und muss sich um Detailfragen der geschützten Rechtspositionen nicht kümmern. Es hat auch keine Aufklärungspflichten, sondern muss nur bei offensichtlich

122 Vgl. Hembach, Praxisleitfaden LkSG, 2022, S. 108. 123 Zum Begriff des menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risikos oben Rz. 91 ff. 124 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.1.1988 – 1 BvR 1548/82, NStZ 1988, 412, 413 zum Begriff der offensichtlich schwer jugendgefährdenden Schriften. 125 Vgl. zur offensichtlichen Rechtswidrigkeit von Netzinhalten nach § 3 Nr. 2 NetzDG nur Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, BT-Drucks. 18/12356, 22. 126 Vgl. zu § 44 VwVfG nur Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 44 Rz. 123. 127 Vgl. zur Parallelfrage bei § 10 Abs. 3 Nr. 3 GWG und § 43 GWG nur Gehling/Lüneborg, Pflichten des Güterhändlers nach dem Geldwäschegesetz, NZG 2020, 1164, 1167 ff.

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rechtswidrigem Verhalten einschreiten. Für die Risikoanalyse nach § 5 LkSG bedeutet das etwa, dass das Unternehmen nur aufklären muss, ob die Personen, deren Wissen dem Unternehmen nach § 30 Abs. 1 OWiG zugerechnet wird, Kenntnis von einer besonders schwerwiegenden und offensichtlich rechtswidrigen Beeinträchtigung haben. Wenn das der Fall ist, aber auch erst dann, muss weitere Aufklärung vorgenommen und entschieden werden, ob und welche Präventiv- und/oder Abhilfemaßnahmen geboten sind. Im Gesetz ist nicht das Verhältnis zwischen offensichtlicher Rechtswidrigkeit, 91 die Voraussetzung für das Verbot des § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG ist, und substantiierter Kenntnis geregelt, die Voraussetzung für Sorgfaltspflichten auch im Verantwortungsbereich von mittelbaren Zulieferern ist. Richtigerweise ist anzunehmen, dass es für die Beurteilung der Beeinträchtigung der geschützten Rechtsposition und der Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung allein auf den Maßstab von § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG („besonders schwerwiegend“ und „offensichtlich rechtswidrig“) ankommt, während für die anderen Elemente, die zur Begründung einer Sorgfaltspflicht im Verhältnis zu einem mittelbaren Zulieferer erforderlich sind, insbesondere die Zugehörigkeit des (mittelbaren) Zulieferers zu Lieferkette des verpflichteten Unternehmens, schon eine substantiierte Kenntnis ausreichend ist.

III. Menschenrechtliches und umweltbezogenes Risiko Abs. 2 und 3 führt den Begriff des menschenrechtlichen und umweltbezogenen 92 Risikos ein. Es versteht darunter einen Zustand, bei dem aufgrund tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen die in Abs. 2 bzw. Abs. 3 genannten Verbote droht. Menschenrechtliches und eine umweltbezogenes Risiken sind im Rahmen der Risikoanalyse zu ermitteln. Ihnen ist durch angemessene Prävention entgegenzuwirken. Die UN Guiding Principles on Business and Human Rights kennen den Begriff des menschenrechtlichen Risikos nicht, sondern sehen Unternehmen in der Pflicht, wenn die Geschäftstätigkeit „negative menschenrechtliche Auswirkungen“ hat.128 Dieser Begriff ist bei richtigem Verständnis inhaltlich mit dem Begriff des menschenrechtlichen Risikos vergleichbar. 1. Verwendung der Definition im Gesetz Der Begriff des Risikos ist der Oberbegriff für menschenrechtliche oder umwelt- 93 bezogene Risiken. Der Begriff des menschenrechtlichen Risikos ist für alle Vorschriften relevant, die nicht an eine Verletzung eines menschenrechtlichen Verbots, sondern schon an das Risiko einer Verletzung anknüpfen. Unmittelbare Verwendung findet die Definition nur in § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 4 verwendet. Danach bestimmt sich die Angemessenheit der ergriffenen Sorgfaltsmaßnahmen 128 Dazu näher Einleitung, Rz. 52.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen u.a. nach dem Einflussvermögen des Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher eines menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risikos und nach der Art des Verursachungsbetrages des Unternehmens zu dem menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiko. 2. Der Begriff des Risikos a) Allgemeiner Risikobegriff 94 Das traditionelle, gefahrenabwehrrechtliche Begriffsverständnis des deutschen

Verwaltungsrechts unterscheidet zwischen drei Kategorien der Bedrohung für die öffentliche Sicherheit, die nach der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts abgestuft sind.129 Im Rahmen der dreistufigen Kategorisierung korreliert der Begriff der Gefahr mit dem höchsten Grad der Wahrscheinlichkeit. Nach der klassischen Definition des Polizeirechts wird – zurückgehend auf ein Urteil des Preußischen OVG130 – eine Gefahr zumeist als Sachlage verstanden, die in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für bestimmte Rechtsgüter führt.131

95 Nach dieser Kategorisierung bezieht sich ein Risiko auf die unterhalb der Gefah-

renschwelle liegende Möglichkeit eines Schadenseintritts.132 Auch ein Risiko muss von der Rechtsordnung nicht hingenommen werden, sondern darf – begrenzt von Über- und Untermaßverbot – präventiv abgewehrt werden133; wobei gerade dem Gesetzgeber ein großer Ermessenspielraum zusteht, ob und wie er in einzelnen Bereichen die Risikosteuerung ausgestaltet.134 In die dritte Kategorie fällt schließlich das Restrisiko, welches als bloß hypothetische Möglichkeit eines ungewissen Schadenseintritts prinzipiell als sozialadäquat hinzunehmen ist.135

96 Allerdings hat sich in der Rechtswissenschaft zunehmend eine Betrachtungs-

weise entwickelt, welche das Risiko nicht mehr schlicht als weniger wahrschein-

129 Vgl. hierzu Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rz. 34 f.; Lepsius, VVDStRL 63, 2004, S. 264, 268 f. 130 Nach dem Urteil des PrOVG vom 15.10.1894, PrVBl 16, 125, 126 ist dann von einer Gefahr auszugehen, wenn „aus gewissen gegenwärtigen Zuständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände und Ereignisse erwachsen werden“. 131 Vgl. BVerwGE 45, 51, 57; Holzner, DÖV 2018, 946, 947; Graulich in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Abschn. E, Rz. 126; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2022, § 3 Rz. 69. 132 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rz. 35; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 81. 133 Vgl. di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 106; Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rz. 35; Scherzberg, VerwArch 1993, 484, 491. 134 Vgl. BVerfG, NVwZ 2011, 94 dazu, dass Art. 20a GG nicht nur die Gefahrenabwehr, sondern auch die Risikovorsorge gebieten kann. 135 Vgl. BVerfGE 49, 89, 143; di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 105; Lepsius, VVDStRL 63, 264, 269.

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liche Gefahr auffasst, sondern dem Risikobegriff vielmehr im Sinne eines aliud eine eigenständige Bedeutung außerhalb der klassischen Dreiteilung zuspricht.136 Maßgeblich ist hiernach ein zweistufiges Modell, welches hinnehmbare von nicht mehr hinnehmbaren Risiken unterscheidet und dadurch eine staatliche Eingriffsschwelle für entsprechende, risikoadäquate Maßnahmen festlegt.137 b) Risikobegriff des LkSG Welchen Risikobegriff der Gesetzgeber des LkSG in § 2 Abs. 3 zugrunde gelegt 97 hat, lässt sich weder dem Gesetz noch der Gesetzesbegründung entnehmen. Der Wortlaut, welcher auf die „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ als maßgebliche Schwelle abstellt, deckt sich insofern mit der weithin anerkannten Gefahrendefinition aus dem Polizeirecht. Auf der anderen Seite verfolgen die die Unternehmen nach den §§ 4 bis 10 LkSG treffenden Sorgfaltspflichten ausweislich des § 3 Abs. 1 S. 1 LkSG jedoch das Ziel, menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken vorzubeugen oder sie zu minimieren oder die Verletzung menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten zu beenden. Damit greifen die ersten beiden Zielvorgaben Formulierungen aus dem Bereich der (der Gefahrenabwehr vorgelagerten) Risikovorsorge auf, während die Beendigung einer bereits eingetretenen Verletzung der Störungsbeseitigung des klassischen Gefahrenabwehrrechts zugeordnet werden kann. Diese Ambivalenz zeigt sich auch bei den vom Gesetzgeber in Bezug auf die Ri- 98 sikoregulierung getroffenen unternehmerischen Pflichten138, und sie wird auch an dem Tatbestand des § 2 Abs. 3 LkSG deutlich: Die Risikodefinition in § 2 Abs. 3 LkSG weist insofern eine Ähnlichkeit mit der im Polizei- und Ordnungsrecht gängigen Gefahrendefinition auf, als auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit als maßgebliche Schwelle abgestellt wird. Allerdings reicht nach § 2 Abs. 3 LkSG ein Drohen des Verstoßes gegen eines der benannten Verbote bereits aus. Hieran zeigt sich, dass die nach § 2 Abs. 3 LkSG maßgebliche Schwelle, ab wann von einem umweltbezogenen Risiko auszugehen ist, im Vergleich zum polizeirechtlichen Gefahrenbegriff nach vorne verlagert wird. Dies weist Parallelen mit der Begrifflichkeit der „drohenden Gefahr“ auf, die 99 zunehmend Eingang in das Gefahrenabwehrrecht der Länder findet. Die drohende Gefahr bezeichnet einen Zustand, der die Gefahrenschwelle zwar noch nicht überschritten hat, gleichwohl aber tatsächliche Umstände darauf hindeu136 Vgl. Scherzberg, VerwArch 1993, 484, 498; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 2 Rz. 20. 137 Vgl. hierzu ausführlicher Wahl/Appel in Wahl, Prävention und Vorsorge, 1995, S. 1, 97 ff. 138 So betreffen die §§ 4 und 6 LkSG eher den Bereich der Risikovorbeugung, während die §§ 8 und 9 LkSG prinzipiell Maßnahmen nach Überschreitung der Gefahrenschwelle auflisten und § 7 LkSG die Beendigung einer bereits eingetretenen Verletzung zum Gegenstand hat. § 10 LkSG statuiert eine nachlaufende Dokumentations- und Berichtspflicht.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen ten, dass eine konkrete Gefahr entstehen wird.139 Auch nach Auffassung des BVerfG kann der Gesetzgeber bei der Schaffung von Eingriffstatbeständen auch schon dann von einer hinreichend konkretisierten Gefahr ausgehen, „wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, sofern bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen.“140 100 Überträgt man dies auf den Risikobegriff des LkSG, dann verdeutlicht dies, dass

der mögliche Verstoß gegen eines der umweltbezogenen Verbote weder unmittelbar bevorstehen noch in seinem Kausalverlauf vollständig mit bekannten Erfahrungssätzen erfasst oder erfassbar sein muss. Ein Beispiel: Der Kinderhandel oder die rechtswidrige Kinderadoption sind zwar nicht Gegenstand des Verbots der schwersten Formen der Kinderarbeit (Abs. 2 Nr. 2), können aber in das Stadium fallen, in dem das Risiko einer Verbotsüberschreitung gegeben ist.141 Dasselbe gilt für das Anwerben von Kindersoldaten. Der Verweis auf „tatsächliche Umstände“ stellt indes klar, dass der zu beurteilende Sachverhalt bereits hinreichende Anhaltspunkte für einen drohenden Verstoß aufweisen muss. Es bedarf also einer vorhandenen Tatsachengrundlage, aus denen sich der Befund ergibt, dass der drohende Verstoß hinreichend wahrscheinlich ist. Eine bloß theoretisch-generelle Eignung i.S.e. abstrakten Besorgnis genügt nicht. Erst recht sind „ins Blaue hinein“ gehende Vermutungen nicht ausreichend. Auch muss ein Unternehmen, dem bei der Beurteilung ein relativ weit gesteckter Einschätzungsspielraum zur Verfügung steht, im Falle eines non liquet nicht von einem drohenden Verstoß ausgehen. 3. Drohen einer Verletzung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit

101 Die an das Risiko anknüpfenden Sorgfaltspflichten setzen nicht voraus, dass ein

menschenrechtliches Verbot tatsächlich verletzt worden ist. Ausreichend ist vielmehr, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung droht, also die Gefahr eine Verletzung besteht. Erforderlich ist, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung aufgrund der tatsächlichen Umstände, also im konkreten Einzelfall besteht. Nicht ausreichend die abstrakt-generelle Gefahr einer Verletzung (Textilindustrie in Pakistan, Bergbau in Myanmar). Das Wahrscheinlichkeitsurteil kann zwei Ausprägungen haben: Wahrscheinlich kann die Verletzung eines menschenrechtlichen Verbots sein, wenn hinreichende Anhaltspunkte, aber keine Gewissheit für eine Verletzung besteht (kognitive Wahrscheinlichkeit). Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit kann aber auch gegeben sein, wenn anzunehmen ist, dass eine Verletzung bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintreten kann (prozedurale Wahrscheinlichkeit). Möglich sind Mischformen. 139 Vgl. Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677, 683; Wehr, JURA 2019, 940. 140 BVerfGE 141, 220, 272. 141 Vgl. auch Rz. 113.

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Die erforderliche Schwelle zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist wie im 102 Polizei- und Ordnungsrecht zu bestimmen: Anknüpfend an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht die im Einzelfall zu fordernde Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts in einer Wechselbeziehung mit der Bedeutung der betroffenen Schutzgüter und dem Umfang des drohenden Schadens.142 Je größer der zu erwartende Schaden ausfällt und je höher die betroffenen Schutzgüter zu gewichten sind, desto eher ist demnach die Schwelle zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit überschritten.143 Ein mit mathematischen Methoden prozentual bestimmbarer Wahrscheinlichkeitswert kann freilich daraus nicht angegeben werden.144 Der Begriff der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist vielmehr durch wertende und am Schutzzweck des Gesetzes orientierte Betrachtung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Hinreichend ist die Wahrscheinlichkeit, wenn ein verantwortungsvoll handelndes Unternehmen bei verständiger Beurteilung in der gegebenen Situation den Sachverhalt weiter aufklären und/oder präventive Maßnahmen ergreifen würde. Wenn die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung überwiegt, also größer ist als die Wahrscheinlichkeit, dass keine Verletzung gegeben ist und auch bei ungehindertem Verlauf nicht eintreten wird, besteht eine Vermutung, dass eine Verletzung hinreichend wahrscheinlich ist, und umgekehrt. Eine bloße Eignung, eine Verletzung herbeizuführen, ist nicht ausreichend, ebenso wenig eine abstrakte Besorgnis einer Verletzung.145

IV. Menschenrechtliche Verbote (Abs. 2) Abs. 2 bestimmt den Katalog der menschenrechtlichen Verbote. Er ist in vier 103 Untergruppen146 gegliedert: – Verbote zum Schutz von Arbeitnehmern und Beschäftigten (Nr. 1 bis Nr. 8); – Verbote zum Schutz der Lebensgrundlagen Dritter (Nr. 9 und 10); 142 Vgl. BVerfGE 49, 89, 138; BVerwGE 45, 51, 61; Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 4 Rz. 34; Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677, 683f.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 85f; Preuß in Grimm, Staatsaufgaben, 1994, 523, 531. 143 Dies wird in der Literatur häufig als „Je-desto-Formel“ bezeichnet, vgl. etwa LeisnerEgensperger, DÖV 2018, 677, 683; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 86; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 2 Rz. 20. Auch Schönfelder in Grabosch, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 8 wendet die Je-desto-Formel auf das LkSG an. 144 So auch Schönfelder in Grabosch, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 8. 145 So für § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG etwa BVerwG, Urt. v. 11.12.2003 – 7 C 19/02, NVwZ 2004, 610, 611. 146 Vgl. auch Wagner/Ruttloff: Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145 Rz. 10 ff.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen – Verbot von menschenrechtswidrige Maßnahmen von privaten oder öffentlichen Sicherheitskräfte; – Auffangtatbestand: Verbot des offensichtlich rechtswidrigen Eingriffs in geschützten Rechtspositionen i.S.d. Abs. 1. 104 Abs. 4 Satz 1 bezeichnet einen Verstoß gegen ein menschenrechtliches Verbot

als Verletzung einer menschenrechtsbezogenen Pflicht.147

105 Der deutsche Gesetzgeber hat die menschenrechtlichen Verbote in Abs. 2 Nr. 1

bis 11 überwiegend aus den in der Anlage zu § 2 Abs. 1 bezeichneten internationalen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte entnommen oder entwickelt.148 Bei der Auslegung der menschenrechtlichen Verbote und bei der Ermittlung ihres Inhalts- und Umfangs ist eine übereinkommenskonforme Auslegung geboten. 1. Verbot der Beschäftigung eines Kindes (Nr. 1) a) Grundlagen

106 Das Verbot nach Abs. 2 Nr. 1 hat seine Grundlage in Art. 2 Abs. 3 des Überein-

kommens Nr. 138 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 26.6.1973.149 In eine ähnliche Richtung wie das ILO-Übereinkommen Nr. 138 weist Art. 10 Nr. 3 des UN-Sozialpakts.150 Er gibt den Vertragsstaaten u.a. auf, eine Altersgrenze festsetzen, unterhalb derer die entgeltliche Beschäftigung von Kindern gesetzlich verboten und strafbar ist.

b) Gegenstand des Verbots 107 Verboten ist die Beschäftigung von Kindern. Kind ist, wer nach dem Recht des

Beschäftigungsortes151 noch der Schulpflicht unterliegt oder das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Wo es keine gesetzliche Schulpflicht gibt, gilt allein die Altersgrenze von 15 Jahren. Das Verbot in Nr. 1 ist inhaltlich nahezu deckungsgleich mit den Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes.152 147 148 149 150 151

Vgl. dazu näher Rz. 317. Siehe dazu auch Rz. 14 ff. BGBl. II 1976, 230. Vgl. dazu Rz. 72. Vgl. Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 35. 152 § 2 Abs. 1 JArbSchG; das Jugendarbeitschutzgesetz (und ähnlich die Mehrzahl der Jugendarbeitsschutzgesetze anderer Mitgliedsstaaten der ILO) folgt dem Territorialitätsprinzip (§ 1 Abs. 1 JARbSchG) und ist daher nur auf Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland anwendbar. Das Verbot nach Nr. 1 knüpft dagegen an die Lieferkette des verpflichteten Unternehmens an, macht also nicht an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen Mitgliedsstaats der ILO halt. Bedeutung hat das vor allem für die Zuständigkeiten der Aufsichtsbehörden. Während diese bisher auf die Aufsicht im Geltungsbereich der nationalen Jugendschutzvorschriften beschränkt ist, führt

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Der Begriff der Beschäftigung ist gesetzlich nicht definiert. Er ist weit zu verste- 108 hen153 und schließt jede Tätigkeit von Kindern für ein Unternehmen ein, soweit sie darauf gerichtet ist, die Arbeitskraft des Kindes für das Unternehmen zu nutzen. Es kommt auf die tatsächlichen Umstände an, nicht auf den Abschluss eines Arbeits- oder Beschäftigungsvertrages. Zu § 1 JArbSchG wird vertreten, dass selbständige Tätigkeit eines Kindes oder Jugendlichen nicht als Beschäftigung anzusehen sei.154 Kennzeichen einer Beschäftigung sei die Weisungsabhängigkeit von dem Arbeitgeber. Dem ist für die Auslegung des Verbots nach Abs. 2 Nr. 1 nicht zu folgen. Soweit es nach dem Gesamtbild um die Ausnutzung der Arbeitskraft eines Kindes geht, ist auch ohne formal-rechtlich abgesicherte Weisungsabhängigkeit eine verbotene Beschäftigung von Kindern anzunehmen.155 Beispiel: Wenn Kinder als Erntehelfer eingesetzt werden, ein Vertragsverhältnis aber nur mit einem Erziehungsberechtigten besteht, ist darin gleichwohl verbotene Kinderarbeit zu sehen. c) Verbotsausnahmen Das Verbot der Beschäftigung von Kindern gilt nicht ohne Ausnahmen: Erlaubt 109 ist die Beschäftigung von Kindern, wenn und soweit dies nach dem Recht des Beschäftigungsorts in Übereinstimmung mit Art. 2 Abs. 4 und den Art. 4 bis 8 des ILO-Übereinkommens Nr. 138 vom 26.6.1973 zugelassen ist. Die wichtigsten durch das Übereinkommen zugelassenen Ausnahmen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Art. 6: Die Mitgliedsstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation können Arbeiten zulassen, die von Kindern und Jugendlichen in allgemeinbildenden Schulen, berufsbildenden Schulen oder Fachschulen oder in anderen Ausbildungsanstalten oder von Personen, die mindestens 14 Jahre alt sind, in Betrieben ausgeführt werden, wenn sie integrierender Bestandteil eines Bildungs- oder Ausbildungslehrgangs oder eines Beratungs- oder Orientierungsprogramms sind. Art. 7: Die Mitgliedsstaaten können zulassen, dass Personen im Alter von 13 bis 15 Jahren bei leichten Arbeiten beschäftigt werden oder solche Arbeiten ausführen, sofern die Arbeiten (i) für ihre Gesundheit oder Entwicklung voraussichtlich nicht schädlich sind und (ii) nicht so beschaffen sind, dass sie ihren Schulbesuch, ihre Teilnahme an den von der zuständigen Stelle genehmigten bedas Verbot nach Nr. 1 zu einer wesentlichen Ausweitung der Zuständigkeit, die die Aufsichtsbehörde hat: Die nach § 19 Abs. 1 zuständige Behörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, kann mit Inkrafttreten des Gesetzes auch überprüfen, ob das verpflichtete Unternehmen seinen Sorgfaltspflichten mit Blick auf das Verbot der Kinderarbeit auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nachkommt. 153 So auch Grabosch/Schönfelder, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 15. 154 Vgl. nur Schlachter, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22. Aufl. 2022, § 1 JArbSchG Rz. 4; Höfer in Schwab/Weber/Winkelmüller, BeckOK Arbeitsschutzrecht, Stand: 1.12.2021, § 1 JArbSchG Rz. 5. 155 Auch Grabosch/Schönfelder, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 15.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen ruflichen Orientierungs- oder Ausbildungsprogrammen oder ihre Fähigkeit beeinträchtigen, dem Unterricht mit Nutzen zu folgen. Art. 8: Die Mitgliedsstaaten können schließlich Einzelfallausnahmen zulassen, etwa zum Zweck der Teilnahme an künstlerischen Veranstaltungen. Das Übereinkommen verpflichtet die Mitgliedsstaaten, die Zahl der Stunden für eine solche Beschäftigung oder Arbeit zu begrenzen und die Bedingungen vorzuschreiben, unter denen sie ausgeübt werden kann. Art. 2 Abs. 4: Die Mitgliedsstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Wirtschaft und schulische Einrichtungen unterentwickelt sind, können anfangs ein Mindestalter von 14 Jahren vorsehen. Art. 4 und 5: Die Mitgliedsstaaten können in der Anfangszeit nach Ratifizierung und bei besonderen Durchführungsproblemen in einem engen Rahmen Ausnahmen zulassen. 110 In allen Fällen bedarf es einer Ausnahmeregelung im Recht des Beschäfti-

gungsorts. Nicht ausreichend ist, dass am Beschäftigungsort eine Ausnahmeregelung getroffen werden könnte. d) Geltung in Ländern, die nicht Mitglieder der ILO sind

111 Nr. 1 gilt auch in Ländern, die nicht Mitglieder der ILO sind oder die das ILO-

Übereinkommen Nr. 138 nicht ratifiziert haben.156 e) Tatsächliche Bedeutung der Kinderarbeit

112 Das International Labour Office und UNICEF haben als die für Target 8.7 der UN

Sustainable Development Goals157 zuständigen Organisationen der Vereinten Nationen 2020 erstmals einen gemeinsamen Bericht zum Stand der Bekämpfung von Kinderarbeit158 vorgelegt. Der Report sieht als grundlegenden Trends:159

– Kinderarbeit ist in ländlichen Gebieten deutlich häufiger anzutreffen als in städtischen Gebieten (122,7 zu 37,3 Millionen Kinder). – Kinderarbeit findet überwiegend in der Landwirtschaft statt (70 %). – Kinderarbeit findet vor allem innerhalb von Familien statt (72 Prozent der gesamten Kinderarbeit und 83 Prozent der Kinderarbeit unter Kindern im 156 Auch Grabosch/Schönfelder, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 13. 157 Vgl. https://collections.unu.edu/eserv/UNU:6612/Development_Assistance_and_SDG _Target_8.7_FINAL_WEB_7_.pdf. 158 Vgl. United Nations Children’s Fund (UNICEF) and International Labour Office, Child Labour: 2020 global estimates, trends and the road forward, 2020 (abrufbar unter https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/–ed_norm/–ipec/documents/publication/ wcms_797515.pdf). 159 Vgl. United Nations Children’s Fund (UNICEF) and International Labour Office, Child Labour: 2020 global estimates, trends and the road forward, 2020, Seite 9.

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Alter von 5 bis 11 Jahren). Familienbasierte Kinderarbeit wird in dem Bericht als häufig besonders gefährlich angesehen. – Kinderarbeit ist häufig damit verbunden, dass Kinder vom Schulbesuch ausgeschlossen sind. Nach dem Bericht unterscheidet sich das Risiko geografisch:160 Es ist in Afrika 113 und Westasien, Südostasien und Lateinamerika allgemein erhöht, in den SubSahara-Gebieten Afrikas deutlich erhöht, in Europa und Nordamerika geringer. Tätigkeitsbezogene Risiken sieht der Bericht vor allem in der Landwirtschaft (kleinbäuerliche Landwirtschaft, kommerzielle Plantagen und andere Formen der kommerziellen Landwirtschaft, agro-industrielle Komplexe, Fangfischerei, Aquakultur, Fischverarbeitung und Forstwirtschaft) und im Handel (wohl Straßenhandel), Transport, Reparatur von Autos, Baugewerbe, Bergbau und – ohne weitere Spezifizierung – in der Produktion. Das Risiko unterscheidet sich offenbar nicht wesentlich nach Altersgruppen. 2. Verbot der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr. 2) Abs. 2 Nr. 2 erweitert den Altersrahmen des allgemeinen Kinderarbeitsverbots. 114 Geschützte Personen sind Kinder unter 18 Jahren. Allerdings wird nicht jede Beschäftigung von Kindern unter 18 Jahren verboten, sondern nur wenige, besonders verwerfliche Formen der Beschäftigung bzw. Ausbeutung von Kindern. Die Ausnahmen, in denen das ILO-Übereinkommen Nr. 138 Kinderarbeit zulässt, sind auf die schlimmsten Formen der Kinderarbeit nicht anwendbar.161 Diese Formen der Kinderarbeit sind ausnahmslos verboten. a) Grundlagen Das Verbot ist inhaltlich identisch mit Art. 3 des ILO Übereinkommens 115 Nr. 182162 vom 17.6.1999163 und hat eine weitere Grundlage in Art. 10 lit. c des UN-Sozialpakts. Danach sollen Kinder und Jugendliche vor wirtschaftlicher und sozialer Ausbeutung geschützt werden. Ihre Beschäftigung mit Arbeiten, die ihrer Moral oder Gesundheit schaden, ihr Leben gefährden oder voraussichtlich ihre normale Entwicklung behindern, soll gesetzlich strafbar sein.

160 Vgl. United Nations Children’s Fund (UNICEF) and International Labour Office, Child Labour: 2020 global estimates, trends and the road forward, 2020, Seite 22. 161 Vgl. Hembach, Praxisleitfaden LkSG, 2022, S. 62. 162 Vgl. Übereinkommens Nr. 182 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 17.6. 1999 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (BGBl. 2001 II S. 1290, 1291). 163 Vgl. dazu auch Rz. 23 f.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen b) Sklaverei oder alle sklavereiähnlichen Praktiken 116 Verboten sind alle Formen der Sklaverei und alle sklavereiähnlichen Praktiken,

wie der Verkauf von Kindern und der Kinderhandel,164 Schuldknechtschaft165 und Leibeigenschaft.166 Art. 3 des ILO Übereinkommens Nr. 182 sieht die Ausbeutung der Arbeitskraft von Kindern als Sklaven und in sklavereiähnlichen Formen zu Recht als besonders verwerflich an. Inhaltlich geht das Verbot aber nicht über Abs. 2 Nr. 4 hinaus, der in seinem Anwendungsbereich nicht auf Kinder unter 18 Jahren beschränkt ist, sondern zum Schutze aller Menschen gilt.167 Das Verbot gilt ohne jede Einschränkung auch dann, wenn das Kind, die Eltern oder andere (sorgeberechtigte) Personen ihre Einwilligung erklärt haben oder sogar am Verkauf des Kindes beteiligt waren. Sklaverei und sklavereiähnliche Praktiken einschließlich Kinderhandel sind grundsätzlich nicht einwilligungsfähig. Das Verbot umfasst jede (Aus)Nutzung der Arbeitskraft von Kindern in den genannten Formen. Der Einsatz von Kindern als Soldaten oder in paramilitärischen Gruppen ist ein Beispiel für sklavenähnliche Praktiken. Der Kinderhandel oder die rechtswidrige Kinderadoption sind zwar nicht Gegenstand des Verbots nach Abs. 2 Nr. 2,168 können aber Vorbereitungshandlungen sein und in das Stadium fallen, in dem das Risiko einer Verbotsüberschreitung gegeben ist. Dasselbe gilt für das Anwerben von Kindersoldaten. c) Zwangs- oder Pflichtarbeit

117 Verboten sind Zwangs- oder Pflichtarbeit von Kindern unter 18 Jahren. Das Ge-

setz hebt das Verbot der Zwangs- oder Pflichtrekrutierung von Kindern für den Einsatz in bewaffneten Konflikten besonders hervor. Inhaltlich geht auch dieses Verbot nicht über das allgemeine Verbot der Beschäftigung von Personen in Zwangsarbeit (Abs. 2 Nr. 3) hinaus.169 Allerdings bieten weder der Gesetzeswortlaut von Abs. 2 Nr. 2 noch das ILO-Übereinkommen Nr. 182 eine Grundlage für die Anwendung der Ausnahmeregelungen, unter denen Pflicht- oder Zwangsarbeit durch Gesetz zugelassen werden darf. Kinder bis 18 Jahren sind also ausnahmslos gegen Zwangs- und Pflichtarbeit zu schützen.170

164 Vgl. Art. 2 lit. a des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen über die Rechts des Kindes vom 25.5.2000 (A/RES/54/263): „Sale of children means any act or transaction whereby a child is transferred by any person or group of persons to another for remuneration or any other consideration.“ 165 Vgl. die Definition in Art. 1 lit. a. des UN-Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken vom 7.9.1956. 166 Vgl. die Definition in Art. 1 lit. b des UN-Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken vom 7.9.1956. 167 Zum allgemeinen Verbot der Sklaverei und von sklavereiähnlichen Praktiken s. Rz. 163 ff. 168 So aber wohl Hembach, Praxisleitfaden LkSG, 2022, S. 64. 169 Zum allgemeinen Verbot der Beschäftigung von Personen in Zwangsarbeit s. Rz. 124 ff. 170 Vgl. Hembach, Praxisleitfaden LkSG, 2022, S. 62.

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Zwangsarbeit liegt nicht vor, wenn eine Person ihre Arbeitskraft aufgrund eige- 118 ner Willensentscheidung zur Verfügung stellt, insbesondere sich durch ordnungsgemäßen Vertrag zur Arbeit verpflichtet hat. Das setzt voraus, dass die betroffene oder eine sorgeberechtigte Person in Übereinstimmung mit dem Recht am Beschäftigungsort eine wirksame und vom freien Willen getragene Willensentscheidung getroffen oder Einwilligung erteilt haben. Für sorgeberechtigte Personen ist ferner erforderlich, dass die Einwilligung durch das Sorgerecht gedeckt ist und die Einwilligung nicht ihrerseits durch Zwang oder Täuschung erwirkt wurde. Es ist selbsterklärend, dass die eigene Willensentscheidung oder die Einwilligung nicht die Grenzen erweitern kann, in denen Kinderarbeit erlaubt ist. Eine Einwilligung kann daher niemals eine Rechtsfertigung sein, ein Kind unter 18 Jahren zu Prostitution, Herstellung von Pornographie oder pornographischen Darbietungen heranzuziehen. Die Einwilligung eines Sorgeberechtigten rechtfertigt auch nicht die Beschäftigung eines Kindes unter Verletzung des allgemeinen Kinderarbeitsverbots nach Abs. 2 Nr. 1. d) Verbot der Kinderprostitution und -pornographie Verboten ist das Heranziehen, Vermitteln oder Anbieten eines Kindes unter 119 18 Jahren zur Prostitution, zur Herstellung von Pornographie oder zu pornographischen Darbietungen. Der Begriff „Heranziehen“ ist weit zu verstehen und erfasst alle Formen der Be- 120 teiligung eines Kind unter 18 Jahren an Prostitution, Herstellung von Pornographie oder pornographischen Darbietungen. „Vermitteln“ und „Anbieten“ ist jede Tätigkeit im Vorfeld, die darauf gerichtet ist, ein Kind unter 18 Jahren an Prostitution, Herstellung von Pornographie oder pornographischen Darbietungen zu beteiligen. Prostitution meint die Vornahme von sexuellen Handlungen gegen Entgelt.171 Der Begriff des Entgelts ist weit zu verstehen und schließt jeden geldwerten oder sonstigen Vorteil ein. Nicht maßgebend ist, an wen das Entgelt gezahlt wird. Unerheblich ist, ob das Kind die sexuellen Handlungen vornimmt oder die Handlungen an oder vor dem Kind vorgenommen werden. Eine allgemeine Definition für Pornographie und pornographische Darbietungen gibt es nicht. Wesentliches Element von Pornographie und pornographischer Darbietung ist, dass ein Kind tatsächlich oder in physischen, elektronischen oder sonst gespeicherten Bildern mit dem Ziel dargestellt oder gezeigt werden, bei dem Betrachter eine sexuelle Reaktion zu erreichen und sie so zum Objekt sexueller Begierde zu machen.172 Pornographie ist die bildliche Darstellung, pornographische Darbietung eine Aufführung oder Filmaufnahme, die dieses Ziel verfolgt. 171 Vgl. Art. 2 lit. b des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen über die Rechts des Kindes vom 25.5.2000 (A/RES/54/263): „Child prostitution means the use of a child in sexual activities for remuneration or any other form of consideration.“ 172 Vgl. Art. 2 lit. c des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen über die Rechts des Kindes vom 25.5.2000 (A/RES/54/263): „Child pornography means any representation, by whatever means, of a child engaged in real or simulated explicit sexual activities or any representation of the sexual parts of a child for primarily sexual purposes.“

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§ 2 | Begriffsbestimmungen e) Verbot des Einsetzens von Kindern für unerlaubte Tätigkeiten 121 Verboten ist das Heranziehen, Vermitteln oder Anbieten eines Kindes unter

18 Jahren zu unerlaubten Tätigkeiten, insbesondere zur Gewinnung von und zum Handel mit Drogen.

122 Zum Begriff des Heranziehens, Vermittelns oder Anbietens s. Rz. 120. 123 Unerlaubte Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten, die gegen ein gesetzliches Verbot

verstoßen. Im eigenen Geschäftsbereich überschneidet sich das Verbot daher mit der allgemeinen Pflicht zur Rechtsbefolgung. Wenn einem Unternehmen schon generell unerlaubte Tätigkeiten verboten sind, gilt dies erst recht, wenn die unerlaubte Tätigkeit unter Heranziehung von Kindern vorgenommen wird.

124 Das Gesetz benennt die Gewinnung von und zum Handel mit Drogen als wich-

tigen Anwendungs- und Beispielsfall. Das Gesetz definiert den Begriff der Drogen nicht. Aus dem Gesetzestext geht auch nicht hervor, ob unter Drogen nur illegale oder auch legale Drogen zu verstehen sind. Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation wird als Droge jeder Wirkstoff bezeichnet, der in einem lebenden Organismus die Lebensfunktionen zu verändern vermag. Der Begriff Droge ist inhaltgleich mit Wirkstoff. Richtigerweise ist Abs. 2 Nr. 2 lit. c. auf Wirkstoffe beschränkt, die nach dem Recht am Beschäftigungsort unerlaubt sind. Wenn das nicht der Fall ist, ist freilich immer zu klären, ob das Heranziehen des Kindes zum Handel mit dem erlaubten Wirkstoff nicht in sonstiger Weise gegen Abs. 2 Nr. 1 oder 2 verstößt. Ein weiteres wichtiges Beispiel dieser Fallgruppe ist der Einsatz von Kindern als Soldaten oder in bewaffneten Truppen.173 f) Verbot von Kinderarbeit mit Gefahren für Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern unter 18 Jahren

125 Verboten ist die Beschäftigung von Kindern mit Arbeiten, die ihrer Natur nach

oder aufgrund der Umstände, unter denen sie verrichtet werden, voraussichtlich für die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern schädlich sind. Eine Besonderheit dieser Fallgruppe ist die Frage, ob bei der Bestimmung der Arbeiten, die ihrer Natur nach oder aufgrund der Umstände, unter denen sie verrichtet wird, voraussichtlich für die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern schädlich sind, nach objektiven Kriterien zu entscheiden oder maßgebend ist, was nach dem Recht des Beschäftigungsorts unter die vorgenannten Kriterien fällt. Bei übereinkommenskonformer Auslegung nach Abs. 2 Nr. 2 ist die Frage anhand der Bestimmung in Art. 4 Abs. 1 des ILOÜbereinkommens Nr. 182 zu beantworten. Danach ist in erster Linie maßgebend, was durch innerstaatliche Gesetzgebung oder durch die zuständigen Stellen am Beschäftigungsort als Kinderarbeit mit besonderen Gefahren für Gesundheit, Sicherheit oder Sittlichkeit bestimmt worden ist. Wie in Art. 4 Abs. 1 173 Vgl. ILO, Empfehlung 190 „betreffend das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit“ vom 17.6.1999, Nr. 12.

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des ILO-Übereinkommens Nr. 182 bestimmt, sind aber als Mindestmaßstab die Abs. 3 und 4 der Empfehlung betreffend die schlimmsten Formen der Kinderarbeit vom 17.6.1999174 zugrunde zu legen. Danach sind den schlimmsten Formen der Kinderarbeit jedenfalls zuzurechnen: 126 – Arbeit, die Kinder einem körperlichen, psychologischen oder sexuellen Missbrauch aussetzt; – Arbeit unter Tage, unter Wasser, in gefährlichen Höhen oder in engen Räumen; – Arbeit mit gefährlichen Maschinen, Ausrüstungen und Werkzeugen oder Arbeit, die mit der manuellen Handhabung oder dem manuellen Transport von schweren Lasten verbunden ist; – Arbeit in einer ungesunden Umgebung, die Kinder beispielsweise gefährlichen Stoffen, Agenzien oder Verfahren oder gesundheitsschädlichen Temperaturen, Lärmpegeln oder Vibrationen aussetzen kann; – Arbeit unter besonders schwierigen Bedingungen, beispielsweise Arbeit während langer Zeit oder während der Nacht oder Arbeit, bei der das Kind ungerechtfertigterweise gezwungen ist, in den Betriebsräumen des Arbeitgebers zu bleiben 3. Verbot der Beschäftigung von Personen in Zwangsarbeit (Nr. 3) a) Grundlagen Verboten ist die Beschäftigung von Personen in Zwangsarbeit. Schutzgut ist die 127 persönliche Freiheit, über die eigene Arbeitskraft selbstbestimmt zu verfügen. Das Verbot hat seine Grundlagen in – Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 des ILO- Übereinkommens Nr. 29 vom 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit,175 der mit demselben Schutzzweck durch Art. 1 des ILO-Übereinkommen Nr. 105 vom 25.6.1957 über die Abschaffung der Zwangsarbeit176 und Art. 1 Abs. 1 des Protokolls vom 11.6.2014 zum Übereinkommen über Zwangsarbeit177 bestätigt worden ist, und – Art. 8 Abs. 3 des UN-Zivilpakts.178 b) Gesetzliche Definition der Zwangsarbeit In Übereinstimmung mit Art. 2 Abs. 1 des ILO-Übereinkommens Nr. 29 be- 128 stimmt das Gesetz, dass Zwangsarbeit „jede Arbeitsleistung oder Dienstleistung umfasst, die von einer Person unter Androhung von Strafe verlangt wird und 174 Vgl. ILO, Empfehlung 190 „betreffend das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit“, vom 17.6.1999. 175 Vgl. dazu näher Rz. 15 ff. 176 Vgl. dazu näher Rz. 17. 177 Vgl. dazu näher Rz. 19. 178 Vgl. dazu auch Rz. 38.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“.179 Das Verbot ist inhaltlich deckungsgleich mit Art. 5 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta und Art. 4 Abs. 1 EMRK, wonach niemand gezwungen werden darf, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich in seiner Rechtsprechung zum Zwangsarbeitsverbot nach Art. 4 Abs. 1 EMRK eng an dem ILO-Übereinkommen Nr. 29 orientiert.180 aa) Arbeit oder Dienstleistung 129 Zwangsarbeit setzt voraus, dass eine Person von einem Dritten zu einer Arbeit

oder Dienstleistung veranlasst wird. Unerheblich ist, ob die Veranlassung von einer staatlichen Stelle oder einem Privaten ausgeht.181 Das Verbot der Zwangsarbeit ist nicht auf körperliche Arbeit beschränkt, sondern schließt alle Formen der Arbeits- und Dienstleistung ein.182 Es ist gleich, auf welcher rechtlichen Grundlage und in welcher rechtlichen Form die Arbeit oder Dienstleistung erbracht wird. Maßgebend ist allein, ob eine Person durch Zwang zu einer Tätigkeit bestimmt wird. Auch wer aufgrund eines Werkvertrages für einen Dritten tätig wird, kann Opfer von Zwangsarbeit werden, insbesondere wenn die tätige Person ähnlich einem Arbeitnehmer in die betrieblichen Abläufe des Dritten eingebunden ist. Selbst Tätigkeiten aufgrund eines Gesellschaftsvertrages können als Zwangsarbeit zu beurteilen sein, wenn der Abschluss des Gesellschaftsvertrages ist im Einzelfall zu entscheiden, ob es sich um ein verdecktes Arbeitsverhältnis oder um eine Gemeinschaft zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks handelt. Erst recht kann Zwangsarbeit vorliegen, wenn jede vertragliche Grundlage oder Vereinbarung fehlt.

bb) Verlangen unter Androhung von Strafe/keine freie Verfügung über die eigene Arbeitskraft 130 Zwangsarbeit liegt vor, wenn die Person unter Androhung von Strafe zur Ar-

beit oder Dienstleistung veranlasst wird und die betroffene Person sich nicht freiwillig für die Arbeit oder Dienstleistung zur Verfügung gestellt hat.

131 Der Begriff der „Strafe“ wird nicht im strafrechtlichen Sinne verstanden.183

Zwangsarbeit ist daher nicht auf die Fälle beschränkt, in denen die betroffene 179 Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte greift auf die Definition des ILO-Übereinkommens Nr. 29 zurück; vgl. zuletzt EGMR, Urt. v. 25.6.2020 – 60561/ 14 – „S. M./Kroatien“, NVwZ-RR 2021, 785 Rz. 282. 180 Siehe vor allem EGMR, Urt. v. 23.11.1983, 8919/80 – „Mußele v. Belgium“, Ziff. 32, sowie Arbeitspapier der Registry der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte „Guide on Article 4 of the European Convention on Human Rights – Prohibition of slavery and forced labour, updated on 31 August 2021“. 181 Vgl. Hembach, Praxisleitfaden LkSG, 2022, S. 69. 182 Vgl. EGMR, Urt. v. 23.11.1983, 8919/80 – „Mußele v. Belgium“, Ziff. 33. 183 Vgl. EGMR, Urt. v. 11.10.2012, 67724/09 – „C.N. and V. v. France“, Ziff. 77; EGMR, Urt. v. 23.11.1983, 8919/80 – „Mußele v. Belgium“, Ziff. 34.

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Begriffsbestimmungen | § 2

Person unter Androhung einer staatlichen Bestrafung zur Arbeit oder Dienstleistung veranlasst wird.184 Umgekehrt ist nicht jeder Nachteil, dessen Androhung eine Person zu einer Tätigkeit veranlasst, bereits eine Strafe i.S.v. Art. 2 Abs. 1 des ILO-Übereinkommens Nr. 29. Das Mittel, das eingesetzt wird, um die betroffene Person zur Arbeit zu veranlassen, ist vielmehr nur dann als Strafe anzusehen, wenn bei einer Gesamtschau ein unzulässiger Eingriff in das Recht gegeben ist, über die eigene Arbeitskraft frei und selbstbestimmt zu verfügen.185 Das ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu ermitteln. c) Zwangsmittel Als Zwangsmittel kommen in Betracht:

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Gewalt. Das ist jede unmittelbare physische Einwirkung, durch die die betrof- 133 fene Person zur Tätigkeit veranlasst wird, etwa durch Schläge, durch Einschüchterung mit Waffen, durch Fesselung und andere körperliche Misshandlungen, durch Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit oder durch Verabreichung von Drogen oder andern willensbeeinflussenden Mitteln. Die Gewalteinwirkung kann auch in einer Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit liegen, etwa wenn Personen, um sie zu Arbeit zu veranlassen, gegen ihren Willen in einem Lager oder einem Gebäude festgehalten werden. Allerdings ist auch hier im Einzelfall zu entscheiden. Wer auf einer Ölplattform arbeitet, kann diese vorübergehend nicht verlassen, ist also in seiner körperlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt, wird aber dort in der Regel nicht gegen den eigenen Willen festgehalten. Auch wer auf einem entlegenen Betriebsgelände arbeitet, ist nicht schon deswegen Opfer von Zwangsarbeit, wenn er sich frei für diese Tätigkeit entschieden hat und sie gegebenenfalls unter Einhaltung angemessener Kündigungsfristen beenden könnte. Drohung. Das ist jede Ankündigung eines erheblichen Nachteils bei Verweige- 134 rung der Arbeit. Es ist gleich, ob die betroffene Person mit körperlicher Gewalt oder durch Ankündigung eines anderen erheblichen Nachteils zur Arbeit veranlasst wird. Die angedrohte Nachteilszufügung kann sich gegen die betroffene Person selbst oder einem Dritten richten, etwa einem nahen Angehörigen. Ohne Bedeutung ist auch, ob derjenigen, der die Drohung ausspricht, überhaupt in der Lage oder willens ist, den Nachteil eintreten zu lassen. Maßgebend ist allein, ob sich die betroffene Person aufgrund der Ankündigung veranlasst sieht, entgegen ihrem freien Willen die von ihr verlangte Tätigkeit aufzunehmen. Die Nachteilsandrohung muss nicht ausdrücklich erfolgen. Ausreichend ist ein 135 Handeln, das den Beschäftigten unter Druck setzt, weiter für das Unternehmen oder den Zulieferer zu arbeiten. Eine Zwangslage kann daher schon bestehen, wenn das Unternehmen oder der Zulieferer erhebliche Lohnbestandteile zurück184 Vgl. EGMR, Urt. v. 23.11.1983, 8919/80 – „Mußele v. Belgium“, Ziff. 34. 185 Im Ergebnis auch EGMR, Urt. v. 23.11.1983, 8919/80 – „Mußele v. Belgium“, Ziff. 34.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen hält, um den Arbeitnehmer zur Fortsetzung seiner Arbeit zu veranlassen, etwa weil es keine Arbeitnehmervertretung gibt und – jedenfalls in der Sicht des möglicherweise mit der Durchsetzung von eigenen Rechten nicht erfahrenen Mitarbeiters – keine andere Möglichkeit gibt, seine Rechte zu wahren. 136 Täuschung? Täuschung ist kein Zwangsmittel und von der Einwirkung auf

eine Person durch Zwang gerade zu unterscheiden. Allerdings kann Täuschung ein Mittel sein, um die betroffene Person in eine Zwangslage zu führen, also in eine Lage, in der sie sich entgegen dem eigenen Willen gezwungen sieht, die von ihr verlangte Arbeit zu übernehmen, und sich nicht mehr selbstbestimmt aus der Arbeitspflicht befreien kann. Im Einzelfall kann mit der Täuschung bereits das Stadium erreicht sein, in dem das Risiko einer Verletzung des Zwangsarbeitsverbots anzunehmen ist.186 d) Zeitpunkt der Zwangslage

137 Es kommt nicht notwendig darauf an, dass die Zwangslage bereit in dem Zeit-

punkt gegeben ist, in dem die Person die Arbeit oder Dienstleistung übernimmt. Eine Zwangslage kann auch später entstehen.187 Auch wer sich nicht von einer Arbeits- oder Dienstleistungspflicht lösen kann, handelt auf Veranlassung eines Dritten, wenn die Fortführung der Arbeit oder Dienstleistung nicht mehr seinem freien Willen entspricht. e) Anwendung von Zwang durch Dritte

138 Grundsätzlich ist nicht erheblich, wer den Zwang auf die Person ausübt. Dies

kann das verpflichtete Unternehmen oder ein Zulieferer sein, aber auch ein Dritter, etwa eine staatliche Behörde. Allerdings ist Voraussetzung, dass das verpflichtete Unternehmen oder der Zulieferer die Zwangsausübung durch einen Dritten kennt. f) Unzulässiger Eingriff in die Selbstbestimmungsfreiheit

139 Wenn eine Person mit Zwang veranlasst worden ist, eine Arbeit oder Dienstleis-

tung zu übernehmen, ist im zweiten Schritt festzustellen, ob in unzulässiger Weise in die Selbstbestimmungsfreiheit eingegriffen worden ist. Es ist im Einzelfall zu ermitteln, ob es sich um eine zulässige Bestimmung der Person zur Arbeit oder Dienstleistung handelt oder um einen unzulässigen Eingriff in die Freiheit, über den Einsatz der eigenen Arbeitskraft selbst zu entscheiden.

186 Vgl. dazu auch Rz. 97. 187 Im Ergebnis auch EGMR, Urt. v. 25.6.2020 – 60561/14 „S. M./Kroatien“, NVwZ-RR 2021, 785 Rz. 285; auch EGMR, Urt. v. 30.3.2017 – 21884/15 „Chowdury ua/Griechenland“, NJOZ 2018, 1394 Rz. 96.

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Begriffsbestimmungen | § 2

aa) Vertragliche Bindung Eine vertraglich übernommene Arbeit oder Dienstleitung kann in aller Regel 140 nicht als Zwangsarbeit beurteilt werden, wenn sie auf einem Vertrag beruht, den die Parteien frei ausgehandelt haben. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Falle der Arbeitsverweigerung an seine vertraglichen Pflichten erinnert oder mit Schadensersatzansprüchen droht. Etwas anderes kann im Einzelfall kann gelten, wenn der Vertrag nicht frei und selbstbestimmt abgeschlossen worden ist, also auf Täuschung, Drohung oder der Ausnutzung von Unerfahrenheit oder einer Notlage beruht. Zwangsarbeit kann ferner vorliegen, wenn die Person die Arbeit oder Dienstleistung nicht innerhalb eines angemessenen zeitlichen Rahmens beenden kann. Was ein zeitlich angemessener Rahmen ist, richtet sich in erster Linie nach den vertraglichen Vereinbarungen und dem geltenden Recht am Beschäftigungsort. Daneben sind aber auch weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen, etwa innerhalb welcher Fristen eine Person, die diese Arbeit oder Dienstleistung übernimmt, üblicherweise das Arbeits- oder Dienstverhältnis beenden kann, welches berechtigte Interesse der Arbeit- oder Dienstgeber an einer langfristigen Bindung der Person hat und ob bei einer Gesamtschau die Arbeitsbedingung als ausbeuterisch anzusehen sind, ferner, ob sich der Arbeitnehmer aus Unerfahrenheit oder aufgrund einer Zwangs- oder Notlage zu der langen Vertragsbindung hat bewegen lassen. bb) Gesetzliche Befugnis zur Einwirkung auf die freie Selbstbestimmung An Zwangsarbeit fehlt es, wenn die Person in zulässiger Weise veranlasst wird, 141 eine Tätigkeit gegen den eigenen Willen aufzunehmen. Ein solcher Fall kann gegeben sein, wenn die Veranlassung zu der Arbeit durch die erziehungsberechtigten Eltern geschieht und die Veranlassung in Art und Umfang durch das Erziehungsrecht der Eltern gedeckt ist. Das richtet sich nicht notwendig nach deutschem Recht, sondern nach dem für das Verhältnis zwischen den Eltern und der Person geltenden Recht, vorausgesetzt, dass sich das Erziehungsrecht der Eltern im Rahmen des UN-Zivilpakts bewegt. Wenn ein behinderter Mensch in zulässiger Weise zu einer therapeutischen Zwecken dienenden Tätigkeit angehalten wird, ist auch darin keine Zwangsarbeit zu sehen. Ebenso kann im Regelfall die Durchsetzung einer staatlichen Schulpflicht nicht als Zwangsarbeit beurteilt werden. cc) Gesamtabwägung Im Übrigen ist die Unzulässigkeit des Eingriffs in die Selbstbestimmungsfreiheit 142 durch Gesamtabwägung festzustellen. Eine durch Gewalteinwirkung oder Drohung hergestellte Zwangslage trägt die Vermutung eines unzulässigen Eingriffs in die Selbstbestimmungsfreiheit in sich. Dasselbe gilt, wenn die Person zu einer Tätigkeit oder Dienstleistung zu völlig unangemessenen Bedingungen veranlasst, ihre Arbeitskraft also ausgebeutet wird, denn im Regelfall ist nicht anzunehmen, dass eine Person aufgrund freier Willensentscheidung zulässt, dass ein Dritter ihre Arbeitskraft ausbeutet. Das Fehlen eines Arbeitsvertrages und einer BezahGehling/Fischer

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§ 2 | Begriffsbestimmungen lung sind Hinweise für Ausbeutung: Abgesehen von Hilfeleistungen in einem üblichen zwischenmenschlichen Rahmen ist nicht anzunehmen, dass eine Person, die Alternativen hat, für eine andere oder für ein Unternehmen aus eigener Entscheidung Arbeit leistet, wenn sie dafür keine oder nur völlig unangemessene Bezahlung erhält. Das Zurückhalten von Ausweis- oder Reisepapieren kann dafür ein Anhaltspunkt sein. Indiz für Zwangsarbeit ist ferner, dass die zur Arbeit oder Dienstleistung veranlasste Person gehindert ist oder sich gehindert sieht, die Arbeit aufzugeben und einer anderen Tätigkeit nachzugehen. Nicht jedes Hindernis führt allerdings dazu, dass die Arbeit als Zwangsarbeit anzusehen ist. Wer mangels besserer Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt eine Arbeit oder Tätigkeit übernimmt, die er an sich nicht übernehmen möchten, ist deswegen noch kein Opfer von Zwangsarbeit.188 Umgekehrt muss das Hindernis nicht eine physische Barriere sein. Auch wer die Unerfahrenheit oder Fremdheit der beschäftigten Person in dem Land des Beschäftigungsorts durch Täuschung oder Drohung ausnutzt, verstößt unter Umständen gegen das Verbot der Zwangsarbeit. g) Ausnahmen vom Verbot der Zwangsarbeit 143 Das Verbot der Zwangsarbeit gilt nicht ohne Ausnahmen. Nach Abs. 2 Nr. 3 gilt

das Zwangsarbeitsverbot nicht für Arbeiten oder Dienstleistungen, die durch Art. 2 Abs. 2 des ILO-Übereinkommens Nr. 29 oder nach Art. 8 lit. b. oder c. des UN-Zivilpakts zugelassen sind. Der Wortlaut legt nahe, dass Zwangsarbeit immer dann nicht anzunehmen ist, wenn der zu beurteilende Fall durch eine Ausnahme gedeckt ist. Da die Bundesrepublik völkerrechtlich sowohl an das ILO-Übereinkommen Nr. 29 als auch an den UN-Zivilpakt gebunden ist und beide daher geltender Bestandteil des Bundesrechts sind, stellt sich die Frage, ob eine einschränkende Auslegung geboten ist. Das ist wegen der Wortlautgrenze des Gesetzes nicht anzunehmen. Es reicht aus, wenn die Ausnahmen durch Art. 2 Abs. 2 des ILO-Übereinkommens Nr. 29 oder Art. 8 lit. b. oder c. des UN-Zivilpakts zugelassen ist.

aa) Militärdienst 144 Sowohl Art. 2 Abs. 2 des ILO-Übereinkommens Nr. 29 als auch Art. 8 lit. c. des

UN-Zivilpakts lassen die Verpflichtung zum Militärdienst zu. Das ILO-Übereinkommen setzt voraus, dass die Militärdienstpflicht auf einem Gesetz beruht und rein militärischen Zwecken dient. Art. 8 lit. c. des UN-Zivilpakts nimmt dagegen jede Dienstleistung militärischer Art aus und geht damit nach seinem Wortlaut über Art. 2 Abs. 2 des ILO-Übereinkommens hinaus. Auch ein gesetzlich vorgeschriebener Ersatzdienst, den Wehrdienstverweigerung zu leisten haben, gilt nicht als Zwangsarbeit. Für Unternehmen ist die Militärdienstausnahme allenfalls in Ausnahmefällen von Bedeutung, etwa wenn das verpflichtete Unternehmen oder ein Zulieferer in dem Land, in dem sie tätig sind, auf militärischen Schutz angewiesen sind. 188 Hembach, Praxisleitfaden LkSG, 2022, S. 70.

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Begriffsbestimmungen | § 2

bb) Zwangsarbeit aufgrund gerichtlicher Verurteilung Nach Art. 2 Abs. 2 des ILO-Übereinkommens sind Arbeiten und Dienstleistungen 145 keine verbotene Zwangsarbeit, wenn sie aufgrund einer gerichtlichen Verurteilung verlangt wird und die Arbeit oder Dienstleistung unter Überwachung und Aufsicht der öffentlichen Behörden ausgeführt wird.189 Die zur Arbeits- oder Dienstleistung verurteilte Person darf nicht an Einzelpersonen oder privaten Gesellschaften und Vereinigungen verdingt oder ihnen sonst zur Verfügung gestellt werden. Eine Zwangsbeschäftigung von Strafgefangenen durch private Unternehmen ist 146 nach Art. 2 Abs. 2 des ILO-Übereinkommens grundsätzlich unzulässig. Produkte oder Dienstleistungen, zu deren Herstellung oder Erbringung Gefangene gezwungen werden, begründen dagegen nicht automatisch einen Mangel in der Lieferkette, wenn – die Zwangsarbeit auf einer gerichtlichen Verurteilung beruht, – die Verurteilung nach dem am Beschäftigungsort geltenden Recht rechtmäßig ist und die jedermann zustehenden Rechte nach dem UN-Zivilpakt beachtet worden sind. Nach Art. 8 lit. b. und c. des UN-Zivilpakts ist unzulässige Zwangsarbeit nicht ge- 147 geben, wenn nach dem nationalen Recht Straftaten mit einem mit Zwangsarbeit verbundenen Freiheitsentzug geahndet werden können und die Zwangsarbeit auf Grund einer Verurteilung durch ein zuständiges Gericht zu leisten ist, ferner bei Arbeiten oder Dienstleistungen, die üblicherweise von Personen verlangt werden, denen auf Grund einer rechtmäßigen Gerichtsentscheidung die Freiheit entzogen oder die aus einem solchen Freiheitsentzug bedingt entlassen worden sind. cc) Notstandslagen und Katastrophen Keine verbotene Zwangsarbeit sind nach Art. 8 lit. c. des UN-Zivilpakts ferner 148 Dienstleistungen im Falle von Notständen oder Katastrophen, die das Leben oder das Wohl der Gemeinschaft bedrohen. Art. 2 Abs. 2 des ILO-Übereinkommens Nr. 29 konkretisiert den Rahmen und sieht „jede Arbeit oder Dienstleistung in Fällen höherer Gewalt, namentlich im Falle von Krieg oder wenn Unglücksfälle eingetreten sind oder drohen, wie Feuersbrunst, Überschwemmung, Hungersnot, Erdbeben, verheerende Menschen- und Viehseuchen, plötzliches Auftreten von wilden Tieren, Insekten- oder Pflanzenplagen, und überhaupt in allen Fällen, in denen das Leben oder die Wohlfahrt der Gesamtheit oder eines Teiles der Bevölkerung bedroht ist,“ nicht als verbotene Zwangsarbeit an. dd) Bürgerpflichten Keine verbotene Zwangsarbeit sind Arbeiten und Dienstleistungen, die zu den 149 üblichen Bürgerpflichten in einem Land mit voller Selbstregierung gehört. Das 189 Eine Arbeitspflicht von Strafgefangenen regelt für den Strafvollzug in Deutschland § 41 StrafvollzugsG.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen regeln übereinstimmend Art. 2 Abs. 2 des ILO-Übereinkommens und Art. 8 lit. c. des UN-Zivilpakts. Auch diese Ausnahme hat in der Unternehmenspraxis geringe Bedeutung. ee) Kleinere Gemeinschaftsarbeiten 150 Nach Art. 2 Abs. 2 des ILO-Übereinkommens können Bürger schließlich zu

Diensten verpflichtet werden, die unmittelbar dem Wohle der Gemeinschaft dienen, durch die Mitglieder der Gemeinschaft ausgeführt werden und daher zu den üblichen Bürgerpflichten gerechnet werden können. h) Tatsächliche Bedeutung

151 Nach einer Studie des International Labour Office aus 2017190 werden weltweit

25 Millionen Menschen in Zwangsarbeit beschäftigt, davon 16 Millionen im Privatsektor, 4,8 Millionen im Rahmen sexueller Ausbeutungsstrukturen und 4 Millionen in staatliche angeordneter Zwangsarbeit.191 Nach Angaben des International Labour Office sind 25 Prozent der Opfer von Zwangsarbeit Kinder. Opfer sind zu einem hohen Anteil Frauen und Mädchen.192 Weltweit sind 5,9 von 1.000 Erwachsenen und 4,4 von 1.000 Kinder Opfer von Zwangsarbeit. Die ILO nennt als kritische Branchen die Hauswirtschaft, die Landwirtschaft, den Bausektor, das herstellende Gewerbe und Prostitution.193 i) ILO-Indikatoren

152 Die International Labour Office194 unterscheidet zwischen 11 Fallgruppen (indi-

cators), die es als Gefährdungslagen ansieht.195 Sie können daher als Grundlage 190 Vgl. International Labour Office und Walk Free Foundation in partnership with International Organisation for Migration (IOM), Forced Labour and Forced Marriage, Genf, 2017, [Abruf unter https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---dgreports/ ---dcomm/documents/publication/wcms_575479.pdf]. 191 Vgl. Europäische Kommission, International Labour Office vom 12.7.2021 [Abruf unter https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2021/july/tradoc_159709.pdf]. 192 Nach Angaben des International Labour Office (Forced Labour and Forced Marriage, Genf, 2017, Seite 10 [Abruf unter https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---dg reports/---dcomm/documents/publication/wcms_575479.pdf]: Bei einer Gesamtschau von Zwangsarbeit und Zwangsheirat sind zu 71 Prozent Frauen und Mädchen betroffen. 193 Vgl. https://www.ilo.org/berlin/arbeitsfelder/kinderarbeit/WCMS_546555/lang-de/in dex.htm. 194 ILO Indicators of Forced Labour, ILO’s Special Action Programme to Combat Forced Labour, 1.10.2012, https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/–ed_norm/–declaration/ documents/publication/wcms_203832.pdf. 195 An dem Indikatorenkatalog des ILO orientiert sich auch die Gesetzesbegründung; vgl. auch Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 36: „Indikatoren für die Beschäftigung in Zwangsarbeit sind etwa das Einbehalten von Löhnen, das Einschränken der Bewegungsfreiheit

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für eine Risikoanalyse verwendet werden. Die ILO-Indikatoren sind aber keine Tatbestandsmerkmale und keine gesetzlichen oder durch die ILO-Übereinkommen vorgegebenen Regelbeispiele.196 Ausnutzung der Verletzlichkeit oder Hilflosigkeit einer Person. Menschen, 153 die die Landessprache oder die Gesetze nicht beherrschen, die nur wenige Möglichkeiten haben, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, die einer religiösen oder ethnischen Minderheit angehören, die eine Behinderung haben oder die andere Merkmale aufweisen, die sie von der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden, sind nach Erkenntnissen des International Labour Office besonders anfällig für Missbrauch und häufiger von Zwangsarbeit betroffen. Wenn ein Arbeitgeber eine solche Lage ausnutze, etwa überlange Arbeitszeiten vorgebe, Lohn einbehalte oder andere Abhängigkeitsfaktoren gegeben sind (Zuweisung einer Wohnung durch den Arbeitgeber, Stellung von Verpflegung, Einbehalten von Ausweispapieren) könne Zwangsarbeit vorliegen. Richtigerweise ist im Einzelfall eine Abwägungsentscheidung anhand der allgemeinen Kriterien vorzunehmen. Täuschung. Opfer von Zwangsarbeit werden nach Erkenntnissen des Interna- 154 tional Labour Office oft mit dem Versprechen auf eine reguläre und gut bezahlte Arbeit angeworben. Zwangsarbeit kann vorliegen, wenn nach Arbeitsaufnahme die versprochenen Arbeitsbedingungen nicht eingehalten würden, sich der Arbeitnehmer in einer missbräuchlichen Lage wiederfinde, ohne die Möglichkeit zu haben zu entkommen. Dann könne nicht mehr von einer freien selbstbestimmten Entscheidung zur Aufnahme der Arbeit gesprochen werden. Betrügerische Anwerbepraktiken könnte etwa sein: falsche Versprechungen über die Arbeitsbedingungen und Gehälter, Täuschungen über die Art der Arbeit, die Wohn- und Lebensbedingungen, den Erwerb eines regulären Migrationsstatus, den Arbeitsort oder die Identität des Arbeitgebers. Bei Kinder gelte dasselbe, wenn ihnen oder ihren Eltern falsche Versprechungen über den Schulbesuch oder die Häufigkeit der Besuche von oder bei ihren Eltern gemacht werden. Beschränkung der Bewegungsfreiheit.197 Wenn Arbeitnehmer das Betriebs- 155 gelände nicht frei betreten und verlassen können, ist dies nach Ansicht des das eines Beschäftigten, das Einbehalten von Ausweisdokumenten, die Schaffung unzumutbarer Arbeit und Lebensverhältnisse durch eine Arbeit unter gefährlichen Bedingungen oder in vom Arbeitgeber gestellten unzumutbaren Unterkünften, ein exzessives Maß an Überstunden sowie die Anwendung von Einschüchterungen und Drohungen.“ 196 So auch das International Labour Office (ILO Indicators of Forced Labour, ILO’s Special Action Programme to Combat Forced Labour, 1.10.2012, https://www.ilo.org/wcmsp5/ groups/public/–ed_norm/–declaration/documents/publication/wcms_203832.pdf.): „The presence of a single indicator in a given situation may in some cases imply the existence of forced labour. However, in other cases you may need to look for several indicators which, taken together, point to a forced labour case. Overall, the set of eleven indicators covers the main possible elements of a forced labour situation, and hence provides the basis to assess whether or not an individual worker is a victim of this crime.“ 197 Vgl. auch Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 36.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen International Labour Offices ein starkes Indiz für Zwangsarbeit. Bei zutreffender Sicht ist aber zu unterscheiden: Wenn die Arbeiter das Betriebsgelände nicht frei verlassen können, um die Sicherheit der Arbeitnehmer oder des Betriebsgeländes zu gewährleisten, ist darin sicher kein Indiz für Zwangsarbeit zu sehen. Auch Überwachungskameras oder Sicherheitspersonal deuten nicht per se auf Zwangsarbeit hin. 156 Abgelegener Arbeitsort (Isolation). Die Opfer von Zwangsarbeit seien oft, so das

International Labour Office, an abgelegenen Orten isoliert und hätten keinen Kontakt zur Außenwelt. Zum Teil würden sie nicht einmal wissen, wo sie sich befinden, etwa wenn die Baustelle weit von Wohngebieten entfernt sei und den Arbeitern keine Transportmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Auch in bewohnten Gebieten könnten Arbeiter isoliert werden, indem sie hinter verschlossenen Türen gehalten oder ihre Mobiltelefone oder andere Kommunikationsmittel konfisziert werden, um sie daran zu hindern, mit ihren Familien in Kontakt zu treten und um Hilfe nachzusuchen. Gefahrbegründende Isolation könne auch dann eintreten, wenn die Arbeiter in den Behörden nicht bekannten und nicht registrierten Geschäftsräumen tätig seien und Strafverfolgungsbehörden oder andere Stellen keine Möglichkeiten haben, das Unternehmen ausfindig zu machen und zu überwachen.

157 Physische und sexuelle Gewalt. Zwangsarbeiter, ihre Familienangehörigen und

nahestehende Personen seien häufig physischer oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Die Gewalt könne auch darin bestehen, dass Arbeitnehmer gezwungen werden, Drogen oder Alkohol zu nehmen. Da Gewalt als Disziplinarmaßnahme unter keinen Umständen akzeptabel sei, sei die Anwendung oder Androhung von Gewalt ein sehr starker Indikator für Zwangsarbeit. Körperliche Entführung oder Kidnapping sei eine extreme Form der Gewalt, die eingesetzt werden kann, um eine Person gefangen zu nehmen und sie dann zur Arbeit zu zwingen.

158 Einschüchterung und Drohung.198 Anzeichen für Zwangsarbeit könnten, so das

International Labour Office, sein, wenn Arbeitnehmer bedroht werden, wenn sie sich über ihre Arbeitsbedingungen beschweren oder ihre Arbeit aufgeben wollen. Neben der Androhung von körperlicher Gewalt würden Arbeitnehmer häufig auch mit Anzeige bei Einwanderungsbehörden, Lohnverlusten oder Verlust des Zugangs zu Wohnraum oder Land, die Entlassung von Familienmitgliedern, der weiteren Verschlechterung der Arbeitsbedingungen oder dem Entzug von „Privilegien“ bedroht wie dem Recht, den Arbeitsplatz zu verlassen.

159 Einbehalten von Ausweispapieren.199 Als typisches Anzeichen von Zwangs-

arbeit sieht das international Labour Office die Einbehaltung von Ausweispapieren oder anderen wertvollen persönlichen Gegenständen, wenn die Arbeitnehmer nicht in der Lage seien, frei auf Ausweispapiere oder persönliche Gegenstände zuzugreifen und wenn sie das Gefühl hätten, dass sie den Arbeitsplatz 198 Vgl. auch Entwurf eines Lieferketten, BT-Drucks. 199 Vgl. auch Entwurf eines Lieferketten, BT-Drucks.

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Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in 19/28649, 36. Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in 19/28649, 36.

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nicht verlassen können, ohne ihren Verlust zu riskieren. In diesen Fällen sei der Arbeitnehmer häufig gar nicht in der Lage, ohne Ausweispapiere eine andere Arbeit zu finden, und habe unter Umständen Angst, Behörden oder Hilfsorganisationen um Hilfe zu bitten. Vorenthalten von Löhnen.200 Wenn die Löhne systematisch und absichtlich vor- 160 enthalten werden, um den Arbeitnehmer zu veranlassen, im Unternehmen zu verbleiben, deute dies – das das International Labour Office – auf Zwangsarbeit hin. Schuldknechtschaft201 (debt bondage). Schuldknechtschaft ist eine wichtige Fall- 161 gruppe von Zwangsarbeit. Zwangsarbeiter würden oft arbeiten, um eine entstandene oder manchmal sogar ererbte Schuld zu begleichen. Die Schulden können aus Lohnvorschüssen oder Krediten zur Deckung von Anwerbungs- oder Transportkosten oder aus Ausgaben für den täglichen Lebensunterhalt oder für Notfälle, wie z.B. medizinische Kosten, stammen. Mitunter würden die Schulden durch Kontomanipulationen vergrößert, insbesondere wenn die Arbeitnehmer Analphabeten sind. Schuldknechtschaft könne auch entstehen, wenn Kinder im Gegenzug für ein Darlehen an ihre Eltern oder Verwandten angeworben werden. Anzeichen für Schuldknechtschaft sei, wenn die geleistete Arbeit unterbewertet oder überhöhte Zinssätze bzw. Abgaben für Unterkunft und Verpflegung verlangt werden. Schuldknechtschaft sei Ausdruck eines Machtungleichgewichts zwischen dem Arbeitnehmer als Schuldner und dem Arbeitgeber als Gläubiger. Schuldknechtschaft binde den Arbeitnehmer auf unbestimmte Zeit an den Arbeitgeber, von einer einzigen Saison bis zu Jahren oder sogar über mehrere Generationen hinweg. Die Situation habe keine Ähnlichkeit mit der Aufnahme eines „normalen“ Kredits bei einer Bank oder einem anderen unabhängigen Kreditgeber, der zu einvernehmlich festgelegten und akzeptablen Bedingungen zurückgezahlt wird. Unangemessene Arbeits- und Lebensbedingungen.202 Das International La- 162 bour Office weist darauf hin, dass Opfer von Zwangsarbeit wahrscheinlich Lebens- und Arbeitsbedingungen ertragen müssten, die ein Arbeitnehmer niemals freiwillig akzeptieren würde, etwa, wenn die Arbeit unter erniedrigenden, schmutzigen oder gefährlichen Bedingungen oder unter groben Verletzungen von arbeitsrechtlichen Mindeststandards geleistet werden müsse. Häufig seien Zwangsarbeiter erniedrigenden Lebensbedingungen ausgesetzt und müssten in überfüllten und ungesunden Räumen ohne jegliche Privatsphäre leben. Extrem schlechte Arbeits- und Lebensbedingungen allein sind noch kein ausreichender Anhaltspunkt für Zwangsarbeit. Menschen würden manchmal schlechte Bedingungen „freiwillig“ in Kauf nehmen, weil es keine alternativen Arbeitsplätze gibt. Missbräuchliche Bedingungen sollten jedoch als ein „Alarmsignal“ für das 200 Vgl. auch Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 36. 201 Vgl. die Definition in Art. 1 lit. a. des UN-Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken vom 7.9.1956. 202 Vgl. auch Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 36.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen mögliche Vorhandensein von Zwang angesehen werden, der die ausgebeuteten Arbeitnehmer daran hindere, den Arbeitsplatz zu verlassen. 163 Exzessive Arbeitszeiten.203 Zwangsarbeiter würden nicht selten gezwungen, so

das International Labour Office, über die gesetzlich oder tarifvertraglich vorgeschriebenen Grenzen hinaus übermäßig viel zu arbeiten. Anzeichen von Zwangsarbeit könne sein, dass den Arbeitern Pausen und freie Tage verweigert werden, dass sie wahllos die Schichten und Arbeitszeiten von Kollegen übernehmen müssten oder dass sie 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche auf Abruf bereitstehen müssen. Als Faustregel gelte, dass es sich um Zwangsarbeit handelt, wenn Arbeitnehmer unter Androhung (z.B. der Entlassung) mehr Arbeit leisten müsse, als nach nationalem Recht zulässig ist, oder wenn massive Mehrarbeit verlangt werde, um nur den Mindestlohn zu erhalten.

j) Leitlinien des Europäischen Auswärtigen Dienstes 164 Am 21.7.2021 hat der Europäische Auswärtige Dienst204 Leitlinien (Guidance)

mit Hinweisen zur Vermeidung von Zwangsarbeit in Lieferketten von Unternehmen veröffentlicht.205 Die rechtliche Qualität der Guidance ist unklar. Rechtlich bindend ist sie nicht. Der Dienst weist darauf hin, dass die Guidance nicht notwendig die „offizielle“ Positionen der Europäischen Union oder des Europäischen Auswärtigen Dienst wiedergibt.206 In der Guidance listet der Europäische Auswärtige Dienst die nach seiner Ansicht maßgebenden Risikofaktoren für Zwangsarbeit auf. Eine wissenschaftliche Grundlage für die Ermittlung der Indizien gibt der Europäische Auswärtige Dienst nicht an. Einzelnen, in der Guidance genannten Punkten ist eher ein geringer Indizwert beizumessen: aa) Länderbezogene Risikofaktoren

165 Der Europäische Auswärtige Dienst sieht ein erhöhtes Länderrisiko,

– in Ländern, die die 8 grundlegenden ILO-Übereinkommen nicht ratifiziert haben oder insgesamt einen niedrigen Stand bei der Umsetzung von ILOÜbereinkommen haben; – in Ländern mit staatlich organisierten Arbeitsprogrammen, etwa Programmen mit Massenmobilisierung für groß angelegte nationale Entwicklungs203 Vgl. auch Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 36. 204 Der Europäische Auswärtige Dienst unterstützt den Hohen Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik bei der Erfüllung seiner Aufgaben, Art. 27 Abs. 3 EUV. 205 Vgl. Guidance on Due Diligence for EU Businesses to address the Risk of Forced Labour in their Operations and Supply Chains, July 12, 2021. 206 Vgl. Fußnote 1 der Guidance: „The information set out in this document does not necessarily reflect the official position of the European Commission or the European External Action Service, which under no circumstances can be held liable or responsible for the use that may be made thereof.“

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programme (insbesondere in Planwirtschaften) oder Arbeits- und/oder Berufsbildungsprogramme, die sich nur an Angehörige von ethnischen oder religiösen Minderheiten richten; – in Ländern, in denen friedliche Streiks untersagt sind; – in Ländern mit Regeln oder Programmen zur Arbeit von Häftlingen; – in Ländern, in denen Unternehmen ge- oder behindert werden (etwa durch Drohungen oder erzwungene Anwesenheit des Arbeitgebers vor Ort oder von Regierungsvertretern), sich selbst ein Lagebild zu machen und ausreichende Risikobewertungen durchzuführen. bb) Risikofaktoren im Zusammenhang mit Migration und fehlenden Arbeitspapieren In diesem Zusammenhang sollte ein besonderes Augenmerk folgenden Punkten 166 gelten: – Beschäftigung von Wanderarbeitern, insbesondere von irregulären Wanderarbeitern; – Arbeitnehmer, die über Dritte, einschließlich staatlicher Anwerber, angeworben werden; – Arbeitnehmer in Unterkünften auf dem Betriebsgelände oder in Unterkünften außerhalb des Betriebsgeländes, die mit dem Arbeitgeber verbunden sind; – Beschäftigung von Arbeitnehmern ohne Arbeitspapiere; – Fehlen von schriftlichen Arbeitsverträgen; – Anwesenheit von Kindern und Jugendlichen am Arbeitsplatz, insbesondere in gefährlicher Umgebung; – Beschäftigung von Arbeitnehmern, die die Landessprache nicht sprechen. cc) Risikofaktoren in Verbindung mit Kreditvereinbarungen Als problematisch erweisen sich hier z.B. folgende Sachverhalte: 167 – Arbeitnehmern werden Krediten zu unüblichen Konditionen gewährt; – Arbeitnehmer haben nicht die Möglichkeit, frei über ihren Lohn zu verfügen (etwa: ein unverhältnismäßig hoher Anteil des Lohns wird für die Unterkunft abgezogen); – Arbeitnehmer haben keinen freien Zugang zu ihren Ausweispapieren und Aufenthaltsgenehmigungen. – Arbeitnehmer werden unter Androhung von Strafen gezwungen, mehr Überstunden zu leisten als nach nationalem Recht oder (gegebenenfalls) Tarifverträgen erlaubt sind, unter Androhung von Strafen. – Arbeitnehmer werden unter Anwendung oder Androhung von physischer oder psychischer Gewalt oder Belästigung zur Arbeit veranlasst. Gehling/Fischer

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§ 2 | Begriffsbestimmungen 4. Verbot aller Formen der Sklaverei, sklavereiähnlicher Praktiken und Leibeigenschaft (Nr. 4) 168 Verboten sind alle Formen der Sklaverei, sklavereiähnlicher Praktiken, Leib-

eigenschaft oder anderer Formen von Herrschaftsausübung oder Unterdrückung im Umfeld der Arbeitsstätte, etwa durch extreme wirtschaftliche oder sexuelle Ausbeutung und Erniedrigungen.207

a) Grundlage des Verbots 169 Ausweislich der Gesetzesbegründung208 geht das Verbot auf Art. 8 Abs. 1 und 2

des UN-Zivilpakt zurück. Art. 8 Abs. 1 bestimmt, dass niemand in Sklaverei gehalten werden darf. Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen ihren Formen verboten. Art. 8 Abs. 2 ergänzt das strikte Verbot, andere Menschen in Leibeigenschaft zu halten. Das Verbot in Abs. 2 Nr. 4 geht über Art. 8 Abs. 1 und 2 des UN-Zivilpakts hinaus und verbietet auch sklavereiähnlicher Praktiken und andere Formen von Herrschaftsausübung oder Unterdrückung im Umfeld der Arbeitsstätte und nennt als Beispiele extreme wirtschaftliche oder sexuelle Ausbeutung und Erniedrigungen.

170 Das Verbot der Sklaverei und der Leibeigenschaft hat einem engen Kontext

zum Zwangs- und Pflichtarbeitsverbot. Der Europäische Gerichtshof für Menschrechte sieht Sklaverei und der Leibeigenschaft als besonders schwere Formen der Zwangsarbeit an.209 Dem ist zu folgen: Wenn Herrschaftsausübung dazu genutzt wird, einen Menschen gegen seinen Willen zu einer Tätigkeit für einen anderen veranlassen, handelt es sich zugleich um verbotene Zwangsarbeit. Die Ausnahmen, in denen Zwangs- und Pflichtarbeit zugelassen ist, finden keine Anwendung, wenn zugleich das Verbot nach Nr. 4 verletzt ist. Denn das Verbot von Sklaverei und Leibeigenschaft nach Nr. 4 gilt ohne Schranken. b) Sklaverei und Leibeigenschaft

171 Sklaverei und Leibeigenschaft sind eine Form der Herrschaftsausübung über an-

dere Menschen, die heute als mit der Würde des Menschen schlechthin unvereinbar angesehen wird. Sklaverei und Leibeigenschaft sind weltweit offiziell abgeschafft. Faktisch gibt es aber unverändert Unterdrückungs- und Ausbeutungsformen im Umfeld von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen, die Sklaverei und Leibeigenschaft gleichstehen.

172 Kennzeichen der Sklaverei war historisch die völlige Rechtlosigkeit des Sklaven

und die Möglichkeit eines anderen Menschen, Eigentumsrechte an dem Skla-

207 Vgl. Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 36. 208 Vgl. Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 36. 209 EGMR, Urt. v. 25.6.2020 – 60561/14 „S. M./Kroatien“, NVwZ-RR 2021, 785 Rz. 280.

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ven auszuüben, ihn also zu kaufen, zu verkaufen, zu vermieten, zu verleihen, und vollständig über den Sklaven, selbst über sein Leben und seine Gesundheit frei und willkürlich zu verfügen. Art. 1 Nr. 1 des ILO-Übereinkommens über die Sklaverei vom 25.9.1926 definiert Sklaverei als „Zustand oder die Stellung einer Person, an der die mit dem Eigentumsrecht verbundenen Befugnisse oder einzelne davon ausgeübt werden.“210 Sklavereiähnliche Praktiken sind Verhaltensweisen, bei denen ein Mensch fak- 173 tisch wie ein Sklave behandelt wird.211 Das es Eigentumsrechte an einem Menschen nicht gibt und jeder Mensch unveräußerliche Rechte hat, liegt in dem Verbot der sklavereiähnlichen Praktiken der eigentliche Kern des gesetzlichen Verbots. Leibeigenschaft bezeichnet ein Herrschaftsverhältnis, in dem zwar keine eigen- 174 tumsähnlichen Rechte an dem Leibeigenen bestehen, das aber durch weitgehende und mit der Menschenwürde nicht zu vereinbarende Vorenthaltung von grundlegenden Menschen- und Freiheitsrechten gekennzeichnet ist. Leibeigene konnten zu Frondiensten herangezogen werden, in der Regel nicht frei entscheiden, das ihnen zugewiesene Land zu verlassen oder einer anderen Tätigkeit nachzugehen, waren in grundlegenden Lebensentscheidungen, etwa der Heirat, auf die Zustimmung des Lehnsherrn angewiesen und dem Lehnherr Hörigkeit schuldig, unterstanden seiner Gerichtsbarkeit und schuldeten ihm Naturalabgaben. Durch Geburt gerieten auch die Kinder des Leibeigenen in Leieigenschaft. Nach Art. 1 lit. b des UN-Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken vom 7.9.1956 bezeichnet Leibeigenschaft die Stellung einer Person, die durch Gesetz, Gewohnheitsrecht oder Vereinbarung verpflichtet ist, auf einem einer anderen Person gehörenden Grundstück zu leben und zu arbeiten und dieser Person bestimmte entgeltliche oder unentgeltliche Dienste zu leisten, ohne seine Stellung selbständig ändern zu können. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte212 sieht als „Leibeigenschaft“ „eine besonders schwere Form der Freiheitsberaubung“. Sie schließe „außer der Verpflichtung, anderen bestimmte Dienste zu leisten, … die Verpflichtung für den ‚Leibeigenen‘ (ein), unter dem Dach dieses anderen zu wohnen, und die Unmöglichkeit, seine Lage zu ändern“.

210 Vgl. auch EGMR, Urt. v. 26.7.2005 – 73316/01 „Siliadin/Frankreich“, NJW 2007, 41 Rz. 122; EGMR, Urt. v. 25.6.2020 – 60561/14 „S. M./Kroatien“, NVwZ-RR 2021, 785 Rz. 279 f.; Hamburgisches OVG, Urt. v. 27.10.2021 – 4 Bf 106/20.A, juris Rz. 108 zu Art. 4 Abs. 1 EMRK. 211 Vgl. auch Art. 7 lit. b des UN-Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken vom 7.9.1956. 212 Vgl. auch EGMR, Urt. v. 26.7.2005 – 73316/01 „Siliadin/Frankreich“, NJW 2007, 41 Rz. 123.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen c) Herrschaftsausübung oder Unterdrückung im Umfeld der Arbeitsstätte 175 Die Begriffe der Herrschaftsausübung oder Unterdrückung im Umfeld der Ar-

beitsstätte sind Oberbegriffe für Sklaverei, sklavereiähnliche Praktiken und Leibeigenschaft. Herrschaftsausübung und Unterdrückung sind synonyme Ausdrücke, einmal aus Sicht des Täters, einmal aus Sicht des Opfers. Beide Begriffe haben drei Elemente: Erforderlich ist, dass (i) eine Person unter Zwang arbeitet und sich aufgrund der von einem anderen angewendeten Methoden der Unterdrückung von diesem Zwang nicht selbständig befreien kann, (ii) die Zwangsarbeit mit einer weitgehenden Bescheidung von Freiheitsrechten, insbesondere des Rechts, sich frei zu bewegen, einhergeht, und (iii) die Beschneidung von Freiheitsrechten zur Ausbeutung der Person genutzt wird oder mit einer erniedrigenden Behandlung einhergeht. Das UN-Jugoslawien-Tribunal beschreibt diese moderne Form der Sklaverei in seinem Urteil vom 12.6.2002213 wie folgt:

„The Appeals Chamber considers that the question whether a particular phenomenon is a form of enslavement will depend on the operation of the factors or indicia of enslavement identified by the Trial Chamber. These factors include the ‚control of someone’s movement, control of physical environment, psychological control, measures taken to prevent or deter escape, force, threat of force or coercion, duration, assertion of exclusivity, subjection to cruel treatment and abuse, control of sexuality and forced labour‘.“

176 Die wichtigsten Formen der Ausbeutung sind wirtschaftliche und sexuelle Aus-

beutung: Im ersten Fall wird der Person ein Lohn ganz vorenthalten oder eine unangemessen niedrige Entlohnung geleistet, im zweiten Fall wird die Person gezwungen, sexuelle Handlungen vorzunehmen oder an sich vornehmen zu lassen oder sexuelle Begierde zu erregen. „Erniedrigend“ ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen.214 5. Verbot der Missachtung von Vorschriften des Arbeitsschutzes (Nr. 5)

177 Nr. 5 verbietet die Missachtung der dem Unternehmen obliegenden Pflichten

des Arbeitsschutzes, wenn die Missachtung entweder die Gefahr von Unfällen bei der Arbeit und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren begründet. Maßgebend das Recht des Beschäftigungsortes. Die deutschen Arbeitsschutzstandards müssen nicht erfüllt werden. 213 United Nations, International Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in the Territory of the Former Yugoslavia since 1991, Judgement of 12 June 2002, IT-96-23 und IT-96-23/ 1-A „Kunarac/Kovac/Vukovic“, Rz. 119. 214 Vgl. EGMR, Urt. v. 26.10.2000 – 30210/96 –, Rz. 92; VG Düsseldorf, Urt. v. 7.11.2019 – 6 K 1503/19.A, juris Rz. 20; EASO, Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes (Richtlinie 2011/95/EU), S. 122 m.w.N.

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a) Grundlagen Ausweislich der Gesetzesbegründung215 dient das Verbot dem Schutz des 178 Rechts auf Leben aus Art. 6 Abs. 1 des UN-Zivilpakts, des Rechts auf Gesundheit aus Art. 12 des UN-Sozialpakts und der Verwirklichung sicherer und gesunder Arbeitsbedingungen, wie in Art. 7 lit. b des UN-Sozialpakts bestimmt. Für die Ausgestaltung des Verbots hat der Gesetzgeber ergänzend das ILOÜbereinkommen Nr. 155 vom 22.6.1981 über Arbeitsschutz und Arbeitsumwelt und das ILO-Übereinkommen Nr. 187 vom 15.6.2006 über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz herangezogen. b) Gefahr von Unfällen bei der Arbeit und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren Das Verbot nach Nr. 5 ist nicht bei allen Überschreitungen von den nach dem 179 Recht des Beschäftigungsortes geltendem Arbeitsschutzvorschriften anwendbar. Erforderlich ist vielmehr die Verletzung einer Vorschrift, die die Gefahr von Unfällen bei der Arbeit oder arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren entstehen lassen. Das Verbot ist nicht erst verletzt, wenn eine konkrete Gefahrenlage entsteht oder die Gesundheit geschädigt bzw. Unfälle aufgetreten sind. Eine Arbeitsschutzvorschrift, die bezweckt, die Gefahr von Unfällen bei der Arbeit oder arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren abzuwenden, muss auch vor Eintritt einer konkreten Gefahrenlage eingehalten werden. c) Regelbeispiele/Konkretisierungs- und Indikatorfunktion Das Gesetz regelt vier Fallgruppen, in denen der Gesetzgeber „insbesondere“ Un- 180 fall- oder Gesundheitsgefahren sieht: (i) wenn offensichtlich ungenügende Sicherheitsstandards angewendet werden, (ii) wenn geeignete Schutzmaßnahmen fehlen, um Einwirkungen durch chemische, physikalische oder biologische Stoffe zu vermeiden, (iii) wenn keine Arbeits- oder Ruhepausen eingehalten oder (iv) die Beschäftigten ungenügend ausgebildet und unterwiesen werden. Die vier Regelbeispiele sind nicht abschließend. Andere Anwendungsfälle müssen aber den in Nr. 5 genannten Regelbeispielen hinsichtlich ihrer Gefahrenintensität vergleichbar sein. Die vier Fallgruppen haben neben ihrer Funktion als Regelbeispiele eine Kon- 181 kretisierungsfunktion. Soweit nicht konkrete Anhaltspunkte für die Verletzung von anderen Arbeitsschutzvorschriften vorliegen, die Gefahr von Unfällen bei der Arbeit oder arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren entstehen lassen, kann sich eine Risikoanalyse auf die vier Regelbeispielsgruppen beschränken (Indikatorfunktion der Regelbeispiele). Nicht klar ist, ob das Gesetz die vier Gefahrengruppen als selbständige Verbote 182 versteht und eine menschenrechtliche Verletzung immer annimmt, wenn die 215 Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 36.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen Tatbestandsmerkmale einer Fallgruppe gegeben sind, also das Unternehmen etwa „offensichtlich ungenügende Sicherheitsstandards bei der Bereitstellung und der Instandhaltung der Arbeitsstätte, des Arbeitsplatzes und der Arbeitsmittel“ angewendet hat. In diese Richtung deutet die Gesetzesbegründung, denn sie gibt zu den einzelnen Fallgruppen Hinweise, die sich wie eine Arbeitsinstruktion lesen. Ein Beispiel zur Ausbildung und Unterweisung der Beschäftigten: „Um Gefahrensituationen zu erkennen, müssen Arbeitnehmer vor der Einstellung eine den Anforderungen der Tätigkeit entsprechende Ausbildung besitzen und eine geeignete Unterweisung bezüglich der konkreten Gefährdungen des Arbeitsplatzes oder Aufgabenbereiches sowie geeigneter Gegen-und Notfallmaßnahmen erhalten.“ Für die rechtliche Beurteilung kommt es danach nicht mehr darauf an, dass nationale Arbeitsschutzvorschriften verletzt werden. Die grammatikalische Auslegung von Nr. 5 führt indes zu einem anderen Ergebnis. Denn Voraussetzung für eine Verletzung des Verbots in Nr. 5 ist immer eine „Missachtung der nach dem Recht des Beschäftigungsortes geltenden Pflichten des Arbeitsschutzes“. Erst wenn die Verletzung einer nationalen Arbeitsschutzvorschrift feststeht, kann und muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob die Verletzung der nationalen Arbeitsschutzvorschrift eine Unfall- oder Gesundheitsgefahr begründet. Das ist immer und „insbesondere“ anzunehmen, wenn die missachtete Arbeitsschutzvorschrift in eine der vier gefahrbegründen Fallgruppen eingeordnet werden kann. Der Schutzzweck von Nr. 5 unterstützt die grammatikalische Auslegung. Der Gesetzgeber will offensichtlich die Durchsetzung von Arbeitsschutzstandards an dem nationalen Recht orientieren und keine weltweit geltenden Mindeststandards des Arbeitsschutzes einführen, die neben den nationalen Arbeitsschutzsstandards in jedem Fall Beachtung finden müssen, wie die Gesetzesbegründung vermuten lässt.216 aa) Offensichtlich ungenügende Sicherheitsstandards 183 Eine Unfall- oder Gesundheitsgefahr nimmt das Gesetz „insbesondere“ an, wenn

das Unternehmen offensichtlich ungenügende Sicherheitsstandards bei der Bereitstellung und der Instandhaltung der Arbeitsstätte, des Arbeitsplatzes und der Arbeitsmittel anwendet. Offensichtlich ungenügend ist der Sicherheitsstandard, wenn einem verantwortungsvollen Unternehmen auch ohne weitere Nachforschungen klar ist, dass die Verletzung der Arbeitsschutzvorschrift eine Unfallgefahr bei der Arbeit oder eine arbeitsbedingte Gesundheitsgefahr begründet. Die Gesetzesbegründung217 weist darauf hin, dass der Arbeitsplatz alle Orte umfasst, an denen der Beschäftige für die Arbeit tätig ist, die Arbeitsstätte darüber hinaus auch das weitere Betriebsgelände sowie Verkehrs- und Fluchtwege. Ein offensichtlich ungenügender Sicherheitsstandard wird angewendet, wenn kein genügender Brandschutz vorhanden oder gar Not- oder Sicherheitsausgänge 216 Vgl. aber zu dem Verbot nach Abs. 2 Nr. 12 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 des UN-Zivilpakts und i.V.m. Art. 7 und 12 des UN-Sozialpakts. 217 Vgl. Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 36.

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versperrt sind. Dem Gesetzgeber standen offensichtlich die katastrophalen Unglücksfälle aus der Textilindustrie vor Augen, etwa der Brand einer Textilfabrik im pakistanischen Karatschi im Jahre 2012 (258 Tote) und der Einsturz eines Fabrikgebäudes in Dakha, Bangladesh, im Jahre 2013 (1.135 Tote und mehr als 2.438 Verletzte). bb) Schutzmaßnahmen gegen Einwirkung von chemischen, physikalischen oder biologischen Stoffen Eine Unfall- oder Gesundheitsgefahr nimmt das Gesetz ferner an, wenn die am 184 Beschäftigungsort geltenden Vorschriften missachtet werden, die dem Arbeitgeber aufgeben, geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um Einwirkungen durch chemische, physikalische oder biologische Stoffe zu vermeiden. Gesundheitsgefahren können sowohl durch unmittelbaren Kontakt des Betroffenen mit den Stoffen oder mittelbar über den Kontakt mit kontaminiertem Boden, Luft oder Wasser entstehen. Als Beispiele benennt die Gesetzesbegründung218 – Chemische Einwirkungen: Kontakt der beschäftigten Personen mit Pestiziden und Giften; schädliche Gase in der Raumluft; – Physikalische Einwirkungen: Unfälle mit unsicheren Maschinen, Kontakt mit hohen Temperaturen, Brand oder Detonation explosiver Materialien, elektrische Gefährdung und Strahlung. – Biologische Einwirkungen: durch Kontakt mit Bakterien, Viren oder Pilzen – Fehlen ausreichender Schutzbekleidung und Schutzausrüstung. cc) Arbeitszeiten und Ruhepausen Zu Unfall- oder Gesundheitsgefahren kann auch die Verletzung von Arbeits- 185 schutzvorschriften führen, die der Verhinderung übermäßiger körperlicher und geistiger Ermüdung dienen, etwa infolge überlanger Arbeitszeiten und fehlender Ruhepausen. dd) Ungenügende Ausbildung und Unterweisung von Beschäftigten Die vierte Regelbeispielsgruppe bilden solche Arbeitsschutzvorschriften, die auf 186 die ausreichende Ausbildung und Unterweisung von Beschäftigten zielen. 6. Verbot der Missachtung der Koalitionsfreiheit (Nr. 6) a) Grundlagen Nr. 6 verbietet die Missachtung der Koalitionsfreiheit und hebt die wichtigsten, 187 aus dem Recht der Koalitionsfreiheit folgende Rechte hervor, nämlich: 218 Vgl. Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 36.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen – das Recht der Arbeitnehmer, sich frei zu Gewerkschaften zusammenzuschließen oder diesen beitreten zu können, – den Schutz der Arbeitnehmer gegen Diskriminierungen oder Vergeltungsmaßnahmen als Folge der Gründung, dem Beitritt zu und der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft; – dem Recht von Gewerkschaften, sich frei und in Übereinstimmung mit dem Recht des Beschäftigungsortes zu betätigen; dieses umfasst das Streikrecht und das Recht auf Kollektivverhandlungen. 188 Regelungszweck ist der Schutz der arbeitsrechtlichen Koalitionsfreiheit. Die

Grundlagen dafür hat die ILO auf der allgemeinen Konferenz am 17.6.1948 beschlossen und im ILO-Übereinkommen Nr. 87 bestimmt.219 Ein Jahr später, auf der allgemeinen Konferenz am 1.7.1949, hat sie die Grundlagen durch ein allgemeines Diskriminierungsverbot ergänzt und im ILO-Übereinkommen Nr. 98 zusammengefasst. Art. 22 des UN-Zivilpakts und Art. 8 Abs. 1 (a) des UN-Sozialpakts bekräftigen das Recht der Koalitionsfreiheit. b) Recht zur Bildung von Gewerkschaften

189 Das Recht der Arbeitnehmer, sich frei zu Gewerkschaften zusammenzuschließen

oder diesen beitreten zu können, ist ein Unterfall des nach Art. 20 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geschützten Rechts der Vereinigungsfreiheit.220 Der Begriff der Gewerkschaft ist weit zu verstehen und erfasst in Übereinstimmung mit Art. 10 des ILO-Übereinkommens Nr. 87 „jede Organisation von Arbeitnehmern […], welche die Förderung und den Schutz der Interessen der Arbeitnehmer […] zum Ziele hat“. Geschützt ist: – das Recht, ohne vorherige Genehmigung nach eigener Wahl Organisationen zur Förderung und zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer zu bilden,221 – das Recht jedes Arbeitnehmers, einer solchen Organisationen beizutreten,222 – das Recht der Organisation, sich selbst zu verwalten, insbesondere eine Satzung und Geschäftsordnung zu geben, Vertreter frei zu wählen, Geschäftsführung und Tätigkeit zu regeln und ein Programm aufzustellen,223 – das Recht der Organisation, Verbände und Zentralverbände zu gründen und sich internationalen Organisationen der Arbeitnehmer anzuschließen.224

219 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 37. 220 Vgl. International Labour Office, General Survey of the Committee of Experts „Freedom of association and collective bargaining“, 1994, Ziff. 25. 221 Vgl. Art. 2 des ILO-Übereinkommens Nr. 87. 222 Vgl. Art. 2 des ILO-Übereinkommens Nr. 87. 223 Vgl. Art. 3 des ILO-Übereinkommens Nr. 87; vgl. auch Art. 8 Abs. 1 (c) des UN-Paktes vom 19.12.1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 224 Vgl. Art. 5 des ILO-Übereinkommens Nr. 87; vgl. auch Art. 8 Abs. 1 (b) des UN-Paktes vom 19.12.1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.

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Bei Ausübung des Koalitionsrechts haben sich Arbeitnehmer und ihre Organisa- 190 tionen an die geltenden Gesetze zu halten.225 Die Mitgliedsstaaten sind allerdings verpflichtet, die Koalitionsfreiheit weder durch innerstaatliche Gesetzgebung noch durch die Art ihrer Anwendung zu schmälern.226 Die Koalitionsfreiheit hat einen bestandsfesten Kern, in den die Mitgliedsstaaten nicht eingreifen dürfen. Erlaubt sind nur solche gesetzlich bestimmten Einschränkungen, „die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), zum Schutz der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.“227 Vgl. aber zu den Sorgfaltspflichten bei Bestehen eines staatlichen Koalitionsverbots Rz. 195. Die Freiheit, Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten, ist allein von 191 Staaten zu gewährleisten. Wird die Bildung von Gewerkschaften durch Staaten behindert oder beschränkt, hat das Rückwirkungen auf die Sorgfaltspflichten eines nach § 1 verpflichteten Unternehmens nur, wenn dieselben staatliche Stelle zu den Zulieferern des verpflichteten Unternehmens gehört. Unternehmen müssen nicht die rechtlichen Voraussetzungen für die Bildung von Gewerkschaften schaffen und können dies auch gar nicht. Ihre Aufgabe ist allein, das in dem jeweiligen Staat geltende Recht zu respektieren und gegebenenfalls anzuwenden, jedenfalls keine Maßnahmen zu ergreifen, um die Bildung von Gewerkschaften und den Beitritt von Arbeitnehmern unzulässig zu be- oder verhindern. Wenn das Unternehmen Rechtsschutz nach nationalem Recht in Anspruch nimmt, liegt darin allerdings noch keine Behinderung. Ob und in welchem Umfang sie Förder- oder Duldungspflichten haben, etwa die Duldung des Zugangs von Gewerkschaften zum Betriebsgelände, richtet sich nach dem jeweils geltenden nationalen Recht. c) Diskriminierungsverbot Die Koalitionsfreiheit schließt den Schutz der Arbeitnehmer gegen ungerecht- 192 fertigte Diskriminierungen oder Vergeltungsmaßnahmen als Folge der Gründung, dem Beitritt zu und der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ein.228 Der Arbeitgeber darf insbesondere nicht die Einstellung nicht davon abhängig machen, dass der Arbeitnehmer keiner Gewerkschaft beitritt oder aus einer Gewerkschaft austritt.229 Untersagt ist auch, einen Arbeitnehmer zu entlassen oder auf sonstige Weise zu benachteiligen, weil er einer Gewerkschaft angehört oder 225 Vgl. Art. 8 Abs. 1 des ILO-Übereinkommens Nr. 87. 226 Vgl. Art. 8 Abs. 1 des ILO-Übereinkommens Nr. 87. 227 Vgl. Art. 22 Abs. 2 des UN-Zivilpakts (aber: gesetzliche Einschränkungen für Angehörige der Streitkräfte oder der Polizei möglich; vgl. zu Ausnahmen auch Art. 8 Abs. 2 des UN-Sozialpakts. 228 Vgl. auch Art. 1 Abs. 1 des ILO-Übereinkommens Nr. 98: „Die Arbeitnehmer sind vor jeder gegen die Vereinigungsfreiheit gerichteten unterschiedlichen Behandlung, die mit ihrer Beschäftigung in Zusammenhang steht, angemessen zu schützen.“ 229 Vgl. Art. 1 Abs. 2 (a) des ILO-Abkommens Nr. 98.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen weil er sich außerhalb der Arbeitszeit (oder mit Zustimmung des Arbeitgebers während der Arbeitszeit) gewerkschaftlich betätigt.230 193 Abs. 2 Nr. 6 gewährleistet auch den Grundsatz der Gegnerfreiheit. Das ergibt

sich im Wege übereinkommenskonformer Auslegung aus Art. 2 des ILO-Abkommens Nr. 98. Danach ist den Organisationen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber Schutz gegen jede Einmischung von der anderen Seite zu gewähren. Als Einmischung gelten insbesondere Handlungen, die darauf gerichtet sind, von einem Arbeitgeber oder von einer Organisation von Arbeitgebern abhängige Organisationen von Arbeitnehmern ins Leben zu rufen oder Organisationen von Arbeitnehmern durch Geldmittel oder auf sonstige Weise zu unterstützen, um sie unter den Einfluss eines Arbeitgebers oder einer Organisation von Arbeitgebern zu bringen.231 d) Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften, insbesondere Streikrecht und Recht auf Kollektivverhandlungen

194 Das Recht der Koalitionsfreiheit schließt das Recht von Gewerkschaften ein, sich

frei und in Übereinstimmung mit dem Recht des Beschäftigungsortes zu betätigen. Es umfasst darüber hinaus das Streikrecht232 und das Recht auf Kollektivverhandlungen. Beide gehören zu den wichtigsten Tätigkeitsformen von Gewerkschaften. Auch wenn dies in Abs. 2 Nr. 6 nicht ausdrücklich bestimmt ist, besteht das Streikrecht und das Recht auf Kollektivverhandlungen jeweils nur in Übereinstimmung und im Rahmen des geltenden innerstaatlichen Rechts. Die Inanspruchnahme von Rechtsbehelfen durch die Arbeitgeberseite kann allenfalls in Ausnahmefällen als eine Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit angesehen werden.

e) Anwendung von Abs. 2 Nr. 6 bei staatlichem Koalitionsverbot oder Koalitionsbeschränkungen? 195 Eine in der Praxis wichtige Frage ist, ob das Verbot der Missachtung der Koaliti-

onsfreiheit auch dann verletzt sein oder ein Verletzungsrisiko bestehen kann, wenn in dem Land, in dem das Unternehmen oder der Zulieferer tätig ist, gesetzliche Verbote oder Beschränkungen der Koalitionsfreiheit bestehen. Die Gesetzesbegründung233 führt aus, dass Abs. 2 Nr. 6 von besonderer Bedeutung sein könne, wenn ein Unternehmen in Ländern aktiv ist, in denen Gewerkschaften verboten sind. Das deutet darauf hin, dass die Verfasser der Gesetzesbegründung Abs. 2 Nr. 6 auch bei staatlichen Koalitionsverboten oder -beschränkun230 Vgl. Art. 1 Abs. 2 des ILO-Abkommens Nr. 98. 231 Vgl. Art. 2 Abs. 2 des ILO-Abkommens Nr. 98. 232 Vgl. Art. 8 Abs. 1 (d) des UN-Paktes vom 19.12.1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 233 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 37.

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gen für anwendbar halten. Eine am Wortlaut der Vorschrift orientierte Auslegung ergibt dagegen, dass die Beachtung von staatlichen Koalitionsverboten und -beschränkungen keine Verletzungshandlung des Unternehmens ist. Eine Missachtung der Koalitionsfreiheit setzt voraus, dass das Unternehmen die rechtliche Möglichkeit zur Achtung der Koalitionsfreiheit hat. Das ist bei und im Umfang von staatlichen Koalitionsverboten oder -beschränkungen nicht der Fall.234 Die Missachtung der Koalitionsfreiheit findet in diesem Fall durch staatliche Organe, nicht aber durch das Unternehmen statt. Für die am Wortlaut orientierte Auslegung spricht auch die Gesetzesformulierung in Abs. 2 Nr. 6 lit. c, wonach die Koalitionsfreiheit das Recht von Gewerkschaften umfasst, sich frei und „in Übereinstimmung mit dem Recht des Beschäftigungsortes“ zu betätigen. Auch ist nicht vorstellbar, wie das verpflichtete Unternehmen einen Verursachungsbeitrag (§ 4 Abs. 2 LkSG) geleistet haben könnte, wenn die Missachtung des Koalitionsverbots auf eine gesetzliche Regelung oder eine staatliche Maßnahme zurückgeht. In dieselbe Richtung weist der gesetzessystematische Zusammenhang mit dem Angemessenheitsgebot in § 3 und den Sorgfaltspflichten in § 4 bis 7. Unternehmen sollen im Rahmen des ihnen Möglichen auf die Erfüllung der menschenrechtsbezogenen Pflichten hinwirken. Sie tragen dabei Verantwortung in ihrem eigenen Geschäftsbereich und in vermindertem Maße auch im Geschäftsbetrieb von Zulieferern, nicht aber für die Beachtung von menschenrechtsbezogenen Pflichten durch Drittstaaten. Bei einem staatlichen Koalitionsverbot muss das Unternehmen auch nicht nach weniger wirksamen, aber nicht verbotenen Ersatzlösungen suchen.235 Erst wenn die Arbeitnehmer oder ihre Vertretungen eine andere Form der kollektiven Wahrnehmung von Arbeitnehmerrechten anstreben und der Arbeitgeber diese, obwohl nicht mit einem staatlichen Verbot belegt, behindert, kann sich die Frage stellen, ob in der Behinderung einer nach Abs. 2 Nr. 6 relevante Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit zu sehen ist. 7. Verbot der Ungleichbehandlung in Beschäftigung (Nr. 7) Verboten ist nach Abs. 2 Nr. 7 die Ungleichbehandlung in Beschäftigung, etwa 196 aufgrund von nationaler und ethnischer Abstammung, sozialer Herkunft, Gesundheitsstatus, Behinderung, sexueller Orientierung, Alter, Geschlecht, politischer Meinung, Religion oder Weltanschauung, sofern diese nicht in den Erfordernissen der Beschäftigung begründet ist. Als eine besondere Ausformung des Verbots bestimmt Abs. 2 Nr. 7, dass für gleichwertige Arbeit nicht ungleiches Entgelt gezahlt werden darf.

234 Vgl. auch Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 144; für Pflicht, nach Ersatzlösungen zu suchen, etwa Schönfelder in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 4 Rz. 35. 235 So Schönfelder in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 4 Rz. 35.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen a) Grundlagen 197 Das Verbot ungleicher Behandlung in Beschäftigungsverhältnissen geht auf das

ILO-Übereinkommen Nr. 111 vom 25.6.1958 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf zurück.236 Das ILO-Übereinkommen richtet sich an die Vertragsstaaten und verpflichtet diese, eine innerstaatliche Politik zu verfolgen, die darauf abzielt, die Gleichheit in Beschäftigung und Beruf zu fördern. Mit ILO-Übereinkommen Nr. 100 vom 29.6.1951 erfährt das Diskriminierungsverbot eine besondere Ausprägung: Den Vertragsstaaten wird aufgeben, in ihrem Staatsgebiet sicherzustellen, dass Männer und Frauen für gleichwertige Arbeit gleiches Entgelt erhalten.

198 Darüber hinaus ist das Diskriminierungsverbot auch in Art. 26 des UN-Zivil-

pakts verankert. Als ein soziales Grundrecht sieht Art. 7 lit. a des UN-Sozialpakts an, dass Arbeitnehmer für gleichwertige Arbeit gleiches Entgelt erhalten und insbesondere Frauen keine ungünstigeren Arbeitsbedingungen als Männern gewährt werden. Die Gesetzesbegründung237 sieht eine Grundlage auch in Art. 2 Abs. 1 des UN-Zivilpakts und Art. 2 Abs. 2 des UN-Sozialpakts. Bei zutreffender Beurteilung richten sich die letztgenannten Vorschriften aber nur an die Vertragsstaaten und verpflichten diese, die durch die beiden UN-Pakte begründeten Rechte ohne Unterschied nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.

b) Gegenstand des Verbots der Ungleichbehandlung in Beschäftigung/ Konkretisierungsfunktion der gesetzlichen Beispielsfälle 199 Nach dem Wortlaut bestimmt Abs. 2 Nr. 7 ein allgemeines Verbot der Un-

gleichbehandlung in Beschäftigung. Die Ungleichbehandlung aufgrund von nationaler und ethnischer Abstammung, sozialer Herkunft, Gesundheitsstatus, Behinderung, sexueller Orientierung, Alter, Geschlecht, politischer Meinung, Religion oder Weltanschauung werden als Beispielsfälle („etwa“) benannt. Abs. 2 Nr. 7 geht damit über die Definition des Diskriminierungsverbots in Art. 1 Abs. 1 des ILO-Übereinkommen Nr. 111 hinaus, der sich nach seinem Wortlaut auf die Diskriminierung aufgrund der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, des Glaubensbekenntnisses, der politischen Meinung, der nationalen Abstammung oder der sozialen Herkunft beschränkt. Abs. 2 Nr. 7 weicht auch vom Konzept des deutschen AGG ab. § 7 Abs. 1 AGG beschränkt den Schutz des AGG auf die in § 1 des Gesetzes geregelten Diskriminierungssachverhalte, also auf Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Die Gesetzesbegründung deutet darauf 236 Vgl. Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 37. 237 Vgl. Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 37.

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hin, dass die Erweiterung auf nicht ausdrücklich genannte Diskriminierungssachverhalte vom Gesetzgeber auch gewollt ist.238 Die in Abs. 2 Nr. 7 benannten Diskriminierungssachverhalte haben neben ihrer 200 Funktion als Regelbeispiele Konkretisierungsfunktion: Soweit nicht konkrete Anhaltspunkte für anderen Diskriminierungssachverhalte vorliegen, sind die Sorgfaltspflichten, insbesondere die Pflicht zur Risikoanalyse, auf die genannten Regelbeispiele beschränkt (Indikatorfunktion der Regelbeispiele). Das Verbot des Abs. 2 Nr. 7 setzt eine Ungleichbehandlung in Beschäftigung vo- 201 raus. Die Ungleichbehandlung muss in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis stehen. Die Ungleichbehandlung muss sich nicht notwendig auf den Lohn oder das Gehalt beziehen, sondern kann jeden anderen Bestandteil der Arbeitsbedingungen betreffen. Die Zahlung ungleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit wird als besonderer Fall der Ungleichbehandlung hervorgehoben. Der Gesetzestext stellt klar, dass eine Ungleichbehandlung nicht verboten ist, wenn sie in den Erfordernissen der Beschäftigung begründet ist. Das entspricht der Regelung in Art. 1 Abs. 2 des ILO-Abkommens Nr. 111. c) Anwendbares Recht Abs. 2 Nr. 7 bestimmt nicht, nach welchem Recht das Verbot der Ungleichbe- 202 handlung zu bestimmen ist. Richtigerweise wird man davon ausgehen müssen, dass das Diskriminierungsverbot von Abs. 2 Nr. 7 einen eigenen Regelungskern hat, der der Ausgestaltung durch die nationalen Gesetzgeber der Mitgliedsstaaten entzogen ist und nur im Licht der ILO-Übereinkommen und der beiden UN-Pakte auszulegen ist. Jenseits des festen Regelungskerns kann sich das Verständnis des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsverbots dagegen in den Vertragsstaaten unterscheiden. Dazu können gehören: – Regelungen durch das Recht des Beschäftigungsorts, mit denen der nationale Gesetzgeber konkretisiert, in welchen Fällen eine Ungleichbehandlung in den Erfordernissen der Beschäftigung begründet und damit erlaubt ist, vorausgesetzt, dass sich die nationale Regelung in dem durch Art. 1 Abs. 2 des ILO-Übereinkommens vorgegebenen Rahmen bewegt; das deutsche Recht nimmt eine solche Konkretisierung in den §§ 8 ff. AGG vor. – ferner Regelungen durch das Recht des Beschäftigungsorts zu zulässigen Ungleichbehandlungen, die durch die Ausnahmeregelungen in Art. 4 und 5 des ILO-Übereinkommens Nr. 111 gedeckt sind. Maßgebend ist in diesem Fällen das Recht des Beschäftigungsorts. Das nach 203 § 1 verpflichtete Unternehmen muss bei einem unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferer im Ausland nicht feststellen, ob eine Ungleichbehandlung, wenn sie 238 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 37: „Nr. 7 befasst sich mit dem Verbot der Diskriminierung von Beschäftigten im Arbeitsleben auf Grund von nationaler und ethnischer Abstammung, sozialer Herkunft, … oder anderen Merkmalen.“

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§ 2 | Begriffsbestimmungen durch das Recht des Beschäftigungsorts erlaubt ist, zusätzlich den in Deutschland geltenden Vorschriften, insbesondere den Regelungen im AGG, entspricht. Wenn es an einer nationalen Regelung fehlt, insbesondere an einer Konkretisierung, in welchen Fällen eine Ungleichbehandlung in den Erfordernissen der Beschäftigung begründet und damit erlaubt ist, kann sich das nach § 1 verpflichtet Unternehmen hinsichtlich der Ausnahmen an den Maßstäben der §§ 8 ff. AGG orientieren.239 Es darf davon ausgehen, dass der deutsche Gesetzgeber die Vorschriften der §§ 8 ff. AGG im Lichte der ILO-Übereinkommen und der beiden UN-Pakte geregelt hat. Denn mit der Ratifizierung sind die Übereinkommen innerstaatliches Recht im Range eines Bundesgesetzes erhalten. d) Bezugsrahmen des Diskriminierungsverbots 204 Für die Anwendung des Diskriminierungsverbots ist wesentlich, auf welchen

Bezugsrahmen sich das Verbot bezieht. Beispiel: In Konzernunternehmen A wird ein anderer Lohn gezahlt als im Konzernunternehmen B. Ob das Diskriminierungsverbot verletzt ist, ist für jedes beteiligte Unternehmen, also für das verpflichtete Unternehmen selbst, aber auch für Zulieferer gesondert zu beurteilen. Der geltende Bezugsrahmen für das Verbot der Diskriminierung wird nicht durch Abs. 2 Nr. 7 vorgegeben. Auch das ILO-Abkommen trifft dazu keine Regelung. Welcher Bezugsrahmen anzuwenden ist, richtet sich nach den für das verpflichtete Unternehmen bzw. den Zulieferer jeweils geltende Recht. Ob das Diskriminierungsverbot betriebs- oder unternehmensbezogen zu beachten ist, ist damit ebenfalls nach dem Recht des Beschäftigungsortes, nicht nach deutschem Recht zu beurteilen. Offensichtlich ist, dass das Diskriminierungsverbot nicht auf die gesamte Lieferkette anzuwenden ist oder Bezugsrahmen für die Anwendung des Diskriminierungsverbots der gesamte Geschäftsbereich des nach § 1 verpflichteten Unternehmens oder eines Zulieferers sein kann.

e) Anwendung von Abs. 2 Nr. 7 bei staatlichen Beschränkungen des Verbots der Ungleichbehandlung in Beschäftigung? 205 Das Diskriminierungsverbot, wie es in Art. 1 des ILO-Abkommens Nr. 111 und

in Abs. 2 Nr. 7 bestimmt ist, ist nicht weltweit anerkannt. Wenn die Ungleichbehandlung, etwa aufgrund sexueller Orientierung, Geschlecht, politischer Meinung, Religion oder Weltanschauung, dem Arbeitgeber durch gesetzliche Vorschriften vorgeschrieben oder durch staatliche Organe erzwungen wird, ist dieselbe Lage gegeben wie bei gesetzlichen Verboten oder Beschränkungen der Koalitionsfreiheit.240 Der Grund für die Ungleichbehandlung liegt dann nicht im Verhalten des Unternehmens bzw. Zulieferers, sondern in den am Beschäftigungsort geltenden rechtlichen Vorschriften. Die Sorgfaltspflichten nach §§ 3 ff. LkSG bestehen dann nicht. 239 Wohl auch Schönfelder in Grabosch, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 36. 240 Vgl. dazu Rz. 190.

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f) Risikofaktoren Ungleichbehandlung in Beschäftigung kann in allen Unternehmen auftreten. Es 206 gibt keine abgesicherten Leitgedanken und Erfahrungssätze, an denen das Risiko der Ungleichbehandlung in Beschäftigung bemessen werden kann. Die Annahme, dass Ungleichbehandlung in Beschäftigung vor allem in „Ländern des globalen Südens“ stattfinde, kann allenfalls als eine allgemeine Vermutung gelten, ist also allenfalls Ausgangspunkt für eine Risikoanalyse. 8. Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns (Nr. 8) Verboten ist die Vorenthaltung eines angemessenen Lohns. Regelungsziel ist es 207 sicherzustellen, dass vor allem die in den unteren Lohn- und Gehaltsklassen Beschäftigten nicht durch unangemessene Entlohnung ausgebeutet werden. a) Grundlagen Das Gebot, den Beschäftigten nicht den angemessenen Lohn vorzuenthalten, hat 208 seine völkerrechtliche Grundlage im Recht auf angemessenen Lebensunterhalt aus Art. 7 Buchstabe a Ziffer (ii) des UN-Sozialpakts.241 Dort ist geregelt, dass die Vertragsstaaten das Recht eines jeden auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen anerkennen, durch die insbesondere gewährleistet wird, dass alle Arbeitnehmer „einen angemessenen Lebensunterhalt für [sich] und ihre Familien“ erhalten.242 Für die Beurteilung der Angemessenheit des Lohns kommt es auf die Verhältnisse am Beschäftigungsort an. b) Mindestlohn Nach Abs. 2 Nr. 8 ist der angemessene Lohn mindestens der nach dem anwend- 209 baren Recht festgelegte Mindestlohn. Das würde auch ohne gesetzliche Klarstellung aus dem Angemessenheitsgebot folgen: Wenn es am Beschäftigungsort einen gesetzlichen oder in anderer Weise bindend festgelegten Mindestlohn gibt, ist offensichtlich jede hinter dem Mindestlohn zurückbleibende Bezahlung nicht mehr angemessen. Aus dem Gesetzeswortlaut geht nicht hervor, ob umgekehrt der gesetzliche 210 Mindestlohn zugleich als angemessener Lohn angesehen werden kann, also das Unternehmen oder der Zulieferer bei Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns das Verbot des Abs. 2 Nr. 8 einhält. Die Annahme, dass ein nationaler Gesetzgeber oder die nach dem nationalen Recht zuständige Stelle einen Mindestlohn unterhalb des Niveaus festsetzt, das nach den Verhältnissen des Landes noch als angemessen angesehen werden kann, ist jedenfalls ungewöhnlich. Denn es kann grundsätzliche davon ausgegangen werden, dass der nationale Ge241 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 38. 242 Vgl. dazu auch Rz. 65.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen setzgeber oder die zuständige Stelle den Mindestlohn unter Berücksichtigung seiner Schutzpflichten nach Art. 7 Buchstabe a Ziffer (ii) des UN-Sozialpakts festsetzt. Der Gesetzeswortlaut von Abs. 2 Nr. 8 geht gleichwohl davon aus, dass der angemessene Lohn den Mindestlohn niemals unterschreiten, wohl aber überschreiten, dass also der gesetzliche Mindestlohn hinter dem angemessenen Lohn zurückbleiben kann.243 Im Schrifttum wird daraus gefolgert, dass stets neben dem Mindestlohn eine nach anderen Maßstäben bemessener angemessener Lohn (living wage) zu ermitteln sei. Dieser sei als eine zweite Untergrenze heranzuziehen.244 Dem ist nicht, jedenfalls nicht in dieser Allgemeinheit zuzustimmen. Um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, wird man vielmehr annehmen müssen, dass die Bezahlung des gesetzlichen Mindestlohns die Vermutung begründet, dass sich der Arbeitgeber innerhalb des Rahmens bewegt, in dem ein Lohn als noch angemessen angesehen werden kann. Es müssen im Einzelfall besondere Gründe vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die gesetzlichen oder von der staatlichen Stelle festgelegten Mindestlöhne unangemessen niedrig sind. Das kann etwa anzunehmen sein, wenn die Festsetzung des Mindestlohns durch Korruption oder andere unzulässige Einflussnahme gesteuert ist, wenn die Bestimmung des Mindestlohns aufgrund besonderer Umstände, etwa wegen massiver Inflationseinflüsse, obsolet geworden ist oder die letzte Überprüfung des Mindestlohns lange zurückliegt und die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung am Beschäftigungsort die Annahme nahelegt, dass der Mindestlohn nicht mehr als Ausdruck einer aktuellen Einschätzung gelten kann. c) Angemessener Lohn 211 Wenn es an einer Mindestlohnregelung fehlt oder diese nach den in Rz. 210 be-

schriebenen Gründen nicht maßgebend ist, ist der Rahmen, der für angemessenen Lohngestaltung zur Verfügung steht, gesondert zu ermitteln. Als Faustregel kann gelten: Wer seine gesamte Arbeitskraft in den Dienst eines Arbeitgebers stellt, sollte in der Lage sein, den Mindestlebensunterhalt eines Arbeitnehmers in der konkreten oder einer vergleichbaren Position am Beschäftigungsort, aber losgelöst von den besonderen privaten Verhältnissen des Arbeitnehmers245, zu verdienen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Entwicklung246

243 So auch Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FAQs zum Lieferkettengesetz (Stand: 28.4.2022), Ziffer V 3. 244 Vgl. Grabosch/Schönfelder, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 40; wohl auch auch Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FAQs zum Lieferkettengesetz (Stand: 28.4.2022), Ziffer V 4. 245 Vgl. aber Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 38: „Die örtlichen Lebenserhaltungskosten des Beschäftigten und seiner Familienangehörigen sowie die örtlichen Leistungen der sozialen Sicherheit sollen dabei berücksichtigt werden.“ 246 Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Entwicklung, Why working together is the way to a Living Income 2020 (https://www.giz.de/en/downloads/ 200327_extFS_living-Income_Einkommen_GB.pdf).

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rechnet dazu: (i) Lebensmittel für eine ausgewogene Ernährung, (ii) Zugang zu sauberem Wasser, (iii) Unterkunft, (iv) medizinische Versorgung, (v) Bildung, (vi) Transportmittel, (vii) Kleidung, (viii) sonstige Bedürfnisse des täglichen Lebens und (ix) Vorkehrungen für unvorhersehbare Ereignisse. Die Gesetzesbegründung247 bezieht zusätzlich die örtlichen (Mindest-)Leistungen der sozialen Sicherheit ein. Bei Ermittlung des angemessenen Lohns ist eine angemesse Methode zugrunde zu legen. International wird die sog. Anker-Methode248 als geeignet angesehen, um die living wages zu bestimmen.249 Das Verbot, den angemessenen Lohn vorzuenthalten, steht neben dem in Art. 7 Buchstabe a Ziffer i des UN-Zivilpakts bestimmten Recht, für gleichwertige Arbeit ein gleiches Entgelt zu zahlen. Eine Konkordanz beider Regelungen kann nur erreicht werden, dass man das Verbot in Abs. 2 Nr. 8 nicht für jeden einzelnen Beschäftigten anhand seiner individuellen Familien- und Lebensverhältnisse anwendet. Auch die besonderen Verhältnisse des Unternehmens sind nicht maßgebend, sondern die allgemeinen Familien- und Lebensverhältnisse am Beschäftigungsort. d) Vorenthalten des angemessenen Lohns Der Hauptanwendungsfall ist, dass der gezahlte Lohn hinter dem angemessenen 212 Lohn zurückbleibt. Verboten ist nach Abs. 2 Nr. 8 erst recht, wenn der Person ein Lohn insgesamt vorenthalten wird. Arbeit ohne Lohn kann nur in Ausnahmefällen als angemessen angesehen werden, etwa bei Arbeiten für die Allgemeinheit oder zum Allgemeinnutzen in Not- oder Ausnahmefällen, bei ausbildungsbedingten Tätigkeiten von kurzer Dauer (Betriebspraktikum, Volontariat, nicht mehr als 6 Monate) oder bei Arbeiten und Diensten in einem privaten Umfeld (Nachbarschaftshilfe). Für Unternehmen kann allenfalls die zweite Fallgruppe eine gewisse Bedeutung haben. Verboten ist nicht nur das vollständige Vorenthalten des Lohns, sondern auch 213 ein Zurückbehalten des Lohns, ohne dass es dafür einen sachlichen und angemessenen Grund gibt. Nicht ganz einheitlich lässt sich beantworten, wenn der Arbeit- oder Dienstgeber den Lohn mit von ihm oder auf seine Veranlassung von Dritten bereitgestellte Leistungen (etwa Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung, Finanzierung von Heimfahrten, Finanzierung von externen Dienstleistungen, etwa zur Erlangung einer Arbeitserlaubnis, allgemein Kreditgewährungen) verrechnet. Rechnet der Arbeit- oder Dienstgeber die von ihm 247 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 38. 248 Vgl. die Definition auf der Homepage der Global Living Wage Coalition: „Living wage is the remuneration received for a standard work week by a worker in a particular place sufficient to afford a decent standard of living for the worker and her or his family. Elements of a decent standard of living include food, water, housing, education, health care, transport, clothing, and other essential needs, including provision for unexpected events.“ (abrufbar unter https://www.globallivingwage.org/about/anker-me thodology/). 249 Vgl. Grabosch/Schönfelder, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 40.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen bereitgestellten Leistungen zu überhöhten Sätzen ab oder handelt es sich um unnötige oder vorgetäuschte Kosten, kommt dies einem Lohnabzug gleich und ist bei Ermittlung des tatsächlichen Lohns zu berücksichtigen. 9. Verbot schädlicher Bodenveränderung, Gewässerverunreinigung, Luftverunreinigung, Lärmemission oder eines übermäßigen Wasserverbrauchs (Nr. 9) 214 Abs. 2 Nr. 9 verbietet die Herbeiführung schädlicher Bodenveränderungen, Ge-

wässerverunreinigungen, Luftverunreinigungen, Lärmemissionen oder eines übermäßigen Wasserverbrauchs, wenn diese zu einer der vier gesetzlich verbotenen Wirkungen führt, also (a) die natürlichen Grundlagen zum Erhalt und der Produktion von Nahrung erheblich beeinträchtigt, (b) einer Person den Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser verwehrt, (c) einer Person den Zugang zu Sanitäranlagen erschwert oder zerstört oder (d) die Gesundheit einer Person schädigt. Das Verbot dient wie Abs. 2 Nr. 10 dem Schutz der Lebensgrundlagen von Personen, auf die unternehmerisches Handeln mittelbar einwirkt, und damit um die Regelung einer im weiteren Sinne nachbarrechtlichen Lage. Gewinnstreben ohne Rücksicht auf die Lebensgrundlagen von Personen, auf die das unternehmerische Handeln unmittelbar einwirkt, soll eine Grenze gesetzt werden. a) Grundlagen

215 Ausweislich der Gesetzesbegründung ist das Verbot aus dem

– Schutz des Lebens nach Art. 6 Abs. 1 des UN-Zivilpakts, – Schutz der Gesundheit nach Art. 12 des UN-Sozialpakts und – der Gewährleistung ausreichender Nahrung, Wasser-und Sanitärversorgung nach Art. 11 Abs. 1 Satz 1 des UN-Sozialpakts entwickelt worden. 216 Prägend ist ferner der Schutzgedanke des Art. 11 Abs. 1 Satz 1 des UN-Sozial-

pakts. Danach erkennen die Vertragsstaaten das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen. Zu einem angemessenen Lebensstandard rechnet auch der Zugang zu Sanitäranlagen.250 Das Verbot des Abs. 2 Nr. 9 ist nicht unmittelbar aus den zugrunde liegenden Bestimmungen der UN-Pakte zu entnehmen, sondern eine spezifische und durch den deutschen Gesetzgeber vorgenommene Ausprägung der in den UN-Pakten geregelten Schutzgedanken.

250 Vgl. Resolution 64/292 der UN-Vollversammlung vom 28.7.20210 (A/RES/64/292).

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b) Einwirkungsverhalten Das Verbot des Abs. 2 Nr. 9 setzt die Herbeiführung schädlicher Bodenverände- 217 rungen, Gewässerverunreinigungen, Luftverunreinigungen, Lärmemissionen oder eines übermäßigen Wasserverbrauchs voraus. aa) Bodenveränderungen, Gewässerverunreinigungen, Luftverunreinigungen, Lärmemissionen, Wasserverbrauch Die Begriffe der Gewässerverunreinigungen, Luftverunreinigungen, Lärmemis- 218 sion und Wasserverbrauch sind nach ihrem Wortsinn übereinstimmend dadurch gekennzeichnet, dass von dem Unternehmen eine Einwirkung auf Gewässer, Luft oder Lärmsituation ausgeht. Das unternehmerische Handeln erschöpft sich nicht in der Nutzung und Verwendung von Gütern, die dem Unternehmen gehören und von ihm benutzt oder verbraucht werden dürfen, sondern wirkt über die Nutzung des Eigentums hinaus auf Dritte ein, und zwar durch Beeinträchtigung von Gütern, die nach der Wertung des Gesetzes nicht zu alleinigen Verwendung durch das Unternehmen, sondern einem größeren Kreis von Personen oder der Allgemeinheit zur Verfügung stehen. Dieser Gedanke ist auch auf den Begriff der Bodenveränderung zu übertragen: Unter einer Bodenveränderung ist nur eine solche Veränderung von Grund und Boden zu verstehen, deren Wirkungen sich nicht nur auf die Nutzung des eigenen Grunds und Bodens beschränken, sondern auf den Grund und Boden Dritter einwirkt. bb) Schädlichkeit der Bodenveränderungen, Gewässerverunreinigungen, Luftverunreinigungen, Lärmemissionen Das Gesetz bestimmt nicht, wann eine Bodenveränderung, Gewässerverunrei- 219 nigung, Luftverunreinigung oder Lärmemissionen schädlich ist. Unklar ist bereits, ob die Schädlichkeit naturwissenschaftlich oder rechtlich zu bestimmen ist. Würde man einen naturwissenschaftlichen Maßstab anlegen, wäre voraussichtlich die Mehrzahl der Bodenveränderungen, Gewässerverunreinigungen, Luftverunreinigungen oder Lärmemissionen als schädlich anzusehen. Nur wenn die Veränderung, Verunreinigung oder Emission in ihrer Dauer und Wirkung sehr beschränkt wäre, würde es an der Schädlichkeit fehlen. Die Beurteilung der Schädlichkeit nach einem rein naturwissenschaftlichen Maßstab führt aber zu einem zu weiten Begriffsverständnis. Denn die Mehrzahl der Unternehmen wirkt mit ihrer unternehmerischen Tätigkeit auf die Umwelt, auch auf Boden, Gewässer, Luft ein. Richtigerweise ist der Begriff der Schädlichkeit rechtlich zu beurteilen. Die rechtliche Beurteilung hat zwischen zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Schädlich ist eine Bodenveränderung, Gewässerverunreinigung, Luftverunreini- 220 gung oder Lärmemission zunächst dann, wenn sie nach dem am Ort der Bodenveränderung, Gewässerverunreinigung, Luftverunreinigung oder Lärmemission geltenden Recht unzulässig ist, etwa weil die durch den nationalen Gesetzgeber Gehling/Fischer

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§ 2 | Begriffsbestimmungen zugelassenen Grenzwerte überschritten werden.251 Verstößt das Unternehmen gegen geltendes Recht, kann es an der Schädlichkeit der Umwelteinwirkung nur fehlen, wenn es sich um eine völlig unwesentliche Einwirkung handelt und die Grenze zur Wesentlichkeit auch nicht durch fortlaufende Wiederholungen oder den Zusammenhang mit einer Vielzahl von unwesentlichen Einwirkungen überschritten wird. 221 Wenn die Bodenveränderung, Gewässerverunreinigung, Luftverunreinigung

oder Lärmemission in Übereinstimmung mit dem geltenden nationalen Recht geschieht, ist sie dagegen im Regelfall nicht schädlich im Sinne von Abs. 2 Nr. 9. Denn es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der nationale Gesetzgeber die Grenzwerte unter Berücksichtigung seiner Schutzpflichten nach den beiden UN-Pakten von 1966 festgesetzt hat.252 Soweit die Umwelteinwirkung auf die persönliche Lebensführung von Dritten Einfluss nimmt, haben sie diese hinzunehmen. Nur im Ausnahmefall kann eine schädliche Umwelteinwirkung auch dann als schädlich zu beurteilen sein, wenn zwar formal die Grenzen des geltenden Rechts eingehalten, das Verhalten aber materiell offensichtlich mit dem Grundrecht jedes Menschen auf Erhalt der natürlichen Grundlagen zur Herstellung von Nahrungsmitteln, auf Zugang zu Trinkwasser und Sanitäranlagen und auf Schutz der Gesundheit unvereinbar ist.

cc) Übermäßiger Wasserverbrauch 222 Ein übermäßiger Wasserverbrauch erfordert zunächst einen Eingriff in Wasser-

ressourcen, die das Unternehmen bei verständiger Würdigung nicht als die ihm allein zur Verfügung stehenden Wasserressourcen ansehen kann, also die Entnahme oder das Zurückhalten von Wasser aus einem fließenden Gewässer oder die Förderung und der Verbrauch von Grundwasser. Übermäßig ist der Wasserverbrauch, wenn er über das am Ort des Wasserverbrauchs rechtlich zulässig Maß hinausgeht oder jedes Mindestmaß an Rücksichtnahme vermissen lässt, die von einem verantwortungsbewussten Unternehmen erwartet werden kann. Bei der Beurteilung sind zu berücksichtigen: – die allgemeine Lage der Wasserversorgung am Ort der Wasserentnahme: in Gebieten mit andauernder Wasserknappheit oder -notstand ist mehr Rücksichtnahme erforderlich als in wasserreichen Gebieten; – die historisch gewachsene Verteilungslage: greift ein Unternehmen in einen lang geübten Verteilungsschlüssel ein, ist mehr Rücksichtnahme geboten als in dem Fall, in dem ein Unternehmen seit langem in bisher wenig besiedelten oder unbesiedelten Gebiet tätig geworden ist, – die Alternativen, die dem Unternehmen für die Wasserbeschaffung zur Verfügung stehen, 251 Vgl. Grabosch/Schönfelder, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 43 f. 252 Wohl auch Grabosch/Schönfelder, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 43.

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– die Bemühungen des Unternehmens um einen gerechten und die Belange aller beteiligten Personen berücksichtigenden Verteilungsschlüssel, – die Angemessenheit und insbesondere Gleichwertigkeit von Ausgleichsmaßnahmen zugunsten der von den schädlichen Einwirkungen betroffenen Personen. c) Verbotene Wirkung Die Herbeiführung schädlicher Bodenveränderungen, Gewässerverunreinigun- 223 gen, Luftverunreinigungen, Lärmemissionen oder eines übermäßigen Wasserverbrauchs muss zudem zu einer verbotenen Wirkung führen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist das Verbot des Abs. 2 Nr. 9 erst überschritten, wenn die Wirkung eintritt. Ein menschenrechtliches Risiko liegt allerdings nach der allgemeinen Definition nach Abs. 2 bereits vor, wenn ein Verstoß aufgrund tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht. In allen drei Fallgruppen ist Voraussetzung: aa) Erhebliche Beeinträchtigung der natürlichen Grundlagen zum Erhalt und zur Produktion von Nahrung Der Schwerpunkt liegt in dem Erhalt der natürlichen Grundlagen für die Nah- 224 rungsmittelherstellung. Sie soll vor erheblichen Beeinträchtigungen durch schädlichen Bodenveränderungen, Gewässerverunreinigungen, Luftverunreinigungen, Lärmemissionen und übermäßigem Wasserverbrauch geschützt werden. Erheblich ist eine Beeinträchtigung, wenn sie über das gesetzlich zulässige Maß hinaus geht oder nicht das Mindestmaß an Rücksichtnahme erkennen lässt, dass von einem verantwortungsbewussten Unternehmen erwartet werden kann. bb) Verwehren des Zugangs zu Trinkwasser und Erschwerung oder Zerstörung des Zugangs zu Sanitäranlagen In beiden Fällen geht es um Wasserversorgung. Der Zugang zu Sanitäranlagen 225 hängt ebenso wie die Trinkwasserversorgung davon ab, dass Menschen Zugang zu sauberem und gesundem Wasser haben. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat auf der 108. Vollversammlung am 28.7.2010253 das Recht auf Wasser und Sanitärversorgung als Menschenrecht anerkannt. Das Unternehmen muss die Wasserversorgung und den Zugang zu Sanitäreinrichtungen außerhalb seines eigenen Unternehmens nicht sicherstellen oder gewährleisten, darf aber nicht durch die eigene Tätigkeit in die ansonsten bestehende Wasserversorgung durch schädliche Bodenveränderungen, Gewässerverunreinigungen, Luftverunreinigungen, Lärmemissionen oder übermäßigen Wasserverbrauch unzulässig beeinträchtigen. 253 Vgl. Resolution 64/292 der Vollversammlung der Vereinten Nationen vom 28. July 2010 „The human right to water and sanitation“, A/RES/64/292.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen cc) Schädigung der Gesundheit 226 Schädliche Bodenveränderungen, Gewässerverunreinigungen, Luftverunreini-

gungen, Lärmemissionen oder/und übermäßiger Wasserverbrauch sind immer untersagt, wenn sie die Gesundheit von anderen Menschen schädigen. Dabei ist unerheblich, ob sie Gesundheitsschäden unmittelbar, etwa durch gesundheitsschädliche Lärmemission, entstehen oder mittelbar, durch Verunreinigung eines Gewässers, das genutzt wird und infolge der Verunreinigung zu Gesundheitsschäden führt. Allerdings liegt eine Verletzung des Verbots nach Abs. 2 Nr. 9 nach dem Gesetzeswortlaut nur vor, wenn die Schädigung der Gesundheit feststeht. 10. Verbot widerrechtlicher Zwangsräumung und widerrechtlichen Entzugs von Land (Nr. 10)

227 Abs. 2 Nr. 10 verbietet die widerrechtliche Zwangsräumung und den wider-

rechtlichen Entzug von Land (einschließlich Wäldern und Gewässern) bei Erwerb, Bebauung oder anderweitiger Nutzung von Land, Wäldern und Gewässern, wenn die Nutzung des Landes die Lebensgrundlage einer Person sichert.

a) Grundlagen 228 Das Verbot dient wie Nr. 10 dem Schutz der Lebensgrundlagen von Personen,

die von unternehmerischem Handeln betroffen sind. Problemlagen sieht der deutsche Gesetzgeber insbesondere dort, wo im nationalen Recht vorgesehene prozessrechtliche Garantien für eine Zwangsräumung wie etwa eine rechtzeige Information und Konsultation der Betroffenen nicht eingehalten werden oder der Zugang zu Rechtmitteln und angemessener Kompensation durch das Handeln eines Unternehmens erschwert wird.254 Ausweislich der Gesetzesbegründung255 findet das Verbot seine Grundlage in dem Recht auf einen angemessenen Lebensstandard einschließlich ausreichender Nahrung, Unterbringung sowie Wasser-und Sanitätsversorgung nach Art. 11 Abs. 1 Satz 1 des UNSozialpakts. Das Verbot des Abs. 2 Nr. 10 ist allerdings eine deutlich durch die Interpretation des deutschen Gesetzgebers geprägte Ausprägung des in Art. 11 Abs. 1 Satz 1 des UN-Sozialpakts geregelten Schutzgedankens. b) Voraussetzungen des Verbots

229 Das Verbot hat drei Voraussetzungen:

254 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 38. 255 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 38.

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Begriffsbestimmungen | § 2

aa) Nutzung des Landes zur Sicherung der Lebensgrundlage Die betroffenen Personen müssen das Land, das geräumt oder entzogen werden 230 soll, zur Sicherung ihrer Lebensgrundlage nutzen. Die Sicherung der Lebensgrundlage schließt alles ein, was durch das Recht eines Jeden nach Art. 11 des UN-Sozialpakts auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie gewährleistet ist, also insbesondere ausreichende Ernährung, Bekleidung und Unterbringung.256 Geschützt sind Personen, die mit ihrem eigenem Land das Lebensnotwendige erwirtschaften und häufig nicht in der Lage sind, sich gegen Zwangsräumungen oder Entzug zu wehren. bb) Geplanter Erwerb, Bebauung oder Nutzung des Landes Das verpflichtete Unternehmen oder der Zulieferer muss vorhaben, das Land 231 (einschließlich Wald und Gewässern) zu erwerben, zu bebauen oder anderweitig zu nutzen. Nur dann kommt es zu der für Abs. 2 Nr. 10 typischen Konfliktlage zwischen dem Ziel des nach § 1 verpflichteten Unternehmens oder Zulieferers, das Land zu erwerben und zu nutzen, und dem Recht der betroffenen Person, das Land weiter zur Sicherung seiner Lebensgrundlage zu nutzen. cc) Widerrechtliche Zwangsräumung oder widerrechtlicher Entzug Verboten ist die Zwangsräumung oder der Entzug von Land, wenn sie wider- 232 rechtlich geschieht. Die Begriffe Zwangsräumung und Entzug sind weit zu verstehen. Sie umfassen alle Maßnahmen, die die betroffenen Personen daran hindern, das Land weiter zur Sicherung der eigenen Lebensgrundlage zu nutzen. Gleichgestellt ist eine wesentliche Erschwerung der Nutzung, zu der auch der Entzug der natürlichen Bewässerung oder andere Einwirkungen auf das Land gehören können. Während Zwangsräumung die vollständige Entfernung von dem Land unter Ausschluss einer Rückkehrmöglichkeit meint, ist Entzug jede andere Maßnahme, mit dem die betroffenen Personen daran gehindert werden, das Land weiter zur Sicherung der eigenen Lebensgrundlage zu nutzen. Widerrechtlich ist die Zwangsräumung oder der Entzug, wenn sie mit rechtlich 233 nicht zulässigen Mitteln erwirkt wird. Eine menschenrechtliche Verletzung liegt vor, wenn das nach § 1 verpflichtete Unternehmen bzw. ein unmittelbarer oder mittelbarer Zulieferer an der widerrechtlichen Zwangsräumung oder dem widerrechtlichen Entzug beteiligt ist.257 Doch auch wer aus der widerrechtlichen Zwangsräumung oder dem widerrechtlichen Entzug von Land Nutzen zieht, verstößt gegen das Verbot des Abs. 2 Nr. 10. Das gilt nicht, wenn die widerrechtliche Zwangsräumung oder dem widerrechtlichen Entzug erhebliche Zeit zurückliegt und kein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Zwangsräumung oder dem Entzug und dem Erwerb, der Bebauung oder Nut256 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 38. 257 Vgl. § 14 OWiG.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen zung des Landes mehr besteht. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang entfällt jedenfalls, wenn die betroffenen Personen nach dem geltenden Recht am Belegenheitsort nicht mehr die Wiederherstellung der ursprünglichen Nutzungsverhältnisse verlangen könnte. 234 Maßgebend für die Beurteilung der Widerrechtlichkeit ist das am Belegenheitsort

geltende Recht. Dazu können auch die von dem Staat, in dem das Land belegen ist, unterzeichneten und ratifizierten internationalen Abkommen gehören.258 Das Verbot ist verletzt, wenn die Zwangsräumung oder der Entzug (i) materiell dem am Belegenheitsort geltenden Recht widerspricht oder (ii) die für die Zwangsräumung oder den Entzug angewendeten Maßnahmen rechtlich nicht einwandfrei sind. Die Gesetzesbegründung259 weist darauf hin, dass sich Problemlagen insbesondere ergeben können, wo im nationalen Recht vorgesehene prozessrechtliche Garantien für eine Zwangsräumung wie etwa eine rechtzeige Information und Konsultation der Betroffenen nicht eingehalten werden oder der Zugang zu Rechtsmitteln und angemessener Kompensation durch das Handeln eines Unternehmens erschwert wird. Der Hinweis ist zutreffend. Rechtlich einwandfrei sind die Maßnahmen der Zwangsräumung oder den Entzug auch dann nicht, wenn sie formal den Anforderungen des am Belegenheitsort geltenden Rechts entsprechen, also etwa eine formal ordnungsgemäße Räumungsverfügung vorliegt, diese aber widerrechtlich erlangt worden ist, etwa durch Drohung gegen die betroffenen Personen, die daraufhin einen Rechtsbehelf nicht anwenden, durch Täuschung, etwa über ein angebotenes Umsiedlungsprogramm, durch Ausnutzen von völliger Unerfahrenheit oder Hilflosigkeit der betroffenen Personen im Umgang mit dem in dem Land geltenden Recht, oder durch Bestechung der staatlichen Entscheidungsträger. Widerrechtlich ist die Zwangsräumung oder der Entzug schließlich auch, wenn die Methode der Räumung oder des Entzugs bei einer Gesamtschau als Ausdruck rücksichtslosen Gewinnstrebens erscheint. 11. Verbot menschenrechtswidriger Maßnahmen von privaten oder öffentlichen Sicherheitskräften (Nr. 11)

235 Abs. 2 Nr. 11 verbietet die Beauftragung oder Nutzung privater oder öffentlicher

Sicherheitskräfte zum Schutz des unternehmerischen Projekts, wenn aufgrund mangelnder Unterweisung oder Kontrolle seitens des Unternehmens bei dem Einsatz der Sicherheitskräfte das Verbot von Folter und grausamer, unmensch-

258 Etwas das Recht nach Art. 17 Abs. 1 des UN-Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. 1973 II 1553) („Niemand darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden.“) oder das Recht nach Art. 17 Abs. 2 des UN-Pakts über bürgerliche und politische Rechte („Jedermann hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.“). 259 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 38.

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Begriffsbestimmungen | § 2

licher oder erniedrigender Behandlung missachtet wird, Leib oder Leben verletzt werden oder die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit beeinträchtigt werden. a) Grundlagen Regelungszweck ist der Schutz von Menschen gegen menschenrechtswidrige 236 Übergriffe durch private oder öffentliche Sicherheitskräfte. Ein Fallbeispiel ist die gewalttätige Abwehr von Bergarbeiterstreiks in südafrikanischen Erzbergwerken im August 2012, die als „Massaker von Marikana“ bekannt geworden sind.260 Am 16.8.2012 ging die südafrikanische Polizei gewaltsam gegen streikende Bergarbeiter vor. 34 Bergleute wurden getötet. Besonders risikobehaftet ist aber auch die geschäftliche Tätigkeit in Gebieten, das von einem bewaffneten Konflikt betroffen sind. Dort ist ein erhöhtes Risiko anzunehmen, dass Unternehmen Menschenrechtsverletzungen oder Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht anderer Akteure fördern oder ausnutzen.261 237 Ausweislich der Gesetzesbegründung ist das Verbot – aus dem Folterverbot gem. Art. 7 des UN-Zivilpakts, – dem Schutz des Rechts auf Leben gem. Art. 6 des UN-Zivilpakts und dem Recht auf Gesundheit gem. Art. 12 des UN-Sozialpakts, – auf die Vereinigungs-und Koalitionsfreiheit gem. Art. 22 des UN-Zivilpakts und Art. 8 des UN-Sozialpakts gestützt. Der Schutz gegen menschenrechtswidrige Übergriffe von Sicherheitskräften ist eine vom deutschen Gesetzgeber vorgenommene Ausprägung der von den genannten Regelungen bezweckten Schutzes. Weder der UN-Zivilpakt noch der UN-Sozialpakt kennen besondere Vorschriften zum Schutz gegen menschenrechtswidrige Übergriffe von privaten oder öffentlichen Sicherheitskräften.

b) Voraussetzungen Das Verbot hat drei Voraussetzungen:

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aa) Einsatz von Sicherheitskräften Das nach § 1 verpflichtete Unternehmen oder ein Zulieferer muss private oder 239 öffentliche Sicherheitskräfte zum Schutz des Unternehmens einsetzen. Die Sicherheitskräfte müssen nicht Mitarbeiter des verpflichteten Unternehmens oder von Zulieferern sein. Ausreichend ist, wenn der Einsatz der privaten oder öffentlichen Sicherheitskräfte vom verpflichteten Unternehmen oder Zulieferer veranlasst worden ist. Abs. 2 Nr. 11 ist nicht anwendbar, wenn der Einsatz ohne 260 Vgl. die Information bei Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdafrika nischer_Bergarbeiterstreik_2012). 261 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 39.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen Veranlassung des verpflichteten Unternehmens oder des Zulieferers durch staatliche Stellen angeordnet oder durchgeführt wird und mithin für das verpflichtete Unternehmen oder den Zulieferer eine Zwangsmaßnahme ist. Die Abgrenzung ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände vorzunehmen. Ein Ausnutzen der menschenrechtswidrigen Übergriffe von Sicherheitskräften dürfte in der Regel eine ausreichende Grundlage für die Annahme einer Verbotsüberschreitung sein. bb) Menschenrechtswidrige Maßnahmen der Sicherheitskräfte 240 Voraussetzung für eine Verletzung der menschenrechtsbezogenen Pflicht nach

Abs. 2 Nr. 11 ist, dass bei dem Einsatz der Sicherheitskräfte das Verbot der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung missachtet, Leib oder Leben verletzt oder die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit beeinträchtigt wird. Erforderlich ist, dass die menschenrechtswidrigen Maßnahmen tatsächlich vorgenommen worden sind, also die Sicherheitskräfte tatsächlich Folter oder andere verbotene Behandlung angewendet, Leib oder Leben verletzt oder die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit beeinträchtigt haben. Ein menschenrechtliches Risiko (Abs. 2) besteht allerdings bereits, wenn aufgrund tatsächlicher Umstände ein Verstoß gegen Abs. 2 Nr. 11 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht.262 Das ist etwa anzunehmen, wenn die Sicherheitskräfte eine Überschreitung offen androhen oder das Sicherheitsunternehmen bei anderen Einsätzen die Grenzen von Abs. 2 Nr. 11 überschritten hat und keine Vorkehrungen getroffen worden sind, um die Überschreitung sicher auszuschließen.

241 Folter. Nach Art. 1 Abs. 2 des UN-Antifolter-Übereinkommens263 ist Folter

„jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden“. […] Art. 1 Abs. 1 des Antifolter-Übereinkommen benennt als Beispiele, wenn Folter angewendet wird, „um von [der Person] oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund“.

242 Grausame Behandlung. Grausam ist eine Behandlung, wenn dem Opfer beson-

dere körperliche oder seelische Schmerzen oder Qualen zugefügt werden, die nach Stärke und Dauer über das Maß hinausgehen, was in der Situation zur Erreichung des Ziels, etwa der Abwehr eines Angriffs auf das Betriebsgelände, hinausgeht.264 Es handelt sich um eine Exzesslage: Dem Täter kommt es gerade auf die Zufügung von besonderen Schmerzen und Qualen an. 262 Vgl. dazu allgemein Rz. 98 f. 263 Vgl. Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984 (BGBl. II 1990 S. 246). 264 Vgl. zur Grausamkeit bei einer vorsätzlichen Tötung nur Eser/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 211 Rz. 27.

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Begriffsbestimmungen | § 2

Unmenschliche Behandlung. Unmenschlich ist die Behandlung, wenn sie, ohne 243 schon als Folter zu gelten, mit den allgemeinen Geboten der Menschlichkeit schlechthin unvereinbar sind.265 Erniedrigende Behandlung. Erniedrigend ist die Behandlung, wenn sie das Op- 244 fer demütigt und unter Missachtung seiner Würde gröblich herabsetzt, wenn sie die Würde des Menschen angreift oder Gefühle der Angst, des Schmerzes oder der Unterlegenheit erweckt, die geeignet sind, den moralischen oder körperlichen Widerstand einer Person zu brechen.266 Verletzung von Leib oder Leben. Die Verletzung von Leib oder Leben meint 245 jede vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung oder Tötung. Der Gesetzestext unterscheidet nicht danach, ob es im Einzelfall für die Verletzung von Leib oder Leben einen rechtfertigenden Grund, etwa eine Notwehrsituation, gab. Gleichwohl ist nicht anzunehmen, dass Abs. 2 Nr. 11 eine Abwehr eines gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriffs auf das Sicherheitspersonal unterbinden will. Das Gesetz ist in diesem Punkt einschränkend auszulegen. Rechtlich zulässige Eingriffe in Leib und Leben Dritter sind nicht erfasst, soweit die nach dem am Standort des Unternehmens geltende Recht nicht selbst mit den durch Abs. 2 geschützten Menschenrechten unvereinbar ist. Letzteres ist etwa anzunehmen, wenn das am Standort des Unternehmens geltende Recht die Unterbindung von Maßnahmen, die durch die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit gedeckt sind, durch das Unternehmen duldet oder sogar verlangt. Zur Beeinträchtigung der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit s. Rz. 187 ff.

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cc) Mangelnde Unterweisung oder Kontrolle seitens des Unternehmens Die menschenrechtswidrigen Maßnahmen der Sicherheitskräfte müssen auf 247 mangelnder Unterweisung oder Kontrolle seitens des Unternehmens beruhen. Erforderlich ist, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen mangelnder Unterweisung oder Kontrolle seitens des Unternehmens und der menschenrechtlichen Verletzungshandlung besteht. Das verpflichtete Unternehmen kann sich oder einen Zulieferer entlasten, indem es darlegt, dass sie sachgemäße und ausreichende Maßnahmen zur Unterweisung und Kontrolle des Sicherheitspersonals vorgenommen haben. Wie ordnungsgemäße Unterweisung oder Kontrolle seitens des Unternehmens 248 ausgestaltet sein muss, regelt das Gesetz nicht. Es gelten aber die allgemeinen Regeln des Compliance Management. Was ordnungsgemäße Unterweisung und Kontrolle einschließt, ist auf der Grundlage einer Risikoanalyse zu ermitteln. Es ist offensichtlich, dass das Risiko von Menschenrechtsverletzungen durch die 265 Vgl. Letsche/Rössler in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 8. Edition, Stand: 1.5.2021, Art. 3 EMRK Rz. 6 ff.; Lohse/Jakobs, Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, Art. 3 EMRK Rz. 5. 266 Vgl. nur EGMR, Urt. v. 27.9.1999 – „Smith u. Grady/Vereinigtes Königreich“, 25154/ 94 Nr. 120, NJW 2000, 2089.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen Mitarbeiter eines geschulten Sicherheitsdienstes in Europa geringer einzuschätzen ist als bei Einsatz von privaten oder öffentlichen Sicherheitskräften mit paramilitärischer Struktur in einem Land mit bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen. Abs. 2 Nr. 11 zielt offensichtlich vor allem auf die letztgenannte Fallgruppe.267 Die Risikoanalyse hat jedenfalls eine Bewertung von Verletzungsfällen in der Vergangenheit und Gegenstand, Umfang und Intensität der Schulungen des Sicherheitspersonals einzubeziehen.268 Nach dem Ergebnis der Risikoanalyse richtete sich Umfang und Inhalt der Unterweisung und Kontrolle. Bei Sicherheitskräften mit einem erhöhten Risikoprofil sollte die Unterweisung einen klaren und deutlichen „tone from the prinicpal“ einschließen. Die Schulungen und Schulungsunterlagen, gleich ob es Schulungsunterlagen des Sicherheitsunternehmens selbst oder Schulungsunterlagen des nach § 1 verpflichteten Unternehmens oder seines Zulieferers sind, müssen bei einem erhöhten Risikoprofil ausdrücklich und verständlich auf die Grenzen von Abs. 2 Nr. 11 hinweisen. Die gebotene Kontrolle hat zwei Aspekte, zum einen die regelmäßige Beobachtung des Schulungsprozesses, zum anderen die vollständige Aufklärung von Verletzungsfällen, die wegen der besonderen Bedeutung der durch Abs. 2 Nr. 11 geschützten Rechte in jedem Fall stattfinden muss. Ordnungsgemäße Kontrolle schließt ferner ein, dass sich das Unternehmen, das die Sicherheitskräfte einsetzt, risikoadäquate und auch präventiv wirksame Sanktions- und Reaktionsmöglichkeiten auf Verletzungsfälle vorbehält und den Sicherheitskräften kommuniziert. 12. Auffangtatbestand (Nr. 12) 249 Nr. 12 regelt einen Auffangtatgestand. Die Regelung stellt jedes über die Nr. 1

bis 11 hinausgehendes Tun oder pflichtwidriges Unterlassen unter Verbot, das unmittelbar geeignet ist, in besonders schwerwiegender Weise eine geschützte Rechtsposition zu beeinträchtigen und dessen Rechtswidrigkeit bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.269

V. Umweltbezogene Verbote (Abs. 3) 250 Abs. 3 definiert parallel zu Abs. 2 den Begriff des umweltbezogenen Risikos. Das

LkSG versteht darunter einen Zustand, bei dem auf Grund tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen die in Nr. 1 bis 8 genannten Verbote droht.

267 Vgl. auch Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 39. 268 Vgl. auch Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 39. 269 Vgl. dazu eingehend Rz. 4 und 85 ff.

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Begriffsbestimmungen | § 2

1. Entstehungsgeschichte und Regelungsgegenstand des § 2 Abs. 3 LkSG Nachdem der ursprüngliche Referentenentwurf des Bundesministeriums für Ar- 251 beit und Soziales vom 28.2.2021 und der Regierungsentwurf vom 19.4.2021 noch eine Zweiteilung des heutigen § 2 Abs. 3 LkSG in zwei getrennten Absätzen vorsah und für die umweltbezogenen Pflichten allein auf das Minamataund das POPs-Übereinkommen Bezug genommen wurde, erhielt der Tatbestand zum umweltbezogenen Risiko erst im Ausschuss für Arbeit und Soziales seine heutige Fassung.270 In diesem Zuge wurde auch der Verbotskatalog um die Nr. 6 bis 8 erweitert und so auch das Basler Übereinkommen in den Schutzbereich des LkSG einbezogen. Die zunächst in Abs. 3 enthaltene Legaldefinition der umweltbezogenen Pflicht wurde in Abs. 4 verschoben, welcher nun die Verletzung einer umweltbezogenen Pflicht definiert als Verstoß gegen eines der in der enumerativen Aufzählung des Abs. 3 genannten Verbote. Im Vergleich zu den menschenrechtsbezogenen Risiken fällt der Katalog der er- 252 fassten Risiken im Umweltbereich deutlich schlanker aus.271 Die lediglich drei von Abs. 3 in Bezug genommenen Übereinkommen wurden hauptsächlich einbezogen, weil sie neben dem Umweltschutz auch dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen und dadurch einen Bezug zu Menschenrechten aufweisen.272 Hieran wird deutlich, dass das LkSG vor allem dem Schutz der Menschenrechte verpflichtet ist.273 Die umweltbezogenen Pflichten erscheinen demgegenüber als Annex,274 was auf eine anthropozentrische Fokussierung des Umweltschutzes im LkSG schließen lässt. Insofern ist die Aufnahme umweltbezogener Pflichten in das LkSG die Konsequenz der zunehmenden Anerkennung der Interdependenz von Menschenrechten auf der einen und Schutz der Umwelt als natürliche Lebensgrundlage des Menschen auf der anderen Seite, welche in den letzten Jahren auch auf internationaler Ebene, insbesondere innerhalb der Vereinten Nationen, zu beobachten war.275 Auch das französische „loi de vigilance“ von 270 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505. 271 Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens wurde von Nichtregierungsorganisationen vielfach kritisiert, dass Umweltaspekte im LkSG zu kurz kämen, vgl. Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 108; Schilling-Vacaflor, Sustainability 2021, 9666, S. 8 (abrufbar unter: https://doi.org/10.3390/su13179666); Zeisel, Lieferkettengesetz, 2021, S. 13. 272 So ausdrücklich die Begründung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zur Einbeziehung des Basler Übereinkommens, vgl. BT-Drucks. 19/30505, 37. 273 Vgl. den allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 19/28649, 23. 274 So auch Krebs, ZUR 2021, 394 (399); Schilling-Vacaflor, Sustainability 2021, 9666, S. 8 (abrufbar unter: https://doi.org/10.3390/su13179666). Im allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/28649, 24) wird zudem explizit festgehalten: „Erfasst sind auch der Umweltschutz und die Korruptionsbekämpfung, soweit Menschenrechte von Umweltschädigungen oder Korruption unmittelbar betroffen oder internationale Umweltabkommen ausdrücklich in Bezug genommen werden.“ 275 Vgl. Schilling-Vacaflor, Sustainability 2021, 9666, S. 3 m.w.N. (abrufbar unter: https:// doi.org/10.3390/su13179666).

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§ 2 | Begriffsbestimmungen 2017276 geht von einem holistischen Ansatz aus und bezieht Umweltrisiken ausdrücklich in den Pflichtenkatalog der Unternehmen ein.277 253 Damit geht der Gesetzgeber des LkSG aber nicht den Schritt, die im internatio-

nalen und nationalen Umweltrecht zunehmend zu beobachtende ökozentrische Fokussierung, welche die Umwelt um ihrer selbst willen und nicht zwingend als Lebensgrundlage für den Menschen schützen will, aufzugreifen. Auf den Schutz der Natur und Arten sowie die Biodiversität im Allgemeinen abzielende Übereinkommen wird dementsprechend – anders als im Entwurf der geplanten EURichtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit, dort in Nr. 1 und 2 des Teils II des Anhangs278 – nicht Bezug genommen. Z.B. kann damit der Handel mit Elfenbein unter die Einfuhr- und Ausfuhrverbote des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (Convention on International Trade in Endangered Species (CITES)) fallen. Von § 2 Abs. 3 LkSG wird dieser Vorgang indes nicht als umweltbezogenes Risiko erfasst.

254 Insgesamt ist zu konstatieren, dass der Katalog des § 2 Abs. 3 LkSG nur einen

Ausschnitt möglicher umweltbezogener Verbote enthält und sich dabei auf bestimmte Übereinkommen mit einer gefahrstoff- bzw. abfallrechtlichen Zielrichtung beschränkt. Andere internationale Übereinkommen zum Umweltrecht – etwa zum Schutz des Klimas und zum Schutz der Ozonschicht oder zur Verhinderung einer grenzüberschreitenden Luftverunreinigung bzw. der Verhütung einer Meeresverschmutzung – werden nicht erfasst. Allerdings werden bestimmte Umweltmedien (Luft, Boden, Wasser) über § 2 Abs. 2 Nr. 9 LkSG einbezogen, dort freilich nur in einem sehr offenen Tatbestand ohne Anknüpfung an konkrete Pflichten.

255 Aus der gefahrstoff- bzw. abfallbezogenen Ausrichtung lassen sich dann auch

mögliche Risikoindikatoren ableiten. Insbesondere auf die Verwendung von Chemikalien angewiesene und abfalllastige Industrien und Gewerbe werden umweltbezogene Risiken nahelegen. Zur näheren Aufklärung kann das betriebliche Gefahrstoff- und Abfallkatasters erfragt werden, auf dessen Grundlage dann ein Abgleich mit den von § 2 Abs. 3 LkSG erfassten Chemikalien und Abfällen erfolgen kann. Aus der Dokumentation kann sich zudem ergeben, ob eine Substitution kritischer Stoffe erfolgt und wie mit den anfallenden Abfällen umgegangen wird. Fehlt eine betriebliche Dokumentation mittels Gefahrstoff- und Abfallkataster, kann dies einen Anfangsverdacht für ein umweltbezogenes Risiko begründen.

276 Vgl. Loi no. 2017-399 du 27 mars 2017 relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d’ordre. 277 Vgl. Schilling-Vacaflor, Sustainability 2021, 9666, S. 8 (abrufbar unter: https://doi.org/ 10.3390/su13179666). 278 Entwurf v. 23.2.2022, KOM(2022) 71 endgültig 2022/0051 (COD).

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Begriffsbestimmungen | § 2

2. Zum Katalog der umweltbezogenen Verbote a) Allgemeines Zur Vervollständigung der Legaldefinition des umweltbezogenen Risikos stellt 256 § 2 Abs. 3 LkSG einen achtteiligen Katalog an umweltbezogenen Verboten auf und bestimmt auf diese Weise auch den Begriff der Verletzung einer umweltbezogenen Pflicht nach Abs. 4 S. 2. Dieser Verbotskatalog ist abschließend.279 Zudem fehlt eine dem § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG nachgebildete Generalklausel, die als Auffangtatbestand fungieren könnte, in Abs. 3 vollständig. Der Entwurf der geplanten EU-Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit kennt zwar mehr umweltbezogene Verbote als das deutsche LkSG,280 doch ist auch die Auflistung der Verbote auf europäischer Ebene abschließend und sieht ebenso keine Generalklausel vor. b) Die Verweisung auf die Übereinkommen Der Verbotskatalog des § 2 Abs. 3 LkSG zeichnet sich durch eine gelegentlich 257 schwer zu durchdringende Verweisungstechnik aus. So nimmt das Gesetz jeweils Bezug auf einen Artikel eines völkerrechtlichen Vertrags (z.T. in Verbindung mit einer EU-Verordnung), der wiederum auf seine jeweiligen Anhänge verweist. Dies ist im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot nicht zu beanstanden, sofern dabei jeweils – wie im Fall von § 2 Abs. 3 LkSG – die genaue Fundstelle im Bundesgesetzblatt oder im Amtsblatt der Europäischen Union genannt wird.281 Im Ergebnis wird dadurch der Normtext, welcher Ziel der Verweisung ist, in die 258 Verweisungsnorm inkorporiert, so dass allein letztere für die Bestimmung der jeweiligen Rechtsfolge maßgeblich ist.282 In diesem Sinne sind die vom LkSG erfassten Unternehmen nicht an die in Bezug genommenen, völkerrechtlich niedergelegten Verbote an sich gebunden. Diese gelten vielmehr nur für die Vertragsstaaten direkt.283 Die Verpflichtung privatwirtschaftlicher Unternehmen folgt daher allein aus dem nationalen Recht, wobei freilich bei der Interpretation der aufgestellten Verbote auf deren völkerrechtlichen Bedeutungsgehalt zurückgegriffen werden kann.284 279 Vgl. die Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf, BT-Drucks. 19/28649, 39 (zu § 2 Abs. 4). 280 Vgl. Einleitung Rz. 152. 281 Vgl. BVerfGE 153, 310, Rz. 78. So ist nach dem BVerfG auch die Verweisung auf Vorschriften eines anderen Normgebers zulässig, „denn eine solche Verweisung bedeutet rechtlich nur den Verzicht, den Text der in Bezug genommenen Vorschriften in vollem Wortlaut in die Verweisungsnorm aufzunehmen“. 282 Vgl. Zimmermannn/Weiß, AVR 2020, 424 (443). 283 Vgl. die Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf, BT-Drucks. 19/28649, 35 (zu § 2 Abs. 1). 284 So auch Schönfelder in Grabosch, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 10, der insoweit zurecht auf die Grundsätze der Einheit der Rechtsordnung und der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes verweist.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen 259 Aus dem Vorstehenden ergibt sich zudem, dass die Verweisungen als statische

und nicht als dynamische zu verstehen sind. Dies lässt sich zunächst daraus ableiten, dass in § 2 Abs. 3 LkSG bei den Verweisen auf die Übereinkommen auf das Vollzitat mit Angabe der Fundstelle im Bundesgesetzblatt, inklusive der letzten Änderung des Vertragstextes mit entsprechender Fundstelle im Bundesgesetzblatt, Bezug genommen wird. Im Falle einer dynamischen Verweisung wäre die Angabe der letzten Änderung des Übereinkommens entbehrlich und irreführend. Für eine statische Verweisung spricht zudem, dass alle drei Überkommen auch ohne Zustimmung der Bundesrepublik geändert werden könnten,285 so dass der Gesetzgeber nicht die vollständige Kontrolle über den Inhalt einer dynamischen Verweisung hätte. Die Verweisung könnte sich dann ohnehin nur auf ratifizierte Übereinkommen beziehen. In der Gesetzesbegründung286 wird für die menschenrechtlichen Übereinkommen auch darauf abgestellt, dass die aufgeführten Verträge durch die Bundesrepublik ratifiziert wurden und die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt für die Unternehmen der Ausgangspunkt für das Risikomanagement sein soll. Insofern sollen nicht die Übereinkommen an sich maßgeblich sein, sondern vielmehr der im Bundesgesetzblatt veröffentlichte Text.

c) Die drei in Bezug genommenen Übereinkommen 260 Die Verbote des § 2 Abs. 3 LkSG lassen sich entsprechend ihres Verweises auf

internationale Übereinkommen in drei thematische Bereiche unterteilen: Nr. 1-3 betreffen Beschränkungen im Umgang mit Quecksilber nach dem Minamata-Übereinkommen. Nr. 4 und 5 thematisieren die Bekämpfung der (weiteren) Freisetzung von persistenten organischen Chemikalien mit schädlicher Wirkung nach dem Stockholmer Übereinkommen (POPs-Übereinkommen). Nr. 6-8 behandeln die Einschränkungen der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle nach dem Basler Übereinkommen.

261 Mit den drei genannten Übereinkommen hat der Gesetzgeber des LkSG nur ei-

nen Ausschnitt der internationalen Umweltabkommen einbezogen. Zudem verweist er lediglich punktuell auf einzelne Bestimmungen der Verträge, so dass die den Unternehmen nach dem LkSG auferlegten umweltbezogenen Pflichten fragmentarischen Charakter aufweisen.287 Allerdings weisen die drei genannten Übereinkommen zahlreiche Schnittstellen auf. Dies gilt in besonderem Maße für den Bereich der Entsorgung problematischer Stoffe, für den gemeinsame technische Leitlinien zu beachten sind.288 285 Vgl. Art. 26 Abs. 3 S. 2 des Minamata-Übereinkommens, Art. 21 Abs. 3 S. 2 des POPsÜbereinkommens und Art. 17 Abs. 3 S. 2 des Basler Übereinkommens. 286 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 34. 287 So kommt etwa Krebs, ZUR 2021, 394, 399 zum Ergebnis, dass die gesetzliche Regelung keinesfalls in der Lage sein wird, einen wirkungsvollen Umweltschutz zu gewährleisten. 288 Vgl. hierzu etwa die Kommentierung von § 2 Abs. 3 Nr. 3 und 5 LkSG, unten Rz. 281 und 297.

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Begriffsbestimmungen | § 2

Das Minamata-Übereinkommen über Quecksilber, auch bekannt als Quecksil- 262 ber-Konvention (engl.: Minamata Convention on Mercury) wurde am 17.10. 2013 im japanischen Kumamoto geschlossen und trat am 16.8.2017 in Kraft. Es zielt auf die Beschränkung der Freisetzung und Nutzung von Quecksilber, welches in zahlreichen Produkten weltweit Verwendung findet. Das Streben nach einer Reduzierung dieses globalen Umlaufs von Quecksilber in Reinform oder Verbindungen rechtfertigt sich ausweislich des Erwägungsgrundes des Übereinkommens „auf Grund seines weiträumigen Transports in der Atmosphäre, seiner Persistenz in der Umwelt, wenn es einmal anthropogen eingeführt worden ist, seiner Fähigkeit zur Bioakkumulation in Ökosystemen und seiner erheblichen negativen Folgen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt“. Kurz vor Inkrafttreten des Übereinkommens hatte auch die Europäische Union dessen Vorgaben durch die Quecksilber-Verordnung (Verordnung (EU) 2017/852 vom 17.5.2017 über Quecksilber und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1102/2008) umgesetzt. Anders als beim Stockholmer und dem Basler Übereinkommen nimmt das LkSG jedoch keinen Bezug auf die EU-Verordnung. Das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe 263 (engl.: Persistent Organic Pollutants = POPs, daher häufig auch schlicht POPsÜbereinkommen) wurde am 22.5.2001 in der schwedischen Hauptstadt geschlossen und trat fast vier Jahre später in Kraft. Es widmet sich der Reduktion bestimmter langlebiger organische Chemikalien „in der Erkenntnis, dass persistente organische Schadstoffe toxische Eigenschaften aufweisen, schwer abbaubar sind, bioakkumulieren und über die Luft, durch das Wasser und über wandernde Arten über internationale Grenzen hinweg befördert und weitab von ihrem Freisetzungsort abgelagert werden, wo sie in terrestrischen und aquatischen Ökosystemen angereichert werden“ (so der erste Erwägungsgrund des POPsÜbereinkommens) und dient somit der Bekämpfung „der gesundheitlichen Gefahren, besonders in Entwicklungsländern, die sich aus der lokalen Exposition mit persistenten organischen Schadstoffen ergeben“ (so der zweite Erwägungsgrund des POPs-Übereinkommens). In der EU wurde es durch die POPs-Verordnung (Verordnung (EU) 2019/1021 vom 20.6.2019 über persistente organische Schadstoffe) umgesetzt, auf welche auch das LkSG Bezug nimmt. Das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Ver- 264 bringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung wurde am 22.3.1989 im schweizerischen Basel geschlossen und trat am 5.5.1992 in Kraft. Angesichts „der wachsenden Bedrohung, welche die zunehmende Erzeugung und Vielfalt gefährlicher Abfälle und anderer Abfälle und deren grenzüberschreitende Verbringung für die menschliche Gesundheit und die Umwelt darstellen“ (so der zweite Erwägungsgrund des Basler Übereinkommens) zielt es vor allem auf eine mengenmäßige bzw. an einzelnen gefährlichen Eigenschaften orientierte Beschränkung der Erzeugung und des Transports solcher gefährlicher Abfälle.289 Allerdings wird die grenzüberschreitende Abfallverbringung nicht nur durch das Basler 289 Vgl. den dritten Erwägungsgrund des Basler Übereinkommen.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen Übereinkommen, sondern auch von weiteren multi- sowie bilateralen Vertragswerken erfasst, neben dem Basler Übereinkommen durch den OECD-Ratsbeschluss.290 Die Europäische Union hat ihrerseits die Abfallverbringungs-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 vom 14.6.2006 über die Verbringung von Abfällen) erlassen, in welcher die Vorgaben des Basler Übereinkommens und des OECD-Ratsbeschlusses in unmittelbar geltendes Recht umgesetzt werden. d) Zur Notwendigkeit einer Ratifikation der Übereinkommen 265 Indem der Gesetzgeber des LkSG auf einzelne Bestimmungen aus völkerrecht-

lichen Verträgen verweist, übernimmt er, rechtlich gesehen, deren jeweiligen Wortlaut ins Gesetz.291 Daher ist prinzipiell unbeachtlich, ob ein Staat, auf den sich die unternehmerische Lieferkette erstreckt, die in Bezug genommenen Abkommen ratifiziert hat oder nicht.292 Der Wortlaut der Abkommen gilt vielmehr als deutsches Parlamentsgesetz. In der Sache bewirkt dies eine indirekte Erstreckung völkerrechtlicher Pflichten auf Nicht-Vertragsstaaten, indem die Einhaltung von in den Verboten niedergelegten Standards einfordert wird, auch wenn dies nach dem Recht dieser Staaten dort rechtlich nicht gefordert ist.

266 Anders liegt es allerdings dort, wo das LkSG selbst auf die Rechtslage in einem

Staat, der Teil der Lieferkette ist, verweist. Hier ist dann im Einzelfall zu prüfen, ob der jeweilige Staat den betreffenden völkerrechtlichen Vertrag ratifiziert und inwieweit er dessen Vorgaben in nationales Recht umgesetzt hat. In Reinform findet sich ein solcher Verweis auf eine ausländische Rechtsordnung im Rahmen des § 2 Abs. 3 LkSG allerdings nur in der Nr. 5. Zwar nehmen die Nr. 6 Buchstaben a und c und die Nr. 8 ebenfalls Bezug auf den Status als Vertragspartei, doch hängt davon nicht die abstrakte Geltung der dort normierten Verbote für die erfassten Unternehmen ab, sondern nur die Erfüllung ihres jeweiligen Tatbestands.

3. Verbot der Herstellung von mit Quecksilber versetzten Produkten (Nr. 1) a) Gegenstand des Verbots 267 § 2 Abs. 3 Nr. 1 LkSG betrifft die Herstellung von mit Quecksilber versetzten

Produkten gem. Art. 4 Abs. 1 und Anlage A Teil I des Minamata-Übereinkommens. Prinzipiell behandelt Art. 4 Abs. 1 zusätzlich auch die Ein- und Ausfuhr von quecksilberhaltigen Produkten. Durch den klaren Wortlaut des Gesetzes, der lediglich auf das Verbot der Herstellung verweist, wird jedoch deutlich, dass Einfuhr und Ausfuhr quecksilberhaltiger Produkte von § 2 Abs. 3 Nr. 1 ausgeklammert werden. Auch die Gesetzesbegründung nimmt keinen Bezug auf

290 C(92)39, umfassend überarbeitet durch C(2001)107/FINAL. 291 Vgl. auch Rz. 258 f. 292 Ebenso, jedenfalls im Hinblick auf das Minamata-Übereinkommen, auch Schönfelder in Grabosch, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 61.

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Begriffsbestimmungen | § 2

den Tatbestand der Ein- und Ausfuhr.293 Eine räumliche Verbringung als Abfall wird abschließend von den Nr. 6 bis 8 erfasst.294 Welche Produkte im Detail von dem Herstellungsverbot gemeint sind, ergibt sich 268 aus Anlage A Teil I zum Minamata-Übereinkommen. Die folgenden mit Quecksilber versetzten Produkte werden dort gelistet: bestimmte Batterien; bestimmte Schalter und Relais; bestimmte Kompaktleuchtstofflampen (CFL), lineare Leuchtstofflampen (LFL) und Hochdruck-Quecksilberdampflampen (HPMV) für allgemeine Beleuchtungszwecke; bestimmte Kaltkathoden-Leuchtstofflampen und Leuchtstofflampen mit externen Elektroden (CCFL und EEFL) für elektronische Displays; bestimmte Kosmetika; Pestizide, Biozide und topische Antiseptika; bestimmte nicht elektronische Messgeräte. Dabei stellt die Anlage A Teil I für die gelisteten Produkte – mit Ausnahme der beiden zuletzt genannten – jeweils spezifische Grenzwerte für einen noch zulässigen Quecksilberanteil auf. b) Verbotsausnahmen Noch vor der Auflistung der verbotenen quecksilberhaltigen Produkte benennt 269 Anlage A Teil I fünf Produktkategorien bzw. Verwendungszwecke, die von vornherein vom Anwendungsbereich des Verbots ausgeschlossen sind. Dies sind: für den Zivilschutz und militärische Verwendungszwecke unerlässliche Produkte; Produkte für die Forschung, die Kalibrierung von Instrumenten, zur Verwendung als Referenzstandard; sofern keine machbare quecksilberfreie Alternative als Ersatz verfügbar ist: Schalter und Relais, Kaltkathoden-Leuchtstofflampen und Leuchtstofflampen mit externen Elektroden (CCFL und EEFL) für elektronische Displays und Messgeräte; bei traditionellen oder religiösen Praktiken verwendete Produkte; Impfstoffe mit Thiomersal als Konservierungsstoff. Daneben öffnet das Minamata-Übereinkommen das Einfallstor für zwei indivi- 270 duelle vertragsstaatliche Regelungen. Zunächst verweist Art. 4 Abs. 1 auf Art. 6 Abs. 1 des Übereinkommens.295 Dieser gibt jedem Vertragsstaat die Möglichkeit, per schriftlicher Notifikation Ausnahmeregelungen von den in den Anlagen A und B aufgeführten Ausstiegsdaten registrieren zu lassen,296 so dass das Verbot 293 Vgl. die Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf, BT-Drucks. 19/28649, 39 (Begründung zu § 2 Abs. 4 Nr. 1, 2 und 3). 294 Nach Art. 1 Abs. 1 lit. a i.V.m. Punkt Y 29 der Anlage I fallen Quecksilber und Quecksilberverbindungen unter den Begriff der gefährlichen Abfälle im Sinne des Basler Übereinkommens und sind damit von dessen spezielleren und detaillierteren Regeln umfasst. 295 Dass dieser Verweis auch vom LkSG mitgedacht ist, wird aus der Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf deutlich, vgl. BT-Drucks. 19/28649, 39 (Begründung zu § 2 Abs. 4 Nr. 1, 2 und 3). 296 Gemäß Art. 6 Abs. 3 des Minamata-Übereinkommens wird für alle registrierten Ausnahmeregelungen ein öffentlich einsehbares Register angelegt. Dieses ist abrufbar unter https://www.mercuryconvention.org/en/parties/exemptions. Zudem findet sich ein Überblick über alle Notifikationen der Vertragsstaaten unter https://www.mercuryconven tion.org/en/parties/notifications.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen der Herstellung quecksilberhaltiger Produkte erst später greift. 12 Staaten haben bislang im Bereich der Anlage A Teil I von dieser Ausnahme Gebrauch gemacht.297 Diese Ausnahmeregelungen laufen jeweils 2025 aus. 271 Schließlich bietet Art. 4 Abs. 2 den Vertragsparteien die Option, alternativ und

unter bestimmten Umständen298 anstelle des in Art. 4 Abs. 1 vorgesehenen Verbots der Herstellung von mit Quecksilber versetzten Produkten andere Maßnahmen oder Strategien zur Verringerung der Verwendung von Quecksilber anzuwenden. Diese Option haben bislang lediglich die USA gezogen.299 Auf deren Staatsgebiet gilt folglich kein vollständiges Verbot der Herstellung der aufgelisteten quecksilberhaltigen Produkte, sondern stattdessen sind von den Unternehmen die entsprechenden alternativen Maßnahmen zu beachten, welche die USA ergriffen haben.

272 Dass auch die Option des Art. 4 Abs. 2 des Minamata-Übereinkommens von § 2

Abs. 3 Nr. 1 LkSG mitgedacht ist, ergibt sich erst aus der insoweit eindeutigen Regierungsbegründung. Diese hält ausdrücklich fest, dass die „Herstellung von mit Quecksilber versetzten Produkten nach Anlage A Teil I des Minimata-Übereinkommens […] kein Risiko dar[stellt], wenn […] von der Option des Artikel 4 Absatz 2 Gebrauch gemacht wurde.“300 Insofern handelt es sich um einen Redaktionsfehler, wenn § 2 Abs. 3 Nr. 1 LkSG lediglich auf Art. 4 Abs. 1 des Minamata-Übereinkommens verweist, der seinerseits in seinem Wortlaut keinerlei Bezug auf Art. 4 Abs. 2 nimmt.

297 Dies sind Argentinien, Botswana, China, Eswatini, Ghana, Indien, Iran, Kanada, Lesotho, Madagaskar, Peru und Thailand. 298 Gemäß Art. 4 Abs. 2 S. 2 kann eine Vertragspartei die in Art. 4 Abs. 2 vorgesehene Alternative nur wählen, wenn sie u.a. nachweisen kann, dass sie die Herstellung, Einfuhr und Ausfuhr der überwiegenden Mehrheit der in Anlage A Teil I aufgeführten Produkte bereits auf ein geringfügiges Niveau (de minimis level) verringert hat und dass sie Maßnahmen oder Strategien zur Verringerung der Verwendung von Quecksilber in weiteren, nicht in Anlage A Teil I aufgeführten Produkten angewandt hat. Zieht eine Vertragspartei diese Option, ist sie nach Art. 4 Abs. 2 S. 3 Buchstabe d nicht berechtigt, Ausnahmeregelungen nach Art. 6 für Produktkategorien in Anspruch zu nehmen, für die diese Alternative gewählt wurde. 299 Vgl. den Überblick über alle Notifikationen der Vertragsstaaten unter https://www. mercuryconvention.org/en/parties/notifications. 300 BT-Drucks. 19/28649, 39 (Begründung zu § 2 Abs. 4 Nr. 1, 2 und 3).

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Begriffsbestimmungen | § 2

c) Prüfungsschema 273

4. Verbot der Verwendung von Quecksilber(verbindungen) bei Herstellungsprozessen (Nr. 2) a) Gegenstand des Verbots § 2 Abs. 3 Nr. 2 LkSG folgt einer zur Nr. 1 weitgehend parallelen Systematik, ist 274 jedoch sprachlich exakter gefasst. Die Nr. 2 betrifft das Verbot der Verwendung von Quecksilber und Quecksilberverbindungen bei Herstellungsprozessen i.S.d. Art. 5 Abs. 2 und Anlage B Teil I des Minamata-Übereinkommens ab dem für die jeweiligen Produkte und Prozesse im Übereinkommen festgelegten Ausstiegsdatum. Damit nimmt – anders als bei der Nr. 1 – nicht nur bereits der Gehling/Fischer

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§ 2 | Begriffsbestimmungen Wortlaut des LkSG ausdrücklichen Bezug auf die im Minamata-Übereinkommen geregelten Ausstiegsdaten. Auch der Gegenstand des Verbots der Nr. 2, nämlich die Verwendung von Quecksilber und Quecksilberverbindungen entspricht ohne Auslassungen dem Regelungsobjekt des Art. 5 Abs. 2 des Minamata-Übereinkommens. Die in Bezug genommene Anlage B Teil I führt lediglich zwei Herstellungsprozesse auf, die Art. 5 Abs. 2 unterliegen. Diese betreffen: die Chloralkali-Herstellung mit dem Ausstiegsdatum 2025 und die AcetaldehydHerstellung, bei der Quecksilber oder Quecksilberverbindungen als Katalysator verwendet werden, mit dem Ausstiegsdatum 2018. b) Verbotsausnahmen 275 Ähnlich wie bei der der Herstellung von mit Quecksilber versetzten Produkten i.

S. d. § 2 Abs. 3 Nr. 1 LkSG gibt es auch bei der Nr. 2 bestimmte Herstellungsprozesse, die von vornherein aus dem Anwendungsbereich des Verbots ausgenommen sind. Diese Ausnahmen ergeben sich jedoch nicht aus der Anlage B, sondern aus Art. 5 Abs. 1 des Minamata-Übereinkommens. Nach Art. 5 Abs. 1 schließen für die Zwecke dieses Artikels und der Anlage B Herstellungsprozesse, bei denen Quecksilber oder Quecksilberverbindungen verwendet werden, weder Prozesse ein, bei denen mit Quecksilber versetzte Produkte verwendet werden, noch Prozesse zur Herstellung von mit Quecksilber versetzten Produkten noch Prozesse, bei denen quecksilberhaltiger Abfall verarbeitet wird.

276 Zwar verweist auch § 2 Abs. 3 Nr. 2 LkSG nicht explizit auf Art. 5 Abs. 1 des Mina-

mata-Übereinkommens, doch soll nach seinem Wortlaut das Verbot der Verwendung von Quecksilber(verbindungen) „im Sinne des“ Art. 5 Abs. 2 des MinamataÜbereinkommens gelten. Dies bedeutet, dass auf den Begriff abzustellen ist, wie er sich aus dem Minamata-Übereinkommen ergibt, inklusive der Modifikation, die er „für die Zwecke dieses Artikels [gemeint ist Art. 5, Anm. d. Verf.] und der Anlage B“301 durch Art. 5 Abs. 1 des Übereinkommens erfährt. Darüber hinaus folgt auch aus der insoweit eindeutigen Gesetzesbegründung, dass Art. 5 Abs. 1 des Minamata-Übereinkommens vom Verweis des § 2 Abs. 3 Nr. 2 LkSG erfasst sein soll.302 Zudem bietet Art. 6 des Minamata-Übereinkommens, auf den Art. 5 Abs. 2 ausdrücklich verweist, den Vertragsparteien die Möglichkeit, Ausnahmeregelungen von den Ausstiegsdaten registrieren zu lassen.303 Von dieser Möglichkeit haben im Bereich der Anlage B bislang sechs Staaten Gebrauch gemacht.304 301 So der Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 des Minamata-Übereinkommens. 302 Vgl. die Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf, BT-Drucks. 19/28649, 39 (Begründung zu § 2 Abs. 4 Nr. 1, 2 und 3). 303 Gemäß Art. 6 Abs. 3 des Minamata-Übereinkommens wird für alle registrierten Ausnahmeregelungen ein öffentlich einsehbares Register angelegt. Dieses ist abrufbar unter https://www.mercuryconvention.org/en/parties/exemptions. Zudem findet sich ein Überblick über alle Notifikationen der Vertragsstaaten unter https://www.mercurycon vention.org/en/parties/notifications. 304 Für die Chloralkali-Herstellung sind dies Argentinien, Ghana, Iran, Peru und die USA. In Bezug auf die Acetaldehyd-Herstellung haben lediglich Indien und erneut Ghana

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Begriffsbestimmungen | § 2

c) Prüfungsschema 277

5. Verbot der unsachgemäßen Behandlung von Quecksilberabfällen (Nr. 3) a) Gegenstand des Verbots § 2 Abs. 3 Nr. 3 LkSG statuiert das Verbot der Behandlung von Quecksilber- 278 abfällen entgegen den Bestimmungen des Art. 11 Abs. 3 des Minamata-Übereinkommens. Art. 11 Abs. 3 verpflichtet insbesondere dazu, Quecksilberabfall unter Berücksichtigung der auf Grund des Basler Übereinkommens erarbeiteten Richtlinien umweltgerecht zu behandeln. Der Begriff des Quecksilberabfalls wird zuvor in Art. 11 Abs. 2 des Minamata- 279 Übereinkommens definiert. Zwar nimmt auch hier weder das LkSG noch Art. 11 Abs. 3 des Übereinkommens ausdrücklich Bezug auf diese Definition, doch ereine Ausnahmeregelung registrieren lassen. Die Ausnahmeregelungen gelten jeweils bis 2030.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen gibt sich aus der Gesetzesbegründung unzweifelhaft, dass der Gesetzgeber sich diese Definition zu eigen machen wollte.305 Art. 11 Abs. 2 definiert Quecksilberabfälle unter Bezugnahme auf die relevanten Schwellenwerte als Stoffe oder Gegenstände, die entsorgt werden, zur Entsorgung bestimmt sind oder auf Grund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder auf Grund des Minamata-Übereinkommens entsorgt werden müssen und die a) aus Quecksilber oder Quecksilberverbindungen bestehen, b) Quecksilber oder Quecksilberverbindungen enthalten oder c) mit Quecksilber oder Quecksilberverbindungen verunreinigt sind. 280 Die in Art. 11 Abs. 2 angesprochenen Schwellenwerte sollten von der Konferenz

der Vertragsparteien in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Organen des Basler Übereinkommens auf abgestimmte Art und Weise festgelegt werden. Dies ist allerdings bislang lediglich lückenhaft geschehen. So hat die Konferenz der Vertragsparteien beschlossen, dass für den von Buchstaben a und b angesprochenen Quecksilberabfall keine Grenzwerte festgesetzt werden sollen.306 Stattdessen erstellte die Vertragsstaatenkonferenz eine hinsichtlich Buchstabe a abschließende307 und hinsichtlich Buchstabe b nicht erschöpfende Liste308 an Stoffen, die stets von Buchstabe a bzw. b erfasst sein sollen. Hinsichtlich Buchstabe c wurde die Entscheidung über die Etablierung einheitlicher Schwellenwerte vertagt.309 Auf der vierten Vertragsstaatenkonferenz (COP 4) vom März 2022 wurden in dem Beschluss MC-4/6 weitere Konkretisierungen vorgenommen.

281 Weiterhin sind mit den von Art. 11 Abs. 3 des Minamata-Übereinkommens

apostrophierten, auf Grund des Basler Übereinkommens erarbeiteten Richt-

305 So spricht die Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf ausdrücklich von „Quecksilberabfälle[n] i.S.d. Art. 11 Abs. 2“, BT-Drucks. 19/28649, 40 (Begründung zu § 2 Abs. 4 Nr. 1, 2 und 3). 306 Vgl. Beschluss MC-3/5 der Vertragsstaatenkonferenz (= UNEP/MC/COP.3/Dec.5), Ziff. 1 und 2, abrufbar unter https://www.mercuryconvention.org/sites/default/files/ documents/decision/UNEP-MC-COP3-Dec5-MercuryWasteThresholds.EN.pdf. 307 Vgl. Beschluss MC-3/5 der Vertragsstaatenkonferenz (= UNEP/MC/COP.3/Dec.5), Ziff. 1 i.V.m. Tabelle 1 des Anhangs, abrufbar unter https://www.mercuryconvention. org/sites/default/files/documents/decision/UNEP-MC-COP3-Dec5-MercuryWaste Thresholds.EN.pdf. Die Liste umfasst dabei (wiedergewonnenes) Quecksilber in seiner Elementarform sowie die Verbindungen Quecksilber(I und II)-chlorid, Quecksilber (II)-oxid, Quecksilber(II)-sulfat, Quecksilber(II)-nitrat, Cinnabaritkonzentrat und Quecksilbersulfid. 308 Vgl. Beschluss MC-3/5 der Vertragsstaatenkonferenz (= UNEP/MC/COP.3/Dec.5), Ziff. 2 i.V.m. Tabelle 2 des Anhangs, abrufbar unter https://www.mercuryconvention. org/sites/default/files/documents/decision/UNEP-MC-COP3-Dec5-MercuryWaste Thresholds.EN.pdf. Unter Buchstabe b sollen demnach mit Quecksilber versetzte Produkte fallen, die entsorgt werden, zur Entsorgung bestimmt sind oder entsorgt werden müssen, darunter nicht-elektronische Messgeräte wie Barometer oder Thermometer, Schalter und Relais, Glühbirnen, Batterien, Pestizide, Farbstoffe, Arzneimittel, Kosmetika, Zahnamalgam sowie wissenschaftliche Instrumente. 309 Vgl. Beschluss MC-3/5 der Vertragsstaatenkonferenz (= UNEP/MC/COP.3/Dec.5), Ziff. 3, abrufbar unter https://www.mercuryconvention.org/sites/default/files/documents/ decision/UNEP-MC-COP3-Dec5-MercuryWasteThresholds.EN.pdf.

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linien hauptsächlich die „Technischen Leitlinien für die umweltgerechte Behandlung von Abfällen, die aus elementarem Quecksilber bestehen, und von Abfällen, die Quecksilber enthalten oder damit verunreinigt sind“310 gemeint, die 2015 von der Vertragsstaatenkonferenz des Basler Übereinkommens angenommen wurden.311 Die Leitlinien enthalten – unter Bezugnahme auf die jeweiligen völkerrechtlichen Verträge und sonstigen internationalen Regelungen – umfassende Anleitungen für die Handhabung von Quecksilberabfall, von dessen Prävention bis hin zur Sanierung kontaminierter Lagerungsstandorte. Neben den Richtlinien nach dem Basler Übereinkommen sollen nach Art. 11 282 Abs. 3 Buchstabe a des Minamata-Übereinkommens bei der umweltgerechten Behandlung von Quecksilberabfall grundsätzlich auch die von der Konferenz der Vertragsparteien in einer zusätzlichen Anlage zu beschließenden Anforderungen berücksichtigt werden. Bislang wurden allerdings die Arbeiten an einer solchen Anlage nicht aufgenommen.312 Sollte eine solche Anlage zukünftig noch erarbeitet werden, so wäre auch sie von den Unternehmen zur Vermeidung eines Risikos nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 LkSG zu beachten. Schließlich bleibt unklar, ob von dem Verweis des § 2 Abs. 3 Nr. 3 LkSG auch 283 die beiden übrigen Buchstaben des Art. 11 Abs. 3 des Minamata-Übereinkommens mitgemeint sind.313 Demnach darf Quecksilberabfall nach Buchstabe b nur für eine nach dem Minamata-Übereinkommen erlaubte Verwendung oder für eine entsprechende umweltgerechte Entsorgung wiedergewonnen, verwertet, rückgewonnen oder unmittelbar wiederverwendet werden und gem. Buchstabe c im Fall von Vertragsparteien des Basler Übereinkommens nicht über Staatsgrenzen hinweg befördert werden, außer zum Zweck der entsprechenden umweltgerechten Entsorgung. Für die Einbeziehung der Buchstaben b und c spricht, dass § 2 Abs. 3 Nr. 3 LkSG ohne weitere Einschränkungen auf die „Bestimmungen des Artikels 11 Absatz 3 des Minamata-Übereinkommens“ verweist. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass sich der Begriff der „Behandlung“ aus § 2 Abs. 3 Nr. 3 LkSG nur in Buchstabe a wiederfindet, auch wenn freilich eine „Behandlung“ im allgemeinsprachlichen Sinne recht umfassend jedweden Umgang mit einem Stoff meinen kann. 310 UNEP/CHW.12/5/Add.8/Rev.1, abrufbar unter http://www.basel.int/Implementation/ TechnicalMatters/DevelopmentofTechnicalGuidelines/TechnicalGuidelines/tabid/8025/ Default.aspx. Gegenwärtig werden die technischen Leitlinien überarbeitet, vgl. http:// www.basel.int/Implementation/MercuryWastes/TechnicalGuidelines/tabid/5159/De fault.aspx. 311 Durch Beschluss BC-12/4 der Vertragsstaatenkonferenz, Ziff. 2, abrufbar unter http:// www.basel.int/TheConvention/ConferenceoftheParties/Meetings/COP12/tabid/4248/ Default.aspx. 312 Vgl. den mündlichen Bericht von Marianne Bailey, Programme Officer for Capacitybuilding and Technical Assistance, Minamata Convention on Mercury, anlässlich der virtuellen Informationsveranstaltung zu „Article 11: Mercury Wastes“ vom 12.11. 2020, abrufbar unter https://www.youtube.com/watch?v=EtvnKmFFv7c. 313 Schönfelder in Grabosch, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 63 geht ohne weitere Diskussion dieser Frage davon aus.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen 284 Letztlich sollte die Bedeutung dieser offenen Frage aber gering bleiben, da einer-

seits schon § 2 Abs. 3 Nr. 2 LkSG auf die Regeln des Minamata-Übereinkommens bezüglich der Verwendung von Quecksilber und seinen Verbindungen verweist und später § 2 Abs. 3 Nr. 6 bis 8 LkSG Verbote im Hinblick auf die grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Abfälle nach dem Basler Übereinkommen aufstellen. Nach Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a in Verbindung mit Punkt Y 29 der Anlage I fallen Quecksilber und Quecksilberverbindungen prinzipiell unter den Begriff der gefährlichen Abfälle im Sinne des Basler Übereinkommens und sind damit von dessen spezielleren und detaillierteren Regeln umfasst. Aus diesem Grund verbliebe ohnehin nur wenig Raum für eine eigenständige Berücksichtigung der Buchstaben b und c des Art. 11 Abs. 3 des Minamata-Übereinkommens. b) Verbotsausnahmen

285 Die im Rahmen des Verbots nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 LkSG zu berücksichtigenden

Ausnahmen halten sich in engen Grenzen und betreffen lediglich die Begriffsbestimmung des Quecksilberabfalls nach Art. 11 Abs. 2 des Minamata-Übereinkommens, welche sich auch das LkSG zu eigen macht.314 Die Definition des Art. 11 Abs. 2 schließt Abraum, Taubgestein und Aufbereitungsrückstände aus dem Bergbau, mit Ausnahme des primären Quecksilberbergbaus, aus. Auch hier sollen – gewissermaßen als Gegenausnahme – wieder prinzipiell Schwellenwerte für enthaltenes Quecksilber in Reinform oder Verbindungen gelten, bei deren Überschreitung die ausgenommenen Kategorien doch unter den Abfallbegriff des Art. 11 Abs. 2 fielen. Bezüglich Abraums und Taubgesteins hat die Vertragsstaatenkonferenz jedoch den Entschluss gefasst, aufgrund deren geringen Gefährlichkeit315 keine Schwellenwerte mehr festzulegen.316 Im Hinblick auf Aufbereitungsrückstände soll dies aber noch geschehen.317 Solange entsprechende Schwellenwerte aber noch nicht festgesetzt wurden, sind die drei genannten Kategorien vollständig vom Begriff des Quecksilberabfalls ausgenommen.318 314 Vgl. dazu Rz. 279. 315 Vgl. die vorbereitenden Ausführungen der von der Vertragsstaatenkonferenz entsprechend mandatierten Gruppe technischer Experten, UNEP/MC/COP.3/7, Annex II, Ziff. 23, abrufbar unter https://www.mercuryconvention.org/sites/default/files/docu ments/working_document/UNEP-MC-COP-3-7-Outcome_MercuryWasteThresholds. English.pdf. 316 Durch Beschluss MC-3/5 der Vertragsstaatenkonferenz (= UNEP/MC/COP.3/Dec.5), Ziff. 5, abrufbar unter https://www.mercuryconvention.org/sites/default/files/documents/ decision/UNEP-MC-COP3-Dec5-MercuryWasteThresholds.EN.pdf. 317 Vgl. Beschluss MC-3/5 der Vertragsstaatenkonferenz (= UNEP/MC/COP.3/Dec.5), Ziff. 5, abrufbar unter https://www.mercuryconvention.org/sites/default/files/documents/ decision/UNEP-MC-COP3-Dec5-MercuryWasteThresholds.EN.pdf. Vgl. nunmehr den auf der vierten Vertragsstaatenkonferenz (COP 4) vom März 2022 gefassten Beschluss MC-4/6. 318 Vgl. insoweit klarstellend den dritten Erwägungsgrund des Beschlusses MC-2/2 der Vertragsstaatenkonferenz (=UNEP/MC/COP.2/Dec.2), abrufbar unter https://www.

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Begriffsbestimmungen | § 2

c) Prüfungsschema 286

6. Verbot der Produktion und Verwendung bestimmter Chemikalien (Nr. 4) a) Gegenstand des Verbots § 2 Abs. 3 Nr. 4 LkSG verbietet die Produktion und Verwendung von Chemika- 287 lien nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a und Anlage A des POPs-Übereinkommens in der Fassung der EU-POPs-Verordnung. Der Regierungsentwurf hatte auf den Verweis auf die EU-POPs-Verordnung noch verzichtet und stattdessen den Anwendungsbereich der Nr. 4 nur eröffnet, „soweit dieses [gemeint ist das Verbot der Produktion und Verwendung von Chemikalien, Anm. d. Verf.] nach dem anwendbaren nationalen Recht in Übereinstimmung mit dem POPs-Übereinkommen gilt“319. Faktisch wird die Reichweite des Verbots mit dieser Änderung erheblich gesteigert, da nach der gegenwärtigen Gesetzesfassung unerhebinformea.org/sites/default/files/decisions/UNEP-MC-COP2-Dec2-MercuryWaste Thresholds.EN_.pdf. 319 § 2 Abs. 3 Nr. 4 des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 19/28649, 9.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen lich ist, inwieweit ein Staat das POPs-Übereinkommen ratifiziert, geschweige denn dessen Vorgaben in nationales Recht umgesetzt hat. Stattdessen sollen einheitlich die Grundsätze der EU-POPs-Verordnung maßgeblich sein. 288 Bemerkenswert ist, dass der Ausschuss für Arbeit und Soziales die Abänderung

lapidar als „[r]edaktionelle Folgeänderung auf Grund der Einfügung der neuen § 2 Absatz 3 Nummer 6 bis 8“320 bezeichnete. Diese Begründung passt jedoch nicht, da die neu eingefügten Nr. 6 bis 8 ausschließlich das Basler Übereinkommen betreffen und dadurch in keiner direkten Verbindung zum POPs-Übereinkommen oder der EU-POPs-Verordnung stehen. Es scheint vielmehr so, als habe der Ausschuss versehentlich die Begründung zur nachfolgenden Änderung kopiert, die in der Tat eine rein redaktionelle ist.321 Daher bleiben die Motive des Gesetzgebers für die beschlossene Änderung der Nr. 4 im Dunkeln. In systematischer Hinsicht stellt diese einen gewissen Bruch mit Nr. 5 dar, da die Nr. 5 nach wie vor auf die in dem jeweiligen Staat anwendbare Rechtsordnung abstellt. Dies bedeutet insofern eine Vereinfachung, als bei § 2 Abs. 3 Nr. 4 LkSG die Notwendigkeit einer Prüfung der jeweiligen Rechtslage im Ausland entfällt. Zugleich werden auf diese Weise die den Unternehmen nach den §§ 3 bis 10 LkSG obliegenden Sorgfaltspflichten erweitert und somit der durch das LkSG gewährleistete Schutzstandard insgesamt erhöht.

289 Das Verbot der Produktion und Verwendung von Chemikalien nach Art. 3

Abs. 1 Buchstabe a des POPs-Übereinkommens wird maßgeblich von dessen Anlage A bestimmt. Diese umfasste bei Inkrafttreten des POPs-Übereinkommens lediglich eine Auswahl aus dem sog. „Dreckigen Dutzend“ (dirty dozen), dessen Bekämpfung sich das POPs-Übereinkommen zu Anfang verschrieben hatte,322 wurde aber seither kontinuierlich auf nunmehr 24 Chemikalien und Chemikaliengruppen erweitert.323

320 Vgl. die Begründung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drucks. 19/30505, 36 (Begründung zu Dreifachbuchstabe ccc). 321 Nämlich die Ersetzung des Punktes durch ein Semikolon, BT-Drucks. 19/30505, 9 (Punkt a) 1. c) dd) ddd)). Vgl. außerdem die Begründung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drucks. 19/30505, 37 (Begründung zu Dreifachbuchstabe ddd). 322 Dies waren vor allem Pestizide, namentlich Aldrin, Chlordan, DDT (nur in Anlage B), Dieldrin, Endrin, Heptachlor, Hexachlorobenzol (auch in Anlage C), Mirex, Toxaphen, aber auch Industriechemikalien und Nebenprodukte, namentlich polychlorierte Biphenyle (PCB, auch in Anlage C), Dibenzodioxine (PCDD, nur in Anlage C) und Dibenzofurane (PCDF, nur in Anlage C), vgl. den Überblick auf der Website des POPs-Übereinkommens, abrufbar unter http://chm.pops.int/TheConvention/The POPs/The12InitialPOPs/tabid/296, und des Umweltbundesamtes, abrufbar unter https://www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/persistente-organische-schad stoffe-pop. 323 Neu hinzugekommen sind α- und β-Hexachlorcyclohexan, Chlordecon, Decabromdiphenylether (BDE-209), Dicofol, Technisches Endosulfan und Endosulfan-Isomere, Hexabrombiphenyl, Hexabromcyclododecan, Hexa- und Heptabromdiphenylether, Hexachlorbutadien, kurzkettige Chlorparaffine (C10-13 mit einem Chlorgehalt > 48 %), Lindan, Pentachlorbenzol, Pentachlorphenol und seine Salze und Ester, Perfluoroc-

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Begriffsbestimmungen | § 2

Wie der letztlich beschlossene Wortlaut des § 2 Abs. 3 Nr. 4 LkSG bereits an- 290 deutet, hat das Verbot der Produktion und Verwendung von Chemikalien nach dem POPs-Übereinkommen eine weitgehende Entsprechung in der EU-POPsVerordnung gefunden. So verbietet an gleicher Stelle Art. 3 Abs. 1 der EUPOPs-Verordnung die Herstellung und Verwendung von in Anhang I genannten Stoffen als solche, in Gemischen oder in Erzeugnissen. Dabei sind die in Anhang I der EU-POPs-Verordnung gelisteten Stoffe weitgehend deckungsgleich mit Anlage A des POPs-Übereinkommens. Anhang I führt lediglich zusätzlich technisches Hexachlorcyclohexan auf und erfasst auch DDT (1,1,1-Trichlor-2,2bis(4-chlorphenyl)ethan). Letzteres nennt das POPs-Übereinkommen erst in Anlage B. Zusätzlich verbietet Art. 3 Abs. 1 der EU-POPs-Verordnung grundsätzlich auch das Inverkehrbringen dieser Stoffe. Dieses Verbot ist aber nicht vom Verweis des § 2 Abs. 3 Nr. 4 LkSG erfasst. b) Verbotsausnahmen Auch bei den Verbotsausnahmen arbeiten das POPs-Übereinkommen und sein 291 Pendant auf EU-Ebene mit identischer Regelungstechnik. So sehen sowohl die Anlage A des POPs-Übereinkommens als auch der Anhang I der EU-POPs-Verordnung zahlreiche, teilweise recht detaillierte Ausnahmetatbestände vor. Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 Nr. 4 LkSG, welcher auf das Verbot in der Fassung der EU-Verordnung abstellt, ist in den Fällen, in denen Anhang A und Anlage I nicht deckungsgleich sind, der Ausnahmenkatalog des EU-Rechts maßgeblich. Darüber hinaus statuiert Art. 4 der EU-POPs-Verordnung, auf welchen Art. 3 292 Abs. 1 ausdrücklich verweist, mehrere generelle Ausnahmen vom Verbot des Art. 3 Abs. 1 i.V.m. der Anlage I. Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b stellt dabei die Verbindung zu den im Text der Anlage I geregelten Ausnahmen her: Demnach fallen Chemikalien, die gemäß den Angaben in den einschlägigen Einträgen in Anhang I als unbeabsichtigte Spurenverunreinigung in Stoffen, Gemischen oder Erzeugnissen vorhanden sind, nicht unter das Verbot des Art. 3 Abs. 1. Außerdem suspendiert Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 das Verbot des Art. 3 Abs. 1 für einen Zeitraum von sechs Monaten für alle Stoffe, die neu in Anhang I oder II aufgenommen werden, wenn die Stoffe in Erzeugnissen vorhanden sind, die vor oder zu dem Zeitpunkt hergestellt worden sind, ab dem die EU-POPs-Verordnung für diese Stoffe gilt. Demgegenüber stellt Art. 4 Unterabs. 2 nicht auf die Herstellung, sondern auf die Verwendung ab: So dürfen Erzeugnisse, die schon vor oder zu dem Zeitpunkt, seit die EU-POPs-Verordnung bzw. ihre Vorgängerin, die Verordnung (EG) Nr. 850/2004,324 auf die in ihnen enthaltenen Stoffe tansäure (PFOA), ihre Salze und PFOA-verwandte Verbindungen, polychlorierte Naphthaline sowie Tetra- und Pentabromdiphenylether. 324 Verordnung (EG) Nr. 850/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4. 2004 über persistente organische Schadstoffe und zur Änderung der Richtlinie 79/117/ EWG, ABl. Nr. L 158 vom 30.4.2004, S. 7–49.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen Anwendung findet, auch weiterhin verwendet werden. Eine Frist gilt in diesem Fall nicht. Schließlich nimmt Art. 4 Abs. 1 Buchstabe a Stoffe, die für die Forschung im Labormaßstab oder als Referenzstandard verwendet werden, generell aus dem Anwendungsbereich des Verbots nach Art. 3 Abs. 1 der EU-POPs-Verordnung aus. c) Prüfungsschema 293

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Begriffsbestimmungen | § 2

7. Verbot der nicht umweltgerechten Handhabung, Sammlung, Lagerung und Entsorgung von Abfällen (Nr. 5) a) Gegenstand des Verbots § 2 Abs. 3 Nr. 5 LkSG statuiert das Verbot der nicht umweltgerechten Hand- 294 habung, Sammlung, Lagerung und Entsorgung von Abfällen nach den Regelungen, die in der anwendbaren Rechtsordnung nach den Maßgaben des Art. 6 Abs. 1 Buchstabe d Ziff. i und ii des POPs-Übereinkommens gelten. Damit gilt hier als Maßstab die ausländische Rechtsordnung des Staates, der Teil der Lieferkette ist. Die Unternehmen müssen damit jeweils im Einzelfall prüfen, ob der betreffende Staat das POPs-Übereinkommen ratifiziert und inwieweit er die Verbote des Art. 6 Abs. 1 Buchstabe d Ziff. i und ii in nationales Recht umgesetzt hat.325 § 2 Abs. 3 Nr. 5 LkSG folgt bezüglich der drei zuerst genannten Tätigkeiten 295 (Handhabung, Sammlung, Lagerung) zunächst fast vollständig dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Buchstabe d Ziff. I des POPs-Übereinkommens. Dieser schließt zwar noch die Beförderung von Abfällen ein, doch ist wie schon bei § 2 Abs. 3 Nr. 3 LkSG326 auch hier davon auszugehen, dass die in § 2 Abs. 3 Nr. 6 bis 8 LkSG aufgeführten Verbote im Hinblick auf die grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Abfälle nach dem Basler Übereinkommen ohnehin als leges speciales vorgehen, zumal viele POPs als gefährliche Abfälle einzustufen sind.327 Art. 6 Abs. 1 Buchstabe d Ziff. ii des POPs-Übereinkommens betrifft schließlich 296 die Entsorgung von Abfällen. Diese müssen so entsorgt werden, dass die darin enthaltenen persistenten organischen Schadstoffe zerstört oder unumkehrbar umgewandelt werden, so dass sie nicht mehr die Eigenschaften persistenter organischer Schadstoffe aufweisen, oder auf andere Weise umweltgerecht entsorgt werden, wenn ihre Zerstörung oder unumkehrbare Umwandlung nicht die unter Umweltgesichtspunkten vorzuziehende Möglichkeit darstellt oder ihr Gehalt an persistenten organischen Schadstoffen niedrig ist. Dabei sind internationale Regeln, Normen und Richtlinien sowie einschlägige weltweite und regionale Regelungen zur Behandlung gefährlicher Abfälle zu berücksichtigen. Diesbezügliche internationale Regelungen finden sich insbesondere im Umfeld 297 des Basler Übereinkommens. Dementsprechend findet sich in Art. 6 Abs. 2 des POPs-Übereinkommens ein Hinweis auf die enge Zusammenarbeit zwischen den entsprechenden Organen des Basler und des Stockholmer Übereinkommens mit dem Ziel, die Methoden einer umweltgerechten Entsorgung von POPs-Abfällen sowie entsprechende Schwellenwerte festzulegen. Hieraus sind bereits verschiedene technische Leitlinien entstanden,328 wobei insbesondere die „All325 Dazu sogleich näher unter Rz. 300. 326 Vgl. dazu Rz. 284. 327 Vgl. Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a i.V.m. den unter Y39 und den folgenden Nummern gelisteten Bestandteilen nach der Anlage I des Basler Übereinkommens. 328 Alle von der Vertragsstaatenkonferenz angenommenen technischen Leitlinien sind abrufbar unter http://www.basel.int/Implementation/TechnicalMatters/Developmentof TechnicalGuidelines/TechnicalGuidelines/tabid/8025/Default.aspx.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen gemeinen technischen Leitlinien für die umweltgerechte Behandlung von Abfällen, die aus persistenten organischen Schadstoffen bestehen, diese enthalten oder mit diesen verunreinigt sind“329 von zentraler Bedeutung für die Materie sind. 298 Art. 6 Abs. 1 des POPs-Übereinkommens unter dem Begriff der „Abfälle“ sol-

che, die aus einer in Anlage A, B oder C aufgenommenen Chemikalie bestehen, diese enthalten oder mit dieser verunreinigt sind; darunter auch Produkte und Artikel, wenn diese zu derartigen Abfällen werden. Neben Anlage A, auf die bereits eingegangen wurde,330 sind somit für § 2 Abs. 3 Nr. 5 LkSG auch die in Anlage B331 und C332 gelisteten Stoffe zu berücksichtigen. b) Verbotsausnahmen

299 Die wichtigste Ausnahme liegt darin, dass das Verbot des § 2 Abs. 3 Nr. 5 LkSG

ausweislich des Gesetzeswortlauts nur nach den Regelungen, die in der anwendbaren Rechtsordnung nach den Maßgaben des Art. 6 Abs. 1 Buchstabe d Ziffer i und ii des POPs-Übereinkommens gelten, Bestand hat. Bei einer unternehmerischen Tätigkeit in Staaten, die das POPs-Übereinkommen (noch) nicht ratifiziert haben, ist das Verbot des § 2 Abs. 3 Nr. 5 LkSG somit gegenstandslos, da selbst eventuell bestehende eigenständige Regelungen des nationalen Rechts in Bezug auf POPs-Abfälle nicht „nach Maßgabe des POPs-Übereinkommens gelten“ würden333 Zwar ist heute die große Mehrheit aller Staaten Vertragspartei des POPs-Übereinkommen, doch haben etwa Italien, Israel, Malaysia und die USA das Übereinkommen trotz erfolgter Unterzeichnung bislang nicht ratifiziert.334

300 Was in dem Fall gelten soll, dass ein Staat zwar das POPs-Übereinkommen rati-

fiziert, es aber noch nicht in nationales Recht umgesetzt hat, lässt sich nicht

329 General technical guidelines on the environmentally sound management of wastes consisting of, containing or contaminated with persistent organic pollutants of 1 May 2019 (= UNEP/CHW.14/7/Add.1/Rev.1). Unter III. (S. 14 ff.) behandeln die Leitlinien im Speziellen die von Art. 6 des POPs-Übereinkommens aufgeworfenen Fragen und stellen schließlich unter IV. (S. 16 ff.) ausführliche Anleitungen zur umweltgerechten Behandlung von POPs-Abfällen zur Verfügung. 330 Vgl. Rz. 287 ff. 331 Anlage B nennt die folgenden Chemikalien: DDT (1,1,1-Trichlor-2,2-bis(4-chlorphenyl)ethan), Perfluoroctansulfonsäure, ihre Salze und Perfluoroctansulfonylfluorid, Lithium-Perfluoroctansulfonat, Ammonium-Perfluoroctansulfonat, Diethanolammonium-Perfluoroctansulfonat, Tetraethyl-Ammonium-Perfluoroctansulfonat, DidecylDimethyl-Ammonium-Perfluoroctansulfonat. 332 Anlage C listet folgende Stoffe: Hexachlorbenzol (HCB), Hexachlorobutadiene, Pentachlorbenzol (PeCB), polychlorierte Biphenyle (PCB), polychlorierte Dibenzodioxine und Dibenzofurane (PCDD/PCDF) sowie polychlorierte Naphthaline. 333 So auch Schönfelder in Grabosch, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 67. 334 Der Ratifikationsstatus des POPs-Übereinkommens ist in Tabellen- oder Kartenform abrufbar unter http://chm.pops.int/Countries/StatusofRatifications/PartiesandSignatoi res/tabid/4500/Default.aspx.

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Begriffsbestimmungen | § 2

ohne weiteres aus der Formulierung des § 2 Abs. 3 Nr. 5 LkSG ableiten. Mit dem Regelungszweck des LkSG, eine möglichst kohärente Umsetzung unternehmerischer Sorgfaltspflichten bei gleichzeitig möglichst geringem bürokratischem Aufwand zu gewährleisten,335 wäre es allerdings nicht vereinbar, wenn das Verbot des § 2 Abs. 3 Nr. 5 LkSG gerade dann nicht gelten würde, wenn anstelle von Regelungen einer fremden Rechtsordnung ausschließlich die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze Anwendung finden, denen sich der betreffende Staat in souveräner Entscheidung unterworfen hat. Diese Auslegung wird gestützt durch den Wortlaut der Regierungsbegründung, der zufolge die erfassten Unternehmen „die sich aus den geltenden nationalen Regelungen und [Herv. d. Verf.] den Maßgaben der Artikel 6 Buchstabe d Ziffern i und ii des POPS-Übereinkommen ergebenden Pflichten beachten“ müssen.336 Darüber hinaus hätte der Gesetzgeber, sofern er einen reinen Verweis auf das jeweilige nationale Recht gewollt hätte, die Bezugnahme auf die Maßgaben des POPs-Übereinkommens auch vollständig unterlassen können, wie er es etwa bei § 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG getan hat.337 Eine zweite Verbotsausnahme betrifft schließlich die Begriffsbestimmung der 301 Abfälle i.S.d. Art. 6 Abs. 1 des POPs-Übereinkommens. Durch den pauschalen Verweis auf die Anlagen A, B und C sind die dort jeweils eingetragenen Ausnahmeregelungen zu beachten: Anlage A kennt spezifische Ausnahmeregelungen, während die Anlage B zusätzlich zu diesen auch akzeptable Zwecke aufführt. Anlage C kennt hingegen keine Ausnahmetatbestände.

335 Vgl. den allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/28649, 23). 336 BT-Drucks. 19/28649, 40 (Begründung zu § 2 Abs. 4 Nr. 4 und 5). 337 So auch Schönfelder in Grabosch, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 4 Rz. 67.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen c) Prüfungsschema 302

8. Vorbemerkung zum Abfallbegriff der Nr. 6 bis 8 a) Überblick 303 Wesentliche Bedeutung im Rahmen von § 2 Abs. 3 Nr. 6 bis 8 LkSG hat die Fra-

ge, welche Abfälle jeweils von den Nr. 6 bis 8 erfasst werden. Zu beachten ist, dass Nr. 6 bis 8 nicht in sich konsistent gefasst sind. § 2 Abs. 3 Nr. 6 LkSG stellt auf den Begriff der gefährlichen Abfälle i.S.d. Art. 1 Abs. 1 und anderer Abfälle i.S.d. Art. 1 Abs. 2 des Basler Übereinkommens sowie im Sinne der EU-Verordnung Nr. 1013/2006 über die Verbringung von Abfällen ab. Indem nach dem 256

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Begriffsbestimmungen | § 2

klaren Gesetzeswortlaut („und“) sowohl Abfälle nach der Begriffsbestimmung des Basler Übereinkommens als auch nach der der EU-Abfallverbringungsverordnung erfasst sind, wird der Anwendungsbereich der Verbote recht weit gezogen, was durch die gewählte Verweisungstechnik freilich zu Lasten der Übersichtlichkeit und Anwenderfreundlichkeit geht. § 2 Abs. 3 Nr. 7 LkSG stellt sodann auf „gefährliche Abfälle“ ab, während § 2 Abs. 3 Nr. 8 LkSG „gefährliche Abfälle und andere Abfälle“ erfasst. b) Nach dem Basler Übereinkommen erfasste Abfälle Die von § 2 Abs. 3 Nr. 6 LkSG referenzierten Art. 1 Abs. 1 und 2 des Basler 304 Übereinkommens unterscheiden zwischen gefährlichen und anderen Abfällen. Nach der ihnen gemeinsamen Begriffsbestimmung des Art. 2 Nr. 1 sind Abfälle im Sinne des Basler Übereinkommens Stoffe oder Gegenstände, die entsorgt werden, zur Entsorgung bestimmt sind oder auf Grund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften entsorgt werden müssen. Als gefährlich definiert das Basler Übereinkommen nach Art. 1 Abs. 1 Buchsta- 305 be a zunächst solche Abfälle, die einer in Anlage I enthaltenen Gruppe angehören, es sei denn, sie besitzen keine der in Anlage III aufgeführten Eigenschaften. Anlage I listet unter Voranstellung des Buchstaben Y 18 Abfallarten sowie 27 denkbare Bestandteile von Abfällen. Zur Erleichterung der Prüfung verweist Anlage I subsidiär auf die Anlagen VIII und IX des Basler Übereinkommens, die beide eine Vielzahl verschiedener Einträge enthalten. Demnach gelten Abfälle, die in Anlage VIII aufgeführt sind, grundsätzlich als gefährlich i.S.d. Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a des Basler Übereinkommens, während Abfälle, die in Anlage IX aufgeführt sind, grundsätzlich nicht von Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a erfasst werden. Allerdings schließt die Nennung eines Abfalls in den beiden genannten Anlagen den Nachweis ihrer gegenteiligen (Un-)Gefährlichkeit im Einzelfall nicht aus. Damit ein Abfall nach Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a des Basler Übereinkommens 306 gefährlich ist, muss er zudem eine der in Anlage III aufgeführten Eigenschaften aufweisen. Anlage III listet unter Verweis auf die entsprechende Gefahrklasse nach der Systematik der Vereinten Nationen338 14 solcher Eigenschaften und gibt diesen jeweils eine eigene Codenummer nach dem Basler Übereinkommen. Zusätzlich stellt die Anlage III eine Begriffsbestimmung jeder Eigenschaft zur Verfügung. Buchstabe b des Art. 1 Abs. 1 des Basler Übereinkommens erfasst als Auffang- 307 tatbestand sodann solche Abfälle als gefährlich, die zwar nicht unter Buchstabe a fallen, aber nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Vertragspartei, die Ausfuhr-, Einfuhr- oder Durchfuhrstaat ist, als gefährliche Abfälle bezeichnet sind oder als solche gelten. Damit öffnen das Basler Übereinkommen und mit 338 Die Einteilung in Gefahrenklassen ist in den Empfehlungen der Vereinten Nationen über die Beförderung gefährlicher Güter von 1988 (ST/SG/AC.10/1/Rev. 5) enthalten.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen ihm § 2 Abs. 3 LkSG das Einfallstor für individuelle Regelungen in den einzelnen Staaten entlang der Lieferkette.339 308 Als andere Abfälle im Sinne des Basler Übereinkommens bestimmt schließlich

Art. 1 Abs. 2 alle Abfälle, die einer in Anlage II enthaltenen Gruppe angehören und Gegenstand grenzüberschreitender Verbringung sind. Anlage II kennt lediglich drei Abfallgruppen, nämlich Haushaltsabfälle mit der Nummer Y46, Rückstände aus der Verbrennung von Haushaltsabfällen mit der Nummer Y47 sowie unter der Nummer Y48 Kunststoffabfälle, einschließlich Gemischen aus solchen Abfällen. Für Nummer Y 48 gelten dabei zahlreiche, in der Anlage II näher bezeichnete Ausnahmen. c) Nach der EU-Abfallverbringungsverordnung erfasste Abfälle

309 Art. 2 Nr. 1 der Abfallverbringungsverordnung verweist für die allgemeine Be-

stimmung des Abfallbegriffs auf die Abfallrahmenrichtlinie, so dass nunmehr nach Art. 3 Nr. 1 der aktuell geltenden Abfallrichtlinie 2008/98/EG als „Abfall“ jeder Stoff oder Gegenstand erfasst wird, dessen sich sein Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Für die Gefährlichkeit von Abfällen ist der Verweis in Art. 2 Nr. 2 der EU-Abfallverbringungsverordnung in der Weise zu verstehen, dass Art. 3 Nr. 2 und Art. 7 der Abfallrichtlinie 2008/98/EG zur Anwendung kommen. Nach Art. 3 Nr. 2 ist solcher Abfall als gefährlich anzusehen, der eine oder mehrere der in Anhang III aufgeführten gefährlichen Eigenschaften aufweist. Dabei weist Anhang III der Abfallrahmenrichtlinie große Schnittmengen mit Anlage III des Basler Übereinkommens auf, ist aber nicht vollständig deckungsgleich.

310 Art. 7 Abs. 1 bildet die Grundlage für das von der EU-Kommission erstellte und

stets aktuell zu haltende Abfallverzeichnis. Das EU-Abfallverzeichnis findet sich im Anhang zur Entscheidung 2000/532/EG der Kommission und stellt das wichtigste Dokument zur europaweit einheitlichen Einstufung von Abfällen dar. Das EU-Abfallverzeichnis arbeitet mit einem System an Codes, wobei jeder Eintrag einen sechsstelligen Code erhält, der sich zurückführen lässt auf das jeweilige Kapitel (gekennzeichnet durch zweistellige Codes) und Unterkapitel (gekennzeichnet durch vierstellige Codes).340 Dabei sind die gefahrenrelevanten Einträge jeweils durch ein Asterisk gekennzeichnet. Hinsichtlich einer solchen Festlegung als gefährlicher Abfall ist das EU-Abfallverzeichnis nach Art. 7 Abs. 1 S. 3 der Abfallrichtlinie verbindlich. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 2 S. 1 der Abfallrahmenrichtlinie einen Abfall auch dann als gefähr-

339 Diesbezüglich sei auf die Website des Basler Übereinkommens hingewiesen, welche zu jeder Vertragspartei ein von dieser selbst erstelltes Factsheet veröffentlicht, das einen kurzen Überblick über die jeweils geltende nationale Rechtslage beinhaltet. Die Factsheets sind abrufbar unter www.basel.int/Countries/CountryFactsheets/tabid/1293/ Default.aspx. 340 Vgl. den Technischen Leitfaden zur Abfalleinstufung, Bekanntmachung der Kommission vom 9.4.2018 (2018/C 124/01), S. 14, 21.

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Begriffsbestimmungen | § 2

lichen Abfall einstufen, wenn er nicht als solcher im Abfallverzeichnis ausgewiesen ist, sofern er eine oder mehrere der in Anhang III aufgeführten Eigenschaften aufweist. Auf der anderen Seite darf ein Mitgliedstaat nach Art. 7 Abs. 3 S. 1 der Abfallrahmenrichtlinie einen im Verzeichnis als gefährlich eingestuften Abfall auch als nicht gefährlich einstufen, sofern er nachweisen kann, dass er keine der in Anhang III aufgelisteten Eigenschaften aufweist. d) Verhältnis zwischen den Abfallbegriffen nach dem LkSG Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 Nr. 6 LkSG („und“) scheinen der Abfall- 311 begriff nach dem Basler Übereinkommen und der EU-Abfallverbringungsverordnung zwar grundsätzlich auf einer Stufe zu stehen. Allerdings geht aus der Gesetzesbegründung hervor, dass dem Basler Übereinkommen eine gewisse Vorrangstellung zukommen soll.341 Dementsprechend zitiert das LkSG lediglich in § 2 Abs. 3 Nr. 7 mit Art. 36 eine konkrete Bestimmung der EU-Abfallverbringungsverordnung, während die Nr. 6 bis 8 stets auf konkrete Vorschriften des Basler Übereinkommens verweisen. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht auch, dass Art. 36 der Abfallverbringungsverordnung in der Gesetzesbegründung überhaupt nicht erwähnt wird, sondern lediglich Anhang V dieser Verordnung referenziert wird.342 Anhang V stellt eine konkrete Vorgehensweise für die Subsumtion unter den Abfallbegriff auf, wonach zunächst die Anlagen VIII und IX des Basler Übereinkommens zu prüfen sind, anschließend das EU-Abfallverzeichnis und schließlich in einem dritten Schritt die Anlage II des Basler Übereinkommens.343 9. Verbote in Bezug auf die Verbringung von Abfällen (Nr. 6 bis 8) a) Verbot der Ausfuhr gefährlicher Abfälle (Nr. 6) § 2 Abs. 3 Nr. 6 LkSG untersagt die Ausfuhr gefährlicher und anderer Abfälle in 312 bestimmte, im Einzelnen in den Buchstaben a bis d aufgeführte Staaten. Maßgeblich sind insoweit die Verweise auf das Basler Übereinkommen. Buchstabe a verbietet die Ausfuhr gefährlicher und anderer Abfälle in eine Ver- 313 tragspartei des Basler Übereinkommens, die die Einfuhr solcher gefährlicher 341 So bildet das Basler Übereinkommen nach der Begründung des Ausschusses für Arbeit und Soziales die „Grundlage“ der Ausfuhrverbote. Zudem findet die EU-Abfallverbringungsverordnung nur Erwähnung, soweit sie auf Anlagen des Basler Übereinkommens Bezug nimmt, vgl. BT-Drucks. 19/30505, 37 (Begründung zu eee). 342 Vgl. die Begründung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drucks. 19/30505, 37 (Begründung zu eee). Freilich wird Anhang V der EU-Abfallverbringungsverordnung ausschließlich im Rahmen des Art. 36 relevant, so dass er von der Gesetzesbegründung zumindest mittelbar mitgedacht ist. 343 Eine Prüfung sonstiger, nicht in Anhang V aufgeführter gefährlicher Abfälle soll nach Art. 36 Abs. 1 Buchstabe c der EU-Abfallverbringungsverordnung erst im Anschluss daran erfolgen.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen und anderer Abfälle nach dessen Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b verboten hat. Zwar ist nach dieser Bestimmung prinzipiell notwendig, dass die anderen Vertragsparteien von diesem Verbot in Kenntnis gesetzt wurden. Da privatwirtschaftliche Unternehmen aber gerade nicht Vertragspartei des Basler Übereinkommens werden können, sollte es unerheblich sein, ob eine solche Unterrichtung durch den verbietenden Staat erfolgt ist. Gegenwärtig haben 22 Staaten ein Verbot nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b des Basler Übereinkommens erlassen.344 314 Buchstabe b untersagt sodann unter Verweis auf Art. 4 Abs. 1 Buchstabe c des

Basler Übereinkommens die Ausfuhr gefährlicher und anderer Abfälle in einen Einfuhrstaat, der nicht seine schriftliche Einwilligung zu der bestimmten Einfuhr gegeben hat,345 wenn dieser Einfuhrstaat die Einfuhr dieser gefährlichen Abfälle nicht bereits nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b verboten hat. Dabei definiert Art. 2 Nr. 11 den Begriff des Einfuhrstaats als Vertragspartei, in die eine grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle oder anderer Abfälle zum Zweck der Entsorgung oder zum Zweck des Verladens vor der Entsorgung in einem nicht der Hoheitsgewalt eines Staates unterstehenden Gebiet geplant ist oder stattfindet.

315 Buchstabe c stellt das Verbot der Ausfuhr gefährlicher und anderer Abfälle in

eine Nichtvertragspartei des Basler Übereinkommens gem. dessen Art. 4 Abs. 5 auf. Die von Art. 4 Abs. 5 des Basler Übereinkommens ebenfalls erfasste Einfuhr gefährlicher oder anderer Abfälle ist Gegenstand des Verbots des § 2 Abs. 3 Nr. 8 LkSG. Gegenwärtig haben lediglich neun Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen das Basler Übereinkommen nicht ratifiziert, darunter die USA. Die USA haben das Basler Übereinkommen zwar 1990 unterzeichnet, aber danach nie ratifiziert.

316 Buchstabe d betrifft das Verbot der Ausfuhr gefährlicher und anderer Abfälle in

einen Einfuhrstaat (i.S.v. Art. 2 Nr. 11 des Basler Übereinkommens), wenn solche gefährlichen Abfälle oder andere Abfälle in diesem Staat oder anderswo nicht umweltgerecht behandelt werden, und verweist diesbezüglich auf Art. 4 Abs. 8 S. 1 des Basler Übereinkommens. Welche Behandlung für welche Abfallart umweltgerecht ist, bestimmt sich ausweislich der Gesetzesbegründung346 und im Einklang mit den Bestimmungen der vom LkSG ebenfalls in Bezug ge-

344 Die entsprechenden Erklärungen dieser Staaten (u.a. Argentinien, China, Österreich, die Philippinen, Serbien, die Türkei, Ungarn und Vietnam) werden vom Sekretariat des Basler Übereinkommen auf der Website des Basler Übereinkommens veröffentlicht, abrufbar unter http://www.basel.int/Countries/ImportExportRestrictions/tabid/ 1481/Default.aspx. 345 Diesbezüglich sei auf die Website des Basler Übereinkommens hingewiesen, welche zu jeder Vertragspartei ein von dieser selbst erstelltes Factsheet veröffentlicht, das einen kurzen Überblick über die geschlossenen bi- und multilateralen Abkommen beinhaltet. Die Factsheets sind abrufbar unter www.basel.int/Countries/CountryFactsheets/ tabid/1293/Default.aspx. 346 Vgl. die Begründung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drucks. 19/30505, 37 (Begründung zu eee).

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Begriffsbestimmungen | § 2

nommenen EU-Abfallverbringungsverordnung347 vor allem nach den vielfältigen technischen Leitlinien, welche die Konferenz der Vertragsparteien des Basler Übereinkommens über die Jahre hinweg erarbeitet hat.348 Auf welche Weise die erfassten Unternehmen nachprüfen sollen, ob ein Ein- 317 fuhrstaat die Leitlinien beachtet, gibt weder der Text des LkSG noch die Gesetzesbegründung vor. Insofern können neben ggf. vorhandenen eigenen Informationen entsprechende Bekanntmachungen fachlich zuständiger deutscher Behörden wie etwa dem Umweltbundesamt oder dem mit der Durchsetzung des LkSG betrauten Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle sowie entsprechender Organe der Europäischen Union herangezogen werden. Große Bedeutung dürfte aber insbesondere den Verlautbarungen des Ausschusses für die Umsetzung und Einhaltung des Basler Übereinkommens (engl.: Implementation & Compliance Committee) zukommen. Dieser wurde 2002 auf Basis des Art. 15 Abs. 5 Buchstabe e des Basler Übereinkommens von der Vertragsstaatenkonferenz als Nebenorgan eingesetzt349 und soll die Vertragsparteien bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Basler Übereinkommen unterstützen sowie diese überwachen und gewährleisten.350 Nach der Satzung des Ausschusses kommt ihm ausdrücklich auch die Aufgabe zu, die umweltgerechte Behandlung und Entsorgung von gefährlichem und anderem Abfall sicherzustellen. Außerdem besteht die Möglichkeit, Verstöße gegen das Basler Übereinkommen anzuzeigen, woraufhin diese vom Ausschuss untersucht und auf dessen Empfehlung hin von der Konferenz der Vertragsparteien erörtert werden.351 347 Art. 49 Abs. 1 und 2 der EU-Abfallverbringungsverordnung treffen eine ähnliche, wenngleich auch deutlich detailreichere Regelung wie Art. 4 Abs. 8 S. 1 des Basler Übereinkommens. Art. 49 Abs. 2 S. 4 der EU-Abfallverbringungsverordnung hält hierzu ausdrücklich fest: „Als Hinweise für die umweltgerechte Behandlung von Abfällen können die in Anhang VIII aufgeführten Leitlinien herangezogen werden.“ Anhang VIII der Verordnung listet insbesondere 22 im Rahmen des Basler Übereinkommens verabschiedete Leitlinien und Leitfäden auf. 348 Art. 4 Abs. 8 S. 2 des Basler Übereinkommens bildet dabei die vertragliche Grundlage für den Erlass solcher Leitlinien. Diese sind abrufbar unter http://www.basel.int/Imple mentation/TechnicalMatters/DevelopmentofTechnicalGuidelines/TechnicalGuidelines/ tabid/8025/Default.aspx. 349 Durch Beschluss BC-VI/12 der Vertragsstaatenkonferenz (=UNEP/CHW.6/40), Ziff. 1 i.V.m. Ziff. 4 der Satzung des Mechanismus zur Förderung der Umsetzung und Einhaltung des Basler Übereinkommens (engl.: Terms of reference of the Mechanism for Promoting Implementation and Compliance with the Basel Convention), welche dem Beschluss angehängt ist. 350 So Ziff. 1 der Satzung, welche Beschluss BC-VI/12 der Vertragsstaatenkonferenz (=UNEP/CHW.6/40) angehängt ist. 351 Die Verfahren werden veröffentlicht und sind abrufbar auf der Website des Basler Übereinkommens unter http://www.basel.int/Implementation/LegalMatters/Compli ance/SpecificSubmissionsActivities/Currentsubmissions/tabid/2310/Default.aspx bzw. http://www.basel.int/Implementation/LegalMatters/Compliance/SpecificSubmissions Activities/Resolvedsubmissions/tabid/7978/Default.aspx.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen b) Verbot der Ausfuhr gefährlicher Abfälle in bestimmte Staaten (Nr. 7) 318 § 2 Abs. 3 Nr. 7 statuiert – unter Außerachtlassung anderer Abfälle im Sinne des

Basler Übereinkommens – das Verbot der Ausfuhr gefährlicher Abfälle von in Anlage VII des Basler Übereinkommens aufgeführten Staaten in Staaten, die nicht in Anlage VII aufgeführt sind, und verweist in diesem Zuge auf Art. 4A des Basler Übereinkommens sowie – als einzige Bestimmung aus dem umweltbezogenen Verbotskatalog – mit Art. 36 der EU-Abfallverbringungsverordnung auf eine konkrete Norm des EU-Rechts. Art. 4A (auch bekannt als „Ban Amendment“) wurde bereits 1995 in das des Basler Übereinkommen eingefügt,352 trat aber erst Ende 2019 in Kraft.353

319 Die Anlage VII erfasst nach ihrem Wortlaut alle Vertragsparteien, die OECD-

Mitgliedstaaten sind, andere OECD-Mitgliedstaaten, die EG sowie Liechtenstein. Demgegenüber verbietet Art. 36 Abs. 1 der EU-Abfallverbringungsverordnung die Ausfuhr bestimmter Abfälle aus der Gemeinschaft in Staaten, für die der OECD-Beschluss354 nicht gilt.355 Da Liechtenstein kein Mitglied der OECD ist, ist Art. 36 Abs. 1 der EU-Abfallverbringungsverordnung prinzipiell enger als Art. 4A Abs. 1 des Basler Übereinkommens. Allerdings wurde die EU-Abfallverbringungsverordnung 2008 ins EWR-Abkommen übernommen, so dass seitdem auch Liechtenstein rechtlich als Land zählt, für das der OECD-Beschluss gilt. Daher beschränken sich die Unterschiede zwischen beiden Vorschriften auf die Bestimmung des Begriffs der gefährlichen Abfälle.

320 Gemeinsam ist beiden referenzierten Bestimmungen zudem, dass der jeweilige

Verweis des § 2 Abs. 3 Nr. 7 LkSG auf den gesamten Artikel prinzipiell zu weitgehend gerät. So erfasst Art. 4A des Basler Übereinkommens jede grenzüberschreitende Verbringung und differenziert hinsichtlich der Entsorgungsart danach, ob eine Wiedergewinnung, Verwertung, Rückgewinnung oder unmittelbare Wiederverwendung oder andere Weiterverwendung der Abfälle möglich ist oder nicht. Art. 36 Abs. 1 der EU-Abfallverbringungsverordnung gilt hingegen einschränkend nur für zur Verwertung bestimmte Abfälle, umfasst aber weitergehend auch andere Abfälle. Wie schon bei § 2 Abs. 3 Nr. 1, 3, 4 352 Durch Beschluss BC-III/1 der Vertragsstaatenkonferenz (=UNEP/CHW.3/35), Ziff. 3. 353 Nachdem in Übereinstimmung mit Art. 17 Abs. 3 S. 2 des Basler Übereinkommens drei Viertel der Vertragsparteien von 1995 die Ergänzung ratifiziert hatten, vgl. die Pressemitteilung des Sekretariats des Basler Übereinkommens vom 13.9.2019, abrufbar unter http://www.basel.int/Default.aspx?tabid=8120. 354 Nach Art. 2 Nr. 17 der EU-Abfallverbringungsverordnung ist mit dem „OECD-Beschluss“ der Beschluss C(2001)107 endg. des OECD-Rates zur Änderung des Beschlusses C(92)39 endg. über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen gemeint. 355 Für Mitglieder der OECD sind deren Beschlüsse generell bindend nach Art. 5 Buchstabe a des Übereinkommens vom 14.12.1960 über die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

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und 5 LkSG lässt aber auch hier der Gesetzeswortlaut und die Gesetzesbegründung356 keine ernsthaften Zweifel daran, dass das Verbot der Nr. 7 unabhängig von der Art der Entsorgung nur für die Ausfuhr gefährlicher Abfälle gelten soll. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Telos des LkSG, eine möglichst einheitliche Umsetzung unternehmerischer Sorgfaltspflichten zu schaffen.357 c) Verbot der Einfuhr gefährlicher Abfälle (Nr. 8) Das in § 2 Abs. 3 Nr. 8 LkSG in Bezug genommene Verbot der Einfuhr gefähr- 321 licher Abfälle und anderer Abfälle aus einer Nichtvertragspartei des Basler Übereinkommens gem. dessen Art. 4 Abs. 5 bildet das Gegenstück zu § 2 Abs. 3 Nr. 6 Buchstabe d, welcher die entsprechende Ausfuhr untersagt.

VI. Verletzung einer menschenrechtsbezogenen Pflicht/Verletzung einer umweltbezogenen Pflicht (Abs. 4) Abs. 4 führt die Begriffe der „Verletzung einer menschenrechtsbezogenen 322 Pflicht“ und der „Verletzung einer umweltbezogenen Pflicht“ ein. Sie werden verwendet in § 3 Abs. 2 Nr. 2 bis 4, § 7 Abs. 2 und 3, § 9 Abs. 3, § 10 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 und § 14 Abs. 1 Nr. 1.

VII. Lieferkette (Abs. 5) 1. Einführung Der Begriff der Lieferkette ist neben dem Angemessenheitsgebot des § 3 der zen- 323 trale Begriff des Gesetzes. Alle gesetzlichen Sorgfaltspflichten knüpfen an die Lieferkette an. Er bildet den äußeren Rahmen, in dem sich Sorgfaltspflichten von Unternehmen entwickeln.358 Abs. 5 Satz 2 definiert als Lieferkette „alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind“ und untergliedert die Lieferkette in drei Abschnitte, nämlich in die Schritte zur Herstellung des Produkts oder zur Erbringung einer Dienstleistung – im eigenen Geschäftsbereich (Abs. 6), – von unmittelbaren Zulieferern (Abs. 7) und – von mittelbaren Zulieferern (Abs. 8).

356 Vgl. die Begründung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drucks. 19/30505, 37 (Begründung zu eee). 357 Vgl. den allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 19/28649, 23. 358 Vgl. zum Schrankensystem des LkSG allgemein Einleitung Rz. 8.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen 324 Abs. 5 definiert die Lieferkette unabhängig von geographischen Vorgaben

(„alle Schritte im In- und Ausland“).359 Wenngleich sich die Fälle, die hohe Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung gefunden haben, in der Regel außerhalb der Europäischen Union ereignet haben, beginnt der sorgfaltsbegründende Teil des eigenen Geschäftsbereichs und der Zulieferer nicht erst an den Außengrenzen des Binnenmarkts.360 Zu dem anderen Regelungskonzept der europäischen Konfliktdiamant-, der Holzhandels- und der KonfliktmineralienVerordnung s. Einleitung Rz. 15.

325 Abs. 5 verwendet einen eigenen Lieferkettenbegriff, der sich nicht an betriebs-

wirtschaftlichen Erkenntnissen oder Vorgaben orientiert. Während sich das Supply Chain Management mit der sicheren und zuverlässigen Versorgung des Unternehmens mit den zur Herstellung von Waren oder Dienstleistungen erforderlichen Materialien, Anlagen und Ausstattungen befasst, zielt Abs. 5 darauf, mit dem Begriff der Lieferkette den Verantwortungsbereich zu beschreiben, innerhalb dessen das Unternehmens – abgestuft – menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten treffen. Das Gesetz stellt klar, dass dazu auch der eigene Geschäftsbereich des verpflichteten Unternehmens gehört, obwohl man unter Lieferketten nach allgemeinem Sprachgebrauch nur die unmittelbare oder mittelbare Beziehung zu Zulieferern versteht.361 2. Herstellung von Produkten und Erbringung von Dienstleistungen

326 Die Lieferkette umfasst alle Schritte zur Herstellung von Produkten und zur Er-

bringung von Dienstleistungen. Die Begriffe „Herstellung von Produkten“ und „Erbringung von Dienstleistungen“ sind gesetzlich nicht bestimmt. Auch aus andere Rechtsvorschriften lässt sich keine allgemeingültige Definition ableiten. Beide Begriffe sind weit zu verstehen. Regelungsziel ist es sicherzustellen, dass die gesamte Wertschöpfung entlang der Lieferkette frei von menschenrechtlichen oder umweltrechtlichen Risiken ist, also nicht Gewinne durch Ausnutzung von menschenrechtlichen oder umweltrechtlichen Risiken erzielt werden. Produkte sind alle körperlichen Gegenstände und Stoffe, gleich in welchem Aggregatzustand. Das schließt Strom, Gas, Wasser und Wärme, aber auch die Gewinnung von Rohstoffen ein. Dienstleistungen sind alle Wertschöpfungsleistungen, die nicht Gegenstände oder Stoffe sind. Eine Beschränkung auf Dienstleistungen mit Bezug zur Realwirtschaft ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.362 Eine genaue Abgrenzung zwischen Produkten und Dienstleistungen ist für Abs. 5 nicht erfor359 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 40; Nietsch/Wiedmann: Adressatenkreis und sachlicher Anwendungsbereich des neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NJW 2022, 1 Rz. 14. 360 Zur rechtspolitischen Kritik Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 14; zu den Bemühungen um White Lists im Gesetzgebungsverfahren vgl. nur Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 2 Rz. 40. 361 Vgl. Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 13. 362 Bettermann/Hoes, BKR 2022, 23, 24.

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derlich, da die Herstellung von Produkten und die Erbringung von Dienstleistungen in der Lieferkette gleich behandelt werden. Es ist daher nicht maßgebend, ob die Belieferung eines Unternehmens mit elektronischen Daten als Warenlieferung oder als Dienstleistung anzusehen ist. Nicht zur Lieferkette gehören im Geschäftsbereich eines Zulieferers menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken oder Verletzungen, die in keinem Zusammenhang mit den an das verpflichtete Unternehmen gelieferten Waren oder Dienstleistungen stehen.363 3. Erforderlichkeit der Schritte zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistung Nach der Legaldefinition des Abs. 5 umfasst die Lieferkette – angefangen bei der 327 Gewinnung von Rohstoffen – alle Schritte, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistung erforderlich sind. Ein Schritt ist erforderlich, wenn das Produkt ohne den Schritt nicht her- 328 gestellt oder die Dienstleistung nicht erbracht werden kann. Vergleichsmaßstab ist das Produkt und die Dienstleistung, wie sie im Markt angeboten werden soll oder nach der vertraglichen Vereinbarung mit dem Kunden zu liefern ist. An der Erforderlichkeit fehlt es nicht schon dann, wenn der Schritt nicht unbedingt vorgenommen werden müsste oder durch einen anderen austauschbar ist.364 Zur Herstellung des Produkts und zur Erbringung einer Dienstleistung ist der Schritt vielmehr schon dann erforderlich, wenn das verpflichtete Unternehmen das Produkt so und nicht anders herstellt oder die Dienstleistung erbringt. Ein Kreditgeber scheidet daher nicht schon deshalb aus der Lieferkette aus, weil die Fremdfinanzierung auch durch eine Eigenkapitalfinanzierung möglich gewesen wäre oder der Kredit verzichtbar war. Auch die Reinigung eines Produkts gehört zu den erforderlichen Schritten des Herstellungsprozesses, wenn das Produkt in einem gereinigten Zustand angeboten werden soll oder nach den vertraglichen Vereinbarungen zu liefern ist. Das gilt auch dann, wenn die Reinigung nicht zu dem eigentlichen Herstellungsprozess gehört. Die gesetzlichen Sorgfaltspflichten können nicht mit dem Argument verneint werden, dass die Verwendung eines Maschinenteils, das mit einem menschenrechtlichen oder umweltrechtlichen Makel behaftet ist, jederzeit durch ein anderes Teil ersetzt werden könnte. Wenn das makelbehaftete Teil tatsächlich zur Herstellung verwendet wird, gehört der Einbau des Teils zu den erforderlichen Herstellungsschritten. Zur Herstellung eines Produkts und zur Erbringung einer Dienstleistung sind daher alle Schritte erforderlich, die der Herstellung des Produkts und der Erbringung einer Dienstleistung dienen, also zur Wertschöpfung beitragen. Ob und wann ein Schritt im Unternehmen der Herstellung eines Produkts oder 329 der Erbringung einer Dienstleistung dient, ist im Einzelfall zu beurteilen.365 Die 363 Vgl. näher Rz. 367. 364 So auch Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 2 Rz. 38. 365 So auch Bettermann/Hoes, BKR 2022, 23, 25.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen handelsrechtlichen Kostenvorschriften, die allein der Rechnungslegung des Unternehmens dienen, können nicht herangezogen werden. Es wäre daher nicht möglich, alle Vorgänge, die in der Rechnungslegung des Unternehmens als Anschaffungs- oder Herstellungskosten366 abgebildet werden, als Schritte zur Herstellung des Produkts anzusehen und alle Schritte, die in der Rechnungslegung nicht als Anschaffungs- oder Herstellungskosten auszuweisen sind, als Schritte anzusehen, die nicht zur Herstellung des Produkts erforderlich sind. Vielmehr ist die Abgrenzung anhand des Schutzzwecks der Lieferkettendefinition in Abs. 5 vorzunehmen: Alle Leistungen, die in die Wertschöpfung der von dem verpflichteten Unternehmen vertriebenen Produkte und Dienstleistungen eingehen, gehören zu den Schritten, die zur Herstellung des Produkts oder zur Erbringung der Dienstleistung erforderlich sind. 4. Anfangs- und Endpunkt der Lieferkette a) Allgemeine Kriterien für die Bestimmung des Anfangs- und Endpunkt der Lieferkette 330 Die produktbezogenen Lieferketten haben ihren Anfangspunkt in der Gewin-

nung der Rohstoffe, aus denen das Endprodukt besteht.367 Produktbezogene Lieferketten können folgerichtig eine Mehrzahl von Anfangspunkten haben. Schwieriger ist der Anfangspunkt von dienstleistungsbezogenen Lieferketten zu ermitteln. Nur solche Vorleistungen, die unmittelbar die Erbringung der Dienstleistung dienen, gehören zur Lieferkette. Hat das verpflichtete Unternehmen ein Engineeringunternehmen beauftragt, eine Anlage zu planen, gehören die IT-Anlage und die Konstruktionsprogramme des Engeneeringunternehmens nicht mehr zur Lieferkette des Unternehmens, für das die Dienstleistung erbracht wird. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die vorgelagerten Teile der Lieferkette spezifisch für die Dienstleistung beschafft werden, die der Dienstleister an das verpflichtete Unternehmen zu leisten sich verpflichtet hat, also etwa, wenn er Teile der von ihm geschuldeten Leistung an einen Subunternehmer vergeben hat.

331 Nach dem Gesetzeswortlaut endet die Lieferkette des verpflichteten Unterneh-

mens mit der „Lieferung an den Endkunden“. Was unter einer Lieferung an den Endkunden zu verstehen ist, bestimmt das Gesetz nicht. Der Begriff des Endkunden wird vom Gesetz vorausgesetzt.368 Endkunde meint nicht den Verbraucher oder denjenigen, der das Produkt endgültig nutzt.369 Parallel zu der in Abs. 7 geregelten Abgrenzung auf der Zulieferseite ist Endkunde die Person oder das Unternehmen, mit der das verpflichtete Unternehmen ein Vertragsverhältnis über die Lieferung der hergestellten Produkte oder die Erbringung der

366 § 255 HGB. 367 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 40. 368 Bettermann/Hoes, BKR 2022, 23, 26. 369 Im B2C-Sektor kann aber auch ein Verbraucher Endkunde sein, Goßler/Palder, BB 2022, 906, 908.

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Dienstleistung abgeschlossen hat.370 Die Lieferung ist der nach allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen zu ermittelnde Zeitpunkt des Gefahrübergangs auf den Kunden. Endkunde meint nicht den Endverbraucher. Das bedeutet, dass es nicht zu einer Verlängerung der Lieferkette „nach hinten“ kommt, wenn das verpflichtete Unternehmen Produkte oder Dienstleistungen an einen Abnehmer leistet, der die Produkte seinerseits verarbeitet und/oder in eigene Produkte einbaut, ein Händler ist oder die erbrachte Dienstleistung für seine eigenen Waren oder Dienstleistungen verwendet. Die gesetzliche Verantwortlichkeit des verpflichteten Unternehmens endet vielmehr dort, wo die Leistungsgefahr der vertraglichen Leistung auf den Vertragspartner übergeht.371 Die dienstleistungsbezogene Lieferkette endet mit der vertraglichen Erbringung der zugesagten Dienstleistung an den Vertragspartner. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales372 nimmt an, dass im Einzelfall 332 der Endpunkt nicht der Vertragspartner und die Erbringung der Dienstleistung an ihn, sondern die Person relevant sei, für die die Dienstleistung bestimmt sei. Dem ist nicht zuzustimmen. Abgesehen davon, dass aus den Erläuterungen nicht klar wird, welche Fälle gemeint sind, ist die Ansicht mit Wortlaut, Systematik und Regelungszweck des Gesetzes nicht vereinbar. b) Sonderfall: Kunden von Finanzdienstleistungen? Im Gesetzgebungsverfahren ist heftig erörtert worden, ob und in welchen Fällen 333 die Lieferkette von Finanzdienstleistungsunternehmen auch Kunden einschließt. Die Gesetzesbegründung373 erläutert, dass der Kreditnehmer in der Regel der Endkunde und damit nicht mehr Teil der Lieferkette sei. Dies könne bei Krediten anders zu beurteilen sein, die so bedeutsam seien, dass der Kreditgeber besondere Informations- und Kontrollmöglichkeiten und damit eine besondere Einflussmöglichkeit erlange. Dann sei es gerechtfertigt, den Endkunden in die Lieferkette einzubeziehen. Dagegen führt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in seinen FAQs zum Lieferkettengesetz374 aus, dass bei allen Kreditund Bankgeschäften unabhängig vom Umfang des Geschäftes die Endkunden nicht mehr Teil der Lieferkette sind. Die gesetzlichen Sorgfaltspflichten würden 370 Vgl. auch Goßler/Palder, BB 2022, 906, 908; unklar und offenlassend Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 103. 371 Vgl. Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 14; Goßler/Palder, BB 2022, 906 f.; a.A. Nietsch/ Wiedmann, CCZ 2021, 101, 103. 372 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FAQs zum Lieferkettengesetz (Stand: 28.4.2022), Ziffer VI 10: „Unter Umständen sind aber eine oder mehrere Personen dazwischengeschaltet, die die Dienstleistung an die Person vermitteln, die sie in Anspruch nimmt. Bei einem Vertrag zugunsten Dritter ist Endkund*in ebenso die Person, die die Dienstleistung in Anspruch nimmt.“ 373 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 40. 374 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FAQs zum Lieferkettengesetz (Stand: 28.4.2022), Ziffer VI 4.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen sich nicht auf die Bankkunden erstrecken. Zutreffend ist die letztgenannte Ansicht. Nach den oben dargestellten Abgrenzungskriterien endet die Lieferkette eines Dienstleisters und damit auch eines Finanzdienstleisters mit der Erbringung der Finanzdienstleistung für den Kunden. Der Kunde ist nicht Teil der Lieferkette. c) Sekundärrohstoffe 334 Bei Sekundärrohstoffen, also vor allem bei Rohstoff, die recycelt worden sind,

stellt sich die Frage, ob die Lieferkette bis zum Ursprung im ersten Lebenszyklus zurückreicht. Das ist nicht anzunehmen.375 Durch das Recycling wird ein neuer Produktzyklus geschaffen. Für die hier vertretene Ansicht spricht auch das parallele Wertungsmodell in Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2017/821 vom 17.5.2017 (Konfliktmineralienverordnung). d) Rohstoffbörsen

335 Bei Erwerb von Rohstoffen über eine Rohstoffbörse beginnt die Lieferkette of-

fensichtlich nicht bei der Börse. Sie ist nur eine Handelsplattform, die zwischen zwei Stellen in der Lieferkette vermittelt. Allerdings können die Sorgfaltspflichten beim Erwerb über eine Rohstoffbörse beschränkt sein, da es dem erwerbenden Unternehmen unter Umständen nicht möglich ist, seinen Vertragspartner im Vorhinein auszusuchen und eine Risikoanalyse vorzunehmen.376 Das führt zu der Frage, ob die Sorgfaltspflichten nach §§ 3 ff. nur bis zu der Rohstoffbörse reichen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass die über die Rohstoffbörse bezogenen Produkte an einem menschen- oder umweltbezogenen Mangel leiden, wäre denkbar, dass das verpflichtete Unternehmen mit dem Betreiber der Börse die Möglichkeiten zur Sicherung des Handels über die Börse erörtert. Eine Bemühenspflicht mit diesem Inhalt oder gar die Pflicht, den Bezug von Produkten über die Börsen einzustellen, wird man allenfalls in Ausnahmefällen annehmen können.

5. Gegenleistung als Teil der Lieferkette? 336 Nach dem Wortlaut von Abs. 5 ist die für ein Produkt oder eine Dienstleistung

gezahlte Vergütung nicht Teil der Lieferkette. Sie gehört nicht zu den Schritten, die zur die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind. Damit fällt nicht in den Anwendungsbereich des LkSG, wenn der Zulieferer die Mittel, die er für die Zulieferung von Produkten 375 Vgl. auch Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 2 Rz. 48. 376 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/30505, 38, s. auch Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 2 Rz. 48.

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oder Dienstleistungen erhält, zur Begehung von Menschenrechtsverletzungen verwendet. Beispiel: Der Lieferant von Gas verwendet die Mittel, die er als Vergütung für die Gaslieferung vereinnahmt, zur Führung eines gegen Art. 1 des UN-Zivilpakts verstoßenden Angriffskriegs. Ungeachtet der Frage, ob dies rechtspolitisch wünschenswert wäre, gehört es nicht zu den Sorgfaltsplichten des Unternehmens, das die Gaslieferung bezieht, zu prüfen, für welche Zwecke der Gaslieferant die als Gegenleitung vereinnahmten Mittel verwendet.377 6. Einzelfälle (ja = Teil der Lieferkette, nein = nicht Teil der Lieferkette): 337 378 Abfallentsorgung: Ja, soweit produktbezogen. Allgemeine ärztliche Versorgung im Unternehmen: Nein. Arbeitssicherheit: Ja, soweit produktionsbezogen. Auditierungs- und Zertifzierungsleistungen: Ja, wenn produkt- oder leistungsbezogen, nicht aber allgemeine Compliance-Zertifizierung.379 Betriebsgelände, Bewachung: Ja. Bürobedarf, Lieferung von: Ja, wenn produkt- oder dienstleistungsbezogen.380 Eigenhändler: Ja, wenn er ähnlich einem Handelsvertreter in den Vertrieb des verpflichteten Unternehmens eingebunden ist381; nein, wenn er den Vertrieb der Produkte unternehmerisch eigenverantwortlich führt, dann ist der Eigenhändler Kunde.382 Einkauf: Ja, wenn eingekauftes Produkt oder eingekaufte Dienstleistung unmittelbar oder mittelbar (Werkzeuge) produktbezogen sind. Entsorgung: Nein, ausgenommen die Entsorgung ist Geschäftszweck des Unternehmens und damit eine Kerndienstleistung, die das Unternehmen anbietet.383 377 Vgl. auch Rz. 35. 378 Enger Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 40: nur wenn Entsorgung Geschäftszweck des Unternehmens ist; anderer Ansicht Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 4. 379 Wohl auch Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 2 Rz. 44 (jedenfalls, wenn gesetzlich vorgesehen). 380 Weiter wohl Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz, Stand: 28.4.2022, Abschnitt II. 4. 381 Anders Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 14: niemals Teil der Lieferkette des verpflichteten Unternehmens; vgl. aber Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 40 („Distributoren“). 382 Ähnlich Goßler/Palder, BB 2022, 906, 909, nach denen das Handeln von Vertragshändlern und Distributoren jedenfalls dann nicht unter den Begriff der Lieferkette zu fassen sei, wenn diese „selbstständige Kaufleute sind, die in eigenem Namen und auf eigene Rechnung tätig werden“. 383 Auch Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 40.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen Finanzierungen: Ja, wenn Finanzierung dem Herstellungsprozess dient;384 Finanzierungsdienstleistungen, die dem Erwerb anderer Unternehmen durch einen Zulieferer dienen, gehören nicht zu den zur Herstellung erforderlichen Schritten. Forschung und Entwicklung: Ja, soweit produkt- oder dienstleistungsbezogen. Franchisenehmer: Ja, wenn er eng in das Vertriebssystem des Franchisegebers eingebunden ist385; nein, wenn er den Vertrieb der Produkte unternehmerisch eigenverantwortlich führt, also eigenes Marketing oder Design hat, eine Produktauswahl trifft und eigene Preisgestaltung vornimmt. Handelsvertreter: Ja, da Teil des Vertriebs des verpflichteten Unternehmens.386 Handelsplattformen: Ja, soweit sie nur die Plattform zur Verfügung stellt und nicht auf eigene Rechnung Produkte des verpflichteten Unternehmens vertreibt;387 Kantinenbetrieb: Nein.388 Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales vertritt die Gegenauffassung, meint aber, Risiken bei den für Hilfsschritte zuständigen Zulieferern häufig ganz vernachlässigt oder mit geringen Bemühungen bearbeitet werden können. Die Prüfungsdichte sei in der Regel nicht hoch.389 Lagerdienstleistungen: Ja, wenn sie bis zu Auslieferung an den Kunden anfallen.390 Rechnungslegung und Unternehmensplanung: Nein, ausgenommen Planungen, die sich unmittelbar auf den Produktionsprozess beziehen. Rechtsrat: nein, soweit nicht unmittelbar produktbezogen (Technical Compliance)391 Transportdienstleistungen: Ja, wenn sie im Rahmen des Anschaffungs- oder Herstellungsprozesses bis zur Auslieferung an den Kunden anfallen.392 Pflege des Betriebsgeländes: Nein.393 384 Wohl auch Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 40. 385 Wohl auch Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 2 Rz. 53. 386 So auch Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 14. 387 So auch Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 2 Rz. 50; ohne Differenzierung auch Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 40. 388 Vgl. Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 4; anders Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 2 Rz. 41; Gehling/Ott/Lüneborg: Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230, 233. 389 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz, Stand: 28.4.2022, Abschnitt II. 4. 390 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 40; Goßler/Palder, BB 2022, 906, 908. 391 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg: Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230, 233. 392 Vgl. Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 40; Goßler/Palder, BB 2022, 906, 908. 393 Anders Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 2 Rz. 41.

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Reinigungs- und Pflegeleistungen: Nein, soweit nicht unmittelbar produktbezogen; das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nimmt an, dass von einem Subunternehmen in Anspruch genommene Gebäudereinigungsdienste ohne die Differenzierung Teil der Lieferkette sind; die Risiken bei den zuständigen Zulieferern seien aber häufig zu vernachlässigen oder könnten mit geringen Bemühungen bearbeitet werden. Die Prüfungsdichte sei in der Regel nicht hoch.394 Risikomanagement und IKS: Nein. Recycling: Ja, wenn Unternehmen recycelte Produkte erwirbt oder Recycling zu den vom Unternehmen angebotenen Dienstleistungen gehört.395 Sachanlagevermögen; Anschaffung von Gegenständen des: Ja.396 Beispiele: Grundstücke, Fabrikgebäude, Maschinen, Gleisanschluss, Schiffsanlegestelle. Stellung von Unterkünften für Arbeitnehmer: Ja, wenn die Arbeitnehmer aufgrund der Umstände (Saisonarbeiter, Arbeiten auf eine Ölplattform, Arbeiten in einem abgelegenen Gebiet) keine realistische Alternative haben. Vertrieb: Ja. Warenannahme, -prüfung und -lagerung: Ja, soweit produktbezogen.397 Wiederverwertung: Ja, wenn zur Herstellung eines Produkts Recyclingmaterial verwendet wird.398 7. Vorschlag der Europäischen Kommission Am 23.2.2022 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag einer Richtlinie 338 über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit vorgelegt.399 Der Richtlinienvorschlag verwendet nicht den Begriff der Lieferkette, sondern den Begriff der Wertschöpfungskette. Nach der Definition in Art. 3 lit. g des Richtlinienvorschlags werden darunter alle „Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Produktion von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen durch ein Unternehmen, einschließlich der Entwicklung des Produkts 394 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz, Stand: 28.4.2022, Abschnitt II. 4. 395 Zu letzterem auch vgl. aber Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 40. 396 Vgl. auch Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 3; Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 2 Rz. 43. 397 Für Lagerhaltung auch Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 40; Goßler/Palder, BB 2022, 906, 908. 398 Wohl auch Begr. des Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 40. 399 Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, COM(2022) 71 final.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen oder der Dienstleistung und der Verwendung und Entsorgung des Produkts sowie der damit verbundenen Tätigkeiten im Rahmen vor- und nachgelagerter etablierter Geschäftsbeziehungen des Unternehmens verstanden.“ 339 Der Begriff der Wertschöpfungskette reicht einerseits weiter als der der Liefer-

kette. Er schließt auch alle nachgelagerten Wertschöpfungsstufen über den gesamten Life Cycle des Produkts ein bis hin zur Entsorgung.400 Das Korrektiv sucht der europäische Gesetzgeber in der Beschränkung auf etablierte Geschäftsbeziehungen. Darunter versteht Art. 3 lit. f des Richtlinienvorschlags eine direkte oder indirekte Geschäftsbeziehung, die in Anbetracht ihrer Intensität oder Dauer beständig ist oder sein dürfte und die keinen unbedeutenden oder lediglich untergeordneten Teil der Wertschöpfungskette darstellt. Der Begriff der etablierten Geschäftsbeziehung ist dem französischen Sorgfaltspflichtengesetz entnommen.401

VIII. Eigener Geschäftsbereich (Abs. 6) 340 Das Gesetz unterscheidet zwischen drei Pflichtenkreisen, den Sorgfaltspflichten

im eigenen Geschäftsbereich, den Sorgfaltspflichten mit Bezug auf einen unmittelbaren und den Sorgfaltspflichten mit Bezug auf einen mittelbaren Zulieferer.

1. Geschäftsbereich des verpflichteten Unternehmens (Satz 1 und 2) 341 Der eigene Geschäftsbereich umfasst nach der Legaldefinition in Abs. 6 Satz 1

jede Tätigkeit des nach § 1 verpflichteten Unternehmens zur Erreichung des Unternehmensziels. Der Begriff des Unternehmensziels ist im Gesetz nicht definiert. Gemeint sind alle Tätigkeiten, die unmittelbar oder mittelbar darauf gerichtet sind, Waren herzustellen oder Dienstleistungen an Kunden zu erbringen. Es ist gleich, ob die Herstellung oder Dienstleistung am Sitz des Unternehmensträgers, in einer Zweigniederlassung, Zweigstelle oder Produktionsstätte, im In- oder Ausland oder bei Kunden stattfindet.402

342 Der Begriff des Unternehmensziels ist nicht mit dem Unternehmensgegenstand

gleichzusetzen, weil auch die Herstellung und der Vertrieb von Produkten oder

400 Der 18. Erwägungsgrund erläutert: „Ebenso sollte die Wertschöpfungskette nachgelagerte Beziehungen, einschließlich etablierter direkter und indirekter Geschäftsbeziehungen, umfassen, in denen Produkte, Teile von Produkten oder Dienstleistungen vom Unternehmen bis zum Ende der Lebensdauer des Produkts verwendet oder erhalten werden, wozu u.a. der Vertrieb des Produkts an Einzelhändler, Transport und Lagerung des Produkts, Demontage des Produkts sowie dessen Recycling, Kompostierung oder Deponierung zählen.“ 401 Vgl. Art. L. 225-102-4 des französischen Code de Commerce; dazu auch Einleitung, Rz. 120 ff. 402 Vgl. Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 41.

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Dienstleistungen außerhalb des Unternehmensgegenstand die gesetzlichen Sorgfaltspflichten auslösen kann.403 Die gesetzliche Definition des eigenen Geschäftsbereichs führt zu der Frage, ob 343 es in einem Unternehmen auch Tätigkeiten geben kann, die nicht der Erreichung des Unternehmensziels dienen. Die Folge wäre, dass die Tätigkeit in diesem Bereich von den gesetzlichen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette ausgenommen wäre, es also „white spots“ im eigenen Tätigkeitsbereich des verpflichteten Unternehmens geben kann, in dem die Pflichten zum Schutz gegen die in Abs. 3 bestimmten menschen- und umweltrechtliche Risiken nicht gelten. Auf diese – eher überraschende – Annahme deutet Satz 2 hin. Durch den Begriff des eigenen Geschäftsbereichs würden, so bestimmt Satz 2, alle Tätigkeiten des verpflichteten Unternehmens zur Herstellung und Verwertung von Produkten und zur Erbringung von Dienstleistungen erfasst, unabhängig davon, ob sie an einem Standort im In- oder Ausland vorgenommen werden. Tätigkeiten, die nicht der Herstellung und Verwertung von Produkten und der Erbringung von Dienstleistungen dienen, etwa das Accounting oder das Risikomanagement, wäre damit nicht Teil des eigenen Geschäftsbereichs. Die Gesetzesbegründung deutet indes in eine andere Richtung. Abs. 6 stelle klar, dass dem eigenen Geschäftsbereich des verpflichteten Unternehmens alle Tätigkeiten einer Gesellschaft als Rechtsträger des Unternehmens erfasse.404 Allein dieses Ergebnis entspricht auch einer am Schutzzweck des Gesetzes orientierten Auslegung. Im eigenen Unternehmen hat der nach § 1 verpflichtete Rechtsträger die höchsten Einflussmöglichkeiten und insgesamt Sorge zu tragen, dass es nicht zu einer Verletzung der nach Abs. 1 und 2 geschützten Rechte kommt. Die Auswirkungen der Fragestellung dürften in der Praxis ohnehin gering sein. 2. Konzernrechtliches Regelungskonzept des LkSG Zum eigenen Geschäftsbereich des verpflichteten Unternehmens gehört nicht 344 die Tätigkeit aller Konzernunternehmen. Selbst wenn die Arbeitnehmer dem Unternehmen für die Ermittlung der Anwendungsvoraussetzungen nach § 1 Abs. 3 zuzurechnen sind, bedeutet das nicht, dass die Geschäftsaktivitäten der Konzerngesellschaften dem eigenen Geschäftsbereich der Konzernobergesellschaft zuzurechnen sind. Das konzernrechtliche Regelungskonzept des LkSG unterscheidet drei Fälle: – Es kann zunächst der Fall eintreten, dass verschiedene Gesellschaften im Konzern die Anwendungsvoraussetzungen von § 1 LkSG erfüllen. In diesem Fall haben alle Konzernunternehmen, die die Voraussetzungen von § 1 LkSG erfüllen, für ihren Geschäftsbereich und ihre Zulieferer die gesetzlichen Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Der jeweilige Geschäftsbereich und die Zulieferer sind je gesondert zu bestimmen. Sie können die gesetzlichen Sorgfalts403 Anders Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 13. 404 Vgl. Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 41.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen pflichten gemeinsam erfüllen oder sich auf die Erledigung durch eine Gesellschaft verständigen, allerdings ohne vollständige Entlastungswirkung: Jedenfalls eine Überwachungsverantwortung bleibt bei der nicht federführenden Gesellschaft immer. – Die Konzerngesellschaft kann kraft Zurechnung nach Abs. 6 Satz 3 dem eigenen Geschäftsbereich der Konzernobergesellschaft (oder einer anderen Konzerngesellschaft) zuzurechnen sein. Die Verantwortung für die Erfüllung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten liegt dann bei der Konzernobergesellschaft; diese kann aber die Konzerngesellschaft in die Aufgabenerledigung einbinden. – Schließlich können Lieferbeziehungen im Konzern dazu führen, dass eine Konzerngesellschaft zum Zulieferer einer anderen Konzerngesellschaft wird und in deren Pflichtenprogramm gegenüber Zulieferern einzubeziehen ist. 345 Die Europäischen Kommission geht in ihrem Vorschlag einer Richtlinie über

die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit vom 23.2.2022405 von einem anderen konzernrechtlichen Regelungskonzept aus: Art. 1 Abs. 1 lit. a des Richtlinienvorschlags stellt klar, dass die Sorgfaltspflichten konzernweit zu erfüllen sind. 3. Geschäftsbereich der Konzerngesellschaften, auf die das verpflichtete Unternehmen bestimmenden Einfluss ausübt (Satz 3)

346 Nach Abs. 6 Satz 3 gehört zu dem eigenen Geschäftsbereich eine Konzernober-

gesellschaft kraft Zurechnung auch die Tätigkeit der konzernangehörigen Gesellschaften, auf die das verpflichtete Unternehmen bestimmenden Einfluss ausübt. Die Tätigkeit der Konzerngesellschaften steht der Tätigkeit des nach § 1 verpflichteten Unternehmens gleich. Das führt zu einem gesetzlichen Verantwortlichkeitsdurchgriff („piercing the corporate veil“). Die unter bestimmenden Einfluss zusammengefassten Gesellschaften sind nach dem Regelungszweck von Abs. 6 Satz 3 als ein Unternehmen i.S.v. § 1 Abs. 1 AktG anzusehen.406 Ohne Bedeutung ist, ob die Konzerngesellschaft ihren Sitz in Deutschland hat oder in Deutschland auch nur tätig wird.407

405 Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, COM(2022) 71 final. 406 Ähnlich Dutzi/Schneider/Hasenau, Der Konzern 2021, 454, 456, die sogar verbundene Unternehmen i.S.d. § 15 AktG für die Zwecke des LkSG konsolidiert als ein Unternehmen verstehen; a.A.: Hettich/Charnitzky in Kubis/Tödtmann, Arbeitshandbuch für Vorstandsmitglieder, 3. Aufl. 2022, Rz. 283; Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257. 407 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FAQ-Katalog (Stand: 17.12.2021), Ziff. IV 10.

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Begriffsbestimmungen | § 2

a) Entstehungsgeschichte Die Regelung ist auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des 347 Deutschen Bundestages408 in das Gesetz aufgenommen worden. Der Regierungsentwurf409 sah eine konzerndimensionale Ausweitung des Pflichtenkreises des verpflichteten Unternehmens nicht vor. Zwar waren dem verpflichteten Unternehmen die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer sämtlicher konzernangehöriger Gesellschaften bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl zuzurechnen, § 1 Abs. 3. Eine Ausweitung der Sorgfaltspflichten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes in den Konzern bestimmte der Regierungsentwurf aber nicht. In den Pflichtenkreis waren Konzernunternehmen nach dem Konzept des Regierungsentwurfs nur einzubeziehen, wenn sie selbst Zulieferer des verpflichteten Unternehmens war. Der fehlenden konzerndimensionalen Regelungsansatz stieß – zu Recht – auf Kritik, insbesondere aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.410 Die fehlende Einbeziehung von Konzernunternehmen widerspreche fundamental den VN-Leitprinzipien und der Unternehmenspraxis vieler Konzerne, die bereits über anspruchsvolle Verfahren der menschenrechtlichen und umweltrechtlichen Sorgfalt verfügen würden. Auf die Kritik hat der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Ausschusses für Arbeit und Soziales411 die Einfügung von Satz 3 empfohlen. Die Regelung ist ein Kompromiss. Dem verpflichteten Unternehmen wird nicht die Tätigkeit aller konzernabhängigen Unternehmen zugerechnet, sondern nur solcher Konzernunternehmen, auf die das verpflichtete Unternehmen bestimmenden Einfluss ausübt. b) Obergesellschaft im Rahmen der Zurechnung nach Abs. 6 Satz 3 Eine Zurechnung findet nach dem Wortlaut von Abs. 6 Satz 3 nur bei der Ober- 348 gesellschaft statt. Der Begriff der Obergesellschaft ist ebenso wenig wie in § 1 Abs. 3 definiert. Obergesellschaft ist in jedem Fall die oberste Führungsgesellschaft in einem Konzern (ultimate parent company). Zum ihrem eigenen Geschäftsbereich zählen nach Abs. 6 Satz 3 alle Konzerngesellschaften, auf die sie bestimmenden Einfluss ausübt. Während bei der Zurechnung nach § 1 Abs. 3 die Zurechnung ausschließlich bei der obersten Führungsgesellschaft im Konzern stattfindet,412 ist bei der Anwendung von Abs. 6 Satz 3 Obergesellschaft 408 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/30505, 37. 409 Vgl. Entwurfs eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 10. 410 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/30505, 25. 411 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/30505, 10. 412 Vgl. dazu § 1 Rz. 62.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen auch eine Konzerngesellschaft, die nach den Größenkriterien des § 1 selbständig in den Anwendungsbereich des Gesetzes fällt: Zum eigenen Geschäftsbereich der Konzerngesellschaft zählen alle Konzerngesellschaften, auf die sie wiederum bestimmenden Einfluss ausübt. Der bestimmende Einfluss kann in beiden Fällen auch über mehrere Konzernstufen ausgeübt werden.413 c) Bestimmender Einfluss 349 Der Begriff des bestimmenden Einflusses ist kein konzernrechtlicher Begriff.414

Der Abhängigkeitsbegriff des § 17 Abs. 1 AktG knüpft nicht an das Vorliegen eines bestimmenden Einflusses, sondern an die Möglichkeit eines beherrschenden Einflusses an, ist also weiter. Auch für die Beurteilung eines Konzernverhältnisses kommt es nicht auf einen bestimmenden Einfluss an. Ein Konzernverhältnis liegt vielmehr vor, wenn das herrschende und das abhängige Unternehmen unter einheitlicher Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst ist. Abs. 6 Satz 3 geht über die konzernrechtlichen Anforderungen hinaus und verlangt zusätzlich einen bestimmenden Einfluss.415 Das Gesetz will den Kreis der Unternehmen, die dem eigenen Geschäftsbereich zuzuordnen sind, enger ziehen als den Kreis der konzernabhängigen Unternehmen. Bestimmender Einfluss meint ein „Mehr“ gegenüber der Konzernverbindung, d.h. der Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung. Es muss um eine qualifizierte Konzerneinbindung gehen.

350 Der Bundestags-Ausschuss für Arbeit und Soziales416 stellt sich eine Prüfung in

zwei Schritten vor: Zunächst ist zu klären, ob eine Einflussnahme nach dem jeweils anwendbarem Recht überhaupt möglich ist. Ist das der Fall, sind für die Beurteilung, ob ein bestimmender Einfluss vorliegt, alle erheblichen Gesichtspunkte in einer Gesamtschau zu würdigen. Hierfür seien alle wirtschaftlichen, personellen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen Tochterund Muttergesellschaft im Zusammenhang zu betrachten und zu gewichten. Als Anhaltspunkte für eine bestimmende Einflussnahme benennt der Ausschuss417 413 So auch Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FAQ-Katalog (Stand: 17.12.2021), Ziff. IV 11. 414 Vgl. auch Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021 S. 230, 233; Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, DB 2022, 238, 242; Jungkind/Raspé/Terbrack, DK 2021, 445, 447. 415 Vgl. auch Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 233; Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 261; tendenziell auch Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 6 f.; teilweise a.A.: Jungkind/ Raspé/Terbrack, DK 2021, 445, 447 (der Begriff des bestimmenden Einflusses könne aufgrund der Einbeziehung wirtschaftlicher Bindungen weitreichender sein als der aktienrechtliche Begriff des beherrschenden Einflusses in § 17 Abs. 1 AktG). 416 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/30505, 38. 417 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/30505, 38; ausführlich zu

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– eine hohe Mehrheitsbeteiligung, – das Bestehen eines konzernweiten Compliance Systems, – die Übernahme von Verantwortung für die Steuerung von Kernprozessen im Tochterunternehmen, – personelle Überschneidungen auf (Geschäfts-)Führungsebene, – bestimmender Einfluss auf das Lieferkettenmanagement der Tochtergesellschaft, – Einflussnahme über die Gesellschafterversammlung und – eine Vergleichbarkeit des Geschäftsbereichs der Tochtergesellschaft mit dem Geschäftsbereich der Obergesellschaft, etwa weil die Tochtergesellschaft die gleichen Produkte erstellt und verwertet oder die gleichen Dienstleistungen erbringt wie die Obergesellschaft. Wo der Ausschuss mit dem Begriff des „bestimmenden Einflusses“ konzeptio- 351 nell Anleihe genommen hat, geht aus dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages418 nicht hervor. Bekannt ist der Begriff des bestimmenden Einflusses aus der strafrechtlichen und zivilrechtlichen Lehre vom faktischen Geschäftsführer.419 Voraussetzung für die Qualifizierung eines außenstehenden Dritten als faktischer Geschäftsführer ist, dass die Person einen bestimmenden Einfluss auf Geschäftsführung ausübt. Das wird im Anschluss an eine Entscheidung des BayOBLG420 angenommen, wenn die Person die wesentlichen Kernbereiche der Geschäftsführung steuert.421 An ein qualifiziertes Konzernverhältnis hat der BGH in seiner früheren Rechtsprechung422 für einen Haftungsdurchgriff im faktischen Konzern angeknüpft. Dieser kam nach der – inzwischen aufgegebenen423 – Rechtsprechung des BGH in Betracht, wenn

418 419

420 421

422 423

den einzelnen Aspekten Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 262; zu Besonderheiten bei Kreditinstituten s. Bettermann/Hoes, BKR 2022, 23, 25; auch Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FAQ-Katalog (Stand: 17.12.2021), Ziff. IV 8. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/30505, 37. Vgl. zur strafrechtlichen und zivilrechtlichen Rechtsprechung nur Momsen/Laudien, BeckOK/StGB, 50. Edition, Stand: 1.5.2021, § 14 Rz. 68; Radtke, MünchKomm/StGB, 4. Aufl. 2020, § 14 Rz. 120 f.; Fleischer, Münchener Kommentar GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 Rz. 221 ff. Vgl. BayObLGSt 1997, 38 = NJW 1997, 1936. Für die Lehre vom faktischen Geschäftsführer sieht das BayOB LG als Kernbereiche der Geschäftsführung an: (1) Bestimmung der Unternehmenspolitik, (2) Unternehmensorganisation, (3) Einstellung von Mitarbeitern, (4) Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu Vertragspartnern, (5) Verhandlung mit Kreditgebern, (6) Bestimmung der Gehaltshöhe, (7) Entscheidung der Steuerangelegenheiten, (8) Steuerung der Buchhaltung. Vgl. aus der früheren Rechtsprechung etwa BGHZ 95, 330 – „Autokran“; BGHZ 115, 187 – „Video“; BGHZ 122, 123 – „TBB“. BGHZ 149, 10 – „Bremer Vulkan“.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen die Muttergesellschaft die Geschäfte der abhängigen Gesellschaft dauernd und umfassend selbst führt und nicht dartun kann, dass der pflichtgemäß handelnde Geschäftsführer einer selbständigen GmbH die Geschäfte ebenso geführt hätte. 352 Zudem findet der Begriff des bestimmenden Einflusses Anwendung im Kartell-

recht.424 Bei einem Kartellrechtsverstoß kann gem. § 81a Abs. 1 GWB nicht nur gegen die juristische Person oder Personenvereinigung, deren Leitungsperson die Ordnungswidrigkeit begangen hat, sondern auch gegen weitere juristische Personen oder Personenvereinigungen, die bestimmenden Einfluss auf diese ausgeübt haben, ein Bußgeld verhängt werden. Zudem ist bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes im Rahmen der Festlegung der Höhe des umsatzbezogenen Bußgeldes der Umsatz der in einer wirtschaftlichen Einheit operierenden juristischen Personen und Personenvereinigung zu berücksichtigen, § 81c Abs. 5 GWB. Ein bestimmender Einfluss im Sinne des Kartellrechts liegt vor, wenn eine Gesamtbetrachtung aller wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen ergibt, dass die Muttergesellschaft die generelle Geschäftspolitik ihrer Tochtergesellschaft in bestimmender Weise beeinflussen konnte, so dass die Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten trotz eigener Rechtspersönlichkeit nicht autonom bestimmen konnte.425 Nach der Gesetzesbegründung setzt dies voraus, „dass erstens die betreffenden Gesellschaften kapitalmäßig so eng miteinander verflochten sind, dass dadurch die Möglichkeit einer einheitlichen Leitung (bestimmenden Einflussnahme) eröffnet wird […] und zweitens, diese einheitliche Leitung (bestimmende Einflussnahme) auch tatsächlich ausgeübt wird.“426 Insbesondere der Einfluss der Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaft in Bezug auf Unternehmensstrategie, Betriebspolitik, Betriebspläne, Investitionen, Kapazitäten, Finanzausstattung, Personalwesen und Rechtsangelegenheiten kann Auswirkungen auf das Marktverhalten der Tochtergesellschaft haben, so dass bereits die Ausübung einer Funktion als Leitungs- und Koordinierungsinstanz eine bestimmende Einflussnahme im Sinne des Kartellrechts darstellen können soll.427 Eine Einflussnahme auf das Marktverhalten im engeren operativen Sinne (z.B. hinsichtlich der Preisbildung, des Herstellungsprozesses oder der Vertriebsaktivitäten) soll dagegen nicht erforderlich sein.428 Ein Zusammenschluss liegt nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB bei einem Kontrollerwerb vor . Die Kontrolle kann durch Verträge oder andere Mittel begründet werden, die die Möglichkeit gewähren, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines 424 Vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB, Art. 3 Abs. 2 FKVO und § 81a Abs. 1 GWB; s. auch Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 261; Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 6; Hettich/Charnitzky in Kubis/Tödtmann, Arbeitshandbuch für Vorstandsmitglieder, 3. Aufl. 2022, Rz. 287. 425 Vgl. BT-Drucks. 18/10207, 89; Vollmer in MünchKomm/WettbR, 3. Aufl. 2020, § 81 GWB Rz. 102 mit weiteren Nachweisen aus der europarechtlichen Rechtsprechung; Klusmann in Wiedemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 55 Rz. 58. 426 BT-Drucks. 18/10207, 89. 427 BT-Drucks. 18/10207, 89 f. 428 Vgl. Heinichen in BeckOK/KartellR, Stand 01/2022, § 81a GWB Rz. 41; Ost/Kallfass/ Roesen, NZKart 2016, 447 f.

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Unternehmens auszuüben. Hierfür wird bereits eine Mehrheitsbeteiligung als in der Regel ausreichend angesehen429 Wenngleich die Lehre vom faktischen Geschäftsführer und vom qualifiziert fak- 353 tischen Konzern und die genannten kartellrechtlichen Vorschriften nicht unmittelbar auf die Auslegung von Abs. 6 Satz übertragen werden können, machen sie die Richtung deutlich: Bestimmender Einfluss ist nur anzunehmen, wenn die Einflussnahme über die reguläre Konzernführung und -überwachung hinausgeht. Das ist etwa anzunehmen, wenn die Konzerngesellschaft insgesamt wie eine eigene Betriebsabteilung geführt wird, ferner wenn die Einflussnahme auf die Lieferketten hinsichtlich Dauer und Intensität so weitreichend sein, dass es widersprüchlich wäre, wenn die Obergesellschaft die Vorteile aus einer engen Führung der Konzerngesellschaft und ihrer Lieferketten nutzt, die Verantwortung aber mit dem „corporate veil“ abstreift. d) Einbeziehung der Zulieferer von Konzerngesellschaften in den Pflichtenkatalog des herrschenden Unternehmens? Die Einbeziehung einer Konzerngesellschaft in den eigenen Geschäftsbereich 354 führt dazu, dass das verpflichtete Unternehmen die Konzerngesellschaft als eigenen Geschäftsbereich und alle den eigenen Geschäftsbereich betreffenden Sorgfaltspflichten auch für die Konzerngesellschaft erfüllen muss. Die Konzerngesellschaft wird für die Anwendung des LkSG wie eine unselbständige Betriebsabteilung oder Zweigniederlassung behandelt. Aus dem Wortlaut von Abs. 6 Satz 3 geht dagegen nicht hervor, ob mit der Zurechnung nach Abs. 6 Satz 3 auch einhergeht, dass die Zulieferer der Konzerngesellschaft auch zu Zulieferern des verpflichteten Unternehmens werden. Auch die Definition in Abs. 7 klärt nicht, ob unmittelbare Zulieferer nur die Vertragspartner des nach § 1 verpflichteten Unternehmens selbst oder auch Vertragspartner der Konzerngesellschaften sind, auf die das verpflichtete Unternehmen bestimmenden Einfluss ausübt und die daher dem Geschäftsbereich des verpflichteten Unternehmens zuzurechnen sind. Die fehlende Klärung in Abs. 7 beruht offensichtlich auch auf der Entstehungs- 355 geschichte. Der Regierungsentwurf sah eine Einbeziehung von Konzernunternehmen in Geschäftsbereich des verpflichteten Unternehmens noch nicht vor. Es war offensichtlich, dass unmittelbarer Zulieferer nur ein Vertragspartner des verpflichteten Unternehmens selbst sein konnte. Erst auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages430 ist mit dem 429 Picht in BeckOK/KartellR, Stand 01/2022, § 37 GWB Rz. 24; Bechtold/Bosch in Bechtold/Bosch, GWB, 10. Aufl. 2021, § 37 Rz. 11 („Der Sache nach stimmt das [sc. die Möglichkeit der bestimmenden Einflussnahme] überein mit dem in § 17 AktG verwendeten Begriff der Möglichkeit eines beherrschenden Einflusses“ [Hervorhebung im Original]. 430 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/30505, 37.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen neuen Abs. 6 Satz 3 der Verantwortungsbereichs auf die Konzerngesellschaften ausgedehnt worden, auf die das verpflichtete Unternehmen bestimmenden Einfluss ausübt. Ob der Ausschuss nur die Sorgfaltspflichten des nach § 1 verpflichteten Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich oder zugleich auch den Kreis der unmittelbaren Zulieferer erweitern wollte, ergibt sich aus dem Bericht des Ausschusses nicht. 356 Der Regelungszweck von Abs. 6 Satz 3 spricht allerdings dafür, auch die Ver-

tragspartner der dem Geschäftsbereich des verpflichteten Unternehmens zuzurechnenden Konzerngesellschaften als unmittelbare Zulieferer anzusehen.431 Die Konzerngesellschaften, auf die das verpflichtete Unternehmen bestimmenden Einfluss ausübt, werden vollständig dem eigenen Geschäftsbereich des verpflichteten Unternehmens zugerechnet. Die Produkte und Dienstleistungen, die die Konzerngesellschaft auf dem Markt anbietet, sind den Produkten und Dienstleistungen der Konzernobergesellschaft gleichgestellt.432 Wenn man den Regelungszweck des Gesetzes auch in einem Gleichlauf von Nutzen, Einflussmöglichkeit und Verantwortung sieht, wäre es nicht begründbar, warum in Konzerngesellschaften, auf die das verpflichtete Unternehmen bestimmenden Einflusses ausübt, jede Verantwortung für die Lieferkette jenseits des eigenen Geschäftsbereichs entfallen sollte, das verpflichtete Unternehmen aber unbeschränkt Nutzen aus den Lieferketten der Konzerngesellschaft ziehen kann. e) Gemeinsame Erfüllung von Sorgfaltspflichten im Konzern?

357 Im Konzern können mehrere Gesellschaften in den Anwendungsbereich des

LkSG fallen, zum Teil mit überschneidendem Verantwortungsbereich. Es stellt sich dann die Frage, ob eine gemeinsame Erledigung von Sorgfaltspflichten im Konzern möglich ist. Klar ist, dass beide Unternehmen Verantwortung nach §§ 3 ff. LkSG tragen. Aus dem Angemessenheitsgebot des § 3 Abs. 1 folgt aber, dass die gesetzlichen Sorgfaltspflichten nicht mehrfach zu erledigen sind.433 Im Rahmen des weiten unternehmerischen Ermessens können die verpflichteten Unternehmen sich untereinander abstimmen, welches Unternehmen im Konzern die gesetzlichen Sorgfaltspflichten erledigt.434 Sie können sich auf eine zentrale Aufgabenerfüllung durch die Konzernobergesellschaft, aber auch auf eine dezentrale Pflichtenwahrnehmung durch die das verpflichtete Konzernunter-

431 Vgl. auch Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FAQ-Katalog (Stand: 17.12. 2021), Ziff. IV 7 b; im Ergebnis wie hier Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, DB 2022, 238, 244; a.A. Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 13; offen Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3079. 432 So auch Bundesministerium für Arbeit und Soziales, FAQ-Katalog (Stand: 17.12.2021), Ziff. IV 6; anders Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 13. 433 So für die allgemeinen Compliance-Pflichten im Konzern auch Bicker, AG 2012, 542, 551; Spindler, WM 2008, 905, 916; Fleischer, beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 1.9.2021, AktG, § 91 Rz. 91. 434 Nach den einzelnen Pflichten sowie für verschiedene Konzernkonstellationen differenzierend Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 264 ff.

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nehmen verständigen. Bei der nach § 1 verpflichteten Gesellschaft verbleibt aber immer eine nachgeordnete Überwachungsverantwortung.435 f) Internationaler Anwendungsbereich von Abs. 6 Satz 3 Nach dem Wortlaut von Abs. 6 Satz 3 ist der eigene Geschäftsbereich nicht auf 358 Konzernunternehmen in Deutschland beschränkt, sondern erstreckt sich weltweit auf alle Konzerngesellschaften, auf die die Konzernobergesellschaft bestimmenden Einfluss ausübt.436 g) Sonderfall: Verpflichtetes Unternehmen mit Sitz im Ausland, aber Zweigniederlassung in Deutschland Abs. 6 Satz 3 kann weitreichende Auswirkungen für Unternehmen haben, die 359 ihren Sitz im Ausland, aber eine Zweigniederlassung gem. § 13d des Handelsgesetzbuchs in Deutschland haben. Nach dem Wortlaut von Abs. 6 Satz 3 würden sich die Sorgfaltspflichten im eigenen Geschäftsbereich nicht nur auf deutsche Konzerngesellschaften beziehen, auf die die ausländische Obergesellschaft bestimmenden Einfluss ausübt, sondern weltweit gelten. Beispiel: Eine britische Gesellschaft mit beschränkter Haftung (ltd.) hat in fünf deutschen Städten Zweigniederlassungen. Sie beschäftigt in den deutschen Zweigniederlassungen mehr als 3.000 Arbeitnehmer. Keine Zweigniederlassung hat mehr als 700 Mitarbeiter. In Südamerika betreibt die britische Gesellschaft ihr Geschäft über eine Vielzahl von Landesgesellschaften, auf die sie jeweils bestimmenden Einfluss ausübt. Bei wortlautgemäßer Anwendung von Abs. 6 Satz 3 müsste die britische Gesellschaft dafür Sorge tragen, dass die Pflichten nach dem deutschen Sorgfaltspflichtengesetz auch in den südamerikanischen Konzerngesellschaften erfüllt werden.

Zu einem völlig anderen Ergebnis gelangt man, wenn die ausländische Gesell- 360 schaft ihr Geschäft in Deutschland – in der Sache ohne jede Änderung – nicht über Zweigniederlassungen, sondern in fünf Konzerngesellschaften führt, auf die sie bestimmenden Einfluss ausübt. Die Konzerngesellschaften unterliegen nicht dem LkSG, da sie die Mitarbeiterschwelle nicht erreichen. Aber auch die britische Obergesellschaft ist, obwohl sie auf die deutschen Konzerngesellschaften bestimmenden Einfluss ausübt, nicht verpflichtet, die Sorgfaltspflichten in den deutschen Konzerngesellschaften zu erfüllen. Denn sie unterliegt dem Anwendungsbereich des Gesetzes mangels Zweigniederlassung in Deutschland nicht. Darin liegt ein klarer Wertungswiderspruch, von dem nicht anzunehmen ist, dass der Gesetzgeber dies gewollt hat. Abs. 6 Satz 3 ist daher im Wege einer teleologischen Reduktion so zu verstehen, dass sich der eigene Geschäftsbereich des ausländischen Unternehmens mit Zweigniederlassung in Deutschland auf die Zweigniederlassungen in Deutschland und auf die deutschen Konzerngesell435 Vgl. Fleischer, beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 1.9.2021, AktG, § 91 Rz. 91 ff. 436 Auch Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, DB 2022, 238, 243; Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2148; Seibt/Vesper-Gräske, CB 2021, 357, 360; Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3079; Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 263 f.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen schaften beschränkt, auf die die Obergesellschaft bestimmenden Einfluss ausübt. Unmittelbare Zulieferer sind dementsprechend nur solche Unternehmen, die mit der Zweigniederlassung oder einer der deutschen Konzerngesellschaften einen Vertrag über eine Lieferung oder Leistung abschließen. Entsprechendes gilt für die mittelbaren Zulieferer. 361 An sich würde es naheliegen, umgekehrt sämtliche Konzerngesellschaften in

Deutschland, auf die eine ausländische Obergesellschaft bestimmenden Einfluss ausübt, zu einem einheitlichen Geschäftsbereich zusammenzufassen. Dem steht aber § 1 entgegen: Die ausländische Obergesellschaft fällt nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes, der nicht durch erweiternde Auslegung über den Wortlaut hinaus ausgedehnt werden kann. In diesem Punkt kann die Gesetzesformulierung nicht durch Auslegung korrigiert werden.

IX. Unmittelbarer Zulieferer (Abs. 7) 362 Abs. 7 definiert den Begriff des unmittelbaren Zulieferers. Unmittelbarer Zulie-

ferer ist der Partner eines Vertrages über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, dessen Zulieferungen für die Herstellung des Produktes des Unternehmens oder zur Erbringung und Inanspruchnahme der betreffenden Dienstleistung notwendig sind. Mit der Anknüpfung an das Vertragsverhältnis legt das Gesetz eine leicht zu handhabende Methode fest, um die unmittelbaren Zulieferer zu bestimmen. 1. Vertragsverhältnis

363 Der unmittelbare Zulieferer muss Vertragspartner des verpflichteten Unterneh-

mens sein.437 Ohne Bedeutung ist, welchem Vertragstyp der Vertrag zuzuordnen ist. Maßgebend ist allein, dass der Vertrag rechtliche Grundlage einer der Lieferkette zuzurechnenden Lieferung oder Leistung ist. Unerheblich ist auch, in welcher Form der Vertrag abgeschlossen worden ist. Wenn die Leistung tatsächlich erbracht wird, ist auch ohne Bedeutung, ob der Vertrag nachträglich aufgehoben, zurückabgewickelt oder seine Wirksamkeit bestritten wird. Erst ab der tatsächlichen Beendigung des Vertragsverhältnisses scheidet der Vertragspartner aus dem Kreis der unmittelbaren Zulieferer aus. Das verpflichtete Unternehmen kann sich seinen gesetzlichen Pflichten schließlich auch nicht durch die Regelung entziehen, dass der Vertrag bei Verletzung eines Verbots nach Abs. 2 oder Abs. 3 als von Anfang an unwirksam gilt. Wenn ein Zulieferer ohne vertragliche Grundlage Proben oder Muster übersendet, um ein Vertragsverhältnis anzubahnen, ist er allerdings noch kein unmittelbarer Zulieferer des verpflichteten Unternehmens. Nicht maßgebend ist, welche Gesellschaft im Konzern die Rechnung stellt oder begleicht.438 437 Dohrmann, CCZ 2021, 265, 269. 438 So auch Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 2 Rz. 42.

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Begriffsbestimmungen | § 2

2. Rahmenvertrag/Dauer der Vertragsbeziehung Ein Vertragsverhältnis besteht zwischen dem verpflichteten Unternehmen und 364 dem unmittelbaren Zulieferer auch dann, wenn zwischen den Parteien ein Rahmenvertrag besteht. Das gilt auch dann, wenn aktuell keine gegenseitigen Leistungspflichten zu erfüllen sind. Anders ist die Lage, wenn der Rahmenvertrag seit geraumer Zeit nicht mehr als vertragliche Grundlage für den Leistungsaustausch zwischen den Parteien genutzt worden ist, also ruht, oder das verpflichtete Unternehmen die (nachweisbare) Entscheidung getroffen hat, auch ohne formelle Beendigung des Rahmenvertrages bis auf weiteres keine Lieferungen und Leistungen mehr mit dem Zulieferer auszutauschen und die Entscheidung nach den vertraglichen Regeln zulässig ist. Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, wann von einem Ruhen des Rahmenvertrages ausgegangen werden kann. Zutreffend ist, ein Ruhen dann anzunehmen, wenn im laufenden oder vorausgegangenen Geschäftsjahr keine Lieferungen oder Leistungen bei dem Zulieferer abgerufen worden sind. Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich nicht, ob ein Vertragspartner unmittelbar 365 nach Erledigung der gegenseitigen Vertragspflichten aus einem Liefervertrag aus dem Kreis der unmittelbaren Zulieferer ausscheidet, oder auch ein bereits vollständig abgewickelter Vertrag eine ausreichende Grundlage sein kann, um den Vertragspartner als unmittelbaren Zulieferer zu qualifizieren. Letzteres ist zutreffend. Die Abgrenzung ist wie bei Rahmenverträgen vorzunehmen. Die Eigenschaft als unmittelbarer Zulieferer endet, wenn das Unternehmen im laufenden und im vorausgegangenen Geschäftsjahr keine Geschäfte mit dem Zulieferer gemacht oder die (nachweisbare) Entscheidung getroffen hat, mit dem Zulieferer bis auf weiteres keine Lieferungen oder Leistungen mehr auszutauschen. 3. Gegenstand des Vertrages Gegenstand des Vertrages muss die Lieferung von Waren oder die Erbringung 366 von Dienstleistungen, dessen Zulieferungen für die Herstellung des Produktes des Unternehmens oder zur Erbringung und Inanspruchnahme der betreffenden Dienstleistung notwendig sind. Andernfalls wäre die Lieferung oder Leistung nicht Teil der Lieferkette.439 4. Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf die der Lieferkette zuzurechnenden Teile im Geschäftsbereich des unmittelbaren Zulieferers? Gesetzlich ist nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich bestimmt, ob sich die Sorg- 367 faltspflichten der §§ 3 bis 8 auf den gesamten Geschäftsbereich des unmittelbaren Zulieferers beziehen oder nur auf die Geschäftsaktivitäten, die der Lieferkette des verpflichteten Unternehmens zuzurechnen sind.440 Unternehmen 439 Dazu näher Rz. 367 ff.; auch Bettermann/Hoes, BKR 2022, 23, 25. 440 Für eine Einbeziehung des gesamten Geschäftsbereichs des unmittelbaren Zulieferers etwa Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 13.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen nehmen diese Unterscheidung in der Praxis in aller Regel nicht vor, sondern geben dem Zulieferer durch den Lieferantenkodex vor, dass er Zwangsarbeit oder Kinderarbeit generell unterlässt. a) Wortlautauslegung 368 Der Wortlaut von Abs. 6 gibt keine Auskunft. Allerdings deutet der Wortlaut

von § 3 Abs. 1 deutet darauf, dass sich die gesetzlichen Sorgfaltspflichten nur auf die Geschäftsaktivitäten beziehen, die der Lieferkette des verpflichteten Unternehmens zuzurechnen sind. Denn die verpflichteten Unternehmen haben die gesetzlichen Sorgfaltspflichten nur „in ihren Lieferketten“ zu erfüllen. In dieselbe Richtung weisen §§ 4 Abs. 2 und 6 Abs. 4 Nr. 2. Nach der erstgenannten Vorschrift sind als wirksame Maßnahmen des Risikomanagements solche Maßnahmen zu beurteilen, „die es ermöglichen, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken zu erkennen und zu minimieren sowie Verletzungen menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten zu verhindern, zu beenden oder deren Ausmaß zu minimieren, wenn das Unternehmen diese Risiken oder Verletzungen innerhalb der Lieferkette verursacht oder dazu beigetragen hat.“ Die letztgenannte Vorschrift gibt den verpflichteten Unternehmen vor, angemessene Präventionsmaßnahmen auch gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer zu verankern. Dazu gehört auch die vertragliche Zusicherung des unmittelbaren Zulieferers, dass er die „von der Geschäftsleitung des [verpflichteten] Unternehmens verlangten menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Erwartungen einhält und entlang der Lieferkette angemessen adressiert.“ Der Wortlaut von § 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 deuten in die gegenteilige Richtung. Die Risikoanalyse muss darauf gerichtet sein, die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken „im eigenen Geschäftsbereich sowie bei seinem unmittelbaren Zulieferer“ zu ermitteln. Abhilfemaßnahmen sind zu ergreifen, wenn „die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht in seinem eigenen Geschäftsbereich oder bei einem unmittelbaren Zulieferer bereits eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht“. b) Historische Auslegung

369 Die historische Auslegung ist neutral. Im Gesetzgebungsverfahren ist die Frage

streitig erörtert worden.441 Aus den Gesetzesmaterialien, auf die sich die historische Auslegung allein beziehen kann, geht aber kein Anhaltspunkt hervor, der zur Entscheidung der Frage beiträgt.

c) Gesetzessystematik 370 Die Gesetzessystematik spricht klar dafür, dass in den Sorgfaltspflichtenkreis des

verpflichteten Unternehmens nur die Betriebe und Unternehmensteile einbezogen sind, in denen die Produkte für das verpflichtete Unternehmen her441 Zur Diskussion im Gesetzgebungsverfahren vgl. Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 13.

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Begriffsbestimmungen | § 2

gestellt oder die Dienstleistungen erbracht werden. Das folgt zum einen aus der systematischen Stellung von § 3 Abs. 1 als einem „vor die Klammer gezogenen“ Korrektiv für alle gesetzlichen Sorgfaltspflichten. § 3 Abs. 1 stellt aber klar, dass sich die Sorgfaltspflichten nur in den Lieferketten zu erfüllen sind. Nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 5 umfasst die Lieferkette nur die „Schritte […], die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind“, nicht aber Schritte und Maßnahmen, die der Herstellung von ganz anderen Produkten oder der Erbringung von anderen Dienstleistungen dienen, die nicht der Lieferkette zuzuordnen sind. d) Regelungszweck Auch der Regelungszweck der gesetzlichen Definition der Lieferkette in § 2 371 Abs. 5 spricht klar dafür, dass sich die gesetzlichen Sorgfaltspflichten nur auf die Geschäftsaktivitäten des unmittelbaren Zulieferers beziehen, die der Lieferkette des verpflichteten Unternehmens zuzurechnen sind. Regelungsziel der gesetzlichen Definition ist es sicherzustellen, dass die gesamte Wertschöpfung entlang der Lieferkette frei von menschenrechtlichen oder umweltrechtlichen Risiken ist, also nicht Gewinne durch Ausnutzung von menschenrechtlichen oder umweltrechtlichen Risiken erzielt werden. Der Begriff der Lieferkette hat aber auch begrenzende Funktion: Nur dann, wenn die menschenrechtlichen oder umweltrechtlichen Risiken einen Wertschöpfungsbeitrag für die an das verpflichtete Unternehmen gelieferten Produkte oder Dienstleistungen leisten können, können die gesetzlichen Sorgfaltspflichten ausgelöst werden.442 5. Gleichstellung eines mittelbaren Zulieferers mit einem unmittelbaren Zulieferer § 5 Abs. 1 Satz 2 bestimmt, dass ein mittelbarer Zulieferer als unmittelbarer Zu- 372 lieferer gilt, wenn ein Unternehmen durch missbräuchliche Gestaltung der unmittelbaren Zuliefererbeziehung oder Umgehungsgeschäft den Versuch unternimmt, die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten in Hinblick auf den unmittelbaren Zulieferer zu umgehen.443 a) Anwendungsbereich Die Aufnahme der Umgehungsregelung in § 5 Abs. 1 führt zu der Frage, ob sich 373 der Anwendungsbereich der Umgehungsregelung auf die Risikoanalyse beschränkt und der mittelbare Zulieferer nur für die Zwecke der Risikoanalyse einem unmittelbaren Zulieferer gleichgestellt wird. Für eine Beschränkung auf das Risikomanagement spricht die systematische Stellung. Eine Auslegung anhand des Regelungszwecks führt aber zu dem Ergebnis, dass die Umgehungsregel 442 Allgemein zum Schrankensystem des LkSG s. Einleitung, Rz. 8. 443 Vgl. näher § 5 Rz. 41 ff.

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§ 2 | Begriffsbestimmungen nicht auf die Risikoanalyse beschränkt ist. Die Risikoanalyse ist kein Selbstzweck, sondern das maßgebliche Steuerungsinstrument, um die im Risikomanagement gebotenen Maßnahmen zu ergreifen. § 5 Abs. 1 ist auf alle Sorgfaltspflichten nach §§ 3 ff. anzuwenden.444 Der systematisch richtige Ort für die Regelung wäre § 2 Abs. 7 gewesen.445 b) Missbräuchliche Gestaltung/Umgehungsgeschäft 374 Die Gesetzesbegründung446 sieht als Anzeichen für missbräuchliche Gestaltungen

oder ein Umgehungsgeschäft insbesondere an, wenn der zwischen dem Unternehmen und dem unmittelbaren Zulieferer auftretende Dritte keiner nennenswerten eigenen Wirtschaftstätigkeit nachgeht oder keine auf Dauer angelegte Präsenz in Gestalt von Geschäftsräumen, Personal oder Ausrüstungsgegenständen unterhält. Der Zulieferer gilt in diesem Fall hinsichtlich aller Sorgfaltspflichten als unmittelbarer Zulieferer.447 6. Sonderfall: Internetplattformen und Rohstoffbörsen

375 Bei dem Erwerb von Produkten und Dienstleistungen über Internetplattformen

und Rohstoffbörsen ist Vertragspartner der Produktlieferung oder die zu erbringenden Dienstleistung in der Regel nicht der Betreiber der Plattform oder der Rohstoffbörse, sondern die Partei, mit der das über die Plattform oder die Börse vermittelte Geschäft zustande kommt. Wenn die über die Börse oder die Internetplattform gehandelten Produkte anonym gehandelt oder durch ein anonymes Clearingsystem abgewickelt werden, kann es allerdings sein, dass die Sorgfaltspflichten deswegen nicht eingreifen, weil es an der tatsächlichen Möglichkeit zu ihrer Erfüllung fehlt.

X. Mittelbarer Zulieferer (Abs. 8) 376 Abs. 8 definiert den Begriff des mittelbaren Zulieferers durch negative Abgren-

zung: Mittelbarer Zulieferer ist jedes Unternehmen in der Lieferkette, das kein unmittelbarer Zulieferer ist. Die gesetzliche Definition bestimmt weiter, dass die Zulieferungen des mittelbaren Zulieferers für die Herstellung des Produktes des Unternehmens oder zur Erbringung und Inanspruchnahme der betreffenden Dienstleistung notwendig sein müssen. Das ist allerdings nicht mehr als eine selbstverständliche Voraussetzung, da der Zulieferer ansonsten nicht Teil der Lieferkette wäre. 444 Vgl. Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 45. 445 Vgl. näher zu den Umgehungsvoraussetzungen § 5 Rz. 41 ff. 446 Vgl. Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, BT-Drucks. 19/28649, 44. 447 Näher zu Risikoanalyse in diesen Fällen § 5 Rz. 45.

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Abschnitt 2 Sorgfaltspflichten (§§ 3–10) § 3 Sorgfaltspflichten (1) Unternehmen sind dazu verpflichtet, in ihren Lieferketten die in diesem Abschnitt festgelegten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten mit dem Ziel, menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken vorzubeugen oder sie zu minimieren oder die Verletzung menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten zu beenden. Die Sorgfaltspflichten enthalten: 1. die Einrichtung eines Risikomanagements (§ 4 Absatz 1), 2. die Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit (§ 4 Absatz 3), 3. die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen (§ 5), 4. die Abgabe einer Grundsatzerklärung (§ 6 Absatz 2), 5. die Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich (§ 6 Absatz 1 und 3) und gegenüber unmittelbaren Zulieferern (§ 6 Absatz 4), 6. das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen (§ 7 Absatz 1 bis 3), 7. die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens (§ 8), 8. die Umsetzung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf Risiken bei mittelbaren Zulieferern (§ 9) und 9. die Dokumentation (§ 10 Absatz 1) und die Berichterstattung (§ 10 Absatz 2). (2) Die angemessene Weise eines Handelns, das den Sorgfaltspflichten genügt, bestimmt sich nach 1. Art und Umfang der Geschäftstätigkeit des Unternehmens, 2. dem Einflussvermögen des Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher eines menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risikos oder der Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht, 3. der typischerweise zu erwartenden Schwere der Verletzung, der Umkehrbarkeit der Verletzung und der Wahrscheinlichkeit der Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht sowie 4. nach der Art des Verursachungsbeitrages des Unternehmens zu dem menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiko oder zu der Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht. (3) Eine Verletzung der Pflichten aus diesem Gesetz begründet keine zivilrechtliche Haftung. Eine unabhängig von diesem Gesetz begründete zivilrechtliche Haftung bleibt unberührt.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten I. Überblick und Gesetzgebungsgeschichte 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzgebungsgeschichte . . . . II. § 3 Abs. 1 LkSG als allgemeine Grundnorm der Sorgfaltspflichten 1. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . 2. Vorbilder der Sorgfaltspflichten des LkSG . . . . . . . . 3. Adressat bzw. Schuldner der Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . 4. Sorgfaltspflichten als Verfahrenspflichten a) Keine Erfolgspflicht . . . . . . b) Sorgfaltspflichten als sich wiederholender Prozess . . . 5. Abstufung der Sorgfaltspflichten nach den Einflussmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der eigene Geschäftsbereich b) Der Geschäftsbereich des unmittelbaren Zulieferers . . c) Der Geschäftsbereich des mittelbaren Zulieferers . . . . III. Das Prinzip der Angemessenheit gem. § 3 Abs. 2 LkSG 1. Regelungsinhalt und -zweck . a) Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die geeigneten Maßnahmen . . . . . . . . . . . b) Keine Gleichsetzung von (Un-)Angemessenheit und Unmöglichkeit . . . . . . . . . . c) Geltung für sämtliche Sorgfaltspflichten des LkSG . . . . d) Angemessenheitsprinzip als Grundlage für Reduzierung von Sorgfaltspflichten . . . . . e) Priorisierungsrecht als Ausfluss des Angemessenheitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Kriterienkatalog des § 3 Abs. 2 LkSG . . . . . . . . . . . a) Grundlagen aa) Unbestimmtheit und Folgen für die Rechtsanwendung . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . . . . . .

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__ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 1 5

9

12 13 15 19 22 24 27 30 33 37 39 43 46 47 49

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bb) Kriterienübergreifende Prinzipien . . . . . . . . . . . cc) Abschließender Charakter des Kriterienkatalogs? dd) Bestimmung der Angemessenheit durch Abwägung der Kriterien . . . . . b) Die einzelnen Kriterien aa) Art und Umfang der Geschäftstätigkeit des verpflichteten Unternehmens (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 LkSG) . . . . . . . . . . . . . . (1) Art der Geschäftstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . (2) Umfang der Geschäftstätigkeit . . . . . . . . . . . . bb) Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG) . (1) Die § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG zugrunde liegende Konstellation . . . . . . . . (2) Bestimmung des unmittelbaren Verursachers . . (3) Einflussvermögen auf den unmittelbaren Verursacher . . . . . . . . . . . . cc) Schwere und Wahrscheinlichkeit der Verletzung . . (1) Die § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG zugrunde liegende Konstellation . . . . . . . . (2) Schwere der Verletzung . (3) Eintrittswahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kriterien für die Bewertung von Schwere und Wahrscheinlichkeit . . . . dd) Art des Verursachungsbeitrags des verpflichteten Unternehmens . . . . . (1) Unmittelbare Verursachung . . . . . . . . . . . . (2) Mittelbare Verursachung IV. Zivilrechtliche Haftung, § 3 Abs. 3 LkSG . . . . . . . . . . . .

_ _ _ 51 54 58

_ _ _ 61 62 67

_ _ _ _ _ __ _ _ _ __ _ 76 78 80 83 94 96 98

105 107 108 110 113 118

Sorgfaltspflichten | § 3 Literatur: Brouwer, Noch viele offene Rechts- und Auslegungsfragen zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Hinweise zum VCI-Diskussionspapier zur Umsetzung des LkSG, CCZ 2022, 137; Charnitzky/Weigel, Die Krux mit der Sorgfalt – Zu den Untiefen und der Unschärfe des neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes aus Unternehmenssicht, RIW 2022, 12; Ehmann, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) kommt!, ZVertriebsR 2021, 205; Ehmann, Der Regierungsentwurf für das Lieferkettengesetz: Erläuterung und erste Hinweise zur Anwendung, ZVertriebsR 2021, 141; Ehmann/Berg, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG): ein erster Überblick, GWR 2021, 287; Gailhofer/ Verheyen, Klimaschutzbezogene Sorgfaltspflichten: Perspektiven der gesetzlichen Regelung in einem Lieferkettengesetz, ZUR 2021, 402; Gehling/Ott/Lüneborg, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230; Groß, Das „Lieferkettengesetz“: umfassende Handlungspflichten und Notwendigkeit zur Anpassung der Compliance-Management-Systeme zeichnen sich ab, SPA 2021, 69; Harings/ Jürgens, Die Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf die Transportwirtschaft, RdTW 2021, 297; Helck, Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten: Worauf sich Unternehmen zukünftig vorbereiten müssen, BB 2021, 1603; Herrmann/Rünz, Praktische Hinweise und Maßnahmen zur Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes im Unternehmen, DB 2021, 3078; Krebs, Menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflicht: Der Wettlauf zwischen europäischer und deutscher Rechtssetzung, ZUR 2021, 394; Leuering/Rubner, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NJW-Spezial 2021, 399; Nietsch/Wiedmann, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, CCZ 2021, 101; Niklas/Lex, Das neue Lieferkettengesetz – Ein Überblick über die wesentlichen Inhalte und etwaige arbeitsrechtliche Implikationen, ArbRB 2021, 212; Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, Zur Anwendung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes im Konzern, DB 2022, 238; Reich, Menschenrechts- und Umweltschutz in der Lieferkette, AG 2021, R116; Scheffler, Sorgfaltspflichten in Lieferketten, AG 2021, R120; Schmidt-Räntsch, Sorgfaltspflichten der Unternehmen – Von der Idee über den politischen Prozess bis zum Regelwerk, ZUR 2021, 387; Seibt/Vesper-Gräske, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erweitert Compliance-Pflichten, CB 2021, 357; Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67; Stave/Velte, Regulierung eines nachhaltigen Lieferkettenmanagements – Bestandsaufnahme bisheriger Normierungen und Ausblick auf die geplante EU-Gesetzgebung –, DB 2021, 1791; Wagner/Ruttloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145.

I. Überblick und Gesetzgebungsgeschichte 1. Überblick Abschnitt 2 des LkSG normiert in den §§ 3 bis 10 die Sorgfaltspflichten und de- 1 ren jeweilige Bestandteile und bildet damit einen zentralen Teil des LkSG.1 § 3 LkSG steht diesem Abschnitt als allgemeine Regelung der Sorgfaltspflichten voran. § 3 Abs. 1 und 2 LkSG betrifft dabei die Tatbestandsebene des Pflichtenmaßstabs, während § 3 Abs. 3 die Rechtsfolgenseite bei Verletzung der Sorgfaltspflichten betrifft. 1 Vgl. Keilmann/Schmidt, WM 2021, 717, 718 (Abschnitt 2 als „Herzstück“).

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§ 3 | Sorgfaltspflichten 2 § 3 Abs. 1 LkSG statuiert zunächst die zentrale Verpflichtung eines jeden ver-

pflichteten Unternehmens, die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten des LkSG in angemessener Weise zu beachten und listet diese Sorgfaltspflichten im Folgenden auf. Die nähere Festlegung und Konkretisierung der einzelnen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten erfolgt sodann in den §§ 4 bis 10 LkSG.2 Die Sorgfaltspflichten des LkSG zielen dabei im Wesentlichen auf die Unternehmensorganisation ab und betreffen namentlich die Aufbau- oder die Ablauforganisation von Prozessen.3 Als maßgebliches Ziel der Sorgfaltspflichten gibt das Gesetz vor, dass menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken vorgebeugt wird bzw. derartige Risiken minimiert werden oder die Verletzung menschenrechtlicher oder umweltbezogener Pflichten beendet wird. Mit der Formulierung „in angemessener Weise“ legt das Gesetz schließlich zugleich das zentrale Prinzip bzw. den Maßstab der Angemessenheit der aufgrund des LkSG zu ergreifenden Maßnahmen fest.

3 § 3 Abs. 2 LkSG greift den Maßstab der Angemessenheit auf und konkretisiert

diesen. Zu diesem Zweck werden in § 3 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 LkSG verschiedene Kriterien bzw. Gruppen von Kriterien aufgeführt, anhand derer die angemessene Weise eines Handelns, das den Sorgfaltspflichten genügt, zu bestimmen ist. § 3 Abs. 2 LkSG bildet damit die Kernvorschrift des Angemessenheitsmaßstabs, der sämtliche Sorgfaltspflichten des LkSG durchzieht.

4 § 3 Abs. 3 LkSG schließlich betrifft die Rechtsfolgen bei Verletzung der Sorg-

faltspflichten und stellt dabei zunächst den Grundsatz auf, dass eine Verletzung der Pflichten nach dem LkSG keine zivilrechtliche Haftung begründet. Dieser Grundsatz wird sodann allerdings durch die Klarstellung eingeschränkt, dass eine unabhängig von dem LkSG begründete zivilrechtliche Haftung unberührt bleibt (s. dazu näher die separate Kommentierung der zivilrechtlichen Haftungsgrundlagen bzw. des § 3 Abs. 3 LkSG im Anhang zu § 11 LkSG (dort Rz. 51 ff.)). 2. Gesetzgebungsgeschichte

5 Während der Tatbestandsteil des § 3 LkSG, d.h. dessen Abs. 1 und 2, bereits im

Referentenentwurf und im Regierungsentwurf zum LkSG vorgesehen war und nahezu unverändert Gesetz geworden ist, wurde der Rechtsfolgenteil des § 3 LkSG in Form von dessen Abs. 3 erst gegen Ende des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt.

6 Die Verpflichtung zur Beachtung der im einzelnen aufgelisteten Sorgfaltspflich-

ten sowie die Festlegung auf den Maßstab der Angemessenheit als Kerngehalt

2 Siehe zu dem insofern vergleichbaren Konzept des Kommissionsvorschlags für eine Lieferkettensorgfaltspflichtenrichtlinie, 2022/0051 (COD), S. 65 ff. deren Art. 4 sowie deren Art. 5 bis 11. Siehe in diesem Zusammenhang auch Art. 3 Abs. 1 der EU-Konfliktmineralienverordnung (VO (EU) 2017/821) (Grundnorm) sowie deren Art. 4 bis 7 (Konkretisierung). 3 Vgl. Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 80.

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Sorgfaltspflichten | § 3

der Gesetz gewordenen Regelung des § 3 Abs. 1 LkSG fanden sich nahezu wortlautidentisch bereits im Referentenentwurf4 sowie im Regierungsentwurf zum LkSG.5 Der Hinweis auf das Ziel der Vorbeugung bzw. Minimierung menschenrechtlicher oder umweltbezogener Risiken sowie der Beendigung von Verletzungen entsprechender Pflichten fand demgegenüber erst im Zuge der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Eingang in das Gesetz.6 Der Grund für die explizite Benennung dieses Ziels in § 3 Abs. 1 LkSG ergibt sich im Zusammenhang mit dem Charakter des § 3 Abs. 1 LkSG als Verfahrenspflicht (s. dazu noch näher unter Rz. 16): Durch die ausdrückliche Benennung des Ziels sollte zum Ausdruck gebracht und verdeutlicht werden, dass das verpflichtete Unternehmen durch die im LkSG normierten Sorgfaltspflichten nicht zur Garantie eines Erfolges verpflichtet wird.7 Auch der in § 3 Abs. 2 LkSG enthaltene Kriterienkatalog zur Bestimmung der 7 Angemessenheit der aufgrund des LkSG zu ergreifenden Maßnahmen war im Kern nahezu wortlautidentisch bereits im Referentenentwurf8 sowie im Regierungsentwurf zum LkSG9 enthalten. Bei den Änderungen des Wortlauts, die der Ausschuss für Arbeit und Soziales im Rahmen seiner Beschlussempfehlung und seines Berichts vorschlug und die letztendlich auch Gesetz geworden sind, handelte es sich ganz überwiegend um lediglich sprachliche Klarstellungen bzw. um notwendige Folgeänderungen, die sich aus der Vereinheitlichung der Begriffe „Verletzung“, „Risiko“, und „geschützte Rechtspositionen“ in § 2 Abs. 1, 2, und 5 LkSG infolge des Berichts ergaben.10 Die Regelung betreffend die Rechtsfolgen bei Verletzung der Pflichten nach dem 8 LkSG in § 3 Abs. 3 LkSG war demgegenüber weder im Referentenentwurf noch im Regierungsentwurf zum LkSG vorgesehen und fand erst infolge der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Eingang in das Gesetz (s. dazu näher die separate Kommentierung der zivilrechtlichen Haftungsgrundlagen bzw. des § 3 Abs. 3 LkSG im Anhang zu § 11 LkSG (dort Rz. 51 ff.)).11

4 Vgl. § 3 Abs. 1 des RefE LkSG (Bearbeitungsstand: 28.2.2021). 5 Vgl. § 3 Abs. 1 des RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 10. 6 Vgl. Nr. 1 d) aa) aaa) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drucks. 19/30505, 11. 7 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BTDrucks. 19/30505, 37. 8 Vgl. § 3 Abs. 2 des RefE LkSG (Bearbeitungsstand: 28.2.2021). 9 Vgl. § 3 Abs. 2 des RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 10 f. 10 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BTDrucks. 19/30505, 37 f. 11 Vgl. Nr. 1 d) cc) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drucks. 19/30505, 11.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten II. § 3 Abs. 1 LkSG als allgemeine Grundnorm der Sorgfaltspflichten 1. Regelungsinhalt 9 § 3 Abs. 1 LkSG statuiert als allgemeine Grundnorm der Sorgfaltspflichten die

Verpflichtung aller verpflichteten Unternehmen zur Beachtung der einzelnen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten des LkSG und legt die einzelnen Sorgfaltspflichten des LkSG fest. In diesem Zusammenhang statuiert das Gesetz zugleich das Prinzip der Angemessenheit als zentralen Maßstab für die aufgrund des LkSG zu ergreifenden Maßnahmen.

10 Der Umstand, dass § 3 Abs. 1 LkSG die allgemeine Grundnorm der Sorgfalts-

pflichten bildet, bedeutet nicht, dass es sich bei § 3 Abs. 1 LkSG um eine Generalklausel handeln würde, aus der heraus sich weitere (ungeschriebene) Sorgfaltspflichten entwickeln ließen, die über die in §§ 4 bis 10 LkSG genannten Sorgfaltspflichten hinausgehen. Die Aufzählung und Festlegung der einzelnen Sorgfaltspflichten des LkSG in § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 9 LkSG, §§ 4 bis 10 LkSG ist vielmehr abschließend.12 Jenseits dieser explizit genannten Sorgfaltspflichten treffen verpflichtete Unternehmen aufgrund des § 3 Abs. 1 LkSG keine weiteren Sorgfaltspflichten.

11 Für diese Sichtweise spricht bereits der Wortlaut des § 3 Abs. 1 S. 1 LkSG, der

die Verpflichtung auf die Beachtung der „in diesem Abschnitt festgelegten“ Sorgfaltspflichten beschränkt, anstatt selbst den Tatbestand einer allgemeinen Sorgfaltspflicht zu normieren. Die Sorgfaltspflichten werden sodann in § 3 Abs. 1 S. 2 LkSG „festgelegt“ und aufgezählt, ohne dieser Aufzählung das Wort „insbesondere“ voranzustellen, das der Gesetzgeber üblicherweise verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass eine Aufzählung nicht abschließend ist. Dass es sich bei dem Verzicht auf das Wort „insbesondere“ um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers handelt, lässt sich auch der Regierungsbegründung zum LkSG entnehmen: Dort findet sich der Hinweis, ein verpflichtetes Unternehmen müsse nachweisen können, dass es „die in den §§ 4 bis 10 näher beschriebenen Sorgfaltspflichten“ umgesetzt habe.13 Damit geht auch der Gesetzgeber des LkSG davon aus, dass ein verpflichtetes Unternehmen über die in §§ 4 bis 10 LkSG niedergelegten Sorgfaltspflichten hinaus keine weiteren Sorgfaltspflichten aufgrund des LkSG treffe. Das zeigt sich auch an § 24 Abs. 1 LkSG, der die Verletzung der Sorgfaltspflichten zu einer Ordnungswidrigkeit erhebt, dabei aber eine Verletzung von § 3 Abs. 1 LkSG nicht nennt.14 Die hier vertretene Sichtweise trägt schließlich auch dem weiteren Hinweis in der Regierungsbegründung zum 12 Ebenso Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 5 Rz. 4; Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2147. 13 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 41. 14 In RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 57 findet sich insofern der Hinweis, dass „bestimmte Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten“ mit Bußgeldern sanktioniert werden können, was ebenfalls zum Ausdruck bringt, dass der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 LkSG keinen Tatbestand einer allgemeinen Sorgfaltspflicht erblickt.

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Sorgfaltspflichten | § 3

LkSG Rechnung, wonach sich der Gesetzesentwurf auf Anforderungen beschränke, die „praktikabel, verhältnismäßig und ohne übermäßigen bürokratischen Aufwand umzusetzen“ seien.15 Das wäre aber kaum gewährleistet, wenn man § 3 Abs. 1 LkSG als allgemeine Generalklausel verstehen würde, aus der sich eine kaum überschaubare Anzahl weitergehender (ungeschriebener) Sorgfaltspflichten für verpflichtete Unternehmen ergeben könnten. 2. Vorbilder der Sorgfaltspflichten des LkSG Ausweislich der Regierungsbegründung zum LkSG orientieren sich die Sorg- 12 faltspflichten an dem menschenrechtlichen Due Diligence-Begriff verschiedener Leitfäden internationaler Organisationen und nationaler Initiativen, allen voran den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2011 sowie dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien aus dem Jahr 2016. Diese Leitfäden sind dementsprechend die gedanklichen Vorbilder der Regelungen über die Sorgfaltspflichten des LkSG und können daher (trotz des Umstandes, dass es sich bei den Leitfäden um rechtlich unverbindliches soft law handelt16) für deren Auslegung fruchtbar gemacht werden.17 Neben den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen äußern sich auch weitere branchenübergreifende und branchenspezifische Leitfäden zu den menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten und konkretisieren diese. Die Regierungsbegründung zum LkSG nennt insofern eine ganze Reihe an entsprechenden Verlautbarungen der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD)18 – allen voran die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen 15 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 23. Gleichsinnig auch der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien, S. 7: „Die Ausgestaltung und Umsetzung der jeweiligen Sorgfaltspflichten sollte in Bezug auf diese Kriterien angemessen in bestehende Unternehmensprozesse integrierbar sein und keine unverhältnismäßigen bürokratischen Belastungen verursachen.“ 16 Vgl. etwa Becker/Buschfeld, RAW 2022, 32, 37. 17 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VI.3. und VI.4.; s. für die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen zudem etwa Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 2 Rz. 15. 18 OECD (2011): OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen; OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct; OECD (2012): OECD-Guidance for Responsible supply Chains of Minerals from Conflict-Affected and High-Risk Areas; OECD/FAO (2016), OECD-FAO Guidance for Responsible Agricultural Supply Chains; OECD (2017): OECD-Due Diligence Guidance for Meaningful Stakeholder Engagement in the Extractive Sector; OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Supply Chains in the Garment and Footwear Sector; OECD (2018): Responsible business conduct for institutional investors: Key considerations for due diligence; OECD (2019): Due Diligence for Responsible Corporate Lending and Securities Underwriting: Key considerations for banks implementing the OECD Guidelines for Multinational Enterprises.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten aus dem Jahr 2011 – und des Office of the High Commissioner for Human Rights der Vereinten Nationen (OHCHR).19 3. Adressat bzw. Schuldner der Sorgfaltspflichten 13 Adressat bzw. Schuldner der Sorgfaltspflichten ist das verpflichtete Unternehmen

i.S.d. § 1 Abs. 1 LkSG. Das jeweilige Leitungsorgan des verpflichteten Unternehmens bzw. die Individuen, die das Leitungsorgan bilden, werden demgegenüber nicht unmittelbar durch das LkSG zur Beachtung der Sorgfaltspflichten verpflichtet.20 Allerdings wird sich eine mittelbare Bindung des jeweiligen Leitungsorgans bzw. dessen Individuen an die Sorgfaltspflichten des LkSG im Regelfall aus dem Innenrecht des Leitungsorgans zum verpflichteten Unternehmen ergeben. Das betrifft insbesondere Vorstände von (verpflichteten) Aktiengesellschaften und Geschäftsführer von (verpflichteten) GmbHen. Diese sind aufgrund ihrer sich aus §§ 76, 93 AktG bzw. § 43 GmbHG ergebenden Legalitätspflicht im Verhältnis zu „ihrer“ Gesellschaft verpflichtet, die Verpflichtungen, denen die Gesellschaft im Außenverhältnis unterliegt, im Rahmen ihrer Geschäftsleitung zu beachten.21 Diese (mittelbare) Bindung an die Sorgfaltspflichten des LkSG ergibt sich aber allein aufgrund des Innenrechts des Leitungsorgans zum verpflichteten Unternehmen, nicht aufgrund des LkSG.

14 Die Perspektive des Gesetzes ist auf das einzelne verpflichtete Unternehmen bezo-

gen, so dass sich im Hinblick auf den Schuldner der Sorgfaltspflichten für Konzerne im Ausgangspunkt keine Besonderheiten ergeben: So treffen die Sorgfaltspflichten des LkSG jedes Konzernunternehmen, wenn dieses als verpflichtetes Unternehmen selbst in den Anwendungsbereich des LkSG fällt. Insbesondere verbleibt die Verantwortung für die Erfüllung der Sorgfaltspflichten bei jedem verpflichteten Konzernunternehmen, so dass etwa die Erfüllung der Sorgfaltspflichten durch die verpflichtete Konzernobergesellschaft die verpflichtete Konzernuntergesellschaft nicht von der Erfüllung der ihr obliegenden Sorgfaltspflichten befreit.22

19 UN OHCHR (2012): The Corporate Responsibility to Respect Human Rights. An Interpretive Guide; UN OHCHR (2018): Corporate human rights due diligence – Getting started, emerging practices, tools and resources. 20 Siehe demgegenüber Art. 26 des Kommissionsvorschlags für eine Lieferkettensorgfaltspflichtenrichtlinie, 2022/0051 (COD), S. 79 f., der die Mitgliedstaaten u.a. verpflichtet, sicherzustellen, dass die Mitglieder der Unternehmensleitung für die Einrichtung und Kontrolle der Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten nach dem Kommissionsvorschlag verantwortlich sind (s. dazu auch Erwägungsgrund 64 des Kommissionsvorschlags). 21 Vgl. für den Vorstand einer Aktiengesellschaft etwa Hüffer/Koch, 15. Aufl. 2021, § 93 AktG Rz. 6 m.w.N. sowie für den Geschäftsführer einer GmbH Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 Rz. 30 f. m.w.N. Die Legalitätspflicht dient insofern als Transmissionsriemen zur Überleitung von an die Gesellschaft gerichteten Verpflichtungen auf deren Vorstand bzw. Geschäftsführung. 22 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter IV.7.

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Umgekehrt hat in Konstellationen, in denen lediglich die Konzernuntergesellschaft, nicht aber die Konzernobergesellschaft in den Anwendungsbereich des LkSG fällt, die Konzernuntergesellschaft lediglich die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten für den eigenen Geschäftsbereich und entlang ihrer Lieferkette zu erfüllen. Die Tätigkeit der Konzernobergesellschaft bleibt dagegen außer Betracht.23 Die konzernrechtliche Einzelbetrachtung hat freilich aber nicht zur Folge, dass den Konzernunternehmen eine Abstimmung im Hinblick auf die Sorgfaltspflichten des LkSG verwehrt wäre.24 Ganz im Gegenteil ist es sinnvoll, dass sich Konzernunternehmen über die im Hinblick auf das LkSG zu ergreifenden Maßnahmen abstimmen. So kann etwa eine Konzernuntergesellschaft von der Konzernobergesellschaft initiierte Maßnahmen (wie z.B. im Rahmen der Grundsatzerklärung oder betreffend Schulungen) übernehmen und sich zu eigen machen. Die Verantwortung für die eigene Erfüllung der Sorgfaltspflichten verbleibt aber auch in diesem Fall bei der jeweiligen Konzerngesellschaft, mithin auch bei der Konzernuntergesellschaft.25 4. Sorgfaltspflichten als Verfahrenspflichten a) Keine Erfolgspflicht Bei den Sorgfaltspflichten des LkSG handelt es sich im Grundsatz um prozess- 15 orientierte Verfahrenspflichten,26 nicht um Erfolgspflichten:27 Die verpflichteten Unternehmen werden nicht zur Garantie eines Erfolgs verpflichtet,28 d.h. sie müssen nicht garantieren, dass in ihren Lieferketten keine Menschenrechte oder umweltbezogenen Pflichten verletzt werden.29 § 3 Abs. 1 LkSG verpflichtet die 23 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter IV.7. 24 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter IV.7. 25 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter IV.7. 26 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BTDrucks. 19/30505, 37. Siehe dazu auch Schäfer, ZLR 2022, 22, 24: „prozessorientierter und dynamischer Ansatz“; Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145. 27 Vgl. DAV-Ausschüsse zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, NZG 2021, 546, 550 f.; Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3079; Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 232; Noll/Aryobsei in jurisPR-Compl 2/2021, Anm. 5; Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2169; Keilmann/Schmidt, WM 2021, 717, 720. 28 Ein ähnliches Konzept liegt dem Kommissionsvorschlag für eine Lieferkettensorgfaltspflichtenrichtlinie, 2022/0051 (COD), S. 39, Erwägungsgrund 15 zugrunde: „Mit dieser Richtlinie sollten die Unternehmen nicht dazu verpflichtet werden, unter allen Umständen zu gewährleisten, dass überhaupt keine negativen Auswirkungen auftreten oder dass diese gestoppt werden.“ 29 Vgl. Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 2 Rz. 58; Ehmann/Berg, GWR 2021, 287, 288; Dohrmann, CCZ 2021, 265, 267; Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 17; Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 75; Groß, SPA 2021, 69, 71.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten Unternehmen (lediglich) zur Durchführung der konkreten, in Abs. 2 Nr. 1 bis 9 LkSG, §§ 4 bis 10 LkSG aufgelisteten Maßnahmen. Die verpflichteten Unternehmen erfüllen die Sorgfaltspflichten des LkSG dementsprechend schon dann, wenn sie die aufgeführten Maßnahmen im Rahmen des konkret Machbaren und Angemessenen durchführen.30 Werden diese Maßnahmen durchgeführt, ändert auch der Eintritt eines menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risikos oder gar die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht in der Lieferkette nichts daran, dass den Sorgfaltspflichten des LkSG genügt wurde.31 Dahinter steht die zutreffende Erkenntnis, dass selbst das lückenloseste Compliance-System nicht geeignet wäre, sämtliche möglichen Compliance-Verstöße zu verhindern.32 Aus dieser Erkenntnis folgt zugleich, dass der Eintritt eines menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risikos oder gar die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht keinesfalls die Vermutung eines Sorgfaltspflichtenverstoßes begründet.33 16 Dass § 3 Abs. 1 LkSG die verpflichteten Unternehmen nicht zur Garantie eines

Erfolgs verpflichtet, ergibt sich nicht nur aus den Gesetzesmaterialien, sondern auch aus der Benennung des Ziels der Vorbeugung bzw. Minimierung menschenrechtlicher oder umweltbezogener Risiken und der Beendigung der Verletzung menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten in der Vorschrift selbst. Wäre bereits ein entsprechender Erfolg geschuldet, wäre die Benennung des damit korrespondierenden Ziels überflüssig. Die Benennung des Ziels bringt demgegenüber zum Ausdruck, dass die durchzuführenden Maßnahmen lediglich auf die Erreichung des Ziels gerichtet sein müssen, ohne dass das Ziel tatsächlich erfüllt zu werden braucht. Die Einfügung der Zielbenennung infolge der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales diente denn gerade auch dem Zweck, klarzustellen und zu verdeutlichen, dass die Sorgfaltspflichten des LkSG nicht zur Garantie eines Erfolgs verpflichten.34

17 Die Regierungsbegründung charakterisiert die Sorgfaltspflichten des LkSG in

diesem Zusammenhang als „Bemühenspflichten“35 – augenscheinlich, um zu

30 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BTDrucks. 19/30505, 37; RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 41; ähnlich Ehmann, ZVertriebsR 2021, 205, 207 und Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 145: LkSG statuiert keine Garantenpflicht zur absoluten Vermeidung von Menschenrechtsverstößen in der Lieferkette. 31 Vgl. etwa Wagner/Ruttloff/Wagner/Hahn, CB 2021, 89, 92. 32 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 232; ähnlich Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 5 Rz. 1. 33 Vgl. Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 2 Rz. 62. 34 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BTDrucks. 19/30505, 37. 35 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 41; s. auch Empfehlungen des Bundesrats, BRDrucks. 239/1/21, S. 2; ebenso FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VIII.4. sowie DAV-Ausschüsse zum Regierungsentwurf eines

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verdeutlichen, dass es sich nicht um Erfolgspflichten handelt.36 Diese Bezeichnung ist allerdings insofern irreführend, als sie suggeriert, dass bereits das Bemühen um die Erfüllung der Sorgfaltspflichten des LkSG selbst eine Erfüllung der Sorgfaltspflichten bedeutet.37 Das ist nicht der Fall: Ein Bemühen zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten reicht keineswegs aus. Die konkreten, in Abs. 2 Nr. 1 bis 9 LkSG, §§ 4 bis 10 LkSG aufgelisteten Maßnahmen müssen im Rahmen des konkret Machbaren und Angemessenen vollständig durchgeführt bzw. umgesetzt werden, um den Sorgfaltspflichten des LkSG zu genügen. Ist das der Fall, schadet es freilich nicht, wenn trotz aller Maßnahmen in der Lieferkette ein menschenrechtliches oder umweltbezogenes Risiko eintritt oder eine menschenrechtsbezogene oder umweltbezogene Pflicht verletzt wird.38 Umgekehrt folgt aus der Charakterisierung der Sorgfaltspflichten als Verfahrenspflicht aber auch, dass ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten nicht zwingend voraussetzt, dass es tatsächlich zu einer Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht gekommen ist.39 Allerdings darf nicht übersehen werden, dass einzelne der Sorgfaltspflichten des 18 LkSG nach ihrem Wortlaut einen bestimmten (Teil-)Erfolg vorsehen und das verpflichtete Unternehmen zur Herstellung dieses Erfolgs verpflichten. In diesen Fällen schuldet das verpflichtete Unternehmen den Eintritt des in der jeweiligen Vorschrift bezeichneten Erfolgs; (nur) insoweit besitzt die Vorschrift keinen Verfahrens-, sondern einen Erfolgscharakter.40 Das gilt etwa für die Vorschrift des § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG, die dem verpflichteten Unternehmen einen Erfolg in Form der vertraglichen Zusicherung eines unmittelbaren Zulieferers des verpflichteten Unternehmens abverlangt, dass dieser die vom verpflichteten Unternehmen verlangten menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Erwartungen einhält und innerhalb der Lieferkette angemessen adressiert.41 Auch die

36 37 38 39 40 41

Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, NZG 2021, 546, 550 f. Aus dem Schrifttum etwa Becker/Buschfeld, RAW 2022, 32, 37; Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145 f.; Keilmann/Schmidt, WM 2021, 717, 720; Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 5 Rz. 1; Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2169; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 80; Koch, MDR 2022, 1 Rz. 12; Noll/ Aryobsei in jurisPR-Compl 2/2021, Anm. 5. Siehe in diesem Zusammenhang ferner die EU-Konfliktmineralienverordnung (VO (EU) 2017/821), die in Art. 5 Abs. 1 b) lit. ii) und iii), Abs. 2 jeweils von „Bemühungen um Risikominderung“ spricht. Vgl. etwa Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3079; Wagner/Ruttloff/Wagner/Hahn, CB 2021, 89, 92. Spießhofer, AnwBl. 2021, 534, 537 spricht insofern von dem Begriff der „Bemühenspflicht“ als von einer „Beruhigungspille, die den Blick auf den Gesetzestext […] verstellt.“ Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter II.2. und VI.3.; Harings/Jürgens, RdTW 2021, 297, 299; Schäfer, ZLR 2022, 22, 25. Vgl. Schäfer, ZLR 2022, 22, 25; Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145 f.; Wagner/Ruttloff/ Wagner/Hahn, CB 2021, 89, 92; Koch, MDR 2022, 1 Rz. 12; Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 5 Rz. 3; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 80. Vgl. Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 18. Siehe auch Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 17; Spießhofer, AnwBl. 2021, 534, 537.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 3 und 4 LkSG hat Erfolgscharakter.42 Danach müssen Abhilfemaßnahmen bei einer bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht im eigenen Geschäftsbereich im Inland stets, im eigenen Geschäftsbereich im Ausland oder im Geschäftsbereich einer konzernangehörigen Tochtergesellschaft i.S.d. § 2 Abs. 6 S. 3 LkSG zumindest „in der Regel“ zur Beendigung der Verletzung führen. Insoweit ist also ein konkreter Beendigungserfolg geschuldet. b) Sorgfaltspflichten als sich wiederholender Prozess 19 Die Regierungsbegründung zum LkSG betont, dass die Sorgfaltspflichten des

LkSG „keinen einmaligen Prozess“ bilden.43 Das bedeutet, dass die Sorgfaltspflichten wiederkehrend geschuldet werden,44 die einmalige Erfüllung der Sorgfaltspflichten befreit nicht von der weiteren Erfüllung in der Zukunft. Die Sorgfaltspflichten beinhalten insofern einen sich wiederholenden Kreislauf von verschiedenen (in §§ 4 bis 10 LkSG näher beschriebenen und festgelegten) Verfahrensschritten, die aufeinander aufbauen und sich aufeinander beziehen.45

20 Der iterative Charakter der Sorgfaltspflichten kommt etwa darin zum Aus-

druck, dass die Regelungen der §§ 4 bis 10 LkSG im Hinblick auf die einzelnen spezifischen Sorgfaltspflichten jeweils (zumindest) einen Jahresturnus für die Durchführung entsprechender Maßnahmen vorschreiben. So ist die Risikoanalyse einmal im Jahr und darüber hinaus anlassbezogen – wenn das verpflichtete Unternehmen mit einer wesentlich veränderten oder wesentlich erweiterten Risikolage in der Lieferkette rechnen muss – durchzuführen (§ 5 Abs. 4 LkSG). Freilich reicht insofern eine jährliche Aktualisierung aus; es ist nicht erforderlich, dass der vollständige Prozess der initialen Risikoanalyse von Neuem durchlaufen werden muss.46 Stellt das verpflichtete Unternehmen im Rahmen der Risikoana-

42 Ebenso Schäfer, ZLR 2022, 22, 25; Spießhofer, AnwBl. 2021, 534, 537; Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2149; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 85; Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 17; s. auch DAV-Ausschüsse zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, NZG 2021, 546, 551 (mit entsprechender Kritik). 43 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 41; s. dazu auch Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 106. 44 Siehe in diesem Zusammenhang etwa UN OHCHR (2012): The Corporate Responsibility to Respect Human Rights. An Interpretive Guide, S. 33: „[Human rights due diligence] requires ongoing or iterative processes, rather than a one-off undertaking, except where those operations and contexts do not change significantly.“ 45 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 41; s. dazu auch den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien, S. 8 sowie aus dem Schrifttum etwa Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 5 Rz. 8. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sprechen von der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht als „kontinuierlicher Aufgabe“, vgl. OECD (2011): OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, unter IV.45. 46 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 45; Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 234.

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lyse ein Risiko fest, hat es darauf mit der Durchführung von Präventionsmaßnahmen (§ 6 Abs. 1 LkSG) und in der Folge – bei Eintritt oder unmittelbarem Bevorstehen einer Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht im eigenen Geschäftsbereich oder bei einem unmittelbaren Zulieferer – ggf. mit Abhilfemaßnahmen (§ 7 Abs. 1 LkSG) zu reagieren. Im Hinblick auf mittelbare Zulieferer hat das verpflichtete Unternehmen zumindest anlassbezogen – bei substantiierter Kenntnis von der Möglichkeit einer Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht bei mittelbaren Zulieferern – Maßnahmen u.a. in Form der Risikoanalyse und Präventionsmaßnahmen durchzuführen (§ 9 Abs. 3 LkSG). Die Erfüllung der Sorgfaltspflichten hat das verpflichtete Unternehmen fortlaufend zu dokumentieren und darüber jährlich zu berichten (§ 10 Abs. 1 und 2 LkSG). Die Wirksamkeit durchgeführter Präventionsmaßnahmen und Abhilfemaßnahmen sowie des Beschwerdeverfahrens ist schließlich mindestens jährlich sowie anlassbezogen zu überprüfen und die entsprechenden Maßnahmen sind bei Bedarf unverzüglich zu aktualisieren bzw. zu wiederholen (§§ 6 Abs. 5, 7 Abs. 4, 8 Abs. 5 LkSG). Vor diesem Hintergrund verlangt das LkSG den verpflichteten Unternehmen 21 eine dauerhafte Befassung mit menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken und Verletzungen entsprechender Pflichten innerhalb ihrer Lieferketten ab. Die Sorgfaltspflichten des LkSG können damit als Dauerpflichten charakterisiert werden, die eine fortlaufende Erfüllung erfordern. 5. Abstufung der Sorgfaltspflichten nach den Einflussmöglichkeiten Nach § 3 Abs. 1 S. 1 LkSG sind die Sorgfaltspflichten „in den Lieferketten“ zu 22 beachten. Die Lieferkette bezieht sich dabei auf alle Produkte und Dienstleistungen des verpflichteten Unternehmens und sie umfasst – angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zu der Lieferung an den Endkunden – alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind (§ 2 Abs. 5 LkSG). Daraus ergibt sich, dass die Sorgfaltspflichten des LkSG lediglich upstream zu beachten sind, d.h. sie beziehen sich (neben dem eigenen Geschäftsbereich) nur auf die Zulieferer des verpflichteten Unternehmens (vgl. § 2 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 bis 3 LkSG). Sorgfaltspflichten downstream, d.h. in Bezug auf die Kunden (Abnehmer) des verpflichteten Unternehmens, sieht das LkSG dagegen nicht vor.47 Innerhalb der Lieferkette sind in gegenständlicher Hinsicht im Hinblick auf die 23 Sorgfaltspflichten drei Ebenen zu unterscheiden: Der eigene Geschäftsbereich (§ 2 Abs. 6 LkSG), der Geschäftsbereich des unmittelbaren Zulieferers (§ 2 Abs. 7 LkSG) sowie der Geschäftsbereich des mittelbaren Zulieferers (§ 2 Abs. 8 LkSG). Zwar erstrecken sich die Sorgfaltspflichten im Ausgangspunkt auf sämt47 Vgl. Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078 f.; Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 2 Rz. 50 ff.; Stave/Velte, DB 2021, 1791, 1799; s. auch FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VI.8.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten liche der drei Ebenen, allerdings erfordern sie je nach Stufe die Ergreifung verschiedener Maßnahmen unterschiedlicher Intensität.48 Dabei liegt dem Gesetz eine Abstufung der Intensität der Sorgfaltspflichten nach den jeweiligen Einflussmöglichkeiten zugrunde.49 Diese Abstufung ist letztlich Ausfluss des zentralen Angemessenheitsprinzips des § 3 Abs. 2 LkSG. § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 4 LkSG lässt sich insofern der Grundsatz entnehmen, dass die Anstrengungen des Unternehmens zur Risikoverhinderung oder Beendigung der Verletzung einer Pflicht umso größer sein müssen, je näher das Unternehmen dem Risiko oder der drohenden oder bereits eingetretenen Verletzung steht und je mehr es dazu beiträgt.50 a) Der eigene Geschäftsbereich 24 Die am weitesten gehenden Anforderungen stellen die Sorgfaltspflichten des

LkSG an das Handeln im eigenen Geschäftsbereich.51 Den Kern der Sorgfaltspflichten im eigenen Geschäftsbereich bildet nach § 4 LkSG die Einrichtung eines angemessenen und wirksamen Risikomanagements, das in alle maßgebliche Geschäftsabläufe zu verankern ist.52 Die im Rahmen dieses Risikomanagements durchzuführende Risikoanalyse erfordert eine Ermittlung, Gewichtung und Priorisierung menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken im eigenen Geschäftsbereich (§ 5 Abs. 1 und 2 LkSG). Wird insofern ein Risiko festgestellt, obliegt dem verpflichteten Unternehmen die Durchführung angemessener Präventionsmaßnahmen. Dazu zählt u.a. etwa die Entwicklung und Implementierung geeigneter Beschaffungsstrategien und Einkaufspraktiken, wobei diese zur Folge haben müssen, dass die festgestellten Risiken verhindert oder minimiert werden (§ 6 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 bis 4 LkSG).

25 Ergibt die Risikoanalyse, dass die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen

oder einer umweltbezogenen Pflicht im eigenen Geschäftsbereich bereits eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht, sind angemessene Abhilfemaßnahmen zur Verhinderung oder Beendigung der Verletzung oder zur Minimierung des Ausmaßes der Verletzung zu ergreifen. Soweit es sich um eine Verletzung handelt, die den eigenen Geschäftsbereich im Inland betrifft, muss die Abhilfemaß48 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 41; Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 103. 49 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter I.2.; Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 233; Nasse, RAW 2022, 3, 10; Koch, MDR 2022, 1 Rz. 10; Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 76. 50 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 48; Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 107; ähnlich Becker/Buschfeld, RAW 2022, 32, 37. 51 Siehe eingehend zur Reichweite der Sorgfaltspflichten einer Muttergesellschaft hinsichtlich derjenigen Gruppengesellschaften, die nach § 2 Abs. 6 LkSG in ihren eigenen Geschäftsbereich einbezogen sind, Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, DB 2022, 238, 244: In diesem Fall sind die unmittelbaren Zulieferer der jeweiligen Gruppengesellschaften im Rahmen der Prüfung wie eigene unmittelbare Zulieferer der Muttergesellschaft zu behandeln. 52 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 233.

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nahme stets zu einer Beendigung der Verletzung führen, so dass insoweit ein konkreter Beendigungserfolg geschuldet ist. Betrifft die Verletzung den eigenen Geschäftsbereich im Ausland oder den Geschäftsbereich einer konzernangehörigen Tochtergesellschaft i.S.d. § 2 Abs. 6 S. 3 LkSG, genügt es, wenn die Abhilfemaßnahme „in der Regel“ zur Beendigung der Verletzung führt (§ 7 Abs. 1 LkSG). Der Hintergrund für diese Differenzierung liegt in dem genannten Grundsatz, dass die Anstrengungen des Unternehmens zur Beendigung der Verletzung umso größer sein müssen, je näher das Unternehmen der drohenden oder bereits eingetretenen Verletzung steht und je mehr es dazu beiträgt.53 Im eigenen Geschäftsbereich steht das Unternehmen in einem so engen Zusammenhang zu dem Risiko, dass von ihm erwartet werden kann, die Verletzung zu beenden.54 Das gilt jedenfalls, soweit sich der eigene Geschäftsbereich im Inland befindet. Soweit ausländische Standorte oder Tochtergesellschaften des verpflichteten Unternehmens betroffen sind, sind die tatsächlichen und rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten des verpflichteten Unternehmens im Vergleich dazu indes begrenzter. Das zeigt sich für deutsche Tochtergesellschaften in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft beispielsweise bereits daran, dass das Recht des faktischen Konzerns (§§ 311 ff. AktG) kein Weisungsrecht der Konzernobergesellschaft gegenüber der faktisch abhängigen Tochtergesellschaft kennt.55 Die begrenzten Einwirkungsmöglichkeiten des verpflichteten Unternehmens rechtfertigen es, in diesen Fällen im Hinblick auf Abhilfemaßnahmen von der starren Verpflichtung auf einen Beendigungserfolg abzusehen und es stattdessen genügen zu lassen, wenn die Abhilfemaßnahme „in der Regel“ zur Beendigung der Verletzung führt.56 Schließlich muss sich das einzurichtende unternehmensinterne Beschwerdever- 26 fahren namentlich auf die Meldung solcher menschenrechtlicher oder umweltbezogener Risiken sowie die Verletzung entsprechender Pflichten erstrecken, die im eignen Geschäftsbereich eingetreten sind (§ 8 Abs. 1 LkSG). Zu guter Letzt spielt die Ebene des eigenen Geschäftsbereichs auch für die Überprüfung der Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen eine zentrale Rolle: So sind ergriffene Präventionsmaßnahmen und Abhilfemaßnahmen sowie das unternehmensinterne Beschwerdeverfahren anlassbezogen etwa dann auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen, wenn das verpflichtete Unternehmen mit einer wesentlich veränderten oder wesentlich erweiterten Risikolage im eigenen Geschäftsbereich rechnen muss – was etwa bei der Einführung neuer Produkte, Projekte oder eines neuen Geschäftsfelds der Fall sein kann (vgl. § 6 Abs. 5, § 7 Abs. 4, § 8 Abs. 5 LkSG). 53 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 48; Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 107; Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 5 Rz. 8. 54 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 48. Siehe daneben Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 107. 55 Vgl. statt aller Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 311 Rz. 10. 56 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BTDrucks. 19/30505, 39 f.; Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3083.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten b) Der Geschäftsbereich des unmittelbaren Zulieferers 27 Der Geschäftsbereich des unmittelbaren Zulieferers wird im Hinblick auf die

Sorgfaltspflichten des LkSG dem eigenen Geschäftsbereich weitgehend gleichgestellt, so dass die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten im Ausgangspunkt ähnlich weit gehen. So hat sich die im Rahmen des Risikomanagements (§ 4 LkSG) anzustellende Risikoanalyse in gleichem Maße auch auf menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken bei einem unmittelbaren Zulieferer zu erstrecken (§ 5 Abs. 1 LkSG). Die bei Auftreten eines Risikos zu ergreifenden Präventionsmaßnahmen gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer unterscheiden sich im Vergleich zu Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich indes u.a. dadurch, dass – anders als etwa im Rahmen des § 6 Abs. 3 Nr. 2 LkSG – die zu ergreifenden Präventionsmaßnahmen gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer keinen zu erreichenden Verhinderungs- oder Minimierungserfolg vorsehen (vgl. den Maßnahmenkatalog in § 6 Abs. 4 LkSG).

28 Auch gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer sind Abhilfemaßnahmen zu er-

greifen, wenn bei diesem die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht bereits eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht (§ 5 Abs. 1 LkSG). Anders als bei Abhilfemaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich müssen Abhilfemaßnahmen gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer aber weder stets noch „in der Regel“ zu einem Beendigungs- oder Minimierungserfolg führen. Das LkSG erkennt vielmehr an, dass dem verpflichteten Unternehmen im Hinblick auf die Möglichkeiten zur Einwirkung auf einen unmittelbaren Zulieferer, bei dem eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht bereits eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht, Grenzen gesetzt sind: Kann das verpflichtete Unternehmen die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht durch einen unmittelbaren Zulieferer nicht in absehbarer Zeit beenden, so genügt die Erstellung und Umsetzung eines Konzepts zur Beendigung oder Minimierung der Verletzung (§ 7 Abs. 2 LkSG). Wenn auch die Umsetzung des Konzepts keine Abhilfe bewirkt, ist als ultima ratio bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen der Abbruch der Geschäftsbeziehung zu dem unmittelbaren Zulieferer geboten (§ 7 Abs. 3 LkSG). Auch dahinter steht der sich aus dem Angemessenheitsprinzip des § 3 Abs. 2 LkSG ergebende Grundsatz der Korrelation zwischen den Anforderungen an die Sorgfaltspflicht und der Nähe sowie dem Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens zur bzw. auf die Verletzung.

29 Was schließlich das unternehmensinterne Beschwerdeverfahren anbelangt, so ist

dieses in gleicher Weise auf die Meldung von menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken sowie die Verletzung entsprechender Pflichten zu erstrecken, die bei einem bzw. durch einen unmittelbaren Zulieferer eingetreten sind (§ 8 Abs. 1 LkSG). Im Hinblick auf die Überprüfung der Wirksamkeit der getroffenen Abhilfe- und Präventionsmaßnahmen sowie des unternehmensinternen Beschwerdeverfahrens bildet zuletzt auch eine wesentlich veränderte oder wesentlich erweiterte Risikolage bei einem unmittelbaren Zulieferer einen Anlass für die Durchführung von Überprüfungsmaßnahmen (vgl. § 6 Abs. 5, § 7 Abs. 4, § 8 Abs. 5 LkSG). 302

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Sorgfaltspflichten | § 3

c) Der Geschäftsbereich des mittelbaren Zulieferers Die geringsten Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des verpflichteten 30 Unternehmens gelten im Hinblick auf das Handeln eines mittelbaren Zulieferers. Auch hinter dieser Abstufung steht letztlich der bereits erwähnte Korrelationsgrundsatz des Angemessenheitsprinzips: Zu einem mittelbaren Zulieferer unterhält das verpflichtete Unternehmen – anders als zu einem unmittelbaren Zulieferer – keine vertragliche Beziehung (vgl. § 2 Abs. 7 LkSG: „Partner eines Vertrages“), so dass es grds. an originären rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten des verpflichteten Unternehmens auf den mittelbaren Zulieferer fehlt, die erhöhte Sorgfaltspflichten des verpflichteten Unternehmens auch im Hinblick auf das Handeln eines mittelbaren Zulieferers rechtfertigen würden. Das LkSG reagiert auf die verminderten Einwirkungsmöglichkeiten des ver- 31 pflichteten Unternehmens auf den mittelbaren Zulieferer dergestalt, dass dieser nicht per se, sondern nur anlassbezogen in das Risikomanagement zu integrieren ist. Der Maßnahmenkatalog des LkSG im Hinblick auf Risiken und Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich und beim unmittelbaren Zulieferer ist in Bezug auf einen mittelbaren Zulieferer lediglich dann zu ergreifen, wenn einem verpflichteten Unternehmen tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne einer substantiierten Kenntnis vorliegen, die die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht bei dem entsprechenden mittelbaren Zulieferer als möglich erscheinen lassen (§ 9 Abs. 2 und 3 LkSG).57 Liegt eine derartige substantiierte Kenntnis vor, ist unverzüglich eine Risikoanalyse durchzuführen. Darüber hinaus sind angemessene Präventionsmaßnahmen gegenüber dem Verursacher sowie Abhilfemaßnahmen in Form der Erstellung und Umsetzung eines Konzepts zur Verhinderung, Beendigung oder Minimierung der Verletzung zu ergreifen. Gegebenenfalls ist die Grundsatzerklärung zu aktualisieren (vgl. § 9 Abs. 3 LkSG). Das unternehmensinterne Beschwerdeverfahren ist demgegenüber schließlich – unabhängig von einer substantiierten Kenntnis – so einzurichten, dass Meldungen im Hinblick auf bei einem mittelbaren Zulieferer entstandene menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken oder Verletzungen entsprechender Pflichten ermöglicht werden (§ 9 Abs. 1 LkSG). Den im Vergleich zum mittelbaren Zulieferer erhöhten Sorgfaltsanforderungen 32 im Hinblick auf unmittelbare Zulieferer kann sich ein verpflichtetes Unternehmen nicht schlicht dadurch entziehen, dass es einen unmittelbaren Zulieferer formal zum mittelbaren Zulieferer macht, indem es einen Dritten – der bei Lichte besehen beispielsweise keiner nennenswerten eigenen Wirtschaftstätigkeit nachgeht oder der keine auf Dauer angelegte Präsenz in Gestalt von Geschäftsräumen, Personal oder Ausrüstungsgegenständen unterhält58 – zwischenschaltet. Derartigen Umgehungsversuchen begegnet das LkSG im Hinblick auf die 57 Siehe zu den praktischen Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Frage, wann eine pflichtenauslösende Kenntnis im konkreten Fall gegeben ist, Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237. 58 Siehe zu diesen Kriterien RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 44 f.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten anzustellende Risikoanalyse (§ 5 Abs. 1 S. 2 LkSG) sowie die zu ergreifenden Abhilfemaßnahmen (§ 7 Abs. 1 S. 2 LkSG) dadurch, dass der formal mittelbare Zulieferer als unmittelbarer Zulieferer gilt und dementsprechend die erhöhten Sorgfaltsanforderungen im Hinblick auf unmittelbare Zulieferer auch in Bezug auf den formal mittelbaren Zulieferer zur Anwendung gelangen.

III. Das Prinzip der Angemessenheit gem. § 3 Abs. 2 LkSG 1. Regelungsinhalt und -zweck 33 § 3 Abs. 2 LkSG statuiert das für die Sorgfaltspflichten des LkSG zentrale Prin-

zip der Angemessenheit und legt die maßgeblichen Faktoren und Kriterien zur Beurteilung der Angemessenheit des Handelns fest.59 Nach diesem Prinzip sind die Sorgfaltspflichten des LkSG lediglich in angemessener Weise zu beachten.60 Durch diesen Angemessenheitsvorbehalt wird letztlich der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebende verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz umgesetzt.61 Mit dem öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darf das Angemessenheitsprinzip des LkSG aber nicht einfach gleichgesetzt werden. Zwar ist die Angemessenheit neben der Geeignetheit und Erforderlichkeit ein zentraler Baustein des öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Allerdings entstammt der öffentlich-rechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der staatsrechtlichen Grundrechtsdogmatik und bezieht sich dort auf ein staatliches Handeln, dem durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt werden. Das Angemessenheitsprinzip des LkSG 59 Siehe zur Bedeutung des Angemessenheitsprinzips für die Sorgfaltspflichten nach dem LkSG etwa Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 145: „Die Regelung des § 3 Abs. 2 ist von hoher Wichtigkeit und macht das Lieferkettengesetz für die Unternehmen überhaupt erst umsetzbar, indem ein flexibler Rahmen gesetzt wird, innerhalb dessen der konkrete Pflichtenmaßstab von der individuellen Unternehmens- und Risikosituation abhängt.“ 60 Der Kommissionsvorschlag für eine Lieferkettensorgfaltspflichtenrichtlinie, 2022/0051 (COD), verwendet demgegenüber in den Erwägungsgründen überwiegend den Begriff der „geeigneten“ Maßnahmen (bzw. Schritte), die das verpflichtete Unternehmen zur Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten nach dem Kommissionsvorschlag zu ergreifen habe (so Erwägungsgründe 15, 25, 29, 33, 38, 57). Eine „geeignete Maßnahme“ wird dabei beschrieben als eine „Maßnahme, mit der die Ziele der Sorgfaltspflicht erreicht werden können, die dem Schweregrad und der Wahrscheinlichkeit der negativen Auswirkungen entspricht und die dem Unternehmen nach vernünftigem Ermessen zur Verfügung steht, wobei den Umständen des Einzelfalls, einschließlich der Besonderheiten des Wirtschaftszweigs, der spezifischen Geschäftsbeziehung und des diesbezüglichen Einflusses des Unternehmens, sowie der Notwendigkeit, die Priorisierung der Maßnahmen sicherzustellen, Rechnung getragen wird“ (so Erwägungsgrund 29). Abweichend davon wird teilweise aber in den Erwägungsgründen an manchen Stellen auch auf den Angemessenheitsbegriff rekurriert (so etwa in Erwägungsgründe 27, 39, 58, 59). 61 Vgl. Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 910; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 80; Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 2 Rz. 69.

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Sorgfaltspflichten | § 3

betrifft nun aber dem umgekehrten Fall, indem es sich auf die Handlungsmöglichkeiten des verpflichteten Unternehmens bezieht und diese erweitert. Das Angemessenheitsprinzip des LkSG dient mithin dem Schutz des verpflichteten Unternehmens, denn es führt spiegelbildlich zu einer immanenten Beschränkung der Sorgfaltspflichten:62 Den Sorgfaltspflichten genügt ein verpflichtetes Unternehmen nicht erst dann, wenn es sämtliche auch nur theoretisch denkbaren Maßnahmen zur Verhinderung menschenrechtlicher oder umweltbezogener Risiken oder zur Beendigung bzw. Minimierung von Verletzungen entsprechender Pflichten in bestmöglichem Umfang ergreift. Die Sorgfaltspflichten werden vielmehr schon dadurch erfüllt, dass diejenigen Maßnahmen ergriffen werden, die nach den Umständen des konkreten Einzelfalls angemessen sind. Gegenüber der von § 276 BGB geforderten (und objektiv zu bestimmenden) „verkehrsüblichen Sorgfalt“ bedeutet das eine erhebliche Abschwächung.63 Der Umfang der im Rahmen der Sorgfaltspflichten zu ergreifenden Maßnahmen ist dementsprechend in den §§ 4 bis 10 LkSG nicht starr festgelegt, sondern vielmehr für jeden Einzelfall anhand der in § 3 Abs. 2 LkSG genannten Faktoren und Kriterien zu beurteilen.64 Aus der die Anforderungen an die Erfüllung der Sorgfaltspflichten begrenzenden 34 Funktion des Angemessenheitsprinzips ergibt sich zugleich der auf die verpflichteten Unternehmen gerichtete Schutzzweck des Prinzips: Das Angemessenheitsprinzip dient dem Schutz der verpflichteten Unternehmen vor unzumutbaren Belastungen und Anstrengungen sowie einem unverhältnismäßigen Aufwand im Zusammenhang mit der Erfüllung der Sorgfaltspflichten des LkSG. Ganz in diesem Sinne führt die Regierungsbegründung zum LkSG aus, das LkSG vermeide zusätzliche Belastungen für kleine und mittlere Unternehmen und beschränke sich auf Anforderungen an Großunternehmen, die „praktikabel, verhältnismäßig und ohne übermäßigen bürokratischen Aufwand“ umzusetzen seien.65 Die Beschränkung von Sorgfaltspflichten durch das Prinzip der Angemessenheit 35 ist kein spezifisches Novum des LkSG. Es findet sich vielmehr bereits in den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, die Vorbild für die Ausgestaltung der Sorgfaltspflichten durch das LkSG waren. In 62 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 232 sprechen insofern zutreffend vom Angemessenheitsprinzip als dem „wichtigste[n] Schutz von Unternehmen gegen die „Ausuferung“ des Pflichtenkatalogs.“ Wohl auch Schäfer, ZLR 2022, 22, 45; s. auch Wagner/ Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2146: „Korrektiv“; Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 910: „entscheidender Korrekturfaktor, um die Pflichten praktisch handhabbar zu gestalten“, Angemessenheitsvorbehalt als „wesentlicher Baustein, mit dem die sich aus dem Sorgfaltsgesetz ergebenen Rechtspflichten für betroffene Unternehmen auf ein verhältnismäßiges Maß beschränkt werden können.“; ebenso Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 2 Rz. 59. 63 Vgl. Dohrmann, CCZ 2021, 265, 270; s. auch Ehmann/Berg, GWR 2021, 287, 288; Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 145. 64 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BTDrucks. 19/30505, 37. 65 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 23.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten deren Ziff. 15 wird gefordert, Wirtschaftsunternehmen sollten über Grundsätze und Verfahren verfügen, „die ihrer Größe und ihren Umständen angemessen“ sind.66 In der Kommentierung der Leiprinzipien wird in gleichem Sinne ausgeführt, um nachteiligen menschenrechtlichen Auswirkungen zu begegnen, sei es erforderlich, „angemessene Maßnahmen zur ihrer Prävention, Milderung und, bei Bedarf, Wiedergutmachung zu ergreifen“.67 In der Regierungsbegründung zum LkSG findet sich schließlich der Hinweis, in den Leitprinzipien – deren Umsetzung das LkSG dient – sei die Erwartung an Unternehmen formuliert, „mit Bezug auf ihre Größe, Branche und Position in der Lieferkette in angemessener Weise die menschenrechtlichen Risiken in ihren Liefer- und Wertschöpfungsketten zu ermitteln, ihnen zu begegnen, darüber zu berichten und Beschwerdeverfahren zu ermöglichen.“68 36 Was den konkreten Kriterienkatalog anbelangt, wie er in § 3 Abs. 2 LkSG nie-

dergelegt ist, so findet auch dieser einen Vorgänger in den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen: Nach Ziff. 19 lit. b) nehmen angemessene Maßnahmen unterschiedliche Formen an, abhängig davon, (i) „ob das Wirtschaftsunternehmen eine nachteilige Auswirkung verursacht oder dazu beiträgt, oder ob es lediglich daran beteiligt ist, weil die Auswirkung wegen einer Geschäftsbeziehung unmittelbar mit seiner Geschäftstätigkeit, seinen Produkten oder seinen Dienstleistungen verbunden ist“ oder (ii) „welches Einflussvermögen [das Wirtschaftsunternehmen] besitzt, der nachteiligen Auswirkung zu begegnen.“69 a) Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die geeigneten Maßnahmen

37 Durch das Angemessenheitsprinzip soll dem verpflichteten Unternehmen aus-

weislich der Regierungsbegründung zum LkSG der „notwendige flexible Ermessens- und Handlungsspielraum bei der Auswahl der geeigneten Maßnahmen“ eingeräumt werden.70 Dabei kann es sich zwar nicht um ein Ermessen im Sinne der Dogmatik des öffentlich-rechtlichen Verwaltungsrechts handeln. Denn zum einen wird der Spielraum durch das LkSG nicht einer Behörde oder einem anderen Hoheitsträger, sondern dem verpflichteten Unternehmen eingeräumt. Zum anderen betrifft das Merkmal der Angemessenheit den Tatbestand der Sorgfalts66 Vgl. Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, Ziff. 15, S. 18. 67 Vgl. Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, Ziff. 11, S. 15. 68 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 1. 69 Vgl. Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, Ziff. 19, S. 24. 70 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42; s. auch Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2146; Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 2 Rz. 74, § 5 Rz. 4; Dohrmann, CCZ 2021, 265, 270; s. allgemein auch Beckers, ZfPW 2021, 222, 235 f. Der Kommissionsvorschlag für eine Lieferkettensorgfaltspflichtenrichtlinie, 2022/ 0051 (COD), verwendet in den Erwägungsgründen den Begriff des „vernünftigen Ermessens“ (vgl. Erwägungsgründe 15, 25, 57).

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pflichten und nicht deren Rechtsfolgen. Mit dem Angemessenheitsprinzip geht allerdings ein einer Einschätzungsprärogative vergleichbarer Beurteilungsspielraum des Geschäftsführungsorgans im Hinblick auf die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit und damit auf die Frage einher, welche Maßnahme in welcher Form angemessen und daher zu ergreifen ist.71 Nur so kann dem mit dem Angemessenheitsprinzip verfolgten Zweck der Einräumung eines „Ermessenspielraums“ bei der Auswahl der geeigneten Maßnahmen Rechnung getragen werden.72 Der Beurteilungsspielraum erstreckt sich dabei nicht nur auf die Auswahl der geeigneten Maßnahmen, sondern auch auf die Intensität dieser Maßnahmen, sprich: auf die Intensität der Bemühungen.73 Überschritten wird der Beurteilungsspielraum erst, wenn die Einschätzung des Geschäftsführungsorgans offensichtlich unzutreffend ist und damit unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheint. Das ist der Fall, wenn die vom Geschäftsführungsorgan des verpflichteten Unternehmens ausgewählte Maßnahme offensichtlich ungeeignet oder nicht ausreichend ist, um den menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken oder Verletzungen entsprechender Pflichten zu begegnen. Der dem verpflichteten Unternehmen eingeräumte Beurteilungsspielraum ist 38 insbesondere von Seiten der Verwaltung (mithin dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Aufsichtsbehörde, § 19 LkSG) und der Gerichte anzuerkennen und zu respektieren.74 Das Angemessenheitsprinzip bewirkt inso71 Für einen Beurteilungsspielraum auch DAV-Ausschüsse zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, NZG 2021, 546, 550; Harings/Jürgens, RdTW 2021, 297, 299. 72 Der Bundesrat empfahl im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens die Aufnahme der folgenden der Business Judgement Rule des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG nachgebildeten Klausel in § 3 LkSG: „Eine Verletzung von Sorgfaltspflichten liegt nicht vor, wenn das Unternehmen bei der Ermittlung oder Bewertung von Risiken oder Maßnahmen vernünftigerweise davon ausgehen durfte, dass sein Handeln auf der Grundlage angemessener Information die Kriterien des Abs. 2 Nr. 1 bis 4 ausreichend berücksichtigt.“ (Empfehlungen des Bundesrats, BR-Drucks. 239/1/21, S. 6 f.; ebenso die VCI-Eingabe „BAFA-Dialogprozess zur Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes am 26.10.2021“, Stand: 18.10.2021, S. 3). Ähnlich schlugen die DAV-Ausschüsse vor, § 3 Abs. 2 LkSG um folgende Regelung zu ergänzen: „Eine Verletzung von Sorgfaltsplichten liegt nicht vor, wenn das Unternehmen unter Berücksichtigung dieser Kriterien vernünftigerweise davon ausgehen durfte, in angemessener Weise zu handeln.“, vgl. DAV-Ausschüsse zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, NZG 2021, 546, 550. Diese Empfehlungen wurden im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens (leider) nicht umgesetzt. 73 Vgl. Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 5 Rz. 4. Siehe dazu auch FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4. 2022), unter VI.3.: „Das Angemessenheitsprinzip gibt einem Unternehmen einen großen Spielraum bei der Entscheidung, welche Risiken es zuerst angeht und welche Maßnahmen dabei sinnvoll sind.“ 74 Vgl. auch FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VI.3. und XIV.2.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten fern eine Absenkung der gerichtlichen und behördlichen Kontrolldichte75: Dem Gericht und der Behörde ist es verwehrt, die vom verpflichteten Unternehmen getroffene Entscheidung über die Auswahl der geeigneten Maßnahmen und deren Intensität materiell in allen Einzelheiten nachzuprüfen und dabei die eigene Beurteilung anstelle der vom verpflichteten Unternehmen angestellten Beurteilung zu setzen. Dementsprechend ist nicht das eigene Urteil des Gerichts oder der Behörde darüber maßgeblich, welche Maßnahme das verpflichtete Unternehmen in der konkreten Situation hätte vornehmen müssen. Gericht und Behörde haben im Rahmen ihrer Entscheidungen vielmehr lediglich zu prüfen, ob die Grenzen des Beurteilungsspielraums im konkreten Fall überschritten wurden, d.h. das Gericht bzw. die Behörde muss nachweisen, dass sich das konkrete Verhalten des verpflichteten Unternehmens nicht mehr im Rahmen des Angemessenen bewegte. Das erfordert gerade nicht, dass sich das verpflichtete Unternehmen aus Sicht des Gerichts bzw. der Aufsichtsbehörde bestmöglich verhielt, es genügt, wenn es sich im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten bewegte, die noch als angemessen gelten können. In zeitlicher Hinsicht hat das Gericht und die Behörde dabei eine ex-ante-Perspektive einzunehmen: Zu prüfen ist, ob das verpflichtete Unternehmen ex ante, d.h. zum Zeitpunkt der Entscheidung, angemessen gehandelt hat. Keineswegs dürfen Gericht oder Behörde die getroffene Unternehmensentscheidung aus ex-post-facto-Sicht hinterfragen.76 b) Keine Gleichsetzung von (Un-)Angemessenheit und Unmöglichkeit 39 In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales wird im

Zusammenhang mit dem Angemessenheitsprinzip ausgeführt, es sei klar, dass von keinem verpflichteten Unternehmen etwas rechtlich und tatsächlich Unmögliches verlangt werden dürfe. Das Unternehmen habe seine Sorgfaltspflichten erfüllt, auch wenn es seine gesamte Lieferkette nicht nachverfolgen oder bestimmte Präventions- oder Abhilfemaßnahmen nicht vornehmen konnte, weil dies tatsächlich oder rechtlich unmöglich gewesen wäre. Als Fall der rechtlichen Unmöglichkeit nennt die Beschlussempfehlung dabei die Konstellation, dass mit einem Verhalten gegen geltendes Recht verstoßen würde.77 So ist etwa in manchen Ländern die Bildung von Gewerkschaften verboten, so dass eine vollständige Vermeidung des menschenrechtlichen Risikos nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 LkSG in Bezug auf diese Länder schon aus Rechtsgründen unmöglich ist.78 Faktische 75 Ebenso Stellungnahme des Gesamtverbands der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie e.V. zum Gesetzentwurf für ein „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ vom 5.3.2021, S. 8: („eingeschränkter Überprüfungsbzw. Ermessensspielraum der zuständigen Behörde“). 76 Das dient der Vermeidung von Rückschaufehlern, vgl. zum Ganzen FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VI.3. und XIV.2. 77 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BTDrucks. 19/30505, 37. 78 Siehe zu diesem Beispiel etwa Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 2 Rz. 61.

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Unmöglichkeit könne nach der Regierungsbegründung zum LkSG beispielsweise bei fehlender Einflussmöglichkeit anzunehmen sein. Als Beispiel wird insofern der Fall genannt, dass ein Unternehmen – trotz angemessenen Bemühens – den Ursprung eines in seinem Produkt verarbeiteten Rohstoffs nicht zurückverfolgen kann, etwa, weil der Rohstoff nur über internationale Rohstoffbörsen bezogen werden konnte.79 Die Ausführungen der Beschlussempfehlung zur immanenten Begrenzung sämt- 40 licher Handlungspflichten durch den Gedanken der Unmöglichkeit sind zwar richtig, sie gehen jedoch am Gehalt des Angemessenheitsprinzips vorbei: Statuiert ein Gesetz eine Rechtspflicht des Rechtsunterworfenen, so ist diese Pflicht von vornherein durch das Prinzip der Unmöglichkeit begrenzt, d.h. die Rechtspflicht erstreckt sich schon im Ausgangspunkt nicht auf Fälle, in denen es dem Rechtsunterworfenen – etwa mangels rechtlich gesicherter Einflussmöglichkeiten auf einen Dritten – unmöglich ist, die Pflicht zu erfüllen.80 Dieses Prinzip ist jeder gesetzlichen Rechtspflicht immanent und bedarf keiner expliziten Erwähnung im Gesetzestext. Denn eine Norm, die den Rechtsunterworfenen zu etwas verpflichtet, was ihm unmöglich ist, verstieße bereits gegen die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG. Eine derartige Norm wäre nicht verhältnismäßig, weil sie schon nicht geeignet wäre, das mit ihr verfolgte legitime Ziel zu verwirklichen – schließlich könnte der Regelungsadressat dem Normbefehl nicht nachkommen.81 Darüber hinaus konfligierte eine derartige Norm mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot der Widerspruchsfreiheit des Rechts82 sowie dem anerkannten Grundsatz des impossibilium nulla obligatio est. Vor diesem Hintergrund verpflichtet das LkSG – wie jede andere pflichten- 41 begründende Norm – von vornherein nicht zur Ergreifung von Maßnahmen, die dem verpflichteten Unternehmen unmöglich wären. Dieser Grundsatz würde gleichermaßen auch dann gelten, wenn der Gesetzgeber das Angemessenheitsprinzip nicht in das LkSG aufgenommen hätte. Die explizite Begrenzung der Sorgfaltspflichten des § 3 Abs. 1 LkSG durch das darin niedergelegte Angemessenheitsprinzip macht nun aber deutlich, dass mit der Begrenzung durch die „Angemessenheit“ mehr gemeint ist, als die bloße Begrenzung durch das 79 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BTDrucks. 19/30505, 37. 80 Siehe zum Folgenden bereits Mader, Der Informationsfluss im Unternehmensverbund, 2016, S. 270 f. 81 Das Kriterium der Geeignetheit verlangt, dass nur solche Mittel eingesetzt werden, mit denen der gewünschte Erfolg erreicht oder gefördert werden kann, vgl. BVerfG v. 16.3. 1971 – 1 BvR 52, 665, 667, 754/66, BVerfGE 30, 292, 316 = NJW 1971, 1255; BVerfG v. 20.6.1984 – 1 BvR 1494/78, BVerfGE 67, 157, 173, 175 = NJW 1985, 121; BVerfG v. 10.4. 1997 – 2 BvL 45/92, BVerfGE 96, 10, 23 = NVwZ 1997, 1109. 82 Das Gebot der Widerspruchsfreiheit des Rechts verlangt, dass die Rechtsordnung keine sich widersprechenden Verhaltensbefehle erteilt, vgl. dazu BVerfG v. 7.5.1998 – 2 BvR 1876/91, 2 BvR 1083/91, 2 BvR 2188/91, 2 BvR 2200/92, 2 BvR 2624/94, BVerfGE 98, 83, 97 = NJW 1998, 2346; BVerfG v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991/95, 2 BvR 2004/95, BVerfGE 98, 106, 118 f. = NJW 1998, 2341.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten Prinzip der Unmöglichkeit. Das Angemessenheitsprinzip setzt dementsprechend schon vor der Unmöglichkeit an und begrenzt die Handlungspflichten des verpflichteten Unternehmens über diejenigen Maßnahmen hinaus, die ihm ohnehin unmöglich sind. Anders gewendet: Das Angemessenheitsprinzip bezieht sich auf Maßnahmen, die dem verpflichteten Unternehmen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht möglich wären und schränkt die Pflicht zur Ergreifung derartiger – möglicher – Maßnahmen ein. Um es an dem von der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales angeführten Beispiel der Rohstoffbörsen zu verdeutlichen: Der Sorgfaltspflicht des verpflichteten Unternehmens ist nicht erst dann genügt, wenn die Zurückverfolgung des Ursprungs eines verarbeiteten Rohstoffs (rechtlich oder tatsächlich) unmöglich ist. Abhängig vom konkreten Einzelfall kann die Sorgfaltspflicht vielmehr etwa bei einem kleineren (verpflichteten) Unternehmen bereits dann angemessen erfüllt sein, wenn die Zurückverfolgung des Ursprungs des Rohstoffs zwar möglich wäre, aber einen Aufwand erforderte, der im Verhältnis zu den (geringeren) Kapazitäten des kleineren Unternehmens zu einer unverhältnismäßigen Belastung des kleineren Unternehmens führen würde (vgl. das Kriterium des Umfangs der Geschäftstätigkeit in § 3 Abs. 2 Nr. 1 LkSG). 42 Die zwingende Differenzierung zwischen (Un-)Angemessenheit und Unmög-

lichkeit findet schließlich auch in der Regierungsbegründung zum LkSG einen Anklang. Im Hinblick auf die Abgrenzung der Bemühens- von den Erfolgspflichten findet sich dort der Hinweis, ein verpflichtetes Unternehmen müsse nachweisen können, dass es diejenigen Sorgfaltspflichten umgesetzt habe, die vor dem Hintergrund des individuellen Kontextes „machbar und angemessen“ sind. Auch dadurch wird deutlich, dass die Sorgfaltspflichten durch das Angemessenheitsprinzip in größerem Umfang beschränkt werden, als sie es durch den Unmöglichkeitsgedanken ohnehin sind.83 c) Geltung für sämtliche Sorgfaltspflichten des LkSG

43 Das Angemessenheitsprinzip bezieht sich auf sämtliche Sorgfaltspflichten des

LkSG und begrenzt diese entsprechend. Das hat der Gesetzgeber in der Regierungsbegründung ausdrücklich festgestellt.84 Die §§ 4 bis 9 LkSG nehmen dementsprechend in ihrem jeweiligen Wortlaut durch Verwendung des Wortes „angemessen“ auf das Angemessenheitsprinzip Bezug und inkorporieren damit zugleich die Kriterien des § 3 Abs. 2 LkSG.

44 Das betrifft zunächst § 4 Abs. 1 und 4 LkSG im Hinblick auf die Pflicht zur Ein-

richtung eines „angemessenen“ Risikomanagements und dessen Verankerung in alle maßgeblichen Geschäftsabläufe durch „angemessene“ Maßnahmen sowie zur „angemessenen“ Berücksichtigung der Interessen der Beschäftigten und der 83 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 41. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drucks. 19/30505, 37, wiederholt dies: „im Rahmen des konkret Machbaren und Angemessenen“. 84 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42, 51.

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Sorgfaltspflichten | § 3

in sonstiger Weise durch das wirtschaftliche Handeln Betroffenen bei der Errichtung und Umsetzung des Risikomanagementsystems. Nach § 5 Abs. 1 und 2 LkSG ist im Rahmen des Risikomanagements eine „angemessene“ Risikoanalyse durchzuführen, innerhalb derer die ermittelten Risiken „angemessen“85 zu gewichten und zu priorisieren sind. In gleichem Sinne sind gem. § 6 Abs. 1, 3 und 4 LkSG „angemessene“ Präventionsmaßnahmen zu ergreifen und zu verankern. Im Hinblick auf einen unmittelbaren Zulieferer erfordert das u.a. die vertragliche Zusicherung des unmittelbaren Zulieferers, dass dieser die menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Erwartungen entlang seiner Lieferkette „angemessen“ adressiert (§ 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG) sowie die Vereinbarung „angemessener“ vertraglicher Kontrollmechanismen mit dem unmittelbaren Zulieferer (vgl. § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG). Nach § 7 Abs. 1 LkSG sind ferner „angemessene“ Abhilfemaßnahmen zu ergreifen und nach § 8 Abs. 1 LkSG ist ein „angemessenes“ unternehmensinternes Beschwerdeverfahren einzurichten. Gemäß § 9 Abs. 3 Nr. 2 LkSG sind schließlich im Hinblick auf mittelbare Zulieferer „angemessene“ Präventionsmaßnahmen gegenüber dem Verursacher zu verankern. Die Regierungsbegründung verweist in diesem Zusammenhang explizit darauf, wie bei allen Sorgfaltspflichten des LkSG sei „auch hinsichtlich des mittelbaren Zulieferers das Prinzip der Angemessenheit nach § 3 Absatz 2 handlungsleitend“.86 Bei dem Angemessenheitsprinzip handelt es sich vor diesem Hintergrund um 45 das zentrale, übergreifende Prinzip, das sich durch sämtliche Sorgfaltspflichten des LkSG zieht bzw. diesen zugrunde liegt und als Instrument für deren Begrenzung dient. Es ist daher als Gegenstück und notwendiges Korrelat zu der nahezu uferlos weiten Formulierung der Sorgfaltspflichten in §§ 4 bis 9 LkSG zu verstehen, die vor unbestimmten Rechtsbegriffen nur so strotzen. d) Angemessenheitsprinzip als Grundlage für Reduzierung von Sorgfaltspflichten Im Schrifttum machen sich bereits erste Tendenzen breit, die uferlose Weite der 46 Sorgfaltspflichten zugunsten der verpflichteten Unternehmen zu beschränken. So wird davon ausgegangen, das verpflichtete Unternehmen treffe allenfalls reduzierte Sorgfaltspflichten, wenn es keinerlei Anhaltspunkte gibt, dass auch nur ein Risiko von Menschenrechtsverletzungen und einer Missachtung grundlegender Umweltstandards besteht. Die Vertreter dieser Ansicht gestatten dem verpflichteten Unternehmen mit guten Gründen insbesondere, eine angemessene de-minimis-Jahresumsatzschwelle in Bezug auf die jeweiligen unmittelbaren Zulieferer festzulegen, ab derer Präventionsmaßnahmen bei unmittelbaren Zulieferern vorzunehmen sind.87 Dieser Ansicht ist beizupflichten: Das 85 Die Regierungsbegründung verweist insofern explizit darauf, maßgebliche Kriterien für die Priorisierung seien „die in § 3 Abs. 2 genannten Kategorien der Angemessenheit“, vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42. 86 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 51. 87 Grundlegend Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 235, 240.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten Angemessenheitsprinzip und dessen beschränkende Funktion bieten einen fruchtbaren dogmatischen Boden für die Annahme reduzierter Sorgfaltspflichten bei fehlendem Risiko. e) Priorisierungsrecht als Ausfluss des Angemessenheitsprinzips 47 Das Angemessenheitsprinzip bringt für die verpflichteten Unternehmen na-

mentlich auch in zeitlicher Hinsicht Entlastungen mit sich. Den verpflichteten Unternehmen steht ein Recht zur Priorisierung von Risiken als bedeutender Ausfluss des Angemessenheitsprinzips zu (vgl. auch § 5 Abs. 2 LkSG): Es wird vom verpflichteten Unternehmen nicht verlangt, alle menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken, die es identifiziert hat, gleichzeitig und damit sofort anzugehen. Das verpflichtete Unternehmen kann sich vielmehr in einem ersten Schritt auf die wesentlichen Risiken konzentrieren. In der Konsequenz können die übrigen – nicht prioritären – Risiken zurückgestellt werden, ohne dass insofern eine Verletzung der Sorgfaltspflichten anzunehmen wäre.88

48 Die Priorisierung der Risiken hat das verpflichtete Unternehmen anhand der in

§ 3 Abs. 2 LkSG aufgeführten Kriterien vorzunehmen.89 Die Priorisierung könnte demnach etwa maßgeblich an der Schwere des identifizierten Risikos90 in Verbindung mit einem relevanten Verursachungsbeitrag des verpflichteten Unternehmens (z.B. großes Einkaufsvolumen eines bestimmten Rohstoffes) aus88 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter II.2. und II.3. Das Priorisierungsrecht wird auch in den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen hervorgehoben, vgl. OECD (2011): OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, unter II.16.: „In Fällen, in denen Unternehmen zahlreiche Zulieferer haben, werden sie dazu angehalten, globale Tätigkeitsbereiche zu identifizieren, in denen das Risiko des Aufkommens negativer Effekte am bedeutendsten ist, und auf der Grundlage dieser Risikoeinschätzung die Zulieferer für eine Due-Diligence-Prüfung zu priorisieren.“ Ebenso OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 17 „Wo es nicht praktikabel ist, alle festgestellten Effekte sofort und gleichzeitig zu beheben, sollte ein Unternehmen die Reihenfolge der zu ergreifenden Maßnahmen abhängig von der Wahrscheinlichkeit und Schwere des negativen Effekts priorisieren. Sobald die schwerwiegendsten negativen Effekte bestimmt und beseitigt wurden, sollte sich das Unternehmen weniger schwerwiegenden Effekten zuwenden.“ 89 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VIII.3. 90 Die OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct bezeichnen die „Schwere eines möglichen negativen Effekts“ als den „entscheidenden Faktor bei der Priorisierung von Maßnahmen“, z.B. wenn eine verzögerte Reaktion den Effekt unumkehrbar machen würde, vgl. OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 17, 29, 47 („Die OECD-Leitsätze für MNU besagen, dass im Falle von Menschenrechten die Schwere bei der Priorisierung ein wichtigerer Faktor als die Wahrscheinlichkeit ist. Wo daher Priorisierung notwendig ist, sollten Unternehmen mit den potenziell schwersten negativen Effekten auf Menschenrechte beginnen, um anzuerkennen, dass eine verzögerte Reaktion die Umkehrbarkeit des Effekts gefährden könnte.“).

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gerichtet werden.91 Wesentliche Bedeutung kann darüber hinaus beispielsweise auch dem Aspekt des Einflussvermögens des verpflichteten Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher eingeräumt werden.92 Dem verpflichteten Unternehmen steht insofern ein weiter Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung zu, welche der identifizierten Risiken es vertieft betrachtet bzw. zuerst angeht und welche Maßnahmen dabei sinnvoll sind.93 2. Der Kriterienkatalog des § 3 Abs. 2 LkSG § 3 Abs. 2 LkSG benennt die maßgeblichen Kriterien, anhand derer die Reich- 49 weite und der Umfang der einzelnen Sorgfaltspflichten zu ermitteln ist. In sprachlicher Verknappung führt die Regierungsbegründung zum LkSG insofern aus, § 3 Abs. 2 LkSG benenne die wesentlichen Kriterien für eine angemessene Ausgestaltung des Risikomanagements. Das bedeutet nicht etwa, dass die übrigen Sorgfaltspflichten (wie die Durchführung von Risikoanalysen und die Ergreifung von Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie die Einrichtung eines unternehmensinternen Beschwerdeverfahrens) ausgenommen sein sollen (s. dazu bereits Rz 43 f.). Die übrigen Sorgfaltspflichten sind vielmehr Bestandteile des Risikomanagements, was etwa aus § 5 Abs. 1 S. 1 LkSG für die Durchführung von Risikoanalysen „im Rahmen des Risikomanagements“ ersichtlich wird. a) Grundlagen aa) Unbestimmtheit und Folgen für die Rechtsanwendung Die in § 3 Abs. 2 LkSG genannten Kriterien sind nur wenig konkret; ganz 50 überwiegend handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, denen sich weniger konkrete Vorgaben und Maßstäbe denn abstrakte Prinzipien entnehmen lassen.94 Insbesondere geben die Kriterien weder ein bestimmtes Prüf- oder Testverfahren vor, noch lässt sich ihnen eine zwingende Prüf- oder Testreihenfolge entnehmen. Das hat zur Folge, dass sich kaum abstrakte Grundsätze zur näheren Konkretisierung der Angemessenheit eines Handelns im Kontext des LkSG entwickeln lassen. Die Frage, was angemessen ist, ist vielmehr eine Frage, die nur im konkreten Einzelfall beantwortet werden kann. Die Regierungsbegründung zum LkSG bringt das treffend zum Ausdruck, indem sie darauf hinweist, es hänge maßgeblich von der individuellen Unternehmens- und Risikosituation ab, welche Risiken das verpflichtete Unternehmen wie adressieren 91 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VIII.3. 92 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter II.3. 93 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VI.3. und VIII.3. 94 Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 109 sprechen von einer „nur vagen Ausgestaltung der konkreten Sorgfaltspflichten.“

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§ 3 | Sorgfaltspflichten müsse.95 Für die verpflichteten Unternehmen geht mit diesem Umstand – gepaart mit der Vielzahl der weiteren in den §§ 4 bis 9 LkSG niedergelegten unbestimmten Rechtsbegriffe – eine erhebliche rechtliche Unsicherheit einher, die angesichts der Bußgeldbewehrung (§ 24 LkSG) von Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten des LkSG besonders misslich ist.96 Für den Rechtsanwender bedeutet dies, Zurückhaltung bei der Entwicklung weitreichender Handlungspflichten des verpflichteten Unternehmens zu üben und die §§ 4 bis 9 LkSG im Zweifel restriktiv auszulegen.97 Insofern gilt es, sich die beschränkende Funktion sowie den Zweck des Angemessenheitsprinzips in Erinnerung zu rufen: Das Angemessenheitsprinzip dient dem Schutz der verpflichteten Unternehmen vor unzumutbaren Belastungen und Anstrengungen sowie einem unverhältnismäßigen Aufwand im Zusammenhang mit der Erfüllung der Sorgfaltspflichten des LkSG. Die Anforderungen an ein angemessenes Handeln dürfen deshalb nicht übersteigert werden. Nur durch eine derartige Handhabung des Angemessenheitsprinzips kann das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Schaffung eines „klaren, verhältnismäßigen und zumutbaren gesetzlichen Rahmen[s] zur Erfüllung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten“98 erfüllt werden. bb) Kriterienübergreifende Prinzipien 51 § 3 Abs. 2 LkSG benennt in Nr. 1 bis 4 LkSG verschiedene Kriterien, die sich

aber nicht völlig trennscharf voneinander unterscheiden lassen, sondern vielmehr häufig im Sinne einer Korrelation miteinander zusammenhängen. Zwar knüpfen die Kriterien an verschiedene Umstände an – so etwa Nr. 1, 2 und 4 an Eigenschaften des verpflichteten Unternehmens und Nr. 3 an die Verletzung – aus ihnen lassen sich aber nichtsdestotrotz übergreifende Prinzipien ableiten, die eine erste Konkretisierung der Anforderungen an die Angemessenheit eines Handelns ermöglichen. Die Regierungsbegründung leitet insofern aus dem Kriterienkatalog zusammenfassend folgende Grundprinzipien ab:

52 „[J]e stärker die Einflussmöglichkeit eines Unternehmens ist, je wahrscheinlicher

und schwerer die zu erwartende Verletzung der geschützten Rechtsposition und je größer der Verursachungsbeitrag eines Unternehmens ist, desto größere Anstrengungen können einem Unternehmen zur Vermeidung oder Beendigung einer Verletzung zugemutet werden. Je anfälliger eine Geschäftstätigkeit nach Produkt und 95 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42. 96 Vgl. dazu Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 145: „Problematisch ist natürlich die Offenheit des Begriffs der „Angemessenheit“, nicht zuletzt, weil eine falsche Einschätzung der Frage, was „angemessen“ ist, haftungsbegründend wirkt.“ Siehe daneben auch Harings/ Jürgens, RdTW 2021, 297, 299; Becker/Buschfeld, RAW 2022, 32, 37; Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 231; Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 76; J. Schmidt, EuZW 2021, 273, 274. 97 Ähnlich Diskussionspapier zu Rechts- und Umsetzungsfragen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes des Verbands der Chemischen Industrie e.V., Stand: 18.3.2022, S. 34. 98 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 2.

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Produktionsstätte für menschenrechtliche Risiken ist, desto wichtiger ist die Überwachung der Lieferkette.“99 Die wesentlichen übergeordneten Faktoren, die Einfluss auf die Bestimmung 53 der Angemessenheit haben, lassen sich demnach einteilen in Faktoren, die an ein bestehendes Risiko oder eine Verletzung anknüpfen bzw. ein solches voraussetzen und in Faktoren, die unabhängig davon sind, ob ein entsprechendes Risiko oder gar eine Verletzung bereits eingetreten ist. Die erste Kategorie bilden die übergreifenden Aspekte der Nähe des verpflichteten Unternehmens zum Risiko bzw. zur Verletzung einerseits und der Wahrscheinlichkeit und der Auswirkungen einer Verletzung andererseits: Je näher das verpflichtete Unternehmen dem Risiko bzw. der Verletzung steht, desto höher sind die Anforderungen an eine angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten. Eine solche Nähe kann sich dabei aus der Art und dem Umfang der Geschäftstätigkeit des verpflichteten Unternehmens (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 LkSG), aus dem Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG) oder aus der Art des Verursachungsbeitrags des verpflichteten Unternehmens (§ 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG) ergeben. Aus dem Aspekt der Nähe folgt, dass einem verpflichteten Unternehmen bei abstrakter Betrachtung für vom unmittelbaren Zulieferer hervorgerufene Risiken oder verursachte Verletzungen strengeren Sorgfaltsanforderungen unterliegt als es für den mittelbaren Zulieferer der Fall ist.100 Im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und die Auswirkungen einer Verletzung steigen die Anforderungen an eine angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten, je wahrscheinlicher und schwerwiegender eine Verletzung ist (§ 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG). Die zweite Kategorie bildet der übergreifende Aspekt der Anfälligkeit der Geschäftstätigkeit nach Produkt- und Produktionsstätte für Risiken oder Verletzungen, mithin die Risikoaffinität des konkreten verpflichteten Unternehmens. Diese bezieht sich in erster Linie auf die Art und den Umfang der Geschäftstätigkeit des verpflichteten Unternehmens und ist daher in § 3 Abs. 2 Nr. 1 LkSG zu verorten.101 Das verpflichtete Unternehmen hat insofern im Wege einer Bestandsaufnahme der eigenen Lieferkette und Tätigkeit zu ermitteln, wie hoch sein Risikoprofil ist. Je höher die Risikoaffinität des verpflichteten Unternehmens ist, desto mehr Anstrengungen können ihm zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten nach dem LkSG zugemutet werden.102 cc) Abschließender Charakter des Kriterienkatalogs? Ob der Kriterienkatalog des § 3 Abs. 2 LkSG abschließend ist mit der Folge, dass 54 andere als die dort genannten Kriterien nicht zur Bestimmung der angemessenen Beachtung der Sorgfaltspflichten herangezogen werden könnten, ist auf 99 100 101 102

Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42. Vgl. Wagner/Ruttloff/Wagner/Hahn, CB 2021, 89, 92. Siehe Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 15 f. Vgl. Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 15 f.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten Grundlage des Gesetzeswortlauts unklar. Zwar spricht der Verzicht auf die Verwendung des Begriffs „insbesondere“ im Wortlaut des § 3 Abs. 2 LkSG für einen abschließenden Charakter des niedergelegten Kriterienkatalogs. Auch wäre die Zulassung weiterer, nicht ausdrücklich in § 3 Abs. 2 LkSG vorgesehener Kriterien mit Abstrichen bei der Rechtssicherheit verbunden, weil zur bestehenden rechtlichen Unsicherheit über die Auslegung der in den explizit genannten Kriterien verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe die rechtliche Unsicherheit darüber hinzuträte, welche weiteren ungeschriebenen Kriterien maßgeblich sein sollen. Diese Umstände rechtfertigen es bei Lichte besehen allerdings nicht, das Angemessenheitsprinzip starr auf die in § 3 Abs. 2 LkSG niedergelegten Kriterien zu beschränken. Insofern ist vielmehr zu differenzieren: Die in § 3 Abs. 2 LkSG niedergelegten Kriterien enthalten bei Lichte besehen zuvörderst Erwartungshaltungen des Gesetzgebers an die verpflichteten Unternehmen. So liegt etwa § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG die immanente Erwartung zugrunde, das verpflichtete Unternehmen möge seinen etwaigen Einfluss auf den unmittelbaren Verursacher ausüben, um Risiken oder Verletzungen zu begegnen.103 Vor diesem Hintergrund können die in § 3 Abs. 2 LkSG niedergelegten Kriterien auch als pflichtenbegründende Treiber verstanden werden. Soweit das verpflichtete Unternehmen den darin zugrunde liegenden Erwartungen gerecht wird, handelt es zugleich angemessen im Sinne des § 3 Abs. 1 LkSG. Als pflichtenbegründende Treiber müssen die im Kriterienkatalog des § 3 Abs. 2 LkSG enthaltenen Kriterien als grundsätzlich abschließend angesehen werden. Sähe man dies anders, bestünde die Gefahr, dass sich die entlastende Wirkung des Angemessenheitsprinzips zugunsten des verpflichteten Unternehmens in ihr Gegenteil verkehrt. Ausnahmen sind nur für solche Kriterien zuzulassen, die zwar nicht explizit in § 3 Abs. 2 LkSG niedergelegt sind, sich aber klar aus dem LkSG, der Regierungsbegründung zum LkSG oder den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschen103 Siehe dazu etwa auch die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, Kommentar zu Ziff. 19, S. 25: „Besitzt das Wirtschaftsunternehmen Einflussvermögen zur Verhütung oder Milderung der nachteiligen Auswirkung, sollte es dieses ausüben.“ Ebenso OECD (2011): OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, unter IV.43.: „Um der in Ziffer 3 enthaltenen Erwartung gerecht zu werden, sollte ein Unternehmen, das allein oder gegebenenfalls in Kooperation mit anderen Unternehmenseinheiten/Stellen handelt, seinen Einfluss nutzen, um auf den Verursacher der negativen menschenrechtlichen Auswirkungen mit dem Ziel einzuwirken, die fraglichen Auswirkungen zu verhindern oder zu mindern.“ Siehe auch OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 32, 81: „In Fällen, in denen ein Unternehmen zu den von einem anderen Rechtsträger verursachten negativen Effekten oder Risiken beiträgt, sollte es wie oben beschrieben die nötigen Schritte einleiten, um seinen Beitrag zu beenden oder zu vermeiden, sowie Einflussmöglichkeiten aufbauen und nutzen, um alle verbleibenden negativen Effekte im größtmöglichen Maße zu mindern. […] Im größtmöglichen Umfang Einflussmöglichkeiten nutzen, um die Geschäftsbeziehung(en) zur Vermeidung oder Minderung von negativen Effekten und Risiken zu bewegen. […] Nutzen von Einflussmöglichkeiten, um im möglichen Rahmen Änderungen in den Praktiken des Verursachers der negativen Effekte herbeizuführen.“

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rechte der Vereinten Nationen bzw. dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien als gesetzliche Vorbilder für die Sorgfaltspflichten des LkSG herleiten lassen und damit im System des LkSG angelegt sind. Nach diesen Maßgaben ist als ungeschriebenes Kriterium, das bei der Bestim- 55 mung der Angemessenheit des Handelns berücksichtigt werden kann, eine etwaige hoheitlich geprägte Gesellschafterstruktur des verpflichteten Unternehmens anzuerkennen. Ein verpflichtetes Unternehmen, das im (zumindest nahezu) alleinigen Besitz der öffentlichen Hand ist, kann daher tendenziell erhöhten Sorgfaltspflichten unterliegen, denn die öffentliche Hand ist an die Grundrechte sowie an die in den Grundrechten verkörperten Menschenrechte unmittelbar gebunden und sie trifft auch entsprechende Schutzpflichten.104 Gleiches gilt, wenn es sich bei dem verpflichteten Unternehmen um ein öffentlichrechtliches Unternehmen handelt.105 Den Weg weist insofern der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien, der betont, dass ein Wirtschaftsunternehmen einer besonderen Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte unterliegt, wenn es unter staatlicher Kontrolle steht oder seine Handlungen anderweitig dem Staat zugeordnet werden können.106 Vor dem Hintergrund der klaren Aussage im Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien 104 Siehe zu den staatlichen Schutzpflichten in diesem Zusammenhang etwa den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien, S. 11. 105 Siehe zur Anwendbarkeit des LkSG auf öffentlich-rechtliche Unternehmen etwa FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter III.4.; Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 231. 106 Siehe den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien, S. 18: „Steht ein Wirtschaftsunternehmen unter staatlicher Kontrolle (d.h. mittels einer unmittelbaren Mehrheitsbeteiligung) oder können seine Handlungen anderweitig dem Staat zugeordnet werden, unterliegt dieses nach den VN-Leitprinzipien einer besonderen Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte.“ Siehe daneben den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien, S. 9: „Die Bundesregierung berücksichtigt den Schutz der Menschenrechte im Wirtschaftskontext besonders dann, wenn […] Unternehmen sich in staatlichem Eigentum befinden.“ In gleichem Sinne Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, Ziff. 4, S. 7 f.: „Steht ein Wirtschaftsunternehmen unter staatlicher Kontrolle oder können seine Handlungen anderweitig dem Staat zugeordnet werden, kann Verletzungen der Menschenrechte durch das Wirtschaftsunternehmen bedeuten, dass der Staat gegen seine eigenen völkerrechtlichen Verpflichtungen verstößt. Je näher ein Wirtschaftsunternehmen dem Staat steht oder je mehr es auf behördliche oder steuerliche Unterstützung angewiesen ist, desto stärker sind die politischen Beweggründe des Staates, sicherzustellen, dass das Unternehmen die Menschenrechte achtet. […] In Anbetracht dieser Risiken sollten Staaten die Einrichtungen selbst und die von ihnen geförderten Wirtschaftsunternehmen oder Projekte zur Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Menschenrechte anhalten und ihnen dies gegebenenfalls zur Auflage machen.“

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§ 3 | Sorgfaltspflichten wäre zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber dieses Kriterium explizit in § 3 Abs. 2 LkSG aufnimmt. Weil das Kriterium über den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien im Bauplan des LkSG angelegt ist, kann es aber trotz der fehlenden expliziten Aufnahme in den Gesetzestext bei der Bestimmung der Angemessenheit des Handelns berücksichtigt werden. 56 Neben dem pflichtenbegründenden Aspekt wohnt dem Angemessenheitsprin-

zip auch ein pflichtenbeschränkender Aspekt inne (s. dazu bereits ausführlich Rz. 33 ff.). Das Angemessenheitsprinzip hat schon nach seiner allgemeinen, öffentlich-rechtlich geprägten, Dogmatik auch eine Schrankenfunktion, indem es das Maß der vom verpflichteten Unternehmen an den Tag zu legenden Sorgfalt beschränkt. Dieser pflichtenbeschränkende Aspekt ist nicht in § 3 Abs. 2 LkSG verortet und daher auch nicht vom grundsätzlich abschließenden Charakter der Vorschrift erfasst. Als allgemeiner, dem Angemessenheitsprinzip innewohnender, Aspekt gilt dieser vielmehr auch ohne eine explizite gesetzliche Ausformung. Der abschließende Charakter des Kriterienkatalogs des § 3 Abs. 2 LkSG schließt demnach nicht aus, bei der Bestimmung der Angemessenheit des Handelns zugunsten des verpflichteten Unternehmens solche Aspekte zu berücksichtigen, die der Schrankenfunktion des Angemessenheitsprinzips zuzuordnen sind.

57 Der Schrankenfunktion des Angemessenheitsprinzips zuzuordnen sind nament-

lich Aspekte der Unverhältnismäßigkeit. Bei der Bestimmung der Angemessenheit zu berücksichtigen ist damit etwa der Aufwand, der mit der Vornahme einer bestimmten Maßnahme zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten verbunden wäre. Dieser Aspekt findet auch einen deutlichen Wiederhall in der Regierungsbegründung zum LkSG. Diese führt an zentraler Stelle an, der Gesetzesentwurf beschränke sich auf Anforderungen, die „praktikabel, verhältnismäßig und ohne übermäßigen bürokratischen Aufwand umzusetzen“ seien.107 Dementsprechend wirkt ein unverhältnismäßig hoher Aufwand, der durch die Vornahme einer bestimmten Maßnahme verursacht würde, im Hinblick auf die angemessene Erfüllung der Sorgfaltspflichten anforderungsbegrenzend. Dieser Aspekt kann namentlich in Fällen Bedeutung erlangen, in denen ein verpflichtetes (Groß-)Unternehmen über eine nahezu unüberschaubare Zahl unmittelbarer Zulieferer verfügt.108 Um in derartigen Konstellationen dem gesetzgeberischen Ziel der Vermeidung eines übermäßigen Aufwands gerecht werden zu können, bedarf es der Berücksichtigung des ungeschriebenen Aspekts des Aufwands, um sachgerechte Ergebnisse erzielen zu können. Denn es liegt auf der Hand, dass sich ein Unternehmen mit zehntausenden unmittelbaren Zulieferern selbst bei entspre107 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 23. 108 Siehe dazu etwa auch OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 68: „Für viele, insbesondere größere Unternehmen ist es unmöglich, tatsächliche oder potenzielle negative Effekte in allen Geschäftstätigkeiten und Geschäftsbeziehungen zu bewerten.“

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chender Unternehmensgröße aus Kapazitätsgründen nicht um jeden unmittelbaren Zulieferer in gleichem Maße kümmern kann, wie es einem Unternehmen mit nur zehn unmittelbaren Zulieferern möglich wäre.109 dd) Bestimmung der Angemessenheit durch Abwägung der Kriterien Die Kriterien des § 3 Abs. 2 LkSG enthalten eine Vielzahl unbestimmter Rechts- 58 begriffe. Sie geben weder ein bestimmtes Prüf- oder Testverfahren vor, noch lässt sich ihnen eine zwingende Prüf- oder Testreihenfolge entnehmen (s. dazu bereits Rz. 50). Vor diesem Hintergrund ist auf Basis des Gesetzeswortlauts unklar, wie die Angemessenheit im konkreten Fall anhand der Kriterien zu bestimmen ist. In Ermangelung spezifischer gesetzlicher Vorgaben müssen nach hier vertretener Ansicht zur Bestimmung der angemessenen Beachtung der Sorgfaltspflichten des LkSG im konkreten Fall sämtliche der in § 3 Abs. 2 LkSG niedergelegten Kriterien (sowie etwaige ungeschriebene Kriterien) geprüft und schließlich im Sinne der Herstellung praktischer Konkordanz gegeneinander abgewogen werden.110 Eine solche Abwägung wird erforderlich, wenn die Prüfung ergibt, dass einzelne der Kriterien im konkreten Fall anforderungserhöhend wirken, andere dagegen anforderungssenkend. Gleiches gilt, wenn zwar alle Kriterien im Ausgangspunkt anforderungserhöhend bzw. -senkend wirken, dies allerdings in unterschiedlichem Maße. Abstrakte Leitlinien für diese Abwägung lassen sich dabei nur eingeschränkt aufstellen, weil es sich bei der Abwägung um eine Entscheidung im Einzelfall handelt, die maßgeblich auf den konkreten Einzelfallumständen beruht, und das Gesetz darüber hinaus keinerlei Vorgaben dazu enthält, wie die einzelnen Kriterien zu gewichten sind. Als grobe Richtschnur lässt sich lediglich festhalten, dass vom verpflichteten Unternehmen umso stärkere Bemühungen an den Tag zu legen sind, je mehr der Kriterien und je deutlicher die Kriterien vorliegen.111 Eine mathematische Genauigkeit kann bei der Abwägung naturgemäß weder ge- 59 fordert noch an den Tag gelegt werden; vielmehr gilt es, die einzelnen Kriterien wertend einander gegenüberzustellen. Das ist mit großer (Rechts-)Unsicherheit verbunden. Vor dem Hintergrund des mit dem Angemessenheitsprinzip 109 Dieser Gedanke klingt auch in den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, Kommentar zu Ziff. 17, S. 21 an: „Umfasst die Wertschöpfungskette eines Wirtschaftsunternehmens zahlreiche Einheiten, kann es unter Umständen unzumutbar schwierig sein bei allen Sorgfaltspflicht in Bezug auf nachteilige menschenrechtliche Auswirkungen walten zu lassen.“ 110 Für eine Abwägung auch FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VI.3. („Beachtet ein Unternehmen diese Kriterien und wägt sie plausibel gegeneinander ab, bevor es einzelne Maßnahmen der Sorgfaltspflicht ergreift, dann hat es alles Erforderliche getan […].“) und XIV.2. („So hat das Unternehmen nachzuweisen, nach welchen Kriterien es die Risiken bewertet und seine Maßnahmen ergriffen hat. Der unternehmensinterne Abwägungsprozess muss dabei plausibel und für das BAFA nachvollziehbar sein.“). 111 Vgl. Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 2 Rz. 66.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten verfolgten Zwecks der Einräumung eines Beurteilungsspielraums bei der Auswahl der geeigneten Maßnahmen (s. dazu Rz. 37 f.) ist dem Geschäftsführungsorgan des verpflichteten Unternehmens bei der Abwägung ein großer Spielraum zuzubilligen. Dieser ist erst dann überschritten, wenn die getroffene Abwägungsentscheidung offensichtlich fehlerhaft bzw. unter keinem Gesichtspunkt vertretbar ist. 60 Das Gesetz enthält keinerlei Vorgaben dazu, wie die einzelnen Kriterien zu ge-

wichten sind. Vor diesem Hintergrund kann im Rahmen der Abwägung grundsätzlich keinem der in der Vorschrift niedergelegten (oder der ungeschriebenen) Kriterien per se eine übergeordnete Bedeutung dergestalt zukommen, dass das eine Kriterium stets die anderen Kriterien schlagen würde. Im Ausgangspunkt sind vielmehr alle Kriterien gleichermaßen beachtlich.112 Allerdings finden einzelne der Kriterien zugleich Rückhalt in anderen Kriterien bzw. ihr Gewicht wird aufgrund der Interdependenzen der verschiedenen Kriterien durch weitere Kriterien verstärkt. Das gilt namentlich für die Unternehmensgröße, der zuvörderst im Rahmen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 LkSG Bedeutung zukommt, die als wichtiger Faktor aber auch darüber hinaus im Rahmen der § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 4 LkSG Bedeutung erlangt (s. dazu näher Rz. 71).113 b) Die einzelnen Kriterien aa) Art und Umfang der Geschäftstätigkeit des verpflichteten Unternehmens (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 LkSG)

61 Die Kriterien des § 3 Abs. 2 Nr. 1 LkSG knüpfen an die Geschäftstätigkeit des

verpflichteten Unternehmens an: Je anfälliger diese nach Art und Umfang ist, die geschützten Rechtspositionen oder umweltbezogenen Pflichten zu verletzen, desto umfassender müssen die zu ergreifenden Maßnahmen ausfallen.114 Die anfängliche – d.h. unabhängig von dem Bestehen eines Risikos oder einer Verletzung anzustellende – Bewertung der Risikoaffinität des verpflichteten Unternehmens ist (nur) anhand dieses Kriteriums anzustellen.115

(1) Art der Geschäftstätigkeit 62 Das Kriterium der Art der Geschäftstätigkeit bezieht sich im Wesentlichen auf

die aus der Beschaffenheit des jeweiligen Produkts oder dessen Herstellung herrührenden Produktrisiken und Verfahrensrisiken (dazu Rz. 63), den sich aus der Branchen- und Sektorzugehörigkeit des verpflichteten Unternehmens herrührenden Sektorrisiken (dazu Rz. 65) sowie auf die operative und strategische 112 Vgl. Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 2 Rz. 67. 113 Dagegen möchte Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 2 Rz. 67 im Zweifel dem Kriterium der Schwere und der Wahrscheinlichkeit der Verletzung (§ 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG) „besondere Bedeutung“ schenken. 114 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42. 115 Siehe Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 15 f.

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Ausrichtung des verpflichteten Unternehmens, insbesondere auf die geographische Struktur von dessen Geschäftstätigkeit (dazu Rz. 66).116 Die Anknüpfung an die Art der Geschäftstätigkeit umfasst zunächst die Be- 63 schaffenheit der von dem verpflichteten Unternehmen vertriebenen Produkte oder Dienstleistungen und deren Herstellung.117 Zu fragen ist insofern, ob sich im Zusammenhang mit der Herstellung der Produkte nach deren jeweiliger Beschaffenheit oder der Erbringung der Dienstleistungen typischerweise oder jedenfalls im konkreten Fall Risiken für eine geschützte Rechtsposition i.S.d. § 2 Abs. 1 LkSG ergeben. Je eher das der Fall ist, desto höher sind die Anforderungen an eine angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten. Die Anknüpfung an die Beschaffenheit der von dem verpflichteten Unternehmen hergestellten Produkte oder Dienstleistungen bedeutet zugleich, dass die Anforderungen an die angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten mit zunehmender Vielfalt der vom verpflichteten Unternehmen angebotenen Leistungen steigen kann.118 Denn je größer das Leistungsangebot ist, desto wahrscheinlicher kann es jedenfalls bei abstrakter Betrachtung sein, dass sich das verpflichtete Unternehmen mit menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken konfrontiert sieht. Das gilt jedenfalls, soweit es sich um unterschiedliche Leistungen (Produkte oder Dienstleistungen) handelt, die voneinander zu trennen sind und nicht (oder nur kaum) miteinander zusammenhängen. Dabei ist zu beachten, dass jede der geschützten Rechtspositionen einzeln in 64 den Blick zu nehmen ist. Ist die Herstellung der Produkte oder die Erbringung der Dienstleistungen etwa typischerweise mit menschenrechtlichen Risiken verbunden, so führt dieser Umstand nicht dazu, dass die Anforderungen an eine angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten auch im Hinblick auf den Umgang mit umweltbezogenen Risiken steigen (sofern sich aus der Herstellung der Produkte oder der Erbringung der Dienstleistungen nicht für sich betrachtet auch umweltbezogene Risiken ergeben). Diese auf die jeweilige geschützte Rechtsposition fokussierte Betrachtung kann zur Folge haben, dass sich das Kriterium der Art der Geschäftstätigkeit im Hinblick auf eine Rechtsposition anforderungssenkend auswirkt, während es in Bezug auf eine andere Rechtsposition zu einer Erhöhung der Anforderungen an eine angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten führt. So entstehen etwa bei typisierender, abstrakter Betrachtung im Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen in Form von reinen Beratungsleistungen regelmäßig keine umweltbezogenen Risiken. Dagegen kann das Risiko eines Verstoßes gegen Vorschriften zur Arbeitszeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 lit. c LkSG) etwa im Falle des Outsourcings bestimmter 116 Eine ähnliche Einteilung liegt den OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct zugrunde, vgl. OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 65. 117 Vgl. Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 16. 118 Siehe dazu RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42, in der die „Vielfalt der erbrachten Leistungen“ als Faktor bei der Bestimmung der Art der Geschäftstätigkeit genannt wird.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten Tätigkeiten an ausländische Standorte in diesem Bereich durchaus Bedeutung gewinnen. Für ein verpflichtetes Unternehmen in Form eines Beratungsunternehmens kann das dementsprechend zur Folge haben, dass es im Hinblick auf arbeitszeitbezogene Risiken höhere Sorgfaltspflichten zu beachten hat als im Hinblick auf umweltbezogene Risiken. Für ein verpflichtetes Unternehmen, das im Bereich der chemischen Industrie tätig ist, kann demgegenüber gerade Gegenteiliges gelten. 65 Eng mit der Beschaffenheit der von dem verpflichteten Unternehmen hergestell-

ten Produkte oder Dienstleistungen zusammen hängt der wirtschaftliche Sektor, in dem das verpflichtete Unternehmen tätig ist. Auch dieser findet im Rahmen des Kriteriums der Art der Geschäftstätigkeit Beachtung. Zu fragen ist insofern, ob in dem jeweiligen Sektor typischerweise erhöhte menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken vorzufinden sind. So ergeben sich innerhalb bestimmter Wirtschaftssektoren bei typisierender Betrachtung höhere Risiken für eines der geschützten Rechtspositionen als in anderen Sektoren. Verpflichtete Unternehmen, die in einem derartigen Sektor tätig sind, sind damit anfälliger für derartige Risiken, was zu höheren Anforderungen an die angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten (allerdings nur in Bezug auf das Risiko für die einzelne jeweilige geschützte Rechtsposition) führt. Die Regierungsbegründung zum LkSG nennt als Sektoren, in denen deutsche Unternehmen in besonderer Weise mit menschenrechtlichen Herausforderungen in ihren Lieferketten konfrontiert sind, insbesondere die Branchen Automobil, Maschinenbau, Metallindustrie, Chemie, Textilien, Nahrungs- und Genussmittel, Groß- und Einzelhandel, Elektronikindustrie und Energieversorger.119 Vor diesem Hintergrund dürfte die Zugehörigkeit eines verpflichteten Unternehmens zu einem dieser Wirtschaftszweige auf Grundlage der aus der Regierungsbegründung hervorgehenden Ansicht des Gesetzgebers tendenziell im Hinblick auf den Umgang mit menschenrechtlichen Risiken anforderungserhöhend wirken. Das gilt namentlich für die vom Gesetzgeber besonders hervorgehobene Textilindustrie, in der teilweise „exzessive Überstunden sowie fehlende Mindestpausenregelungen und Arbeitszeit119 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 23. Der Kommissionsvorschlag für eine Lieferkettensorgfaltspflichtenrichtlinie, 2022/0051 (COD), S. 42, Erwägungsgrund 22 nennt als „Sektoren mit hohem Schadenspotential“ weitergehend die folgenden Sektoren: „Herstellung von Textilien, Leder und verwandten Erzeugnissen (einschließlich Schuhe) sowie Großhandel mit Textilien, Bekleidung und Schuhen; Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei (einschließlich Aquakultur), Herstellung von Lebensmittelprodukten und Großhandel mit landwirtschaftlichen Rohstoffen, lebenden Tieren, Holz, Lebensmitteln und Getränken; Gewinnung mineralischer Ressourcen, unabhängig davon, wo sie gewonnen werden (einschließlich Rohöl, Erdgas, Steinkohle, Braunkohle, Metalle und Metallerze sowie aller anderen, nichtmetallischen Mineralien und Steinbruchprodukte), Herstellung von Grundmetallerzeugnissen, sonstigen Erzeugnissen aus nichtmetallischen Mineralien und Metallerzeugnissen (ausgenommen Maschinen und Ausrüstungen) sowie Großhandel mit mineralischen Rohstoffen, mineralischen Grunderzeugnissen und Zwischenerzeugnissen (einschließlich Metalle und Metallerze, Baustoffe, Brennstoffe, Chemikalien und andere Zwischenprodukte).“

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begrenzungen“ vorzufinden seien.120 Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang zudem der Höhe der Wertschöpfungstiefe in Deutschland zu, die eng mit der Branchenzugehörigkeit des verpflichteten Unternehmens verknüpft ist. Dabei gilt der Grundsatz, dass eine große Höhe der Wertschöpfungstiefe in Deutschland anforderungssenkend wirkt.121 Denn erfahrungsgemäß fallen jedenfalls die menschenrechtlichen Risiken in diesem Bereich eher gering aus122 – was auch die Regierungsbegründung zum LkSG konstatiert.123 Branchen, in denen die Wertschöpfung überwiegend in Deutschland stattfindet, sind etwa regelmäßig die Sektoren „Bergbau und Mineralien“, „Entsorgung“, „Forstwirtschaft“, „Immobilien“ sowie „Wasserversorgung“.124 Die Zugehörigkeit eines Unternehmens zu einer dieser Branchen wird daher in der Regel anforderungssenkend wirken.125 Zur Art der Geschäftstätigkeit zählt schließlich auch die operative und strategi- 66 sche Ausrichtung des verpflichteten Unternehmens. Das betrifft zum einen die Frage der Anzahl der Geschäftsbeziehungen,126 zum anderen die Frage des geographischen Wirkbereichs des verpflichteten Unternehmens: Je vielfältiger die vom verpflichteten Unternehmen unterhaltenen Geschäftsbeziehungen zu Dritten sind und je stärker sich diese Geschäftsbeziehungen auf Länder oder Regionen mit typischerweise erhöhten menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken beziehen, desto höher werden die Anforderungen an die angemessene Beachtung der Sorgfaltspflicht sein. Denn mit steigender Zahl an Geschäftspartnern und an Lieferanten mit Bezug zu Risikoländern oder -regionen steigt typischerweise die Wahrscheinlichkeit, dass es innerhalb der Lieferkette zu menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken kommt. Auch kann mit zunehmender Zahl an Geschäftsbeziehungen und mit zunehmender Ausdehnung des 120 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 37. Siehe in diesem Zusammenhang auch Wagner/Ruttloff/Wagner/Hahn, CB 2021, 89, 92: „[Dass] die Zustände gerade in Textilfabriken in Billiglohnländern immer wieder prekär sind, ist gemeinhin bekannt.“ Siehe auch OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 65 („In der Bekleidungs- und Schuhwarenbranche treten unter anderem häufig Risiken hinsichtlich der Anerkennung von Gewerkschaftsrechten, Arbeitsschutz und geringer Löhne auf. […] So besteht z.B. ein erhöhtes Risiko informeller Beschäftigung und prekärer Arbeit für Textilprodukte mit Perlen- oder Zierstickerei […].“) sowie UN OHCHR (2012): The Corporate Responsibility to Respect Human Rights. An Interpretive Guide, S. 28 („For instance, one of the most typical risks for a toy or footwear company will be involvement in labour rights abuses through its supply chain.“). 121 Vgl. auch Diskussionspapier zu Rechts- und Umsetzungsfragen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes des Verbands der Chemischen Industrie e.V., Stand: 18.3.2022, S. 34. 122 Vgl. dazu auch Diskussionspapier zu Rechts- und Umsetzungsfragen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes des Verbands der Chemischen Industrie e.V., Stand: 18.3. 2022, S. 43. 123 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 26. 124 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 26. 125 Angesichts der weiteren in § 3 Abs. 2 LkSG genannten Kriterien aber zu weitgehend RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 26: „Diese Unternehmen […] dürften praktisch von den Neuregelungen nicht betroffen sein.“ 126 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42; Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 16.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten geographischen Wirkbereichs die Marktmacht des verpflichteten Unternehmens und damit dessen Einflussvermögen auf seine Geschäftspartner steigen, was ebenfalls anforderungserhöhend wirkt (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG). (2) Umfang der Geschäftstätigkeit 67 Der Begriff des Umfangs der Geschäftstätigkeit ist weder gesetzlich definiert,

noch handelt es sich bei ihm um ein übliches oder herkömmliches Größenkriterium. Nach der Regierungsbegründung zum LkSG beziehe sich der Umfang der Geschäftstätigkeit „unter anderem auf die Größe des Unternehmens, auf die Anzahl und Funktion der Beschäftigten, auf das Umsatzvolumen, auf das Anlageund Betriebskapital sowie auf die Produktionskapazität.“127 Problematisch ist insofern, dass diese Begriffe wiederum selbst teilweise unbestimmt sind. So gibt es etwa keinen anerkannten Maßstab zur Bemessung der Unternehmensgröße sowie der Produktionskapazität. Überzeugender dürfte es bei Lichte besehen sein, den Umfang der Geschäftstätigkeit im Wesentlichen anhand der Größe des Unternehmens zu bestimmen und die übrigen in der Regierungsbegründung genannten Faktoren wiederum als Kriterien zur näheren Bestimmung des – für sich betrachtet – abstrakten und unbestimmten Begriffs der Unternehmensgröße zu verstehen. Die für die Bestimmung des Umfangs der Geschäftstätigkeit maßgebliche Unternehmensgröße ist damit anhand der Anzahl (und Funktion) der Beschäftigten, des Umsatzvolumens, des Anlage- und Betriebskapitals sowie (untergeordnet) der Produktionskapazität zu beurteilen.

68 Ob ein Unternehmen nach diesen Aspekten „groß“ ist, kann dabei nicht abs-

trakt, sondern nur für den konkreten Einzelfall durch gegenseitige Abwägung der Aspekte bestimmt werden. Dabei können für verschiedene Risiken jeweils verschiedene Aspekte ein größeres Gewicht erlangen. So wird etwa der Arbeitnehmerzahl besondere Bedeutung zukommen, soweit menschenrechtliche Risiken im eigenen Geschäftsbereich in Rede stehen. Insofern ist allerdings zu beachten, dass die Arbeitnehmerzahl nach der Wertung des § 1 Abs. 1 LkSG ganz erheblich über 3.000 liegen muss, um von einer besonderen Unternehmensgröße ausgehen zu können. Soweit es um Risiken bei einem unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferer (und damit um Risiken innerhalb der Lieferkette) geht, werden demgegenüber etwa typischerweise das Umsatzvolumen und die Produktionskapazitäten für die Bestimmung der Unternehmensgröße relevant sein. Für die Frage, ob ein bestimmtes Umsatzvolumen als hoch einzustufen ist, kann dabei die Wertung aus § 267 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 HGB und damit der Betrag von € 40 Mio. pro Jahr zumindest als Orientierung dienen. Für das Anlage- und Betriebskapital kann § 267 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 sowie Abs. 4a HGB eine – allerdings sehr rudimentäre – Größenordnung bilden.128 127 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42. 128 Siehe in diesem Zusammenhang auch die Empfehlungen des Bundesrats, BR-Drucks. 239/1/21, S. 3 und 5, wonach der Anwendungsbereich des LkSG an einer Kombination aus gesetzlich bereits anerkannten Größenkriterien wie „Bilanzsumme,

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Die Heranziehung der genannten Kriterien zur Bestimmung der Unternehmens- 69 größe steht dabei im Einklang mit Wertungen, die das Gesetz andernorts trifft. So handelt es sich bei der Arbeitnehmerzahl und dem Umsatz zugleich um Kriterien, die für die Einordnung als kleine, mittelgroße oder große Kapitalgesellschaften im bilanziellen Sinne maßgeblich sind (vgl. § 267 HGB). Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einordnung als „große Kapitalgesellschaft“ i.S.d. § 267 Abs. 3 HGB nicht zugleich die Annahme rechtfertigt, es handele sich auch um ein „großes“ verpflichtetes Unternehmen im Sinne des LkSG, das erhöhte Sorgfaltspflichten trifft. Das zeigt sich etwa bereits daran, dass die Eigenschaft einer großen Kapitalgesellschaft nach § 267 Abs. 2 Nr. 3 HGB bereits durch die Beschäftigung von mehr als 250 Arbeitnehmern (soweit weitere Kriterien erfüllt werden) erlangt werden kann. Der Anwendungsbereich des LkSG ist allerdings gem. § 1 Abs. 1 LkSG auf Unternehmen mit mehr als 3.000 (bzw. nach einem Übergangszeitraum mit mehr als 1.000) Arbeitnehmern beschränkt und bringt dadurch zum Ausdruck, dass es sich selbst bei einem Unternehmen mit 3.000 Arbeitnehmern nicht per se um ein großes Unternehmen im Sinne des LkSG handelt. Im Hinblick auf das Kriterium des Umfangs der Geschäftstätigkeit gilt der 70 schlichte Grundsatz, dass die Anforderungen an eine angemessene Beachtung der Sorgfaltspflicht mit der Größe des verpflichteten Unternehmens steigen. Denn mit zunehmender Unternehmensgröße steigen typischerweise auch die Kapazitäten für Maßnahmen zur Erfüllung von Sorgfaltspflichten, über die das Unternehmen verfügt. Einem Großunternehmen können vor dem Hintergrund des Kapazitätsgedankens größere Anstrengungen im Hinblick auf die Vermeidung und Adressierung menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken und Verletzungen entsprechender Pflichten zugemutet werden, als einem Kleinunternehmen.129 Daneben kann eine umfangreiche Geschäftstätigkeit u.U. mit komplexeren Lieferketten verbunden sein, was jedenfalls bei einer Erstreckung der Lieferketten auf Risikoländer oder -regionen wiederum zu einer Zunahme von menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken führen kann.130 Umsatzerlöse und Anzahl der Beschäftigten“ orientiert werden sollte. Der Bundesrat greift demnach augenscheinlich ebenfalls auf die Wertungen des § 267 HGB zurück (freilich im Zusammenhang mit Fragen des Anwendungsbereichs des LkSG). 129 Dieser Gedanke klingt auch in den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, Kommentar zu Ziff. 14, S. 17 an: „Die Mittel, mit denen ein Wirtschaftsunternehmen seiner Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte nachkommt, werden neben anderen Faktoren in entsprechendem Verhältnis zu seiner Größe stehen. Kleine und mittlere Unternehmen besitzen geringere Kapazität und verfügen über informellere Verfahren und Managementstrukturen als größere Unternehmen.“ 130 In eine ähnliche Richtung scheint der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien, S. 9 zu gehen: „Die Größe des Unternehmens, die Branchenzugehörigkeit und die Art der Geschäftstätigkeit haben unmittelbaren Einfluss auf das Risiko menschenrechtlicher Auswirkungen.“ Ähnlich auch UN OHCHR (2012): The Corporate Responsibility to Respect Human Rights. An Interpretive Guide, S. 19 f.: „A large enterprise will have more employees, typically undertake more activities and be engaged in more relationships than a small one. This may increase

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§ 3 | Sorgfaltspflichten 71 Dem Aspekt der Größe des Unternehmens kommt innerhalb des Kriterienkata-

logs des § 3 Abs. 2 LkSG eine hervorgehobene Bedeutung zu.131 Denn das Ansteigen der Unternehmensgröße führt nicht nur regelmäßig zu einer Zunahme von Kapazitäten für Maßnahmen zur Erfüllung von Sorgfaltspflichten und zu einer umfangreicheren Geschäftstätigkeit. Mit der Unternehmensgröße des verpflichteten Unternehmens steigt vielmehr regelmäßig auch das Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher, so dass dem Aspekt der Unternehmensgröße auch im Rahmen des § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG zentrale Bedeutung zukommt.132 Das Kriterium des unternehmerischen Einflussvermögens wiederum ist typischerweise eng mit der Art des Verursachungsbeitrags verknüpft (s. dazu noch näher Rz. 108),133 so dass der Unternehmensgröße schließlich auch über § 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG Gewicht zukommen kann. Die hervorgehobene Bedeutung der Unternehmensgröße zeigt sich auch in den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, die Vorbildwirkung für § 3 LkSG besitzen und daher für dessen Auslegung herangezogen werden können. Um ihrer Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte nachzukommen, sollten Wirtschaftsunternehmen nach Ziff. 15 der Leitprinzipien über Grundsätze und Verfahren verfügen, die „ihrer Größe und ihren Umständen angemessen sind“. Als maßgebliche Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit benennen die Leitprinzipien dementsprechend die Unternehmensgröße einerseits und die (sonstigen) Umstände andererseits.134 Jeden-

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its human rights risks. […] They are more likely than small enterprises to have operations, value chain relationships, clients or customers that span multiple countries, making the implementation and monitoring of standards more challenging. They may have longer and more complex value chains with multiple forms of relationships, some of them entailing more human rights risks than others.“ Tendenziell abweichend aber UN OHCHR (2012): The Corporate Responsibility to Respect Human Rights. An Interpretive Guide, S. 20: „However, size is never the only factor in determining the nature and scale of the processes necessary for an enterprise to manage its human rights risks. The severity of its actual and potential human rights impact will be the more significant factor.“ Siehe dazu RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42. Auch der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien, S. 7, nennt die Größe des Unternehmens (neben der Branchenzugehörigkeit und der Art der Geschäftstätigkeit) als einen der Faktoren, die unmittelbaren Einfluss auf das Risiko menschenrechtlich besonders nachteiliger Auswirkungen haben. Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 43. Auch die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen benennen die Größe des Unternehmens als ein wesentliches Kriterium (neben den weiteren Kriterien der Art und des Kontextes der Geschäftstätigkeit und des Ausmaßes der Risiken von negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte) für die Bestimmung der Reichweite der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht, vgl. OECD (2011): OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, unter IV.5. (sowie unter II.15. und IV.37.); ähnlich OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 18 („Natur und Ausmaß von Due Diligence wird von Faktoren wie der Unternehmensgröße, dem Kontext der Geschäftstätigkeiten, seinem Geschäftsmodell, seiner Position in der Lieferkette sowie der Art der jeweiligen Produkte und Dienstleistungen beeinflusst.“).

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Sorgfaltspflichten | § 3

falls die in § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 4 LkSG aufgeführten Kriterien des Einflussvermögens und der Art des Verursachungsbeitrags dürften in den von Ziff. 15 der Leitprinzipien genannten (sonstigen) Umständen aufgehen, wodurch der strukturelle Vorrang des Aspekts der Unternehmensgröße ersichtlich wird. Die hervorgehobene Bedeutung des Aspekts der Unternehmensgröße bei der 72 Bestimmung der Angemessenheit des Handelns geht allerdings nicht so weit, dass dieser Aspekt als Grundlage für ein eigenes (Lieferketten-)Sonderrecht für kleine Unternehmen dienen könnte. Es liegt zwar auf der Hand, dass die Anforderungen an die angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten des LkSG für einen international agierenden Großkonzern im Ausgangspunkt deutlich höher sind, als für ein lokales mittelständisches Unternehmen, das die Schwelle von 3.000 Arbeitnehmern nur knapp überschreitet. Für ein eigenständiges Sonderrecht für Kleinunternehmen – verstanden als eine strukturelle und abstrakte, d.h. vom Einzelfall losgelöste Absenkung der Anforderungen an eine angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten – bietet das LkSG allerdings nicht genügend Anhaltspunkte. Gegen ein derartiges Sonderrecht spricht bereits der Umstand, dass der Gesetz- 73 geber des LkSG augenscheinlich davon ausgeht, durch die Einführung des Arbeitnehmerschwellenwerts in § 1 Abs. 1 LkSG sei ohnehin gewährleistet, dass das LkSG ohnehin nur auf Großunternehmen anwendbar ist. So führt die Regierungsbegründung zum LkSG etwa im Rahmen der allgemeinen Erläuterung des Entwurfs aus: „Der vorliegende Gesetzentwurf vermeidet zusätzliche Belastungen für kleine und mittlere Unternehmen und beschränkt sich auf Anforderungen an Großunternehmen, die praktikabel, verhältnismäßig und ohne übermäßigen bürokratischen Aufwand umzusetzen sind.“135 Zwar mag mit Fug und Recht bezweifelt werden, dass jedes Unternehmen, das im Inland mehr als 3.000 (bzw. ab dem Jahr 2024: 1.000) Arbeitnehmer beschäftigt, auch materiell ein „Großunternehmen“ ist. Weil es sich bei dem Begriff des „Großunternehmens“ aber um einen untechnischen und unbestimmten Begriff handelt, muss es als legitime gesetzgeberische Wertentscheidung respektiert werden, wenn der Gesetzgeber sämtliche Unternehmen mit Sitz im Inland, die mehr als 3.000 Arbeitnehmer beschäftigen und die damit in den Anwendungsbereich des LkSG fallen, für „Großunternehmen“ hält – zumal in systematischer Hinsicht auch die Eigenschaft einer großen Kapitalgesellschaft nach § 267 Abs. 2 Nr. 3 HGB bereits durch die Beschäftigung von mehr als 250 Arbeitnehmern (soweit weitere Kriterien erfüllt werden) erlangt werden kann. Darüber hinaus spricht gegen ein Sonderrecht für Kleinunternehmen die man- 74 gelnde Bestimmtheit des Begriffs des Kleinunternehmens. Für die Annahme einer strukturellen und abstrakten, d.h. vom Einzelfall losgelösten Absenkung der Anforderungen an eine angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten wäre erforderlich, dass von vornherein Klarheit darüber besteht, wann von einem Kleinunternehmen im Sinne des LkSG auszugehen ist. Das wäre wiederum nur 135 Siehe dazu RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 23.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten gewährleistet, wenn es einen verbindlichen und konkreten Kriterienkatalog – ähnlich demjenigen des § 267 HGB – gäbe, anhand dem das Vorliegen einer solchen Eigenschaft beurteilt werden kann. Daran fehlt es im Hinblick auf das LkSG. Denn die zur Bestimmung der Unternehmensgröße heranzuziehenden Faktoren der Anzahl (und Funktion) der Beschäftigten, des Umsatzvolumens, des Anlage- und Betriebskapitals sowie der Produktionskapazität sind weder explizit im Gesetz festgelegt noch sehen sie konkrete Schwellenwerte vor. Es handelt sich bei ihnen um relative Kriterien, die im Einzelfall ins Verhältnis gesetzt und gegeneinander abgewogen werden müssen. Ein Sonderrecht für Kleinunternehmen würde dagegen voraussetzen, dass schon bei abstrakter Betrachtung Klarheit über die Voraussetzungen besteht, unter denen das jeweilige Unternehmen als Kleinunternehmen anzusehen ist. Sähe man dies anders, wäre es in der Praxis kaum möglich, ein Sonderrecht für Kleinunternehmen rechtssicher (und vorhersehbar) zu handhaben. 75 Die Frage, wann ein Unternehmen die Eigenschaft eines Kleinunternehmens

im Sinne des LkSG erfüllt, wäre bei Lichte betrachtet schließlich auch eine Wertungsentscheidung, die nur vom Gesetzgeber getroffen werden kann. Das zeigt ein Blick ins Aktienrecht, in dem schon seit geraumer Zeit die Diskussion um ein Sonderrecht für die kleine Aktiengesellschaft geführt wird. Der Begriff der kleinen Aktiengesellschaft ist im AktG nicht definiert. Das Schrifttum bestimmt den Begriff zumeist negativ in Abgrenzung zu der gesetzlich definierten börsennotierten Gesellschaft (vgl. § 3 Abs. 2 AktG).136 Zwar hat der Gesetzgeber den Begriff der kleinen Aktiengesellschaft im 1994 erlassenen Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts aufgegriffen.137 Allerdings wurden durch dieses Gesetz lediglich verschiedene Erleichterungen für solche Aktiengesellschaften zugelassen, die jeweils bestimmte, von der jeweiligen Vorschrift genannte Voraussetzungen erfüllen.138 Ein allgemeines Sonderrecht für kleine Aktiengesellschaften wurde dagegen nicht geschaffen – und kann mangels gesetzgeberischer Anordnung auch nicht durch Rechtsprechung und Schrifttum geschaffen werden. bb) Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG)

76 Das Kriterium des Einflussvermögens knüpft – ebenso wie das Kriterium der

Art und des Umfangs der Geschäftstätigkeit – an Eigenschaften des verpflichteten Unternehmens an. Hinter dem Kriterium verbirgt sich der Gedanke, dass die Nähe des verpflichteten Unternehmens zum Risiko bzw. zur Verletzung einen wesentlichen Faktor bei der Bestimmung der angemessenen Beachtung der 136 Näher dazu Hüffer/Koch, 15. Aufl. 2021, § 3 AktG Rz. 5. 137 Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts vom 2.8.1994, BGBl. I Nr. 52, S. 1961. 138 Näher Böcker, RNotZ 2002, 130, 131; s. auch Bachmann in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2017, § 3 AktG Rz. 46.

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Sorgfaltspflichten darstellt. Die Nähe zum Risiko bzw. zur Verletzung wird bei wertender Betrachtung in großem Maße durch die Einflussmöglichkeiten auf den unmittelbaren Verursacher bestimmt. Dabei gilt der Grundsatz, dass die Anforderungen an die angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten umso größer sind, je größer das Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher des Risikos bzw. der Verletzung ist. Fehlt es an einem Einflussvermögen auf den unmittelbaren Verursacher, so wirkt dies anforderungssenkend. Im Hinblick darauf, dass das Kriterium die Existenz eines Risikos oder einer Verletzung gedanklich voraussetzt, liegt die Bedeutung des Kriteriums mehr im Bereich der Abhilfemaßnahmen denn im Bereich der Risikoanalyse oder der Präventivmaßnahmen. § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG stellt nach seinem klaren Wortlaut einzig auf das Einfluss- 77 vermögen des verpflichteten Unternehmens auf den „unmittelbaren“ Verursacher ab. Hintergrund dafür dürfte sein, dass das verpflichtete Unternehmen im Rahmen seines Lieferkettenrisikomanagements gemäß § 4 Abs. 2 LkSG nur solche innerhalb der Lieferkette aufgetretenen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken oder Verletzungen entsprechender Pflichten zu adressieren hat, zu denen es einen Verursachungsbeitrag geleistet hat. Als Verursachungsbeiträge erkennt die Regierungsbegründung zum LkSG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Verursachungsbeiträge an. Während sich unmittelbare Verursachungsbeiträge auf den eigenen Geschäftsbereich beziehen, betreffen mittelbare Verursachungsbeiträge entstandene Risiken oder Verletzungen, die im Geschäftsbereich eines Zulieferers eintreten (s. dazu Rz. 109). In der Konstellation, die § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG zugrunde liegt (s. dazu sogleich unter Rz. 78 f.), ist das verpflichtete Unternehmen dementsprechend selbst als mittelbarer Verursacher anzusehen, sodass das gesetzgeberische Abstellen allein auf das Einflussvermögen gegenüber einem unmittelbaren Verursacher folgerichtig ist. (1) Die § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG zugrunde liegende Konstellation § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG hat die Konstellation im Blick, dass eine Verletzung oder 78 ein Risiko im Geschäftsbereich eines (unmittelbaren oder mittelbaren) Zulieferers eintritt bzw. dass ein Dritter unmittelbarer Verursacher eines Risikos oder einer Verletzung ist. Tritt das Risiko oder die Verletzung dagegen im eigenen Geschäftsbereich ein, so ist das verpflichtete Unternehmen selbst als unmittelbarer Verursacher anzusehen mit der Folge, dass § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG in dieser Konstellation für das verpflichtete Unternehmen per se anforderungserhöhend wirkt. Dass die Anforderungen an die angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten bei Risiken bzw. Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich besonders hoch sind, ergibt sich etwa schon aus der Wertung des § 7 Abs. 1 S. 3 und 4 LkSG, wonach Abhilfemaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich im Inland stets und im eigenen Geschäftsbereich im Ausland und innerhalb des Konzerns zumindest in der Regel zu einer Beendigung der Verletzung führen müssen. Zwar ist das verpflichtete Unternehmen als juristische Person oder Personenver- 79 einigung selbst nicht handlungsfähig und kann daher Risiken oder Verletzungen Mader

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§ 3 | Sorgfaltspflichten nicht unmittelbar verursachen. Allerdings handelt das verpflichtete Unternehmen durch seine organschaftlichen und verfassungsmäßig berufenen Vertreter und Repräsentanten, so dass deren Handlungen dem Unternehmen analog § 31 BGB zugerechnet werden. Wird das Risiko bzw. die Verletzung dementsprechend von einer solchen (natürlichen) Person unmittelbar verursacht, so stellt dies zugleich eine unmittelbare Verursachung durch das verpflichtete Unternehmen selbst dar.139 Nichts Anderes gilt im Ergebnis, wenn das Risiko bzw. die Verletzung unmittelbar durch (andere) Arbeitnehmer des verpflichteten Unternehmens verursacht wird, die keine Repräsentanten i.S.d. § 31 BGB sind. Der in § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG verwendete Begriff des „Verursachers“ spielt auf die Kategorien der Störer im polizeirechtlichen Sinne an. Daher kann für dessen Auslegung auch auf polizeirechtliche Grundsätze zurückgegriffen werden. Die Landespolizeigesetze sehen nun aber regelmäßig vor, dass auch der Geschäftsherr materiell als Verursacher anzusehen ist, wenn die Gefahr durch einen Verrichtungsgehilfen in Ausführung der Verrichtung verursacht wurde.140 Nach dem Rechtsgedanken dieser Vorschriften ist das verpflichtete Unternehmen im Rahmen des LkSG dementsprechend unmittelbarer Verursacher eines Risikos bzw. einer Verletzung, wenn das Risiko bzw. die Verletzung von einem Mitarbeiter des verpflichteten Unternehmen verursacht wird. Im Ergebnis nichts Anderes gilt schließlich auch im eigenen Geschäftsbereich innerhalb des Konzerns (§ 2 Abs. 6 S. 3 LkSG). Selbst wenn man im Falle der Verursachung eines Risikos oder einer Verletzung durch eine Tochtergesellschaft die Obergesellschaft nicht als unmittelbaren Verursacher i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG einstuft, so würde § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG nichtsdestotrotz für die Obergesellschaft im Hinblick auf ihr großes Einflussvermögen auf die Tochtergesellschaft anforderungserhöhend wirken, weil § 2 Abs. 6 S. 3 LkSG ja gerade voraussetzt, dass die Obergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf die Tochtergesellschaft ausübt und dementsprechend über großes Einflussvermögen verfügt. (2) Bestimmung des unmittelbaren Verursachers 80 Im Hinblick auf die § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG zugrunde liegende Konstellation des

Eintritts eines Risikos oder einer Verletzung im Geschäftsbereich eines (unmittelbaren oder mittelbaren) Zulieferers gilt es zunächst, die Person des „unmit139 Siehe zu den gleichen Grundsätzen im Polizeirecht etwa Pünder in Ehlers/Fehling/ Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, 4. Aufl. 2021, Rz. 112. 140 So u.a. etwa § 7 Abs. 3 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt, § 7 Abs. 3 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Polizei; § 13 Abs. 3 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin; § 5 Abs. 3 des Bremischen Polizeigesetzes; § 6 Abs. 3 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung; § 4 Abs. 3 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen; § 6 Abs. 3 des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes; § 4 Abs. 3 des Saarländischen Polizeigesetzes; § 10 Abs. 3 des Thüringischen Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Ordnungsbehörden; § 6 Abs. 3 des Polizeigesetzes Baden-Württemberg.

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telbaren Verursachers“ zu bestimmen. Wie dargestellt, kann insofern auf die polizeirechtlichen Grundsätze zurückgegriffen werden. Danach ist (unmittelbarer) Verursacher einer Gefahr derjenige, der als letztes Glied in der Kausalkette die Gefahrenschwelle überschreitet. Ob dem Verursacher dabei ein Verschulden zur Last fällt, ist unerheblich. Mittelbare Ursachen sind schon nach allgemeinen polizeirechtlichen Grundsätzen im Ausgangspunkt irrelevant.141 Im vorliegenden Zusammenhang wird dies überdies durch die Verwendung des Wortes „unmittelbar“ in § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG klargestellt und verdeutlicht. Dadurch wird zugleich ein Rückgriff auf die polizeirechtlichen Ausnahmefälle und Rechtsfiguren versperrt, in denen eine Person eine Gefahr zwar nur mittelbar verursacht, die Gefährdung ihr aber aus Wertungsgesichtspunkten zuzurechnen ist – was etwa beim Zweckveranlasser der Fall ist.142 Wie bereits erörtert, ist dabei ein Unternehmen unmittelbarer Verursacher, 81 wenn das Risiko bzw. die Verletzung unmittelbar durch Repräsentanten i.S.d. § 31 BGB oder durch (andere) Arbeitnehmer des jeweiligen Unternehmens verursacht wird. Der Begriff des unmittelbaren Verursachers ist damit im Rahmen des § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG unternehmensbezogen. Davon ging auch der Gesetzgeber aus. Das zeigt sich etwa daran, dass die Regierungsbegründung wie selbstverständlich den „Zulieferer“ als unmittelbaren Verursacher benennt.143 Die unmittelbare Verursachung ist Anknüpfungspunkt sowohl für die polizei- 82 rechtliche Verhaltens- als auch für die Zustandsverantwortlichkeit.144 Unmittelbarer Verursacher ist daher nicht nur derjenige, der durch sein Verhalten unmittelbar eine Gefahr verursacht, sondern auch derjenige, der Inhaber einer Sache ist, von deren Zustand eine Gefahr ausgeht. Vor diesem Hintergrund kann als unmittelbarer Verursacher i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG jeweils (nur) das (Zulieferer-)Unternehmen angesehen werden, in dessen Geschäftsbereich das Risiko oder die Verletzung unmittelbar eintritt. Tritt das Risiko oder die Verletzung dementsprechend im Geschäftsbereich eines mittelbaren Zulieferers (§ 2 Abs. 8 LkSG) ein, so ist (nur) dieser unmittelbarer Verursacher. Weil mittelbare Ursachen irrelevant sind, kann der unmittelbare Zulieferer (§ 2 Abs. 7 LkSG) – oder 141 Siehe zur unmittelbaren Verursachung im Polizeirecht etwa Pünder in Ehlers/Fehling/ Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, 4. Aufl. 2021, Rz. 125. 142 Siehe zu diesen Ausnahmefällen – insbesondere der Rechtsfigur des Zweckveranlassers – etwa Pünder in Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, 4. Aufl. 2021, Rz. 127 ff. 143 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42: „Welche Maßnahme angemessen ist, bestimmt sich auch nach dem konkreten Einflussvermögen des Unternehmens auf den Zulieferer, der das Risiko für eine geschützte Rechtsposition nach § 2 Abs. 1 oder einen drohenden Verstoß gegen eine umweltbezogene Pflicht nach § 2 Abs. 3 unmittelbar verursacht hat. […] Ein wesentlicher Einflussfaktor ist die Nähe zum Risiko, d.h. wo und durch wen das Risiko unmittelbar entsteht: beim Unternehmen selbst, bei einem Vertragspartner oder bei einem mittelbaren Zulieferer entlang der Lieferkette.“ 144 Vgl. etwa Pünder in Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, 4. Aufl. 2021, Rz. 123.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten gar das verpflichtete Unternehmen – in diesem Fall auch dann nicht als unmittelbarer Verursacher angesehen werden, wenn er großen Einfluss auf die Verursachung des Risikos oder der Verletzung durch den mittelbaren Zulieferer hatte. (3) Einflussvermögen auf den unmittelbaren Verursacher 83 Steht fest, wer der unmittelbare Verursacher eines Risikos bzw. einer Verletzung

ist, ist das Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher zu bestimmen. Einzunehmen ist dabei eine objektivierte Betrachtungsweise, d.h. maßgeblich ist (nur) das Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens, über das dieses gegenüber dem unmittelbaren Verursacher (d.h. dem jeweiligen Zulieferer) objektiv verfügt.145 Nach dem Zweck des § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG muss sich das Einflussvermögen dabei nicht nur allgemein auf den unmittelbaren Verursacher beziehen, sondern konkreter auch auf die Ergreifung von Maßnahmen zur Risikoreduzierung oder -minderung oder zur Verhinderung bzw. Beendigung von Verletzungen sowie zur Minimierung ihrer Auswirkungen. Maßgeblich ist dementsprechend, ob das verpflichtete Unternehmen gegenüber dem unmittelbaren Verursacher im konkreten Fall über ein Einflussvermögen verfügt, aufgrund dem der unmittelbare Verursacher zur Ergreifung von Maßnahmen zur Risikoreduzierung oder -minderung oder zur Verhinderung bzw. Beendigung von Verletzungen sowie zur Minimierung ihrer Auswirkungen bewegt werden kann.146 Als Beispiele für Faktoren, die Einflussvermögen begründen, nennt die Regierungsbegründung zum LkSG die Größe des verpflichteten Unternehmens sowie das Auftragsvolumen.147

84 Das von § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG in Bezug genommene Einflussvermögen muss dem

verpflichteten Unternehmen zustehen. Diese Voraussetzung ist in jedem Falle erfüllt, wenn das verpflichtete Unternehmen unmittelbar, d.h. selbst und alleine

145 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42. 146 In die gleiche Richtung gehen die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, Kommentar zu Ziff. 19, S. 25: „Einflussvermögen gilt dann als vorhanden, wenn das Unternehmen über die Fähigkeit verfügt, Veränderungen in den unrechtmäßigen Praktiken des Schadenverursachers herbeizuführen.“ Gleichsinnig auch OECD (2011): OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, unter I.19. („Von der Existenz einer Einflussmöglichkeit wird ausgegangen, wenn das Unternehmen über die Fähigkeit verfügt, in den unrechtmäßigen Aktivitäten des Schadenverursachers einen Wandel herbeizuführen.“) und IV.42. („Von der Existenz einer Einflussmöglichkeit wird ausgegangen, wenn das Unternehmen über die Fähigkeit verfügt, in den Praktiken des Verursachers der negativen menschenrechtlichen Auswirkungen einen Wandel herbeizuführen.“). Ebenso OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 18: „In Fällen, in denen negative Effekte in unmittelbarer Verbindung mit den Geschäftstätigkeiten, Produkten oder Dienstleistungen eines Unternehmens stehen, sollte das Unternehmen so weit wie möglich bestrebt sein, mittels seiner Einflussmöglichkeiten, entweder individuell oder in Kooperation mit anderen, Änderungen herbeizuführen.“ 147 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42.

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über Einflussvermögen gegenüber dem unmittelbaren Verursacher verfügt. Umgekehrt bedeutet das aber keineswegs, dass § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG andere, d.h. mittelbare Formen des Einflussvermögens ausschließen würde. Besitzt das verpflichtete Unternehmen Einflussvermögen auf einen weiteren mittelbaren Verursacher oder einen sonstigen Dritten (wie ggf. etwa eine NGO), der wiederum Einflussvermögen auf den unmittelbaren Verursacher besitzt, so verfügt das verpflichtete Unternehmen mittelbar auch über Einflussvermögen auf den unmittelbaren Verursacher. Ob das Einflussvermögen auf den Dritten tatsächlich so groß ist, dass es die Annahme eines relevanten mittelbaren Einflussvermögens auf den unmittelbaren Verursacher rechtfertigt, ist eine Frage des Einzelfalls. Jedenfalls wird in diesen Konstellationen regelmäßig ein „Einflussabschlag“ im Hinblick auf das bloß mittelbare Einflussvermögen anzusetzen (bzw. abzuziehen) sein. Die Höhe des Einflussvermögens auf den Dritten darf mithin nicht einfach mit der Höhe des mittelbaren Einflussvermögens auf den unmittelbaren Verursacher gleichgesetzt werden. Festzuhalten bleibt im Ergebnis aber, dass das von § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG in Bezug genommene Einflussvermögen dem verpflichteten Unternehmen unmittelbar (selbst und alleine) zustehen kann oder es sich mittelbar über weitere mittelbare Verursacher oder über sonstige Dritte ergeben kann, mit denen das verpflichtete Unternehmen gemeinsam handelt. Im Hinblick auf das Einflussvermögen ist im Ausgangspunkt zu differenzieren, 85 ob das verpflichtete Unternehmen zu dem unmittelbaren Verursacher eine Vertragsbeziehung unterhält (und es sich bei dem unmittelbaren Verursacher daher um einen unmittelbaren Zulieferer i.S.d. § 2 Abs. 7 LkSG handelt) oder nicht (und der unmittelbare Verursacher daher ein mittelbarer Zulieferer gem. § 2 Abs. 8 LkSG ist). Innerhalb von Vertragsbeziehungen zwischen dem verpflichteten Unternehmen 86 und dem unmittelbaren Verursacher gründet sich das Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens zunächst auf die durch den Vertrag begründeten Rechte des verpflichteten Unternehmens gegenüber dem unmittelbaren Verursacher. Ergibt sich aus dem Vertrag ein Primäranspruch des verpflichteten Unternehmens gegenüber dem unmittelbaren Verursacher, aufgrund dem der unmittelbare Verursacher zur Ergreifung von Maßnahmen zur Verhinderung, Minimierung oder Beendigung von Risiken oder Verletzungen verpflichtet ist, und ist dieser Primäranspruch sowohl rechtlich als auch faktisch durchsetzbar, so verfügt das verpflichtete Unternehmen über großes Einflussvermögen, was im Hinblick auf die angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten anforderungserhöhend wirkt. Die Existenz eines durchsetzbaren Primäranspruchs wird in der Praxis aller- 87 dings der Ausnahmefall sein. In dem weiten Bereich jenseits derartiger Ansprüche gründet sich das Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens im Wesentlichen auf den Grad der wirtschaftlichen Abhängigkeit des unmittelbaren Verursachers von dem verpflichteten Unternehmen. Desto angewiesener der unmittelbare Verursacher auf das verpflichtete Unternehmen ist, desto näher liegt für den unmittelbaren Verursacher die wirtschaftliche Erwägung, auf etwaige Forderungen des verpflichteten Unternehmens einzugehen, um nicht die Mader

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§ 3 | Sorgfaltspflichten Geschäftsbeziehung mit dem verpflichteten Unternehmen aufs Spiel zu setzen. Vor diesem Hintergrund wird in der Regel dem Auftragsvolumen des verpflichteten Unternehmens gegenüber dem jeweiligen unmittelbaren Verursacher maßgebliche Bedeutung zukommen, denn dieses bestimmt letztlich den Grad der wirtschaftlichen Abhängigkeit des unmittelbaren Verursachers von dem verpflichteten Unternehmen. In diesem Zusammenhang ist die Größe des verpflichteten Unternehmens zwar durchaus von Relevanz, kann doch mit der Unternehmensgröße auch die Zahl und der Umfang der vom verpflichteten Unternehmen an den unmittelbaren Verursacher vergebenen Aufträge steigen. Eine zwingende Korrelation besteht insofern allerdings nicht, so dass dem Faktor der Unternehmensgröße im Rahmen des § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG im Verhältnis zum Faktor des Auftragsvolumens innerhalb vertraglicher Beziehungen nur eine untergeordnete (Hilf-)Bedeutung zukommt. Zu beachten ist allerdings, dass es durchaus auch Konstellationen gibt, in denen das Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens gegenüber dem unmittelbaren Verursacher trotz eines hohen Auftragsvolumens des verpflichteten Unternehmens bei dem unmittelbaren Verursacher gering ist. Das kann namentlich bei einer Beschaffung in Form eines Einzelquellenbezugs (Single-Source) oder bei einem marktbeherrschenden Lieferanten der Fall sein.148 Im Falle eines geringen Auftragsvolumens des verpflichteten Unternehmens bei dem unmittelbaren Verursacher wird das Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens häufig gering sein. Verpflichteten Unternehmen sollte vor diesem Hintergrund zugestanden werden, eine de-minimis-Schwelle in Bezug auf das Auftragsvolumen festzulegen, bei deren Unterschreiten ein relevantes Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens nicht mehr anzunehmen ist (s. in diesem Zusammenhang bereits Rz. 46). 88 Außerhalb von Vertragsbeziehungen kann sich das Einflussvermögen des ver-

pflichteten Unternehmens naturgemäß nicht auf vertragliche Rechte gegenüber dem unmittelbaren Verursacher gründen. In diesem Bereich kommt allerdings ebenfalls dem Aspekt einer – hier weiter verstandenen – wirtschaftlichen Abhängigkeit maßgebliche Bedeutung zu. Im außervertraglichen Bereich kann sich eine wirtschaftliche Abhängigkeit des unmittelbaren Verursachers vom verpflichteten Unternehmen zum einen mittelbar daraus ergeben, dass das verpflichtete Unternehmen umfangreiche Geschäftsbeziehungen zu einem Unternehmen (in Form eines unmittelbaren Zulieferers) unterhält, das wiederum weitreichende Geschäftsbeziehungen mit dem unmittelbaren Verursacher (in Form eines mittelbaren Zulieferers) pflegt. In dieser Konstellation kann der unmittelbare Verursacher insofern wirtschaftlich auf das verpflichtete Unternehmen angewiesen und von diesem abhängig sein, als der Abbruch der Geschäftsbeziehung zwischen dem verpflichteten Unternehmen und dem unmittelbaren Zulieferer zugleich zum Wegfall eines wesentlichen Umsatztreibers des unmittelbaren Verursachers führt, weil beim unmittelbaren Zulieferer kein Bedürfnis 148 Vgl. dazu Diskussionspapier zu Rechts- und Umsetzungsfragen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes des Verbands der Chemischen Industrie e.V., Stand: 18.3.2022, S. 33.

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mehr für die Leistungen des mittelbaren Zulieferers besteht. Daneben kann eine wirtschaftliche „Abhängigkeit“ des unmittelbaren Verursachers von dem verpflichteten Unternehmen im außervertraglichen Bereich auch aus der Erwartung (oder bloßen Hoffnung) des unmittelbaren Verursachers folgen, das verpflichtete Unternehmen werde in Zukunft eine unmittelbare und für den unmittelbaren Verursacher lukrative Geschäftsbeziehung mit dem unmittelbaren Verursacher aufnehmen. Auch in dieser Hinsicht ist dabei das (generelle) Volumen der Aufträge, die das verpflichtete Unternehmen typischerweise an Dritte vergibt, von wesentlicher Bedeutung, was häufig von der Größe des verpflichteten Unternehmens abhängt. Als allgemeiner Grundsatz wird sich insofern aber ergeben, dass das verpflichtete Unternehmen typischerweise über ein geringeres Einflussvermögen gegenüber dem unmittelbaren Verursacher verfügt, zu dem es keine Vertragsbeziehung unterhält. Besonderheiten bestehen schließlich im Falle von Konzernverbindungen. Ist 89 der unmittelbare Verursacher ein Tochterunternehmen, so bestehen generell erhöhte Anforderungen an die angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten, wenn das verpflichtete Unternehmen auf die Tochtergesellschaft einen bestimmenden Einfluss i.S.d. § 2 Abs. 6 S. 3 LkSG ausübt, denn dann zählt die Tochtergesellschaft bereits zum eigenen Geschäftsbetrieb des verpflichteten Unternehmen (s. zu den erhöhten Sorgfaltsanforderungen im eigenen Geschäftsbereich Rz. 78). Jenseits dieser Fälle ist zwischen den verschiedenen Konzernierungsformen sowie der Rechtsform des Tochterunternehmens zu unterscheiden: Bei Eingliederung (§§ 319 ff. AktG) sowie bei Bestehen eines Beherrschungs- 90 vertrags (§§ 293, 308 ff. AktG) steht der Obergesellschaft ein inhaltlich weitgehendes Weisungsrecht gegenüber dem Tochterunternehmen zu (§ 308 AktG, § 323 AktG), so dass in derartigen Fällen von einem großen Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens auf das Tochterunternehmen als unmittelbaren Verursacher auszugehen ist. Dasselbe gilt – unabhängig von der Konzernierungsform –, wenn es sich bei der Tochtergesellschaft um eine GmbH handelt; denn bei dieser steht der von der Obergesellschaft beherrschten Gesellschafterversammlung ein Weisungsrecht gegenüber den Geschäftsführern zu (§ 37 Abs. 1 GmbHG). Innerhalb einer bloß faktischen Konzern- oder Abhängigkeitsbeziehung mit 91 einer Aktiengesellschaft als abhängigem Unternehmen steht der Obergesellschaft dagegen nach den §§ 311 ff. AktG kein Weisungsrecht zu. Vor diesem Hintergrund gibt es bei faktischer Konzernierung oder bloßer Abhängigkeit keinen allgemeinen Grundsatz, dass die Obergesellschaft per se über ein erhöhtes Einflussvermögen gegenüber der abhängigen Aktiengesellschaft verfügen würde. Hier kommt es vielmehr auf den konkreten Einzelfall an: Ist die konkret in Rede stehende abhängige Aktiengesellschaft in der Vergangenheit Veranlassungen oder Forderungen der Obergesellschaft in der Regel nachgekommen, so spricht das für ein erhöhtes (faktisches) Einflussvermögen der Obergesellschaft. Im praktischen Regelfall wird sich dabei ein erhöhtes Einflussvermögen häufig feststellen lassen, denn die Obergesellschaft kann bei einer Tochtergesellschaft in Mader

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§ 3 | Sorgfaltspflichten der Rechtsform einer Aktiengesellschaft etwa mittelbar über die Hauptversammlung und den Aufsichtsrat Einfluss auf die Besetzung von deren Vorstand nehmen, was faktisch zu einer gewissen Gewogenheit des Vorstands gegenüber Forderungen der Obergesellschaft führen kann. Vor dem Hintergrund, dass der Vorstand die abhängige Aktiengesellschaft nach § 76 Abs. 1 AktG eigenverantwortlich und weisungsfrei leitet, ist das allerdings nicht zwingend der Fall, sondern vielmehr eine Frage, die anhand der konkreten Einzelfallumstände, insbesondere der Reaktion der abhängigen Aktiengesellschaft auf Veranlassungen der Obergesellschaft in der Vergangenheit, zu beantworten ist. 92 Handelt es sich bei der Tochtergesellschaft um eine Gesellschaft ausländischer

Rechtsform, so ist für die Bestimmung des Einflussvermögens zuvörderst das ausländische Recht in den Blick zu nehmen: Gewährt dieses der Obergesellschaft ein Weisungsrecht, ist von einem erhöhten Einflussvermögen auszugehen. Im Übrigen ist auch hier zu fragen, ob die Tochtergesellschaft Veranlassungen der Obergesellschaft in der Vergangenheit in der Regel Folge geleistet hat oder nicht.

93 Im Verhältnis einer Tochtergesellschaft zur Obergesellschaft oder zwischen

Schwestergesellschaften bestehen weder (konzernrechtliche) Weisungsrechte, noch ist von einem erhöhten faktischen Einflussvermögen der Tochtergesellschaft auf die Obergesellschaft oder der Schwestergesellschaft auf die andere Schwestergesellschaft auszugehen. Ist unmittelbarer Verursacher dementsprechend eine Obergesellschaft oder eine Schwestergesellschaft, bestehen grundsätzlich – vorbehaltlich von Besonderheiten des konkreten Einzelfalls, wie etwa einer wirtschaftlichen Abhängigkeit der Ober- oder Schwestergesellschaft von der Tochter- bzw. anderen Schwestergesellschaft – aufgrund des § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG keine erhöhten Sorgfaltsanforderungen für eine Tochter- oder Schwestergesellschaft. cc) Schwere und Wahrscheinlichkeit der Verletzung

94 Weiteres Kriterium bei der Beurteilung der Angemessenheit eines Handelns bil-

det nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG die typischerweise zu erwartende Schwere der Verletzung, der Umkehrbarkeit der Verletzung und der Wahrscheinlichkeit der Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht. Anders als die vorgenannten Kriterien der Art und des Umfangs der Geschäftstätigkeit sowie des Einflussvermögens auf den unmittelbaren Verursacher knüpft dieses Kriterium nicht an Eigenschaften des verpflichteten Unternehmens, sondern an Eigenschaften der Verletzung an. Die Regierungsbegründung zum LkSG spricht insofern vom „Gefahrenpotential“.149

95 Im Hinblick auf dieses Kriterium ist zu beachten, dass das LkSG keine Unterschei-

dung hinsichtlich der „Wertigkeit“ der einzelnen Schutzgüter bzw. menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Pflichten trifft und dementsprechend alle Pflichten gleich gewichtet. Insbesondere sieht das LkSG keine Gewichtung zwischen bestimmtem Menschenrechten oder zwischen menschenrechtsbezoge149 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42.

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nen und umweltbezogenen Pflichten vor. Ein Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit wiegt daher nach den Wertungen des LkSG im Ausgangspunkt gleichermaßen schwer wie etwa ein Verstoß gegen das Verbot von Kinderarbeit oder Sklavenhandel, obwohl bei den letzten beiden unmittelbar die Rechtsgüter Leib, Leben und körperliche Unversehrtheit betroffen sind.150 Allerdings weist in diesem Zusammenhang der gesetzgeberisch hervorgehobene Sonderfall der Umkehrbarkeit der Verletzung (dazu noch näher Rz. 99 f.) den Weg für Differenzierungen: So lässt sich etwa ein Verstoß gegen den Mindestlohn z.B. durch rückwirkende Auszahlung des angemessenen Lohns umkehren, während dies im Falle von Kinderarbeit oder Sklavenhandel kaum denkbar ist.151 (1) Die § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG zugrunde liegende Konstellation Zwar wird der Begriff des (menschenrechtlichen oder umweltbezogenen) Risi- 96 kos in § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG nicht unmittelbar erwähnt. § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG hat allerdings zuvörderst gerade die Konstellation im Auge, dass zwar ein (menschenrechtliches oder umweltbezogenes) Risiko besteht, dieses aber noch nicht in die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht gemündet ist. Dass § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG in erster Line im Vorfeld einer Verletzung – und damit im Bereich eines Risikos – angesiedelt ist, ergibt sich zum einen aus dem (Teil-)Kriterium der Eintrittswahrscheinlichkeit der Verletzung. Denn die Eintrittswahrscheinlichkeit der Verletzung stimmt letztlich mit dem Grad des Risikos überein. Zum anderen macht die Formulierung „typischerweise zu erwarten“ deutlich, dass die Vorschrift den Verletzungseintritt gerade nicht voraussetzt. Im Rahmen dieser Konstellation einer (noch) nicht eingetretenen Verletzung gilt der Grundsatz, dass die Anforderungen an die angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten umso größer sind, je wahrscheinlicher eine Verletzung ist und je schwerwiegender diese im Falle ihres Eintritts wäre. Neben der Konstellation einer (noch) nicht eingetretenen Verletzung muss von 97 § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG darüber hinaus (erst recht) die Konstellation als erfasst angesehen werden, in der sich das (menschenrechtliche oder umweltbezogene) Risiko bereits verwirklicht hat und dementsprechend die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht eingetreten ist. Das wird insbesondere auch durch § 7 Abs. 1 S. 1 LkSG verdeutlicht, der für Abhilfemaßnahmen auf das Angemessenheitsprinzip verweist. Die Pflicht zur Ergreifung von Abhilfemaßnahmen knüpft u.a. aber gerade an den Eintritt einer Verletzung an. In dieser Konstellation einer bereits eingetretenen Verletzung kann dem (Teil-)Kriterium der Eintrittswahrscheinlichkeit keine Bedeutung mehr zukommen. Daher gilt in diesem Fall der Grundsatz, dass die Anforderungen an die angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten umso größer sind, je schwerwiegender die Verletzung ist. 150 Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 16. 151 Siehe zu diesem Beispiel Charnitzky/Weigel, RIW 2022, 12, 16 f.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten (2) Schwere der Verletzung 98 Die Schwere der Verletzung ist durch Abwägung und Gegenüberstellung ver-

schiedener Faktoren zu bestimmen. Neben dem Faktor der Umkehrbarkeit der Verletzung sind dies der Grad der Beeinträchtigung durch die Verletzung sowie die Anzahl der von der Verletzung betroffenen Menschen.152

99 Die Frage der Umkehrbarkeit der Verletzung wird in § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG

zwar explizit genannt, ist bei Lichte besehen allerdings kein eigenständiges (Teil-)Kriterium, sondern vielmehr ein vom Gesetzgeber hervorgehobener Sonderfall, der Relevanz für die Bestimmung der Schwere der Verletzung besitzt und daher im (Teil-)Kriterium der Schwere der Verletzung aufgeht. Umkehrbarkeit der Verletzung meint insofern nicht die Rückgängigmachung der Verletzung schlechthin, denn das ist regelmäßig nicht möglich. Ist es etwa zu einer nicht umweltgerechten Lagerung von Abfällen gekommen, so wurde gegen die umweltbezogene Pflicht gem. § 2 Abs. 3 Nr. 5 LkSG verstoßen, ohne dass ein solcher Verstoß an sich wieder rückgängig gemacht werden könnte. Umkehrbarkeit der Verletzung kann daher nur bedeuten, dass die Möglichkeit besteht, die negativen Auswirkungen der Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht wieder zu beheben.153 Ist es etwa im vorgenannten Beispiel der nicht umweltgerechten Lagerung von Abfällen möglich, die negativen Auswirkungen einer solchen Fehllagerung auf die Umwelt durch verhältnismäßig einfache Maßnahmen einzudämmen und zu beseitigen, indem beispielsweise die Abfälle abtransportiert und umgelagert werden und der ggf. kontaminierte Boden ausgehoben und entsorgt wird, so führt dieser Umstand dazu, dass die Verletzung der Pflicht gem. § 2 Abs. 3 Nr. 5 LkSG als weniger schwerwiegend anzusehen ist. Ist eine vollständige Beseitigung der negativen Auswirkungen einer solchen Fehllagerung auf die Umwelt dagegen technisch nicht möglich, führt das tendenziell zu einer schwerwiegenden Verletzung der Pflicht gem. § 2 Abs. 3 Nr. 5 LkSG.

100 Dass es sich bei der Umkehrbarkeit der Verletzung nicht um ein eigenständiges

(Teil-)Kriterium handelt, sondern diesem Faktor lediglich bei der Bestimmung der Schwere der Verletzung Bedeutung zukommt, wird auch durch die Regierungsbegründung zum LkSG belegt. Diese benennt im Rahmen des § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG (nur) die Schwere und Wahrscheinlichkeit der Verletzung – nicht aber deren Umkehrbarkeit – als Kriterien der Angemessenheit. In der Folge wird sodann ausgeführt, die Schwere der Verletzung bemesse sich u.a. nach „der Möglichkeit, die negativen Auswirkungen wieder zu beheben“154 – wodurch explizit der Gedanke der Umkehrbarkeit der Verletzung aufgegriffen wird. In gleichem Sinne wird auch in den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen darauf verwiesen, die Schwere der Auswirkungen sei danach zu bemessen, „welches Ausmaß und welchen Umfang sie besitzen und in152 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42. 153 So wohl auch RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42. 154 So wohl auch RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42.

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wieweit sie nicht wiedergutzumachen sind.“155 Schließlich liegt dieses Verständnis auch den OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct zugrunde.156 Der Grad der Beeinträchtigung entspricht im Wesentlichen den Auswirkun- 101 gen, die eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht nach sich zieht. Sind die Auswirkungen einer Verletzung auf das jeweils von der menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht geschützte Rechtsguts erheblich, so ist auch der Grad der Beeinträchtigung hoch. Übertragen auf das Beispiel der nicht umweltgerechten Lagerung von Abfällen bedeutet dies etwa, dass von einem hohen Beeinträchtigungsgrad auszugehen ist, wenn die Fehllagerung (regelmäßig) zu großflächigen oder die Umwelt stak belastenden Auswirkungen führt. Zur Bestimmung des Grads der Beeinträchtigung ist bei (noch) nicht eingetretener Verletzung auf die potentielle Beeinträchtigung abzustellen. Ist dagegen die Verletzung bereits eingetreten, so ist der Grad der Beeinträchtigung anhand der tatsächlichen Beeinträchtigung zu bestimmen. Diese konkrete Betrachtungsweise bei bereits erfolgtem Verletzungseintritt scheint zwar auf den ersten Blick mit dem von § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG festgelegten typisierenden Maßstab zu konfligieren, allerdings gilt dieser Maßstab nach hier vertretener Ansicht ohnehin nur, wenn die Verletzung noch nicht eingetreten ist (s. dazu noch näher unten Rz. 104). Darüber hinaus findet die konkrete Betrachtungsweise auch einen Rückhalt in der Regierungsbegründung, die im Zusammenhang mit der Schwere der Verletzung ausführt, diese bemesse sich (u.a.) nach dem Grad der „tatsächlichen oder potenziellen“ Beeinträchtigung.157 Im Hinblick auf die Anzahl der betroffenen Personen gilt der Grundsatz, dass 102 die Schwere der Verletzung mit steigender Anzahl der Betroffenen zunimmt. Auch insofern ist bei (noch) nicht eingetretener Verletzung auf den Kreis der potentiell Betroffenen abzustellen, während bei bereits eingetretener Verletzung die Anzahl der tatsächlich Betroffenen maßgeblich ist.158 Wer dabei von der Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht betroffen ist, ist nicht gänzlich klar. Die Verwendung des eher konturenlosen Begriffs des „Betroffenen“ in der Regierungsbegründung zum LkSG159 zeigt allerdings, dass der Gesetzgeber von einem weiten Verständnis ausgeht: Als unmittelbar Betroffene sind insofern zunächst die jeweils Verletzten selbst anzusehen, in deren Rechtsgüter durch Verletzung der Pflicht eingegriffen wird. Bei einem Verstoß gegen das Verbot der Kinderarbeit gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 LkSG sind dies 155 Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, Kommentar zu Ziff. 14, S. 18. 156 Vgl. OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 44: „Die Schwere negativer Effekte wird nach deren Grad, Reichweite und Unumkehrbarkeit bewertet.“ 157 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42. 158 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42, in der auch in diesem Zusammenhang auf die Zahl der „tatsächlich oder potentiell“ betroffenen Menschen verwiesen wird. 159 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten etwa diejenigen Kinder, die unter Verstoß gegen § 2 Abs. 2 Nr. 1 LkSG beschäftigt werden. Dort, wo es an einem unmittelbar Verletzten fehlt – wie regelmäßig bei den umweltbezogenen Pflichten – ist Betroffener jeder, der mit den Auswirkungen der Pflichtverletzung in negativer Weise unmittelbar in Berührung kommt. Das ist etwa bei den Anwohnern in der Nachbarschaft von Produktionsstätten der Fall, die umweltschädlichen Emissionen der Produktion ausgesetzt sind.160 Schon daraus ergibt sich, dass der betroffene Personenkreis bei diesen Pflichtverletzungen in der Regel groß sein wird, was tendenziell zu einer größeren Schwere der Verletzung führt. 103 Bei der Bestimmung der Schwere der Verletzung legt § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG ei-

nen typisierenden Maßstab an: Maßgeblich ist (lediglich) die Schwere der Verletzung, die „typischerweise zu erwarten“ ist. Diesem Maßstab liegt die Konstellation einer (noch) nicht eingetretenen Verletzung zugrunde. Er führt in dieser Konstellation dazu, dass bei der Bestimmung der Angemessenheit nicht jeder auch nur theoretisch denkbare mögliche Schweregrad einer aus dem Risiko resultierenden Verletzung zugrunde zu legen ist, sondern lediglich derjenige Schweregrad Berücksichtigung findet, der typischerweise, d.h. nach regelmäßigem Verlauf der Dinge, zu erwarten ist. Mit der Verwendung des Begriffs der Erwartung ist dabei zugleich eine Wahrscheinlichkeitsprognose verbunden. An den erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit sind hohe Anforderungen zu stellen. Zu „erwarten“ ist ein bestimmter Schweregrad einer Verletzung nicht bereits dann, wenn dessen Eintritt bloß möglich ist, sondern erst, wenn der Schweregrad aller Wahrscheinlichkeit nach eintreten bzw. erreicht werden wird. Im Ergebnis wird durch den anzulegenden typisierenden Maßstab sichergestellt, dass nur solche Schweregrade bei der Beurteilung der Angemessenheit zugrunde gelegt werden dürfen, die sich aus dem existierenden Risiko nach regelmäßigem Verlauf der Dinge aller Wahrscheinlichkeit nach ergeben. Dadurch werden zwar theoretisch mögliche, aber weniger wahrscheinliche Schweregrade aus der Beurteilung ausgeklammert.

104 Der typisierende Maßstab ist ersichtlich auf die von § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG primär

erfasste Konstellation zugeschnitten, in der eine Verletzung noch nicht eingetreten ist. Ist die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht dagegen schon erfolgt, hätte die Anwendung des typisierenden Maßstabs zur Folge, dass ggf. ein Schweregrad bei der Angemessenheitsbeurteilung zugrunde zu legen wäre, der von dem tatsächlich eingetretenen Schweregrad der Verletzung abweicht. Aus Schutzzweckgesichtspunkten ist das verfehlt. Daher ist im Falle einer bereits eingetretenen Verletzung die tatsächlich eingetretene – nicht die typischerweise zu erwartende – Schwere der Verletzung zugrunde zu legen. Zwar sieht der Wortlaut des § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG insofern keine Einschränkung vor, allerdings findet eine derartige konkrete Betrachtungsweise einen Rückhalt in der Regierungsbegründung zum LkSG (s. bereits 160 Siehe dazu (freilich im Zusammenhang mit § 4 Abs. 4 LkSG) FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VII.3.

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oben Rz. 101) und sie ist Konsequenz des Ansatzes, dass § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG nicht nur die Situation im Vorfeld einer Verletzung adressiert, sondern auch diejenige nach Verletzungseintritt. (3) Eintrittswahrscheinlichkeit Das (Teil-)Kriterium der Wahrscheinlichkeit der Verletzung einer menschen- 105 rechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht besitzt nur Relevanz, wenn die Verletzung noch nicht eingetreten ist. Ist die Verletzung dagegen bereits erfolgt, ist die Eintrittswahrscheinlichkeit kein Umstand, der bei der Beurteilung der Angemessenheit des Handelns zu berücksichtigen wäre. Die Eintrittswahrscheinlichkeit beschreibt dabei die Einschätzung, ob und wann das Risiko in eine Rechtsgutsverletzung, d.h. in die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht, mündet.161 Je größer die Wahrscheinlichkeit, dass das Risiko alsbald zu einer Verletzung führt, desto größer sind die Anforderungen an eine angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten. In der Konsequenz des mit dem Angemessenheitsprinzip verfolgten Zwecks der 106 Einräumung eines Beurteilungsspielraums bei der Auswahl der geeigneten Maßnahmen (s. dazu Rz. 37 f.) liegt es, die Einschätzung, ob und wann das Risiko in eine Rechtsgutsverletzung mündet, – vergleichbar einer Einschätzungsprärogative – zunächst dem Geschäftsführungsorgan des verpflichteten Unternehmens zu überlassen. Eine Grenze findet diese subjektive Beurteilung freilich, wenn die Einschätzung des Geschäftsführungsorgans keinerlei Rückhalt in den tatsächlichen Umständen findet und damit unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheint. (4) Kriterien für die Bewertung von Schwere und Wahrscheinlichkeit Nach der Regierungsbegründung zum LkSG sollen Kriterien für die Bewertung 107 von Schwere und Wahrscheinlichkeit der Verletzung die Zugehörigkeit des verpflichteten Unternehmens zu einem Hochrisikosektor, die tatsächlichen und ordnungspolitischen Rahmenbedingungen des Produktionsortes, der Umgang mit giftigen Stoffen in der Produktion oder die mangelhafte Nachhaltigkeitsperformance (potentieller) Lieferanten sein.162 Die Benennung dieser Kriterien durch die Regierungsbegründung erscheint im Einzelnen nicht völlig durchdacht. So ist insbesondere das erstgenannte Kriterium – Zugehörigkeit zu einem Hochrisikosektor – nach hier vertretener Ansicht vornehmlich zur Bestimmung der Art des Geschäftsbetriebs heranzuziehen und damit § 3 Abs. 2 Nr. 1 LkSG zuzuordnen (s. dazu bereits Rz. 65). Im Übrigen lassen die genannten Kriterien bei abstrakter Betrachtung allenfalls einen Schluss auf die Eintrittswahrscheinlichkeit der Verletzung, nicht aber auf einen bestimmten Schweregrad der Verletzung zu. So können etwa die tatsächlichen und ordnungspolitischen Rahmen161 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42. 162 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 42 f.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten bedingungen des Produktionsortes, der Umgang mit giftigen Stoffen in der Produktion oder die mangelhafte Nachhaltigkeitsperformance (potentieller) Lieferanten zwar jedenfalls die abstrakte Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken entstehen und diese in eine Verletzung münden. Ein Urteil über den Schweregrad einer solchen Verletzung lässt sich auf Basis dieser Kriterien allerdings nicht treffen bzw. prognostizieren. Für die Bestimmung des Schweregrads der Verletzung bleiben daher nur die bereits genannten Faktoren der Umkehrbarkeit der Verletzung, des Grads der Beeinträchtigung durch die Verletzung und der Anzahl der von der Verletzung betroffenen Menschen (s. dazu Rz. 99 ff.). dd) Art des Verursachungsbeitrags des verpflichteten Unternehmens 108 Das Kriterium der Art des Verursachungsbeitrags bezieht sich lediglich auf das

verpflichtete Unternehmen und dessen Verursachungsbeitrag zum Risiko oder zur Verletzung, nicht auf den Verursachungsbeitrag des unmittelbaren Verursachers. Das wurde durch die Einfügung der Wörter „des Unternehmens“ in § 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG infolge der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales explizit klargestellt.163 Das Kriterium der Art des Verursachungsbeitrags knüpft dementsprechend – ebenso wie die Kriterien der Art und des Umfangs der Geschäftstätigkeit sowie des Einflussvermögens – an eine Eigenschaft des verpflichteten Unternehmens an. Dabei besteht eine enge innere Verbindung namentlich zwischen dem Kriterium der Art des Verursachungsbeitrags und dem Kriterium des Einflussvermögens des verpflichteten Unternehmens.164

109 § 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG steht in engem Zusammenhang zu § 4 Abs. 2 LkSG. Aus

letzterer Vorschrift lässt sich der Gedanke entnehmen, dass das verpflichtete Unternehmen im Rahmen seines Lieferkettenrisikomanagements nur solche innerhalb der Lieferkette aufgetretenen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken oder Verletzungen entsprechender Pflichten zu adressieren hat, die es „verursacht“ oder zu denen es „beigetragen“ hat. Die im Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 2 LkSG zum Ausdruck kommende Differenzierung zwischen „verursachen“ und „beitragen“ wird in der Regierungsbegründung zu § 4 Abs. 2 LkSG wieder eingeebnet. Danach soll „verursachen“ bedeuten, „dass das Unternehmen das Risiko unmittelbar alleine hervorgerufen hat oder durch seine Handlung zu der Entstehung oder Verstärkung des Risikos (kausal) beigetragen hat.“165 Der Gesetzgeber hält dementsprechend „beitragen“ augenscheinlich für einen bloßen Unterfall des Verursachens. Im Rahmen des § 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG unterscheidet die Regierungsbegründung im Hinblick auf die Art des Verursachungsbeitrags zwischen der unmittelbaren Verursachung einerseits und der mittelbaren Ver163 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BTDrucks. 19/30505, 38. 164 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 43. 165 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 43.

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ursachung (bzw. der mittelbaren Leistung eines Beitrags) andererseits.166 Vor dem Hintergrund des Zusammenhangs zwischen § 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG und § 4 Abs. 2 LkSG ist es überzeugend, die unmittelbare Verursachung dem Verursachen im Sinne des § 4 Abs. 2 LkSG und die mittelbare Verursachung dem Beitragen im Sinne des § 4 Abs. 2 LkSG zuzuordnen. Die unmittelbare Verursachung betrifft dabei das Handeln des verpflichteten Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich, während die mittelbare Verursachung das Handeln gegenüber einem unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferer betrifft (s. zum Ganzen näher auch die Kommentierung zu § 4 Rz. 15). (1) Unmittelbare Verursachung Die unmittelbare Verursachung des menschenrechtlichen oder umweltbezoge- 110 nen Risikos oder der Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht durch ein verpflichtetes Unternehmen wirkt im Rahmen der Bestimmung der Angemessenheit des Handelns anforderungserhöhend. Das wurde bereits im Rahmen des § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG aufgezeigt (s. dazu Rz. 78). und gilt gleichermaßen auch für § 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG. Denn bei einer unmittelbaren Verursachung des Risikos oder der Verletzung steht das verpflichtete Unternehmen dem Risiko bzw. der Verletzung besonders nahe und es besitzt typischerweise größeres Einflussvermögen im Hinblick auf die Risikoreduzierung oder -minderung oder die Verhinderung bzw. Beendigung von Verletzungen sowie die Minimierung ihrer Auswirkungen. Ob das verpflichtete Unternehmen unmittelbarer Verursacher des Risikos oder der Gefahr ist, ist nach Maßgabe der in Rz. 80 ff. niedergelegten Grundsätze zu bestimmen. Erforderlich für die Annahme einer unmittelbaren Verursachung ist damit im Wesentlichen, dass das verpflichtete Unternehmen das letzte Glied in der Kausalkette zur Risikoentstehung oder zum Verletzungsreintritt bildet und damit das Risiko bzw. die Verletzung im eigenen Geschäftsbereich eingetreten ist. Unmittelbar verursacht werden kann ein Risiko bzw. eine Verletzung ausweis- 111 lich der Regierungsbegründung zum LkSG zum einen durch das verpflichtete Unternehmen alleine, zum anderen durch das verpflichtete Unternehmen gemeinsam mit einem oder mehreren anderen Akteuren.167 Als Beispiel für eine unmittelbare Alleinverursachung nennt die Regierungsbegründung zum LkSG die Missachtung von Arbeitsschutzstandards am eigenen Standort.168 Im Hinblick auf eine unmittelbare Mitverursachung erwähnt die Regierungsbegründung zum LkSG das Beispiel eines verpflichteten Unternehmens, das durch nicht fachgerechte Abfallentsorgung einen Fluss verschmutzt – was andere Unternehmen ebenfalls tun – und hierdurch gegebenenfalls die Trinkwasserversorgung der Anwohnenden gefährdet.169 Übersetzt man dieses Beispiel aus der Regierungs166 167 168 169

Vgl. RegE Vgl. RegE Vgl. RegE Vgl. RegE

LkSG, BT-Drucks. LkSG, BT-Drucks. LkSG, BT-Drucks. LkSG, BT-Drucks.

19/28649, 19/28649, 19/28649, 19/28649,

43. 43. 43. 43.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten begründung in strafrechtliche Kategorien, dürfte die Mitverursachung sowohl Fälle der Nebentäterschaft170 als auch (erst recht) der Mittäterschaft umfassen. 112 Beide Formen der unmittelbaren Verursachung – die Alleinverursachung sowie

die Mitverursachung – wirken für das verpflichtete Unternehmen gleichermaßen anforderungserhöhend. Insbesondere führt der Umstand, dass im Falle der Mitverursachung das Risiko bzw. die Verletzung auch durch ein anderes Unternehmen (mit-)verursacht wird, nicht dazu, dass die Anforderungen an die angemessene Beachtung der Sorgfaltspflichten für das verpflichtete Unternehmen sinken. Die Verursachungsbeiträge des anderen Unternehmens entlasten das verpflichtete Unternehmen dementsprechend nicht. Denn die Verletzung von Pflichten erscheint schon bei abstrakter Betrachtung nicht weniger schwerwiegend, wenn andere dieselben Pflichten ebenfalls verletzen. Sähe man dies anders, hätte das zur Folge, dass im Verhältnis zweier verpflichteter Unternehmen die Mitverursachung gegenseitig anforderungssenkend wirken würde, obwohl das Risiko bzw. die Verletzung doch (vollumfänglich) eingetreten ist. Ein solches Ergebnis wäre unter Wertungs- und teleologischen Gesichtspunkten nur schwerlich zu rechtfertigen. (2) Mittelbare Verursachung

113 Verursacht das verpflichtete Unternehmen das Risiko nicht unmittelbar, son-

dern lediglich mittelbar, indem es einen (mittelbaren) Beitrag leistet, so wirkt dies im Rahmen des § 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG anforderungssenkend. Denn das verpflichtete Unternehmen ist in diesem Fall weniger nah am Risiko bzw. an der Verletzung und verfügt typischerweise über geringere Einflussmöglichkeiten im Hinblick auf die Risikoreduzierung oder -minderung oder die Verhinderung bzw. Beendigung von Verletzungen sowie die Minimierung ihrer Auswirkungen.

114 Eine mittelbare Verursachung liegt vor, wenn das Risiko bzw. die Verletzung von

einem Zulieferer unmittelbar verursacht wird, das verpflichtete Unternehmen allerdings einen (mittelbaren) Beitrag zur Handlung des Zulieferers leistet, infolge derer das Risiko entsteht oder die Verletzung eintritt. In strafrechtliche Kategorien übersetzt dürfte es sich dabei namentlich um Fälle der Anstiftung und Beihilfe handeln.171 Die Regierungsbegründung zum LkSG nennt als Beispiel für eine mittelbare Verursachung die Konstellation, dass ein verpflichtetes Unternehmen die Produktanforderungen gegenüber seinem Zulieferer in letzter Minute ändert, ohne die Lieferzeiten oder den Einkaufspreis anzupassen, und der Zulieferer in der Folge gegen ILO-Kernarbeitsnormen verstößt, um den geänderten Anforderungen ge-

170 Nebentäterschaft erfasst die Konstellation, in der mehrere Beteiligte nebeneinander täterschaftlich handeln, ohne dass eine Koordination in Gestalt einer Mittäterschaft vorliegen würde, vgl. Kudlich, in: BeckOK StGB, 52. Edition, Stand: 01.02.2022, § 25 StGB Rz. 1. 171 Die Tatherrschaft dürfte dabei (allein) beim unmittelbaren Verursacher liegen, in dessen Geschäftsbereich das Risiko bzw. die Verletzung eintritt. Das ist der Grund dafür, weshalb sich ein (mittelbarer) Beitrag im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG grundsätzlich nicht der strafrechtlichen Kategorie der (Mit-)Täterschaft zuordnen lässt.

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recht zu werden.172 Hier zeigt sich die Verknüpfung zwischen den Kriterien der Art des Verursachungsbeitrags und des Einflussvermögens des verpflichteten Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher besonders deutlich, denn je größer das Einflussvermögen auf den unmittelbarem Verursacher ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass dieser sich den Wünschen des verpflichteten Unternehmens auch unter Inkaufnahme menschenrechtlicher oder umweltbezogener Risiken oder Verletzungen entsprechender Pflichten beugen wird. Wie das in der Regierungsbegründung genannte Beispiel zeigt, geht der Gesetzgeber offenbar davon aus, dass an die Annahme eines mittelbaren Beitrags des verpflichteten Unternehmens nur geringe Anforderungen zu stellen sind; insbesondere ist nach der Regierungsbegründung für die Annahme eines relevanten Beitrags nicht erforderlich, dass sich das verpflichtete Unternehmen rechts- oder vertragswidrig verhält. Soweit sich das verpflichtete Unternehmen bei einer etwaigen Einflussnahme auf den unmittelbaren Verursacher allerdings innerhalb der (vertrags-)rechtlichen Grenzen bewegt, ist ein etwaiger (mittelbarer) Beitrag des verpflichteten Unternehmens in der Regel als gering einzustufen, mit der Folge, dass § 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG in dieser Konstellation tendenziell anforderungssenkend wirkt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales geht in seinen FAQ darüber hi- 115 naus augenscheinlich davon aus, dass schon allein das Eingehen oder Unterhalten einer vertraglichen Lieferbeziehung zu dem unmittelbaren Verursacher einen Verursachungsbeitrag des verpflichteten Unternehmens begründet.173 Denn es nimmt (im Rahmen des § 4 Abs. 2 LkSG) einen Verursachungsbeitrag bereits dann an, „wenn das Unternehmen durch seine Handlungen mindestens zu der Entstehung oder Verstärkung des Risikos kausal beigetragen hat, das heißt, wenn die Handlung des Unternehmens nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die konkrete Folge (Entstehung des Risikos) entfällt.“174 Den darin zum Ausdruck kommenden Gedanke einer bloßen Kausalität im Sinne der Äquivalenztheorie reichert das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zwar sodann um Aspekte der Adäquanz an, indem es darauf hinweist, ein Unternehmen müsse nicht für solche Ereignisse einstehen, „die nach der normalen Lebensanschauung eines objektiven, informierten Dritten völlig außerhalb der Erfahrung und Erwartung liegen.“175 172 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 43. Dieses Beispiel findet sich auch in UN OHCHR (2012): The Corporate Responsibility to Respect Human Rights. An Interpretive Guide, S. 17. 173 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VI.5.; s. auch Empfehlungen des Bundesrats, BR-Drucks. 239/1/21, S. 8 f. In eine ähnliche Richtung scheint der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien, S. 8 zu gehen: „Bei der Untersuchung möglicher Risiken muss unterschieden werden zwischen Auswirkungen, welche direkt vom Unternehmen verursacht werden, zu welchen das Unternehmen z. B. durch direkte Vertragsbeziehungen mit Lieferanten beiträgt oder […].“ 174 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VI.5. 175 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VI.5.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten Allerdings benennt das Bundesministerium im gleichen Atemzug als Beispiel eines „Beitragens“ im Sinne des § 4 Abs. 2 LkSG den Fall, „dass mehrere Unternehmen bei derselben Fabrik bestellen“. In dieser Konstellation leiste nach Auffassung des Bundesministeriums „jedes Unternehmen einen Beitrag“.176 116 Die vorgenannte Ansicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, das

augenscheinlich bereits im Eingehen oder Unterhalten einer vertraglichen Lieferbeziehung zu dem unmittelbaren Verursacher einen Verursachungsbeitrag des verpflichteten Unternehmens erblickt, ist abzulehnen.177 Sie findet weder im Gesetzeswortlaut noch in der Regierungsbegründung eine hinreichende Stütze.178 176 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter VI.5. 177 Ebenso Diskussionspapier zu Rechts- und Umsetzungsfragen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes des Verbands der Chemischen Industrie e.V., Stand: 18.3.2022, S. 33, 35 ff.; Brouwer, CCZ 2022, 137, 142 f.; ebenso auch OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 73: „Die bloße Existenz von Geschäftsbeziehungen oder Geschäftsaktivitäten, welche die allgemeinen Umstände schaffen, in denen das Auftreten negativer Effekte möglich ist, stellt noch keine beitragende Beziehung zum Effekt dar. Die betreffende Aktivität sollte das Risiko des negativen Effekts wesentlich erhöhen.“ 178 Im Gegenteil scheint auch den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, Kommentar zu Ziff. 22, S. 28 f. der Gedanke zugrunde zu liegen, dass das Eingehen oder Unterhalten einer Geschäftsbeziehung noch kein „Verursachen“ oder „Beitragen“ darstellt: „Sind nachteilige Auswirkungen eingetreten, die das Wirtschaftsunternehmen nicht verursacht oder zu denen es nicht beigetragen hat, die aber wegen einer Geschäftsbeziehung unmittelbar mit seiner Geschäftstätigkeit, seinen Produkten oder seinen Dienstleistungen verbunden sind, verlangt die Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte nicht, selbst für Wiedergutmachung zu sorgen, obgleich es dabei eine Rolle übernehmen kann.“ Ähnlich auch OECD (2011): OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, unter IV.43.: „Ziffer 3 betrifft komplexere Fälle, in denen ein Unternehmen nicht zu den negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte beigetragen hat, die Auswirkungen aber gleichwohl auf Grund seiner Geschäftsbeziehung zu einer anderen Unternehmenseinheit mit seiner Geschäftstätigkeit, seinen Produkten oder Dienstleistungen unmittelbar verbunden sind. Mit Ziffer 3 soll die Verantwortung aber nicht von dem Verursacher der negativen menschenrechtlichen Auswirkungen auf das Unternehmen verlagert werden, mit dem der Verursacher eine Geschäftsbeziehung unterhält.“; s. auch OECD (2011): OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, unter II.12.: „Die Unternehmen sollten in dieser Hinsicht: […] Bestrebt sein, einen negativen Effekt zu verhüten oder zu mindern in Fällen, in denen sie selbst nicht zu diesem Effekt beigetragen haben, dieser Effekt aber gleichwohl auf Grund einer Geschäftsbeziehung mit der Geschäftstätigkeit, den Produkten oder Dienstleistungen des Unternehmens unmittelbar verbunden ist.“ Ebenso OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 29: „Insbesondere ist zu bestimmen: ob das Unternehmen den negativen Effekt verursacht hat (oder verursachen würde); zum negativen Effekt beigetragen hat (oder beitragen würde); oder ob der negative Effekt durch eine Geschäftsbeziehung des Unternehmens in unmittelbarer Verbindung mit seinen Geschäftstätigkeiten, Produkten oder Dienstleistungen steht (oder stehen würde).“ In gleichem Sinne UN OHCHR (2012): The Corporate Responsibility to Respect Human Rights. An Interpretive Guide, S. 15 ff., 32.

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Insofern gilt es zu bedenken, dass § 2 Abs. 7 LkSG zwingend den Abschluss eines Vertrages voraussetzt, damit ein Zulieferer als unmittelbarer Zulieferer qualifiziert werden kann. Würde man bereits im Eingehen oder Unterhalten einer Lieferbeziehung (die ja auf Grundlage eines Vertrages erfolgt) einen relevanten Verursachungsbeitrag erblicken, so hätte dies zur Folge, dass für den weiten Bereich des Lieferkettenrisikomanagements betreffend unmittelbare Zulieferer das Erfordernis eines Verursachungsbeitrags in § 4 Abs. 2 LkSG faktisch gestrichen würde.179 Vor diesem Hintergrund muss, um einen relevanten (mittelbaren) Beitrag im Sinne der §§ 3 Abs. 2 Nr. 4, 4 Abs. 2 LkSG annehmen zu können, mehr hinzukommen, als die bloß äquivalente Kausalität zwischen dem Handeln des verpflichteten Unternehmens und der Entstehung des Risikos bzw. der Verletzung. Ein (mittelbarer) Beitrag im Sinne der §§ 3 Abs. 2 Nr. 4, 4 Abs. 2 LkSG ist daher nur dann anzunehmen, wenn es sich bei ihm um einen qualifizierten Beitrag handelt (s. dazu und zum Folgenden auch die Kommentierung zu § 4 Rz. 17).180 Den Weg weist insofern der vom Bundesministerium selbst angeführte Adäquanzgedanke, der die uferlose Reichweite der äquivalenten Kausalität begrenzt. Die hier vertretene Ansicht findet darüber hinaus Rückhalt in den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, die Vorbildwirkung für die Ausgestaltung der Sorgfaltspflichten nach dem LkSG hatten und in denen die Formulierung „beitragen zu einem negativen Effekt“ als Erfordernis eines substantiellen Beitrags verstanden wird.181 Qualifiziert ist ein Risikobeitrag, wenn der Eintritt des Risikos oder der Verlet- 117 zung infolge der Handlung des verpflichteten Unternehmens nach der normalen Lebensanschauung eines objektiven, informierten Dritten nicht völlig außerhalb der Erfahrung und Erwartung liegt für dies für das verpflichtete Unternehmen objektiv erkennbar182 ist. Legt man dieses Verständnis zugrunde, er179 In die gleiche Richtung Diskussionspapier zu Rechts- und Umsetzungsfragen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes des Verbands der Chemischen Industrie e.V., Stand: 18.3.2022, S. 36; Brouwer, CCZ 2022, 137, 142. 180 Vgl. Diskussionspapier zu Rechts- und Umsetzungsfragen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes des Verbands der Chemischen Industrie e.V., Stand: 18.3.2022, S. 33, 35 ff.; Brouwer, CCZ 2022, 137, 142 f.; s. auch die Kommentierung zu § 4 Rz. 17. 181 Vgl. OECD (2011): OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, unter II.14.: „Im Sinne dieser Empfehlung sollte die Formulierung „beitragen zu“ einem negativen Effekt als substanzieller Beitrag ausgelegt werden, mit anderen Worten als eine Aktivität, die einen anderen Unternehmensteil dazu veranlasst, es ihm erleichtert oder ihm Anreize bietet, einen negativen Effekt zu verursachen, wobei kleinere oder unbedeutende Beiträge unberücksichtigt bleiben.“ Ebenso OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 73: „Der Beitrag muss wesentlich sein, d.h. minimale oder triviale Begünstigungen fallen nicht darunter.“ 182 Auch die OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct stellen zur Bestimmung der Wesentlichkeit eines Beitrags u.a. auf den Grad der Vorhersehbarkeit („Maß, in dem das Unternehmen um den negativen Effekt oder die Möglichkeit negativer Effekte gewusst haben könnte oder sollte“) ab, vgl. OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 73.

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§ 3 | Sorgfaltspflichten schließt sich auch ohne Weiteres das in der Regierungsbegründung zum LkSG angeführte Beispiel eines (mittelbaren) Beitrags im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG, in dem das verpflichtete Unternehmen die Produktanforderungen gegenüber seinem Zulieferer in letzter Minute ändert, ohne die Lieferzeiten oder den Einkaufspreis anzupassen, und der Zulieferer in der Folge gegen ILO-Kernarbeitsnormen verstößt, um den geänderten Anforderungen gerecht zu werden (s. dazu bereits Rz. 114). In dieser Konstellation ist es ganz regelmäßig objektiv erkennbar und es liegt auch nicht völlig außerhalb der Erfahrung und Erwartung, dass der Zulieferer das zugesagte – und vom verpflichteten Unternehmen nicht angepasste – Lieferdatum nur unter Inkaufnahme von Verstößen etwa gegen Vorschriften über die Arbeitszeit einhalten kann. Generell liegt es nahe, einen qualifizierten Beitrag in Fällen der Vereinbarung besonders niedriger Preise oder besonders kurzfristiger Lieferfristen anzunehmen, die offensichtlich nur unter Missachtung des Arbeitsschutzes eingehalten werden können.183 Gleiches gilt für Einflussnahmen im Wege der Drohung mit Nachteilen, der Ausübung von Druck oder durch Inaussichtstellen von Belohnungen, soweit offensichtlich ist, dass es infolge der Einflussnahme beim Zulieferer zu einem menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiko oder der Verletzung einer entsprechenden Pflicht kommen wird. In der Vergabe eines großvolumigen Auftrags allein liegt dagegen noch kein qualifizierter Beitrag,184 soweit nicht offensichtlich ist, dass es infolge des Auftrags beim Zulieferer zu einem Risiko oder der Verletzung einer Pflicht kommen wird.

IV. Zivilrechtliche Haftung, § 3 Abs. 3 LkSG 118 Siehe zu § 3 Abs. 3 LkSG und den haftungsrechtlichen Implikationen bei einem

Verstoß gegen die Pflichten nach dem LkSG die separate Kommentierung im Anhang zu § 11 LkSG.

183 Vgl. Diskussionspapier zu Rechts- und Umsetzungsfragen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes des Verbands der Chemischen Industrie e.V., Stand: 18.3.2022, S. 37; Brouwer, CCZ 2022, 137, 143. Siehe auch OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, S. 74: „Das Festlegen einer impraktikabel kurzen Durchlaufzeit und das Einschränken der Verwendung von Subunternehmen sind Handlungen, die das Risiko exzessiver Überstunden auf Ebene des Herstellers erhöhen.“ 184 Tendenziell a.A. Diskussionspapier zu Rechts- und Umsetzungsfragen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes des Verbands der Chemischen Industrie e.V., Stand: 18.3. 2022, S. 37; Brouwer, CCZ 2022, 137, 143.

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§ 4 Risikomanagement (1) Unternehmen müssen ein angemessenes und wirksames Risikomanagement zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten (§ 3 Absatz 1) einrichten. Das Risikomanagement ist in alle maßgebliche Geschäftsabläufe durch angemessene Maßnahmen zu verankern. (2) Wirksam sind solche Maßnahmen, die es ermöglichen, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken zu erkennen und zu minimieren sowie Verletzungen menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten zu verhindern, zu beenden oder deren Ausmaß zu minimieren, wenn das Unternehmen diese Risiken oder Verletzungen innerhalb der Lieferkette verursacht oder dazu beigetragen hat. (3) Das Unternehmen hat dafür zu sorgen, dass festgelegt ist, wer innerhalb des Unternehmens dafür zuständig ist, das Risikomanagement zu überwachen, etwa durch die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten. Die Geschäftsleitung hat sich regelmäßig, mindestens einmal jährlich, über die Arbeit der zuständigen Person oder Personen zu informieren. (4) Das Unternehmen hat bei der Errichtung und Umsetzung seines Risikomanagementsystems die Interessen seiner Beschäftigten, der Beschäftigten innerhalb seiner Lieferketten und derjenigen, die in sonstiger Weise durch das wirtschaftliche Handeln des Unternehmens oder durch das wirtschaftliche Handeln eines Unternehmens in seinen Lieferketten in einer geschützten Rechtsposition unmittelbar betroffen sein können, angemessen zu berücksichtigen. I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einrichtung eines angemessenen und wirksamen Risikomanagements, § 4 Abs. 1 LkSG 1. Grundelemente eines Lieferketten-Risikomanagements . . . . . . 2. Verankerung in allen maßgeblichen Geschäftsabläufe . . . . . . . 3. Zum Angemessenheit und Wirksamkeit eines Risikomanagements 4. Erfüllung der Sorgfaltspflichten durch Brancheninitiativen bzw. Branchenstandards? . . . . . . . . . 5. Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorfragen bei Aufbau und Überprüfung des Risikomanagements . . . . . . . . . . . b) Verankerung auf der Leitungsebene des verpflichteten Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuständigkeiten im Risikomanagement . . . . . . . . . . . .

_ _ _ _ _ __ _ _ _ 1 3 4 9

12

III. 1. 2.

16 18 20 21 22

IV.

1.

d) Wesentliche Verfahren und Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . e) Lückenlose Zuständigkeitszuordnung . . . . . . . . . . . . . Zum Begriff der Wirksamkeit nach § 4 Abs. 2 LkSG . . . . . . . . Wortlaut vs. Regelungsgehalt; Zielrichtung des Risikomanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Notwendigkeit eines Verursachungsbeitrags . . . . . . . . . . a) Unterscheidung zwischen „Verursachen“ und „Beitragen“ b) Schwelle des „Beitragens“ bei einem (unmittelbaren oder mittelbaren) Zulieferer . . . . . Festlegung betriebsinterner Zuständigkeiten/Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten, § 4 Abs. 3 LkSG . . . . . . . . . . . . Pflicht zur Ernennung eines Menschenrechtsbeauftragten . . .

Balke

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§ 4 | Risikomanagement 2. Die Funktion des Menschenrechtsbeauftragten innerhalb des Unternehmens . . . . . . . . . . a) Notwendige Abgrenzung der Überwachungspflicht von der Pflicht zur Einrichtung eines Lieferketten-Risikomanagements? . . . . . . . . . . . . . . . . b) Organisatorische Einordnung des Menschenrechtsbeauftragten . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unabhängigkeit; Sicherstellung einer hinreichenden Ausstattung . . . . . . . . . . . . . d) Keine Pflichtendelegation vom Unternehmen auf den Menschenrechtsbeauftragten .

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3. Aufgaben des Menschenrechtsbeauftragten . . . . . . . . . . . . . . . 4. Externe Dienstleister als Menschenrechtsbeauftragte („Outsourcing“) . . . . . . . . . . . . 5. Regelmäßige Unterrichtung der Geschäftsleitung, § 4 Abs. 3 Satz 2 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . V. Berücksichtigung der Interessen Betroffener, § 4 Abs. 4 LkSG . . 1. Zum Begriff des Beschäftigten . . 2. Sonstige Betroffene i.S.d. § 4 Abs. 4 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mittel der Beteiligung . . . . . . . .

_ _ _ __ __ 53 56 57 58 60 61 64

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Literatur: Brouwer, Noch viele offene Rechts- und Auslegungsfragen zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Hinweise zum VCI-Diskussionspapier zur Umsetzung des LkSG, CCZ 2022, 137; Charnitzky/Weigel, Die Krux mit der Sorgfalt, RIW 2022, 12; Dohrmann, Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz als Vorbild für den europäischen Gesetzgeber? – Eine kritische Analyse, CCZ 2021, 265; Ehmann, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) kommt!, ZVertriebsR 2021, 205; Ehmann, Der Regierungsentwurf für das Lieferkettengesetz: Erläuterung und erste Hinweise zur Anwendung, ZVertriebsR 2021, 141; Ehmann/Berg, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG): ein erster Überblick, GWR 2021, 287; Gailhofer/Verheyen, Klimaschutzbezogene Sorgfaltspflichten: Perspektiven der gesetzlichen Regelung in einem Lieferkettengesetz, ZUR 2021, 402; Gehling/Ott/Lüneborg, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230; Häfeli, Der Menschenrechtsbeauftragte im Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz – ein weiterer betrieblicher Beauftragter?, ARP 2021, 299; Harings/Jürgens/Thalhammer, Die Rolle des Menschenrechtsbeauftragten im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, CB 2022, 93; Helck, Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten: Worauf sich Unternehmen zukünftig vorbereiten müssen, BB 2021, 1603; Krebs, Menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflicht: Der Wettlauf zwischen europäischer und deutscher Rechtssetzung, ZUR 2021, 394; Leuering/Rubner, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NJWSpezial 2021, 399; Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, Menschenrechte und Umweltschutz in Lieferketten – der Regierungsentwurf eines Sorgfaltspflichtengesetzes, BB 2021, 906; Nietsch/Wiedmann, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, CCZ 2021, 101; Nietsch/Wiedmann, Der Vorschlag zu einer europäischen Sorgfaltspflichten-Richtlinie im Unternehmensbereich (Corporate Sustainability Due Diligence Directive), CCZ 2022, 125; Niklas/Lex, Das neue Lieferkettengesetz – Ein Überblick über die wesentlichen Inhalte und etwaige arbeitsrechtliche Implikationen, ArbRB 2021, 212; Reich, Menschenrechts- und Umweltschutz in der Lieferkette, AG 2021, R116; Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, Der Menschenrechtsbeauftragte, CCZ 2022, 20; Scheffler, Sorgfaltspflichten in Lieferketten, AG 2021, R120; Seibt/Vesper-Gräske, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erweitert Compliance-Pflichten, CB 2021, 357; Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67; Stave/Velte, Regulierung eines nachhaltigen Lieferkettenmanagements – Bestandsaufnahme bisheriger Normierungen

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Risikomanagement | § 4 und Ausblick auf die geplante EU-Gesetzgebung –, DB 2021, 1791; Stöbener de Mora/Noll, Grenzenlose Sorgfalt? – Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NZG 2021, 1285; Wagner/ Ruttloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145.

I. Einleitung § 4 LkSG verpflichtet Unternehmen, ein angemessenes und wirksames Lieferket- 1 ten-Risikomanagement einzurichten, das in alle maßgebliche Geschäftsabläufe zu verankern ist. Im Kern geht es darum, die Unternehmen zu verpflichten, geeignete Prozesse auf- und umzusetzen, mit denen sie die Einhaltung ihrer unternehmensbezogenen Sorgfaltspflichten für Menschenrechte und Umwelt sicherstellen, d.h. potentielle Risiken und tatsächliche Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt im eigenen Unternehmen sowie in der Lieferkette identifizieren, vorbeugen oder minimieren bzw. beenden können (vgl. § 3 Abs. 1 LkSG). Die Vorschrift des § 4 LkSG legt darüber hinaus Kerninhalte fest, die zum einen 2 bei der Einführung des Risikomanagements selbst und zum anderen bei der Durchführung der weiteren Pflichten nach §§ 5–10 LkSG zu beachten sind.1 Die Begriffsdefinitionen zur „Wirksamkeit“ i.S.v. § 4 Abs. 1 LkSG oder die Grundsätze zur Beteiligung relevanter Stakeholder i.S.v. § 4 Abs. 4 LkSG haben insoweit auch Bedeutung bei der Risikoanalyse (§ 5 LkSG) sowie der Durchführung der Präventiv- und Abhilfemaßnahmen (§§ 6, 7 LkSG).

II. Einrichtung eines angemessenen und wirksamen Risikomanagements, § 4 Abs. 1 LkSG § 4 Abs. 1 LkSG verpflichtet die Unternehmen zur Einrichtung eines angemesse- 3 nen und wirksamen Risikomanagements. Nähere Festlegungen, wie ein solches Lieferketten-Risikomanagement auszugestalten ist, ergeben sich aus § 4 Abs. 1 LkSG nicht. § 4 Abs. 1 LkSG bestimmt lediglich, dass dieses Risikomanagement in alle maßgeblichen Geschäftsabläufe (dazu Rz. 7 ff.) durch angemessene Maßnahmen zu verankern ist. 1. Grundelemente eines Lieferketten-Risikomanagements Die Einrichtung eines Risikomanagements ist in erster Linie eine Aufgabe der Un- 4 ternehmensorganisation. Wie bei jedem Risikomanagement geht es daher darum, (eindeutige) Verantwortlichkeiten im Unternehmen zu bestimmen, Informations- und Berichtswege zu etablieren und Präventions-, Überwachungs- und Wirksamkeitskontrollmaßnahmen einzuführen.2 Insofern unterscheidet sich 1 BT-Drucks. 19/28649, 43. 2 Wagner/Ruthloff, NJW 2021, 2145 Rz. 34 sprechen von der „Scharnierfunktion für Prävention und Abhilfe“.

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§ 4 | Risikomanagement ein lieferkettenbezogenes Risikomanagement nicht von anderen (Compliance-) Risikomanagementsystemen. Auf allgemein gültige „Best Practices“ oder Standards3 kann – und sollte – daher auch im Rahmen der Einrichtung eines Lieferketten-Risikomanagements zurückgegriffen werden.4 5 Grundlage jedes Lieferketten-Risikomanagement ist eine eindeutige Zuordnung

von Verantwortlichkeiten für das Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen. Dies beginnt mit der Zuweisung in ein Vorstands-/Geschäftsführungsressort, der Festlegung einer unternehmensweiten Zuständigkeit (i.d.R. durch Ernennung eines Menschenrechtsbeauftragten, dazu noch ausführlich Rz. 39 ff.) und Identifizierung der weiteren unternehmensinternen Bereiche/Abteilungen/Geschäftsabläufe, die in das Lieferketten-Risikomanagement einzubeziehen sind (Risk Owners, Rechts- und Compliance-Abteilungen). Zu der eindeutigen Zuständigkeitszuweisung gehört auch die Abgrenzung der Verantwortlichkeiten (z.B. zu anderen Betriebs- oder Umweltbeauftragten oder bei Geltung spezifischer gesetzlicher Anforderungen etwa mit Blick auf die Vorgaben der KonfliktmineralienVO).

6 Die Unternehmen können ihr Lieferketten-Risikomanagement mit in ein bereits

vorhandenes allgemeines unternehmensweites Risiko- bzw. Compliance-Managementsystem einbeziehen.5 Diese Freiheit ist Teil ihres Gestaltungsermessens, welches § 4 Abs. 1 LkSG über den Angemessenheitsvorbehalt (dazu noch Rz. 12 ff.) den Unternehmen bei der Einrichtung und Ausgestaltung eines Lieferketten-Risikomanagements einräumt.

7 Voraussetzung ist, dass die Mindestvorgaben, die das LkSG an ein Risiko-

management stellt (dazu sogleich unter Rz. 7), erfüllt werden. In der Praxis ist dabei vor allem an Anpassung von Abläufen, insbesondere im Berichtswesen, die Ergänzung von Compliance-Richtlinien oder vertraglichen Abreden mit Zulieferern sowie die Nutzung und Einbeziehung von (Risikoerfassungs-)Datenbanken oder – abhängig von Größe und Risikodisposition des Unternehmens – von KI-gestützten Risiko-Frühwarnsystemen zu denken.6

8 Die zentralen Grundelemente (vgl. auch die Checkliste Rz. 18 ff.), die jedes Lie-

ferketten-Risikomanagementsystem mindestens aufweisen muss, folgen aus den Vorschriften des LkSG: – Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten als zentrale Verantwortlichkeit für das Lieferketten-Risikomanagement; regelmäßige Information an die Geschäftsleitung (§ 4 Abs. 3 LkSG) – Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen und Kommunikation der Ergebnisse an die maßgeblichen Entscheidungsträger (§ 5 Abs. 1, 3 LkSG)

3 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 18 ff. verweist etwa auf IDW PS 980/981 oder ISO 19600/31000; auch das COSO Integrated Framework for Internal Controls oder das Integrated Framework for Enterprise Risk Management können herangezogen werden. 4 In diesem Sinne auch Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 234. 5 Nach Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 19 ist eine Integration soweit wie möglich zu empfehlen. 6 So auch Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 234.

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Risikomanagement | § 4

– Abgabe einer Grundsatzerklärung über die Menschenrechtsstrategie des Unternehmens durch die Geschäftsleitung (§ 6 Abs. 2 LkSG) – Etablierung angemessener Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbetrieb und bei den unmittelbaren Zulieferern (§ 6 Abs. 3 LkSG) – Einrichtung eines unternehmensinternen Beschwerdeverfahrens (§ 8 LkSG); Berücksichtigung der Erkenntnisse aus Hinweisen im Rahmen der regelmäßigen Risikoanalysen – Erstellung und Veröffentlichung jährlicher Berichte; Einreichung der jährlichen Berichte bei der BAFA (§§ 10, 12 LkSG) 2. Verankerung in allen maßgeblichen Geschäftsabläufe Das Risikomanagement ist nach § 4 Abs. 1 S. 2 LkSG in allen maßgeblichen Ge- 9 schäftsabläufe zu verankern. Fraglich ist, welche Geschäftsabläufe damit gemeint sind. Die Regierungsbegründung zu § 4 Abs. 3 LkSG verweist darauf, dass „am Unternehmensstandort in allen maßgeblichen unternehmensinternen Geschäftsabläufen, die voraussichtlich die Risikominimierung beeinflussen können, Zuständigkeiten zu verankern [sind]“.7 Entscheidend kommt es dabei auf die Unternehmensbereiche an, die Einfluss 10 auf menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken nehmen und diese minimieren können. Welche dies sind, hängt im Einzelnen vom konkreten Geschäftsmodell des Unternehmens ab und ergibt sich aus der Risikoanalyse (dazu § 5 Rz. 14 ff.). Neben der Schaffung einer zentralen Stelle/Funktion für das Lieferketten-Risikomanagement ist daher zu identifizieren, an welchen Stellen im Unternehmen die wesentlichen „Stellschrauben“ für die Identifizierung und Minimierung menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken entlang der Lieferkette liegen. Regelmäßig werden dies die nachfolgenden Bereiche8 sein: – Einkaufsabteilungen oder – soweit vorhanden – Niederlassungen in den Beschaffungsmärkten9 – Produktion bzw. Operations, auch unter Einbeziehung der Qualitätssicherung – HR – Legal und Compliance Teilweise wird im Sinne eines ganzheitlichen Nachhaltigkeitsmanagement auch eine Einbeziehung der Bereiche Kommunikation und Vertrieb für empfehlenswert gehalten.10 7 BT-Drucks. 19/28649, 43 (Hervorhebungen hinzugefügt). 8 Instruktiv Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 234, 236. 9 Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 7 ff. 10 Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 7 ff.

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§ 4 | Risikomanagement 11 Die Regierungsbegründung zu § 4 Abs. 3 LkSG verweist auf die maßgeblichen

unternehmensinternen Geschäftsabläufe „am Unternehmensstandort“11. Die Bezugnahme auf den Unternehmensstandort könnte im Sinne einer geographischen Beschränkung verstanden werden, so dass nur Geschäftsabläufe z.B. am Hauptsitz des Unternehmens „maßgeblich“ i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 LkSG sein sollen. Nach Sinn und Zweck dürfte aber weniger die Frage des Standorts entscheidend sein, sondern allein die Frage, inwieweit Einflussnahme auf die Minimierung menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken genommen werden kann. Klar ist, dass sich die Verpflichtung zur Einrichtung eines Risikomanagements grds. nur auf das eigene Unternehmen, d.h. auf die eigenen Standorte, beziehen kann.12 3. Zum Angemessenheit und Wirksamkeit eines Risikomanagements

12 § 4 Abs. 1 LkSG verlangt, dass die Unternehmen ein angemessenes und wirk-

sames Risikomanagement zur Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten einrichten müssen. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 2 LkSG soll den verpflichteten Unternehmen durch den Angemessenheitsvorbehalt der „notwendige flexible Ermessens- und Handlungsspielraum bei der Auswahl der geeigneten Maßnahmen“13 eingeräumt werden.14

13 Was hieraus konkret für das Lieferketten-Risikomanagement folgt, ist im Wege

der Auslegung zu ermitteln. Das Erfordernis der Einrichtung und Ausgestaltung eines angemessenen (und wirksamen) Risikomanagements findet sich etwa auch in § 91 Abs. 3 AktG oder § 4 Abs. 1 GwG. In diesem Zusammenhang wird das Angemessenheitserfordernis wie folgt konkretisiert: – Die Ausgestaltung der Systeme muss sich an dem Umfang der Geschäftstätigkeit und der Risikoexposition des Unternehmens orientieren;15 die konkreten Anforderungen des § 91 Abs. 3 AktG stehen in einer direkten Beziehung zur individuellen Risikolage des Unternehmens, ohne dabei dem Vorstand 11 BT-Drucks. 19/28649, 43. 12 Dies ergibt sich allerdings auch schon daraus, dass die Reg.-Begr. auf „alle […] maßgeblichen unternehmensinternen Geschäftsabläufe […]“ verweist. Ähnlich auch die die Reg.-Begr. zu § 4 Abs. 2 LkSG: „Regelungsgegenstand [des Risikomanagements] ist mithin die Verpflichtung zur Einhaltung eigener Sorgfaltspflichten am eigenen Standort“, vgl. jeweils BT-Drucks. 19/28649, 43 (Hervorhebungen hinzugefügt). 13 BT-Drucks. 19/28649, 42. 14 Ausführlich Kommentierung zu § 3 Rz. 37 ff. 15 Fleischer in BeckOK, Großkomm/AktG, Stand: 02/2022, § 91 Rz. 58; Koch in Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl. 2022, § 91 Rz. 36; Fischer/Schuck, Die Einrichtung von Corporate Governance-Systemen nach dem FISG, NZG 2021, 534, 538. Ähnlich auch zum GwG: Ausgangspunkt der Angemessenheit sind die im Rahmen der Risikoanalyse analysierten Risiken, vgl. etwa BaFin, Auslegungs- und Anwendungshinweise zum GwG, S. 10; Kaetzler in Zentes/Glaab, GwG, 2. Aufl. 2020, § 4 Rz. 11; Müller in BeckOK, K, GwG, Stand: 03/2022, § 4 GwG Rz. 23; Herzog in Herzog, Geldwäschegesetz, 4. Aufl. 2020, § 4 Rz. 6, 8.

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in seinem Leitungsermessen hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung übermäßig einzuschränken.16 Insoweit hat eine Abwägung im Hinblick auf den Umfang der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des Unternehmens zu erfolgen, maßgeblich sind regelmäßig Art, Größe und Organisation der Geschäftstätigkeit, unternehmens- sowie branchenspezifische Risiken, die durch das Unternehmen zu beachtenden Rechtsvorschriften, die geographische Präsenz sowie relevante Verstöße und Verdachtsfälle aus der Vergangenheit.17 – Der Angemessenheitsvorbehalt ist Ausdruck der Verhältnismäßigkeit.18 Die Systeme müssen nicht allumfassend, sondern nur angemessen sein, ihre konkrete Ausgestaltung steht unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit.19 Diese grundsätzlichen Überlegungen können auf das Lieferketten-Risiko- 14 management übertragen werden: Die Unternehmen haben bei der Frage der Ausgestaltung ihres Lieferketten-Risikomanagements ein weites Ermessen; die angemessene Ausgestaltung ihrer Risikomanagements-Systeme hängt unmittelbar von der individuellen Risikoexposition des betroffenen Unternehmens und bestimmt sich unter Berücksichtigung der Kriterien des § 3 Abs. 2 LkSG. Auch mit Blick darauf, wie der in § 4 Abs. 1 verwendete Begriff eines „wirk- 15 samen“ Risikomanagements zu verstehen ist, kann auf allgemeine Überlegungen zu Risikomanagement-Systemen zurückgegriffen werden (s. hierzu auch Rz. 4 ff.). So versteht etwa § 91 Abs. 3 AktG unter einem „wirksamen“ RisikomanagementSystem ein System, welches zur Aufdeckung, Steuerung und Bewältigung wesentlicher Risiken geeignet sein muss.20 Zu einem „wirksamen“ Risikomanagementsystem zählt seine praktische Umsetzung.21 Dafür muss der Verpflichtete die 16 Fleischer in BeckOK, Großkomm/AktG, Stand: 02/2022, § 91 Rz. 58; Fischer/Schuck, Die Einrichtung von Corporate Governance-Systemen nach dem FISG, NZG 2021, 534, 538. 17 Fischer/Schuck, Die Einrichtung von Corporate Governance-Systemen nach dem FISG, NZG 2021, 534, 539. 18 Koch in Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl. 2022, § 91 Rz. 36; Fischer/Schuck, Die Einrichtung von Corporate Governance-Systemen nach dem FISG, NZG 2021, 534, 538. 19 Koch in Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl. 2022, § 91 Rz. 36; Fleischer in BeckOK, Großkomm/AktG, Stand: 02/2022, § 91 Rz. 58; Fischer/Schuck, Die Einrichtung von Corporate Governance-Systemen nach dem FISG, NZG 2021, 534, 538. 20 Begr. RegE FISG, BT-Drucks. 19/26966, 115; Koch in Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl. 2022, § 91 Rz. 37; Fleischer in BeckOK, Großkomm/AktG, Stand: 02/2022, § 91 Rz. 59; Müller-Michaels in Hölters/Weber, Aktiengesetz, 4. Aufl. 2022, § 91 Rz. 10; Fischer/ Schuck, Die Einrichtung von Corporate Governance-Systemen nach dem FISG, NZG 2021, 534, 539). 21 Koch in Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl. 2022, § 91 Rz. 37; Fischer/Schuck, Die Einrichtung von Corporate Governance-Systemen nach dem FISG, NZG 2021, 534, 539. Ähnlich die Anforderungen im Rahmen des GWG: Das Risikomanagement soll nicht bloß formal festgeschrieben sein und lediglich „auf dem Papier“ existieren, sondern praktisch umgesetzt werden, vgl. etwa Müller in BeckOK, K-GwG, Stand: 03/2022, § 4 GwG Rz. 22; Kaetzler in Zentes/Glaab, GwG, 2. Aufl. 2020, § 4 Rz. 10.

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§ 4 | Risikomanagement notwendigen organisatorischen Vorkehrungen schaffen, die eine effektive Umsetzung seines entwickelten Risikomanagementsystems durch ihn selbst oder die hierfür eingeschalteten Mitarbeiter sicherstellen, die tatsächliche Umsetzung laufend kontrollieren sowie fortlaufend geeignete Strategien und Sicherungsmaßnahmen entwickeln.22 In diesem Sinne wird auch zu § 91 Abs. 3 AktG verlangt, dass zur Wirksamkeit eines Systems auch regelmäßige und anlassbezogene Systemprüfungs- und Nachjustierungspflichten gehörten, da sich die Pflicht des § 91 Abs. 3 AktG nicht in der einmaligen Einrichtung erschöpfe, sondern regelmäßige Fortentwicklung, Überwachung und Kontrolle erfordere.23 Im Gegenzug wird etwa im Rahmen des § 91 Abs. 3 AktG regelmäßig darauf verwiesen, dass sich aus dem Umstand, dass sich bestimmte Risiken verwirklicht haben, nicht zwingend auf die fehlende Wirksamkeit des Systems geschlossen werden kann.24 4. Erfüllung der Sorgfaltspflichten durch Brancheninitiativen bzw. Branchenstandards? 16 In der Praxis hat die Erfüllung von gesetzlichen Sorgfaltspflichten in Zusam-

menarbeit mit anderen Unternehmen schon jetzt erhebliche Bedeutung, die in der Tendenz zunehmen wird.25 Das Zusammenwirken mit anderen Unternehmen, etwa im Rahmen von Brancheninitiativen, kann hilfreich sein, um die Einflussmöglichkeit auf den Verursacher eines menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risikos zu erhöhen und diesen zu bewegen, an Prävention und Abhilfe mitzuwirken. Die Unterstützung von Brancheninitiativen und Verbänden kann zudem die Erfüllung der Sorgfaltspflichten erleichtern und unterstützen. Dazu können etwa die Informationen über branchentypische Risikolagen gehören, die über einen Verband oder einen Dritten gesammelt werden, ferner Präventions- und Abhilfestandards oder auch Muster-Vertragsklauseln.26

17 Das LkSG schließt die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen oder in ei-

ner Brancheninitiative nicht aus. § 7 Abs. 2 Nr. 2 gibt den verpflichteten Unternehmen im Rahmen von Abhilfemaßnahmen sogar vor, den Zusammenschluss mit anderen Unternehmen im Rahmen von Brancheninitiativen und Branchenstandards27 zu erwägen, etwa um die Einflussmöglichkeit auf den Verursacher zu erhöhen.28 Die Zusammenarbeit muss allerdings die Schranken aus allgemeinen Gesetzen beachten. Dazu zählen insbesondere kartellrechtliche Vorgaben,

22 So etwa explizit für das GwG-Risikomanagement: Kaetzler in Zentes/Glaab, GwG, 2. Aufl. 2020, § 4 Rz. 10; Herzog in Herzog, Geldwäschegesetz, 4. Aufl. 2020, § 4 Rz. 5. 23 Fleischer in BeckOK, Großkomm/AktG, Stand: 02/2022, § 91 Rz. 59. 24 Begr. RegE FISG, BT-Drucks. 19/26966, 115; Fleischer in BeckOK, Großkomm/AktG, Stand: 02/2022, § 91 Rz. 59; Koch in Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl. 2022, § 91 Rz. 37. 25 Vgl. auch § 7 Rz. 92. 26 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 49 und 51. 27 Näher § 7 Rz. 93 zu der Entstehung von Branchenstandards, die spezifisch einheitliche Erwartungen und Anforderungen in Bezug auf die Erfüllung der menschenrechtsbezogenen sowie umweltbezogenen Pflichten durch Lieferanten definieren. 28 Näher § 7 Rz. 91.

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etwa (aber nicht nur) beim Austausch von Informationen.29 Weitere Schranken können aus den für die Rechtsform des Unternehmens maßgebenden Regeln folgen. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft muss etwa die grundlegenden Organisationsentscheidungen für sein Unternehmen selbst treffen. Nicht disponibel ist auch die Pflicht der Geschäftsleitung, sich regelmäßig, mindestens einmal jährlich, über die Arbeit der für die Erledigung der gesetzlichen Pflichten zuständigen Personen zu informieren, Abs. 3 Satz 2. Die Unternehmensleitung muss ferner auch die Grundsatzerklärung selbst abgeben, § 6 Abs. 2 Satz 2. Rechtlich ist es nicht möglich, die Verantwortung für die Erfüllung von gesetzlichen Sorgfaltspflichten mit befreiender Wirkung auf einen Dritten zu übertragen. Sie bleibt bei dem verpflichteten Unternehmen. Werden Dritte mit der Erledigung von Teilaufgaben betraut, verbleibt bei dem verpflichteten Unternehmen eine Restverantwortung. Es muss sich insbesondere von der ordnungsgemäßen Aufgabenerledigung überzeugen und diese überwachen (vgl. auch Rz. 56 ff. zur Frage des Outsourcings der Funktion des Menschenrechtsbeauftragten). 5. Checkliste Beim Aufbau eines Risikomanagements steht den verpflichteten Unternehmen 18 ein weiter Ermessenspielraum zur Verfügung.30 Sie müssen Sorge dafür tragen, dass das Risikomanagementsystem ermöglicht, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken zu erkennen und zu minimieren sowie Verletzungen menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten zu verhindern.31 Die Leitfäden von internationalen Organisationen32 können eine Hilfestellung bieten. Sie sind aber nicht mit Blick auf das deutsche LkSG verfasst und sind daher keine abschließende Grundlage für die Einrichtung des Sorgfaltspflichten-Managements. Wegen der sehr unterschiedlichen Struktur der Unternehmen, die das Gesetz 19 anzuwenden haben, können sich Organisationsentscheidungen erheblich unterscheiden. Die folgende Checkliste soll Punkte zusammenfassen, die die verpflichteten Unternehmen bei der Einrichtung des Risikomanagements beachten sollten: 29 Vgl. § 7 Rz. 94; ferner 36. Erwägungsgrund in dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit; auch Pressemitteilung des BKartA vom 18.1.2022, Nachhaltigkeit im Wettbewerb erreichen – BKartA schließt Prüfung von Brancheninitiativen ab (abrufbar unter https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Pressemittei lungen/2022/18_01_2022_Nachhaltigkeit.html, Stand 25.5.2022). 30 Aufgrund des Angemessenheitsvorbehalts, s. Rz. 11 ff. sowie Kommentierung zu § 3 Abs. 2 Rz. 37 ff. 31 Zum Begriff der Wirksamkeit Rz. 15 ff. und nachfolgend Rz. 28 ff. 32 Vgl. nur OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, 2018 (abrufbar unter https://mneguidelines.oecd.org/ OECD-leitfaden-fur-die-erfullung-der-sorgfaltspflicht-fur-verantwortungsvolles-unter nehmerisches-handeln.pdf).

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§ 4 | Risikomanagement a) Vorfragen bei Aufbau und Überprüfung des Risikomanagements 20 Die Einrichtung des Risikomanagements muss auf einer sorgfältigen Ermittlung

der rechtlichen Grundlagen beruhen. Dazu rechnen in der Regel: – die Ermittlung der (Konzern-)Unternehmen, die in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen und die gesetzlichen Sorgfaltspflichten zu erfüllen haben (§ 1 LkSG); – die Bestimmung des eigenen Geschäftsbereichs der verpflichteten Unternehmen,33 insbesondere die Ermittlung der Unternehmen, die nach § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG dem Verantwortungsbereich des verpflichteten Unternehmens zuzurechnen sind; an die Stelle der Ermittlung des eigenen Geschäftsbereichs kann auch die Entscheidung treten, die Sorgfaltspflichten des LkSG konzernweit zu erfüllen;34 – die Aufklärung der Waren und Dienstleistungen, die den Lieferketten des Unternehmens zuzuordnen sind; die Aufklärung sollte aufsetzen auf eine Übersicht, welche Funktionen im Unternehmen mit der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen befasst sind, untergliedert nach Gruppen von Waren und Dienstleistungen; Beispiele: Zu den Lieferketten eines Unternehmens können auch Finanzierungs-, Logistik-, Lagerhaltungs- Vertriebs- oder Reinigungsdienstleistungen rechnen.35 – die vollständige Erfassung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten: § 3 Abs. 1 LkSG bietet einen Überblick; für die Dokumentation des Risikomanagements kann es sich empfehlen, die Pflichten in Form eines Pflichtenkatasters zusammenzufassen. b) Verankerung auf der Leitungsebene des verpflichteten Unternehmens

21 Bei der Verankerung auf der Leitungsebene des Unternehmens empfehlen sich

in der Regel die folgenden Festlegungen: – die Zuweisung zu einem Geschäftsleitungsressort;36 ohne Ressortzuweisung bleibt es bei der Gesamtverantwortung des Leitungsorgans; – die Festlegung der dem Gesamtorgan und der dem ressortleitenden Mitglied der Geschäftsleitung vorbehaltenen Entscheidungen: Das Gesamtorgan trifft in der Regel die grundlegenden Leitungsentscheidungen, zu denen etwa die Besetzung der obersten Führungspositionen, der Aufbau des Risikomanagements, die Verabschiedung von wesentlichen internen Regeln und Policies gehören können. Bei wichtigen und reputationsgefährdenden Risikolagen oder Verletzungsfällen können dazu auch die Grundentscheidungen zur Aufklärung und Reaktion auf Risikolagen oder Verletzungsfälle gehören. Das ressortleitende Mitglied des Leitungsorgans wird sich in der Regel weitere 33 34 35 36

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

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dazu § 2 Rz. 346 ff. dazu § 2 Rz. 357 ff. dazu § 2 Rz. 330 ff. Rz. 5.

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wesentliche Personalentscheidungen, die Verabschiedung von internen Regeln und Policies sowie wesentliche Entscheidungen im Rahmen der Risikoanalyse und der daraus abzuleitenden Priorisierungen sowie der wesentlichen Präventions- und Abhilfemaßnahmen und -konzepte vorbehalten. – die Berichterstattung an das ressortleitende Mitglied des Leitungsorgans und an das Gesamtorgan; es dürfte sich empfehlen, die Berichterstattung ähnlich zu strukturieren wie die Berichterstattung zum allgemeinen Compliance Management: In Unternehmen wird über Compliance Management an das ressortleitende Mitglied des Leitungsorgans häufig quartalsweise und an das Gesamtorgan jährlich berichtet (Abs. 3 Satz 2). Bei besonderen Risikolagen oder Verletzung sollte die reguläre Berichterstattung durch ad-hoc-Berichte ergänzt und intensiviert werden. – die Berichterstattung an einen Ausschuss des Aufsichtsrats bzw. an das Plenum (wenn ein Aufsichtsrat gebildet ist); es empfiehlt sich eine jährliche Berichterstattung an den Ausschuss oder das Plenum. – die Vorgaben für die jährliche Planung des Sorgfaltspflichten-Management unter Berücksichtigung der getroffenen Priorisierungsentscheidungen und der verabschiedeten Abhilfekonzepte. c) Zuständigkeiten im Risikomanagement Es ist absehbar, dass eine wichtige und hervorgehobene Bedeutung bei der Erfül- 22 lung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten vor allem drei Funktionen haben werden: – Leitung: Abhängig von der Unternehmensgröße wird es sich in der Regel empfehlen, eine Zentralfunktion mit der Leitung des Sorgfaltspflichten-Management zu betrauen, etwa den Menschenrechtsbeauftragten. Aufgaben der Zentralfunktion können etwa sein: – Leitung des Risikomanagements (Oberverantwortung und fachliche Leitungskompetenz) – Turnusmäßige oder anlassbezogene Überprüfung des Managementsystems – Verantwortung des internen Regelwerks und der internen Verfahren für das Sorgfaltspflichten-Management. – Vorbereitung der Grundsatzerklärung und turnusmäßige Überprüfung/ Entwicklung und Überprüfung der internen Policies und Best Practices (mit Benchmarking und KPIs). – Mitwirkung an Verbands-, Branchen- oder Multi-Stakeholder-Initiativen; – Leitung des Risiko-Mappings und der Risikoanalyse; Bewertung und Priorisierung von Risiken; Leitung der Prozesse zur Auswertung von externer Risikoinformation. – Leitung der Risikoanalyse bei substantiierter Kenntnis von Risikolagen bei mittelbaren Zulieferern. – Entwicklung und Implementierung von Präventionsmaßnahmen. Balke

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§ 4 | Risikomanagement – – – – –

Leitung der Abhilfemaßnahmen. Umgang mit Notfalllagen. Überwachung der Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten. Leitung der Berichterstattung nach § 10 Abs. 2. Leitung und Durchführung von Schulungsmaßnahmen (einschließlich „Awareness Notices“ und „nudging“). – Entwicklung von IT- oder KI-Tools. – Berichterstattung an das Leitungsorgan und ggf. den Aufsichtsrat. – Einkauf: Ohne die Kenntnisse und Informationen der für den Einkauf zuständigen Stellen ist eine Risikoanalyse kaum denkbar. Dasselbe gilt für die Implementierung von Präventionsmaßnahmen, die im Verhältnis zu den unmittelbaren Zulieferern umgesetzt werden sollen oder müssen. Unternehmen mit einem zentralen Einkauf müssen klären, ob es Dienstleistungen (etwa Logistik oder Finanzierungen) gibt, für deren Beschaffung andere Stellen im Unternehmen zuständig sind. – Personal: Er ist die „geborene“ Funktion, um die Risikoanalyse, die Präventions- sowie die Abhilfemaßnahmen bei Risiko- oder Verletzungslagen im eigenen Geschäftsbereich zu unterstützen bzw. eigenständig durchzuführen. Dazu kann auch die Stakeholder-Einbindung nach § 4 Abs. 4 LkSG gehören. 23 Welche weiteren Funktionen in das Sorgfaltspflichten-Management einzubin-

den sind, ist anhand der einzelnen menschenrechtlichen und umweltrechtlichen Verbote zu beurteilen. Ein Beispiel: Zur Analyse von umweltrechtlichen Risiken (§ 2 Abs. 3 LkSG) sollten die mit Umweltschutz und den Herstellungsverfahren vertrauten Funktionen im Unternehmen eingebunden werden. Zur Analyse der menschenrechtlichen Risiken im Zusammenhang mit der Beauftragung privater oder öffentlicher Sicherheitskräfte zum Schutz von unternehmerischen Einrichtungen oder Projekten kann sich die Beteiligung der für die Sicherheit im Unternehmen zuständigen Funktionen empfehlen.

24 Das Gesetz hebt in Abs. 3 Satz 1 die Überwachung des Risikomanagements her-

vor. In der Unternehmensorganisation findet Überwachung in der Regel auf zwei Ebenen statt: – Die laufende Überwachung wird durch Festlegung von Berichtslinien (solid und dotted) gewährleistet. Die Berichtswege können, müssen aber in der Regel nicht durch Vorgabe des Berichtsturnus und von Berichtsgegenständen konkretisiert werden. – Die laufende Überwachung durch Berichterstattung wird üblicherweise durch eine jedenfalls stichprobenartige investigative Überwachung ergänzt. Diese Aufgabe erfüllt in der Mehrzahl der Unternehmen die interne Revision. Die Revision kann auch mit der turnusmäßigen Überprüfung von Angemessenheit und Wirksamkeit des Risikomanagements befasst werden.

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d) Wesentliche Verfahren und Prozesse Das Risikomanagement macht erforderlich, dass neue Verfahren und Prozesse 25 im Unternehmen eingeführt und bestehende Prozesse angepasst werden. Unter den wiederkehrenden Prozessen haben die folgenden Verfahren und Prozesse erhöhte Bedeutung: – Risikoanalyse: Der wohl wichtigste interne Prozess des Risikomanagements ist die Risikoanalyse.37 Unternehmen, die zur nicht-finanziellen Berichterstattung verpflichtet sind, werden jedenfalls über Verfahren verfügen, um unternehmensinterne und externe Information zu beschaffen. Da die nicht-finanzielle Erklärung eine inhaltliche Ausrichtung hat, die sich nicht vollständig mit § 4 deckt, empfiehlt sich zu überprüfen, ob die für die nicht-finanzielle Berichterstattung etablierten Verfahren den Anforderungen von § 4 genügen. – Einrichtung und Kontrolle von Präventions- und Abhilfemaßnahmen: Aus Verfahrenssicht liegt der Schwerpunkt in der Implementierung sowie der Kontrolle der Umsetzung von Präventions- und Abhilfemaßnahmen, -plänen und -konzepten. – Einkaufsprozesse: Die nach § 1 verpflichteten Unternehmen werden in der Regel über feste und bewährte Prozesse und Verfahren im Einkauf verfügen. Es empfiehlt sich zu überprüfen, ob und in welchen Punkten die Prozesse an die Anforderungen von § 4 anzupassen sind. Das kann zum einen das Supplier Quality Management betreffen, zum anderen die Einkaufs-Policies eines Unternehmens, die mit den menschenrechtlichen und umweltbezogenen Anforderungen des Gesetzes vereinbar sein müssen. Ein Beispiel: Wenn für Produkte ein Preis gezahlt wird, der dem Zulieferer nicht mehr erlaubt, seinen Beschäftigten einen angemessenen Lohn (§ 2 Abs. 2 Nr. 8) zu zahlen, ist darin ein Beitrag im Sinne von Abs. 2 Satz 2 zu einem menschenrechtlichen Risiko oder einer Verletzung eines menschenrechtlichen Verbots zu sehen. – Beschwerdemechanismus: Zu regeln ist die Behandlung von eingehenden Beschwerden und die Abstimmung des Verfahrens mit dem allgemeinen Hinweisgeberverfahren im Unternehmen.38 – Dokumentation und Berichterstattung: Verfahren zur Dokumentation und Berichterstattung gehören zur Routine in Unternehmen. Zu klären ist, wie der Aufwand für die Dokumentation geringgehalten werden kann und ob die Vorbereitung der Berichterstattung in andere Berichtsprozesse eingebettet werden kann. – Überwachung: Wie bereits oben erläutert, liegt der Schwerpunkt der Überwachung des Risikomanagements in der Einrichtung von Berichtslinien und einer ergänzenden, jedenfalls stichprobenartigen investigativen Überwachung, etwa durch die Revision. 37 Dazu näher § 5 Rz. 13 ff. (eigener Geschäftsbereich) und Rz. 23 ff. (Geschäftsbereich der Zulieferer). 38 Dazu näher § 8.

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§ 4 | Risikomanagement 26 Schnittstellen kann es etwa zu den Prozessen geben, die für die Erfüllung von

Sorgfaltspflichten nach anderen Vorschriften verantwortlich sind, etwa der Konfliktmineralien-Verordnung,39 der Konfliktdiamanten-Verordnung40 und der Holzhandels-Verordnung,41 ferner zur den Verfahren zur internen und externen Kommunikation. e) Lückenlose Zuständigkeitszuordnung

27 In einem abschließenden Schritt bietet es sich an zu überprüfen, ob die Zustän-

digkeiten im Risikomanagement klar und lückenlos zugewiesen wurden. Bei der Prüfung (iS einer Kontrollüberlegung) der internen Verteilung von Zuständigkeiten und Aufgaben empfiehlt sich ein Vorgehen in drei Schritten: – Gesetzliche Aufgaben: Die Verteilung von Zuständigkeiten und Aufgaben sollte im ersten Schritt anhand des gesetzlichen Aufgabenkatalogs oder des daraus entwickelten Pflichtenkatasters gegengeprüft werden. – Unterscheidung nach Geschäftsbereichen: Bei einzelnen gesetzlichen Aufgaben unterscheidet sich die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben danach, ob sie im eigenen Geschäftsbereich oder mit Blick auf unmittelbare oder mittelbare Zulieferer zu erfüllen sind. Das gilt vor allem für die Risikoanalyse: Sie ist im eigenen Geschäftsbereich anders durchzuführen als für die unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferer. Ein eigenes Verfahren empfiehlt sich darüber hinaus mit Blick auf die Verletzung des menschenrechtlichen Verbots nach Abs. § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG.42 – Unterscheidung nach menschenrechtlichen und umweltbezogenen Verboten: Bei einzelnen gesetzlichen Aufgaben, insbesondere bei der Risikoanalyse, ist weiter nach menschenrechtlichen und umweltbezogenen Verboten zu unterscheiden. Das Risiko von Zwangsarbeit ist notwendig nach anderen inhaltlichen Kriterien zu prüfen als das Risiko von umweltbezogenen Risiken. Wenn im eigenen Geschäftsbereich oder bei einem Zulieferer private oder öffentliche Sicherheitskräfte eingesetzt werden, kann es zweckmäßig und unter Umständen geboten sein, die für die interne Sicherheit verantwortlichen Führungskräfte in die Analyse der Risikolage nach § 2 Abs. 2 Nr. 11 LkSG einzubeziehen. 39 VERORDNUNG (EU) 2017/821 vom 17.5.2017 zur Festlegung von Pflichten zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette für Unionseinführer von Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erzen und Gold aus Konflikt- und Hochrisikogebieten, ABl. EU vom 19.5.2017, L 130/1. 40 VERORDNUNG (EG) Nr. 2368/2002 vom 20.12.2002 zur Umsetzung des Zertifikationssystems des Kimberley-Prozesses für den internationalen Handel mit Rohdiamanten, ABl. EU vom 31.12.2002, L 358/28. 41 VERORDNUNG (EU) Nr. 995/2010 vom 20.10.2010 über die Verpflichtungen von Marktteilnehmern, die Holz und Holzerzeugnisse in Verkehr bringen, ABl. EU vom 12.11.2010, L 295/23. 42 Vgl. dazu § 2 Rz. 87 ff.

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III. Zum Begriff der Wirksamkeit nach § 4 Abs. 2 LkSG Das Risikomanagementsystem muss es ermöglichen, die relevanten menschen- 28 rechtlichen und umweltbezogenen Risiken zu erkennen und zu minimieren sowie Verletzungen zu verhindern, zu beenden oder ihr Ausmaß zu reduzieren, wenn das Unternehmen die Risiken oder Verletzungen in seiner Lieferkette verursacht oder zu ihnen beigetragen hat. 1. Wortlaut vs. Regelungsgehalt; Zielrichtung des Risikomanagements § 4 Abs. 2 LkSG definiert nach seinem Wortlaut zunächst „nur“ die „Wirksam- 29 keit“ von Maßnahmen. Diese Begrifflichkeit wird in den weiteren Regelungen des LkSG wieder aufgegriffen, etwa in § 6 Abs. 4, § 7 Abs. 4 oder § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 LkSG. Der Regelungsgehalt des § 4 Abs. 2 LkSG geht allerdings über den reinen Wortlaut hinaus und ergibt sich aus der Gesetzesbegründung: § 4 Abs. 2 LkSG beschreibt die Zielrichtung des lieferkettenbezogenen Risikomanagements, an der alle Umsetzungsbemühungen der betroffenen Unternehmen zu messen sind.43 „Wirksam“ sind nach dem Verständnis des Gesetzgebers alle Maßnahmen, die 30 eine Identifizierung und Minimierung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken ermöglichen und solche, die eine Verletzung der menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflichten verhindern, beenden oder deren Ausmaß minimieren. An der Frage der Wirksamkeit sind in erster Linie die angemessenen Maßnahmen nach § 4 Abs. 1 S. 2 LkSG zu messen, durch die das Risikomanagement zu verankern ist (s. hierzu schon Rz. 8). Aus der Gesetzesbegründung wird aber deutlich, dass der Gesetzgeber an dem Wirksamkeitskriterium des § 4 Abs. 2 LkSG auch jene Maßnahmen messen will, die in Umsetzung der einzelnen Teilbereiche des Risikomanagements, insbesondere Risikoanalyse sowie Präventions- und Abhilfemaßnahmen, erfolgen.44 2. Zur Notwendigkeit eines Verursachungsbeitrags § 4 Abs. 2 LkSG stellt zugleich klar, dass ein betroffenes Unternehmen im Rah- 31 men seines Lieferketten-Risikomanagements nur solche menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken oder Verletzungen zu adressieren hat, wenn das Unternehmen diese Risiken oder Verletzungen innerhalb der Lieferkette verursacht oder dazu beigetragen hat. § 4 Abs. 2 LkSG ist im Zusammenhang mit § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG zu sehen; 32 nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG ist die Frage der Angemessenheit des Handelns des Unternehmens u.a. in Abhängigkeit von der Art des Verursachungsbeitrags des Unternehmens zu dem menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiko 43 BT-Drucks. 19/28649, 43. 44 BT-Drucks. 19/28649, 43.

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§ 4 | Risikomanagement oder Verletzung zu bestimmen (dazu → Verweis auf Kommentierung zu § 3). § 4 Abs. 2 LkSG regelt im Gegenzug, dass solche Risiken oder Verletzungen, zu denen ein Unternehmen keine Art von Verursachungsbeitrag geleistet hat, außer Acht gelassen werden können. a) Unterscheidung zwischen „Verursachen“ und „Beitragen“ 33 Zentral ist damit die Frage, wann ein Unternehmen menschenrechtliche oder

umweltbezogene Risiken oder Verletzungen innerhalb der Lieferkette verursacht oder dazu beigetragen hat und welche unterschiedlichen Fälle der Gesetzgeber mit den Begrifflichkeiten „verursachen“ auf der einen Seite und „beitragen“ auf der anderen Seite regeln wollte. Nach der Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 2 LkSG soll „verursachen“ bedeuten, dass ein Unternehmen „das Risiko unmittelbar alleine hervorgerufen hat oder durch seine Handlung zu der Entstehung oder Verstärkung des Risikos (kausal) beigetragen hat“.45 Dies deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber die Begrifflichkeiten synonym verwenden will bzw. „beitragen“ letztendlich nur eine Unterart des „Verursachens“ sein soll. Hierfür spricht auch der Umstand, dass § 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG selbst von einem „Verursachungsbeitrag“ spricht und damit beide Begrifflichkeiten verbindet.

34 Klarer differenziert die Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG: Bei der

Art des Verursachungsbeitrags sei danach zu unterscheiden, ob „ein Unternehmen das Risiko unmittelbar allein oder gemeinsam mit einem anderen Akteur verursacht hat, oder ob es mittelbar einen Beitrag zum Risiko oder zur Verletzung geleistet hat.“46 Es folgen Beispielsfälle einer unmittelbaren eigenen Verursachung (im eigenen Geschäftsbereich), einer unmittelbaren (Mit-)Verursachung (im eigenen Geschäftsbereich) und einer mittelbaren Verursachung (im Geschäftsbereich eines Zulieferers) (dazu → Verweis auf Kommentierung zu § 3).47 Diese Differenzierung ist auch im Rahmen des § 4 Abs. 2 LkSG sinnvoll, so dass von einem unmittelbaren Verursachen (im eigenen Geschäftsbereich)48 und einem mittelbaren Beitragen (im Geschäftsbereich eines Zulieferers) ausgegangen werden sollte. Für diese Abgrenzung spricht nach Sinn und Zweck auch der Verweis auf den „Bezug zur Lieferkette“ in der Begründung zu § 4 Abs. 2 LkSG.49

45 46 47 48

BT-Drucks. 19/28649, 43. BT-Drucks. 19/28649, 43. BT-Drucks. 19/28649, 43. Darunter fällt auch die unmittelbare (Mit)Verursachung durch den eigenen Geschäftsbetrieb; tendenziell anders die FAQs des BAFA, die Mitursächlichkeit unter den Begriff des Beitragens fassen wollen, vgl. Nr. VI 5 der FAQs des BAFA (abrufbar unter https:// www.bafa.de/DE/Lieferketten/Ueberblick/ueberblick_node.html, Stand: 19.5.2022). 49 Der Bezug zur Lieferkette stelle klar, dass „das Risiko dabei beim Unternehmen selber, d.h. im eigenen Geschäftsbereich, bei einem unmittelbaren Zulieferer oder einem mittelbaren Zulieferer liegen kann“, vgl. BT-Drucks. 19/28649, 43.

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b) Schwelle des „Beitragens“ bei einem (unmittelbaren oder mittelbaren) Zulieferer Dies führt zu der Frage, wann ein Unternehmen zu dem Entstehen oder Ver- 35 stärken eines Risikos bei einem (unmittelbaren oder mittelbaren) „Zulieferer“ i.S.d. § 4 Abs. 2 LkSG „beiträgt“. Die Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 2 LkSG schweigt hierzu; bei § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG wird ein Beispiel der mittelbaren Verursachung ausgeführt (dazu → Verweis auf Kommentierung zu § 3)50 und im Übrigen auf die enge Verknüpfung mit dem Kriterium des „unternehmerischen Einflussvermögens“ hingewiesen.51 Nach den FAQs des BAFA soll die Schwelle bereits erreicht sein, „wenn das Unternehmen durch seine Handlungen mindestens zu der Entstehung oder Verstärkung des Risikos kausal beigetragen hat, das heißt, wenn die Handlung des Unternehmens nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die konkrete Folge (Entstehung des Risikos) entfällt“52 . Wann ein relevanter Beitrag vorliegt, sei im Einzelfall zu bewerten. Mit dem Begriff „beitragen“ – so die FAQs weiter – werde klargestellt, dass „auch Fälle erfasst sind, in denen das Unternehmen nicht allein gehandelt hat. Wenn zum Beispiel mehrere Unternehmen bei derselben Fabrik bestellen, dann leistet jedes Unternehmen einen Beitrag. Wie das Unternehmen angemessen auf das Risiko reagiert, hängt maßgeblich von den in § 3 Abs. 2 genannten Kriterien ab.“53 Die Auffassung des BAFA würde in seiner Konsequenz dazu führen, dass das 36 bloße Eingehen einer Vertragsbeziehung mit einem Zulieferer, der menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken eingeht oder Verletzungen begeht, ein Beitrag i.S.d. § 4 Abs. 2 LkSG wäre54 und zwar auch dann, wenn der Vertragsschluss selbst gar nicht für das entstandene Risiko oder die Verletzung (mit)ursächlich wäre. Eine solch weite Auslegung findet weder im Gesetzeswortlaut noch in der Gesetzesbegründung seine Rechtfertigung: Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 2 LkSG kommt es darauf an, dass das Unternehmen (selbst) zu dem Risiko oder der Verletzung beigetragen hat. Die Gesetzesbegründung spricht davon, dass das Unternehmen „durch seine Handlung zu der Entstehung oder Verstärkung des Risikos [bei dem Zulieferer] (kausal) beigetragen hat“. Dies spricht dafür, dass auch in der Variante des „Beitragens“ der reine Vertragsschluss noch nicht ausreicht, sondern dass es eines „qualifizierten Risikobeitrags“55 bedarf. 50 Als Beispiel wird der Fall genannt, dass „ein Unternehmen die Produktanforderungen gegenüber seinem Zulieferer in letzter Minute ändert, ohne die Lieferzeiten oder den Einkaufspreis anzupassen, und der Zulieferer in Folge gegen ILO-Kernarbeitsnormen verstößt, um den geänderten Anforderungen gerecht zu werden“, vgl. BT-Drucks. 19/28649, 43. Kritisch hierzu bereits Brouwer, CCZ 2022, 137, 142 sowie Charnitzky/Weigel RIW 2022, 12, 17. 51 BT-Drucks. 19/28649, 43. 52 Nr. VI 5 der FAQs des BAFA (abrufbar unter https://www.bafa.de/DE/Lieferketten/ Ueberblick/ueberblick_node.html, Stand: 19.5.2022). 53 Nr. VI 5 der FAQs des BAFA (abrufbar unter https://www.bafa.de/DE/Lieferketten/ Ueberblick/ueberblick_node.html, Stand: 19.5.2022). 54 Kritisch hierzu auch Brouwer, CCZ 2022, 137, 142. 55 So die von Brouwer, CCZ 2022, 137, 142 verwendete Begrifflichkeit.

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§ 4 | Risikomanagement Für diese Auslegung streitet etwa auch das in der Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG angeführte Beispiel:56 Auch dort ging das bei einem Zulieferer entstandene menschenrechtliche Risiko nicht nur auf den reinen Vertragsschluss, sondern die besonderen Produktanforderungen des verpflichteten Unternehmens zurück. Ein klassisches Beispiel für einen solchen qualifizierten Beitrag dürfte etwa in der Vereinbarung besonders niedriger Preise liegen, die offensichtlich nur unter Missachtung menschenrechtlicher Standards eingehalten werden können.57 Damit kommt es letztendlich darauf an, dass für das verpflichtete Unternehmen sein eigener Risikobeitrag (iS eines Adäquanzzusammenhangs) objektiv erkennbar ist. Anders formuliert: In den Fällen, in denen ein verpflichtetes Unternehmen bewusst wegschaut, ist auch ein „Beitragen“ i.S.d. § 4 Abs. 2 LkSG anzunehmen (zur Ambivalenz des Risikobegriffs des LkSG vgl. auch § 2 Rz. 92 ff.; zur Auslegung des Verursachungsbeitrags weiterführend auch § 3 Rz. 108 ff.). 37 Ausgenommen bleiben solche Risiken oder Verletzungen bei einem Zulieferer,

die ohne das Hinzutun des verpflichteten Unternehmens weder in materieller noch in zeitlicher Hinsicht entstehen noch vertieft werden.58 Zudem – hierauf verweist das BAFA – muss ein Unternehmen nicht für solche Ereignisse einstehen, die „nach der normalen Lebensanschauung eines objektiven, informierten Dritten völlig außerhalb der Erfahrung und Erwartung liegen“.59

38 Die Auslegung des Begriffs des „Beitragens“ und damit die Abgrenzung zwi-

schen sorgfaltspflichtenauslösenden und nicht sorgfaltspflichtenauslösenden Handlungen sind zentral für das gesamte Risikomanagement und – wie sich aus der Reichweite des § 4 Abs. 2 LkSG ergibt (dazu schon Rz. 11) – für die sich anschließenden Fragen der Risikoanalyse sowie der Präventions- und Abhilfemaßnahmen, die an der Frage ihrer „Wirksamkeit“ zu messen sind. Da weder das Gesetz noch die Gesetzesbegründung hierzu Hilfen anbieten, wäre es wünschenswert, wenn die Unternehmen in Zukunft bei dieser Frage auf konkretere Handreichungen des BAFA zurückgreifen könnten.

IV. Festlegung betriebsinterner Zuständigkeiten/Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten, § 4 Abs. 3 LkSG 39 Nach § 4 Abs. 3 S. 1 LkSG hat das Unternehmen dafür Sorge zu tragen, dass

festgelegt wird, wer innerhalb des Unternehmens dafür zuständig ist, das Risikomanagement zu überwachen, etwa durch die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten. Zudem hat sich die Geschäftsleitung nach § 4 Abs. 3 S. 2 LkSG regelmäßig, mindestens einmal jährlich, über die Arbeit der zuständigen Person oder Personen zu informieren.

56 57 58 59

Vgl. schon Fn. 17. So die von Brouwer, CCZ 2022, 137, 142 verwendete Begrifflichkeit. So die von Brouwer, CCZ 2022, 137, 142 verwendete Begrifflichkeit. Nr. VI 5 der FAQs des BAFA (abrufbar unter https://www.bafa.de/DE/Lieferketten/ Ueberblick/ueberblick_node.html, Stand: 19.5.2022).

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Die gesetzlichen Vorgaben in § 4 Abs. 3 LkSG zu der Frage, welche betriebsinter- 40 nen Zuständigkeiten festzulegen sind und wer innerhalb der Betriebsorganisation welche Aufgaben mit Blick auf ein Lieferkettenrisikomanagement übernimmt, sind eher fragmentarisch geregelt. Wesentliche Fragen bleiben offen, was auch mit Blick auf die Bußgeldbewehrtheit eines Verstoßes gegen die Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 LkSG) die Unternehmen vor besondere Herausforderungen stellt. Im Folgenden soll daher zunächst die Frage beantwortet werden, ob die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragen Pflicht ist (dazu Rz. 23 ff.), wie die Zuständigkeitsverteilung innerhalb des Unternehmens für das Lieferkettenrisikomanagement zu erfolgen hat (dazu unter Rz. 26 ff.) und welche Aufgaben konkret dem Menschenrechtsbeauftragten zugewiesen sind (dazu Rz. 35 ff.). 1. Pflicht zur Ernennung eines Menschenrechtsbeauftragten Das Gesetz verpflichtet die Unternehmen in §§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 4 Abs. 3 S. 1 41 LkSG, eine betriebsinterne Zuständigkeit für die Überwachung des Risikomanagements festzulegen. Wesentlich ist dabei, dass die Festlegung an sich erfolgt (und entsprechend dokumentiert wird, dazu Rz. 37). Bei der konkreten Ausgestaltung, bei der die Zuständigkeiten für das Lieferketten-Risikomanagement und seine Überwachung verankert werden, haben die Unternehmen ein weites unternehmerisches Ermessen.60 Die Unternehmen können insbesondere unter Berücksichtigung ihrer konkreten Unternehmensorganisation und betrieblichen Notwendigkeiten frei entscheiden, ob sie eine Person, mehrere Personen oder ein Gremium von mehreren Personen mit der Aufgabe der Überwachung des Lieferketten-Risikomanagements betrauen.61 Entscheidet sich das Unternehmen für die Benennung einer Person als Menschenrechtsbeauftragten, so bietet sich die Benennung eines Vertreters für diesen Menschenrechtsbeauftragen an – auch wenn hierzu ausdrücklich keine gesetzliche Pflicht besteht.62 Abhängig von der konkreten betrieblichen Organisation kann es auch Sinn er- 42 geben, jeweils gesonderte Menschenrechts- und Umweltbeauftragte zu benennen oder die Aufgaben nach Betriebssparten auf mehrere Personen aufzuteilen.63 Es ist allerdings darauf zu achten, dass für alle Risiken nach dem LkSG mindestens eine zuständige Person benannt wird und – wie bei jedem CMS64 – 60 So auch Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 1. Aufl. 2022, S. 129; Ruttloff/Wagner/Reischl/Skoupil, CB 2021, 369, 370. 61 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 235; Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93; jeweils unter Verweis auf den Wortlaut des § 4 Abs. 3 S. 2 LkSG, die von der „zuständigen Person oder Personen“ spricht. 62 Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 23. 63 Vgl. Grabosch in Grabosch (Hrsg.), Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 5 Rz. 41; Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93. 64 Vgl. Moosmayer, Compliance, 4. Aufl. 2021, § 4 Rz. 109; Neufeld/Hitzelberger-Kijima, öAT 2015, 23, 24.

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§ 4 | Risikomanagement besteht das Erfordernis einer klaren Aufgabenverteilung und -abgrenzung, damit keine Zuständigkeitsverwirrung eintritt.65 43 Die zuständige(n) Person(en) muss/müssen nicht zwingend als Menschen-

rechtsbeauftragte(r) bezeichnet werden;66 in der Praxis wird es sich aber – auch aus Transparenzgründen67 – empfehlen, die gesetzlich verwandte Begrifflichkeit zu gebrauchen.68 Dies gilt insbesondere dann, wenn bereits vorhandenen Betriebsbeauftragten69 zusätzlich die Aufgabe des Menschenrechtsbeauftragten zugewiesen wird. Dies ist grundsätzlich zulässig, wenn zwischen den Aufgaben keine Interessenkollision besteht, die zuständige Person fachlich geeignet ist, beide Aufgabenfelder wahrzunehmen und hierzu auch zeitlich in der Lage ist.70 2. Die Funktion des Menschenrechtsbeauftragten innerhalb des Unternehmens

44 Das Gesetz stellt klar, dass der Menschenrechtsbeauftragte die Aufgabe hat, in-

nerhalb des Unternehmens das Lieferketten-Risikomanagement zu überwachen. Die Regierungsbegründung empfiehlt zudem, die Stelle des Menschenrechtsbeauftragten „unmittelbar der Geschäftsleitung zu unterstellen“.71 Weitere konkrete Vorgaben in Bezug auf die Position des Menschenrechtsbeauftragten innerhalb der Betriebsorganisation enthält das Gesetz nicht. Insbesondere in Konzernsituationen (dazu § 2 Rz. 346 ff.) stellt sich die Frage, ob in jeder (verpflichteten) Tochtergesellschaft jeweils ein Menschenrechtsbeauftragter ernannt werden muss oder ob es grds. ausreicht, in der Konzernobergesellschaft einen Menschenrechtsbeauftragten zu installieren, der konzernweit für das gesamte Lieferketten-Risikomanagement zuständig ist.72 Bei der Ausgestaltung und konkreten betrieblichen Organisation eines CMS besteht für die Unternehmen generell ein weiter Ermessensspielraum, den sie nach Maßgabe ihrer betrieblichen 65 So auch Grabosch in Grabosch (Hrsg.), Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 5 Rz. 34; Rack, CB 2022, Heft 06, Beilage, 1, 15. 66 Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93; Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3080; Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 22. 67 Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93. 68 Vgl. etwa Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 235; Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93; Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3080; Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 22. 69 Zur Einordnung des Menschenrechtsbeauftragten in das bestehende System der Beauftragten etwa Häfeli, ARP 2021, 299 ff. 70 Ähnlich auch Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93 unter Verweis auf Ruttloff/ Wagner/Reisch/Skoupil, CB 2021, 364, 368 sowie Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3080. 71 BT-Drucks. 19/28649, 43. 72 Str., bejahend Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 1. Aufl. 2022, S. 127; im Grds. auch Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 23, allerdings mit der Empfehlung bis zu einer Klärung dieser Rechtsfrage jedenfalls in großen oder komplexeren Konzernstrukturen sowohl innerhalb der Konzernobergesellschaft als auch in wesentlichen Unterkonzernen einen Menschenrechtsbeauftragten vorzusehen; ebenfalls differenzierend Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 264.

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Erfordernisse ausfüllen können (s.o. Rz. 12 ff.). Gleiches gilt nach hier vertretener Auffassung auch bei der Frage, wo innerhalb des Konzerns der Menschenrechtsbeauftragte funktionell anzubinden ist und wie viele Menschenrechtsbeauftragten erforderlich sind. Auch eine Anbindung der Funktion des Menschenrechtsbeauftragten auf der Ebene der Konzernobergesellschaft ist daher denkbar,73 wenn auch unter Berücksichtigung verbleibender Überwachungspflichten. Bei der Ermessensausübung spielen naturgemäß Gesichtspunkte wie Komplexität der Konzernstruktur und die im Rahmen des § 3 Abs. 2 LkSG (dazu § 3 Rz. 49 ff.) entwickelten Angemessenheitskriterien eine Rolle. a) Notwendige Abgrenzung der Überwachungspflicht von der Pflicht zur Einrichtung eines Lieferketten-Risikomanagements? Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob der Menschenrechtsbeauftragte nur für die 45 Überwachung des Risikomanagements nach dem LkSG zuständig sein darf, welches im Grundsatz von einer anderen Person/Abteilung konzipiert und implementiert wurde, oder auch (im Sinne einer integrierten Stelle) für die Einrichtung dieses Lieferketten-Risikomanagements (mit)zuständig sein kann.74 Da das Gesetz in der Funktion des Menschenrechtsbeauftragten auch eine Überwachungsfunktion sieht, spricht einiges dafür, ein zweistufiges System75 zu etablieren und zumindest eine organisatorische Trennung zwischen den Abteilungen, deren Tätigkeit den neuen Sorgfaltspflichten unterliegt (wie insbesondere die Einkaufsabteilung oder der Bereich „Operations“), und der Stelle des Menschenrechtsbeauftragten sicherzustellen. Anderenfalls besteht das Risiko von Interessenkonflikten. Eine Kontrolle funktioniert nur, wenn die Kontrollinstanz sich nicht selbst überwacht und auch im Übrigen unabhängig und weisungsfrei ist.76 Ob es darüber hinaus notwendig ist, personell/organisatorisch zwischen einer 46 Stelle zu unterscheiden, die betriebsintern dafür zuständig ist, das LieferkettenRisikomanagement im Unternehmen einzuführen und regelmäßig zu aktualisie73 In diesem Sinne Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 23; zumindest für Fälle, in denen die Konzernobergesellschaft eine Holdinggesellschaft ist, Rothenburg/Rogg, AG 2022, 257, 264; Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 1. Aufl. 2022, S. 127: Festsetzung der Zuständigkeiten hänge von der Struktur des Unternehmens und seinem Risikoprofil ab. 74 Für die Möglichkeit der Einrichtung einer integrierten Stelle Ruttloff/Wagner/Hahn/ Freihoff, CCZ 2022, 20, 26 f.; ebenso wohl auch Häfeli, ARP 2021, 299, 301; für ein zweigliedriges System aus Umsetzung der Sorgfaltspflichten und Kontrolle dagegen Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94 f.; ähnlich auch Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 235. 75 Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94 spricht von einem zweistufigen System aus Umsetzung der Sorgfaltspflichten und Kontrolle; ähnlich Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 235. 76 Insoweit noch übereinstimmend Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94; Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 235, Grabosch in Grabosch (Hrsg.), Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 5 Rz. 38; Rack, CB 2022, Heft 06, Beilage, 1, 14 f.

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§ 4 | Risikomanagement ren, und einer anderen Stelle des Menschenrechtsbeauftragten, die ihrerseits nur für die Überwachung der vorgenannten Stelle verantwortlich ist, wird nicht einheitlich beurteilt77 Angesichts der inhaltlichen Komplexität eines ordnungsgemäßen Lieferketten-Risikomanagements macht es auch aus Effizienzgesichtspunkten Sinn, eine Sustainability-Abteilung den Aufbau des Lieferkettenmanagementsystems verantworten zu lassen und im Nachgang zu überwachen. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch nicht erforderlich, zwischen einer Zuständigkeit für die Überwachung des Risikomanagements durch den Menschenrechtsbeauftragten und einer Zuständigkeit für die operative Umsetzung der Sorgfaltspflichten nach dem LkSG (z.B. durch einen Chief Human Rights Officer78) zu unterscheiden;79 auch wenn – abhängig von der Größe und Komplexität des verpflichteten Unternehmens – eine Orientierung an dem sog. „Three Lines of Defence“-Modell sinnvoll (wenn auch nicht zwingend, s.o.) sein kann.80 In einer Vielzahl von Unternehmen wird es sinnvoll sein, in der Funktion des Menschenrechtsbeauftragten eine zentrale Zuständigkeit für die Einrichtung und Überwachung eines Lieferketten-Risikomanagements zu etablieren. b) Organisatorische Einordnung des Menschenrechtsbeauftragten 47 Das Gesetz stellt den Unternehmen frei, an welcher Stelle innerhalb der Be-

triebsorganisation die Funktion des Menschenrechtsbeauftragten angesiedelt wird. In der Gesetzesbegründung wird darauf verwiesen, dass „in allen maßgeblichen unternehmensinternen Geschäftsabläufen, die voraussichtlich die Risikominimierung beeinflussen können, Zuständigkeiten zu verankern [sind], …, etwa im Vorstand, in der Compliance-Abteilung oder im Einkauf“.81 Dies bedeutet aber gerade nicht, dass die Funktion des Menschenrechtsbeauftragten dort zwingend auf Vorstands- bzw. Geschäftsleitungsebene zu verankern ist,82 vielmehr ist dieser Verweis – obgleich in der Begründung zu § 4 Abs. 3 LkSG – eher als genereller Hinweis darauf zu verstehen, was das Gesetz beispielhaft als „maßgebliche Geschäftsabläufe“ für das Lieferketten-Risikomanagement ansieht. Ein anderes Verständnis würde auch im Widerspruch dazu stehen, dass die Gesetzesbegründung im Übrigen die Einrichtung einer Stelle des Menschenrechtsbeauftragten, „die unmittelbar der Geschäftsleitung unterstellt ist“, empfiehlt.83 77 Ausdrücklich für eine solche Trennung Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94; tendenziell anders Ruttloff/Wagner/Reisch/Skoupil, CB 2021, 364, 370; Ruttloff/Wagner/ Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 26. 78 So die Begrifflichkeit von Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94. 79 So aber Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94; tendenziell im hier vertretenen Sinne Ruttloff/Wagner/Reisch/Skoupil, CB 2021, 364, 370; Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 26. 80 Hierzu näher Arbeitskreis „externen Interne Überwachung der Unternehmen“ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft, DB 2021, 1757 ff. 81 BT-Drucks. 19/28649, 43. 82 Gegen Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 24 f. 83 BT-Drucks. 19/28649, 43.

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Die Frage der richtigen organisatorischen Einordnung des Menschenrechts- 48 beauftragten ist nur mit Blick auf die konkrete Betriebsorganisation des betroffenen Unternehmens zu beantworten.84 Neben den Rechts-, Compliance- oder Einkaufsabteilungen könnten sich daher auch die Bereiche Logistik, Operations bzw. das Qualitätsmanagement anbieten.85 Dabei wird zu beachten sein, dass der Menschenrechtsbeauftragte eine Querschnittsfunktion ausüben soll: Er muss einerseits die rechtlichen Vorgaben kennen, andererseits aber auch hinreichend tiefe Einblicke in die Lieferkette des Unternehmens haben, um die Implementierung und Überwachung des Lieferketten-Risikomanagements überwachen zu können. Eine besondere Sachnähe könnte daher – insbesondere bei größeren Unternehmen – eine Abteilung sein, die eigens für das Thema Sustainability bzw. ESG/CSR eingerichtet wird.86 c) Unabhängigkeit; Sicherstellung einer hinreichenden Ausstattung Das LkSG enthält keine ausdrücklichen Regelungen zu einer Unabhängigkeit 49 oder Weisungsfreiheit des Menschenrechtsbeauftragten (oder anderweitige Schutzmechanismen wie Sonderkündigungsschutz oder gesetzlich verankerte Benachteiligungsverbote).87 Nach Sinn und Zweck und der Funktion einer betrieblichen Selbstkontrolle, die das LkSG dem Menschenrechtsbeauftragten zuschreibt, ist es aber erforderlich, den Menschenrechtsbeauftragten im Kernbereich seiner Aufgabenerfüllung nach dem LkSG unabhängig und weisungsfrei agieren zu lassen. Der Menschenrechtsbeauftragte darf daher im Rahmen seiner Aufgabenausübung weder behindert noch eingeschränkt werden.88 In diesem Zusammenhang verweist die Gesetzesbegründung darauf, dass das 50 Unternehmen dem Menschenrechtsbeauftragten „die notwendigen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen [hat], um die angemessene Überwachung zu gewährleisten“.89 Welche Hilfsmittel notwendig sind, wird nicht näher ausgeführt. In erster Linie werden dazu aber – abhängig von dem konkreten Unternehmen und seiner betrieblichen Organisation – finanzielle und personelle Mittel zählen.90 Die erforderliche Unabhängigkeit des Menschenrechtsbeauftragten (und die 51 notwendige funktionale Abgrenzung zurr Einkauf-Abteilung) wird in aller Regel 84 Siehe hierzu schon Rz. 22 und 24 sowie die Nachweise in Fn. 27 ff. 85 In diesem Sinne auch Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 23. 86 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 235; auch Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 23. 87 Wie z.B. § 7 GwG für den Geldwäschebeauftragten, vgl. Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 23. 88 Allg. Ansicht, vgl. etwa Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 235; Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94; Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 23 jeweils m.w.N. 89 BT-Drucks. 19/28649, 43. 90 Vgl. etwa Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2167: Hierzu zählen nicht nur materielle (z.B. Infrastruktur), sondern auch organisatorische Ressourcen. Dem Menschenrechtsbeauftragten muss ausreichend Arbeitszeit zur Verfügung stehen.

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§ 4 | Risikomanagement in organisatorischer Hinsicht erfordern, dass beide Funktionen nicht etwa in der Geschäftsleitung bzw. bei einem Mitglied des Vorstands zusammenlaufen. Der Umstand, dass die Umsetzungspflicht in letzter Instanz originäre Aufgabe der Geschäftsleitung ist und diese von der Kontrolle organisatorisch zu trennen ist, spricht im Übrigen auch dafür, die Funktion des Menschenrechtsbeauftragten – wie in der Gesetzesbegründung empfohlen91 – unmittelbar unterhalb der Geschäftsleitungsebene anzusiedeln.92 Es müssen angemessene Informations-, Berichts- und Eskalationsmöglichkeiten an die Geschäftsleitung bestehen.93 Zudem soll der Menschenrechtsbeauftragte auf die Akzeptanz und Annahme der anderen Beschäftigten zählen dürfen.94 d) Keine Pflichtendelegation vom Unternehmen auf den Menschenrechtsbeauftragten 52 Die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten führt nicht dazu, dass das

Unternehmen seine Sorgfaltspflichten nach dem LkSG mit befreiender Wirkung auf diesen Menschenrechtsbeauftragten delegieren kann; für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben bleibt das Unternehmen verantwortlich.95 Dies gilt auch in haftungsrechtlicher Hinsicht: Der Menschenrechtsbeauftragte kann daher nicht potentieller Adressat eines Bußgeldes bei Verstößen gegen das LkSG sein. Die mangelhafte Ausübung seiner Überwachungstätigkeit ist nach § 24 LkSG zudem nicht ordnungswidrig.96 3. Aufgaben des Menschenrechtsbeauftragten

53 Nach § 4 Abs. 3 S. 1 LkSG ist es die zentrale Aufgabe des Menschenrechtsbeauf-

tragten, das Risikomanagement zu überwachen. Der Menschenrechtsbeauftragte ist berufen, die Einhaltung der in §§ 4–10 LkSG niedergelegten Pflichten und der zum Risikomanagement gehörenden Maßnahmen- sowohl in ihrer präventi91 BT-Drucks. 19/28649, 43. 92 So auch Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94; tendenziell anders Ruttloff/ Wagner/Reisch/Skoupil, CB 2021, 364, 370; Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 26. 93 Vgl. etwa Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 24 f.; Ruttloff/Wagner/Reischl/ Skoupil, CB 2021, 364, 370; im Ergebnis ähnlich Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 1. Aufl. 2022, S. 128 f.; Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3080; Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 1. Aufl. 2022, § 5 Rz. 37. 94 Ruttloff/Wagner/Reischl/Skoupil, CB 2021, 364, 370; im Ergebnis ebenso Herrmann/ Rünz, DB 2021, 3078, 3080. 95 Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94; Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 23. 96 Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94, der in diesem Gesamtzusammenhang die Funktion des Menschenrechtsbeauftragten mit dem Datenschutzbeauftragten nach Art. 39 DSGVO bzw. dem Immissionsschutzbeauftragten nach §§ 53 ff. BImSchG vergleicht.

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ven als auch in ihrer repressiven Ausprägung – zu überprüfen.97 Das Gesetz definiert nicht im Einzelnen, was konkret zu den Aufgaben des Menschenrechtsbeauftragten zählt; diese sind vielmehr im Wege der Auslegung zu ermitteln. In der Praxis wird es sich zunächst anbieten, den Menschenrechtsbeauftragten 54 aufgrund seiner Sachnähe sowie seinem Berichterstattungsrecht gegenüber der Geschäftsleitung bei der Entwicklung bzw. der Anpassung eines Lieferketten-Risikomanagements grds. mit einzubeziehen,98 allerdings nicht in dem Sinne, ihm ein aktives Gestaltungs- und Initiativrecht zuzusprechen, sondern eher in der Rolle des begleitenden Ratgebers. Darüber hinaus ist an die folgenden Aufgaben und Kompetenzen zu denken: – Implementierung und Überwachung der für das Lieferketten-Risikomanagement gewählten organisatorischen Strukturen und Verfahren, insbesondere Überprüfung, ob alle maßgeblichen Geschäftsabläufe in das Risikomanagement einbezogen wurden und ob die gewählten Maßnahmen geeignet sind, die Zielrichtung des Lieferketten-Risikomanagements zu erfüllen.99 – Durchführung und Überwachung der Risikoanalyse, z.B. durch stichprobenartige Überprüfungen oder Abgleich mit Eingaben aus dem Beschwerdeverfahren. – Unterstützung bei der Erstellung/Aktualisierung der durch das Unternehmen abzugebenden Grundsatzerklärung (§ 6 Abs. 2 S. 1 LkSG).100 – Mitwirkung bei der anlassbezogenen bzw. jährlichen Kontrolle und Evaluierung (§ 6 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 5 LkSG) sowie (den zwingenden) Berichten an die Geschäftsleitung nach § 4 Abs. 3 S. 2 LkSG). – Überwachung der Wirksamkeit der eingeleiteten Präventions- und Abhilfemaßnahmen (vgl. §§ 6 Abs. 5, 7 Abs. 1 S. 1 LkSG) einschließlich der Überwachung von Beschaffungs- und Einkaufsstrategien sowie Durchführung von Schulungen (§ 6 Abs. 3 Nr. 2, 3 LkSG); dazu zählen auch Vorschlagsrechte für konkrete Abhilfemaßnahmen (Einzelheiten str.);101 – Moderation und jährliche Überprüfung des Beschwerdeverfahrens nach § 8 LkSG, soweit dies in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben (insbesondere 97 Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94, Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 2. 98 Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 23. 99 In diesem Sinne Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 23. 100 So auch Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94, Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 2. 101 Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 26. Kritischer ist dagegen die Frage zu beurteilen, ob der Menschenrechtsbeauftragte auch selbst das Initiativrecht für Abhilfemaßnahmen hat. Dagegen spricht, dass er dann die Wirksamkeit der von ihm selbst vorgeschlagenen Maßnahme überprüfen müsste; zurückhaltend auch Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94; tendenziell dafür bei Vorfällen beim unmittelbaren Zulieferer Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 26, sehr weitgehend für eine Übertragung operativer Aufgaben Grabosch in Grabosch (Hrsg.), Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 5 Rz. 37.

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§ 4 | Risikomanagement Garantie der Unparteilichkeit und (Weisungs-)Unabhängigkeit des Menschenrechtsbeauftragten) erfolgt.102 55 Das verpflichtete Unternehmen sollte dokumentieren, welche Aufgaben und

Kompetenzen dem Menschenrechtsbeauftragten konkret zugewiesen sind.103 Empfehlenswert ist es auch, betriebsintern gegenüber den Mitarbeitern Transparenz darüber zu schaffen, an wen sie sich bei Fragen zum LkSG wenden können. Die Ernennung des Menschenrechtsbeauftragten (und seines Stellvertreters, s.o. Rz. 23) sollte – aufgrund der Dokumentationspflicht nach § 10 Abs. 1 LkSG – in jedem Fall schriftlich erfolgen.104 4. Externe Dienstleister als Menschenrechtsbeauftragte („Outsourcing“)

56 Noch nicht abschließend geklärt ist, ob eine Auslagerung („Outsourcing“) der

Zuständigkeiten des Menschenrechtsbeauftragten an einen externen Dienstleister zulässig ist.105 Das Gesetz verweist in § 3 Abs. 1 Nr. 2 LkSG darauf, dass eine „betriebsinterne Zuständigkeit“ festzulegen ist; § 4 Abs. 3 S. 1 LkSG spricht von einer Zuständigkeit „innerhalb des Unternehmens“. Dies deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber grds. an eine betriebsinterne Zuständigkeit gedacht hat; ein ausdrückliches Verbot, die entsprechenden Aufgaben an Externe zu delegieren, enthält das LkSG indes nicht. Erfahrungen mit anderen gesetzlichen Beauftragten wie z.B. externen Datenschutzbeauftragten könnten durchaus für eine Zulassung externer Dienstleister als Menschenrechtsbeauftragte sprechen. Anders als beim Datenschutzbeauftragten erfordert die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben des Menschenrechtsbeauftragten einen tiefen Einblick in das Unternehmen und grundlegendes Verständnis seiner Produktionsabläufe und Lieferketten. Es ist fraglich, ob auf einen externen Dienstleister daher die Gesamtaufgabe der Erfüllung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten nach dem LkSG übertragen werden kann. Davon zu unterscheiden ist die Übertragung von Teilaufgaben, bei denen Dritte einbezogen werden können und auch sollten. Zu denken ist hier z.B. der Rückgriff auf externe Dienstleister zur Unterstützung der Risikoanalyse etwa in Form systematischer Auswertung von (lokalen) Presseberichten106, der Rückgriff auf Branchenstandards bei Lieferantenkodizes107 oder die Durchführung eines externen Healthchecks zur Absicherung des implementierten Risikomanage-

102 Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 26. Zu dem Beschwerdeverfahren nach § 8 LkSG im Einzelnen (Verweis auf entsprechende Kommentierung zu § 8). 103 So auch Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 26. 104 Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 98 m.w.N. 105 Gegen eine pflichtenbefreiende Delegation an Externe: Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 24; a.A. Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 97 f. die zu dem Ergebnis kommen, dass die Rolle des Menschenrechtsbeauftragten auf externe Dienstleister delegiert werden könne, während die Zuständigkeit für die Implementierung des Risikomanagements in der Tendenz nicht ausgelagert werden könne. 106 Näher § 5 Rz. 13 und § 5 Rz. 32. 107 Näher § 7 Rz. 91 ff.

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ments. Bei dem verpflichteten Unternehmen verbleiben die Pflichten zur ordnungsgemäßen Auswahl und Überwachung des beauftragten Dritten.108 5. Regelmäßige Unterrichtung der Geschäftsleitung, § 4 Abs. 3 Satz 2 LkSG Nach § 4 Abs. 3 S. 2 LkSG hat sich die Geschäftsleitung regelmäßig, d.h. zumin- 57 dest jährlich und anlassbezogen, etwa bei der Einführung neuer Geschäftsbereiche und Produkte, über die Arbeit der zuständigen Person oder Personen zu informieren.

V. Berücksichtigung der Interessen Betroffener, § 4 Abs. 4 LkSG Bei Einrichtung und Umsetzung des Risikomanagementsystems hat das Unter- 58 nehmen nicht nur die Interessen der eigenen und der in der Lieferkette Beschäftigten, sondern auch solcher Personen angemessen zu berücksichtigen, die in sonstiger Weise durch das wirtschaftliche Handeln des Unternehmens oder von Unternehmen in der Lieferkette in einer geschützten Rechtsposition unmittelbar betroffen sein können. § 4 Abs. 4 LkSG definiert insofern, welche individuellen Interessen durch das 59 LkSG im Besonderen geschützt werden sollen.109 Die Beachtung der Interessen der unmittelbar Betroffenen, soll dazu beitragen, dass das Unternehmen seine menschenrechtlichen Risiken erkennt, richtig einschätzt und geeignete Präventions- und Abhilfemaßnahmen wählt.110 1. Zum Begriff des Beschäftigten Unmittelbar betroffen sind dabei zunächst die Beschäftigten des verpflichteten 60 Unternehmens sowie die der Beschäftigten in der jeweiligen Lieferkette. Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass „im Sinne eines effektiven Menschenrechtsschutzes der Begriff des Beschäftigten weit zu verstehen“111 ist und insbesondere auch Selbstständige, die einem Unternehmen zuliefern und informell Beschäftigte, z.B. Personen, die nach den jeweils geltenden Gesetzen in Schwarzarbeit tätig sind, die Arbeitsverboten unterliegen oder Scheinselbstständige sind, mitumfassen soll.112 In den FAQs des BAFA wird zudem ausdrücklich noch auf solche Beschäftigte verwiesen, die statistisch sowie arbeits- und sozialrechtlich nicht oder unzulänglich erfasst sind.113 Dies ist von der Zielrichtung des Geset108 109 110 111 112 113

In Anwendung der allgemeinen Delegationsprinzipien. Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 43. Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 43. Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 43. Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 43. Nr. VII 2 der FAQs des BAFA (abrufbar unter https://www.bafa.de/DE/Lieferketten/ Ueberblick/ueberblick_node.html, Stand: 19.5.2022).

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§ 4 | Risikomanagement zes folgerichtig. Die Herausforderung für die verpflichteten Unternehmen liegt in diesem Zusammenhang darin, diese Personen, die außerhalb legaler Beschäftigungsverhältnisse stehen, zu identifizieren und in geeigneter Weise zu erreichen (dazu unter Rz. 46 ff.), um ihre Interessen zu berücksichtigen. Wesentlich ist daher die Erweiterung (dazu sogleich unter Rz. 44) auf Interessenvertretungen, die quasi als „Sprachrohr“ dienen können (zu den Mitteln der Beteiligungen, s. Rz. 46 ff.).114 2. Sonstige Betroffene i.S.d. § 4 Abs. 4 LkSG 61 Nach § 4 Abs. 4 LkSG sind darüber hinaus auch die Interessen von Personen zu

berücksichtigen, die in sonstiger Weise von der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens oder seiner Lieferkette unmittelbar betroffen sein können. Beispielhaft verweist die Gesetzesbegründung (mit Blick auf berechtigte Umweltbelange) etwa auf Anwohner in der Nähe des Unternehmensstandorts.115 In den FAQs des BAFA wird konkretisiert, dass auch „Anwohnerinnen und Anwohner/ Gemeinden in der Nachbarschaft von Produktionsstätten des eigenen Geschäftsbereichs, des unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferers einbezogen sind“116, die von der Produktion unmittelbar betroffen sind (z.B. durch umweltschädliche Emissionen/durch Landenteignungen).

62 Geschützt sein sollen auch juristische Personen, Personenvereinigungen oder

Gremien, sofern sie vom persönlichen Schutzbereich der Menschenrechte gem. § 2 Abs. 1 erfasst sind, insbesondere Gewerkschaften.117 Die Gesetzesbegründung verweist insoweit auf „berechtigte Interessenvertretungen“, die sich dadurch auszeichnen sollen, dass sie unabhängig sind und die menschenrechtlichen Interessen von betroffenen Personen in geeigneter Weise wahrnehmen. Hierzu sollen beispielsweise Gewerkschaften und betriebliche Arbeitnehmervertretungen zählen. Tatsächlich geht es bei der Einbeziehung der sog. berechtigten Interessenvertretungen im Rahmen des § 4 Abs. 4 LkSG nach hier vertretener Ansicht weniger um eine Erweiterung des Schutzbereiches des Gesetzes auf diese Gruppierungen, als mehr um die Sicherstellung eines geeigneten Partizipationsprozesses in den Fällen, in denen es den unmittelbar Betroffenen absehbar nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich sein wird, ihre Interessen offen und ohne Angst vor Repressalien äußern zu können.

63 Nach der Gesetzesbegründung ist auch der Begriff der „wirtschaftlichen Tätig-

keit“ weit zu verstehen und soll nicht nur die Produktionstätigkeit im engeren Sinne erfassen, sondern beispielsweise auch die Erschließung oder den Erwerb

114 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 44 („Die Beteiligung kann in Form einer direkten Konsultation oder mit einer berechtigten Interessenvertretung erfolgen“). 115 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 44. 116 Nr. VII 3 der FAQs des BAFA (abrufbar unter https://www.bafa.de/DE/Lieferketten/ Ueberblick/ueberblick_node.html, Stand: 19.5.2022). 117 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 44.

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von Grundeigentum, um darauf geschäftlich tätig zu sein.118 Die Betroffenheit von weiteren Personen kann sich auch anlassbezogen ergeben, z.B. im Rahmen der Aufklärung von Missständen oder sonstigen Vorfällen. In diesem Zusammenhang kann der in § 8 LkSG vorgesehene Beschwerdemechanismus zu neuen Erkenntnissen führen, die im Rahmen der wiederkehrenden Risikoanalyse berücksichtigt werden sollten.119 3. Mittel der Beteiligung Als Mittel der Beteiligung verweist die Gesetzesbegründung in erster Linie auf 64 die Durchführung von Konsultationen; diese können entweder in Form einer direkten Konsultation mit (möglicherweise) von Rechtsverletzungen betroffenen Personen oder mit einer berechtigten Interessenvertretung erfolgen.120 Bei der Durchführung von Konsultationen soll darauf geachtet werden, dass sprachliche oder anderweitige Hürden abgebaut werden und besonders auf betroffene vulnerable Personen wie beispielsweise Migranten oder Menschen mit Behinderungen geachtet wird, die verstärkt in ihren Rechten bedroht sind.121 Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen solche Konsultationen „etwa auch 65 in Form eines direkten Austausches oder mit einer berechtigten Interessenvertretung erfolgend“122 durchgeführt werden. In der Praxis wird es sich insbesondere anbieten, auf die Erfahrungswerte und Austauschmöglichkeiten mit NGOs oder sonstigen berechtigten Interessenvertretungen (s. hierzu Rz. 44) zurückzugreifen. Im Hinblick auf umweltrechtliche Belange spricht die Gesetzesbegründung unmittelbar auch die Durchführung von Konsultationen etwa von Anwohnern in der Nähe des Unternehmensstandorts an.123

118 119 120 121 122 123

Vgl. BT-Drucks. Vgl. BT-Drucks. Vgl. BT-Drucks. Vgl. BT-Drucks. Vgl. BT-Drucks. Vgl. BT-Drucks.

19/28649, 44. 19/28649, 44. 19/28649, 44. 19/28649, 44. 19/28649, 44. 19/28649, 44.

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§ 5 Risikoanalyse (1) Im Rahmen des Risikomanagements hat das Unternehmen eine angemessene Risikoanalyse nach den Absätzen 2 bis 4 durchzuführen, um die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken im eigenen Geschäftsbereich sowie bei seinen unmittelbaren Zulieferern zu ermitteln. In Fällen, in denen ein Unternehmen eine missbräuchliche Gestaltung der unmittelbaren Zuliefererbeziehung oder ein Umgehungsgeschäft vorgenommen hat, um die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten in Hinblick auf den unmittelbaren Zulieferer zu umgehen, gilt ein mittelbarer Zulieferer als unmittelbarer Zulieferer. (2) Die ermittelten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken sind angemessen zu gewichten und zu priorisieren. Dabei sind insbesondere die in § 3 Absatz 2 genannten Kriterien maßgeblich. (3) Das Unternehmen muss dafür Sorge tragen, dass die Ergebnisse der Risikoanalyse intern an die maßgeblichen Entscheidungsträger, etwa an den Vorstand oder an die Einkaufsabteilung, kommuniziert werden. (4) Die Risikoanalyse ist einmal im Jahr sowie anlassbezogen durchzuführen, wenn das Unternehmen mit einer wesentlich veränderten oder wesentlich erweiterten Risikolage in der Lieferkette rechnen muss, etwa durch die Einführung neuer Produkte, Projekte oder eines neuen Geschäftsfeldes. Erkenntnisse aus der Bearbeitung von Hinweisen nach § 8 Absatz 1 sind zu berücksichtigen. I. Angemessene Risikoanalyse zur Ermittlung menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken, § 5 Abs. 1 LkSG . . . . . 1. Zielsetzung und Grundlagen . . 2. Zum Risikobegriff nach § 5 Abs. 1 LkSG . . . . . . . . . . . . . . 3. Risikoanalyse als Pflicht zur angemessenen Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . 4. Angemessenheitsvorbehalt; Auswahl der Mittel . . . . . . . . . 5. Die Risikoanalyse im eigenen Geschäftsbereich . . . . . . . . . . . a) Ermittlung des „Status quo“ . b) Interne Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Externe Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Risikoanalyse bei unmittelbaren Zulieferern . . . . . . . . . . . . . . . a) Risikomapping anstatt Einzelanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . b) Informationsmittel und Informationstiefe der Risiko-

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__ _ _ _ __ _ _ _ _ 1 2 5 8

11 14 15 16 24 25 27

analyse bei unmittelbaren Zulieferern . . . . . . . . . . . . . aa) Informationsmittel . . . . bb) Informationstiefe . . . . . . 7. Erweiterung der Risikoanalyse auf mittelbare Zulieferer bei sog. Umgehungskonstellationen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 LkSG . . . a) Tatbestandsvoraussetzungen . b) Risikoanalyse bei mittelbaren Zulieferern . . . . . . . . . . . . . II. Gewichtung und Priorisierung, § 5 Abs. 2 LkSG . . . . . . . . . . . . 1. Bewertung anhand der Kriterien des § 3 Abs. 2 LkSG . . . . . 2. Ermessen der Unternehmen bei der Bewertung und Priorisierung der Risiken nach § 5 Abs. 2 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Absicherung des Verfahrens nach § 5 LkSG durch Dokumentation und ggf. externe Überprüfung 1. Schriftliche Dokumentation . . 2. Externe Überprüfung . . . . . . .

__ _ __ _ _ _ _ __ 31 32 35

41 42 45 46 47

53

54 56

Risikoanalyse | § 5 IV. Kommunikation der Risikoanalyse an maßgebliche unternehmensinterne Entscheidungsträger, § 5 Abs. 3 LkSG . . . . . .

_ 57

V. Zeitpunkt der Risikoanalyse, § 5 Abs. 4 LkSG . . . . . . . . . . . 1. Regelmäßige Risikoanalyse . . 2. Anlassbezogene Risikoanalyse 3. Zeitpunkt der erstmaligen Durchführung . . . . . . . . . . . .

. . . .

__ _ _ 60 61 64 67

Literatur: Dohrmann, Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz als Vorbild für den europäischen Gesetzgeber? – Eine kritische Analyse, CCZ 2021, 265; Ehmann, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) kommt!, ZVertriebsR 2021, 205; Ehmann, Der Regierungsentwurf für das Lieferkettengesetz: Erläuterung und erste Hinweise zur Anwendung, ZVertriebsR 2021, 141; Ehmann/Berg, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG): ein erster Überblick, GWR 2021, 287; Gailhofer/Verheyen, Klimaschutzbezogene Sorgfaltspflichten: Perspektiven der gesetzlichen Regelung in einem Lieferkettengesetz, ZUR 2021, 402; Gehling/Ott/Lüneborg, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230; Groß, Das „Lieferkettengesetz“: umfassende Handlungspflichten und Notwendigkeit zur Anpassung der Compliance-Management-Systeme zeichnen sich ab, SPA 2021, 69; Harings/Jürgens, Die Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf die Transportwirtschaft, RdTW 2021, 297; Helck, Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten: Worauf sich Unternehmen zukünftig vorbereiten müssen, BB 2021, 1603; Herrmann/Rünz, Praktische Hinweise und Maßnahmen zur Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes im Unternehmen, DB 2021, 3078; Krebs, Menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflicht: Der Wettlauf zwischen europäischer und deutscher Rechtssetzung, ZUR 2021, 394; Leuering/Rubner, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NJW-Spezial 2021, 399; Nietsch/ Wiedmann, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, CCZ 2021, 101; Niklas/Lex, Das neue Lieferkettengesetz – Ein Überblick über die wesentlichen Inhalte und etwaige arbeitsrechtliche Implikationen, ArbRB 2021, 212; Rack, Lieferketten-Compliance im Digitalen Zwilling, CB 2022, Heft 06, Beilage 1; Reich, Menschenrechts- und Umweltschutz in der Lieferkette, AG 2021, R116; Scheffler, Sorgfaltspflichten in Lieferketten, AG 2021, R120; Schmidt-Räntsch, Sorgfaltspflichten der Unternehmen – Von der Idee über den politischen Prozess bis zum Regelwerk, ZUR 2021, 387; Seibt/Vesper-Gräske, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erweitert Compliance-Pflichten, CB 2021, 357; Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67; Stave/Velte, Regulierung eines nachhaltigen Lieferkettenmanagements – Bestandsaufnahme bisheriger Normierungen und Ausblick auf die geplante EU-Gesetzgebung –, DB 2021, 1791; Stöbener/de Moll, Grenzenlose Sorgfalt? – Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NZG 2021, 1237 ff.; Wagner/Ruttloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145.

I. Angemessene Risikoanalyse zur Ermittlung menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken, § 5 Abs. 1 LkSG Zentrales Element jedes Risikomanagements ist eine angemessene Risikoanalyse. 1 In dieser Hinsicht unterscheidet sich das nach § 4 LkSG einzurichtende und in alle maßgeblichen Geschäftsabläufe zu verankernde Lieferketten-RisikomanageBalke

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§ 5 | Risikoanalyse ment nicht von anderen Risikomanagementsystemen.1 §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 5 LkSG bestimmen eine ausdrückliche Pflicht der Unternehmen, regelmäßige Risikoanalysen durchzuführen. 1. Zielsetzung und Grundlagen 2 Zielsetzung dieser regelmäßigen Risikoanalysen ist es nach § 5 Abs. 1 LkSG, die

menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken (Einzelheiten § 2 Rz. 103 ff. und § 2 Rz. Rz. 250 ff.) des Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich und im Geschäftsbereich der unmittelbaren Zulieferer zu ermitteln, gewichten und priorisieren. Das Unternehmen soll nach der Risikoanalyse in der Lage sein, in einem ersten Schritt die Auswirkungen der eigenen unternehmerischen Tätigkeit auf die Menschen und Umwelt zu erkennen, die mit den Geschäftsfeldern, den Produkten oder Dienstleistungen des Unternehmens verbunden sind.2 In einem zweiten Schritt sollen die Ergebnisse der Risikoanalyse Grundlage dafür sein, den identifizierten menschenrechts- und umweltbezogenen Risiken durch wirksame Präventions- und Abhilfemaßnahmen (§ 6 Abs. 1 LkSG) vorzubeugen.3

3 Die Risikoanalyse hat sich auf den eigenen Geschäftsbereich und den Geschäfts-

bereich der unmittelbaren Zulieferer zu beziehen (im Einzelnen, Rz. 14 ff. und 25 ff.). In Fällen, in denen missbräuchliche Gestaltungen der Lieferkette oder Geschäfte mit dem Zweck der Umgehung der auf den unmittelbaren Zulieferer bezogenen Sorgfaltspflichten durchgeführt wurden, erweitert § 5 Abs. 1 S. 2 LkSG die Pflicht zur Risikoanalyse auch auf mittelbare Zulieferer (im Einzelnen Rz. 41 ff.). Gleiches gilt bei tatsächlichen Anhaltspunkten, die eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht möglich erscheinen lassen (substantiierte Kenntnis, § 9 III LkSG, vgl. dazu § 9 Rz. 16 ff.).

4 Der Gesetzeswortlaut führt in § 5 Abs. 1 LkSG aus, dass die Risikoanalyse an-

gemessen sein muss; darüber hinaus gibt es keine gesetzgeberischen Vorgaben dazu, wie eine Analyse der durch den Geschäftsbetrieb des Unternehmens verursachten menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken zu erfolgen hat. In der Gesetzesbegründung wird lediglich darauf verwiesen, dass „im Rahmen der Möglichkeiten in Betracht zu ziehen [ist], auch externes Wissen zu konsultieren“4 und die Risikoanalyse nach dem LkSG in einem zweistufigen Prozess erfolgen soll: In einem ersten Schritt sollen sich die Unternehmen zunächst einen Überblick über die eigenen Beschaffungsprozesse, die Struktur und Akteure beim unmittelbaren Zulieferer sowie über die wichtigen Personengruppen verschaffen, die von der Geschäftstätigkeit des Unternehmens betroffen sein können. Die Gesetzesbegründung stellt fest, dass dies in Form eines sog. Risiko1 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 234; vgl. allgemein zur Durchführung einer Compliance-Risikoanalyse Balke, MünchHdB GesR, Bd. 7, Corporate Litigation, 6. Auf. § 104 Rz. 16 ff.; Balke/Klein, ZIP 2017, 2038 ff. 2 BT-Drucks. 19/28649, 44. 3 BT-Drucks. 19/28649, 44. 4 BT-Drucks. 19/28649, 44.

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mappings nach Geschäftsfeldern, Standorten, Produkten oder Herkunftsländern erfolgen kann, in das auch kontextabhängige Faktoren, wie die politische Rahmenbedingungen oder vulnerable Personengruppen, einzubeziehen sind.5 Im zweiten Schritt sind die Risiken zu bewerten und zu priorisieren (§ 5 Abs. 2 LkSG).6 2. Zum Risikobegriff nach § 5 Abs. 1 LkSG Über diese allgemeinen Hinweise hinaus gibt § 5 LkSG keine Handreichungen, 5 wie die Unternehmen drohende oder existierende Menschenrechtsverletzungen oder Umweltrisiken bzw. -schäden in der Lieferkette erkennen sollen. Es ist insbesondere unklar bzw. wird von den bisherigen Stellungnahmen im Schrifttum unterschiedlich ausgelegt, wie der Risikobegriff in § 5 Abs. 1 LkSG zu interpretieren ist. Ein Teil des Schrifttums geht davon aus, dass sich die Lieferketten-Risikoanalyse nicht von einer allgemeinen Compliance-Risikoanalyse unterscheidet und die Risikoanalyse insbesondere die aus einer Missachtung von Menschenrechten entlang der Lieferkette für das Unternehmen drohenden finanziellen Risiken (etwa durch Bußgelder oder Klagverfahren) oder Reputationsrisiken ermitteln soll.7 Nach anderer Ansicht soll im Rahmen der Lieferketten-Risikoanalyse nur eingeschränkt auf bestehende Risikoanalyse-Mechanismen zurückgegriffen werden können, sondern vielmehr Risikoanalysen nach neuerer CSRGesetzgebung (vgl. Art. 5 I Buchst. a Konfliktmineralienverordnung und Art. 6 I Buchst. b Holzhandelsverordnung) als Vorbild für die Risikoanalyse nach § 5 Abs. 1 LkSG dienen.8 Hieraus folge, dass das Risiko einer drohenden oder existierenden Menschenrechtsverletzung (oder eines Umweltrisikos) an sich zu ermitteln sei und nicht die daraus entstehenden (Sekundär)Risiken für das verpflichtete Unternehmen.9 Hierfür spricht etwa die Definition von menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken nach § 2 Abs. 2 bzw. Abs. 3 LkSG (dazu schon § 2 Rz. 97 ff.). Daran ist richtig, dass das LkSG – wie etwa im Umweltrecht10 (und der Kon- 6 fliktmineralienVO bzw. HolzhandelsVO) – von einem zweiteiligen Risikobegriff ausgeht: Die nach § 5 Abs. 1 LkSG gebotene Risikoanalyse zielt in erster Linie darauf ab, festzustellen, inwieweit durch die Herstellung des durch das Unternehmen produzierten oder vertriebenen Produkts bzw. der erbrachten Dienstleistung die in § 2 Abs. 2 und 3 LkSG näher definierten Risiken für die 5 6 7 8

BT-Drucks. 19/28649, 44. BT-Drucks. 19/28649, 45. Dutzi/Schneider/Hasenau, Der Konzern 2021, 454, 457. Etwa Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145 Rz. 28; in diesem Sinne auch zum Begriff des Begriffs des Risikos nach der KonfliktmineralienVO Teicke/Rust, CCZ 2018, 39. 9 Ähnlich Rack, CB 2022, Heft 06, Beilage, 1: „Unter Risikomanagement versteht der Gesetzgeber, die Auswirkungen der eigenen unternehmerischen Tätigkeit auf die Menschen zu kennen, die in Folge einer Geschäftsbeziehung mit den Geschäftsfeldern, den Produkten oder Dienstleistungen des Unternehmens verbunden sind.“ 10 Vgl. etwa auch die Umweltmanagementinstrumente wie EMAS oder ISO 14001 und deren Unterscheidung zwischen (Umwelt)Aspekte und (Umwelt)Auswirkungen.

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§ 5 | Risikoanalyse Umwelt und Betroffene verursacht werden. Das verpflichtete Unternehmen soll im Rahmen der Risikoanalyse alle menschenrechtlichen und umweltrechtlichen Risiken oder Verletzungen in der Lieferkette mit in den Blick nehmen, die es unmittelbar verursacht oder zu denen es mittelbar beigetragen hat (zu der Auslegung des Erfordernisses eines Verursachungsbeitrags → Verweis auf Kommentierungen zu §§ 3 und 4). Auf die Frage der (eigenen, ggf. bußgeldrelevanten) Verantwortlichkeit kommt es dabei (zunächst) nicht an; diese spielt erst – und neben anderen Kriterien – bei der Gewichtung der Risiken nach § 5 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 2 LkSG eine Rolle. Die Schutzrichtung des Gesetzes wird z.B. auch aus § 8 Abs. 3 LkSG (dazu → Verweis auf Kommentierungen zu § 8 Abs. 3) deutlich: § 8 Abs. 3 LkSG verlangt unter gewissen Voraussetzungen (insb. bei einer sehr schwerwiegenden Verletzung von Menschenrechten oder umweltbezogenen Pflichten) den sofortigen Abbruch einer Geschäftsbeziehung mit dem verletzenden Zulieferer und dies unter Inkaufnahme finanzieller Einbußen. Im Mittelpunkt der Risikoanalyse nach § 5 LkSG stehen daher menschenrechtliche und umweltrechtliche Risiken an sich, die durch die Geschäftstätigkeit des verpflichteten Unternehmens verursacht wurden bzw. zu denen es beigetragen hat. 7 Die Auswirkungen der in § 2 Abs. 2 und 3 LkSG näher definierten Risiken für

das eigene Unternehmen können allerdings ergänzend mit in die Betrachtung einbezogen werden.11 Dies ist offenkundig für den eigenen Geschäftsbereich; das unmittelbare (Mit)Verursachen von menschenrechtlichen Risiken oder Verletzungen oder insbesondere auch Umweltrisiken wird in aller Regel auch finanzielle Risiken (in Form von Bußgeldern oder sonstigen Strafzahlungen bzw. Lieferunterbrechungen durch Untersagungsverfügungen) oder Reputationsschäden zur Folge haben. Aus den gesetzlichen Bestimmungen des LkSG ergeben sich nun unmittelbare Pflichten hinsichtlich etwaiger Menschenrechtsrisiken bzw. -verletzungen bei einem Zulieferer; auch in diesem Zusammenhang entstehen nun durch ein „bewusstes Wegschauen“ finanzielle Risiken (durch den Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge nach § 22 LkSG oder die Bußgeldbewehrtheit von Verstößen nach § 24 LkSG). 3. Risikoanalyse als Pflicht zur angemessenen Informationsbeschaffung

8 Der angepasste Risikobegriff ändert indes nichts daran, dass im Rahmen der Lie-

ferketten-Risikoanalyse auf die Grundsätze zurückgegriffen werden kann, die auch für die Risikoanalyse sonstiger Compliance-Risiken gelten:12 Ausgangspunkt jeder Risikoanalyse bleibt die Bewertung von Ausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit eines Risikos; in diesem Sinne ist Ausgangspunkt jeder Risikoanalyse nach § 5 Abs. 1 LkSG die Frage, ob sich negative Auswirkungen durch den Geschäftsbetrieb auf Umwelt und Betroffene ergeben können und wenn ja, mit welcher Wahrscheinlichkeit und welchem Ausmaß eine Verwirk-

11 Vgl. auch Praxisleitfaden des BMUV und Umweltbundesamtes, S. 24. 12 In diesem Sinne auch Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145 Rz. 25 sowie Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 106, 107.

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lichung der in § 2 Abs. 2 und 3 LkSG näher definierten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken drohen kann.13 9 Entscheidend bleiben die – bei jeder Risikoanalyse – zentralen Fragen wie – In welcher Branche bzw. in welchem Sektor ist das Unternehmen tätig und inwieweit ergeben sich aus Branche bzw. Sektor besondere Gefahren (z.B. aufgrund der Verwendung bestimmter Rohstoffe oder bestimmter typischer Produktionsprozesse mit Umweltrisiken)? Bestehen bereits branchenbezogene Nachhaltigkeitsinitiativen (z.B. im Textilbereich oder in der Holz- und Agrarwirtschaft) oder Managementsysteme (z.B. EMAS und ISO 14001 für den Umweltbereich), deren Implementierung umweltbezogene und menschenrechtliche Risiken absenken können? – In welchen Ländern befinden sich die Lieferanten des Unternehmens? Welche Standards bestehen in diesen Ländern14 mit Blick auf Umwelt und Soziales? Ergeben sich z.B. höhere Risiken aufgrund spezifischer Land-ProduktKombinationen15, die bei der betreffenden Geschäftstätigkeit des Unternehmens besonders in den Blick zu nehmen sind? – Wie eng ist die Beziehung zu den Lieferanten? Welche Struktur hat die Lieferkette des betroffenen Unternehmens? Besteht Transparenz über die wesentlichen (auch mittelbaren) Zulieferer? Oder ist die Lieferkette komplex und umfasst viele Stufen?

Die besondere Schwierigkeit bei der Lieferketten-Risikoanalyse liegt darin, dass 10 einem Produkt oder einer in Anspruch genommenen Dienstleistung in der Regel äußerlich nicht anzusehen ist, ob das Produkt oder die Dienstleistung unter Inkaufnahme menschenrechts- oder umweltbezogener Risiken produziert oder erbracht wird. Die Risikoanalyse sollte daher das Ziel haben, Klarheit über die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Bedingungen zu schaffen, unter denen ein Produkt (ggf. auch Vorprodukt) produziert wird bzw. eine Dienstleistung erbracht wird. Anders formuliert: Die Risikoanalyse hat das Ziel, Verursachungsbeiträge des verpflichteten Unternehmens (i.S.v. §§ 3 Abs. 2 Nr. 4, 4 Abs. 2 LkSG) objektiv erkennbar und damit vermeidbar zu machen. Die Pflicht zur Risikoanalyse ist daher in erster Linie eine Pflicht zur Informationsbeschaffung und in zweiter Linie eine Pflicht zur Bewertung dieser Informationen.16

13 Vgl. auch Praxisleitfaden des BMUV und Umweltbundesamtes, S. 22. 14 Insbesondere zur Einschätzung länderbezogener Risiken gibt es mittlerweile diverse Datenbanken, die als Hilfestellung verwendet werden können, vgl. etwa nur die weiterführenden Hinweise unter www.csr-in-deutschland.de (zuletzt abgerufen am 25.5. 2022) oder www.mvorisicochecker.nl (zuletzt abgerufen am 25.5.2022). 15 Hierzu etwa auch www.mvorisicochecker.nl (zuletzt abgerufen am 25.5.2022), vgl. dazu auch die Vorschläge bei Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3080 f. 16 Ähnlich Rack, CB 2022, Beilage Heft 06, S. 1, 12 ff.

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§ 5 | Risikoanalyse 4. Angemessenheitsvorbehalt; Auswahl der Mittel 11 Wenngleich das Gesetz keine Vorgaben zur Informationsbeschaffung macht, ist

anzunehmen, dass eine angemessene Risikoanalyse i.S.v. § 5 Abs. 1 LkSG voraussetzt, dass das Unternehmen eine angemessene Informationsgrundlage geschaffen hat. Hierfür spricht zum einen der allgemein gesetzlich angeordnete Angemessenheitsvorbehalt, unter dem – ebenso wie die weiteren Bemühenspflichten des LkSG – auch die Risikoanalyse steht. Zum anderen kennt das deutsche Recht entsprechende Vorgaben bei unternehmerischen Entscheidungen im Rahmen von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG; auch unternehmerische Entscheidungen haben Prognosecharakter und müssen zukünftige Risiken (und Chancen) bewerten. Ein wesentliches Kriterium für eine ordnungsgemäße unternehmerische Entscheidung nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG ist das „Handeln auf der Grundlage angemessener Information“.17 Für die Informationsgrundlage und insbesondere hinreichende Informationstiefe muss zwischen drei Ebenen unterschieden werden: dem eigenen Geschäftsbereich, den unmittelbaren Zulieferern und den mittelbaren Zulieferern. Zudem sind auch bei der näheren Eingrenzung des Angemessenheitsbegriffs im Rahmen der Risikoanalyse die Kriterien des § 3 Abs. 2 LkSG zu berücksichtigen.

12 Darüber hinaus bleibt – im Rahmen der sonstigen gesetzlichen Vorgaben (z.B.

zum Zeitpunkt nach § 5 Abs. 4 LkSG noch Rz. 60 ff. und Kreis der einzubeziehenden Geschäftsbereiche ab Rz. 14 ff.) – für die Unternehmen bei der Art und Weise, wie sie ihre Lieferketten-Risikoanalyse durchführen, ein Handlungsund Ermessensspielraum.18 Die Wahl der geeigneten Methode für die Risikoanalyse und der Umfang der Risikoabschätzung bleibt jedem Unternehmen vorbehalten19 und bestimmt sich nach den allgemein für die Risikoanalyse bekannten Kriterien wie Größe und Struktur des Unternehmens, geschäftliches Umfeld, Sektor bzw. Branche, in dem das Unternehmen tätig ist, relevante Vorfälle in der Vergangenheit.20 Im Übrigen gilt, dass es bei der Ausgestaltung eines CMS im Allgemeinen, aber auch bei der Durchführung einer Compliance-Risikoanalyse kein „one size fits all“21 gibt.

13 Als grundsätzlich geeignete und zur Auswahl stehende Methoden der Informa-

tionsbeschaffung kommen auf der einen Seite alle Möglichkeiten in Betracht,

17 Ähnlich Rack, CB 2022, Beilage Heft 06, S. 1, 12 ff. 18 So ausdrücklich BT-Drucks. 19/28649/, S. 45 zu § 5 Abs. 2 LkSG: „Es liegt im Ermessen des Unternehmens, eine geeignete Methode der Informationsbeschaffung und Bewertung zu wählen, je nach Risiko, Branche und Produktionsregion“. Für die Anerkennung eines weiten Ermessens auch Grabosch in Grabosch LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 63; Dohrmann, CCZ 2021, 265, 267. 19 Vgl. auch Grabosch in Grabosch LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 63. 20 BT-Drucks. 19/28649/, S. 45 zu § 5 Abs. 2 LkSG: „Risiko, Branche und Produktionsregion“ und Kriterien des § 3 Abs. 2 LkSG; vgl. auch Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 131 unter Verweis auf die Handreichungen des VN-Hochkommissariat für Menschenrechte zur Auslegung der VN-Leitprinzipien (UN GuidingPrinciples, Interpretative Guide, S. 38). 21 In diesem Sinne auch Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 234.

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die – im rechtlichen zulässigen Maße – Zugriff auf unternehmensinterne Informationen erlauben. In diesem Rahmen können z.B. auch die Befragung von Zulieferern, Besichtigungen vor Ort, Durchführung von unternehmensinternen Audits oder direkte Dialoge mit relevanten Stakeholdern in Betracht gezogen werden.22 Zum anderen sind unternehmensexterne Informationsquellen wie Medienberichte, Berichte von NGOs oder sonstige Auswertungen bzw. Benchmarks wie Scoringlisten und Indizes23 heranzuziehen. Schließlich kann das Unternehmen auch auf externe Dienstleister bzw. Dienstleistungen zurückgreifen wie z.B. Geschäftspartnerintegritätsanalysen, Lieferkettenprüfungsdienstleister (wie z.B. ecovadis) oder sonstige Hilfestellungen durch IT-Lösungen.24 Dabei gilt aufgrund des Angemessenheitsvorbehalts: Es besteht keine Verpflichtung dazu, alle geeigneten Methoden der Informationsbeschaffung einzusetzen. 5. Die Risikoanalyse im eigenen Geschäftsbereich Die Risikoanalyse beginnt im eigenen Geschäftsbereich des verpflichteten Un- 14 ternehmens und erfasst – abhängig vom Umfang der betreffenden Geschäftstätigkeit – sowohl das In- und Ausland sowie konzernangehörige Gesellschaften i.S.d. § 2 Abs. 6 S. 2 LkSG, auf die bestimmender Einfluss ausgeübt wird (vgl. zur Definition des eigenen Geschäftsbereichs im Einzelnen die Kommentierung zu § 2 Abs. 6). Im eigenen Geschäftsbereich haben die verpflichteten Unternehmen die weitgehendsten Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung, wenngleich es auch hier rechtliche und tatsächliche Grenzen gibt. a) Ermittlung des „Status quo“ Ausgangspunkt wird dabei in der Praxis sein, in enger Abstimmung mit Ge- 15 schäftsleitung sowie Rechts- und Compliance-Abteilung den „Status quo“ im betreffenden Unternehmen zu ermitteln und festzustellen, ob bzw. in welcher Form bereits unternehmensbezogen Menschenrechts-/Umweltstrategien (jedenfalls in Teilbereichen) bestehen bzw. ob und wenn ja, in welcher Form bestehende Compliance Management-Systeme menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken bereits erfassen. Hierzu zählt die Erfassung bereits zugewiesener Zuständigkeiten (z.B. AGG-Beauftragte oder ein Arbeitsschutzausschuss). Bei der Erfassung des Status quo spielen naturgemäß auch bereits vorhandene Mitgliedschaften/Zertifizierungen des betroffenen Unternehmens mit Bezug zu Menschen- und Umweltrechten (wie z.B. Unterzeichnung des UN Global Compact oder der UN Women’s Empowerment Principles, Anwendung der UN Guiding Principles on Human Rights oder der entsprechenden OECD-Guidelines) oder Zertifizierungen in einem ähnlichen Zusammenhang (etwa ISO-Standards 37301; ISO 9001; DIN ISO 26000, EMAS) eine wesentliche Rolle. Auch die Teil22 Dohrmann, CCZ 2021, 265, 267. 23 Vgl. etwa weiterführend Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3080 f. 24 Grabosch in Grabosch LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 65.

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§ 5 | Risikoanalyse nahme an Brancheninitiativen zum Schutz von Menschen- und Umweltrechten (wie z.B. im Textilbereich der „Grüne Knopf“ oder „Together for Sustainability (TfS)“ im Chemiebereich) kann insoweit Berücksichtigung finden (s. zu Branchenstandards bzw. Brancheninitiativen schon § 4 Rz. 16 ff.) b) Interne Informationsbeschaffung 16 Wie dargelegt, sind die Unternehmen bei der Auswahl der Methoden der Infor-

mationsbeschaffung grundsätzlich frei. In der Praxis bietet sich ein zweigestuftes Verfahren an: In einem ersten Schritt sind über interne Informationskanäle Informationen zu erlangen wie z.B. das Zusammentragen von Informationen über Problem- bzw. Verdachtsfälle im Unternehmen in der Vergangenheit oder das Zusammenstellen von Informationen aus internen Meldekanälen. Auch Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit der nicht-finanziellen Berichterstattung zusammengetragen wurden, können mitberücksichtigt werden.

17 Als wesentliches Element der internen Informationsbeschaffung und sinnvoller

Ausgangspunkt zur Bestandsaufnahme und Risikoanalyse im eigenen Geschäftsbereich haben sich in der Praxis Risikoermittlungs- bzw. Risikofragebögen erwiesen. Dies gilt insbesondere bei Unternehmen, die sich noch nicht eingehend mit ihren menschenrechtlichen und/oder umweltbezogenen Risiken beschäftigt haben.

18 Zuerst ist dabei zu definieren, welche Abteilungen innerhalb des Unternehmens

bei der Erarbeitung eines solchen Risikoanalyse-Fragebogens einzubeziehen sind und wie sich der relevante Adressatenkreis bestimmt, der die Risikoermittlungsbögen zu beantworten hat, d.h. die relevanten „Risk Owners“ (Wissensträger) sind zu bestimmen.25 Neben der Rechts- und Compliance-Abteilung werden dies i.d.R. die HR-Abteilung und der Einkauf sein (zu der Einbeziehung der Geschäftsleitung, noch unter Rz. 57). Unternehmen können hier mittlerweile auch auf gute Handreichungen zurückgreifen, die identifizieren, welche Wissensträger regelmäßig für welches menschenrechtliche und umweltbezogene Thema die richtigen Ansprechpartner sind.26

19 Auf dieser Grundlage sind dann ein bzw. mehrere Fragebögen zu entwickeln,

die die Risikofelder nach dem LkSG abdecken. Angesichts der Vielschichtigkeit der abzufragenden Risiken (und Diversität der betroffenen Abteilungen) bietet es sich in der Praxis an, für jede der Kategorien der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken nach § 2 Abs. 2 und 3 LkSG einen gesonderten Fragebogen zu entwerfen und kategorienbezogen Risikofaktoren abzufragen.

20 In einer Vielzahl deutscher Unternehmen werden sich dabei bestimmte men-

schenrechtliche Risiken in der Regel ausschließen lassen. Dies gilt insb. für Kin-

25 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 234 sprechen von einem „kombinierten TopDown/Bottom-Up-Ansatz“. 26 Eine Exceltabelle mit einer ausführlichen Übersicht findet sich unter https://econsense. de/wp-content/uploads/2020/09/2020_econsense_Menschenrechtsindikatoren_finalDE.xlsx (zuletzt abgerufen am 23.5.2022).

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derarbeit, die verbotene Ausnutzung von Kindern, Kinder- und Menschenhandel, Sklaverei, Schuldknechtschaft, Leibeigenschaft, Zwangsarbeit, extreme wirtschaftliche oder sexuelle Ausbeutung und Erniedrigungen. Aber auch bei diesen Risiken werden Unternehmen künftig gehalten sein, grundlegende Informationen zu ermitteln und die Ermittlung zu dokumentieren. Am Beispiel der Kategorie des Verbots der Kinderarbeit verdeutlicht, könnten entsprechende Fragen sein: – Ist das Alter jedes Mitarbeiters bekannt und durch Belege nachgewiesen? – Existiert ein Mindestalter für die Beschäftigung? Wenn Ausnahmen zugelassen sind (z.B. für Praktika, Ausbildung, Ferienjobs etc.) wie wird geprüft und nachgehalten, dass Verbot von Kinderarbeit dadurch nicht unterlaufen wird oder dass besondere Schutzbestimmungen eingehalten werden? – Gibt es Betriebe oder Konzerngesellschaften in Risikoländern27, die allgemein für Vorfälle im Zusammenhang mit Kinderarbeit bekannt sind?28 Bei anderen menschenrechtlichen Risiken wird regelmäßig auch für den eigenen 21 Geschäftsbereich eine umfassendere Ermittlung und Auswertung der im Unternehmen vorhandenen Informationen notwendig werden. Abhängig von der individuellen Risikolage können dabei auch stichprobenartige Vor-Ort-Überprüfungen erforderlich werden (z.B. in den Fällen, in denen es im Unternehmen bereits zu Verstößen gekommen ist). Dies gilt insbesondere für die Einhaltung der am Beschäftigungsort geltenden Arbeitsschutzpflichten einschließlich der Einhaltung der Regelungen zu Arbeitszeiten (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG) sowie Fragen der Ungleichbehandlung in Beschäftigung.29 Fragen der Koalitionsfreiheit werden wiederum eher Relevanz bei Aktivitäten in Ländern haben, in denen Gewerkschaften verboten sind bzw. das Recht auf Koalitionsfreiheit nachhaltig eingeschränkt wird.30 Bei der Ermittlung der umweltbezogenen Risiken (§ 2 Abs. 3 LkSG) sollten Un- 22 ternehmen besondere Sorgfalt auf die Prüfung verwenden, ob in ihren Produkten Quecksilber und Quecksilberverbindungen (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 LkSG) enthalten sind31 oder im Rahmen der Produktion persistente organische Schadstoffe (§ 2 Abs. 3 Nr. 4 und 5 LkSG) produziert oder verwendet werden.32 27 Vgl. etwa 2020 List of Goods Produced by Child Labor or Forced Labor des U.S. Department of Labour (https://www.dol.gov/sites/dolgov/files/ILAB/child_labor_reports/ tda2019/2020_TVPRA_List_Online_Final.pdf, zuletzt abgerufen am 25.5.2022). 28 In diesem Fall steigen die an die Risikoanalyse zu stellenden Sorgfaltspflichten. 29 Dazu zählt auch die Auswertung von Informationen zu einem möglichen „Gender Pay Gap“ (Wie werden hier Informationen erhoben und Vergütungen vergleichbar gemacht?) oder von vorhandenen Schutzmechanismen zur Gewährleistung der Gleichstellung von Personen mit Behinderung. 30 Vgl. zum Ganzen den Globalen Rechtsindex 2021 des Internationalen Gewerkschaftsbunds, S. 11 ff., abrufbar unter https://files.mutualcdn.com/ituc/files/ITUC_Global RightsIndex_2021_DE-final.pdf (zuletzt abgerufen am 25.5.2022). 31 Siehe hierzu auch § 2 Rz. 267 ff. 32 Siehe hierzu auch § 2 Rz. 287 ff.

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§ 5 | Risikoanalyse 23 Darüber hinaus haben die Unternehmen generell umweltbezogene Risiken in ih-

rem Abfallmanagement (§ 2 Abs. 3 Nr. 6 bis 8 LkSG33) und allgemeinen Umweltmanagement (u.a. § 2 Abs. 2 Nr. 9 LkSG34) zu ermitteln. Soweit UmweltCompliance bzw. Umweltmanagementsysteme bereits vorhanden sind, werden Unternehmen bei der Analyse umweltbezogener Risiken in ihrem eigenen Geschäftsbereich weitestgehend auf die bereits vorhandenen Strukturen zurückgreifen können. Typischerweise ist die Risikoanalyse allerdings im Hinblick auf die Risiken nach § 2 Abs. 2 Nr. 9 LkSG zu erweitern und zu ermitteln, inwieweit das Unternehmen in Regionen mit Wasserknappheit35 z.B. wasserintensive betriebliche Tätigkeiten durchführt, die die in § 2 Abs. 2 Nr. 9 LkSG beschriebenen nachteiligen Auswirkungen zur Folge haben kann. c) Externe Informationsbeschaffung

24 Die Ergebnisse der internen Informationsermittlung sind regelmäßig durch ex-

terne Informationsmittel zu ergänzen oder zumindest zu plausibilisieren. In Betracht kommt hier regelmäßig eine gezielte (ggf. KI-gestützte) Auswertung der Berichterstattung in den Medien, auch unter Einbeziehung lokaler Presse.36 Daneben ist ein Rückgriff auf Verbandsinformationen, Informationen von NGOs wie Scoring-Listen oder anderweitige Datenbanken (hierzu schon Rz. 12) hilfreich. Insbesondere bei hoch priorisierten Risiken kann auch die Beauftragung von externen Dienstleistern sinnvoll sein.37 6. Risikoanalyse bei unmittelbaren Zulieferern

25 Nach § 5 Abs. 1 LkSG hat sich die Risikoanalyse des verpflichteten Unter-

nehmens auch auf seine unmittelbaren Zulieferer zu beziehen. Der Begriff des unmittelbaren Zulieferers ist in § 2 Abs. 7 LkSG definiert (zur Reichweite § 2 Rz. 362 ff.).

26 Die Risikoanalyse für die unmittelbaren Zulieferer eines Unternehmens setzt zu-

nächst voraus, dass sich das Unternehmen einen umfassenden Überblick über seine Lieferkette (i.S.v. § 2 Abs. 5 LkSG38) und seine Lieferantenstruktur ver-

33 § 2 Rz. 303 ff. 34 § 2 Rz. 214 ff. 35 Vgl. etwa die unter https://www.fao.org/aquastat/en/resources/publications/reports/ abrufbaren Statistiken der Food and Agriculture Organization of the United Nations. 36 Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement; Praxisleitfaden des für Unternehmen (BMUB, Umweltbundesamt), S. 20 (abrufbar unter https://www.bmu.de/ fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/leitfaden_nachhaltige_lieferkette_bf.pdf, Stand 25.5.2022). 37 Grundsätzlich zu externen Informationsmitteln: BT-Drucks. 19/28649, 44. Vgl. etwa auch Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1237, 1242. 38 Weiterführend § 2 Rz. 323 ff.

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schafft hat.39 Zu diesem Überblick zählt auch die grundsätzliche Differenzierung zwischen einem unmittelbaren Lieferanten (i.S.v. § 2 Abs. 7 LkSG40) und einem mittelbaren Lieferanten (i.S.v. § 2 Abs. 8 LkSG41). a) Risikomapping anstatt Einzelanalyse Viele Unternehmen stehen vor der Problematik, dass sie eine sehr große Anzahl 27 von (unmittelbaren) Zulieferern haben, die in die Risikoanalyse einzubeziehen sind. Dies gilt insbesondere bei Unternehmen im Maschinenbau sowie der chemischen Industrie und erst recht bei Handelsunternehmen mit einem breiten Sortiment. Der deutsche Gesetzgeber hat sich gegen das Konzept einer sog. „White List“ entschieden, sondern verweist darauf, dass „dies [gemeint ist wohl der Überblick über die eigenen Beschaffungsprozesse, über die Struktur und Akteure beim unmittelbaren Zulieferer sowie über die wichtigen Personengruppen, die von der Geschäftstätigkeit des Unternehmens betroffen sein können] in Form eines Risikomappings nach Geschäftsfeldern, Standorten, Produkten oder Herkunftsländern erfolgen [soll]. Kontextabhängige Faktoren, wie die politischen Rahmenbedingungen oder vulnerable Personengruppen sind in die Analyse einzubeziehen“.42 In den FAQs des BMAS wird ergänzend noch auf ein Risikomapping nach Rohstoffen verwiesen.43 Damit ist klar, dass ein verpflichtetes Unternehmen keine Einzelanalyse seiner unmittelbaren Zulieferer vornehmen muss, sondern seine Zulieferer auf der Grundlage unternehmensindividueller risikobasierter Merkmale in Gruppen (Cluster) einteilen und klassifizieren kann. Die Risikobewertung erfolgt entsprechend gruppenbezogen und nicht individuell. Nur wenn konkrete Anhaltspunkte für Menschenrechtsverletzungen oder Umweltrisiken vorliegen, ist eine auf einzelne Zulieferer bezogene Risikoanalyse geboten. In Vorbereitung der Einteilung der Zulieferer nach Clustern ist es empfehlens- 28 wert, sich vorab einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Informationen bereits im Unternehmen zu den (unmittelbaren) Zulieferern vorhanden sind (Stammdatenblätter, KYC-Checks im Rahmen von Geldwäsche- und/oder der Korruptionsprävention), vorhandene Zertifizierungen, Lieferantenfragebögen etc.) und wie diese im Unternehmen gesammelt und aufbereitet werden. Gleiches gilt für den Fall, dass ein Unternehmen seine Zulieferer bereits – entweder im Rahmen einzelvertraglicher Verpflichtungen (z.B. hinsichtlich eines zu zah39 BT-Drucks. 19/28649, 45: „In einem ersten Verfahrensschritt sollen Unternehmen einen Überblick gewinnen über die eigenen Beschaffungsprozesse, über die Struktur und Akteure beim unmittelbaren Zulieferer sowie über die wichtigen Personengruppen, die von der Geschäftstätigkeit des Unternehmens betroffen sein können.“ 40 § 2 Rz. 362 ff. 41 § 2 Rz. 376. 42 BT-Drucks. 19/28649, 45 (Ergänzungen und Hervorhebungen hinzugefügt). Die FAQs des BMAS stellen zudem klar, dass auch ein Risikomapping nach Rohstoffen erfolgen kann. 43 Vgl. FAQ Ziff. VIII Nr. 2 (abrufbar unter https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirt schaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lie ferketten/FAQ/faq-art.html (Stand: 23.5.2022).

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§ 5 | Risikoanalyse lenden Mindestlohns) oder durch Unterzeichnung eines Supplier/Business Partner Code of Conduct – gesonderten lieferkettenbezogenen Sorgfaltspflichten unterwirft. Auch hier sollte auf eine zentrale Dokumentation geachtet werden, auf die dann im Rahmen des Risikomappings zurückgegriffen werden kann. 29 Neben den bereits genannten Kriterien wie Geschäftsfelder, Standorte, Produk-

te, Rohstoffe oder Herkunftsländer bietet sich in der Praxis die Erfassung weiterer Differenzierungskriterien als hilfreich an, wie z.B. – Unterscheidung zwischen Lieferanten von „Production Material“ und „Non Production Material“ – Unterscheidung zwischen Zulieferern innerhalb vs. außerhalb der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums – gesonderte Erfassung von Zulieferern aus Ländern mit höherer menschenrechtlicher Risikolage (z.B: China; Somalia; Nordkorea; Myanmar, Bangladesch bzw. Ländern, in denen bewaffnete Konflikte ausgetragen werden) – gesonderte Erfassung von Zulieferern, die quecksilberhaltige Produkte liefern, – Erfassung von Zulieferern, die unmittelbar in den persönlichen Anwendungsbereich des LkSG fallen,

30 Die Wahl der konkreten Kriterien, nach denen ein Unternehmen seine (unmit-

telbaren) Zulieferer einteilt und klassifiziert, bleibt im Ermessen jedes Unternehmens und wird nur in Abhängigkeit vom konkreten Geschäftsmodell beurteilt. Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass es „im Ermessen des Unternehmens [liegt], eine geeignete Methode der Informationsbeschaffung und Bewertung zu wählen, je nach Risiko, Branche und Produktionsregion“44. Ähnlich äußert sich das BMAS: „Auf dieser Grundlage kann das Unternehmen entscheiden, welche Risiken (und welche Lieferbeziehung) es vertieft betrachtet und zuerst angeht. Unternehmen haben dabei einen weiten Gestaltungsspielraum“45. b) Informationsmittel und Informationstiefe der Risikoanalyse bei unmittelbaren Zulieferern

31 Die Risikoanalyse bei unmittelbaren Zulieferern unterscheidet sich von der Risi-

koanalyse im eigenen Geschäftsbereich durch die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung. Anders als im eigenen Geschäftsbetrieb stehen interne Informationsmittel, d.h. die Möglichkeiten der eigenen Informationsbeschaffung durch das verpflichtete Unternehmen nur in eingeschränkter Form zur Verfügung und bieten zudem eine geringere Richtigkeitsgewähr.

44 Zu § 5 Abs. 2 LkSG vgl. BT-Drucks. 19/28649, 45. 45 FAQ Ziff. VIII Nr. 2 (abrufbar unter https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirt schaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lie ferketten/FAQ/faq-art.html (Stand: 23.5.2022); Hervorhebungen hinzugefügt.

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aa) Informationsmittel Generell stehen dem verpflichteten Unternehmen als Grundlage der Informati- 32 onsbeschaffung über menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken im Geschäftsbereich seines Zulieferers die folgenden Möglichkeiten zur Verfügung: – Eigenrecherchen (Internet, Online-Datenbanken, Social Media etc.), – Lieferantenfragebögen bzw. Selbstauskünfte der Lieferanten („Supplier Self-Assement“) – Besuche vor Ort, – Eigenaudits durch das verpflichtete Unternehmen, – Audits durch Dritte, – Analysen oder Zertifizierungen von spezialisierten Dienstleister oder Brancheninitiativen. Daneben wird es im verpflichteten Unternehmen über einzelne Zulieferer ggf. 33 auch Kenntnisse über Vorfälle in der Vergangenheit geben (oder Kenntnisse über aktuelle Vorfälle über interne Meldekanäle), die in eine systematische Auswertung der jeweiligen Zulieferer einbezogen werden sollten. Auch wird es in der Regel Sinn machen, sich in den Einkaufsabteilungen oder (soweit vorhanden) den unternehmenseigenen Niederlassungen in den Beschaffungsmärkten nach bekannten „Problemfällen“ zu erkundigen. Öffentlich verfügbare Indizes oder „Scoring“-Listen sind eine wesentliche Informa- 34 tionsgrundlage für die Beurteilung von menschenrechtlichen Länderrisiken.46 Beispielhaft können hier die Hintergrundinformationen des „worldjusticereport“47 angeführt werden. Teilweise wird auch auf den „Corruptions Perceptions Index“48, den „Human Development Index“49, die Liste der ärmsten Staaten der Welt50 oder die Governance Indikatoren der Weltbank51 verwiesen.52 Daneben stehen mittlerweile auch Datenbanken zur Verfügung, bei denen nach Nachhaltigkeitsrisiken auch mit Blick auf bestimmte Land-Produkt-Kombinationen gesucht werden kann.53 46 So auch Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3080 mit zahlreichen Hinweisen. 47 Im Internet abrufbar unter https://worldjusticeproject.org/rule-of-law-index/ (Stand: 25.5.2021); hierauf verweist etwa auch Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3080. 48 Abrufbar unter https://www.transparency.org/research/cpi/(Stand: 25.5.2022). 49 Abrufbar unter http://hdr.undp.org/en/content/human-development-index-hdi (Stand: 25.5.2022). 50 Abrufbar unter http://unohrlls.org/about-ldcs/(Stand: 25.5.2022). 51 Abrufbar unter http://info.worldbank.org/governance/wgi#home (Stand: 25.5.2022). 52 Vgl. etwa Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 7; weiterführend auch Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement; Praxisleitfaden des für Unternehmen (BMUB, Umweltbundesamt) (abrufbar unter https://www.bmu.de/ fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/leitfaden_nachhaltige_lieferkette_bf.pdf, Stand: 25.5.2022). 53 Vgl. etwa den Risk Checker von CSR Netherlands (abrufbar unter https://www.mvori sicochecker.nl/de/csr-risiko-check, Stand: 25.5.2022).

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§ 5 | Risikoanalyse bb) Informationstiefe 35 Bei einer Vielzahl von Lieferanten kann nicht jeder Lieferant mit der gleichen

Intensität überprüft werden.54 Es muss daher den Unternehmen möglich sein, auch schon bei der Ermittlung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken Abstufungen bzw. Priorisierungen vorzunehmen.55

36 Vor diesem Hintergrund muss es den Unternehmen in einem ersten Schritt

möglich sein, (i) risikolose Zulieferer bzw. Zulieferergruppen, (ii) risikolose Produkte bzw. Produktgruppen oder (iii) risikolose Länder bzw. Ländergruppen herauszufiltern, und zwar in dem Sinne, dass diese im Rahmen einer generellen Risikoeinstufung als mit einem niedrigen Risiko bewertet werden können, ohne dass es – vorbehaltlich des Bekanntwerdens konkreter Anhaltspunkte für eine veränderte Risikobewertung- noch weiterer Prüfungen durch das verpflichtete Unternehmen bedarf. Dabei ist etwa daran zu denken, wenn die betreffenden Zulieferer des verpflichteten Unternehmens ebenfalls dem Anwendungsbereich des LkSG unterfallen. Soweit Brancheninitiativen deckungsgleiche Anforderungen wie das LkSG enthalten56, können auch diese bei generellen Risikoeinstufungen berücksichtigt werden. Auch im Übrigen erscheint es denkbar, bei Zulieferern mit ausschließlichen Produktionsstandorten in Deutschland oder der EU grundsätzlich von einem niedrigen Risiko auszugehen. Wesentlich bleibt dabei, dass das verpflichtete Unternehmen die wesentlichen Gesichtspunkte, die aus seiner Sicht Anlass für eine generelle Einstufung als „Niedrig-Risiko-Lieferant“ geben, auch entsprechend dokumentiert und regelmäßig (i.S.v. § 5 Abs. 4 LkSG, dazu noch Rz. 60 ff.) überprüft.

37 Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob ein verpflichtetes Unternehmen von

allen seinen (unmittelbaren) Zulieferern im Sinne eines Mindeststandards verlangen muss, durch Lieferantenfragebögen oder Selbstauskünfte des Lieferanten („Supplier Self-Assement“) Auskünfte über menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken in ihrem Geschäftsbereich zu geben oder ob die nach dem LkSG verpflichteten Unternehmen auch hier im Sinne eines risikobasierten Ansatzes Abstufungen vornehmen können.

38 Für eine generelle Abfrage spricht, dass insbesondere die nach § 6 LkSG vorzu-

nehmende Lieferantenbewertung hinreichende Informationen über die poten-

54 Vgl. etwa Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 6. 55 In diesem Sinne etwa Erläuterungen zum Leitprinzip 17 der UN-Guiding Principles on Business and Human Rights, 2011: „Where business enterprises have large numbers of entities in their value chains it may be unreasonably difficult to conduct due diligence for adverse human rights impacts across them all. If so, business enterprises should identify general areas where the risk of adverse human rights impacts is most significant, whether due to certain suppliers’ or clients’ operating context, the particular operations, products or services involved, or other relevant considerations, and prioritize these for human rights due diligence.“ (abrufbar unter https://www.ohchr.org/sites/default/files/docu ments/publications/guidingprinciplesbusiness hr_en.pdf, Stand: 25.5.2022). 56 Hierzu schon § 4 Rz. 16 ff. sowie § 7 Rz. 91 ff.

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tiellen Geschäftspartner voraussetzt.57 Dagegen spricht, dass insbesondere im Rahmen der (erstmaligen) Implementierung eines Lieferketten-Risikomanagements in einem Schritt alle (unmittelbaren) Lieferanten angeschrieben und ausgewertet werden müssten. Der Aufwand ist daher beträchtlich; dagegen dürfte der Nutzen im Sinne eines echten Informations-Mehrwerts, insbesondere bei sog. „Niedrig-Risiko-Lieferanten“, gering sein. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei der Verpflichtung der Unternehmen, Transparenz in ihre Lieferkette zu bringen, zwar die Schaffung eines solchen grundsätzlichen Informationsniveaus als Zielvorgabe im Blick hatte, dass dieses Ziel aber durchaus erst im Rahmen eines mehrjährigen Prozesses erreicht werden kann. Hierfür spricht etwa, dass das BMAS im Zusammenhang mit der Pflicht, eine Risikoanalyse durchzuführen und Transparenz in die Lieferkette zu bringen, auf den Charakter der Sorgfaltspflichten nach dem LkSG als Bemühenspflicht und auf die Notwendigkeit der regelmäßigen Aktualisierung der Risikoanalyse verweist.58 Es wäre daher nach hier vertretener Ansicht zulässig und sorgfaltsgemäß, wenn die verpflichteten Unternehmen nicht an alle ihre Lieferanten Lieferantenfragebögen versenden bzw. Selbstauskünfte anfordern müssten, sondern z.B. solche Lieferanten ausnehmen, die generell mit einem „niedrigen Risiko“ eingestuft werden könnten oder z.B. zeitlich prioritär bei den Lieferanten Selbstauskünfte angefordert werden, die bei einer generellen Risikoeinstufung ein höheres Risiko haben. Bei der Frage, ob und ggf. welche weiteren Informationsmittel (s. Rz. 31) durch 39 das verpflichtete Unternehmen – neben der Selbstauskunft – einzusetzen sind, wenn ein erhöhtes (abstraktes oder konkretes) Risikopotential besteht, sind die Grenzen des rechtlich und tatsächlich Möglichen im Blick zu behalten. Zum einen wird es dem verpflichteten Unternehmen bei einer Vielzahl von Lieferanten schlichtweg mit einem angemessenen Aufwand nicht möglich sein, alle seine Zulieferer mit der gleichen Intensität zu „durchleuchten“ wie dies bei der Risikoanalyse im eigenen Geschäftsbereich erforderlich ist. Zum anderen sind rechtliche Grenzen zu beachten. Denn soweit dies die Zulieferer nicht gestattet haben (z.B. im Rahmen gesonderter vertraglicher Regelungen), sind Besuche vor Ort, die Durchführung von Eigenaudits des Zulieferers durch das verpflichtete Unternehmen oder von Audits des Zulieferers durch Dritte rechtlich nicht zulässig. Im Übrigen gilt unter Berücksichtigung der Kriterien des § 3 Abs. 2 LkSG ein ri- 40 sikobasierter Ansatz59: Je größer die potentiellen Risiken, desto höher sind die 57 Vgl. hierzu § 6 Rz. 107 ff. Verweis auf Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 43. 58 Dazu gehöre auch, „sich um eine transparente Lieferkette zu bemühen. Ist ihnen [den verpflichteten Unternehmen] das aus plausiblen Gründen nicht möglich, handeln sie dennoch im Einklang mit dem LkSG. Die Risikoanalyse ist mindestens jährlich sowie anlassbezogen zu wiederholen“, vgl. FAQ Ziff. VIII Nr. 3 (abrufbar unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html, Stand: 23.5.2022). 59 Vgl. nur die in Fn. 56 zitieren Erläuterungen zum Leitprinzip 17 der UN-Guiding Principles on Business and Human Rights, 2011.

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§ 5 | Risikoanalyse Anforderungen an den Umfang der im Rahmen der Risikoanalyse einzuholenden Informationen und ihrer Informationstiefe.60 7. Erweiterung der Risikoanalyse auf mittelbare Zulieferer bei sog. Umgehungskonstellationen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 LkSG 41 Nach § 5 Abs. 1 S. 2 LkSG soll in „Fällen, in denen ein Unternehmen eine miss-

bräuchliche Gestaltung der unmittelbaren Zuliefererbeziehung oder ein Umgehungsgeschäft vorgenommen hat, um die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten im Hinblick auf den unmittelbaren Zulieferer zu umgehen“, ein mittelbarer Zulieferer als unmittelbarer Zulieferer gelten. In diesem Fall soll sich die Risikoanalyse61 auch auf den mittelbaren Zulieferer erstrecken. Über diesen Fall hinaus bestimmt § 9 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 LkSG, dass eine (anlassbezogene) Risikoanalyse bei einem mittelbaren Zulieferer vorzunehmen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht möglich erscheinen lassen (substantiierte Kenntnis).62 a) Tatbestandsvoraussetzungen

42 Nach der Gesetzesbegründung zeichneten sich missbräuchliche Gestaltungen

oder Umgehungsgeschäfte dadurch aus, dass der zwischen dem verpflichteten Unternehmen und dem mittelbaren63 Zulieferer auftretende Dritte keine nennenswerte eigene Geschäftstätigkeit aufweisen und/oder keine auf Dauer angelegte Präsenz in Gestalt von eigenen Geschäftsräumen, Personal oder Ausrüstung beim unmittelbaren Zulieferer vorgehalten wird.64 Mit anderen Worten geht es darum, Strohmanngestaltungen zu vermeiden.65

43 Wesentliche Voraussetzung ist, dass das verpflichtete Unternehmen an dieser

Strohmanngestaltung aktiv mitgewirkt hat. Dieses Erfordernis ergibt sich un-

60 Vgl. Praxishilfe Lieferantenüberprüfung des Helpdesks Wirtschaft & Menschenrechte der Agentur für Wirtschaft & Entwicklung, Perspektive 1, 1.; Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 17 f.; vgl. etwa auch Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 6. 61 Nach der Regierungsbegründung (BT-Drucks. 19/28649, 45) soll diese Fiktion „für alle Sorgfaltspflichten“ und nicht nur für die Risikoanalyse gelten. Diese Erweiterung ist angesichts der systematischen Stellung der Regelung in § 5 Abs. 1 S. 2 LkSG problematisch. Wenn der Gesetzgeber eine auch außerhalb der Risikoanalyse geltende Fiktion hätte verankern wollen, wäre die Verankerung einer sinngemäßen Vorschrift in § 2 Abs. 7 LkSG oder bei § 9 LkSG zu erwarten gewesen. 62 Vgl. hierzu im Einzelnen § 9 Rz. 16 ff. 63 BT-Drucks. 19/28649, 44 spricht etwas irreführend von dem „zwischen dem Unternehmen und dem unmittelbaren Zulieferer auftretenden Dritten“ (Hervorhebungen hinzugefügt); hierbei dürfte es sich aber offensichtlich um ein Redaktionsversehen handeln. 64 BT-Drucks. 19/28649, 44 f. 65 So ausdrücklich Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141.

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mittelbar aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 S. 2 LkSK, der – anders als im Übrigen noch der Referentenentwurf66 – ausdrücklich von den Fällen spricht, in denen „ein Unternehmen eine missbräuchliche Gestaltung … oder ein Umgehungsgeschäft vorgenommen hat.“ Die Umformulierung geht auf eine Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Gesetzgebungsverfahren zurück und soll der Klarstellung, dass das Umgehungsgeschäft durch das verpflichtete Unternehmen „selbst getätigt werden muss“, dienen.67 Eine weitere wesentliche Einschränkung ergibt sich daraus, dass die missbräuch- 44 liche Gestaltung (oder das Umgehungsgeschäft) in subjektiver Hinsicht durch das verpflichtete Unternehmen mit dem Vorsatz vorgenommen wird, die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten im Hinblick auf den unmittelbaren Zulieferer zu umgehen. Damit scheiden von vornherein solche Fälle aus, in denen die Zuliefererbeziehungen bereits vor Verabschiedung des LkSG bestanden. b) Risikoanalyse bei mittelbaren Zulieferern Mit Blick auf die Risikoanalyse selbst wird allein der Umstand, dass das Unter- 45 nehmen vorsätzlich die Sorgfaltsanforderungen nach dem LkSG umgehen wollte (s.o., Rz. 41 f.), eine besondere Risikoexposition beim betreffenden mittelbaren Zulieferer nahelegen. Hieraus wird in aller Regel – ebenso wie im Fall substantiierter Kenntnis nach § 9 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 LkSG – eine Pflicht zu einer tiefergehenden Risikoanalyse (etwa durch Besuche vor Ort, Audits etc.) folgen. Die Grenze des rechtlich Möglichen (s.o., Rz. 37) bleibt beachtlich.

II. Gewichtung und Priorisierung, § 5 Abs. 2 LkSG Nachdem die Unternehmen in einem ersten Schritt (dazu oben Rz. 1–45) die er- 46 forderlichen Informationen zusammengetragen haben, d.h. (i) Transparenz in ihre Lieferkette gebracht und (ii) die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken ihres eigenen Geschäftsbereichs, des Geschäftsbereichs ihrer (unmittelbaren) Zulieferer sowohl abstrakt (entsprechend ihrer länderspezifischen, produkt- oder branchenbezogenen und/oder verfahrensbezogenen Risikodisposition) als auch konkret (anlassbezogen) ermittelt haben, sind nach § 5 Abs. 2 LkSG die (erkannten) menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken in einem zweiten Schritt zu bewerten und zu priorisieren.68 Auf der Grundlage von § 5 Abs. 2 LkSG soll das verpflichtete Unternehmen entscheiden können, welche 66 Im Referentenentwurf vom 28.2.2021 war noch wie folgt formuliert: „In Fällen, in denen eine missbräuchliche Gestaltung der unmittelbaren Zuliefererbeziehung oder ein Umgehungsgeschäft vorgenommen wurde, …“ (im Internet abrufbar unter https://www. bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetze/Referentenentwuerfe/ref-sorgfaltspflichten gesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=2, Stand: 25.5.2022). 67 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BTDrucks. 19/30505, 40. 68 BT-Drucks. 19/28649, 45.

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§ 5 | Risikoanalyse der erkannten Risiken es zuerst „adressiert, sollte es nicht in der Lage sein, alle Risiken gleichzeitig anzugehen“69. 1. Bewertung anhand der Kriterien des § 3 Abs. 2 LkSG 47 Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen die in § 3 Abs. 2 LkSG (dazu § 3

Rz. 49 ff.) genannten Kriterien für die Angemessenheit auch für die Priorisierung maßgeblich sein.

48 Hilfestellungen zur Bewertung und Priorisierung von Nachhaltigkeitsrisiken

verweisen z.T. auf leicht unterschiedliche Herangehensweisen: Teilweise wird auf eine Bewertung und Priorisierung der Risiken anhand von Ausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit verwiesen70 Mit Ausmaß sei dabei die Schwere der negativen Auswirkungen gemeint, die im Fall der Realisierung des Risikos entstehen können, z.B. Anzahl von potentiell Betroffenen, Folgen für diese Betroffenen (Lebensgefahr, Zerstörung der Lebensgrundlagen durch starke oder großflächige Umweltzerstörung) bzw. Möglichkeiten der Abhilfe.71 Nach anderer Auffassung soll zunächst ermittelt werden, welche Lieferanten für das Unternehmen von strategischer Bedeutung seien und wie hoch das Einkaufsvolumen sei, das mit diesen Lieferanten generiert werde; daneben seien das Risiko von Menschenrechtsverletzungen und deren Schwere, die Produktionsmethoden, die Produkte selbst sowie die Frage, ob ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen negative Auswirkungen auf Arbeit- und Sozialstandards haben kann, bei der Priorisierung zu beachten.72

49 Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass die Einflussmöglichkeit, die ein

Unternehmen auf die Minderung des Risikos hat (z.B. abhängig von der georderten Beschaffungsmenge oder von der Größe des Unternehmens) dabei ebenso wichtig sein soll wie die Schwere und Wahrscheinlichkeit der Verletzung gem. § 3 Abs. 2 Nr. 3 LkSG.73 Dies entspricht der Auslegung, dass alle Kriterien des § 3 Abs. 2 LkSG grdsl. gleichermaßen beachtlich sind und keinem der niedergelegten (oder der ungeschriebenen) Kriterien per se eine übergeordnete Bedeutung zukommt.74

50 Vor diesem Hintergrund werden die verpflichteten Unternehmen regelmäßig

gehalten sein, die erkannten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risi-

69 BT-Drucks. 19/28649, 45. 70 So etwa Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, Praxisleitfaden des für Unternehmen (BMUB, Umweltbundesamt), S. 21 und 24 (abrufbar unter https:// www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/leitfaden_nachhaltige_liefer kette_bf.pdf, Stand: 25.5.2022). 71 Vgl. Fn. 72, S. 22. 72 Vgl. etwa Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 7. 73 BT-Drucks. 19/28649, 45. 74 Vgl. im Einzelnen Kommentierung zu § 3 Rz. 60 ff.

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ken in verschiedener Hinsicht, d.h. auf der Grundlage verschiedener Matrizes zu bewerten: – Zunächst sind – soweit vorhanden – die für den eigenen Geschäftsbereich ermittelten Risiken gesondert zu bewerten und zu priorisieren. Dies ergibt sich bereits daraus, dass Einflussvermögen (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG) und Verursachungsbeitrag (§ 3 Abs. 2 Nr. 4 LkSG) hier am höchsten sind. – Eine entsprechende Bewertung nach Einflussmöglichkeit sollte dann auch für die Risiken erfolgen, die im Geschäftsbereich der (unmittelbaren) Zulieferer ermittelt wurden. So wird typischerweise das Einflussvermögen des verpflichteten Unternehmens auf seine „Top 10/20“-Zulieferer nach Geschäftsvolumen größer sein als bei unwesentlicheren Zulieferern.75 Abhängig von dem konkreten Geschäftsmodell des verpflichteten Unternehmens kann ggf. auch eine priorisierte Betrachtung der Risiken anderer Schlüssellieferanten, d.h. Zulieferer, die von stategischer Wichtigkeit des Unternehmens sind, in Betracht kommen.76 – Daneben ist eine Bewertung der im Zuliefererbereich erkannten Risiken nach ihrer Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit zu stellen, d.h. Erstellung einer Liste der „TOP 10/20-Zulieferer nach Risiko“; insbesondere werden Risiken von Beeinträchtigungen geschützter Rechtspositionen nach § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG besonders hoch zu priorisieren sein. Es bietet sich an, diese unter verschiedenen Gesichtspunkten erstellten Risiko- 51 Matrizes im Anschluss übereinanderzulegen und abzugleichen: Finden sich z.B. Zulieferer priorisiert auf beiden Listen, ist klar, dass die verpflichteten Unternehmen hier zuerst ansetzen müssen. Fraglich ist allerdings, was gelten soll, wenn die beiden erstellten TOP 10/20-Zulieferer Listen nicht deckungsgleich sind, also beispielsweise in den Fällen, in denen bei einem Zulieferer mit niedrigem Einkaufs- und Geschäftsvolumen, auf den das verpflichtete Unternehmen möglicherweise keinen oder kaum Einfluss ausüben kann, ein Menschenrechtsrisiko festgestellt wird.77 Teile des Schrifttums gehen in diesen Fällen davon aus, dass es – auch bei grundsätzlicher Gleichrangigkeit der Angemessenheitskriterien nach § 3 Abs. 2 LkSG78 – den verpflichteten Unternehmen freistehen soll, Risiken bei Lieferanten aus Hochrisikogebieten vorrangig zu priorisieren und zu gewichten.79 Richtig ist, dass es den verpflichteten Unternehmen jederzeit möglich sein muss, 52 ihre Präventions- und Abhilfemaßnahmen auf die Risiken zu fokussieren, die im Rahmen der Risikoanalyse nach ihrer Schwere und Eintrittswahrscheinlich75 Vgl. schon Rz. 45 und Fn. 74; für eine solche Priorisierung nach Einkaufsvolumen auch Brouwer, CCZ 2022, 137, 143. 76 In diesem Sinne Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 7. 77 Zu dieser Fragestellung Brouwer, CCZ 2022, 137, 143. 78 Hierzu weiterführend Kommentierung zu § 3 Rz. 60 ff. 79 Brouwer, CCZ 2022, 137, 143.

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§ 5 | Risikoanalyse keit hoch priorisiert wurden. Nach Sinn und Zweck des LkSG wäre es nach hier vertretener Ansicht für die verpflichteten Unternehmen empfehlenswert, Lieferanten aus Hochrisikogebieten oder mit einem anderweitig erkannten höheren Risiko für Menschenrechte und Umwelt im Rahmen ihres Lieferketten-Risikomanagements in jedem Fall zu adressieren, denn das Gesetz will gerade ein „bewusstes Wegschauen“ verhindern. Dies gilt auch dann, wenn die verpflichteten Unternehmen wenig Einflussvermögen auf den betreffenden Zulieferer oder unmittelbaren Verursacher haben. In jedem Fall werden hierunter die Risiken fallen, die in einen vom verpflichteten Unternehmen definierten Null-ToleranzBereich80 fallen. Hierzu werden regelmäßig u.a. Kinderarbeit, Menschenhandel oder die Abholzung von Urwäldern fallen.81 2. Ermessen der Unternehmen bei der Bewertung und Priorisierung der Risiken nach § 5 Abs. 2 LkSG 53 Ebenso wie die Ermittlung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Ri-

siken nach § 5 Abs. 1 LkSG stehen auch die Gewichtung und Priorisierung der ermittelten Risiken unter dem Vorbehalt der Angemessenheit. Der Gesetzgeber verweist insoweit zwar auf die Angemessenheitskriterien nach § 3 Abs. 2 LkSG, konkretisiert diese allerdings im Hinblick auf Risikoanalyse und Bewertung und Priorisierung der Risiken nicht näher. Damit steht dem Unternehmen sowie dessen Organen in Bezug auf die Kriterien der Bewertung und Priorisierung – wie auch für die Art und Weise der Ermittlung der Risiken (s.o. Rz. 11 ff.) – ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu.

III. Absicherung des Verfahrens nach § 5 LkSG durch Dokumentation und ggf. externe Überprüfung 1. Schriftliche Dokumentation 54 Die Vorgaben zur Risikoanalyse nach § 5 Abs. 1 und Abs. 2 LkSG enthalten eine

Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe und räumen zudem den Unternehmen jeweils ausdrücklich einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum ein. Vor diesem Hintergrund ist es von zentraler Bedeutung, dass die verpflichteten Unternehmen die einzelnen Verfahrensschritte bei der Risikoanalyse und die von ihnen als maßgeblich angesehenen Gesichtspunkte bzw. Differenzierungskriterien (i) bei der Ermittlung einer relevanten Risikolage (nach welchen Gesichtspunkten wurden die Zulieferer eingeteilt und wie erfolgte dann das Risikomapping), (ii) bei der Frage, wann eine vertiefte Aufklärung der Risikolage als erforderlich angesehen wird (und wann nicht) sowie (iii) bei der Bewertung und Priorisie80 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Grundsatzerklärung in der Kommentierung zu § 6 Rz. 40 ff. 81 Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 40.

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rung (warum sind welche Risiken bzw. welche Zulieferer vorrangig zu behandeln) schriftlich dokumentieren. Eine schriftliche Dokumentation erlaubt es den verpflichteten Unternehmen auch, 55 die Vorgehensweise und die angewandten Differenzierungskriterien im Rahmen der regelmäßigen Wiederholung nach § 5 Abs. 4 LkSG (dazu noch Rz. 60 ff.) ebenfalls auf den Prüfstand zu stellen und, wenn erforderlich, zu adjustieren. 2. Externe Überprüfung Aus Unternehmenssicht kann es auch sinnvoll sein, das angewandte Verfahren 56 der Risikoanalyse bzw. innerhalb dieses Verfahrens vorgenommene Grundsatzentscheidungen extern überprüfen zu lassen. Solche „Readiness Checks“ oder „Health Checks“ von Risikomanagementsystemen sind anerkannt und können daher auch bei – insbesondere bei erstmaliger – Implementierung eines Lieferketten-Risikomanagements bzw. Durchführen einer Lieferketten-Risikoanalyse hilfreich sein. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der mit der Überprüfung beauftragte externe Dritte ausreichend Erfahrung mit Fragen des Nachhaltigkeitsmanagements im Allgemeinen und den Sorgfaltspflichten in der Ausprägung des LkSG im Besonderen hat.

IV. Kommunikation der Risikoanalyse an maßgebliche unternehmensinterne Entscheidungsträger, § 5 Abs. 3 LkSG Nach § 5 Abs. 3 LkSG muss das Unternehmen dafür Sorge tragen, dass die Er- 57 gebnisse der Risikoanalyse intern an die maßgeblichen Entscheidungsträger kommuniziert werden. Gemeint ist damit eine – regelmäßige (s. § 5 Abs. 4 LkSG) – Information;82 weitergehende Handlungspflichten folgen für die betreffenden Entscheidungsträger aus § 5 Abs. 3 LkSG nicht;83 die weiteren Handlungspflichten nach dem LkSG (§§ 6 ff. LkSG) resultieren aus den Ergebnissen der Risikoanalyse selbst und nicht aus der Information derselben an die maßgeblichen Entscheidungsträger. Das Gesetz beinhaltet keine Definition der Personen bzw. Funktionalitäten, die 58 „maßgebliche Entscheidungsträger“ im Sinne des LkSG sind, sondern nennt als Regelbeispiele für maßgebliche Entscheidungsträger den Vorstand oder die Einkaufsabteilung. Wer maßgeblicher Entscheidungsträger ist, können die Unternehmen daher entsprechend ihrer Organisationsstruktur beantworten; in der 82 Auch aus dem Umstand, dass § 5 Abs. 3 LkSG von „Kommunikation“ anstatt „Information“ spricht, kann nichts Anderes gefolgert werden; a.A. Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 69. 83 Anders dagegen noch der Referentenentwurf, der den Entscheidungsträgern aufgab, die Ergebnisse der Risikoanalyse „… angemessen zu berücksichtigen“. Dieser Zusatz wurde allerdings im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wieder gestrichen, vgl. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drucks. 19/30505 zu § 5.

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§ 5 | Risikoanalyse Regel wird sich eine Information zumindest an die ausdrücklich genannten Vorstand/Geschäftsleitung und Einkaufsabteilung empfehlen. 59 Im Übrigen können die allgemeinen Grundsätze bzw. „Best Practices“, die sich

in Risikomanagement- und Compliance-Systemen in den vergangenen Jahren an Berichtswegen etabliert haben, auch im Rahmen des LkSG herangezogen werden. In diesem Zusammenhang wird sich auch eine regelmäßige Berichterstattung an den Aufsichtsrat (etwa ähnlich der jährlichen Compliance-Berichterstattung) empfehlen.

V. Zeitpunkt der Risikoanalyse, § 5 Abs. 4 LkSG 60 Nach § 5 Abs. 4 LkSG ist die Risikoanalyse jährlich sowie anlassbezogen durch-

zuführen, wenn das Unternehmen mit einer wesentlich veränderten oder wesentlich erweiterten Risikolage in der Lieferkette rechnen muss. Erkenntnisse aus der Bearbeitung von Hinweisen im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens nach § 8 Abs. 1 LkSG sind dabei zu berücksichtigen. Insbesondere im ersten Geltungsjahr des LkSG stellt sich zudem die Frage, wann eine Risikoanalyse erstmalig durchzuführen ist. 1. Regelmäßige Risikoanalyse

61 Nach § 5 Abs. 4 LkSG ist die Risikoanalyse in regelmäßigen Abständen, mindes-

tens aber jährlich zu aktualisieren. Als Grund für die wiederkehrende Verpflichtung der Unternehmen verweist die Begründung des Regierungsentwurfs auf eine „dynamische Menschenrechtslage“.84

62 Die Verpflichtung, die Ergebnisse einer Risikoanalyse regelmäßig auf den Prüf-

stand zu stellen, ist im Rahmen allgemeiner CMS anerkannt. So können veränderte Sachlagen oder neue gesetzliche Anforderungen dazu führen, dass bisher als unwesentlich angesehene Compliance-Risiken erheblich werden und umgekehrt.85 Feste zeitliche Vorgaben bestehen jedoch nicht; vielmehr steht es im Ermessen des Unternehmens, seine Compliance-Risiken entweder nach einem fest vorgegebenen Zeitplan (bspw. alle zwei Jahre) oder im Rahmen rollierender Risikoanalysesysteme neu zu prüfen und zu bewerten. Daneben steht in CMS immer auch das Erfordernis „bei Bedarf“, z.B. weil sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen verändert haben oder es zu Compliance-Verstößen gekommen ist, die Risikoanalyse neu vorzunehmen bzw. an eine aktuelle Risikolage anzupassen.86 84 BT-Drucks. 19/28649, 45. 85 Vgl. etwa statt aller Bürkle/Hauschka, Der Compliance Officer, Anhang: Leitlinien für die Tätigkeit in der Compliance-Funktion im Unternehmen (für Compliance Officer außerhalb regulierter Sektoren), 1. Auf. 2015, Ziff. 2.2. 86 Vgl. statt aller Balke, MünchHdB GesR, Bd. 7, Corporate Litigation, 6. Aufl. § 104 Rz. 29.

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Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das LkSG in diesem Zusammenhang 63 höhere Anforderungen aufstellen und die Unternehmen verpflichten will, den gesamten Prozess der Risikoanalyse jährlich von Grund auf neu zu durchlaufen (einschließlich eine Neubewertung jedes einzelnen Zulieferers). Damit genügen auch rollierende Risikoanalysesysteme den Anforderungen des § 5 Abs. 4 LkSG. Ratsam erscheint es aber, innerhalb dieser Systeme entsprechende Vorkehrungen vorzusehen, dass jedenfalls im Rahmen einer pauschalierenden Betrachtung (z.B. durch entsprechende Länder- oder Länder-/Produkt-Scores oder Indizes) die Bewertung menschenrechtlicher Risiken mindestens einmal jährlich aktualisiert wird.87 2. Anlassbezogene Risikoanalyse Die Risikoanalyse ist gem. § 5 Abs. 4 Alt. 2 LkSG anlassbezogen durchzuführen, 64 wenn das Unternehmen mit einer wesentlich veränderten oder wesentlich erweiterten Risikolage in der Lieferkette rechnen muss. Grund für eine anlassbezogene Risikoanalyse sollen etwa die Aufnahme einer neuen Tätigkeit oder Beziehung, vor strategischen Entscheidungen oder Veränderungen in der Geschäftstätigkeit etwa durch einen bevorstehenden Markteintritt, eine Produkteinführung, eine Veränderung der Geschäftsgrundsätze oder umfassendere geschäftliche Veränderungen sein.88 Entscheidend ist dabei aber die Einschränkung, dass z.B. die Einführung eines neuen Produkts nur dann Anlass für eine erneute Risikoanalyse ist, wenn hierdurch eine wesentlich veränderte oder erweiterte Risikolage in Rede steht (vgl. auch § 6 Abs. 589 oder § 7 Abs. 4 LkSG90). Handreichungen für die Frage, wann diese Wesentlichkeitsschwelle erreicht ist, gibt es bislang nicht.91 Anlassbezogene Analysen können nicht erst als Reaktion auf Veränderungen im 65 Geschäftsumfeld notwendig werden, sondern ggf. auch in Vorausschau.92 Bei der Einführung neuer Produkte mag es daher in Zukunft sinnvoll sein, dass die menschenrechtliche und umweltbezogene Risikoanalyse bereits im Rahmen der Produktentwicklung mitbedacht wird. Die Regierungbegründung verweist darauf, dass Erkenntnisse aus der Bearbei- 66 tung von Hinweisen nach § 8 Abs. 1 LkSG oder aus der Durchführung von Streitbeilegungsverfahren nach § 8 Abs. 1 Satz 4 LkSG bei der regelmäßigen Überprüfung der Risikoanalyse zu berücksichtigen seien.93 Dadurch ist klargestellt, dass Hinweise nach § 8 Abs. 1 LkSG oder Streitbeilegungsverfahren 87 Um den in der Regierungsbegründung genannten „dynamischen Menschenrechtsrisiken“ Rechnung zu tragen, vgl. BT-Drucks. 19/28649, 45. 88 BT-Drucks. 19/28649, 45. 89 Vgl. auch § 6 Rz. 157 ff. 90 Vgl. auch § 7 Rz. 114 ff. 91 Insb. nach derzeitigem Stand (25.5.2022) noch nicht im Rahmen der FAQs des BMAS. 92 In diesem Sinne BT-Drucks. 19/28649, 45. 93 BT-Drucks. 19/28649, 45.

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§ 5 | Risikoanalyse nach § 8 Abs. 1 Satz 4 LkSG an sich noch keine Gründe für die Durchführung einer anlassbezogenen Risikoanalyse darstellen. 3. Zeitpunkt der erstmaligen Durchführung 67 Eine Risikoanalyse nach dem LkSG ist erstmalig ab Inkrafttreten des Gesetzes

(2023 bzw. 2024) durchzuführen. Zu einer vorzeitigen Durchführung vor dem 1.1.2023 (bzw. 2024) werden die Unternehmen grundsätzlich nicht verpflichtet, wie etwa die FAQs des BMAS klarstellen.94 Gleiches gilt für den Zeitpunkt, zu dem eine erste Risikoanalyse abgeschlossen sein muss; einen festen Endpunkt gibt es nicht, da die Dauer der Durchführung abhängig ist von den individuellen Unternehmensumständen und der Risikodisposition des Unternehmens. Allerdings verweist das BMAS darauf, dass in den Fällen, in denen ein Unternehmen im Rahmen dieser (erstmaligen) Risikoanalyse Risiken im Sinne des LkSG feststellt, es unverzüglich danach angemessene Präventionsmaßnahmen zu ergreifen hat; hierzu zählt auch eine Grundsatzerklärung gem. § 6 Abs. 2 LkSG.95

94 Vgl. die Antwort VIII. 1 der FAQs (abrufbar unter https://www.csr-in-deutschland.de/ DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflich ten-in-Lieferketten/FAQ/faq.html#doc977f9a9d-bfdd-4d31-9e31-efab307ceee6body Text7, Stand: 30.4.2022). 95 Vgl. die Antwort VIII. 1 der FAQs (abrufbar unter https://www.csr-in-deutschland.de/ DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflich ten-in-Lieferketten/FAQ/faq.html#doc977f9a9d-bfdd-4d31-9e31-efab307ceee6body Text7, Stand: 30.4.2022).

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§ 6 Präventionsmaßnahmen (1) Stellt ein Unternehmen im Rahmen einer Risikoanalyse nach § 5 ein Risiko fest, hat es unverzüglich angemessene Präventionsmaßnahmen nach den Absätzen 2 bis 4 zu ergreifen. (2) 1Das Unternehmen muss eine Grundsatzerklärung über seine Menschenrechtsstrategie abgeben. 2Die Unternehmensleitung hat die Grundsatzerklärung abzugeben. 3Die Grundsatzerklärung muss mindestens die folgenden Elemente einer Menschenrechtsstrategie des Unternehmens enthalten: 1. die Beschreibung des Verfahrens, mit dem das Unternehmen seinen Pflichten nach § 4 Absatz 1, § 5 Absatz 1, § 6 Absatz 3 bis 5, sowie den §§ 7 bis 10 nachkommt, 2. die für das Unternehmen auf Grundlage der Risikoanalyse festgestellten prioritären menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken und 3. die auf Grundlage der Risikoanalyse erfolgte Festlegung der menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Erwartungen, die das Unternehmen an seine Beschäftigten und Zulieferer in der Lieferkette richtet. (3) Das Unternehmen muss angemessene Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich verankern, insbesondere: 1. die Umsetzung der in der Grundsatzerklärung dargelegten Menschenrechtsstrategie in den relevanten Geschäftsabläufen, 2. die Entwicklung und Implementierung geeigneter Beschaffungsstrategien und Einkaufspraktiken, durch die festgestellte Risiken verhindert oder minimiert werden, 3. die Durchführung von Schulungen in den relevanten Geschäftsbereichen, 4. die Durchführung risikobasierter Kontrollmaßnahmen, mit denen die Einhaltung der in der Grundsatzerklärung enthaltenen Menschenrechtsstrategie im eigenen Geschäftsbereich überprüft wird. (4) Das Unternehmen muss angemessene Präventionsmaßnahmen gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer verankern, insbesondere: 1. die Berücksichtigung der menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Erwartungen bei der Auswahl eines unmittelbaren Zulieferers, 2. die vertragliche Zusicherung eines unmittelbaren Zulieferers, dass dieser die von der Geschäftsleitung des Unternehmens verlangten menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Erwartungen einhält und entlang der Lieferkette angemessen adressiert, 3. die Durchführung von Schulungen und Weiterbildungen zur Durchsetzung der vertraglichen Zusicherungen des unmittelbaren Zulieferers nach Nummer 2, 4. die Vereinbarung angemessener vertraglicher Kontrollmechanismen sowie deren risikobasierte Durchführung, um die Einhaltung der Menschenrechtsstrategie bei dem unmittelbaren Zulieferer zu überprüfen. Ott

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen (5) 1Die Wirksamkeit der Präventionsmaßnahmen ist einmal im Jahr sowie anlassbezogen zu überprüfen, wenn das Unternehmen mit einer wesentlich veränderten oder wesentlich erweiterten Risikolage im eigenen Geschäftsbereich oder beim unmittelbaren Zulieferer rechnen muss, etwa durch die Einführung neuer Produkte, Projekte oder eines neuen Geschäftsfeldes. 2Erkenntnisse aus der Bearbeitung von Hinweisen nach § 8 Absatz 1 sind zu berücksichtigen. 3Die Maßnahmen sind bei Bedarf unverzüglich zu aktualisieren. I. Angemessene Präventionsmaßnahmen nach Risikofeststellung, § 6 Abs. 1 LkSG . . 1. Orientierung an VN- und OECD-Leitfäden . . . . . . . . . . . 2. Anknüpfung und Zeitpunkt der Präventionsmaßnahmen . . 3. Unverzüglich . . . . . . . . . . . . . 4. Angemessen . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsatzerklärung, § 6 Abs. 2 LkSG 1. Grundsatzerklärung über Menschenrechtsstrategie, § 6 Abs. 2 Satz 1 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form und Veröffentlichung . . . 3. Abgabe durch Unternehmensleitung, § 6 Abs. 2 Satz 2 LkSG . 4. Mindestanforderungen, § 6 Abs. 2 Satz 3 LkSG . . . . . . . . . a) Verfahrensbeschreibung, § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LkSG . b) Festgestellte prioritäre Risiken, § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LkSG . c) Erwartungen, § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 LkSG . . . . . . . . . . . . . 5. Aufbau der Grundsatzerklärung III. Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich, § 6 Abs. 3 LkSG . . . . . . . . . . . . 1. Menschenrechtsstrategie in Geschäftsabläufen, § 6 Abs. 3 Nr. 1 LkSG a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Einzelheiten der Umsetzung aa) Erstellung von Regelwerk und Dokumentation . . . bb) Festlegung und Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten . . . . . . . . cc) Definition und Implementierung von Prozessen . .

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dd) Kommunikation und Schulung . . . . . . . . . . . ee) Abhilfemaßnahmen; Aufklärung und Sanktionierung von Verstößen . . . . 2. Beschaffungsstrategien und Einkaufspraktiken, § 6 Abs. 3 Nr. 2 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schulungen, § 6 Abs. 3 Nr. 3 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kontrollmaßnahmen, § 6 Abs. 3 Nr. 4 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . IV. Präventionsmaßnahmen gegenüber unmittelbaren Zulieferern, § 6 Abs. 4 LkSG . . . . . . . . . . . . 1. Auswahl von unmittelbaren Zulieferern, § 6 Abs. 4 Nr. 1 LkSG a) Definition von Anforderungen an den Zulieferer . . . . . . . . . b) Einholung von Informationen c) Lieferantenbewertung und -auswahl . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusicherung, § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt der Zusicherung . . . . . b) Vereinbarung der Zusicherung c) Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . d) Musterklauseln . . . . . . . . . . 3. Schulungen, § 6 Abs. 4 Nr. 3 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kontrollmechanismen, § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG . . . . . . . . . .

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V. Überprüfung, § 6 Abs. 5 LkSG 1. Überprüfung der Wirksamkeit, § 6 Abs. 5 Satz 1 LkSG . . . . . . . 157 2. Berücksichtigung von Hinweisen, § 6 Abs. 5 Satz 2 LkSG . . . 159 3. Unverzügliche Aktualisierung, § 6 Abs. 5 Satz 3 LkSG . . . . . . . 160

Präventionsmaßnahmen | § 6 Literatur: Reich, Menschenrechts- und Umweltschutz in der Lieferkette, AG 2021, R116; Scheffler, Sorgfaltspflichten in Lieferketten, AG 2021, R120; Seibt/Vesper-Gräske, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erweitert Compliance-Pflichten, CB 2021, 357; Nietsch/Wiedmann, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, CCZ 2021, 101; Harings/Jürgens, Die Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf die Transportwirtschaft, RdTW 2021, 297; Ehmann, Der Regierungsentwurf für das Lieferkettengesetz: Erläuterung und erste Hinweise zur Anwendung, ZVertriebsR 2021, 141; Ehmann, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) kommt!, ZVertriebsR 2021, 205; Niklas/Lex, Das neue Lieferkettengesetz – Ein Überblick über die wesentlichen Inhalte und etwaige arbeitsrechtliche Implikationen, ArbRB 2021, 212; Brouwer, Noch viele offene Rechts- und Auslegungsfragen zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Hinweise zum VCI-Diskussionspapier zur Umsetzung des LkSG, CCZ 2022, 137; Helck, Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten: Worauf sich Unternehmen zukünftig vorbereiten müssen, BB 2021, 1603; Stave/ Velte, Regulierung eines nachhaltigen Lieferkettenmanagements – Bestandsaufnahme bisheriger Normierungen und Ausblick auf die geplante EU-Gesetzgebung –, DB 2021, 1791; Ehmann/Berg, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG): ein erster Überblick, GWR 2021, 287; Wagner/Ruttloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145; Leuering/Rubner, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NJW-Spezial 2021, 399; Groß, Das „Lieferkettengesetz“: umfassende Handlungspflichten und Notwendigkeit zur Anpassung der Compliance-Management-Systeme zeichnen sich ab, SPA 2021, 69; Schmidt-Räntsch, Sorgfaltspflichten der Unternehmen – Von der Idee über den politischen Prozess bis zum Regelwerk, ZUR 2021, 387; Krebs, Menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflicht: Der Wettlauf zwischen europäischer und deutscher Rechtssetzung, ZUR 2021, 394; Gailhofer/Verheyen, Klimaschutzbezogene Sorgfaltspflichten: Perspektiven der gesetzlichen Regelung in einem Lieferkettengesetz, ZUR 2021, 402; Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67; Gehling/Ott/Lüneborg, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230; Charnitzky/Weigel, Die Krux mit der Sorgfalt, RIW 2022, 12; Herrmann/Rünz, Praktische Hinweise zur Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, DB 2021, 3078.

I. Angemessene Präventionsmaßnahmen nach Risikofeststellung, § 6 Abs. 1 LkSG Nachdem durch die Risikoanalyse (§ 5 LkSG) die Risiken im eigenen Geschäfts- 1 bereich und bei den unmittelbaren Zulieferern ermittelt, bewertet und priorisiert wurden, haben die verpflichteten Unternehmen unverzüglich angemessene Präventionsmaßnahmen zu treffen, um den identifizierten menschenrechtsund umweltbezogenen Risiken vorzubeugen. Dies umfasst die Verabschiedung einer Grundsatzerklärung über die Menschenrechtsstrategie des Unternehmens (§ 6 Abs. 2 LkSG) sowie weitere Präventionsmaßnahmen, welche auf der Menschenrechtserklärung aufbauen sowie deren Umsetzung und Einhaltung dienen (§ 6 Abs. 3, Abs. 4 LkSG).1 1 BT-Drucks. 19/28649, 45.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen 1. Orientierung an VN- und OECD-Leitfäden 2 Die Anforderungen an die einzelnen Sorgfaltspflichten orientieren sich ausweis-

lich der Gesetzesbegründung an dem Sorgfaltsstandard („due diligence standard“) der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von 2011 (UN doc A/HRC/17/31), auf welchem auch der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte von 2016 basiert.2 Insbesondere weisen die Regelungen zur Grundsatzerklärung (§ 6 Abs. 2 LkSG) und zur Umsetzung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich (§ 6 Abs. 3 LkSG) starke Ähnlichkeiten mit den Vorgaben der Nr. 15 der VN-Leitprinzipien auf.3 Zur Ausfüllung und Konkretisierung der vorgenannten Sorgfaltspflichten kann daher auf die branchenübergreifenden sowie branchenspezifischen Leitfäden des VN-Hochkommissariats für Menschenrechte und der OECD zurückgegriffen werden.4 2. Anknüpfung und Zeitpunkt der Präventionsmaßnahmen

3 Gemäß § 6 Abs. 1 LkSG hat ein Unternehmen, welches im Rahmen der Risiko-

analyse ein Risiko feststellt, unverzüglich angemessene Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Das Gesetz knüpft die Vornahme der Präventionsmaßnahmen nach § 6 Abs. 2 bis 4 LkSG damit an die (positive) Feststellung eines menschenrechtlichen und/oder umweltbezogenen Risikos im eigenen Geschäftsbetrieb oder bei unmittelbaren Zulieferern.5 Wird im Rahmen einer ordnungsgemäß durchgeführten Risikoanalyse kein Risiko festgestellt, besteht mithin nach dem Gesetzeswortlaut auch keine Verpflichtung zur Durchführung der weiteren Präventionsmaßnahmen des § 6 LkSG. Die vorsorgliche Umsetzung von Präventionsmaßnahmen verbleibt auch unabhängig von einer konkreten Risikofeststellung möglich.

4 Zu den Präventionsmaßnahmen zählt auch die Grundsatzerklärung gem. § 6

Abs. 2 LkSG,6 so dass auch diese nach Wortlaut und Systematik des Gesetzes nur bei positiver Risikofeststellung verpflichtend abzugeben ist. Auch der Gesetzesbegründung lassen sich keine Anhaltspunkte für eine risikounabhängige Verpflichtung zur Abgabe der Grundsatzerklärung entnehmen. Gleichwohl dürfte es vielfach empfehlenswert sein, die Grundsatzerklärung (freiwillig) auch dann abzugeben, wenn im Rahmen der Risikoanalyse (noch) keine einschlägigen Risiken ermittelt wurde.7 Die Grundsatzerklärung dient dazu, die Selbstverpflichtung des Unternehmens zur Achtung der Menschenrechte sowie der wesentlichen umweltbezogenen Pflichten zu dokumentieren, was unabhängig von der konkreten Risikoexposition des Unternehmens sinnvoll erscheint. Zudem kann

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BT-Drucks. 19/28649, 2, 41. Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 107. BT-Drucks. 19/28649, 41 f. mit einer nicht abschließenden Aufzählung. Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 107; Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 78. 6 BT-Drucks. 19/30505, 40. 7 Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 147; Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3083 f.; Schork/ Schreier, RAW 2021, 74, 77.

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Präventionsmaßnahmen | § 6

die Grundsatzerklärung auch dazu dienen, die ordnungsgemäße Risikoanalyse selbst zu dokumentieren. Es kommt hinzu, dass sich das Vorliegen von Risiken aufgrund der wenig konturscharfen Risikodefinition durch die Fallgruppen der § 2 Abs. 2 und 3 LkSG nur selten mit der erforderlichen Sicherheit vollständig ausschließen lassen wird, so dass die vorsorgliche Abgabe der Grundsatzerklärung (ebenso wie die vorsorgliche Implementierung weiterer Präventionsmaßnahmen) auch angesichts der Bußgeldbewehrung des Unterlassens von Präventionsmaßnahmen häufig zweckmäßig erscheinen wird.8 Zuletzt besteht auch bei einem Unternehmen, das kein Risiko im eigenen Geschäftsbereich oder bei einem unmittelbaren Zulieferer festgestellt hat, die Gefahr, dass die Gesellschaft substantiierte Kenntnis von einer Verletzung bei einem mittelbaren Zulieferer erlangt und diesem gegenüber Präventionsmaßnahmen treffen muss, § 9 Abs. 3 LkSG. Spätestens in diesem Fall bedarf es in jedem Fall verpflichtend einer Grundsatzerklärung (§ 9 Abs. 3 Nr. 4 LkSG). 3. Unverzüglich Die Implementierung von Präventionsmaßnahmen hat „unverzüglich“ nach der 5 Feststellung von relevanten Risiken im Rahmen der Risikoanalyse zu erfolgen. Da das LkSG den Begriff der Unverzüglichkeit nicht selbst definiert, ist auf die Legaldefinition des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückzugreifen.9 „Unverzüglich“ bedeutet demnach „ohne schuldhaftes Zögern“. Maßgeblich sind hierbei die Umstände des Einzelfalls. Zu berücksichtigen sind dabei einerseits Art und Umfang der festgestellten Risiken. Je bedeutsamer oder dringlicher ein erkanntes Risiko ist, desto schneller sind angemessene Präventionsmaßnahmen durchzuführen.10 Zu berücksichtigen sind indes auch die Verhältnisse des Unternehmens. Je komplexer die (rechtlichen oder geographischen) Strukturen oder Lieferketten des Unternehmens, desto mehr Zeit kann die Implementierung von angemessenen Präventionsmaßnahmen beanspruchen. Da es um „schuldhaftes“ Zögern geht, sind Verzögerungen, die auf externen 6 Umständen beruhen, welche das Unternehmen nicht vorhersehen oder beeinflussen kann, unbeachtlich.11 Auch können zeitliche Verzögerungen gerechtfertigt sein, wenn sie auf nach- 7 vollziehbaren sachlichen Gründen beruhen, welche der Wirksamkeit des Risikomanagements als Ganzes dienen.12 So wird es regelmäßig zulässig sein, den Abschluss der Risikoanalyse abzuwarten, bevor Präventionsmaßnahmen ergriffen werden. Auch erscheint es vielfach sinnvoll, auf Grundlage der Ergebnisse der 8 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 234. 9 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 74; Dutzi/Schneider/Hasenau, DK 2021, 454, 461. 10 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 75; vgl. Lutz-Bachmann/Vorbeck/ Wengenroth, BB 2021, 906, 909. 11 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 76. 12 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 77.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen Risikoanalyse ein Gesamtkonzept der Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu entwickeln und dieses sukzessive umzusetzen. Letzteres nimmt gegebenenfalls mehr Zeit in Anspruch; indes wird ein integriertes System von aufeinander abgestimmten Maßnahmen regelmäßig deutliche Effizienz- und Wirksamkeitsvorteile gegenüber ad hoc ergriffenen Einzelmaßnahmen aufweisen, was eine längere Implementierungsdauer sowohl des Gesamtsystems als auch der einzelnen Präventionsmaßnahmen rechtfertigen kann.13 4. Angemessen 8 Die Präventionsmaßnahmen müssen gem. § 6 Abs. 1 LkSG ferner angemessen

sein. Durch das Merkmal der Angemessenheit wird klargestellt, dass in Bezug auf die Entscheidung über Art und Umfang der einzuführenden Präventionsmaßnahmen ein risikobasierter Ansatz statthaft ist. Der Umfang der Sorgfaltspflichten – und damit verbunden auch der angemessenen Präventionsmaßnahmen – folgt keinem für alle Unternehmen einheitlichen Maßstab, sondern ist vielmehr an der individuellen, im Rahmen der Risikoanalyse ermittelten konkreten Risikosituation des Unternehmens auszurichten. Für die nähere Eingrenzung des Angemessenheitsbegriffs ist auf § 3 Abs. 2 LkSG zurückzugreifen.14

9 Dem Grundsatz der Angemessenheit und dem Prinzip der Risikobasierung, auf

welches der Gesetzgeber in § 6 Abs. 3 Nr. 4 sowie § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG ausdrücklich verweist, kommen im Rahmen der Ausgestaltung der Präventionsmaßnahmen erhebliche Bedeutung zu. Aus der Zulässigkeit eines risikobasierten Ansatzes folgt, dass die Präventionsmaßnahmen dort zu intensivieren sind, wo konkrete menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken festgestellt werden. Bestehen in einem (Teil-)Bereich keine oder nur geringfügige Risiken, ist dies bei der Ausgestaltung der Präventionsmaßnahmen zu berücksichtigen; ggf. sind nur wenige, im Einzelfall in vollständig risikofernen Bereichen auch gar keine Präventionsmaßnahme erforderlich. Werden konkrete Risiken festgestellt, sind die Anforderungen an die Präventionsmaßnahmen zu erhöhen, wobei Art und Umfang der Maßnahmen anhand der individuellen Bewertung und/oder Kategorisierung der Risiken zu bestimmen sind.

10 Aus dem Grundsatz der Angemessenheit folgt, dass in unterschiedlichen Ge-

schäftsfeldern, Standorten oder Tochtergesellschaften des Unternehmens abhängig von dem jeweiligen Risikoumfeld eine unterschiedliche Ausgestaltung der Präventionsmaßnahmen sinnvoll oder erforderlich sein kann. Auch in Bezug auf die unmittelbaren Lieferanten besteht nicht notwendig ein einheitlicher Präventionsstandard; vielmehr können auch insofern Art und Umfang der Präventions- und Überwachungsmaßnahmen von der Lieferantenbewertung abhängig gemacht und – ggf. im Rahmen eines abgestuften Verfahrens – in unterschiedlicher Intensität ausgestaltet werden (dazu Rz. 104 ff.). 13 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 77. 14 BT-Drucks. 19/28649, 42.

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II. Grundsatzerklärung, § 6 Abs. 2 LkSG 1. Grundsatzerklärung über Menschenrechtsstrategie, § 6 Abs. 2 Satz 1 LkSG Gemäß § 6 Abs. 2 LkSG muss das Unternehmen eine Grundsatzerklärung über 11 seine Menschenrechtsstrategie abgeben. Die Grundsatzerklärung wird gem. § 6 Abs. 1 LkSG als Präventionsmaßnahme eingeordnet.15 Sie ist damit gem. § 6 Abs. 1, 6 Abs. 2 S. 1 LkSG abzugeben, sofern das Unternehmen im Rahmen der Risikoanalyse ein menschenrechtliches oder umweltbezogenes Risiko festgestellt hat. Die Verpflichtung zur Abgabe der Grundsatzerklärung besteht dabei im Gegensatz zu den Präventionsmaßnahmen nach Abs. 3 oder Abs. 4 unabhängig davon, ob die Risikofeststellung im eigenen Geschäftsbetrieb oder bei einem unmittelbaren Zulieferer erfolgt; es handelt sich mithin nach der Konzeption des Gesetzes um eine grundlegende und übergeordnete Präventionsmaßnahme des Unternehmens. Die Grundsatzerklärung bezieht sich nach dem Gesetzeswortlaut auf die Men- 12 schenrechtsstrategie des Unternehmens. Eine gesonderte Grundsatzerklärung über die Umweltstrategie sieht das Gesetz nicht vor. Gleichwohl stellt das Gesetz im Rahmen der Definition der inhaltlichen Mindestanforderungen gem. § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 LkSG klar, dass die Grundsatzerklärung neben menschenrechtlichen auch umweltbezogene Belange zu umfassen hat. Die Grundsatzerklärung bildet nach der Systematik des LkSG ein Kernelement 13 der Menschenrechts-Compliance des Unternehmens. Die Erklärung ist Ausdruck der Selbstverpflichtung sowie des Engagements des Unternehmens zur Achtung der Menschenrechte sowie der umweltbezogenen Pflichten.16 Die Grundsatzerklärung ist vergleichbar mit dem Policy Commitment der Nr. 16 der VN-Leitlinien.17 Sie entspricht funktional ferner dem Strategiebeschluss im Kontext eines allgemeinen Risk-Management-Systems18 bzw. dem „Mission Statement“ im Rahmen eines Compliance-Management-Systems.19 Der Grundsatzerklärung kommt mithin insbesondere auch die Aufgabe zu, das klare und unmissverständliche Bekenntnis der Unternehmensleitung zur Achtung und Durchsetzung der Menschenrechte sowie der geschützten Umweltbelange gegenüber den Mitarbeitern, beteiligten Dritten sowie der Öffentlichkeit zu dokumentieren (sog. „tone from the top“).20 Die Grundsatzerklärung stellt damit zugleich eine wesentliche Grundlage und 14 ein zentrales Kernelement des vom LkSG vorgesehenen Risikomanagement- sowie Compliance-Systems dar. Wenngleich die Grundsatzerklärung nach Wortlaut und Systematik des Gesetzes nur nach (positiver) Feststellung eines menschenrechtlichen und/oder umweltbezogenen Risikos im Rahmen der Risiko15 16 17 18 19 20

BT-Drucks. 19/30505, 40. BT-Drucks. 19/28649, 46. Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 156. Dutzi/Schneider/Hasenau, DK 2021, 454, 457. Vgl. Daum in Bay/Hastenrath, Compliance-Management-Systeme, § 5, Rz. 48. BT-Drucks. 19/28649, 46.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen analyse verpflichtend ist, empfiehlt sich die (freiwillige) Abgabe einer Grundsatzerklärung aufgrund des hierin zum Ausdruck kommenden Commitments des Unternehmens zu wesentlichen menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Grundwerten auch unabhängig von einer konkreten Risikofeststellung (dazu bereits Rz. 4).21 2. Form und Veröffentlichung 15 Konkrete Vorgaben in Bezug auf die Form sowie die Veröffentlichung der

Grundsatzerklärung enthält das Gesetz nicht.

16 Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass die Grundsatzerklärung gegenüber den

Beschäftigten, dem Betriebsrat (sofern vorhanden), den unmittelbaren Zulieferern und der Öffentlichkeit zu kommunizieren ist.22 Hieraus folgt, dass die Erklärung öffentlich verfügbar und für alle genannten Personen und Personengruppen zugänglich sein muss.23 In der Praxis wird die Veröffentlichung regelmäßig auf der Internetseite des Unternehmens erfolgen.24 Dies ist ausreichend. Eine Veröffentlichung lediglich im Intranet oder in einem nicht frei zugänglichen Bereich der Website des Unternehmens ist demgegenüber nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht ausreichend, da die Möglichkeit der öffentlichen Kenntnisnahme in diesem Fall nicht gewährleistet ist.

17 Eine formelle Zuleitung der Grundsatzerklärung an den Betriebsrat oder sons-

tige Arbeitnehmervertretungen ist im Gesetz oder der Gesetzesbegründung nicht vorgesehen und daher auch nicht erforderlich.25 Eine informelle Vorabstimmung des Erklärungsinhalts mit dem Betriebsrat kann dagegen sinnvoll sein. Eine Zustimmungs- oder Mitwirkungspflicht besteht insoweit nicht.

18 Die Sprache der Grundsatzerklärung ist im Gesetz nicht geregelt. In der Regel

ist die Erklärung daher in deutscher Sprache abzugeben. Bei Unternehmen, die über Standorte bzw. Tochtergesellschaften oder über wesentliche unmittelbare Zulieferer im nicht-deutschsprachigen Ausland verfügen, ist zu empfehlen, die Grundsatzerklärung daneben zumindest auch in Englisch abzugeben. Ist die Tätigkeit des verpflichteten Unternehmens zusätzlich auf eine bestimmte geographische Region ausgerichtet oder wurden für eine bestimmte Region besondere Risiken entlang der Lieferkette ermittelt, kann auch die Veröffentlichung in der oder den jeweiligen lokalen Sprachen sinnvoll sein. Eine diesbezügliche Verpflichtung besteht indes nicht. 21 Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3081. 22 BT-Drucks. 19/28649, 46; a.A. Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 909, die davon ausgehen, dass die Grundsatzerklärung nicht veröffentlicht werden muss. 23 FAQ IX. 1. des BMAS zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, verfügbar unter https:// www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unter nehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html. 24 Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 77. 25 BT-Drucks. 19/28649, 46.

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Die Erklärung muss nach den FAQ des BMAS dabei nicht aus einem einzelnen 19 zusammenhängenden Dokument bestehen, sondern kann sich vielmehr aus mehreren Dokumenten zusammensetzen, sofern diese in ihrer Gesamtheit die Anforderungen an die Grundsatzerklärung erfüllen und entsprechend kommuniziert werden.26 In der Praxis wird es sich indes regelmäßig empfehlen, die Grundsatzerklärung in einem einheitlichen Dokument zusammenzufassen. Insoweit ist es denkbar, die Grundsatzerklärung von vornherein als bilaterales Dokument auf Deutsch und Englisch zu erstellen. Alternativ kommt die Erstellung sowie Zugänglichmachung von jeweils gesonderten Sprachfassungen in Betracht. Verfügt ein verpflichtetes Unternehmen über verschiedene Standorte oder 20 Tochtergesellschaften im In- und/oder Ausland, so ist die Abgabe einer einheitlichen konzernweiten Grundsatzerklärung ausreichend. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die Grundsatzerklärung nicht ausschließlich auf die verpflichtete Muttergesellschaft beschränkt, sondern auch die Risiko- und Präventionsstrukturen der Tochtergesellschaften in angemessener Form mit berücksichtigt.27 Ob die Grundsatzerklärung bei Feststellung eines zusätzlichen Risikos erneut 21 abgegeben werden muss, richtet sich nach den konkreten Umständen. Wurde das festgestellte Risiko nach Art und Umfang bereits in der bestehenden Grundsatzerklärung adressiert, so muss die Erklärung nicht erneuert werden.28 Wird dagegen ein gänzlich neues, in der Gesamtbetrachtung wesentliches Risiko festgestellt, ist die Grundsatzerklärung anzupassen (§ 6 Abs. 5 Satz 3 LkSG).29 Auch infolge der jährlichen oder einer anlassbezogenen Wirksamkeitsüberprüfung (§ 6 Abs. 5 Satz 1 LkSG) ist die Grundsatzerklärung auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen und bei Bedarf anzupassen. 3. Abgabe durch Unternehmensleitung, § 6 Abs. 2 Satz 2 LkSG Gemäß § 6 Abs. 2 S. 2 LkSG ist die Grundsatzerklärung durch die Unterneh- 22 mensleitung abzugeben. Der Begriff der Unternehmensleitung ist im Gesetz nicht legal definiert. Nach allgemeinem Verständnis ist hierunter das Organ der verpflichteten Gesellschaft zu verstehen, welches die Geschäfte der Gesellschaft führt und zu ihrer Vertretung berechtigt ist.30 Nach der Gesetzesbegründung soll durch Bezugnahme auf die Unternehmens- 23 leitung gewährleistet werden, dass sich diese durch die Erklärung klar zu der 26 FAQ IX. 2. des BMAS zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, verfügbar unter https:// www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unter nehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html. 27 FAQ IX. 1. des BMAS zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, verfügbar unter https:// www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unter nehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html. 28 Vgl. Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2168. 29 Vgl. Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1237, 1243. 30 Vgl. etwa die Definition in § 2 Abs. 5 SE- Beteiligungsgesetz.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen Unterstützung der Menschenrechtsstrategie positioniert.31 Das Gesetz lässt offen, ob die Erklärung durch sämtliche Mitglieder der Unternehmensleitung abzugeben ist, oder ob die Abgabe durch Mitglieder des Leitungsorgans in vertretungsberechtigter Anzahl ausreichend ist. In Ermangelung einer abweichenden Regelung erscheint ein Abstellen auf die für die jeweilige Rechtsform geltenden allgemeinen Vertretungsregelungen naheliegend. Ist bei einer Kapitalgesellschaft Gesamtvertretung vorgesehen, ist mithin eine Unterzeichnung der Grundsatzerklärung durch zwei Mitglieder des Vertretungsorgans erforderlich und ausreichend. Unabhängig hiervon wird es im Hinblick auf den „tone from the top“ regelmäßig empfehlenswert sein, eine Unterzeichnung der Grundsatzerklärung durch sämtliche Mitglieder der Unternehmensleitung vorzusehen. 24 Der Aufsichtsrat einer AG, SE oder KGaA ist kein Teil der Unternehmenslei-

tung, so dass eine Unterzeichnung der Erklärung durch den Vorsitzenden oder die Mitglieder des Aufsichtsrats nicht erforderlich ist. Auch ein Zustimmungserfordernis des Aufsichtsrates besteht von Gesetzes wegen nicht. Ebenso erscheint es zweifelhaft, ob die Abgabe der Grundsatzerklärung zum Gegenstand eines Zustimmungsvorbehalts gemäß 111 Abs. 4 Satz 2 AktG gemacht werden kann, da die Abgabe der Grundsatzerklärung eine unmittelbar gesetzliche Verpflichtung des Leitungsorgans und damit des Vorstands darstellt. Selbst wenn ein Zustimmungsvorbehalt wirksam vereinbart werden könnte, verbleiben die Verantwortlichkeit und die Zuständigkeit für die wirksame Abgabe der Grundsatzerklärung im Außenverhältnis beim Vorstand.

25 Unabhängig hiervon kann eine „freiwillige“ Mitunterzeichnung der Grund-

satzerklärung durch den Aufsichtsrat oder dessen Vorsitzenden sinnvoll sein, um den Mitarbeitern und der Öffentlichkeit zu erkennen zu geben, dass die vom Vorstand festgelegte Menschenrechtssituation auch vom Aufsichtsrat des Unternehmens unterstützt und mitgetragen wird. Auch in diesem Fall verbleibt die Verantwortlichkeit für den Erklärungsinhalt indes beim Vorstand.

4. Mindestanforderungen, § 6 Abs. 2 Satz 3 LkSG 26 § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 LkSG definieren verschiedene inhaltliche Mindest-

angaben, welche in der Grundsatzerklärung in jedem Fall („mindestens“) enthalten sein müssen. a) Verfahrensbeschreibung, § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LkSG

27 Gemäß § 6 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 LkSG hat die Grundsatzerklärung zunächst eine Be-

schreibung des Verfahrens zu enthalten, mit welchem das Unternehmen seinen menschenrechts- sowie umweltbezogenen Sorgfaltspflichten nach dem LkSG nachkommt. Danach sind Angaben erforderlich zu dem Verfahren – der Risikoanalyse nach § 5 Abs. 1 LkSG 31 BT-Drucks. 19/28649, 46.

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der Prävention nach § 6 Abs. 3 bis 5 LkSG der Abhilfe nach § 7 LkSG des Beschwerdeverfahrens nach § 8 LkSG der Sorgfaltspflichten hinsichtlich des mittelbaren Zulieferers nach § 9 LkSG und – der Dokumentations- und Berichtspflicht nach § 10 LkSG.

Nach der Gesetzesbegründung muss das Unternehmen im Rahmen der Be- 28 schreibung das Konzept seines Risikomanagements gem. § 4 LkSG erläutern und hierbei „zumindest die wesentlichen Maßnahmen“ im Rahmen der vorstehend aufgezählten Pflichtenbereiche benennen.32 Zu Format, Umfang und Detaillierungsgrad der Beschreibung enthält das Ge- 29 setz keine näheren Erläuterungen. Zum Teil wird eine knappe Verfahrensbeschreibung für ausreichend erachtet, so dass die gesamte Grundsatzerklärung kurz gehalten werden könne.33 Im Gegensatz hierzu wird von anderen Autoren eine detaillierte inhaltliche Beschreibung der Verfahren sowie der zu dessen Umsetzung jeweils erforderlichen konkreten Maßnahmen für erforderlich erachtet.34 Dies setze ein hohes Maß an Transparenz und Konkretisierung voraus, so dass für Geschäftsgeheimnisse in den betreffenden Bereichen kaum Raum verbleibe.35 Die hohe Transparenz solle dazu führen, dass verpflichtete Unternehmen ihre Strategien mit denen anderer Marktteilnehmer vergleichen und auf diese Weise sowohl der Wettbewerb gefördert, als auch Lernprozesse beschleunigt werden könnten.36 Die zuletzt dargelegte, extensive Auffassung findet im Gesetz keinen Anhalts- 30 punkt. Das Ziel der Grundsatzerklärung besteht insbesondere darin, zu verdeutlichen, dass das verpflichtete Unternehmen das Risiko von Menschenrechtsverletzungen erkannt, sich zu deren Vermeidung bekannt und entsprechende Gegenmaßnahmen definiert und ergriffen hat. Eine ausführliche und detaillierte Beschreibung der entsprechenden Maßnahmen ist hierzu nicht erforderlich.37 Auf der anderen Seite genügt auch die bloße Wiederholung der gesetzlichen Vorgaben nicht.38 Erforderlich und ausreichend ist es vielmehr, wenn die vom Unternehmen getroffenen wesentlichen Maßnahmen in knapper Form bezeichnet und beschrieben werden. Hierfür spricht auch die Gesetzesbegrün32 BT-Drucks. 19/28649, 46. 33 Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3083; Praxishilfe Grundsatzerklärung des Helpdesks Wirtschaft & Menschenrechte der Agentur für Wirtschaft & Entwicklung, S. 9, spricht von 2–3 Seiten, verfügbar unter https://kompass.wirtschaft-entwicklung.de/fileadmin/ user_upload/Praxishilfen/PH_10_Grundsatzerklaerung.pdf, zuletzt abgerufen am 14.2. 2022. 34 Dutzi/Schneider/Hasenau, DK 2021, 454, 457. 35 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 81. 36 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 81. 37 Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3081. 38 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 80.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen dung, wonach das Unternehmen „zumindest die wesentlichen Maßnahmen“ zu „benennen“ hat.39 31 Auch in Bezug auf Ausgestaltung, Inhalt und Umfang der Grundsatzerklärung

gilt hierbei das Angemessenheitsgebot. So wird von Unternehmen, welche über eine Vielzahl von Standorten, Tochtergesellschaften und Zulieferern verfügen, geographisch bzw. produktspezifisch in besonderen Risikobereichen tätig sind und damit einer diversen Risikoexposition unterliegen, regelmäßig eine umfangreichere Verfahrensbeschreibung abzugeben sein als von Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit und Lieferketten eine geringere Komplexität aufweisen und nur wenigen, spezifischen Risiken ausgesetzt sind.

32 Allgemein lässt sich zu den einzelnen Aspekten folgendes ausführen:

– Zu § 5 Abs. 1 LkSG: Beschreibung des Verfahrens in Bezug auf die Durchführung der Risikoanalyse, insbesondere des wesentlichen Ablaufs sowie der wesentlichen Methoden zur Ermittlung der menschenrechts- sowie umweltbezogenen Risiken. – Zu § 6 Abs. 3 bis 5: Knappe Beschreibung der wesentlichen Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbetrieb gem. § 6 Abs. 3 LkSG und bei unmittelbaren Zulieferern gem. § 6 Abs. 4 LkSG; Darstellung der Maßnahmen zur Kontrolle und Überwachung der getroffenen Präventionsmaßnahmen. – Zu § 7 LkSG: Darstellung des Verfahrens, der Zuständigkeiten und des Konzepts für die Ergreifung von Abhilfemaßnahmen im Falle der Feststellung einer Verletzung von menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflichten; Darstellung des Verfahrens zur regelmäßigen und anlassbezogenen Überprüfung der Wirksamkeit von Abhilfemaßnahmen – Zu § 8 LkSG: Knappe Darstellung der wesentlichen Elemente des Beschwerdeverfahrens, einschließlich des Verfahrens zur Abarbeitung von eingegangenen Hinweisen auf Rechtsverletzungen. – Zu § 9 LkSG: Die bereits aufgeführten Aspekte zu den §§ 5 bis 8 LkSG sind auch in Bezug auf einen mittelbaren Zulieferer zu beschreiben (§ 9 Abs. 3). – Zu § 10 LkSG: Es ist aufzuführen, in welcher Form und durch welche Stelle die Dokumentations- und Berichtspflichten gem. § 10 LkSG erfüllt werden. b) Festgestellte prioritäre Risiken, § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LkSG 33 Die Grundsatzerklärung muss ferner gem. § 6 Abs. 2 Nr. 2 LkSG die für das Un-

ternehmen auf Grundlage der Risikoanalyse festgestellten prioritären menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken bezeichnen.

34 Die Regelung knüpft an die Ergebnisse der Risikoanalyse gem. § 5 LkSG an. Da-

bei müssen in der Grundsatzerklärung nicht sämtliche im Rahmen der Risikoanalyse festgestellten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken ange39 BT-Drucks. 19/28649, 46.

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führt werden. Erforderlich ist vielmehr die Angabe lediglich derjenigen Risiken, welche vom Unternehmen im Rahmen der Gewichtung gem. § 5 Abs. 2 LkSG als prioritäre Risiken eingestuft worden sind. Nach der Gesetzesbegründung soll es sich hierbei um die „für das Unternehmen besonders relevanten“ Risiken handeln.40 In Bezug auf die Frage, welche Risiken für das Unternehmen besonders relevant und damit als prioritäre Risiken in die Grundsatzerklärung aufzunehmen sind, steht der Unternehmensleitung dabei ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum i.S.v. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zu. Die Gesetzesbegründung verlangt ferner, dass die Risiken unter Bezugnahme auf 35 die in der Anlage genannten völkerrechtlichen Übereinkommen adressiert werden.41 Der genaue Bedeutungsgehalt der vorstehenden Aussage ist unklar. Die Bezugnahme könnte so zu verstehen sein, dass die anzuführenden Risiken unter die Vorschriften der einzelnen Übereinkommen subsumiert werden müssen.42 Ein entsprechendes Erfordernis würde jedoch einer wenig zielführenden Fleißaufgabe gleichkommen43 und lässt sich dem Wortlaut des Gesetzes auch nicht entnehmen. Auch eine nähere Beschreibung und Erläuterung der jeweils anzuführenden 36 Risiken sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr ist es ausreichend, wenn die prioritären Risiken in der Grundsatzerklärung benannt und deren Relevanz für das Unternehmen gegebenenfalls in knapper Form erläutert werden. Hierfür spricht namentlich auch die Gesetzesbegründung, welche keine nähere Erläuterung der Risiken verlangt, sondern es vielmehr für ausreichend erachtet, dass diese in der Grundsatzerklärung „adressiert“ werden.44 Rein abstrakte Angaben genügen insoweit indes nicht; vielmehr ist es erforderlich, dass die im Rahmen der Risikoanalyse festgestellten und priorisierten Risiken konkret und nachvollziehbar bezeichnet werden. c) Erwartungen, § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 LkSG Inhalt der Grundsatzerklärung müssen gem. § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LkSG ferner 37 die auf Grundlage der Risikoanalyse festgelegten menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen sein, welche das Unternehmen an seine Beschäftigten und Zulieferer in der Lieferkette richtet.45 Die Wiedergabe der menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen stellt 38 das „Herzstück“ der Grundsatzerklärung dar. Sie definieren den Standard und den Maßstab, an welchen das Unternehmen sein Verhalten gegenüber Mitarbeitern und unmittelbaren sowie mittelbaren Zulieferern auszurichten hat. Die De40 41 42 43

BT-Drucks. 19/28649, 46. BT-Drucks. 19/28649, 46. Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 147. Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 147, der auch anmerkt, dass es bei den Risiken nach § 2 Abs. 2 LkSG gerade nicht um die menschenrechtlichen Positionen nach § 2 Abs. 1 LkSG geht. 44 BT-Drucks. 19/28649, 46. 45 BT-Drucks. 19/28649, 46.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen finition der Erwartungen bildet damit gleichermaßen die Grundlage und den Bezugspunkt für die Ausgestaltung der weiteren Präventions- und Abhilfemaßnahmen gem. § 6 Abs. 3 und 4, § 7 LkSG. 39 Die Adressaten der Erwartungen sind dabei zunächst die Beschäftigten und da-

mit auch das verpflichtete Unternehmen selbst. Daneben beziehen sich die Erwartungen auf die Zulieferer des Unternehmens. Das Gesetz unterscheidet hierbei nicht zwischen unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern, sondern schließt beide Gruppen in den Ziel- und Adressatenkreis der menschenrechts- sowie umweltbezogenen Erwartungen des Unternehmens ein.

40 Nach der Gesetzesbegründung steht im Fokus der menschenrechts- und um-

weltbezogenen Erwartungen die Minderung und Abwehr der im Rahmen der Risikoanalyse priorisierten Risiken.46 Die Erwartungen sollen in Grundzügen die Standards oder Maßstäbe festlegen, die ein Unternehmen an sich und an seine Zulieferer angelegt, um die Menschenrechte und umweltbezogenen Pflichten zu achten. Sie sollten so formuliert sein, dass sie als Grundlage für die Entwicklung interner sowie externer Verhaltenskodizes oder Verhaltensrichtlinien dienen können (vgl. § 6 Abs. 3 Nr. 1 LkSG, § 6 Abs. 4 Nr. 1, 2 LkSG).

41 Es bietet sich an, in der Grundsatzerklärung zunächst auf allgemeine bzw. spezi-

fische internationale Standards und Normen und gegebenenfalls auf die lokalen Gesetze und Regularien des Produktionsstandorts zu verweisen. Dies hat den Vorteil, dass sich Unternehmen und Zulieferer nicht mit einer Vielzahl von – je nach Unternehmen verschiedenen – Vorgaben auseinandersetzen müssen, sondern einheitliche Anforderungen zu erfüllen haben.47 Welche Standards für das Unternehmen dabei wesentlich sind, hängt maßgeblich von den in der Risikoanalyse ermittelten und priorisierten Risiken ab. Die Gesetzesbegründung empfiehlt insoweit eine Orientierung an den in der Anlage zum LkSG in den Nr. 1-13 genannten Übereinkommen.48 Als allgemeine Standards, deren Einhaltung in die Erwartungen gem. § 6 Abs. 2 Nr. 3 LkSG einbezogen werden kann, kommen danach u.a. in Betracht: – Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der VN (UN-UDHR) – 10 Prinzipien des Global Compact der VN – International Labour Organization (ILO)-Kernarbeitsnormen – Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte der VN (UNGP) – Sustainable Development Goals der VN (SDGs) – OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen – ILO Dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik 46 BT-Drucks. 19/28649, 46. 47 Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 37. 48 BT-Drucks. 19/28649, 46.

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– ISO 26000: Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung – OECD-Konvention gegen die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr/VN-Konvention gegen Korruption.49 Neben dem Verweis auf die allgemeinen Standards sollten die Erwartungen kla- 42 re, ggf. als Leitsatz formulierte Grundsätze und Anforderungen in Bezug auf die für das Unternehmen wesentlichen menschenrechtlichen wie umweltbezogenen Standards enthalten. Als wesentliche Erwartungen sowohl in Bezug auf den eigenen Geschäftsbetrieb als auch in Bezug auf unmittelbare sowie mittelbare Zulieferer kommen hierbei regelmäßig in Betracht – die Einhaltung des Verbots von Kinderarbeit; – die Einhaltung des Verbots von Menschenhandel, Sklaverei und anderen Formen der Zwangsarbeit; – die Gewährleistung von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz; – die Achtung der Koalitionsfreiheit; – die diskriminierungsfreie Behandlung von Beschäftigten; – die Gewährung angemessener Arbeitsbedingungen für Beschäftigte, einschließlich angemessener Entlohnung und Erhaltung von Beschäftigungsfähigkeit; – die Vermeidung des unlauteren Einsatzes von privaten oder öffentlichen Sicherheitskräften zu unternehmerischen Zwecken; – der Schutz der Rechte indigener Völker und das Verbot unrechtmäßiger Landnahme. 43 Wesentliche umweltbezogene Erwartungen sind u.a. – die Vermeidung der Beeinträchtigung einer gesunden Lebensgrundlage durch Umweltbeeinträchtigungen; – ein verantwortungsvoller Ressourcenverbrauch insbesondere von Energie, Wasser und natürlichen Ressourcen; – eine verantwortungsvolle Steuerung der Abgabe von Emissionen in Wasser, Luft und Boden; – ein verantwortungsvoller Umgang und Handel mit Abfällen, insbesondere mit gesundheits- und umweltschädlichen Chemikalien.

Die in der Grundsatzerklärung enthaltenen Erwartungen für eigene Mitarbeiter 44 und Zulieferer in Bezug auf die wesentlichen menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Standards sollten klar, präzise und unmissverständlich formuliert sein. Die Grundsatzerklärung sollte diesbezüglich insbesondere auch das klare und uneingeschränkte Bekenntnis der Unternehmensleitung zur Einhaltung sowie zur Durchsetzung der dargelegten Leitsätze enthalten. 49 Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 37.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen 5. Aufbau der Grundsatzerklärung 45 Das Gesetz sieht in den §§ 6 Abs. 2 Nr. 1-3 LkSG Mindestvorgaben an den In-

halt der Grundsatzerklärung vor. Der Aufbau der Grundsatzerklärung ist im Gesetz demgegenüber nicht zwingend vorgegeben. Diese kann vom Unternehmen frei gewählt werden, wobei der Grundsatz der Klarheit, Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Erklärung im Vordergrund stehen sollte. Als Orientierung kommen die folgenden Gliederungspunkte in Betracht: – Präambel – Ergebnis der Risikoanalyse – Erwartungen an Geschäftspartner – Erwartungen an eigene Mitarbeiter – Verfahrensbeschreibung – Risikomanagement – Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbetrieb – Präventionsmaßnahmen gegenüber Zulieferern – Abhilfe bei Verletzung geschützter Rechtspositionen – Beschwerdeverfahren – Dokumentation und Berichtswesen

III. Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich, § 6 Abs. 3 LkSG 46 Aufbauend auf der Grundsatzerklärung sehen § 6 Abs. 3 und Abs. 4 LkSG er-

gänzende Präventionsmaßnahmen vor, welche von dem verpflichteten Unternehmen „zu verankern“ sind. Das Gesetz unterscheidet hierbei systematisch zwischen Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbetrieb (§ 6 Abs. 3 LkSG) sowie Präventionsmaßnahmen gegenüber unmittelbaren Zulieferern (§ 6 Abs. 4 LkSG). Präventionsmaßnahmen gegenüber mittelbaren Zulieferern sieht § 6 LkSG nicht vor; letztere sind lediglich anlassbezogen unter den Voraussetzungen des §§ 9 Abs. 3 Nr. 2 LkSG zu treffen.

47 Gemäß § 6 Abs. 3 LkSG müssen die verpflichteten Unternehmen angemessene

Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich (§ 2 Abs. 6 LkSG) verankern. Die zu treffenden Präventionsmaßnahmen sind hierbei in § 6 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 LkSG geregelt. Die dort beschriebenen Maßnahmen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers dazu dienen, die in der Grundsatzerklärung enthaltene Menschenrechtsstrategie in die alltäglichen Unternehmensabläufe und -entscheidungen – insbesondere des Beschaffungsprozesses – zu integrieren und als festen Bestandteil zu etablieren.50 Dabei ist § 6 Abs. 3 Nr. 1 LkSG, wonach die in der 50 BT-Drucks. 19/28649, 46.

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Grundsatzerklärung dargelegte Menschenrechtssituation in den relevanten Geschäftsabläufen zu verankern ist, als „Obersatz“ zu verstehen. § 6 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 LkSG beschreiben demgegenüber zwei konkrete, aus Sicht des Gesetzgebers besonders relevante Maßnahmen zur Umsetzung der Menschenrechtsstrategie. Die Nr. 4 sieht die Etablierung risikoangemessener Kontrollmaßnahmen vor. Die Gesetzesbegründung bezeichnet die in § 6 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 LkSG vorgese- 48 henen Maßnahmen als „Regelbeispiele“. Aus dieser Bezeichnung kann abgeleitet werden, dass die ausdrücklich aufgezählten Präventionsmaßnahmen nach dem Willen des Gesetzgebers von dem verpflichteten Unternehmen regelmäßig zu treffen sind und damit den Mindeststandard der gebotenen Sorgfalt umschreiben.51 Die ausdrückliche gesetzliche Aufzählung indiziert ferner, dass ein verpflichtetes Unternehmen mit der ordnungsgemäßen Umsetzung der vom Gesetz vorgesehenen Maßnahmen den ihm obliegenden Sorgfaltspflichten regelmäßig nachkommen wird. Die Aufzählung der Präventionsmaßnahmen ist nach dem Gesetzeswortlaut („insbesondere“) allerdings nicht abschließend, so dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob aufgrund des Vorliegens besonderer Umstände ausnahmsweise weitere Präventionsmaßnahmen geboten sind.52 In Bezug auf die Beurteilung der Erforderlichkeit sowie der Ausgestaltung weiterer Präventionsmaßnahmen kommt dem Unternehmen hierbei ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Die gem. § 6 Abs. 3 LkSG vorzusehenden Maßnahmen betreffen den eigenen 49 Geschäftsbereich des verpflichteten Unternehmens. Maßgeblich ist hierbei die Definition gem. § 2 Abs. 6 LkSG. Umfasst sind danach zunächst die eigenen Standorte des verpflichteten Unternehmens. Im Gegensatz zu § 7 Abs. 1 LkSG sieht das Gesetz hierbei keine weitergehende Differenzierung vor, so dass die Präventionsmaßnahmen (in jeweils angemessener Form) sowohl an den inländischen als auch an den ausländischen Standorten des Unternehmens zu etablieren sind.53 Ist die verpflichtete Gesellschaft Obergesellschaft eines Konzerns, sind die Präventionsmaßnahmen ferner (unter der Voraussetzung eines bestimmenden Einflusses) auch in den nachgeordneten Tochtergesellschaften umzusetzen. Auch insoweit erstreckt sich die Regelung sowohl auf inländische als auch auf ausländische Tochtergesellschaften (zu weiteren Einzelheiten vgl. die Kommentierung zu § 2, dort Rz. 340 ff. In Konzernstrukturen ist die Implementierung eines konzernweiten Risiko- 50 management- sowie Präventionssystems möglich.54 Hierbei können die wesentlichen Standards durch die Konzernmutter vorgegeben und wesentliche Zentral51 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 5, 101. 52 Vgl. Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 158. 53 § 7 Abs. 1 LkSG wurde erst im Ausschuss für Arbeit und Soziales diese Differenzierung eingefügt, da bezweifelt wurde, dass die verpflichteten Unternehmen der in § 7 Abs. 1 Satz 3 LkSG statuierten Erfolgspflicht auch im Ausland stets nachkommen könnten, insbesondere dort, wo gesetzliche Regelungen entgegenstehen; BT-Drucks. 19/30505, 41. 54 Vgl. Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 83 f.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen funktionen von dieser zentral abgedeckt werden. Verfügt das Unternehmen über Standorte oder Tochtergesellschaften im Ausland, ist den jeweils geltenden rechtlichen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Insbesondere sind die Rahmenbedingungen des ausländischen Arbeits- sowie Betriebsverfassungsrechts zu beachten.55 Die vom Gesetz vorgesehene „Verankerung“ in den Tochtergesellschaften kann durch entsprechende Konzernrichtlinien erfolgen; zudem empfiehlt sich in Bezug auf die Tochtergesellschaften die Fassung von Gesellschafterbeschlüssen, durch welche die Geltung der Konzernvorgaben für die Tochtergesellschaften angeordnet und deren Leitungsorgane (soweit rechtlich zulässig) zu deren Umsetzung sowie gegebenenfalls erforderlichen Anpassung an etwaige landesrechtliche Besonderheiten angewiesen werden. 51 Die zu treffenden Präventionsmaßnahmen stehen ferner unter dem Vorbehalt

der Angemessenheit. Hierbei findet der risikobasierte Ansatz des § 3 Abs. 2 LkSG Anwendung (vgl. oben zu § 6 Abs. 1 LkSG). Dies bedeutet, dass die Präventionsmaßnahmen – innerhalb des durch § 6 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 LkSG vorgegebenen Rahmens – unter Berücksichtigung der in der Risikoanalyse ermittelten, individuellen Risikosituation des Unternehmens ausgestaltet werden können. Dabei gilt: Je größer die konkrete Risikoexposition, desto höher sind die Anforderungen an die zu treffenden Präventionsmaßnahmen. Verfügt ein Unternehmen über verschiedene Standorte oder Tochtergesellschaften, folgt aus dem Angemessenheitsgrundsatz, dass die Präventionsmaßnahmen nicht für alle Standorte oder Gesellschaften einheitlich ausgestaltet werden müssen, sondern eine Differenzierung unter Berücksichtigung der jeweils maßgeblichen Risikosituation möglich ist. Dies kann bedeuten, dass innerhalb eines Konzerns in bestimmten Konzerngesellschaften, abhängig von deren Sitz oder Geschäftstätigkeit, höhere Anforderungen an die Präventionsmaßnahmen zu stellen sind als in anderen Gesellschaften desselben Konzerns.

52 § 6 Abs. 1 LkSG knüpft die Durchführung von Präventionsmaßnahmen gem.

§ 6 Abs. 3 LkSG ferner an die Feststellung eines Risikos im Rahmen der Risikoanalyse. Werden im Rahmen der Risikoanalyse keine Risiken festgestellt, sind mithin auch Präventionsmaßnahmen gem. § 6 Abs. 3 LkSG nicht erforderlich. Werden im Rahmen der Risikoanalyse bestimmte Risiken festgestellt, müssen sich die angemessenen Präventionsmaßnahmen auch lediglich auf die festgestellten Risiken beziehen; dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Angemessenheit und Risikobasierung. Auch ist es ausreichend, wenn sich die Präventionsmaßnahmen auf die priorisierten Risiken nach § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LkSG beziehen; die Etablierung von Präventionsmaßnahmen hinsichtlich der gesamten Produktpalette, mit welcher das Unternehmen zu tun hat, ist demgegenüber nach ausdrücklicher Maßgabe der FAQ des BMAS nicht erforderlich.56 55 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 84. 56 FAQ X. 1. des BMAS zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, verfügbar unter https:// www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unter nehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html.

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1. Menschenrechtsstrategie in Geschäftsabläufen, § 6 Abs. 3 Nr. 1 LkSG a) Allgemeines Gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 1 LkSG muss das Unternehmen die Umsetzung der in der 53 Grundsatzerklärung dargelegten Menschenrechtsstrategie in den relevanten Geschäftsprozessen verankern. Die Regelung dient als Obersatz. Sie bildet die „Klammer“, welche die weiteren 54 Präventionsmaßnahmen, insbesondere nach § 6 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 4 LkSG umfasst, und deren Verankerung in den Geschäftsprozessen des Unternehmens vorschreibt. In welcher Form die Umsetzung der Menschenrechtssituation in den relevanten Geschäftsprozessen zu erfolgen hat, ist im Gesetz über die abstrakten Vorgaben in § 6 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 4 LkSG hinaus nicht geregelt. Die konkrete Ausgestaltung obliegt vielmehr dem Unternehmen und dessen Leitungsorgan, wobei letzterem insoweit ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zukommt.57 Nach der Gesetzesbegründung soll ein wichtiger Schritt der Prozessintegration 55 die Entwicklung von internen und externen Verhaltensvorschriften und/oder Richtlinien für die einzelnen Geschäftsfelder und Geschäftsabläufe darstellen.58 Ein Fokus soll hierbei auf den Geschäftsfeldern liegen, welche für das Risikomanagement als relevant identifiziert worden sind. Dabei könne etwa die Erstellung eines Verhaltenskodex sinnvoll sein, der die geltenden Standards für Mitarbeiter konkretisiert und verständlich beschreibt. Verhaltenskodizes für (potentielle) Vertragspartner, in denen die menschenrechtlichen Erwartungen konkretisiert werden, könnten als Grundlage für Vertragsverhandlungen und zur Vertragsausgestaltung genutzt werden. Auch die Festlegung einer Strategie zu Lieferantenauswahl und -entwicklung sowie die Festlegung von Maßnahmen im Fall eines Verstoßes gegen den Lieferantenkodex könnten zweckdienlich sein.59 Die erforderliche Umsetzung der Menschenrechtsregie in den relevanten Ge- 56 schäftsprozessen setzt dabei regelmäßig die Elemente eines (herkömmlichen) Risiko- oder Compliance-Managementsystems voraus.60 Erforderlich sind danach insbesondere – die Erstellung von Regelwerk und Dokumentation; – die klare Festlegung und Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten; – die Definition und Implementierung von Prozessen; – die Kommunikation und Schulung; – die Aufklärung, Abhilfe und Sanktionierung von Verstößen; sowie – die regelmäßige Überprüfung der getroffenen Maßnahmen. 57 58 59 60

Zum Organisationsermessen vgl. allgemein Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl., § 76, Rz. 15. BT-Drucks. 19/28649, 46. BT-Drucks. 19/28649, 47. Vgl. etwa Moosmayer, Compliance, 4. Aufl., Rz. 144 ff.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen 57 Ausgangspunkt der Umsetzung ist die Risikoanalyse sowie die in diesem Rahmen

erfolgte Priorisierung der festgestellten Risiken gem. § 5 Abs. 2 LkSG. Das Gesetz beschränkt die Umsetzungsverpflichtung insoweit auf die „relevanten“ Geschäftsabläufe. Hierbei handelt es sich um diejenigen Abläufe und Prozesse des Unternehmens, welche im Hinblick auf die Vermeidung der spezifischen, im Rahmen der Risikoanalyse festgestellten und in der Grundsatzerklärung gem. § 6 Abs. 2 Nr. 2 LkSG als prioritär dargestellten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken von Bedeutung sind. Die Umsetzung gem. § 6 Abs. 3 Nr. 1 LkSG setzt mithin neben der Identifikation relevanter Risiken auch die Identifikation der für die Risikobewältigung relevanten Geschäftsabläufe innerhalb des Unternehmens sowie bei dessen Standorten und Tochtergesellschaften voraus.

58 Im Vordergrund stehen insoweit regelmäßig die Geschäftsabläufe und Prozesse

im Bereich des Einkaufs, des Qualitätsmanagements, des Personalwesens (HR), der Rechts- und/oder Compliance-Abteilung sowie der internen Revision.

b) Einzelheiten der Umsetzung aa) Erstellung von Regelwerk und Dokumentation 59 Ein wesentliches Element der Umsetzung der menschenrechtlichen sowie um-

weltbezogenen Erwartungen in den Geschäftsprozessen bildet die Erstellung eines entsprechenden Regelwerks. Hierbei kann insbesondere die Erstellung der folgenden Dokumente erforderlich und/oder sinnvoll sein:

60 Empfehlenswert wird häufig zunächst die Erstellung einer Grund- oder Rah-

menrichtlinie für das Management von Menschenrechts- sowie Umweltrisiken sein. In einer solchen Richtlinie können die Grundstruktur, der Aufbau sowie die wesentlichen Elemente des Risikomanagementsystems sowohl in Bezug auf den eigenen Geschäftsbereich als auch in Bezug auf unmittelbare sowie mittelbare Zulieferer definiert werden. Ferner kann eine Festlegung der involvierten Geschäftsbereiche und Abteilungen sowie der insoweit maßgeblichen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten erfolgen. In Konzernstrukturen bietet es sich an, die Grundrichtlinie als Konzernrichtlinie zu erlassen und durch Gesellschafterbeschluss in den jeweiligen Konzerngesellschaften zu verankern.

61 Die wesentlichen Aspekte der in der Grundsatzerklärung enthaltenen men-

schenrechts-und umweltbezogenen Erwartungen, welche das Unternehmen an seine Beschäftigten und Zulieferer richtet, sollten ferner in den Verhaltenskodex („Code of Conduct“) des Unternehmens aufgenommen werden.61 Verfügt ein verpflichtetes Unternehmen über keinen Verhaltenskodex, sollte ein solcher erstmalig erstellt werden. Dabei sollten die geltenden Standards in einer möglichst konkreten, sowie für Mitarbeiter, Lieferanten und befasste Dritte nachvollziehbaren und verständlichen Form (ggf. unter Bezugnahme auf konkrete Beispiele) dargestellt und erläutert werden.62 61 BT-Drucks. 19/28649, 46. 62 BT-Drucks. 19/28649, 46.

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Ferner empfiehlt sich regelmäßig die Erstellung eines gesonderten Lieferanten-/ 62 Geschäftspartnerkodex („Supplier/Business Partner Code of Conduct“). Im Rahmen des Lieferantenkodex sollten die menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Erwartungen mit Blick auf (potentielle) Geschäftspartner dargestellt und konkretisiert werden. Ferner sollten etwaige Konsequenzen für den Fall eines potentiellen oder festgestellten Verstoßes gegen die Vorgaben aufgezeigt werden. Der Kodex sollte allen Geschäftspartnern im Vorfeld des Geschäftsabschlusses zugänglich gemacht werden. Er kann als Grundlage für Vertragsverhandlungen oder die Vertragsausgestaltung genutzt werden.63 Daneben ist es möglich und namentlich im Hinblick auf § 6 Abs. 4 Nr. 2, § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG vielfach auch sinnvoll, dem Kodex durch Gegenzeichnung oder durch Einbeziehung in die vertraglichen Regelungen zwischen Unternehmen und Geschäftspartnern Verbindlichkeit beizumessen. Die Dokumentation kann ferner neben der übergeordneten Rahmenrichtlinie 63 nachgeordnete Richtlinien und/oder Prozessdarstellungen und -beschreibungen für einzelne relevante Geschäftsbereiche, Abteilungen, Standorte oder Tochtergesellschaften umfassen. Diese können zentral erlassen, aber auch nach dem Subsidiaritätsprinzip von den jeweiligen Prozess- oder Bereichsverantwortlichen im Rahmen der allgemeinen Vorgaben erstellt werden; sie sollten möglichst konkrete und verständliche Handlungsanweisungen, Zuständigkeits- sowie Abstimmungsvorgaben und Checklisten für die befassten Mitarbeiter enthalten. Der erforderliche Umfang des Regelwerks richtet sich nach dem Angemessenheitsprinzip; maßgeblich ist insbesondere die Komplexität der geschäftlichen sowie der gesellschaftsrechtlichen Strukturen im konkreten Einzelfall. Bei ausländischen Standorten oder Gesellschaften ist ausländisches Recht zu beachten. Bei transnationalen Konzernen sind die konzernweiten Verhaltensnormen gegebenenfalls an die lokalen Besonderheiten anzupassen. Insbesondere ist das nationale Betriebsverfassungsrecht zu beachten.64 Wesentliche Bedeutung kommt dem Prozess für die Auswahl sowie Beauftra- 64 gung von Lieferanten und Geschäftspartnern zu. Die diesbezüglich geltenden Vorgaben sollten (entweder in der Grundsatzrichtlinie oder einer nachgeordneten Richtlinie und/oder Prozessdarstellung) schriftlich im Einzelnen dargestellt und geregelt werden. Dies umfasst insbesondere die Festlegung der Beschaffungsstrategie und der Einkaufspraktiken gem. § 6 Abs. 3 Nr. 2 LkSG, die Definition von Auswahlkriterien gem. § 6 Abs. 4 Nr. 1 LkSG, die Festlegung der Anforderung an die Informationseinholung vor Eröffnung der Geschäftsbeziehung (Business Partner Due Diligence) sowie die Kriterien für die Bewertung und ggf. Kategorisierung der Lieferanten. Ferner sind die erforderlichen Präventions- und Kontrollmaßnahmen gem. § 6 Abs. 4 Nr. 2 sowie § 6 Abs. 4 Nr. 2 (ggf. abgestuft nach Bewertung und Kategorisierung des Lieferanten) zu bestimmen. 63 BT-Drucks. 19/28649, 46. 64 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 84.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen 65 Zu der Dokumentation zählen ferner regelmäßig Musterverträge sowie Muster-

klauseln, welche den Anforderungen des §§ 6 Abs. 4 Nr. 2 sowie Nr. 4 LkSG Rechnung tragen (dazu Rz. 141). bb) Festlegung und Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten

66 Die Umsetzung der Menschenrechtsstrategie in den Geschäftsabläufen setzt fer-

ner die klare Festlegung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für die relevanten Prozesse und Aufgabenbereiche voraus. Die eindeutige und unmissverständliche Definition von Zuständigkeiten ist Grundvoraussetzung für ein wirksames Compliance-Management-System.65 Sie ist ferner Voraussetzung dafür, dass das System enthaftende Wirkung für das Unternehmen sowie dessen Führungskräfte und Leitungsorgane entfalten kann.66

67 Gemäß § 4 Abs. 3 LkSG hat das verpflichtete Unternehmen festzulegen, „wer in-

nerhalb des Unternehmens dafür zuständig ist, das Risikomanagement zu überwachen, etwa durch die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten.“67 Das Erfordernis der Festlegung von klaren Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten geht indes über die in § 4 Abs. 3 LkSG genannte Überwachungsfunktion hinaus. Erforderlich ist vielmehr, dass für sämtliche in Bezug auf die Vermeidung von menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Risiken relevante Geschäftsabläufe und Prozesse Zuständigkeiten definiert und Verantwortlichkeiten festgelegt werden. Die entsprechenden Festlegungen sollten zur Vermeidung von Risiken schriftlich sowie in eindeutiger und unmissverständlicher Form erfolgen und eine personelle Zuordnung der jeweiligen Zuständigkeiten ermöglichen.

68 Die Festlegungen und Zuständigkeiten haben sich dabei auf alle betroffenen

Hierarchieebenen zu erstrecken; letztere schließt die Festlegung der (primären) Zuständigkeit auf Ebene des Leitungsorgans ein.68 Verfügt ein Unternehmen über unterschiedliche Geschäftsbereiche, Standorte oder Tochtergesellschaften, ist dieser Umstand bei der Festlegung von Zuständigkeiten zu berücksichtigen.

69 In Bezug auf die generelle Zuständigkeitsstruktur kann eine Orientierung an

dem sog. „Three Lines of Defence“-Modell sinnvoll sein.69 Danach ist zwischen der Primärverantwortlichkeit für das Risikomanagement-System, der Verantwortlichkeit auf der operativ-sachbearbeitenden Ebene sowie der Überwachungsund Kontrollfunktion zu unterscheiden. Durch eine funktionsgerechte Aufteilung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen Zentralfunktion, 65 Vgl. LG München I v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, DB 2014, 766 = ZIP 2015, 275 = ZIP 2014, 570 m. Anm. Bachmann = NZG 2014, 345, 347 f.; Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 235; Reichert/Lüneborg, GmbHR 2018, 1141, 1144; Schockenhoff, ZHR 2016, 197, 206; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113, 126; Fleischer, CCZ 2008, 1, 2, 6. 66 Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl., § 76, Rz. 16 b. 67 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 235. 68 Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl., § 76, Rz. 16 b. 69 Hierzu näher DB 2021, 1757 ff.

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der operativen Ebene sowie einer unabhängigen Kontrollinstanz – etwa der internen Revision – können Wirksamkeit und Effizienz der Compliance-Organisation verbessert werden.70 cc) Definition und Implementierung von Prozessen Die Umsetzung der Menschenrechtsstrategie setzt ferner die Definition sowie 70 Implementierung von Prozessen voraus, um menschenrechtliche sowie umweltbezogene Risiken zu vermeiden und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen treffen zu können. Die Definition der Prozesse sollte auf der Risikoanalyse sowie der dort festgestellten und als prioritär eingestuften Risiken aufbauen und sich auf die relevanten Geschäftsabläufe i.S.v. § 6 Abs. 3 sowie Abs. 4 LkSG. erstrecken. Ferner sollten Prozesse für die Durchführung von Abhilfemaßnahmen § 7, 9 Abs. 3 LkSG), das Beschwerdeverfahren (§ 8 LkSG) sowie das (interne wie externe) Berichtswesen (§ 10 LkSG) etabliert werden. Die inhaltliche Ausgestaltung der Prozesse richtet sich nach den Umständen des 71 Einzelfalls unter Berücksichtigung der konkreten Risikosituation sowie des Grundsatzes der Angemessenheit. Dem Unternehmen kommt insoweit im Rahmen der Vorgaben und Mindestanforderungen des LkSG ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Die Definition der Prozesse sollte zu Dokumentationszwecken in schriftlicher Form in der Grundrichtlinie, nachgeordneten Richtlinien oder gesonderten Prozessdarstellungen oder Arbeitsanweisungen erfolgen. dd) Kommunikation und Schulung Ein wirksames Lieferketten-CMS setzt eine angemessene Kommunikation der 72 menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Ziele und Erwartungen des Unternehmens sowie der zu deren Umsetzung getroffenen Maßnahmen gegenüber den Mitarbeitern, Lieferanten und Geschäftspartnern sowie betroffenen Dritten voraus. Wesentliches Element der Kommunikation ist die Grundsatzerklärung gem. § 6 Abs. 2 LkSG (dazu Rz. 11 ff.). Ferner kommt in diesem Zusammenhang einem (klar und verständlich abgefassten) Verhaltenskodex sowie einem aussagekräftigem Geschäftspartner-Kodex besondere Bedeutung zu. Darüber hinaus kann die Bereithaltung von Broschüren oder Merkblättern sinnvoll sein. Wichtig ist ein klares und regelmäßig wiederholtes Bekenntnis der Geschäftsleitung zu der Bedeutung sowie der ausnahmslosen Einhaltung der definierten Compliance-Vorgaben („tone from the top“). Erforderlich ist zudem die Durchführung von angemessenen Schulungsmaß- 73 nahmen in den relevanten Geschäftsabläufen des eigenen Geschäftsbetriebs (§ 6 Abs. 3 Nr. 3 LkSG) sowie bei den unmittelbaren Zulieferern (§ 6 Abs. 4 Nr. 3 LkSG). Zu den insoweit maßgeblichen Einzelheiten vgl. Rz. 88 ff., 143 ff.

70 Vgl. Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl.; Rz. 116 ff.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen ee) Abhilfemaßnahmen; Aufklärung und Sanktionierung von Verstößen 74 Stellt ein Unternehmen die Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbe-

zogenen Pflicht fest, sind gem. § 7 LkSG unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen zu treffen (dazu § 7 Rz. 4 ff.).

75 Erfolgt die Pflichtverletzung im eigenen Geschäftsbetrieb des Unternehmens

oder geht der Menschenrechts- oder Umweltverstoß bei einem Zulieferer auf das Verhalten eines Mitarbeiters des Unternehmens zurück, können das Leitungsorgan des verpflichteten Unternehmens neben der Abhilfe weitergehende Pflichten treffen. Insbesondere besteht die gesellschaftsrechtliche Verpflichtung, – den Sachverhalt aufzuklären, – die Verantwortlichkeit für etwaige Pflichtverstöße zu untersuchen, und – die erforderlichen Konsequenzen aus den Vorgängen zu ziehen.71

76 Zu den notwendigen Konsequenzen kann hierbei neben einer Anpassung der

Präventionsmaßnahmen auch eine angemessene Sanktionierung der für den Verstoß verantwortlichen Mitarbeiter zählen.72

77 Die angemessene Reaktion auf Rechtsverstöße stellt eine wesentliche Voraus-

setzung für ein effizientes und funktionsfähiges Compliance-Management dar. Werden Rechtsverstöße nicht oder nicht angemessen aufgeklärt oder geahndet, geht hiervon regelmäßig eine negative Vorbildwirkung aus, welche sich erheblich nachteilig auf die Akzeptanz sowie die Befolgung der Compliance-Vorgaben auswirken kann. Es bietet sich daher an, im Rahmen der Kommunikation auch darauf hinzuweisen, dass Verstöße gegen die in der Grundsatzerklärung sowie den Unternehmensrichtlinien konkretisierten menschenrechts- sowie umweltbezogenen Pflichten nicht toleriert werden, sondern für die Verantwortlichen mit (ggf. empfindlichen) Konsequenzen verbunden sind.

2. Beschaffungsstrategien und Einkaufspraktiken, § 6 Abs. 3 Nr. 2 LkSG 78 Das verpflichtete Unternehmen muss gem. § 6 Abs. 3 Nr. 2 LkSG geeignete Be-

schaffungsstrategien und Einkaufspraktiken entwickeln und implementieren, durch welche die festgestellten Risiken verhindert oder minimiert werden.

79 Die Regelung bezieht sich auf die Beschaffung sowie den Einkauf durch das

verpflichtete Unternehmen. Die Regelung weist trotz ihrer gesetzlichen Zuordnung zu den Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich systematisch eine Nähe zu den Präventionsmaßnahmen gegenüber unmittelbaren Zulieferern, insbesondere zu § 6 Abs. 4 Nr. 1 LkSG auf. Die Gesetzesbegründung erläutert die Zuordnung der Regelung nicht näher, weist indes darauf hin, dass der Einkauf eine Schnittstellenfunktion zwischen dem eigenen Geschäftsbereich und dem Geschäftsbetrieb des Zulieferers habe, und diesem daher eine entschei71 Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl., § 76, Rz. 16 ff. 72 Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl., § 76, Rz. 16e.

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dende Rolle bei der Vermeidung oder Minimierung menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken zukomme.73 Die Regelung unterscheidet zwischen der Entwicklung und Implementierung 80 von „Beschaffungsstrategien“ einerseits und „Einkaufspraktiken“ andererseits. Die verwendeten Begrifflichkeiten sowie deren Inhalte werden weder im Gesetz noch in den Gesetzesmaterialien näher erläutert. Die Beschaffung umfasst nach allgemeinem Verständnis alle Tätigkeiten, die der 81 Versorgung eines Unternehmens mit Material, Dienstleistungen, Betriebs- und Arbeitsmitteln sowie Rechten und Informationen aus unternehmensexternen Quellen dienen.74 Der Begriff der Beschaffungsstrategie bezeichnet mithin eine Strategie, welche dazu dient, das Beschaffungswesen des Unternehmens so zu organisieren, dass die in der Risikoanalyse festgestellten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken verhindert oder minimiert werden. Nach der Gesetzesbegründung setzt die Beschaffungsstrategie dabei bereits bei der Produktentwicklung an,75 so dass bereits in diesem Stadium darauf geachtet werden soll, dass Rohstoffe oder Komponenten, deren Erzeugung mit besonderen menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken einhergeht, soweit möglich nicht zum Einsatz gelangen. Teil der Beschaffungsstrategie kann es ferner sein, dass Zulieferer, die aus be- 82 stimmten, als besonders risikoreich eingestuften Ländern oder Regionen stammen, bestimmte Produktionsverfahren anwenden oder bestimmte Rohstoffe oder Rohmaterialien verwenden, nur unter Anwendung von erhöhten Sorgfaltsstandards (Eigen- oder Drittaudit, Zertifizierung, regelmäßige Überprüfung etc.) oder gar nicht als Vertragspartner akzeptiert werden. Insoweit kommt die Definition von Null-Toleranz-Bereichen in Betracht. Ebenfalls kann es wesentlicher Teil der Beschaffungsstrategie sein, Abhängigkeiten von einzelnen Zulieferern weitestgehend zu vermeiden, um u.a. auch gegen das Risiko einer etwa gem. § 7 LkSG erforderlichen Aussetzung oder eines Abbruchs der Geschäftsbeziehungen abgesichert zu sein. Der Begriff der Beschaffung umfasst auch die Beschaffungslogistik, d.h. die physische Bereitstellung der Waren. Hieraus folgt, dass die Beschaffungsstrategie auch die Vermeidung von Risiken im Bereich der Warenlogistik mitumfassen sollte. Der Einkauf stellt regelmäßig einen wesentlichen Bestandteil des Beschaffungs- 83 prozesses dar. Die vom Gesetz vorgesehenen Einkaufspraktiken beziehen sich dabei weniger auf die Auswahl der Zulieferer, sondern vielmehr auf die mit diesen vereinbarten Konditionen und Lieferbedingungen. Die Gesetzesbegründung weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Festlegung von Lieferzeiten, von Einkaufspreisen und die Dauer von Vertragsbeziehungen einen maßgeblichen 73 BT-Drucks. 19/28649, 47. 74 Gabler Wirtschaftslexikon, „Einkauf“, verfügbar unter https://wirtschaftslexikon.gab ler.de/definition/einkauf-32285. 75 Gabler Wirtschaftslexikon, „Einkauf“, verfügbar unter https://wirtschaftslexikon.gab ler.de/definition/einkauf-32285.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen Einfluss darauf haben können, ob ein menschenrechtliches Risiko bei einem Zulieferer vermieden oder möglicherweise verstärkt werden könne.76 Die Entwicklung von „geeigneten Einkaufspraktiken“ setzt daher die Definition von Kriterien und Standards voraus, um zu vermeiden, dass durch die mit einem Zulieferer vereinbarten Konditionen menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken entstehen bzw. bestehende Risiken verfestigt oder vergrößert werden könnten. 84 Als Adressat der Regelung kommen insbesondere die für den Einkauf zustän-

dige(n) Abteilung(en) des Unternehmens in Betracht. Aus der Verwendung des Plurals („Einkaufsstrategien“ sowie „Einkaufspraktiken“) folgt, dass nach Auffassung des Gesetzgebers in einem Unternehmen verschiedene Einkaufsstrategien bestehen können. Letzteres kommt etwa in Bezug auf Geschäftsbereiche oder Konzerngesellschaften mit abweichenden Tätigkeitsbereichen in Betracht.

85 Sowohl die Einkaufsstrategien als auch die Beschaffungspraktiken sollten zu Do-

kumentations- und Nachweiszwecken schriftlich abgefasst werden.

86 Nach der Gesetzesbegründung sollte das Unternehmen darüber hinaus in einer

unternehmensinternen Verhaltensrichtlinie für die einzelnen Beschaffungsschritte (u.a. Produktentwicklung, Auftragsplatzierung, Einkauf, Produktionsvorlaufzeiten) festlegen, welche Voraussetzungen zu treffen sind, um die identifizierten Risiken zu minimieren bzw. diesen vorzubeugen.77 Erforderlich ist mithin eine Analyse der Beschaffungsprozesse, insbesondere die Identifizierung der maßgeblichen Beschaffungsschritte sowie der jeweils involvierten Geschäftsbereiche und Abteilungen. Im Anschluss sind – etwa in einer Einkaufs- oder Beschaffungsrichtlinie – Maßnahmen zu definieren, um die Einhaltung der in der Beschaffungsstrategie sowie den Einkaufspraktiken festgelegten Vorgaben durch die jeweils beteiligten Abteilungen sowie Mitarbeiter sicherzustellen.

87 Zu einer Verhaltensrichtlinie im Einklang mit der Menschenrechtsstrategie soll

nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch die Bemühung um Transparenz und Kenntnis der Lieferkette gehören.78 Die Gesetzesbegründung belässt es insoweit ausdrücklich bei der Bemühung. Eine generelle Verpflichtung zur Kenntnis der vollständigen Lieferkette sieht das LkSG demgegenüber nicht vor. 3. Schulungen, § 6 Abs. 3 Nr. 3 LkSG

88 Als weitere Präventionsmaßnahme im eigenen Geschäftsbetrieb sieht § 6 Abs. 3

Nr. 3 LkSG die Durchführung von Schulungen in den relevanten Geschäftsbereichen vor.

89 Der Durchführung von Schulungen kommt im Rahmen des Compliance-Ma-

nagements regelmäßig eine wesentliche Bedeutung zu. Durch geeignete und be-

76 BT-Drucks. 19/28649, 47; vgl. auch Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 158. 77 BT-Drucks. 19/28649, 47. 78 BT-Drucks. 19/28649, 47.

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darfsgerechte Schulungen kann sichergestellt werden, dass die Mitarbeiter im eigenen Geschäftsbetrieb die Menschenrechtsstrategie des Unternehmens sowie die entsprechenden Verhaltenskodizes und Richtlinien kennen, verstehen und richtig anwenden.79 Die Gesetzesbegründung hebt insoweit Schulungen für den Einkauf des Unternehmens hervor. Die Einkäufer sollen danach so geschult werden, dass sie die verankerten Standards im Tagesgeschäft und in den einzelnen Anwendungsvorgängen anwenden können und in der Lage sind, mögliche Zielkonflikte zwischen Einkauf und Minimierung eines menschenrechtlichen Risikos – z.B. in Form von Lieferzeiten – zu identifizieren und zu adressieren.80 Im Übrigen machen weder das Gesetz noch die Gesetzesbegründung Vorgaben 90 im Hinblick auf den Adressatenkreis, die Art sowie den Umfang der durchzuführenden Schulung. Die Festlegung hat unter Berücksichtigung des Angemessenheitsgrundsatzes zu erfolgen. Insbesondere müssen dabei nicht alle Mitarbeiter der relevanten Geschäftsbereiche geschult werden; vielmehr genügt die Schulung derjenigen Mitarbeiter, welche im Rahmen ihrer Tätigkeit mit menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Risiken in Berührung gelangen und/oder aufgrund des jeweiligen Einsatzgebietes zu deren Identifikation und Vermeidung beitragen können. In Betracht kommen insoweit neben den Mitarbeitern der Einkaufsabteilung insbesondere (ggf. ausgewählte) Mitarbeiter aus den Bereichen der Entwicklung, des Qualitätsmanagements, der Personalabteilung, der Rechts- und Compliance-Abteilung sowie gegebenenfalls auch der internen Revision.81 Auch die Ausgestaltung der Schulungsmaßnahmen steht im Ermessen des Un- 91 ternehmens. Je nach den Anforderungen des Einzelfalls können daher Schulungen in Präsenz, über Video-Konferenzen, auf einer E-Learning Plattform oder über aufgezeichnete Videos erfolgen. Auch ist ein Vorhalten von Informationen im Internet oder unternehmenseigenen Intranet sinnvoll, damit Mitarbeiter im Bedarfsfall hierauf zugreifen können.82 Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit auch das Ziel der Weiterbildung. Geht es lediglich darum, abstraktes Wissen zu vermitteln, wird ein E-Learning Angebot oder ein aufgezeichnetes Informationsvideo ausreichend sein. Sollen hingegen Mitarbeiter in konkreten Abläufen geschult werden, kann ggf. eine Schulung in Präsenz vorzugswürdig sein. Während die Expertise für bestimmte Schulungen bereits intern im Unternehmen vorhanden ist, kann es für andere Schulungen erforderlich sein, auf externe Angebote zurückzugreifen, etwa von spezialisierten Beratern, NGOs, Außenhandelskammern oder den Anbietern entsprechender Standards.83 79 BT-Drucks. 19/28649, 47. 80 BT-Drucks. 19/28649, 47. 81 Dutzi/Schneider/Hasenau, DK 2021, 454, 458 f.; vgl. auch Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 4. 82 Vgl. Praxisleitfaden Nachhaltigkeit in der Lieferkette des Deutschen Global Compact Netzwerks, 2012, S. 23. 83 Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 37.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen 4. Kontrollmaßnahmen, § 6 Abs. 3 Nr. 4 LkSG 92 § 6 Abs. 3 Nr. 4 LkSG verpflichtet das Unternehmen ferner zur Durchführung

von risikobasierten Kontrollmaßnahmen, mit denen die Einhaltung der in der Grundsatzerklärung enthaltenen Menschenrechtsstrategie im eigenen Geschäftsbereich überprüft wird. Nach der Gesetzesbegründung soll das Unternehmen insbesondere überprüfen, ob die Menschenrechtsstrategie in die alltäglichen Unternehmensabläufe integriert ist und die dort festgelegten menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen tatsächlich umgesetzt werden.84 Erforderlich ist daher einerseits eine regelmäßige Überprüfung der Prozesse. Daneben bedarf es einer Überprüfung der Umsetzung der Vorgaben durch die befassten Mitarbeiter.

93 Die gem. § 6 Abs. 3 Nr. 4 LkSG erforderlichen Kontrollmaßnahmen beziehen sich

auf den eigenen Geschäftsbetrieb, wohingegen die Durchführung von Kontrollmaßnahmen in Bezug auf die unmittelbaren Zulieferer in § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG geregelt ist. Gegenstand der Kontrolle ist mithin zunächst das Vorliegen eines wirksamen Risikomanagement- sowie Präventionssystems nach dem LkSG. Ferner beziehen sich die erforderlichen Kontrollen auf die Einhaltung der menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Erwartungen im eigenen Geschäftsbereich. Dies umfasst insbesondere die internen Vorgaben und Prozesse zur Einhaltung der Menschenrechte, zur Gewährleistung angemessener Arbeitspraktiken (Mindestlohn, Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz, Diskriminierungsfreiheit etc.) sowie zur Vermeidung von Umweltrisiken im eigenen Geschäftsbetrieb. In Bezug auf Risiken in der Lieferkette ist zu unterscheiden: Die Kontrolle in Bezug auf das Vorhandensein sowie die Funktionsfähigkeit von hinreichenden Präventionsstrukturen im eigenen Geschäftsbetrieb richtet sich nach § 6 Abs. 3 Nr. 4 LkSG, wohingegen Kontrollmaßnahmen gegenüber den unmittelbaren Zulieferern nach § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG zu erfolgen haben. In der Praxis kommt dieser Unterscheidung indes keine Bedeutung zu.

94 Im Hinblick auf Art und Umfang der erforderlichen Kontrollmaßnahmen gilt

das Angemessenheitsprinzip. Ferner sieht das Gesetz ausdrücklich einen risikobasierten Ansatz vor, Dies bedeutet, dass die Kontrollen in den Bereichen besonders zu intensivieren sind, in welchen die höchsten Risiken zu erwarten sind. Im eigenen Geschäftsbetrieb kommen insoweit etwa Prozesse im Personalwesen (Mindestlohn, Gleichbehandlung, Diskriminierungsfreiheit) oder im Umweltbereich in Betracht. Daneben kann ein erhöhter Kontrollaufwand in Bezug auf Prozesse und Mitarbeiter bestehen, welche für die Geschäftsbeziehung mit Zulieferern einer hohen Risikokategorie zuständig sind. Ein erhöhter Kontrollund Überwachungsbedarf kann sich zudem in Bereichen ergeben, in welchen es zuvor bereits zu Verstößen gekommen ist oder in welchen neue Mitarbeiter zum Einsatz gelangen.85 Die Kontrollmaßnahmen können individuell festgelegt oder auf Basis von Stichproben erfolgen. Die Durchführung der Kontrollmaßnahmen sollte angemessen dokumentiert werden. 84 BT-Drucks. 19/28649, 47. 85 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 87.

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Präventionsmaßnahmen | § 6

Zu einer wirksamen Kontrolle gehört auch die regelmäßige Aktualisierung der 95 entwickelten Verhaltenskodizes und -richtlinien (§ 6 Abs. 5 Satz 3 LkSG).86

IV. Präventionsmaßnahmen gegenüber unmittelbaren Zulieferern, § 6 Abs. 4 LkSG Neben den Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbetrieb sind gem. § 6 96 Abs. 4 LkSG auch Präventionsmaßnahmen gegenüber unmittelbaren Zulieferern zu treffen. Das Gesetz listet in § 6 Abs. 4 Nr. 1 bis 4 LkSG vier verschiedene Präventions- 97 maßnahmen auf, welche in der Gesetzesbegründung als „Regelbeispiele“ bezeichnet werden.87 Aus dieser Bezeichnung kann abgeleitet werden, dass die ausdrücklich aufgezählten Präventionsmaßnahmen nach dem Willen des Gesetzgebers von dem verpflichteten Unternehmen regelmäßig zu treffen sind und damit den Mindeststandard der gebotenen Sorgfalt umschreiben.88 Die ausdrückliche gesetzliche Aufzählung indiziert ferner, dass ein verpflichtetes Unternehmen mit der ordnungsgemäßen Umsetzung der vom Gesetz vorgesehenen Maßnahmen den ihm obliegenden Sorgfaltspflichten regelmäßig nachkommen wird. Die Aufzählung der Präventionsmaßnahmen ist nach dem Gesetzeswortlaut („insbesondere“) allerdings nicht abschließend, so dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob aufgrund des Vorliegens besonderer Umstände (etwa Verstößen in der Vergangenheit) ausnahmsweise weitere Präventionsmaßnahmen geboten sind. Die Präventionsmaßnahmen sind gegenüber unmittelbaren Zulieferern zu ver- 98 ankern. In Bezug auf den Begriff des unmittelbaren Zulieferers gilt die Legaldefinition in § 2 Abs. 7 LkSG. Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass die Regelung sowohl Zulieferer umfasst, mit welchen bereits eine Vertragsbeziehung besteht als auch solche, mit welchen sich eine Vertragsbeziehung anbahnt.89 Ebenso wie die Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich stehen 99 auch Art und Umfang der Präventionsmaßnahmen gegenüber unmittelbaren Zulieferern unter dem Vorbehalt der Angemessenheit, wobei den verpflichteten Unternehmen ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zusteht. Die Ausgestaltung der Präventionsmaßnahmen hat dabei risikobasiert zu erfolgen. Dies bedeutet, dass die Präventionsmaßnahmen nur insoweit erforderlich sind, wie diese zur Vermeidung der konkreten, im Rahmen der Risikoanalyse festgestellten Risiken erforderlich sind. Verfügt ein Unternehmen über eine Vielzahl von unmittelbaren Zulieferern, welche ein unterschiedliches Risikoprofil aufweisen, kann insoweit ein abgestuftes Sorgfaltskonzept angezeigt sein. Dasselbe kann 86 87 88 89

BT-Drucks. 19/28649, 47. BT-Drucks. 19/28649, 47. Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 5, 101. BT-Drucks. 19/28649, 47.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen auch in Bezug auf verschiedene Standorte oder Tochtergesellschaften des Unternehmens gelten. Ferner sind ggf. besondere branchenbedingte oder lokale Risiken zu berücksichtigten. 100 Auch ist es ausreichend, wenn sich die Präventionsmaßnahmen auf die priori-

sierten Risiken nach § 5 Abs. 2 LkSG beziehen; die Etablierung von Präventionsmaßnahmen hinsichtlich der gesamten Produktpalette, mit welcher das Unternehmen zu tun hat, ist demgegenüber nach den FAQ des BMAS nicht erforderlich.90

1. Auswahl von unmittelbaren Zulieferern, § 6 Abs. 4 Nr. 1 LkSG 101 Gemäß § 6 Abs. 4 Nr. 1 LkSG muss das Unternehmen die menschenrechts- und

umweltbezogenen Erwartungen bei der Auswahl eines unmittelbaren Zulieferers berücksichtigen. Nach der Gesetzesbegründung sollen die menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Erwartungen des Unternehmens, welche gem. § 6 Abs. 2 Nr. 3 LkSG in der Grundsatzerklärung angeführt sind, zum festen Bestandteil einer Lieferantenbewertung gemacht werden.91

102 Das Gesetz setzt mithin die Bewertung sowie – hierauf aufbauend – eine be-

wusste Auswahl der unmittelbaren Zulieferer voraus, wobei jeweils der Aspekt der Vermeidung von menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Risiken zu berücksichtigen ist. Die Bewertungskriterien sowie die Einzelheiten des Bewertungs- und Auswahlverfahrens werden weder vom Gesetz noch von der Gesetzesbegründung näher konkretisiert. Damit steht dem Unternehmen sowie dessen Organen in Bezug auf die Kriterien der Lieferantenbewertung und -auswahl sowie die Festlegung der diesbezüglichen Verfahrensanforderungen ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu.

103 Um die Erfüllung der Anforderungen des § 6 Abs. 4 Nr. 1 LkSG zu dokumentie-

ren, sollten die Auswahlkriterien sowie das Auswahlverfahren schriftlich festgelegt werden. Die Dokumentation steht dabei inhaltlich in engem Zusammenhang mit der Beschaffungsstrategie sowie den Einkaufspraktiken gem. § 6 Abs. 3 Nr. 2 LkSG, so dass die Regelung in einer einheitlichen Einkaufs- oder Beschaffungsrichtlinie häufig sinnvoll sein wird. In Bezug auf die Lieferantenauswahl werden dabei regelmäßig die folgenden Prozessschritte zu unterscheiden sein: – Die Festlegung der Anforderungen an die unmittelbaren Zulieferer; – die Informationsbeschaffung; – die risikobasierte Bewertung der Zulieferer; sowie – die Entscheidung über die Zuliefererauswahl.

90 FAQ X. 1. des BMAS zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. 91 BT-Drucks. 19/28649, 47.

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a) Definition von Anforderungen an den Zulieferer In einem ersten Schritt sind die abstrakten Anforderungen zu definieren, die 104 vom Unternehmen an dessen unmittelbare Zulieferer gestellt werden. Den Ausgangspunkt bilden hierbei regelmäßig die in der Grundsatzerklärung aufgeführten menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Erwartungen i.S.v. § 6 Abs. 2 Nr. 3 LkSG. Daneben sind konkrete Vorgaben zu definieren, welche von dem potentiellen 105 Geschäftspartner vor Etablierung der Geschäftsbeziehung zu erfüllen sind. Hierbei bietet sich das Format einer Checkliste an. In Betracht kommen hierbei neben der Vorlage einer vollständigen Lieferanten-Selbstauskunft die Bereitstellung weiterer Informationen, die Anerkennung des Supplier Code of Conduct, die Abgabe von vertraglichen Zusicherungen gem. § 6 Abs. 4 Nr. 2 sowie die Akzeptanz weiterer Kontrollmaßnahmen i.S.v. § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG. In Betracht kommt ferner die Erforderlichkeit von Zertifizierungen, Auditnachweisen, Gütelabeln etc. Auch kann ein „Null-Toleranz-Bereich“ definiert werden, mithin bestimmte Kriterien, deren Vorliegen der Aufnahme einer Geschäftsbeziehung in jedem Fall entgegensteht.92 Hierzu zählen regelmäßig u.a. Kinderarbeit, Menschenhandel oder die Abholzung von Urwäldern.93 Zudem sollten Vorgaben dafür erstellt werden, wie mit Zulieferern zu verfahren ist, welche die definierten Anforderungen und Erwartungen nach Aufnahme der Geschäftsbeziehung nicht erfüllen.94 Die Definition der Anforderungen muss nicht für alle Zulieferer einheitlich er- 106 folgen. Möglich ist vielmehr ein risikobasierter Ansatz. Danach kommt etwa die Einteilung der Zulieferer in verschiedene Risikokategorien in Betracht,95 wobei die zu erfüllenden Anforderungen für jede Risikokategorie unterschiedlich ausgestaltet werden können (z.B. für Zulieferer der Kategorien A, B, C oder D). Für die Bildung der Risikokategorien kann – etwa im Rahmen eines Scoring-Systems – auf quantitative Gesichtspunkte, qualitative Gesichtspunkte oder eine Kombination hiervon abgestellt werden. In Betracht kommen insoweit etwa ein Abstellen auf die strategische Relevanz des Zulieferers, das Einkaufsvolumen, abstrakte Länderrisiken (OECD, Nicht-OECD, Least Developed Country), spezifische Länderrisiken, Branchenrisiken oder Risiken im Zusammenhang mit der Anwendung von bestimmten Produktionsverfahren oder dem Einsatz bestimmter Rohstoffe oder Rohmaterialien.96 92 Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 160. 93 Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 40. 94 Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 10. 95 Praxishilfe Lieferantenüberprüfung des Helpdesks Wirtschaft & Menschenrechte der Agentur für Wirtschaft & Entwicklung, Perspektive 1, 5. s. für ein Beispiel einer Entscheidungsmatrix hierfür: Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 8. 96 Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 7 ff.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen b) Einholung von Informationen 107 Die Lieferantenbewertung setzt voraus, dass dem verpflichteten Unternehmen

hinreichende Informationen über die potentiellen Geschäftspartner zur Verfügung stehen. Erforderlich ist insoweit ein angemessenes Informationsniveau, welches unter Berücksichtigung des konkreten Risikopotentials sowie der relevanten Begleitumstände eine sachgerechte Entscheidung über etwaige menschenrechtliche sowie umweltbezogene Risiken sowie die zu deren Vermeidung erforderlichen Maßnahmen ermöglicht.

108 Grundlage der Informationsbeschaffung bildet regelmäßig die Selbstauskunft

des Lieferanten („Supplier Self-Assessment“).97 Diese sollte auf Basis eines vom Unternehmen vorgegebenen Formats abgefragt und erteilt werden (insbesondere Online-/Offline-Fragebogen). Dabei existieren teilweise von Branchen-Initiativen entwickelte standardisierte Auskunfts-Fragebögen, in der Automobilbranche etwa das Self-Assessment Questionnaire on CSR and Sustainability der europäischen Automotive Working Group on Supply Chain Sustainability. Die Verwendung von entsprechenden branchenweiten Standards wird vielfach sinnvoll sein, um den Prozess der Informationsgewinnung sowohl für das verpflichtende Unternehmen als auch für die Zulieferer zu vereinfachen und effizienter zu gestalten.

109 Ob und ggf. welche weiteren Informationen zusätzlich zu der Selbstauskunft

erforderlich sind, richtet sich nach der individuellen Risikosituation. Bei Zulieferern mit niedrigem Risikopotenzial wird eine vollständige und aussagekräftige Eigenauskunft vielfach ausreichend sein.98 Besteht ein erhöhtes (abstraktes oder konkretes) Risikopotenzial (z.B. bei festgestellten Verstößen in der Vergangenheit), ist demgegenüber regelmäßig die Einholung von zusätzlichen Informationen geboten. Nach Ermessen des verpflichteten Unternehmens kommen in Betracht: – Eigenrecherchen (Internet, Online-Datenbanken, Social Media etc.), – Besuche vor Ort, – Eigenaudits durch das verpflichtete Unternehmen, – Audits durch Dritte, – Analysen oder Zertifizierungen von spezialisierten Dienstleister oder Brancheninitiativen.

110 Dabei ist auch insoweit von einem risikobasierten Ansatz auszugehen: Je

größer die potentiellen Risiken, desto höher sind die Anforderungen an den Umfang der vor Etablierung der Geschäftsbeziehung einzuholenden Informa97 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 92. Zu den Inhalten des Self Assessments vgl. auch Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 10. 98 Vgl. Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 43.

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tionen.99 Auch insoweit bietet es sich an, die Zulieferer in vordefinierte Risikokategorien einzuteilen und auf dieser Grundlage im Rahmen eines abgestuften Konzepts die Anforderungen an die jeweils erforderlichen Informationen festzulegen. c) Lieferantenbewertung und -auswahl Auf Grundlage der eingeholten Informationen hat die Bewertung und Auswahl 111 der unmittelbaren Zulieferer zu erfolgen. Im Rahmen der Lieferantenbewertung wird regelmäßig zu berücksichtigen 112 sein, ob der Lieferant für das Unternehmen von strategischer Bedeutung ist. Je stärker das Unternehmen von einem Lieferanten abhängig ist, umso wichtiger ist die Beurteilung von Risiken, welche aus der Zusammenarbeit entstehen können.100 Zu berücksichtigen ist ferner das Einkaufsvolumen, welches u.a. eine Aussage darüber zulässt, welchen Einfluss das Unternehmen auf den Lieferanten ausüben kann.101 Des Weiteren sind abstrakte und spezifische Länderrisiken, Branchenrisiken oder Risiken im Zusammenhang mit der Anwendung von bestimmten Produktionsverfahren oder dem Einsatz bestimmter Rohstoffe oder Rohmaterialien zu berücksichtigen. Die für die Bewertung des Lieferanten wesentlichen Punkte sollten in einer Ent- 113 scheidungsmatrix zusammengefasst werden.102 Auf Grundlage der Bewertung kann die Einstufung des Lieferanten in eine bestimmte Risikokategorie erfolgen. Das Ergebnis der Bewertung bzw. der Risikoeinstufung des Lieferanten bilden die Grundlage dafür, welche weiteren Präventions- sowie Kontrollmaßnahmen gem. § 6 Abs. 4 LkSG in Bezug auf den jeweiligen Lieferanten risikoangemessen und erforderlich sind. Im Anschluss sowie auf Grundlage der Bewertung hat die Lieferantenauswahl zu 114 erfolgen. In diesem Rahmen sind die menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Erwartungen gem. § 6 Abs. 2 Nr. 3 LkSG, die Beschaffungsstrategie sowie die Einkaufspraktiken gem. § 6 Abs. 3 Nr. 2 LkSG sowie die zusätzlichen, im Rahmen von § 6 Abs. 4 Nr. 1 LkSG definierten Anforderungskriterien zu berücksichtigen. Der Bewertungs- sowie Auswahlprozess sollte angemessen dokumentiert wer- 115 den. Dabei sollte zum Nachweis sowie zur Vermeidung von Haftungsrisiken je99 Vgl. Praxishilfe Lieferantenüberprüfung des Helpdesks Wirtschaft & Menschenrechte der Agentur für Wirtschaft & Entwicklung, Perspektive 1, 1.; Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 44 f. 100 Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 7. 101 Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 7. 102 Vgl. das Beispiel in Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 8.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen denfalls für wesentliche Zulieferer festgehalten werden, in welcher Form menschenrechts- sowie umweltbezogene Belange bei der Auswahlentscheidung berücksichtigt wurden. 116 Erfüllt ein potentieller unmittelbarer Zulieferer (noch) nicht sämtliche men-

schenrechtlichen und/oder umweltbezogenen Erwartungen, so kann er dennoch ausgewählt werden, wenn die Erfüllung der Anforderungen nach vernünftiger Einschätzung des verpflichteten Unternehmens durch angemessene Maßnahmen, etwa durch die Vereinbarung von diesbezüglichen Zusicherungen, die Durchführung von Schulungen sowie angemessene Kontrollmaßnahmen erreicht werden kann103 Dies entspricht dem Prinzip „Befähigung vor Rückzug“, welches den VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von 2011 (UN doc A/HRC/17/31)104 und insbesondere auch § 7 LkSG zugrunde liegt. Jedoch sind an die Herbeiführung sowie Prüfung der Erwartungen in diesem Fall erhöhte Anforderungen zu stellen. Ist eine Erfüllung der menschenrechtlichen und/oder umweltbezogenen Erwartungen auch in Zukunft nach verständiger Einschätzung nicht zu erwarten, muss auf diesen Zulieferer verzichtet werden, um Sanktionsrisiken zu vermeiden. Dasselbe kann gelten, wenn der Zulieferer Anforderungen nicht erfüllt, welche dem von dem verpflichteten Unternehmen definierten „Null-Toleranz-Bereich“ zuzuordnen sind (dazu oben Rz. 105).

117 Erfüllt ein bereits bestehender unmittelbarer Zulieferer nicht (mehr) sämtliche

menschenrechtlichen und/oder umweltbezogenen Erwartungen des Unternehmens, besteht von Gesetzes wegen ebenfalls keine unabdingbare Notwendigkeit, die Geschäftsbeziehung sofort zu beenden. Die Beendigung der Geschäftsbeziehung ist nach § 7 Abs. 3 LkSG lediglich als ultima ratio vorgesehen. Vielmehr kann und sollte versucht werden, die bestehenden oder sich vertiefenden Risiken durch Befähigung des Zulieferers zu vermindern, etwa mithilfe von Schulungen, Weiterbildungsangeboten, die Aufnahme von zusätzlichen vertraglichen Zusicherungen sowie eine Intensivierung der Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen.105 Ist die Erfüllung der Erwartungen trotz angemessener Bemühungen auch in Zukunft nicht zu erwarten oder ist der Zulieferer dazu nicht fähig oder willens, so ist unabhängig von einem konkreten Verletzungstatbestand die Beendigung der Geschäftsbeziehung in Betracht zu ziehen. 2. Zusicherung, § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG

118 Gemäß § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG hat das Unternehmen die vertragliche Zusiche-

rung des unmittelbaren Zulieferers einzuholen, dass dieser die von der Geschäfts-

103 Vgl. Praxishilfe Lieferantenüberprüfung des Helpdesks Wirtschaft & Menschenrechte der Agentur für Wirtschaft & Entwicklung, Perspektive 1, 5.; vgl. Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e. V., 2017, S. 15. 104 Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 107. 105 Vgl. Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 46.

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leitung des Unternehmens verlangten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Erwartungen einhält und entlang der Lieferkette angemessen adressiert. Gegenstand der Zusicherung sind nach dem Gesetzeswortlaut die „von der Ge- 119 schäftsleitung des Unternehmens verlangten menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Erwartungen“. Auch wenn der Gesetzeswortlaut insoweit eine gewisse Unschärfe aufweist, dürften hiermit die menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen gemeint sein, welche in der Grundsatzerklärung gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 3 LkSG festgelegt wurden. a) Inhalt der Zusicherung Der unmittelbare Zulieferer hat vertraglich zuzusichern, dass er die menschen- 120 rechts- und umweltbezogenen Erwartungen des verpflichteten Unternehmens einhält und entlang der Lieferkette angemessen adressiert. Die gemäß § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG einzuholende Zusicherung hat inhaltlich einen 121 doppelten Bezugspunkt: Das verpflichtete Unternehmen soll erstens seinerseits seine unmittelbaren Zulieferer bereits bei Vertragsschluss verpflichten, die menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen des Unternehmens in ihren eigenen Geschäftsbereichen einzuhalten. Zweitens sollen die unmittelbaren Zulieferer verpflichtet werden, die menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen ihrerseits entlang der eigenen Lieferkette gegenüber den eigenen Vorlieferanten angemessen zu „adressieren“.106 Während die Verpflichtung der unmittelbaren Zulieferer, die menschenrechts- 122 und umweltbezogenen Erwartungen ihrerseits einzuhalten, relativ eindeutig ist, gilt dies nicht für die Erwartungen entlang der Lieferkette. Welche Anforderungen an das „Adressieren“ der Erwartungen entlang der weiteren Lieferkette zu stellen sind, wird sich voraussichtlich erst in der Praxis konkretisieren müssen. Nach der Gesetzesbegründung soll durch vertragliche Ausgestaltung sichergestellt werden, dass die menschenrechtsbezogenen Erwartungen auch in der weiteren Lieferkette – d.h. durch Vorlieferanten – erfüllt werden, was etwa durch Vereinbarung von Weitergabeklauseln erfolgen könne. Hierdurch werde der Vertragspartner verpflichtet, den Lieferantenkodex auch gegenüber seinen eigenen Vertragspartnern durch geeignete vertragliche Regelungen durchzusetzen.107 Das vorstehende Verständnis, wonach die unmittelbaren Zulieferer ihre eigenen 123 Zulieferer zur Einhaltung der menschenrechts- sowie umweltbezogenen Erwartungen des Unternehmens „verpflichten“ müssen, ist vom Wortlaut des Gesetzes nicht gedeckt. Dem Gesetzgeber wäre es möglich gewesen, eine verbindliche „Weitergabeverpflichtung“ jedenfalls in Bezug auf die direkten Vorlieferanten der unmittelbaren Zulieferer zu regeln. Hiervon wurde indes abgesehen. Stattdessen ist der unmittelbare Zulieferer lediglich zu verpflichten, die menschen106 BT-Drucks. 19/28649, 47. 107 BT-Drucks. 19/28649, 47.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen rechts- sowie umweltbezogenen Erwartungen in der eigenen Lieferkette angemessen zu „adressieren“. Dies bedeutet nach dem Wortsinn gerade nicht, dass die menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Erwartungen des verpflichteten Unternehmens durch unmittelbare Zulieferer „eins zu eins“ in der weiteren Lieferkette weitergeben werden müssen. Welche Anforderungen an ein „Adressieren“ zu stellen sind, ist offen. Insoweit dürfte zumindest erforderlich sein, dass die Risiken sowie die diesbezüglichen Erwartungen durch den unmittelbaren Zulieferer gegenüber dessen Vorlieferanten thematisiert sowie auf angemessene Maßnahmen zur Risikominimierung hingewirkt wird. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung, die mittelbaren Zulieferer ihrerseits verbindlich auf die Einhaltung der menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Erwartungen des verpflichteten Unternehmens oder gar dessen Lieferantenkodex zu verpflichten, lässt sich aus § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG entgegen den missverständlichen Ausführungen der Gesetzesbegründung nicht ableiten. 124 Der Begriff der vertraglichen „Zusicherung“ wird vom Gesetz nicht näher de-

finiert. Erforderlich ist nach allgemeinem Verständnis eine Übernahme einer verbindlichen vertraglichen Verpflichtung des unmittelbaren Zulieferers, die jeweiligen Vorgaben zu erfüllen. Um die notwendige Verbindlichkeit herbeizuführen, sind flankierende Abhilfemaßnahmen und -instrumente empfehlenswert, sofern die Verpflichtung nicht erfüllt werden sollte. Denkbar wären Abmahnungen, Fristsetzungen, Eskalationsprozesse, Kündigungs- oder Rücktrittsrechte, verschuldensunabhängige Garantien, Freistellungsverpflichtungen für Bußgelder oder Vertragsstrafeversprechen im rechtlich zulässigen Umfang.

125 Form, Inhalt und Ausgestaltung der vertraglichen Zusicherung wird vom

LkSG ebenfalls nicht näher vorgegeben. Nach der Gesetzesbegründung soll das Unternehmen vertraglich festlegen, welche Anforderungen der Vertragspartner bei der Auftragsübernahme beachten muss, um bestimmten, in der Risikoanalyse identifizierten menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Risiken vorzubeugen oder diese zu minimieren.108 Zusätzlich könne das Unternehmen gegebenenfalls vertraglich festschreiben, dass der unmittelbare Zulieferer bestimmte Produkte nur von ausgewählten, zuvor geprüften Lieferanten beziehen darf oder nachweisen muss, dass bestimmte Produkte aus zertifizierten Regionen oder Rohstoffe aus zertifizierten Schmelzen kommen (z.B. Chain of Custody Zertifizierung).109 Diese gesetzgeberische Vorstellung dürfte aus Praxissicht indes wohl nur selten realisierbar sein, da sich Zulieferer – von Einzelfällen abgesehen – wohl nur mit erheblichem Widerstand ungewollte Vertragspartner bzw. Vorlieferanten „aufzwingen“ lassen werden.

126 Die Verpflichtung soll nach der Gesetzesbegründung ferner so ausgestaltet wer-

den, dass die Anforderungen auch nach Vertragsschluss abhängig von den Ergebnissen der Risikoanalyse angepasst werden können.110 Der Gesetzgeber hat 108 BT-Drucks. 19/28649, 47. 109 BT-Drucks. 19/28649, 48. 110 BT-Drucks. 19/28649, 47.

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hierbei offenbar den Fall vor Augen, dass sich die Risikosituation des Zulieferers nach Vertragsschluss so ändert, dass zur Vermeidung von menschenrechtsoder umweltbezogenen Risiken eine Anpassung der vertraglichen Regelung erforderlich wird. Dies setzt die Vereinbarung von entsprechenden vertraglichen Öffnungsklauseln oder Vertragsanpassungsrechten voraus.111 Trotz der neuen gesetzlichen Anforderungen bleibt es in der Geschäftspraxis vo- 127 raussichtlich weiterhin ein sensibles Unterfangen, Zulieferern weitreichende Verpflichtungen aufzuerlegen. Häufig stehen sich (zumindest in den Details) unterschiedlich strukturierte und über Jahre hinweg eingespielte Compliance-Vorgaben gegenüber, sodass Prozessabweichungen beiderseitig mit Schwierigkeiten verbunden sein können. Um auf mehr Akzeptanz seitens der Zulieferer zu stoßen, wird zum Teil erwogen, branchenweit oder -übergreifend harmonisierte Lieferantenkodizes zu nutzen112 oder zumindest auf anerkannte Standards, etwa die UN Global Compact Standards, Bezug zu nehmen.113 Ein Beispiel aus den USA sind die Model Contract Clauses for Human Rights der American Bar Association (ABA MCC).114 Es ist zu erwarten, dass auch in Deutschland von Verbänden oder Brancheninitiativen Musterkodizes oder Klauseln entwickelt werden, auf welche bei der Vertragsgestaltung zurückgegriffen werden kann. Art und Umfang der erforderlichen Zusicherungen unterliegen dem Vorbehalt 128 der Angemessenheit. Dies folgt für die Zusicherung der Adressierung der Menschenrechtserwartungen in der Lieferkette unmittelbar aus § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG, in Bezug auf die Zusicherung zur Einhaltung der Erwartungen im eigenen Geschäftsbetrieb aus §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 4 S. 1 LkSG. Maßgeblich für die Schärfe und den Detaillierungsgrad der vertraglichen Zusicherung ist mithin die konkrete Risikosituation des in Rede stehenden Zulieferers. Gehen von einem Zulieferer nach Einschätzung des Unternehmens keine oder nur minimale Risiken aus, sind die Anforderungen an die erforderlichen Zusicherungen mithin deutlich geringer als bei Zulieferern mit einem höheren Risiko-Score. Während in dem erstgenannten Fall regelmäßig eine generelle Verpflichtung zur Erfüllung der Anforderungen des Lieferantenkodex sowie des LkSG ausreichen wird, bedarf es beim Vorliegen von erhöhten Risiken gegebenenfalls zusätzlicher, spezifischer Regelungen, welche die individuellen Risiken adressieren. In diesem Zusammenhang kann es sich anbieten, abhängig von der Risikoeinstufung des Lieferanten typisierte Musterklauseln mit abgestuften inhaltlichen Anforderungen vorzusehen. Bei der Zusicherung der Adressierung der Erwartungen des verpflichteten Un- 129 ternehmens entlang der Lieferkette durch den unmittelbaren Zulieferer ist das 111 Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 77. 112 Grabosch in Grabosch LkSG, 1. Auflage 2021, § 5 Rz. 96; vgl. OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für Verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, 2018, S. 62. 113 Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 40. 114 Grabosch in Grabosch LkSG, 1. Auflage 2021, § 5 Rz. 96.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen Angemessenheitserfordernis ebenso zu beachten. So wird ein kleiner unmittelbarer Zulieferer die menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen des verpflichteten Unternehmens gegenüber seinen Zulieferern weniger umfangreich adressieren können als ein Großunternehmen, welches aufgrund seiner Bedeutung und Stellung am Markt in der Regel deutlichen Einfluss auf seine Zulieferer ausüben kann. Auch bei großen Unternehmen kann indes nicht ohne weiteres erwartet werden, dass diese uneingeschränkten „Durchgriff“ auf ihre Vorlieferanten haben. Insoweit gilt, dass die Verpflichtung, die menschenrechtlichen Erwartungen in der weiteren Lieferkette zur adressieren, nur soweit gelten kann, wie dies dem verpflichteten Unternehmen sowie dessen unmittelbaren Zulieferern aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten realistisch möglich ist. b) Vereinbarung der Zusicherung 130 Die verbreitetste und zugleich praktikabelste Lösung, um Zulieferer zur Einhal-

tung der menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen zu verpflichten, wird das Vorhalten eines standardisierten Lieferanten- oder Geschäftspartnerkodex (Supplier/Business Partner Code of Conduct) sein, der in die Geschäftsbeziehung mit dem Zulieferer eingebracht wird.115 Die bloße Weiterleitung eines solchen Kodex an den Zulieferer „zur Kenntnis“ begründet indes keine hinreichende Verpflichtung des Geschäftspartners. Eine solche entsteht vielmehr dann, wenn der Kodex in die vertraglichen Regelungen zwischen Unternehmen und Zulieferer in einer Form einbezogen wird, durch die der Inhalt vom Zulieferer, wie von § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG verlangt, als verbindliche Regelung anerkannt wird. Eine solche Anerkennung kann beispielsweise durch eine Gegenzeichnung des Kodex durch den Zulieferer erreicht werden. Hilfreich wird es überdies sein, wenn bei der Formulierung des Kodex darauf geachtet wird, dass die darin enthaltenen Vorgaben nicht lediglich als abstrakte Leitsätze oder Ziele zu verstehen sind, sondern die einzuhaltenden Anforderungen klar und deutlich als Verpflichtungen des Zulieferers beschrieben werden.

131 Neben oder anstelle der Verwendung eines Lieferanten- oder Geschäftspartner-

kodex können die erforderlichen Zusicherungen auch in einem Rahmen- oder Einzelvertrag zwischen Unternehmen und Zulieferer über entsprechende Vertragsklauseln oder Anlagen gegeben werden. Wird im Rahmen der Auftragserteilung lediglich ein Bestellformular verwendet, sollten sich die erforderlichen Regelungen entweder unmittelbar aus dem Bestellformular ergeben oder die Geltung des Kodex in dem Formular vom Besteller als verbindlich anerkannt werden; eine zusätzliche Unterzeichnung des Lieferanten- oder Geschäftspartnerkodex erscheint in diesem Fall unter Vorsichtsgesichtspunkten ratsam.

132 In Betracht kommt schließlich eine Begründung der Zusicherungen über Klau-

seln in den Allgemeinen Einkaufsbedingungen des verpflichteten Unternehmens. Um diese häufig ohnehin bereits umfangreichen Bedingungswerke nicht zu überfrachten, wird es sich indes anbieten, sich darin lediglich auf wesentliche

115 Vgl. Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 160.

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Kernanforderungen zu beschränken und im Übrigen auf den ausführlichen Lieferanten- oder Geschäftspartnerkodex zu verweisen. Dies hat im Übrigen den praktischen Vorteil, dass man bei Änderungen an einem solchen Kodex nicht die Allgemeinen Einkaufsbedingungen ändern muss. c) Allgemeine Geschäftsbedingungen In der Praxis werden mit Zulieferern häufig keine individualvertraglichen, also 133 in allen Details im Einzelnen ausgehandelte Vereinbarungen geschlossen; dies gilt insbesondere bei wiederkehrenden Lieferungen und Leistungen. Stattdessen wird auf vorformulierte bzw. häufiger verwendete Musterverträge oder standardisierte Klauseln in Liefer- oder Rahmenverträgen oder Bestellformularen zurückgegriffen.116 Freilich enthalten auch Lieferanten- oder Geschäftspartnerkodizes und erst recht Allgemeine Einkaufsbedingungen standardisierte Formulierungen. In allen Fällen, in denen die betreffende Lieferbeziehung zum Zulieferer deut- 134 schem Sachrecht untersteht, hat dies zur Folge, dass die vertraglichen Regelungen gemäß § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG, § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG in nahezu allen Fällen als Allgemeine Geschäftsbedingungen zu qualifizieren sein werden. Um die Wirksamkeit der Zusicherung nicht zu gefährden, müssen die verpflichteten Unternehmen daher zusätzlich die Einbeziehungs-, Transparenz- und Wirksamkeitsanforderungen beachten, die das deutsche AGB-Recht (§§ 305 ff. BGB) an derartige Vereinbarungen stellt. Da die §§ 305 ff. BGB zwingendes Recht enthalten117 (vgl. § 306a BGB) und keine rein verbraucherschützenden Vorschriften sind, gelten die dortigen Maßgaben (in nur unerheblich entschärfter Form) grundsätzlich auch im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern i.S.d. § 14 BGB (vgl. § 310 Abs. 1 bis 4 BGB).118 Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) sind gemäß § 305 Abs. 1 BGB alle für 135 eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (hier das verpflichtete Unternehmen als Verwender) der anderen Vertragspartei (hier der Zulieferer) bei oder im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Vertrags stellt. Hierbei ist gleichgültig, ob die Bestimmungen einen äußerlich gesonderten Bestandteil des Vertrags bilden oder in die Vertragsurkunde selbst aufgenommen werden, welchen Umfang sie haben, in welcher Schriftart und -größe sie verfasst (also nicht nur das „Kleingedruckte“) sind und welche Form der Vertrag hat. Ebenso irrelevant sind die wirtschaftliche oder strukturelle Über- oder Unterlegenheit der Vertragsparteien. Dem Verwender werden Vorformulierungen Dritter zugerechnet, etwa bei in Formularbüchern 116 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ, 2021, 230, 235; Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 41. 117 BGH, Urt. v. 20.3.2014 – VII ZR 248/13 = NJW 2014, 1725, Rz. 28 ff. 118 Im internationalen Vergleich wird dies von vielen als erheblicher Standortnachteil für deutsche Unternehmen angesehen, kritisch etwa Heydn, BB 2021, 1421 ff.; Kaufhold, BB 2012, 1235 ff.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen oder im Internet angebotenen Musterklauseln.119 Zudem reicht bereits die erste Verwendung einer Musterklausel aus, wenn eine Mehrfachverwendungsabsicht vorliegt. Allgemeine Geschäftsbedingungen liegen mangels einseitigem Stellen durch den Verwender gemäß § 305 Abs. 1 S. 3 BGB nicht vor, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind. Die hieran zu stellenden Anforderungen sind jedoch hoch: Es bedarf eingehender, ergebnisoffener Erörterungen („Aushandeln“ ist mehr als „Verhandeln“), wobei unklare Klauseln zu erläutern sind und das Aushandeln jeder Klausel gesondert zu prüfen ist. 136 Über AGB können dem Vertragspartner nur dann Verpflichtungen auferlegt wer-

den, wenn die entsprechenden Klauseln wirksam in den betreffenden Vertrag bzw. die Geschäftsbeziehung (z.B. als Rahmenvereinbarung nach § 305 Abs. 3 BGB) einbezogen wurden. Im Rahmen dieser Einbeziehungskontrolle gelten die Voraussetzungen der § 305 Abs. 2 und Abs. 3 BGB im unternehmerischen Bereich nicht (§ 310 Abs. 1 BGB), so dass – anders als im Verkehr mit Verbrauchern – ein besonderer Hinweis auf die Geltung der AGB entbehrlich ist. Es besteht gegenüber unternehmerischen Vertragspartnern im Grundsatz auch keine Verschaffungsobliegenheit, d.h. für eine erfolgreiche Einbeziehung ist es ausreichend, wenn die AGB im Internet abrufbar sind oder sie auf Nachfrage übersendet werden.120 Wenn etwa ein Lieferanten- oder Geschäftspartnerkodex über das Internet bereitgehalten werden soll, ist die ständige Erreichbarkeit der aktuell gültigen Version sicherzustellen und eine Downloadmöglichkeit ist dringend zu empfehlen.

137 Nach § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil werden überraschende Klau-

seln. Dies sind Klauseln, die nach den Umständen objektiv und subjektiv so ungewöhnlich sind, dass der durchschnittliche Vertragspartner nicht damit zu rechnen braucht. Eine derartige Überrumpelungssituation ist bei den hier in Rede stehenden Zusicherungsklauseln indes kaum zu befürchten. Abgesehen davon, dass solche ohnehin bereits heute in vielen Bedingungs- und Vertragswerken in mehr oder weniger ausgeprägter Form zu finden sind, kann es nicht unerwartet sein, dass nach dem LkSG verpflichtete Unternehmen ihren gesetzlichen Verpflichtungen gemäß § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG, § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG nachkommen wollen. Probleme könnten sich hier allenfalls dann ergeben, wenn die entsprechenden Zusicherungsklauseln weit überschießende oder gänzlich atypische Verpflichtungen enthalten oder an vollkommen unerwarteter Stelle im Vertrag versteckt werden.

138 Praktisch weitaus relevanter wird das Risiko sein, dass eine Einbeziehung der

abgeforderten Zusicherung misslingt, weil der Zulieferer der Geltung von fremden AGB durch Abwehrklauseln in seinen eigenen AGB generell widerspricht 119 Vgl. BGH, Urt. v. 17.2.2010 – VIII ZR 67/09 = NJW 2010, 1131, Rz. 10. 120 In den meisten anderen Rechtsordnungen müssen AGB für eine wirksame Einbeziehung übersendet werden; auch unter dem CISG gilt der Übermittlungsgrundsatz (str., ob dafür Abrufbarkeit im Internet genügt; vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 21.12.2015 – 1 SchH 1/15 = BeckRS 2016, 16830, Rz. 23 ff.).

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und/oder gleichzeitig eigene Bedingungen einbeziehen will, sodass sich ggf. widersprechende Regelungen gegenüberstehen. Derartige Fälle von sich widersprechenden AGB (englisch „Battle of the Forms“) führen zu komplexen Auslegungsschwierigkeiten. Die deutsche Rechtsprechung behandelt in diesen Fällen den Vertrag nach den Geboten von Treu und Glauben entgegen §§ 150 Abs. 2, 154 Abs. 1, 155 BGB als geschlossen, wenn dieser trotz der Widersprüche durchgeführt wird, wobei die AGB beider Parteien nur dann und insoweit einbezogen werden, wie sie im Regelungsgehalt miteinander übereinstimmen oder den anderen Vertragsteil begünstigen, im Übrigen aber nicht (sog. Theorie der Kongruenzgeltung, englisch „Knock-out Rule“); vorhandene Regelungslücken füllt das dispositive Gesetzesrecht, das an die Stelle der sich widersprechenden Klauseln tritt (vgl. § 306 Abs. 2 BGB).121 Soweit sich der Dissens auch auf die Zusicherung erstreckt, ist diese nicht wie vorgesehen wirksam vereinbart und es wäre für jeden Einzelfall durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, inwieweit sich die Regelwerke der Vertragsparteien decken. Da dies erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich bringt, sollten verpflichtete Unternehmen angesichts der bußgeldbewehrten gesetzlichen Pflicht aus § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG in derartigen Konstellationen durch zusätzliche Vereinbarungen Klarheit schaffen. Im Rahmen der Angemessenheitskontrolle werden Klauseln als unwirksam 139 ausgeschieden, die den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (vgl. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB).122 Da die geltenden gesetzlichen Maßstäbe wesentlich bestimmen, was im Allgemeinen für angemessen gehalten wird, ist es sehr unwahrscheinlich, dass standardisierte Zusicherungsklauseln mit dem Ziel der Erfüllung der Vorgaben aus § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG, § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG den Vertragspartner unangemessen benachteiligen. Indes wäre es falsch und zu holzschnittartig, diesen Befund als AGB-rechtliche „Carte blanche“ zu verstehen. Der Kontext, in den die entsprechende Zusicherung eingebettet ist, darf nämlich nicht unbeachtet bleiben. Wirksamkeitsrisiken können sich insbesondere dann ergeben, wenn die Zusicherungsverpflichtungen beispielsweise mit einer verschuldensunabhängigen Garantiehaftung, unangemessen hohen Vertragsstrafen oder uferlosen Kontroll- und Auditierungsrechten verbunden werden. Unangemessen benachteiligend sind auch solche Klauseln, die aus Sicht eines 140 durchschnittlichen Vertragspartners nicht klar und verständlich formuliert sind (vgl. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dieses Transparenzgebot gilt unabhängig vom Inhalt der betreffenden Klausel. Dementsprechend müssen auch formularmäßige Zusicherungen der Zulieferer hinreichend transparent formuliert sein. Insbesondere Lieferanten- und Geschäftspartnerkodizes sollten daher einfache 121 Maultzsch in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2021, Vor § 343 Rz. 45; Basedow in MünchKomm/BGB, 8. Auflage 2019, § 305 Rz. 115 ff.; Mäsch in Staudinger, 2019, § 305 BGB Rz. 234 ff.; vgl. BGH v. 32.1.1991 -VIII ZR 122/90, NJW 1991, 1604, 1606; BGH v. 20.3. 1985 – VIII ZR 327/83, NJW 1985, 1838, 1839. 122 Grabosch in Grabosch LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 95; Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 41.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen Satzstrukturen, eine saubere Formatierung, aussagekräftige Überschriften, notwendige Hervorhebungen (z.B. Fettdruck bei Definitionen), sinnvolle Querverweise sowie einheitliche Begrifflichkeiten aufweisen und möglichst wenige (juristische) Fachbegriffe enthalten. Auch Kettenverweise auf eine Vielzahl anderer (ggf. nur schwer auffindbare) Dokumente oder Regelwerke sollten möglichst vermieden werden, insbesondere wenn keine eindeutige Vorrangregelung enthalten ist. Bei Zulieferern aus dem Ausland sollte der Kodex in der in der Geschäftsbeziehung verwendeten Sprache vorgehalten werden. d) Musterklauseln 141 Eine Klausel zur Umsetzung der Vorgaben des § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG in einem

Einzel- oder Rahmenvertrag mit einem unmittelbaren Zulieferer unter Verweis auf einen gesondert bestehenden Business Partner Code of Conduct könne wie folgt lauten:

142 M1 Einhaltung von Gesetzen und der Vorgaben des Businesspartner Code of

Conduct 1.1 Es ist das unternehmerische Selbstverständnis des Kunden und zugleich die Erwartung an alle Geschäftspartner, dass im Hinblick auf die Geschäftsbeziehungen zu dem Kunden alle jeweils anwendbaren Gesetze und die branchenüblichen unternehmensethischen Standards eingehalten werden. Der Lieferant ist daher verpflichtet, im Zusammenhang mit dem Vertragsverhältnis alle für den Vertragsgegenstand maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten sowie den ihm von dem Kunden übermittelten Businesspartner Code of Conduct (BPCode) und die darin geregelten spezifischen Vorgaben und Pflichten zu beachten. 1.2 Der Lieferant unterstützt den Kunden bei der Umsetzung gesetzlich vorgeschriebener Sorgfaltspflichten-Prozesse durch aktive und wahrheitsgemäße Beteiligung und Mitwirkung. 1.3 Insbesondere im Hinblick auf die in dem BPCode zum Ausdruck kommenden menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen des Kunden gilt – vor dem Hintergrund der Umsetzung der Pflichten des Kunden nach dem deutschen Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten – Folgendes: 1.3.1 Der Kunde ist berechtigt, im Einzelfall im Hinblick auf die Einhaltung der Gesetze und der in dem BPCode aufgeführten Anforderungen weitere Informationen anzufordern und die Einhaltung – höchstens einmal pro Kalenderjahr, es sei denn, es besteht ein berechtigter Überprüfungsanlass – nach vorheriger Ankündigung und innerhalb der üblichen Geschäftszeiten bei dem Lieferanten selbst oder durch externe Experten im Einklang mit den jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen vor Ort zu prüfen. Bei jeder Überprüfung ist den berechtigten Geheimhaltungsinteressen des Lieferanten Rechnung zu tragen und die Geschäftsabläufe sind möglichst nicht zu beeinträchtigen.

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1.3.2 Der Lieferant ist verpflichtet, die Einhaltung der in dem BPCode geregelten Grundsätze und Pflichten durch entsprechende vertragliche Vorgaben gegenüber seinen unmittelbaren Zulieferern sicherzustellen und diese zu verpflichten, die Verpflichtung zur Einhaltung der Grundsätze entlang der für den Kunden relevanten Lieferkette ihrerseits an ihre unmittelbaren Zulieferer weiterzugeben. 1.3.3 Der Lieferant wird geeignete Compliance-Weiterbildungsmaßnahmen konzipieren und durchführen, in denen den Führungskräften und Mitarbeitern seines Unternehmens ein angemessener Kenntnisstand und ein angemessenes Verständnis der in dem BPCode geregelten Grundsätze und der geltenden Gesetze vermittelt wird. Der Kunde unterstützt den Lieferanten bei der Umsetzung dieser Anforderungen durch gezielte Informationen und Schulungen. 1.3.4 Verstößt der Lieferant in erheblichem Maße gegen die in dem BPCode enthaltenen Grundsätze und Pflichten, ist der Kunde – unbeschadet etwaiger anderer vertraglicher Rechtsbehelfe – nach Maßgabe der für das Vertragsverhältnis geltenden gesetzlichen Regelungen (insbesondere zu Fristsetzung und Abmahnung) berechtigt, die Geschäftsbeziehung zu dem Lieferanten durch außerordentliche Kündigung zu beenden. Es steht im Ermessen des Kunden, auf eine Kündigung zu verzichten und dem Lieferanten aufzugeben, unverzüglich ein Konzept zur Beendigung oder Minimierung des Verstoßes und zur Vermeidung zukünftiger Verstöße zu erstellen und umzusetzen. Während der Dauer der Umsetzung des Konzepts steht es dem Kunden frei, die Geschäftsbeziehung temporär auszusetzen. 1.3.5 Der Lieferant wird jede Änderung dieses § [x], die für den Kunden aufgrund wesentlicher Ergebnisse der jährlich oder anlassbezogen durchzuführenden Risikoanalyse nach dem deutschen Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten erforderlich ist, prüfen und berücksichtigen. 1.4 Der Lieferant wird darüber hinaus zumutbare und erforderliche Anstrengungen unternehmen, um die Einhaltung der ihn nach diesem § [x] und dem BPCode treffenden Verpflichtungen durch seine Zulieferer sicherzustellen. 3. Schulungen, § 6 Abs. 4 Nr. 3 LkSG Als weitere Präventionsmaßnahme gegenüber unmittelbaren Zulieferern sieht 143 § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG die Durchführung von Schulungen und Weiterbildungen zur Durchsetzung der vertraglichen Zusicherungen des unmittelbaren Zulieferers vor. Die Regelung bezieht sich, auch wenn dies im Wortlaut nicht ausdrücklich zum 144 Ausdruck kommt, auf die Durchführung von Schulungen und Weiterbildungen unmittelbar gegenüber den Beschäftigten des unmittelbaren Zulieferers. Sie ergänzt damit die Regelung in § 6 Abs. 3 Nr. 3 LkSG, welche die Durchführung Ott

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen von Schulungen im eigenen Geschäftsbetrieb des verpflichteten Unternehmens vorsieht. 145 Art, Inhalt und Umfang der Schulung werden im Gesetz oder der Gesetzes-

begründung nicht näher erläutert. Nach dem Gesetzeswortlaut haben die Schulungen „zur Durchsetzung der vertraglichen Zusicherungen“ des unmittelbaren Zulieferers nach § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG zu erfolgen. Die vertraglichen Zusicherungen beziehen sich auf die Einhaltung der menschenrechts- sowie umweltbezogenen Erwartungen des verpflichteten Unternehmens sowie deren Adressierung in der weiteren Lieferkette. Daraus kann abgeleitet werden, dass sich die Schulungen auf (i.) die Vermittlung der menschenrechts- sowie umweltbezogenen Erwartungen des Unternehmens, (ii.) die diesbezüglichen Verpflichtungen des Lieferanten im eigenen Geschäftsbetrieb sowie gegenüber Vorlieferanten sowie (iii.) die Rechte des Unternehmens zur Kontrolle und Durchsetzung der Erwartungen zu beziehen haben.

146 Die Art der Schulung liegt im Ermessen des verpflichteten Unternehmens. In

Betracht kommen Präsenzschulungen, Schulungen über Video-Konferenzen, über E-Learning Plattformen oder durch aufgezeichnete Videos. Möglich ist insoweit die Einzelschulung von Lieferanten, aber auch die gemeinsame Schulung der Vertreter von verschiedenen Lieferanten im Rahmen eines Gruppentrainings. Maßgeblich ist, dass durch die jeweilige Maßnahme der Zweck der Schulung, den Zulieferer über die menschenrechts- sowie umweltbezogenen Erwartung des Unternehmens zu unterrichten und zu deren Einhaltung anzuhalten und ggf. auch zu befähigen, erreicht werden kann.

147 Auch in Bezug auf Art und Umfang der Schulung gilt dabei der Grundsatz der

Angemessenheit. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls, bezogen auf den konkreten Zulieferer. Handelt es sich bei dem Zulieferer um ein großes Unternehmen, welches über eine Vielzahl von Kunden verfügt, bereits für das Thema Menschenrechte und Umweltstandards sensibilisiert ist und in entsprechende Auditierungs- oder Zertifizierungssysteme eingebunden ist, wird der Schulungsbedarf regelmäßig geringer sein als bei kleineren Zulieferern, welche über wenige Kunden verfügen und ggf. zusätzlich bestimmte länder-, branchenoder produktspezifischen Risiken unterliegen.

4. Kontrollmechanismen, § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG 148 Als weitere Präventionsmaßnahme sieht § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG schließlich die

Vereinbarung angemessener vertraglicher Kontrollmechanismen sowie deren risikobasierte Durchführung vor, um die Einhaltung der Menschenrechtsstrategie bei dem unmittelbaren Zulieferer zu überprüfen.

149 Die Regelung beinhaltet eine zweifache Verpflichtung: Einerseits die Verpflich-

tung zur Vereinbarung angemessener vertraglicher Kontrollmechanismen mit dem unmittelbaren Zulieferer. Andererseits die Verpflichtung zur Durchführung von risikobasierten Kontrollmaßnahmen bei unmittelbaren Zulieferern. 446

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Sowohl die Pflicht zur Vereinbarung als auch die Pflicht zur Durchführung von Kontrollmaßnahmen beziehen sich dabei nach dem Gesetzeswortlaut auf die Menschenrechtsstrategie des Unternehmens. Eine Verpflichtung zur Überprüfung der umweltbezogenen Erwartungen besteht nach dem Gesetzeswortlaut nicht; auch die Gesetzesbegründung bezieht sich ausschließlich auf die Überprüfung der Einhaltung der menschenrechtsbezogenen Standards, wohingegen die Einhaltung der menschenrechtsbezogenen Erwartungen keine Erwähnung findet. Als Kontrollmechanismen kommen grundsätzlich in Betracht: – Selbstauskunft durch Lieferanten (Self-Assessment); – Besuche/Quick Checks vor Ort; – Interne Audits durch das Unternehmen; – Externe Audits durch Dritte; – Inanspruchnahme von anerkannten Zertifizierungs- oder Audit-Systemen.123

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Voraussetzung ist, dass die jeweilige Kontrollmaßnahme unter Berücksichtigung 151 der Umstände des Einzelfalls eine unabhängige und angemessene Überprüfung der Einhaltung der Vorgaben des verpflichteten Unternehmens ermöglicht.124 Abhängig von der Risikosituation im Einzelfall kommen auch schriftliche Self-Assessment-Fragebögen als Kontrollmaßnahme in Betracht; die FAQ des BMAS stellen insoweit indes klar, dass das bloße Vertrauen auf eine schriftliche Zusicherung grundsätzlich nicht ausreichend ist, um die Sorgfaltspflichten des LkSG zu erfüllen.125 Dies bedeutet indessen nicht, dass (regelmäßig aktualisierte) Fragebögen mit Selbstauskünften nicht als Bestandteil eines Kontrollkonzepts eine sinnvolle Bedeutung haben können. Dies gilt namentlich bei Lieferanten mit einem niedrigen Risikoscore; dagegen werden bei Lieferanten mit hohem Risikoscore in der Regel zusätzliche Kontrollmaßnahmen erforderlich sein. Die entsprechenden Kontrollmöglichkeiten sind vertraglich zu vereinbaren. 152 Hierzu wird auf die Ausführungen zu § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG verwiesen (dazu Rz. 118 ff.). Erforderlich ist ferner die risikobasierte Durchführung der Kontrollmaßnah- 153 men. Dem Grundsatz der Angemessenheit kommt in Bezug auf die Ausgestaltung der Kontrollmaßnahmen erhebliche Bedeutung zu. Das Gesetz verfolgt insoweit ausdrücklich einen risikobasierten Ansatz. Dies bedeutet, dass Art, Umfang und Intensität der gebotenen Kontrollen für das verpflichtete Unternehmen nicht einheitlich zu bestimmen sind, sondern von der spezifischen Risikosituation des jeweiligen Lieferanten abhängig sind. Dem Sinn und Zweck der Norm entspricht insoweit eine deutliche Fokussierung des Kontroll- und Überwachungsaufwands auf Lieferanten mit erhöhtem Risiko für Menschenrechts- oder Umwelt123 BT-Drucks. 19/28649, 48. Vgl. auch Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 1 ff. 124 BT-Drucks. 19/28649, 48. 125 FAQ X. 3. des BMAS zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen verstöße. Empfehlenswert ist ein abgestuftes Vorgehen: bei Lieferanten mit niedrigem Risikoprofil genügen grundsätzlich einfache Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen, etwa eine regelmäßig aktualisierte Selbstauskunft oder Überprüfungen auf Stichprobenbasis. Gehört der Lieferant einer höheren Risikokategorie an, sind zusätzliche Kontrollmaßnahmen erforderlich; hierzu können etwa Zertifizierungen, eigene Audits oder Audits durch sachverständige Dritte zählen. Hat das Unternehmen Kenntnis von dem konkreten Risiko eines gewichtigen Verstoßes, bestehen die höchsten Anforderungen an die Kontrolle und Überwachung. Ein bloßes Vertrauen auf die eigenen Angaben des Lieferanten reicht in diesem Fall regelmäßig nicht aus, um den Sorgfaltsanforderungen zu genügen. 154 Die Gesetzesbegründung weist darauf hin, dass das Unternehmen durch die Be-

auftragung externer Dritter nicht von seiner Verantwortung nach dem LkSG entbunden werde;126 das LkSG enthält insoweit keine Safe Harbour-Regelung.127 Allerdings dürfte die Einholung einer anerkannten Zertifizierung hinsichtlich der nach dem Gesetz geschuldeten Menschenrechts- und Umweltstandards regelmäßig ausreichen, um die Sorgfaltspflichten des verpflichteten Unternehmens zu erfüllen.128 In Betracht kommen hier insbesondere Zertifizierungen nach der ISO 37301,129 dem SA8000:2014 Standard,130 OHSAS 18001 oder nach der ISO 26000.131 Voraussetzung hierfür ist indes, dass die im Rahmen der Risikoanalyse ermittelten Risiken von der Zertifizierung vollständig abgedeckt werden; erforderlich ist ferner, dass die Zertifizierung durch einen anerkannten und unabhängigen Dienstleister erfolgt ist und keine Anhaltspunkte für eine Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Zertifizierung oder des Zertifizierungsprozesses bestehen.

155 Darüber hinaus kann der Einsatz von Softwarelösungen und neuen Techno-

logien zusätzliche Kontrollmöglichkeiten schaffen.132 Insbesondere die Blockchain-Technologie wird im Bereich der Lieferkettenkontrolle erprobt, da sie Lösungen bei der Rückverfolgbarkeit von Rohstoffen, der Verlässlichkeit von öffentlichen Registern, der Echtheit von Zertifikaten und der regelmäßigen Lohnzahlung bieten kann.133 Auch Systemen im Bereich der künstlichen Intelligenz kann unterstützende Wirkung bei der Kontrolle zukommen.134 Eine Verpflich126 127 128 129 130 131

BT-Drucks. 19/28649, 48. Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 109. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 235. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 235. Dutzi/Schneider/Hasenau, DK 2021, 454, 459. Dutzi/Schneider/Hasenau, DK 2021, 454, 462; MVO Nederland, Schritte des CSR-Risikomanagements, Stand: Dezember 2020, S. 10. 132 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 236; Ekkenga/Erlemann, ZIP 2022, 49, 54; Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 101 ff. 133 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 101 ff. 134 Beispielsweise als Frühwarnsystem, s. etwa hier: https://www.welt.de/sponsored/porsche/ sustainability/article231980017/Lieferkette-Das-Fruehwarnsystem-fuer-Nachhaltigkeitbei-Porsche.html, zuletzt abgerufen am 31.1.2022.

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tung, derartige Systeme zusätzlich zu den herkömmlichen Kontrollmechanismen einzusetzen, besteht indes nicht. Die Gesetzesbegründung deutet darauf hin, dass Kontrollmaßnahmen nicht nur 156 in Bezug auf die unmittelbaren, sondern auch in Bezug auf mittelbare Zulieferer erforderlich sind, wobei eine Fokussierung auf strategisch relevante Zwischenhändler und Zulieferer zu erwägen sei.135 Eine Erstreckung der Kontrollpflicht auf mittelbare Zulieferer findet im Gesetzeswortlaut keine Grundlage. § 6 Abs. 4 Nr. 3 bezieht die Kontrollmaßnahmen ausdrücklich auf die Einhaltung der Menschenrechtsstrategie bei unmittelbaren Zulieferern. Die Durchführung von Kontrollmaßnahmen bei mittelbaren Zulieferern ist demgegenüber in § 6 Abs. 4 Nr. 3 LkSG nicht vorgesehen, sondern lediglich anlassbezogen gem. § 9 Abs. 3 LkSG erforderlich.136 Zwar verpflichtet § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG den Zulieferer zu einer angemessenen Adressierung der Menschenrechts- sowie umweltbezogenen Erwartung entlang der Lieferkette. Indes resultiert auch hieraus kein unmittelbares Kontrollerfordernis des verpflichteten Unternehmens gegenüber mittelbaren Zulieferern; Gegenstand der Überwachung sind vielmehr die Maßnahmen des unmittelbaren Zulieferers zur Erfüllung seiner „Adressierungspflicht“ gegenüber den Vorlieferanten.

V. Überprüfung, § 6 Abs. 5 LkSG 1. Überprüfung der Wirksamkeit, § 6 Abs. 5 Satz 1 LkSG § 6 Abs. 5 LkSG sieht die Verpflichtung zu einer regelmäßigen Überprüfung 157 der Präventionsmaßnahmen vor. Erforderlich ist danach eine jährliche Wirksamkeitsprüfung. Daneben sind an- 158 lassbezogene Prüfungen erforderlich, wenn das Unternehmen mit einer wesentlich veränderten oder wesentlich erweiterten Risikolage im eigenen Geschäftsbetrieb oder beim unmittelbaren Zulieferer rechnen muss.137 Grund einer anlassbezogenen Prüfung kann etwa die Einführung neuer Produkte, die Etablierung eines neuen Geschäftsfelds oder der Eintritt in einen neuen Markt sein. Auch generelle Veränderungen des Geschäftsumfelds können Anlass für eine Überprüfung der Wirksamkeit der Präventionsmaßnahmen sein. Voraussetzung für eine anlassbezogene Überprüfungspflicht ist hierbei indes, dass es sich um eine wesentliche Änderung handelt, durch die das verpflichtete Unternehmen mit einer veränderten oder erweiterten Risikolage im eigenen Geschäftsbetrieb oder der Lieferkette rechnen muss.138

135 BT-Drucks. 19/28649, 48. 136 So aber Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 148. A.A. Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 101 ff. 137 BT-Drucks. 19/28649, 48. 138 BT-Drucks. 19/28649, 48.

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§ 6 | Präventionsmaßnahmen 2. Berücksichtigung von Hinweisen, § 6 Abs. 5 Satz 2 LkSG 159 Sowohl Erkenntnisse aus der Bearbeitung von Hinweisen nach § 8 Abs. 1 LkSG,

als auch aus der Durchführung von Streitbeilegungsverfahren nach § 8 Abs. 1 Satz 4 LkSG sind bei der regelmäßigen Überprüfung der Präventionsmaßnahmen zu berücksichtigen.139 3. Unverzügliche Aktualisierung, § 6 Abs. 5 Satz 3 LkSG

160 Sollte im Rahmen einer Wirksamkeitsüberprüfung eine veränderte Risikolage

festgestellt worden sein, sind die Präventionsmaßnahmen unverzüglich zu aktualisieren. Hinsichtlich des Merkmals „unverzüglich“ gilt das zu § 6 Abs. 1 LkSG Gesagte.

139 BT-Drucks. 19/28649, 48.

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§ 7 Abhilfemaßnahmen (1) Stellt das Unternehmen fest, dass die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht in seinem eigenen Geschäftsbereich oder bei einem unmittelbaren Zulieferer bereits eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht, hat es unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, um diese Verletzung zu verhindern, zu beenden oder das Ausmaß der Verletzung zu minimieren. § 5 Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. Im eigenen Geschäftsbereich im Inland muss die Abhilfemaßnahme zu einer Beendigung der Verletzung führen. Im eigenen Geschäftsbereich im Ausland und im eigenen Geschäftsbereich gemäß § 2 Absatz 6 Satz 3 muss die Abhilfemaßnahme in der Regel zur Beendigung der Verletzung führen. (2) Ist die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht bei einem unmittelbaren Zulieferer so beschaffen, dass das Unternehmen sie nicht in absehbarer Zeit beenden kann, muss es unverzüglich ein Konzept zur Beendigung oder Minimierung erstellen und umsetzen. Das Konzept muss einen konkreten Zeitplan enthalten. Bei der Erstellung und Umsetzung des Konzepts sind insbesondere folgende Maßnahmen in Betracht zu ziehen: 1. die gemeinsame Erarbeitung und Umsetzung eines Plans zur Beendigung oder Minimierung der Verletzung mit dem Unternehmen, durch das die Verletzung verursacht wird. 2. der Zusammenschluss mit anderen Unternehmen im Rahmen von Brancheninitiativen und Branchenstandards, um die Einflussmöglichkeit auf den Verursacher zu erhöhen, 3. ein temporäres Aussetzen der Geschäftsbeziehung während der Bemühungen zur Risikominimierung. (3) Der Abbruch einer Geschäftsbeziehung ist nur geboten, wenn 1. die Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht als sehr schwerwiegend bewertet wird, 2. die Umsetzung der im Konzept erarbeiteten Maßnahmen nach Ablauf der im Konzept festgelegten Zelt keine Abhilfe bewirkt, 3. dem Unternehmen keine anderen milderen Mittel zur Verfügung stehen und eine Erhöhung des Einflussvermögens nicht aussichtsreich erscheint. Die bloße Tatsache, dass ein Staat eines der in der Anlage zu diesem Gesetz aufgelisteten Übereinkommen nicht ratifiziert oder nicht in sein nationales Recht umgesetzt hat, führt nicht zu einer Pflicht zum Abbruch der Geschäftsbeziehung. Von Satz 2 unberührt bleiben Einschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs durch oder aufgrund von Bundesrecht, Recht der Europäischen Union oder Völkerrecht. (4) Die Wirksamkeit der Abhilfemaßnahmen ist einmal im Jahr sowie anlassbezogen zu überprüfen, wenn das Unternehmen mit einer wesentlich veränderten oder wesentlich erweiterten Risikolage im eigenen Geschäftsbereich Ott

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen oder beim unmittelbaren Zulieferer rechnen muss, etwa durch die Einführung neuer Produkte, Projekte oder eines neuen Geschäftsfeldes. Erkenntnisse aus der Bearbeitung von Hinweisen nach § 8 Absatz 1 sind zu berücksichtigen. Die Maßnahmen sind bei Bedarf unverzüglich zu aktualisieren. I. Abhilfemaßnahmen . . . . . . . . II. Voraussetzungen der Abhilfeverpflichtung, § 7 Abs. 1 S. 1 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogener Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsverletzung ist eingetreten oder steht unmittelbar bevor . . a) Feststellung . . . . . . . . . . . . . b) Einleitung von angemessenen Abhilfemaßnahmen . . . . . . . c) Verhinderung, Beendigung, oder Minimierung . . . . . . . . d) Unverzüglich . . . . . . . . . . . . e) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . 3. Entsprechende Geltung des § 5 Abs. 1 Satz 2 LkSG, § 7 Abs. 1 Satz 2 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . III. Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich . . . . . . . . . . . 1. Eigener Geschäftsbereich im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmittelbar bevorstehende Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigener Geschäftsbereich im Ausland sowie eigener Geschäftsbetrieb gemäß § 2 Abs. 6 S. 3 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zuständigkeit im Konzern . . . . IV. Verletzung bei unmittelbarem Zulieferer 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Abhilfeverpflichtung 3. Konzept zur Beendigung oder Minimierung, § 7 Abs. 2 Satz 1 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pflicht zur Erstellung eines Beendigungs- oder Minimierungskonzepts . . . . . . . . . . . b) Ausgestaltung, Form und Inhalt des Konzepts . . . . . . .

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5. Maßnahmenkatalog, § 7 Abs. 2 Satz 3 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinsamer Plan zur Beendigung oder Minimierung, § 7 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LkSG aa) Allgemeines . . . . . . . . . bb) Möglicher Inhalt des KorrekturmaßnahmenPlans . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammenschluss mit anderen Unternehmen, § 7 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LkSG . . . . . . . . . c) Aussetzen von Geschäftsbeziehungen, § 7 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 LkSG . . . . . . . . . . . . . V. Abbruch von Geschäftsbeziehungen, § 7 Abs. 3 LkSG . . . . . 1. Abbruchgrund, § 7 Abs. 3 Satz 1 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sehr schwerwiegende Verletzung, § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine eine Abhilfe durch Minimierungskonzept, § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LkSG . . . . c) Keine milderen Mittel, § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 LkSG . . . . 2. Keine Pflicht wegen fehlender Ratifizierung, § 7 Abs. 3 Satz 2 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs, § 7 Abs. 3 Satz 3 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . VI. Überprüfung, § 7 Abs. 4 LkSG 1. Überprüfung der Wirksamkeit, § 7 Abs. 4 Satz 1 LkSG . . . . . . . 2. Berücksichtigung von Hinweisen, § 7 Abs. 4 Satz 2 LkSG . . . 3. Unverzügliche Aktualisierung, § 7 Abs. 4 Satz 3 LkSG . . . . . . .

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80 83 91 95 99

102 103 106 110 112 113 114 116 117

Abhilfemaßnahmen | § 7 Literatur: Brouwer, Noch viele offene Rechts- und Auslegungsfragen zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Hinweise zum VCI-Diskussionspapier zur Umsetzung des LkSG, CCZ 2022, 137; Charnitzky/Weigel, Die Krux mit der Sorgfalt, RIW 2022, 12; Ehmann, Der Regierungsentwurf für das Lieferkettengesetz: Erläuterung und erste Hinweise zur Anwendung, ZVertriebsR 2021, 141; Ehmann, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) kommt!, ZVertriebsR 2021, 205; Ehmann/Berg, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG): ein erster Überblick, GWR 2021, 287; Gailhofer/Verheyen, Klimaschutzbezogene Sorgfaltspflichten: Perspektiven der gesetzlichen Regelung in einem Lieferkettengesetz, ZUR 2021, 402; Gehling/Ott/Lüneborg, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230; Groß, Das „Lieferkettengesetz“: umfassende Handlungspflichten und Notwendigkeit zur Anpassung der Compliance-Management-Systeme zeichnen sich ab, SPA 2021, 69; Harings/Jürgens, Die Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf die Transportwirtschaft, RdTW 2021, 297; Helck, Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten: Worauf sich Unternehmen zukünftig vorbereiten müssen, BB 2021, 1603; Herrmann/Rünz, Praktische Hinweise zur Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, DB 2021, 3078; Krebs, Menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflicht: Der Wettlauf zwischen europäischer und deutscher Rechtssetzung, ZUR 2021, 394; Leuering/Rubner, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NJW-Spezial 2021, 399; Nietsch/Wiedmann, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, CCZ 2021, 101; Niklas/Lex, Das neue Lieferkettengesetz – Ein Überblick über die wesentlichen Inhalte und etwaige arbeitsrechtliche Implikationen, ArbRB 2021, 212; Nietsch/Wiedmann, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, CCZ 2021, 101; Niklas/Lex, Das neue Lieferkettengesetz – Ein Überblick über die wesentlichen Inhalte und etwaige arbeitsrechtliche Implikationen, ArbRB 2021, 212; Reich, Menschenrechts- und Umweltschutz in der Lieferkette, AG 2021, R116; Ritz/von Schreitter: Chain(ed) Reaction? Das Lieferkettengesetz und seine kartellrechtlichen Hürden, NZKart 2022, 251;Scheffler, Sorgfaltspflichten in Lieferketten, AG 2021, R120; Schmidt-Räntsch, Sorgfaltspflichten der Unternehmen – Von der Idee über den politischen Prozess bis zum Regelwerk, ZUR 2021, 387; Seibt/Vesper-Gräske, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erweitert Compliance-Pflichten, CB 2021, 357; Stave/Velte, Regulierung eines nachhaltigen Lieferkettenmanagements – Bestandsaufnahme bisheriger Normierungen und Ausblick auf die geplante EU-Gesetzgebung –, DB 2021, 1791; Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67; Wagner/Ruttloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145.

I. Abhilfemaßnahmen Während § 6 LkSG die präventiven Sorgfaltspflichten regelt, enthält § 7 LkSG 1 reaktive Sorgfaltspflichten, welche das verpflichtete Unternehmen treffen, wenn eine Verletzung menschenrechts- oder umweltbezogener Pflichten bereits eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht. § 7 Abs. 1 S. 1 LkSG statuiert in diesem Fall eine generelle Reaktions- und 2 Handlungspflicht. Stellt das Unternehmen fest, dass die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht in seinem eigenen Geschäftsbereich oder bei einem unmittelbaren Zulieferer bereits eingetreten ist Ott

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen oder unmittelbar bevorsteht, hat es unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, um diese Verletzung zu verhindern, zu beenden oder das Ausmaß der Verletzung zu minimieren. 3 In Bezug auf die Intensität und Umfang der Abhilfeverpflichtung gilt der

Grundsatz der Angemessenheit gemäß § 3 Abs. 2 LkSG. Danach gilt: Je näher das verpflichtete Unternehmen der drohenden oder bereits eingetretenen Rechtsverletzung steht und je mehr es zu deren Verwirklichung beiträgt oder beigetragen hat, desto größer müssen seine Anstrengungen sein. Nach der Gesetzesbegründung steht das Unternehmen dabei im eigenen Geschäftsbereich – ungeachtet des konkreten Verursachungsbeitrags – in einem so engen Zusammenhang mit dem Risiko, dass von ihm erwartet werden kann, die unmittelbar bevorstehende oder bereits eingetretene Verletzung unverzüglich zu beenden.1

4 Vor dem dargelegten Hintergrund sieht das Gesetz in Bezug auf die konkreten

Handlungspflichten im Verletzungsfall einen abgestuften Maßstab vor:2 – Im eigenen Geschäftsbereich im Inland muss die Abhilfemaßnahme zu einer Beendigung der Verletzung führen (§ 7 Abs. 1 S. 3 LkSG). – Im eigenen Geschäftsbetrieb im Ausland sowie im eigenen Geschäftsbetrieb gemäß § 2 Abs. 6 S. 3 LkSG, d.h. insbesondere bei in- sowie ausländischen Tochtergesellschaften des verpflichteten Unternehmens, muss die Abhilfemaßnahme „in der Regel“ zur Beendigung der Verletzung führen (§ 7 Abs. 1 S. 4 LkSG). – Erfolgt die Verletzung nicht im eigenen Geschäftsbetrieb, sondern bei einem unmittelbaren Zulieferer, trifft das verpflichtete Unternehmen keine Erfolgspflicht zur Abstellung der Rechtsverletzung. Vielmehr bedarf es angemessener Maßnahmen, um die Rechtsverletzung zu verhindern, zu beenden oder deren Ausmaß zu minimieren (§ 7 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 7 Abs. 2 LkSG). – Der Abbruch der Geschäftsbeziehung ist lediglich als ultima ratio unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 LkSG geboten.

5 Die grundsätzliche Verpflichtung zur Abhilfe besteht gemäß § 7 Abs. 1 S. 1

LkSG unabhängig von einem eigenen Verschulden, Vertretenmüssen oder Verursachungsbeitrag des verpflichteten Unternehmens in Bezug auf die Rechtsverletzung.3 Indes können ein Verursachungsbeitrag oder gar ein Verschulden in Bezug auf die Rechtsverletzungen im Rahmen der gebotenen Angemessenheitsbetrachtung Auswirkungen auf Umfang und Intensität der das Unternehmen treffenden Abhilfepflichten haben. Im eigenen Geschäftsbereich im Inland besteht insoweit angesichts der gesetzlich angeordneten Erfolgspflicht nur ein eingeschränkter Einfluss auf die das Unternehmen treffenden Handlungspflichten. Demgegenüber kommt dem Vorhandensein eines eigenen Verursachungs- oder Verschuldensbeitrags namentlich bei unmittelbaren Zuliefe1 BT-Drucks. 19/28649, 48. 2 BT-Drucks. 19/28649, 48. 3 Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 148.

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rern in Bezug auf die Bestimmung der im Einzelfall erforderlichen Abhilfemaßnahmen eine größere Bedeutung zu. Die Art der zu treffenden Abhilfemaßnahmen steht – in dem durch § 7 Abs. 1 6 bis 4 LkSG gesetzten Rahmen – im Ermessen des verpflichteten Unternehmens. Bei der Festlegung der Abhilfemaßnahmen sollen nach der Gesetzesbegründung die von der Rechtsverletzung betroffenen Personen mit einzubeziehen sein.4 Ist deren unmittelbare Einbeziehung nicht möglich oder geeignet, soll alternativ die Einbeziehung legitimer Interessenvertretungen, zum Beispiel von Gewerkschaftsvertretern oder zivilgesellschaftlicher Organisationen, in Betracht zu ziehen sein.5 Das Gesetz macht insoweit keine Vorgaben, so dass die Entscheidung, ob und gegebenenfalls welche Personen und/oder Institutionen im Rahmen der Festlegung oder Durchführung der Abhilfemaßnahmen einzubeziehen sind, unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck der Abhilfe sowie dem Grundsatz der Angemessenheit durch das Unternehmen nach dessen Ermessen zu treffen ist. § 7 Abs. 1 LkSG begründet nach der Gesetzesbegründung keine Anspruchs- 7 grundlage für einen Geschädigten gegenüber dem verpflichteten Unternehmen auf die Einleitung von Abhilfemaßnahmen.6 Im Schrifttum wird teilweise darauf verwiesen, dass der Wortlaut von § 11 LkSG, der von eigenen Rechten der Geschädigten spreche sowie die Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 4 LkSG, welche betonte, dass der Schutz des LkSG auch im „individuellen Interesse der unmittelbar Betroffenen“ erfolge,7 ein subjektives Abhilferecht des Geschädigten nahelege.8 Indes findet ein solcher Anspruch im Wortlaut des § 7 Abs. 1 LkSG, welcher keine Bezugnahme auf den oder die Geschädigten enthält, keine Grundlage. Angesicht des Regelungswortlauts sowie der ausdrücklichen Festlegung in der Gesetzesbegründung ist ein subjektiver Anspruch auf Abhilfe mithin abzulehnen.9

II. Voraussetzungen der Abhilfeverpflichtung, § 7 Abs. 1 S. 1 LkSG § 7 Abs. 1 S. 1 LkSG begründet die generelle Verpflichtung des Unternehmens 8 zur Durchführung von Abhilfemaßnahmen; zugleich definiert die Regelung – im Sinne eines allgemeinen Obersatzes – die generellen Voraussetzungen und Anforderungen für Abhilfemaßnahmen sowohl im eigenen Geschäftsbetrieb als auch bei unmittelbaren Zulieferern. Pflichtenauslösend ist danach das kumulative Vorliegen der folgenden Voraus- 9 setzungen: – die Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht im eigenen Geschäftsbetrieb oder bei einem unmittelbaren Zulieferer, 4 5 6 7 8 9

Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 49. BT-Drucks. 19/28649, 49. BT-Drucks. 19/28649, 48. BT-Drucks. 19/28649, 43. Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 148 f.; vgl. auch Paefgen, ZIP 2021, 2006, 2007. Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1285, 1285; Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 107.

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen – welche bereits eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht, sowie – deren Feststellung durch das verpflichtete Unternehmen. 10 Sind die vorstehenden Voraussetzungen verwirklicht, ist das Unternehmen ver-

pflichtet – unverzüglich – angemessene Abhilfemaßnahmen einzuleiten, um – die Rechtsverletzung zu verhindern, zu beenden oder deren Ausmaß zu minimieren.

11 Zu den vorstehend aufgeführten Tatbestandsmerkmalen gilt dabei im Einzelnen

was folgt:

1. Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogener Pflicht 12 Voraussetzung für das Bestehen einer Abhilfeverpflichtung ist zunächst die

(drohende) Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht. Erfasst sind hierbei nicht nur diejenigen Pflichten, welche das verpflichtete Unternehmen im Rahmen der Grundsatzerklärung in seine menschenrechts- sowie umweltbezogenen Erwartungen gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 2 LkSG aufgenommen hat. Vielmehr nimmt § 7 Abs. 1 S. 1 LkSG Bezug auf die Legaldefinitionen in § 2 Abs. 4 Satz 1 sowie Satz 2 LkSG.

13 Gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 LkSG liegt eine Verletzung einer menschenrechtsbezoge-

nen Pflicht vor, wenn gegen ein in § 2 Abs. 2 Nr. 1-12 LkSG genanntes Verbot verstoßen wird. Eine umweltbezogene Pflicht ist gem. § 2 Abs. 4 Satz 2 LkSG dann verletzt, wenn gegen ein in § 2 Abs. 3 Nr. 1-8 LkSG genanntes Verbot verstoßen wurde (vgl. hierzu im Einzelnen die Kommentierung zu § 2 Rz. 106 ff.). 2. Rechtsverletzung ist eingetreten oder steht unmittelbar bevor

14 Eine Rechtsverletzung ist eingetreten, wenn gegen ein in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 12

LkSG oder in § 2 Abs. 3 Nr. 1 bis 8 LkSG genanntes Verbot verstoßen wurde. Durch wen, in welcher Form oder in welchem Umfang der Verstoß erfolgt, spielt in Bezug auf die Entstehung der Abhilfeverpflichtung zunächst keine Rolle. Voraussetzung für eine Abhilfeverpflichtung ist ferner, dass die Rechtsverletzung nach wie vor andauert. Ist die Verletzung beendet, kommen Abhilfepflichten nach § 7 LkSG grundsätzlich nicht länger in Betracht. Indes können das Unternehmen im Einzelfall präventive Sorgfaltspflichten gemäß § 6 LkSG treffen, um den Eintritt von vergleichbaren Verletzungen auszuschließen, insbesondere durch Überprüfung und ggf. Anpassung oder Erweiterung der insoweit relevanten Präventionsmaßnahmen.

15 Unter welchen Voraussetzungen eine Rechtsverletzung unmittelbar bevorsteht,

wird im LkSG nicht näher definiert.

16 Da es sich bei der Vermeidung bevorstehender Verletzungen um Gefahren-

abwehr handelt, kann zur Bestimmung des Begriffs des unmittelbaren Bevorste-

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hens grundsätzlich auf den Begriff der „unmittelbaren Gefahr“ aus dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht zurückgegriffen werden. Eine Gefahr steht demnach unmittelbar bevor, wenn der Eintritt eines Schadens sofort und fast mit Gewissheit, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, zu erwarten ist,10 so dass wegen der besonderen zeitlichen Nähe sofortiges Handeln geboten ist.11 Hinsichtlich der umweltbezogenen Risiken ist zu beachten, dass das Umwelt- 17 schadensgesetz (USchadG), welches die Abwehr von unmittelbaren Gefahren für Umweltschäden hinsichtlich bestimmter beruflicher Tätigkeiten regelt, eine Legaldefinition für die unmittelbare Gefahr im Sinne dieses Gesetzes enthält, welche von der des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht abweicht.12 Nach dieser Definition liegt eine unmittelbare Gefahr eines Umweltschadens bereits dann vor, wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein Umweltschaden in naher Zukunft eintreten wird, § 2 Nr. 5 USchadG. Die Anforderungen an Wahrscheinlichkeit und zeitliche Nähe eines pflichtenbegründenden Schadenseintritts sind nach dem USchadG mithin geringer als nach dem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht. Eine Übernahme des Maßstabs des § 2 Nr. 5 USchadG in § 7 Abs. 1 LkSG er- 18 scheint indes problematisch. Die Folge wäre eine uneinheitliche Auslegung des Begriffs des unmittelbaren Bevorstehens für menschenrechtsbezogenen Pflichten einerseits und umweltbezogene Pflichten andererseits, was unter Aspekten der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit abzulehnen ist. Stattdessen erscheint es sinnvoll, in Bezug auf die Verletzung von menschenrechts- sowie umweltbezogenen Pflichten einheitlich auf den eingeführten und gebräuchlichen Maßstab des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht abzustellen. Erforderlich ist danach eine gesteigerte zeitliche Nähe der Verletzung: Eine Ver- 19 letzung steht demnach unmittelbar bevor, wenn sie – sofort und fast mit Gewissheit, also – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, zu erwarten ist, – sodass wegen der besonderen zeitlichen Nähe sofortiges Handeln geboten ist. Ein Abstellen auf den gesteigerten Wahrscheinlichkeitsmaßstab des allgemeinen 20 Gefahrenabwehrrechts erlaubt zugleich eine konsequente und trennscharfe Abgrenzung zum bloßen Risiko i.S.d. LkSG, welches gemäß § 2 Abs. 2 LkSG bzw. § 2 Abs. 3 LkSG lediglich die „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ eines Verstoßes gegen ein menschenrechts- bzw. umweltbezogenes Verbot voraussetzt. Im Vergleich hierzu ist für einen drohenden Verstoß ein höheres Wahrscheinlichkeitsmaß erforderlich. 10 Vgl. BVerwG v. 26.2.1974 – I C 31/72, NJW 1974, 807, 809 = MDR 1974, 513. 11 Vgl. Krüger, JuS 2013, 985, 987 m.w.N. 12 Beckmann/Wittmann in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 96 EL September 2021, § 2 USchadG Rz. 53.

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen a) Feststellung 21 § 7 Abs. 1 Satz 1 LkSG knüpft die Pflicht, Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, da-

ran, dass das verpflichtete Unternehmen eine Verletzung oder ihr unmittelbares Bevorstehen „feststellt“. Die Regelung ist insofern mit § 6 Abs. 1 LkSG vergleichbar, wo die Verpflichtung zur Durchführung von Präventionsmaßnahmen an die „Feststellung“ von Risiken durch das Unternehmen geknüpft wird (vgl. dazu § 6, Rz. 3). Weder das Gesetz noch die Gesetzesbegründung konkretisieren näher, welche Voraussetzungen an die Feststellung einer (drohenden) Rechtsverletzung zu stellen sind.

22 Die Feststellung setzt nach dem allgemeinen Wortsinn positive Kenntnis des

Unternehmens von der eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Rechtsverletzung voraus. Die positive Kenntnis muss sich hierbei sowohl auf die der Rechtsverletzung zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände als auch darauf beziehen, dass diese die Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht im Sinne des LkSG begründen oder eine solche unmittelbar bevorsteht. Für die Feststellung der positiven Kenntnis des Unternehmens gelten die allgemeinen Grundsätze der Wissenszurechnung.13 Maßgeblich ist insoweit die Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der gesellschaftsinternen Kommunikation.14 Danach muss sich die Gesellschaft regelmäßig das Wissen ihres Leitungsorgans zurechnen lassen.15 Daneben können der Gesellschaft auch tatsächlich vorhandene Kenntnisse von Mitarbeitern unterhalb der Leitungsebene zugerechnet werden, sofern diese bei Beachtung allgemeiner Informationsweiterleitungs- und Informationsabfragepflichten verfügbar sind oder verfügbar hätten sein müssen.16 Hieraus folgt die Verpflichtung der Gesellschaft, durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass jedenfalls solche Informationen, welchen in Bezug auf die (drohende) Verwirklichung eines menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risikos relevant sind, unternehmensintern dokumentiert und (ggf. auch konzernweit) an die zuständigen Stellen weitergeleitet werden.

23 Die Feststellung des bloßen Risikos einer Rechtsverletzung genügt für die Aus-

lösung der Rechtsfolge des § 7 Abs. 1 LkSG nicht. Die Kenntnis eines Risikos, d.h. der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Rechtsverstoßes, löst unter den Voraussetzungen des § 6 LkSG die Pflicht zur Etablierung von Präventionsmaßnahmen aus. Die Abhilfeverpflichtung des § 7 Abs. 1 LkSG setzt dagegen Kenntnis von einem bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden – d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kurzfristig zu erwartenden – Rechtsverstoß voraus (vgl. oben Rz. 19).

24 Auch bei fahrlässiger Unkenntnis ist keine Verletzung festgestellt. Dies gilt im

Grundsatz auch bei grob fahrlässiger Unkenntnis, da der Begriff der Feststellung

13 Vgl. Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 78, Rz. 27 ff. 14 Vgl. BGH, NJW 1996, S. 1339. 15 Dies gilt jedenfalls für dienstlich erlangtes Wissen. Eine Ausnahme kann insoweit für privat erlangte Kenntnisse gelten, vgl. Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 78, Rz. 27 ff. 16 Vgl. BGH NJW 1996, 1339.

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eine tatsächliche Kenntniserlangung durch das Unternehmen impliziert. Allerdings darf sich das Unternehmen der Kenntnisnahme nicht bewusst verschließen. Drängt sich eine Rechtsverletzung geradezu auf, ohne dass Abhilfemaßnahmen ergriffen werden, kommt unabhängig von einer Feststellung gemäß des § 7 Abs. 1 LkSG die Verletzung anderweitiger Sorgfaltspflichten, etwa der Pflicht zur Einrichtung von wirksamen Maßnahmen zur Risikoerkennung gemäß § 4 Abs. 2 LkSG oder zur anlassbezogenen Risikoanalyse gemäß § 5 Abs. 4 LkSG, in Betracht. b) Einleitung von angemessenen Abhilfemaßnahmen Werden (drohende) Rechtsverletzungen festgestellt, ist das Unternehmen gemäß 25 des § 7 Abs. 1 LkSG verpflichtet, unverzüglich angemessenen Abhilfemaßnahmen einzuleiten. Ziel, Zwecksetzung und Intensität der erforderlichen Abhilfemaßnahmen rich- 26 ten sich zunächst danach, ob die Verletzung im eigenen Geschäftsbereich oder bei einem unmittelbaren Zulieferer erfolgt. Das Gesetz sieht insoweit einen abgestuften Maßstab vor: – Bei Verletzungen im eigenen Geschäftsbetrieb im Inland müssen Abhilfemaßnahmen zu einer Vermeidung oder Beendigung der Verletzung führen (§ 7 Abs. 1 S. S. 2 LkSG). Das Gesetz unterwirft das verpflichtete Unternehmen insoweit einer „Erfolgspflicht“ zur Abstellung des Rechtsverstoßes. – Bei Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich im Ausland oder im eigenen Geschäftsbereich gemäß §§ 2 Abs. 6 S. LkSG (d. h. insbesondere bei in- oder ausländischen Tochtergesellschaften des verpflichteten Unternehmens), muss die Abhilfemaßnahmen „in der Regel“ zur Vermeidung oder Beendigung der Verletzung führen. Das verpflichtete Unternehmen trifft hier eine „eingeschränkte Erfolgspflicht“; diese ist im Grundsatz auf eine Beendigung der Verletzung gerichtet, wobei beim Vorliegen besonderer Umstände anstelle einer Beendigung auch die Minimierung des Ausmaßes der Verletzung zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten ausreichen kann. – Erfolgt die Verletzung bei einem unmittelbaren Zulieferer, muss die Abhilfemaßnahme geeignet sein, die Verletzung zu verhindern, zu beenden oder das Ausmaß der Verletzung zu minimieren (§ 7 Abs. 1 S. S. 2, Abs. 2 LkSG). Das Unternehmen trifft mithin bezogen auf die Beendigung des Rechtsverstoßes keine Erfolgspflicht, sondern eine „Bemühenspflicht.17 Innerhalb des vorstehend dargelegten gesetzlichen Rahmens steht den Unter- 27 nehmen in Bezug auf Art und Umfang der vorzunehmenden Abhilfemaßnahmen ein (unternehmerischer) Ermessensspielraum im Sinne von § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zu. Hierbei ist der Grundsatz der Angemessenheit gemäß 3 Abs. 2 LkSG zu be- 28 rücksichtigen. Je schwerer die drohende oder bereits eingetretene Rechtsverlet17 Vgl. Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 163.

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen zung, desto höher sind die Anforderungen, welche an Art und Umfang der durchzuführenden Abhilfemaßnahmen zu stellen sind. Die Schwere einer Verletzung bestimmt sich ausweislich der Gesetzesbegründung nach dem Ausmaß der tatsächlichen oder potentiellen Beeinträchtigung, der Zahl der tatsächlich oder potentiell betroffenen Menschen und der Möglichkeit, die negativen Auswirkungen der Verletzung wieder zu beheben.18 Neben der Schwere der Verletzung sind die Nähe des verpflichteten Unternehmens zu der Verletzung, Art und Umfang eines etwaigen Verursachungsbeitrags sowie die tatsächlichen Einfluss- und Einwirkungsmöglichkeiten des Unternehmens auf die Verhinderung, Beendigung oder Minimierung der Verletzung bzw. der Verletzungsfolgen zu berücksichtigen.19 c) Verhinderung, Beendigung, oder Minimierung 29 Die Abhilfemaßnahme muss zu einer Verhinderung, Beendigung oder Minimie-

rung des Ausmaßes der Verletzung der menschenrechtebezogenen oder umweltbezogenen Pflicht führen.

30 Der Begriff der Verhinderung bezieht sich auf eine unmittelbar bevorstehende

Pflichtverletzung. § 2 Abs. 4 LkSG definiert die Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht als ein Verstoß gegen ein in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 12 LkSG oder in § 2 Abs. 3 Nr. 1 bis 8 LkSG genanntes Verbot. Eine Verletzung ist verhindert, wenn sichergestellt ist, dass der drohende Verstoß gegen ein vorgenanntes Verbot nicht eintritt. Hat das Unternehmen angemessene Verhinderungsmaßnahmen getroffen, spielt es für die Erfüllung der Abhilfeverpflichtung keine Rolle, ob das Ausbleiben der Verletzung auf diesen Maßnahmen beruht oder auf anderweitige Gründe zurückzuführen ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die Verletzung tatsächlich wieder eingetreten ist noch in absehbarer Zeit eintreten wird.

31 Im Gegensatz zur Verhinderung bezieht sich der Begriff der Beendigung auf ei-

nen bereits eingetretenen Verstoß gegen ein menschenrechts- oder umweltbezogenes Verbot. Die Verletzung ist beendet, wenn gegen das Verbot nicht mehr verstoßen wird. Dies setzt nach Sinn und Zweck des LkSG voraus, dass die Verletzung nachhaltig und dauerhaft abgestellt ist. Ist zu befürchten, dass die Verletzung binnen kurzer Frist wiederauflebt oder in unmittelbarem sachlich-zeitlichem Zusammenhang mit ähnlichen Rechtsverletzungen zu rechnen ist, liegt keine Beendigung im Sinne von 7 Abs. 1 LkSG vor.

32 Eine Minimierung des Ausmaßes der Verletzung setzt nach dem Wortlaut von

§ 7 Abs. 1 S. 1 LkSG keine Verhinderung oder Beendigung der Verletzung voraus („beenden oder […] minimieren“ statt „beenden und […] minimieren“). Vielmehr bedeutet Minimierung, dass durch die Abhilfemaßnahmen Intensität oder Ausmaß einer fortdauernden Verletzung vermindert werden. Eine Mini18 BT-Drucks. 19/28649, 42. 19 BT-Drucks. 19/28649, 48.

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mierung kann auch dann vorliegen, wenn durch die Abhilfemaßnahmen die Auswirkungen der Verletzung (etwa die Folgen für die von der Verletzung Betroffenen) vermindert werden. Die Abhilfemaßnahmen müssen sich nach dem Wortlaut des Gesetzes auf die 33 Verletzung als solche beziehen. Diese ist zu vermeiden, zu beenden oder zu minimieren. Eine Restitutionspflicht, d.h. eine Pflicht zur Wiederherstellung des Zustandes vor der Verletzung oder eine Pflicht zur (monetären oder anderweitigen) Kompensation etwaiger Verletzungsfolgen besteht nach dem Gesetzeswortlaut von § 7 LkSG nicht. So liegt etwa in der Zuleitung giftiger Stoffe in ein Gewässer ein Verstoß gegen 34 § 2 Abs. 2 Nr. 9 lit. c LkSG. Eine Beendigung liegt vor, wenn keine weiteren giftigen Stoffe mehr zugeleitet werden. Eine Minimierung liegt vor, wenn der fortdauernde Verstoß vermindert wird. Eine Pflicht zur Wiederherstellung des Zustandes vor der Verunreinigung, zum Ersatz von Folgekosten oder zur Durchführung sonstiger Restitutionsmaßnahmen folgt aus § 7 Abs. 1 LkSG nicht, da gem. §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 2 Abs. 4 LkSG lediglich der Verstoß gegen das Verbot einer Gewässerverunreinigung beendet oder minimiert werden muss. Dieses restriktive Verständnis der Abhilfemaßnahmen entspricht dem Willen des Gesetzgebers, keine zusätzliche zivilrechtliche Haftung der verpflichteten Unternehmen durch das LkSG zu schaffen, § 3 Abs. 3 Satz 1 LkSG.20 Insbesondere soll keine verschuldensunabhängige Haftung für Folgen von Verletzungen gem. § 2 Abs. 4 LkSG geschaffen werden. Eine zivilrechtliche oder sonstige, etwa umweltrechtliche Haftung nach bereits geltendem Recht bleibt hiervon unberührt, § 3 Abs. 3 Satz 2 LkSG.21 d) Unverzüglich Die Abhilfemaßnahmen haben unverzüglich nach Feststellung der eingetretenen 35 bzw. unmittelbar bevorstehenden Pflichtverletzung zu erfolgen. Der Begriff der Unverzüglichkeit ist hierbei ebenso wie bei § 6 Abs. 1 LkSG zu verstehen:22 Die Abhilfemaßnahmen sind ohne schuldhaftes Zögern durchzuführen. Hierbei sind Art und Schwere der (drohenden) Verletzung zu berücksichtigen. Je gravierender die Verletzung und je gewichtiger die betroffenen Rechtsgüter, desto höher sind die zeitlichen Anforderungen an das abhilfeverpflichtete Unternehmen. Bei schwerwiegenden Verletzungen ist unmittelbares Handeln erforderlich. In jedem Fall muss es dem verpflichteten Unternehmen indes möglich sein, das Vorliegen einer Verletzung mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen sowie die geeigneten Abhilfemaßnahmen zu eruieren und zu planen. Dies kann gegebenenfalls die Hinzuziehung von externer Expertise erforderlich machen, was dem Unternehmen ebenfalls möglich sein muss, um unqualifizierte oder unkoordinierte Abhilfebemühungen zu vermeiden. 20 BT-Drucks. 19/30505, 39. 21 BT-Drucks. 19/30505, 39. 22 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 108.

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen e) Zuständigkeit 36 Die Zuständigkeit für die Einleitung und Umsetzung der Abhilfemaßnahmen

liegt bei dem verpflichteten Unternehmen, dort bei dem jeweiligen Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan. Zuständig ist regelmäßig das Gesamtorgan. Die Zuständigkeit kann nach den allgemeinen Grundsätzen (horizontal) auf Ebene des Geschäftsleitungsorgans sowie (vertikal) an nachgeordnete Mitarbeiter delegiert werden.23 Die Zuständigkeit für die wesentlichen Grundentscheidungen in Bezug auf die durchzuführenden Abhilfemaßnahmen verbleibt auch im Fall der Pflichtendelegation regelmäßig beim Leitungsorgan. Dieses Treffen ferner Organisations-, Auswahl- und Überwachungspflichten in Bezug auf die Abhilfemaßnahmen, deren Intensität in Abhängigkeit von der Schwere sowie den (potentiellen) Folgen der Verletzung variieren kann. Jedenfalls bei schwerwiegenden Verletzungen dürfte regelmäßig eine enge Überwachung der Abhilfemaßnahmen durch das Leitungsorgan der verpflichteten Gesellschaft geboten sein.

37 Erfolgt die Verletzung in einer nachgeordneten Konzerngesellschaft des ver-

pflichteten Unternehmens, verbleibt die Grundzuständigkeit für die Durchführung von Abhilfemaßnahmen gemäß § 7 Abs. 1 LkSG bei dem Vertretungsorgan des verpflichteten Unternehmens. Hierbei kann das verpflichtete Unternehmen entweder eigene Abhilfemaßnahmen veranlassen oder darauf hinwirken, dass die nachgeordnete Konzerngesellschaft die erforderlichen Abhilfemaßnahmen durchführt. In dem letztgenannten Fall hat das verpflichtete Unternehmen durch entsprechende Kontrollmaßnahmen sicherzustellen, dass die Abhilfemaßnahmen geeignet und angemessen sind und den bezweckten Erfolg erreichen. Unabhängig hiervon kann das Vertretungsorgan der nachgeordneten Konzerngesellschaft aufgrund der diesem obliegenden Legalitäts- und Sorgfaltspflichten (oder einer unmittelbaren Einbeziehung in den Anwendungsbereich des LkSG) eine eigenständige Verpflichtung zur Durchführung von Abhilfemaßnahmen treffen. Das Leitungsorgan der verpflichteten Obergesellschaft entlastet dies grundsätzlich nicht; vielmehr verbleibt es jedenfalls bei der vorstehend dargelegten Überwachungspflicht. 3. Entsprechende Geltung des § 5 Abs. 1 Satz 2 LkSG, § 7 Abs. 1 Satz 2 LkSG

38 Auch im Rahmen der Abhilfemaßnahmen sollen die gesetzlichen Vorgaben nicht

durch eine missbräuchliche Gestaltung der Lieferkette oder durch ein sonstiges Umgehungsgeschäft ausgehöhlt werden. Daher sind bei einem Umgehungsgeschäft Abhilfemaßnahmen hinsichtlich der mittelbaren Zulieferer zu treffen.24 Es gilt das zu § 5 Abs. 1 Satz 2 LkSG Gesagte (vgl. § 5 Rz. 39 ff.).

23 Vgl. Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 76, Rz. 12; Spindler in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. 2019, Rz. 64 ff. 24 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 108.

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III. Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich Die Abhilfepflichten bei Pflichtverletzungen im eigenen Geschäftsbereich des 39 verpflichteten Unternehmens sind in § 7 Abs. 1 S. 3 und S. 4 LkSG geregelt. Das Gesetz knüpft hierbei das Ziel der gebotenen Abhilfe an den Ort der Pflichtverletzung. Es unterscheidet danach, ob die Pflichtverletzung im eigenen Geschäftsbereich im Inland, im eigenen Geschäftsbereich im Ausland oder im eigenen Geschäftsbereich gemäß § 2 Abs. 6 S. 3 LkSG erfolgt. 1. Eigener Geschäftsbereich im Inland Im eigenen Geschäftsbetrieb muss die Abhilfemaßnahme gemäß § 7 Abs. 1 S. 3 40 LkSG zu einer Beendigung der Verletzung im Inland führen. Der eigene Geschäftsbetrieb umfasst jede Tätigkeit des Unternehmens zur Er- 41 reichung des Unternehmensziels, d.h. jede Tätigkeit zur Herstellung und Verwertung von Produkten und zu Erbringen von Dienstleistungen (§ 2 Abs. 6 S. 1 u. S. 2 LkSG). § 7 Abs. 1 S. 3 LkSG setzt zunächst das Vorliegen einer menschenrechts- oder 42 umweltbezogenen Pflichtverletzung im Inland voraus. Der Wortlaut der Norm dürfte dahingehend zu verstehen sein, dass sowohl die Verletzungshandlung als auch der Verletzungserfolg, d.h. die (wesentlichen) Verletzungsfolgen, im Inland verortet sein müssen. Ferner muss die Verletzung im eigenen Geschäftsbetrieb erfolgen, d. h. in einem unmittelbaren Zusammenhang zu einer Tätigkeit des Unternehmens zur Erreichung des Unternehmensziels stehen. Erfasst sind damit insbesondere Verletzungen, welche an den Standorten, 43 Niederlassungen oder Zweigstellen des verpflichteten Unternehmens in Deutschland erfolgen. Erfasst sind indes auch Verletzungen, die an einem anderen Ort im Inland erfolgen, sofern diese dem eigenen Geschäftsbereich des verpflichteten Unternehmens gemäß § 2 Abs. 6 S. 1 u. S. 2 LkSG zuzuordnen sind. Dies gilt etwa für Verletzungen, welche Mitarbeiter im Außendienst, im Kundeneinsatz oder Fahrer im Bereich der Logistik oder Personenbeförderung betreffen (vgl. hierzu im Einzelnen die Kommentierung zu § 2, dort § 2 Rz. 341 ff.). Nicht von § 7 Abs. 1 S. 3 LkSG erfasst sind demgegenüber Verletzungen, wel- 44 che bei inländischen Konzerngesellschaften, auf welche das verpflichtete Unternehmen einen bestimmenden Einfluss ausübt, erfolgen. Hier richtet sich die Abhilfe nicht nach § 7 Abs. 1 S. 3 LkSG, sondern nach § 7 Abs. 1 S. 4 LkSG (dazu Rz. 52 ff.). Im eigenen Geschäftsbereich im Inland muss die Abhilfemaßnahmen zu einer 45 Beendigung der Verletzung führen. Die Gesetzesbegründung rechtfertigt dies damit, dass das Unternehmen im eigenen Geschäftsbereich im Inland in einem so engen Zusammenhang mit dem Risiko stehe, dass eine Beendigung der unmittelbar bevorstehenden oder bereits eingetretenen Verletzung von ihm erwarOtt

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen tet werden könne.25 Das verpflichtete Unternehmen unterliegt damit einer gesetzlich angeordneten Erfolgspflicht, die Verletzung zu beenden.26 Der allgemeine Grundsatz, wonach es sich bei den Sorgfaltspflichten des LkSG um bloße „Bemühenspflichten“ handelt, wird mithin durch § 7 Abs. 1 S. 3 LkSG durchbrochen.27 46 Die Verletzung ist beendet, wenn gegen das Verbot nicht mehr verstoßen wird.

Erforderlich ist hierbei, dass die Verletzung nachhaltig und dauerhaft abgestellt ist. Letzteres ist nach dem Sinn und Zwecks des LkSG dann nicht der Fall, wenn in einem sachlich-zeitlichen Zusammenhang mit einem Wiederaufleben derselben Verletzung oder dem Auftreten von ähnlichen Verletzungen gerechnet werden muss.

47 Die vom Gesetz angeordnete Folge, d.h. die Beendigung der Verletzung, gilt

nach dem Gesetzeswortlaut zwingend und uneingeschränkt. Der Vorbehalt der Angemessenheit findet in Bezug auf die Beendigungsfolge keine Anwendung, kann indes im Einzelfall in zeitlicher Hinsicht zu berücksichtigen sein. So bestehen bei schwerwiegenden Verletzungen regelmäßig höhere Anforderungen an deren zeitlich-unmittelbare Beendigung als bei leichten Verstößen. Ist eine Beendigung der Verletzung (aus welchen Gründen auch immer) nicht möglich, ist die zur Verletzung führende Geschäftstätigkeit nach der Regelungssystematik des LkSG einzustellen; einen Vorbehalt, wonach bei dem Vorliegen besonderer Umstände anstelle einer Beendigung auch die Minimierung des Ausmaßes der Verletzung ausreichend sein kann, sieht § 7 Abs. 1 Satz 3 LkSG nicht vor. Auch § 7 Abs. 3 LkSG, welcher ein Abbruch der Geschäftsbeziehung nur unter besonderen Voraussetzungen vorsieht, findet insoweit aufgrund der vorrangigen gesetzlichen Anordnung in § 7 Abs. 1 S. 3 LkSG keine Anwendung. 2. Unmittelbar bevorstehende Verletzung

48 Der Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 3 LkSG bezieht sich lediglich auf bereits ein-

getretene Verletzungen, welche zu beenden sind. Im Gegensatz zu § 7 Abs. 1 Satz 1 LkSG werden unmittelbar bevorstehende Verletzungen in § 7 Abs. 1 Satz 3 LkSG nicht erwähnt.

49 Es stellt sich mithin die Frage, ob die in § 7 Abs. 1 Satz 3 LkSG vorgesehene Er-

folgspflicht zur Beendigung neben bereits eingetretenen auch unmittelbar bevorstehende Verletzungen umfasst. In diese Richtung könnte die Gesetzesbegründung zu verstehen sein, wonach von dem Unternehmen erwartet werden könne, 25 BT-Drucks. 19/28649, 48. 26 Spießhofer, AnwBl 2021, 534, 537; Wagner/Rutloff, NJW 2021, 2145, 2149; Stellungnahme der Ausschüsse Corporate Social Responsibility und Compliance, Handelsrecht sowie Menschenrechte des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2021, 546, 551; Charnitzky/ Weigel, RIW 2022, 12, 17. 27 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 109; Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 163.

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die unmittelbar bevorstehende oder bereits eingetretene Verletzung unverzüglich zu beenden.28 Die Annahme einer Erfolgspflicht im Sinne einer „absoluten“ Verhinderungs- 50 pflicht in Bezug auf unmittelbar bevorstehende Pflichtverletzungen ist indes mit dem Gesetzeswortlaut des LkSG nur schwer vereinbar. So können nach dem Wortsinn bereits eingetretene Verletzungen „beendet“ werden. Demgegenüber kann eine drohende oder unmittelbar bevorstehende Verletzung nicht „beendet“, sondern lediglich „verhindert“ werden. Das LkSG differenziert an anderer Stelle, nicht zuletzt auch in § 7 Abs. 1 Satz 1 LkSG, deutlich zwischen der bevorstehenden sowie der bereits eingetretenen Verletzung. Letzteres muss auch für die Auslegung von 7 Abs. 1 Satz 3 LkSG gelten. Hierfür spricht auch, dass eine absolute Verhinderungspflicht in Bezug auf sämtliche (ggf.) bevorstehenden Verletzungen zu einem erheblichen Aufwand führen würde, welcher mit dem Grundsatz der Angemessenheit kaum vereinbar erschiene. Es ist mithin davon auszugehen, dass sich die Erfolgspflicht gemäß § 7 Abs. 1 51 Satz 3 LkSG wortlautkonform lediglich auf das Beenden einer bereits eingetretenen Verletzung bezieht. Daran, dass auch bei drohenden Verletzungen angemessene Abhilfemaßnahmen zu treffen sind, ändert dies nichts; letztere richten sich indes nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 3 LkSG, sondern nach § 7 Abs. 1 Satz 1 LkSG, so dass insbesondere der Vorbehalt der Angemessenheit in Bezug auf Zielrichtung und Umfang der Abhilfemaßnahmen Anwendung findet. 3. Eigener Geschäftsbereich im Ausland sowie eigener Geschäftsbetrieb gemäß § 2 Abs. 6 S. 3 LkSG Gemäß § 7 Abs. 1 S. 4 LkSG muss im eigenen Geschäftsbereich im Ausland und 52 im eigenen Geschäftsbereich im In- oder Ausland gemäß § 2 Abs. 6 S. 3 LkSG die Abhilfemaßnahme in der Regel zur Beendigung der Verletzung führen. Die Regelung gilt zunächst für Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich im 53 Ausland. Erfasst sind damit alle Tätigkeiten, welche das Unternehmen im Ausland zur Erreichung des Unternehmensziels entfaltet. Dies umfasst insbesondere sämtliche Verletzungen, welche an (unselbstständigen oder selbstständigen) ausländischen Standorten oder Niederlassungen des Unternehmens erfolgen. Erfasst sind indes auch Verletzungen, die an einem anderen Ort im Ausland erfolgen, sofern diese dem eigenen Geschäftsbereich des verpflichteten Unternehmens gemäß § 2 Abs. 6 S. 1 u. S. 2 LkSG zuzuordnen sind § 7 Abs. 1 S. 4 LkSG erfasst ferner Verletzungen, welche im eigenen Geschäfts- 54 bereich gemäß § 2 Abs. 6 S. 3 LkSG erfolgen. Gemäß § 2 Abs. 3 S. 3 LkSG zählen bei verbundenen Unternehmen zum eigenen Geschäftsbetrieb der Obergesellschaft auch konzernangehörige Gesellschaften, wenn die Obergesellschaft auf 28 BT-Drucks. 19/28649, 48. So auch Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 163.

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen die konzernangehörige Gesellschaft einen bestimmenden Einfluss ausübt. Die Regelung umfasst damit (vorbehaltlich des Vorliegens eines bestimmenden Einflusses im Einzelfall) nachgeordnete Konzerngesellschaften des verpflichtenden Unternehmens im Inland sowie im Ausland (dazu § 2 Rz. 348 ff.). 55 Diese Regelung in § 7 Abs. 1 S. 4 LkSG wurde auf Empfehlung des Ausschusses

für Arbeit und Soziales eingeführt.29 Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass hinsichtlich des Geschäftsbereichs im Ausland sowie der in- und ausländischen Konzerngesellschaften zwar im Regelfall, jedoch nicht immer davon ausgegangen werden kann, dass sämtliche tatsächlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen vorhanden sind, um eine unmittelbar bevorstehende Verletzung zu verhindern oder eine bereits eingetretene Verletzung zu beenden.30 Im Gegensatz zum eigenen Geschäftsbereich im Inland sieht § 7 Abs. 1 S. 4 LkSG daher keine absolute Erfolgspflicht zu Beendigung der Verletzung vor. Vielmehr muss die Abhilfemaßnahme „in der Regel“ zur Beendigung der Verletzung führen. § 7 Abs. 1 S. 4 LkSG statuiert mithin ein „Regel-Ausnahme-Verhältnis“. Danach muss die Abhilfe auch im eigenen Geschäftsbereich im Ausland sowie bei inländischen und ausländischen Konzerngesellschaften regelmäßig zur Beendigung der Verletzung führen; liegen besondere Umstände vor, welche ein Abweichen von der vorstehenden Regel rechtfertigen, kann anstelle der Beendigung ausnahmsweise auch eine Minimierung des Ausmaßes der Verletzung genügen.31

56 Hinsichtlich der Bestimmung der erforderlichen Abhilfemaßnahmen ist maßgeb-

lich auf die tatsächlichen wie rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten des verpflichteten Unternehmens abzustellen: Ist es dem Unternehmen rechtlich wie tatsächlich möglich, die Verletzung zu beenden, wird es hierzu regelmäßig auch verpflichtet sein. Letzteres dürfte namentlich bei inländischen Konzerngesellschaften (vorbehaltlich einer atypischen gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung) regelmäßig anzunehmen sein; in diesem Fall hat die (verpflichtete) Obergesellschaft ihren beherrschenden Einfluss dergestalt auszuüben, dass die Verletzung bei der Konzerngesellschaft beendet wird. Der Grundsatz der Angemessenheit ist insoweit zu berücksichtigen, sodass bei einem Missverhältnis zwischen dem Aufwand einer vollständigen Beendigung sowie der Schwere des Verstoßes ausnahmsweise auch eine Minimierung des Ausmaßes der Verletzung ausreichend sein kann.

57 Demgegenüber ist bei ausländischen Standorten oder Konzerngesellschaften

denkbar, dass das verpflichtete Unternehmen (etwa aufgrund der Rechts- oder Organisationsform der ausländischen Einheit) nicht über die erforderlichen Einwirkungsmöglichkeiten verfügt, um die Verletzung unmittelbar zu beenden. Ebenso ist es möglich, dass bestimmte Abhilfemaßnahmen und/oder die Beendigung der Verletzung als solcher mit ausländischem Recht nicht vereinbar sind. In diesem Fall muss das verpflichtete Unternehmen die tatsächlich vorhandenen Einflussmöglichkeiten nutzen, um das Ausmaß der Verletzung jedenfalls zu mi29 BT-Drucks. 19/30505, 41. 30 BT-Drucks. 19/30505, 41. 31 Jungkind/Raspé/Terbrack, DK 2021, 445, 450.

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nimieren. Hierbei ist der Grundsatz der Angemessenheit zu berücksichtigen, wonach rechtlich oder tatsächlich unmögliche oder gänzlich unverhältnismäßige Maßnahmen von dem verpflichteten Unternehmen nicht erwartet werden können. Liegen schwerwiegende Menschenrechts- oder Umweltverstöße vor, welche weder beendet noch im angemessenen Umfang minimiert werden können, kann im Einzelfall als ultima ratio entsprechend § 7 Abs. 3 LkSG eine Pflicht zu Beendigung der entsprechenden Geschäftstätigkeit bestehen. Selbst wenn im Ausnahmefall eine (teilweise) Einstellung der Geschäftstätigkeit 58 erforderlich sein kann, zählt eine Veräußerung des Tochterunternehmens regelmäßig nicht zu den nach dem LkSG gebotenen Einwirkungsmaßnahmen. Weder ist dies im Gesetz oder in der Gesetzesbegründung vorgesehen, noch würde hierdurch die tatsächliche Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht beendet oder minimiert. Der Grundsatz „Befähigung vor Rückzug“, wonach es vorzugswürdig ist, auf die betreffende Tochtergesellschaft weiter einzuwirken, anstatt diese sowie deren Mitarbeiter „sich selbst zu überlassen“, gilt insoweit entsprechend. 4. Zuständigkeit im Konzern Im Regelfall ist die (verpflichtete) Konzernmutter für die Einhaltung der Sorg- 59 faltspflichten und somit auch für die entsprechenden Abhilfemaßnahmen zuständig.32 Das verpflichtete Unternehmen kann die Abhilfemaßnahmen selber durchführen. Es kann anstelle dessen oder zusätzlich seinen beherrschenden Einfluss auf die Tochtergesellschaft nutzen, um diese zur Durchführung der gebotenen Abhilfemaßnahmen zu veranlassen. Die Durchführung sowie der Erfolg der Abhilfemaßnahmen sind durch das verpflichtete Unternehmen zu überwachen. Auch kann die Durchführung einzelner Maßnahmen an das Tochterunternehmen delegiert werden, solange das verpflichtete Unternehmen die Durchführung überwacht. Wenn das Tochterunternehmen seinerseits die Schwelle des § 1 LkSG überschreitet, ist es selbst Adressat der Sorgfaltspflichten und für diese im eigenen Geschäftsbereich verantwortlich. Die Verantwortlichkeit der Tochtergesellschaft tritt in diesem Fall neben die fortbestehende Abhilfeverpflichtung der verpflichteten Konzernmutter; letztere kann sich in diesem Fall auf die Überwachung der Abhilfemaßnahmen der Tochtergesellschaft beschränken.

IV. Verletzung bei unmittelbarem Zulieferer 1. Allgemeines Die Abhilfepflichten im Fall der Verletzung einer menschenrechts- oder umwelt- 60 bezogenen Pflicht bei einem unmittelbaren Zulieferer sind in § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 sowie Abs. 3 LkSG geregelt. 32 Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 7.

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen 61 Dem Regelungskonzept liegt der Grundsatz „Befähigung vor Rückzug“ zugrun-

de,33 welcher auch in den VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von 2011 (UN doc A/HRC/17/31) verankert ist:34 Danach soll zunächst in Zusammenarbeit mit dem unmittelbaren Zulieferer auf eine Beseitigung der Missstände hingewirkt werden (§ 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 LkSG). Nur wenn dies keinen Erfolg verspricht, kann im Einzelfall ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen geboten sein, § 7 Abs. 3 LkSG.35

62 Da in der Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 2 LkSG ein Anspruch der Geschädig-

ten gegenüber dem verpflichteten Unternehmen nicht ausdrücklich ausgeschlossen wird, wird § 7 Abs. 2 LkSG zum Teil als eigenständige Anspruchsgrundlage eingestuft.36 Diese Ansicht verkennt indes den abgestuften Sorgfaltsmaßstab, der dem LkSG zugrunde liegt. Danach bestehen im eigenen Geschäftsbereich höhere Anforderungen an den Erfolg der Abhilfemaßnahmen als im Bereich des unmittelbaren Zulieferers, da das verpflichtete Unternehmen im eigenen Geschäftsbereich regelmäßig über größere Einfluss- und Einwirkungsmöglichkeiten verfügt.37 Wenn bereits für eine Verletzung im – nach Vorstellung des Gesetzgebers gut kontrollierbaren – eigenen Geschäftsbereich eine Haftung ausgeschlossen sein soll, muss dies erst recht für eine Haftung im Geschäftsbereich des unmittelbaren Zulieferers gelten, wo das verpflichtete Unternehmen regelmäßig über deutlich geringere Kontroll- und Eingriffsbefugnisse verfügt.38 Indem die Gesetzesbegründung ausdrücklich klarstellt, dass § 7 LkSG bei Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich keine Rechtsgrundlage für einen Anspruch des Geschädigten darstellt, gilt dies – unabhängig von einer ausdrücklichen Erwähnung durch den Gesetzgeber – erst recht für Verletzungen bei unmittelbaren Zulieferern.

2. Allgemeine Abhilfeverpflichtung 63 die Regelung des § 7 LkSG umfasst neben den Abhilfemaßnahmen im eigenen

Geschäftsbereich in § 7 Abs. 1 S.1 in Verbindung mit § 7 Abs 2 LkSG auch die gebotenen Abhilfemaßnahmen im Falle der Verletzung von menschenrechtsoder umweltbezogenen Pflichten bei unmittelbaren Zulieferern.

64 Der Begriff des unmittelbaren Zulieferers ist in § 2 Abs. 7 LkSG legaldefiniert

(dazu § 2 Rz. 62). Verletzungen bei mittelbaren Zulieferern werden von § 7 LkSG nicht erfasst; diesbezügliche Abhilfepflichten richten sich nach § 9 Abs. 3 LkSG.

65 Stellt das Unternehmen fest, dass die Verletzung einer menschenrechts- oder

umweltbezogenen Pflicht bei einem unmittelbaren Zulieferer bereits eingetreten 33 34 35 36 37 38

BT-Drucks. 19/28649, 49. Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 107. BT-Drucks. 19/28649, 49. BT-Drucks. 19/28649, 48. Vgl. nur Jungkind/Raspé/Terbrack, DK 2021, 445, 447. A.A. Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 149, der jedoch auch eine Haftung im eigenen Geschäftsbereich und bei einer Verletzung aller übrigen Sorgfaltspflichten bejaht.

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ist oder unmittelbar bevorsteht (zum Begriff der Feststellung vgl. oben Rz. 21), gilt zunächst die allgemeine Regelung gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 LkSG. Danach hat das Unternehmen unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, um die Verletzung zu verhindern, zu beenden oder das Ausmaß der Verletzung zu minimieren. In Bezug auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale der allgemeinen Abhilfeverpflichtung wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen (Rz. 25 ff.). Aus der Regelungssystematik von § 7 Abs. 1 sowie Abs. 2 LkSG folgt, dass auch 66 bei Verletzungen bei unmittelbaren Zulieferern die Abhilfemaßnahmen des verpflichteten Unternehmens grundsätzlich auf eine Verhinderung oder Beendigung der Verletzung gerichtet sein müssen. Ist eine Verhinderung oder Beendigung der Verletzung durch das verpflichtete Unternehmen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich oder ist diese für das verpflichtete Unternehmen unter Berücksichtigung von Schwere, Verursachungsbeitrag und Folgewirkungen der Verletzung mit unangemessenem Aufwand verbunden, kann es alternativ ausreichend sein, die Abhilfemaßnahmen auf eine Minimierung des Ausmaßes der Verletzung zu richten. In diesem Fall treffen das Unternehmen die zusätzlichen Pflichten gemäß § 7 Abs. 2 LkSG (dazu sogleich, Rz. 69 ff.). Innerhalb des vorstehend dargelegten Rahmens steht den Unternehmen in Be- 67 zug auf Art und Umfang der vorzunehmenden Abhilfemaßnahmen ein (unternehmerischer) Ermessensspielraum im Sinne von § 93 Abs. 2 S. 2 AktG zu. Dabei ist der Grundsatz der Angemessenheit gemäß 3 Abs. 2 LkSG zu berücksichtigen. Je schwerwiegender die Rechtsverletzung oder deren Auswirkungen, desto höher sind die Anforderungen, welche an Art und Umfang der durchzuführenden Abhilfemaßnahmen zu stellen sind. Die Schwere einer Verletzung bestimmt sich hierbei ausweislich der Gesetzesbegründung nach dem Ausmaß der tatsächlichen oder potentiellen Beeinträchtigung, der Zahl der tatsächlich oder potentiell betroffenen Menschen und der Möglichkeit, die negativen Auswirkungen der Verletzung wieder zu beheben.39 Neben der Schwere der Verletzung sind die Nähe des verpflichteten Unternehmens zu der drohenden oder bereits eingetretenen Verletzung, Art und Umfang eines etwaigen Verursachungsbeitrags sowie die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten des Unternehmens auf die Verhinderung, Beendigung oder Minimierung der Verletzung zu berücksichtigen.40 Die vorgenommenen Abhilfemaßnahmen sind gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 2 LkSG 68 hinreichend zu dokumentieren. Es empfiehlt sich, unabhängig von der Geltung des § 7 Abs. 2 LkSG einen schriftlichen Abhilfeplan zu erstellen, in welchem die geplanten Abhilfemaßnahmen nebst Zuständigkeiten, deren Umsetzungstand sowie etwaige Ergebnisse der Abhilfe festgehalten werden, um die Dokumentation und den Nachweis der Erfüllung der Sorgfaltspflichten gemäß § 7 LkSG zu gewährleisten. 39 BT-Drucks. 19/28649, 42. 40 BT-Drucks. 19/28649, 48.

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen 3. Konzept zur Beendigung oder Minimierung, § 7 Abs. 2 Satz 1 LkSG 69 Ist die Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht bei ei-

nem unmittelbaren Zulieferer so beschaffen, dass das Unternehmen sie nicht in absehbarer Zeit beenden kann, werden die Abhilfepflichten durch § 7 Abs. 2 LkSG konkretisiert und erweitert. Nach § 7 Abs. 2 S. 1 LkSG muss das verpflichtete Unternehmen unverzüglich ein Konzept zur Beendigung oder Minimierung der Verletzung erstellen und umsetzen. Das Konzept muss gemäß § 7 Abs. 2 S. 2 LkSG einen konkreten Zeitplan enthalten. § 7 Abs. 2 S. 3 LkSG sieht verschiedene Maßnahmen vor, welche von dem verpflichteten Unternehmen bei Erstellung und Umsetzung des Konzepts im Betracht zu ziehen sind. a) Pflicht zur Erstellung eines Beendigungs- oder Minimierungskonzepts

70 Die Pflicht zur Erstellung eines Beendigungs- oder Minimierungskonzepts ge-

mäß § 7 Abs. 2 S. 1 LkSG setzt voraus, dass die Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht bei einem unmittelbaren Zulieferer so beschaffen ist, dass das Unternehmen sie nicht in absehbarer Zeit beenden kann.

71 § 7 Abs. 2 S. 1 LkSG setzt zunächst voraus, dass die Verletzung durch „das Un-

ternehmen“ nicht in absehbarer Zeit beendet werden kann. Aus der Gesetzessystematik folgt, dass die Regelung hierbei nicht auf den betroffenen Zulieferer, sondern auf die Beendigungsmöglichkeit durch das verpflichtete Unternehmen abstellen will.

72 Aus welchen Gründen das verpflichtete Unternehmen die Verletzung nicht be-

enden kann, spielt nach dem Gesetzeswortlaut keine Rolle. Häufig wird das verpflichtete Unternehmen ungeachtet der vertraglichen Befugnisse gemäß § 6 Abs. 4 LkSG nicht über die notwendigen (faktischen) Einwirkungsmöglichkeiten auf den unmittelbaren Zulieferer verfügen, um eine unmittelbare Beendigung der Verletzung herbeizuführen. Ebenso ist es möglich, dass eine Beendigung der Verletzung durch den unmittelbaren Zulieferer aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich ist. So ist denkbar, dass der unmittelbare Zulieferer seinerseits nicht über hinreichende Einwirkungsmöglichkeiten oder Ressourcen verfügt, um die Verletzung zu beenden. Ebenso ist es vorstellbar, dass die rechtlichen Vorgaben am Sitz des unmittelbaren Zulieferers die Verletzung tolerieren und/oder der Durchführung von Abhilfemaßnahmen entgegenstehen. In den vorgenannten Fällen kann auch das verpflichtete Unternehmen die Verletzung nicht beenden, sodass § 7 Abs. 2 S. 1 LkSG verwirklicht ist.

73 Stellt das verpflichtete Unternehmen die Verletzung von menschenrechts- oder

umweltbezogenen Pflichten bei einem unmittelbaren Zulieferer fest, hat das verpflichtete Unternehmen sich mithin zunächst eine Einschätzung darüber zu bilden, ob die Verletzung in absehbarer Zeit beendet werden kann.41 Im Rahmen der Einschätzung können neben den eigenen Abhilfemaßnahmen und Einwir41 Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2169.

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kungsmöglichkeiten des verpflichteten Unternehmens auch bekannte Abhilfemaßnahmen durch den Lieferanten selber sowie etwaige behördliche Maßnahmen zur Beendigung der Verletzung berücksichtigt werden. Auf die bloße Behauptung von Abhilfemaßnahmen durch den Zulieferer oder Dritte darf sich das verpflichtete Unternehmen indes nicht verlassen; vielmehr hat es sich ggf. von deren Eignung sowie dem Fortschritt der Maßnahmen zu überzeugen. Gelangt das Unternehmen im Rahmen seiner Abhilfeprognose zu dem Ergeb- 74 nis, dass die zeitnahe Beendigung der Verletzung nicht möglich oder unwahrscheinlich ist, ist unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, mit der Erstellung eines Minimierungskonzepts gemäß 7 Abs. 2 LkSG zu beginnen. Dasselbe gilt, wenn das verpflichtete Unternehmen nach Feststellung der Pflichtverletzung zunächst von einem Erfolg der Abhilfemaßnahmen ausgeht, indes zu einem späteren Zeitpunkt erkennen muss, dass eine Beendigung der Verletzung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. b) Ausgestaltung, Form und Inhalt des Konzepts Das Gesetz enthält in Bezug auf die Form und Ausgestaltung des Konzepts keine 75 näheren Vorgaben. Es ist jedenfalls empfehlenswert, das Konzept als schriftliches Dokument aufzusetzen, um einen Nachweis der Pflichterfüllung zu ermöglichen. Ein gesetzliches Schriftformerfordernis besteht indes nicht. Das Konzept muss nicht zwingend auf eine Beendigung der Verletzung gerichtet 76 sein. Vielmehr sieht § 7 Abs. 2 S. 1 LkSG vor, dass ein Konzept zur Beendigung oder Minimierung erstellt und umgesetzt werden muss. Aus der Gesetzessystematik kann abgeleitet werden, dass das Konzept primär auf eine Beendigung der Verletzung abzielen soll; demgegenüber genügt ein Konzept zur Minimierung der Verletzung, wenn eine Beendigung der Verletzung aus Sicht des verpflichteten Unternehmens nicht oder – unter Berücksichtigung von Schwere, Verursachungsbeitrag und Folgewirkungen der Verletzung – nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich wäre. § 7 Abs. 2 LkSG legt nahe, dass das Konzept einerseits die in Rede stehende Ver- 77 letzung bezeichnen, andererseits konkrete und umsetzbar Maßnahmen definieren muss, um die Verletzung zu beenden oder deren Ausmaß zu minimieren. Rein abstrakte Ausführungen, die Benennung von pauschalen oder gänzlich unspezifischen Maßnahmen oder der Verweis auf Maßnahmen, die von vornherein als nicht oder nur eingeschränkt umsetzbar erscheinen, werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Das Konzept muss ferner gemäß § 7 Abs. 2 S. 2 LkSG einen konkreten Zeitplan 78 enthalten. Durch Beifügung eines Zeitplans soll es ermöglicht werden, die Fortschritte der Abhilfemaßnahmen zu überwachen und deren Erfolg in regelmäßigen Abständen zu bewerten. Dies setzt voraus, dass sowohl den einzelnen Abhilfemaßnahmen als auch dem eigentlichen Abhilfeziel konkrete zeitliche Zieldaten zugeordnet werden. Ein taggenauer Zeitplan, dessen exakte Verwirklichung anOtt

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen gesichts der regelmäßig bestehenden Unwägbarkeiten von vornherein zumeist unrealistisch wäre, kann indes nicht erwartet werden. Gleichwohl muss der Zeitplan einen konkreten Rahmen vorgeben, welcher zumindest eine ungefähre zeitliche Zuordnung der Abhilfemaßnahmen ermöglicht. Bewirkt die Umsetzung der im Konzept vorgesehenen Maßnahmen nach Ablauf der im Zeitplan festgelegten Zeiten keine Abhilfe (vgl. §§ 7 Abs. 3 Nr. 1 LkSG), kann dies unter den weiteren Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 LkSG einen Abbruch der Geschäftsbeziehung erforderlich machen (dazu Rz. 99 ff.). 5. Maßnahmenkatalog, § 7 Abs. 2 Satz 3 LkSG 79 § 7 Abs. 2 S. 3 LkSG beschreibt verschiedene Maßnahmen, welche als Bestand-

teil des Konzepts in Betracht zu ziehen sind. Im Gegensatz zu § 6 Abs. 4 LkSG handelt es sich bei § 7 Abs. 2 Satz 3 LkSG nicht um verbindliche Regelbeispiele. Die in § 7 Abs. 2 Satz 3 LkSG aufgezählten Maßnahmen müssen mithin nicht notwendig im Konzept enthalten sein. Vielmehr sind diese von dem verpflichteten Unternehmen bei Erstellung und Umsetzung des Konzepts lediglich „in Betracht zu ziehen“.42 Dies bedeutet, dass die Maßnahmen bei der Erstellung des Konzepts zumindest erwogen werden müssen; bestehen hierfür sachliche Gründe, kann indes von einer Aufnahme der entsprechenden Maßnahme in das Konzept abgesehen werden. Welche Maßnahmen das Konzept im Einzelfall enthält, bleibt damit letztlich dem verpflichteten Unternehmen überlassen. a) Gemeinsamer Plan zur Beendigung oder Minimierung, § 7 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LkSG aa) Allgemeines

80 Gemäß § 7 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 LkSG ist zunächst die gemeinsame Erarbeitung und

Umsetzung eines Plans zur Behebung des Missstandes mit dem Unternehmen in Betracht zu ziehen, durch welches die Verletzung verursacht wird.

81 Die Regelung betrifft die Erstellung eines Korrekturmaßnahmen-Plans („cor-

rective actions plan, CAP“). Der Plan ist nach dem Gesetzeswortlaut mit dem Unternehmen zu erarbeiten und umzusetzen, durch welches die Verletzung verursacht wird. Da § 7 Abs. 2 LkSG Abhilfemaßnahmen in Bezug auf Rechtsverletzungen regelt, welche bei einem unmittelbaren Zulieferer eingetreten sind, ist davon auszugehen, dass auch der Korrekturmaßnahmen-Plan gemäß § 7 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 LkSG (primär) mit dem unmittelbaren Zulieferer erstellt werden soll. Sind weitere Personen oder Unternehmen an der Verletzung beteiligt, können indes auch diese in die Erstellung des Plans einbezogen werden.

82 Der Plan ist gemeinsam mit dem Zulieferer zu erarbeiten. Dies setzt die Bereit-

schaft des Zulieferers voraus, an der Erstellung und Umsetzung des Plans mitzuwirken. Ist der Zulieferer (gegebenenfalls trotz einer insoweit bestehenden 42 Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2169.

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vertraglichen Verpflichtung, vgl. unten Rz. 89) nicht bereit in der Lage, an der Erstellung des Plans (konstruktiv) mitzuwirken, sind andere Abhilfemaßnahmen zu prüfen und in das Minimierungskonzept aufzunehmen. Der Korrekturmaßnahmen-Plan muss insoweit lediglich „in Betracht gezogen“ werden und ist nicht obligatorisch.43 bb) Möglicher Inhalt des Korrekturmaßnahmen-Plans Nach der Gesetzesbegründung soll gegenüber einem (unmittelbaren) Zulieferer, 83 der die Verletzung aufgrund eines Verstoßes gegen den vertraglich vereinbarten Lieferantenkodex verursacht hat, auf Grundlage eines individuellen Korrekturmaßnahmen-Plans verlangt werden, die Vorgaben aus dem Lieferantenkodex bis zu einer bestimmten Frist zu erfüllen (z.B. bestimmte Arbeitsschutzstandards einzurichten).44 Im Übrigen enthalten weder das Gesetz noch die Gesetzesbegründung Vorgaben 84 in Bezug auf den Inhalt des Korrekturmaßnahmen-Plans. Als mögliche Leitlinien kommen insoweit in Betracht: Zunächst sollten mit dem unmittelbaren Zulieferer klare Ziele festgelegt werden, 85 welches durch den gemeinsamen Plan erreicht werden sollen.45 Diese Ziele sollte mit den menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen des verpflichteten Unternehmens übereinstimmen und klar beschrieben werden. Die Verletzungen, die beendet werden sollen, sollten dabei in dem Plan konkret benannt werden. Sodann sind konkrete Schritte zu definieren, wie dieses Ziel erreicht werden 86 kann. Insbesondere sollte klar festgelegt werden, wer für die Umsetzung dieser Schritte zuständig ist und bis wann die einzelnen Schritte umgesetzt sein sollen. Es bietet sich an, auch in dem gemeinsamen Korrekturmaßnahmen-Plan konkrete Termine zu vereinbaren, um den Umsetzungsfortschritt effektiv überprüfen zu können46 und so frühzeitig abschätzen zu können, ob die Ziele des gemeinsamen Plans erreicht werden können oder nicht. Auch sollte bereits im Rahmen der Planerstellung erörtert und gegebenenfalls 87 definiert werden, welche Konsequenzen das verpflichtete Unternehmen ziehen wird, sofern der Korrekturmaßnahmen-Plan nicht im vorgegebenen Zeitfenster umgesetzt werden kann.47 In Betracht kommt insoweit etwa das temporäre Aussetzen der Lieferbeziehung, § 7 Abs. 2 Nr. 3 LkSG, welches im Rahmen des Plans an die Nichterfüllung von konkreten Maßnahmen geknüpft werden kann. 43 Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2169. 44 BT-Drucks. 19/28649, 48 f. 45 Vgl. Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 46. 46 Vgl. Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 46. 47 Vgl. Praxisleitfaden Nachhaltigkeit in der Lieferkette des Deutschen Global Compact Netzwerks, 2012, S. 37.

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen 88 An der Erstellung des Plans sollte sowohl der Menschenrechtsbeauftragte des

verpflichteten Unternehmens als auch, falls vorhanden, derjenige des unmittelbaren Zulieferers beteiligt werden. Ist beim unmittelbaren Zulieferer kein Menschenrechtsbeauftragter vorhanden, etwa, weil dieser nicht dem LkSG oder einer vergleichbaren gesetzlichen Regelung unterliegt, sollte ein Mitarbeiter der Compliance-, Qualitätssicherungs- oder Rechtsabteilung hinzugezogen werden. Zudem sollte ein Mitarbeiter der Abteilung des unmittelbaren Zulieferers mit einbezogen werden, in der die Verletzung ausgemacht wurde. So kann bei der Vereinbarung konkreter Schritte auf die speziellen Prozesse dieser Abteilung eingegangen werden. Auch die Betroffenen oder deren Interessenvertreter sollten, soweit möglich, bei der Erarbeitung des Plans miteinbezogen werden.48 Ob weitere Personen, gegebenenfalls auf höheren Hierarchieebenen, hinzugezogen werden sollten, hängt von der Schwere der Verletzung ab. Je schwerer die Verletzung, desto eher sollten auch Mitglieder der Geschäftsleitung des Zulieferers in die Erstellung des Plans einbezogen werden.

89 Der Gesetzesbegründung liegt das Leitbild zugrunde, dass der Korrekturmaß-

nahmen-Plan von dem unmittelbaren Zulieferer und dem verpflichteten Unternehmen gemeinsam entwickelt wird.49 Voraussetzung hierfür ist eine entsprechende Mitwirkungsbereitschaft des Zulieferers. Insoweit ist es ggf. empfehlenswert, bereits bei Etablierung der Geschäftsbeziehung eine vertragliche Verpflichtung des Lieferanten zur Mitwirkung an der Erstellung eines etwa erforderlichen Korrekturmaßnahmen-Plans zu begründen. Die Begründung einer entsprechenden Verpflichtung kann individualvertraglich, aber auch durch allgemeine Geschäftsbedingungen erfolgen (vgl. dazu § 6 Rz. 120).

90 Die Rechtsnatur des Korrekturmaßnahmen-Plans lässt das Gesetz offen. Frag-

lich ist insbesondere, ob der Plan einer verbindlichen Vereinbarung bedarf. Dies ist mit Blick auf den Gesetzeswortlaut abzulehnen. Im Gegensatz zu § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG sieht das Gesetz gerade nicht die Vereinbarung, sondern lediglich die gemeinsame Erarbeitung des Plans vor. Dies bedeutet, dass, sofern weitergehende Zusagen im Einzelfall nicht erreichbar sind, auch die (ernsthafte) Absichtsbekundung des Zulieferers zur Mitwirkung an der Umsetzung von bestimmten Abhilfemaßnahmen als Korrekturmaßnahmen-Plan im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 1 LkSG angesehen: werden kann. b) Zusammenschluss mit anderen Unternehmen, § 7 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LkSG

91 In Betracht zu ziehen ist gemäß § 7 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 LkSG ferner der Zusam-

menschluss mit anderen Unternehmen im Rahmen von Brancheninitiativen und Branchenstandards, um die Einflussmöglichkeit auf den Verursacher zu erhöhen. Die Regelung geht davon aus, dass die Einflussmöglichkeiten auf den die Verletzung verursachenden unmittelbaren Zulieferer durch das gezielte Zusam48 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 49. 49 BT-Drucks. 19/28649, 48.

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menwirken von mehreren Unternehmen erhöht und die Bereitschaft des Verursachers zur Beendigung der Verletzung hierdurch gesteigert werden kann.50 Brancheninitiativen sind Zusammenschlüsse von mehreren Unternehmen in- 92 nerhalb derselben oder ähnlicher Branchen, die sich auf einen gemeinsamen Standard oder gemeinsame Maßnahmen zur Vermeidung sozial- ökologischer Nebenfolgen bei ihren Lieferanten verständigt haben.51 Entsprechende Brancheninitiativen existieren bereits in zahlreichen Industriebereichen, z.B. in den Bereichen Chemie („Together for Sustainability“ oder „Chemie3“), Gesundheitswesen („Responsible Health Initiative“), Beauty und Kosmetik („Responsible Beauty Initiative“), Eisenbahn- und Schienenverkehr („Railsponsible“), Konsumgüter („AIM-Progress“) oder Telekommunikation („Coperation beyond Competition“).52 Brancheninitiativen können zunächst unabhängig von einem Verstoß zur Definition gemeinsamer (präventiver) Standards gegründet werden. Daneben ist es denkbar, dass sich Unternehmen anlässlich eines konkreten Verstoßenes zusammenschließen, um gemeinsame Abhilfemaßnahmen zu definieren und durch das gemeinsame Vorgehen den Einfluss und Druck auf das verletzende Unternehmen zu erhöhen. Neben Brancheninitiativen verweist das Gesetz auch auf Branchenstandards. 93 Hierbei handelt es sich um gemeinsame Leitlinien oder „Best Practices“, welche durch Verbände oder Unternehmen einer Branche erstellt und veröffentlicht werden, um einheitliche Erwartungen und Anforderungen in Bezug auf die Erfüllung der menschenrechtsbezogenen sowie umweltbezogenen Pflichten durch Lieferanten zu definieren. Denkbar ist etwa die Entwicklung von branchenweiten Lieferantenkodizes, um durch die einheitliche Definition der menschenrechts- sowie umweltbezogenen Anforderungen den Erfüllungs- und Umsetzungsaufwand sowohl auf Seiten der verpflichteten Unternehmen als auch auf Seiten der Lieferanten zu verringern. Entsprechende Branchenstandards sind derzeit in verschiedenen Branchen in der Entstehung.53 Im Rahmen von etwaigen „Zusammenschlüssen“ sind kartellrechtliche Grenzen 94 zu beachten.54 Für Zusammenschlüsse zu Brancheninitiativen, welche unter Berücksichtigung der jeweiligen Sachlage als notwendig und angemessen erscheinen, um unmittelbar drohende oder fortdauernde Menschenrechts- oder Umweltverletzungen zu verhindern oder zu beenden, spricht indes viel dafür, dass § 7 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LkSG kartellrechtlich als Safe Harbour zu werten ist.55 50 51 52 53

BT-Drucks. 19/28649, 48. Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 165. Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 165. Vgl. etwa für die chemisch-pharmazeutischen Industrie die Initiative von Chemie3, https://www.chemiehoch3.de/branchenstandard/. 54 Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2169; Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 910; Stellungnahme der Ausschüsse Corporate Social Responsibility und Compliance, Handelsrecht sowie Menschenrechte des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2021, 546, 551; Ritz/von Schreitter; NZKart 2022, 251. 55 Ekkenga/Erlemann, ZIP 2022, 49, 55.

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen c) Aussetzen von Geschäftsbeziehungen, § 7 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 LkSG 95 Ferner ist gemäß § 7 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 LkSG ein temporäres Aussetzen der Ge-

schäftsbeziehung während der Bemühungen zur Risikominimierung in Betracht zu ziehen.

96 Nach der Gesetzesbegründung „sollte“ das verpflichtete Unternehmen, sofern

absehbar ist, dass der unmittelbare Zulieferer den im Konzept erarbeiteten Anforderungen nicht nachkommt, eine Vertragsstrafe durchsetzen, die Geschäftsbeziehungen nach Maßgabe vertraglicher Vereinbarungen zeitweise aussetzen oder das Unternehmen von möglichen Vergabelisten streichen, bis der Vertragspartner die Verletzung beendet hat.56

97 Auch in Bezug auf das Aussetzen der Geschäftsbeziehung begründet § 7 Abs. 2

S. 3 Nr. 3 LkSG entgegen der insoweit überschießenden Formulierung der Gesetzesbegründung keine Rechtspflicht; vielmehr ist die Aussetzung im Rahmen der Erarbeitung und Umsetzung des Konzepts gemäß § 7 Abs. 2 LkSG als Maßnahme „in Betracht“ zu ziehen“. Ob eine Aussetzung der Geschäftsbeziehung in Betracht kommt, hängt im Einzelfall von verschiedenen Umständen, insbesondere der Schwere und den Auswirkungen der Verletzung, den Einwirkungsmöglichkeiten des Unternehmens sowie den bestehenden vertraglichen Regelungen ab. In vielen Fällen wird eine (auch nur temporäre) Aussetzung der Geschäftsbeziehung für das verpflichtete Unternehmen mit erheblichen Nachteilen verbunden sein.57 Der Grundsatz der Angemessenheit findet insoweit Anwendung. Eine Aussetzung der Lieferbeziehung kommt danach (nur) dann in Betracht, wenn nicht unerhebliche Verletzungen (fort-)bestehen, zugleich feststeht oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die im Konzept vorgesehenen oder mögliche alternative Bemühungen zur Risikominimierung innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens zu keinem Erfolg führen werden und keine besonderen Umstände aus Sicht des verpflichteten Unternehmens vorliegen, welche eine Aussetzung der Lieferbeziehung und Würdigung der vorstehenden Umstände als unangemessen erscheinen lassen.

98 Im Hinblick auf § 7 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 LkSG ist es sinnvoll, in den vertraglichen

Vereinbarungen mit dem unmittelbaren Zulieferer für den Fall von andauernden Verstößen gegen menschenrechts- oder umweltbezogene Pflichten das Recht zu einer Aussetzung sowie ggf. zu einer Beendigung der Geschäftsbeziehungen zu verankern (zu den diesbezüglichen Präventionspflichten vgl. § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG).

56 BT-Drucks. 19/28649, 49. 57 Stellungnahme der Ausschüsse Corporate Social Responsibility und Compliance, Handelsrecht sowie Menschenrechte des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2021, 546, 551 nennt dies „kontraproduktiv und in der Realität indiskutabel“.

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V. Abbruch von Geschäftsbeziehungen, § 7 Abs. 3 LkSG § 7 Abs. 3 LkSG regelt die Verpflichtung zum Abbruch der Geschäftsbeziehung. 99 Dabei gilt der Grundsatz „Befähigung vor Rückzug“.58 Ein Abbruch der Geschäftsbeziehung ist demnach nur in Ausnahmefällen geboten, sofern die in § 7 Abs. 3 Nr. 1 bis Nr. 3 LkSG geregelten Voraussetzungen kumulativ verwirklicht sind. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen Unternehmen durch die Regelung in § 7 Abs. 2 und Abs. 3 LkSG darin bestärkt werden, zuerst gemeinsam mit Zulieferern oder innerhalb der Branche nach Lösungen für komplexe und schwierig zu behebende Missstände zu suchen, bevor sie sich aus einem Geschäftsfeld zurückziehen.59 Nur in den Fällen, in denen die Verletzung oder der Verstoß als sehr schwerwiegend bewertet werden, nach Ablauf des im Konzept nach § 7 Abs. 2 LkSG definierten Zeitplans alle Versuche der Risikominimierung gescheitert sind, dem Unternehmen keine anderen milden Mittel zur Verfügung stehen und eine Erhöhung des Einflussvermögens als nicht aussichtsreich erscheint, ist als letztes Mittel ein Abbruch der Geschäftsbeziehung in Betracht zu ziehen.60 Der Abbruch der Geschäftsbeziehung stellt mithin stets die ultima ratio dar.61 100 So stellt der Abbruch einerseits unter dem Aspekt eines effektiven Schutzes der Menschenrechte häufig nicht die vorzugswürdige Maßnahme dar, da der Abbruch für sich genommen nicht notwendig zu einer Minderung oder Beendigung der Verletzung führt. Auch kann ein Abbruch für Menschen, welche bei dem jeweiligen Zulieferer arbeiten, den Verlust der Lebensgrundlage bedeuten.62 Auch aus Sicht des verpflichteten Unternehmens hat ein Abbruch der Geschäftsbeziehung häufig schwerwiegende Folgen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass viele Unternehmen zumindest hinsichtlich einzelner Komponenten nur über einzelne Zulieferer verfügen (Single-Source-Supplier), und ein Austausch des Zulieferers vielfach zumindest nicht kurzfristig möglich ist, da die Auswahl, die Etablierung ausreichender Qualitätsstandards sowie der Aufbau eines ausreichenden Vertrauensverhältnisses zu einem neuen Zulieferer eine nicht unerhebliche Zeit in Anspruch nehmen kann.63 In diesen Fällen kann trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 LkSG ein Abbruch der Geschäftsbeziehung aus Sicht des verpflichteten Unternehmens unangemessen sein; letzteres kann insbesondere dann in Betracht kommen, wenn das verpflichtete Unternehmen über die bestehende Vertragsbeziehung hinaus keinen Beitrag zu der Verletzung geleistet hat und lediglich einer von vielen Abnehmern des verletzenden Unternehmens ist.64 58 59 60 61 62 63 64

BT-Drucks. 19/28649, 49. BT-Drucks. 19/28649, 49. BT-Drucks. 19/28649, 49. Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 148. Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 166. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 238. Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 115.

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen 101 Ein zivilrechtliches „Loslösungsrecht“ gewährt § 7 Abs. 3 LkSG nicht ausdrück-

lich.65 Bestehende zivilrechtliche Beendigungstatbestände, wie etwa der Rücktritt, bestehen jedoch neben dem LkSG fort. Auch wird bei einer sehr schwerwiegenden Verletzung i.S.d. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LkSG regelmäßig eine „wesentliche Vertragsverletzung“ vorliegen und/oder ein Festhalten an dem Vertrag „unzumutbar“ sein, sodass die Tatbestände gesetzlicher Kündigungs- und Rücktrittsrechte regelmäßig erfüllt sein werden.66 Dennoch ist den verpflichteten Unternehmen zu raten, in dem Lieferantenkodex oder den sonstigen vertraglichen Vereinbarungen mit unmittelbaren Zulieferern für den Fall von schwerwiegenden Verstößen gegen Menschenrechts- oder umweltbezogene Pflichten ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht zu vereinbaren (zu den diesbezüglichen Präventionspflichten vgl. § 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG).67 1. Abbruchgrund, § 7 Abs. 3 Satz 1 LkSG

102 Damit ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen geboten ist, müssen die Voraus-

setzungen der § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1–3 LkSG kumulativ vorliegen.68

a) Sehr schwerwiegende Verletzung, § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LkSG 103 Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LkSG ist Voraussetzung für einen Abbruch der

Geschäftsbeziehung zunächst, dass die Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht als „sehr schwerwiegend“ bewertet wird. Das Gesetz konkretisiert nicht näher, unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß als sehr schwerwiegend einzustufen ist. Der Wille des Gesetzgebers sowie der Wortlaut des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LkSG legen nahe, dass insoweit ein strenger Maßstab gelten soll. Hierfür spricht zunächst, dass ein Abbruch der Geschäftsbeziehung nur als ultima ratio in Betracht kommen soll. Für ein restriktives Verständnis spricht ferner, dass der Gesetzeswortlaut einen schwerwiegenden Verstoß für nicht ausreichend erachtet, sondern vielmehr einen „sehr schwerwiegenden“ Verstoß verlangt. Als Kriterien für die Schwere der Verletzung kommen die Art der verletzten Rechtsposition, Umfang und Intensität des Verstoßes, die Anzahl der betroffenen Personen, die Auswirkungen sowie die Reversibilität der Verletzung in Betracht.69

104 Der „OECD Due Diligence Guide for Responsible Supply Chains for Minerals from

Conflict-Affected and High-Risk-Areas“ empfiehlt den Abbruch der Geschäftsbeziehung mit Unternehmen, die insbesondere direkt zu Sklaverei, Zwangs65 66 67 68

Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 114. Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 113 f. Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 114. BT-Drucks. 19/28649, 49; Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2169; Stellungnahme der Ausschüsse Corporate Social Responsibility und Compliance, Handelsrecht sowie Menschenrechte des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2021, 546, 551. 69 Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 166.

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arbeit, schwerster Kinderarbeit, weitreichender sexueller Gewalt, Kriegsverbrechen oder anderen schweren Verletzung des humanitären Völkerrechts beitragen70 Die vorstehenden Wertungen können auf § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LkSG übertragen werden. Liegt ein Verstoß gegen die vorstehenden Verbote vor, ist eine „sehr schwerwiegende“ Verletzung regelmäßig indiziert.71 Daneben kann eine sehr schwerwiegende Verletzung auch aus einem andauern- 105 den und nachhaltigen Verstoß gegen wesentliche umweltbezogene Pflichten folgen.72 b) Keine eine Abhilfe durch Minimierungskonzept, § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 LkSG Ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen ist weiterhin nur geboten, wenn die 106 Umsetzung der im Minimierungskonzept vorgesehenen Maßnahmen nach Ablauf der im Konzept vorgesehenen Zeit keine Abhilfe bewirkt hat. Dies umfasst zunächst den Fall, dass das Minimierungskonzept bis zum Ablauf des definierten Zeitrahmens nicht umgesetzt wurde. Erfasst ist ferner der Fall, dass das Konzept zwar ganz oder jedenfalls teilweise umgesetzt wurde, die Umsetzung der im Konzept vorgesehenen Maßnahmen indes keine Abhilfe bewirkt haben, indes weder zu einer Minderung noch zu einer Beendigung des Verstoßes geführt haben Führt das Minimierungskonzept zumindest zu einem Teilerfolg, ist die Situa- 107 tion nach Ablauf der Frist neu zu bewerten. Erscheint eine weitere Minimierung oder Beendigung der Verletzung möglich, ist nach dem Grundsatz „Befähigung vor Rückzug“ das bestehende Konzept fortzusetzen bzw. um zusätzliche Abhilfemaßnahmen zu ergänzen. Das Ziel des Minimierungskonzeptes besteht darin, dass das verpflichtete Unternehmen auf den unmittelbaren Zulieferer einwirkt und so eine tatsächliche Verbesserung der menschenrechts- oder umweltbezogenen Situation erreicht. Dies ist auch bei einem Teilerfolg, bei dem der Verletzung graduell abgeholfen wird, der Fall, sodass in diesem Fall ein Abbruch der Geschäftsbeziehung regelmäßig nicht geboten sein wird. Auch kann eine Fristverlängerung möglich sein, wenn nach vernünftiger Ein- 108 schätzung des verpflichteten Unternehmens konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass innerhalb der verlängerten Frist eine Abhilfe zu erwarten ist. Wird die Frist wiederholt verlängert, ohne dass bei objektiver Betrachtung Fortschritte ersichtlich sind, liegt eine Verwirklichung von § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 LkSG nahe. Im Einzelfall ist denkbar, dass ein Minimierungskonzept aufgrund des Verhal- 109 tens des unmittelbaren Zulieferers schon von vornherein aussichtslos ist, da 70 OECD Due Diligence Guide for Responsible Supply Chains for Minerals from ConflictAffected and High-Risk-Areas, Third Edition, S. 21; Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 166. 71 Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, S. 166. 72 Harings/Jürgens, RdTW 2021, 297, 300.

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen das Vertrauensverhältnis bereits zerrüttet ist.73 Ebenfalls ist denkbar, das aufgrund des Verhaltens des Zulieferers bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist feststeht, dass eine Abhilfe nicht erfolgen wird. In den vorstehend genannten Fällen erscheint ein Zuwarten auf das Verstreichen der Umsetzungsfrist als Förmelei; vielmehr ist bei Verwirklichung der weiteren Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nr. 3 LkSG zu prüfen, ob eine sofortige Beendigung der Geschäftsbeziehung geboten ist. c) Keine milderen Mittel, § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 LkSG 110 Ein Abbruch der Geschäftsbeziehung ist ferner nur dann geboten, wenn dem

verpflichteten Unternehmen keine anderen milderen Mittel zur Verfügung stehen, um dem Verstoß abzuhelfen und auch eine Erhöhung des Einflussvermögens auf das verletzende Unternehmen als nicht aussichtsreich erscheint.

111 Als mildere Mittel kommen alle Maßnahmen, gleich ob formeller oder informel-

ler Art, in Betracht, die dazu beitragen können, die Verletzung menschenrechtsoder umweltbezogener Pflichten beim unmittelbaren Zulieferer zu beenden oder zu minimieren. Sämtliche Möglichkeiten der Einflussnahme und der Einwirkung auf das Unternehmen sind hiervon umfasst. So können etwa Schulungen und Fortbildungen gem. § 6 Abs. 4 LkSG etabliert oder intensiviert oder der unmittelbare Zulieferer technisch oder organisatorisch unterstützt werden.74 Ebenso können Anreize dafür geschaffen werden, um die Verletzung zu beenden oder zu minimieren; in Betracht kommt etwa die Aussicht auf eine Ausweitung der Lieferbeziehung oder eine Verlängerung der bestehenden Verträge.75 Auch persönliche Gespräche zwischen den Verantwortlichen des verpflichteten Unternehmens und der Führungsebene des Zulieferers können als milderes Mittel in Betracht kommen.76 Dasselbe kann für das Zusammenwirken mit anderen betroffenen Unternehmen oder Brancheninitiativen im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 2 LkSG gelten. Solange aus Sicht des verpflichteten Unternehmens die realistische Aussicht besteht, die Verletzung durch anderweitige Maßnahmen im vorstehenden Sinn zu beenden, ist eine Beendigung der Geschäftsbeziehung nicht geboten; letzteres ist nur dann der Fall, wenn mildere Mittel entweder nicht er-

73 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 113. 74 Vgl. Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 46, verfügbar unter https://www.bmuv.de/fileadmin/Da ten_BMU/Pools/Broschueren/leitfaden_nachhaltige_lieferkette_bf.pdf, zuletzt abgerufen am 14.2.2022. 75 OECD Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, 2018, S. 82, verfügbar unter https://mneguidelines.oecd.org/ OECD-leitfaden-fur-die-erfullung-der-sorgfaltspflicht-fur-verantwortungsvolles-unter nehmerisches-handeln.pdf, zuletzt abgerufen am 22.2.2022. 76 Vgl. OECD Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, 2018, S. 82, verfügbar unter https://mneguidelines.oecd.org/ OECD-leitfaden-fur-die-erfullung-der-sorgfaltspflicht-fur-verantwortungsvolles-unterneh merisches-handeln.pdf, zuletzt abgerufen am 22.2.2022.

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sichtlich oder bereits ausgeschöpft sind, ohne die Verletzung zu minimieren oder zu beenden. 2. Keine Pflicht wegen fehlender Ratifizierung, § 7 Abs. 3 Satz 2 LkSG Da die Ratifizierung von Abkommen und deren Umsetzung ins nationale Recht 112 Aufgabe des Staates und nicht von Unternehmen ist, kann die Nichtratifikation von menschenrechtlichen oder umweltrechtlichen Abkommen oder deren Nichtumsetzung in nationales Recht für sich genommen kein Auslöser für die Pflicht sein, die Geschäftsbeziehung abzubrechen oder von vornherein nicht einzugehen.77 Gleichwohl können staatliche Defizite im Bereich der Menschenrechte oder staatliche Menschenrechtsverletzungen, für welche die Nichtratifikation wesentlicher Abkommen einen Indikator darstellen kann, für das verpflichtete Unternehmen relevante menschenrechtliche Risiken, § 2 Abs. 2 LkSG, zur Folge haben.78 Dasselbe gilt auch in Bezug auf umweltbezogene Risiken, § 2 Abs. 3 LkSG.79 Der Umstand der Nichtratifikation und/oder der unzureichenden Umsetzung von ratifizierten Abkommen ist demnach in die Risikoanalyse, § 5 LkSG, miteinzubeziehen.80 3. Einschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs, § 7 Abs. 3 Satz 3 LkSG Durch die Regelung des § 7 Abs. 3 Satz 3 LkSG wird verdeutlicht, dass sich eine 113 Pflicht zum Abbruch von Geschäftsbeziehungen nicht nur aus dem LkSG ergeben kann. Vielmehr bleiben Einschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs, welche sich aus oder aufgrund von Bundesrecht, dem Recht der Europäischen Union oder dem Völkerrecht aus anderen nationalen, europäischen oder internationalen Rechtsvorschriften ergeben und einen partiellen oder vollständigen Abbruch der Geschäftsbeziehungen erforderlich machen, unberührt.81

VI. Überprüfung, § 7 Abs. 4 LkSG 1. Überprüfung der Wirksamkeit, § 7 Abs. 4 Satz 1 LkSG Die Wirksamkeit der Abhilfemaßnahmen ist einmal jährlich und anlassbezogen 114 zu überprüfen. Hinsichtlich des Anlasses wird auf die Kommentierung zu § 6 Abs. 5 Satz 1 LkSG verwiesen. Die Pflicht zur Überprüfung bezieht sich zunächst auf laufende und noch nicht 115 abgeschlossene Abhilfemaßnahmen gemäß § 7 Abs. 1 sowie Abs. 2 LkSG; diese 77 78 79 80 81

BT-Drucks. 19/30505, 41. BT-Drucks. 19/30505, 41. BT-Drucks. 19/30505, 41. BT-Drucks. 19/30505, 41. Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1237, 1244.

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§ 7 | Abhilfemaßnahmen sind unter Berücksichtigung des Abhilfekonzeptes sowie des hierin vorgesehenen Zeitplans auf Wirksamkeit und Fortschritte zu überprüfen. Ob aus § 7 Abs. 4 Satz 1 LkSG daneben auch die Verpflichtung folgt, ein bereits erfolgreich umgesetztes und abgeschlossenes Abhilfekonzept fortlaufend auf dessen Wirksamkeit zu überprüfen, lässt sich dem Wortlaut des Gesetzes nicht eindeutig entnehmen.82 Dagegen spricht, dass sich § 7 Abs. 4 LkSG systematisch auf § 7 Abs. 1 sowie Abs. 2 LkSG bezieht, welche die laufende Abhilfe regeln. Ist die Hilfemaßnahme umgesetzt und der Vorstoß beendet, gelten vielmehr die allgemeinen Präventionspflichten gemäß § 6 LkSG. 2. Berücksichtigung von Hinweisen, § 7 Abs. 4 Satz 2 LkSG 116 Sowohl Erkenntnisse aus der Bearbeitung von Hinweisen nach § 8 Abs. 1 LkSG,

als auch aus der Durchführung von Streitbeilegungsverfahren nach § 8 Abs. 1 Satz 4 LkSG sind im Rahmen der regelmäßigen Überprüfung der Abhilfemaßnahmen zu berücksichtigen. 3. Unverzügliche Aktualisierung, § 7 Abs. 4 Satz 3 LkSG

117 Sollte im Rahmen einer Wirksamkeitsüberprüfung eine veränderte Risikolage

festgestellt worden sein, sind die Abhilfemaßnahmen unverzüglich zu aktualisieren, d.h. an die veränderten Umstände anzupassen. Hinsichtlich des Merkmals „unverzüglich“ gilt das zu § 7 Abs. 1 LkSG Gesagte (Rz. 35).

82 Dafür Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 148.

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§ 8 Beschwerdeverfahren (1) Das Unternehmen hat dafür zu sorgen, dass ein angemessenes unternehmensinternes Beschwerdeverfahren nach den Absätzen 2 bis 4 eingerichtet ist. Das Beschwerdeverfahren ermöglicht Personen, auf menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken sowie auf Verletzungen menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten hinzuweisen, die durch das wirtschaftliche Handeln eines Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich oder eines unmittelbaren Zulieferers entstanden sind. Der Eingang des Hinweises ist den Hinweisgebern zu bestätigen. Die von dem Unternehmen mit der Durchführung des Verfahrens betrauten Personen haben den Sachverhalt mit den Hinweisgebern zu erörtern. Sie können ein Verfahren der einvernehmlichen Beilegung anbieten. Die Unternehmen können sich stattdessen an einem entsprechenden externen Beschwerdeverfahren beteiligen, sofern es die nachfolgenden Kriterien erfüllt. (2) Das Unternehmen legt eine Verfahrensordnung in Textform fest, die öffentlich zugänglich ist. (3) Die von dem Unternehmen mit der Durchführung des Verfahrens betrauten Personen müssen Gewähr für unparteiisches Handeln bieten, insbesondere müssen sie unabhängig und an Weisungen nicht gebunden sein. Sie sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. (4) Das Unternehmen muss in geeigneter Weise klare und verständliche Informationen zur Erreichbarkeit und Zuständigkeit und zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens öffentlich zugänglich machen. Das Beschwerdeverfahren muss für potenzielle Beteiligte zugänglich sein, die Vertraulichkeit der Identität wahren und wirksamen Schutz vor Benachteiligung oder Bestrafung aufgrund einer Beschwerde gewährleisten. (5) Die Wirksamkeit des Beschwerdeverfahrens ist mindestens einmal im Jahr sowie anlassbezogen zu überprüfen, wenn das Unternehmen mit einer wesentlich veränderten oder wesentlich erweiterten Risikolage im eigenen Geschäftsbereich oder beim unmittelbaren Zulieferer rechnen muss, etwa durch die Einführung neuer Produkte, Projekte oder eines neuen Geschäftsfeldes. Die Maßnahmen sind bei Bedarf unverzüglich zu wiederholen. I. Überblick (Abs. 1 Satz 1) 1. Normativer Hintergrund und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angemessenheitsvorbehalt (Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . 3. Einbindung der Zielgruppen des Beschwerdemechanismus a) Einbindung der eigenen Beschäftigten . . . . . . . . . . . b) Einbindung von Mitgliedern sonstiger Zielgruppen? . . . .

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. .

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II. Verpflichtete Unternehmen – Gruppenweite Umsetzung (Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . III. Interne Einrichtung oder Beteiligung an Branchenverfahren (Abs. 1 Satz 6)? . . . . . . . . . . . . 1. Outsourcing auf Ombudsperson? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beteiligung an einem Branchenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 8 | Beschwerdeverfahren IV. Verhältnis zu sonstigen Hinweisgebersystemen . . . . . . 1. Verhältnis der §§ 8, 9 LkSG zu den Anforderungen der EU-Hinweisgeberrichtlinie a) Doppelt verpflichtete Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . b) Möglichkeit der Einrichtung von integrierten Meldesystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hinweisgebersystem oder Schlichtungs- bzw. Abhilfemechanismus? . . . . . . . . . . . . V. Taugliche Meldeinhalte und Hinweisgeber (Abs. 1 Satz 2) 1. Taugliche Hinweisgeber – Hinweisbefugnis a) Grundsatz: Jedermann . . . . b) Anonymität? . . . . . . . . . . . 2. Taugliche Meldeinhalte . . . . . VI. Taugliche Meldekanäle – Zugänglichkeit (Abs. 4 Satz 2) . . 1. Technische und sprachliche Barrierefreiheit . . . . . . . . . . . 2. Zeitliche Barrierefreiheit . . . . 3. Informatorische Barrierefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Compliance-Dokumentation zum Beschwerdeverfahren 1. Verfahrensordnung (Abs. 2) . a) Zuständigkeit und Inhalt . . . b) Öffentliche Zugänglichkeit . 2. Informationen zur Erreichbarkeit, Zuständigkeit und Durchführung (Abs. 4 Satz 1) a) Inhalt und Form . . . . . . . . b) Öffentliche Zugänglichkeit . 3. Verankerung des Beschwerdeverfahrens in sonstiger Compliance-Dokumentation . . . . . a) Interne Richtlinie zum Beschwerdemanagement . . . . b) Anpassung der bestehenden Compliance-Dokumentation VIII. Verantwortliche für das Beschwerdeverfahren bzw. Hinweisbearbeiter (Abs. 3) 1. Auswahlgrundsätze . . . . . . . .

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2. Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Weisungsungebundenheit (Abs. 3 Satz 1) . . . . . . . . . 3. Verschwiegenheitspflicht (Abs. 3 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . IX. Identitäts- und Datenschutz (Abs. 4 Satz 2) 1. Maßnahmen zur Wahrung der Vertraulichkeit der Identität . . 2. Maßnahmen zum Datenschutz X. Hinweismanagement und -bearbeitung (Abs. 1 Satz 3–5) 1. Eingangsbestätigung (Abs. 1 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachverhaltserörterung mit dem Hinweisgeber (Abs. 1 Satz 4) . . a) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . b) Zeitpunkt und Art und Weise der Durchführung . . . . . . . . c) Anonym bleibende bzw. nicht gesprächsbereite Hinweisgeber 3. Verfahren der einvernehmlichen Beilegung (Abs. 1 Satz 5) 4. Plausibilitätsprüfung . . . . . . . . 5. Weitere Aufklärungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Folgemaßnahmen . . . . . . . . . . 7. Dokumentation . . . . . . . . . . . . 8. Information der Geschäftsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Hinweisgeberschutz (Abs. 4 Satz 2) 1. Schutzvoraussetzungen . . . . . . a) Guter Glaube an die Richtigkeit der Information . . . . . . . b) Meldung an den internen Meldekanal als Schutzvoraussetzung? . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzumfang a) Persönlicher Schutzumfang . . b) Sachlicher Schutzumfang . . . aa) Benachteiligung . . . . . . . bb) Bestrafung . . . . . . . . . . 3. Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . 4. Schutz zu Unrecht Beschuldigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Überprüfung des Beschwerdeverfahrens (Abs. 5) . . . . . . . . .

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62 63

_ __ _ _ __ __ _ _ _ _ _ __ __ _ _ _ 66 69 70 71 74 75 78 79 81 82 84

85 86 88 89 91 92 94 95 98 99

Beschwerdeverfahren | § 8 Literatur: Dilling, Cat’s Gold-Plating – Der neue Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz, CCZ 2022, 145; Frank/Edel/Heine/Heine, Pionierarbeiten in der Lieferkette, BB 2021, 2165; Gehling/Ott/Lüneborg, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230; Lüneborg, Neue Pflichten zur Einrichtung von Hinweisgebersystemen – Integrierte Umsetzung in der Unternehmenspraxis, DB 2022, 375; Schmelzeisen, Die Whistleblower-Richtlinie, DK 2020, 413; Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67; Stemberg, Die drei „Schlüsselkritierien“ des Beschwerdeverfahrens nach § 8 Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, CCZ 2022, 92.

I. Überblick (Abs. 1 Satz 1) 1. Normativer Hintergrund und Funktion Normativer Ausgangspunkt der Verpflichtung zur Einrichtung eines Beschwer- 1 deverfahrens nach §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG dürften Ziff. 29 ff. der UN Guiding Principles on Business and Human Rights (UNGP)1 aus dem Jahr 2011 (s. dazu Einleitung Rz. 34 ff.) sein. Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist Ziff. 31 der UNGP, die die folgenden acht Effektivitätskriterien an die Wirksamkeit außergerichtlicher Beschwerdemechanismen stellt:2 – Legitimität: Stakeholder, für deren Inanspruchnahme der Beschwerdemechanismus konzipiert ist, sollen diesem vertrauen können. Der Beschwerdemechanismus soll für ein faires Verfahren einstehen. – Zugänglichkeit: Der Beschwerdemechanismus soll allen adressierten Stakeholdern bekannt sein. Denjenigen, die spezifischen Nutzungshürden begegnen, sollen Unterstützungsleistungen angeboten werden. – Berechenbarkeit: Der Ablauf des Beschwerdeverfahrens, die möglichen Verfahrensergebnisse und die Mittel zur Überwachung ihrer Umsetzung sollen im Vorhinein bestimmt und bekannt sein. Für jede Verfahrensstufe soll insoweit auch ein zeitlicher Rahmen festgelegt werden. – Ausgewogenheit: Es soll für Beschwerdeführer*innen der Zugang zu Informationen, Beratungsleistungen und Fachwissen gewährleistet werden, der für ihre gleichberechtigte, informierte Mitwirkung am Verfahren erforderlich ist. – Transparenz: Der Beschwerdemechanismus soll die Parteien eines Verfahrens über dessen Fortgang und die Öffentlichkeit umfassend über seine Tätigkeit unterrichten. – Rechtekompatibilität: Verfahrensergebnisse und Abhilfemaßnahmen sollen mit den international anerkannten Menschenrechten übereinstimmen. 1 Vgl. UN Guiding Principles on Business and Human Rights (UNGP), (abrufbar im Internet unter https://www.ohchr.org/documents/publications/guidingprinciplesbusinesshr_ en.pdf zuletzt abgerufen am 5.2.2022). 2 Vgl. UN Guiding Principles on Business and Human Rights (UNGP), (abrufbar im Internet unter https://www.ohchr.org/documents/publications/guidingprinciplesbusinesshr_ en.pdf zuletzt abgerufen am 5.2.2022).

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§ 8 | Beschwerdeverfahren – Quelle kontinuierlichen Lernens: Der Beschwerdemechanismus soll interne Prozesse der Qualitätskontrolle, -sicherung und -entwicklung speisen und extern zur Verhinderung künftiger Menschenrechtsverletzungen beitragen. – Auf Austausch und Dialog aufbauend: Potentielle Nutzer*innen des Beschwerdemechanismus sollen im Rahmen der Gestaltung und Implementierung des Mechanismus einbezogen werden. Bei einem Entscheidungsverfahren soll eine unabhängige Drittpartei herangezogen werden. Dialogbasierte Konfliktbearbeitungsverfahren sollen (vorrangig) zum Einsatz gelangen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Bedeutung des Begriffs des außergerichtlichen Beschwerdemechanismus weiter ist, als diejenige nach §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG und insbesondere stärker auf eine individuelle Wiedergutmachung angelegt ist (eingehend zur Abgrenzung unter Rz. 22 ff.). 2 Vor diesem Hintergrund hat die deutsche Bundesregierung die Einrichtung ei-

nes eigenen Beschwerdemechanismus bzw. die Beteiligung an einem externen Beschwerdeverfahren auch zu einem der fünf Kernelemente ihres in dem Nationalen Aktionsplan (s. dazu Einleitung Rz. 77 ff.) niedergelegten menschenrechtlichen Sorgfaltskonzepts erhoben.3 Die Funktion des Beschwerdemechanismus besteht darin, als Teil des Risikomanagements Menschenrechts- und Umweltrisiken und -verletzungen im eigenen Geschäftsbereich sowie entlang der Lieferkette zu identifizieren und abzustellen. Idealerweise kommt dem Beschwerdemechanismus als einer Art Frühwarnsystem eine wichtige Präventivfunktion zu.4 Er dient ferner insbesondere der Erfüllung der anlassbezogenen Sorgfaltspflichten in Bezug auf mittelbare Zulieferer nach § 9 LkSG, da er als eine wesentliche Erkenntnisquelle für Unternehmen hinsichtlich von menschenrechtsoder umweltbezogenen Risiken bzw. Verletzungen bei mittelbaren Zulieferern konzipiert ist (dazu § 9 Rz. 17). 2. Angemessenheitsvorbehalt (Abs. 1 Satz 1)

3 Wie § 3 Abs. 1 LkSG und die sonstigen einzelnen Sorgfaltspflichten in §§ 4 bis 7

LkSG ebenfalls, enthält auch § 8 Abs. 1 Satz 1 LkSG einen Angemessenheitsvorbehalt (dazu allg. Einleitung Rz. 9 ff.). Im Regierungsentwurf war er noch nicht vorgesehen. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales weist darauf hin, dass seine Ergänzung rein „deklaratorischer Natur“ sei.5 Da die 3 Vgl. Nationalen Aktionsplan „Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte 2016-2020“, S. 9 (abrufbar im Internet unter https://www.auswaertigesamt.de/blob/297434/8d6ab29982767d5a31d2e85464461565/nap-wirtschaft-menschenrech te-data.pdf, zuletzt abgerufen am 5.2.2022). 4 Näher Bündnis für nachhaltige Textilien, Informationspapier „Zugang zu Abhilfe- und Beschwerde-mechanismen sichern und fördern“, 2018, Ziff. 1.1. (abrufbar im Internet unter https://www.textilbuendnis.com/download/infopapier-beschwerde-und-abhilfemechanis men-2018/, zuletzt abgerufen am 5.5.2022). 5 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6. 2021, BT-Drucks. 19/30505, 40.

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anderen Regelungen zu den einzelnen Sorgfaltspflichten ausdrücklich darauf hinwiesen, dass die Maßnahmen angemessen umzusetzen seien, sei der Zusatz „im Sinne der Einheitlichkeit“ auch in § 8 LkSG einzufügen gewesen.6 Da die einzelnen Sorgfaltspflichten der §§ 4 ff. LkSG von allen Unternehmen zu 4 erfüllen sind, die unter den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, ist der Angemessenheitsvorbehalt in § 8 Abs. 1 Satz 1 LkSG nicht geeignet, Unternehmen von der grundsätzlichen Pflicht zur Einrichtung eines Beschwerdemechanismus auszunehmen bzw. die generelle Reichweite des § 8 LkSG zu determinieren. Hierfür spricht auch der Hinweis auf die rein deklaratorische Bedeutung in der Gesetzesbegründung (Rz. 3). Der Angemessenheitsvorbehalt kann und muss vielmehr herangezogen werden, um die für das einzelne Unternehmen individuell sachgerechte Ausgestaltung des Beschwerdemechanismus festzulegen, etwa hinsichtlich der Zugänglichkeit. Er verdeutlicht, dass es auch hinsichtlich der Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens keine „one-size-fits-all“Lösung geben kann. Aufgrund der spärlichen Leitplanken, die der Gesetzgeber für die Einrichtung des Beschwerdemechanismus eingezogen hat, ist der Angemessenheitsvorbehalt für die Umsetzung der Anforderungen des § 8 LkSG von besonderer Relevanz. In der Regel wird er pflichtenbegrenzende und damit eine Korrektivfunktion haben: Von Unternehmen kann im Zusammenhang mit dem Beschwerdeverfahren nichts verlangt werden, was der Größe und Branche sowie den das Unternehmen und seine Lieferkette kennzeichnenden Produkt- und Länderrisiken nicht entspricht und schon gar nichts Unmögliches. Im Einzelfall kann der Angemessenheitsvorbehalt indes auch pflichtenerweiternde Wirkung bzw. eine Lenkungswirkung in Bezug auf das grundsätzlich weite Geschäftsleiterermessen bei der Einrichtung des Beschwerdemechanismus haben. 3. Einbindung der Zielgruppen des Beschwerdemechanismus a) Einbindung der eigenen Beschäftigten In der Gesetzesbegründung heißt es, „die Zielgruppen des Beschwerdemechanis- 5 mus sollten bei Gestaltung des Verfahrens konsultiert werden“.7 Eine wesentliche Zielgruppe des Beschwerdemechanismus sind die Beschäftigten des eigenen Unternehmens. Da die h.M. anerkennt, dass der Betriebsrat selbst dann in die Ausgestaltung von Hinweisgebersystemen einzubeziehen ist (s. dazu Rz. 24 f.), wenn keine Hinweispflicht statuiert wird8, findet in Unternehmen, in denen ein Betriebsrat gebildet wurde, eine Beteiligung der Beschäftigten jedenfalls vermittelt über diesen Betriebsrat statt. Auch darüber hinaus ist Unternehmen anzura6 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6. 2021, BT-Drucks. 19/30505, 40. 7 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 49. 8 Vgl. Reinhard, NZA 2016, 1233, 1235; Richardi in Richardi/BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 87 Rz. 198; Chwalisz in Oberthür/Seitz, Betriebsvereinbarungen, 3. Aufl. 2021, B II Rz. 5 f. (S. 165).

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§ 8 | Beschwerdeverfahren ten, eine Transparenzkultur zu schaffen und die Beschäftigten zu animieren, jederzeit Hinweise zu Gestaltungs- und Verbesserungsvorschlägen zu erteilen. Dieses Vorgehen dürfte Unternehmen beispielsweise bereits aus § 17 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG bekannt sein, wonach die Beschäftigten berechtigt sind, dem Arbeitgeber Vorschläge zu allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit zu machen. b) Einbindung von Mitgliedern sonstiger Zielgruppen? 6 Da der Kreis der tauglichen Hinweisgeber bei genauer Betrachtung unbegrenzt

ist (s. dazu Rz. 24 f.), fällt es bereits schwer, über die Beschäftigten des eigenen Unternehmens hinaus die Zielgruppen des Beschwerdemechanismus zu definieren. Eine weitere Zielgruppe dürften die Beschäftigten der unmittelbaren und mittelbaren Zulieferer des Unternehmens sein. Insoweit ist indes vollkommen unklar, wie eine derartige Konsultation sinnvollerweise ausgestaltet und durchgeführt werden sollte.9 Falls der Gesetzgeber eine Konsultation von NGOs suggerieren wollte, hätte er dies deutlicher verlautbaren sollen, da diese aufgrund ihrer äußert vielfältigen Kontaktmöglichkeiten zu Unternehmen wohl kaum als „Zielgruppe des Beschwerdemechanismus“ eingestuft werden können. Sinnvoller wäre es erschienen, hätte der Gesetzgeber keine – praktisch nicht durchführbare – Partizipationsempfehlung ausgesprochen, sondern den Unternehmen – entsprechend den Vorgaben in Zertifizierungsstandards zu Compliance-Management-Systemen10 – aufgegeben, die typisierte Interessenlage der wesentlichen Stakeholder herauszuarbeiten und zu berücksichtigen. Für Unternehmen ergibt sich immerhin keine Rechtspflicht zur Zielgruppeneinbindung, da die Passage nicht im Gesetz selbst, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung steht und als bloße Empfehlung formuliert ist („sollte“).11 Erhält das verpflichtete Unternehmen – von welcher Seite auch immer – Hinweise zur Verbesserung des Beschwerdeverfahrens, sollte deren Sachdienlichkeit und Umsetzbarkeit von der zuständigen Stelle intensiv geprüft werden.

II. Verpflichtete Unternehmen – Gruppenweite Umsetzung (Abs. 1 Satz 1) 7 Der Pflicht zur Einrichtung eines Beschwerdemechanismus unterliegen im

Grundsatz diejenigen Gesellschaften12 einer Unternehmensgruppe, die selbst 9 Vgl. allerdings die Hinweise des Shift Indicator Design Tools „A People-Centered Approach to Measuring the Progress and Effectiveness of Human Rights Initiatives and Programs“, abrufbar im Internet unter https://shiftproject.org/wp-content/uploads/ 2021/05/Indicator-Design-Tool_Shift.pdf (zuletzt abgerufen am 5.5.2022) sowie bei Schönfelder/Neitzel, REF 2022, 63, 69. 10 Vgl. etwa ISO 37301 von April 2021, Ziff. 4.2. 11 Im Ergebnis wohl ebenso Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 149. 12 Vgl. zum weiten Unternehmensbegriff in diesem Zusammenhang § 1 Rz. 4 ff.

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unter den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes13 fallen.14 Das heißt, ab dem 1.1.2023 sind Unternehmen mit über 3.000 Beschäftigten15 bzw. ab dem 1.1.2024 mit mehr als 1.000 Beschäftigten verpflichtet, ein angemessenes internes Beschwerdeverfahren einzurichten oder sich an einem entsprechenden externen Beschwerdeverfahren zu beteiligen, das es jedermann ermöglicht, auf nach dem Gesetz geschützte menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken oder Verletzungen hinzuweisen, die durch wirtschaftliches Handeln des Unternehmens oder eines unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferers entstanden sind (§§ 8 Abs. 1; 9 Abs. 1 LkSG). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers 8 für Gruppengesellschaften, die nicht selbstständig nach dem LkSG verpflichtet, sondern über § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG in den eigenen Geschäftsbereich der Obergesellschaft einbezogen sind16 oder gar für Meldungen betreffend Zulieferer je ein eigener Meldekanal zu eröffnen wäre.17 Eine derartige Aufsplittung brächte denn auch kaum einen zusätzlichen praktischen Nutzen. Das Gesetz verhält sich nicht dazu, ob jede verpflichtete Gesellschaft einer Un- 9 ternehmensgruppe einen separaten Beschwerdemechanismus einrichten muss oder ob – bei mehreren verpflichteten Gesellschaften – auch eine gruppenweite Einrichtung ausreicht. Die Fragestellung ist aus der gegenwärtig zur Umsetzung der EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (EU-Whistleblower-Richtlinie – „WBRL“)18 geführten Diskussion bekannt19: Die Expertenkommission der EU-Kommission zum Whistleblowerschutz hat in mehreren Schreiben von Ende 2021 den Standpunkt vertreten, dass nach der WBRL jedenfalls jedes Unternehmen einer Gruppe mit 250 oder mehr Beschäftigten jeweils eigene, gesonderte Hinweisgebersysteme einrichten müsse und die Zentralisierung der internen Meldekanäle verschiedener Konzerngesellschaften bei einer Konzerngesellschaft nicht zulässig sei.20 Anders der am 13.4.2022 veröffentlichte Referentenentwurf des deutschen Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richt13 Vgl. dazu Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, DB 2022, 238. 14 Vgl. zum Ganzen Lüneborg, DB 2022, 375, 376. 15 Zum persönlichen, sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich, s. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 231 ff.; Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, DB 2022, 238. 16 Vgl. dazu Ott/Lüneborg/Schmelzeisen, DB 2022, 238, 242 ff. 17 Vgl. Lüneborg, DB 2022, 375, 378. 18 EU-RL 2019/1937. 19 Vgl. etwa Passarge, CB 2021, 453, 457; Holle, ZIP 2021, 1950, 1952 ff., Federmann/Racky/ Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1666; Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1906 sowie die Stellungnahme der Expertengruppe der EU-Kommission zum Whistlelowerschutz, abrufbar im Internet unter https://ec.europa.eu/transparency/expert-groups-register/screen/ expert-groups/consult?lang=en&groupID=3709 (zuletzt abgerufen am 22.12.2021). 20 Vgl. die Stellungnahme der Expertengruppe der EU-Kommission zum Whistleblowerschutz, abrufbar im Internet unter https://ec.europa.eu/transparency/expert-groupsregister/screen/expert-groups/consult?lang=en&groupID=3709 (zuletzt abgerufen am 22.12.2021).

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§ 8 | Beschwerdeverfahren linie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden „HinSchG-E“): Hiernach kann die interne Meldestelle auch bei einem „Dritten“ eingerichtet werden.21 Ausweislich der Gesetzesbegründung fällt hierunter auch die Einrichtung einer konzernweit zuständigen Meldestelle bei einer konzernangehörigen Gesellschaft.22 Ob dieser – im Gegensatz zu den Vorstellungen auf europäischer Ebene – praxistaugliche Ansatz letztlich in Deutschland tatsächlich Gesetz wird und ob die Auslegung der Konzerngesellschaft als „Dritte“ europarechtlich standhält, bleibt freilich abzuwarten. Parallelen zwischen dieser Diskussion im Zusammenhang mit der WBRL bzw. dem HinSchG-E und dem Beschwerdemechanismus nach dem LkSG werden in Schrifttum und Praxis indes bislang allenfalls vereinzelt gezogen.23 Dies mag vor allem daran liegen, dass sich aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen an die Beschäftigtenzahlen für die Anwendbarkeit der WBRL bzw. des HinSchG-E und des LkSG (50 bzw. 250 Beschäftigte vs. 1.000 bzw. 3.000 Beschäftigte) in Unternehmensgruppen die Frage nach der Anzahl der nach der WBRL bzw. dem HinSchG-E einzurichtenden Meldekanäle schlicht häufiger stellt, da typischerweise eine deutlich höhere Zahl von Gruppengesellschaften selbstständig den Verpflichtungen nach der WBRL bzw. dem HinSchG-E unterliegt, als dies in Bezug auf das LkSG der Fall ist. 10 Zwar dürfte dem Gesetzgeber des LkSG die regionale Erreichbarkeit des Be-

schwerdemechanismus ein Anliegen gewesen sein, wie bereits das Erfordernis der Barrierefreiheit zeigt (s. dazu Rz. 32 ff.). Die vom Gesetzgeber eröffnete Möglichkeit der Beteiligung an einem externen Beschwerdeverfahren deutet indes darauf hin, dass der Gesetzgeber eine Konzentration des Beschwerdemechanismus bei einer Stelle – und damit auch bei der Konzernmutter – für ausreichend erachtet. Dieses Ergebnis findet Bestätigung in den FAQs des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales („BMAS“) zum LkSG. Unter Ziffer XII. heißt es: „Ein konzernweites Beschwerdeverfahren ist ausreichend, wenn es den gesetzlichen Anforderungen genügt. Denn Unternehmen können sich auch an externen Beschwerdeverfahren beteiligen, dann erst recht an einem konzerneigenen Verfahren.“24 Dieses Ergebnis ist auch in der Sache richtig: Allein eine derartige Möglichkeit einer zentralen Einrichtung des Beschwerdeverfahrens entspricht der Unternehmenswirklichkeit und der möglichst effektiven Umsetzung der mit internen Meldesystemen verfolgten Zielsetzungen.25 Gleichzeitig spricht nichts dagegen, landes- und sprachtypischen Besonderheiten von Regionen, in denen die Unternehmensgruppe etwa mit besonders großen oder bedeutsamen Tochtergesellschaften vertreten ist, durch lokale Hinweisbearbeiter (dazu Rz. 32 ff.) Rechnung zu tragen. 21 22 23 24

Vgl. § 14 Abs. 1 Satz 2 HinSchG-E. Vgl. RefE HinSchG, S. 86. Vgl. zum Ganzen Lüneborg, DB 2022, 375, 377 f. Abrufbar im Internet unter https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Men schenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/ FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 22.12.2021). 25 Vgl. Lüneborg, DB 2022, 375, 378.

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III. Interne Einrichtung oder Beteiligung an Branchenverfahren (Abs. 1 Satz 6)? Am Anfang aller Überlegungen zur Einrichtung von Meldekanälen steht die ge- 11 nerelle Frage, ob deren Auslagerung unter Kosten- sowie Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten sinnvoll sein könnte. Dem trägt § 8 Abs. 1 Satz 6 LkSG Rechnung und akzeptiert alternativ zur internen Einrichtung die Beteiligung an externen Beschwerdeverfahren. Die Regelung entspricht damit u.a. dem Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung (dazu Einleitung Rz. 77 ff.). 1. Outsourcing auf Ombudsperson? Noch ungeklärt ist, ob § 8 Abs. 1 Satz 6 LkSG – entsprechend einer gegenwärtig 12 weit verbreiteten und auch von Erw.-Gr. Nr. 54 WBRL bzw. der Gesetzesbegründung des HinSchG-E26 für zulässig erklärten Praxis – auch die Auslagerung auf externe Ombudspersonen, wie etwa Rechtsanwälte, ermöglichen soll.27 Tendenziell dagegen spricht der Gesetzeswortlaut („Beteiligung“) und die Gesetzesbegründung, die beispielhaft Beschwerdemechanismen aufführt, die „unternehmensübergreifend von einem Branchenverband eingerichtet worden“ sind.28 Gleichwohl weisen bereits Schrifttumsstimmen darauf hin, die Bestimmung erlaube die Möglichkeit des Outsourcings des Beschwerdebeauftragten.29 Möglich scheinen in jedem Fall unternehmensübergreifende Initiativen, bei denen nicht Beschäftigte der Einzelunternehmen, sondern nach gemeinsam festgelegten Kriterien ausgewählte Dritte die Meldungen entgegennehmen und bearbeiten. Da eine externe Ombudsperson in vielen Fällen geeigneter erscheinen dürfte, die erforderliche Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und zeitliche Verfügbarkeit zu gewährleisten (dazu Rz. 54 ff.) als Unternehmensangehörige, spricht zunächst nichts gegen ein Outsourcing auch dieses Meldekanals auf externe Ombudspersonen. Der Gesetzgeber des LkSG hat diese Möglichkeit jedenfalls nicht ausdrücklich ausgeschlossen. 2. Beteiligung an einem Branchenverfahren Aus Sicht der verpflichteten Unternehmen, denen nicht mehr viel Zeit zur Ein- 13 richtung eines den Anforderungen der §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG entsprechenden Beschwerdeverfahrens verbleibt, dürfte die Beteiligung an einem Branchenverfahren zunächst aus vielfältigen Gründen attraktiv erscheinen. Der seit Ende September 2021 öffentlich verfügbare Abschlussbericht eines Forschungsteams der Europa-Universität Viadrina, dem das Bundesministerium für Justiz und 26 Vgl. RefE HinSchG, S. 85 f. 27 Wohl für eine Auslagerung auf externe Dienstleister Dutzi/Schneider/Hasenau, DK 2021, 454, 458 sowie Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 149. 28 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 49. 29 Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 24.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren Verbraucherschutz im Dezember 2019 den Auftrag erteilt hatte, praxisorientierte Leitlinien für die Gestaltung außergerichtlicher Beschwerdemechanismen für Opfer von Menschenrechtsverletzungen entlang globaler Lieferketten zu entwickeln, kommt denn auch zu dem Ergebnis, dass derartige unternehmensübergreifende Beschwerdemechanismen – wie etwa der sog. Bangladesh Accord30, der Roundtable on Sustainable Palm31 oder die Fair Wair Foundation32, die im Jahr 2021 ihren Beschwerdemechanismus allen Unternehmen geöffnet hat, – eine Reihe von Vorteilen, darunter kontinuierliche regionale Zugänglichkeit, Effizienzgewinne und eine höhere Unabhängigkeit, aufweisen.33 Hinzu kommt, dass externe Dritte in der Regel die erforderliche fachliche Kompetenz und zeitliche Verfügbarkeit aufweisen und für eine rechtlich einwandfreie Einrichtung des Meldekanals und Hinweisbearbeitung einstehen. Derartige MultiStakeholder-Initiativen dürften außerdem Gewähr dafür bieten, dass eine intensive Beschäftigung mit den möglichen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken stattgefunden hat und die Beschwerdemechanismen auf die spezifischen Bedürfnisse auch vulnerabler Gruppen ausgerichtet sind. Daher dürften sie von den relevanten Stakeholdern als effektiv und ausgewogen und nicht als bloßer Papiertiger eingestuft werden. Im Ergebnis raten Unternehmen daher einige Stimmen im Schrifttum zu einer Beteiligung an Branchen- bzw. Multi-Stakeholder-Initiativen in Umsetzung der §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG.34 14 Neben den im Zweifel höheren Kosten durch Einzahlung in einen „Gemein-

schaftstopf“ unabhängig vom Umfang der Inanspruchnahme des Beschwerdemechanismus, bringt die Beteiligung an Branchenlösungen indes einige Unwägbarkeiten mit sich: Unternehmen mit Gruppengesellschaften im Ausland müssten zunächst prüfen, ob die Branchenlösung ihre gesetzlichen Verpflichtungen 30 https://bangladeshaccord.org/. 31 https://rspo.org/. 32 https://www.fairwear.org/. Vgl. zur Kooperation mit dem Bündnis nachhaltige Textilien in Bezug auf den Beschwerdemechanismus etwa https://www.textilbuendnis.com/buend nisinitiativen/detailseite-bi-beschwerdemechanismen/. 33 Vgl. Europa-Universität Viadrina, Forschungsbericht: „Außergerichtliche Beschwerdemechanismen entlang globaler Lieferketten – Empfehlungen für die Institutionalisierung, Implementierung und Verfahrensausgestaltung“, abrufbar im Internet unter https:// www.bmj.de/DE/Themen/Menschenrechte/Wirtschaft_und_Menschenrechte/Forschungs bericht_Aussergerichtliche_Beschwerdemechanismen.pdf?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 22.12.2021). Vgl. für einen zusammenfassenden Überblick über die Ergebnisse Gläßer/Pfeiffer/Schmitz/Bond, ZKM 2021, 228. 34 Vgl. etwa Hembach Praxisleitfaden LkSG, 1. Aufl. 2022, S. 170 f.; vgl. auch Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 135, allerdings mit dem rechtlich unzutreffenden Argument, Zulieferer würden kaum in der Lage und willens sein, ihren Mitarbeitern die Vielzahl von Beschwerdemechanismen ihrer Abnehmer barrierefrei zugänglich zu machen. Grabosch verkennt, dass sich die Pflichtenlage nach § 8 Abs. 4 Satz 2 LkSG genau umgekehrt verhält: Nicht die Zulieferer müssen für die Erreichbarkeit aller Beschwerdemechanismen der jeweiligen Abnehmer sorgen, sondern die verpflichteten Unternehmen müssen das eigene Beschwerdeverfahren so konzipieren, dass es u.a. auch für Beschäftigte ihrer Zulieferer zugänglich ist.

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in allen relevanten Jurisdiktionen abdeckt. Hinzu kommt, dass jedenfalls gegenwärtig nicht bekannt ist, dass sich in Deutschland eine Vielzahl von Brancheninitiativen mit dem Ziel der gemeinsamen Erfüllung der neuen gesetzlichen Vorgaben formt. Unternehmen, die in dieser Hinsicht „ins Lead“ gehen, dürfte zeit- und kostenintensive Pionierarbeit bevorstehen. Bei Anschluss an bestehende Initiativen ist dagegen sicherzustellen, dass diese sämtlichen Anforderungen von §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG genügen und nicht beispielsweise nur menschenrechtsbezogene und damit keine Hinweise auf einen Verstoß gegen ein umweltbezogenes Verbot i.S.d. § 2 Abs. 3 LkSG zulassen oder gewisse prozedurale Voraussetzungen wie etwa die Eingangsbestätigung gegenüber dem Hinweisgeber nach § 8 Abs. 1 Satz 3 LkSG nicht abdecken. Zudem dürfte ein unternehmensübergreifender Meldekanal allenfalls für Unternehmen Synergien bieten, die derselben Branche angehören und über eine gewisse Übereinstimmung bei der Lieferantenauswahl verfügen. Es fällt auf, dass etwa die Unternehmen aus der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie, die sich für eine Zertifizierung mit dem staatlichen Siegel „Grüner Knopf“ entschieden haben, anforderungsgemäß jeweils eigene Beschwerdemechanismen betreiben, obwohl die Lieferketten im Textilsektor im Vergleich etwa zur Automobilindustrie als eher wenig komplex gelten. Zahlreiche der (vorwiegend international) bereits bestehenden Multi-Stakeholder-Initiativen gehen zudem über die Verpflichtungen nach §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG deutlich hinaus: Sie bieten nicht nur die Möglichkeit, Hinweise zu menschenrechtlichen Risiken zu erteilen, sondern legen zudem den Rahmen für ein Abhilfe- bzw. Wiedergutmachungsverfahren fest und etablieren auf diese Weise teilweise Ansprüche von Hinweisgebern auf bestimmte Abläufe35, die nach §§ 7, 9 Abs. 3 LkSG entweder nicht gesetzlich geboten oder jedenfalls nicht mit Drittwirkung bzw. Drittschutz zugunsten der Hinweisgeber ausgestaltet sind (vgl. dazu auch Rz. 22 f.). Diesen prozeduralen Festlegungen – wie etwa der Veröffentlichung von Inhalt und Status eingehender Beschwerden auf der Internetseite der Fair Wear Foundation36 – müssen sich indes alle beteiligten Unternehmen unterwerfen. Gegenläufig decken die bestehenden branchenbezogenen Beschwerdemechanismen häufig zwar eine Vielzahl der gesetzlichen Anforderungen, wie etwa die Bereitstellung einer weitestgehend barrierefreien Kontaktmöglichkeit und die Entgegennahme und Aufklärung von Hinweisen ab, andere Aufgaben (beispielsweise die Information der Zulieferer über den Beschwerdemechanismus) verbleiben indes bei den verpflichteten Unternehmen oder werden ihnen zusätzlich auferlegt.37 35 Vgl. etwa die Fair Wear Complaints Procedure (abrufbar im Internet unter https:// www.textilbuendnis.com/download/fwf-complaints-procedure/, zuletzt abgerufen am 5.2.2022). 36 Vgl. die Fair Wear Complaints Procedure, S. 14 Ziff. 4 (abrufbar im Internet unter https://www.textilbuendnis.com/download/fwf-complaints-procedure/, zuletzt abgerufen am 5.2.2022). 37 Vgl. etwa die Fair Wear Complaints Procedure, S. 7 Ziff. 2 (abrufbar im Internet unter https://www.textilbuendnis.com/download/fwf-complaints-procedure/, zuletzt abgerufen am 5.2.2022).

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§ 8 | Beschwerdeverfahren 15 Hinzu kommt, dass der Forschungsbericht der Universität Viadrina, der die

Vorteile von Multi-Stakeholder-Initiativen herausstellt (dazu Rz. 13), weitgehend ausblendet, dass Unternehmen nach der WBRL bzw. dem HinSchG-E ohnehin zur Einrichtung eines internen Meldekanals verpflichtet sind und sich die rechtlichen Anforderungen größtenteils überschneiden.38 Daher deutet einiges darauf hin, dass Branchenlösungen in Deutschland in der Minderzahl bleiben und jedenfalls einen größeren zeitlichen Vorlauf in Anspruch nehmen werden, als unternehmensinterne Konzepte unter ausschließlicher oder paralleler Beteiligung externer Dritter.39 In jedem Fall ist Unternehmen zu empfehlen, vor der Beteiligung an einer Branchenlösung genau zu eruieren, welche Rechte und Pflichten (insbesondere auch in wirtschaftlicher Hinsicht) damit verbunden sind und ob bzw. in welchem Umfang die Erfüllung bestimmter gesetzlicher (Residual-)Pflichten gleichwohl bei den Unternehmen verbleibt.

IV. Verhältnis zu sonstigen Hinweisgebersystemen 16 Das deutsche Recht kennt zwar gegenwärtig keine allgemeine Verpflichtung von

Unternehmen zur Einrichtung von Hinweisgebersystemen.40 Vielmehr liegt diese – ebenso wie die Ausgestaltung des Compliance Management-Systems („CMS“) – im pflichtgemäßen Ermessen der Geschäftsleitung und ist somit u.a. abhängig von Größe, Branche und Risikoneigung des Unternehmens.41 In der Praxis haben gleichwohl bereits zahlreiche Unternehmen eine Whistleblower- oder Integritätshotline bzw. eine Ombudsstelle als festen Bestandteil ihres CMS etabliert. Auch die gängigen Branchenstandards sehen Hinweisgebersysteme als integralen Baustein eines effektiven CMS an.42 Jüngst wurden den Anforderungen an ihre ordnungsgemäße Einrichtung sogar spezifische Praxisstandards gewidmet.43

38 Dies räumen etwa auch Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 136 und Hembach Praxisleitfaden LkSG, 1. Aufl. 2022, S. 176, ein. 39 Vgl. auch Lüneborg, DB 2022, 375, 377. 40 Vgl. aber sektorspezifische Pflichten etwa nach § 25a Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 KWG, § 23 Abs. 6 VAG und § 28 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 KAGB für Banken, Versicherungen und Kapitalverwaltungsgesellschaften sowie § 6 Abs. 5 GwG für bestimmte Verpflichtete nach dem GwG sowie punktuelle Beschwerderechte, etwa nach § 17 ArbSchG, §§ 84 f. BetrVG, §§ 13, 16, 27 AGG. Vgl. auch die Forderung nach Einrichtung eines Beschwerdemechanismus als ein Kernelement menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten in dem Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung, 2016 bis 2020, S. 9. 41 Vgl. nur Reichert/Lüneborg, GmbHR 2018, 1141, 1143. 42 Vgl. ISO 37301 von April 2021, Ziff. 8.3. 43 Vgl. ISO/FDIS 37002 von August 2021 oder DICO-Standard zu Hinweisgebersystemen von März 2021.

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1. Verhältnis der §§ 8, 9 LkSG zu den Anforderungen der EUHinweisgeberrichtlinie a) Doppelt verpflichtete Unternehmen Dass die freiwillige Eröffnung von Hinweisgeberplattformen (dazu Rz. 16) als- 17 bald der Vergangenheit angehören wird, verdeutlichen bereits die §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG. Von besonderer Aktualität ist jedoch auch eine weitere künftige gesetzliche Verpflichtung zur Einrichtung von Meldesystemen: Nach der WBRL sind zunächst Unternehmen, die jeweils mindestens 250 Arbeitnehmer beschäftigen, verpflichtet, interne Meldekanäle einzurichten oder mit externer Unterstützung zu unterhalten. Die WBRL wäre an sich bis zum 17.12.2021 in deutsches Recht umzusetzen gewesen. Der Entwurf des Umsetzungsgesetzes wurde indes aufgrund unüberbrückbarer Differenzen hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs des Hinweisgeberschutzes nicht mehr vor der parlamentarischen Sommerpause 2021 verabschiedet.44 Die neue Ampelkoalition hat nunmehr in dem am 24.11.2021 veröffentlichten Koalitionsvertrag den – rechtlich allerdings ohnehin nahezu alternativlosen – Willen bekräftigt, die WBRL in deutsches Recht umzusetzen.45 Die EU-Kommission hat am 27.1.2022 nichtsdestotrotz ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und 23 weitere Mitgliedstaaten eingeleitet. Den Staaten wurde zunächst ein sog. „Aufforderungsschreiben“ zugestellt, das die EU-Kommission Anfang Februar 2022 auch veröffentlicht hat. Daraufhin hat das Bundesjustizministerium am 13.4.2022 den Referentenentwurf des HinSchG vorgelegt (dazu Rz. 9). Die interessierten Kreise hatten bis zum 11.5.2022 Gelegenheit, zu dem Entwurf Stellung zu nehmen. Laut Presseberichten soll das HinSchG möglichst noch im Sommer 2022 erlassen werden. Trotz zahlreicher Parallelen in den Anforderungen an das Hinweisgebersystem 18 nach dem LkSG und der WBRL46 erwähnt überraschenderweise weder das LkSG selbst noch dessen Gesetzesbegründung die WBRL. Im Ergebnis bedeutet das jedoch auch, dass der Gesetzgeber des LkSG davon ausgegangen ist, dass beide Regelungen nebeneinander Anwendung finden und insbesondere nicht das Beschwerdeverfahren nach § 8 LkSG in dessen Anwendungsbereich die WBRL bzw. das HinSchG verdrängt.47 Auch der HinSchG-E erwähnt den Beschwerdemechanismus nach § 8 LkSG soweit ersichtlich nicht. Insbesondere ist § 8 LkSG nicht in § 4 HinSchG-E aufgeführt, der das Verhältnis des HinSchG-E zu sonstigen, bereits bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zu sektorspezifischen Meldewegen regeln soll.48 Diese sollen dem allgemeinen internen Meldekanal nach dem HinSchG-E prinzipiell vorgehen, da die sektorspezifisch täti44 Daher stellt sich bis zum Inkrafttreten des HinSchG hinsichtlich jeder Bestimmung der WBRL die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit, vgl. hierzu Merget, DB 2022, 246. 45 Koalitionsvertrag zwischen SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen vom 24.11.2021, S. 111. 46 Vgl. hierzu Lüneborg, DB 2022, 375, 376 ff. sowie in Ansätzen auch Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 87. 47 Vgl. auch Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 87. 48 Dilling, CCZ 2022, 145, 149 bezeichnet diesen Umstand zutreffend als „Versäumnis“.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren gen und etablierten Meldestellen regelmäßig über große Expertise und tiefes Fachwissen verfügten.49 19 Unternehmen – jedenfalls, wenn sie als juristische Personen verfasst sind -50ab

3.000 bzw. 1.000 Mitarbeitern unterliegen daher ab dem 1.1.2023 bzw. dem 1.1. 2024 gleich doppelt der gesetzlichen Anforderung zur Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens: Zum einen muss den Anforderungen der WBRL bzw. des bis zu diesem Zeitpunkt mit einiger Sicherheit in Kraft getretenen deutschen HinSchG und zum anderen den §§ 8 f. LkSG Genüge getan werden.51 Da diese Unternehmen seit dem 17.12.2021 den Vorgaben der WBRL unterliegen, erscheint es empfehlenswert, dass sie bereits jetzt beginnen, entweder ihr bestehendes Hinweisgebersystem an alle neuen gesetzlichen Anforderungen anzupassen oder aber bei erstmaliger Einrichtung aus einem Guss sämtlichen neuen Vorgaben Rechnung zu tragen. Unternehmen, die zwischen 250 und 1.000 Mitarbeitern beschäftigen, sollten ebenfalls bereits jetzt mit der Umsetzung der Vorgaben der WBRL beginnen, da damit zu rechnen ist, dass die neue Koalition das HinSchG zeitnah verabschiedet (dazu Rz. 17). Zudem erscheint nicht ausgeschlossen, dass der deutsche Gesetzgeber den Schwellenwert für die Anwendbarkeit des LkSG im Rahmen der zum 30.6.2024 selbst auferlegten Überprüfungsentscheidung absenkt.52 Dies gilt auch und gerade vor dem Hintergrund, dass auch der EU-Gesetzgeber im Rahmen des Richtlinienentwurfs zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens ab einer 49 Vgl. RefE HinSchG, S. 71. 50 Während das LkSG auf Unternehmen ungeachtet ihrer Rechtsform Anwendung findet (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 LkSG), handelt Art. 8 Abs. 1 WBRL von juristischen Personen des privaten und öffentlichen Sektors, denen die Mitgliedstaaten (vorbehaltlich der näher geregelten Anzahl von Beschäftigten) eine Pflicht zur Einrichtung interner Meldekanäle auferlegen müssen. Ausweislich des reinen Richtlinienwortlauts würde damit der Anwendungsbereich beider Regelwerke teilweise auseinanderfallen. Teile des Schrifttums vertreten, dass „juristische Person“ i.S.d. WBRL aufgrund einer unionsrechtseinheitlichen Auslegung sämtliche „legal entities“ umfasse, die (unabhängig von ihrer individuellen dogmatischen Einordnung in den Mitgliedstaaten) selbstständige Träger von Rechten und Pflichten sein können, in Deutschland also namentlich auch (teil-)rechtsfähige PersGes. wie die GmbH & Co. KG, vgl. Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896, 1904; Degenhart/Dziuba, BB 2021, 570, 571. In diese Richtung geht auch das HinSchG-E: Nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG-E sind sog. Beschäftigungsgeber zur Einrichtung von internen Meldekanälen verpflichtet. § 3 Abs. 9 HinSchG-E definiert diese als natürliche Personen, juristische Personen des öffentlichen Rechts und des Privatrechts, rechtsfähige Personengesellschaften und sonstige Personenvereinigungen, bei denen mindestens eine Person beschäftigt ist. Ob der Kreis der zur Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens nach §§ 8, 9 LkSG verpflichteten Rechtsformen künftig weiter geht als derjenige der zu Einrichtung eines allgemeinen Meldekanals Verpflichteten, hängt daher letztlich von der Ausgestaltung des Anwendungsbereichs in der finalen Fassung des HinSchG ab. 51 Soll das Hinweisgebersystem außer Deutschland weitere Länder abdecken, ist eine Prüfung der jeweiligen lokalen rechtlichen Anforderungen einzuleiten. 52 Vgl. Begr. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 32.

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geringeren Mitarbeiterzahl (500 Beschäftigte) zur Pflicht machen will.53 Lediglich hinsichtlich von Unternehmen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern hat auch der EU-Richtliniengeber den Mitgliedstaaten eine längere Umsetzungsfrist bis zum 17.12.2023 eröffnet (Art. 26 Abs. 2 WBRL), die der deutsche Gesetzgeber nach gegenwärtigem Stand übernehmen will (vgl. § 42 HinSchG-E). b) Möglichkeit der Einrichtung von integrierten Meldesystemen Unternehmen ab den unter Rz. 19 dargelegten Beschäftigtenschwellen unterlie- 20 gen allerdings künftig nicht nur doppelt der Pflicht zur Einrichtung von Hinweisgebersystemen. Vielmehr gleichen sich jedenfalls die prozeduralen Anforderungen von §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG und der WBRL bzw. des HinSchG-E in weiten Teilen (z.B. hinsichtlich der Pflicht zur Eingangsbestätigung von Hinweisen; zur Vertraulichkeit sowie zur Veröffentlichung von Informationen zu dem Beschwerdemechanismus) bzw. schließen sich nicht gegenseitig aus. Da die WBRL bzw. das HinSchG-E naturgemäß das deutlich detaillierte Regelwerk zur Einrichtung von Meldesystemen ist, während die gesetzgeberischen Vorgaben in §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG eher punktuell ausgefallen sind, werden die Verpflichteten die Vorgaben der WBRL bzw. des HinSchG-E mutmaßlich vielfach als Blaupause für eine angemessene Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens nach dem LkSG heranziehen. Als Beispiel darf der in § 8 Abs. 4 Satz 2 LkSG nur sehr rudimentär geregelte Hinweisgeberschutz dienen (dazu Rz. 85 ff.). Weder der deutsche Gesetzgeber noch das Schrifttum haben denn auch angezweifelt oder gar explizit untersagt, dass Unternehmen die neuen gesetzlichen Anforderungen an die Ausgestaltung von Beschwerdeverfahren auch gesamthaft erfüllen können. Vielmehr sprechen sich die ersten Literaturstimmen zugunsten eines derartigen integrierten Modells aus.54 Denn würden potentielle Hinweisgeber künftig von ein- und demselben Unternehmen mit zwei verschiedenen Meldekanälen mit unterschiedlichen Zugangs- und Schutzvoraussetzungen konfrontiert, dürfte sich die Hemmschwelle vor Abgabe einer Meldung erhöhen.55 Hinweisgeber müssten vor Abgabe eines Hinweises selbst prüfen, welcher der beiden Meldekanäle der richtige für ihre Meldung ist und bei welchem Meldekanal sie Hinweisgeberschutz erwarten können. Auch aus Unternehmenssicht stiege damit nicht lediglich der durch beide Gesetze ohnehin erhöhte organisatorische und wirtschaftliche Aufwand nochmals beträchtlich.56 Vielmehr müss53 Vgl. Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on Corporate Sustainability Due Diligence and amending Directive (EU) 2019/1937, Art. 2, Art. 9. 54 Vgl. Lüneborg, DB 2022, 375, 376; Hembach Praxisleitfaden LkSG, 1. Aufl. 2022, S. 176 („Es gibt keine gesetzlichen oder dogmatischen Gründe, die beiden Mechanismen nicht zu verbinden“); im Ergebnis tendenziell ähnlich Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 136 sowie Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 87; im Ergebnis wohl ebenso, wenn und weil der deutsche Gesetzgeber „Schwierigkeiten“ bei der Umsetzung der WBRL ausräume, Stemberg, CCZ 2022, 92, 93. 55 Lüneborg, DB 2022, 375, 376. 56 Lüneborg, DB 2022, 375, 376.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren ten Unternehmen befürchten, dass Hinweisgeber vorrangig öffentliche Meldekanäle nutzen und wären dadurch in der Möglichkeit zur raschen und auf Schadensbegrenzung und Reputationsschutz fokussierten Reaktion empfindlich beschränkt.57 Betroffene Unternehmen sollten daher über ein entsprechendes Finetuning im Hinblick auf die Ausgestaltung des Hinweisgebersystems unter Einbindung aller betroffenen Abteilungen und Stakeholder (s. zu dem gesetzgeberischen Desiderat in diesem Zusammenhang Rz. 5 f.)58 eine integrierte Erfüllung der neuen gesetzlichen Anforderungen anstreben.59 Dies entspricht der sich derzeit in Ansätzen herausbildenden Praxis. 21 Sollte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle („BAFA“) als für das

LkSG zuständige Aufsichtsbehörde in den noch ausstehenden sog. Handreichungen oder ein Gericht eine integrierte Lösung ganz oder teilweise für unzulässig erachten – wofür gegenwärtig keinerlei Anhaltspunkte bestehen – würde sich die Auftrennung eines rechtlich lege artis und praktisch wirksam eingerichteten Hinweisgebersystems in zwei separate Systeme denn auch eher als Formalie darstellen. Rechtlich unzulässig wäre der Aufbau zweier getrennter Hinweisgebersysteme – von den dargestellten faktischen Nachteilen abgesehen – freilich nicht. Im Einzelfall kann die Forderung nach der Eröffnung eines separaten Beschwerdeverfahrens in Bezug auf Verstöße gegen das LkSG aus dem Unternehmen selbst kommen, etwa, wenn die Sustainability- und Environment-Abteilung im Bereich des Schutzes von Menschenrechten und Umweltbelangen bereits vielfältige Erfahrungen und personelle Kompetenzen aufgebaut hat, während das Hinweisgebersystem zur sog. ABC-Compliance erstmals eingerichtet bzw. von Abteilungen betreut wird, die im Umgang mit potentiellen Menschenrechtsverstößen möglicherweise nicht gleichermaßen geschult bzw. erfahren sind. In diesen Fällen geht es indes letztlich primär um die Frage, welche Abteilung/Person im Unternehmen primär für das Beschwerdeverfahren verantwortlich ist (dazu Rz. 55 ff.) und aus welchen Abteilungen die Hinweisbearbeiter stammen. Ebenfalls denkbar ist, dass der Meldekanal für ABC-Compliance-Verstöße von einer externen Ombudsperson betreut wird oder aber sich die Unternehmensleitung entscheidet, sich hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens nach dem LkSG Branchenlösung anzuschließen. 2. Hinweisgebersystem oder Schlichtungs- bzw. Abhilfemechanismus?

22 Zwar sind in § 8 LkSG enthaltene Formulierungen wie „können ein Verfahren der

einvernehmlichen Beilegung anbieten“, „Verfahrensordnung“ und „Informationen zur Erreichbarkeit und Zuständigkeit und zur Durchführung des Beschwerdever-

57 Lüneborg, DB 2022, 375, 376. 58 Während mit der Einrichtung freiwilliger Hinweisgebersysteme vor allem die Rechtsund/oder Compliance-Abteilung – zumeist unter Beteiligung des Betriebsrats – befasst waren, dürfte der neue, ganzheitliche Ansatz häufig zudem die Einbindung etwa der HR-, der Sustainability-, der Environment- und der Kommunikations-Abteilung sowie des Datenschutzbeauftragten erfordern. 59 Lüneborg, DB 2022, 375. 376.

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fahrens“ mutmaßlich der aus Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung bekannten Diktion entlehnt. Dem entspricht, dass die UNGP das Beschwerdeverfahren im Lichte eines gesamtheitlicheren Ansatzes mit den sich anschließenden Abhilfemaßnahmen verknüpfen.60 Auch die bekanntesten Beispiele von MultiStakeholder-Initiativen bzw. Branchenlösungen zur Gewährleistung von Beschwerdeverfahren, wie der Bangladesh Accord oder die Fair Wear Foundation (s. dazu Rz. 13), oder der Beschwerdemechanismus nach Beschreibungen der Initiative Grüner Knopf, die dem Gesetzgeber bekannt sein mussten, eröffnen nicht lediglich die Möglichkeit zur Hinweiserteilung, sondern sehen jedenfalls den Rahmen für Abhilfemaßnahmen bzw. Prozesse zur Wiedergutmachung von negativen Effekten vor.61 Vor diesem Hintergrund könnte man zu dem Schluss kommen, dass sich die Pflichten nach §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG und der WBRL – als Einrichtung einer Möglichkeit zur Erteilung von Hinweisen – nur im Kern decken und die Anforderungen an den Beschwerdemechanismus nach dem LkSG über diesen parallelen Ausgangspunkt indes deutlich hinausgehen. Bei genauer Betrachtung ergibt sich indes weder aus dem Gesetzeswortlaut oder 23 der Gesetzeshistorie noch aus dem Telos der §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG mit der erforderlichen Klarheit, dass Unternehmen künftig nicht nur zur Einrichtung eines speziellen Hinweisgebersystems, sondern eines gesamthaften Melde- und Mediationsverfahrens unter Einbindung der Hinweisgeber verpflichtet sein könnten.62 Vielmehr hat der Gesetzgeber in den §§ 7 und 9 Abs. 3 LkSG eindeutige Vorgaben für die von Unternehmen im Fall eines möglichen Verstoßes zu initiierenden Abhilfemaßnahmen gemacht und Unternehmen in § 8 Abs. 1 Satz 5 LkSG lediglich die Möglichkeit eröffnet (und nicht die Pflicht auferlegt), ein Verfahren zur einvernehmlichen Beendigung anzubieten (s. dazu Rz. 75 ff.). Etwaige Rechte oder Ansprüche der Hinweisgeber auf eine spezifische weitere Verfahrensdurchführung sind – insoweit parallel zur WBRL bzw. dem HinSchG-E – gerade nicht vorgesehen. Spiegelbildlich existiert auch keine entsprechende Verantwortung auf Unternehmensseite. Bereits die Durchsetzung von Hinweisgeberschutz dürfte sich als mitunter sowohl rechtlich als auch praktisch schwierig erweisen (s. dazu Rz. 95 ff.). Dies dürfte erst recht für die Durchführung eines Mediationsverfahrens gelten. Insbesondere im Hinblick auf mittelbare Zulieferer fehlt es den verpflichteten Unternehmen an hinreichenden Einflussmöglichkeiten. Anders als etwa die UNGP sieht das LkSG gerade auch keine Pflicht zur Wiedergutmachung vor, wie sich bereits an der fehlenden spezialgesetzlichen Anspruchsgrundlage für Schadensersatz (vgl. § 3 Abs. 3 LkSG) zeigt.63 60 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 135. 61 Vgl. etwa die Fair Wear Complaints Procedure, S. 17 ff. Ziff. 46 und S. 19 f. Ziff. 7 (abrufbar im Internet unter https://www.textilbuendnis.com/download/fwf-complaintsprocedure/, zuletzt abgerufen am 5.2.2022). 62 Hembach (Praxisleitfaden LkSG, 1. Aufl. 2022, S. 167) sieht in Beschwerdemechanismen auf Unternehmensebene das „wohl am wenigsten entwickelte Element der Systeme zur Wiedergutmachung von Menschenrechtsverletzungen im Wirtschaftsbereich“. 63 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 137.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren Vielmehr werden Bemühungen der Gesellschaft um Schadenswiedergutmachung im Rahmen des Nachtatverhaltens als eines von acht Kriterien im Rahmen der Bußgeldbemessung berücksichtigt (vgl. § 24 Abs. 4 Nr. 7 LkSG, s. dazu § 24 Rz. 164 ff.).

V. Taugliche Meldeinhalte und Hinweisgeber (Abs. 1 Satz 2) 1. Taugliche Hinweisgeber – Hinweisbefugnis a) Grundsatz: Jedermann 24 § 8 Abs. 1 Satz 2 LkSG verpflichtet Unternehmen, Hinweisgebern die Möglich-

keit zu eröffnen, auf von dem Gesetz erfasste Risiken bzw. Pflichtverstöße hinzuweisen, die durch das wirtschaftliche Handeln (i) des Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich oder (ii) eines unmittelbaren oder (iii) mittelbaren Zulieferers entstanden sind. Unerheblich ist, ob der Hinweisgeber selbst von dem möglichen Verstoß betroffen ist oder hiervon lediglich Kenntnis hat.64 Das heißt, tauglicher Hinweisgeber ist insbesondere auch eine Person, die andere Personen betreffende Anhaltspunkte für Menschenrechtsverletzungen beobachtet hat oder sich für eine andere Person (beispielsweise einen Verwandten) an den Beschwerdemechanismus wendet.65 Obwohl nicht explizit im Gesetz genannt, können daher auch NGOs und Gewerkschaftsmitglieder Hinweise etwa für einen betroffenen Arbeiter abgeben, der sich dies selbst (beispielsweise aufgrund von Sprachschwierigkeiten oder aus Angst vor Identifikation) nicht zutraut (zum Hinweisgeberschutz in dieser Konstellation Rz. 89 f.). Auch eine Beschränkung auf Organmitglieder und Beschäftigte der Zulieferer sieht das Gesetz nicht vor.66 Schließlich muss die Kenntnis – anders als nach § 1 Abs. 1 HinSchG-E nicht im Zusammenhang oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit erlangt worden sein.67 Anders, als nach der WBRL bzw. dem HinSchG-E ist der Beschwerdemechanismus nach dem LkSG daher im Ergebnis für jedermann zu eröffnen.68

25 Folglich erscheint es empfehlenswert, – insbesondere im Fall eines integrierten

Hinweisgebersystems (dazu Rz. 20 f.) – den Kreis der geschützten Hinweisgeber

64 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 41; vgl. hierzu auch Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 124 f. 65 Tendenziell enger der Entwurf der EU-Richtlinie betreffend Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette, vgl. Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on Corporate Sustainability Due Diligence and amending Directive (EU) 2019/1937, Art. 9 Abs. 2. 66 Vgl. auch Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 87. 67 Zu Recht kritisch zu diesem Aspekt des § 1 Abs. 1 HinSchG-E Dilling, CCZ 2022, 145. 68 Vgl. Lüneborg, DB 2022, 375, 379; Dohrmann, CCZ 2021, 265, 268; Frank/Edel/Heine/ Heine, BB 2021, 2165, 2167; Stemberg, CCZ 2022, 92, 93 („Popularbeschwerde“).

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möglichst weit zu fassen.69 Dies entspricht ohnehin der typisierten Interessenlage und der Modell-Integritätskultur von Unternehmen: Sie sollten daran interessiert sein, mögliche Hinweise auf Non-Compliance möglichst frühzeitig und unmittelbar zu erhalten, um reaktionsfähig zu sein und zu verhindern, dass Hinweisgeber vorrangig öffentliche Meldekanäle nutzen. Geschäftsleiter könnten ohnehin bei Meidung eigener Haftung einen Hinweis auf Korruption im eigenen Geschäftsbereich nicht unbeachtet lassen, nur, weil dieser von einer Person stammt, die z.B. nur zur geschützten Meldung von Menschenrechtsverstößen berechtigt wäre. Einschränkungen sollten vor diesem Hintergrund eher die geschützten Meldeinhalte betreffen (dazu Rz. 29 ff.). b) Anonymität? Bislang existiert in Deutschland weder eine gesetzliche Verpflichtung zur Er- 26 öffnung anonymer Meldemöglichkeiten noch ein entsprechendes Verbot. Branchenstandards zur ordnungsgemäßen Einrichtung von Compliance-Management-Systemen fordern allerdings teilweise eine anonyme Meldemöglichkeit.70 Art. 6 Abs. 2 WBRL überlässt es ausdrücklich den Mitgliedsstaaten, zu entscheiden, ob auch anonyme Meldungen entgegengenommen und weiterverfolgt werden müssen. § 16 Abs. 1 Satz 4 HinSchG-E weist darauf hin, dass keine Verpflichtung bestehe, die Meldekanäle so zu gestalten, dass sie die Abgabe anonymer Meldungen ermöglichen. Das LkSG adressiert das Thema nicht. Ein gesetzliches Anonymitätserfordernis besteht folglich nicht.71 Der Umstand, dass § 8 Abs. 1 Satz 4 LkSG eine Pflicht zur Sachverhaltserörterung mit dem Hinweisgeber statuiert und damit eine Kontaktmöglichkeit voraussetzt, lässt sich möglicherweise als Anhaltspunkt dafür deuten, dass der Gesetzgeber anonyme Meldemöglichkeiten nicht zulassen wollte. Mindestens ebenso wahrscheinlich scheint aber, dass er diesen Aspekt nicht näher erwogen hat.72 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Barrierefreiheit des Meldekanals eines seiner zentralen Merkmale zu sein scheint und diese durch eine Pflicht zur Namensnennung eher beeinträchtigt erscheinen könnte. Laut einer aktuellen Studie von EQS zu Hinweisgebersystemen ohne besonderen 27 Fokus auf Menschenrechts- und Umweltverstöße ist eine anonyme Meldung in Deutschland derzeit bei über 70 Prozent der befragten Unternehmen möglich.73 Der entscheidende Vorteil dürfte in der Absenkung der Hemmschwelle für 69 Vgl. auch Lüneborg, Beschwerdesysteme sollten effizient und attraktiv gestaltet sein, in Börsenzeitung vom 30.10.2021 (abrufbar im Internet unter https://www.boersen-zei tung.de/recht-kapitalmarkt/beschwerdesysteme-attraktiv-und-effizient-gestalten-045e 08fc-319c-11ec-81e3-d9d27c3699d2, zuletzt abgerufen am 22.12.2021). 70 Vgl. ISO/DIS 37001:2016, Anti-Korruptions-Managementsysteme, Ziff. 8.9.; ISO 37301, 2021, Compliance-Management-Systeme, Ziff. 8.3. 71 Vgl. auch Stemberg, CCZ 2022, 92, 93. 72 Vgl. Lüneborg, DB 2022, 375, 380. 73 Vgl. den im Oktober 2021 erschienenen Whistleblowing Report 2021 der Fachhochschule Graubünden in Kooperation mit der EQS Group, S. 51 f.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren die Informationserteilung bestehen.74 Als potentieller Nachteil wird häufig das Missbrauchspotential und die Begünstigung von Denunziantentum angeführt.75 Etwa der Europäische Datenschutzbeauftragte vertritt daher die Auffassung, dass anonyme Hinweise vermieden werden sollten.76 Die EQS-Studie widerlegt diesen Vorbehalt jedoch eher, als dass sie ihn bestätigt: In Deutschland hatte nur jede zehnte untersuchte Meldung nicht wahrheitsgemäße Inhalte. Dieser Wert lag auch bei Unternehmen nicht höher, die anonyme Hinweise erlauben.77 Kommt kein webbasiertes Tool zur Anwendung, besteht zudem keine Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit dem anonym bleibenden Hinweisgeber, um Rückfragen zu stellen. Dies kann die Aufklärung mitunter beträchtlich erschweren oder sogar unmöglich machen. Der entscheidende Unterschied zwischen Meldekanälen, wie sie derzeit bereits in Unternehmen bestehen bzw. nach der WBRL und dem HinSchG-E künftig einzurichten sind, und dem Beschwerdemechanismus nach § 8 LkSG besteht darin, dass letzterer nicht nur Meldungen betreffend den eigenen Geschäftsbereich, sondern auch Meldungen betreffend die Zulieferer ermöglichen muss. Während ein Missbrauch des Meldekanals im eigenen Geschäftsbereich durchaus ohne nennenswerte Phantasie denkbar ist, indem etwa ein Beschäftigter versucht, einen unliebsamen Kollegen anzuschwärzen, erscheint es aufgrund einer tendenziell anders gelagerten Motivation eher fernliegend, dass derartige missbräuchliche Meldungen hinsichtlich von Zulieferern eingehen. Gleichzeitig dürfte die Hemmschwelle, beispielsweise der Mitarbeiter eines afrikanischen Zulieferunternehmens, sich an die Meldestelle des deutschen Abnehmers zu wenden, per se deutlich höher sein, als hinsichtlich von Meldungen, die Beschäftigte des Unternehmens mit Bezug zu dem Unternehmen selbst erstatten. Diese Hemmschwelle könnte möglicherweise durch die Zulassung einer anonymen Meldemöglichkeit abgesenkt werden. Gleichwohl liegt auf der Hand, dass Unternehmen ein höheres intrinsisches Interesse daran haben, Meldungen betreffend den eigenen Geschäftsbereich möglichst attraktiv zu gestalten als dies hinsichtlich von Meldungen zu den Zulieferern der Fall ist. 28 In jedem Fall ist Unternehmen zu empfehlen, anonyme Meldungen für alle beste-

henden Meldekanäle entweder einheitlich zuzulassen oder einheitlich zu unter-

74 Näher etwa Schmelzeisen, DK 2020, 413, 417. 75 Vgl. etwa Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder, Orientierungshilfe zu Whistleblower-Hotlines, Stand: 14.11.2018, Ziff. E 3; kritisch etwa Dilling, CCZ 2021, 60, 62. 76 Vgl. European Data Protection Supervisor, Guidelines on processing personal information within a whistleblowing procedure, Dezember 2019, Rz. 14, abrufbar im Internet unter https://edps.europa.eu/sites/default/files/publication/19-12-17_whisteblowing_guide lines_en.pdf (zuletzt abgerufen am 22.12.2021); dagegen tendenziell für die Zulassung anonymer Meldungen Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder, Orientierungshilfe zu Whistleblower-Hotlines, Stand: 14.11.2018, Ziff. E 3. 77 Vgl. den im Oktober 2021 erschienenen Whistleblowing Report 2021 der Fachhochschule Graubünden in Kooperation mit der EQS Group, S. 61 f.

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sagen.78 Werden anonyme Meldungen zugelassen, sollten den Hinweisbearbeitern Identifizierungsversuche untersagt werden. Existiert ein Betriebsrat, ist ferner dessen Einbindung in die Ausgestaltung des Meldekanals in der Regel geboten.79 Weigert sich der Betriebsrat, der Zulassung anonymer Meldungen per Beschluss zuzustimmen oder eine entsprechende Betriebsvereinbarung abzuschließen oder entscheidet sich die Unternehmensleitung, keine anonymen Meldungen weiterzuverfolgen und erhält das Unternehmen trotz entsprechender Kommunikation eine anonyme Meldung etwa über Kinderarbeit, so ist zu differenzieren: – Betrifft die Meldung den eigenen Geschäftsbereich und ist das Unternehmen eine Kapitalgesellschaft, wird es sie regelmäßig bereits im Hinblick auf die Legalitätspflicht nicht unbeachtet lassen können. – Betrifft die Meldung einen unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferer, ist die Pflichtenlage weniger deutlich konturiert. Vorbehaltlich behördlicher Hinweise oder einer Judikatur zu diesem Thema spricht einiges dafür, dass auch eine derartige Meldung die üblichen gesetzlichen Folgepflichten auslösen würde, da §§ 5 Abs. 4 Satz 2, 6 Abs. 5 Satz 2 und 7 Abs. 4 Satz 2 LkSG sowohl hinsichtlich der Risikoanalyse als auch mit Blick auf die Präventions- und Abhilfemaßnahmen ohne weitere Qualifizierung die Berücksichtigung von Erkenntnissen aus der Bearbeitung von Hinweisen voraussetzen und auch der Maßstab der die Pflichten betreffend mittelbaren Zulieferern auslösenden substantiierten Kenntnis von Gerichten nicht allzu hoch angesetzt werden dürfte, wenn und weil die entsprechende Information im Unternehmen über den Meldekanal bereits tatsächlich vorliegt. 2. Taugliche Meldeinhalte Nach § 8 Abs. 1 Satz 2, 9 Abs. 1 LkSG muss Hinweisgebern die Möglichkeit er- 29 öffnet werden, auf nach dem LkSG geschützte menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken sowie Verstöße (s. dazu § 2 Rz. 90 ff.) sowohl im eigenen Geschäftsbereich als auch bei Zulieferern hinzuweisen. Bei Beschreibung des Beschwerdemechanismus wird die Gesellschaft folglich auf die tauglichen Meldeinhalte hinweisen und diese stichwortartig sowie unter Nutzung von Beispielen wie Kinder- und Zwangsarbeit umschreiben, damit auch dem rechtlich nicht vorgebildeten Nutzer verständlich wird, bei welchen Meldeinhalten er Hinweisgeberschutz (dazu Rz. 85 ff.) genießt. Nuancen in der Zuordnung und insbesondere der rechtlichen Bewertung können dabei nicht zu Lasten des Hinweisgebers gehen. Hat das Unternehmen (etwa in Umsetzung der WBRL bzw. des HinSchG) einen separaten Meldekanal für Verstöße gegen die ABC-Compliance eingerichtet, sollte die Verfahrensordnung (dazu Rz. 39 ff.) hierauf verweisen. 78 Vgl. z.B. Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz, 3. Aufl. 2019, Kap. 3 Rz. 62. 79 Vgl. Reinhard, NZA 2016, 1233, 1235; Richardi in Richardi/BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 87 Rz. 198; Chwalisz in Oberthür/Seitz, Betriebsvereinbarungen, 3. Aufl. 2021, B II Rz. 5 f. (S. 165).

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§ 8 | Beschwerdeverfahren Unternehmen, die einen integrierten Meldekanal betreiben (dazu Rz. 20 f.), sollten ebenso klarstellen, welche Meldeinhalte in dessen Zuständigkeit fallen. Im Rahmen eines integrierten Meldesystems könnte ein Hinweis auf die tauglichen Meldeinhalte beispielsweise wie folgt lauten: Angehörige eines Unternehmens der xyz-Gruppe können jede begangene oder erkennbar drohende unternehmensbezogene Verletzung von Gesetzen sowie Verstöße gegen unseren Verhaltenskodex oder sonstige, mit den vorgenannten Regeln in Einklang stehende, inner- und außerbetriebliche Richtlinien und lokale Gepflogenheiten melden. Solche Verletzungen sind z.B. Bestechung, Korruption und Geldwäsche oder die Missachtung kartell-, umwelt-, sicherheits- oder arbeitsrechtlicher Bestimmungen. Beschäftigte und Dritte können zudem auf menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken oder bereits eingetretene oder drohende Verletzungen menschenrechts- oder umweltbezogener Pflichten (etwa Kinder- oder Zwangsarbeit) nach § 2 des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes bei bzw. durch xyz oder einem unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferer von xyz innerhalb der für xyz relevanten Lieferkette hinweisen.

30 Bezugspunkt von Meldungen unter dem Beschwerdeverfahren können auch

unmittelbare oder mittelbare Zulieferer sein. § 8 Abs. 1 Satz 2 LkSG selbst schränkt diesen Bezugspunkt nur dadurch geringfügig ein, dass die Meldung im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Handeln des Zulieferers stehen muss. Viel bedeutsamer ist indes die – ungeschriebene – Beschränkung, dass der Hinweis wirtschaftliches Handeln eines Zulieferers im Rahmen der für das verpflichtete Unternehmen relevanten Lieferkette betreffen muss. D.h., ein tauglicher Meldeinhalt liegt nur vor, wenn er das wirtschaftliche Handeln eines Zulieferers betrifft, das auch den sonstigen Sorgfaltspflichten nach dem LkSG unterliegen würde (s. dazu § 2 Rz. 90 ff.). Betrifft der Hinweis demgegenüber z.B. Kinderarbeit bei dem nicht für die spezifische Lieferkette relevanten Reinigungspersonal eines Zulieferers oder Anhaltspunkte für relevante Arbeitssicherheitsverstöße in einem Geschäftsbereich des Zulieferers, der Elektroautos herstellt, während das verpflichtete Unternehmen lediglich Reifen aus einem anderen, separaten Geschäftsbereich dieses Zulieferers bezieht (s. zu diesen Einschränkungen § 2 Rz. 365 f.), handelt es sich grundsätzlich nicht um einen tauglichen Meldeinhalt nach §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG. Da die Differenzierung im Einzelfall zumeist Schwierigkeiten bereiten dürfte und um potentielle Hinweisgeber nicht per se von der Hinweiserteilung abzuschrecken, ist Unternehmen indes zu empfehlen, in den öffentlich verfügbaren Hinweisen zu dem Beschwerdeverfahren lediglich zu betonen, dass der Hinweis die für das verpflichtete Unternehmen relevante Lieferkette betreffen muss. Vom Versuch einer detaillierteren, abstrakt-generellen Definition ist dagegen abzuraten.

31 Weist ein Hinweisgeber auf Anhaltspunkte für ein bei genauer Betrachtung

nicht nach dem LkSG geschütztes umweltbezogenes Risiko oder eindeutig nicht vom Schutzbereich des Gesetzes erfasste Anhaltspunkte für allgemeine Compliance-Risiken hin, so ist hinsichtlich der Pflichtenlage des Unternehmens zu differenzieren: – Betrifft der Hinweis den eigenen Geschäftsbereich einer juristischen Person und steht ein – möglicherweise sogar strafrechtlich relevanter – Gesetzesver504

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stoß in Rede, sieht sich der Geschäftsleiter der bekannten „Pflichtentrias“ ausgesetzt: Der Pflicht zur unverzüglichen Sachverhaltsaufklärung, zum Abstellen der Verstöße sowie zur angemessenen Sanktionierung des festgestellten Fehlverhaltens.80 Eine Pflicht zur Gewährung von Hinweisgeberschutz resultiert in diesem Fall unter Umständen künftig aus dem HinSchG oder dessen Umsetzung im Unternehmen: Hat ein Unternehmen – gleich, ob aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung oder freiwillig – den Kreis der potentiellen Hinweisgeber, denen Schutz gegen Repressalien bei Meldung über den allgemeinen Meldekanal zugesagt wird, möglichst weit gezogen, ist es auch zur Gewährleistung dieses Schutzes verpflichtet, ungeachtet dessen, ob der Hinweisgeber ein Mitarbeiter einer zur Unternehmensgruppe gehörigen Gesellschaft oder eines Zulieferers oder eines Dritten ist. – Betrifft der Hinweis demgegenüber einen unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferer, wird das Unternehmen ihn regelmäßig ebenfalls nicht unbeachtet lassen, schon um sicherzustellen, nicht unwissentlich in rechtswidrige Geschäfte eines Zulieferers eingebunden zu sein und um die Unternehmensreputation zu schützen. Letzterer dürfte es meistens schaden, wenn eine Assoziierung des Unternehmens mit einem einem rechtswidrigen Verhalten beschuldigten Zulieferer publik wird – mehr noch, wenn bekannt werden sollte, dass das Unternehmen entsprechenden Hinweisen nicht nachgegangen ist. Nichtsdestotrotz werden die Rechtspflichten nach §§ 7 und 9 Abs. 3 LkSG in der Regel nicht ausgelöst. Bußgeldrisiken drohen daher nicht. Auch eine Rechtspflicht zum Hinweisgeberschutz besteht in diesen Fällen nicht.

VI. Taugliche Meldekanäle – Zugänglichkeit (Abs. 4 Satz 2) Das LkSG legt nicht konkret fest, welche Meldekanäle (etwa: per Post, Telefon, 32 E-Mail oder spezifischem Online-Tool) eröffnet werden müssen und trifft auch keine näheren Festlegungen zur Sprachabdeckung. § 8 Abs. 4 Satz 2 LkSG setzt lediglich voraus, dass das Beschwerdeverfahren „für potenzielle Beteiligte zugänglich“ sein muss. Einen weiteren Hinweis auf die gesetzgeberische Vorstellung der Zugänglichkeit bietet die Vorgabe, wonach der Sachverhalt mit den Hinweisgebern zu erörtern ist (dazu Rz. 69 ff.).81 Die letztlich entscheidende Konkretisierung des Maßstabs der Zugänglichkeit enthält die Gesetzesbegründung: Hiernach muss der Zugang zu dem Beschwerdemechanismus barrierefrei sein.82 Als potentielle Zugangshindernisse nennt die Gesetzesbegründung mangelnde Kenntnis des Mechanismus, Sprache, Lese- und Schreibvermögen, Kosten, Standort und Furcht vor Repressalien.83 Als taugliches Medium führt die 80 LG München I v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, DB 2014, 766 = NZG 2014, 345, 347 – Siemens/Neubürger; Fleischer, NZG 2014, 321, 324, 326; Reichert/Ott, NZG 2014, 241, 243; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2176; Ott/Lüneborg, CCZ 2019, 71, 72. 81 § 8 Abs. 1 Satz 4 LkSG. 82 BT-Drucks. 19/28649, 50. 83 BT-Drucks. 19/28649, 50.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren Gesetzesbegründung drei Beispiele an: „Bereitstellung einer barrierefreien Website oder von barrierefreien Beschwerdeformularen und Email-Adressen“84. 33 Das Erfordernis der Barrierefreiheit und seine Ausformung in der Gesetzes-

begründung entspricht im Wesentlichen dem nach Ziff. 31 lit. b UNGP erforderlichen Merkmal der Zugänglichkeit des Beschwerdemechanismus: Dieser soll hiernach allen adressierten Stakeholdern bekannt sein und denjenigen, die spezifischen Nutzungshürden begegnen, sollen Unterstützungsleistungen angeboten werden.85 Die UNGP-Effektivitätskriterien haben wiederum empirisch fundierte Konkretisierungen durch das Accountability and Remedy Project III (ARP III) des Office of the High Commissioner of Human Rights (OHCHR) erfahren, dessen Abschlussbericht im Mai 2020 veröffentlicht wurde.86 Nach ARP III-PO 8.6. soll die praktische Zugänglichkeit des Mechanismus für alle gesichert sein, u.a. durch dessen physische Barrierefreiheit sowie durch altersgemäße und gendersensible Vorkehrungen, die allen eine ungehinderte Inanspruchnahme der Dienste des Beschwerdemechanismus ermöglichen. Eine mögliche genderbasierte Diskriminierung kann sich hiernach insbesondere daraus ergeben, dass ca. 327 Mio. weniger Frauen als Männer auf der Welt ein Smartphone besitzen und das mobile Internet nutzen können.87 ARP III-PO 8.8. konkretisiert die Anforderung der Barrierefreiheit weiter dahingehend, dass Materialien, sonstige Ressourcen und Beratungsangebote des Beschwerdemechanismus, die dessen Zugänglichkeit erhöhen sollen, den Bedürfnissen und Rechten von Kindern, von Menschen mit Schreib- und Leseschwächen und von Menschen mit Behinderungen entsprechen sollen, inklusive jener, deren Gehörsinn, Sehvermögen oder Mobilität beeinträchtigt ist. Schließlich soll auch das Beschwerdeverfahren selbst gem. ARP III-PO 10.1. auf angemessene und gendersensible Art und Weise an die besonderen Bedürfnisse von Personen angepasst werden, die eine Verletzung oder Traumatisierung erlitten haben, die in erhöhtem Maße vulnerabel sind und/oder die marginalisiert werden. So soll auch der Einsatz von Technologien (z.B. zur Entgegennahme von Beschwerden oder zur Sammlung und Weitergabe von Informationen) auf diese besonderen Bedürfnisse abgestimmt sein. Die Zugänglichkeit des Beschwerdemechanismus kann außerdem durch die Definition und die Beschreibung des Kreises der tauglichen Hinweisgeber erschwert bzw. 84 BT-Drucks. 19/28649, 50. 85 Vgl. UN Guiding Principles on Business and Human Rights (UNGP), (abrufbar im Internet unter https://www.ohchr.org/documents/publications/guidingprinciplesbusinesshr_ en.pdf zuletzt abgerufen am 5.2.2022). 86 Vgl. OHCHR, Improving accountability and access to remedy for victims of businessrelated human rights abuse through non-State-based grievance mechanisms, UN Doc. A/HRC/44/32, 19.5.2020. 87 Vgl. Europa-Universität Viadrina, Forschungsbericht: „Außergerichtliche Beschwerdemechanismen entlang globaler Lieferketten – Empfehlungen für die Institutionalisierung, Implementierung und Verfahrensausgestaltung“, S. 245, abrufbar im Internet unter https://www.bmj.de/DE/Themen/Menschenrechte/Wirtschaft_und_Menschenrechte/ Forschungsbericht_Aussergerichtliche_Beschwerdemechanismen.pdf?__blob=publication File&v=2, (zuletzt abgerufen am 22.12.2021).

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erleichtert werden.88 Fasst man diesen – wie hier empfohlen (dazu Rz. 24 f.) – möglichst weit, entfällt als Zugangshindernis die mitunter schwierige Prüfung, ob man selbst als tauglicher Hinweisgeber in Betracht kommt bzw. als solcher Schutz genießt. 1. Technische und sprachliche Barrierefreiheit Das Erfordernis der Barrierefreiheit ist gegenwärtig mit beträchtlicher Rechts- 34 unsicherheit behaftet.89 Unternehmen stehen vor der Herausforderung, wie mit möglichen Sprachbarrieren umzugehen ist, wie die Erreichbarkeit des Beschwerdemechanismus für Personen ohne Internetzugang eröffnet werden kann, bis hin zu der Frage, ob und welche Hilfen Analphabeten zu geben sind.90 Im Schrifttum findet sich der Hinweis, dass sich diese Hürden insbesondere bei Projekten „in zivilisationsfernen Gegenden“ und „indigener Bevölkerung“ ergeben würden.91 Es liegt indes auf der Hand, dass diese Herausforderungen hierauf keineswegs beschränkt sind. Bei genauer Betrachtung resultieren diese besonderen Herausforderungen vor 35 allem aus der Verpflichtung, den Beschwerdemechanismus im Ergebnis jedermann zugänglich zu machen. In den Betrachtungshorizont sind daher nicht lediglich die eigenen Beschäftigten einzubeziehen, von denen möglicherweise bekannt ist, dass sie alle Deutsch und Englisch verstehen bzw. entweder selbst Lesen und Schreiben können oder jedenfalls über entsprechende Unterstützung – etwa aus dem Kollegenkreis – verfügen.92 Vielmehr ist bei der Ausgestaltung der Meldekanäle auch deren Zugänglichkeit für die Beschäftigten der Zulieferer entlang der Lieferkette und sonstige Stakeholder einzubeziehen. Der Kreis der potentiellen Hinweisgeber variiert je nach Ausrichtung des verpflichteten Unternehmens. Er dürfte etwa bei einem verpflichteten Unternehmen mit Sitz in Deutschland, das vor allem von Zulieferern in den EU-Mitgliedstaaten sourct, 88 Vgl. OHCHR, Improving accountability and access to remedy for victims of businessrelated human rights abuse through non-State-based grievance mechanisms, UN Doc. A/HRC/44/32, 3.6.2020, Rz. 42. 89 Vgl. Lüneborg, DB 2022, 375, 380; im Ergebnis ebenso Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2149. 90 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 238; Lüneborg, DB 2022, 375, 380. 91 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 127. 92 Vor diesem Hintergrund fordert Hembach (Praxisleitfaden LkSG, 1. Aufl. 2022, S. 172 f.), Beschwerdemechanismen müssten sich an den tatsächlichen Umständen am potenziellen Beschwerdeort (Sprache, kulturelle Prägung, Lese- und Schreibfähigkeit, technische Möglichkeiten) orientieren und verweist auf Kritik an dem Beschwerdemechanismus der Tierschutzorganisation WWF (World Wildlife Fund). Dieser sei vor einigen Jahren vorgeworfen worden, der von ihr vorgehaltene Beschwerdemechanismus sei potentiell Betroffenen nahezu unbekannt und für die Beschwerdeeinreichung sei eine Tagesreise erforderlich, da eine telefonische Beschwerde bereits an fehlender Verbreitung von Handys in der lokalen Bevölkerung bzw. fehlendem Handyempfang in der Region scheitere.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren anders zusammengesetzt sein, als bei einer hohen Zuliefererquote aus Afrika oder Indien.93 Vor diesem Hintergrund ist als Maßstab für die praktische Umsetzung neben dem einen Grundpfeiler des Gesetzes bildenden Angemessenheitsgrundsatz insbesondere zu berücksichtigen, dass das LkSG keine Erfolgs-, sondern lediglich Bemühenspflichten begründen soll.94 Von keinem Unternehmen dürfe etwas rechtlich und tatsächlich Unmögliches verlangt werden.95 Folglich ist es weder erforderlich noch praktisch möglich, einen Meldekanal in allen erdenklichen Sprachen96 vorzusehen.97 Vielmehr sollte das Beschwerdeverfahren jedenfalls in deutscher und englischer Sprache eröffnet werden; zusätzlich sollten zumindest schriftliche Meldungen in den Landessprachen der eigenen Geschäftsbetriebe sowie der wesentlichen unmittelbaren Zulieferer ermöglicht werden.98 Viele Unternehmen werden sich vermutlich bereit erklären, Hinweise in allen Sprachen zu bearbeiten und sie ggf. im Unternehmen vorab einer professionellen und vertraulichen Übersetzung auf Unternehmenskosten zuzuführen. Bei einer telefonischen Meldemöglichkeit, die insbesondere Analphabeten den Zugang jedenfalls erleichtern dürfte, ist zu beachten, dass eine Übersetzung bei weniger gängigen Sprachen unter Umständen nicht simultan organisiert werden kann, sodass der Hinweisbearbeiter, der den Anruf entgegennimmt, versuchen sollte, ein weiteres Gespräch in Anwesenheit eines Übersetzers zu terminieren. Eine Erläuterung der Sprachabdeckung könnte etwa wie folgt lauten: Um die Bearbeitung zu erleichtern, sollten die Hinweise möglichst auf Deutsch oder Englisch oder alternativ in der jeweiligen Regional- oder Landessprache übermittelt werden. In einer anderen Sprache übermittelte Hinweise bearbeiten wir – falls erforderlich nach Einholung einer professionellen Übersetzung – ebenfalls. Wir weisen darauf hin, dass sich die weitere Bearbeitung des Hinweises in diesem Fall zeitlich geringfügig verzögern kann.

36 Vor dem Hintergrund des Erfordernisses der Barrierefreiheit dürfte sich der in der

Praxis gegenwärtig erkennbare Trend zu webbasierten Meldekanälen – häufig gepaart mit einer externen Ombudsstelle – in Zukunft fortsetzen. Denn den Betroffenen ist über derartige Tools zumeist nicht nur die Meldung von potentiellen Missständen über ein Webinterface oder per E-Mail, sondern häufig auch

93 Im Ergebnis ebenso Stemberg, CCZ 2022, 92, 94. 94 Vgl. RegE LkSG BT-Drucks. 19/28649, 33; vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 37. 95 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 37. 96 Das Summer Institute of Linguistics geht davon aus, dass weltweit derzeit über 7.000 Sprachen gesprochen werden, vgl. https://www.ethnologue.com/. 97 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 238; Lüneborg, DB 2022, 375, 380. 98 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 238; Lüneborg, DB 2022, 375, 380; im Ergebnis ebenso Stemberg, CCZ 2022, 92, 95, der allerdings von einem „Vorhalten“ der Sprachen der eigenen Geschäftsbetriebe und der wichtigsten unmittelbaren Zulieferer neben Deutsch und Englisch handelt. Nicht vollkommen klar ist, ob hiermit das Vorhandensein der entsprechenden Sprachkompetenz im Kreis der Hinweisbearbeiter oder jedenfalls im Unternehmen vorausgesetzt werden oder ob die Hinzuziehung einer professionellen Übersetzung genügen soll.

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die Aufnahme von Sprachnachrichten möglich. Auch ein paralleler telefonischer Meldekanal wäre geeignet, um etwaigen Einschränkungen des Lese- und Schreibvermögens sowie im Internetzugriff Rechnung zu tragen.99 Diejenigen Unternehmen, die gegenwärtig lediglich Meldungen per Post und/oder per E-Mail zulassen, sollten angesichts des Erfordernisses der Barrierefreiheit erwägen, zusätzlich eine (auch aus dem Ausland gebührenfreie) Telefonhotline oder ein OnlineTool zu eröffnen.100 Denkbar erscheint weiterhin, den Online-Zugang weiter zu erleichtern, indem ein QR-Code zur Verfügung gestellt und der Anwender nach dem Einscannen über das Smartphone unmittelbar zu dem Online-Tool oder jedenfalls einem Homepagesegment mit Kontaktinformationen zu dem Beschwerdemechanismus weitergeleitet wird. Auch ein Formular-Vordruck bzw. ein im Online-Tool abrufbarer Fragebogen ist grundsätzlich geeignet, Meldehemmnisse zu reduzieren, da die Hinweisgeber eine gewisse Indikation erhalten, welche Informationen erforderlich sind.101 Jedenfalls aus gegenwärtiger Perspektive ist zu beachten, dass die gängigen Anbieter von Online-Tools die Anforderungen des LkSG nach eigenen Auskünften noch nicht vollständig systemisch umgesetzt haben, sodass voraussichtlich upgedatete Versionen (ggf. gegen Mehrkosten) erforderlich werden dürften. Wenn im Schrifttum allerdings teilweise eine Erreichbarkeit des Beschwerdesystems per E-Mail, Internet oder Telefon nicht für ausreichend erachtet wird, erscheint dies nicht zu Ende gedacht, zumal die entsprechenden Ausführungen keine praktikable Lösung der hieraus resultierenden Probleme anbieten.102 Vielmehr ist international anerkannt, dass eine Eröffnung mehrerer unterschiedlicher Meldekanäle geeignet ist, deren Nutzung zu steigern.103 Auch der Gesetzgeber nennt in der Gesetzesbegründung erkennbar nur beispielhaft alternative Meldewege und stellt kein Erfordernis ihres kumulativen Vorhaltens auf (dazu Rz. 32). In der Praxis ist zu beobachten, dass Meldungen mitunter ohnehin auf anderen als den hierfür eröffneten Meldekanälen ins Unternehmen gelangen, etwa durch ein anonymes Schreiben an die Geschäftsleitung oder – was für eine gute Compliance-Kultur spricht – einen persönlichen Hinweis an ein Mitglied der Compliance-Abteilung – und nicht über die telefonisch 99 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 238. 100 Im Ergebnis ebenso, wenn auch tendenziell restriktiver Stemberg, CCZ 2022, 92, 95, der – auf einer Datenbasis des Statistischen Bundesamts, wonach es 13 Prozent der Weltbevölkerung ab 15 Jahren, d.h., ca. 755 Mio. Menschen, an einer grundlegenden Lese- und Schreibkompetenz fehle – annimmt, dass Unternehmen in der Regel neben den Zugangsmöglichkeiten per E-Mail oder Website auch eine Telefon-Hotline anzubieten hätten bzw. dass erst die Kombination aus internetbasiertem Zugangsweg und Telefonhotline im Regelfall eine ausreichende Barrierefreiheit sicherstelle. 101 Vgl. auch OHCHR, Improving accountability and access to remedy for victims of business-related human rights abuse through non-State-based grievance mechanisms, UN Doc. A/HRC/44/32, 3.6.2020, Rz. 43. 102 Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 108 und wohl auch Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 127. 103 Vgl. auch OHCHR, Improving accountability and access to remedy for victims of business-related human rights abuse through non-State-based grievance mechanisms, UN Doc. A/HRC/44/32, 3.6.2020, Rz. 44.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren erreichbare externe Ombudsstelle. Diese Entwicklung dürfte sich künftig weiter verstärken.104 Unternehmen müssen vor dem Hintergrund der Legalitätspflicht organisatorisch sicherstellen, dass alle Hinweise unabhängig von ihrem Meldeweg die für die Aufklärung zuständige Stelle erreichen und nach einheitlichen Parametern behandelt werden.105 2. Zeitliche Barrierefreiheit 37 Bei genauer Betrachtung wäre echte Barrierefreiheit insbesondere bei einer stän-

digen physischen Erreichbarkeit von Hinweisbearbeitern vor Ort gewährleistet. In diese Richtung weist der Ansatz der EU-Kommission, die im Zuge der Implementierung der WBRL eine regionale Hinweisbearbeiterzuständigkeit und -präsenz bei allen Gruppengesellschaften mit mehr als 250 Beschäftigten fordert (dazu Rz. 9). Im Hinblick auf die Umsetzung der Vorgaben der §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG liegt hierin indes erkennbar bereits vor dem Hintergrund des Angemessenheitsgebots keine taugliche Herangehensweise, da Unternehmen anderenfalls nicht nur an den Standorten des eigenen Geschäftsbetriebs, sondern auch an denjenigen ihrer Zulieferer dauerhafte regionale Erreichbarkeit gewährleisten müssten. Dass dem Gesetzgeber eine derartige Übererreichbarkeit des Beschwerdemechanismus nicht im Entferntesten vorgeschwebt ist, zeigt bereits der Umstand, dass jedenfalls eines der an dem Gesetzesentwurf maßgeblich beteiligten Bundesministerien von der Zulässigkeit einer einzigen, zentralen Meldestelle pro Unternehmensgruppe ausgeht (dazu Rz. 10). Die zeitliche Erreichbarkeit eines Beschwerdebüros oder einer Telefonhotline kann daher auf die allgemeinen Bürozeiten begrenzt werden. Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass einige potentielle Hinweisgeber – in manchen Kulturen insbesondere Frauen106 – allenfalls in Tagesrandzeiten Gelegenheit zur Erteilung eines Hinweises haben werden, sollte allerdings ein Anrufbeantworter mit Sprachaufnahmefunktion oder eine rund um die Uhr erreichbare E-Mail- oder Online-Lösung mit zeitversetztem Abruf erwogen werden.

3. Informatorische Barrierefreiheit 38 Als ein mögliches Zugangshindernis bezeichnet der Gesetzgeber in der Gesetzes-

begründung die mangelnde Kenntnis des Beschwerdemechanismus.107 Die Relevanz dieser potentiellen Barriere verkürzt der Gesetzgeber indes selbst deutlich, indem er Unternehmen auferlegt, eine Verfahrensordnung zugänglich zu machen (dazu Rz. 44 f.). Diesem Erfordernis der informatorischen Barrierefreiheit dürfte daher Genüge getan sein durch eine klare und leicht verständliche

104 Lüneborg, DB 2022, 375, 380. 105 Lüneborg, DB 2022, 375, 380. 106 Vgl. auch OHCHR, Improving accountability and access to remedy for victims of business-related human rights abuse through non-State-based grievance mechanisms, UN Doc. A/HRC/44/32, 3.6.2020, Rz. 44. 107 BT-Drucks. 19/28649, 50.

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und hinsichtlich der Einzelschritte transparente Darstellung des Meldeverfahrens in einer sowohl unternehmensweit als auch auf der Unternehmenshomepage in deutscher und englischer Sprache verfügbaren Verfahrensbeschreibung sowie einen zusammenfassenden Homepagetext, etwa in Q&A-Form (wer kann was, wie an wen mit welchem Ergebnis melden?).108 Damit ist auch eine Informationsmöglichkeit für Beschäftigte und andere Stakeholder von Zulieferern sowie in Bezug auf Zulieferer gewährleistet. Obwohl eine Bereitstellung von Informationen sowohl online als auch offline naturgemäß geeignet ist, deren Verbreitungsgrad zu steigern109, kann den neuen Vorgaben nicht entnommen werden, dass die Erläuterungen physisch in Zulieferbetrieben weltweit ausgehängt oder analoge Beschwerdeformulare bei Zulieferern vorgehalten werden müssten.110 Eine derartige Forderung würde denn auch den dem LkSG zugrunde liegenden Angemessenheitsvorbehalt überdehnen.111 Dem risikobasierten Ansatz des LkSG entspräche dagegen ein Hinweis auf den Beschwerdemechanismus in einem Supplier Code of Conduct, der über Lieferantenrahmenverträge/-AGB jedenfalls hinsichtlich von Zulieferern, bei denen die Risikoanalyse relevante menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken ergeben hat, Vertragsbestandteil werden sollte. Eine Erleichterung würde ferner die Möglichkeit zum Abruf von Informationen über einen QR-Code, der per Smartphone eingescannt werden kann, darstellen. Schließlich ist Unternehmen zu empfehlen, die Existenz und Funktionsweise des Beschwerdemechanismus in Compliance-Schulungen hervorzuheben, wenngleich dadurch insbesondere eine hinreichende Informationsdurchdringung im eigenen Geschäftsbereich und nicht hinsichtlich der Zulieferer gewährleistet ist.

VII. Compliance-Dokumentation zum Beschwerdeverfahren 1. Verfahrensordnung (Abs. 2) Nach 8 Abs. 2 LkSG sind Unternehmen verpflichtet, eine Verfahrensordnung in 39 Textform festzulegen und öffentlich zugänglich zu machen. Der Begriff der Verfahrensordnung ist nach deutsch-rechtlichem Verständnis eher aus dem Bereich von Schieds- und Mediationsverfahren denn mit Bezug zu Hinweisgeberstellen 108 Vgl. auch Lüneborg, DB 2022, 375, 380. 109 Vgl. auch OHCHR, Improving accountability and access to remedy for victims of business-related human rights abuse through non-State-based grievance mechanisms, UN Doc. A/HRC/44/32, 3.6.2020, Rz. 50. 110 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 238; Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3084. Innovativ dagegen Bündnis für nachhaltige Textilien, Informationspapier „Zugang zu Abhilfe- und Beschwerde-mechanismen sichern und fördern“, 2018, Ziff. 2.3.c) (abrufbar im Internet unter https://www.textilbuendnis.com/download/infopapier-beschwerdeund-abhilfemechanismen-2018/, zuletzt abgerufen am 5.5.2022): „So können z.B. Informationen zu Beschwerdemechanismen auf Lohnabrechnungen der Arbeiter*innen gedruckt, oder Anforderungen in einfache Sprache oder Comics übersetzt werden“. 111 Vgl. auch Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3084.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren bekannt. Auch die Gesetzesbegründung bietet dem Anwender lediglich bedingt Hilfestellung bei dem Verständnis der gesetzgeberischen Erwartungen: Dort heißt es, die Verfahrensordnung müsse „angemessen“ sein und „einen vorhersehbaren zeitlichen Rahmen für jede Verfahrensstufe sowie klare Aussagen zu den verfügbaren Arten von Abläufen“ festlegen.112 Auch dieser – pauschale – Hinweis charakterisiert eine Schiedsverfahrens- oder Mediationsordnung besser als die Beschreibung der Funktionsweise eines Hinweisgebersystems, zumal der Gesetzgeber das Angebot zu einem Verfahren der einvernehmlichen Beilegung ausdrücklich in das diskretionäre Ermessen der jeweiligen Gesellschaft stellt (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 5 LkSG). Auch bei dem Großteil der in dem Forschungsbericht der Europa-Universität Viadrina zu unternehmensübergreifenden Beschwerdemechanismen untersuchten Praxisbeispiele (dazu Rz. 13) steht der Terminus der Verfahrensordnung in engem Zusammenhang zur Durchführung eines Mediationsverfahrens.113 40 Noch weiter verstärkt wird die Unsicherheit zum gesetzlichen Mindestinhalt

einer Verfahrensordnung nach § 8 Abs. 2 LkSG durch die in § 8 Abs. 4 Satz 1 LkSG enthaltene Vorgabe, wonach das Unternehmen – zusätzlich zu der Verfahrensordnung – in geeigneter Weise klare und verständliche Informationen zur Erreichbarkeit und Zuständigkeit und zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens öffentlich zugänglich machen muss (dazu Rz. 46 ff.). Taugliche Abgrenzungskriterien bleibt der Gesetzgeber schuldig. Auch die FAQ des BMAS zum LkSG widmen dem Beschwerdeverfahren insgesamt lediglich eine Frage nebst zugehöriger Antwort.114 Obwohl eine systematische Auslegung auf den ersten Blick eine Verpflichtung zur separaten Erfüllung dieser Anforderungen suggerieren könnte, spricht der wohl identische Telos – größtmögliche Transparenz und Verlässlichkeit – dafür, dass beide Vorgaben gesamthaft bzw. jedenfalls in enger Verzahnung erfüllt werden können. In der Tendenz dürfte die Verfahrensordnung vor allem dazu dienen, die rechtlichen Grundlagen für den Verfahrensablauf darzustellen und festzulegen, während die Information nach § 8 Abs. 4 Satz 1 LkSG – sofern man tatsächlich zwischen beiden Beschreibun-

112 BT-Drucks. 19/28649, 49. 113 Vgl. etwa die Darstellung zum Round Table on Sustainable Palm Oil im Forschungsbericht der Europa-Universität Viadrina: „Außergerichtliche Beschwerdemechanismen entlang globaler Lieferketten – Empfehlungen für die Institutionalisierung, Implementierung und Verfahrensausgestaltung“, S. 233, abrufbar im Internet unter https://www. bmj.de/DE/Themen/Menschenrechte/Wirtschaft_und_Menschenrechte/Forschungs bericht_Aussergerichtliche_Beschwerdemechanismen.pdf?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 22.12.2021) oder die sog. Fair Wear Complaints Procedure, S. 7 Ziff. 2 (abrufbar im Internet unter https://www.textilbuendnis.com/download/fwfcomplaints-procedure/, zuletzt abgerufen am 5.2.2022): In der offiziellen englischen Übersetzung des LkSG wird „Beschwerdeverfahren“ ebenfalls mit „Complaints Procedure“ übersetzt. 114 Abrufbar im Internet unter https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschen rechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/ faq-art.html (zuletzt abgerufen am 22.12.2021).

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gen strikt differenzieren möchte – dazu dient, die wesentlichen Informationen zu Zuständigkeiten, Meldemöglichkeiten und Verfahrensablauf nochmals in einer im Vergleich zu der Verfahrensordnung prägnanteren und auf einen laienhaften Empfängerhorizont ausgerichteten Form zusammenzufassen. a) Zuständigkeit und Inhalt Das Gesetz regelt nicht, wer für die Verabschiedung der Verfahrensordnung zu- 41 ständig ist. Aufgrund der hohen Bedeutung des Beschwerdemechanismus für das Lieferkettenmanagement wird sich in der Regel eine Verabschiedung durch die Geschäftsleitung anbieten. Zustimmungsvorbehalte eines etwaigen Aufsichtsgremiums dürften eher selten einschlägig sein. Praxisbeispiele von Verfahrensordnungen legen nahe, dass diese neben Zuständigkeiten und Meldemöglichkeiten den gesamten Ablauf des Verfahrens vom Eingang einer Meldung bis hin zu möglichen Folgemaßnahmen beschreiben sollten.115 Insgesamt sollte die Beschreibung des Beschwerdesystems möglichst klar, kohärent und konsistent ausfallen (etwa: Begriffe werden einmal definiert und dann durchgehend verwendet).

Die in der Gesetzesbegründung enthaltene Vorgabe, es müsse ein „vorherseh- 42 barer zeitlicher Rahmen für jede Verfahrensstufe“116 benannt werden, erweist sich vor dem Hintergrund praktischer Erfahrung als nur bedingt realistisch: Unternehmen können und sollten beispielsweise festlegen und kommunizieren, binnen welcher Frist nach Eingang des Hinweises die Eingangsbestätigung nach § 8 Abs. 1 Satz 3 LkSG zu erfolgen hat (bei einem integrierten Hinweisgebersystem, das gleichzeitig die Vorgaben der WBRL mit abdecken soll, ist zu berücksichtigen, dass Art. 9 Abs. 1 Buchst. b WBRL bzw. § 17 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG-E eine Frist von sieben Tagen nach Eingang des Hinweises vorgibt). Ferner sollte die Unternehmensleitung klare Vorgaben dazu machen, dass die Hinweisbearbeitung nicht unnötig in die Länge gezogen werden darf und welche Schritte (etwa in einem Eilfall aufgrund einer besonderen Gefährdung geschützter Rechtsgüter, wie beispielsweise dem Hinweis auf eine einsturzgefährdete Fabrik oder bei besonderen Reputationsrisiken) unverzüglich einzuleiten sind. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass es Unternehmen vor eine erhebliche Heraus115 Vgl. etwa Operating Procedures for the Human Rights Responsibility Mechanism of the Canadian Ombudsperson for Responsible Enterprise, abrufbar im Internet unter https://core-ombuds.canada.ca/core_ombuds-ocre_ombuds/operating_proceduresprocedures_exploitation.aspx?lang=eng (zuletzt abgerufen am 29.1.2022) sowie die Praxisbeispiele von Branchenverfahren im Forschungsbericht der Europa-Universität Viadrina: „Außergerichtliche Beschwerdemechanismen entlang globaler Lieferketten – Empfehlungen für die Institutionalisierung, Implementierung und Verfahrensausgestaltung“, S. 245, abrufbar im Internet unter https://www.bmj.de/DE/Themen/ Menschenrechte/Wirtschaft_und_Menschenrechte/Forschungsbericht_Aussergericht liche_Beschwerdemechanismen.pdf?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 22.12.2021). 116 BT-Drucks. 19/28649, 49.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren forderung stellen würde, eine allgemeingültige, hinreichend verlässliche Indikation für die Dauer von Aufklärungsmaßnahmen festzulegen. Diese ist zum einen extrem abhängig vom Umfang und der Komplexität des jeweiligen Untersuchungsgegenstands und der hieraus abzuleitenden Aufklärungsmaßnahmen und zum anderen auch von der Verfügbarkeit und Mitwirkungsbereitschaft betroffener Stakeholder. Vor dem Hintergrund des Angemessenheitsvorbehalts sollten Unternehmen daher zeitliche Wegmarken für bestimmte Handlungen formulieren, deren Einhaltung sie sicherstellen wollen und können und hinsichtlich der Verfahrensdauer im Übrigen darauf verweisen, dass diese von dem Umfang und der Komplexität der Themen abhängt.

43 Als noch konturenloser erweist sich die zweite Anforderung der Gesetzes-

begründung, Unternehmen sollten „klare Aussagen zu den verfügbaren Arten von Abläufen“117 festlegen. Hierunter könnte man zunächst das Erfordernis einer Beschreibung der Erreichbarkeit des Beschwerdemechanismus fassen. Eher dagegen spricht die explizite Nennung der Information zur Erreichbarkeit in § 8 Abs. 4 Satz 1 LkSG. Vor dem Hintergrund dieser Unsicherheit ist Unternehmen daher zu raten, den generellen Verfahrensablauf zu beschreiben und darauf hinzuweisen, an welchen Stellen dieser neben investigativen ggf. auch dialogische Elemente vorsieht, wie etwa die Möglichkeit der Sachverhaltserörterung mit dem Hinweisgeber. In jedem Fall sollte näher erläutert werden, falls das Unternehmen sich entscheidet, ein Verfahren zur einvernehmlichen Beilegung anzubieten (dazu Rz. 75 ff.) oder sich an einem Branchenmechanismus beteiligt. Bis sich ein gewisser Praxisstandard herausgebildet hat, ist Unternehmen zu empfehlen, in den Verfahrensordnungen und den Informationen nach § 8 Abs. 4 Satz 1 LkSG (entweder in der Gesamtschau oder gleichlautend) jedenfalls die folgenden Aspekte abzudecken: – Erreichbarkeit des Beschwerdemechanismus – Zulässige Meldeinhalte sowie ggf. Hinweis auf Weiterleitung, falls zwar ein plausibler Hinweis in Rede steht, dieser aber nicht vom Anwendungsbereich des Beschwerdemechanismus erfasst ist (Beispiel: Hinweis eines Kunden auf vermeintlich überlange Lieferzeiten des Unternehmens) – Geschützte Hinweisgeber und Voraussetzungen des Hinweisgeberschutzes – Vertraulichkeitsgrundsatz – Voraussetzungen und Grenzen – Weisungsfreiheit, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Hinweisbearbeiter – entweder in diesen öffentlich zugänglichen Dokumenten oder ggf. in einer zusätzlichen Richtlinie zum Beschwerdeverfahren (dazu Rz. 50 f.) können die Auswahlkriterien der Hinweisbearbeiter als ein Beleg für die Sicherstellung der hinreichenden Unabhängigkeit festgelegt werden – Zeitpunkte und Abläufe, die die Einbindung des Hinweisgebers erfordern bzw. ermöglichen (Eingangsbestätigung, Sachverhaltserörterung etc.) – Verfahren zur einvernehmlichen Beendigung, falls ein solches angeboten werden soll (dazu Rz. 75 ff.) – in diesem Fall gestaltet sich Verfahrensordnung naturgemäß 117 BT-Drucks. 19/28649, 49.

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Beschwerdeverfahren | § 8 deutlich umfangreicher, wie etwa das Beispiel der Fair Wear Foundation verdeutlicht118 – Aufklärungsgrundsätze – Grundsätze zur Ergreifung von Folgemaßnahmen – Identitäts- und Datenschutz

b) Öffentliche Zugänglichkeit Die Verfahrensordnung ist in Textform zugänglich zu machen. In diesem Zu- 44 sammenhang gelten die Ausführungen zur informatorischen Barrierefreiheit (dazu Rz. 38). Insbesondere eine Veröffentlichung im Intranet, auf das lediglich Arbeitnehmer des Unternehmens Zugriff haben, und/oder der Aushang in den Betriebsstätten des eigenen Geschäftsbereichs zugunsten von Mitarbeitern ohne PC-Arbeitsplatz ist nicht ausreichend. Vielmehr sollte die Verfahrensordnung jedenfalls in deutscher und englischer Sprache auf der Unternehmenswebsite abrufbar sein. Wenn Zulieferer oder allgemein Geschäftspartner über den Beschwerdemecha- 45 nismus informiert werden (etwa über Business Partner Code of Conducts, zugehörige Anschreiben oder auch Lieferanten-AGB bzw. -Rahmenverträge kann es sich anbieten, neben den allgemeinen Informationen auch die Verfahrensordnung zu verlinken oder über einen per Smartphone einscannbaren QR-Code einen unkomplizierten Zugriff sicherzustellen. Als zusätzliche Informationsmöglichkeit für die eigenen Mitarbeiter kommt des Weiteren ein Aushang an einer sichtbaren, den Beschäftigten allgemein zugänglichen Stelle im Unternehmen in Betracht. 2. Informationen zur Erreichbarkeit, Zuständigkeit und Durchführung (Abs. 4 Satz 1) a) Inhalt und Form Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 LkSG muss das Unternehmen in geeigneter Weise klare 46 und verständliche Informationen zur Erreichbarkeit, Zuständigkeit und Durchführung des Beschwerdeverfahrens öffentlich zugänglich machen. Die Abgrenzung zu der nach § 8 Abs. 2 LkSG ebenfalls öffentlich zugänglich zu machenden Verfahrensordnung ist nicht in allen Teilen klar (dazu Rz. 40). Ein taugliches Abgrenzungskriterium könnte möglicherweise darin bestehen, dass bei der Verfahrensordnung der rechtliche und bei der Information nach Abs. 4 Satz 1 der informatorische Gehalt im Vordergrund steht. Anders als bei der Verfahrensordnung hebt der Gesetzgeber denn auch hervor, dass die Information nach Abs. 4 Satz 1 klar und verständlich und daher mit anderen Worten laientauglich formuliert sein müsse. Im Unterschied zur Beschreibung der Verfahrensordnung legt der Gesetzgeber auch den Mindestinhalt (Erreichbarkeit, Zuständigkeit und Durch118 Vgl. Fair Wear Complaints Procedure (abrufbar im Internet unter https://www.textil buendnis.com/download/fwf-complaints-procedure/, zuletzt abgerufen am 5.2.2022).

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§ 8 | Beschwerdeverfahren führung des Beschwerdeverfahrens) fest. Bis sich ein gewisser Praxisstandard herausgebildet hat, bleibt es Unternehmen unbenommen, die Anforderungen nach Abs. 2 und Abs. 4 Satz 1 in einem Dokument oder – in diesem Fall mit Teilüberschneidungen – in zwei unterschiedlichen Dokumenten abzudecken oder aber ggf. lediglich die Verfahrensordnung als pdf-Dokument auf der Unternehmenswebsite zur Verfügung zu stellen und die Information nach Abs. 4 Satz 1 als erläuternden Text auf der Homepage auszugestalten (s. zum Ganzen auch Rz. 41 ff.). 47 Die Information nach § 8 Abs. 4 Satz 1 LkSG ist ein weiteres Beispiel dafür, dass

der Gesetzgeber die Umsetzung der Vorgaben des § 8 LkSG durch die Erläuterungen in der Gesetzesbegründung nicht erleichtert, sondern erschwert hat: Die Gesetzesbegründung enthält den Hinweis, die Verfahrensweise müsse transparent sein, „d.h., die Nutzer sollten regelmäßig darüber informiert werden, wie mit ihren Informationen verfahren wird, um Vertrauen in die Wirksamkeit zu bilden“. Unklar ist in diesem Zusammenhang der Begriff „regelmäßig“. Der Gesetzeswortlaut fordert eine öffentlich zugängliche Information zur Verfahrensdurchführung. D.h., Unternehmen sind gehalten, einmalig in abstrakt-genereller Form darzustellen, welche wesentlichen Verfahrensschritte durchlaufen werden. Eine Pflicht zur Erteilung von Wasserstandsmeldungen neben der Verpflichtung zur Bestätigung des Eingangs des Hinweises findet im Gesetzeswortlaut ebenso wenig eine Stütze wie eine – etwa in der Verfahrensordnung der Fair Wear Foundation vorgesehene119 – Veröffentlichung des Hinweises auf der Homepage der Gesellschaft. Stattdessen kann die Passage nur dergestalt verstanden werden, dass Nutzern „in der Regel“ allgemeine Informationen zum typisierten Verfahrensablauf zur Verfügung gestellt werden sollten. Unternehmen sollten nach allem jedenfalls die folgenden Informationen öffentlich zugänglich machen: – Erreichbarkeit: Über welche Meldekanäle und Kontaktinformationen können Beschwerden abgegeben werden? Insbesondere bei telefonischen Meldekanälen bzw. einem „Hinweisgeberbüro“: Wie ist die zeitliche Erreichbarkeit ausgestaltet? – Zuständigkeit: Ist das Unternehmen an einem branchenübergreifenden Beschwerdemechanismus bzw. an einer Multi-Stakeholder-Initiative beteiligt? Wenn ja, wer nimmt die Hinweise entgegen und bearbeitet sie? Wenn nein: Wer ist im Unternehmen für die Entgegennahme und Bearbeitung der Hinweise zuständig? Mit welcher Person ist ein Gespräch/eine Sachverhaltserörterung möglich? Betreffend welche Gesellschaften (generische Beschreibung, etwa: alle Gesellschaften der x-Gruppe und deren unmittelbare und mittelbare Zulieferer im Hinblick auf die für die Tätigkeit der x-Gruppe relevante Lieferkette) können Hinweise abgegeben werden (vgl. Formulierungsbeispiel unter Rz. 29)? – Durchführung des Beschwerdeverfahrens: Was geschieht üblicherweise nach Eingang eines Hinweises (Empfangsbestätigung, Dokumentation, Angebot zur Sachverhaltserörterung und Durchführung derselben, Plausibilitätsprüfung, Aufklärung, ggf. Einleitung von Folgemaßnahmen, Abschluss des Vorgangs). 119 Vgl. die Fair Wear Complaints Procedure, S. 14 Ziff. 4 (abrufbar im Internet unter https://www.textilbuendnis.com/download/fwf-complaints-procedure/, zuletzt abgerufen am 5.2.2022).

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b) Öffentliche Zugänglichkeit Zum Erfordernis der öffentlichen Zugänglichkeit kann auf die Ausführungen 48 zur informatorischen Barrierefreiheit und zur öffentlichen Zugänglichkeit der Verfahrensordnung verwiesen werden (s. dazu Rz. 38 und Rz. 44 f.). 3. Verankerung des Beschwerdeverfahrens in sonstiger ComplianceDokumentation § 8 LkSG sieht lediglich zwei Pflichtdokumente zur Information über den Be- 49 schwerdemechanismus vor: die Verfahrensordnung nach Abs. 2 und die weitere Information nach Abs. 4 Satz 1 (s. dazu Rz. 39 und Rz. 46 ff.). Nichtsdestotrotz ist Unternehmen zu empfehlen, zum einen eine interne Richtlinie zum Beschwerdemanagement zu erstellen oder eine ggf. bereits bestehende Richtlinie um die neuen Modalitäten zu ergänzen (s. dazu Rz. 50 f.) und zum anderen die bestehende Compliance-Dokumentation und -Kommunikation an geeigneter Stelle um Hinweise auf das Beschwerdeverfahren anzureichern (s. dazu Rz. 52 f.).120 a) Interne Richtlinie zum Beschwerdemanagement Unternehmen ist zunächst zu empfehlen, die Primär- und Letztzuständigkei- 50 ten für die Entgegennahme und Prüfung der Meldungen, die vorgegebenen Abläufe, die Folgeentscheidungen sowie die Eskalations-, Dokumentations- und Berichtsmechanismen in einer internen Richtlinie festzulegen: Denn zum einen herrscht in Rechtsprechung und Schrifttum Übereinstimmung, dass die Festlegung klarer und unmissverständlicher Zuständigkeiten ein zentrales Element einer wirksamen Compliance-Organisation darstellt.121 Damit kommt einer entsprechenden Dokumentation nicht nur Ordnungs-, sondern auch Enthaftungsfunktion zu. Zum anderen enthält das LkSG – und mehr noch die WBRL bzw. das HinSchG-E – detaillierte Verfahrens- sowie Dokumentations- und Berichtsvorschriften, deren Nichteinhaltung bußgeldbewehrt ist. Sinnvoll erscheint insbesondere auch, diejenigen Fälle zu definieren, in denen ggf. Sofortmaßnahmen zum Rechtsgüter- oder Reputationsschutz ergriffen werden müssen und den Ablauf der Plausibilitätsprüfung und der Kriterien für eine Einstellung bzw. Fortführung der internen Aufklärungsmaßnahmen klar zu definieren (s. dazu Rz. 78 ff.). Bei Unternehmen, die ein integriertes Beschwerdesystem etablieren (dazu Rz. 20 f.), 51 bietet sich die Schaffung einer einheitlichen Richtlinie an. Will ein Unternehmen die Anzahl der Dokumente zum Hinweisgebersystem möglichst geringhalten, um Inkonsistenzen und Anpassungskaskaden im Fall von Änderungen zu vermeiden, bietet sich eine Integration in die gesetzlich erforderliche Verfahrensbeschreibung 120 Vgl. zum Ganzen Lüneborg, DB 2022, 375, 381 f. 121 Vgl. LG München I, Urt. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, DB 2014, 766 = ZIP 2015, 275 = ZIP 2014, 570 m. Anm. Bachmann = NZG 2014, 345, 347 f. – Siemens/Neubürger; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113, 126; Fleischer, CCZ 2008, 1, 2, 6; Reichert/Lüneborg, GmbHR 2018, 1141, 1144.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren an (dazu Rz. 39 ff.). Hierdurch würde insbesondere dem grundlegenden Erfordernis der Transparenz, das die allgemeinen Vorgaben zu Beschwerdemechanismen im Zusammenhang mit Menschenrechtsrisiken kennzeichnet, Rechnung getragen. Nichtsdestotrotz sollten Unternehmen in diesem Fall verstärkt darauf achten (etwa durch klare Untergliederung), dass sich der erhöhte Umfang der Verfahrensordnung nicht zu Lasten der Verständlichkeit auswirkt. Insbesondere hinsichtlich des Ablaufs und Abschlusses der Plausibilitätsprüfung (s. dazu Rz. 78) kann sich eine rein intern verfügbare Dokumentation anbieten. Aufgrund des unterschiedlichen Fokus tendenziell weniger geeignet dürfte die Integration der Thematik in eine neu zu schaffende Richtlinie zum Sorgfaltspflichtenmanagement in Lieferketten sein. Beide Dokumente sollten gleichwohl eng verzahnt werden, da sich jedenfalls die weiteren Handlungsvorgaben im Fall einer plausiblen Meldung von Menschenrechts- und Umweltverstößen bei einem Zulieferer des verpflichteten Unternehmens aus erstgenannter Richtlinie ergeben sollten. b) Anpassung der bestehenden Compliance-Dokumentation 52 Obwohl von den neuen gesetzlichen Vorgaben nicht vorausgesetzt, sollten Un-

ternehmen zwecks umfassender Darstellung des CMS in wesentlichen Compliance-Dokumenten (insbesondere Code of Conduct und Supplier Code of Conduct, ggf. weitere Kern-Compliance-Richtlinien) einen Verweis auf das Hinweisgebersystem aufnehmen bzw. die bestehende Beschreibung aktualisieren.122 Gleiches kann für Lieferanten-AGB und Lieferantenrahmenverträge gelten. Derartige Hinweise sind zudem geeignet, als Bestandteil eines Kommunikationsbündels hinreichende informatorische Barrierefreiheit in Richtung der Beschäftigten von Zulieferern zu gewährleisten (dazu Rz. 38). Auch das ComplianceSchulungsprogramm sollte den internen Meldekanal zum Gegenstand haben.123

53 Darüber hinaus kann und sollte die Geschäftsleitung eine regelmäßige Kom-

munikation zum Hinweisgebersystem – idealerweise im Compliance-Gesamtkontext – dazu nutzen, als wesentlichen Bestandteil des Tone from the Top eine offene Speak-up-/Listen-up-Kultur zu etablieren.124 Diese sollte geeignet sein, dazu beizutragen, dass der interne Meldekanal positiv wahrgenommen und verdeutlicht wird, dass Menschenrechts- und Umweltverstöße in und von dem Unternehmen nicht toleriert werden und zu ihrer Beendigung gemeldet werden sollten. Die Compliance-Verantwortlichen sollten daher unter Einbindung der Kommunikationsabteilung eruieren, welche Medien und Kanäle geeignet sind, das Hinweisgebersystem als integralen Bestandteil der Compliance-DNA des Unternehmens bekanntzumachen (z.B. Flyer; Videos; Newsletter; ComplianceSchulungen; Mitarbeiterzeitschrift).125 122 123 124 125

Vgl. auch Lüneborg, DB 2022, 375, 382. Vgl. auch Erw-Gr. Nr. 59 WBRL. Lüneborg, DB 2022, 375, 382. Vgl. zum Ganzen Nuster in Ruhmannseder/Behr/Krakow, Hinweisgebersysteme, 2. Aufl. 2021, Kap. 7 Rz. 562 ff.

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VIII. Verantwortliche für das Beschwerdeverfahren bzw. Hinweisbearbeiter (Abs. 3) 1. Auswahlgrundsätze Das LkSG trifft keine Vorgaben zum Umfang der personellen Ressourcen zum 54 Betrieb des Beschwerdemechanismus oder zu deren hierarchischer Stellung im Unternehmen126. Folglich besteht ein Auswahlermessen. Anders, als im Schrifttum vereinzelt anklingt, ist auch nicht in jedem Fall ein spezifischer Beschwerdebeauftragter127 zu benennen. Vielmehr handelt der Gesetzgeber an mehreren Stellen von den „mit der Durchführung des Verfahrens betrauten Personen“ (Plural). Auch ist es zwar möglich, die Verantwortlichkeit für das Beschwerdeverfahren einem im Unternehmen zur Überwachung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette benannten Menschenrechtsbeauftragten zu übertragen – zwingend ist dies jedoch auch bei Existenz dieser Position nicht.128 Der Umfang der personellen Ressourcen steht unter dem allgemeinen Angemessenheitsvorbehalt und kann sinnvoll insbesondere unter Berücksichtigung der folgenden Faktoren festgelegt werden: (i) Erfahrungswerte zur Anzahl der eingehenden Meldungen bei der betroffenen Unternehmensgruppe (soweit vorhanden) und/oder bei Unternehmen einer vergleichbaren Branche bzw. Größe (soweit erhältlich); (ii) geplante regionale Abdeckung vor dem Hintergrund, dass lokale Hinweisbearbeiter aufgrund der Kenntnis der Sprache und der regionalen Gegebenheiten die Attraktivität des Beschwerdemechanismus tendenziell erhöhen – allerdings nur, wenn sie öffentlich (namentlich) kommuniziert werden; (iii) Erfordernis von Vertretungsmöglichkeiten einerseits und Aufwand für die Schulung der Hinweisbearbeiter andererseits; (iv) die sonstigen dienstlichen Verpflichtungen der Hinweisbearbeiter und (v) Verbindung des Beschwerdeverfahrens mit dem nach dem HinSchG einzurichtenden Hinweisgebersystem bzw. sonstigen Meldekanälen, die vorgehalten werden müssen oder vorgehalten werden.

Falls die Geschäftsleitung zu dem Ergebnis kommt, dass ein von ihr festgelegter 55 Verantwortlicher für das Beschwerdeverfahren (wie etwa der Menschenrechtsbeauftragte, den sie unmittelbar benennt) nicht ausreicht, sollte sie zunächst eine Person oder Stelle bestimmen, die die Hinweisbearbeiter auswählt. Ferner sollten klare Auswahlgrundsätze für Hinweisbearbeiter festgelegt und dokumentiert werden, die insbesondere eine hinreichende Unparteilichkeit im Sinne von Unabhängigkeit und Weisungsungebundenheit sicherstellen (dazu 126 Der Entwurf der EU-Richtlinie zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette rückt die hierarchische Stellung demgegenüber jedenfalls im Hinblick auf eine persönliche Besprechung mit dem Hinweisgeber in den Fokus, vgl. Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on Corporate Sustainability Due Diligence and amending Directive (EU) 2019/1937, Art. 9 Abs. 4 lit. b „… meet with the company’s representative at an appropriate level“. 127 Vgl. aber Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2167 und Ruttloff/Wagner/Hahn/ Freihoff, CCZ 2022, 20, 24 sowie Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2149, die diese Begrifflichkeit wohl in Anlehnung an den Terminus des Menschenrechtsbeauftragten gewählt haben. 128 Im Ergebnis ebenso Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 27.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren Rz. 58 f.). Bei bestehenden Hinweisgebersystemen zur Erteilung von Hinweisen auf Verstöße gegen ABC-Compliance, wie etwa Geldwäsche oder Korruption, ist es gängige Praxis, die Hinweisbearbeiter tendenziell nicht aus operativen Funktionen, sondern vor allem aus Zentralfunktionen wie der Compliance-, Rechts- und HR-Abteilung zu rekrutieren. Noch mehr als bei Bearbeitern von Hinweisen zur ABC-Compliance sollte im Hinblick auf das Beschwerdeverfahren nach dem LkSG geprüft werden, ob die für die Entgegennahme und Bearbeitung der Meldungen Zuständigen fachlich hinreichend qualifiziert und sensibilisiert sind, Meldungen zu Menschenrechts- und Umweltrisiken abzudecken bzw. ggf. zusätzliche Schulungen erforderlich sind. Opfer von Menschenrechtsverstößen haben mitunter physische Verletzungen und oder Traumata erlitten und bedürfen daher eines besonders vor- und umsichtigen Umgangs.129 In Betracht kommen neben Angehörigen der Compliance-, Rechts- und HR-Abteilung insbesondere Beschäftigte der Sustainability- und Environment-Abteilung.130 56 Anders, als rechtliche Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit lässt sich innere

Unparteilichkeit (independence of mind) (dazu Rz. 59) zwar weder festlegen noch verlässlich kontrollieren. Gleichwohl sollte diejenige Person oder Stelle im Unternehmen, die die Hinweisbearbeiter auswählt und benennt, ein besonderes Augenmerk darauf richten, dass sich weder aus der Personalakte noch aus öffentlich verfügbaren Quellen wie etwa den sozialen Medien Hinweise auf Ausländerfeindlichkeit, Hang zu Diskriminierung oder eine sonstige, extreme bis extremistische Gesinnung ergeben.

57 Um sicherzustellen, dass der Inanspruchnahme des Beschwerdemechanismus

möglichst keine genderbasierten Bedenken entgegenstehen, sollte gewährleistet sein, dass sich unter den Hinweisbearbeitern eine hinreichende Anzahl von Frauen befindet, falls eine Hinweisgeberin nur bereit ist, mit einer Frau von Unternehmensseite zu sprechen. Allgemein sollten Unternehmen in ihren Vorgaben an die Hinweisbearbeitung klarstellen, dass versucht werden sollte, nachvollziehbare Bitten von Hinweisgebern betreffend ihre Ansprechpartner im Unternehmen umzusetzen, notfalls durch Einbindung entsprechender Personen (etwa, wenn ein Hinweisgeber darum bittet, den Sachverhalt einem Unternehmensangehörigen derselben Religion erörtern zu können, eine solche Person aber im Kreis der Hinweisbearbeiter an sich nicht vertreten ist).

2. Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Weisungsungebundenheit (Abs. 3 Satz 1) 58 § 8 Abs. 3 Satz 1 LkSG setzt zunächst voraus, dass die mit der Verfahrensdurch-

führung beauftragten Personen Gewähr für unparteiisches Handeln bieten müs-

129 Vgl. auch OHCHR, Improving accountability and access to remedy for victims of business-related human rights abuse through non-State-based grievance mechanisms, UN Doc. A/HRC/44/32, 3.6.2020, Rz. 54. 130 Vgl. auch Lüneborg, DB 2022, 375, 383.

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sen. Nach der gesetzgeberischen Konkretisierung bedeutet das insbesondere, dass sie unabhängig sein müssen und nicht an Weisungen gebunden sein dürfen. Im Compliance-Kontext sind die Anforderungen der Unabhängigkeit und der Weisungsungebundenheit bereits von der herausgehobenen Position des Chief Compliance Officers oder des Datenschutzbeauftragten131 bekannt und werden derzeit im Hinblick auf den Menschenrechtsbeauftragten132 neu konturiert. Insoweit ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass die Sonderbeauftragten der Geschäftsleitung unmittelbar unterstellt sein sollten. Somit spricht einiges dafür, dass Unternehmen, die allein den Chief Compliance Officer, den Head of Sustainability & Environment oder einen ggf. personenverschiedenen Menschenrechtsbeauftragten mit dem Beschwerdeverfahren beauftragen, den gesetzlichen Anforderungen des § 8 Abs. 3 Satz 1 LkSG genügen. Der Gesetzgeber hat eine derartige direkte Anbindung an die Geschäftsleitung indes – anders dies insbesondere hinsichtlich der Einrichtung der Stelle eines Menschenrechtsbeauftragten in der Gesetzesbegründung anklingt133 – nicht zur Voraussetzung für eine hinreichende Unparteilichkeit gemacht. Insbesondere geht der Gesetzgeber auch nicht davon aus, dass Unternehmen nur im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben handeln, wenn sie lediglich einen zentralen Zuständigen für das Beschwerdeverfahren benennen (s. dazu bereits Rz. 54 f.). Unparteilichkeit bzw. Unabhängigkeit bedeutet insbesondere auch nicht, dass die Hinweisbearbeiter nicht Arbeitnehmer der Gesellschaft sein dürfen.134 Unparteilichkeit wird vielmehr dann gewährleistet, wenn sichergestellt ist, dass 59 Hinweisbearbeiter bei Ausübung ihrer Aufgaben unternehmensseitig weder unmittelbar noch mittelbar beeinflusst werden dürfen.135 Unternehmen sollen darauf hinwirken, dass das Beschwerdeverfahren möglichst effektiv und daher möglichst unparteiisch ausgestaltet ist.136 Die übergeordnete Zielsetzung für das Tätigwerden der Hinweisbearbeiter sollte daher sein, aufzuklären und festzustellen, ob der gemeldete Sachverhalt bei objektiver Betrachtung tatsächlich ein nach dem Gesetz verbotenes menschenrechtliches oder umweltbezogenes Risiko bzw. eine Pflichtverletzung in diesem Zusammenhang beschreibt und bejahendenfalls die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen einzuleiten. Hinweisbearbeiter dürfen daher insbesondere weder mit rechtlichen noch mit tatsächlichen Mitteln dahin beeinflusst werden, die Interessen einer Partei (insbesondere des eigenen Unternehmens) vorrangig zu berücksichtigen, ohne, dass dies mit der 131 Vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere § 6 Abs. 3 BDSG. Dem Geldwäschebeauftragten gewährleistet der Gesetzgeber in § 7 Abs. 7 Satz 2, 3 GwG über ein Benachteiligungsverbot oder einen Sonderkündigungsschutzrecht eine privilegierte arbeitsrechtliche Stellung und schützt damit ebenfalls die hinreichende Unabhängigkeit. 132 Näher Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20, 25 f. 133 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 43. 134 Vgl. auch Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2167, unter Hinweis darauf, dass Sonderkündigungsschutz nicht bestehe, a.A. aber wohl Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 149. 135 Vgl. auch Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2168. 136 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 49.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren Tatsachengrundlage korreliert. Nach Sinn und Zweck dieser Anforderung genügt es im Ergebnis, wenn entweder vertraglich oder jedenfalls in einer internen Richtlinie sichergestellt ist, dass Hinweisbearbeiter nicht angewiesen werden können, einen gemeldeten Hinweis nicht weiterzuverfolgen oder den Vorgang auf eine bestimmte Weise abzuschließen (zur inneren Unparteilichkeit vgl. Rz. 56).137 Insgesamt sollten Weisungen mit materiellem Gehalt (z.B. auch zur Art und Weise der Erörterung des Sachverhalts mit dem Hinweisbearbeiter, dazu Rz. 69 ff.) ausgeschlossen werden. Weisungen zum Verfahren, insbesondere zur Umsetzung der gesetzlichen und internen Vorgaben, sollten gleichwohl weiterhin möglich sein.138 So müssen die Hinweisbearbeiter beispielsweise angewiesen werden können, dass (nicht: wie) sie den Sachverhalt mit dem Hinweisgeber zu erörtern haben, da ansonsten das Unternehmen der gesetzlichen Verpflichtung nach § 8 Abs. 1 Satz 4 LkSG nicht genügen würde. 3. Verschwiegenheitspflicht (Abs. 3 Satz 2) 60 Nach § 8 Abs. 3 Satz 2 LkSG „sind“ die Hinweisbearbeiter ferner zur Verschwie-

genheit verpflichtet. Bei genauer Betrachtung des Wortlauts und einem Vergleich mit der Regelung zur Unparteilichkeit in Satz 1 fällt auf, dass der Gesetzgeber die Verschwiegenheitspflicht anordnet und nicht lediglich die Unternehmen in die Pflicht nimmt, die Hinweisbearbeiter – etwa vertraglich – zur Verschwiegenheit zu verpflichten. Eine derartige gesetzliche Verschwiegenheitspflicht ist beispielsweise aus § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG – Verpflichtung von Vorstandsmitgliedern einer AG, über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, die ihnen durch ihre Tätigkeit im Vorstand bekanntgeworden sind, Stillschweigen zu wahren – bekannt. Es ist allgemein anerkannt, dass die Verschwiegenheitspflicht des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG im Grundsatz zwingendes Recht ist und daher weder eingeschränkt noch ausgeschlossen werden kann.139 Auch eine Erweiterung durch Satzung, Geschäftsordnung oder Anstellungsvertrag scheidet nach h.M. im Hinblick auf das Prinzip der Satzungsstrenge nach § 23 Abs. 5 S. 2 AktG prinzipiell aus. In Betracht kommen allein erläuternde Hinweise etwa in Form von Richtlinien. Im Unterschied zu einer Verletzung der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht des Vorstands führt die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht nach § 8 Abs. 3 Satz 2 LkSG zwar nicht zu einer gesetzlich angeord-

137 Vgl. auch Lüneborg, DB 2022, 375, 383 sowie Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2168. Zurückhaltend Dutzi/Schneider/Hasenau, DK 2021, 454, 458, die die Voraussetzung der Weisungsungebundenheit bei Unternehmensangehörigen für schwierig umsetzbar erachten. Ähnlich Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 78 unter Verweis auf die arbeitsrechtlichen Weisungsbefugnisse. Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 128 weist demgegenüber darauf hin, dass diese und vergleichbare gesetzliche Regelungen als Einschränkung des dem Arbeitgeber zustehenden Weisungsrechts zu verstehen seien. 138 Vgl. auch Lüneborg, DB 2022, 375, 383. Im Ergebnis ebenso Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2168. 139 Vgl. zum Folgenden etwa Fleischer in BeckOGK/AktG, Stand: 1.9.2021, § 93 AktG Rz. 193; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 131.

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neten Schadensersatzpflicht bzw. Strafbarkeit. Gleichwohl scheint die sachliche Reichweite der Verschwiegenheitspflicht nach § 8 Abs. 3 Satz 2 LkSG zunächst unbeschränkt, während die Verpflichtung von Vorstandsmitgliedern sinnvollerweise auf vertrauliche Angaben und Geheimnisse beschränkt ist. Unternehmen sollten per vertraglicher Regelung oder Einzelanweisung sicherstellen und dokumentieren, dass sämtliche mit der Hinweisbearbeitung befassten Personen zur Verschwiegenheit über die Hinweise und deren Bearbeitung verpflichtet sind und die Hinweise und die Identität des Hinweisgebers (vgl. insoweit bereits § 8 Abs. 4 Satz 2 LkSG) strikt vertraulich behandeln müssen. Auch in Schulungen der Hinweisbearbeiter sollte mit Nachdruck auf die hohe Bedeutung der Vertraulichkeit für die Akzeptanz und Rechtskonformität des Beschwerdemechanismus hingewiesen werden. Verstöße gegen die Vertraulichkeitspflicht sollten angemessene Konsequenzen nach sich ziehen und dieser Umstand sollte im Vorhinein transparent gemacht werden.

Auch im Rahmen von § 8 Abs. 3 Satz 2 LkSG kann die Verschwiegenheitspflicht 61 nicht ausnahmslos gelten. Insbesondere spricht nichts dagegen, die Namen der Hinweisbearbeiter publik zu machen und individuelle Kontaktmöglichkeiten zu eröffnen, d.h., weder das Unternehmen noch die Hinweisbearbeiter selbst müssen über diese Funktion bzw. Position Stillschweigen bewahren. Von hoher praktischer Bedeutung ist des Weiteren, dass die Verschwiegenheitspflicht nur so weit reichen kann, wie sie rechtlich zulässig ist. Die Verschwiegenheitspflicht nach § 8 Abs. 3 Satz 2 LkSG reicht insbesondere nicht an die gesetzlich ausdifferenzierten anwaltlichen oder ärztlichen Verschwiegenheitspflichten heran, die ihre Grundlage in dem von der Rechtsordnung als besonders schützenswert eingestuften Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant bzw. Arzt und Patient haben. Gesetzliche und unter Umständen auch behördliche Auskunftspflichten müssen die Hinweisbearbeiter bzw. das Unternehmen selbst daher erfüllen können. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit etwaigen Auskunftspflichten gegenüber Behörden bei strafrechtlich relevantem Verhalten. Unternehmen begeben sich zudem namentlich nicht per se ihres Rechts, strafrechtlich relevantes Verhalten zur Anzeige zu bringen. Auf diese Möglichkeit sollten sie indes in ihrer Außenkommunikation hinweisen. Ferner muss es Hinweisbearbeitern unter Wahrung eines strikten Need-to-know-Prinzips möglich sein, etwa im Rahmen der Aufklärungsphase fachkundige Mitarbeiter anderer Abteilungen hinzuzuziehen, wenn und soweit deren Einbindung zur Aufklärung zwingend erforderlich erscheint oder aber, beispielsweise um einen Verstoß abzustellen, in pseudonymisierter und abstrakter Form einen Zulieferer auf den Inhalt einer mit Bezug zu ihm erstatteten Meldung aufmerksam zu machen.

IX. Identitäts- und Datenschutz (Abs. 4 Satz 2) 1. Maßnahmen zur Wahrung der Vertraulichkeit der Identität § 8 Abs. 4 Satz 2 LkSG sieht vor, dass das Beschwerdeverfahren die Vertraulich- 62 keit der Identität wahren muss. In der Gesetzesbegründung heißt es zur Erläuterung, der Nutzer dürfe keine Nachteile durch die Inanspruchnahme des BeLüneborg

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§ 8 | Beschwerdeverfahren schwerdemechanismus erleiden.140 Die dafür notwendige Vertraulichkeit der Identität und der Datenschutz (dazu Rz. 63 ff.) seien zu gewährleisten.141 Nicht erfasst ist damit der Beschwerdegegenstand als solcher. Lässt der Beschwerdegegenstand Rückschlüsse auf die Identität des Hinweisgebers zu, dürfte hierin ein freiwilliger Verzicht auf die Wahrung der Vertraulichkeit der Identität zu sehen sein.142 Ein derartiger Verzicht ist im Verhältnis zu dem verpflichteten Unternehmen ohne weiteres möglich (s. zur Frage des Hinweisgeberschutzes bei Offenlegung des Hinweises gegenüber einer Behörde oder der Öffentlichkeit Rz. 88).143 Die Absicherung der Vertraulichkeit der Identität erfolgt weit überwiegend bereits durch die Verschwiegenheitsverpflichtung der Hinweisbearbeiter (dazu Rz. 60 f.), flankiert durch ein striktes Need to know-Prinzip bei der Einbindung anderer Personen und Abteilungen (dazu Rz. 61) und einer intern festgelegten Pflicht zu weitmöglichen Pseudonymisierung von gemeldeten Informationen und der Einhaltung spezifischer Löschzyklen (dazu Rz. 63). Eine weitere Absicherung besteht in der gesetzlich vorgeschriebenen Gewährleistung von Hinweisgeberschutz (dazu Rz. 85 ff.). Gleichzeitig gilt die Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit der Identität nicht uneingeschränkt und insbesondere nur im Rahmen des rechtlich Zulässigen (dazu Rz. 61 im Zusammenhang mit der Verschwiegenheitspflicht der Hinweisbearbeiter). Eine entsprechende Formulierung – etwa im Rahmen von auf der Unternehmenshomepage abgelegten Q&A oder in der Maske des Online-Tools – könnte lauten: Die Hinweisbearbeiter behandeln Hinweise und die Identität des Hinweisgebers, soweit rechtlich zulässig, strikt vertraulich. Die aktuellen Datenschutzvorgaben werden eingehalten. Unsere Datenschutzerklärung finden Sie unter Wichtige Dokumente.

2. Maßnahmen zum Datenschutz 63 Über das Beschwerdeverfahren erhalten und verarbeiten Unternehmen per-

sonenbezogene Daten, wie beispielsweise den Namen und die Kontaktdaten von Hinweisgebern oder von in einer Meldung in Bezug genommenen Personen. Im Vergleich zu der gewichtigen Rolle, die der Datenschutz daher bei der Implementierung von Hinweisgebersystemen allgemein spielt, fällt die spezialgesetzliche Befassung mit dieser Thematik äußerst schlank aus:144 Art. 8 LkSG erwähnt den Datenschutz nicht, obwohl er in engem Zusammenhang mit der Wahrung der Vertraulichkeit der Identität steht. In der Gesetzesbegründung heißt es ohne nähere Erläuterung, er sei zu gewährleisten.145 Im Ergebnis finden somit die allgemeinen datenschutzrechtlichen Regeln Anwendung. Für Unternehmen bedeutet dies, dass der Datenschutzbeauftragte vor Going-Live des Hinweisgeber140 141 142 143 144 145

Vgl. Begr. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 50. Vgl. Begr. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 50. Vgl. auch Stemberg, CCZ 2022, 92, 96. Vgl. auch Stemberg, CCZ 2022, 92, 97. Vgl. zu den datenschutzbezogenen Vorgaben der WBRL Lüneborg, DB 2022, 375, 382. Vgl. Begr. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 50.

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systems in enger Abstimmung mit der für das Meldesystem zuständigen Abteilung unter Beachtung von Regelungen in Tarifverträgen, und Betriebsvereinbarungen die folgenden Dokumente vorbereiten muss:146 – Datenschutzerklärung i.S.v. Art. 13 DSGVO für die Nutzer des Hinweisgebersystems in deutscher und englischer Sprache: Es ist technisch sicherzustellen, dass diese für jeden Hinweisgeber abrufbar bzw. einsehbar ist. – Datenschutzfolgeabschätzung i.S.v. Art. 35 DSGVO.147 – Löschkonzept für personenbezogene Daten148: Einheitliche Vorgaben oder Empfehlungen haben sich in Wissenschaft und Praxis im Hinblick auf Hinweisgebersysteme im Allgemeinen noch nicht herausgebildet. Die Unternehmen befinden sich daher in einem Spagat zwischen dem Risiko von Datenschutzverstößen und damit einhergehenden hohen Bußen einerseits und dem Bedürfnis einer möglichst lückenlosen Archivierung der als Reaktion auf eine Whistleblowermeldung ergriffenen Maßnahmen zum Beweis der Erfüllung der internen Organ- und Compliance-Pflichten andererseits. Als grobe Orientierung bietet es sich an, personenbezogene Daten des Hinweisgebers und etwaiger Betroffener unmittelbar nach Eingang der Meldung zu trennen. Personenbezogene Daten sollten grundsätzlich gelöscht oder pseudonymisiert werden, wenn nach dem Ergebnis einer Eingangsprüfung (dazu Rz. 78) feststeht, dass der Hinweis nicht weiterverfolgt wird. Gleiches gilt für personenbezogene Daten Dritter, wenn sie offensichtlich in keinem Sachzusammenhang mit den erhobenen Vorwürfen stehen und für die Aufklärung des Sachverhalts ohne Bedeutung sind. Die Weitergabe von personenbezogenen Daten der Betroffenen und von Dritten ist – bei Wahrung eines strikten Need-to-know-Prinzips – regelmäßig nach pflichtgemäßem Ermessen an die zuständigen Stellen innerhalb und außerhalb des Unternehmens (i) zum Zwecke der weiteren Prüfung des Hinweises und (ii) zur Einleitung von Folgemaßnahmen zulässig. Namen sollten im Rahmen der weiteren Bearbeitung nur genannt werden, wenn dies nach pflichtgemäßem Ermessen zwingend erforderlich ist. Hierbei ist insbesondere die Pflicht zur Wahrung 146 Vgl. zum Ganzen auch Lüneborg, DB 2022, 375, 382. 147 Vgl. Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder, Orientierungshilfe zu Whistleblower-Hotlines, Stand: 14.11.2018, Ziff. E 9; Rieken in Ruhmannseder/Behr/Krakow, Hinweisgebersysteme, 2. Aufl. 2021, Kap. 5 Rz. 455. 148 Vgl. allgemein zur Verpflichtung von Unternehmen zur Entwicklung von Löschkonzepten hinsichtlich von personenbezogenen Daten den 39. Erwägungsgrund der DSGVO und DIN 66398 „Leitlinie zur Entwicklung eines Löschkonzepts mit Ableitung von Löschfristen für personenbezogene Daten“, Ziff. 6.1 sowie spezifisch zu Meldekanälen Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder, Orientierungshilfe der Datenschutzaufsichtsbehörden zu Whistleblowing-Hotlines: Firmeninterne Warnsysteme und Beschäftigtendatenschutz, Stand: 14.11.2018, Ziff. E 6: grds. Löschung innerhalb von zwei Monaten nach Abschluss der Untersuchung; Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz, 3. Aufl. 2019, Kap. 3, Rz. 70; Faas/Henseler, BB 2018, 2292, 2295; Rieken in Ruhmannseder/Behr/ Krakow, Hinweisgebersysteme, 2. Aufl. 2021, Kap. 5 Rz. 454.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren der Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers (dazu Rz. 62) einschränkend zu berücksichtigen. Mit Abschluss ihrer Prüfung sollte die Hinweisgeberstelle (erneut) über die Löschung oder Pseudonymisierung von personenbezogenen Daten des Betroffenen und von Dritten entscheiden. Diese sollten jedenfalls gelöscht oder pseudonymisiert werden, wenn nach dem Ergebnis der Prüfung feststeht, dass der geäußerte Hinweis unzutreffend oder ein Bagatellfall ist. Generell sollte das Löschkonzept feste Löschfristen und entsprechende Dokumentations- und Kontrollanforderungen durch die Hinweisgeberstelle vorsehen. Deren Einhaltung sollte kontinuierlich nachgehalten werden. § 11 Abs. 5 HinSchG-E sieht für die Dokumentation eine starre Löschfrist von zwei Jahren nach Abschluss des Verfahrens vor. Es erscheint indes nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber hier im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine Flexibilisierung zulässt. 64 Besteht bereits ein allgemeines Hinweisgebersystem im Unternehmen, ist zu

überprüfen, ob und inwieweit die unter Rz. 63 aufgeführten Dokumente mit Datenschutzbezug im Hinblick auf die – parallele oder integrierte – Implementierung des Beschwerdemechanismus angepasst werden müssen.

65 Zusätzlich müssen Unternehmen überprüfen, ob sie die spezifischen datenschutz-

rechtlichen Anforderungen ausländischer Rechtsordnungen in allen Ländern, in denen Meldungen gemacht werden können bzw. personenbezogene Daten verarbeitet werden, einhalten. Bei ausschließlicher Nutzung eines Online-Tools sollten Unternehmen eruieren, ob der Anbieter die Einhaltung vertraglich zusichert. Schließlich sollte die IT-Abteilung besonderes Augenmerk auf CyberSecurity im Zusammenhang mit den eingehenden Meldungen und der weiteren Hinweisbearbeitung legen.

X. Hinweismanagement und -bearbeitung (Abs. 1 Satz 3–5) 1. Eingangsbestätigung (Abs. 1 Satz 3) 66 Nach § 8 Abs. 1 Satz 3 LkSG ist den Hinweisgebern der Eingang des Hinweises

zu bestätigen. Der Zweck besteht in der Sicherstellung, dass der Hinweisgeber „ausreichend darüber informiert ist, dass das Unternehmen den Hinweis erhalten hat und prüft“.149 Nach dem Gesetz gilt die Verpflichtung zur Eingangsbestätigung uneingeschränkt. Vor diesem Hintergrund verwundert, dass die Regierungsbegründung – wohl noch vor dem Hintergrund der im Referentenentwurf vorgesehenen Fassung150 – die Verpflichtung scheinbar auf unmittelbar von dem Hinweis betroffene Personen beschränkt.151 Tauglicher Hinweisgeber, der 149 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 41. 150 Vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 LkSG idF. des RefE: „Geht ein Hinweis einer unmittelbar betroffenen Person ein, so ist der Eingang zu bestätigen.“ 151 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 49: „Wendet sich eine unmittelbar betroffene Person an das Unternehmen … so ist der Eingang des Hinweises zu bestätigen und zu dokumentieren“.

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grundsätzlich entsprechenden Schutz genießt, ist indes jedermann, nicht nur eine unmittelbar betroffene Person (s. dazu Rz. 24). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber selbst klargestellt hat, dass auch bloße Kenntnisträger zum Kreis der tauglichen Hinweisgeber zählen (s. dazu Rz. 24). Ferner wird Unternehmen oftmals nicht von vornherein klar sein, ob ein Hinweisgeber selbst unmittelbar von dem mitgeteilten Sachverhalt betroffen ist. In dieselbe Richtung geht die Hervorhebung in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, wonach eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Beschwerdekanals, etwa durch die Versendung einer Vielzahl identischer E-Mails, nicht als Beschwerde i.S.v. § 8 LkSG zu verstehen sein und die Pflicht zur Erteilung einer Eingangsbestätigung nicht auslösen soll.152 Diese Feststellung ist zwar im Ergebnis zutreffend und für die weitere Hinweisbearbeitung und insbesondere eine mögliche Forderung nach Hinweisgeberschutz von besonderer Relevanz (s. dazu Rz. 86 f.). Mitunter lässt sich indes nicht unmittelbar nach Eingang der Meldung feststellen, dass diese als missbräuchlich und daher unbeachtlich zu qualifizieren ist. Insbesondere der vom Gesetzgeber genannte Beispielsfall einer Vielzahl identischer E-Mails ist vor der Einstufung als missbräuchlich natürlich darauf zu untersuchen, ob es sich tatsächlich um unbeachtlichen „Spam“ handelt oder ob eine an sich zu berücksichtigende Meldung aufgrund technischen Versehens oder Unwissenheit oder dem Bedürfnis, vollkommen sicherzustellen, dass die Information das Unternehmen erreicht, in mehrfach duplizierter Form versandt wurde. Vor diesem Hintergrund ist Unternehmen zu empfehlen, organisatorisch sicherzustellen, dass die Eingangsbestätigung – außer in vollkommen offenkundigen, krassen Missbrauchsfällen wie Formalbeleidigungen ohne materiellen Gehalt – jedem Hinweisgeber erteilt wird. Hat der Hinweisgeber den Hinweis anonym erteilt oder verfügt die Gesellschaft nicht über eine Kontaktmöglichkeit, so entfällt die Bestätigungsverpflichtung aufgrund Unmöglichkeit.

Das Gesetz enthält keine Festlegung hinsichtlich des Zeitpunkts der Erteilung 67 der Eingangsbestätigung. Unternehmen sollten den Hinweisbearbeitern vorgeben, dass die Eingangsbestätigung möglichst unmittelbar nach Eingang des Hinweises zu erteilen ist, jedoch nicht nach Ablauf der in Art. 9 Abs. 1 lit. b WBRL bzw. § 17 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG-E vorgesehenen Frist von sieben Tagen nach Eingang des Hinweises. Ansonsten laufen Unternehmen zum einen Gefahr, gegen eine gesetzliche Fristenvorgabe zu verstoßen, wenn der Hinweis (auch) in den Anwendungsbereich der WBRL bzw. des HinSchG fallen sollte. Zum anderen bietet die Sieben-Tages-Frist einen tauglichen Anhaltspunkt dafür, welche Rückmeldefrist aus gesetzgeberischer Perspektive für angemessen erachtet wird. Beginn und Dauer der Rückmeldefrist sollten in der Verfahrensordnung (s. dazu Rz. 39 ff.) und/oder einer internen Richtlinie zum Hinweisgebersystem (s. dazu Rz. 30 f.) festgelegt werden. Ein entsprechendes Fristenmanagement ist unternehmensintern organisatorisch ebenso zu gewährleisten wie die 152 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 42.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren jedenfalls stichprobenartige Überprüfung der Erteilung der Eingangsbestätigung durch die Hinweisbearbeiter. 68 Anders, als der Gesetzestext selbst enthält die Gesetzesbegründung die Pflicht

zur Dokumentation des Eingangs des Hinweises.153 Unklar ist, ob sich diese Dokumentationsverpflichtung auch auf die Eingangsbestätigung bezieht. Ungeachtet dessen ist es aus Unternehmenssicht zum späteren Nachweis einer gesetzeskonformen Organisation sinnvoll, sowohl mündlich erteilte Hinweise zu dokumentieren und in gleicher Weise abzulegen, wie schriftliche Meldungen als auch die Erteilung der Eingangsbestätigung zu dokumentieren (vgl. eingehend zur Dokumentation Rz. 82 f.). 2. Sachverhaltserörterung mit dem Hinweisgeber (Abs. 1 Satz 4)

69 § 8 Abs. 1 Satz 4 LkSG sieht eine Pflicht zur weiteren Sachverhaltserörterung mit

dem Hinweisgeber vor. Die Interessenlage in diesem Zusammenhang ist vergleichbar mit den für und gegen die Eröffnung einer anonymen Meldemöglichkeit sprechenden Erwägungen (s. dazu Rz. 26 ff.): Unternehmen können Aufklärungsmaßnahmen häufig überhaupt nur bzw. nur effizient durchführen, wenn sie die Möglichkeit haben, Rückfragen zu stellen. Hinweisgebern signalisiert ein Termin zur Sachverhaltserörterung grundsätzlich, dass das Unternehmen den Hinweis ernst nimmt und ihm nachgeht. Je nach Persönlichkeitsstruktur mag der Hinweisgeber indes jeden weiteren Kontakt mit der Gesellschaft in diesem Zusammenhang aber auch als unangenehm oder möglicherweise sogar riskant empfinden. a) Zuständigkeit

70 § 8 Abs. 1 Satz 4 LkSG verpflichtet die mit der Durchführung des Verfahrens

betrauten Personen zu Erörterung des Sachverhalts mit dem Hinweisgeber. Nach der Regierungsbegründung oblag die Erörterungspflicht noch „dem Unternehmen“. Ausweislich der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales „präzisiert“ Satz 4 nunmehr, wer im Unternehmen den Sachverhalt erörtern soll.154 Hiermit beabsichtigte der Gesetzgeber, sicherzustellen, dass der Hinweis vertraulich bleibt.155 Die vom Gesetzgeber intendierte Präzisierung ist mit der neuen Formulierung freilich bei genauer Betrachtung gerade nicht verbunden. Anders, als in Fällen, in denen der Gesetzgeber Unternehmen verpflichtet, einen Beauftragten für bestimmte Aufgaben zu benennen (z.B. Geldwäscheund Datenschutzbeauftragter) und diese Aufgaben sodann detaillierter gesetzlich festlegt, ist der nach Satz 4 verpflichtete Personenkreis – abhängig von der konkreten Ausgestaltung im Unternehmen – nicht hinreichend bestimmt. Da 153 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 49. 154 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 42. 155 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 42.

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die mit der Durchführung des Verfahrens betraute(n) Person(en) grundsätzlich auch (s. zu Ausnahmen auf ausdrücklichen Wunsch des Hinweisgebers Rz. 57) die Sachverhaltserörterung mit dem Hinweisgeber durchführen, kann auf die Darstellung des Ermessens der Unternehmensleitung bei der Festlegung der für das Beschwerdeverfahren verantwortlichen Person/Abteilung bzw. der Hinweisbearbeiter unter Rz. 54 f. verwiesen werden. Zur Meidung von Bußgeldern bei nicht gesetzeskonformer Einrichtung eines Beschwerdemechanismus sollten verpflichtete Unternehmen organisatorisch – etwa in der Verfahrensordnung oder der internen Richtlinie zum Hinweisgebersystem (vgl. Rz. 39 ff., 50 f.). – sicherstellen, dass die jeweiligen Hinweisbearbeiter die Sachverhaltserörterung mit dem Hinweisgeber (soweit möglich, dazu Rz. 74) durchführen bzw. jedenfalls anbieten.

b) Zeitpunkt und Art und Weise der Durchführung Zu Zeitpunkt und Umsetzungsmodalitäten der Verpflichtung zur Sachverhalts- 71 erörterung verhält sich das Gesetz nicht. Unternehmen sollten daher sicherstellen, dass die Hinweisbearbeiter den Hinweisgebern so zeitnah wie möglich und sinnvoll nach der Erteilung des Hinweises und – soweit erforderlich der Einholung einer Übersetzung – eine Sachverhaltserörterung anbieten: – Wird der Hinweis im Rahmen eines unmittelbaren persönlichen Kontakts zwischen Hinweisgeber und Hinweisbearbeiter erteilt, etwa telefonisch oder in einem Präsenztermin, sollte der Hinweisbearbeiter bereits diese Gelegenheit wahrnehmen, um dem Hinweisgeber zum einen die unbedingte Bereitschaft zu einer weiteren Sachverhaltserörterung zu signalisieren und zum anderen um die Möglichkeit zu bitten, den Hinweisgeber bei ggf. auftretenden Rückfragen proaktiv kontaktieren zu können. – Findet die Hinweiserteilung schriftlich statt, sollte der Hinweisbearbeiter eine Sachverhaltserörterung regelmäßig bereits im Rahmen der Hinweisbestätigung anbieten, es sei denn, die Sachverhaltsschilderung ist derart detailliert oder kompliziert, dass eine sinnvolle Erörterung zunächst Aufklärungsmaßnahmen voraussetzt. Anders, als der Wortlaut des Entwurfs der EU-Richtlinie zu Sorgfaltspflichten in 72 der Lieferkette suggeriert („meet“)156, erlegt der deutsche Gesetzgeber den Unternehmen keine Pflicht zur Durchführung einer physischen Besprechung auf, sondern trifft insoweit keinerlei Festlegungen. Wie auch aus der Praxis von Compliance-Interviews im Rahmen von Internal Investigations bekannt ist, erleichtert der persönliche Kontakt indes zumeist die Gesprächsführung und führt zu einer größeren Offenheit des Hinweisgebers. Unternehmen sollten daher nach Möglichkeit primär physische Gesprächstermine anbieten. Ist das – etwa vor dem Hintergrund erheblicher regionaler Entfernung, fehlender zeitlicher Verfügbarkeit der einen oder anderen Seite oder der Pandemielage – nicht möglich, sollte eine Videokonferenz oder (falls dies technisch nicht umsetzbar ist) 156 Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on Corporate Sustainability Due Diligence and amending Directive (EU) 2019/1937, Art. 9 Abs. 4 lit. b.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren ein Telefonat angeboten werden. Bei genauer Betrachtung legt das Gesetz noch nicht einmal fest, dass die Sachverhaltserörterung im Rahmen einer mündlichen Besprechung oder auch nur bei gleichzeitiger Anwesenheit von Hinweisbearbeiter und Hinweisgeber erfolgen muss. Eine Erörterung kann vielmehr nach allgemeinem Sprachverständnis auch schriftlich erfolgen.157 Daher dürfte auch ein Chat zwischen Hinweisbearbeiter und Hinweisgeber im Rahmen eines Online-Tools oder sogar ein bloßer E-Mail-Austausch der gesetzlichen Anforderung genügen. In diesem Fall ist Hinweisbearbeitern allerdings zu empfehlen, sich von dem Hinweisgeber bestätigen zu lassen, dass er/sie keine weitergehende mündliche Sachverhaltserörterung wünscht. 73 Erscheint der Hinweis grundsätzlich plausibel, sollten die Hinweisbearbeiter auf

etwaige Wünsche und die technischen und zeitlichen Verfügbarkeiten des Hinweisgebers betreffend die Modalitäten der Sachverhaltserörterung (Zeit, Ort, Art und Weise) möglichst eingehen, wenn und soweit sie mit vertretbarem und verhältnismäßigem Aufwand umsetzbar erscheinen. Auch wenn eine Hinweisgeberin etwa nur bereit ist, mit einer Frau zu sprechen, sollte das Unternehmen diesem Wunsch unabhängig von ggf. bereits etablierten Verantwortlichkeiten für den Fall möglichst nachkommen (s. dazu auch Rz. 57). Fordert der Hinweisgeber etwa ein Gespräch mit einem Mitglied der Geschäftsleitung oder eines Aufsichtsorgans, ist Unternehmen zu empfehlen, diese Bitte nicht unter Hinweis auf fehlende Zuständigkeiten oder Verfügbarkeiten abzulehnen, sondern ihre Umsetzbarkeit im Unternehmen unter Wahrung des Vertraulichkeitsgrundsatzes zu eruieren. Unternehmen sollten die entsprechenden Abläufe in der Verfahrensordnung (s. dazu Rz. 39 ff.) und/oder einer internen Richtlinie zum Hinweisgebersystem (s. dazu Rz. 50 f.) festlegen. c) Anonym bleibende bzw. nicht gesprächsbereite Hinweisgeber

74 Gibt der Hinweisgeber seine Identität nicht preis und eröffnet er auch keinen

anderen Kommunikationskanal (z.B. durch Benennung eines Rechtsanwalts oder einer sonstigen Vertrauensperson wie einem Betriebsrats-, Gewerkschaftsoder NGO-Mitglied oder Hinterlassung einer E-Mail-Adresse, die keine Rückschlüsse auf seine Person zulässt) und hat auch das Unternehmen keine Möglichkeit zur Kommunikation mit anonym bleibenden Hinweisgebern bereitgestellt (etwa über ein Online-Tool) entfällt auch die Pflicht zur Erörterung des Sachverhalts mit dem Hinweisgeber.158 Insbesondere verpflichtet § 8 Abs. 1 Satz 4 LkSG Unternehmen nicht, über ein Online-Tool auch bei anonym bleibenden Hinweisgebern jedenfalls eine einseitige Kommunikationsmöglichkeit zu eröffnen. Dass eine Sachverhaltserörterung stets ein bilateraler Vorgang ist

157 Etwas zweifelhafter erscheint dies im Hinblick auf den Wortlaut des Entwurfs der EURichtlinie zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette suggeriert („discuss“), vgl. Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on Corporate Sustainability Due Diligence and amending Directive (EU) 2019/1937, Art. 9 Abs. 4 lit. b. 158 Vgl. auch Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2168.

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und Hinweisgeber weder rechtlich noch tatsächlich zu einer Teilnahme gezwungen werden können, liegt auf der Hand. Recht praxisfern mutet daher der Hinweis in der Gesetzesbegründung an, das Unternehmen werde durch den „Hinweis der unmittelbar betroffenen Person in der Lage versetzt, Kontakt aufzunehmen, um seinen weitergehenden Sorgfaltspflichten zu entsprechen“.159 Im Ergebnis wandelt sich die Pflicht zur Sachverhaltserörterung vielmehr zu einer Pflicht, proaktiv (soweit möglich) eine Sachverhaltserörterung anzubieten. Die Initiative liegt daher klar bei der Gesellschaft und nicht bei dem Hinweisgeber selbst. Sinnvoll erscheint vor diesem Hintergrund, in die Kommunikation zu dem Hinweisgebersystem (s. dazu Rz. 53) den Hinweis aufzunehmen, dass jederzeitige Bereitschaft zur Sachverhaltserörterung mit dem Hinweisgeber besteht und in jedem Einzelfall – falls eine Kontaktmöglichkeit eröffnet ist – jedenfalls einmal ausdrücklich auf diese Bereitschaft hinzuweisen.

3. Verfahren der einvernehmlichen Beilegung (Abs. 1 Satz 5) § 8 Abs. 1 Satz 5 LkSG betrifft die Option eines Verfahrens der einvernehmli- 75 chen Beilegung.160 Derartige Verfahren „können“ nach dem Gesetzeswortlaut „angeboten werden“. Das Gesetz beinhaltet damit keine Verpflichtung, ein derartiges Verfahren anzubieten oder in jedem Fall durchzuführen. Erst recht ist dem Gesetz keine Verpflichtung zu entnehmen, eine einvernehmliche Beilegung oder gar eine Wiedergutmachung zu erreichen. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man davon ausgehen, dass § 8 Abs. 1 76 Satz 5 LkSG das Ermessen der Unternehmen als Verpflichtete nach dem LkSG beschreibt, ein Verfahren der einvernehmlichen Beilegung anzubieten. Wie die Zusammenschau mit Satz 4 zeigt, sind Subjekt von Satz 5 („sie“), jedoch nicht die Unternehmen, sondern vielmehr die von dem Unternehmen mit der Durchführung des Verfahrens betrauten Personen, d.h. die Hinweisbearbeiter (s. zu deren Auswahl Rz. 54 ff.). Im Regierungsentwurf lautete das Subjekt noch „es“; gemeint war damals noch – wiederum unter Referenz auf die damalige Fassung von Satz 4 – das Unternehmen. Daraus, dass der Gesetzgeber die Anpassung des Subjekts in Satz 4 in der finalen Gesetzesfassung (s. dazu Rz. 70) – bewusst oder unbewusst, der Ausschussbericht enthält dazu keine Hinweise – als Folgeänderung auch in Satz 5 übernommen hat, resultiert für Unternehmen zweierlei: Zum einen müssen Unternehmen keine Grundsatzentscheidung treffen, ob sie generell Verfahren zur einvernehmlichen Beilegung (gar nach im Grundsatz immer gleichen, vorab definierten abstrakten Parametern) anbieten oder nicht. Vielmehr hebt der Gesetzgeber ersichtlich auf den jeweiligen Einzelfall und die spezifische Gesprächssituation im Rahmen der Sachverhaltserörterung zwischen Hinweisbearbeiter und Hinweisgeber nach Satz 4 ab (s. dazu Rz. 69 ff.). Zum anderen scheint das Gesetz das Ermessen des jeweiligen Hinweisbearbeiters für 159 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 49. 160 Im Schrifttum wird hierfür vereinzelt der Begriff des sog. Ombudsmannverfahrens gebraucht, Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2149.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren maßgeblich zu erachten. Für Unternehmen bedeutet das freilich, dass sie einen internen Eskalations- und Entscheidungsprozess definieren sollten, auf dessen Grundlage der Hinweisbearbeiter die Möglichkeit einer einvernehmlichen Beilegung abfragen kann. 77 Nach der Gesetzesbegründung soll die Möglichkeit der einvernehmlichen Beile-

gung etwa dem Ziel der Vermeidung von Reputationsrisiken oder der Wiedergutmachung nach § 24 Abs. 4 Nr. 7 LkSG dienen.161 Der an zweiter Stelle genannte Grund scheint die Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 5 LkSG mit einem gewissen Sinn zu erfüllen, den man einer reinen Kann-Regelung (anders, als einer gesetzlichen Verpflichtung oder Soll-Vorschrift) auf den ersten Blick nicht zwingend zuschreiben würde: Durch die Verknüpfung mit § 24 Abs. 4 Nr. 7 LkSG in der Gesetzesbegründung weist der Gesetzgeber mittelbar darauf hin, dass das Angebot eines Verfahrens zur einvernehmlichen Beilegung aus seiner Sicht bußgeldmindernd zu berücksichtigen sein sollte. Bei genauer Betrachtung dürfte dem Verfahren zur einvernehmlichen Beilegung indes allenfalls im eigenen Geschäftsbereich ein nennenswerter Anwendungsbereich zukommen. Denn entlang der Lieferkette hat das Unternehmen zwar nach § 7 LkSG und § 9 Abs. 2 und 3 LkSG gewisse Abhilfepflichten. Rechtlich können und sollen diese jedoch nur über den eigentlichen Vertragspartner durchgesetzt werden und dessen Verhalten betreffen. Spezialgesetzliche Schadensersatzansprüche Geschädigter hat der Gesetzgeber gerade nicht vorgesehen (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 1 LkSG). Geschädigte entlang der Lieferketten können sich daher regelmäßig nicht auf einen Anspruch auf Wiedergutmachung berufen. 4. Plausibilitätsprüfung

78 Zur Meidung von Bußgeldrisiken und Organisationsverschulden sollten Unter-

nehmen – etwa im Rahmen einer internen Richtlinie (s. dazu Rz. 50 f.) oder der Verfahrensordnung (s. dazu Rz. 39 ff.), – sicherstellen, dass die neuen spezialgesetzlichen Vorgaben zu Verfahren und Fristen162 wie folgt eingehalten werden und den eigentlichen Aufklärungsmaßnahmen eine Plausibilitäts- oder Vorprüfung vorschalten163: – Nach Eingang des Hinweises und dessen Zuteilung an den zuständigen Hinweisbearbeiter bestätigt dieser dem Hinweisgeber – falls eine entsprechende Kontaktmöglichkeit vorliegt und soweit erforderlich nach Einholung einer vertraulichen Übersetzung – in einem ersten Schritt den Eingang des Hinweises (s. dazu Rz. 66 ff.)164, leitet eine Erörterung des Sachverhalts165 ein 161 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 49. 162 Näher Schmelzeisen, DK 2020, 413, 415 f. (bzgl. WBRL); Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 238 (bzgl. LkSG). 163 Vgl. zum Ganzen Lüneborg, DB 2022, 375, 383 f. 164 § 8 Abs. 1 Satz 3 LkSG; Art. 9 Abs. 1 lit. b WBRL bzw. § 17 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG-E gibt eine Frist von sieben Tagen nach Eingang des Hinweises vor. 165 § 8 Abs. 1 Satz 4 LkSG.

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(s. dazu Rz. 69 ff.) und dokumentiert den Hinweis im Einklang mit den Vertraulichkeitspflichten (s. dazu Rz. 68)166. In diesem Zusammenhang bietet sich die Einrichtung eines Fristenkontrollmechanismus an. Zur Sicherstellung der Vertraulichkeit sollte für Fallbearbeitung und Folgemaßnahmen ein striktes Need-to-know-Prinzip eingeführt werden (s. dazu Rz. 62). – Zunächst bietet sich eine erste Einordnung in Risikokategorien zur Identifizierung von Fällen, in denen Sofortmaßnahmen erforderlich sind, an (etwa bei einem Hinweis auf eine mögliche Einsturzgefahr eines Fabrikgebäudes eines Zulieferers oder bei Informationen die, sollten sie zutreffen, zu einem erheblichen Reputationsrisiko des verpflichteten Unternehmens führen könnten). Denkbar ist etwa die folgende Klassifizierung – Sehr hoch: Äußerst kritischer Fall mit höchster Priorität. Mögliche Folgen und Notwendigkeit der Kommunikation mit der obersten Führungsebene müssen sofort abgestimmt werden. – Hoch: Der Hinweis muss mit hoher Priorität untersucht werden, und vorläufige Sicherungsmaßnahmen sollten ggf. sofort umgesetzt werden. – Mittel: Die potentiellen Auswirkungen sind von mittlerer Schwere; die erforderlichen Maßnahmen sollten innerhalb einer angemessenen Zeitspanne umgesetzt werden. – Gering: Die potentiellen Auswirkungen sind gering.

– Im Anschluss führt der Hinweisbearbeiter eine Vor- oder Plausibilitätsprüfung durch.167 Rein mündliche Hinweise von anonym bleibenden Hinweisgebern (dazu Rz. 26 ff.) sind dabei besonders intensiv zu plausibilisieren.168 In den folgenden Fällen ist die Aufgriffsschwelle im Regelfall nicht erreicht, sodass der Hinweisbearbeiter die weitere Fallbearbeitung einstellen und von weiteren Maßnahmen absehen kann: – Die Meldung fällt eindeutig nicht in die Zuständigkeit des Beschwerdeverfahrens (Beispiel: ein Lieferant beklagt sich über aus seiner Sicht zu niedrige Einkaufspreise): In diesem Fall geben die Hinweisbearbeiter die Meldung an andere Abteilungen zur weiteren Behandlung ab, wenn ihnen das geboten erscheint bzw. der Hinweisgeber auf Rückfrage darum gebeten hat. Falls die Meldung ein Unternehmen betrifft, das ersichtlich nicht zum Kreis der unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferer des verpflichteten Unternehmens zählt, sollte eine etwaig bestehende Kontaktmöglichkeit zu dem Hinweisgeber genutzt werden, um dies mitzuteilen und erforderlichenfalls auch Unterstützung bei der Identifizierung des geeigneten Beschwerdeverfahrens bzw. Ansprechpartners anzubieten. – Die Meldung ist offenkundig unbegründet, nicht plausibel, nicht schlüssig oder unwahr. In diesem Fall sollte sich eine Prüfung anschließen, ob eine fahrlässige oder vorsätzliche Falschmeldung in Rede steht und beja166 Vgl. Art. 18 Abs. 1 WBRL. bzw. § 8 HinSchG-E. 167 Näher Ott/Lüneborg, CCZ 2019, 71, 73; Lüneborg, DB 2022, 375, 383 f. 168 Ott/Lüneborg, CCZ 2019, 71, 77; Ott/Lüneborg, Der Aufsichtsrat 2019, 161, 162.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren hendenfalls Maßnahmen gegen den Hinweisgeber geprüft und ggf. eingeleitet werden. – Der gemeldete Verdacht kann mit einfachen Mitteln (z.B. durch Nachfrage bei der Buchhaltung) zweifelsfrei ausgeräumt werden. S. zum weiteren Vorgehen den vorangehenden Punkt. – Es handelt sich um einen Bagatellfall ohne Wiederholungsrisiko.169 5. Weitere Aufklärungsmaßnahmen 79 Jedenfalls hinsichtlich möglicher Compliance-Verstöße im eigenen Geschäfts-

bereich folgt aus dem Legalitätsprinzip bei Kapitalgesellschaften der allgemeine Grundsatz „Aufklären, Abstellen, Ahnden“ sowie das Null-Toleranz-Dogma im Hinblick auf Compliance-Verstöße. Erhärtet sich der gemeldete Verdacht im Rahmen der Vor- bzw. Plausibilitätsprüfung (dazu Rz. 78), stellt sich also heraus, dass er (i) auf einem konkreten Tatsachenkern beruht, (ii) einen Rechtsverstoß in der Sphäre des Unternehmens als möglich und nicht gänzlich unwahrscheinlich erscheinen lässt und (iii) unter Compliance-Gesichtspunkten relevant ist, und betrifft er den eigenen Geschäftsbereich, sind weitere interne Aufklärungsmaßnahmen – entsprechend der idealerweise in Richtlinienform schriftlich niedergelegten internen Vorgaben für Internal Investigations – durchzuführen. Betrifft der plausibel erscheinende Verdacht demgegenüber menschen- oder umweltrechtliche Risiken bei unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferern, sind die in §§ 6 und 7 bzw. § 9 Abs. 3 LkSG vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen. Da an erster Stelle die Durchführung bzw. Aktualisierung einer Risikoanalyse steht, dürfte zumeist ebenfalls eine weitere Aufklärung geboten sein. Je nach Ausgang der Untersuchung schließen sich angemessene Folgemaßnahmen an.

80 Hat die Gesellschaft die Vorgaben der WBRL bzw. des HinSchG-E und des

LkSG gesamthaft umgesetzt, sollte sie dem Hinweisgeber innerhalb eines angemessenen zeitlichen Rahmens, der den Zeitraum von drei Monaten ab Eingangsbestätigung nicht überschreiten darf, eine Rückmeldung über die ergriffenen Maßnahmen (ggf. auch „Wasserstand“) erteilen.170 6. Folgemaßnahmen

81 Ergibt die Aufklärung des Hinweises, dass tatsächlich ein relevantes menschen-

rechtliches oder umweltbezogenes Risiko bzw. die Verletzung einer relevanten menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht (dazu § 2 Rz. 90 ff.) im Hinblick auf den eigenen Geschäftsbereich oder die unmittelbaren bzw. mittelbaren Zulieferer im Zusammenhang mit der für das verpflichtete Unternehmen relevan169 Ott/Lüneborg, CCZ 2019, 71, 77; Ott/Lüneborg, Der Aufsichtsrat 2019, 161, 162; Gehling/Lüneborg in Busch/Hoven/Pieth/Rübenstahl, Antikorruptions-Compliance, 2020, Kap. 25 Rz. 22. 170 Vgl. § 17 Abs. 2 HinSchG-E.

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ten Lieferkette (dazu § 2 Rz. 318 ff.) in Rede steht, richten sich die Folgemaßnahmen nach §§ 6 und 7 bzw. § 9 Abs. 3 LkSG (dazu § 6 Rz. 46 ff.; § 7 Rz. 39 ff.; § 9 Rz. 70 ff.). Denn es macht insoweit keinen Unterschied, auf welchem Wege dem verpflichteten Unternehmen das Risiko bzw. die Pflichtverletzung bekannt geworden ist (im Rahmen der Risikoanalyse, durch öffentliche Berichterstattung oder eben über das Beschwerdeverfahren). 7. Dokumentation § 10 Abs. 1 LkSG sieht vor, dass die Erfüllung der Sorgfaltspflichten – darunter 82 die Einrichtung des Beschwerdeverfahrens – fortlaufend unternehmensintern zu dokumentieren ist (dazu § 10 Rz. 9). Zur Erfüllung dieser Pflicht sowie zur eigenen Enthaftung und zur Verteidigung gegen mögliche Untätigkeits- bzw. Organisationsverschuldensvorwürfe sollten Unternehmen sicherstellen, dass für jede Meldung die ergriffenen Maßnahmen und Schritte und der Verfahrensablauf – unter Wahrung des Vertraulichkeitsgrundsatzes (dazu Rz. 62) und der datenschutzrechtlichen Vorgaben, insbesondere des Löschkonzepts (dazu Rz. 63) – dokumentiert wird. Anlassbezogen ergriffene Verbesserungs- bzw. Anpassungsmaßnahmen in Bezug auf den Beschwerdemechanismus sollten bereits im Hinblick auf die Pflichten zur Wirksamkeitsüberprüfung dokumentiert werden (dazu Rz. 99 f.). Die „Maßnahmen, die das Unternehmen aufgrund von Beschwerden … getroffen 83 hat“, sind außerdem in den Bericht zu inkludieren, den die verpflichteten Unternehmen nach § 10 Abs. 2 LkSG jährlich über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten im vergangenen Geschäftsjahr zu erstellen und spätestens vier Monate nach Abschluss des Geschäftsjahrs auf der Internetseite öffentlich zugänglich zu machen sowie elektronisch zur Prüfung beim BAFA einzureichen haben (dazu § 10 Rz. 29). Bislang liegen zu dieser Anforderung weder im Schrifttum noch von behördlicher Seite detaillierte Auslegungshinweise vor. Unter Berücksichtigung des Angemessenheitsvorbehalts kann allerdings nur gemeint sein, dass Unternehmen eine allgemeine Beschreibung der Funktionsweise und -fähigkeit des Beschwerdemechanismus vorhalten müssen und im Rahmen der jährlichen Berichterstattung auf generische Weise ergriffene Maßnahmen beschreiben müssen.171 Eine verlässliche Dokumentation zu dem Beschwerdeverfahren kann insbesondere auch die Erstellung dieses Jahresberichts erleichtern. 8. Information der Geschäftsleitung Unabhängig von der auf Meldungen zu möglichen menschenrechtlichen oder 84 umweltbezogenen Verstößen konzentrierten externen Berichtspflicht des § 10 Abs. 2 LkSG (dazu § 10 Rz. 24) sollten Unternehmen sicherstellen, dass die Geschäftsleitung regelmäßig über Anzahl, Qualität, und Hintergrund der eingehenden Meldungen und ad hoc über Meldungen zu Anhaltspunkten mit besonderem 171 Vgl. zum Ganzen Lüneborg, DB 2022, 375, 384.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren Risikoprofil für das Unternehmen unterrichtet wird. Diese Berichterstattung ist nicht nur zum Schutz des verpflichteten Unternehmens vor wirtschaftlichem Schaden und/oder Reputationsverlust von Bedeutung, sondern dient auch der Erfüllung der Pflichten zur Wirksamkeitsüberprüfung des Beschwerdemechanismus (dazu Rz. 99 f.).

XI. Hinweisgeberschutz (Abs. 4 Satz 2) 1. Schutzvoraussetzungen 85 Wie nach der WBRL bzw. dem HinSchG einzurichtende Meldekanäle, muss

auch das Beschwerdeverfahren nach § 8 Abs. 4 Satz 3 LkSG wirksamen Schutz vor Benachteiligung oder Bestrafung aufgrund einer Beschwerde gewährleisten. Anders, als die WBRL bzw. das HinSchG verhält sich das LkSG allerdings weder zu den Schutzvoraussetzungen noch zum Schutzumfang. a) Guter Glaube an die Richtigkeit der Information

86 Aus dem das Gesetz prägenden Angemessenheitsgebot ergibt sich zunächst, dass

Unternehmen Hinweisgebern, die lediglich Personen im Unternehmen oder bei Zulieferern „anschwärzen“ wollen, keinen Schutz bieten müssen.172 Hierfür spricht auch eine Hervorhebung in der Gesetzesbegründung, wonach eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Beschwerdekanals, etwa durch die Versendung einer Vielzahl identischer E-Mails, nicht als Beschwerde i.S.v. § 8 LkSG zu verstehen sein soll.173 Daher genügt ein Unternehmen den gesetzlichen Anforderungen, wenn es nur Hinweisgeber schützt, die nach bestem Wissen und Gewissen eine Meldung abgegeben haben, d.h., berechtigten Grund zu der Annahme hatten, dass die Informationen der Wahrheit entsprachen.174 Erforderlich ist subjektive Gutgläubigkeit. Ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal vorheriger Nachforschungsobliegenheiten lässt sich weder dem Wortlaut noch der Genese des § 8 Abs. 4 Satz 3 LkSG entnehmen. Dem entspricht, dass Nachforschungspflichten sowohl auf europäischer175 wie auch auf deutscher176 Ebene bislang primär hinsichtlich von Meldungen an öffentliche Meldekanäle bzw. mit Bezug zu Strafanzeigen diskutiert werden.177 Eine entsprechende Formulierung – etwa im Rahmen von auf der Unternehmenshomepage abgelegten Q&A oder in der Maske des Online-Tools – könnte lauten:

172 Vgl. zum Ganzen Lüneborg, DB 2022, 375, 378. 173 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 42. 174 Vgl. zum Ganzen Lüneborg, DB 2022, 375, 378. 175 Vgl. etwa EGMR (II. Sektion) Urt. v. 16.2.2021 – 23922/19, NJW 2021, 2343 – Gawlik/ Liechtenstein. 176 Vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00, DB 2001, 1622 = NJW 2001, 3474; BAG, Urt. v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, DB 2004, 878 = NJW 2004, 1547. 177 Vgl. zum Ganzen etwa Gerdemann, NJW 2021, 2324.

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Beschwerdeverfahren | § 8 Die xyz-Gruppe trägt Sorge dafür, dass gegen Personen, die in gutem Glauben auf Verstöße hinweisen, bei der Meldung Hilfe leisten oder bei der Untersuchung des Verstoßes mitwirken, aufgrund dessen keine nachteiligen Maßnahmen ergriffen werden und sie vor Repressalien geschützt sind (weitere Informationen finden Sie hier [Link]).

Hinsichtlich von Hinweisgebern, die bewusst missbräuchliche Meldungen er- 87 statten, kann und sollte die Ausübung entsprechender (verhältnismäßiger) Reaktionsmöglichkeiten geprüft werden, wie etwa die Abmahnung oder Kündigung von Beschäftigten. § 38 HinSchG-E sieht eine Pflicht des Hinweisgebers zum Ersatz des Schadens vor, der aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen entstanden ist. Um vor Missbrauch abzuschrecken, sollten Unternehmen zudem erwägen, im Rahmen der Hinweise zur Systemnutzung klarzustellen, dass sie sich bei nachweislich wissentlicher Weitergabe falscher oder irreführender Informationen eine Prüfung disziplinarischer Maßnahmen sowie zivil- oder strafrechtlicher Schritte vorbehalten.178 Eine entsprechende Formulierung – etwa im Rahmen von auf der Unternehmenshomepage abgelegten Q&A oder in der Maske des OnlineTools – könnte lauten: Alle Hinweisgeber sind jedoch verpflichtet, nur auf Risiken und Verstöße hinzuweisen, die sie nach bestem Wissen und Gewissen für zutreffend halten dürfen. Die wissentliche Weitergabe falscher oder irreführender Informationen kann disziplinarische Maßnahmen, die Offenlegung der Identität des Hinweisgebers oder sogar zivil- oder strafrechtliche Schritte nach sich ziehen. Bitte beachten Sie, dass die vorsätzliche Weitergabe falscher Informationen in vielen Ländern gesetzlich verboten ist.

b) Meldung an den internen Meldekanal als Schutzvoraussetzung? Das LkSG verhält sich nicht zu der Frage, ob Hinweisgebern auch Schutz zu ge- 88 währleisten ist, wenn sie nicht das vom Unternehmen vorgesehene Beschwerdeverfahren nutzen, sondern den Hinweis direkt an die zuständigen Behörden oder gar an die Öffentlichkeit richten. Dagegen spricht, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 und Satz 6 LkSG den Schutz auf Beschwerden innerhalb unternehmensinterner bzw. -übergreifender Beschwerdeverfahren beschränkt.179 Hinzu kommt, dass das LkSG – anders als §§ 7 und 32 HinSchG-E bzw. Art. 10 WBRL – keine Möglichkeit externer Meldungen an Behörden bzw. einer Offenlegung von Informationen normiert. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Hinweisgeber, insbesondere, wenn es sich um Beschäftige des Unternehmens handelt, je nach Art der gemeldeten Verletzung nach §§ 32 ff. HinSchG-E bzw. Art. 10 WBRL auch bei externen Meldungen bzw. unter restriktiven Voraussetzungen sogar bei einer Offenlegung Schutz zu gewähren sein könnte.180 Denn nach § 7 HinSchG-E steht es Hinweisgebern grundsätzlich frei, zu entscheiden, ob sie interne oder externe Meldewege beschreiten. Bloßen (dritten) Kenntnisträgern steht dem178 Vgl. auch Miege, CCZ 2021, 149, 150 f. 179 Gegen Hinweisgeberschutz in diesem Fall spricht sich etwa Stemberg, CCZ 2022, 92, 97 aus. 180 Im Ergebnis ebenso Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2168.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren gegenüber nach derzeitiger Rechtslage bei einer externen Meldung nach dem LkSG kein und nach § 34 HinSchG-E allenfalls unter sehr restriktiven Voraussetzungen Hinweisgeberschutz zu.181 2. Schutzumfang a) Persönlicher Schutzumfang 89 Aus der Gesetzesformulierung ergibt sich nicht, wer geschützt sein soll. Die Geset-

zesbegründung spricht von dem „Nutzer“.182 Es liegt nahe, dass der Gesetzgeber damit den Schutz des Hinweisgebers beabsichtigt hat. Voraussetzung für den Hinweisgeberschutz ist freilich, dass die Person des Hinweisgebers dem verpflichteten Unternehmen namentlich bekannt, dieser also nicht anonym geblieben ist.

90 Unklar ist, ob auch eine Ausdehnung des Schutzumfangs auf andere Personen

geboten ist. Hat eine NGO oder ein Gewerkschaftsmitglied für einen Betroffenen einen Hinweis erteilt, gebieten Sinn und Zweck des Hinweisgeberschutzes, dass der Schutz insbesondere dem eigentlich Betroffenen bzw. dem eigentlichen Kenntnisträger zuteilwerden sollte. Art. 4 Abs. 4 WBRL bzw. § 34 HinSchG-E sieht darüber hinaus beispielsweise vor, dass der Hinweisgeberschutz auszudehnen ist u.a. auf Mittler; Dritte, die mit dem Hinweisgeber in Verbindung stehen und in einem beruflichen Kontext Repressalien erleiden könnten, wie z.B. Kollegen und Verwandte des Hinweisgebers und juristische Personen, die im Eigentum des Hinweisgebers stehen oder für die dieser arbeitet bzw. mit denen er in einem beruflichen Kontext anderweitig in Verbindung steht. Obwohl § 8 Abs. 4 Satz 2 LkSG keine entsprechende Ausdehnung des Hinweisgeberschutzes vorsieht, ist Unternehmen, die eine transparente Speak-up- und Listenup-Kultur fördern wollen, zu empfehlen, den persönlichen Schutzumfang hinsichtlich von Meldungen betreffend den eigenen Geschäftsbereich jedenfalls an Art. 4 Abs. 4 WBRL bzw. § 34 HinSchG-E anzulehnen und entsprechend abstrakt-generell zu dokumentieren und zu kommunizieren.183 Im Hinblick auf Meldungen betreffend Zulieferer dürfte sich bereits der Schutz der Hinweisgeber selbst nur unter erhöhten Schwierigkeiten umsetzen lassen (dazu Rz. 96), sodass ein wirksamer Schutz bei einem ausgedehnten persönlichen Schutzbereich erst recht nicht garantiert werden kann. b) Sachlicher Schutzumfang

91 Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 LkSG muss das Beschwerdeverfahren wirksamen

Schutz vor Benachteiligungen oder „Bestrafungen“ aufgrund der Beschwerde gewährleisten. Der Gesetzgeber hat damit anerkannt, dass Furcht vor Repressalien eine der wesentlichsten Hürden im Zusammenhang mit der Erteilung von

181 Im Ergebnis ebenso Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2168. 182 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 50. 183 Für eine Ausdehnung des Hinweisgeberschutzes auf Mittler und Verwandte des Hinweisgebers Stemberg, CCZ 2022, 92, 99.

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Beschwerdeverfahren | § 8

Informationen über ein Hinweisgebersystem ist.184 Demnach steht der Hinweisgeberschutz in engem Zusammenhang zu dem Erfordernis der Zugänglichkeit des Beschwerdeverfahrens (dazu Rz. 32 ff.). Anders, als die WBRL185 enthält weder das LkSG selbst noch die Gesetzesbegründung eine Definition der untersagten Benachteiligungen und Bestrafungen und sieht auch keine konkreten materiellen Benachteiligungsverbote bzw. Schutzansprüche vor. Vielmehr fasst die Gesetzesbegründung beide Tatbestände unter dem Begriff des „Nachteils“ zusammen.186 aa) Benachteiligung Dem in Art. 19 der WBRL bzw. § 36 Abs. 1 HinSchG-E verwendeten und jeden- 92 falls in der Gesetzesbegründung zum LkSG in Bezug auf mögliche Zugangshindernisse übernommenen187 Begriff der verbotenen „Repressalien“ wohnt nach allgemeinem deutschen Begriffsverständnis ein gewisser Schweregrad inne. Grundsätzlich wird er mit Druck oder Zwang assoziiert. Eine Benachteiligung dürfte demgegenüber nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bei einer niedrigeren Eingriffsschwelle erfüllt sein. Um die Pflichtenlage der Unternehmen entsprechend dem Angemessenheitsgrundsatz nicht ausufern zu lassen und Hinweisgebern die Möglichkeit zu eröffnen, auch Bagatellen im normalen Arbeitsalltag als Benachteiligung im Zusammenhang mit einer Whistleblowermeldung zu rügen, dürfte ein tendenziell restriktiveres Verständnis des Begriffs der „Benachteiligungen“ in Anlehnung an den Katalog des Art. 19 WBRL naheliegen. Dies gilt vor allem für Unternehmen, die die Anforderungen beider Gesetze in einem integrierten Hinweisgebersystem abdecken (dazu Rz. 20 f.). Bei einem bei dem jeweiligen Unternehmen beschäftigten Hinweisgeber sollten jedenfalls Versetzun184 Vgl. auch OHCHR, Improving accountability and access to remedy for victims of business-related human rights abuse through non-State-based grievance mechanisms, UN Doc. A/HRC/44/32, 3.6.2020, Rz. 15 sowie die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 19/28649, 50. 185 Repressalien sind gem. Art. 5 Nr. 11 WBRL direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen in einem beruflichen Kontext, die durch eine interne oder externe Meldung oder eine Offenlegung ausgelöst werden und durch die dem Hinweisgeber ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann; im Kern vergleichbar die Definition in § 3 Abs. 6 HinSchG-E. Nach Erw.-Gr. Nr. 44 WBRL ist der Begriff der Repressalie weit auszulegen, sodass er jede benachteiligende Handlung oder Unterlassung im beruflichen Kontext erfasst. Nach Art. 19 WBRL haben die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um jede Form von Repressalien zu untersagen. Unzulässige Repressalien können z.B. Suspendierungen, Kündigungen, Herabstufungen, Aufgabenverlagerungen, Disziplinarmaßnahmen und Rufschädigungen sowie das Androhen oder der Versuch solcher Maßnahmen sein, näher Schmelzeisen, DK 2020, 413, 418. Zu Recht kritisch dazu, dass der Gesetzgeber des HinSchG-E die wertvollen Hilfestellungen des europäischen Gesetzgebers zu möglichen Fallgruppen von Repressalien nicht übernommen hat, Dilling, CCZ 2022, 145, 150. 186 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 50. 187 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 50.

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§ 8 | Beschwerdeverfahren gen, Abmahnungen und Kündigungen oder sonstige disziplinarische Schlechterstellungen aufgrund der Beschwerde unzulässig sein.188 93 Zu berücksichtigen ist, dass nur ungerechtfertigte Benachteiligungen bzw. sol-

che, die auf der Beschwerde beruhen, untersagt sind. Das bedeutet, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Beschwerde und der Benachteiligung erforderlich ist. Die Kündigung eines Mitarbeiters, dem eine Unterschlagung nachgewiesen werden kann, ist also weiterhin möglich, selbst, wenn er einen sachdienlichen Hinweis auf rechtswidrige Kinderarbeit bei einem Zulieferer erteilt hat. Gleiches gilt unter Umständen für eine Anzeige strafbaren Verhaltens bei den zuständigen Behörden. Hinweisgeber, gegen die das Unternehmen unabhängig von der Beschwerde vorgegangen wäre, genießen keinen Schutz. Damit wird eine etwaige „Flucht in die Beschwerde“ versperrt. Insbesondere sieht das LkSG keine Kronzeugenregelung vor.189 Im Interesse der Schaffung einer transparenten und effektiven Meldekultur sollten Unternehmen bestrebt sein, durch klare Regeln und Kontrollen sicherzustellen, dass und unter welchen Voraussetzungen Hinweisgeber im eigenen Geschäftsbereich nicht benachteiligt werden.

bb) Bestrafung 94 Den Begriff der „Bestrafung“ dürfte der Gesetzgeber im untechnischen und

nicht im strafrechtlichen Sinne verwandt haben. Denn vor einer Bestrafung durch staatliche Strafverfolgungsorgane und Gerichte können Unternehmen ersichtlich keinen Schutz bieten.190 Bei genauer Betrachtung kann von Unternehmen auch nicht verlangt werden, in keinem Fall Strafanzeige gegen einen Hinweisgeber zu erstatten, sondern diesem selbst bei schweren Verstößen gegen die anwendbaren Strafgesetze eine Art Kronzeugenschutz bzw. Amnestie einzuräumen. Unternehmen ist zu empfehlen, auf eine nicht auszuschließende Strafverfolgung durch staatliche Behörden auch von Hinweisgebern hinzuweisen (s. dazu bereits Rz. 87). Möglicherweise wollte der Gesetzgeber mit dem Begriff der Bestrafung direkte Reaktionen des verpflichteten Unternehmens auf die Beschwerde und mit dem Begriff der Benachteiligung Konsequenzen bezeichnen, die nicht offenkundig infolge der Beschwerde ergriffen wurden (wie etwa Mobbing), aber gleichwohl auf dieser beruhen.191 3. Durchsetzung

95 Anders als Art. 19 WBRL bzw. § 36 Abs. 1 HinSchG-E verbietet § 8 Abs. 4 Satz 1

LkSG Benachteiligungen oder Bestrafungen aufgrund von Beschwerden nicht,

188 Vgl. auch Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2168 unter Verweis auf § 134 BGB. 189 Vgl. auch Stemberg, CCZ 2022, 92, 98. 190 Ebenso Stemberg, CCZ 2022, 92, 97 unter Verweis darauf, dass in einem derartigen Fall regelmäßig der Tatbestand der Strafvereitelung erfüllt wäre. 191 In diesem Sinne jedenfalls Stemberg, CCZ 2022, 92, 98.

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Beschwerdeverfahren | § 8

sondern gibt den verpflichteten Unternehmen lediglich auf, wirksamen Schutz dagegen zu gewährleisten. Aus Sicht von Hinweisgebern, die sich auf eine Benachteiligung wegen eines Hinweises berufen, ist das ein Weniger. Sie können nicht geltend machen, das Unternehmen habe gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, sondern können allenfalls geltend machen, die Organisation zur Gewährleistung wirksamen Hinweisgeberschutzes sei nicht hinreichend gewesen. Der Gesetzgeber hat sich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass Hin- 96 weisgeberschutz von den verpflichteten Unternehmen ohnedies nur so weit gewährleistet werden kann, wie ihr rechtlicher Einfluss reicht. Bei einer Meldung betreffend den eigenen Geschäftsbereich ist ein Unternehmen regelmäßig in der Lage, wirksamen Hinweisgeberschutz zu bieten. Im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit von Hinweisgeberschutz im Geschäftsbereich von Zulieferern dürfte jedoch erhebliche Rechtsunsicherheit herrschen. Die Erreichung eines effektiven Schutzes dürfte in vielen Fällen an rechtlicher und tatsächlicher Unmöglichkeit scheitern: Erreicht ein deutsches Unternehmen über das Beschwerdeverfahren z.B. ein plausibler Hinweis von einem Beschäftigten eines mittelbaren Zulieferers in Mali auf Kinderarbeit, obliegt es dem Unternehmen zwar, gem. § 8 Abs. 4 Satz 2 LkSG wirksamen Schutz vor Benachteiligung oder Bestrafung zu gewährleisten. Möglicherweise könnten dazu entsprechende Vorgaben in ein Konzept gem. § 9 Abs. 3 Nr. 3 LkSG aufgenommen werden. Verstößt der mittelbare Zulieferer hiergegen, bleibt dem deutschen Unternehmen – wie bei jedem Fall verwehrter Kooperation – als Ultima Ratio die vertragliche Durchsetzung gegenüber dem eigenen Zulieferer, eine Belieferung mit den Produkten des mittelbaren Zulieferers künftig zu unterlassen. Rechtliche Möglichkeiten oder gar Rechtspflichten zum Schutz des Hinweisgebers werden dagegen in den meisten Fällen nicht bestehen.192 Überhaupt nicht bedacht zu haben scheint der Gesetzgeber diejenigen Fälle, in denen ein Hinweisgeber angibt, seine Meldung betreffe einen mittelbaren Zulieferer des verpflichteten Unternehmens, dieses aber selbst mit einigem Zeit- und Ressourcenaufwand nicht verlässlich verifizieren kann, dass es sich tatsächlich um seinen mittelbaren Zulieferer handelt. Besonders ins Gewicht fällt in diesem Zusammenhang, dass der Gesetzgeber des 97 LkSG – anders als derjenige der WBRL bzw. des HinSchG-E193 – Hinweisgebern 192 Vgl. auch Lüneborg, DB 2022, 375, 379; für ein möglichst weites Verständnis des Benachteiligungsschutzes, aber ohne konkrete Umsetzungsvorschläge Stemberg, CCZ 2022, 92, 98. 193 Erleidet der Hinweisgeber eine Benachteiligung und macht er in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren geltend, diese sei Folge seiner Meldung oder Offenlegung, wird nach der WBRL bzw. dem HinSchG-E vermutet, dass es sich um eine Repressalie handelt. Dem Verursacher der Benachteiligung obliegt es, zu beweisen, dass die Maßnahme auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte, Art. 21 Abs. 5 WBRL bzw. § 36 Abs. 2 Satz 2 HinSchG-E. Das Unternehmen verfügt zur Rechtsverfolgung indes regelmäßig über größere finanzielle Ressourcen. Dies erkennt auch die WBRL in Erw. Gr. Nr. 99 an. Um dennoch prozessuale Waffengleichheit herzustellen und zu vermeiden, dass potentielle Hinweisgeber aufgrund drohender finanzieller Be-

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§ 8 | Beschwerdeverfahren keine Erleichterung hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast zu der Frage einräumt, ob eine Benachteiligung im Zusammenhang mit einer Beschwerde stand.194 Hinweisgebern dürfte ein entsprechender Nachweis vor staatlichen Gerichten (etwa im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses) daher oftmals schwerfallen. 4. Schutz zu Unrecht Beschuldigter 98 Anders als der Hinweisgeberschutz ist der Individualschutz gegen falsche Be-

schuldigungen bislang gesetzlich unterbelichtet. Unternehmen sollten gleichwohl jedenfalls im eigenen Geschäftsbereich jeder Form einer Vorwurfs-, Stigmatisierungs- oder Vorverurteilungskultur von vornherein entgegenwirken und von einer Meldung betroffene Personen umfassend schützen und unterstützen, wenn und solange ihre schuldhafte Beteiligung an dem gemeldeten menschenrechtlichen bzw. umweltbezogenen Risiko bzw. Verstoß nicht nachgewiesen ist.195

XII. Überprüfung des Beschwerdeverfahrens (Abs. 5) 99 Wie bei allen Elementen eines CMS ist die einmalige Einrichtung des Meldeka-

nals nicht ausreichend. Seine Wirksamkeit ist vielmehr im Rahmen einer kontinuierlichen Systemevaluierung jährlich sowie anlassbezogen durch interne oder externe Stellen zu überprüfen.196 Auslöser der Überprüfung können nach der Gesetzesbegründung etwa die Aufnahme einer neuen Tätigkeit oder Geschäftsbeziehung, strategische Entscheidungen oder Veränderungen in der Geschäftstätigkeit, etwa durch einen bevorstehenden Markteintritt, eine Produkteinführung, eine Veränderung der Geschäftsgrundsätze oder umfassendere geschäftliche Veränderungen sein.197 Eine Analyse könne auch als Reaktion oder in Vorausschau auf Veränderungen im Geschäftsumfeld notwendig sein.198 Gleichzeitig stellt der Gesetzgeber klar, dass die Pflicht zur anlassbezogenen Überprüfung nur für wesentliche Änderungen gilt, wenn das Unternehmen mit einer veränderten oder erweiterten Risikolage in der Lieferkette rechnen muss199. Unternehmen sollten sich bewusst machen, dass die fehlende und die nicht

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lastungen im Rahmen von Gerichtsverfahren von einer Meldung absehen, soll ihnen gem. Art. 20 Abs. 1 lit. iii WBRL ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe zustehen und die Mitgliedsstaaten gem. Art. 21 Abs. 2 WBRL berechtigt sein, Hinweisgeber im Rahmen gerichtlicher Verfahren finanziell sowie durch psychologische Betreuung zu unterstützen. Hiervon hat der deutsche Gesetzgeber soweit ersichtlich im HinSchG-E keinen Gebrauch gemacht, kritisch hierzu Dilling, CCZ 2022, 145, 150. Vgl. auch Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 88. Vgl. auch Lüneborg, DB 2022, 375, 378 f. Vgl. auch Lüneborg, DB 2022, 375, 384. Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 50. Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 50. Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 50.

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Beschwerdeverfahren | § 8

rechtzeitige Überprüfung nach § 24 Abs. 1 Nr. 4 LkSG (dazu § 24 Rz. 37 ff.) bußgeldbewehrt ist. Zudem sollte die Ermittlung und Umsetzung von Verbesserungspotentialen in den Prüfungsplan der Internen Revision inkludiert werden. Im Schrifttum und in der Praxis existieren bereits vielfältige Vorschläge, wie die 100 Wirksamkeit des Beschwerdeverfahrens überprüft werden kann:200 Beispielsweise könne man Beschwerdeführer nach ihrer Zufriedenheit mit dem Verfahren oder potentielle Betroffene danach befragen, ob sie das Verfahren kennen und nutzen würden. Außerdem könne geprüft werden, ob Beschwerdeführer oder mit ihnen verbundene Personen nach einer Meldung Nachteile erlitten haben, etwa durch Herunterstufung, Disziplinarmaßnahmen, Entlassung, Gehaltskürzung, Arbeitsplatz- oder Schichtversetzung oder auch durch Einschüchterungsklagen gegen kritische Stimmen, sog. „SLAPP“-Klagen. Zur Evaluierung in der Lieferkette könne z.B. geprüft werden, ob Zulieferer ihre eigenen Zulieferer zur effektiven Zugänglichmachung mit Information in relevanten Sprachen auffordern. Diese im Grundsatz sinnvollen Vorschläge sind stets vor dem Hintergrund des Angemessenheitsgrundsatzes zu betrachten: Von Unternehmen kann kaum verlangt werden, jährlich eine derart umfassende sowie zeit- und kostenintensive Analyse durchzuführen. Vielmehr ist Unternehmen zu empfehlen, einen mittelfristigen Prüfungsplan hinsichtlich der jährlichen Prüfungsschwerpunkte und -schritte zu entwerfen und diesen zu den darin vorgesehenen Zeitpunkten sukzessive abzuarbeiten. Im Schrifttum wird denn auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Zahl der eingegangenen Beschwerden als Indikator für die Wirksamkeit des Beschwerdeverfahrens nur bei differenzierter Betrachtung herangezogen werden kann201: Eine niedrige Anzahl von Beschwerden kann sowohl als Anhaltspunkt dafür angesehen werden, dass keine meldetauglichen Risiken bzw. Verletzungen identifiziert wurden als auch dafür, dass die Zugänglichkeit des Beschwerdeverfahrens nicht in hinreichendem Maße gewährleistet ist. Spiegelbildlich weist eine hohe Zahl von Beschwerden möglicherweise auf erhöhte menschen- bzw. umweltrechtliche Risiken einerseits, andererseits aber auch auf eine effektive Zugänglichkeit des Beschwerdeverfahrens hin. Die Meldestatistik sollte daher in Kombination mit anderen Indikatoren analysiert werden. 200 Vgl. Shift Indicator Design Tool „A People-Centered Approach to Measuring the Progress and Effectiveness of Human Rights Initiatives and Programs“, abrufbar im Internet unter https://shiftproject.org/wp-content/uploads/2021/05/Indicator-Design-Tool_ Shift.pdf (zuletzt abgerufen am 5.5.2022); Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE (2021), Die Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfalt – Handlungshilfen für Arbeitnehmervertretungen, S. 47 ff., abrufbar im Internet unter https://www.arbeit-um welt.de/wp-content/uploads/StAuU_HandlungshilfeSorgfaltspflicht_final20211018.pdf (zuletzt abgerufen am 5.5.2022); Bündnis für nachhaltige Textilien, Informationspapier „Zugang zu Abhilfe- und Beschwerde-mechanismen sichern und fördern“, 2018, Ziff. 2.5. (abrufbar im Internet unter https://www.textilbuendnis.com/download/info papier-beschwerde-und-abhilfemechanismen-2018/, zuletzt abgerufen am 5.5.2022); Schönfelder/Neitzel, REF 2022, 63, 69. 201 Schönfelder/Neitzel, REF 2022, 63, 69.

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§ 9 Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung (1) Das Unternehmen muss das Beschwerdeverfahren nach § 8 so einrichten, dass es Personen auch ermöglicht, auf menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken sowie auf Verletzungen menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten hinzuweisen, die durch das wirtschaftliche Handeln eines mittelbaren Zulieferers entstanden sind. (2) Das Unternehmen muss nach Maßgabe des Absatzes 3 sein bestehendes Risikomanagement im Sinne von § 4 anpassen. (3) Liegen einem Unternehmen tatsächliche Anhaltspunkte vor, die eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht bei mittelbaren Zulieferern möglich erscheinen lassen (substantiierte Kenntnis), so hat es anlassbezogen unverzüglich 1. eine Risikoanalyse gemäß § 5 Absatz 1 bis 3 durchzuführen, 2. angemessene Präventionsmaßnahmen gegenüber dem Verursacher zu verankern, etwa die Durchführung von Kontrollmaßnahmen, die Unterstützung bei der Vorbeugung und Vermeidung eines Risikos oder die Umsetzung von branchenspezifischen oder branchenübergreifenden Initiativen, denen das Unternehmen beigetreten ist, 3. ein Konzept zur Verhinderung, Beendigung oder Minimierung zu erstellen und umzusetzen und 4. gegebenenfalls entsprechend seine Grundsatzerklärung gemäß § 6 Absatz 2 zu aktualisieren. (4) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, Näheres zu den Pflichten des Absatzes 3 durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ohne Zustimmung des Bundesrates zu regeln. I. Überblick 1. Normativer Hintergrund und Regelungszweck a) Diskussionspunkte im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . b) Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Deutliche Erweiterung im Vergleich zu den bisherigen Compliance-Vorkehrungen gegenüber mittelbaren Zulieferern . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Geplante weitere Verschärfung auf europäischer Ebene . 2. Regelungstechnik des § 9 LkSG 3. Begriff des mittelbaren Zulieferers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschwerdeverfahren (Abs. 1) .

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III. Pflichtenauslösendes Moment: Substantiierte Kenntnis (Abs. 3 Satz 1) 1. Lediglich anlassbezogene Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Substantiierte Kenntnis . . . . . . a) Bezugspunkt der substantiierten Kenntnis aa) Mögliche Quellen „tatsächlicher Anhaltspunkte“ bb) Rezeption im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zweifelhafte Begriffserweiterung in der Gesetzesbegründung . . . . . . . (1) Unvereinbarkeit mit dem Gesetzeswortlaut . . . . . .

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Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung | § 9

IV. 1. 2. 3.

(2) Unvereinbarkeit mit dem Gesetzeszweck . . . . dd) Gebotene restriktive Auslegung . . . . . . . . . . b) Objektive Kenntnis – Kein Kennenmüssen aa) Keine spezifische Informations- bzw. Nachforschungspflicht . . . . . . . . bb) Keine Pflicht, die gesamte Lieferkette zu kennen . . . cc) Kein bewusstes Verschließen vor Kenntnis . . . . . . c) Maßgebliche Kenntnisträger . aa) Kenntnisnahme durch Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs der juristischen Person bzw. einen Einzelkaufmann . . . . . . . . . . . . . . bb) Zurechnung der Kenntnisnahme von Personen, die nicht Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs der juristischen Person sind bzw. von Mitarbeitern des Einzelkaufmanns . . . . . . . . . . cc) Zurechnung mangels ausreichender Organisation? Anpassung des Risikomanagements (Abs. 2 und 3) Regelungstechnik . . . . . . . . . . Zeitpunkt: Unverzüglich (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlegende Hindernisse und Herausforderungen . . . . . a) Mangelnde Kenntnis der Lieferkette . . . . . . . . . . . . . . aa) Hintergründe fehlender Transparenz der Lieferketten . . . . . . . . . . . . . . bb) Bemühungen aus der Praxis zur Erhöhung der Lieferkettentransparenz . cc) Einordnung aus staatlicher Sicht . . . . . . . . . . dd) Folgerungen für die Pflichtenlage/Opportunitätserwägungen . . . . . . .

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4.

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b) Mangelnde rechtliche Durchsetzungsmöglichkeit . . . . . . . Durchführung einer Risikoanalyse (Abs. 3 Nr. 1) a) Risikoanalyse bei Bezug der Information zu einem konkreten mittelbaren Zulieferer aa) Bezugspunkt und Umfang der Risikoanalyse . . . . . . bb) Durchführung der Risikoanalyse . . . . . . . . . . . . . (1) Bei Mitwirkungsbereitschaft des mittelbaren Zulieferers . . . . . . . . . . (2) Ohne Mitwirkungsbereitschaft des mittelbaren Zulieferers . . . . . . . . . . b) Risikoanalyse bei Vorliegen allgemeiner Informationen ohne konkreten Hinweis auf einen spezifischen mittelbaren Zulieferer . . . . . . . . . . Verankerung angemessener Präventionsmaßnahmen (Abs. 3 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis zur Durchführung der Risikoanalyse (Abs. 3 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ermessensspielraum und Relevanz der Beispiele . . . . . c) Gegenüber dem Verursacher . d) Durchführung von Kontrollmaßnahmen (Abs. 3 Nr. 2 Bsp. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Unterstützung bei der Vorbeugung und Vermeidung eines Risikos (Abs. 3 Nr. 2 Bsp. 2) . f) Umsetzung von branchenspezifischen oder -übergreifenden Initiativen (Abs. 3 Nr. 2 Bsp. 3) g) Sonstige . . . . . . . . . . . . . . . Erstellung und Umsetzung eines Konzepts zur Verhinderung, Beendigung und Minimierung (Abs. 3 Nr. 3) . . . . . . Aktualisierung der Grundsatzerklärung (Abs. 3 Nr. 4) . . . . . .

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7.

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V. Verordnungsermächtigung (Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung Literatur: Frank/Edel/Heine/Heine, Pionierarbeiten in der Lieferkette, BB 2021, 2165; Gehling/Ott/Lüneborg, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230; Schork/Schreier, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine Herausforderung (auch) für die deutsche Automobilindustrie, RAW 2021, 74; Stöbener de Mora/Noll, Grenzenlose Sorgfalt? – Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, Teil 1, NZG 2021, 1237; Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67.

I. Überblick 1. Normativer Hintergrund und Regelungszweck a) Diskussionspunkte im Gesetzgebungsverfahren 1 Die Reichweite von Sorgfaltspflichten zählt zu den umstrittensten Fragen der

Verantwortungsallokation in Wertschöpfungsketten. Im Gesetzgebungsverfahren zum LkSG wurde daher wirtschaftspolitisch besonders kontrovers diskutiert, ob bzw. in welchen Fällen die Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette auf sämtliche Vorstufen der Produktion („Tier 1+x“) erstreckt werden sollten: Insbesondere Verbände hatten wiederholt deutlich gemacht, dass eine Einbeziehung mittelbarer Zulieferer und erst recht der gesamten Wertschöpfungskette in die gesetzlichen Sorgfaltspflichten mangels hinreichender Transparenz und rechtlicher Durchsetzungsmöglichkeiten unterbleiben müsse.1 Jenseits des Bereichs der unmittelbaren Zulieferer solle die Bundesregierung „außerhalb der Gesetzgebung zusammen mit der Wirtschaft vielmehr an tragfähigen Lösungen arbeiten und existierende Branchen- und Multistakeholder-Initiativen unterstützen und fördern“2.

2 Andererseits beziehen sowohl die UNGP als auch der Entwurf der EU-Nach-

haltigkeitsrichtlinie (dazu Rz. 9) die gesamte Liefer- bzw. Wertschöpfungskette in die Sorgfaltspflichten ein. Die Vertreter eines robusten Lieferkettengesetzes forderten vor diesem Hintergrund ein entsprechendes Vorgehen auch in Deutschland.3 John G. Ruggie, der ehemalige stellvertretende UN-Generalsekre1 Vgl. etwa das Schreiben zahlreicher Verbände, u.a. des BDI, vom 25.3.2021, S. 3 (abrufbar im Internet unter https://bdi.eu/media/themenfelder/internationale_maerkte/down loads/20210325_Verbaendebrief_Sorgfaltspflichten_Lieferketten.pdf, zuletzt abgerufen am 19.3.2022). 2 Vgl. etwa das Schreiben zahlreicher Verbände, u.a. des BDI, vom 25.3.2021, S. 3 (abrufbar im Internet unter https://bdi.eu/media/themenfelder/internationale_maerkte/down loads/20210325_Verbaendebrief_Sorgfaltspflichten_Lieferketten.pdf, zuletzt abgerufen am 19.3.2022). 3 Vgl. etwa den im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gestellten, aber letztlich abgelehnten Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, § 9 LkSG zu streichen und die Pflichten auf Dritte zu erstrecken, auf die Einfluss ausgeübt werden kann, sowie die zugehörige Stellungnahme, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 25 f., 34: die komplette Sorgfaltspflicht sei nur für das erste Glied gegeben, nicht für die gesamte Lieferkette. Das ver-

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tär, UN-Sonderbeauftragte und Vater der UNGP warf in seinem offenen Brief vom 9.3.2021 an die damals zuständigen deutschen Minister den folgenden wesentlichen Kritikpunkt an der deutschen Lösung auf: „Obwohl der Gesetzentwurf den Begriff der Lieferkette breit definiert, um die gesamte Wertschöpfungskette einzubeziehen, gelten die spezifischen Unternehmenspflichten, Risiken proaktiv zu identifizieren und Gegenmaßnahmen zu ergreifen, nur für den eigenen Geschäftsbereich und unmittelbare Zulieferer – also für Tier1-Lieferanten. Im Gegensatz dazu decken die UNLP und OECD-Leitsätze das gesamte Akteursspektrum in der Wertschöpfungskette ab, und zwar aus dem einfachen Grund, dass Tier-1-Lieferanten in der Regel nicht die größte Problemquelle sind. Sicher kann dies je nach Branche variieren, aber für eine erhebliche Anzahl deutscher Unternehmen liegen hier nicht die schwerwiegendsten Risiken – zum Beispiel in der Schuh- und Bekleidungsindustrie, der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, bei Automobilbauteilen und anderswo. Eine ausschließliche Fokussierung auf Tier 1 würde dazu führen, dass sich Unternehmen auf Geschäftsbeziehungen konzentrieren, die mit geringerer Wahrscheinlichkeit signifikante Menschenrechtsrisiken aufweisen, während Unternehmen andere Beziehungen (über Tier 1 hinaus) ignorieren, in denen die Wahrscheinlichkeit solcher Risiken höher ist.“4 (Hervorhebungen durch uns). Trotz dieser vielfältigen und teilweise konträren Kritik hat sich der deutsche Ge- 3 setzgeber für ein nach (i) eigenem Geschäftsbereich, (ii) unmittelbaren Zulieferern, aber auch (iii) – bei sog. substantiierter Kenntnis von Risiken oder Verstößen – mittelbaren Zulieferern abgestuftes Pflichtenkorsett entschieden. Teile des Schrifttums heben zutreffend hervor, dass es sich hierbei um einen Kompromiss zwischen den beiden im Gesetzgebungsverfahren vertretenen Extrempositionen handele.5

stoße gegen die UN-Leitprinzipien. Die Hauptprobleme bestünden eher am Anfang der Lieferkette und nicht bei den unmittelbaren Zulieferern. Vgl. auch die Stellungnahme der Fraktion DIE LINKE, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 34: Die Wirksamkeit des Gesetzesentwurfs sei fraglich. Er habe viele Mängel. Dazu gehöre, dass nur direkte Zulieferer zu den Sorgfaltspflichten verpflichtet würden, statt proaktive risikobasierte Sorgfaltspflichten über die gesamte Wertschöpfungskette zu installieren. Vgl. etwa auch Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 14. 4 Vgl. das Schreiben von John G. Ruggie vom 9.3.2021 an Peter Altmaier, damals Bundesminister für Wirtschaft und Energie; Hubertus Heil, damals Bundesminister für Arbeit und Soziales sowie Gerd Müller, damals Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (abrufbar in deutscher Übersetzung im Internet unter https:// media.business-humanrights.org/media/documents/Brief_John_Ruggie_Lieferketten gesetz_09032021.pdf, zuletzt abgerufen am 19.3.2022). 5 Vgl. Nasse, RAW 2022, 3, 10.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung b) Zweck 4 Der Zweck der Ausdehnung der Sorgfaltspflichten auf mittelbare Zulieferer bei

Vorliegen substantiierter Kenntnis ist weitgehend identisch mit dem Zweck, den das LkSG als solches verfolgt: Das Gesetz dient dazu, die internationale Menschenrechtslage durch eine verantwortungsvolle Gestaltung der Lieferketten in der Bundesrepublik Deutschland ansässiger Unternehmen zu verbessern.6 Zum einen sollen die Rechte der von Unternehmensaktivitäten betroffenen Menschen in den Lieferketten gestärkt, zum anderen soll den legitimen Interessen der Unternehmen an Rechtssicherheit und fairen Wettbewerbsbedingungen Rechnung getragen werden.7 Der Gesetzgeber sah aufgrund der hohen Spannbreite unterschiedlicher Anforderungen, die deutsche Unternehmen gegenwärtig an ihre Zulieferer richten, politischen Handlungsbedarf, ordnend einzugreifen und einen gemeinsamen Rahmen zu schaffen.8 Zu dem vielfach erhobenen Vorwurf, das LkSG wälze an sich Staaten treffende Pflichten auf die Unternehmen ab, s. Einleitung Rz. 108 f. c) Deutliche Erweiterung im Vergleich zu den bisherigen ComplianceVorkehrungen gegenüber mittelbaren Zulieferern

5 Die neuen Pflichten im Verhältnis zu mittelbaren Zulieferern stellen jedenfalls

nach dem bisherigen deutschen Compliance-Verständnis ein Novum dar: Bei den nunmehr nach dem LkSG verpflichteten Unternehmen dürfte sich seit Bekanntwerden der Siemens-Korruptionsaffäre das Verständnis durchgesetzt haben, dass sie im eigenen Unternehmen die Einhaltung der jeweils geltenden rechtlichen Regeln durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen müssen. Hierzu dient vielfach die Einrichtung von Compliance Management Systemen. Da diese primär die Compliance im eigenen Unternehmen gewährleisten sollen, richten sie sich im Ausgangspunkt an die eigenen Beschäftigten.

6 Teilweise sind Unternehmen indes auch – unabhängig von den Vorgaben des

LkSG – bereits jetzt gesetzlich verpflichtet, den Compliance-Horizont über das eigene Unternehmen hinaus zu erweitern und eine Geschäftspartner-Due-Diligence durchzuführen. Beispiele sind die Know Your Customer-Prüfung durch Banken; die Geschäftspartner-Prüfpflichten nach §§ 10 ff. und 15 GwG sowie die Transparenzregisterpflichten nach §§ 19, 20 GwG. Manche Unternehmen führen bereits jetzt freiwillige Geschäftspartner-Prüfungen nach Maßgabe selbst gesetzter interner Vorgaben durch: Entweder ab bestimmten Bagatellschwellen, ausgerichtet an bestimmten Risikoindikatoren (Länder-; Branchen-; Transaktionsrisiken) oder bei Geschäftspartnergruppen wie etwa Vertriebsintermediären. Diese Third Party Due Diligence ist nach gegenwärtigem Verständnis indes stets auf den unmittelbaren Vertragspartner bzw. allenfalls auf von diesem eingesetzte Subunternehmer fokussiert. Es handelt sich um ein Präventionsinstrument, das sich weit überwiegend nicht auf mittelbare Zulieferer bzw. die 6 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 23. 7 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 23. 8 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 23.

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Lieferkette als solche erstreckt. Der Grund wird deutlich, wenn man sich die drei wesentlichen Zwecke dieser freiwilligen Geschäftspartnerprüfung vor Augen führt (vgl. demgegenüber die Zweckrichtung der Ausdehnung der Sorgfaltspflichten auf mittelbare Zulieferer nach dem LkSG unter Rz. 4): – Prävention im Rahmen des Compliance Managements, d.h. als Instrument zur Sicherung der Rechts- und Regelbefolgung des eigenen Unternehmens (Beispiel: Due Diligence eines Vertriebsagenten zur Verminderung von Korruptionsrisiken; Sanktions- und Embargolistenscreening) und damit zur Meidung von Bußgeldern, sonstigen Sanktionen sowie Schadensersatzansprüchen; – präventiver Schutz des eigenen Unternehmens gegen Schädigung und die damit verbundenen negativen Folgen (Beispiel: Due Diligence zu Vermeidung der Bestechung der eigenen Mitarbeiter); – präventiver Schutz der Reputation des eigenen Unternehmens (Beispiel: Due Diligence zu Vermeidung von öffentlichen Vorwürfen, durch die Geschäftsbeziehung mit dem Geschäftspartner unangemessene Arbeitsbedingungen gefördert zu haben). Innerhalb von Vertragsbeziehungen zu Geschäftspartnern bestand ursprünglich 7 ein starker Fokus auf Qualität. Vertragliche Regelungen waren daher insbesondere auf die Wahrung von Qualitätsstandards und die Sachmängelhaftung gerichtet. In der nächsten Entwicklungsphase ließ sich eine zunehmende Einbeziehung von Regelungen zu Spezial-Compliance-Risikofeldern wie Datenschutz, Geschäftsgeheimnisschutz, Arbeitssicherheit sowie Zoll und Exportkontrolle in Lieferantenverträgen beobachten. Nunmehr spiegelt sich auch der oben unter Rz. 6 dargestellte Trend zur Due Diligence von unmittelbaren Geschäftspartnern in entsprechenden vertraglichen Zusicherungen: In Lieferantenrahmenverträgen; Lieferanten-AGB bzw. Lieferverträgen finden sich zunehmend sog. Compliance-Klauseln, mit denen dem unmittelbaren Geschäftspartner die Einhaltung der (zumeist ohnehin für ihn maßgeblichen) Gesetze auferlegt werden soll. Erkennbar ist in den letzten Jahren zudem ein gewisser Trend zur vertraglichen Vereinbarung von ESG-Kontrollrechten, Kooperationspflichten und außerordentlichen Lösungsmöglichkeiten in Krisensituationen. Umstritten war vor Geltung des LkSG jedoch, ob dem Lieferanten vorgegeben werden kann, die für ihn geltenden gesetzlichen Verpflichtungen auch an Sublieferanten weiterzugeben.9 Lediglich Bemühensklauseln wurden überwiegend als zulässig angesehen.10 Hieraus ergibt sich, dass die künftig bei substantiierter Kenntnis bestehenden 8 Sorgfaltspflichten im Verhältnis zu mittelbaren Zulieferern dem deutschem Compliance-Verständnis – das zugegebenermaßen unter einem hohen Regelungsdefizit leidet – unbekannt sind und damit zu einer erheblichen Ausdehnung der gegenwärtigen Pflichtenlage von Unternehmen führen.11 Trotz der 9 Vgl. zum Ganzen A. Wilhelm, AcP 2021, 657, 665, 687 f. m.w.N. 10 Vgl. zum Ganzen A. Wilhelm, AcP 2021, 657, 665, 687 f. m.w.N. 11 Ekkenga/Erlemann, ZIP 2022, 49, 56 sprechen gar von „Monstrosität der praktischen Konsequenzen“.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung Geltung des Angemessenheitsgrundsatzes und des Ermessensspielraums, den der Gesetzgeber den Unternehmen bei der Wahl angemessener Präventionsmaßnahmen gegenüber mittelbaren Zulieferern zubilligt (dazu Rz. 76)12, ist bereits jetzt absehbar, dass Unternehmen in diesem Zusammenhang beträchtliche zusätzliche wirtschaftliche und personelle (interne und externe) Ressourcen werden einsetzen müssen. d) Geplante weitere Verschärfung auf europäischer Ebene 9 Noch deutlich weiter geht dagegen der am 23.2.2022 von der Europäischen Kom-

mission vorgelegte Entwurf einer europäischen Nachhaltigkeitsrichtlinie13: Während das deutsche Gesetz den eigenen Geschäftsbereich bis zum Werkstor des Kunden und die Lieferkette (upstream) regelt und nur bei Finanzdienstleistungen von besonderer Bedeutung eine Kundenprüfung vorsieht, erfasst der Richtlinienvorschlag auch unmittelbare oder mittelbare Geschäftsbeziehungen in den nachgelagerten Teilen der Wertschöpfungskette (downstream), also vor allem zu Kunden.14 Der Downstream-Bereich soll selbst das Recycling und die Entsorgung einschließen.15 Auslöser der Pflichten außerhalb der eigenen Unternehmensgruppe soll das Bestehen einer etablierten Geschäftsbeziehung („established business relationship“) sein.16 Diese definiert der Richtlinienvorschlag als eine mit Blick auf Intensität oder Dauer langfristige bzw. beständige Geschäftsbeziehung, die einen nicht vernachlässigbaren oder lediglich untergeordneten Teil der Wertschöpfungskette darstellt.17 Hierin liegt nur auf den ersten Blick eine deutliche Einschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie. Die Erwägungsgründe stellen insbesondere klar, dass alle nachgelagerten Glieder der Wertschöpfungskette als etablierte Geschäftsbeziehung gelten, wenn und weil die Geschäftsbeziehung zum unmittelbaren Vertragspartner dieser Definition unterfällt.18 2. Regelungstechnik des § 9 LkSG

10 Die in den §§ 3 ff. LkSG geregelten Sorgfaltspflichten beziehen sich teilweise auf

den eigenen Geschäftsbereich des verpflichteten Unternehmens, teilweise auf dessen unmittelbare Zulieferer, teilweise auf beide. Der Bezugspunkt ist in den jeweiligen Bestimmungen klar geregelt. Da mittelbare Zulieferer – anders als der eigene Geschäftsbereich und die unmittelbaren Zulieferer – nicht per se, sondern nur anlassabhängig dem Sorgfaltspflichtenregime unterfallen (dazu Rz. 3), ist der Gesetzgeber diesbezüglich von seiner üblichen Regelungstechnik abge12 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51. 13 Vgl. Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on Corporate Sustainability Due Diligence and amending Directive (EU) 2019/1937 vom 23.2.2022. 14 Vgl. Erw-Grund Nr. 18 sowie die Definition der Wertschöpfungskette in Art. 3 lit. g. 15 Vgl. etwa Art. 6 Abs. 1. 16 Vgl. Art. 3 lit. f. 17 Vgl. Erw-Grund Nr. 18 sowie die Definition der Wertschöpfungskette in Art. 3 lit. g. 18 Vgl. Erw-Grund Nr. 20.

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wichen und hat betreffend die mittelbaren Zulieferer mit § 9 LkSG eine eigene Bestimmung geschaffen. Diese enthält als eigenständigen materiellen Regelungsgehalt lediglich das pflichtenauslösende Moment und bedient sich darüber hinaus im Wesentlichen einer – mal mehr, mal minder stringent durchgehaltenen – Verweisungstechnik auf die §§ 4 bis 8 LkSG. Bemerkenswerterweise hat der Gesetzgeber derart beträchtlichen weiteren Ausdifferenzierungsbedarf gesehen, dass er dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales („BMAS“) eine Verordnungsermächtigung erteilt hat (dazu Rz. 94 ff.). Die FAQs, die eben dieses Ministerium zur Verfügung gestellt hat, befassen sich indes erst seit kurzem und lediglich punktuell mit der Rechtslage im Verhältnis zu mittelbaren Zulieferern.19 3. Begriff des mittelbaren Zulieferers Bezugspunkt von § 9 LkSG ist der mittelbare Zulieferer. Dieser ist in § 2 Abs. 8 11 LkSG legaldefiniert als Unternehmen, das (i) kein unmittelbarer Zulieferer ist und (ii) dessen Zulieferungen für die Herstellung des Produkts des Unternehmens oder zur Erbringung und Inanspruchnahme der betreffenden Dienstleistungen notwendig sind. Insbesondere aufgrund der gesetzgeberischen Konkretisierungen betreffend die Lieferkette stellen sich im Hinblick auf den Begriff des mittelbaren Zulieferers teils schwierige Abgrenzungsfragen. Zum näheren Inhalt der Definition kann auf die Kommentierung zu § 2 Abs. 8 LkSG verwiesen werden (dazu § 2 Rz. 376).

II. Beschwerdeverfahren (Abs. 1) Nach § 9 Abs. 1 LkSG muss das verpflichtete Unternehmen das Beschwerdever- 12 fahren nach § 8 LkSG so einrichten, dass es Personen auch ermöglicht, auf menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken sowie auf Verletzungen menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten hinzuweisen, die durch das wirtschaftliche Handeln eines mittelbaren Zulieferers entstanden sind. Damit erweitert § 9 Abs. 1 LkSG den Anwendungsbereich des Beschwerdeverfahrens nach § 8 LkSG in zweifacher Hinsicht: Zum einen können die meldeberechtigten Personen auch Beschäftigte oder sonstige Stakeholder eines mittelbaren Zulieferers des Unternehmens sein (s. dazu § 8 Rz. 24 f.).20 Zum anderen können sich die Meldeinhalte nicht lediglich auf das verpflichtete Unternehmen selbst bzw. dessen unmittelbare Zulieferer beziehen, sondern auch menschenrechts- bzw. umweltbezogene Risiken oder Verletzungen bei mittelbaren Zulieferern des verpflichteten Unternehmens betreffen (s. dazu § 8 Rz. 24 f.).21 19 Vgl. BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.12. und 13., abrufbar im Internet unter https:// www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unter nehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 20 Vgl. zum Ganzen auch Lüneborg, DB 2022, 375, 379. 21 Vgl. zum Ganzen auch Lüneborg, DB 2022, 375, 379 f.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung 13 Anders, als die sonstigen Pflichten im Zusammenhang mit mittelbaren Zuliefe-

rern, wie insbesondere das Risikomanagement, besteht die Pflicht zur Ausrichtung des Beschwerdeverfahrens auch auf mittelbare Zulieferer per se kraft Gesetzes und ist nicht von der Erlangung substantiierter Kenntnis von menschenrechts- oder umweltbezogenen Verstößen abhängig. Zum näheren Inhalt der Verpflichtung nach § 9 Abs. 1 LkSG kann auf die Kommentierung zu § 8 LkSG verwiesen werden.

III. Pflichtenauslösendes Moment: Substantiierte Kenntnis (Abs. 3 Satz 1) 1. Lediglich anlassbezogene Pflichten 14 Anders, als im Hinblick auf den eigenen Geschäftsbereich und die unmittel-

baren Zulieferer kommt die Pflicht zur Einrichtung eines Risikomanagements im Verhältnis zu mittelbaren Zulieferern nicht regelmäßig, sondern lediglich anlassbezogen zur Anwendung.22 Etwas anderes gilt nach der gesetzgeberischen Konzeption nur in Fällen, in denen ein Unternehmen eine missbräuchliche Gestaltung einer unmittelbaren Zuliefererbeziehung oder ein Umgehungsgeschäft vorgenommen hat, um die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten in Hinblick auf den unmittelbaren Zulieferer zu umgehen: In diesem Fall gilt ein mittelbarer als unmittelbarer Zulieferer (vgl. hierzu § 5 Rz. 41 ff.). Er muss daher insbesondere in die regelmäßige Risikoanalyse einbezogen werden und bei Vorliegen eines Verletzungstatbestands sind Abhilfemaßnahmen zu ergreifen (§§ 5 Abs. 1 Satz 2, 7 Abs. 1 Satz 2 LkSG; vgl. hierzu § 5 Rz. 41 ff. sowie § 7 Rz. 38). Eine missbräuchliche Gestaltung ist nur bei einer entsprechenden Zweck-Mittel-Relation gegeben, d.h., die Vertragsbeziehung muss bewusst auf Umgehung angelegt sein. Gegen einen Umgehungstatbestand spricht daher insbesondere, wenn die Vertragsbeziehung oder -struktur bereits vor Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens zum LkSG und den in diesem Zusammenhang geführten Diskussionen zu Umgehungssachverhalten bestand oder wenn eine systematische Vorgehensweise hinsichtlich von im Wesentlichen gleich gelagerten Konstellationen nicht erkennbar ist.

15 Tendenziell zweifelhaft ist, ob es vor dem Hintergrund des Anlassbezugs der

Pflichten gerechtfertigt erscheint, von „nur abgeschwächten Pflichten der Unternehmen“ zu sprechen.23 Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die Verweistechnik in § 9 Abs. 2 und 3 LkSG sichergestellt, dass die materielle Pflichtenlage derjenigen im Hinblick auf den eigenen Geschäftsbereich und die unmittelbaren Zulieferer jeden-

22 Einhellige Meinung, vgl. etwa Dutzi/Schneider/Hasenau, DK 2021, 454, 459. 23 So aber Schäfer, ZLR 2022, 22, 51; Stave/Velte, DB 2021, 1791, 1798 „schwächt die Sorgfaltspflicht … deutlich ab“; tendenziell ähnlich auch Jungkind/Raspé/Terbrack, DK 2021, 445, 448: „im Vergleich erheblich eingeschränkt“.

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falls im Grundsatz entspricht (s. dazu Rz. 10).24 Teile des Schrifttums gehen sogar davon aus, dass die gesetzessystematisch als Ausnahme geregelte Überprüfung mittelbarer Zulieferer der praktische Regelfall sein werde, da die pflichtenauslösende substantiierte Kenntnis bei global agierenden Unternehmen häufig gegeben sei.25 2. Substantiierte Kenntnis Die Sorgfaltspflichten werden bei substantiierter Kenntnis von einer möglichen 16 Verletzung einer geschützten Rechtsposition ausgelöst. Dies ist nach dem Gesetzeswortlaut der Fall, wenn dem Unternehmen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die eine Verletzung menschenrechts- oder umweltbezogener Pflichten bei mittelbaren Zulieferern möglich erscheinen lassen (vgl. § 9 Abs. 3 LkSG). In der Fassung des Referenten- und des Regierungsentwurfs war das Merkmal der substantiierten Kenntnis noch nicht legaldefiniert, sondern stellte ohne weitere Erläuterung das pflichtenauslösende Moment im Hinblick auf unmittelbare Zulieferer dar.26 Die Gesetzesbegründung27 enthielt bereits damals die Definition, die durch den Ausschuss für Arbeit und Soziales in die finale Gesetzesfassung übernommen wurde28. Als pflichtenauslösendes Moment ist der Begriff der substantiierten Kenntnis daher das maßgebliche Scharnier für die Pflichtenlage bezogen auf mittelbare Zulieferer. a) Bezugspunkt der substantiierten Kenntnis aa) Mögliche Quellen „tatsächlicher Anhaltspunkte“ Der Gesetzgeber hat die möglichen Quellen der tatsächlichen Anhaltspunkte für 17 menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken bei einem mittelbaren Zulieferer des verpflichteten Unternehmens nicht näher eingegrenzt. Die Gesetzesbegründung nennt beispielhaft die folgenden, naheliegenden Quellen: – Meldungen über den Beschwerdemechanismus nach §§ 8, 9 Abs. 1 LkSG29 – darüber hinaus ist beispielsweise eine Kontaktaufnahme mit dem Menschenrechtsbeauftragten, der Geschäftsleitung oder Mitgliedern einer Complianceoder Rechtsabteilung denkbar; 24 Im Ergebnis ebenso Ekkenga/Erlemann, ZIP 2022, 49, 56; Ehmann/Berg, GWR 2021, 287, 290. 25 Vgl. Seibt/Vesper-Gräske, CB 2021, 357, 360. 26 Vgl. zum RegE BT-Drucks. 19/28649, 14: „Erlangt das Unternehmen substantiierte Kenntnis über …“. 27 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 50. 28 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 42. 29 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 50; vgl. auch BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschen rechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/ faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022).

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung – „eigene Erkenntnisse“30 – hierunter können z.B. proaktive Recherchen des Menschenrechtsbeauftragten oder der Einkaufsabteilung zu einzelnen mittelbaren Zulieferern fallen oder Informationen, die das Unternehmen von proaktiv eingeschalteten externen Fachleuten, wie etwa auf Nachhaltigkeitsaspekte spezialisierten Beratungsunternehmen, Auditoren oder Zertifizierern (s. dazu Rz. 50 f., 67, 69) erhält; – die zuständige Behörde31: Insoweit kommen neben den Handreichungen des BAFA gem. § 20 LkSG32 beispielsweise öffentliche Warnmeldungen des BAFA oder gezielte Anweisungen oder Informationen des BAFA gegenüber dem verpflichteten Unternehmen in Betracht (vgl. §§ 14 f. LkSG). 18 Denkbar sind neben diesen in der Gesetzesbegründung benannten Informati-

onsquellen insbesondere noch die folgenden weiteren: – Hinweise unmittelbarer Zulieferer oder anderer Unternehmen, die von demselben mittelbaren Zulieferer sourcen; – Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen (s. dazu Rz. 28); – Informationsaustausch in Multistakeholder- oder Brancheninitiativen: Das BMAS hat hierzu in den FAQs zum LkSG jüngst präzisiert, bei Handreichungen, Falllisten und Datenbanken von Multistakeholder- oder Brancheninitiativen sei umso eher von einer substantiierten Kenntnis iSd. § 9 Abs. 3 LkSG auszugehen, je mehr die Informationen branchenweit verbreitet seien33; – Medienberichte. bb) Rezeption im Schrifttum

19 Trotz der maßgeblichen Bedeutung des Begriffs der substantiierten Kenntnis für

die Pflichtenlage in Bezug auf mittelbare Zulieferer übernehmen erstaunlich viele Stimmen in der Literatur die Legaldefinition im Gesetzestext und die Erläuterungen in der Gesetzesbegründung kritiklos und ohne weitere Auseinandersetzung oder Konkretisierung.34 Lediglich Teile des Schrifttums heben hervor, dass der Begriff der substantiierten Kenntnis problematisch ist und Unternehmen absehbar vor schwierige rechtliche und tatsächliche Abgrenzungsfragen 30 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 50. 31 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 50. 32 Vgl. auch BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https:// www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unter nehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 33 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 34 Vgl. nur Stave/Velte, DB 2021, 1791, 1798; Frank/Edel/Heine/Heine, BB 2021, 2165, 2169; R. Koch, MDR 2022, 1, 3; G. Wagner, ZIP 2021, 1095, 1100; Helck, BB 2021, 1603, 1606; Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2021, 399; Hembach, Praxisleitfaden LkSG, 1. Aufl. 2022, S. 119 f.

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stellen wird.35 Die Diskussion über die Auslegung des pflichtenauslösenden Moments scheint nach allem noch gänzlich am Anfang zu stehen. Dies mag auch daran liegen, dass die verpflichteten Unternehmen bei der Implementierung des LkSG naturgemäß die Umsetzung derjenigen Anforderungen priorisieren, die für sie ab 2023 unmittelbar geltendes Recht werden, d.h., die Sorgfaltspflichten im eigenen Geschäftsbereich sowie im Verhältnis zu den unmittelbaren Zulieferern. Weniger prioritär mag demgegenüber jedenfalls zunächst die Befassung mit der rein anlassbezogenen Pflichtenlage gegenüber mittelbaren Zulieferern erscheinen. cc) Zweifelhafte Begriffserweiterung in der Gesetzesbegründung Substantiiert soll die Kenntnis nach der Gesetzesbegründung sein, wenn dem 20 Unternehmen überprüfbare und ernst zu nehmende Informationen über eine mögliche menschenrechtliche oder umweltbezogene Verletzung vorliegen.36 Schwierige rechtliche Abgrenzungsfragen bestehen vor allem vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung bei genauer Betrachtung nicht auf mögliche Verletzungen abstellt, sondern bereits „Informationen über Risiken in einer bestimmten Region“ als kenntnisauslösendes Moment genügen lassen will.37 Die Gesetzesbegründung führt als Beispiele für derartige tatsächliche Anhaltspunkte an:38 – Berichte über die schlechte Menschenrechtslage in der Produktionsregion, – die Zugehörigkeit eines mittelbaren Zulieferers zu einer Branche mit besonderen menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken sowie – frühere Vorfälle beim mittelbaren Zulieferer. (1) Unvereinbarkeit mit dem Gesetzeswortlaut Eine enge Orientierung an der Gesetzesbegründung würde im Umkehrschluss 21 bedeuten, dass Unternehmen sich veranlasst sehen müssten, das volle Sorgfaltspflichtenprogramm bereits dann umzusetzen, wenn es in der Region, in welcher ein mittelbarer Zulieferer tätig ist, Berichte über die Verletzung von Menschenbzw. Umweltrechten gegeben hat. Ein solches Verständnis wäre indes mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar.39 Denn das Gesetz differenziert durch35 S. hierzu etwa Schäfer, ZLR 2022, 22, 51: „problematisch“; Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237; vgl. auch Jungkind/Raspé/Terbrack, DK 2021, 445, 448: „weiterhin auslegungsbedürftig“; Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 77: „ausgesprochen weit“; ähnlich Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 149; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 89 („bleibt erst recht offen, was das Gesetz unter einer ’substantiierten Kenntnis’ versteht“); Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 109 („in sich widersprüchlich“); Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2148 („unklar“). Vgl. auch die Stellungnahme des DAV, NZG 2021, 546, 552. 36 RegE BT-Drucks. 19/28649, 50. 37 RegE BT-Drucks. 19/28649, 50. 38 RegE BT-Drucks. 19/28649, 50. 39 Zweifel äußern auch Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 89 sowie der DAV, NZG 2021, 546, 552; vgl. auch Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung weg zwischen menschenrechts- und umweltbezogenen Risiken und einer Verletzung von menschenrechts- und umweltbezogenen Pflichten (vgl. etwa § 3 Abs. 1 LkSG; § 6 Abs. 1 vs. § 7 Abs. 1 LkSG). Anders als die Gesetzesbegründung handelt der Gesetzestext in § 9 Abs. 3 LkSG indes nicht von einem Risiko, sondern von der Möglichkeit einer Verletzung. Damit sind die Voraussetzungen nach dem Gesetzeswortlaut tendenziell enger. 22 Der Gesetzeswortlaut ist nach der allgemeinen Methodenlehre der grundsätzli-

che Maßstab jeder Gesetzesauslegung. Die sog. subjektive Theorie, die dem in der Gesetzesbegründung niedergelegten gesetzgeberischen Willen entscheidendes Gewicht beimisst, wird kaum noch vertreten.40 Vielmehr stellt die in Rechtsprechung und Literatur herrschende objektive Auffassung auf den Willen des Gesetzes, nicht des Gesetzgebers ab. Maßgeblich ist somit der im Gesetz selbst objektivierte Wille des Gesetzgebers.41 Das BVerfG bekennt sich ausdrücklich zur objektiven Theorie und nennt als Auslegungsmethoden für die Ermittlung des objektivierten Willens des Gesetzgebers den Wortlaut, die Systematik und den Telos eines Gesetzes.42 Auch der BGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Auslegung vorrangig an dem objektiven Sinn und Zweck des Gesetzes zu orientieren ist und durch Motive, die im Gesetzgebungsverfahren dargelegt wurden, im Gesetzeswortlaut aber keinen Ausdruck gefunden haben, nicht gebunden werden könne.43 Vor diesem Hintergrund darf bezweifelt wer40 Vgl. etwa Rüthers, JZ 2006, 53, 57 f.; Beling in Festgabe für Philipp Heck, Max Ruemelin, Arthur Benno Schmidt, 1931, S. 12; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1 Halbbd. 1, 15. Aufl. 1959/1960, § 54 II; Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 59; Regelsberger, Pandekten, Bd. 1, 1893, S. 143. 41 Vgl. nur Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 137; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 45. Aufl. 2021, Rz. 13; Eisele in Baumann/Weber/ Mitsch/Eisele, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 13. Aufl. 2021, § 7 Rz. 78. 42 BVerfG, NJW 1952, 737: „Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen erhaltenen Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können.“ Vgl. auch BVerfG, NVwZ 2012, 504, 505; BVerfG v. 7.12.2011 – IV ZR 50/11, NJW 2012, 376, 377. 43 BGH v. 21.2.1995 – KVR 4/94, ZIP 1995, 776 = NJW 1995, 1894, 1897; BGH v. 5.10.2017 – I ZR 172/16, GRUR 2017, 1281, 1285, jew. m.w.N. Ein viel diskutiertes Beispiel für einen Widerspruch zwischen der Gesetzesbegründung und dem Wortlaut, Telos und System des Gesetzes findet sich im Strafrecht bzgl. der Auslegung des Begriffs „gefährliches Werkzeug“ im Rahmen von §§ 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB. Die Gesetzesbegründung verweist zur Definition des Begriffes auf diejenige des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Der BGH beschreibt den Auslegungshinweis des Gesetzgebers als „nicht tauglich“ für die Beantwortung der Auslegungsfrage und räumt der Gesetzessystematik einen höheren Stellenwert ein, vgl. BGH v. 3.6.2008 – 3 StR 246/07, NJW 2008, 2861, 2862.

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den, dass die ausufernde Beschreibung der substantiierten Kenntnis in der Gesetzesbegründung vor einem Gericht Bestand haben wird. (2) Unvereinbarkeit mit dem Gesetzeszweck Die strikte Orientierung an der Gesetzesbegründung würde dazu führen, dass an- 23 gesichts zahlloser Länderberichte, Studien und Informationen über Fälle von Menschenrechtsverletzungen in aller Welt eine nicht mehr bestimmbare Anzahl mittelbarer Zulieferern aus einer Vielzahl von Ländern in das Risikomanagement einbezogen werden müsste.44 Dies gilt naturgemäß vor allem bei komplexen internationalen Lieferketten. Insbesondere ist damit zu rechnen, dass NGOs ihre – an sich hilfreiche – Berichterstattung zu menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken und Verstößen in bestimmten Regionen nicht nur intensivieren, sondern auch Unternehmen noch deutlicher und unmittelbarer darauf hinweisen werden. Schlimmer noch: Unternehmen wären beim Bezug von Rohstoffen und Waren aus Ländern, hinsichtlich derer allgemein bekannt ist, dass etwa ILO-Kernarbeitsnormen nicht eingehalten werden, stets „bösgläubig“. Eine Anknüpfung von bußgeldbewehrten Pflichten an abstrakte Berichte mit breit angelegtem regionalem Bezug scheint bereits mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nur schwerlich vereinbar. Es stünde auch dem gesetzgeberischen Grundkonzept lediglich anlassbezoge- 24 ner Pflichten im Verhältnis zu mittelbaren Zulieferern diametral entgegen. Die vom Gesetzgeber selbst angelegte deutliche Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern würde weitestgehend verwischt (s. dazu Rz. 14 f.).45 Ein solches Verständnis würde ferner nicht nur die ohnehin bereits bestehenden Rechtsunsicherheiten noch weiter erhöhen, sondern hätte für zahlreiche Unternehmen zur Folge, dass sie die Pflichten nicht mehr mit vertretbarem wirtschaftlichem und organisatorischem Aufwand umsetzen könnten und Wettbewerbsnachteile erheblich ins Gewicht fallen.46 Diese Erkenntnis könnte dazu führen, dass sich Unternehmen aus Regionen mit allgemein herausfordernder Menschenrechtslage zurückziehen („cut and run“), anstatt sich an Verbesserungsmaßnahmen aktiv zu beteiligen („stay and improve“).47 Unternehmen hätten folglich einen deutlichen Anreiz, ihre Lieferketten umzustrukturieren oder zu verkürzen.48 Die daraus resultierenden kontraproduktiven entwicklungspolitischen Konsequenzen hat der Gesetzgeber mit Sicherheit nicht beabsichtigt. Im Gegenteil läge in einem solchen Ergebnis ein fundamentaler 44 Im Ergebnis ebenso Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1237, 1242. 45 Vgl. auch Ehmann/Berg, GWR 2021, 287, 290: „… so wird die an und für sich klar angelegte Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern in gewissem Umfang illusorisch“; ebenso Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 149. Einen derartigen Schluss ziehen auch Seibt/Vesper-Gräske, CB 2021, 357, 360, die annehmen, die gesetzessystematische Ausnahme der Überprüfung mittelbarer Zulieferer werde zum praktischen Regelfall. 46 Im Ergebnis ebenso Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1237, 1242. 47 Im Ergebnis ebenso Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1237, 1242. 48 Im Ergebnis ebenso Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1237, 1242.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung Widerspruch zu dem Prinzip „Befähigung vor Rückzug“, welches den UNGP und dem LkSG zugrunde liegt (s. dazu Einleitung Rz. 14). dd) Gebotene restriktive Auslegung 25 Geboten ist daher ein restriktives Verständnis der substantiierten Kenntnis.49

Erforderlich sind tatsächliche Anhaltspunkte, die eine drohende oder eingetretene Verletzung menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten bei dem mittelbaren Zulieferer möglich erscheinen lassen.50 Ein abstrakter Bericht über die Verletzung von Menschen- bzw. Umweltrechten ist mithin gerade nicht ausreichend.51 Vielmehr müssen überprüfbare und ernst zu nehmende Informationen52 vorliegen, die eine Rechtsverletzung gerade auch bei dem betreffenden Zulieferer möglich erscheinen lassen:53 – Erforderlich sind erstens tatsächliche Anhaltspunkte, d.h. äußerlich erkennbare Umstände bzw. ein verifizierbarer Tatsachenkern54. Bloße Meinungen, Vermutungen oder Gerüchte reichen erkennbar nicht aus55, wie jüngst auch das BMAS bestätigt hat56. – Zweite Voraussetzung ist ein hinreichend konkreter Bezug zwischen dem Hinweis und einem individualisierten bzw. jedenfalls individualisierbaren mittelbaren Zulieferer des verpflichteten Unternehmens (zu den Individualisierungspflichten des verpflichteten Unternehmens, wenn lediglich die Produktklasse oder die Region, aber nicht der konkrete unmittelbare Zulieferer bekannt ist, vgl. Rz. 26 ff., 68).57

49 Vgl. bereits Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237. Im Ergebnis ebenso Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1237, 1242; a.A. Krebs, ZUR 2021, 394, 397: erweiternde Auslegung, um zu verhindern, dass die Front Runner-Unternehmen im Rahmen der Durchsetzung von Menschenrechten benachteiligt und diejenigen Unternehmen, die bewusst den „Kopf in den Sand stecken“, privilegiert werden. 50 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237. Tendenziell noch restriktiver Stöbener de Mora/Noll (NZG 2021, 1237, 1242), die fordern, Unternehmen müssten selbst valide individuelle Informationen zu einem konkreten Sachverhalt und damit eigene Kenntnis von der Verletzung einer bestimmten menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht bei einem bestimmten mittelbaren Zulieferer erhalten. 51 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237. 52 So auch die Formulierung in der Gesetzesbegründung, vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 50. 53 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237. 54 So auch das BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.12., abrufbar im Internet unter https:// www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unter nehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 55 Vgl. auch Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 2 Rz. 99. 56 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.12., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 57 Ebenso wohl Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1237, 1242; a.A. Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 2 Rz. 99.

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– Drittens ist ein restriktives Verständnis der Möglichkeit des Eintritts einer Verletzung erforderlich. Möglich i.S.v. nicht ausgeschlossen können menschenrechtliche und/oder umweltbezogene Verstöße hinsichtlich jedes Unternehmens weltweit sein. Dieses Verständnis würde wiederum zu einem vom Gesetzgeber nicht intendierten, ausufernden Anwendungsbereich der Sorgfaltspflichten betreffend mittelbare Zulieferer führen. Vor diesem Hintergrund muss sich die Kenntnis richtigerweise nicht auf Anhaltspunkte für lediglich abstrakt und allgemein mögliche Verletzungen beziehen, sondern es müssen vielmehr beleg- und belastbare Anhaltspunkte für konkret drohende oder bereits eingetretene Verletzungen vorliegen.58 Dem entspricht es, dass auch der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung hervorhebt, die Informationen müssten überprüfbar und ernst zu nehmen sein.59 Gesichert, offenkundig oder naheliegend muss die Verletzung dagegen nicht sein.60 Offen erscheint demgegenüber, ob sich die weitere Konkretisierung des BMAS in der Praxis tatsächlich durchsetzen wird, wonach „möglich“ auch Ereignisse sein sollen, deren Eintrittswahrscheinlichkeit unter 50 Prozent liege.61 – Die Anhaltspunkte müssen viertens aus einer glaubwürdigen Quelle stammen und glaubhaft geschildert sowie in sich widerspruchsfrei (schlüssig) sein.62 b) Objektive Kenntnis – Kein Kennenmüssen aa) Keine spezifische Informations- bzw. Nachforschungspflicht Bei dem verpflichteten Unternehmen muss tatsächlich substantiierte Kenntnis 26 vorliegen.63 Eine spezifische Informationsbeschaffungs- bzw. Nachforschungspflicht, deren Verletzung eine Kenntnisfiktion zur Folge haben könnte, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.64 Vielmehr ist das Erfordernis objektiver Kenntnis klar von einem Kennenmüssen abzugrenzen. Auch eine Analogie, die zur Gleichstellung substantiierter Kenntnis mit grob fahrlässiger Unkenntnis führen 58 Vgl. die Stellungnahme des DAV, NZG 2021, 546, 552. 59 RegE BT-Drucks. 19/28649, 50. 60 Vgl. auch Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 2 Rz. 99; vgl. auch BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https://www.csr-in-deutschland.de/ DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflich ten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 61 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 62 Vgl. auch Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 2 Rz. 113. 63 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237; ebenso im Ergebnis wohl Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 2 Rz. 104, wenn er annimmt, einem Veranstaltungsteilnehmer bei Konferenzen oder Workshops könne keine ununterbrochene – Kenntnis begründende – Aufmerksamkeit zugemutet werden. 64 Vgl. auch Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237; Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3079.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung würde, scheidet angesichts des Gesetzeswortlauts und der Begründung aus65. Denn in Bezug auf mittelbare Zulieferer setzt das Gesetz die Einführung eines Informations- und/oder Überwachungssystems, das auch die Weiterleitung von Informationen über menschen- oder umweltrechtliche Risiken bei mittelbaren Zulieferern einschließt, gerade nicht voraus.66 Vielmehr beschränkt der Gesetzeswortlaut die Pflichtenlage klar auf den Zeitpunkt, ab dem dem verpflichteten Unternehmen entsprechende Anhaltspunkte für Verletzungen einer menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Pflicht vorliegen („Liegen einem Unternehmen tatsächliche Anhaltspunkte vor …“). Damit lässt das Gesetz zwar die Informationsquelle gänzlich offen, statuiert andererseits aber keine Pflicht, proaktiv nach derartigen Anhaltspunkten zu forschen. bb) Keine Pflicht, die gesamte Lieferkette zu kennen 27 Aus dem Gesetz ist insbesondere nicht die Pflicht ableitbar, sämtliche mittel-

baren Zulieferer zu kennen (dazu ausführlich unter Rz. 54 f.).67 Ist dem verpflichteten Unternehmen nicht bekannt, aus welcher Region und von welchem mittelbaren Zulieferer bestimmte Produktkomponenten stammen, sieht das Gesetz keine Pflicht zur weiteren Aufklärung vor. Gleiches gilt, wenn das Unternehmen zwar Kenntnis hat, aus welcher Region etwa ein Rohstoff stammt, aber nicht bekannt ist, von welchem mittelbaren Zulieferer seine unmittelbaren Zulieferer die Rohstoffe beziehen. Demgegenüber werden weitere Nachforschungspflichten in der Regel ausgelöst, wenn der Name des mittelbaren Zulieferers zwar nicht positiv bestätigt ist, aber die dem verpflichteten Unternehmen vorliegenden Informationen kaum einen anderen Schluss zulassen, als dass es z.B. Rohstoffe von dem Zulieferbetrieb bezieht, der in der Presse als Unternehmen beschrieben wird, in dem unter menschenverachtenden Arbeitsbedingungen gefertigt werde (Rz. 68 f.). Diese Sichtweise scheint auch das BMAS zu teilen: In den FAQs heißt es dazu, die Informationen müssten zwar nicht bereits an sich die Verortung der Verletzung bei einem Zulieferer erkennen lassen.68 Die Verortung des Risikos in der eigenen Lieferkette müsse vielmehr anhand in der Branche anerkannter Methoden mit zumutbaren Bemühungen zumindest möglich sein. Hinsichtlich der Zumutbarkeit stellt das BMAS auf die Gesamtumstände und dabei ausdrücklich insbesondere auf den Grundsatz der Angemessenheit 65 Ebenso Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 89 f. Krebs (ZUR 2021, 394, 397) erachtet einen derartigen Analogieschluss demgegenüber jedenfalls für erwägenswert; noch weitergehend Nasse (RAW 2022, 3, 10), die das Kriterium fahrlässiger Unkenntnis bereits in der Gesetzesbegründung verankert zu sehen meint. 66 Anders wohl Nietsch/Wiedmann (CCZ 2021, 101, 108), die annehmen, jedes Unternehmen müsse „Vorsorge dafür treffen, dass es Kenntnis von jeglichen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken entlang seiner unzähligen Lieferketten erlangt“. 67 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237. 68 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022).

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ab.69 Je mehr sich ein Verdacht konkretisiert habe, desto höher sei der bei der weiteren Verortung zumutbare Aufwand.70 Es komme auf den objektiv-normativen Verständnishorizont an.71 In diesem Zusammenhang formuliert das BMAS die Leitfrage, ob ein mit den Sorgfaltspflichten betrauter und durchschnittlich erfahrener und verständiger Mitarbeiter, in dessen Unternehmen das Risikomanagement entsprechend den gesetzlichen Vorgaben organisiert ist, eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende Verletzung in der Lieferkette für möglich halten würde.72 cc) Kein bewusstes Verschließen vor Kenntnis Umgekehrt wird sich ein Unternehmen seinen Pflichten auch nicht dadurch 28 entziehen können, dass es sich der Kenntnisnahme bewusst verschließt.73 In diese Richtung ist wohl auch die Definition des BMAS zu interpretieren, wonach es genüge, dass die Anhaltspunkte vorlägen, also so in den Herrschaftsbereich des Unternehmens gelangt seien, sodass sie ohne Weiteres zur Kenntnis genommen werden könnten.74 Hierdurch dürfte auch die im Schrifttum geäußerte Kritik, dass das LkSG zu falschen Anreizen führe, indem es Unternehmen privilegiere, die „den Kopf in den Sand steckten“ und diejenigen, die als Front Runner für die Durchsetzung von Menschenrechten proaktiv tiefergehende Risikoanalysen durchführten, mit weiteren Pflichten belege, weitgehend entkräftet werden.75 Vielmehr ist damit zu rechnen, dass NGOs Unternehmen künftig unmissverständlich auf Menschenrechts- und Umweltrisiken in ihrer Lieferkette hinweisen und damit die substantiierte Kenntnis begründen werden.76 Im Schrifttum findet sich in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass NGOs Unternehmen künftig „per Massenverbreitung ungeprüfter Verdachtsund Skandalmeldungen unter Handlungsdruck“ setzen könnten.77 Obwohl ein 69 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 70 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 71 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 72 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 73 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237; ebenso im Ergebnis Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 2 Rz. 111. 74 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 75 Vgl. Krebs, ZUR 2021, 394, 397; zustimmend Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 89. 76 Vgl. Ekkenga/Erlemann, ZIP 2022, 49, 56. 77 Vgl. Ekkenga/Erlemann, ZIP 2022, 49, 56.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung derart induzierter Handlungsdruck nicht von der Hand zu weisen ist, dürfte er sich jedenfalls in einem ersten Schritt auf angemessene Aufklärungsmaßnahmen hinsichtlich des objektiven Wahrheitsgehalts der Information und eine Risikoanalyse der Betroffenheit der eigenen Lieferkette beschränken (s. dazu Rz. 68 f.). Auch die Handreichungen des BAFA nach § 20 LkSG und ein Ausnutzen der Verordnungsermächtigung nach § 9 Abs. 4 LkSG (s. dazu Rz. 94 ff.) dürften ein nicht sanktioniertes Wegsehen bzw. Ignorieren relevanter Anhaltspunkte künftig erschweren.78 29 Um sicherzustellen, dass Unternehmen einerseits Berichten von anerkannten

NGOs bzw. sonstigen Organisationen, die Menschenrechts- oder Umweltverstöße nach gängigen Standards verfolgen, hinreichendes Gewicht beimessen und andererseits nicht jede bereits im Rahmen der Eingangsprüfung eher unplausibel erscheinende Information weiterverfolgen müssen, würde es sich empfehlen, dass das BMAS als zuständiges Bundesministerium bzw. das BAFA als zuständige Behörde eine Liste anerkannter Informationsquellen veröffentlicht und gleichzeitig weitere Hinweise dazu zur Verfügung stellt, wie detailliert die Anhaltspunkte jeweils sein müssen, um bei Unternehmen die pflichtenauslösende substantiierte Kenntnis zu begründen. Anleihe könnten BMAS bzw. BAFA insoweit bei der als Orientierung dienenden Liste maßgeblicher und verlässlicher, allgemein zugänglicher Informationsquellen nehmen, die die EU-Kommission Unternehmen im Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-Konfliktmineralienverordnung zur Verfügung gestellt hat.79 Bislang äußert das BMAS in den FAQs lediglich pauschal, Medienberichte, Berichte von NGOs und Meldungen im Internet lägen Unternehmen in einer Kenntnis begründenden Weise vor, wenn sie offenkundig – weil branchenweit bekannt – seien, oder dem Unternehmen übermittelt würden.80 Bei Handreichungen, Falllisten und Datenbanken von Multistakeholder- oder Brancheninitiativen sei umso eher von einer substantiierten Kenntnis auszugehen, je mehr die Informationen branchenweit verbreitet seien.81 Eine weitere Konkretisierung erscheint wünschenswert.

78 Im Ergebnis ebenso Nasse, RAW 2022, 3, 10. 79 Vgl. Empfehlung (EU) 2018/1149 der EU-Kommission vom 10.8.2018 zu unverbindlichen Leitlinien für die Ermittlung von Konflikt- und Hochrisikogebieten und sonstigen Lieferkettenrisiken gemäß der Verordnung (EU) 2017/821 des Europäischen Parlaments und des Rates, Ziff. 4.2. (abrufbar im Internet unter https://eur-lex.europa.eu/ legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32018H1149&from=SL#:~:text=ZIEL%20DIE SER%20LEITLINIEN&text=Januar%202021.,und%20Hochrisikogebieten%20beziehen% 2C%20zu%20sorgen., zuletzt abgerufen am 19.3.2022). 80 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 81 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022).

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c) Maßgebliche Kenntnisträger Substantiierte Kenntnis von verdachtsbegründenden Tatsaschen kann nicht be- 30 reits vorliegen, wenn diese allgemein zur Kenntnis genommen werden könnten.82 Erforderlich ist vielmehr die tatsächliche Kenntnisnahme durch das Unternehmen selbst.83 Das Gesetz trifft keine Aussage dazu, wessen Kenntnis im Unternehmen maßgeblich ist. Diese Frage ist auch in anderen, vergleichbaren Konstellationen ebenso relevant wie umstritten.84 Im Zusammenhang mit § 9 Abs. 3 LkSG haben sich bislang erstaunlich wenige Stimmen im Schrifttum mit dieser überaus praxisrelevanten Problematik auseinandergesetzt.85 Unklar ist in diesem Zusammenhang auch der ersichtlich verkürzte Hinweis des BMAS, es gälten die Grundsätze der Wissenszurechnung und die Grundsätze der Wissenszusammenrechnung im Konzern.86 Ohne Bezug zum LkSG wird in Rechtsprechung und Schrifttum seit Jahrzehnten 31 eine facettenreiche und durch die sog. Diesel-Affäre neu entfachte Diskussion zu einer möglichen Kenntniszurechnung bzw. -zusammenrechnung in entsprechender Anwendung des § 166 BGB, des § 31 BGB oder des § 278 BGB geführt.87 Im Hinblick auf eine mögliche Übertragbarkeit dieser Diskussion auf § 9 Abs. 3 LkSG ist indes zu beachten, dass sie auf Anwendungsfälle einer vertraglichen oder deliktischen Haftung fokussiert ist. Ein derartiger haftungsrechtlicher Kontext ist bei § 9 Abs. 3 LkSG nicht gegeben. Vielmehr ist die substantiierte Kenntnis als pflichtenauslösendes Moment zu verstehen. Bei genauer Betrachtung hat der Gesetzgeber damit das System, das zahlreiche Güterhändler an der Frage verzweifeln lässt, wann sie sich im Anwendungsbereich der Due Diligence-Pflichten nach §§ 10, 15 GwG befinden, ohne Auseinandersetzung mit den erheblichen praktischen Hürden für Unternehmen in das LkSG übernommen.88 Im GwG wie im LkSG löst das fehlende Tätigwerden trotz später 82 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237. Vgl. zu der parallelen Problematik hinsichtlich der im Bereich der Geldwäscheprävention nach §§ 10, 15 GwG geschuldeten Sorgfaltspflichten und der Pflicht zur Erstattung einer Geldwäscheverdachtsmitteilung nach § 43 GwG, Gehling/Lüneborg, NZG 2020, 1164, 1167 ff.; vgl. Gehling/Lüneborg in Busch/Hoven/Pieth/Rübenstahl, Antikorruptions-Compliance, 1. Aufl. 2020, 31. Kap. Rz. 10 ff. sowie Liebscher, ZIP 2019, 1837, 1848 f. mit Bezug zur Wissenszurechnung beim Emittenten im Hinblick auf dessen Haftung wegen Missachtung der Ad hoc-Publizitätspflicht. 83 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237. 84 Vgl. etwa Gehling/Lüneborg, NZG 2020, 1164, 1167 ff. zur Parallelproblematik im Zusammenhang mit den Sorgfaltspflichten im Geldwäschebereich. 85 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237; Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 2 Rz. 103 ff. 86 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.12., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 87 Vgl. zum gegenwärtigen Diskussionsstand Altmeppen, NJW 2020, 2833; Armbrüster/ Kosich, ZIP 2020, 1494; Freyler, BB 2021, 2178. 88 Vgl. dazu Gehling/Lüneborg, NZG 2020, 1164, 1167 ff.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung nachgewiesener Kenntnis – anders als z.B. bei fehlender Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung trotz Kenntnis einer veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation89 – keine Haftung, sondern allenfalls ein Bußgeld infolge einer Ordnungswidrigkeit aus. Im GwG ist der Kausalzusammenhang zwischen pflichtenauslösender Kenntnis, Missachtung der daraus resultierenden Sorgfaltspflichten und Verwirkung eines Ordnungswidrigkeitentatbestands indes noch enger als hinsichtlich der Pflichten nach § 9 Abs. 2 und 3 LkSG. Letztere betreffen nicht den unmittelbaren Geschäftspartner, sondern einen mittelbaren Zulieferer. Daher hat der Gesetzgeber die Pflichten auf das Angemessene und rechtlich Mögliche beschränkt. Vor diesem Hintergrund sprechen überzeugende Gründe dafür, die Auslegung der Kenntnisbegründung an der für Ordnungswidrigkeiten geltenden Zurechnungsvorschrift des § 30 OWiG zu orientieren.90 aa) Kenntnisnahme durch Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs der juristischen Person bzw. einen Einzelkaufmann 32 Ist das verpflichtete Unternehmen ein Einzelkaufmann, kommt es auf seine ei-

gene Kenntnis an.

33 Juristische Personen können dagegen nicht selbst substantiierte Kenntnis von

den Anhaltspunkten für menschenrechts- oder umweltbezogene Verstöße nehmen. Nach der Rechtsprechung des BGH obliegt die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten dem gesetzlichen Vertretungsorgan der juristischen Person. Dieses muss dafür sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (Legalitätspflicht).91 Setzt die gesetzliche Pflicht voraus, dass verdachtsbegründende Tatsachen zu Kenntnis genommen werden müssen, muss die Kenntnis bei einem Mitglied des vertretungsberechtigten Organs vorliegen. Für bußgeldbewehrte Verhaltenspflichten wird dies durch die Zurechnungsvorschrift des § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 OWiG bestätigt. An die Stelle des Einzelkaufmanns treten bei einer juristischen Person die Mitglieder des nach Gesetz und Satzung bzw. Gesellschaftsvertrag vertretungsberechtigten Organs bzw. der vertretungsberechtigte Gesellschafter. Eine Zusammenrechnung der Kenntnis mehrerer Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs bzw. mehrerer vertretungsberechtigter Gesellschafter kommt nicht in Betracht.92

89 Vgl. hierzu Gehling/Lüneborg in Busch/Hoven/Pieth/Rübenstahl, AntikorruptionsCompliance, 1. Aufl. 2020, 31. Kap. Rz. 10 ff. sowie Liebscher, ZIP 2019, 1837, 1848 f. 90 Vgl. dazu bereits Gehling/Lüneborg, NZG 2020, 1164, 1167 ff. zur Parallelproblematik im Zusammenhang mit den Sorgfaltspflichten im Geldwäschebereich. 91 Vgl. BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 375 = DB 1996, 2483 = ZIP 1996, 2017; BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 Rz. 38 = DB 2008, 1423 = ZIP 2008, 1232; BGH v. 13.9.2010 – 1 StR 220/09, ZIP 2010, 2239 = NJW 2011, 88 Rz. 37; BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, DB 2012, 1799 = ZIP 2012, 1552 = NJW 2012, 3439 Rz. 22. 92 Ebenso zur parallelen Problematik im Rahmen von Art. 17 MAR Koch, AG 2019, 273, 274 ff.; Thomale, NZG 2018, 1007, 1010 ff. (zu §§ 97 f. WpHG); Liebscher, ZIP 2019, 1837, 1848 f.

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Denn die verdachtsbegründenden Tatsachen liegen der unter dem LkSG verpflichteten juristischen Person erst vor, wenn eine einzelne natürliche Person von ihnen so Kenntnis genommen hat, dass sie die daran anknüpfenden gesetzlichen Pflichten erfüllen kann. bb) Zurechnung der Kenntnisnahme von Personen, die nicht Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs der juristischen Person sind bzw. von Mitarbeitern des Einzelkaufmanns Nach § 30 Abs. 1 OWiG ist dem Verband das Verhalten von Dritten unter zwei 34 Voraussetzungen zuzurechnen: Die Person muss – unter den Personenkatalog des § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 OWiG fallen und – eine Pflicht verletzt haben, welche die juristische Person trifft. Unter den Personenkatalog fallen Generalbevollmächtigte, Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte in leitender Stellung und – als Auffang- und Generalklausel – sämtliche mit der Leitung des Betriebs oder Unternehmens betrauten Personen. Im Gegenschluss ergibt sich aus § 30 Abs. 1 OWiG, dass jenseits der katalogmäßig genannten Personen eine allgemeine Verhaltenszurechnung von Mitarbeitern des Unternehmens nicht stattfindet. Da die Pflichten nach dem LkSG dem verpflichteten Unternehmen obliegen, ist die zweite Voraussetzung stets gegeben. Eine Beurteilung des Personenkreises, dessen Kenntnis der verpflichteten juristi- 35 schen Person zuzurechnen ist, ist im Einzelfall vorzunehmen. Hierbei gelten die folgenden Grundsätze: – Zuzurechnen ist die Kenntnis von Personen, die nicht formal die Stellung eines Mitglieds des vertretungsberechtigten Organs oder eines Generalbevollmächtigten haben, aber faktisch Leitungsverantwortung wahrnehmen. Zu unterscheiden ist zwischen zwei Gruppen von mit der Leitung betrauten Personen: Zum einen sind Personen mit der Leitung betraut, die – ähnlich den Mitgliedern eines vertretungsberechtigten Organs oder eines Generalbevollmächtigten – umfassende Leitungsverantwortung für das Unternehmen oder einen Betrieb tragen, zum anderen Personen, die sektorspezifische Leitungsverantwortung wahrnehmen. Das Verhalten der erstgenannten Personengruppe ist dem Verband immer zuzurechnen, das Verhalten der letztgenannten Personengruppe nur dann, wenn sie Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, in dem ihnen zur Wahrnehmung von Leitungsverantwortung übertragenen Aufgabenbereich verletzt. – Zur ersten Gruppe ist bei richtiger Beurteilung regelmäßig nur die Leitungsebene unmittelbar unter dem Vertretungsorgan der juristischen Person zu rechnen, also bei Zugrundelegung einer gängigen Hierarchiestufung etwa der Leiter Einkauf und der Leiter der Rechtsabteilung. – Zur zweiten Gruppe dürften die für die Einhaltung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette zuständigen Mitarbeiter zählen, also etwa der Menschenrechtsbeauftragte; die für das Beschwerdeverfahren nach §§ 8, 9 Lüneborg

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung Abs. 1 LkSG zuständigen Personen; ein Chief Compliance Officer oder Leiter bzw. Mitarbeiter einer Sustainability- und/oder Environment-Abteilung bzw. der Einkaufsabteilung. – § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG stellt klar, dass Leitung eines Unternehmens oder Betriebs auch „die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung“ einschließt. Danach ist der juristischen Person auch das Verhalten eines Aufsichtsrats oder eines anderen Kontrollgremiums oder derjenigen zuzurechnen, die in der juristischen Person, etwa als Menschenrechtsbeauftragter, als Chief Compliance Officer oder als Leiter der Revisionsabteilung, Kontrollaufgaben in leitender Stellung ausüben. Eine Zurechnung der Kenntnis externer Dritter, wie etwa Auditoren und Zertifizierer, die der sie beauftragenden verpflichteten Gesellschaft Erkenntnisse über Missstände verschweigen, erscheint demgegenüber kaum begründbar.93 – Bei verpflichteten Gruppengesellschaften kommt die Kenntniszurechnung nur dann und deswegen in Betracht, wenn und weil sie auf die Einrichtung eines eigenen Risikomanagements nach § 4 LkSG und/oder eines eigenen Beschwerdemechanismus nach §§ 8, 9 LkSG verzichtet haben (zur Zulässigkeit der Einrichtung eines gruppenweiten Beschwerdeverfahrens vgl. § 8 Rz. 7 ff.) und diese Aufgaben im Konzern zentral wahrgenommen werden. 36 Für den Einzelkaufmann ist die Rechtslage anders als für eine juristische Per-

son: Nur, wenn ihn selbst ein Schuldvorwurf trifft, ist er für die Verletzung der gesetzlichen Pflichten aus dem Vorliegen von verdachtsbegründenden Tatsachen verantwortlich. Es gibt weder im LkSG noch im OWiG eine Vorschrift, nach der ihm das Verhalten von Dritten zugerechnet wird.

37 Im Ergebnis entspricht der Personenkreis, der nach hier vertretener Auffassung

im Unternehmen maßgeblicher Kenntnisträger sein kann (s. dazu Rz. 32 ff.), im Wesentlichen demjenigen, zu dem eine Anwendung der Rechtsfigur des Wissensvertreters in entsprechender Anwendung des § 166 BGB führen würde. Hiernach ist Wissensvertreter, wer nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie ggf. weiterzuleiten.94 Hieraus schließt Grabosch – insoweit zutreffend, wenn auch zu restriktiv, da jedenfalls die für den Beschwerdemechanismus zuständige Stelle ebenfalls erfasst sein muss,dass von einer Kenntniserlangung spätestens dann auszugehen sei, wenn „Informationen so in den Zuständigkeitsbereich der nach § 4 Abs. 2 Satz 1 LkSG95 benannten Stelle gelangt sind, dass diese die Bedeutung der Informationen erkennen konnte“96. 93 So aber Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 2 Rz. 105, wenngleich ohne nähere Begründung. 94 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 2 Rz. 103. 95 Gemeint ist wohl § 4 Abs. 3 LkSG. 96 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 2 Rz. 104.

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Auch er kommt zu dem Schluss, dass die Benachrichtigung „beliebiger, unzuständiger Mitarbeiter, zu deren Aufgabenbereich weder die Pflichten des LkSG noch der konkret gegenständliche Geschäftsvorgang gehören“97, keine Kenntnisnahme begründet. In dieselbe Richtung geht auch die von dem BMAS für maßgeblich erklärte Leitfrage, ob ein mit den Sorgfaltspflichten betrauter und durchschnittlich erfahrener und verständiger Mitarbeiter, in dessen Unternehmen das Risikomanagement entsprechend den gesetzlichen Vorgaben organisiert ist, eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende Verletzung in der Lieferkette für möglich halten würde.98 cc) Zurechnung mangels ausreichender Organisation? Nicht geklärt ist, ob das verpflichtete Unternehmen – gleich ob Einzelkaufmann 38 oder juristische Person – die pflichtenauslösende substantiierte Kenntnis auch aufweist, wenn zwar nicht eine der maßgeblichen Personen (s. dazu Rz. 32 ff.) tatsächliche Kenntnis hat, die Informationen dem verpflichteten Unternehmen aber bei einer ordnungsgemäßen internen Organisation zu Kenntnis gelangt wären.99 Der BGH hat eine derartige Wissenszurechnung – innerhalb enger sachlicher und zeitlicher Grenzen – insbesondere im Bereich der Arglist zugelassen.100 Er setzt voraus, dass Unternehmen so organisiert sind, dass Informationen, deren Relevanz für andere Personen innerhalb dieser Organisation bei den konkret Wissenden erkennbar ist, tatsächlich an jene Personen weitergegeben werden (Informationsweiterleitungspflicht). Umgekehrt müsse sichergestellt sein, dass ggf. nach erkennbar anderswo innerhalb der Organisation vorhandenen und für den eigenen Bereich wesentlichen Informationen gefragt werde (Informationsabfragepflicht).101 Das Schrifttum setzt sich soweit ersichtlich nicht mit der Anwendbarkeit dieses Konzepts auf § 9 Abs. 2 und 3 LkSG auseinander.102 Bei genauer Betrachtung kann das dogmatische Konstrukt der Wissenszurech- 39 nung kraft unzureichender Organisation im hiesigen Fall nicht zu einer weiterreichenden Zurechnung führen, als ohnehin bereits nach allgemeinen Grund97 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 2 Rz. 104. 98 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022). 99 Im Hinblick auf die Ad-hoc-Publizitätspflicht diskutiert das Schrifttum erneut eine parallele Problematik. Eine Mindermeinung geht von einer Zurechnung kraft weitgehender Wissensorganisationspflichten („Such-, Verifizierungs-, Weiterleitungs- und Analysepflichten“) aus, vgl. Klöhn in Klöhn, 2018, Art. 17 Rz. 115; Kumpan/Misterek, ZBB 2020, 10, 16. 100 BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, DB 1996, 1669 = ZIP 1996, 548 = NJW 1996, 1339, 1341. 101 BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, DB 1996, 1669 = ZIP 1996, 548 = NJW 1996, 1339, 1341. 102 Lediglich referierend ohne konkrete Schlussfolgerung Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 2 Rz. 106 ff.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung sätzen geboten (dazu Rz. 32 ff.): Eine Wissenszu- und -zusammenrechnung auf Basis unzureichender Organisation würde zunächst die Wortlautgrenze von § 9 Abs. LkSG überschreiten. Pflichtenauslösende Informationen liegen dem verpflichteten Unternehmen schon nach dem Wortsinn erst vor, wenn es sie selbst zur Kenntnis genommen hat (vgl. bereits Rz. 30). Das ist gerade noch nicht der Fall, wenn sie den maßgeblichen Personen (s. dazu Rz. 32 ff.) durch Weitergabe im Unternehmen hätten zur Kenntnis gelangen können.103 40 Allerdings ist das Unternehmen nach §§ 4 Abs. 1, 9 Abs. 2 LkSG zur Einrich-

tung eines angemessenen und wirksamen Risikomanagements zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten verpflichtet. Als wirksam bezeichnet der Gesetzgeber unter anderen Maßnahmen, die es ermöglichen, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken zu erkennen (§ 4 Abs. 2 LkSG). Das Gesetz verpflichtet Unternehmen weiter, Zuständigkeiten für die Überwachung des Risikomanagements festzulegen und einen Beschwerdemechanismus zu etablieren (§§ 4 Abs. 3, 8, 9 Abs. 1 LkSG). Stellt die Unternehmensleitung nicht hinreichend organisatorisch sicher, dass die hierfür Zuständigen zum einen relevante Informationen erforderlichenfalls weiterleiten und zum anderen ggf. zusätzliche Informationen bei anderen spezialisierten Abteilungen oder Beschäftigten abfragen, liegt eine Verletzung der Pflicht zur Einrichtung eines ordnungsgemäßen Risikomanagements nahe. Wissenssilos dürfen sich bei diesem Personenkreis gerade nicht bilden. Auch das BMAS verweist auf die Organisationspflicht einschließlich effektiver Verarbeitung von Informationen iSd. §§ 4 Abs. 3 S. 2 und 5 Abs. 3 LkSG.104 Eine Kenntniszurechnung kraft unzureichender Organisation ist indes nicht erforderlich, da der Geschäftsleitung bzw. dem verpflichteten Unternehmen beispielsweise die Kenntnis des Menschenrechtsbeauftragten über Kinderarbeit bei einem bestimmten mittelbaren Zulieferer ohnehin zuzurechnen wäre (dazu Rz. 35). Erhält demgegenüber z.B. der Pförtner eine E-Mail mit dem Betreff „Hinweise auf Zwangsarbeit bei Zulieferer X“ und löscht er sie, weil er Spam oder einen Virus befürchtet, scheidet eine Wissenszurechnung nach allen Grundsätzen aus: Von einem Unternehmen kann nicht verlangt werden, organisatorisch sicherzustellen, dass auch Beschäftigte, die nicht bestimmungsgemäß mit nach § 9 Abs. 2 LkSG relevanten Informationen in Berührung kommen, für eine derartige Eventualität gleichwohl sensibilisiert werden. Gleichzeitig – und in der Begründung parallel – zählt der Pförtner nicht zu dem Personenkreis, hinsichtlich dessen eine Wissenszurechnung im Rahmen von § 9 LkSG erfolgt (dazu Rz. 34 f.). Verpflichteten Unternehmen ist zu empfehlen, organisatorisch sicherzustellen und zu dokumentieren (z.B. in einer Richtlinie), dass die für die Einhaltung der Sorgfaltspflichten 103 Ebenso zur parallelen Problematik im Rahmen von Art. 17 MAR Kumpan/Grütze in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 5. Aufl. 2020, Art. 17 MAR Rz. 83 f.; Koch, AG 2019, 273, 277; sowie zur parallelen Problematik im Zusammenhang mit §§ 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, 43 Abs. 1 GwG Gehling/Lüneborg, NZG 2020, 1164, 1169. 104 BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.12., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022).

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Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung | § 9 in der Lieferkette zuständigen Stellen und Personen im Unternehmen zum einen relevante Informationen erforderlichenfalls weiterleiten und zum anderen ggf. zusätzliche Informationen bei anderen spezialisierten Abteilungen oder Beschäftigten abfragen.

IV. Anpassung des Risikomanagements (Abs. 2 und 3) 1. Regelungstechnik Nach § 9 Abs. 2 LkSG muss das verpflichtete Unternehmen „nach Maßgabe des 41 Absatzes 3 sein bestehendes Risikomanagement im Sinne von § 4 anpassen“. 2. Zeitpunkt: Unverzüglich (Abs. 3) Die Maßnahmen zur Anpassung des Risikomanagements sind „anlassbezogen 42 unverzüglich“ durchzuführen. Das LkSG verwendet den Begriff der Unverzüglichkeit auch im Hinblick auf die Präventionsmaßnahmen i.S.d. § 6 Abs. 1 LkSG: Diese sind unverzüglich nach Feststellung eines Risikos im eigenen Geschäftsbereich oder bei einem unmittelbaren Zulieferer zu ergreifen. Das LkSG definiert den Begriff indes nicht. Daher ist für § 9 Abs. 3 LkSG ebenso wie für § 6 Abs. 1 LkSG (dazu § 6 Rz. 5 ff.) auf die Legaldefinition des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückzugreifen.105 „Unverzüglich“ bedeutet demnach „ohne schuldhaftes Zögern“. Maßgeblich sind hierbei die Umstände des Einzelfalls. Zu berücksichtigen sind einerseits Art und Umfang der tatsächlichen Anhaltspunkte für die Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht. Je bedeutsamer oder dringlicher die Anhaltspunkte sind, desto rascher ist das Risikomanagement anzupassen.106 Zu berücksichtigen sind indes auch die Verhältnisse des Unternehmens. Je komplexer die (rechtlichen oder geographischen) Strukturen oder Lieferketten des Unternehmens sind, und je weiter unten der betroffene mittelbare Zulieferer in der Lieferkette steht, desto mehr Zeit kann die Anpassung des Risikomanagements beanspruchen. Die Gesetzesbegründung deutet darauf hin, dass – wie im Hinblick auf die erkannten Risiken im eigenen Geschäftsbereich oder bei unmittelbaren Zulieferern – eine Priorisierung möglich ist. Dies muss vor allem vor dem Hintergrund vergleichsweise geringerer Einflussmöglichkeiten des verpflichteten Unternehmens auf den mittelbaren Zulieferer gelten. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass nach § 6 LkSG lediglich eine Reaktion auf erkannte Risiken erfolgen muss, während im Fall des § 9 Abs. 3 LkSG bereits Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung, d.h. für eine Realisierung des Risikos, vorliegen. Daher dürfte die Dringlichkeit in manchen Fällen höher sein.

105 Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. Aufl. 2021, § 5 Rz. 74; Dutzi/Schneider/Hasenau, DK 2021, 454, 461. 106 Vgl. zur Rechtslage bei § 6 Abs. 1 LkSG Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 75; vgl. Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 909.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung 3. Grundlegende Hindernisse und Herausforderungen 43 Hinsichtlich des konkreten Inhalts der Pflicht zur Anpassung des Risikomanage-

ments kann vielfach auf die Kommentierung zu §§ 5 ff. LkSG verwiesen werden. Daraus, dass der mittelbare Zulieferer nicht selbst Vertragspartner des verpflichteten Unternehmens ist, resultieren indes zwei grundlegende Herausforderungen bzw. Hindernisse, die hinsichtlich aller Risikomanagementpflichten gleich gelagert sind und daher vor die Klammer gezogen werden können. Zum einen ist zahlreichen verpflichteten Unternehmen die Lieferkette in der Tiefe nicht bekannt (dazu Rz. 44 ff.). Zum anderen fehlt es den verpflichteten Unternehmen teilweise bereits im Verhältnis zu ihren unmittelbaren Zulieferern an der erforderlichen Markt- bzw. Verhandlungsmacht, um lieferkettengesetzkonforme Vertragsanpassungen zu erreichen. Dieses Hindernis stellt sich erst recht, wenn – wie im Verhältnis zu mittelbaren Zulieferern – keinerlei vertragliche Handhabe existiert (dazu Rz. 56 ff.). a) Mangelnde Kenntnis der Lieferkette

44 Schrifttum und Praxis kritisieren vielfach, dass die gesetzlichen Pflichten im

Verhältnis zu mittelbaren Zulieferern oftmals bereits deswegen nicht eingehalten werden könnten, weil den verpflichteten Unternehmen die Lieferkette schlechterdings ab einem gewissen Punkt nicht transparent ist.107 Hierin sah auch der Vater der UNGP, John G. Ruggie ein wesentliches Problem des deutschen Ansatzes.108 aa) Hintergründe fehlender Transparenz der Lieferketten

45 Rein praktisch dürfte die fehlende Transparenz insbesondere bei besonders

komplexen, internationalen Lieferketten wie etwa in der Automobilindustrie oder bei striktem Single Sourcing daran liegen, dass Zwischenlieferanten sich weigern, ihre Vertragspartner entlang der Lieferkette offen zu legen und das nachfragende Unternehmen nicht über eine ausreichende Hebelwirkung ver107 Vgl. etwa Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 77, 80; vgl. auch Passarge, CB 4/2022, I (Editorial). 108 Vgl. das Schreiben von John G. Ruggie vom 9.3.2021 an Peter Altmaier, damals Bundesminister für Wirtschaft und Energie; Hubertus Heil, damals Bundesminister für Arbeit und Soziales sowie Gerd Müller, damals Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (abrufbar in deutscher Übersetzung im Internet unter https://media.business-humanrights.org/media/documents/Brief_John_Ruggie_Liefer kettengesetz_09032021.pdf, zuletzt abgerufen am 19.3.2022): „Bei langen Lieferketten weiß das federführende Unternehmen jedoch möglicherweise gar nicht, wer sich wo weiter unten in der Kette befindet, und kann damit nur eingeschränkt kontrollieren, wie gut seine Vorgaben umgesetzt werden. Daher ist verbesserte Lieferkettentransparenz Voraussetzung für den im Gesetzentwurf verfolgten Ansatz, wird aber nicht groß hervorgehoben. Genauso wichtig ist die Feststellung, dass ein Fokus auf vertragliche Maßnahmen gleichzeitig die Rolle positiver Anreize übergeht, wie auch die Rolle von Kapazitätsaufbau und anderen kooperativen Ansätzen im Umgang mit Lieferanten.“

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fügt. Hintergrund ist zumeist ein gewichtiges Interesse der Zwischenlieferanten, zu verhindern, dass Rückschlüsse auf Preismechanismen gezogen werden können oder sogar eine unmittelbare Abstimmung und ggf. Einigung ihrer jeweiligen Vertragspartner zu Preisen und sonstigen Konditionen stattfindet und sie selbst als Zwischenstufe obsolet und daher künftig umgangen werden. Bei der Person der mittelbaren Zulieferer dürfte es sich aus Sicht vieler Unternehmen zudem um vertrauliche oder wettbewerbsrelevante Informationen handeln. Teilweise wird die Information gar als Geschäftsgeheimnis eingestuft.109 Denn jedenfalls in spezialisierten Branchen können aus der Person des Zulieferers umfangreiche Erkenntnisse zu Kostenstruktur, Produktentwicklung oder Produktion gezogen werden.110 Auch die fehlende Kompatibilität der IT-Systeme und -Tools verschiedener Unternehmen steht der Datentransparenz mitunter entgegen bzw. verursacht jedenfalls hohen manuellen Aufwand. Teilweise werden Rohstoffe auch über Börsen erworben, was die Schwierigkeiten bei der Rückverfolgung weiter erhöht. Schließlich werden Rohstoffe bei Zwischenhändlern mitunter vermengt.111 Noch häufiger erreichen sie die Unternehmen bereits in verarbeiteter Form. Zwar dürften insbesondere die COVID-19-Pandemie, die Chip-Krise, die Hava- 46 rie der „Ever Given“ im Suez-Kanal sowie der Krieg in der Ukraine und die daraus resultierenden zunehmenden Lieferengpässe bestimmter Produkte und Komponenten seit dem Jahr 2020 zu einer erhöhten Transparenz jedenfalls in bestimmten Lieferketten bzw. Lieferkettenabschnitten geführt haben. Gleiches gilt für Konfliktmineralien und deren Rückverfolgung bis zur Schmelze (dazu Einleitung Rz. 204 ff.). Nichtsdestotrotz erschiene die Annahme, sämtlichen verpflichteten Unternehmen 47 sei ihre Lieferkette vollständig oder jedenfalls weitgehend transparent bzw. sie könnten sie jedenfalls bei gehöriger Anstrengung zurückverfolgen, praxisfern. Anders dürfte sich die Situation allenfalls bei extrem kurzen Lieferketten oder bei Unternehmen darstellen, die bereits seit längerem einen Fokus darauf gelegt haben, eine nachhaltige Lieferkette bis zu ihrem Ursprung selbst zu gestalten112. bb) Bemühungen aus der Praxis zur Erhöhung der Lieferkettentransparenz Schrifttum und Praxis greifen die in der Gesetzesbegründung (vgl. dazu Rz. 52) 48 genannte Möglichkeit des Einsatzes technischer Tools wie Blockchain- und cloudbasierte Technologie zur Schaffung rückverfolgbarer Lieferketten durch109 Vgl. etwa Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 6. 110 Vgl. auch Passarge, CB 4/2022, I (Editorial). 111 Passarge, CB 4/2022, I (Editorial). 112 Vgl. etwa die Darstellung im Nachhaltigkeitsbericht 2020 von RitterSport (abrufbar im Internet unter https://irp.cdn-website.com/6cb74a62/files/uploaded/NHB_2020_kom pakt_DE_148x148_einzel.pdf, zuletzt abgerufen am 19.2.2022).

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung aus auf.113 BMW hat beispielsweise bereits im März 2020 per Pressemitteilung erklärt, seit 2019 in einem Pilotprojekt mittels Blockchain- und Cloudtechnik Rohstoffe und Bauteile in weltweiten Lieferketten nahtlos zurückverfolgen zu können.114 Ähnliche, Algorithmus- und Industrial-Cloud-basierte Initiativen haben VW, Porsche und Audi entwickelt.115 Das Ziel besteht darin, „auf Knopfdruck“ eine nahtlose Rückverfolgbarkeit von Komponenten und die sofortige Datentransparenz in komplexen Lieferketten für alle beteiligten Partner sicherzustellen und die relevanten Daten und Transaktionen gleichzeitig überprüfbar, manipulationssicher und erforderlichenfalls anonym zu erfassen.116 Praktisch bedeutet das, dass etwa ein zu Beginn der Lieferkette gewonnener Rohstoff mit einem QR-Code versehen wird, der die erforderlichen Daten über dessen Herkunft, Gewinnungsart etc. abbildet.117 Aufgrund einer Verknüpfung mit einer Blockchain hat jeder Lieferant entlang der Lieferkette Gelegenheit, den eigenen Datensatz hinzuzufügen, sodass im Ergebnis digitale Transparenz in Bezug auf das Endprodukt besteht.118 49 Auch zahlreiche andere Unternehmen (wie beispielsweise Mercedes mit dem

sog. Human Rights Respect System119; Tchibo120 oder Ritter Sport121) haben zur nachhaltigen Steuerung ihrer Lieferkette vielfältige Maßnahmen und Konzepte aufgesetzt, wie Lieferanten-Screenings, risikobasierte Due-Diligence-Analysen und Nachhaltigkeitstrainings für Lieferanten, um neben der Einhaltung sozialer Standards und Umweltauflagen eine höhere Transparenz in der Lieferkette zu erreichen.122 Gleiches gilt für Branchen- bzw. Multistakeholderinitiativen, wie etwa den Grünen Knopf im Textilsektor123 oder econsense124. 113 Vgl. etwa Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 80. 114 Vgl. die Pressemitteilung der BMW Group vom 30.3.2020, abrufbar im Internet unter https://www.press.bmwgroup.com/deutschland/article/detail/T0307164DE/bmw-grouptreibt-mittels-einsatz-von-blockchain-die-lieferketten-transparenz-weiter-voran?langua ge=de (zuletzt abgerufen am 19.3.2022). 115 Nähere Informationen sind im Internet abrufbar, z.B. unter https://www.volkswagennewsroom.com/de/pressemitteilungen/volkswagen-schafft-effizienz-in-der-lieferkettedurch-industrieweiten-datenaustausch-7051 (zuletzt abgerufen am 27.3.2022). 116 Vgl. etwa Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 80. 117 Vgl. etwa Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 80. 118 Vgl. etwa Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 80. 119 Nähere Informationen sind im Internet abrufbar unter https://group.mercedes-benz. com/nachhaltigkeit/menschenrechte/lieferkette/(zuletzt abgerufen am 27.3.2022). 120 Nähere Informationen sind im Internet abrufbar unter https://www.csr-in-deutsch land.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Umsetzungshilfen/Praxisbeispiele/Tchibo/ tchibo.html (zuletzt abgerufen am 27.3.2022). 121 Vgl. etwa die Darstellung im Nachhaltigkeitsbericht 2020 von RitterSport (abrufbar im Internet unter https://irp.cdn-website.com/6cb74a62/files/uploaded/NHB_2020_kom pakt_DE_148x148_einzel.pdf, zuletzt abgerufen am 19.2.2022). 122 Ein Überblick über einzelne Unternehmensinitiativen findet sich bei manager magazin, „Ausbeutung kommt jetzt teuer“, Heft April 2022, S. 71, 72 ff. 123 https://www.gruener-knopf.de/?gclid=EAIaIQobChMIp-vI9rDm9gIVlOJ3Ch0VNwL fEAAYASAAEgKBx_D_BwE. 124 https://econsense.de/.

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Auch eine fortlaufend steigende Anzahl von auf Nachhaltigkeitsberatung spe- 50 zialisierten Anbietern von IT- und KI-Tools sowie Branchenlösungen wirbt mit Methoden zur Kürzung bzw. Optimierung der und zur Erhöhung der Transparenz in der Lieferkette. Gleiches gilt für Auditierungslösungen unterschiedlichster Couleur bis in die Tiefe der Lieferketten. Häufig bieten diese Unternehmen eine KI-gestützte Überprüfung dynamischer open-source-Daten auf spezifische Risikobegriffe nebst zugehöriger Berichte an. Andere Anbieter haben sich auf die Möglichkeit zur punktuellen tiefergehenden Überprüfung einzelner Zulieferer (etwa, wenn bereits Anhaltspunkte für ein Risiko bestehen) fokussiert. Zahlreiche Unternehmen setzen auch bereits jetzt proaktiv und soweit möglich 51 entlang ihrer Lieferkette ganzheitliche und aus anderen Bereichen bereits bekannte Prüfservices wie TÜV, RCS Global125, DNV126 oder SGS127 ein. Andere Unternehmen schalten spezialisierte Anbieter von Lieferkettensorgfaltspflichtenlösungen, wie etwa Sedex128, Prewave129 oder das französische Unternehmen ecovadis130, ein, das sich – vermutlich aufgrund der etwas früheren Gesetzgebung in Frankreich131 – trotz der kontinuierlich wachsenden Konkurrenz bereits einen gewissen Vorsprung bei Lieferkettenprüfungen erarbeitet zu haben scheint. Andere Unternehmen sind beispielsweise Mitglieder der Responsible Business Alliance und nutzen zur Risikoanalyse deren Risk Assessment Platform.132 cc) Einordnung aus staatlicher Sicht Auch die Bundesregierung geht in dem NAP, einem der Grundpfeiler des spä- 52 teren LkSG (dazu Einleitung Rz. 77 ff.), von der Prämisse aus, dass Lieferketten oftmals intransparent und für einzelne Unternehmen schwer zu überprüfen seien.133 Das räumt auch der deutsche Gesetzgeber ein.134 In der Gesetzesbegründung wird mehrfach betont, dass von keinem Unternehmen etwas rechtlich und tatsächlich Unmögliches verlangt werden dürfe.135 Daher habe 125 126 127 128 129 130 131 132 133

134 135

https://www.rcsglobal.com/. https://www.dnv.de/. https://www.sgsgroup.de/. https://www.sedex.com/. https://www.prewave.com/de/. https://ecovadis.com/. Loi relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d’ordre von 2017. https://www.responsiblebusiness.org/tools/risk-assessment/. Vgl. Nationaler Aktionsplan „Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte 2016-2020“, S. 19 (abrufbar im Internet unter https://www.auswaerti ges-amt.de/blob/297434/8d6ab29982767d5a31d2e85464461565/nap-wirtschaft-men schenrechte-data.pdf, zuletzt abgerufen am 12.3.2022). Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 38. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 38.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung das Unternehmen seine Sorgfaltspflichten erfüllt, „auch wenn es seine gesamte Lieferkette nicht nachverfolgen oder bestimmte Präventions- oder Abhilfemaßnahmen nicht vornehmen konnte, weil dies tatsächlich oder rechtlich unmöglich gewesen wäre“.136 Faktisch unmöglich heiße etwa, dass ein Unternehmen aufgrund fehlender Einflussmöglichkeit (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 2 LkSG) an seine Grenze stoße.137 Als Beispiel nennt die Gesetzesbegründung den Fall, dass ein Unternehmen – trotz angemessenen Bemühens – den Ursprung eines in seinem Produkt verarbeiteten Rohstoffs nicht zurückverfolgen kann, etwa, weil der Rohstoff nur über internationale Rohstoffbörsen bezogen werden konnte.138 Gleichwohl stellt die Gesetzesbegründung unmittelbar im Anschluss klar, dass ein pauschaler Ausschluss der Rückverfolgbarkeit von Rohstofflieferketten vor dem Hintergrund sich stets weiter entwickelnder technischer, insbesondere computergestützter Möglichkeiten (z.B. der Einsatz von Blockchain-Technologie) verfehlt wäre.139 53 Auch der OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für verantwor-

tungsvolles unternehmerisches Handeln unterstellt, dass Unternehmen häufig keine konkreten Informationen zu ihren mittelbaren Zulieferern bzw. den Herkunftsländern einzelner Produktteile haben.140 Anstelle konkreter Handlungsempfehlungen für diesen Fall heißt es an mehreren Stellen des Leitfadens lapidar, Unternehmen müssten erforderlichenfalls weitere Informationen einholen.141 Das BMAS führt in den FAQs auf die Frage, wie zu bewerten ist, wenn eine Risikoanalyse nicht durchführbar ist, weil ein Unternehmen trotz aller Bemühungen keine Transparenz in die Lieferkette bringen konnte, aus: „Die Sorgfaltspflichten begründen eine Bemühens- und keine Erfolgspflicht. Das heißt, Unternehmen müssen sich kontinuierlich und angemessen darum bemühen, ihre Sorgfaltspflichten zu erfüllen: Dazu gehört auch, sich um eine transparente Lieferkette zu bemühen. Ist ihnen das aus plausiblen Gründen nicht möglich, handeln

136 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 38. 137 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 38. 138 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 38. 139 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 38. 140 Vgl. OEDC, OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, 2018, S. 27; S. 64 (abrufbar im Internet unter https://mneguidelines.oecd.org/OECD-leitfaden-fur-die-erfullung-der-sorgfaltspflichtfur-verantwortungsvolles-unternehmerisches-handeln.pdf, zuletzt abgerufen am 12.3. 2022). 141 Vgl. OEDC, OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, 2018, S. 27; S. 64 (abrufbar im Internet unter https://mneguidelines.oecd.org/OECD-leitfaden-fur-die-erfullung-der-sorgfaltspflichtfur-verantwortungsvolles-unternehmerisches-handeln.pdf, zuletzt abgerufen am 12.3. 2022).

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sie dennoch im Einklang mit dem LkSG.“142 Auch an anderer Stelle betont das Ministerium – wie auch der Gesetzgeber – den Angemessenheitsvorbehalt.143 dd) Folgerungen für die Pflichtenlage/Opportunitätserwägungen Nach allem geht auch der Gesetzgeber davon aus, dass keine gesetzliche Pflicht 54 besteht, proaktiv jeden mittelbaren Zulieferer entlang der Lieferkette zu kennen (vgl. dazu Rz. 52). Zu den Pflichten im Verdachtsfall (vgl. dazu Rz. 68 f.). Wie die zahlreichen Beispiele aus der Praxis (vgl. dazu Rz. 48 ff.) zeigen, kann es 55 indes auch unabhängig von einer spezifischen Verpflichtung nach dem LkSG unter Umständen für Unternehmen aus Opportunitätsgründen sinnvoll sein, die strategische Entscheidung zu treffen, proaktiv (i) die Lieferkette so transparent wie möglich zu machen; (ii) die Lieferkette soweit möglich in ein RiskMapping nach Geschäftsfeldern, Standorten, Produkten, Rohstoffen oder Herkunftsländern einzubeziehen; (iii) ggf. auch bei mittelbaren Zulieferern bereits ohne substantiierte Kenntnis von einem Verstoß gewisse Prüfmaßnahmen durchzuführen und (iv) das Lieferkettenmanagement möglichst an Nachhaltigkeitsgesichtspunkten auszurichten. Unternehmen wird zunehmend eine gesellschaftliche Verantwortung auch für vorgelagerte Prozesse zugeschrieben.144 Es kann sich daher positiv auf die Reputation des Unternehmens auswirken, wenn es glaubhaft darlegen kann, dass es (erhebliche) Anstrengungen unternimmt, um die Einhaltung ethischer und sozialer Standards entlang der Lieferkette zu gewährleisten („profit with purpose“). Gleiches gilt für das Standing bei Investoren, Mitarbeitern und Kunden. Aktuelle Entwicklungen suggerieren zudem die grundsätzliche Bereitschaft von Kunden, für ESG-konforme Produkte einen höheren Preis zu leisten. Umgekehrt können sich öffentliche Skandale unter Nennung eines Unternehmens unabhängig von einer tatsächlichen Verantwortlichkeit negativ auf den Geschäftserfolg auswirken.145 Zudem kann ein Unternehmen die nach § 9 Abs. 2 und 3 LkSG geschuldeten Maßnahmen deutlich rascher 142 Vgl. Ziff. VIII.3., abrufbar im Internet unter https://www.csr-in-deutschland.de/DE/ Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichtenin-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 12.3.2022). 143 Vgl. etwa Ziff. VI.3. sowie Ziff. II.2., abrufbar im Internet unter https://www.csr-indeutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischenSorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 12.3.2022): „Dabei gilt das Prinzip der Angemessenheit: Von Unternehmen wird nur verlangt, was ihnen angesichts ihres individuellen Kontextes – etwa ihrer Größe, der Art ihrer Geschäftstätigkeit oder ihrer Nähe zum Zulieferer – möglich ist. Es wird von Unternehmen nicht verlangt, alle identifizierten menschenrechtlichen Herausforderungen gleichzeitig anzugehen, sondern dass sie sich zunächst auf die wesentlichen Risiken konzentrieren. Sollte es trotz aller (angemessenen) Bemühungen doch zu einer Menschenrechtsverletzung in der Lieferkette kommen, kann das Unternehmen nicht belangt werden.“ 144 Vgl. auch Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 7. 145 Vgl. auch Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 7.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung und effizienter durchführen, wenn es ein grundsätzliches Verständnis davon hat, welche Teile der Lieferkette von entsprechenden Risiken betroffen sein könnten. Hinreichende Transparenz der Lieferkette ermöglicht Unternehmen schließlich, vorausschauend zu planen und etwaige Lieferengpässe proaktiv abzufedern. Nach allem kann es sich für Unternehmen anbieten, unabhängig von einer gesetzlichen Verpflichtung zu versuchen, jedenfalls dauerhafte und relevante Teile der Lieferketten möglichst transparent zu machen.

b) Mangelnde rechtliche Durchsetzungsmöglichkeit 56 Die Unternehmenspraxis kritisiert vielfach und im Ergebnis zutreffend, dass die

Ausübung von Sorgfaltspflichten im Verhältnis zu mittelbaren Zulieferern häufig bereits daran scheitere, dass zu diesen kein (vertragliches) Rechtsverhältnis mit entsprechenden rechtlichen Einflussmöglichkeiten bestehe.146 Auch das Schrifttum weist darauf hin, dass unklar sei, wie die gesetzlichen Sorgfaltsanforderungen gegenüber mittelbaren Zulieferern umgesetzt werden könnten, wenn und weil Macht- und Einflusshebel bzw. vertragliche Durchsetzungsmechanismen nicht zur Verfügung stünden.147 Schließlich räumt vor diesem Hintergrund auch der Gesetzgeber ein, dass von keinem Unternehmen etwas rechtlich und tatsächlich Unmögliches verlangt werden dürfe (vgl. dazu bereits Rz. 52).148

57 Zwar dürfte § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG die bislang im deutschen Recht geführte Dis-

kussion über die rechtliche Zulässigkeit vertraglicher Weitergabeklauseln149 weitgehend beenden, wenn und weil die Vertragspartner jeweils unter dem LkSG verpflichtete Unternehmen sind. Dieser Kaskadeneffekt ist beispielsweise bereits seit längerem von dem Muster-Verhaltenskodex der amfori Business Social Compliance Initiative bekannt.150 Doch auch wenn die vertragliche Vereinbarung der Weitergabeklausel mit dem unmittelbaren Zulieferer gelingt, ist nicht gesichert, dass dieser wiederum willens bzw. in der Lage ist, eine vertragliche Kaskadierung entlang seiner Lieferkette vorzunehmen. Selbst in dem Modell-Fall – zwei unter dem LkSG verpflichtete Unternehmen vereinbaren eine vertragliche Kaskadierung, die tatsächlich bis zu dem in Rede stehenden mittelbaren Zuliefe146 Vgl. etwa das Schreiben zahlreicher Verbände, u.a. des BDI, vom 25.3.2021, S. 3 (abrufbar im Internet unter https://bdi.eu/media/themenfelder/internationale_maerkte/ downloads/20210325_Verbaendebrief_Sorgfaltspflichten_Lieferketten.pdf, zuletzt abgerufen am 19.3.2022); Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 14. 147 Ekkenga/Erlemann, ZIP 2022, 49, 56 („wie das funktionieren soll, steht in den Sternen“). Im Ergebnis ebenso Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 108. 148 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 38. 149 Vgl. zum Ganzen A. Wilhelm, AcP 2021, 657, 665, 687 f. m.w.N. 150 Vgl. amfori BSCI-Verhaltenskodex, Ziff. IV, S. 3 f., abrufbar im Internet unter https:// www.amfori.org/sites/default/files/amfori-2020-03-05-amfori-BSCI-Code-of-ConductDE.pdf, zuletzt abgerufen am 19.3.2022).

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rer vertraglich fortgesetzt wird –, erscheint es nicht vollkommen gesichert, dass der mittelbare Zulieferer die rechtliche Wirksamkeit vertraglicher Auditierungsrechte und Mitwirkungspflichten seinerseits ohne Weiteres anerkennt. In der Praxis dürften sich indes auch diejenigen Fälle häufen, in denen das ver- 58 pflichtete Unternehmen die Weitergabeklausel bereits gegenüber dem unmittelbaren Zulieferer nicht vertraglich durchsetzen kann. Die Gründe können darin liegen, dass der unmittelbare Zulieferer aufgrund seiner Beschäftigtenanzahl oder einem Sitz im Ausland selbst dem Gesetz nicht unterfällt. Ebenfalls denkbar ist, dass der unmittelbare Zulieferer deutlich höhere Verhandlungsmacht hat oder es sich um einen langfristig abgeschlossenen Vertrag handelt, dessen Anpassung abgelehnt wird bzw. wirtschaftlich inopportun wäre, da sie andere kommerzielle Parameter einer an sich austarierten Vertragsbeziehung zur Disposition stellen würde. Schließlich wird in vielen Fällen ein Rohstoff über eine Börse erworben. Dann fehlt es bereits an einem unmittelbaren Zulieferer im eigentlichen Sinne. Hieraus folgt, dass es dem verpflichteten Unternehmen häufig mangels vertrag- 59 licher Einwirkungsrechte bzw. Mitwirkungspflichten bereits an rechtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten hinsichtlich der mittelbaren Zulieferer fehlen dürfte. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber – anders, als es vordergründig den Eindruck macht – in derartigen Fällen eine verstärkte Einwirkung des verpflichteten Unternehmens auf seinen eigentlichen Vertragspartner, nämlich den unmittelbaren Zulieferer verlangt. 4. Durchführung einer Risikoanalyse (Abs. 3 Nr. 1) a) Risikoanalyse bei Bezug der Information zu einem konkreten mittelbaren Zulieferer aa) Bezugspunkt und Umfang der Risikoanalyse Erlangt ein verpflichtetes Unternehmen substantiierte Kenntnis von einer mög- 60 lichen Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht bei mittelbaren Zulieferern, hat es nach § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG anlassbezogen unverzüglich eine Risikoanalyse nach § 5 Abs. 1 bis 3 LkSG durchzuführen. John G. Ruggie warf in seinem offenen Brief vom 9.3.2021 an die damals für das LkSG zuständigen deutschen Bundesminister (dazu Rz. 2) in diesem Zusammenhang einen validen Punkt auf: „Gemäß den UNLP besteht ein wesentlicher Zweck der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht darin, von vornherein mögliche Risiken entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu identifizieren. Wenn bereits ’substantiierte Kenntnis’ über eine mögliche Verletzung besteht, ist die Durchführung einer Risikoanalyse möglicherweise gar nicht mehr notwendig; stattdessen sollte das Unternehmen an diesem Punkt gemäß UNLP ermitteln, was seine Abhilfe- bzw. Wiedergutmachungsverpflichtungen sind (…).“151 151 Vgl. das Schreiben von John G. Ruggie vom 9.3.2021 an Peter Altmaier, damals Bundesminister für Wirtschaft und Energie; Hubertus Heil, damals Bundesminister für Arbeit und Soziales sowie Gerd Müller, damals Bundesminister für wirtschaftliche Zu-

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung 61 Zwar besteht sowohl im Fall der bei mittelbaren Zulieferern (§ 9 Abs. 3 Nr. 1

LkSG) als auch der hinsichtlich des eigenen Geschäftsbereichs und der unmittelbaren Zulieferer durchzuführenden Risikoanalyse (§ 5 Abs. 1 bis 3 LkSG) eine Informationsasymmetrie. Zweck der Risikoanalyse ist es, diese Informationsasymmetrie auszugleichen oder jedenfalls zu minimieren. Bei genauer Betrachtung besteht gleichwohl ein beträchtlicher Unterschied zwischen beiden Fällen: – Die Risikoanalyse bzgl. des eigenen Geschäftsbereichs und der unmittelbaren Zulieferer ist im Ausgangspunkt regel- bzw. turnusmäßig durchzuführen. Sie soll aufklären, ob und in welchem Zusammenhang überhaupt Risiken bestehen. Sie ist jedenfalls nach dem Gesetzeswortlaut weder auf einzelne menschenrechts- oder umweltbezogene Risiken aus dem Katalog des § 2 LkSG noch auf einzelne unmittelbare Zulieferer beschränkt. Vielmehr wird jedes verpflichtete Unternehmen anhand selbst gewählter Faktoren wie etwa dem Umsatzbeitrag, dem Rohstoffportfolio oder potentiellen qualitäts-, branchen-, geschäfts-, produkt- oder länderbezogenen Risiken eine Clusterung der Zulieferer erarbeiten, und der Priorisierung der weiteren Prüfungsmaßnahmen zugrunde legen (dazu § 5 Rz. 27 f.). Ziel dieser Risikoanalyse ist es, Ausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit einer hypothetischen negativen Auswirkung zu prüfen und anschließend eine Gewichtung vorzunehmen. Erfahrungen aus der Vergangenheit oder sonstige Informationen über Anhaltspunkte zu bestimmten Risiken bei einem mittelbaren Zulieferer können sich zwar auf die Priorisierung auswirken, sind indes keine Grundvoraussetzung für die Durchführung der Risikoanalyse. – Vollkommen anders stellt sich die Situation dagegen mit Blick auf die mittelbaren Zulieferer dar: In diesem Fall ist die Risikoanalyse ausschließlich anlassbezogen durchzuführen. Es liegen bereits konkrete Indikatoren nicht nur für ein oder mehrere menschenrechts- und/oder umweltbezogene Risiken, sondern sogar für eine spezifische Pflichtverletzung vor.

62 Dieser fundamentale Unterschied deutet darauf hin, dass auch der Bezugspunkt

der Risikoanalyse ein anderer ist. Zwar könnte der Wortlaut und die Systematik des Gesetzes in mehrere Richtungen interpretiert werden: Zum einen heißt es in § 9 Abs. 3 LkSG am Ende, die nachstehend geschilderten Pflichten seien „anlassbezogen“ vorzunehmen. Diese Einschränkung stützt die Interpretation, dass ausschließlich die Verletzung näher aufzuklären ist, auf die sich die dem verpflichteten Unternehmen vorliegenden Anhaltspunkte konkret beziehen. Zum anderen soll die Risikoanalyse ausweislich von § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG „gemäß § 5 Absatz 1 bis 3“ durchzuführen sein. Hieraus könnte wiederum der Schluss gezogen werden, dass die Pflichtenlage nach beiden Bestimmungen identisch sein soll. Dass ein derartiges Verständnis jedoch nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht, ergibt sich unmissverständlich aus der Gesetzesbegründung.152 Dort heißt es,

sammenarbeit und Entwicklung (abrufbar in deutscher Übersetzung im Internet unter https://media.business-humanrights.org/media/documents/Brief_John_Ruggie_Liefer kettengesetz_09032021.pdf, zuletzt abgerufen am 19.3.2022). 152 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 50.

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das Unternehmen habe „bezogen auf die mögliche Verletzung eine Risikoanalyse gemäß § 5 durchzuführen“.153 Mit dieser Formulierung hat der Gesetzgeber einen hinreichend deutlichen Bezug zu der dem Unternehmen vorliegenden Information zu möglichen Missständen hergestellt. Nur diese Interpretation entspricht auch der gesetzgeberischen Prämisse eines abgestuften Sorgfaltspflichtenregimes. Es besteht schließlich keine Handhabe, einen Nicht-Vertragspartner, hinsichtlich dessen etwa Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Entsorgung von quecksilberhaltigem Abfall vorliegen, auf Verdacht dahingehend zu überprüfen, ob er Kinder und Zwangsarbeiter beschäftigt. Im Ergebnis ist daher lediglich die Risikoanalyse, die im eigenen Geschäfts- 63 bereich und hinsichtlich der mittelbaren Zulieferer durchzuführen ist, eine Risikoanalyse im eigentlichen, herkömmlichen Wortsinn. Die Verwendung desselben Begriffs in § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG ist dagegen missverständlich. Denn die Risikoanalyse i.S.d. § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG ist eher als Aufklärungspflicht hinsichtlich einer möglichen punktuellen Verletzung zu verstehen. Sie ist daher der Aufklärungspflicht angenähert, die den Unternehmen bereits aus dem Bereich der repressiven Compliance bekannt ist.154 In der Sache liegt damit eine massive Erweiterung des sachlichen und räumlichen Anwendungsbereichs der nach bisherigem Rechtsverständnis lediglich für den eigenen Geschäftsbereich geltenden reaktiven Compliance-Pflichten in Bezug auf mögliche Menschenrechts- bzw. Umweltverstöße vor.155 Vorbehaltlich einer anderweitigen gesetzgeberischen oder behördlichen Festlegung sprechen überzeugende Gründe für die folgende Unterscheidung: Im eigenen Geschäftsbereich und bei unmittelbaren Zulieferern ist im Ergebnis eine Analyse aller geschützten Risiken vorzunehmen. Bei mittelbaren Zulieferern sind dagegen – entsprechend der allgemeinen Pflicht zur Untersuchung von Anhaltspunkten für Non-Compliance – nur punktuell die Anhaltspunkte des oder der spezifischen Risiken bzw. Verletzungen näher aufzuklären, auf die die dem verpflichteten Unternehmen vorliegenden Informationen hindeuten.

bb) Durchführung der Risikoanalyse Die Risikoanalyse betreffend den eigenen Geschäftsbereich und die unmittel- 64 baren Zulieferer ist stark durch dialogische Elemente und die unmittelbare Einholung und Beantwortung von Auskünften geprägt. Grundlage dieser Risikoanalyse sind regelmäßig Fragebögen und/oder Informationsgespräche bzw. vertragliche Zusicherungen oder der Austausch von Zertifizierungen (dazu § 5 Rz. 16 ff.). Die unmittelbaren Zulieferer unterliegen häufig einer vertraglichen Auskunftspflicht. In vielen Fällen haben sie ferner ein beträchtliches Eigeninteresse an einer Mitwirkung, wenn und weil diese Grundvoraussetzung für einen Vertragsschluss ist. Zudem steht bei der regelmäßigen Risikoanalyse kein konkreter Verdacht im Raum, gegen den sich der Zulieferer verteidigen müsste. 153 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 50. 154 Vgl. auch Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237. 155 Vgl. auch Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 237 f.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung (1) Bei Mitwirkungsbereitschaft des mittelbaren Zulieferers 65 Auch im Rahmen der Risikoanalyse bei mittelbaren Zulieferern kann das ver-

pflichtete Unternehmen im Ausgangspunkt versuchen, Kontakt zu dem mittelbaren Zulieferer aufzunehmen, ihn mit den Vorwürfen zu konfrontieren und Fragen zur genaueren Beurteilung des Wahrheitsgehalts der Anhaltspunkte für die menschenrechts- bzw. umweltbezogene Verletzung zu platzieren. Hierbei handelt es sich um den vom Gesetzgeber präferierten Ablauf.156 Die Kontaktaufnahme kann entweder unmittelbar oder über den unmittelbaren Zulieferer erfolgen. Kooperiert der mittelbare Zulieferer, kommen etwa die folgenden Mittel der weiteren Risikoanalyse in Betracht: – Einholung von Lieferantenselbstauskünften (schriftliche Versicherungen; Beantwortung von Lieferantenfragebögen oder konkreten Nachfragen zu dem spezifischen Verdacht einer Pflichtverletzung); – Einholung von Nachweisen (wie beispielsweise aussagekräftige Zertifizierungen oder Auditierungen anerkannter Anbieter157); – Standortbegehungen zur Sichtprüfung auf offensichtliche Vergehen oder Schwachpunkte; – Unterlagenprüfung (etwa von Personalakten und Arbeitsverträgen; Informationen über Arbeitszeiten etc.); – professionalisierte Vor-Ort-Audits durch das verpflichtete Unternehmen und/oder Dritte sowie – Durchführung von Zertifizierungen.

66 Erachtet der mittelbare Zulieferer die Vorwürfe für unzutreffend und kann er

sogar entkräftende Nachweise erbringen, dürfte er ein Eigeninteresse haben, die erbetenen Informationen zu teilen. Dieser Weg dürfte in der Praxis indes häufig daran scheitern, dass der betroffene mittelbare Zulieferer nicht bereit ist, die entsprechenden Informationen zur Verfügung zu stellen und hierzu rechtlich im Verhältnis zu dem verpflichteten Unternehmen auch nicht verpflichtet ist (dazu Rz. 56 ff.). Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Informationen in der Sache vollständig oder teilweise zutreffend sind.

156 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51. 157 Kritisch zur Anerkennung von Audits, Zertifizierungen und Lieferantenerklärungen als hinreichende Sorgfalt innerhalb der Lieferkette angesichts von Fehleranfälligkeit und begrenzter Aussagekraft dagegen CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung/Forum Menschenrechte/Initiative Lieferkettengesetz/VENRO, Behördliche Durchsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes – Anforderungen aus zivilgesellschaftlicher Sicht, März 2022, S. 15 (abrufbar im Internet unter https://venro.org/publi kationen/detail/behoerdliche-durchsetzung-des-lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, zuletzt abgerufen am 31.3.2022).

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(2) Ohne Mitwirkungsbereitschaft des mittelbaren Zulieferers Ist der mittelbare Zulieferer nicht bereit, an der Risikoanalyse mitzuwirken, 67 kommt eine Einholung der Informationen insbesondere aus den folgenden Quellen158 in Betracht: – Bitte um genauere Informationen bzw. Belege bei der Informationsquelle, wenn und soweit diese mit angemessenem Aufwand kontaktiert werden kann; – Dokumentenrecherche in öffentlichen, frei verfügbaren Quellen zu möglichen Bezügen zwischen der angeblich verletzten menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht und dem betroffenen Zulieferunternehmen; – Anfrage bei dem jeweiligen unmittelbaren Zulieferer hinsichtlich (i) des eigenen Informationsstands betreffend den mittelbaren Zulieferer und (ii) der Möglichkeiten zur Erlangung weiterer Informationen entlang der Lieferkette; – Anfrage bei NGOs oder Brancheninitiativen bzw. -verbänden. Eine entsprechende Verpflichtung besteht hingegen angesichts des Angemessenheitsvorbehalts nicht; – Durchsicht behördlicher Informationsmaterialien, falls vorhanden; – Anfrage beim BAFA; – Beauftragung einer Recherche durch externe Fachleute, wie etwa auf Nachhaltigkeitsaspekte spezialisierter Beratungsunternehmen, Auditoren oder Zertifizierern (dazu Rz. 50 f.), wenn und soweit diese ohnehin bereits eingesetzt werden. Eine Verpflichtung, derartige externe Fachleute ausschließlich im Hinblick auf die Erfüllung der Sorgfaltspflichten gegenüber mittelbaren Zulieferern einzuschalten, besteht dagegen insbesondere vor dem Hintergrund des Angemessenheitsvorbehalts nicht. Unternehmen ist zu empfehlen, den Umfang und die Ergebnisse dieser Bemühungen zu Nachweiszwecken möglichst lückenlos zu dokumentieren.

b) Risikoanalyse bei Vorliegen allgemeiner Informationen ohne konkreten Hinweis auf einen spezifischen mittelbaren Zulieferer Das LkSG begründet keine proaktive Pflicht, alle mittelbaren Zulieferer entlang 68 der Lieferkette zu kennen oder die Lieferkettentransparenz bis zu einem bestimmten Grad zu erhöhen (dazu Rz. 54). Diese Festlegung trifft noch keine Aussage zur Pflichtenlage in dem Fall, dass bei dem verpflichteten Unternehmen substantiierte Kenntnis hinsichtlich einer möglichen menschenrechts- oder umweltbezogenen Verletzung vorliegt, und gleichzeitig Anhaltspunkte – aber kein sicheres Wissen – bestehen, dass es sich um einen mittelbaren Zulieferer handelt. Hat das verpflichtete Unternehmen z.B. konkrete, plausibilisierbare Anhaltspunkte dafür, dass ein Unternehmen, dem etwa eine anerkannte NGO Kinderarbeit vorwirft, der eigene mittelbare Zulieferer sein könnte, dürfte die 158 Vgl. zu weiteren Quellen Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 19 f.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung Pflichtenlage im Vergleich zu dem Fall, in dem die Hinweise sich gesichert auf einen mittelbaren Zulieferer beziehen, regelmäßig abgeschwächt bzw. jedenfalls abgestuft sein. Zum einen ist das Merkmal der substantiierten Kenntnis richtigerweise so auszulegen, dass ein Bezug zu einem konkreten mittelbaren Zulieferer erforderlich ist (dazu Rz. 25). Zum anderen gilt das Angemessenheitsgebot (dazu Rz. 8, 27).159 Im Ergebnis dürfte daher eine Pflicht bestehen, in einem ersten Schritt mit angemessenen Mitteln und limitiertem Aufwand zu versuchen, zu verifizieren, ob der betroffene Zulieferer tatsächlich zum Kreis der mittelbaren Zulieferer zählt. 69 Zu den angemessenen Mitteln können etwa zählen

– Bitte um genauere Informationen bzw. Belege bei der Informationsquelle, wenn und soweit diese mit angemessenem Aufwand kontaktiert werden kann und suggeriert hat, dass es sich bei dem betroffenen Unternehmen um einen mittelbaren Zulieferer der verpflichteten Gesellschaft handele; – Recherche in öffentlichen, frei verfügbaren Quellen zu möglichen Bezügen zwischen beiden Unternehmen; – Anfrage bei dem jeweiligen unmittelbaren Zulieferer bzw. bei den als relevante unmittelbare Zulieferer in Betracht kommenden Unternehmen, ob sie bereit und in der Lage sind, zu bestätigen, dass das betroffene Unternehmen Teil der Lieferkette ist; – Recherche durch externe Fachleute, wie etwa auf Nachhaltigkeitsaspekte spezialisierten Beratungsunternehmen, Auditoren oder Zertifizierern, wenn und soweit diese ohnehin bereits eingesetzt werden. Nachdem bereits keine Verpflichtung besteht, derartige externe Fachleute zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten einzuschalten, besteht erst recht keine Verpflichtung, sie im Hinblick auf die Erhöhung der Lieferkettentransparenz zu involvieren. Insbesondere bei kurzen bzw. einfachen Lieferketten stehen Unternehmen vor einem gewissen Risiko, dass die Aufsichtsbehörde annehmen könnte, das Unternehmen habe versucht, sich der pflichtenauslösenden Kenntnis bewusst zu verschließen, wenn es sich darauf beruft, dass nicht sicher sei, ob der betroffene Zulieferer Teil der Lieferkette sei. Gelingt es einem verpflichteten Unternehmen nicht, mit angemessenen Mitteln Anhaltspunkte zu verifizieren, dass es sich bei einem Unternehmen, hinsichtlich dessen Informationen über menschenrechts- oder umweltbezogene Risiken vorliegen, um ihren mittelbaren Zulieferer handelt, ist dem Unternehmen zu empfehlen, die ergriffenen Maßnahmen und ihre rechtlichen bzw. tatsächlichen Grenzen sorgfältig zu dokumentieren. 159 Vgl. auch BMAS, FAQs zum LkSG, Ziff. VI.13., abrufbar im Internet unter https:// www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unter nehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 14.5.2022): „Die Verortung des Risikos in der eigenen Lieferkette muss anhand in der Branche anerkannter Methoden mit zumutbaren Bemühungen zumindest möglich sein. Die Zumutbarkeit bemisst sich nach den Gesamtumständen, insbesondere nach dem Grundsatz der Angemessenheit. Je mehr sich ein Verdacht konkretisiert hat, desto höher ist der Aufwand, der bei der weiteren Verortung zumutbar ist.“

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5. Verankerung angemessener Präventionsmaßnahmen (Abs. 3 Nr. 2) Nach § 9 Abs. 3 Nr. 2 LkSG hat das verpflichtete Unternehmen „angemessene 70 Präventionsmaßnahmen gegenüber dem Verursacher“ zu verankern. Auch die Gesetzesbegründung hebt in diesen Zusammenhang nochmals hervor, dass – wie bei allen Sorgfaltspflichten i.S.d. LkSG – auch hinsichtlich des mittelbaren Zulieferers das Prinzip der Angemessenheit nach § 3 Abs. 2 LkSG handlungsleitend sei.160 a) Verhältnis zur Durchführung der Risikoanalyse (Abs. 3 Nr. 1) Wie die nach § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG durchzuführende Risikoanalyse sind die 71 Präventionsmaßnahmen „anlassbezogen unverzüglich“ zu verankern. Gesetzessystematisch sind die in Nr. 2 geregelten Präventionsmaßnahmen klar von der in Nr. 1 geregelten Risikoanalyse abgegrenzt. Der Gesetzeswortlaut sieht indes keine zeitliche Stufenfolge zwischen Risikoanalyse und Präventionsmaßnahmen vor. Die Gesetzesbegründung definiert zwar als Bezugspunkt der Präventionsmaßnahmen die „identifizierten und priorisierten Risiken“.161 Auf den ersten Blick könnte diese Präzisierung des Gesetzgebers als Etablierung einer im Gesetzeswortlaut nicht angelegten Rangfolge zwischen den im Fall substantiierter Kenntnis zu ergreifenden Maßnahmen zu verstehen sein. Allerdings erläutert die Gesetzesbegründung im Zusammenhang mit den Präventionsmaßnahmen weiter, „dass ein Unternehmen, das von einer möglichen Verletzung Kenntnis erlangt hat, versuchen muss, mehr über das Risiko und seine Ursachen herauszufinden“. Diese Formulierung deutet – ebenso wie das Regelbeispiel der Kontrollmaßnahmen (dazu Rz. 80 ff.) darauf hin, dass die Risikoanalyse vor Implementierung der Präventionsmaßnahmen noch nicht abgeschlossen sein muss, sondern die Pflichten parallel bzw. kumulativ zu erfüllen sind. Hierfür spricht ferner die Bezeichnung als „Präventionsmaßnahmen“: Um solche dürfte es sich allenfalls handeln, wenn und solange die Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung noch nicht durch die nähere Analyse bestätigt wurden. Steht eine Pflichtverletzung fest, kommen bereits nach dem Wortsinn allenfalls Abhilfemaßnahmen in Betracht. Das Schrifttum problematisiert das Verhältnis der beiden Pflichten soweit er- 72 sichtlich nicht näher und scheint im Ergebnis anzunehmen, dass sie gleichzeitig zu erfüllen seien.162 Ein derartiges Verständnis wäre indes kaum mit der in Bezug auf den eigenen 73 Geschäftsbereich und die unmittelbaren Zulieferer klar und eindeutig im Gesetz verankerten Stufenfolge zwischen Risikoanalyse und Präventionsmaßnahmen vereinbar: Gemäß § 6 Abs. 1 LkSG hat ein Unternehmen, welches im 160 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51. 161 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51. 162 Vgl. etwa Helck, BB 2021, 1603, 1606.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung Rahmen der Risikoanalyse ein Risiko feststellt, unverzüglich angemessene Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Das Gesetz knüpft die Vornahme der Präventionsmaßnahmen nach § 6 Abs. 2 bis 4 LkSG damit an die (positive) Feststellung eines menschenrechtlichen und/oder umweltbezogenen Risikos im eigenen Geschäftsbetrieb oder bei unmittelbaren Zulieferern.163 Wird im Rahmen einer ordnungsgemäß durchgeführten Risikoanalyse kein Risiko festgestellt, besteht mithin nach dem Gesetzeswortlaut auch keine Verpflichtung zur Durchführung der weiteren Präventionsmaßnahmen des § 6 LkSG (dazu § 6 Rz. 3). Zwar liegen im Fall des § 9 Abs. 3 LkSG nicht nur Anhaltspunkte für ein mögliches Risiko, sondern sogar Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung vor. Zudem ist substantiierte Kenntnis nur gegeben, wenn die Information bereits einen gewissen Plausibilitätsgrad aufweist (dazu Rz. 25). Allerdings werden die Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung i.S.d. § 9 Abs. 3 LkSG in der Regel von außen an das Unternehmen herangetragen (dazu Rz. 17 f.), während die Präventionsmaßnahmen nach § 6 LkSG erst nach einer internen Prüfung durch das verpflichtete Unternehmen selbst durchzuführen sind. 74 Vor diesem Hintergrund sprechen die überzeugenderen Gründe dafür, dass das

verpflichtete Unternehmen in folgender zeitlicher Abstufung vorgehen darf: – Erstens: Durchführung von Maßnahmen zur Risikoanalyse zur Erhärtung bzw. Entkräftung der zugrunde liegenden Anhaltspunkte. – Zweitens: Ergreifen von Präventionsmaßnahmen, wenn und weil sich der Verdacht nach dem Ergebnis der Risikoanalyse entweder erhärtet hat oder sich jedenfalls nicht vollständig ausräumen ließ. Ergibt eine erste, intern initiierte Überprüfung der Anhaltspunkte, dass diese nicht stichhaltig sind, kann auch keine Verpflichtung zur Verankerung von Präventionsmaßnahmen gegenüber dem mittelbaren Zulieferer bestehen. Kann das Unternehmen die Risikoanalyse wegen tatsächlicher oder rechtlicher Hindernisse nicht innerhalb eines angemessen kurzen Zeitraums zu einem (Zwischen-)Abschluss bringen, ist gleichwohl die parallele Initiierung von Präventionsmaßnahmen nach § 9 Abs. 3 Nr. 2 LkSG zu empfehlen.

b) Ermessensspielraum und Relevanz der Beispiele 75 Sowohl die Fassung des Referenten- als auch die des Regierungsentwurfs sah

noch keine Beispiele für angemessene Präventionsmaßnahmen vor.164 Diese wurden vielmehr erst durch den Ausschuss für Arbeit und Soziales als Konkretisierung eingefügt.165 Dagegen enthielt die Regelung ursprünglich einen Verweis auf § 6 LkSG. Dieser wurde jedoch in der finalen Fassung gestrichen, da

163 Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 107; Grabosch in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 5 Rz. 78. 164 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 14: „… angemessene Präventionsmaßnahmen im Sinne des § 6 gegenüber dem Verursacher zu verankern.“ 165 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 42.

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er auf den eigenen Geschäftsbereich und die unmittelbaren Zulieferer, nicht dagegen auf die mittelbaren Zulieferer ausgerichtet sei.166 Die Regierungsbegründung hebt hervor – und das dürfte trotz bzw. gerade we- 76 gen der Streichung des Verweises auf § 6 LkSG in der endgültigen Gesetzesfassung weiterhin Gültigkeit haben (dazu Rz. 75) –, dass das verpflichtete Unternehmen bei der Wahl der Maßnahmen einen Ermessensspielraum hat.167 Bei den genannten Beispielen handelt es sich damit um reine Anregungen. Eine Umsetzungspflicht besteht nicht. c) Gegenüber dem Verursacher Die Gesetzesbegründung sieht vor, dass ggf. der mittelbare Zulieferer direkt 77 oder über unmittelbare Zulieferer zu kontaktieren bzw. vor Ort zu kontrollieren sei.168 Eine Schrifttumsstelle hebt hervor, dass der Kontakt mit dem mittelbaren Zulieferer in jedem Fall in Absprache mit dem unmittelbaren Zulieferer erfolgen sollte, „um den eigenen Vertragspartner nicht vor den Kopf zu stoßen“169. Offen lasse das Gesetz, was passiert, wenn dieser eine abweichende Einschätzung habe, mit dem Vorgehen des verpflichteten Unternehmens nicht einverstanden sei, oder wenn er sich weigere, seine Vertragspartner offenzulegen.170 Die aus praktischer und rechtlicher Sicht beträchtlichere Schwierigkeit dürfte 78 eher in der fehlenden rechtlichen Handhabe und Durchsetzbarkeit der Maßnahmen gegenüber dem mittelbaren Zulieferer mangels eigener vertraglicher Bindung liegen (vgl. dazu bereits Rz. 56). Vor diesem Hintergrund dürfte der (Um-)Weg über den unmittelbaren Zulieferer in vielen Fällen erforderlich sein, um überhaupt eine Gesprächsmöglichkeit mit dem mittelbaren Zulieferer zu erhalten (vgl. dazu bereits Rz. 59). In Fällen, in denen eine Etablierung von Präventionsmaßnahmen gegenüber 79 dem mittelbaren Zulieferer mit angemessenen Mitteln rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist, sollte das verpflichtete Unternehmen zwar organisatorisch sicherstellen, dass eine Veränderung der Lage im Hinblick auf den mittelbaren Zulieferer aus öffentlich verfügbaren Quellen beobachtet wird. Darüber hinaus dürfte sich die Pflichtenlage in diesem Fall eher auf das Verhältnis zum unmittelbaren Zulieferer verlagern. Um die Einhaltung der Sorgfaltspflichten weiter abzusichern und zu dokumentieren, kann das verpflichtete Unternehmen von dem unmittelbaren Zulieferer etwa aktualisierte Selbstauskünfte und vertragliche Zusicherungen einholen oder auf ihn einwirken, den betroffenen mittelbaren Zulieferer zu unterstützen oder auszutauschen. 166 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 42. 167 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51. 168 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51. 169 Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1237, 1243. 170 Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1237, 1243.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung d) Durchführung von Kontrollmaßnahmen (Abs. 3 Nr. 2 Bsp. 1) 80 Als erstes Beispiel für angemessene Präventionsmaßnahmen nennt das Gesetz

die Durchführung von Kontrollmaßnahmen. In der Gesetzesbegründung heißt es, diese kämen insbesondere in Betracht, wenn der mittelbare Zulieferer beispielsweise durch eine Weitergabeklausel vertraglich verpflichtet worden sei, den Lieferantenkodex des Unternehmens umzusetzen.171 Im Schrifttum wird vor diesem Hintergrund vereinzelt vertreten, Kontrollmaßnahmen sollten offenbar nur vorgenommen werden, wenn die vertragliche Bindung zwischen dem unmittelbaren und dem mittelbaren Zulieferer den Lieferantenkodex des verpflichteten Unternehmens umfasse.172 Derart restriktiv kann der Gesetzgeber nicht verstanden werden. Vielmehr dürfte hinter der Bemerkung in der Gesetzesbegründung die – zutreffende – Einsicht stehen, dass ein verpflichtetes Unternehmen ohne Einräumung einer Kontrollmöglichkeit über vertragliche Weitergabeklauseln keinerlei rechtliche Handhabe gegenüber einem mittelbaren Zulieferer hat (dazu Rz. 56 ff.), präventiv Zugang zu dessen Betrieb zu Kontrollzwecken zu verlangen. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob ein mittelbarer Zulieferer einem solchen Ansinnen selbst dann nachkommen wird, wenn er eine entsprechende vertragliche Weitergabeklausel des unmittelbaren Zulieferers unterzeichnet hat (dazu Rz. 56 ff.).

81 Die Abgrenzung der Kontrollmaßnahmen nach § 9 Abs. 3 Nr. 2 LkSG zu der

Risikoanalyse nach § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG (Rz. 60 ff., 71 ff.) erscheint nicht hinreichend klar. Für das praktische Ergebnis ist es indes unerheblich, ob das verpflichtete Unternehmen bestimmte Maßnahmen als Risikoanalyse oder als Kontrolle einstuft. Je größer der Überschneidungsbereich ist, desto weniger fällt die Frage ins Gewicht, ob zwischen § 9 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 LkSG ein Stufenverhältnis besteht oder nicht (Rz. 71 ff.).

82 Dem verpflichteten Unternehmen steht bei der Entscheidung, welche Kontroll-

maßnahmen durchgeführt werden, ein weiter Ermessensspielraum zu (Rz. 76). In Betracht kommen etwa Lieferantenselbstauskünfte173; Standortbegehungen zur Sichtprüfung auf offensichtliche Vergehen oder Schwachpunkte; Unterlagenprüfungen (etwa von Personalakten und Arbeitsverträgen; Informationen über Arbeitszeiten etc.), professionalisierte Vor-Ort-Audits durch das verpflichtete Unternehmen und/oder Dritte sowie die Vorlage oder Durchführung von Zertifizierungen (vgl. hierzu bereits Rz. 65). 171 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51. 172 Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 89. 173 Kritisch zur Anerkennung von Audits, Zertifizierungen und Lieferantenerklärungen als hinreichende Sorgfalt innerhalb der Lieferkette angesichts von Fehleranfälligkeit und begrenzter Aussagekraft dagegen CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung/Forum Menschenrechte/Initiative Lieferkettengesetz/VENRO, Behördliche Durchsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes – Anforderungen aus zivilgesellschaftlicher Sicht, März 2022, S. 15 (abrufbar im Internet unter https://venro.org/publi kationen/detail/behoerdliche-durchsetzung-des-lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, zuletzt abgerufen am 31.3.2022).

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e) Unterstützung bei der Vorbeugung und Vermeidung eines Risikos (Abs. 3 Nr. 2 Bsp. 2) Als zweites Regelbeispiel für angemessene Präventionsmaßnahmen nennt § 9 83 Abs. 3 Nr. 2 LkSG die Unterstützung bei der Vorbeugung und Vermeidung eines Risikos. Bemerkenswert ist, dass diese Alternative weder Teil der gesetzlich geregelten Präventions- noch der Abhilfemaßnahmen im Verhältnis zu unmittelbaren Zulieferern ist. Es liegt nahe, dass das Regelbeispiel auf der Erwägung beruht, dass (i) menschenrechts- oder umweltbezogene Risiken häufig nicht am Anfang, sondern am Ende der Lieferkette angesiedelt sind und (ii) die mittelbaren Zulieferer vielfach zur Risikominimierung erst durch externe Unterstützung befähigt werden müssen. Dieses Postulat findet sich insbesondere im Entwurf der EU-Nachhaltigkeits-RiL wieder, dort allerdings auch im Verhältnis zu unmittelbaren Zulieferern. Die Gesetzesbegründung konkretisiert, dass die Unterstützung des betroffenen 84 mittelbaren Zulieferers auch dazu dienen könne, eine Lieferkette mit stabilen Geschäftsbeziehungen aufzubauen.174 In Betracht komme z.B. die gezielte und langfristige Unterstützung bestimmter mittelbarer Zulieferer, die für das Unternehmen von strategischer Bedeutung sind, um diese als stabile Partner zu etablieren.175 Denkbar sei auch die Unterstützung bestimmter sozialer Projekte in einer Region, die der Stärkung bestimmter Rechte dienen, wie z.B. der Gewerkschaftsfreiheit.176 Als weitere Praxisbeispiele für die Umsetzung von Pilotprojekten bei mittelbaren Zulieferern können etwa der Bau eines Brunnens oder einer Schule bei einem afrikanischen Kakao-Lieferanten genannt werden. f) Umsetzung von branchenspezifischen oder -übergreifenden Initiativen (Abs. 3 Nr. 2 Bsp. 3) Als drittes Beispiel für Präventionsmaßnahmen nennt § 9 Abs. 3 Nr. 2 LkSG die 85 Umsetzung von branchenspezifischen oder -übergreifenden Initiativen, denen das Unternehmen „beigetreten ist“. Demgegenüber sollen verpflichtete Unternehmen als eine Abhilfemaßnahme bei unmittelbaren Zulieferern nach § 7 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LkSG „den Zusammenschluss mit anderen Unternehmen im Rahmen von Brancheninitiativen und Branchenstandards“ erwägen, um die Einflussmöglichkeit auf den Verursacher zu erhöhen (näher § 7 Rz. 91 ff.). Die Gesetzesbegründung bezeichnet den Beitritt zu branchenspezifischen oder 86 -übergreifenden Initiativen als ein wichtiges Instrument, um gemeinsam mit anderen Unternehmen risikovorbeugende Maßnahmen zu erarbeiten.177 Sie stuft die Bedeutung kooperativer Ansätze als hoch ein, da die vorgelagerte Lieferkette häufig aus komplexen und intransparenten Lieferantennetzwerken bestehe.178 174 175 176 177 178

Vgl. RegE Vgl. RegE Vgl. RegE Vgl. RegE Vgl. RegE

BT-Drucks. 19/28649, 51. BT-Drucks. 19/28649, 51. BT-Drucks. 19/28649, 51. BT-Drucks. 19/28649, 51. BT-Drucks. 19/28649, 51.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung Als Vorteile führt die Gesetzesbegründung an, die Initiativen dienten dazu, Vorgaben zu standardisieren, das eigene Einflussvermögen zu vergrößern und durch Synergieeffekte eine Aufwandsreduktion zu erzielen.179 Für langfristige Branchenkooperationen finden sich in der internationalen und nationalen Praxis von Menschenrechtsrisiken besonders betroffener Industrien wie etwa der Bekleidungsindustrie zahlreiche Beispiele (z.B. das Bündnis Grüner Knopf oder der ehemalige Bangladesh Accord180). Bevor Unternehmen eine derartige Initiative gründen oder ihr beitreten, sollten sie – trotz der unbestreitbaren allgemeinen Vorteile – eine angemessene Informationsgrundlage zu dem damit verbundenen wirtschaftlichen, personellen und zeitlichen Aufwand und dem spezifischen praktischen und reputationellen Nutzen schaffen und auf dieser Basis eine Abwägungsentscheidung treffen.

g) Sonstige 87 Sowohl der Gesetzeswortlaut selbst („etwa“) als auch die Gesetzesbegründung181

stellen klar, dass die Aufzählung der möglichen Präventionsmaßnahmen in § 9 Abs. 3 Nr. 2 LkSG nicht abschließend ist.

88 Die Gesetzesbegründung hebt – an erster Stelle, vor Befassung mit den Regel-

beispielen – hervor, dass zu den geeigneten Präventionsmaßnahmen gehören könne, „gegenüber einem mittelbaren Zulieferer zu verdeutlichen, die menschenrechtsbezogene Erwartungen und menschenrechtlichen sowie umweltbezogenen Pflichten zu erfüllen“.182 Der Gesetzgeber wollte damit vermutlich ausdrücken, dass das verpflichtete Unternehmen den mittelbaren Zulieferer auf die Bedeutung der Einhaltung seiner menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen hinweisen soll. Denn in der Gesetzesbegründung heißt es weiter, hilfreiche Grundlage für eine erfolgreiche Kommunikation sei etwa die Übersetzung der entsprechenden Lieferantenkodizes in die geeignete Sprache und deren Veröffentlichung.183 Während eine Übersetzung des Lieferantenkodex tatsächlich sinnvoll sein kann, wenn und weil davon auszugehen ist, dass der betroffene mittelbare Zulieferer die englische Version nicht hinreichend versteht, dürfte eine Veröffentlichung des Lieferantenkodex in Hindi oder Afrikaans etwa auf der Unternehmenshomepage nur in Ausnahmefällen geboten sein. Zum einen müsste sich das verpflichtete Unternehmen fragen lassen, weshalb nur ein einziges Dokument auf der Homepage in der betreffenden Sprache abgelegt ist. Änderungen in der maßgeblichen Sprachfassung müssten nachgezogen werden. Zum anderen ist eine Kenntnisnahme durch 179 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51. 180 Seit 1.9.2021 neu gefasst und als „International Accord for Health and Safety in the textile and Garment Industry“ bezeichnet. 181 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9.6.2021, BT-Drucks. 19/30505, 42. 182 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51. 183 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51.

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den mittelbaren Zulieferer deutlich wahrscheinlicher, wenn ihm die übersetzte Version unmittelbar übersandt oder überreicht und ggf. zusätzlich erläutert wird. Als weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung von mit- 89 telbaren Zulieferern kommen etwa in Betracht: – Anbieten von Schulungen184; – Erweiterung von Vertragsverhältnissen; – Gespräche mit der Geschäftsleitung und Mitarbeitern des mittelbaren Zulieferers; – Rechtliche, finanzielle oder technische Unterstützung bei der Optimierung von Prozessen. 6. Erstellung und Umsetzung eines Konzepts zur Verhinderung, Beendigung und Minimierung (Abs. 3 Nr. 3) Nach § 9 Abs. 3 Nr. 3 LkSG sollen verpflichtete Unternehmen zur Erstellung 90 und Umsetzung eines Konzepts zur Verhinderung, Beendigung und Minimierung verpflichtet sein. Diese Bestimmung ist – obwohl sie keinen ausdrücklichen Verweis auf § 7 LkSG enthält – erkennbar an die entsprechende Verpflichtung im Verhältnis zu unmittelbaren Zulieferern in § 7 Abs. 2 LkSG angelehnt, der jedoch nur von einem Konzept zur „Beendigung und Minimierung“ handelt. Dieser Unterschied dürfte darauf beruhen, dass § 7 Abs. 2 LkSG (anders als § 7 Abs. 1 und § 9 Abs. 3 LkSG) von der Fallgruppe einer bereits eingetretenen Verletzung ausgeht (dazu § 7 Rz. 69). Dieses Verständnis bestätigt die Gesetzesbegründung ausdrücklich.185 Eine Stimme im Schrifttum geht erkennbar von einem restriktiven Verständnis 91 des § 9 Abs. 3 Nr. 3 LkSG aus und legt dar, dass in der Regel keine konkreten Abhilfemaßnahmen gefordert seien.186 Offen sei, ob das Unternehmen, „sofern es tatsächlich auf der Hand liegende Abhilfemaßnahmen gibt, diese auch ergreifen muss“.187 Ein derart weitreichendes Ermessen dürfte weder mit Wortlaut und Systematik noch mit dem Telos des Gesetzes vereinbar sein. Richtig ist vielmehr, dass § 9 LkSG keine zwingenden Maßnahmen vorsieht, insbesondere nicht den Abbruch der Geschäftsbeziehung. Außerdem betont die Gesetzesbegründung ein Ermessen des Unternehmens hinsichtlich der Abhilfemaßnahmen.188 Nichtsdestotrotz bestätigt die Gesetzesbegründung, dass jedenfalls in Anlehnung an § 7 Abs. 2 LkSG ein Verhinderungs- und Vermeidungskonzept zu erstellen und umzusetzen 184 Vgl. auch Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement, BMUB Praxisleitfaden für Unternehmen, 2017, S. 33. 185 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51. 186 Schäfer, ZLR 2022, 22, 51. 187 Schäfer, ZLR 2022, 22, 51. 188 Vgl. auch Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 89.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung ist.189 In der Begründung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales heißt es sogar ausdrücklich: „Das Konzept sollte auch die Beendigung der Verletzung bewirken.“ Im Ergebnis kann daher im Wesentlichen auf die Kommentierung zu § 7 Abs. 2 LkSG verwiesen werden (dazu § 7 Rz. 80 ff.). Darüber hinaus sollten verpflichtete Unternehmen im Hinblick auf die Umsetzung des Konzepts prüfen, ob bzw. inwieweit eine Einbindung des jeweiligen unmittelbaren Zulieferers sinnvoll und ist und ggf. sogar rechtlich eingefordert werden kann. 7. Aktualisierung der Grundsatzerklärung (Abs. 3 Nr. 4) 92 § 9 Abs. 3 Nr. 4 LkSG erlegt einem verpflichteten Unternehmen schließlich auf,

„gegebenenfalls entsprechend seine Grundsatzerklärung gemäß § 6 Absatz 2 zu aktualisieren“. Die Gesetzesbegründung stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Grundsatzerklärung „wenn Bedarf besteht“, entsprechend anzupassen sei.190 Als Beispiele für derartige mögliche Bedarfsfälle führt die Gesetzesbegründung festgestellte relevante Risiken in der Lieferkette und eine Konkretisierung der menschenrechtsbezogenen Erwartungen, die das Unternehmen an seine Zulieferer in der Lieferkette hat, an.191 Diese Formulierung ist offenkundig an die in § 6 Abs. 2 Nr. 2 und 3 LkSG vorgesehenen Mindestpflichtelemente jeder Grundsatzerklärung angelehnt. Eine entsprechende, wenngleich nicht ebenso spezifisch formulierte Anpassungspflicht dürfte § 6 Abs. 5 LkSG im Hinblick auf Erkenntnisse bezogen auf den eigenen Geschäftsbereich und die unmittelbaren Zulieferer enthalten (vgl. § 6 Rz. 154 ff.). Dass diese Verpflichtung nicht in einer § 9 Abs. 3 Nr. 4 LkSG im Wesentlichen entsprechenden Formulierung in § 7 LkSG enthalten ist, stellt einen gewissen Systembruch dar.

93 Damit ist grundsätzlich in jedem Fall, der die Sorgfaltspflichten im Verhältnis zu

mittelbaren Zulieferern auslöst, zu prüfen, ob eine Anpassung der Grundsatzerklärung geboten bzw. sinnvoll sein könnte. Insgesamt dürfte den Unternehmen im Hinblick auf die tatsächliche Anpassung der Grundsatzerklärung ein weites Ermessen zukommen. Bestätigt bereits die nach § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG durchzuführende Risikoanalyse den Verdacht nicht, dürfte eine Anpassung der Grundsatzerklärung regelmäßig nicht erforderlich sein. Erhärtet die Risikoanalyse den Verdacht jedoch und betrifft er ein Risikofeld, dass das Unternehmen bislang nicht in seiner Lieferkette vermutet und daher im Rahmen der Grundsatzerklärung nicht erwähnt hatte, sollte genauer geprüft werden, ob eine Anpassung der Grundsatzerklärung geboten oder sinnvoll sein könnte. Je nachdem, wie bedeutsam der betroffene Abschnitt der Lieferkette für das Unternehmen und wie erheblich das identifizierte Risiko ist, kann von einer gewissen Reduzierung des Ermessens auszugehen sein. Zum Inhalt der Grundsatzerklärung (vgl. § 6 Rz. 11 ff.).

189 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51: „Die Anforderungen richten sich entsprechend nach § 7 Absatz 2, soweit durch eine Rechtsverordnung gemäß § 9 Absatz 4 nichts Näheres geregelt worden ist.“ 190 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51. 191 Vgl. RegE BT-Drucks. 19/28649, 51.

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V. Verordnungsermächtigung (Abs. 4) § 9 Abs. 4 LkSG ermächtigt das BMAS, Näheres zu den Pflichten nach § 9 94 Abs. 3 LkSG durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und ohne Zustimmung des Bundesrats zu regeln. Bislang liegt eine derartige Rechtsverordnung weder vor noch ist sie angekündigt. In den FAQ des BMAS zum LkSG heißt es auf die Frage, wann mit der Ausübung der im Gesetz vorgesehenen Verordnungsermächtigungen zu rechnen sei, dass die Vorschriften lediglich die Möglichkeit, aber nicht die Pflicht zu Rechtsverordnungen vorsähen.192 Stand November 2021 seien keine Rechtsverordnungen geplant gewesen.193 Bemerkenswert erscheint, dass die Rechtsverordnungsermächtigung – wie auch das LkSG in weiten Teilen selbst – erst am 1.1. 2023 in Kraft tritt (vgl. Art. 5 Abs. 1 LkSG). Zuvor könnten damit allenfalls Entwurfsfassungen vorbereitet werden. Diese Zurückhaltung des BMAS, von der Verordnungsermächtigung Gebrauch 95 zu machen, erschwert den verpflichteten Unternehmen die Umsetzung der stark auslegungsbedürftigen Vorgaben des § 9 LkSG naturgemäß zusätzlich. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch die FAQs desselben Ministeriums just zu diesem umfangreichen Bereich der Lieferkette, hinsichtlich dessen die verpflichteten Unternehmen besonders auf Leitlinien angewiesen wären, weitgehend schweigen. Diverse Verbände haben das BMAS daher dringend aufgefordert, von der Verordnungsermächtigung Gebrauch zu machen. Eine nach dem 1.1.2023 ggf. erlassene Rechtsverordnung dürfte den verpflichteten Unternehmen einen eher geringen Mehrwert bringen, da sie den Hauptteil der Implementierungsmaßnahmen bereits im Jahr 2022 vornehmen werden. Umso mehr verwundert, dass auch die Rechtsverordnungsermächtigung erst am 1.1.2023 in Kraft tritt (Rz. 94). Teile von Schrifttum und Praxis erachten es im Lichte der Wesentlichkeitstheo- 96 rie zu Recht für rechtsstaatlich bedenklich, dass einzelne Festlegungen hinsichtlich der gebotenen Maßnahmen durch Rechtsverordnung getroffen werden können.194 Das zuständige Ministerium erhalte auf diesem Wege gewissermaßen eine Blankoermächtigung für Regelungen in einem der für die Umsetzung des 192 Vgl. Ziff. XVI.3., abrufbar im Internet unter https://www.csr-in-deutschland.de/DE/ Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichtenin-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 12.3.2022). 193 Vgl. Ziff. XVI.3., abrufbar im Internet unter https://www.csr-in-deutschland.de/DE/ Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichtenin-Lieferketten/FAQ/faq-art.html (zuletzt abgerufen am 12.3.2022). 194 Vgl. Jungkind/Raspé/Terbrack, DK 2021, 445, 448; Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1237, 1243: „… stellt eine bedenkliche Blankoermächtigung zu einer wichtigen wirtschaftspolitischen Fragestellung und eine Verantwortungsverschiebung von der Legislative auf die Exekutive dar, die mit dem Gebot der Normklarheit und der Wesentlichkeitstheorie schwer zu vereinbaren ist.“ Vgl. auch die Stellungnahme des DAV, NZG 2021, 546, 552.

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§ 9 | Mittelbare Zulieferer; Verordnungsermächtigung LkSG bedeutsamsten Bereiche.195 Andere bezweifeln, dass es dem Verordnungsgeber gelingen könnte, praktikable Lösungen für die vielfältigen rechtlichen und tatsächlichen Unsicherheiten hinsichtlich der Sorgfaltspflichten im Verhältnis zu mittelbaren Zulieferern vorzugeben.196 Eine vertiefte Prüfung dieser Kritik erscheint indes erst möglich, wenn eine entsprechende Verordnung vorliegt.197

195 Vgl. die Stellungnahme des DAV, NZG 2021, 546, 552. 196 Vgl. Nietsch/Wiedmann, CCZ 2021, 101, 108. 197 Prozessschritte nachhaltiges Lieferkettenmanagement, Leitfaden des econsense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., 2017, S. 14.

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§ 10 Dokumentations- und Berichtspflicht (1) Die Erfüllung der Sorgfaltspflichten nach § 3 ist unternehmensintern fortlaufend zu dokumentieren. Die Dokumentation ist ab ihrer Erstellung mindestens sieben Jahre lang aufzubewahren. (2) Das Unternehmen hat jährlich einen Bericht über die Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten im vergangenen Geschäftsjahr zu erstellen und spätestens vier Monate nach dem Schluss des Geschäftsjahrs auf der Internetseite des Unternehmens für einen Zeitraum von sieben Jahren kostenfrei öffentlich zugänglich zu machen. In dem Bericht ist nachvollziehbar mindestens darzulegen, 1. ob und falls ja, welche menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken oder Verletzungen einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht das Unternehmen identifiziert hat, 2. was das Unternehmen, unter Bezugnahme auf die in den §§ 4 bis 9 beschriebenen Maßnahmen, zur Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten unternommen hat; dazu zählen auch die Elemente der Grundsatzerklärung gemäß § 6 Absatz 2, sowie die Maßnahmen, die das Unternehmen aufgrund von Beschwerden nach § 8 oder nach § 9 Absatz 1 getroffen hat, 3. wie das Unternehmen die Auswirkungen und die Wirksamkeit der Maßnahmen bewertet und 4. welche Schlussfolgerungen es aus der Bewertung für zukünftige Maßnahmen zieht. (3) Hat das Unternehmen kein menschenrechtliches oder umweltbezogenes Risiko und keine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht festgestellt und dies in seinem Bericht plausibel dargelegt, sind keine weiteren Ausführungen nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 bis 4 erforderlich. (4) Der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ist dabei gebührend Rechnung zu tragen. I. Überblick und Gesetzgebungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . II. Interne Dokumentationspflicht, § 10 Abs. 1 LkSG . . . . . . . . . . . 1. Zweck der internen Dokumentationspflicht . . . . . . . . . . . . . 2. Adressat bzw. Schuldner der internen Dokumentationspflicht 3. Adressat der zu erstellenden internen Dokumentation . . . . . 4. Zeitpunkt der Erstellung der internen Dokumentation . . . . . 5. Form der zu erstellenden internen Dokumentation . . . . . . . .

_ _ _ _ _ _ _ 1 3 4 5 6 7 8

6. Inhalt und Darstellung der zu erstellenden Dokumentation . 7. Aufbewahrung der erstellten Dokumentation, § 10 Abs. 1 S. 2 LkSG . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rechtsfolgen von Verstößen gegen die interne Dokumentationspflicht . . . . . . . . . . . . III. Externe Berichtspflicht, § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG . . . . . . 1. Zweck der externen Berichtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Adressat bzw. Schuldner der externen Berichtspflicht . . . .

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. . . . . .

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht 3. Adressat des zu erstellenden externen Berichts . . . . . . . . . . 4. Zeitpunkt der Erstellung und Veröffentlichung des externen Berichts . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Form des externen Berichts . . . 6. Inhalt und Darstellung des externen Berichts a) Berichtsinhalt . . . . . . . . . . . aa) Angabe der identifizierten Risiken bzw. Verletzungen, § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 LkSG . . . . . . . bb) Angabe der Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten, § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 LkSG . . . . . . . cc) Bewertung der Auswirkungen und Wirksamkeit der Maßnahmen, § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 LkSG . .

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dd) Schlussfolgerungen für zukünftige Maßnahmen, § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 LkSG . . . . . . . . . . . . . . b) Darstellungstiefe aa) Maßstab der Nachvollziehbarkeit . . . . . . . . . . bb) Wahrung von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen, § 10 Abs. 4 LkSG . . . 7. Veröffentlichung des externen Berichts . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Behördliche Berichtsprüfung, §§ 12 und 13 LkSG . . . . . . . . . 9. Rechtsfolgen von Verstößen gegen die externe Berichtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

_ _ _ _ _ _ 33 35 39 44 46 48

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Literatur: Ehmann, Der Regierungsentwurf für das Lieferkettengesetz: Erläuterung und erste Hinweise zur Anwendung, ZVertriebsR 2021, 141; Ehmann/Berg, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG): ein erster Überblick, GWR 2021, 287; Gehling/Ott/Lüneborg, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230; Helck, Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten: Worauf sich Unternehmen zukünftig vorbereiten müssen, BB 2021, 1603; Nietsch/Wiedmann, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, CCZ 2021, 101; Niklas/Lex, Das neue Lieferkettengesetz – Ein Überblick über die wesentlichen Inhalte und etwaige arbeitsrechtliche Implikationen, ArbRB 2021, 212; Reich, Menschenrechts- und Umweltschutz in der Lieferkette, AG 2021, R116; Seibt/Vesper-Gräske, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erweitert Compliance-Pflichten, CB 2021, 357; Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67; Wagner/Ruttloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145.

I. Überblick und Gesetzgebungsgeschichte 1 § 10 LkSG statuiert Transparenzpflichten des verpflichteten Unternehmens im

Hinblick auf die Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten. Die Vorschrift differenziert dabei zwischen einer internen Dokumentationspflicht (§ 10 Abs. 1 LkSG) und einer externen Berichtspflicht (§ 10 Abs. 2 bis 4 LkSG): Die interne Dokumentationspflicht betrifft die lediglich unternehmensinterne Dokumentation, wie die Sorgfaltspflichten des LkSG erfüllt wurden und werden. Demgegenüber betrifft die externe Berichtspflicht die Berichterstattung des verpflichteten Unter594

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Dokumentations- und Berichtspflicht | § 10

nehmens über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten gegenüber der Öffentlichkeit. Während die im Rahmen der internen Dokumentationspflicht dokumentierten Informationen im Ausgangspunkt in der Sphäre des verpflichteten Unternehmens (bzw. der Aufsichtsbehörde, s. dazu näher Rz. 6) verbleiben, ist mit der externen Berichterstattungspflicht eine Preisgabe der Informationen an die Öffentlichkeit verbunden. Sowohl die interne Dokumentationspflicht als auch die externe Berichtspflicht sind anlasslos zu erfüllen, d.h. es bedarf keiner vorherigen Feststellung eines menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risikos.1 Die interne Dokumentationspflicht des § 10 Abs. 1 LkSG war bereits im Refe- 2 rentenentwurf enthalten und ist ohne Änderung durch den Regierungsentwurf Gesetz geworden. Auch die externe Berichtspflicht des § 10 Abs. 2 LkSG war bereits im Referentenentwurf vorgesehen und hat – mit Ausnahme weniger zu Klarstellungszwecken erfolgter Änderungen infolge der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales – materiell unverändert Eingang in das LkSG gefunden.

II. Interne Dokumentationspflicht, § 10 Abs. 1 LkSG Nach § 10 Abs. 1 LkSG ist die Erfüllung der Sorgfaltspflichten unternehmens- 3 intern fortlaufend zu dokumentieren und diese Dokumentation für mindestens sieben Jahre aufzubewahren. Die Dokumentationspflicht erstreckt sich dabei auf die zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten ergriffenen Maßnahmen.2 1. Zweck der internen Dokumentationspflicht Die interne Dokumentationspflicht dient zweierlei Zwecken, die zwar im Aus- 4 gangspunkt einander entgegengerichtet sind, die aber nichtsdestotrotz in enger Verbindung zueinander stehen: Zum einen liegt der Zweck der internen Dokumentationspflicht in einer Gewährleistung der Effektivität der Aufsicht über das verpflichtete Unternehmen durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Aufsichtsbehörde (§ 19 Abs. 1 LkSG), indem eine informatorische Grundlage für die öffentlich-rechtliche Durchsetzung der Sorgfaltspflichten geschaffen wird.3 Hintergrund dafür bildet namentlich die Regelung des § 17 Abs. 2 LkSG, nach der sich die Herausgabepflicht des verpflichteten Unternehmens gegenüber der Aufsichtsbehörde auch auf die im Rahmen des § 10 Abs. 1 LkSG erstellte interne Dokumentation erstreckt und die Aufsichtsbehörde dem1 Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2147; Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906. 2 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52. Siehe in diesem Zusammenhang auch Art. 3 Abs. 1 der EU-Konfliktmineralienverordnung (VO (EU) 2017/821), wonach Unternehmen die dort festgelegten Sorgfaltspflichten in der Lieferkette erfüllen und Unterlagen aufbewahren müssen, durch die sie die Erfüllung dieser Pflichten nachweisen. 3 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 51.

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht entsprechend die so erlangten Informationen für Aufsichtszwecke nutzen kann. Durch § 10 Abs. 1 LkSG wird demnach die Aufsicht und damit verbunden die Rechtsposition der Aufsichtsbehörde gestärkt. Zum anderen dient die interne Dokumentationspflicht aber auch dem Schutz des verpflichteten Unternehmens, weil ihm die erstellte Dokumentation die Führung des Nachweises gegenüber der Aufsichtsbehörde ermöglicht, dass es seine Sorgfaltspflichten erfüllt hat bzw. erfüllt.4 Die beiden Schutzzwecke des § 10 Abs. 1 LkSG bilden dementsprechend zwei Seiten einer Medaille, indem die Vorschrift zum einen die Grundlage für die Durchsetzung der Sorgfaltspflichten durch die Aufsichtsbehörde schafft, zum anderen aber auch den Nachweis ermöglicht, dass ebendiese Sorgfaltspflichten erfüllt wurden bzw. werden. 2. Adressat bzw. Schuldner der internen Dokumentationspflicht 5 Adressat der internen Dokumentationspflicht ist das verpflichtete Unterneh-

men. Das ergibt sich aus dem Umstand, dass Adressat bzw. Schuldner der Sorgfaltspflichten, deren Erfüllung gem. § 10 Abs. 1 LkSG zu dokumentieren ist, ebenfalls nur das verpflichtete Unternehmen, nicht aber unmittelbar dessen Geschäftsführungsorgan ist. Im Übrigen geht auch die Regierungsbegründung zum LkSG davon aus, dass Schuldner der internen Dokumentationspflicht das verpflichtete Unternehmen ist.5 Unternehmensintern obliegt die Erfüllung der Dokumentationspflicht dem jeweiligen Geschäftsführungsorgan des verpflichteten Unternehmens. Dieses kann die damit zusammenhängenden Aufgaben des verpflichteten Unternehmens an nachgeordnete Stellen delegieren, wenn das jeweilige Gesellschaftsrecht des verpflichteten Unternehmens dies zulässt. 3. Adressat der zu erstellenden internen Dokumentation

6 Zwar betrifft § 10 Abs. 1 LkSG lediglich eine unternehmensinterne Dokumenta-

tionspflicht. Allerdings ist Adressat der zu erstellenden Dokumentation zuvörderst das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Aufsichtsbehörde (§ 19 Abs. 1 LkSG). Das ergibt sich nicht nur aus dem auf die Gewährleistung einer effektiven Aufsicht gerichteten (Teil-)Zweck des § 10 Abs. 1 LkSG, eine informatorische Grundlage für die öffentlich-rechtliche Durchsetzung der Sorgfaltspflichten zu schaffen. Auch der weitere Schutzzweck zugunsten des verpflichteten Unternehmens weist in dieselbe Richtung. Denn die Kontrolle, ob die Sorgfaltspflichten erfüllt wurden, obliegt gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1a) 4 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 51. Siehe auch Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 239: „möglichst lückenlose Dokumentation als Voraussetzung für die Sanktionsabwehr“; Noll/Aryobsei in jurisPR-Compl 2/2021, Anm. 5: „Eine Dokumentation ist zum einen für die praktische Umsetzung erforderlich, und zum anderen kann sie im Falle eines Verstoßes gegen eine Pflicht der Entlastung des Geschäftsleiters dienen.“ 5 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52: „Das Unternehmen hat sicherzustellen, dass es die zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten ergriffenen Maßnahmen fortlaufend und unverzüglich dokumentiert.“ [Hervorhebungen durch den Verfasser].

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LkSG der Aufsichtsbehörde, so dass der Nachweis der ordnungsgemäßen Erfüllung der Sorgfaltspflichten in erster Linie dieser gegenüber zu erbringen ist. Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass interne Stellen des verpflichteten Unternehmens keinen Zugriff auf die erstellte interne Dokumentation haben. Ganz im Gegenteil kann und sollte die erstellte interne Dokumentation auch für die unternehmensinterne Kontrolle nutzbar gemacht werden, ob (und wie) die Sorgfaltspflichten des LkSG erfüllt wurden bzw. werden. Der unternehmensinterne Rückgriff auf die erstellte interne Dokumentation ist dabei gerade auch deshalb geboten, um der Pflicht zur jährlichen und anlassbezogenen Durchführung bzw. Überprüfung der Risikoanalyse und der Wirksamkeit der Präventions- und der Abhilfemaßnahmen sowie des Beschwerdeverfahrens effektiv nachkommen zu können (§§ 5 Abs. 4, 6 Abs. 5, 7 Abs. 4, 8 Abs. 5 LkSG). 4. Zeitpunkt der Erstellung der internen Dokumentation Die zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten des LkSG ergriffenen Maßnahmen sind 7 nach § 10 Abs. 1 S. 1 LkSG fortlaufend zu dokumentieren. Die Dokumentationspflicht wird damit nicht durch ein nur einmaliges Verhalten – die Dokumentation – erfüllt, sondern sie entsteht ständig von Neuem, wenn neue Maßnahmen ergriffen werden. Die interne Dokumentationspflicht verpflichtet das verpflichtete Unternehmen dementsprechend zur Etablierung eines ständigen und sich wiederholenden Prozesses, durch den sichergestellt wird, dass die zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten des LkSG ergriffenen Maßnahmen fortlaufend dokumentiert werden. Die interne Dokumentation hat unverzüglich, nachdem eine bestimmte Maßnahme zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten ergriffen wurde, zu erfolgen. In Anlehnung an § 121 Abs. 1 S. 1 BGB ist erforderlich, dass die Maßnahme ohne schuldhaftes Zögern dokumentiert wird, sobald sie ergriffen wurde.6 5. Form der zu erstellenden internen Dokumentation § 10 Abs. 1 LkSG statuiert keine expliziten Vorgaben zur Form der zu erstellen- 8 den internen Dokumentation. Das hat zur Folge, dass die Wahl der Form der internen Dokumente in das (nahezu freie) Ermessen des Geschäftsleitungsorgans des verpflichteten Unternehmens fällt. Die Dokumentation kann dementsprechend beispielsweise in Schrift- oder Textform erfolgen. Aus der Verwendung des Begriffs „dokumentieren“ sowie aus der Aufbewahrungspflicht des § 10 Abs. 1 S. 2 LkSG folgt lediglich, dass die gewählte Form gewährleisten muss, dass die Informationen dauerhaft, d.h. für die Mindestdauer von sieben Jahren, verfügbar sind. Die interne Dokumentationspflicht kann dementsprechend durch das schlichte Führen z.B. einer (umfangreichen) Excel-Liste erfüllt werden. Empfehlenswert erscheint insofern freilich die Nutzung eines professionellen Dokumentenmanagement- und Datenbanksystems, idealerweise eines unternehmensweiten, funktionsübergreifenden IT-gestützten Ablagetools, in dem die 6 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52.

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht Nachweise zu der Erfüllung der Sorgfaltspflichten archiviert und aktualisiert werden, um eine möglichst lückenlose Dokumentation sicherzustellen.7 6. Inhalt und Darstellung der zu erstellenden Dokumentation 9 Als Gegenstand der internen Dokumentationspflicht benennt § 10 Abs. 1 S. 1

LkSG die Erfüllung der Sorgfaltspflichten nach § 3 LkSG. Wie sich aus der Regierungsbegründung zum LkSG ergibt, sind damit die zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten ergriffenen Maßnahmen gemeint.8 Die Bezugnahme auf § 3 LkSG erfasst dabei die in § 3 Abs. 1 S. 2 LkSG aufgeführten Sorgfaltspflichten. Dementsprechend sind die Maßnahmen zu dokumentieren, die zur Erfüllung der dort in Bezug genommenen Sorgfaltspflichten ergriffen wurden. Das umfasst einerseits die Maßnahmen zur Einrichtung eines Risikomanagements (§ 4 Abs. 1 LkSG), zur Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit zur Überwachung des Risikomanagements, (§ 4 Abs. 3 LkSG) und zur Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen (§ 5 LkSG). Im Hinblick auf Letztere sollten zumindest der Durchführungsmodus der Risikoanalyse sowie die Ergebnisse der Risikoanalyse detailliert dokumentiert werden.9 Zu dokumentieren sind ferner die Maßnahmen zur Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich (§ 6 Abs. 1 und 3 LkSG) und gegenüber unmittelbaren Zulieferern (§ 6 Abs. 4 LkSG), zur Abgabe der Grundsatzerklärung (§ 6 Abs. 2 LkSG) und zur Ergreifung von Abhilfemaßnahmen (§ 7 Abs. 1 bis 3 LkSG). Schließlich müssen die Maßnahmen zur Einrichtung eines unternehmensinternen Beschwerdeverfahrens (§ 8 LkSG) und zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten in Bezug auf Risiken bei mittelbaren Zulieferern (§ 9 LkSG) dokumentiert werden. Die in § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 LkSG genannten Maßnahmen zur Erfüllung der internen Dokumentationspflicht (§ 10 Abs. 1 LkSG) und der externen Berichterstattungspflicht (§ 10 Abs. 2 LkSG) sind dagegen nicht zu dokumentieren, denn es ergibt wenig Sinn, Maßnahmen zu dokumentieren, die selbst wiederum der Erfüllung einer Dokumentations- oder Berichterstattungspflicht dienen.

10 Hinsichtlich des weiteren Inhalts und der Darstellung macht § 10 Abs. 1 S. 1

LkSG keine näheren Vorgaben. Daraus ergibt sich ein breiter Ermessens- und Darstellungsspielraum des verpflichteten Unternehmens. Grenzen der Darstellungsfreiheit ergeben sich lediglich aus dem Zweck der internen Dokumentationspflicht: Weil Adressat der internen Dokumentation das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Aufsichtsbehörde ist (dazu näher unter Rz. 6), muss die Dokumentation so beschaffen sein, dass diese in die Lage versetzt wird, die Erfüllung der Sorgfaltspflichten kontrollieren zu können. Das erfordert zunächst, dass die Maßnahmen zur Einrichtung und Überwachung des Risikomanagements (§ 4 LkSG) sowie zur Einrichtung des unternehmensinternen Beschwerdeverfahrens (§ 8 LkSG) dokumentiert werden. Des Weiteren sind alle vom verpflichteten Un7 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 236, 239. 8 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52. 9 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 234.

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ternehmen identifizierten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken sowie etwaige Verletzungen entsprechender Pflichten zu dokumentieren. Schließlich sind die im Hinblick auf die identifizierten Risiken und Verletzungen ergriffenen Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie deren Auswirkungen bzw. Wirksamkeit darzustellen. Bei komplexen Abwägungen (z.B. im Hinblick auf die Bewertung von Risiken) und schwierigen Entscheidungen (z.B. über den Abbruch einer Geschäftsbeziehung) ist die Darstellung um eine kurze Begründung der getroffenen Entscheidung anhand der Angemessenheitskriterien zu ergänzen.10 Nach der Regierungsbegründung zum LkSG „kann“ die interne Dokumentation 11 auch sensible Informationen enthalten, die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse berühren, weil die Dokumentation für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist.11 Letzteres ist zwar richtig, allerdings darf nicht übersehen werden, dass das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Aufsichtsbehörde über sein Herausgaberecht nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 LkSG Zugriff auf die Dokumentation – und damit auch auf etwaige, darin enthaltene Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse – nehmen kann und daher die Gefahr besteht, dass die sensiblen Information die Sphäre des verpflichteten Unternehmens verlassen. Soweit es sich bei dem verpflichteten Unternehmen um eine Aktiengesellschaft handelt, kann dieser Umstand mit der den Vorstand treffenden Verschwiegenheitspflicht (§ 93 Abs. 1 S. 3 AktG) in Konflikt geraten. Denn Informationen an Behörden sind aktienrechtlich grundsätzlich nicht von dem sich aus der Verschwiegenheitspflicht ergebenden Vertraulichkeitsgebot ausgenommen. Das gilt auch dann, wenn die Behörde ihrerseits einer Verschwiegenheitspflicht unterliegt. Dementsprechend gibt es aktienrechtlich auch kein allgemeines Berichtsrecht gegenüber einer Behörde.12 Zwar gilt die Verschwiegenheitspflicht nicht, wenn das Gesetz eine sich auch auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse erstreckende Berichtspflicht statuiert. Das ist bei § 10 Abs. 1 LkSG aber gerade nicht der Fall. Nichtsdestotrotz steht die Verschwiegenheitspflicht im Ergebnis einer Aufnahme von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen in die interne Dokumentation nicht entgegen. Denn die Verschwiegenheitspflicht besteht einzig im Unternehmensinteresse und wird daher durchbrochen, wenn die Preisgabe von Informationen im Unternehmensinteresse liegt.13 Trägt die Aufnahme sensibler Informationen dazu bei, den Nachweis über die ordnungsgemäße Erfüllung der Sorgfaltspflichten des LkSG gegenüber der Aufsichtsbehörde zu führen, so ist darin ein Unternehmensinteresse zu erblicken, hinter das die Verschwiegenheitspflicht grundsätzlich zurücktritt. Dementsprechend können – und sollten – auch sensible Informationen in die interne Dokumentation aufgenommen werden, wenn diese dazu beitragen, den Nachweis über die ordnungsgemäße Erfüllung der Sorgfaltspflichten des LkSG zu führen. 10 Vgl. Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 5 Rz. 143. 11 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 51. 12 Siehe zu diesen Grundsätzen etwa Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2018, § 116 AktG Rz. 249; Noack/Zöllner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 AktG Rz. 43. 13 Siehe nur Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019 § 93 Rz. 150; Fleischer, ZGR 2009, 505, 526.

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht 7. Aufbewahrung der erstellten Dokumentation, § 10 Abs. 1 S. 2 LkSG 12 Die erstellte interne Dokumentation ist gem. § 10 Abs. 1 S. 2 LkSG für mindes-

tens sieben Jahre aufzubewahren. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt der Erstellung der Dokumentation. „Dokumentation“ bezieht sich dabei auf die jeweils ergriffene und dokumentierte Maßnahme zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten, so dass die Frist in Bezug auf jede der ergriffenen und dokumentierten Maßnahmen von Neuem beginnt. Der Begriff der „Aufbewahrung“ erfordert keine physische Präsenz von Schriftstücken. Es genügt vielmehr, dass die interne Dokumentation auf andere Weise – etwa digital – verfügbar ist. Der (vorsätzliche oder fahrlässige) Verstoß gegen die Aufbewahrungspflicht stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße bis zu € 100.000 geahndet werden kann (§ 24 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 2 Nr. 3 LkSG). 8. Rechtsfolgen von Verstößen gegen die interne Dokumentationspflicht

13 Anders als der Verstoß gegen die Pflicht zur Aufbewahrung der Dokumentation

(§ 10 Abs. 1 S. 2 LkSG i.V.m. § 24 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 2 Nr. 3 LkSG) ist der Verstoß gegen die Pflicht zur interne Dokumentation nach § 10 Abs. 1 S. 1 LkSG nicht bußgeldbewährt und damit aus der Perspektive des Ordnungswidrigkeitenrechts sanktionslos. Auch eine zivilrechtliche Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB scheidet aus, weil § 10 Abs. 1 LkSG gem. § 3 Abs. 3 LkSG kein Schutzgesetz ist. Allerdings kann die unterbliebene (ordnungsgemäße) Dokumentation der zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten ergriffenen Maßnahmen zur Folge haben, dass der Nachweis der Erfüllung der Sorgfaltspflichten nicht geführt werden kann. Dies wiederum kann zur Verhängung einer Geldbuße nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 LkSG führen. Zwar erscheint es nicht gänzlich ausgeschlossen, den Nachweis über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten auch auf andere Weise als durch die interne Dokumentation zu führen. Das wird in der Praxis allerdings sehr schwierig sein.

III. Externe Berichtspflicht, § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG 14 Nach § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG hat das verpflichtete Unternehmen jährlich einen

Bericht über die Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten im vergangenen Geschäftsjahr zu erstellen und spätestens vier Monate nach dem Schluss des Geschäftsjahrs auf der Internetseite des verpflichteten Unternehmens für einen Zeitraum von sieben Jahren kostenfrei öffentlich zugänglich zu machen. Die Vorschrift betrifft dementsprechend die externe Berichterstattung des verpflichteten Unternehmens über die Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten nach dem LkSG gegenüber der Öffentlichkeit.14 14 Eine vergleichbare Regelung enthält Art. 11 des Kommissionsvorschlags für eine Lieferkettensorgfaltspflichtenrichtlinie, 2022/0051 (COD), S. 71 (s. dazu auch Erwägungsgrund 66). Siehe in diesem Zusammenhang auch Art. 7 Abs. 3 der EU-Konfliktminera-

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1. Zweck der externen Berichtspflicht Zweck der externen Berichtspflicht ist zuvörderst die Schaffung von Trans- 15 parenz zugunsten der Öffentlichkeit, wodurch auch eine Kontrollfunktion verwirklicht wird.15 Daneben soll die externe Berichtspflicht nach der Regierungsbegründung zum LkSG auch die Grundlage für die behördliche Kontrolle bieten und damit letztlich auch der Effektivität der Aufsicht über das verpflichtete Unternehmen dienen.16 Letzterer Zweck wird aber bereits durch die interne Dokumentationspflicht des § 10 Abs. 1 LkSG verfolgt. Die interne Dokumentation kann dabei auch sensible Informationen enthalten, die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse berühren. Dementsprechend werden sich aus der internen Dokumentation im praktischen Regelfall für die Aufsichtsbehörde weitreichendere Erkenntnisse mit Relevanz für deren Kontrolltätigkeit ergeben als aus dem externen Bericht des § 10 Abs. 2 LkSG. Vor diesem Hintergrund kommt im Rahmen der externen Berichtspflicht dem Zweck der Effektivität der Aufsicht im Verhältnis zum Zweck der Schaffung von Transparenz zugunsten der Öffentlichkeit nur untergeordnete Bedeutung zu. 2. Adressat bzw. Schuldner der externen Berichtspflicht Adressat der externen Berichtspflicht ist nach dem klaren Wortlaut des § 10 16 Abs. 2 LkSG das jeweilige verpflichtete Unternehmen. Unternehmensintern obliegt die Erfüllung der Berichtspflicht dem jeweiligen Geschäftsführungsorgan des verpflichteten Unternehmens. Dieses kann die damit zusammenhängenden Aufgaben des verpflichteten Unternehmens an nachgeordnete Stellen delegieren, wenn das jeweilige Gesellschaftsrecht des verpflichteten Unternehmens dies zulässt. Ob und inwiefern eine Prüfung des externen Berichts durch ein etwaiges Aufsichtsorgan des verpflichteten Unternehmens, im Falle einer Aktiengesellschaft etwa durch den Aufsichtsrat, vorzunehmen ist, ist eine Frage des Gesellschaftsrechts des verpflichteten Unternehmens. Das LkSG sieht insofern keine besonderen Prüfpflichten vor. Auch das Aktienrecht enthält keine spezifische Regelung zu dieser Frage.17 Allerdings obliegt dem Aufsichtsrat im Rahmen seiner allgemeinen Überwachungspflicht (§ 111 Abs. 1 AktG) die Pflicht, die Geschäftsführung durch den Vorstand u.a. auf deren Rechtmäßigkeit hin zu prüfen. Der Aufsichtsrat hat daher zu prüfen, ob der Vorstand seiner externen Belienverordnung (VO (EU) 2017/821), wonach Unionseinführer von Mineralen oder Metallen jährlich öffentlich und in möglichst breitem Rahmen, auch über das Internet, über ihre Strategien zur Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht in der Lieferkette nach der EUKonfliktmineralienverordnung und ihre Verfahren im Hinblick auf eine verantwortungsvolle Beschaffung berichten. 15 Vgl. Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2147. 16 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52. 17 § 171 Abs. 1 S. 4 AktG sieht lediglich für den gesonderten nichtfinanziellen Bericht (§ 289b HGB) und den gesonderten nichtfinanziellen Konzernbericht (§ 315b HGB) eine obligatorische Prüfung durch den Aufsichtsrat vor.

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht richtspflicht nach § 10 Abs. 2 LkSG nachgekommen ist, was eine Plausibilitätskontrolle des externen Berichts einschließt.18 17 Für Konzerne statuiert das Gesetz keine Erleichterungen: Jedes konzernangehö-

rige Unternehmen, das als verpflichtetes Unternehmen in den Anwendungsbereich des LkSG fällt, hat einen eigenen externen Bericht zu erstellen und zu veröffentlichen. Eine bei der Konzernobergesellschaft angesiedelte „Konzernberichterstattung“, die die übrigen Konzernunternehmen von der eigenen Berichterstattungspflicht befreien würde, sieht das LkSG nicht vor.19 Soweit ein Konzernunternehmen dagegen nicht selbst als verpflichtetes Unternehmen in den Anwendungsbereich des LkSG fällt, trifft dieses Unternehmen auch dann keine Pflicht zur externen Berichterstattung, wenn andere Unternehmen desselben Konzerns dem LkSG unterliegen.20 3. Adressat des zu erstellenden externen Berichts

18 Adressat des nach § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG zu erstellenden externen Berichts ist

die Öffentlichkeit. Das ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 2 LkSG („öffentlich zugänglich zu machen“), sondern auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Der nun in § 10 Abs. 2 enthaltene Passus „und spätestens vier Monate nach dem Schluss des Geschäftsjahrs auf der Internetseite des Unternehmens für einen Zeitraum von sieben Jahren öffentlich zugänglich zu machen“ fand sich zunächst in § 10 Abs. 4 des Referentenentwurfs sowie des Regierungsentwurfs.21 Durch die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales wurde dieser Passus aus Abs. 4 gestrichen und stattdessen in Abs. 2 integriert. Dadurch sollte klargestellt werden, dass Adressat des externen Berichts die Öffentlichkeit ist.22 4. Zeitpunkt der Erstellung und Veröffentlichung des externen Berichts

19 Gemäß § 10 Abs. 2 LkSG ist der externe Bericht jährlich zu erstellen und spätes-

tens vier Monate nach dem Schluss des Geschäftsjahrs öffentlich zugänglich zu 18 Vgl. Diskussionspapier zu Rechts- und Umsetzungsfragen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes des Verbands der Chemischen Industrie e.V., Stand: 18.3.2022, S. 60. 19 Vgl. Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 5 Rz. 145; s. dazu auch FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter IV.7. sowie Diskussionspapier zu Rechts- und Umsetzungsfragen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes des Verbands der Chemischen Industrie e.V., Stand: 18.3.2022, S. 59. 20 Siehe dazu etwa FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4. 2022), unter XIII.4.: „[Ausländische Tochtergesellschaften] haben keine Berichtspflichten, weil sie nicht unter den Anwendungsbereich gem. § 1 LkSG fallen (nicht in Deutschland ansässig, keine Zweigniederlassung).“ 21 Vgl. § 10 Abs. 4 des RefE LkSG (Bearbeitungsstand: 28.2.2021) sowie § 10 Abs. 4 des RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 15. 22 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BTDrucks. 19/30505, 41.

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machen. Im Hinblick auf die erstmalige Erstellung des externen Berichts ist zu beachten, dass die Regelungen über die Sorgfaltspflichten des LkSG – ebenso wie die Regelungen zur externen Berichterstattung – erst am 1.1.2023 in Kraft treten.23 Die externe Berichterstattung läuft damit für das Jahr 2022 leer, weil die Sorgfaltspflichten in diesem Jahr noch nicht erfüllt werden mussten.24 Sofern das Geschäftsjahr zugleich das Kalenderjahr bildet, kann (und muss) der erstmalige externe Bericht damit (spätestens) im April 2024 veröffentlicht werden. Er hat sich dabei auf die Erfüllung der Sorgfaltspflichten im Jahr 2023 zu beziehen. Im Ergebnis muss damit nur über Sachverhalte ab dem 1.1.2023 berichtet werden.25 Während § 10 Abs. 2 LkSG für die Veröffentlichung einen bestimmten Stichtag 20 vorsieht – vier Monate nach Ende des Geschäftsjahrs26 – fehlt es an der expliziten Benennung eines Stichtags für die Berichtserstellung. Auch die Regierungsbegründung begnügt sich mit dem Hinweis, die externe Berichtspflicht habe „einmal im Jahr“ zu erfolgen.27 Dementsprechend ist der genaue Zeitpunkt, zu dem der externe Bericht zu erstellen ist, grundsätzlich dem verpflichteten Unternehmen überlassen.28 Einschränkungen im Hinblick auf den Erstellungszeitraum ergeben sich dabei aber in zweierlei Hinsicht: Zum einen muss der externe Bericht spätestens vier Monate nach Geschäftsjahresende erstellt werden, weil ansonsten die rechtzeitige Veröffentlichung des Berichts nach § 10 Abs. 2 S. 1 LkSG unmöglich ist. Zum anderen kann der externe Bericht frühestens nach Ende des Geschäftsjahrs, auf das er sich bezieht, erstellt werden. Das ergibt sich aus dem auf das vergangene Geschäftsjahr gerichteten Bezugszeitraum des externen Berichts. Vor Schluss dieses Geschäftsjahrs kann naturgemäß nicht über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten in eben diesem (gesamten) Geschäftsjahr berichtet werden. Innerhalb des Viermonatszeitraums nach dem Geschäftsjahresende steht die Wahl des genauen Erstellungszeitpunkts dem verpflichteten Unternehmen frei. Die Pflicht zur Erstellung und Veröffentlichung des externen Berichts entsteht 21 jährlich von Neuem. Daraus folgt aber nicht, dass das verpflichtete Unternehmen den externen Bericht jeweils taggenau nach einem Jahr seit der letzten Er23 Vgl. Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vom 16.7.2021, BGBl. I Nr. 46, S. 2959. 24 Schäfer, ZLR 2022, 22, 44. 25 Vgl. FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter XIII.5. 26 Ebenso fordert Art. 11 des Kommissionsvorschlags für eine Lieferkettensorgfaltspflichtenrichtlinie, 2022/0051 (COD), S. 71 eine Veröffentlichung bis zum 30. April eines jeden Jahres. 27 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52. 28 Insofern kann eine Parallele zu § 161 AktG gezogen werden, der zur „jährlichen“ Abgabe einer Entsprechenserklärung verpflichtet, ohne den Abgabezeitpunkt näher zu bestimmen. Daraus wird im Aktienrecht überwiegend gefolgert, der genaue Abgabezeitpunkt sei grundsätzlich Vorstand und Aufsichtsrat überlassen, vgl. Bayer/Scholz in BeckOGK/AktG, Stand: 1.9.2021, § 161 Rz. 100.

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht stellung bzw. Veröffentlichung zu erstellen bzw. zu veröffentlichen hätte. Eine solche starre Jahresfrist wäre nur zu rechtfertigen, wenn ansonsten die Gefahr bestünde, dass bestimmte Zeiträume von dem Bericht nicht abgedeckt werden. Das ist bei dem externen Bericht nach § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG indes nicht der Fall, denn dieser erstreckt sich – unabhängig von dem genauen Tag der Erstellung bzw. Veröffentlichung – jeweils auf das vergangene Geschäftsjahr. Dementsprechend droht auch bei Wahl eines vom Vorjahr abweichenden Erstellungsbzw. Veröffentlichungszeitpunkts keine Gefahr, dass der externe Bericht bestimmte Zeiträume nicht abdeckt. 22 Fällt ein Unternehmen unterjährig in den Anwendungsbereich des LkSG, so

entsteht die Pflicht zur externen Berichterstattung erstmals mit dem Ende des Geschäftsjahrs, in dem das Unternehmen in den Anwendungsbereich des LkSG gelangte. Bezugszeitraum des erstmaligen Berichts kann in diesem Fall aber nicht das gesamte vergangene Geschäftsjahr (d.h. das Geschäftsjahr, in dem das Unternehmen erstmals in den Anwendungsbereich des LkSG gelangte) sein, weil das Unternehmen vor dem Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit des LkSG keine Sorgfaltspflichten nach dem LkSG zu erfüllen hatte und dementsprechend auch nicht über deren Erfüllung berichten kann. Bezugszeitraum des erstmalig zu erstellenden Berichts kann daher nur der Zeitraum des vergangenen Geschäftsjahrs sein, der nach dem Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit des LkSG liegt, so dass auch nur über diesen Zeitraum zu berichten ist. Um es an einem Beispiel zu zeigen: Überschreitet ein Unternehmen mit Sitz im Inland, dessen Geschäftsjahr dem Kalenderjahr entspricht, am 15.4.2024 den Arbeitnehmerschwellenwert des § 1 Abs. 1 LkSG und gelangt damit in den Anwendungsbereich des LkSG, so hat es einen externen Bericht gem. § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG erstmals im Zeitraum zwischen dem 1.1.2025 und dem 30.4.2025 zu erstellen und zu veröffentlichen. Dieser Bericht hat sich allerdings nur auf den Zeitraum zwischen dem 15.4.2024 und dem 31.12.2024 zu erstrecken. 5. Form des externen Berichts

23 § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG enthalten keine expliziten Vorgaben zur Form des Be-

richts. Allerdings folgt bereits aus der Verwendung des Begriffs „Bericht“ sowie aus der Veröffentlichungspflicht des § 10 Abs. 2 S. 1 LkSG ein Mindestmaß an (elektronischer) Verkörperung. Formvorgaben für den externen Bericht ergeben sich darüber hinaus mittelbar aus § 12 Abs. 1 LkSG, der die Einreichung des Berichts beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Aufsichtsbehörde regelt. Danach ist der Bericht elektronisch über einen von der Aufsichtsbehörde bereitgestellten Zugang einzureichen. Im Einklang damit wird ausweislich der Regierungsbegründung zum LkSG für das Berichtsformat ein elektronischer Zugang von der Aufsichtsbehörde bereitgestellt.29 Aus der Pflicht zur elektronischen Einreichung ergibt sich zugleich, dass der Bericht in elektronischer Form zu erstellen ist. 29 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52.

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§ 12 Abs. 1 LkSG sieht darüber hinaus vor, dass der externe Bericht in deutscher 24 Sprache einzureichen ist.30 Vor dem Hintergrund des § 23 VwVfG, nach dem die Amtssprache im Verwaltungsverfahren deutsch ist, ist das nur folgerichtig. Zwar bezieht sich das Erfordernis der deutschen Sprache nur auf den an die Aufsichtsbehörde gem. § 12 Abs. 1 LkSG übermittelten Bericht, ohne eine entsprechende Vorgabe auch im Rahmen des § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG zu statuieren. Auch legt es § 10 Abs. 2 S. 1 LkSG, der eine Veröffentlichung auf der Internetseite des verpflichteten Unternehmens vorsieht, nahe, den Bericht (zusätzlich) in der Sprache des Hauptsitzes des verpflichteten Unternehmens zu verfassen.31 Daraus lässt sich allerdings nicht schließen, dass der externe Bericht im Ergebnis rechtlich zwingend in mehreren verschiedenen Sprachen – der Sprache des Hauptsitzes des verpflichteten Unternehmens (§ 10 LkSG) und der deutschen Sprache (§ 12 LkSG) – zu verfassen ist. Ein solches Erfordernis einer doppelten Berichterstattung stünde im Widerspruch zum vom Gesetzgeber verfolgten Ziel, das LkSG auf Anforderungen zu beschränken, die „praktikabel, verhältnismäßig und ohne übermäßigen bürokratischen Aufwand umzusetzen“ sind.32 Auch vor dem Hintergrund, dass sich § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG zur Sprache des externen Berichts nicht äußern, muss es daher genügen, dass der Bericht in deutscher Sprache verfasst (und bei der Aufsichtsbehörde eingereicht) wird. Soweit es sich bei dem verpflichteten Unternehmen allerdings um ein ausländisches Unternehmen handelt, kann es aus Transparenzgründen empfehlenswert sein, den externen Bericht freiwillig nicht nur in deutscher Sprache, sondern auch in der jeweiligen Landessprache zu verfassen. Eine dahingehende Rechtspflicht statuieren §§ 10, 12 LkSG aber nicht. 6. Inhalt und Darstellung des externen Berichts a) Berichtsinhalt Vorgaben für den Inhalt des externen Berichts statuieren § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 25 bis 4 LkSG. Danach hat der Bericht bestimmte Informationen als Mindestangaben zu enthalten. Die Mindestangaben umfassen nach der Regierungsbegründung zum LkSG Informationen „zu sämtlichen Schritten der Risikoanalyse“,33 wobei der Begriff der Risikoanalyse nicht auf die Maßnahmen nach § 5 LkSG beschränkt ist, sondern weitergehend auch Präventions- und Abhilfemaßnahmen (§§ 6 und 7 LkSG) im Hinblick auf im Rahmen der Risikoanalyse nach § 5 LkSG 30 Siehe dazu auch FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4. 2022), unter XIII.6. 31 Nach § 1 Abs. 1 S. 2 LkSG gilt das Gesetz auch für Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung nicht im Inland haben. 32 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 23. Auch im Zusammenhang mit der nach § 13 Abs. 3 LkSG zu erlassenden Rechtsverordnung zur Regelung des Einreichungs- und Berichtsprüfungsverfahrens weist der Gesetzgeber darauf hin, Regelungsgegenstand einer solchen Rechtsverordnung sei etwa ein „standardisiertes, aufwandsarmes, benutzerfreundliches und effizientes Berichtssystem“, vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 53. 33 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52.

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht identifizierte Risiken erfasst. Das verpflichtete Unternehmen muss dementsprechend ersichtlich machen, ob und welche menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken oder Verletzungen entsprechender Pflichten es im Rahmen der Risikoanalyse nach § 5 LkSG ermittelt hat, welche Präventions- und Abhilfemaßnahmen es zur Begegnung dieser Risiken oder Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich, beim unmittelbaren und beim mittelbaren Zulieferer ergriffen hat und weshalb es diese Schritte gegangen ist. Schließlich hat das verpflichtete Unternehmen im externen Bericht zu bewerten, welche Auswirkungen die getroffenen Maßnahmen hatten und einen Ausblick über Folgemaßnahmen geben.34 26 Das Gesetz nennt in § 10 Abs. 2 S. 2 LkSG lediglich den Mindestinhalt des Be-

richts, so dass weitergehende Angaben zulässig sind. Die in den Nr. 1 bis 4 genannten Vorgaben sind dabei sehr abstrakt und betreffen teilweise – so bei Nr. 3 und 4 – subjektive Wertungen und Einschätzungen des verpflichteten Unternehmens. Für das verpflichtete Unternehmen ergibt sich daraus ein großer Darstellungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich des Inhalts des Berichts und des Umfangs der darin enthaltenen Angaben.35 Diesen Spielraum hat namentlich das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Aufsichtsbehörde zu respektieren, wenn es den eingereichten externen Bericht daraufhin überprüft, ob die Anforderungen von § 10 Abs. 2 und 3 LkSG eingehalten wurden (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 2 LkSG). aa) Angabe der identifizierten Risiken bzw. Verletzungen, § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 LkSG

27 Im externen Bericht ist anzugeben, ob bzw. welche menschenrechtlichen und

umweltbezogenen Risiken oder Verletzungen entsprechender Pflichten das verpflichtete Unternehmen im Rahmen seiner Risikoanalyse nach § 5 LkSG identifiziert hat. Anzugeben sind dabei alle identifizierten Risiken. Eine Beschränkung auf die Angabe der „wesentlichen“ Risiken, wie sie für die nichtfinanzielle Berichterstattung in §§ 289c Abs. 3 Nr. 3, 315c Abs. 1 HGB vorgesehen ist, lässt § 10 Abs. 2 LkSG für den externen Bericht nicht zu.36 Wie sich aus § 5 Abs. 2 S. 1 LkSG ergibt, geht es bei den anzugebenden Risiken zunächst um Risiken bzw. Verletzungen, die im eigenen Geschäftsbereich oder bei einem unmittelbaren Zulieferer eingetreten sind. Darauf ist die Angabepflicht indes nicht beschränkt, es sind vielmehr auch diejenigen identifizierten Risiken bzw. Verletzungen darzustellen, die bei einem mittelbaren Zulieferer eingetreten sind. Das ergibt sich aus der Bezugnahme des § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 LkSG auf § 9 LkSG so34 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52. 35 Ähnlich Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 911, nach denen es im „unternehmerischen Ermessen und Profil“ liege, in welchem Umfang der Bericht ausgestaltet ist. Siehe auch Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 78: „In der Berichtsgestaltung sind die Unternehmen grundsätzlich frei.“; Noll/Aryobsei in jurisPR-Compl 2/2021, Anm. 5. 36 Vgl. Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 5 Rz. 146.

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wie aus der Regierungsbegründung zum LkSG.37 Über die bloße Wiedergabe der identifizierten Risiken bzw. Verletzungen hinaus ist im externen Bericht auch die gem. § 5 Abs. 2 LkSG anzustellende Gewichtung und Priorisierung der Risiken darzulegen. Denn diese stellt ein wesentliches Element der Grundsatzerklärung dar (vgl. § 6 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 LkSG), über die wiederum nach § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 LkSG zu berichten ist. Falls das verpflichtete Unternehmen trotz angemessener, d.h. den Vorgaben des 28 § 5 LkSG genügender Risikoanalyse kein menschenrechtliches oder umweltbezogenes Risiko und keine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht feststellt, ist auch dies im externen Bericht festzuhalten.38 Wird die mangelnde Feststellung von Risiken bzw. Verletzungen plausibel dargelegt (s. dazu noch näher unter Rz. 35 ff.), so erübrigen sich nach § 10 Abs. 3 LkSG für das verpflichtete Unternehmen weitere Ausführungen im externen Bericht, d.h. in diesem Fall bedarf es der Angaben nach § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 bis 4 LkSG nicht. bb) Angabe der Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten, § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 LkSG Nach § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 LkSG sind im externen Bericht im Anschluss an die 29 identifizierten Risiken bzw. Verletzungen die Maßnahmen darzustellen, die das verpflichtete Unternehmen zur Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten nach dem LkSG ergriffen hat. Nach dem Gesetzeswortlaut soll dies „unter Bezugnahme auf die in den §§ 4 bis 9 beschriebenen Maßnahmen“ erfolgen. Gemeint ist damit, dass im externen Bericht zu erläutern ist, durch welche Maßnahmen das verpflichtete Unternehmen seinen Sorgfaltspflichten nach § 4 bis 9 LkSG nachgekommen ist. Das umfasst die Maßnahmen zur Einrichtung eines Risikomanagements (§ 4 Abs. 1 LkSG), zur Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit zur Überwachung des Risikomanagements, (§ 4 Abs. 3 LkSG), zur Abgabe einer Grundsatzerklärung (§ 6 Abs. 2 LkSG), zur Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich (§ 6 Abs. 1 und 3 LkSG) und gegenüber unmittelbaren Zulieferern (§ 6 Abs. 4 LkSG), zur Ergreifung von Abhilfemaßnahmen (§ 7 Abs. 1 bis 3 LkSG), zur Einrichtung eines unternehmensinternen Beschwerdeverfahrens (§ 8 LkSG) und zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten in Bezug auf Risiken bei mittelbaren Zulieferern (§ 9 LkSG). Die Maßnahmen zur Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen (§ 5 LkSG) sind dagegen schon durch § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 LkSG adressiert. Der in § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 Halbs. 2 LkSG Hinweis darauf, dass auch die Elemente der Grundsatzerklärung nach § 6 Abs. 2 LkSG, mithin die in der Grundsatzerklärung niederzulegenden Elemente einer Menschenrechtsstrategie, sowie die Maßnahmen, die das verpflichtete Unternehmen aufgrund von im Rahmen des internen Beschwerdeverfahrens nach § 8 und § 9 Abs. 1 LkSG eingegangenen Beschwerden 37 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52. 38 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52.

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht getroffen hat, anzugeben seien, dient dementsprechend vornehmlich der Klarstellung. Besondere Bedeutung wird in diesem Zusammenhang anerkannten Zertifizierungen über die Einhaltung der nach dem Gesetz geschuldeten Menschenrechts- und Umweltstandards zukommen. Solange dem verpflichteten Unternehmen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür bekannt sind, dass die Zertifizierung fehlerhaft ist oder wesentliche Risiken unberücksichtigt lässt, dürften derartige Zertifizierungen belegen, dass die Sorgfaltspflichten erfüllt wurden.39 Allerdings befreit die Angabe eines entsprechenden Zertifikats nicht von der Pflicht, die getroffenen Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten im externen Bericht zumindest in knapper Form darzustellen. 30 Eine Schlüsselstellung nimmt die Darstellung der in der Regierungsbegründung

zum LkSG hervorgehobenen Präventions- und Abhilfemaßnahmen gem. § 6 und § 7 LkSG ein, die das verpflichtete Unternehmen zur Begegnung der Risiken und Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich, beim unmittelbaren Zulieferer sowie beim mittelbaren Zulieferer ergriffen hat.40 Denn diese bilden die Reaktion des verpflichteten Unternehmens auf die im Rahmen des § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 LkSG angegebenen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken und Verletzungen entsprechender Pflichten und besitzen dementsprechend für die Öffentlichkeit als Adressaten des externen Berichts besondere Relevanz. Ausweislich der Regierungsbegründung zum LkSG muss über die Darstellung der ergriffenen Präventions- und Abhilfemaßnahmen hinaus im externen Bericht ersichtlich gemacht werden, „weshalb [das verpflichtete Unternehmen] diese Schritte gegangen [ist]“41 – und damit im Ergebnis die Wahl der ergriffenen Präventions- und Abhilfemaßnahmen begründet werden. Eine derartige Begründungspflicht ergibt sich nicht aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 LkSG, allerdings erfordert der auf Schaffung von Transparenz gerichtete Normzweck zumindest eine kurze Begründung der Maßnahmen, um diese in das Handlungsspektrum einordnen zu können. Hohe Anforderungen sind an die Begründung aber nicht zu stellen. Es genügen kursorische Ausführungen zu den Erwägungsgründen des verpflichteten Unternehmens, die hinter den ergriffenen Maßnahmen stehen.

39 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 236; s. auch FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 28.4.2022), unter XIII.3.: „Soweit die Siegel, Zertifikate oder Audits nachweisbar die gesetzlichen Sorgfaltsanforderungen erfüllen, können sie als wichtige Anhaltspunkte für die Erfüllung der Sorgfaltspflichten dienen.“ 40 Siehe zur Hervorhebung dieser Maßnahmen in der Regierungsbegründung RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52: „Die Berichtspflicht umfasst Informationen zu sämtlichen Schritten der Risikoanalyse. Unternehmen müssen ersichtlich machen, ob und welche Risiken sie ermittelt haben, welche Präventions-und Abhilfemaßnahmen sie zur Begegnung dieser Risiken im eigenen Geschäftsbereich, beim unmittelbaren und beim mittelbaren Zulieferer ergriffen haben und weshalb sie diese Schritte gegangen sind. […]“. 41 Siehe zur Hervorhebung dieser Maßnahmen in der Regierungsbegründung RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52.

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cc) Bewertung der Auswirkungen und Wirksamkeit der Maßnahmen, § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 LkSG Das verpflichtete Unternehmen hat im externen Bericht des Weiteren darzustel- 31 len, wie es die Auswirkungen und die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen bewertet. Wie sich aus einer Parallele zu § 4 Abs. 2 LkSG ergibt, bezieht sich die Wirksamkeit der Maßnahme auf das identifizierte Risiko bzw. die identifizierte Verletzung, d.h. es ist darzulegen, inwiefern das menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiko durch die ergriffene Maßnahme minimiert oder die identifizierte Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht durch die ergriffene Maßnahme verhindert, beendet oder ihr Ausmaß minimiert wurde. Die Auswirkungen der Maßnahme betreffen demgegenüber weitergehend die (insbesondere wirtschaftlichen) Folgen, die mit der ergriffenen Maßnahme für das verpflichtete Unternehmen einhergehen, so etwa der Umstand, wie sich eine gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer ergriffene Maßnahme auf das Geschäftsverhältnis zwischen dem verpflichteten Unternehmen und dem Zulieferer ausgewirkt hat. Darüber hinaus ist von Bedeutung, ob die ergriffenen Maßnahmen Auswirkungen auf andere Rechtsgüter (z.B. von Betroffenen) hatten, so etwa, wenn durch eine Präventions- oder Abhilfemaßnahme als Reaktion auf ein bestimmtes, identifiziertes umweltbezogenes Risiko ein anderes (umweltbezogenes oder menschenrechtliches) Risiko entsteht. Wie sich aus dem klaren Wortlaut des § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 LkSG ergibt, hat die 32 Bewertung aus Sicht des verpflichteten Unternehmens zu erfolgen, d.h. maßgeblich ist nur dessen subjektive Sichtweise. Für das verpflichtete Unternehmen hat das einen erheblichen Darstellungs- und Ermessensspielraum zur Folge (s. dazu bereits Rz. 26). Ein inhaltlicher Mangel des externen Berichts liegt daher auch dann nicht vor, wenn das verpflichtete Unternehmen die Auswirkungen und die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen objektiv unrichtig bewertet. Es obliegt in einem solchen Fall dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Aufsichtsbehörde, nach §§ 14 ff. LkSG zu prüfen, ob das verpflichtete Unternehmen seine Sorgfaltspflichten nach den §§ 4 bis 9 LkSG erfüllt hat. Im Übrigen obliegt es der Öffentlichkeit als Berichtsadressaten, eigene Schlussfolgerungen aus der (objektiv unrichtigen) Bewertung des verpflichteten Unternehmens zu ziehen. dd) Schlussfolgerungen für zukünftige Maßnahmen, § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 LkSG Schließlich ist im externen Bericht anzugeben, welche Schlussfolgerungen das 33 verpflichtete Unternehmen für zukünftige Maßnahmen aus der nach § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 LkSG anzustellenden Bewertung der Auswirkungen und Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen zieht. Das betrifft etwa die Einschätzung, ob (und weshalb oder weshalb nicht) das verpflichtete Unternehmen die ergriffene Maßnahme (oder eine ihrer Art nach ähnliche bzw. vergleichbare Maßnahme) noch einmal wählen würde, sollte künftig ein vergleichbares Risiko oder eine verMader

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht gleichbare Verletzung identifiziert werden. Soweit bereits konkrete Folgemaßnahmen in Rede stehen, ist darüber hinaus anzugeben, welche aus der Bewertung gewonnen Erkenntnisse in die Wahl und Ausgestaltung der Folgemaßnahme eingeflossen sind. 34 Auch im Hinblick auf die zu ziehenden Schlussfolgerungen gilt nach § 10 Abs. 2

S. 2 Nr. 4 LkSG ein subjektiver, auf die Einschätzung des verpflichteten Unternehmens abstellender, Maßstab. Maßgeblich (und damit darzustellen) sind dabei nur die von dem verpflichteten Unternehmen gezogenen Schlüsse, nicht dagegen diejenigen Schlüsse, die ein objektiver und sorgfältig handelnder Geschäftsleiter eines Unternehmens, das sich in einer dem verpflichteten Unternehmen vergleichbaren Lage befindet, ziehen würde. Auch insofern ergibt sich ein großer Darstellungs- und Ermessensspielraum für das verpflichtete Unternehmen (s. dazu bereits Rz. 26). b) Darstellungstiefe aa) Maßstab der Nachvollziehbarkeit

35 Im Hinblick auf die Tiefe und Ausführlichkeit der im externen Bericht darzule-

genden Angaben statuiert § 10 Abs. 2 S. 2 LkSG die zentrale Vorgabe, die Angaben müssten „nachvollziehbar“ dargelegt werden. Weil Adressat des externen Berichts die Öffentlichkeit ist, ist die Nachvollziehbarkeit der Angaben für diese maßgeblich, d.h. die Angaben müssen für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein.42 Nach der Regierungsbegründung zum LkSG müssen die Angaben darüber hinaus auch für das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Aufsichtsbehörde nachvollziehbar sein.43 Dafür spricht, dass der externe Bericht bei der Aufsichtsbehörde einzureichen ist und dort der Berichtsprüfung unterliegt (§§ 12, 13 LkSG). Allerdings wird der Kenntnisstand und Assoziationshintergrund der Aufsichtsbehörde in aller Regel schon angesichts des Umstandes, dass die Aufsichtsbehörde über § 17 Abs. 2 Nr. 2 LkSG Zugang zur internen Dokumentation nach § 10 Abs. 1 LkSG hat, höher sein als derjenige der Öffentlichkeit. Sind die Angaben für die Öffentlichkeit nachvollziehbar, dürften sie es daher für die Aufsichtsbehörde erst recht sein. Vor diesem Hintergrund ergeben sich aus der Forderung, die Angaben müssten (zusätzlich auch) für die Aufsichtsbehörde nachvollziehbar sein, keine höheren Anforderungen an die Darstellungstiefe.

36 Nach der Regierungsbegründung zum LkSG erfordert der Maßstab der Nach-

vollziehbarkeit, dass die Informationen inhaltlich richtig und so ausführlich sind, dass sie (von Dritten und der Aufsichtsbehörde) nachvollzogen und einer Plausibilitätskontrolle unterzogen werden können.44 Dass die Angaben des ex-

42 Die Regierungsbegründung spricht insofern von „Dritten“, womit die Öffentlichkeit gemeint sein dürfte, vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52. 43 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52. 44 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52.

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ternen Berichts inhaltlich richtig sein müssen, versteht sich dabei von selbst und folgt nicht erst aus dem Nachvollziehbarkeitsmaßstab. Die Angaben sind nachvollziehbar i.S.d. § 10 Abs. 2 S. 2 LkSG, wenn sie so ausführlich sind, dass die dargelegten Erwägungen des verpflichteten Unternehmens aus Sicht der Öffentlichkeit die im externen Bericht gezogenen Schlussfolgerungen rechtfertigen können. Das ist bereits dann der Fall, wenn die Angaben so ausführlich sind, dass sie einer Plausibilitätskontrolle unterzogen werden können und aus Sicht der Öffentlichkeit auch plausibel sind. An die Plausibilität dürfen dabei keine hohen oder gar überhöhten Anforderungen gestellt werden, denn nur dadurch wird gewährleistet, dass sich das Gesetz – worauf die Regierungsbegründung zum LkSG explizit hinweist – auf Anforderungen beschränkt, die „praktikabel, verhältnismäßig und ohne übermäßigen bürokratischen Aufwand umzusetzen“ sind.45 Gleichsinnig plädiert der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien dafür, „die Berichtspflichten [sollten] nicht zu unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand für die KMU in den Lieferketten oder berichtspflichtigen Gesellschaften führen.“46 Plausibel sind die Angaben daher schon dann, wenn sie in ihrer Gesamtheit für die Öffentlichkeit verständlich sind und für die Öffentlichkeit zumindest einleuchtend erscheinen. Im Ergebnis hat der Maßstab der Nachvollziehbarkeit zur Folge, dass im Hin- 37 blick auf die erforderliche Darstellungstiefe nur geringe Anforderungen bestehen. Keineswegs ist erforderlich, dass die Angaben so detailliert sind, dass die Öffentlichkeit sie einer eingehenden Kontrolle bzw. Überprüfung auf ihre Richtigkeit unterziehen kann. Insbesondere sind keine umfassenden Belege erforderlich. Es genügt, wenn die einzelnen Schritte, Vorkehrungen und Maßnahmen unter Bezugnahme auf die Menschenrechtsstrategie beschreibend dargelegt werden und im Rahmen einer kurzen Erläuterung begründet wird, weshalb die Wahl auf die entsprechende Maßnahme fiel. Ob in diesem Zusammenhang auch auf in Betracht gezogene Handlungsalternativen hingewiesen werden muss, ist nicht gänzlich klar. Die Regierungsbegründung hält derartige Hinweise „gegebenenfalls“ für nötig. Bei Lichte besehen ist es für die erforderliche Plausibilisierung grundsätzlich nicht erforderlich, in Betracht gezogene Handlungsalternativen aufzuzeigen und zu begründen, weshalb die Wahl auf eine andere Maßnahme fiel. Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie es wohl der praktische Regelfall sein dürfte – es für die Wahl der ergriffenen Maßnahme positive Gründe gab. Denn dann genügt für die Plausibilisierung bereits die Nennung der positiven Gründe. Nur dann, wenn es an positiven Gründen für die ergriffene Maßnahme fehlt und sie lediglich deshalb gewählt wurde, weil die Handlungsalternativen noch weniger geeignet waren, ist zur Plausibilisierung der ergriffenen Maßnahme der Hinweis darauf erforderlich, dass und weshalb die in Betracht gezogenen Handlungsalternativen zugunsten der ergriffenen Maßnahme verworfen wurden. 45 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 23. 46 Vgl. Nationaler Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung der Leitprinzipien, S. 9.

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht 38 Scheinbar in (sprachlicher) Abweichung vom Nachvollziehbarkeitsmaßstab ver-

langt § 10 Abs. 3 LkSG eine „plausible“ Darlegung, dass kein menschenrechtliches oder umweltbezogenes Risiko und keine Verletzung einer entsprechenden Pflicht festgestellt wurde. Nach dem Vorstehenden handelt es sich dabei indes bei Lichte besehen nicht um eine Abweichung, denn der Nachvollziehbarkeitsmaßstab entspricht im Kern dem Maßstab der Plausibilität. Durch § 10 Abs. 3 LkSG geht damit für die dort genannten Angaben im Vergleich zu den übrigen Angaben nach § 10 Abs. 2 S. 2 LkSG weder eine Erhöhung noch eine Senkung der Anforderungen an die Darstellungstiefe einher. Die explizite Verwendung des Plausibilisierungsbegriffs ist daher als bloße gesetzgeberische Klarstellung zu verstehen. Auch die Regierungsbegründung zum LkSG enthält keinerlei Hinweise darauf, dass in § 10 Abs. 3 LkSG vom Maßstab der Nachvollziehbarkeit abgewichen werden würde. bb) Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, § 10 Abs. 4 LkSG

39 Das Maß der erforderlichen Darstellungstiefe wird darüber hinaus durch den

Geheimnisschutz nach § 10 Abs. 4 LkSG beschränkt. Danach ist der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bei der externen Berichterstattung gebührend Rechnung zu tragen. Was genau mit dieser Vorgabe gemeint ist, kommt im Wortlaut der Vorschrift nur unvollkommen zum Ausdruck, sind die Begriffe „gebührend Rechnung tragen“ doch reichlich nebulös. Aufschlussreich sind in dieser Hinsicht allerdings die Äußerungen des Gesetzgebers in der Regierungsbegründung. Dort wird ausgeführt, „die Berichtspflicht erstreck[e] sich nur auf das rechtlich Zulässige und Gebotene. Unternehmen [dürften] keine Informationen preisgeben, die als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geschützt sind.“47 Der Gesetzgeber geht damit augenscheinlich davon aus, es gebe ein Verbot dahingehend, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in den externen Bericht aufzunehmen.48 Auf den Wortlaut des § 10 Abs. 4 LkSG, der sich auf ein bloßes „gebührend Rechnung tragen“ beschränkt, lässt sich ein solches striktes Verbot allerdings nicht stützen, so dass sich jedenfalls aus § 10 Abs. 4 LkSG kein Verbot der Aufnahme von Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in den externen Bericht ergibt.

40 Dennoch trifft die Äußerung in der Regierungsbegründung im Ausgangspunkt

das Richtige: § 10 Abs. 4 LkSG ist vor dem Hintergrund etwaiger sich aus dem Innenrecht des jeweiligen verpflichteten Unternehmens ergebender Verschwiegenheitspflichten des Geschäftsführungsorgans zu verstehen, wie sie etwa für den Vorstand einer Aktiengesellschaft nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG oder den Vorstand einer Genossenschaft nach § 34 Abs. 1 S. 3 GenG bestehen.49 Diese erstre47 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52. 48 In diese Richtung auch Dohrmann, CCZ 2021, 265, 268; Ehmann/Berg, GWR 2021, 287, 290; Schork/Schreier, RAW 2021, 74, 78. 49 Trotz Fehlens einer entsprechenden Regelung im GmbHG ist anerkannt, dass auch den Geschäftsführer einer GmbH eine entsprechende Verschwiegenheitspflicht trifft. Das ergibt sich letztlich auch aus § 85 Abs. 1 GmbHG, der die unbefugte Offenbarung eines

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cken sich regelmäßig (auch) auf die in § 10 Abs. 4 LkSG genannten Betriebsund Geschäftsgeheimnisse und untersagen es dem Geschäftsführungsorgan, entsprechende Informationen weiterzugeben oder offenzulegen. Nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen werden derartige Verschwiegenheitspflichten allerdings durchbrochen, wenn das Gesetz dem Geschäftsführungsorgan eine Pflicht zur Informationsweitergabe oder -offenlegung auferlegt, wie es namentlich bei Berichtspflichten der Fall sein kann.50 § 10 Abs. 4 LkSG knüpft nun an solche Verschwiegenheitspflichten an und stellt klar, dass diese auch im Rahmen der externen Berichterstattung uneingeschränkte Geltung beanspruchen und durch die Pflicht zur externen Berichterstattung nicht durchbrochen werden. Die Vorschrift ist damit als Klarstellung zu verstehen, dass andernorts geregelte Verschwiegenheitspflichten des Geschäftsführungsorgans des verpflichteten Unternehmens durch die externe Berichterstattungspflicht nach § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG keine Beschränkung erfahren. Sollte das Innenrecht des verpflichteten Unternehmens dagegen (ausnahmsweise) keine Verschwiegenheitspflicht für dessen Geschäftsführungsorgan vorsehen, ist § 10 Abs. 4 LkSG als Erlaubnistatbestand dahingehend zu verstehen, auf die Aufnahme von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen in den externen Bericht zu verzichten. Aus der Anknüpfung des § 10 Abs. 4 LkSG an andernorts geregelte Ver- 41 schwiegenheitspflichten des Geschäftsführungsorgans des verpflichteten Unternehmens ergibt sich zugleich, dass der Begriff des „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses“ in Übereinstimmung mit dem den Verschwiegenheitspflichten zugrunde liegenden Begriffsverständnis auszulegen ist. Danach werden unter Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen regelmäßig Tatsachen mit Bezug zum Unternehmen verstanden, die nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt, also nicht offenkundig sind und die nach dem bekundeten oder mutmaßlichen Willen der Gesellschaft geheim gehalten werden sollen und an deren Geheimhaltung zumindest ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse besteht.51 Dabei werden den Betriebsgeheimnissen entsprechende Daten aus dem technischen Bereich zugeordnet (wie z.B. Informationen über Konstruktionspläne und -zeichnungen, Modelle, Rezepturen oder Fabrikationsverfahren), während sich Geschäftsgeheimnisse auf den kaufmännischen Bereich beziehen (z.B. auf Kundendaten, Einkaufs- und Zahlungsbedingungen, Preiskalkulationen, ProduktionsGeheimnisses der Gesellschaft durch einen Geschäftsführer unter Strafe stellt und damit die Existenz einer entsprechenden Verschwiegenheitspflicht voraussetzt, s. zum Ganzen etwa Verse in Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018 ff., § 43 Rz. 225. 50 Vgl. etwa für die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2014, § 93 AktG Rz. 297 ff.; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 26. 51 Vgl. etwa für die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 134; für die genossenschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht des § 34 Abs. 1 S. 2 GenG Geibel in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, § 34 GenG Rz. 6; Fandrich in Pöhlmann/ Fandrich/Bloehs, GenG, 4. Aufl. 2012, § 34 Rz. 13 ff.; Beuthien in Beuthien, GenG, 16. Aufl. 2018, § 34 Rz. 18.

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht und Absatzpläne und Fusionsvorhaben).52 Nach diesen Grundsätzen können je nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere Zuliefererbeziehungen als Geschäftsgeheimnis qualifiziert werden – mit der Folge, dass Angaben zu den entsprechenden Zuliefererbeziehungen im externen Bericht unterbleiben können.53 Zu materiell gleichen oder zumindest ähnlichen Ergebnissen dürften Schrifttumsansätze gelangen, die sich bei der Einstufung einer Information als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis an den Maßstäben des § 6 IFG orientieren.54 42 Durch § 10 Abs. 4 LkSG werden die Anforderungen an die Darstellungstiefe des

externen Berichts erheblich beschränkt. Insofern gilt es zu beachten, dass die andernorts geregelten Verschwiegenheitspflichten des Geschäftsführungsorgans des verpflichteten Unternehmens regelmäßig nicht nur die klare Offenbarung eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses untersagen, sondern darüber hinaus selbst vage Andeutungen, aus denen sich der Inhalt der Angabe lediglich ableiten lässt. Das gilt auch dann, wenn die der Verschwiegenheitspflicht unterfallenden Angaben als eigene Schlussfolgerungen bemäntelt werden.55 Für den externen Bericht nach § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG bedeutet dies, dass die Aufnahme von Informationen schon dann unterbleiben kann, wenn sich daraus Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse lediglich ableiten lassen. Im Schrifttum wird demgegenüber teilweise davon ausgegangen, die Formulierung „gebührend Rechnung tragen“ verweise auf eine implizite Interessenabwägung.56 Diese Ansicht, die im Vergleich zur hier vertretenen Meinung zu einer restriktiveren Handhabung des § 10 Abs. 4 LkSG führen dürfte, ist abzulehnen.57 Gegen sie spricht schon der Umstand, dass das Gesetz andernorts – etwa in § 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 IFG – Abwägungsvorbehalte ausdrücklich als solche normiert, wenn es zum Ausdruck bringen möchte, dass Informations- und Geheimhaltungsinteressen im Wege der Abwägung zu einem Ausgleich zu bringen sind.58 Darüber hinaus würde ein etwaiges Abwägungserfordernis im vorliegenden Zusammenhang zu großen Unsicherheiten 52 Vgl. Körber in Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, 1. Aufl. 2006, § 10 Rz. 5; Säcker, NJW 1986, 803, 804; Säcker, Informationsrechte der Betriebs- und Aufsichtsratsmitglieder und Geheimnissphäre des Unternehmens, 1979, S. 61 f. (jeweils für die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht des § 93 Abs. 1 S. 3 AktG). 53 Vgl. Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 91; in diese Richtung wohl auch Ehmann/Berg, GWR 2021, 287, 290: „Gleichzeitig sollen und dürfen aber Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht preisgegeben werden […]. Dies wird zu schwierigen Entscheidungen führen, bspw. mit Blick auf die Offenlegung von Informationen, die unmittelbare oder mittelbare Zulieferer identifizierbar machen.“ 54 Nach diesen Maßstäben müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein, um eine Information als Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnis einstufen zu können: (1) Unternehmensbezug, (2) keine Offenkundigkeit der Information, (3) Wille zur Geheimhaltung, (4) berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung, vgl. Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2147; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 91. In diese Richtung wohl auch Schäfer, ZLR 2022, 22, 52. 55 Siehe zu diesen Grundsätzen im Rahmen der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht etwa Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2014, § 116 AktG Rz. 220. 56 So Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 91. 57 Vgl. Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2147. 58 Vgl. Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2147.

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bei der Rechtsanwendung führen, weil offen wäre, anhand welcher Kriterien und Grundsätze die Abwägung vorzunehmen wäre. Schließlich findet ein Abwägungserfordernis auch keinerlei Rückhalt in der Regierungsbegründung zum LkSG. Im Gegenteil verweist diese im Zusammenhang mit § 10 Abs. 4 LkSG explizit – und ohne Einschränkung oder Vorbehalt – darauf, „Unternehmen [dürften] keine Informationen preisgeben, die als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geschützt sind.“59 Im Hinblick auf die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen diffe- 43 renziert das Gesetz nicht zwischen dem zu veröffentlichenden Bericht und dem Bericht, der nach § 12 LkSG bei der Behörde einzureichen ist. Auch die Regierungsbegründung zum LkSG trifft dazu keine Aussage. Vor diesem Hintergrund bedarf es auch bei dem bei der Behörde einzureichenden Bericht nicht der Aufnahme von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Der Wahrung von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen ist vielmehr gleichermaßen Rechnung zu tragen.60 7. Veröffentlichung des externen Berichts Der externe Bericht ist gem. § 10 Abs. 2 S. 1 LkSG auf der Internetseite des ver- 44 pflichteten Unternehmens für einen Zeitraum von sieben Jahren kostenfrei öffentlich zugänglich zu machen. Letzteres erfordert es, den externen Bericht auf der jeweiligen Homepage einsehbar einzustellen und ihn dort für den SiebenJahres-Zeitraum verfügbar zu halten.61 Eine Veröffentlichung in anderen Medien, beispielsweise im Unternehmensregister, ist dagegen nicht vorgesehen. Das Gesetz sieht keine Integration des externen Berichts nach § 10 Abs. 2 bis 4 45 LkSG in die vom verpflichteten Unternehmen aufgrund anderer Rechtsgrundlagen zu erstellenden und zu veröffentlichenden Berichte (insbesondere die nichtfinanzielle Erklärung/Konzernerklärung gem. §§ 289b, 315b HGB) vor.62 Aus Unternehmenssicht ist das zwar kaum zu begrüßen, weil die Erstellung eines gesonderten Berichts in aller Regel einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand begründen wird. Allerdings handelt es sich dabei um eine bewusste – und daher zu respektierende – gesetzgeberische Entscheidung, wie die Regierungsbegründung zum LkSG belegt.63 Diese weist darauf hin, für die Zwecke des LkSG „soll“ 59 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52. 60 Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2147 f.; Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 911; Schäfer, ZLR 2022, 22, 52; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 91. 61 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52. 62 Vgl. Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 239; ähnlich Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2148. Demgegenüber nimmt Art. 11 des Kommissionsvorschlags für eine Lieferkettensorgfaltspflichtenrichtlinie, 2022/0051 (COD), S. 71 diejenigen Unternehmen von der Pflicht zur Berichterstattung über die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten nach dem Kommissionsvorschlag aus, die bereits den Berichtpflichten im Hinblick auf die Abgabe der nichtfinanziellen Erklärung nach der Richtlinie 2013/34/EU unterliegen. 63 Der Bundesrat empfahl im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich eine Harmonisierung der entsprechenden Berichtspflichten, um einen doppelten Aufwand für die

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht ein gesonderter Bericht erstellt werden.64 Letzteres schließt es allerdings nicht aus, Abschnitte aus dem externen Bericht in die nichtfinanzielle Erklärung/Konzernerklärung gem. §§ 289b, 315b HGB zu übernehmen, soweit sich die im Rahmen der nichtfinanziellen Berichterstattung zu machenden Angaben mit den bereits im externen Bericht gemachten Angaben decken.65 Zu beachten ist insofern allerdings, dass die nichtfinanzielle Berichterstattung nach HGB und die externe Berichterstattung nach LkSG in einem wichtigen Punkt stark voneinander abweichen: Während im Rahmen der nichtfinanziellen Berichterstattung nach HGB nur „wesentliche“ Risiken zu benennen sind (§§ 289c Abs. 3 Nr. 3, 315c Abs. 1 HGB),66 erfordert die externe Berichterstattung nach LkSG die Angabe sämtlicher identifizierter Risiken. Daher lässt sich aus einer nichtfinanziellen Erklärung/Konzernerklärung nicht ableiten, dass auch die externe Berichtspflicht nach § 10 Abs. 2 LkSG erfüllt wurde.67 8. Behördliche Berichtsprüfung, §§ 12 und 13 LkSG 46 Das LkSG sieht in §§ 12 und 13 LkSG eine Prüfung des externen Berichts gem.

§ 10 Abs. 2 bis 4 LkSG durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Aufsichtsbehörde vor. § 12 enthält dabei nähere Vorgaben zur Einreichung des Berichts (vgl. dazu bereits Rz. 23 f.): Der Bericht ist in deutscher Sprache und elektronisch über einen von der Aufsichtsbehörde bereitgestellten Zugang einzureichen. In zeitlicher Hinsicht hat die Einreichung – ebenso wie die Veröffentlichung nach § 10 Abs. 2 S. 1 LkSG – spätestens vier Monate nach dem Schluss des Geschäftsjahrs zu erfolgen, auf das sich der Bericht bezieht. Die Einzelheiten des Berichtseinreichungsverfahrens können gem. § 13 Abs. 3 Nr. 1 LkSG im Wege einer Rechtsverordnung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ohne Zustimmung des Bundesrats geregelt werden. Der (vorsätz-

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Unternehmen zu vermeiden, vgl. Empfehlungen des Bundesrats, BR-Drucks. 239/1/21, S. 21 f. Auch die DAV-Ausschüsse regten an, die Berichtspflichten in bereits bestehende Berichtsstrukturen (wie etwa die nichtfinanzielle Erklärung/Konzernerklärung) zu integrieren, vgl. Stellungnahme der DAV-Ausschüsse zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, NZG 2021, 546, 547, 549. Diese Empfehlungen wurden im weiteren Gesetzgebungsverfahren allerdings nicht umgesetzt. Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 52. Vgl. Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 911; s. auch DAV-Ausschüsse zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, NZG 2021, 546, 553. In ähnlichem Sinne UN OHCHR (2012): The Corporate Responsibility to Respect Human Rights. An Interpretive Guide, S. 57: „Business enterprises whose operations or operating contexts pose risks of severe human rights impacts should report formally on how they address them.“ Vgl. Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 5 Rz. 146; Diskussionspapier zu Rechts- und Umsetzungsfragen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes des Verbands der Chemischen Industrie e.V., Stand: 18.3.2022, S. 59 f.

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liche oder fahrlässige) Verstoß gegen die Einreichungspflicht stellt gem. § 24 Abs. 1 Nr. 12, Abs. 2 Nr. 3 LkSG eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße von bis zu € 100.000 belegt werden kann (s. näher zur Berichtseinreichung die Kommentierung des § 12 LkSG). Nach § 13 Abs. 1 LkSG prüft das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon- 47 trolle, ob der externe Bericht vorliegt, d.h. (rechtzeitig) eingereicht wurde und ob er in inhaltlicher Hinsicht den Vorgaben des § 10 Abs. 2 und 3 LkSG genügt. Ist letzteres nicht der Fall, kann das Bundesamt das verpflichtete Unternehmen durch Verwaltungsakt auffordern, den Bericht nachzubessern und dazu eine angemessene Frist setzen (§ 13 Abs. 2 LkSG). Kommt das verpflichtete Unternehmen einer solchen vollziehbaren Anordnung (vorsätzlich oder fahrlässig) nicht nach, so stellt dies gem. § 24 Abs. 1 Nr. 13, Abs. 2 Nr. 2 LkSG eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße von bis zu € 500.000 geahndet werden kann. Die Einzelheiten des Berichtsprüfungsverfahrens können ebenfalls im Wege einer Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 LkSG geregelt werden. 9. Rechtsfolgen von Verstößen gegen die externe Berichtspflicht Der (vorsätzliche oder fahrlässige) Verstoß gegen die externe Berichtspflicht 48 stellt eine bußgeldbewährte Ordnungswidrigkeit dar (§§ 24 Abs. 1 Nr. 10 und 11, Abs. 2 Nr. 3 LkSG). Bußgeldbewährt ist zum einen die „nicht richtige“ Erstellung des Berichts, d.h. die Erstellung eines nicht den Anforderungen des § 10 Abs. 2 S. 2 LkSG genügenden und daher inhaltlich mangelhaften Berichts (§ 24 Abs. 1 Nr. 10 LkSG), zum anderen die gänzlich unterbliebene oder nicht innerhalb der Viermonatsfrist des § 10 Abs. 2 S. 1 LkSG erfolgte Veröffentlichung des Berichts (§ 24 Abs. 1 Nr. 11 LkSG). Beide Verstöße können gem. § 24 Abs. 2 Nr. 3 LkSG mit einer Geldbuße bis zu € 100.000 geahndet werden. Eine zivilrechtliche Haftung des verpflichteten Unternehmens nach § 823 Abs. 2 BGB scheidet dagegen aus, weil § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG gem. § 3 Abs. 3 LkSG kein Schutzgesetz sind. Darüber hinaus ist im Zusammenhang mit der externen Berichtspflicht auch die 49 gänzlich unterbliebene oder nicht innerhalb der Viermonatsfrist des § 12 Abs. 2 LkSG erfolgte Einreichung des Berichts bei dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Aufsichtsbehörde bußgeldbewährt (§ 24 Abs. 1 Nr. 12, Abs. 2 Nr. 3 LkSG: Geldbuße i.H.v. bis zu € 100.000). Gleiches gilt, wenn das verpflichtete Unternehmen bei inhaltlichen Mängeln des externen Berichts einer vollziehbaren Anordnung der Aufsichtsbehörde zur Nachbesserung des externen Berichts innerhalb einer angemessenen Frist nicht nachkommt (§§ 24 Abs. 1 Nr. 13, Abs. 2 Nr. 2 LkSG: Geldbuße i.H.v. bis zu € 500.000). Anlage 1: Muster einer internen Dokumentation nach § 10 Abs. 1 LkSG (am Beispiel der Dokumentation einer durchgeführten Risikoanalyse nach § 5 Abs. 1 LkSG) Auf Grundlage des § 10 Abs. 1 LkSG dokumentiert die [Firma] AG mit Sitz in [Ort] (nachfolgend: die „Gesellschaft“) hiermit die folgende von der Gesellschaft durchgeführte Maßnahme zur Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten nach dem LkSG.

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht Die Gesellschaft trifft gem. § 5 LkSG die Pflicht, einmal im Jahr sowie anlassbezogen im Rahmen ihres Risikomanagements eine angemessene Risikoanalyse durchzuführen, um die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken im eigenen Geschäftsbereich sowie bei ihren unmittelbaren Zulieferern zu ermitteln. Die Gesellschaft hat am [Datum/Zeitraum] eine derartige, turnusgemäße Risikoanalyse durchgeführt. Diese wurde auf den eigenen Geschäftsbereich der Gesellschaft sowie auf die unmittelbaren Zulieferer der Gesellschaft erstreckt. Mangels tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinne einer substantiierten Kenntnis, die eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht bei einem mittelbaren Zulieferer hätten möglich erscheinen lassen, hat die Gesellschaft mittelbare Zulieferer nicht in die Risikoanalyse miteinbezogen. Die Gesellschaft ist im Rahmen der Risikoanalyse wie folgt vorgegangen: – In einem ersten Verfahrensschritt hat sich die Gesellschaft einen Überblick über die eigenen Verschaffungsprozesse, über die Struktur und Akteure bei den jeweiligen identifizierten unmittelbaren Zulieferern der Gesellschaft sowie über die wichtigsten Personengruppen, die von der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft betroffen sein können, verschafft. Zu diesem Zweck hat die Gesellschaft ein Risikomapping vorgenommen und dieses nach [Geschäftsfeldern, Standorten, Produkten oder Herkunftsländern] gegliedert. Im Einzelnen wurde das Risikomapping wie folgt ausgestaltet: [Nähere Beschreibung der Ausgestaltung des Risikomappings sowie der insofern getroffenen Maßnahmen (insbesondere der Einbeziehung kontextabhängiger Faktoren, wie z.B. politische Rahmenbedingungen oder vulnerable Personengruppen)]. Im Einzelnen wurde die Risikoanalyse im Wege der folgenden Maßnahmen vorgenommen: (1) Im Hinblick auf Risiken im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz wurden Inspektionen von Werken, Fabriken und Produktionsstätten von unmittelbaren Zulieferern mit Sitz in China vor Ort durch Mitarbeiter der Gesellschaft und deren Berater durchgeführt. (2) […] – Im Rahmen der durchgeführten Risikoanalyse wurden die folgenden menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken und Verletzungen einer menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Pflicht identifiziert: (1) Der unmittelbare Zulieferer von Textilwaren [Firma] mit Sitz in [Stadt], [China] betreibt in [Stadt], [China] eine Textilfabrik, in der er regelmäßig ca. [Zahl] Mitarbeiter beschäftigt. Bei diesem unmittelbaren Zulieferer handelt es sich nach Einschätzung der Gesellschaft um einen strategisch bedeutenden Zulieferer, weil die Gesellschaft bei diesem [Anzahl] % ihres Sortiments an Herrenbekleidung bezieht. Aus Sicht des unmittelbaren Zulieferers ist die Gesellschaft nach Einschätzung der Gesellschaft einer seiner bedeutendsten Kunden; der auf die Gesellschaft entfallende Umsatz des unmittelbaren Zulieferers beträgt nach Einschätzung der Gesellschaft EUR […], was ca. [Anzahl] % des Gesamtumsatzes des unmittelbaren Zulieferers ausmacht. Die Inspektion der Fabrik des unmittelbaren Zulieferers vor Ort hat ergeben, dass der unmittelbare Zulieferer im Hinblick auf die Fabrik die nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz bei der Einrichtung und Gestaltung von Arbeitsstätte und Arbeitsplatz missachtet hat. Das ergibt sich aus den folgenden Umständen: [Detaillierte Beschreibung der Verstöße]. Hieraus ergeben sich für die in der Fabrik Beschäftigten erhebliche Gesundheitsgefahren. Damit ist eine Verletzung der menschenrechtlichen Pflicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 4 LkSG eingetreten. (2) […]

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Dokumentations- und Berichtspflicht | § 10 – In einem zweiten Verfahrensschritt hat die Gesellschaft die identifizierten Risiken und Verletzungen bewertet und priorisiert. Eine solche Priorisierung war erforderlich, weil die Gesellschaft vor dem Hintergrund der Anzahl und Tragweite der identifizierten Risiken und Verletzungen aus Kapazitätsgründen außer Stande war, sämtliche identifizierten Risiken und Verletzungen gleichzeitig anzugehen. Die Gesellschaft ist dabei zu dem Schluss gekommen, die Missachtung der nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz bei der Einrichtung und Gestaltung von Arbeitsstätte und Arbeitsplatz durch den unmittelbaren chinesischen Zulieferer [Firma] zuerst zu adressieren. Diese Priorisierungsentscheidung hat die Gesellschaft anhand der in § 3 Abs. 2 LkSG niedergelegten Kriterien vorgenommen und sich dabei zuvörderst auf die Aspekte des Einflussvermögens auf den unmittelbaren Verursacher und der Schwere der Verletzung gestützt. [Nähere Beschreibung der angelegten Kriterien für die Priorisierung]. – In einem dritten Verfahrensschritt wurden die dargestellten Ergebnisse der Risikoanalyse intern an [Vorstand/Mitarbeiter der Einkaufsabteilung etc.] als in diesem Zusammenhang maßgebliche Entscheidungsträger kommuniziert. Dies geschah durch [Beschreibung der näheren Maßnahmen zur Ergebniskommunikation]. Anlage 2: Muster eines externen Berichts nach § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG Auf Grundlage des § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG erstattet die [Firma] AG mit Sitz in [Ort] (nachfolgend: die „Gesellschaft“) den folgenden Bericht über die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten nach dem LkSG im vergangenen Geschäftsjahr [Jahr]: 1. Überblick über die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft Die Gesellschaft ist im Bereich der Textilindustrie tätig. Ihr Unternehmensgegenstand ist der Vertrieb von Textilerzeugnissen, insbesondere von Bekleidung. [Nähere Beschreibung des Tätigkeitsfelds der Gesellschaft einschließlich ihres Beschaffungs- und Absatzmarktes] 2. Erfüllung der Sorgfaltspflichten der Gesellschaft nach dem LkSG im vergangenen Geschäftsjahr Die Gesellschaft fällt in den Anwendungsbereich des LkSG. Sie trifft deshalb menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten nach §§ 3 ff. LkSG. Im vergangenen Geschäftsjahr [Jahr] hat die Gesellschaft diese Sorgfaltspflichten wie folgt erfüllt: a) Identifizierte menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken oder Verletzungen einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht Gemäß § 4 Abs. 1 LkSG ist die Gesellschaft verpflichtet, ein angemessenes und wirksames Risikomanagement zur Einhaltung der ihr nach dem LkSG obliegenden Sorgfaltspflichten einzurichten. Im Rahmen des Risikomanagements ist einmal im Jahr sowie anlassbezogen eine angemessene Risikoanalyse durchzuführen, um die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken im eigenen Geschäftsbereich der Gesellschaft sowie bei unmittelbaren Zulieferern der Gesellschaft zu ermitteln (§ 5 Abs. 1 LkSG). Die Gesellschaft hat im vergangenen Jahr im Rahmen ihres Risikomanagements turnusgemäß eine Risikoanalyse durchgeführt. Grundlage dieser Risikoanalyse bildete ein von der Gesellschaft entworfenes Risikomapping nach [Geschäftsfeldern, Standorten, Produkten oder Herkunftsländern]. Einbezogen wurden in diesem Zusammenhang auch die politischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Standorte und Herkunftsländer sowie das Vorhandensein vulnerabler Personengruppen. Dabei wurden bei unmittelbaren Zulieferern der Gesellschaft die folgenden menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken und Verletzungen einer menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Pflicht identifiziert: – Die Gesellschaft bezieht ca. [Zahl] % ihres Sortiments an Herrenbekleidung direkt von einem chinesischen Zulieferer. Der Sitz dieses unmittelbaren Zulieferers ist [Stadt],

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht [China]. Der unmittelbare Zulieferer betreibt dort eine Textilfabrik, in der er regelmäßig ca. [Zahl] Mitarbeiter beschäftigt. Eine Inspektion dieser Fabrik durch Mitarbeiter der Gesellschaft und deren Berater hat ergeben, dass der unmittelbare Zulieferer im Hinblick auf die Fabrik die nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz bei der Einrichtung und Gestaltung von Arbeitsstätte und Arbeitsplatz missachtet hat. So war das Fabrikgebäude nur unzureichend gegen Brandgefahren gerüstet, weil erforderliche Brandschutztüren und Brandschutzwände zwischen den verschiedenen Hallen des Fabrikgebäudes entgegen den nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben nicht installiert wurden. Darüber hinaus hält das Fabrikgebäude nicht die nach den geltenden Vorgaben erforderliche Anzahl an Fluchtwegen und Notausgängen bereit. Hieraus ergaben sich für die in der Fabrik Beschäftigten erhebliche Gesundheitsgefahren. Damit ist eine Verletzung der menschenrechtlichen Pflicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 4 LkSG eingetreten. Zugleich liegt darin eine Verletzung der Vorgaben des Lieferantenkodexes der Gesellschaft. – [Angabe weiterer identifizierter menschenrechtlicher oder umweltbezogener Risiken oder Verletzungen einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht] [Menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken oder Verletzungen einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht im eigenen Geschäftsbereich wurden nicht identifiziert.] Die identifizierten Risiken hat die Gesellschaft bewertet und priorisiert. Die Gesellschaft ist dabei zu dem Schluss gekommen, die Missachtung der nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz bei der Einrichtung und Gestaltung von Arbeitsstätte und Arbeitsplatz durch den unmittelbaren chinesischen Zulieferer zuerst zu adressieren. Diese Priorisierungsentscheidung hat die Gesellschaft anhand der in § 3 Abs. 2 LkSG niedergelegten Kriterien vorgenommen und sich dabei zuvörderst auf die Aspekte des Einflussvermögens auf den unmittelbaren Verursacher und der Schwere der Verletzung gestützt: Die Gesellschaft bezieht einen großen Teil ihres Sortiments an Herrenbekleidung von dem betreffenden unmittelbaren Zulieferer. Aufgrund der Höhe der beim betreffenden unmittelbaren Zulieferer georderten Beschaffungsmenge geht die Gesellschaft davon aus, dass sie eine der bedeutendsten und wirtschaftlich wichtigsten Kundinnen des betreffenden unmittelbaren Zulieferers ist und daher diesem gegenüber über ein verhältnismäßig großes Einflussvermögen verfügt. Der Grad der Schwere der Verletzung der menschenrechtlichen Pflicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 4 LkSG durch den betreffenden unmittelbaren Zulieferer ist im Hinblick auf die große Zahl der beim unmittelbaren Zulieferer in der Fabrik in [Ort] Beschäftigten und damit auf die große Zahl der Betroffenen sowie der aus den unzureichenden Brandschutzvorkehrungen herrührenden erheblichen Gesundheitsgefahren hoch. Angesichts des großen Einflussvermögens der Gesellschaft auf den betreffenden unmittelbaren Zulieferer und der Schwere der von diesem verursachten Verletzung der menschenrechtlichen Pflicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 4 LkSG hat sich die Gesellschaft dazu entschieden, diesen Vorfall zu priorisieren. b) Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten nach dem LkSG Die Gesellschaft hat zur Erfüllung der ihr nach dem LkSG obliegenden Sorgfaltspflichten im vergangenen Geschäftsjahr die folgenden Maßnahmen unternommen: – Zur Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten nach dem LkSG hat die Gesellschaft ein angemessenes und wirksames Risikomanagement eingerichtet. Dieses wurde auf Ebene von […] angesiedelt und wie folgt ausgestaltet: [Nähere Beschreibung der wesentlichen Ausgestaltung, insbesondere der organisatorischen Einbettung und der wesentlichen Prozesse und Arbeitsweisen]. Die Gesellschaft hat in diesem Zusammenhang einen Menschenrechtsbeauftragten ernannt, der unmittelbar dem Vorstand unterstellt ist und

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Dokumentations- und Berichtspflicht | § 10 dem die Zuständigkeit für die Überwachung des Risikomanagements obliegt. Der Menschenrechtsbeauftragte berichtet dem Vorstand in regelmäßigen Abständen, mindestens jährlich, sowie anlassbezogen, etwa bei der Einführung neuer Geschäftsbereiche oder Produkte, über seine Überwachungstätigkeit. Bei der Errichtung und Umsetzung des Risikomanagementsystems hat die Gesellschaft die Interessen ihrer Beschäftigten, der Beschäftigten in der Lieferkette und sonstiger möglicherweise Betroffener angemessen berücksichtigt, indem [Nähere Beschreibung der Maßnahmen, die im Hinblick auf die Berücksichtigung der Beschäftigten und in sonstiger Weise Betroffenen bei der Errichtung und Umsetzung des Risikomanagementsystems getroffen wurden.]. – Die Unternehmensleitung der Gesellschaft hat eine Grundsatzerklärung über die Menschenrechtsstrategie der Gesellschaft entworfen und abgegeben. Diese ist unter [Internetadresse] verfügbar und enthält die folgenden Elemente: [Nähere Beschreibung der Elemente der Grundsatzerklärung]. – Die Gesellschaft hat im Hinblick auf die im Rahmen der Risikoanalyse identifizierten Risiken im eigenen Geschäftsbereich angemessene Präventionsmaßnahmen verankert, indem sie die Menschenrechtsstrategie in die alltäglichen Unternehmensabläufe und -entscheidungen, insbesondere des Beschaffungsprozesses integriert hat. Die durchgeführten Maßnahmen betreffen u.a. die Entwicklung eines internen Verhaltenskodexes in Bezug auf das vom Risikomanagement als relevant identifizierte Geschäftsfeld […], der die geltenden Standards für Mitarbeiter konkretisiert und verständlich beschreibt. [Nähere Beschreibung des Verhaltenskodexes]. Zudem hat die Gesellschaft einen Verhaltenskodex für (potentielle) Vertragspartner entworfen, in dem die menschenrechtlichen Erwartungen der Gesellschaft konkretisiert werden. [Nähere Beschreibung des Verhaltenskodexes für (potentielle) Vertragspartner]. Ferner hat die Gesellschaft ihre Strategie zur Lieferantenauswahl und -entwicklung im Hinblick auf die Sorgfaltspflichten des LkSG konkretisiert und dabei [Nähere Beschreibung]. Darüber hinaus hat die Gesellschaft Beschaffungsstrategien und Einkaufspraktiken entwickelt, um menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken zu verhindern oder jedenfalls zu minimieren. [Nähere Beschreibung der Beschaffungsstrategien und Einkaufspraktiken]. In diesem Zusammenhang hat die Gesellschaft namentlich in einer unternehmensinternen Verhaltensrichtlinie für die einzelnen Beschaffungsschritte festgelegt, welche Vorkehrungen zur Verhinderung oder Minimierung von menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken zu treffen sind. [Nähere Beschreibung der Verhaltensrichtlinie]. Des Weiteren hat die Gesellschaft ein Schulungs- und Fortbildungskonzept entwickelt, in dessen Rahmen im vergangenen Geschäftsjahr [Anzahl] Schulungen der Mitarbeiter der in den vom Risikomanagement als relevant identifizierten Geschäftsfelder […] durchgeführt wurden. Gegenstand dieser Schulungen war insbesondere [Nähere Erläuterung]. Schließlich hat die Gesellschaft risikobasierte Kontrollmaßnahmen zur Überprüfung durchgeführt, ob die Menschenrechtsstrategie der Gesellschaft in die Unternehmensabläufe integriert ist und die festgelegten menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen tatsächlich umgesetzt werden. [Nähere Erläuterung der risikobasierten Kontrollmaßnahmen]. Auch gegenüber ihren unmittelbaren Zulieferern hat die Gesellschaft im Hinblick auf die im Rahmen der Risikoanalyse identifizierten Risiken im eigenen Geschäftsbereich angemessene Präventionsmaßnahmen verankert. Die durchgeführten Maßnahmen betreffen u.a. [Maßnahmen zur Berücksichtigung menschenrechtsbezogener und umweltbezogener Erwartungen bei der Lieferantenauswahl]. Zudem verlangt die Gesellschaft von ihren unmittelbaren Zulieferern die vertragliche Zusicherung, dass diese die menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Erwartungen der Gesellschaft einhalten und entlang der Lieferkette angemessen adressieren. Die Gesellschaft hat in diesem Zusammenhang auf Grundlage ihres Lieferantenkodexes vertraglich festgelegt, dass der jeweilige Ver-

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht tragspartner die folgenden Vorgaben zur Vorbeugung bzw. Minimierung menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken beachten muss: Der unmittelbare Zulieferer hat die für ihn aufgrund des jeweiligen Ortsrechts geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes bei der Einrichtung und Gestaltung von Arbeitsstätte und Arbeitsplatz zu beachten. [Erläuterung weiterer Vorgaben des Lieferantenkodexes]. Dabei wurden auch sog. Weitergabeklauseln vereinbart, die den unmittelbaren Zulieferer verpflichten, den Lieferantenkodex der Gesellschaft gegenüber seinen Vertragspartnern durch vertragliche Regelungen durchzusetzen. [Nähere Erläuterung der insofern durchgeführten Schulungen und Weiterbildungen]. Schließlich hat die Gesellschaft mit ihren unmittelbaren Zulieferern vertragliche Kontrollmechanismen in Form von […] vereinbart und risikobasierte Kontrollen durch [z.B. eigene Kontrollen vor Ort/mit Audits beauftragte Dritte/Inanspruchnahme von Zertifizierungs- oder Audit-Systeme] durchgeführt. [Nähere Erläuterung]. [Erläuterung der Maßnahmen zur Überprüfung der Wirksamkeit der Präventionsmaßnahmen]. – Im Hinblick auf die identifizierte Verletzung der menschenrechtlichen Pflicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 4 LkSG durch die Missachtung der nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz bei der Einrichtung und Gestaltung von Arbeitsstätte und Arbeitsplatz durch den unmittelbaren chinesischen Zulieferer hat die Gesellschaft die folgenden Abhilfemaßnahmen ergriffen, um die eingetretene Verletzung zu beenden: Die Gesellschaft hat mit Schreiben vom [Datum] dem unmittelbaren Zulieferer mitgeteilt, dass bei der Einrichtung und Gestaltung von Arbeitsstätte und Arbeitsplatz im Rahmen der Textilfabrik in [Ort] die nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz nicht hinreichend beachtet wurden und ihn auf den Verstoß gegen den Lieferantenkodex der Gesellschaft hingewiesen. Die Gesellschaft hat den unmittelbaren Zulieferer unter Verweis auf den von ihm vertraglich akzeptierten Lieferantenkodex aufgefordert, das Fabrikgebäude entsprechend den nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz baulich zu verändern, insbesondere die nach den geltenden Vorgaben erforderliche Anzahl an Fluchtwegen und Notausgängen zu installieren und bereitzuhalten [nähere Erläuterung] und ihm hierzu eine Frist bis zum [Datum] gesetzt. Die Gesellschaft hat dem unmittelbaren chinesischen Zulieferer in diesem Zusammenhang namentlich mitgeteilt, dass der Einhaltung der nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz aus Sicht der Gesellschaft eine große Bedeutung im Rahmen der künftigen Geschäftsverbindung zwischen der Gesellschaft und dem unmittelbaren chinesischen Zulieferer zukommt und den unmittelbaren chinesischen Zulieferer in diesem Zusammenhang auf den großen Bedarf der Gesellschaft an – von zuverlässigen Zulieferern zu beziehenden – Textilwaren hingewiesen und dem unmittelbaren Zulieferer im Hinblick auf die entstehenden Kosten, die mit der Erfüllung der nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz einhergehen, in Aussicht gestellt, mit dem unmittelbaren Zulieferer neue Verhandlungen über die Einkaufskonditionen der Gesellschaft, insbesondere betreffend die von der Gesellschaft bislang gezahlten Stückpreise, aufzunehmen, um dem Anstieg der Produktionskosten des unmittelbaren chinesischen Zulieferers Rechnung zu tragen. Der unmittelbare chinesische Zulieferer hat der Gesellschaft schließlich mitgeteilt, dass er dem Verlangen der Gesellschaft nachkommen werde. Im Rahmen einer neuerlichen Inspektion der Fabrik durch Mitarbeiter der Gesellschaft und deren Berater am [Datum] wurde festgestellt, dass die entsprechenden baulichen Veränderungen vorgenommen wurden und das Fabrikgebäude damit die nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz erfüllt. [Ggf. Erläuterung weiterer vorgenommener Abhilfemaßnahmen]. Die Gesellschaft hat sich zu diesem

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Dokumentations- und Berichtspflicht | § 10 Vorgehen entschieden, weil es sich bei dem Hinweis in Verbindung mit der Aufforderung unter Fristsetzung aus Sicht der Gesellschaft um eine die Geschäftsbeziehung mit dem unmittelbaren chinesischen Zulieferer verhältnismäßig wenig belastende Maßnahme handelte, die zwar auf einer niedrigen Eskalationsstufe angesiedelt war, aber nichtsdestotrotz aus Sicht der Gesellschaft erfolgsversprechend erschien. Denn die Gesellschaft ging und geht angesichts der Höhe der beim betreffenden unmittelbaren Zulieferer georderten Beschaffungsmenge davon aus, dass die Gesellschaft eine der bedeutendsten und wirtschaftlich wichtigsten Kundinnen des betreffenden unmittelbaren Zulieferers ist und daher diesem gegenüber über ein verhältnismäßig großes Einflussvermögen verfügt. Vor diesem Hintergrund hielt und hält die Gesellschaft die getroffene Maßnahme gegenüber Maßnahmen auf einer höheren Eskalationsstufe, wie etwa der Androhung oder gar Durchführung des Abbruchs der Geschäftsbeziehung, für vorzugswürdig.Die Gesellschaft hat im vergangenen Geschäftsjahr ein unternehmensinternes Beschwerdeverfahren nach Maßgabe des § 8 LkSG eingerichtet, das es betroffenen Personen ermöglicht, auf menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken sowie auf Verletzungen menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten hinzuweisen. Das eingerichtete unternehmensinterne Beschwerdeverfahren besteht aus den folgenden Elementen und lässt sich wie folgt skizzieren: [Nähere Darstellung von Inhalt, Aufbau und Funktionsweise des unternehmensinternen Beschwerdeverfahrens (auch im Hinblick auf mittelbare Zulieferer, § 9 Abs. 1 LkSG) einschließlich Beschreibung von Maßnahmen, die die Gesellschaft aufgrund von im Rahmen des unternehmensinternen Beschwerdeverfahrens eingegangenen Beschwerden getroffen hat]. – [Die Gesellschaft hatte im vergangenen Geschäftsjahr keine tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne einer substantiierten Kenntnis, die eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht bei einem mittelbaren Zulieferer hätten möglich erscheinen lassen. Die Gesellschaft hat aus diesem Grund keine Maßnahmen nach dem LkSG im Hinblick auf mittelbare Zulieferer durchgeführt.] c) Bewertung der Auswirkungen und der Wirksamkeit der durchgeführten Maßnahmen Die Gesellschaft bewertet die Auswirkungen sowie die Wirksamkeit der von ihr im vergangenen Geschäftsjahr durchgeführten Maßnahmen zur Erfüllung der ihr nach dem LkSG obliegenden Sorgfaltspflichten wie folgt: – Die Gesellschaft stuft die Abhilfemaßnahmen, die die Gesellschaft im Hinblick auf die identifizierte Verletzung der menschenrechtlichen Pflicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 4 LkSG durch die Missachtung der nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz bei der Einrichtung und Gestaltung von Arbeitsstätte und Arbeitsplatz durch den unmittelbaren chinesischen Zulieferer ergriffen hat, als wirksam ein. Infolge des Hinweises der Gesellschaft auf die Verletzung der menschenrechtlichen Pflicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 4 LkSG gegenüber dem unmittelbaren chinesischen Zulieferer sowie der mit der Fristsetzung verbundenen Aufforderung (unter Verweis auf den Lieferantenkodex der Gesellschaft), das Fabrikgebäude entsprechend den nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz baulich zu verändern, hat der unmittelbare chinesische Zulieferer binnen kurzer Zeit die geforderten baulichen Veränderungen des Fabrikgebäudes vorgenommen und abgeschlossen und damit die nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz erfüllt. Die Erfüllung dieser Vorgaben durch den unmittelbaren chinesischen Zulieferer konnte die Gesellschaft durch eine Inspektion der Fabrik nach Fertigstellung der baulichen Veränderungen überprüfen. Die Berater der Gesellschaft […] haben der Gesellschaft in diesem Zusammenhang bestätigt, dass das Fabrikgebäude nunmehr den nach

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§ 10 | Dokumentations- und Berichtspflicht dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz entspricht. Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung unzutreffend ist, hat die Gesellschaft nicht. Durch die Vornahme der baulichen Veränderungen und die damit verbundene Erfüllung der nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz wurde die Verletzung der menschenrechtlichen Pflicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 4 LkSG nach alledem beendet. Zu einer Realisierung von Gesundheitsgefahren für die in der Fabrik Beschäftigten ist es nicht gekommen. Aus Sicht der Gesellschaft hatte die durchgeführte Abhilfemaßnahme keine relevanten negativen Auswirkungen auf die Geschäftsbeziehung zwischen der Gesellschaft und dem unmittelbaren chinesischen Zulieferer zur Folge. Vor dem Hintergrund des gegenüber dem unmittelbaren chinesischen Zulieferer gemachten Hinweises auf den großen Bedarf der Gesellschaft an – von zuverlässigen Zulieferern zu beziehenden – Textilwaren und der in Aussicht gestellten Aufnahme neuer Verhandlungen über die Einkaufskonditionen der Gesellschaft, insbesondere betreffend die von der Gesellschaft bislang gezahlten Stückpreise, wurde die Geschäftsbeziehung zwischen der Gesellschaft und dem unmittelbaren chinesischen Zulieferer durch die getroffene Abhilfemaßnahme nach Einschätzung der Gesellschaft gestärkt. Die Gesellschaft hat keine negativen Auswirkungen der durchgeführten Abhilfemaßnahme auf Rechtsgüter von Betroffenen, insbesondere der in der Fabrik beschäftigten Mitarbeiter identifiziert. Namentlich wurden im Zusammenhang mit der Vornahme der baulichen Veränderungen in der Fabrik nach Auskunft des unmittelbaren chinesischen Zulieferers keine Personen (durch Unfälle etc.) verletzt. Die Gesellschaft hat keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Auskunft unzutreffend ist. Die Gesellschaft bewertet die Auswirkungen der durchgeführten Abhilfemaßnahme vor diesem Hintergrund als positiv. – [Bewertung der Auswirkungen und der Wirksamkeit weiterer Maßnahmen]. d) Schlussfolgerungen für zukünftige Maßnahmen Die Gesellschaft hat die im vergangenen Geschäftsjahr durchgeführten Maßnahmen zur Erfüllung der ihr nach dem LkSG obliegenden Sorgfaltspflichten eingehend bewertet und zieht aus dieser Bewertung die folgenden Schlussfolgerungen für zukünftige Maßnahmen: – Die Gesellschaft hat die Abhilfemaßnahmen, die die Gesellschaft im Hinblick auf die identifizierte Verletzung der menschenrechtlichen Pflicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 4 LkSG durch die Missachtung der nach dem Recht Chinas geltenden Vorgaben des Arbeitsschutzes in Bezug auf den Brandschutz bei der Einrichtung und Gestaltung von Arbeitsstätte und Arbeitsplatz durch den unmittelbaren chinesischen Zulieferer ergriffen hat, als wirksam eingestuft und die Auswirkungen der durchgeführten Abhilfemaßnahme als positiv bewertet. Sollte sich künftig eine vergleichbare Verletzung einer menschenrechtsbezogenen Pflicht bei einem (anderen) vergleichbaren unmittelbaren Zulieferer ergeben, würde sich die Gesellschaft vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen mit der durchgeführten Abhilfemaßnahme nach derzeitiger Einschätzung voraussichtlich für eine vergleichbare Abhilfemaßnahme entscheiden. Namentlich hat sich aus Sicht der Gesellschaft gezeigt, dass die Wahl einer Maßnahme auch auf niedriger Eskalationsstufe insbesondere in Verbindung mit einem Inaussichtstellen neuer Verhandlungen über die Einkaufskonditionen der Gesellschaft jedenfalls bei entsprechendem Einflussvermögen auf den unmittelbaren Zulieferer sehr erfolgsversprechend sein kann, ohne die Geschäftsbeziehungen mit dem jeweiligen unmittelbaren Zulieferer in einer relevanten Weise negativ zu beeinflussen. [Ggf. nähere Darstellung von Folgemaßnahmen (einschließlich deren Wahl und Ausgestaltung), in deren Rahmen die aus der Bewertung gewonnenen Erkenntnisse eingeflossen sind.] – [Weitere Schlussfolgerungen aus anderen durchgeführten Maßnahmen].

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Abschnitt 3 Zivilprozess (§ 11, Anhang § 11) § 11 Besondere Prozessstandschaft (1) Wer geltend macht, in einer überragend wichtigen geschützten Rechtsposition aus § 2 Absatz 1 verletzt zu sein, kann zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Rechte einer inländischen Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation die Ermächtigung zur Prozessführung erteilen. (2) Eine Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation kann nach Absatz 1 nur ermächtigt werden, wenn sie eine auf Dauer angelegte eigene Präsenz unterhält und sich nach ihrer Satzung nicht gewerbsmäßig und nicht nur vorübergehend dafür einsetzt, die Menschenrechte oder entsprechende Rechte im nationalen Recht eines Staates zu realisieren. I. Allgemeines 1. Normzweck, Anwendungsbereich und Regelungsstruktur 2. Dogmatische Einordnung . . . . 3. Praktische Bedeutung und rechtspolitische Würdigung . . . II. Voraussetzungen . . . . . . . . . . 1. Geschützte Rechtspositionen . . 2. Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen als Prozessstandschafter . . . . . . . .

. . . . . .

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a) Sitz und dauerhafte Präsenz in Deutschland . . . . . . . . . . b) Menschenrechtsschutz als dauerhafter und nicht gewerbsmäßiger Satzungszweck c) Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . 3. Erteilung der Prozessführungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . .

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18

Literatur: Keilmann/Schmidt, Der Entwurf des Sorgfaltspflichtengesetzes – Warum es richtig ist, auf eine zivilrechtliche Haftung zu verzichten, WM 2021, 717, 722 ff.; LutzBachmann/Vorbeck/Wengenroth, Menschenrechte und Umweltschutz in Lieferketten – der Regierungsentwurf eines Sorgfaltspflichtengesetzes, BB 2021, 906, 913; Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67, 107; Wagner, Haftung für Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette, ZIP 2021, 1095, 1101; Wagner/Rutloff, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Eine erste Einordnung, NJW 2021, 2145, 2150.

I. Allgemeines 1. Normzweck, Anwendungsbereich und Regelungsstruktur § 11 sieht eine „besondere“ Prozessstandschaft für inländische Gewerkschaften 1 und Nichtregierungsorganisationen vor, die sich nach ihrer Satzung dauerhaft und nicht gewerbsmäßig für den Schutz von Menschenrechten einsetzen. Die Vorschrift ermöglicht es dem materiell-rechtlich Betroffenen, eine entsprechend qualifizierte inländische Gewerkschaft und Nichtregierungsorganisation dazu zu ermächtigen, die Verletzung einer nach § 11 Abs. 1 geschützten Rechtsposition Steinbrück

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§ 11 | Besondere Prozessstandschaft im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen. Die private Rechtsdurchsetzung mit Unterstützung von Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen soll nach dem Willen des Gesetzgebers dazu beitragen, den weltweiten Menschenrechtsschutz entlang von Lieferketten zu verbessern.1 2 Aus der systematischen Stellung der Vorschrift im Abschnitt „Zivilprozess“

folgt, dass es bei der Geltendmachung einer Rechtsverletzung i.S.d. § 11 Abs. 1 um die Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen und nicht etwa um verwaltungsrechtlich geschützte Rechtspositionen geht.2 Ob § 11 daneben auch eine öffentlich-rechtliche Prozessstandschaft erlaubt, um öffentlich-rechtliche Rechtspositionen nach dem LkSG mit drittschützendem Charakter vor den VG durchzusetzen, erscheint zweifelhaft. Eine analoge Anwendung der Vorschrift dürfte schon mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht kommen.3 Für die Annahme eines Redaktionsversehens wiederum ist nichts ersichtlich, so dass der Anwendungsbereich der Norm auch nicht teleologisch auf die öffentlich-rechtliche Prozessstandschaft erweitert werden kann.4

3 § 11 durchbricht den prozessualen Grundsatz, dass private Rechte von dem je-

weiligen Rechtsinhaber gerichtlich geltend gemacht werden müssen.5 Die Vorschrift hat im geltenden Recht kein Vorbild.6 Sie lehnt sich in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung allerdings teilweise an die Bestimmung des § 606 ZPO an, die es qualifizierten Einrichtungen i.S.d. Abs. 1 S. 2 ermöglicht, in bestimmten Verbrauchersachen eine Musterfeststellungsklage zu erheben.7

4 Die besondere Prozessstandschaft setzt nach Abs. 1 voraus, dass der Rechtsinha-

ber der Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation eine wirksame Ermächtigung zur Prozessführung erteilt hat. Die Prozessstandschaft ist allerdings nur in den Fällen zulässig, in denen der Betroffene eine Verletzung „in einer überragend wichtigen geschützten Rechtsposition aus § 2 Abs. 1“ geltend macht. Damit soll nach der Gesetzesbegründung klargestellt werden, dass nur ein Teil der 1 2 3 4 5

Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 1. Wagner, ZIP 2021, 1095, 1101. In diesem Sinne wohl auch Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 107. Vgl. dazu Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 107, der diese Frage offenlässt. Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 7.7.2021 – VIII ZR 52/20, 1541, 1542 Rz. 23; BGH, Urt. v. 25.1. 2011 – II ZR 122/09, DB 2011, 929 = NJW 2011, 1667, 1668 Rz. 9; Althammer in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2022, Vorb. §§ 50 ff. Rz. 16; Hübsch in BeckOK/ZPO, 43. Ed., Stand: 1.12. 2021, § 51 Rz. 34; Wagner, ZIP 2021, 1095, 1101. 6 Wagner, ZIP 2021, 1095, 1101. 7 Vgl. zur dogmatische Einordnung der Klagebefugnis der qualifizierten Einrichtungen Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 606 Rz. 4. Klagebefugt sind nur Verbände, die die in § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 – 5 ZPO vorgeschriebenen besonderen Voraussetzungen erfüllen. Neben Vorgaben zur Mindestgröße und der Bestehensdauer (Nr. 1, 2) muss die satzungsgemäße Aufgabe der klagebefugten Einrichtungen darin bestehen, Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeit wahrzunehmen, damit Musterfeststellungsklagen nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung erhoben werden (Nr. 3, 4).

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Besondere Prozessstandschaft | § 11

in § 2 Abs. 1 in Bezug genommenen Menschenrechte im Wege einer Prozessstandschaft geltend gemacht werden kann.8 Welche konkreten Rechtspositionen damit durch den Prozessstandschafter eingeklagt werden, regelt § 11 Abs. 1 nicht.9 Die prozessuale Möglichkeit, eine inländische Gewerkschaft oder Nichtregie- 5 rungsorganisation zur Prozessführung zu ermächtigen, lässt die Aktivlegitimation des (potentiell) betroffenen Anspruchsinhabers unberührt.10 Ob dem Betroffenen der geltend gemachte Anspruch materiell-rechtlich zusteht, ist eine Frage der Begründetheit der Klage, zu der sich § 11 nicht verhält. Die Vorschrift sagt auch nichts darüber aus, welches Recht auf den jeweiligen Fall anwendbar ist.11 Die Frage nach dem anwendbaren Sachrecht richtet sich vielmehr nach den Regeln des internationalen Privatrechts, d.h. bei deliktischen Ansprüchen nach der Rom II-Verordnung.12 2. Dogmatische Einordnung Der Gesetzgeber hat die Regelung des § 11 mit „besonderer Prozessstandschaft“ 6 überschrieben und in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass es sich hierbei um einen „besonderen Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft“ handeln soll, „die lediglich die wirksame Ermächtigung des Betroffenen voraussetzt“.13 Die dogmatische Einordnung als gesetzliche Prozessstandschaft ist allerdings zweifelhaft. Im Schrifttum wird zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei § 11 vielmehr um einen Fall der gewillkürten Prozessstandschaft handelt, da die Vorschrift die Ermächtigung zur Prozessführung durch den Rechtsinhaber voraussetzt.14 In der Tat stellt gerade die Prozessführungsermächtigung durch den betroffenen 8 BT-Drucks. 19/28649, 52. 9 Vgl. dazu näher unten unter Rz. 14 ff. 10 Zur Abgrenzung der Prozessstandschaft von der Aktivlegitimation vgl. etwa Lindacher/ Hau in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, Vorb. § 50 Rz. 45; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 42. Aufl. 2021, Vorb. § 253 Rz. 39; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021 § 51 Rz. 18. 11 § 11 lässt sich als prozessuale Vorschrift insbesondere nicht als Argument dafür anführen, die im Lieferkettengesetz normierten Sorgfaltspflichten als Eingriffsnormen i.S.d. Art. 16 Rom II-VO zu qualifizieren. Nach richtiger Ansicht können im Ausland auftretende Rechtsverletzungen nicht dem deutschen Deliktsrecht unterstellt werden, wenn das Lieferkettengesetz nicht einmal eigene Haftungstatbestände aufstellt. Auch die Einstufung der Sorgfaltspflichten der §§ 3 ff. als inländische Verhaltensnormen i.S.d. Art. 17 Rom II-VO scheidet aus diesem Grund aus, vgl. dazu Wagner, ZIP 2021, 1095, 1103; a.A. Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 150 f. 12 In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich klargestellt, dass die IPR-Regelungen unberührt bleiben, vgl. BT-Drucks. 19/28649, 53. 13 BT-Drucks. 19/28649, 52. So auch Koch, MDR 2022, 1, 4; Lutz-Bachmann/Vorbeck/ Wengenroth, BB 2021, 906, 913. 14 Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, Vorb. §§ 50 ff. Rz. 26; Schneider, ZIP 2022, 407, 417; Spindler, ZIP 2022, 765, 775; ders., ZHR 186 (2022), 67, 107; Wagner, ZIP 2021, 1095, 1101; Wagner/Rutloff, NJW 2021, 2145, 2150.

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§ 11 | Besondere Prozessstandschaft Rechtsinhaber das charakteristische Merkmal der gewillkürten Prozessstandschaft dar.15 Bei der gesetzlichen Prozessstandschaft folgt die Ermächtigung nämlich bereits aus dem Gesetz, so etwa bei der Prozessführung kraft Amtes (z.B. Insolvenzverwalter nach § 80 InsO), der Prozessführung kraft prozessrechtlicher Ermächtigung gem. § 265 ZPO oder kraft materiell-rechtlicher Ermächtigung (z.B. actio pro socio für gesellschaftsrechtliche Sozialansprüche).16 Im Schrifttum wird § 11 deshalb zutreffend als „gesetzlich typisierte“ Form der gewillkürten Prozessstandschaft eingeordnet.17 7 Für diese Qualifizierung spricht, dass die gewillkürte Prozessstandschaft nach

der Rechtsprechung grundsätzlich ein eigenes wirtschaftliches Interesse des Prozessstandschafters an der Rechtsdurchsetzung voraussetzt. Ein solches Eigeninteresse besteht aber bei Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen in der Regel nicht, da sie den Betroffenen lediglich aus altruistischen Gründen bei der Prozessführung unterstützen. Zudem wären gewerbsmäßig tätige Organisationen, die ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Rechtsdurchsetzung hätten, von vornherein nicht als Prozessstandschafter i.S.d. § 11 qualifiziert. Bei Verbänden wird ein schutzwürdiges Eigeninteresse nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zudem bislang nur dann anerkannt, wenn die in Frage stehende Rechtsverfolgung der satzungsgemäßen Wahrnehmung der geschäftlichen Belange der Verbandsmitglieder entspricht.18 Auch diese Voraussetzung ist bei Menschenrechtsklagen von Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen nicht erfüllt, da mit der Prozessführung keine geschäftlichen Belange der Verbandsmitglieder geschützt werden. Vielmehr werden Haftungsansprüche Dritter gerichtlich durchgesetzt. Ob der BGH eine gewillkürte Prozessstandschaft über die bislang anerkannten Fallgruppen hinaus auch bei altruistischen Menschenrechtsklagen zugunsten Dritter anerkennen würde, ist unklar. Vor diesem Hintergrund entbindet die Vorschrift des § 11 die Gerichte von einer Rechtsfortbildung, indem sie bestimmt, dass die gewillkürte Prozessstandschaft auch ohne ein wirtschaftliches Eigeninteresse der beauftragten Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zulässig ist.19 3. Praktische Bedeutung und rechtspolitische Würdigung

8 Die Zulässigkeit einer privaten Rechtsdurchsetzung im Wege der Prozessstand-

schaft gem. § 11 bedeutet nicht, dass das LkSG implizit von einer zivilrecht-

15 Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, Vorb. §§ 50 ff. Rz. 38; Jacoby in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, Vorb. § 50 Rz. 45 f.; Wagner, ZIP 2021, 1095, 1101; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 51 Rz. 25. 16 Hübsch in BeckOK/ZPO, 43. Ed., Stand: 1.12.2021, § 51 Rz. 34; Vogt-Beheim in Anders/ Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, Vorb. § 50 Rz. 26; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 51 Rz. 19 ff. 17 Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, Vorb. §§ 50 ff. Rz. 26. 18 BGH, Urt. v. 21.9.2011 – VIII ZR 118/10, NZG 2011, 1305 Rz. 16; BGH, Urt. v. 17.2. 1983 – I ZR 194/80, DB 1983, 1299 = NJW 1983, 1559, 1560. 19 Wagner, ZIP 2021, 1095, 1101.

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Besondere Prozessstandschaft | § 11

lichen Haftung von Unternehmen für Verstöße gegen die Regelungen des LkSG ausgeht.20 Eine solche Haftung wird in § 3 Abs. 3 S. 1 vielmehr ausdrücklich ausgeschlossen. § 3 Abs. 3 S. 2 stellt aber klar, dass zivilrechtliche Ansprüche wegen Menschenrechtsverstößen unabhängig vom LkSG begründet sein können. Sofern für diese Haftungsansprüche ein deutscher Gerichtsstand eröffnet ist, können diese von inländischen Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen als Prozessstandschafter nach § 11 eingeklagt werden. Solche Haftungsklagen sind damit grundsätzlich gegen alle Unternehmen möglich, deren Gesellschaftssitz in Deutschland liegt (Art. 4, 63 Brüssel Ia-VO). Aufgrund ihres begrenzten Anwendungsbereichs wird im Schrifttum teilweise 9 die Ansicht vertreten, dass die Regelung des § 11 weitgehend gegenstandslos sei.21 Dieser Befund erscheint insoweit zutreffend, als nach deutschem Sachrecht eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen ihrer Zulieferer – jedenfalls de lege lata – im Regelfall nicht begründet wird (s. Anh. § 11 Rz. 51 ff.). In den relevanten Fallkonstellationen ist deutsches Sachrecht jedoch nicht einschlägig, weil nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO das Recht des Staates anwendbar ist, in dem der Schaden eingetreten ist (Erfolgsort). Dies wird bei internationalen Lieferketten regelmäßig der ausländische Sitz des Zulieferers sein. Eine erfolgreiche Rechtsdurchsetzung vor deutschen Gerichten setzt also nach geltendem Recht eine entsprechende Unternehmenshaftung nach dem jeweils anwendbaren ausländischen Sachrecht voraus.22 Da die dem deutschen Deliktsrecht zugrunde liegenden Wertungen auch viele aus- 10 ländische Rechtsordnungen prägen, werden zivilrechtliche Haftungsansprüche gegen Unternehmen für Menschenrechtsverstöße entlang internationaler Lieferketten in der Praxis voraussichtlich nur dann bestehen, wenn ein Zulieferer Rechtsgüter verletzt, die im deutschen Deliktsrecht durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt sind und diese Rechtsverletzungen dem deutschen Unternehmen an der Spitze der Lieferkette zugerechnet werden kann. Ob eine solche Zurechnung nach dem ausländischen Deliktsrecht möglich ist, erscheint fraglich. Daher ist es zweifelhaft, dass § 11 nach geltender Rechtslage eine größere praktische Bedeutung erlangen wird. Die Bestrebungen auf EU-Ebene, den internationalen Menschenrechts- und Umweltschutz durch eine EU-Richtlinie zu stärken, lassen allerdings strengere zivilrechtliche Haftungsregelungen erwarten (s. Anh. § 11 Rz. 13 ff.). Sobald die Richtlinienvorgaben im deutschen Recht umgesetzt sind, dürfte es in geeigneten Fällen auch Klageerhebungen im Wege der Prozessstandschaft nach § 11 geben. Unter dem Regime der aktuellen Rom II-Verordnung werden bei einer Klage 11 die internationale Gerichtszuständigkeit und das anwendbare Sachrecht re20 Vgl. hierzu Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 913; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 107; Wagner/Rutloff, NJW 2021, 2145, 2150; a.A. aber wohl Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 151. 21 Ehmann/Berg, GWR 2021, 287, 291. 22 Vgl. Habersack, AcP 219 (2019), 155, 190; Keilmann/Schmidt, WM 2021, 717, 722; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 749.

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§ 11 | Besondere Prozessstandschaft gelmäßig auseinanderfallen. Die deutschen Gerichte sind daher nach § 293 ZPO verpflichtet, sich die erforderlichen Rechtskenntnisse von Amts wegen zu verschaffen.23 Hierbei darf sich das Gericht nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss unter Verwendung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen.24 Daher holen die Gerichte bei komplexeren Fällen regelmäßig ein Rechtsgutachten zum ausländischen Recht ein.25 Bei Haftungsklagen wegen im Ausland begangener Menschenrechtsverletzungen werden sowohl die zugrunde liegenden Sachverhalte als auch die aufgeworfenen Rechtsfragen regelmäßig die Einschaltung von Rechtsgutachtern erfordern, so dass die Prozesse zeitaufwendig und kostenintensiv sein werden. Für die Kläger kann sich damit das Prozesskostenrisiko erheblich erhöhen, da die Parteien die Kosten eines Rechtsgutachtens nach § 293 ZPO als gerichtliche Auslagen grundsätzlich tragen müssen und die Gerichte auch entsprechende Vorschüsse verlangen dürfen.26 Diese Kostenbelastung mag auch für Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen als Prozessstandschafter eine Rechtsschutzhürde darstellen, worauf im Schrifttum zutreffend hingewiesen wird.27 Dennoch wird es für diese Verbände noch eher als für den ausländischen Betroffenen möglich sein, diese Kostenlast zu tragen. Auch die Unterstützung durch Prozessfinanzer wird vielfach einfacher organisiert werden können, wenn die Prozessführung in den Händen einer Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation und der von diesen beauftragten Prozessbevollmächtigten liegt. 12 Die Kosten der Ermittlung des ausländischen Sachrechts sind in der Praxis oft

nicht auf das gerichtliche Beweisverfahren nach § 293 ZPO beschränkt. Auch die Parteien werden zumindest bei großvolumigen Klagen häufig bestrebt sein, eigene Privatgutachten zum anwendbaren ausländischen Recht vorzulegen, um ihre Rechtsauffassung zu untermauern. Die hiermit verbundenen Kosten können zwar als angemessene Rechtsverfolgungskosten i.S.d. § 91 ZPO im Erfolgsfall erstattet werden,28 müssen aber dennoch zunächst von den Prozessparteien 23 BGH, Urt. v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, DB 2014, 418 = ZIP 2014, 394 = WM 2014, 357, 358 Rz. 15; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020, Rz. 2581; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, Rz. 756. 24 BGH, Urt. v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, DB 2014, 418 = ZIP 2014, 394 = WM 2014, 357, 358 Rz. 15; vgl. auch Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020, Rz. 2581; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 202, Rz. 758. 25 Als Sachverständige kommen in erster Linie inländische Universitätsprofessoren mit einem Lehrstuhl für Rechtsvergleichung oder das Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Betracht, vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, Rz. 763. 26 Huber in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 293 Rz. 14; Prütting in MünchKomm/ ZPO, 6. Aufl. 2020, § 293 Rz. 70. 27 Vgl. etwa Keilmann/Schmidt, WM 2021, 717, 722. 28 Zur Erstattungsfähigkeit privater Gutachten vgl. Gehle in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 91 Rz. 24, 30; Gierl in Saenger, 9. Aufl. 2021, § 91 Rz. 19; zur erleichterten Er-

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vorgestreckt werden. Auch insoweit kann die Klageerhebung im Wege der Prozessstandschaft zu einer Verbesserung des Rechtsschutzes für den Betroffenen führen, sofern die zur Prozessführung ermächtigte Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation über ausreichende finanzielle Mittel verfügt.

II. Voraussetzungen Die Prozessstandschaft ist nach § 11 Abs. 1 ist nur zulässig, wenn der Betroffene 13 die Verletzung einer „überragend wichtigen geschützten Rechtsposition aus § 2 Absatz 1“ geltend macht. Nach § 11 Abs. 2 können zudem nur inländische Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen mit der Prozessführung beauftragt werden, die eine dauerhafte Präsenz in Deutschland unterhalten und sich nach ihrer Satzung nicht gewerbsmäßig und nicht nur vorübergehend für den Menschenrechtsschutz einsetzen. Weiterhin muss eine wirksame Erteilung der Prozessführungsermächtigung vorliegen. 1. Geschützte Rechtspositionen § 11 Abs. 1 beschränkt die Klageerhebung im Wege der Prozessstandschaft in 14 zweierlei Hinsicht. Zum einen kann nur die Verletzung einer geschützten Rechtsposition i.S.d. § 2 Abs. 1 geltend gemacht werden. Es muss sich also um eine der „geschützten Rechtspositionen“ handeln, die gemäß der Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 1 in den Menschenrechtsschutzübereinkommen enthalten sind, die in den Nr. 1 bis 11 der Gesetzesanlage aufgelistet sind.29 Zum anderen muss diese geschützte Rechtsposition „überragend wichtig“ sein. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, in welchen Fällen eine Prozessstandschaft zulässig ist und in welchen nicht. In der Gesetzesbegründung wird lediglich beispielhaft auf den Schutz der Rechtsgüter „Leib oder Leben“ verwiesen. Zugleich wird darin klargestellt, dass die Verwendung des Begriffs „überragend“ keinen Bewertungsunterschied hinsichtlich einzelner Menschenrechte impliziere, die „universell und unteilbar“ seien. Vielmehr soll mit der Beschränkung „dem Umstand Rechnung getragen werden, dass nur ein Teil der in § 2 Absatz 1 in Bezug genommenen Menschenrechte im Wege der Prozessstandschaft geltend gemacht werden kann“.30 Der Gesetzgeber geht ausweislich dieser Begründung also davon aus, dass eine 15 Prozessstandschaft nicht bei allen der in § 2 Abs. 1 in Bezug genommenen Rechtspositionen möglich ist. Dies ist insoweit zutreffend, als die in der Gesetzesanlage stattungsfähigkeit privater Rechtsgutachten zum ausländischen Recht vgl. OLG München, Beschl. v. 17.3.2005 – 29 W 2039/04, OLGR 2005, 306; Schulz in MünchKomm/ ZPO, 6. Aufl. 2020, § 91 Rz. 147. 29 Der Schutz von Umweltgütern, der durch die in den Nr. 12 bis 14 genannten Übereinkommen gewährleistet wird, fällt damit von vornherein aus dem Anwendungsbereich des § 11 heraus. 30 BT-Drucks. 19/28649, 52.

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§ 11 | Besondere Prozessstandschaft in den Nr. 1 bis 11 genannten internationalen Übereinkommen zahlreiche Rechte schützen, deren Schutzbereich durch die Ausgestaltung internationaler Lieferketten von vornherein nicht berührt wird. Dies gilt insbesondere für die politischen und kulturellen Rechte wie etwa das freie Wahlrecht,31 das Recht auf Bildung32 oder das Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben.33 Aber auch der staatsvertragliche Schutz des geistigen Eigentums,34 der Schutz der Familie35 oder die Religionsfreiheit36 begründen keine individuellen Rechtspositionen, deren Verletzung in internationalen Lieferketten zu zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen führen kann. Geschützte Rechtspositionen i.S.d. § 11 Abs. 1 können vielmehr nur subjektive absolute Rechte sein, die deliktsrechtlichen Schutz genießen. Darunter fallen in erster Linie die Persönlichkeitsgüter Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit, die allesamt die physischen Aspekte der Person schützen. 16 Ob und unter welchen Voraussetzungen deliktsrechtliche Haftungsansprüche

bestehen, richtet sich nach dem anwendbaren, in der Regel ausländischen Sachrecht. Sofern entsprechende Schadensersatzansprüche bestehen und vor deutschen Gerichten durchgesetzt werden können, gibt es keinen Sachgrund, den Kreis der im Wege der Prozessstandschaft einklagbaren Rechte weiter einzugrenzen. Vielmehr sind alle von § 2 Abs. 1 in Bezug genommenen Menschenrechte „überragend wichtige“ Rechtspositionen i.S.d. § 11 Abs. 1, wenn und soweit sie nach dem anwendbaren Sachrecht deliktsrechtlichen Schutz genießen. Das Kriterium der „überragend wichtigen“ Rechtsposition i.S.d. § 2 Abs. 1 hat damit aus verfahrensrechtlicher Sicht keine eigenständige Bedeutung gegenüber der in § 2 Abs. 1 enthaltenen Begriffsbestimmung der „geschützten Rechtspositionen“. Die vom Gesetz verlangte „überragende Wichtigkeit“ der geschützten Rechtsposition bedeutet daher nichts anderes, als dass die Rechtsposition nach dem anwendbaren Zivilrecht deliktsrechtlich geschützt ist und ihre Verletzung einen Schadensersatzanspruch begründen kann.

17 Aus der systematischen Stellung des § 11 im Abschnitt 3 folgt allerdings, dass

eine Prozessstandschaft nach dieser Norm nur in den Fällen zulässig ist, in denen der Betroffene einen Haftungsanspruch nach ausländischem Recht wegen der Verletzung einer menschenrechtsbezogenen Sorgfaltspflicht im Rahmen der

31 Vgl. Art. 25 Abs. 2 des Internationalen Pakts v. 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte, BGBl. II 1973, S. 1533, 1534. 32 Art. 13 Abs. 1 des Internationalen Pakts v. 19.12.1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BGBl. II 1973, S. 1569, 1570. 33 Art. 15 Abs. 1 lit. a des Internationalen Pakts v. 19.12.1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BGBl. II 1973, S. 1569, 1570. 34 Art. 15 Abs. 1 lit. c des Internationalen Pakts v. 19.12.1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BGBl. II 1973, S. 1569, 1570. 35 Vgl. Art. 23 des Internationalen Pakts v. 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte, BGBl. II 1973, S. 1533, 1534; Art. 10 Nr. 1 des Internationalen Pakts v. 19.12. 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BGBl. II 1973, S. 1569, 1570. 36 Vgl. Art. 18 Abs. 1 des Internationalen Pakts v. 19.12.1966 über bürgerliche und politische Rechte, BGBl. II 1973, S. 1533, 1534.

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Lieferkettenorganisation des beklagten Unternehmens geltend macht. Der Lieferkettenbezug der haftungsbegründenden unerlaubten Handlung ist erforderlich, weil nur in diesem Fall der Anwendungsbereich der §§ 2 Abs. 1, 11 eröffnet ist. Auch wenn § 3 Abs. 3 S. 1 Haftungsansprüche wegen der Verletzung von Sorgfaltspflichten i.S.d. § 3 ausschließt, stellt § 3 Abs. 3 S. 2 klar, dass eine Verletzung von menschenrechtsbezogenen Sorgfaltspflichten Haftungsansprüche nach dem anwendbaren (ausländischen) Sachrecht begründen kann. Wird ein solcher Anspruch gerichtlich geltend gemacht, erlaubt § 11 die Rechtsdurchsetzung im Wege der Prozessstandschaft. 2. Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen als Prozessstandschafter Nach § 11 Abs. 1 können nur inländische Gewerkschaften und Nichtregierungs- 18 organisationen als Prozessstandschafter tätig werden. Die Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation muss nach § 11 Abs. 2 eine auf Dauer angelegte eigene Präsenz in Deutschland unterhalten und darf nicht gewerbsmäßig und nur vorübergehend auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes tätig sein. Bei diesen zusätzlichen Anforderungen handelt es sich um besondere Voraussetzungen der Klagebefugnis und damit um von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzungen, die im Wege des Freibeweises nachgewiesen werden können.37 Die Tatsachen, aus denen sich die Klagebefugnis ergibt, müssen spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorliegen und im Revisionsverfahren fortbestehen.38 Die mit der Prozessführung beauftragte Organisation muss darüber hinaus gem. 19 § 50 ZPO parteifähig sein. a) Sitz und dauerhafte Präsenz in Deutschland Eine Prozessstandschaft ist nach § 11 Abs. 1 auf inländische Gewerkschaften 20 und Nichtregierungsorganisationen beschränkt. Damit sind nach der Gesetzesbegründung körperschaftlich verfasste Verbände gemeint, die ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland haben.39 Gewerkschaften i.S.d. § 11 sind alle Berufsverbände der Arbeitnehmer, die vom 21 Schutzbereich der Grundrechtsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst sind. Koali37 Vgl. Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 913. § 606 Abs. 1 ZPO enthält vergleichbare Regelungen für qualifizierte Einrichtungen, die Musterfeststellungsklagen erheben dürfen; s. dazu BGH, Urt. v. 17.11.2020 – XI ZR 171/19, ECLI:DE: BGH:2020:171120UXIZR171.19, ZIP 2021, 638 = NJW 2021, 1014 Rz. 12. 38 Vgl. BGH, Urt. v. 17.11.2020 – XI ZR 171/19, ECLI:DE:BGH:2020:171120UXIZR 171.19, ZIP 2021, 638 = NJW 2021, 1014 Rz. 13; BGH, Urt. v. 27.4.2017 – I ZR 55/16, ECLI:DE:BGH:2017:270417UIZR55.16.0, DB 2017, 2670 = ZIP 2018, 448 = GRUR 2017, 1265, 1266 Rz. 10. 39 BT-Drucks. 19/28649, 53.

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§ 11 | Besondere Prozessstandschaft tionen in diesem Sinne sind Vereinigungen, die „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ gebildet worden sind und ein gewisses Maß an zeitlicher und organisatorischer Stabilität aufweisen.40 So genannte „Ad hoc-Koalitionen“ erfüllen diese Voraussetzungen nicht und können daher von vornherein nicht als Prozessstandschafter i.S.d. § 11 tätig werden. 22 Als Nichtregierungsorganisationen werden private, von Vertretern der Zivilgesell-

schaft gegründete Interessenverbände bezeichnet, die nicht durch ein öffentliches Mandat legitimiert sind und sich insbesondere sozial- und umweltpolitisch engagieren. Zu den größten und bekanntesten Nichtregierungsorganisationen auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes gehören Amnesty International und Human Rights Watch. Beide Organisationen haben deutsche Sektionen gegründet, die als eingetragene Vereine (e.V.) jeweils im Vereinsregister des AG Berlin-Charlottenburg eingetragen sind.41

23 Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen müssen in zeitlicher und

organisatorischer Hinsicht bestimmte Mindestanforderungen erfüllen, um als Prozessstandschafter tätig werden zu können. § 11 Abs. 2 verlangt insbesondere, dass die zur Prozessführung ermächtigte Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation „eine auf Dauer angelegte eigene Präsenz unterhält“. Da von vornherein nur inländische Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen zur Prozessführung ermächtigt werden können, geht das Gesetz offensichtlich von einer eigenen „Präsenz“ in Deutschland aus. Damit wird eine organisatorisch selbständige, physische Einrichtung in Deutschland gefordert, die aus personellen und sachlichen Mitteln der Organisation aufgebaut ist und deren Aktivitäten nach außen gerichtet sind, so dass sie von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden können. Die Präsenz muss zudem ortsfest sein, d.h. sie muss eine feste Adresse haben, die u.a. gerichtliche Zustellungen erlaubt.42

24 Mit der Forderung nach einer inländischen Präsenz stellt § 11 Abs. 2 sicher, dass

nur solche Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen Prozesse führen können, die sich nachweisbar in Deutschland auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes engagieren. Vereinigungen, die sich lediglich anlässlich eines konkreten Schadensfalles bilden, scheiden damit als Prozessstandschafter ebenso aus wie rein virtuelle Organisationen, die weder inländische Büroräume noch einen Mitarbeiterstab und eigenständige Betriebsmittel haben.

40 Höfling in Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 9 Rz. 56; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 9 Rz. 33; Scholz in Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 9 Rz. 192. 41 Amnesty International Deutschland e.V.; Human Rights Watch Verein zur Wahrung der Menschenrechte e.V. 42 In Anlehnung an den Zweigniederlassungsbegriff des HGB wird man insbesondere eine organisatorische Selbstständigkeit und eine eigenverantwortliche Zweckverfolgung der inländischen Einrichtung fordern müssen, um diese von bloßen inländischen Unterabteilungen ausländischer Organisationen und reinen Briefkasten-Organisationen abzugrenzen; zur handelsrechtlichen Zweigniederlassung vgl. etwa Merkt in Baumbach/ Hopt, HGB, 40. Aufl. 2021, § 13 Rz. 3 f.; Preuß in Oetker, HGB, 7. Aufl. 2021, § 13 Rz. 8 ff.

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Ausländische Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen können 25 nicht unter den Voraussetzungen des § 11 als Prozessstandschafter tätig werden. Ob sie generell nicht zur Prozessführung bei (mutmaßlichen) lieferkettenbezogenen Menschenrechtsverletzungen ermächtigt werden können oder ob ihnen lediglich verwehrt ist, ihre Prozessführungsbefugnis aus § 11 abzuleiten, lässt sich weder dem Gesetz noch der Gesetzesbegründung entnehmen. Für einen gesetzlichen Ausschluss ausländischer Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisation von der Prozessführung ist nichts ersichtlich, so dass eine Prozessstandschaft nach den allgemeinen zivilprozessualen Regeln grundsätzlich möglich wäre. Nach der bisherigen Rechtsprechung dürfte eine Prozessstandschaft einer ausländischen Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation allerdings in der Praxis daran scheitern, dass diese Verbände kein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Prozessführung haben werden, da sie allein im Interesse des Betroffenen tätig werden. Die Zulässigkeit einer Prozessstandschaft würde daher eine richterliche Rechtsfortbildung im Sinne der Regelung des § 11 erfordern, wonach rein altruistische Motive für die Rechtsdurchsetzung als Eigeninteresse des Prozessstandschafters ausreichen. Eine solche Rechtsfortbildung zugunsten ausländischer Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen erscheint nicht ausgeschlossen, da sich eine Diskriminierung von Persönlichkeitsinteressen im Vergleich zu geschäftlichen Interessen von Verbandsmitgliedern im Sinne der herkömmlichen Rechtsprechung nur schwer rechtfertigen lässt.43 b) Menschenrechtsschutz als dauerhafter und nicht gewerbsmäßiger Satzungszweck Neben dem Existenznachweis in Form einer auf Dauer angelegten eigenen Prä- 26 senz in Deutschland verlangt § 11 Abs. 2 weiterhin, dass sich die Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation nach ihrer Satzung nicht gewerbsmäßig und nicht nur vorübergehend für den Schutz von Menschenrechten einsetzt. Der satzungsgemäße Schutz von Menschenrechten darf danach nicht mit Gewinnerzielungsabsicht erfolgen. Damit schließt § 11 Abs. 2 solche Einrichtungen als Kläger aus, die sich vorwiegend mit der gerichtlichen Geltendmachung von Menschenrechtsverletzungen befassen.44 Mit dem Ausschluss von gewerbsmäßig handelnden Organisationen sollen Klagen verhindert werden, die zum Zwecke der Gewinnerzielung erhoben werden.45 Auch mittelbare Gewinnerzielungsabsichten, etwa von mit der Organisation eng verflochtenen Rechtsanwälten, lassen die Klagebefugnis entfallen.46 43 In diesem Sinne auch Wagner, ZIP 2021, 1095, 1101. 44 Vgl. BGH, Urt. v. 17.11.2020 – XI ZR 171/19, ECLI:DE:BGH:2020:171120UXIZR 171.19, ZIP 2021, 638 = NJW 2021, 1014, 1017 Rz. 27 zu der vergleichbaren Regelung in § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO. 45 Junker, ZfA 2021, 437, 438; Klinner, IWRZ 2021, 243, 246 f. 46 Vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 20.3.2019 – 6 MK 1/18, ZIP 2019, 1349, 1352 zu § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ZPO.

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§ 11 | Besondere Prozessstandschaft 27 Die mit der Prozessführung beauftragte Gewerkschaft oder Nichtregierungs-

organisation darf sich darüber hinaus nicht nur vorübergehend für den Schutz von Menschenrechten einsetzen. Die gesetzlich geforderte dauerhafte Zweckverfolgung wird regelmäßig erfüllt sein. Denn als Prozessstandschafter kommen von vornherein nur Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen mit eigener, auf Dauer angelegter Präsenz in Deutschland in Betracht. Zudem handelt es sich bei Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen jeweils um privatrechtliche Körperschaften, die als Vereine im weiteren Sinne definitionsgemäß auf Dauer angelegt sind. Vereinigungen, die nicht die erforderliche Dauerhaftigkeit und Verfestigung der Organisation ausweisen, erfüllen schon nicht die Merkmale eines Vereins im grundrechtlichen und zivilrechtlichen Sinne, so dass sie von vornherein keine Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen i.S.d. § 11 Abs. 1 darstellen. Letztlich geht es dem Gesetzgeber auch hier darum, lediglich temporäre, ad hoc gebildete Personenzusammenschlüsse von der Prozessführung auszuschließen, um missbräuchliche oder gewerbsmäßige (Trittbrettfahrer-)Prozesse wegen (vermeintlicher) Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. c) Parteifähigkeit

28 Die als Prozessstandschafter ermächtigte Gewerkschaft oder Nichtregierungs-

organisation muss nach § 50 ZPO parteifähig sein.47 Gewerkschaften sind als nicht rechtsfähige Vereine nach § 50 Abs. 2 ZPO unbeschränkt parteifähig.48 Körperschaftlich organisierte Untergliederungen von Gewerkschaften (sog. Ortssektionen) können ihrerseits aktiv parteifähig sein, wenn sie einen rechtlich selbständigen Zweigverein i.S.d. BGB darstellen.49 Für die Einordnung als Zweigverein kommt es nach der Rechtsprechung darauf an, ob die Untergliederung auf Dauer nach außen Aufgaben im eigenen Namen durch eine eigene, dafür handlungsfähige körperschaftliche Organisation wahrnimmt.50 47 BT-Drucks. 19/28649, S. 52. 48 BT-Drucks. 19/28649, 52; vgl. auch Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 50 Rz. 23; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 50 Rz. 25. § 50 Abs. 1 und 2 ZPO gelten in ihrer derzeitigen Fassung nur noch bis zum 31.12.2023. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) v. 10.8.2021 (BGBl. I 3436) wird § 50 Abs. 2 ZPO mit Wirkung vom 1.1.2024 aufgehoben, da er durch die künftige Fassung des § 54 Abs. 1 BGB entbehrlich wird, wonach der nicht rechtsfähige Verein entweder mit einem rechtsfähigen Verein oder einer rechtsfähigen Gesellschaft gleichstellt wird, vgl. BT-Drucks. 19/27635, 50, 202. 49 BT-Drucks. 19/28649, 52; Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 50 Rz. 23; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 50 Rz. 25. 50 BGH, Urt. v. 19.3.1984 – II ZR 168/83, BGHZ 90, 331, 333 = DB 1984, 1673 = ZIP 1984, 701; BGH, Urt. v. 2.7.2007 – II ZR 111/05, DB 2007, 2537 = ZIP 2007, 1942 = NJW 2008, 69, 73 Rz. 50; vgl. auch Neudert/Waldner in Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene Verein, 21. Aufl. 2021, Rz. 329; Segna in BeckOGK/BGB, Stand: 1.1.2022, § 21 Rz. 295.

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Nichtregierungsorganisationen, die im Vereinsregister eingetragen sind, erlangen 29 wegen der Konstitutivwirkung der Eintragung die Rechtsfähigkeit und damit zugleich die Parteifähigkeit (§ 50 Abs. 1 ZPO). Nichtregierungsorganisationen, die als nicht rechtsfähige Vereine organisiert sind, sind nach § 50 Abs. 2 ZPO parteifähig. In dem Prozess haben nicht rechtsfähige Gewerkschaften und Nichtregierungs- 30 organisationen die Stellung eines rechtsfähigen Vereins. Dies bedeutet, dass der Vorstand gesetzlicher Vertreter ist und die Mitglieder nicht Partei sind. Da die Parteifähigkeit Sachentscheidungs- und Prozesshandlungsvoraussetzung 31 ist, muss sie zur Zeit der Klageerhebung bestehen und während des ganzen Prozesses fortdauern. Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 50 ZPO vorliegen.51 3. Erteilung der Prozessführungsermächtigung Die Prozessstandschaft nach § 11 setzt eine wirksame Erteilung der Prozessfüh- 32 rungsermächtigung durch den Betroffenen voraus. Hierbei handelt es sich um eine Prozesshandlung, die als Willenserklärung den materiell-rechtlichen Vorschriften der §§ 116 ff. BGB unterliegt. Die Erteilung ist formlos möglich und kann sich auch aus konkludentem Handeln ergeben.52 Die Ermächtigung kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erteilt werden.53 Sie unterliegt nicht dem Anwaltszwang.54

III. Rechtsfolgen Die Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation ist als Prozessstandschafte- 33 rin Partei des Rechtsstreits und damit Herrin des Verfahrens, d.h. sie wird prozessual so behandelt, als sei sie die materiell Berechtigte. Ihr stehen damit alle prozessualen Rechte einer Partei zu. Zugleich bedeutet dies, dass der Betroffene als Rechtsinhaber im Prozess Dritter ist und damit Zeuge sein kann.55 Prozess51 BT-Drucks. 19/28649, 53; vgl. auch Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 50 Rz. 23. 52 Vgl. auch BT-Drucks. 19/28649, 53 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 31.7.2008 – I ZR 21/ 06, BeckRS 2008, 21196 Rz. 52; s. ferner Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 51 Rz. 26. 53 BGH, Urt. v. 27.2.2015 – V ZR 128/14, ZIP 2015, 1312 = NJW 2015, 2425, 2427 Rz. 15; BGH, Urt. v. 10.11.1999 – VIII ZR 78/98, ZIP 2000, 149 = NJW 2000, 738, 739; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 51 Rz. 26. 54 Hübsch in BeckOK/ZPO, 43. Ed., Stand: 1.12.2021, § 51 Rz. 48; Jacoby in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, Vorb. § 50 Rz. 56; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 51 Rz. 26. 55 BGH, Urt. v. 2.10.1987 – V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126, 127; BGH, Urt. v. 21.3.1985 – VII ZR 148/83, BGHZ 94, 117, 123 = DB 1985, 1631; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 51 Rz. 31.

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§ 11 | Besondere Prozessstandschaft kostenhilfe kann nach der Rechtsprechung grundsätzlich nur gewährt werden, wenn weder die mit der Prozessführung beauftragte Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation noch der Rechtsinhaber im Stande ist, die Prozessführungskosten aufzubringen.56 34 Das Urteil gegen den Prozessstandschafter entfaltet auch gegenüber dem er-

mächtigenden Rechtsinhaber Rechtskraftwirkung.57 Ebenso bindet ein Prozessvergleich den Ermächtigenden.58 Der Betroffene kann, obwohl die Prozessstandschaft die eigene Prozessführungsbefugnis unberührt lässt, wegen der Rechtshängigkeitssperre seinen Anspruch nicht parallel gerichtlich geltend machen; eine spätere Parallelklage wäre unzulässig.59

35 Wenn die Prozessstandschaft während des Verfahrens endet, gelten die Regeln

über den Parteiwechsel (§ 263 ZPO); § 265 Abs. 2 ZPO findet keine Anwendung.60

56 BGH, Urt. v. 2.10.1987 – V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126, 127; BGH, Urt. v. 24.10.1985 – VII ZR 337/84, BGHZ 96, 151, 153 = DB 1986, 320 = ZIP 1986, 25; Lindacher/Hau in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, Vorb. § 50 Rz. 79; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 51 Rz. 31. 57 BGH, Urt. v. 2.10.1987 – V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126, 127; Lindacher/Hau in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, Vorb. § 50 Rz. 80; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 51 Rz. 36. 58 Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, Vorb. § 50 Rz. 51; Lindacher/Hau in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, Vorb. § 50 Rz. 80; a.A. Klinck, WM 2006, 417, 421 ff. 59 BGH, Urt. v. 12.7.1985 – V ZR 56/84, NJW-RR 1986, 158; Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, Vorb. § 50 Rz. 51; Lindacher/Hau in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, Vorb. § 50 Rz. 80. 60 BGH, Urt. v. 7.7.1993 – IV ZR 190/92, BGHZ 123, 132 = ZIP 1993, 1412; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 51 Rz. 31.

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Anhang zu § 11 LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen I. Einleitung 1. Menschenrechtsschutz durch Human Rights Due Diligence und Human Rights Litigation . 2. Rechtsvergleichender Überblick a) USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . c) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . d) England . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Schutzgesetzqualität des LkSG (§ 3 Abs. 3 LkSG) . . . . . . 4. Ausblick: EU-Lieferkettensorgfaltspflichten-Richtlinie . . II. Der völker- und unionsrechtliche Regelungsrahmen . . . . . . 1. Völkerrechtliche Rechtsgrundlagen a) Keine Horizontalwirkung der Menschenrechte . . . . . . . . . . b) Unverbindlichkeit der völkerrechtlichen Soft Law-Leitprinzipien . . . . . . . . . . . . . . 2. Unionsrechtliche Vorgaben für Lieferketten-Compliance a) CSR-Richtlinie . . . . . . . . . . . b) Konfliktmineralien-VO . . . . III. Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für Menschenrechtsklagen . . . . . . . . . . 1. Allgemeiner Gerichtsstand . . . 2. Deliktsgerichtsstand . . . . . . . . 3. Konzerngerichtsstand . . . . . . . 4. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vermögensgerichtsstand . . . . . 6. Notzuständigkeit . . . . . . . . . . . IV. Kollisionsrechtliche Bestimmung des Statuts der Menschenrechtsverletzungen . . . . . . . . . 1. Deliktsstatut a) Erfolgsortanknüpfung nach der Rom II-VO . . . . . . . . . . b) Keine Anwendung der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO . . . . . . . . . . . . .

_ __ __ _ _ _ _ _ __ __ __ __ _ _ _ _ 1 5 7 8 9

11 13 17

18 20 21 22 25 26 27 29 30 32 34 35 36 37

c) Keine Anwendung des Handlungsortsrechts gemäß. Art. 17 Rom II-VO . . . . . . . . d) Keine Anwendung inländischer Ordnungsprinzipien als Eingriffsnormen gemäß Art. 16 Rom II-VO . . . . . . . . e) Ordre Public-Vorbehalt gemäß Art. 26 Rom II-VO . . f) Rechtswahl der Parteien . . . . 2. Vertragsstatut . . . . . . . . . . . . . 3. Gesellschaftsstatut . . . . . . . . . . V. Deliktsrechtliche Haftung für Menschenrechtsverletzungen nach deutschem Recht . . . . . . . 1. Vertrauensgrundsatz und Rechtsträgerprinzip als Hürden der Deliktshaftung für Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette . . . . . . . . . . . a) Keine deliktische Dritthaftung b) Gesellschaftsrechtliches Rechtsträgerprinzip als Grenze des deliktsrechtlichen Sorgfaltsgebots . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Haftung für Menschenrechtsverletzungen nach § 831 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftung für menschenrechtliche Rechtsgutsverletzungen nach § 823 Abs. 1 BGB . . . . . . a) Menschenrechte keine „sonstigen Rechte“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . b) Haftung aufgrund deliktsrechtlicher Verkehrspflichten aa) Verletzung von Organisationspflichten gegenüber unabhängigen Zulieferern bb) Verletzung konzernweiter Organisationspflichten . . cc) Verkehrspflichten aufgrund Codes of Conduct 4. Haftung für sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB . . 5. Deliktsdurchgriffshaftung . . . .

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_ _ __ __ 38

41 45 46 47 49

_ 51

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56 58 60 61

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen VI. Weitere zivilrechtliche Haftungsgrundlagen 1. Vertragliche Haftung . . . . . . .

_ 76

2. Haftung von Geschäftsleitungsorganen bei Organisationspflichtverletzungen . . . . . . . . .

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Literatur: Beckers/Micklitz, Eine ganzheitliche Perspektive auf die Regulierung globaler Lieferketten, EWS 2020, 324; Bettermann/Hoes, Der Entwurf der Europäischen Corporate Sustainability Due Diligence Richtlinie – Vergleich zum deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, WM 2022, 697; Bomsdorf/Blatecki-Burgert, Haftung deutscher Unternehmen für „Menschenrechtsverstöße“, ZRP 2020, 42; Edel/Frank/Heine/Heine, Pionierarbeiten in der Lieferkette – Praxisfolgen für das Handels- und Arbeitsrecht (Teil II), BB 2021, 2890; Ehmann, Der Regierungsentwurf für das Lieferkettengesetz: Erläuterung und erste Hinweise zur Anwendung, ZVertriebsR 2021, 141; Fleischer, Zivilrechtliche Haftung im Halbschatten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, DB 2022, 920; Fleischer/Danninger, Konzernhaftung für Menschenrechtsverletzungen – Französische und schweizerische Reformen als Regelungsvorbilder für Deutschland?, DB 2017, 2849; Gehling/Ott/Lüneborg, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Umsetzung in der Unternehmenspraxis, CCZ 2021, 230; Graf von Westphalen, Einige Vorüberlegungen zum bevorstehenden Lieferkettengesetz, ZIP 2020, 2421; Habersack/Ehrl, Verantwortlichkeit inländischer Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen durch ausländische Zulieferer – de lege lata und de lege ferenda, AcP 219 (2019), 155; Haider, Haftung von transnationalen Unternehmen und Staaten für Menschenrechtsverletzungen, 2019; Keilmann/Schmidt, Der Entwurf des Sorgfaltspflichtengesetzes – Warum es richtig ist, auf eine zivilrechtliche Haftung zu verzichten, WM 2021, 717; Leuering/Rubner, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NJW-Spezial 2021, 399; Leuering, Schafft es das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz noch über die Ziellinie?, NZG 2021, 753; Mansel, Internationales Privatrecht de lege lata wie de lege ferenda und Menschenrechtsverantwortlichkeit deutscher Unternehmen, ZGR 2018, 439; Paefgen, Haftung für die Verletzung von Pflichten nach dem neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, ZIP 2021, 2006; Rühl, Die Haftung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen: Die französische Loi de vigilance als Vorbild für ein deutsches Wertschöpfungskettengesetz?, in Bachmann/Grundmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 2020, S. 1413; Rühl/Knauer, Zivilrechtlicher Menschenrechtsschutz? Das deutsche Lieferkettengesetz und die Hoffnung auf den europäischen Gesetzgeber, JZ 2022, 105; Saage-Maaß/Leifker, Haftungsrisiken deutscher Unternehmen und ihres Managements für Menschenrechtsverletzungen im Ausland, BB 2015, 2499; Schall, Die Mutter-Verantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen ihrer Auslandstöchter, ZGR 2018, 479; Schmidt-Räntsch, Sorgfaltspflichten der Unternehmen – Von der Idee über den politischen Prozess bis zum Regelwerk, ZUR 2021, 387; Schneider, Menschenrechtsbezogene Verkehrspflichten in der Lieferkette und ihr problematisches Verhältnis zu vertraglichen Haftungsgrundlagen, NZG 2019, 1369; Späth/Werner, Die Opkabi-Entscheidung des Supreme Court of the United Kingdom zur Internationalen Konzernhaftung aus rechtsvergleichender Sicht, CCZ 2021, 241; Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67; Stürner, Zivilprozessuale Voraussetzungen für Klagen gegen transnationale Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen in Krajewski/Oehm/Saage-Maaß (Hrsg.), Zivil- und strafrechtliche Unternehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, 2018, S. 73; Thomale/Murko, Unternehmerische Haftung für Menschenrechtsverletzungen in transnationalen Lieferketten, EuZA 2021, 40; Thomale/Hübner, Zivilgerichtliche Durchsetzung völkerrechtlicher Unternehmensverantwortung, JZ 2017, 385; von Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 2020; Wagner, Haftung für Menschenrechtsverletzungen, RabelsZ 80 (2016),

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LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen | Anh. § 11 717; Wagner, Haftung für Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette, ZIP 2021, 1095; Wagner, Das Lieferkettengesetz: Viele Pflichten, keine Haftung, in: Tölle/Benedict/Koch/ Klawitter/Paulus/Preetz (Hrsg.), Festschrift für Reinhard Singer zum 70. Geburtstag, 2021, S. 693; Weller/Kaller/Schulz, Haftung deutscher Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen im Ausland, AcP 216 (2016), 387; Weller/Nasse, Unternehmensorganisation zum Schutz der Menschenrechte: Eine neue Verkehrspflicht in § 823 Abs. 1 BGB, in: Paal/Poelzig/Fehrenbacher (Hrsg.), Festschrift für Werner F. Ebke zum 70. Geburtstag, 2021, S. 1071; Weller/Nasse, Menschenrechtsarbitrage als Gefahrenquelle – Systemkohärenz einer Verkehrspflicht zur Menschenrechtssicherung in Lieferketten?, ZGR-Sonderheft 22 (2020), 107; Weller/Thomale, Menschenrechtsklagen gegen deutsche Unternehmen, ZGR 2017, 509; Wendelstein, „Menschenrechtliche“ Verhaltenspflichten im System des Internationalen Privatrechts, RabelsZ 83 (2019), 111.

I. Einleitung 1. Menschenrechtsschutz durch Human Rights Due Diligence und Human Rights Litigation Die Verantwortlichkeit von global wirtschaftenden Unternehmen für Men- 1 schenrechtsverletzungen entlang grenzüberschreitenden Produktions- und Lieferketten wirft komplexe haftungsrechtliche Fragen auf. Aus der Sicht deutscher Unternehmen stellt sich vor allem die Frage, inwiefern das neue Pflichten- und Sanktionsregime des LkSG durch eine deliktsrechtliche Haftung für im Ausland begangene Menschenrechtsverletzungen durch die eigenen Zulieferer oder Tochtergesellschaften flankiert wird.1 Spätestens seit dem aufsehenerregenden kik-Verfahren vor dem LG Dortmund, in dem es um die zivilrechtlichen Haftungsfolgen eines Unfalls in einer Textilfabrik in Bangladesch aufgrund schwerwiegender Verletzungen von Arbeitsschutzvorschriften ging, hat diese Debatte auch in Deutschland erheblich an Fahrt aufgenommen. Die Diskussion um das private enforcement menschenrechtlicher Sorgfaltspflich- 2 ten im Gegensatz zum bloßen public enforcement, d.h. der behördlichen (öffentlich-rechtlichen) Sanktionierung von Pflichtverstößen, hat auch den Gesetzgebungsprozess des LkSG maßgeblich geprägt. Während das Eckpunktepapier zum LkSG noch Bestimmungen über eine privatrechtliche Haftung vorsah, enthält die verabschiedete Gesetzesfassung keine entsprechenden Neuregelungen. § 3 Abs. 3 LkSG stellt vielmehr klar, dass das LkSG keine neue zivilrechtliche Haftung begründet, andere zivilrechtliche Haftungstatbestände aber unberührt bleiben. Der öffentlich-rechtliche Ansatz des LkSG begründet somit keine „safe har- 3 bour“-Regel in dem Sinne, dass die Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten des LkSG die deutschen Unternehmen zugleich vor einer zivilrechtlichen Haftung für Menschenrechtsverstöße ihrer ausländischen Zulieferer 1 Wagner, ZIP 2021, 1095, 1100 bezeichnet die zivilrechtliche Haftungsfrage insoweit treffend als „Elefant im Raum des Sorgfaltspflichtengesetzes“; ähnlich Wagner, FS für Reinhard Singer, 2021, S. 693, 704.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen schützt.2 Eine ordnungsgemäße human rights due diligence i.S.d. LkSG bedeutet lediglich einen Schutz vor behördlichen Sanktionen in Deutschland. Eine zivilrechtliche Haftung bleibt grundsätzlich möglich, wenn auch allenfalls nach dem ausländischen Recht des Erfolgsorts.3 4 Aus Unternehmenssicht bleibt daher insbesondere das Problem bestehen, dass

Menschenrechtsverstöße durch vertraglich gebundene Zulieferer im Ausland von Opfern und interessierten Verbänden, insbesondere Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen, zum Gegenstand von öffentlichkeitswirksamen Gerichtsprozessen in Deutschland gemacht werden. Entsprechende Klagen dienen vielfach weniger dazu, für die konkret in Rede stehenden Rechtsverletzungen eine zivilrechtliche Kompensation zu erzielen. Das Hauptziel solcher Prozesse besteht vielmehr darin, öffentliche Aufmerksamkeit für die Arbeits- und Lebensbedingungen der im Ausland bei den Zulieferbetrieben beschäftigten Menschen zu erreichen und politischen Handlungsdruck zu erzeugen.4 2. Rechtsvergleichender Überblick a) USA

5 Das Phänomen der grenzüberschreitenden Human Rights Litigation wurde

maßgeblich durch den US-amerikanischen Alien Tort Claims Act (auch als Alien Tort Statute bezeichnet) aus dem Jahr 1789 befördert.5 Dieses Gesetz räumt allen Bundesgerichten der USA die Zuständigkeit für zivilrechtliche Klagen von Ausländern im Hinblick auf solche Delikte ein, die auf der Verletzung von Völkerrecht oder von völkerrechtlichen Verträgen, die die Vereinigten Staaten abgeschlossen haben, beruhen. Es sollte vor allem die Sicherheit von Botschaftern aus Drittstaaten in den Vereinigten Staaten gewährleisten.6 Nachdem der Alien Tort Claims Act über lange Zeit ein Schattendasein geführt hatte, wurde die Regelung im Jahre 1980 vom US Court of Appeals des 2d Circuit erstmals auf eine zivilrechtliche Klage eines Ausländers wegen Menschenrechtsverletzungen angewendet.7 In mehreren Folgeentscheidungen wurde der Anwen2 Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 121. 3 Vgl. dazu unten Rz. 35 ff. 4 Diese Form der strategischen Human Rights Litigation ist nicht auf die haftungsrechtliche Verantwortung von Unternehmen für Verstöße gegen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette beschränkt. Auch die sog. Klima- oder Umweltklagen, mit denen neuerdings verstärkt private Unternehmen für aktuelle oder künftige Folgen des Klimawandels verantwortlich gemacht werden, sind Teil des neuen Phänomens einer strategischen Prozessführung, deren primäres Ziel darin besteht, auf politische Veränderungen hinzuwirken. 5 28 U.S. Code § 1350 – Alien’s action for tort: „The district courts shall have original jurisdiction of any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States.“ 6 Sosa v. Alvarez-Machain, 124 S. Ct. 1739, 2755 ff. (2004). 7 Siehe hierzu auch v. Hein, ZGR 2016, 414, 418; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 728; Weller/Kaller/Schulz, AcP 2016, 387, 391.

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dungsbereich des Alien Tort Claims Act erheblich ausgedehnt. Die US-amerikanischen Bundesgerichte verliehen dem Gesetz über die Zuständigkeitsregelung hinaus einen materiell-rechtlichen Gehalt, indem sie darin zugleich eine Anspruchsgrundlage für eine Haftung des Täters für Menschenrechtsverletzungen im Ausland erkannten.8 Auch die Passivlegitimation im Sinne des Alien Tort Claims Act beschränkte sich nicht mehr auf Hoheitsträger, sondern wurde auf sämtliche Individuen erstreckt.9 Die breitflächige Anwendung des Alien Tort Claims Act fand jedoch im Jahre 6 2013 ein jähes Ende. In der Entscheidung Kiobel v. Royal Dutch Petroleum schränkte der US Supreme Court den Anwendungsbereich des Gesetzes erheblich ein.10 Der Supreme Court entschied, dass der Alien Tort Claims Act nicht auf solche Menschenrechtsverletzungen anwendbar ist, die außerhalb der Vereinigten Staaten begangen wurden. Eine Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Ausland kann damit nicht mehr auf den Alien Tort Claims Act gestützt werden. Potentielle Kläger und interessierte Nichtregierungsorganisationen schauen sich seitdem nach neuen geeigneten Gerichtsplätzen insbesondere in Europa um. b) Frankreich In verschiedenen europäischen Ländern gab es auch entsprechende Bestrebun- 7 gen, den privatrechtlichen Schutz von Opfern von Menschenrechtsverletzungen im Ausland zu stärken. Insbesondere der französische Gesetzgeber hat hier im Jahr 2017 Pionierarbeit geleistet und das sog. loi de vigilance verabschiedet. Mit diesem Gesetz wurden für bestimmte Großunternehmen11 verbindliche Sorgfaltspflichten für Konzernmuttergesellschaften und solche Gesellschaften eingeführt, die als Auftraggeber in Lieferketten mit Zulieferbetrieben im Ausland zusammenarbeiten.12 Das loi de vigilance sieht bei Verletzung dieser Sorgfaltspflichten auch eine zivilrechtliche Haftung der Konzernmuttergesellschaft bzw. des Auftraggebers vor, wenn aufgrund von Sorgfaltspflichtverletzungen Konzerntöchter oder vertraglich gebundene Zulieferbetriebe Menschenrechtsverletzungen im Ausland, insbesondere an ihren Produktionsstandorten begehen.13 Die Sorgfaltspflichten nach dem loi de vigilance bestehen darin, dass Unternehmen einen Überwachungsplan (sog. plan de vigilance) erstellen und dessen Um8 So Tel-Oren v. Libyan Arab Republic, 726 F.2d 774, 777 ff. (D.C. Cir. 1984). 9 Kadic v. Karadzic, 70 F.3d232, 239 ff. (2d Cir. 1995); Herero People’s Reparations Corp. v. Deutsche Bank AG, 370 F.3d 1192, 1193; Doe v. Exxon Mobil Corp., 654 F.3d 11, 39 ff. (D.C. Cir. 2011); vgl. Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 728 m.w.N. 10 Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. et al, 133 S. Ct. 1659, 1663 ff. (2013). 11 Art. L-225-102-4 Code de Commerce. 12 Vgl. hierzu näher Buchmann, IWRZ 2021, 73 ff.; Fleischer/Danninger, DB 2017, 2849 ff.; Kutscher-Puis, ZVertriebsR 2020, 174 ff.; Nasse, ZEuP 2019, 774 ff.; Rühl, FS für Christine Windbichler, 2020, S. 1413, 1417 ff. 13 Art. L 225-102-5 Code de Commerce verweist zu diesem Zweck auf die Art. 1240, 1241 Code Civil, die einen deliktsrechtlichen Haftungstatbestand in Form einer Generalklausel bereithalten.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen setzung durch Überwachungsmaßnahmen sicherstellen. Der Überwachungsplan soll dabei Maßnahmen zur Vorbeugung schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen vorsehen.14 Die Sorgfaltspflichten beschränken sich nicht auf die Tätigkeiten des Unternehmens selbst, sondern beziehen sich auch auf unmittelbar und mittelbar kontrollierte Unternehmen, Subunternehmer und Zulieferbetriebe. Bei den Haftungsvorschriften des Gesetzes handelt es sich aus internationalprivatrechtlicher Perspektive nach wohl herrschender Ansicht um deliktsrechtliche Bestimmungen,15 die in der französischen Literatur überwiegend als Eingriffsnormen i.S.d. Art. 16 Rom II-VO qualifiziert werden.16 Damit können die französischen Gerichte das Gesetz auch dann anwenden, wenn das nach der Rom II-VO anwendbare Sachrecht das ausländische Recht des Erfolgsorts ist. c) Schweiz 8 Auch in der Schweiz wurde in den vergangenen Jahren der Versuch unternom-

men, den privatrechtlichen Schutz von Menschenrechten im Ausland durch private Wirtschaftsunternehmen zu verbessern. Die sog. Konzernverantwortungsinitiative, die auf die eidgenössische Volkinitiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“ zurückzuführen ist,17 blieb aber letztlich erfolglos. Das Ziel der Initiative bestand darin, Unternehmen mit Sitz in der Schweiz und die durch sie kontrollierten Unternehmen dazu zu verpflichten, international anerkannte Menschenrechte und Umweltstandards zu respektieren, zu deren Einhaltung eine angemessene Sorgfaltsprüfung durchzuführen und auf deren Basis entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Auch der Entwurf der schweizerischen Konzernverantwortungsinitiative sah bei Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten eine privatrechtliche Haftung des verantwortlichen Unternehmens gegenüber den Geschädigten vor.18 Die betreffenden Haftungsnormen sollten auch hier als Eingriffsnormen i.S.v. Art. 18 des schweizerischen IPRG ausgestaltet werden, um bei Auslandssachverhalten deren Anwendbarkeit vor schweizerischen Gerichten zu sichern.19 Die schweizerische Konzernverantwortungsinitiative scheiterte im Jahr 2020 knapp in einer Volksabstimmung und wurde daher nicht umgesetzt.

14 Siehe Art. L-225-102-4 Abs. 3 Code de Commerce. 15 Boskovic, Receuil Dalloz 2016, 385, 386; s. auch Mansel, ZGR 2018, 439, 445; Nasse, ZEuP 2019, 774, 797 f. 16 Boskovic, Receuil Dalloz 2016, 385, 386; s. auch Mansel, ZGR 2018, 439, 470; Nasse, ZEuP 2019, 774, 799. 17 Fleischer/Danninger, DB 2017, 2849, 2853. 18 Verein Konzernverantwortungsinitiative (Hrsg.), Erläuterungen zur Eidgenössischen Volksinitiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“, S. 42; s. auch Fleischer/Danninger, DB 2017, 2849, 2854. 19 Verein Konzernverantwortungsinitiative (Hrsg.), Erläuterungen zur Eidgenössischen Volksinitiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“, S. 20 f.; Fleischer/Danninger, DB 2017, 2849, 2855.

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d) England Das englische Common Law ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen 9 ebenfalls eine deliktsrechtliche Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Ausland. Für Aufsehen sorgte hier vor allem die Entscheidung des UK Supreme Court aus dem Februar 2021 im Verfahren Okpabi v. Royal Dutch Shell. In diesem Fall hatten 40.000 Bewohner eines nigerianischen Dorfes im Nigerdelta geklagt, in deren unmittelbarer Umgebung unter anderem die nigerianische Tochter des Shell-Konzerns Rohrleitungen für den Öltransport unterhielt. Die Kläger machten geltend, dass durch Lecks in diesen Rohrleitungen massive Umweltschäden entstanden seien, die die Wasserversorgung des Dorfes und die Fischerei in nahen Gewässern unmöglich machten. Die Kläger klagten einerseits gegen das nigerianische Tochterunternehmen des Shell-Konzerns und andererseits gegen die britisch-niederländische Muttergesellschaft, die Royal Dutch Shell. Der UK Supreme Court hatte im Rahmen dieses Verfahrens zu prüfen, ob eine Haftungsklage der nigerianischen Kläger gegen Royal Dutch Shell unter dem englischem tort law begründet war. Hierzu entschied der UK Supreme Court, dass eine Haftung der Konzernmutter für ein Tochterunternehmen nach englischem tort law grundsätzlich möglich sei. Eine deliktsrechtliche Haftung komme dann in Betracht, wenn die Muttergesellschaft (1) das (Co-)Management der Tochtergesellschaft übernehme, (2) die Muttergesellschaft der Tochtergesellschaft fehlerhafte Ratschläge erteilte, (3) die Muttergesellschaft Umweltschutzrichtlinien konzernweit einführte und im Zuge dessen konkrete Schritte unternahm, um deren Umsetzung sicherzustellen oder (4) wenn die Muttergesellschaft öffentlich verkündet hatte, einen bestimmten Grad an Kontrolle über die Tochtergesellschaft auszuüben.20 Nach englischem Common Law kommt eine Haftung des Mutterunternehmens 10 für von einer Tochtergesellschaft im Ausland verursachte Umweltschäden also insbesondere dann in Betracht, wenn dieses einen Vertrauenstatbestand hinsichtlich der Einhaltung selbstgeschaffener Umweltschutzrichtlinien geschaffen hat oder wenn die Konzernleitung tatsächlich in die Führung des Tochterunternehmens eingebunden war. Das konzernrechtliche Trennungsprinzip, das im Common Law seit dem Urteil in Salomon v Salomon21 aus dem Jahre 1897 anerkannt ist, steht in diesen Fällen einer Haftung der Muttergesellschaft also nicht (mehr) entgegen.22 Im Kern knüpft die Haftung nach englischem Deliktsrecht an den von der Muttergesellschaft geschaffenen Vertrauenstatbestand durch Einführung von konzerninternen Umweltschutzrichtlinien und die konzernrechtliche Einbindung des Tochterunternehmens an. Ob unter entsprechenden Voraussetzungen auch eine privatrechtliche Haftung für die Nichteinhaltung selbstgeschaffener menschenrechtsbezogener Sorgfaltspflichten entlang von Zuliefererketten in Betracht kommt, bleibt abzuwarten. Eine Haftung für Men20 Siehe hierzu näher Fleischer/Korch, ZIP 2021, 709, 711 f.; Kieninger, RIW 2021, 331, 333 f.; Schall, ZIP 2021, 1241, 1242. 21 Salomon v Aaron Salomon & Co Ltd. [1897] AC 22. 22 Schall, ZIP 2021, 1241, 1242.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen schenrechtsverletzungen von nicht in Konzernstrukturen eingebundenen unabhängigen Zulieferern lässt sich aus der Entscheidung Okpabi v. Royal Dutch Shell jedenfalls nicht ableiten.23 3. Keine Schutzgesetzqualität des LkSG (§ 3 Abs. 3 LkSG) 11 Das LkSG enthält keine privatrechtlichen Haftungsvorschriften. § 3 Abs. 3 Satz 1

LkSG stellt vielmehr – anders als noch der Regierungsentwurf – klar, dass eine Verletzung der menschenrechtsbezogenen Sorgfaltspflichten keine zusätzliche zivilrechtliche Haftung begründet. Eine unabhängig von dem LkSG begründete zivilrechtliche Haftung bleibt indes unberührt (§ 3 Abs. 3 Satz 2 LkSG). Ausweislich der Gesetzesbegründung wollte der Gesetzgeber damit eine deliktsrechtliche Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den im LkSG enthaltenen Sorgfaltspflichten ausschließen.24 Die Vorschriften des LkSG, mit denen für die betroffenen Unternehmen neue Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette begründet werden, stellen damit keine Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB dar.25 Verstöße gegen diese Normen führen somit lediglich zu öffentlich-rechtlichen Sanktionen, begründen aber für sich genommen keine deliktsrechtliche Haftung. Dies entspricht auch der allgemeinen Deliktsrechtsdogmatik. Denn Menschenrechte als solche können schon deshalb keine Schutzgesetze darstellen, da sie in aller Regel zu vage sind und keine Geltung zwischen privaten Rechtssubjekten entfalten.26 Ob der Haftungsausschluss nach § 3 Abs. 3 Satz 1 LkSG auch eine Schadensersatzhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung menschenrechtsbezogener Organisationspflichten erfasst, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen;27 im Ergebnis scheidet eine solche Haftung jedoch nach den insoweit maßgeblichen deliktsrechtlichen Maßstäben aus (vgl. dazu unten Rz. 60 ff.).

12 Zugleich schließt § 3 Abs. 3 LkSG eine zivilrechtliche Haftung für Menschen-

rechtsverletzungen im Ausland auch nicht aus. Die Vorschrift begründet insbesondere keine „safe harbour“-Regel d.h. die Einhaltung der neuen gesetzlichen Sorgfaltspflichten schützt die Unternehmen nicht umfassend vor einer zivilrechtlichen Haftung. Vor diesem Hintergrund finden sich im Schrifttum vielfältige Überlegungen, inwiefern Verletzungen der Sorgfaltspflichten des LkSG

23 Okpabi & Others v. Royal Dutch Shell Plc & Another [2021] UKSC 3. 24 BT-Drucks. 19/30505, S. 39. 25 Rühl/Knauer, JZ 2022, 105, 108; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 94; Wagner, FS für Reinhard Singer, 2021, S. 693, 707; Wagner/Rutloff, NJW 2021, 2145, 2150. 26 Vgl. Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42, 43; Edel/Frank/Heine/Heine, BB 2021, 2890, 2893; Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 194; Schneider, NZG 2019, 1369, 1373 f.; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 386 („strukturelle Vagheit“); Weller/Kaller/ Schulz, AcP 216 (2016), 387, 407; Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 516. 27 Nach Rühl/Knauer, JZ 2022, 105, 108 soll die Regelung in § 3 Abs. 3 Satz 1 LkSG auch eine Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB von vornherein ausschließen; a.A. wohl Wagner, FS für Reinhard Singer, 2021, S. 693, 707.

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eine zivilrechtliche Haftung begründen könnten, sei es über den allgemeinen Haftungstatbestand des § 823 Abs. 1 BGB (vgl. dazu unten Rz. 60), auf vertraglicher Grundlage (vgl. dazu unten Rz. 74 ff.) oder im Rahmen einer gesellschaftlichen Binnenhaftung der Geschäftsleitungsorgane gegenüber der Gesellschaft (vgl. dazu unten Rz. 77). 4. Ausblick: EU-Lieferkettensorgfaltspflichten-Richtlinie Auf europäischer Ebene gibt es ebenfalls seit einiger Zeit Bestrebungen, neue 13 Sorgfaltspflichten von Unternehmen für die Achtung und Einhaltung von Menschenrechten entlang ihrer Lieferketten zu kodifizieren. Das Europäische Parlament hat am 10.3.2021 einen eigenen Richtlinienvorschlag verabschiedet und diesen der Europäischen Kommission vorgelegt.28 Der Vorschlag weist viele Ähnlichkeiten mit dem deutschen LkSG auf, geht allerdings deutlich weiter als das LkSG. Insbesondere sieht der Entwurf in Art. 19 eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen bei Sorgfaltspflichtverstößen vor, die „aufgrund potenzieller oder tatsächlicher nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte, die Umwelt oder die verantwortungsvolle Unternehmensführung“29 gestützt wird. Darüber hinaus schreibt der Richtlinienvorschlag vor, dass die international-privatrechtliche Anwendbarkeit der jeweiligen nationalen Rechtsakte durch Deklaration als Eingriffsnorm i.S.v. Art. 16 Rom II-VO sicherzustellen sei.30 Auch der sachliche Anwendungsbereich des Richtlinienentwurfs geht dabei über den des LkSG hinaus. So sollen auch kleinere Unternehmen in den Anwendungsbereich des Entwurfs einbezogen werden, wenn sie an der Börse notiert sind oder in risikoreichen Branchen tätig sind (Art. 2 Nr. 2 des Entwurfs). Die Richtlinie soll sogar für solche Unternehmen gelten, die keinen Sitz in der Europäischen Union haben, sofern diese in einer risikoreichen Branche tätig sind und Waren oder Dienstleistungen in der Europäischen Union anbieten (Art. 2 Nr. 3 des Entwurfs). Die Europäische Kommission legte am 23.2.2022 ihrerseits einen eigenen 14 Richtlinienvorschlag vor, der ebenfalls eine zivilrechtliche Haftung für Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette vorsieht, von dem Parlamentsvorschlag aber auch in wesentlichen Punkten abweicht.31 So wurde der Anwendungsbereich des Richtlinienentwurfes beispielsweise an präzisere Abgrenzungskriterien geknüpft. Der Vorschlag der Europäischen Kommission sieht vor, dass der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie Unternehmen erfasst, die eine Mindestzahl von 500 Beschäftigten aufweisen, wobei das Unternehmen zusätz28 P9_TA(2021)0073, abrufbar unter https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/ TA-9-2021-0073_DE.html; vgl. dazu etwa Rühl/Knauer, JZ 2022, 105, 112 ff. 29 Siehe Art. 19 Nr. 2 des Entwurfs. 30 Siehe Art. 20 des Entwurfs; vgl. dazu Rühl/Knauer, JZ 2022, 105, 113 f. 31 2022/0051 (COD); abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/ HTML/?uri=CELEX:52022PC0071&from=EN; vgl. dazu etwa Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 644.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen lich einen weltweiten Nettoumsatz von mindestens EUR 150 Mio. erzielen muss. Ist eine dieser beiden Vorgaben nicht erfüllt, ist der Anwendungsbereich der Richtlinie dennoch eröffnet, wenn das Unternehmen mindestens 250 Beschäftigte hat, im Vorjahr einen weltweiten Umsatz von zumindest EUR 40 Mio. erzielte und in einer der in Art. 2 Nr. 1 lit. b) des Entwurfs enumerativ aufgezählten Branchen, wie u.a. der Textilbranche oder der Mineralienbranche tätig ist. Für diese Unternehmen gelten die von den Nationalstaaten umzusetzenden Vorschriften jedoch erst zwei Jahre später. In ähnlicher Weise regelt der Entwurf die Anwendbarkeit auf solche Unternehmen, die keinen Sitz in der Europäischen Union haben.32 Die Kommission schätzt, dass auf diesem Wege rund 13.000 Unternehmen mit Sitz in der EU und rund 4.000 Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU von dem Entwurf erfasst sind.33 15 Der Kommissionsentwurf statuiert in Art. 4 ff. eine Sorgfaltspflicht, die die Er-

mittlung tatsächlicher und potenzieller negativer Auswirkungen der eigenen Geschäftstätigkeit auf Menschenrechte und die Umwelt vorschreibt. Ebenso wie das LkSG verweist der Kommissionsentwurf hierbei auf völkerrechtliche Verträge, um den Kreis der geschützten Rechtsgüter zu bestimmen.34 Die Reichweite der menschenrechtsbezogenen Sorgfaltspflichten und der hieran anknüpfenden zivilrechtlichen Haftung (Art. 22 des Entwurfs) wird dabei begrenzt, indem die Sorgfaltspflicht nach Art. 1 Abs. 1 lit. a) i.V.m. Art. 3 lit. d) des Entwurfs nur Tochterunternehmen sowie „etablierte Geschäftsbeziehungen“ erfasst, die nach Erwartung des Unternehmens beständig und nicht von lediglich untergeordneter Bedeutung in der Wertschöpfungskette sind. Mit dieser Beschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie soll die Anzahl potentieller Rechtsstreitigkeiten reduziert werden.35

16 Nach Art. 22 Abs. 5 des Entwurfs sollen die Mitgliedsstaaten verpflichtet werden

sicherzustellen, dass die Regelungen zur zivilrechtlichen Haftung auch bei Auslandssachverhalten zur Anwendung kommen. Auch wenn der Entwurf nicht ausdrücklich vorsieht, die zu schaffenden nationalstaatlichen Regelungen als Eingriffsnorm i.S.d. Art. 16 Rom II-VO zu qualifizieren, werden die Richtlinienvorgaben nur dann umgesetzt, wenn die nationalen Vorschriften eine solche international-privatrechtliche Einstufung der Haftungsvorschriften anordnen.

II. Der völker- und unionsrechtliche Regelungsrahmen 17 Die Haftung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen ihrer Zulieferer

und Tochtergesellschaften im Ausland ist durch die Verknüpfung des pflichtwidrigen Handelns eines Unternehmens mit der Verletzung von Menschenrech-

32 Siehe hierzu Art. 2 Abs. 2 des Entwurfs. 33 So die Erwägungen der Kommission zum Entwurf, S. 20. 34 Abschnitt 4 Behördliche Kontrolle und Durchsetzung (§§ 12–18). Unterabschnitt 1 Berichtsprüfung (§§ 12, 13). 35 So die Erwägungen der Kommission zum Entwurf, S. 21.

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ten stark völkerrechtlich geprägt. Neben den völkervertraglich vereinbarten Menschenrechtsstandards prägen zunehmend auch europäische Rechtsakte die internationale Diskussion über die Verantwortung von (Groß-)Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen entlang von grenzüberschreitenden Produktionsund Lieferketten. 1. Völkerrechtliche Rechtsgrundlagen a) Keine Horizontalwirkung der Menschenrechte Die maßgeblichen Menschenrechtskataloge36 gelten als völkerrechtliche Verträge 18 nur zwischen den ratifizierenden Staaten als Völkerrechtssubjekte.37 Da private Unternehmen nicht Adressaten des Völkerrechts sind, werden sie durch die menschenrechtlichen Bestimmungen nicht verpflichtet. Die Menschenrechtskataloge entfalten daher keine unmittelbare Drittwirkung.38 Dies gilt auch für die Verbürgungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12. 1948, in deren Präambel nicht nur Hoheitsträger, sondern jeder Einzelne und alle Organe der Gesellschaft angesprochen sind.39 Damit sind nur die einzelnen Staaten völkerrechtlich verpflichtet, im Bereich ihrer territorialen Hoheitsgewalt Angriffe von Privaten auf menschenrechtlich geschützte Rechtspositionen Dritter abzuwehren. Private Personen sind dagegen nicht unmittelbar an Menschenrechte gebunden. Es existiert auch keine Jurisdiktionsnorm, die einem internationalen Gericht die Zuständigkeit für privatrechtliche Schadensersatzklagen wegen Menschenrechtsverletzungen übertragen würde.40 Um der völkerrechtlichen Schutzpflicht der verpflichteten Staaten nachzukom- 19 men, stellt die Schaffung eines deliktischen Haftungstatbestands, der Menschenrechtsverletzungen privatrechtlich sanktioniert, ein taugliches Instrument dar.41 Opfer von Menschenrechtsverletzungen können sich daher allein auf die deliktsrechtlichen Haftungsnormen der nationalstaatlichen Rechtsordnungen stützen, um Schadensersatz- oder sonstige Abhilfeansprüche geltend zu machen.

36 Zu nennen sind hier insbesondere der UN-Zivilpakt, der UN-Sozialpakt, die UN-Kinderrechtskonvention und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte auf internationaler sowie die Europäische Menschenrechtskonvention und die Europäische Sozialcharta auf europäischer Ebene. 37 Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 170; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 721. 38 Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 170; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 722; Wagner, ZIP 2021, 1095, 1095 f.; a.A. Schall, ZGR 2018, 479, 480 f. 39 Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 170; a.A. wohl Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 386 f. 40 Habersack/Ehrl, AcP 129 (2019), 155, 172; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 721; Weller/ Thomale, ZGR 2017, 509, 516. 41 Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 171; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 722; Weller/ Thomale, ZGR 2017, 509, 515; zur grundgesetzlichen Schutzpflichtdogmatik vgl. Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, Vor § 823 Rz. 78 ff.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen b) Unverbindlichkeit der völkerrechtlichen Soft Law-Leitprinzipien 20 Ungeachtet der fehlenden unmittelbaren Bindungswirkung der völkerrechtlichen

Menschenrechtsvorschriften für private Personen werden zunehmend völkerrechtliche soft law-Instrumente in Form von Leitprinzipien, Kodizes, Standards und ähnlichen unverbindlichen Regelwerken entwickelt, die auch für transnational agierende Unternehmen menschenrechtliche Vorgaben postulieren.42 So richten sich etwa die von dem UN-Sonderbeauftragten John Ruggie erarbeiteten und durch den UN-Menschenrechtsrat im Jahr 2011 angenommenen „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ nicht nur an die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, sondern in Kapitel II. ausdrücklich auch an Wirtschaftsunternehmen.43 Die Unternehmen trifft danach u.a. eine allgemeine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht (human rights due diligence) zur Feststellung und Minderung von Menschenrechtsverletzungen.44 Werden Menschenrechtsverletzungen festgestellt, zu denen ein Unternehmen einen Verursachungsbetrag geleistet hat, hat dieses für Wiedergutmachung zu sorgen oder an einem fairen Entschädigungsverfahren mitzuwirken.45 Dieses soft law hat sich allerdings bislang nicht zu geltendem Völkerrecht mit entsprechender rechtlicher Bindungswirkung verdichtet. Die betreffenden Regelwerke normieren daher lediglich Vorgaben für freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen.46 Haftungsrechtliche Schadensersatzpflichten bestehen daher mangels Rechtsverbindlichkeit der entsprechenden Maßgaben nicht. 2. Unionsrechtliche Vorgaben für Lieferketten-Compliance a) CSR-Richtlinie

21 Auch der europäische Gesetzgeber hat sich an der zunehmenden Verrecht-

lichung der Corporate Social Responsibility beteiligt, indem er bereits im Jahr 2014 die CSR-Richtlinie47 verabschiedet hat. Die Richtlinie sieht eine Verpflich42 Vgl. etwa die ISO-Norm 26000, der United Nations Global Compact, die Grundsatzerklärung der International Labour Organization (ILO) über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die CSR-Richtlinie der Europäischen Union; vgl. hierzu den Überblick bei Voland, BB 2015, 67, 68 ff. 43 United Nations High Commissioner on Human Rights, Guiding Principles on Business and Human Rights, HR/PUB/11/04 (2011), Chapter II. „The Corporate Responsibility to respect Human Rights“; vgl. Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 723 f.; Wagner, ZIP 2021, 1095, 1097. 44 Leitprinzip 17 der Guiding Principles on Business and Human Rights, HR/PUB/11/04 (2011), S. 17 f. 45 Leitprinzip 22 der Guiding Principles on Business and Human Rights, HR/PUB/11/04 (2011), S. 24 f. 46 Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 172; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 725; Weller/ Thomale, ZGR 2017, 509, 514; a.A. Schall, ZGR 2018, 479, 506, der einer zwischenzeitlichen Verrechtlichung zumindest der Ruggie-Prinzipien das Wort spricht. 47 RL 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2014 zur Corporate Social Responsibility (CSR), ABl. Nr. L 330/1.

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tung betroffener Unternehmen zur Berichterstattung über „nicht-finanzielle“ Themen im Rahmen der Rechnungslegung vor.48 Die Richtlinienvorgaben wurden in den §§ 289b ff. und §§ 315b ff. HGB in das deutsche Recht umgesetzt. Danach müssen große kapitalmarktorientierte Unternehmen in ihrem Lagebericht Angaben zu den Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange machen und in diesem Zusammenhang darüber informieren, welche Konzepte und due diligence-Prozesse in Bezug auf die genannten Belange verfolgt werden. Fehlt es an derartigen Konzepten und Prozessen, u.a. zur Achtung der Menschenrechte, hat das Unternehmen dies im Lagebericht „klar und begründet“ zu erläutern.49 Ziel der Richtlinie ist es, die Transparenz unternehmerischen Handelns sowie die Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitsleistungen zu erhöhen und die Vergleichbarkeit von CSR-Erklärungen zu verbessern.50 Einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der menschenrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen vermag die CSR-Richtlinie in praxi indes nicht zu leisten, da sie weder eine Erfolgspflicht zur Einführung von CSR-Maßnahmen statuiert51 noch Sanktionen vorschreibt. Es bleibt daher dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Recht überlassen, inwiefern es weitergehende Rechtsfolgen an die Verletzung der entsprechenden Pflichten knüpft.52 b) Konfliktmineralien-VO Seit dem 17.5.2017 gilt in der Europäischen Union auch die EU-Konfliktminera- 22 lien-VO,53 die bestimmte Sorgfaltspflichten für Unternehmen statuiert, die sog. Konfliktmineralien in die Europäische Union einführen wollen. Die Verordnung sieht vor, dass „Unionseinführer“ von Mineralien die Risiken schädlicher Auswirkungen in ihrer Lieferkette ermitteln und bewerten und hierauf aufbauend Maßnahmen treffen, um die negativen Auswirkungen der ermittelten Risiken zu mildern oder vollständig zu verhindern. Dabei nimmt die Konfliktmineralien-VO bei der Festlegung der Sorgfaltspflicht Bezug auf Anhang II der OECD-Leitprinzipien. Die Konfliktmineralien-VO reagiert damit sektorspezifisch auf die erheblichen 23 Risiken, die aus dem Abbau von bestimmten Rohstoffen für die Umwelt, aber 48 Vgl. Hennrichs, ZGR 2018, 206 ff.; Voland, BB 2015, 67, 73. 49 Vgl. hierzu auch Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 177; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 726. 50 Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 180; Voland, BB 2015, 67, 73. 51 Die Einführung von Konzepten und Prozessen zur Achtung der Menschenrechte wird im Schrifttum als bloße Bemühensverpflichtung (obligation de moyens) qualifiziert, vgl. etwa Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42, 44; Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 178; Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 518. 52 Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42, 44; Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 518; im Grundsatz auch Roth-Mingram, NZG 2015, 1341. 53 VO 2017/821/EU vom 17.5.2017 zur Festlegung von Pflichten zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette für Unionseinführer von Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erzen und Gold aus Konflikt- und Hochrisikogebieten.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen auch für Menschen, die den Abbau der Mineralien betreiben, resultieren.54 So besteht insbesondere die Gefahr, dass die Erträge aus dem Abbau der betroffenen Mineralien dazu beitragen können, kriegerische Auseinandersetzungen in den jeweiligen Staaten auszulösen oder zu verschärfen, was der Entwicklung der betroffenen Länder erheblich schadet und vielfach mit erheblichen Menschenrechtsverletzungen einhergeht.55 Die Konfliktmineralien-VO sieht dabei ein Prüfungssystem durch Dritte vor und verpflichtet die Unionseinführer, alle entlang der Lieferkette erlangten Informationen an die Abnehmer in der Europäischen Union weiterzugeben. 24 Die Konfliktmineralien-VO sieht allerdings keine zivilrechtliche Haftung der

Unionseinführer gegenüber geschädigten Personen vor. Gleichwohl ist die Konfliktmineralien-VO von erheblicher Bedeutung für den Schutz von Menschenrechten entlang einer Lieferkette, weil sie eine Sorgfaltspflicht für Unternehmen statuiert, die auch und gerade außerhalb der Europäischen Union zu beachten ist.56

III. Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für Menschenrechtsklagen 25 Die Zuständigkeit deutscher Gerichte für Klagen gegen in Deutschland ansässige

Unternehmen ergibt sich ohne weiteres aus dem allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Sollen hingegen Zulieferer (oder Tochtergesellschaften) mit Sitz im nicht-europäischen Ausland verklagt werden, lässt sich eine Zuständigkeit deutscher Gerichte grundsätzlich nicht begründen, da in den Fällen extraterritorialer Menschenrechtsverletzungen sowohl Handlungs- als auch Erfolgsort in Drittstaaten belegen sind.

1. Allgemeiner Gerichtsstand 26 Die Zuständigkeit deutscher Gerichte für Klagen gegen in Deutschland ansässige

Unternehmen ist in der Regel unproblematisch; sie ergibt sich aus dem allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Der Wohnsitz befindet sich bei Gesellschaften und juristischen Personen nach Maßgabe des Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO entweder am Ort ihres Satzungssitzes, am Ort ihrer Hauptverwaltung oder am Ort ihrer Hauptniederlassung. Unerheblich ist, dass die streitgegenständliche Rechtsgutsverletzung außerhalb Deutschlands eingetreten ist.57 54 55 56 57

Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 114. Erwgr. 1 und 3, VO 2017/821/EU vom 17.5.2017. Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 179. Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 180; Wagner, FS für Reinhard Singer, 2021, S. 693, 709; Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 523.

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2. Deliktsgerichtsstand Der Deliktsgerichtsstand gem. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ist in den einschlägi- 27 gen Fallkonstellationen von vornherein allenfalls dann eröffnet, wenn das in Deutschland zu verklagende Unternehmen seinen Sitz i.S.d. Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO in einem anderen EU-Mitgliedstaat hat.58 Der Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ermöglicht es daher nicht, ein deutsches Unternehmen vor einem anderen deutschen Gericht als dem Heimatgericht des Unternehmens zu verklagen.59 Die deutschen Gerichte sind für deliktische Haftungsklagen wegen Menschen- 28 rechtsverletzungen in der Lieferkette dann zuständig, wenn das schädigende Ereignis in Deutschland eingetreten ist. Im Sinne des Ubiquitätsprinzips gilt als Ort des Schadenseintritts sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort, so dass dem Geschädigten ein Wahlrecht zusteht.60 Da der Erfolgsort bei Menschenrechtsverletzungen des ausländischen Zulieferers regelmäßig im Ausland liegt, lässt sich eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte allenfalls unter dem Gesichtspunkt des Handlungsorts begründen. Der Handlungsort i.S.d. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH am Ort des den Schaden verursachenden Ereignisses belegen.61 Ist einem Unternehmen eine für die Menschenrechtsverletzung relevante Handlung oder Unterlassung vorzuwerfen, könnte mithin ein deutsches Gericht lediglich dann angerufen werden, wenn die haftungsbegründende Handlung in Deutschland vorgenommen wurde. Einen solchen Handlungsort wird es bei im EU-Ausland ansässigen Unternehmen allenfalls in seltenen Ausnahmefällen geben, da nicht jeder bloß kausale Tatbeitrag für die Begründung eines Handlungsorts genügt. Vielmehr ist der Handlungsort auf denjenigen Ort zu beschränken, der die engste Verbindung mit der Rechtsgutsverletzung aufweist, da andernfalls eine Uferlosigkeit der Deliktszuständigkeit droht. Bloße Vorbereitungshandlungen reichen daher nicht aus.62 Da in den einschlägigen Fallkonstellationen die unmittelbaren Verletzungshandlungen nicht vom Warenabnehmer am Ende der Lieferkette, sondern vom ausländischen Zulieferer vorgenommen werden, liegt auch der Handlungsort i.S.d. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO regelmäßig im Ausland. Damit ist der Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO in den hier interessierenden Haftungsfällen grundsätzlich nicht eröffnet.

58 Dies folgt aus dem eindeutigen Wortlaut: „Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden“. 59 Vgl. Thode in BeckOK/ZPO, 44. Ed. Stand: 1.3.2022, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 6a, 10. 60 EuGH, Urt. v. 30.11.1976 – C-21/76 – Handelswerkerij G. J. Bier B.V. v. Mines Potasse d’Alsace S.A., Slg. 1976, 1735, 1746 f., Rz. 15, 19; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 734. 61 EuGH, Urt. v. 16.7.2009 – C-189/08 – Zuid-Chemie BV v. Philippo’s Mineralenfabriek NV/SA, Slg. 2009, I-6917, Rz. 13, 25; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 735. 62 Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 735.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen 3. Konzerngerichtsstand 29 Für Klagen gegen ausländische Tochterunternehmen deutscher Unternehmen

ist in Deutschland auch kein Konzerngerichtsstand am Sitz der deutschen Konzernmutter eröffnet. Das europäische Zuständigkeitsrecht kennt keinen einheitlichen Konzerngerichtsstand. Nach dem auch im Zuständigkeitsrecht geltenden Rechtsträgerprinzip ist der Gerichtsstand vielmehr für jedes Rechtssubjekt gesondert festzustellen. Auch bei konzernverbundenen Unternehmen ist daher bei der Bestimmung des Unternehmenssitzes nach Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO jede einzelne Gesellschaft gesondert zu betrachten.63 Eine in den Vereinigten Staaten diskutierte „enterprise jurisdiction“, die transnational agierende Konzerne wie ein einziges Unternehmen behandelt,64 ist mit dem europäischen Zuständigkeitsrecht nicht vereinbar.65 4. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft

30 Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO

wird bei Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen im Ausland ebenfalls nur in seltenen Ausnahmefällen eröffnet sein. Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO sieht einen einheitlichen Gerichtsstand für Klagen gegen mehrere Personen vor, wenn zwischen den Klagen eine so enge Beziehung besteht, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zur Vermeidung widersprechender Ergebnisse geboten erscheint. Dieser Gerichtsstand besteht aber wiederum nur gegenüber Personen, die ihren Sitz innerhalb der Europäischen Union haben.66 In den problematischen Lieferkettenkonstellationen wird dies häufig nicht der Fall sein.67 Zudem muss mindestens einer der Beklagten (der sog. „Ankerbeklagte“) an seinem allgemeinen Gerichtsstand am (Wohn-)Sitz verklagt werden. Unter diesen Voraussetzungen könnten also Zulieferer aus dem EU-Ausland zusammen mit dem deutschen Unternehmen, das die Waren abnimmt, vor deutschen Gerichten verklagt werden. Die geforderte enge Beziehung zwischen den Klagen wird bei Menschenrechtsverletzungen immer dann (aber in der Regel auch nur dann) zu bejahen sein, wenn es sich um identische Schäden handelt.68 63 Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 734 f. 64 Vgl. hierzu Hannah L. Buxbaum, U.C. Davis Law Review 48 (2015), 1769, 1781 ff.; vgl. ferner Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 762 f. 65 Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 734 f.; Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 523. 66 Gottwald in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 6; Habersack/ Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 180; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, Art. 8 EuGGVO Rz. 5; Thode in BeckOK/ZPO, 44. Ed. Stand: 1.3.2022, Art. 8 Brüssel IaVO Rz. 21; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 736. 67 Beckers/Micklitz, EWS 2020, 324, 329; Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 150; Habersack/ Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 180; Haider, Haftung von transnationalen Unternehmen und Staaten für Menschenrechtsverletzungen, 2019, S. 287 f.; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 734 ff.; Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 523. 68 Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 736.

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Aufgrund des engen Anwendungsbereichs des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO wird 31 im Schrifttum eine „berichtigende Auslegung“ des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO im Sinne einer Universalisierung des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft erwogen, um eine unerwünschte Diskriminierung von EU-Bürgern und EU-Unternehmen zu vermeiden.69 Der EuGH hat einer Anwendung des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO auf Beklagte, deren (Wohn-)Sitz nicht in der Europäischen Union liegt, allerdings eine Absage erteilt.70 Auch der europäische Gesetzgeber hat einen entsprechenden Reformvorschlag der Kommission, der eine Universalisierung des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft anlässlich der Reform im Jahre 2012 vorgesehen hatte, nicht aufgegriffen.71 De lege lata wird man Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO daher nicht über seinen Wortlaut hinaus auf außerhalb der EU ansässige Personen anwenden können. 5. Vermögensgerichtsstand Ausländische Unternehmen könnten darüber hinaus am Vermögensgerichtsstand 32 des § 23 ZPO in Deutschland verklagt werden.72 Denn § 23 ZPO enthält nach einhelliger Auffassung kraft Doppelfunktionalität gleichzeitig eine Regelung der internationalen und örtlichen Zuständigkeit.73 Im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO findet § 23 ZPO allerdings keine Anwendung, wenn der Beklagte seinen (Wohn-)Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat hat (Art. 5 Abs. 2 Brüssel Ia-VO). Der Vermögensgerichtsstand des § 23 ZPO ist gegenüber außerhalb der EU an- 33 sässigen Personen dann eröffnet, wenn der Beklagte über im Inland belegenes Vermögen verfügt und ein hinreichender Inlandsbezug vorhanden ist.74 Auch diese Voraussetzungen werden in den klassischen Lieferkettenfällen, bei denen es im Ausland zu Menschenrechtsverletzungen durch Zulieferer kommt, nur selten erfüllt sein.

69 Vgl. Geimer, Forum Condefensoris in FS für Jan Kropholler, 2008, S. 777, 783 f.; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 7. Aufl. 2017, Rz. 411; Stürner, Zivilprozessuale Voraussetzungen für Klagen gegen transnationale Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen in Krajewski/Oehm/Saage-Maaß (Hrsg.), Zivil- und strafrechtliche Unternehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, 2018, S. 73, 87; Thomale/Murko, EuZA 2021, 40, 55; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 737. 70 EuGH, Urt. v. 11.4.2013 – C-645/11 – Land Berlin v. Sapir, NJW 2013, 1661 Rz. 55 f. 71 Abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52 009DC0175&from=DE. 72 Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 180 f.; Patzina in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, § 23 Rz. 15; vgl. auch Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 389 f. 73 Vgl. Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 389 m.w.N. 74 Vgl. BGH, Urt. v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, NJW 1991, 3092, 3093; Patzina in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2020, § 23 Rz. 15; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 389; a.A. Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 23 Rz. 10.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen 6. Notzuständigkeit 34 Schließlich wird im Schrifttum eine internationale Notzuständigkeit der deut-

schen Gerichte erwogen für den Fall, dass ausländische Gerichte keinen ausreichenden Menschenrechtsschutz gewährleisten.75 Ein solches forum necessitatis hat bislang keinen Eingang in die Brüssel Ia-VO gefunden. Die Normierung einer Notzuständigkeit wäre politisch auch heikel. Zudem dürfte die Frage, nach welchen Kriterien die Unmöglichkeit der Prozessführung im Ausland zu beurteilen ist und ob dies durch einen nationalen Richter überhaupt belastbar feststellbar ist, in der Praxis kaum zu beantworten sein.76 Ein praxisrelevanter Gerichtsstand für Menschenrechtsklagen gegen ausländische Unternehmen wegen Sorgfaltspflichtverstößen entlang ihrer grenzüberschreitenden Lieferketten lässt sich auf diese Weise nicht begründen. Dies folgt schon aus der Grundwertung des LkSG, dass die in diesem Gesetz normierten Sorgfaltspflichten keine Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB darstellen und deren Verletzung allein keine privatrechtliche Haftung nach deutschem Recht begründet. Wenn auch ausländische Rechtsordnungen und Gerichtsbarkeiten am Sitz des betroffenen Unternehmens in diesen Fällen keine deliktsrechtliche Haftung vorsehen, kann darin keine Rechtsschutzverweigerung gesehen werden, die Voraussetzung für eine Notzuständigkeit der deutschen Gerichte wäre.

IV. Kollisionsrechtliche Bestimmung des Statuts der Menschenrechtsverletzungen 35 Die Diskussion über eine privatrechtliche Haftung von Unternehmen für Men-

schenrechtsverletzungen im Ausland wird vielfach unter der Prämisse geführt, dass deutsches Recht anwendbar ist. Aufgrund des Auslandsbezugs der hier in Rede stehenden Lieferkettenkonstellationen ist die Anwendbarkeit des deutschen Sachrechts allerdings sehr fraglich. Zwar ist es nicht gänzlich ausgeschlossen, dass Opfer von Menschenrechtsverletzungen im Ausland auch vertragliche Haftungsansprüche geltend machen, die – jedenfalls theoretisch – auf Verträgen mit entsprechenden Rechtswahlklauseln zugunsten des deutschen Rechts basieren können. Praxisrelevant sind solche Klagen allerdings nicht. In den problematischen Lieferkettenfällen geht es vielmehr um klassische deliktsrechtliche Rechtsgutsverletzungen, bei denen Täter und Opfer nicht vertraglich miteinander verbunden sind. Damit stellt sich insbesondere die Frage, welches Recht das maßgebliche Deliktsstatut ist.

75 Thomale/Murko, EuZA 2021, 40, 55 f. 76 Stürner, Zivilprozessuale Voraussetzungen für Klagen gegen transnationale Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen in Krajewski/Oehm/Saage-Maaß (Hrsg.), Zivil- und strafrechtliche Unternehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen, 2018, S. 73, 87 f.; Thomale/Murko, EuZA 2021, 40, 55 f.

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LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen | Anh. § 11

1. Deliktsstatut a) Erfolgsortanknüpfung nach der Rom II-VO Für Ansprüche aus unerlaubter Handlung regelt die Rom II-VO das maßgebli- 36 che Deliktsstatut. Die allgemeine Kollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO verweist auf das Recht des Staates, in dem der Schaden eingetreten ist (Erfolgsort). In den praxisrelevanten Fällen tritt der Schadenserfolg (z.B. bei Großbränden in Textilfabriken) im Rahmen einer Lieferkette in den Staaten ein, in welchen das Zuliefererunternehmen ansässig ist. Damit ist jeweils das Deliktsrecht des Zuliefererstaates anzuwenden.77 b) Keine Anwendung der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO Vereinzelt wird im Schrifttum erwogen, nach Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO im Inte- 37 resse des Opferschutzes eine alternative Anknüpfung an den Handlungsort (Deutschland) vorzunehmen. Zur Begründung wird auf Sinn und Zweck des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO verwiesen und angeführt, dass die Norm der Besserstellung des Opfers diene und in gedanklicher Anleihe an Art. 40 EGBGB daher herangezogen werden könne, um das Schutzdefizit der bei einer Erfolgsortanknüpfung anwendbaren ausländischen Rechtsordnung zu kompensieren.78 Die h.M. in der Literatur lehnt diesen Ansatz aber zu Recht ab.79 Es wird hiergegen eingewandt, dass Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO schon nicht die Funktion habe, die gesetzgeberische Entscheidung für die Erfolgsortanknüpfung generell zu Gunsten einer Rechtswahlregelung zu korrigieren.80 Die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO taugt deshalb von vornherein nicht als Vehikel für materiellrechtliche Billigkeitserwägungen.81 Außerdem fehlt es in den einschlägigen Fallgestaltungen an einer „offensichtlich engeren Verbindung“ der in Rede stehenden unerlaubten Handlung zu Deutschland. Dies gilt insbesondere bei deliktischen Schädigungen von Arbeitnehmern des ausländischen Zulieferers, da in diesen Fällen nicht nur der Erfolgsort im Ausland liegt, sondern auch das Arbeitsverhältnis allein mit dem Zulieferer besteht.82 Hinzu kommt, dass bei Menschenrechtsverletzungen des Zulieferers der Handlungsort ebenfalls im ausländischen Produktionsstaat belegen ist. Die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO führt damit nicht zur Anwendung deutschen Sachrechts.

77 Mansel, ZGR 2018, 439, 454; Rühl/Knauer, JZ 2022, 105, 109. 78 Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 524; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 391 f. 79 Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42, 44; Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 184; Mansel, ZGR 2018, 439, 457; von Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 2020, S. 313 f.; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 740 f. 80 Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 184 f.; Mansel, ZGR 2018, 439, 457. 81 Vgl. von Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 2020, S. 314; Mansel, ZGR 2018, 439, 458; Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 185. 82 Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 741.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen c) Keine Anwendung des Handlungsortsrechts gemäß. Art. 17 Rom II-VO 38 Teilweise wird vertreten, dass bei Klagen gegen deutsche Unternehmen wegen

der Verletzung von menschrechtsbezogenen Sorgfaltspflichten in der Lieferkettengestaltung nach Art. 17 Rom II-VO deutsches Recht zur Anwendung kommen kann, da die Sorgfaltspflichten des LkSG als inländische Verhaltensnormen zu qualifizieren seien.83 Die Sorgfaltspflichten des Lieferkettengesetzes seien auch bei Geltung eines ausländischen Deliktsrechts als Verhaltenspflichten in das ausländische Recht zu inkorporieren.

39 Auch dieser Ansatz kann die Anwendung des deutschen Deliktsrechts nicht be-

gründen. Dies folgt schon daraus, dass eine Qualifikation als inländische Verhaltensnorm niemals zur Durchsetzung von Anspruchsgrundlagen des Handlungsorts führt, sondern allein bewirkt, dass konkrete Verhaltensstandards nach deutschem Recht als faktische Gegebenheiten („local data“) im Rahmen des ausländischen Rechts berücksichtigt werden können.84 Auch würde die Anwendung von Art. 17 Rom II-VO in den einschlägigen Fällen dem Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechen. Denn die Beachtung der Sicherheits- und Verhaltensregeln am Handlungsort dient vor allem dazu, den Schädiger zu entlasten. Wenn der Schädiger sein Verhalten an den Sicherheits- und Verhaltensvorschriften des Handlungsorts ausrichtet, soll er nicht mit strengeren Standards des ausländischen Deliktsstatuts belastet werden, da dies der Steuerungs- und Koordinationsfunktion des Haftungsrechts zuwiderliefe.85 Die Anwendung des Art. 17 Rom II-VO bei lieferkettenbezogenen Sorgfaltspflichtverletzungen würde diesen Regelungszweck in sein Gegenteil verkehren, da dann die für den Schädiger günstigeren haftungsrechtlichen Wertungen des ausländischen Deliktsstatuts unterlaufen würden.86 Es wäre auch ein klarer Wertungswiderspruch, wenn man strengere Verhaltensnormen nach deutschem Recht heranziehen würde, um eine Haftung nach ausländischem Deliktsrecht zu begründen, wenn nicht einmal das LkSG entsprechende Haftungstatbestände vorsieht.87 Im Übrigen würde Art. 17 Rom II-VO das deutsche Gericht auch nicht dazu verpflichten, die Sorgfaltspflichten des LkSG zwingend anzuwenden; es wäre nur gehalten, diese Standards im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen.88 83 Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 150 f.; Saage-Maaß/Leifker, BB 2015, 2499, 2502; wohl auch Schmidt-Räntsch, ZUR 2021, 387, 394. Von einer vorbehaltlosen Anwendung des Rechts des Handlungsorts ging nur der gescheiterte Beschlussantrag der Bundestagsfraktion der Grünen aus, BT-Drucks. 17/13916, S. 4. 84 Mansel, ZGR 2018, 439, 465; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 742. 85 Haider, Haftung von transnationalen Unternehmen und Staaten für Menschenrechtsverletzungen, 2019, S. 334; Rühl/Knauer, JZ 2022, 105, 110. 86 Vgl. v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, S. 318 ff.; Haider, Haftung von transnationalen Unternehmen und Staaten für Menschenrechtsverletzungen, 2019, S. 332 ff.; Wagner, ZIP 2021, 1095, 1104; ders., RabelsZ 80 (2016), 717, 743. 87 Rühl/Knauer, JZ 2022, 105, 110; Wagner, ZIP 2021, 1095, 1104 f. 88 v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, S. 319; Mansel, ZGR 2018, 430, 465.

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In der Praxis würde Art. 17 Rom II-VO ohnehin nur dann zur Anwendung 40 kommen, wenn der Handlungsort in Deutschland liegt.89 Dies ist aber bei Menschenrechtsverletzungen im Ausland gerade nicht der Fall, da hier die unmittelbare Rechtsgutsverletzung regelmäßig am Sitz des ausländischen Zulieferers vorgenommen wird, so dass auch der Handlungsort im Ausland liegt.90 d) Keine Anwendung inländischer Ordnungsprinzipien als Eingriffsnormen gemäß Art. 16 Rom II-VO Im Schrifttum wird weiterhin diskutiert, ob die Sorgfaltspflichtenregelungen in 41 den §§ 3 ff. LkSG als international zwingende Eingriffsnormen i.S.v. Art. 16 Abs. 2 Rom II-VO qualifiziert werden können.91 Dies würde nach der Rechtsprechung des EuGH erfordern, dass es sich bei den §§ 3 ff. LkSG um nationale Vorschriften handelt, „deren Einhaltung als so entscheidend für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats angesehen wird, dass ihre Beachtung für alle Personen, die sich im nationalen Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befinden, und für jedes dort lokalisierte Rechtsverhältnis vorgeschrieben ist“.92 Ungeschriebene Voraussetzung für die Anwendung einer Eingriffsnorm ist damit ein ausreichend starker Inlandsbezug des Sachverhalts zum Gerichtsstaat.93 Dieser Inlandsbezug wird bei im Ausland eintretenden Menschenrechtsverletzungen in der Regel fehlen, so dass die Anwendung der Vorschriften des LkSG schon aus diesem Grund ausscheidet. Denn das Regelungsinteresse des Forumsstaats ist nach der EuGH-Rechtsprechung von vornherein auf das eigene Territorium beschränkt. An der Regulierung von im Ausland begangenen unerlaubten Handlungen, die zu Schäden im Ausland führen, hat der Forumsstaat daher kein anerkennenswertes Interesse. Im Schrifttum wird deshalb zu Recht darauf hingewiesen, dass die praktische 42 Relevanz der Durchsetzung deutscher Eingriffsnormen gegenüber einem ausländischen Deliktsstatut sehr begrenzt ist.94 Denn bereits die Grundwertungen der Erfolgsortsanknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO spiegeln die Steuerungsinteressen der betroffenen Staaten wider: Der Staat, in dessen Territorium der Erfolgsort belegen ist, kann sein nationales Deliktsrecht auf das betreffende 89 v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, S. 319 f. 90 Vgl. dazu auch Rühl/Knauer, JZ 2022, 105, 111. 91 In diese Richtung wohl Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 150; ablehnend Maultzsch in BeckOGK-Rom II-VO, Stand: 1.12.2021, Art. 16 Rz. 76 unter Verweis auf den ausdrücklich statuierten Haftungsausschluss in § 3 Abs. 3 Satz 1 LkSG. 92 EuGH, Urt. v. 23.11.1999 – verb. C-369/96 u. C-376/96, EuZW 2000, 88 Rz. 30 (Arblade und Leloup). 93 Mansel, ZGR 2018, 439, 471; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 746 f.; Wagner, Festschrift für Reinhard Singer, S. 693, 710; Wendelstein, RabelsZ 83 (2019), 111, 150 f.; a.A. Maultzsch in BeckOGK-Rom II-VO, Stand: 1.2.2021, Art. 16 Rz. 31. 94 Junker in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 16 Rom II-VO Rz. 20 f.; Spickhoff, in BeckOK-BGB, 61. Ed. Stand: 1.8.2021, Art. 16 Rom II-VO Rz. 3; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 746 f.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen Rechtsverhältnis anwenden. Außerhalb dieses Territoriums hat das Deliktsrecht dieses Staates keinen legitimen Geltungsanspruch. Vielmehr übernimmt dann ein anderer Staat mit seinem nationalen Deliktsrecht die Aufgabe des außervertraglichen Rechtsgüterschutzes.95 43 Die Maßgeblichkeit des ausländischen Erfolgsortsrechts lässt sich daher bei

grenzüberschreitenden Lieferkettenkonstellationen trotz eines etwaigen höheren Schutzstandards des deutschen Rechts nicht in Abrede stellen. Da das LkSG seinerseits keine privatrechtlichen Haftungstatbestände für die Verletzung der in den §§ 3 ff. LkSG normierten Sorgfaltspflichten enthält, gibt es keine Grundlage für eine Qualifikation dieser Vorschriften als international zwingende Eingriffsnormen i.S.d. Art. 16 Rom II-VO. Denn nach den Vorstellungen des deutschen Gesetzgebers führt die Verletzung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten des LkSG gerade nicht zu einer deliktsrechtlichen Haftung (§ 3 Abs. 3 LkSG). Da das deutsche Recht also gerade keinen deliktsrechtlichen Geltungsanspruch für die Regelung von grenzüberschreitenden Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette erhebt, kann die Anwendung deutschen Rechts auch kollisionsrechtlich nicht begründet werden.96

44 Die Richtlinienentwürfe des Europäischen Parlaments und der Europäischen

Kommission sehen demgegenüber jeweils vor, dass die haftungsrechtlichen Bestimmungen als Eingriffsnormen i.S.d. Art. 16 Rom II-VO auszugestalten sind (vgl. oben Rz. 13 ff.). Sollte eine künftige EU-Richtlinie diese Regelung beibehalten, müsste der deutsche Gesetzgeber nach dem Vorbild des französischen Rechts eine zivilrechtliche Haftung des an der Spitze der Lieferkette stehenden Unternehmens statuieren und diese Haftungsregelungen zugleich als international zwingende Eingriffsnormen i.S.d. Art. 16 Rom II-VO ausgestalten. e) Ordre Public-Vorbehalt gemäß Art. 26 Rom II-VO

45 Schließlich wird im Schrifttum auch erörtert, inwiefern deutsches Deliktsrecht

auf der Grundlage des ordre public-Vorbehalts nach Art. 26 Rom II-VO zur Anwendung kommen kann.97 Hiergegen wird zum einen eingewandt, dass es in den betreffenden Fällen nicht um die Abwehr fremden Rechts gehe, das mit Grundprinzipien des deutschen und europäischen Rechts nicht vereinbar wäre, sondern um die vorrangige Anwendung deutschen Deliktsrechts.98 Deutsches Recht könnte auf der Grundlage des Art. 26 Rom II-VO aber allenfalls dann an95 Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 747. 96 Rühl/Knauer, JZ 2022, 105, 110; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 112; Wagner, ZIP 2021, 1095, 1105; Wagner, FS für Reinhard Singer, 2021, S. 693, 710. 97 Mansel, ZGR 2018, 439, 469; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 382 f.; Weller/Kaller/ Schulz, AcP 216 (2016), 387, 394 ff.; a.A. Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 748 f.; Wagner, ZIP 2021, 1095, 1104: Die Korrektur eines als „zu geizig“ empfundenen ausländischen Rechts sei nicht Sinn und Zweck des Art. 26 Rom II-VO. Dieser habe vielmehr die Abwehr eines „zu großzügigen“ ausländischen Rechts vor Augen. 98 Wagner, ZIP 2021, 1095, 1104; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 110.

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gewendet werden, wenn das ausländische Recht des Erfolgsorts beim Schutz der Menschenrechte völlig versagt und zu aus deutscher Sicht untragbaren Ergebnissen führt.99 Diese Voraussetzung wird in den praxisrelevanten Fällen nicht erfüllt sein, da auch die ausländischen Rechtsordnungen an den betreffenden Erfolgsorten wenigstens einen deliktsrechtlichen Mindestschutzstandard vorsehen, der eine Haftung zumindest des Zulieferers für die eingetretenen Rechtsgutsverletzungen ermöglicht. Mehr verlangt auch das deutsche Recht nicht. Insbesondere ist keine Haftung des Unternehmens an der Spitze der Lieferkette geboten, wie schon der öffentlich-rechtliche Ansatz des LkSG mit seinem Verzicht auf neue Haftungstatbestände zeigt. f) Rechtswahl der Parteien Grundsätzlich möglich ist die nachträgliche Rechtswahl nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 46 lit. a Rom II-VO zu Gunsten des deutschen Rechts. Eine solche Rechtswahl nach dem Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses muss ausdrücklich erfolgen oder sich mit hinreichender Sicherheit aus den Umständen des Falles ergeben (Art. 14 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO).100 Zur Begründung einer nachträglichen Rechtswahl wird im Schrifttum vorgeschlagen, dass sich inländische Unternehmen in ihren Codes of Conduct freiwillig eine nachträgliche Rechtswahl ermöglichen, indem sie ankündigen, bei entsprechenden menschenrechtsbezogenen Klagen auf Ansuchen des ausländischen Klägers einer nachträglichen Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts zuzustimmen.101 Die betreffenden Unternehmen werden solche Selbstverpflichtungserklärungen aber voraussichtlich nicht abgeben, so dass dieser Vorschlag nicht praxisrelevant werden dürfte.102 2. Vertragsstatut Die Anwendung des deutschen Rechts als Vertragsstatut scheidet in den ein- 47 schlägigen Fallgestaltungen regelmäßig aus, da zwischen dem Geschädigten und dem Unternehmen an der Spitze der Lieferkette kein vertragliches Schuldverhältnis besteht. In Betracht kommt allenfalls eine Einbeziehung der ausländischen Geschädigten in den Schutzbereich des Liefervertrages zwischen dem ausländischen Zulieferer und dem deutschen Unternehmen. Ob sich die kollisionsrechtliche Bestimmung des anwendbaren Rechts auf einen solchen – zumindest grundsätzlich denkbaren – Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter nach 99 Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 110. 100 Die Zulässigkeit einer vorherigen Rechtswahl nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b Rom II-VO setzt voraus, dass „alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen“. Dies wird bei den typischen Opfern von Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette nicht der Fall sein, vgl. Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 189. 101 Mansel, ZGR 2018, 439, 463. 102 Vgl. Mansel, ZGR 2018, 439, 463; Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 189; Weller/ Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 394.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen der Rom I-VO oder nach der Rom II-VO richtet, ist umstritten.103 Ganz überwiegend wird vertreten, dass die Haftung aufgrund eines Vertrags mit Schutzwirkung deliktsrechtlich zu qualifizieren und deshalb die Rom II-VO heranzuziehen sei.104 Nur vereinzelt wird auf das Vertragsstatut der Rom I-VO abgestellt.105 48 Diese Streitfrage kann im Zusammenhang mit einer Haftung für Sorgfalts-

pflichtverletzungen i.S.d. LkSG dahinstehen. Denn selbst wenn man eine vertragliche Haftung nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter dogmatisch begründen könnte106 und diese vertragsrechtlich qualifizieren würde, käme bei fehlender Rechtswahl der Parteien nach Art. 4 Abs. 1 lit. a, b und Abs. 2 Rom-I-VO regelmäßig das Recht des Staats zur Anwendung, in dem der Zulieferer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das entspricht dem Deliktsstatut. 3. Gesellschaftsstatut

49 Im Schrifttum wird weiterhin eine gegen die deutsche Muttergesellschaft gerich-

tete konzernrechtliche Deliktsdurchgriffshaftung wegen Außenverbindlichkeiten der ausländischen Tochtergesellschaft bei Menschenrechtsverletzungen diskutiert (vgl. dazu unten Rz. 74).107 Mit Blick auf diese Haftung ist umstritten, ob sie eher dem Delikts- oder dem Gesellschaftsstatut unterworfen werden soll. Manche Stimmen wollen die Deliktsdurchgriffshaftung dem Deliktsstatut unterordnen, da diese schwerpunktmäßig vom Deliktscharakter der Gesellschaftsschuld geprägt sei und das Gesellschaftsstatut der Tochtergesellschaft nur mittelbar berühre.108 Andere befürworten eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation und führen zur Begründung an, dass sich die Durchgriffshaftung auf die Stellung der Konzernobergesellschaft als Gesellschafterin der Konzernuntergesellschaft gründe und mit dem sog. kapitalgesellschaftlichen Trennungsprinzip einen Grundsatz des Gesellschaftsrechts durchbreche.109 Im Ergebnis kommt es 103 Eine Übersicht zum Streitstand findet sich bei Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 182. 104 Dutta, IPRax 2009, 293, 295; v. Hein in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2018, Einl. IPR Rz. 129; Rauscher/v. Hein, EuZPR/EuIPR, 2016, Art. 1 Rom-I-VO Rz. 10; Thorn in Grüneberg (vormals Palandt), BGB, Art. 12 Rom-I-VO Rz. 5; Spickhof in BeckOK/ BGB, 61. Ed. Stand: 1.8.2021, Art. 12 Rom-I-VO Rz. 5 („es sei denn, die dritten Personen sind bewusst und gewollt in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen worden“). 105 Spellenberg in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 12 Rom I-VO Rz. 64 m.w.N. 106 Zu den diesbezüglichen Einwendungen s. unten Rz. 75. 107 Der Beschlussantrag der Bundestagsfraktion der Grünen, BT-Drucks. 17/13916, 3., scheiterte. 108 Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 525. 109 Vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2002 – Az.: XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359, 136; Kindler in MünchKomm/BGB, Band 13, Teil 10. Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, 8. Aufl. 2021, Rz. 617 m.w.N.; Mansel, ZGR 2018, 439, 452; insofern widersprüchlich Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 397; Weller/Nasse, ZGR-Sonderheft 22 (2020), 107, 123; Thomale/Murko, EuZA 2021, 40, 57.

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auf diese kollisionsrechtliche Streitfrage nicht an, da sowohl nach dem Gesellschaftsstatut der Tochtergesellschaft als auch nach dem Deliktsstatut jeweils das Sachrecht des Produktionslandes anwendbar wäre. Dieselbe kollisionsrechtliche Anknüpfungsfrage stellt sich auch bei der Verlet- 50 zung gesellschaftsrechtlich zu qualifizierender Leitungs-, Sorgfalts-, Compliance-, Aufsichts-, Legalitäts- oder Deklarationspflichten einer Muttergesellschaft. Eine Verletzung dieser Pflichten ist geeignet, eine deliktsrechtliche Haftung wegen Organisationsverschuldens auszulösen. Teile des Schrifttums ordnen die Verletzung gesellschaftsrechtlicher Sorgfaltspflichten grundsätzlich dem Gesellschaftsstatut der deutschen Konzernobergesellschaft, also der Muttergesellschaft, zu, und zwar sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis.110 Andere Stimmen qualifizieren die gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltspflichten im Außenverhältnis in Anknüpfung an das allgemeine Schädigungsverbot demgegenüber als deliktisch und wenden die Rom II-VO, weil sie dem allgemeinen Rechtsgüterschutz dienen.111

V. Deliktsrechtliche Haftung für Menschenrechtsverletzungen nach deutschem Recht Das LkSG enthält keine Anspruchsgrundlagen für eine zivilrechtliche Haftung 51 von Unternehmen wegen Verstoßes gegen die in §§ 3 ff. LkSG festgelegten Sorgfaltspflichten. Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 LkSG begründet eine Verletzung der menschenrechtsbezogenen Sorgfaltspflichten nach dem LkSG keine neue zivilrechtliche Haftung. Die betreffenden Regelungen des LkSG stellen damit keine Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB dar (vgl. oben Rz. 10 ff.). Da nach § 3 Abs. 3 Satz 2 LkSG eine zivilrechtliche Haftung für Verletzungen 52 der unternehmerischen Sorgfaltspflichten aber unberührt bleibt, ist eine Haftung nach allgemeinen Grundsätzen grundsätzlich denkbar, sofern – was in der Praxis regelmäßig nicht der Fall sein wird – deutsches Recht Anwendung findet (dazu oben Rz. 35 ff.). 1. Vertrauensgrundsatz und Rechtsträgerprinzip als Hürden der Deliktshaftung für Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette Das Kernproblem des deliktsrechtlichen Schutzes von Menschenrechten, die 53 durch ausländische Zulieferer deutscher Unternehmen oder sonstige Dritte verletzt werden, besteht darin, dass jedes Unternehmen nur für seine eigene Orga110 Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 397. 111 Mansel, ZGR 2018, 439, 453 unter Hinweis auf Weller in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, Einleitung, Rz. 402; Knöfel in Hüßtege/Mansel, BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 1 Rom II-VO Rz. 45 ff.; differenzierend, aber im Ergebnis wohl zustimmend Thomale/ Hübner, JZ 2017, 385, 391.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen nisationssphäre und die von ihm selbst geschaffenen Risiken verantwortlich ist, so dass sich die Pflichtenkreise des Lieferanten und des Warenabnehmers an der Spitze der Lieferkette voneinander unterscheiden. Zugleich kann der Importeur darauf vertrauen, dass seine ausländischen Tochterunternehmen und unabhängige Zulieferer die sie treffenden Sorgfaltspflichten in ihrer Sphäre beachten (Vertrauensgrundsatz). Zudem ist das deutsche Gesellschaftsrecht vom Rechtsträger- bzw. Trennungsprinzip112 geprägt, das besagt, dass jede juristische Person oder Personengesellschaft ein von den Gesellschaftern getrenntes Zurechnungssubjekt für Rechte und Pflichten ist, das nur durch seine eigenen Organe handelt und daher auch bei konzernrechtlichen Verbindungen jedes Konzernunternehmen getrennt zu betrachten ist. Das Rechtsträgerprinzip ist auch bei der Bestimmung der konkreten (deliktsrechtlichen) Sorgfaltspflichten von verschiedenen Unternehmen, die an internationalen Wertschöpfungsketten beteiligt sind, und etwaigen hieran anknüpfenden Haftungsfolgen zu beachten.113 Auch hier gilt der Grundsatz, dass jedes Unternehmen nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich ist, nicht aber für das Verhalten Dritter. a) Keine deliktische Dritthaftung 54 Als Folge des Vertrauensgrundsatzes und des gesellschaftsrechtlichen Rechtsträ-

gerprinzips gilt im deutschen Deliktsrecht der Grundsatz, dass ein Schädiger stets nur für eigenes Fehlverhalten haftbar gemacht werden kann. Das Deliktsrecht begründet daher grundsätzlich keine Haftung für fremdes Fehlverhalten.114 Da bei den typischen Fallkonstellationen, die lieferkettenbezogenen Menschenrechtsklagen zugrunde liegen, die Rechtsgutsverletzungen von einem unabhängigen Zulieferer oder einem rechtlich selbstständigen ausländischen Konzernunternehmen verursacht werden, lässt sich eine deliktsrechtliche Haftung des an der Spitze der Wertschöpfungskette stehenden Unternehmens regelmäßig nicht begründen. Denn dieses Unternehmen ist deliktsrechtlich nicht dazu verpflichtet, die Aktivitäten seiner vertraglich gebundenen Zulieferer im Ausland zu kontrollieren. Selbst bei Menschenrechtsverletzungen durch konzernverbundene Tochtergesellschaften im Ausland kann die Konzernmutter nicht auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, weil das deutsche Delikts- und Gesellschaftsrecht gerade keine Haftung der Konzernmutter für das Fehlverhalten ihrer rechtlich selbstständigen Konzerntochter vorsieht.115

55 Diese Grundwertung des deutschen Deliktsrechts kommt insbesondere in der

Regelung des § 831 BGB zum Ausdruck. Danach haftet der Schädiger für das schädigende Verhalten von Verrichtungsgehilfen nur, wenn ihn selbst ein Aus-

112 Hierzu ausführlich Dauner-Lieb in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2008, § 1 AktG Rz. 30 ff. 113 Schneider, NZG 2019, 1369, 1371 ff.; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 757 ff.; Wagner, FS für Reinhard Singer, 2021, S. 693, 695 f., 704 ff. 114 Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 194; Wagner, FS für Reinhard Singer, 2021, S. 693, 695; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 401. 115 Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 762 ff.; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 402.

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wahl- oder Überwachungsverschulden trifft. Das bedeutet, dass auch derjenige, der sich eines Verrichtungsgehilfen bedient, stets nur für eigenes, nicht aber für fremdes Verschulden einzustehen hat.116 b) Gesellschaftsrechtliches Rechtsträgerprinzip als Grenze des deliktsrechtlichen Sorgfaltsgebots Das gesellschaftsrechtliche Rechtsträgerprinzip begrenzt bei konzernverbunde- 56 nen Unternehmen ebenfalls die jeweiligen Verantwortlichkeiten der einzelnen Konzernunternehmen. So sind insbesondere die Sorgfaltspflichten von Konzernmutter und ihren Konzerntochterunternehmen strikt voneinander zu trennen. Gerade weil es sich bei der Konzernmutter und der Konzerntochter um zwei verschiedene juristische Personen handelt, können Pflichten der Konzerntochter im Rahmen der Wertschöpfungskette nicht auf die Konzernmutter übertragen werden. Insbesondere lässt sich deliktsrechtlich keine Pflicht der Konzernmutter begründen, auf die Achtung der Menschenrechte durch die Konzerntochter hinzuwirken, so dass es an einem Anknüpfungspunkt für ein eigenes Fehlverhalten der Konzernmutter fehlt. Vielmehr darf sich die Konzernmutter nach dem deliktsrechtlichen Vertrauensgrundsatz darauf verlassen, dass sich die Konzerntochter ihrerseits sorgfaltspflichtkonform verhält und insbesondere ihre eigenen Lieferkettenbeziehungen ordnungsgemäß überwacht.117 Soweit das LkSG den Unternehmen an der Spitze der Lieferkette rechtsträger- 57 übergreifende Sorgfaltspflichten auferlegt, bedeutet dies nach der Bestimmung in § 3 Abs. 3 S. 1 LkSG gerade keine deliktsrechtliche Durchbrechung des Rechtsträgerprinzips. Denn die Verletzung der Sorgfaltspflichten nach den §§ 3 ff. LkSG begründet nach dem Willen des Gesetzgebers keine deliktsrechtliche Haftung. Insbesondere scheidet eine Haftung wegen Schutzgesetzverletzungen nach § 823 Abs. 2 BGB aus, da die betreffenden Sorgfaltspflichten gerade keinen deliktischen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen begründen sollen. 2. Keine Haftung für Menschenrechtsverletzungen nach § 831 BGB Ansprüche aus § 831 BGB scheiden bei Menschenrechtsverletzungen durch 58 Konzerntöchter oder unabhängige Zulieferer aus. Aufgrund des Rechtsträgerprinzips besteht weitgehend Einigkeit, dass Tochterunternehmen und unabhängige Zulieferer keine Verrichtungsgehilfen i.S.d. § 831 BGB sind.118 116 Bernau in Staudinger, BGB, Neub. 2018, § 831 Rz. 5; Förster in BeckOK-BGB, 62. Ed. Stand: 1.5.2022; Staudinger in Schulze, BGB, 11. Aufl. 2021, § 831 Rz. 1; Teichmann in Jauernig, BGB, 18. Aufl. 2021, § 831 Rz. 1; Wagner, Festschrift für Reinhard Singer, 2021, S. 693, 695; Wagner, ZIP 2021, 1095, 1096; Wilhelmi in Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 831 Rz. 1. 117 Wagner in MünchKomm/BGB, § 823 Rz. 481; v. Bar, Verkehrspflichten, 1980, S. 118. 118 BGH, Urt. v. 6.11.2012 – Az.: VI ZR 174/11, NJW 2013, 1002 Rz. 16 bezüglich Schwesterunternehmen; Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42, 43; Edel/Frank/Heine/Heine,

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen 59 Etwas anderes mag in seltenen Ausnahmefällen dann gelten, wenn das betref-

fende ausländische Unternehmen nach den tatsächlichen Verhältnissen in den Organisationsbereich des an der Spitze der Lieferkette stehenden Unternehmens eingegliedert ist und dessen Weisungen unterliegt.119 So hat der Bundesgerichtshof jüngst für den Fall einer Konzerntochter, die über einen Beherrschungsvertrag mit der Muttergesellschaft verbunden war, eine Stellung als Verrichtungsgehilfin bejaht.120 Ebenfalls einzelfallabhängig soll nach einem Teil des Schrifttums eine Haftung nach § 831 BGB dann in Betracht kommen, wenn auf das Tochterunternehmen aktiv Einfluss genommen wurde und die Tochter als verlängerter Arm der Mutter eine eigentlich ihr obliegende Tätigkeit durchführt.121 Vereinzelt wird auch vertreten, dass lediglich passive Handlungen ebenfalls für eine Haftung nach § 831 BGB ausreichen können, sofern die Tochtergesellschaft eine eigene Einrichtung der Muttergesellschaft sei, um die diese sich zu kümmern habe.122 3. Haftung für menschenrechtliche Rechtsgutsverletzungen nach § 823 Abs. 1 BGB

60 Eine deliktsrechtliche Haftung für die Verletzung von Sorgfaltspflichten nach

dem LkSG lässt sich nach deutschem Recht in der Praxis allenfalls nach § 823 Abs. 1 BGB begründen. Im Schrifttum werden hierzu verschiedene Ansätze diskutiert. Während weitgehend Einigkeit darüber herrscht, dass Menschenrechte keine sonstigen Rechte i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen, ist der Schutzbereich des § 823 Abs. 1 BGB grundsätzlich immer dann eröffnet, wenn es um die Verletzung der elementaren Menschenrechte Leib, Leben, Freiheit und Eigentum geht. Fraglich ist, inwiefern die Pflichten des LkSG das haftungsbegründende Tatbestandsmerkmal der Sorgfaltspflichtverletzung beeinflussen oder ob sie sogar eine neue Kategorie von deliktsrechtlichen Verkehrspflichten begründen können.

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BB 2021, 2890, 2893; Graf von Westphalen, ZIP 2020, 2421, 2421 f.; Paefgen, ZIP 2021, 2006, 2008; Schneider, NZG 2019, 1369, 1371; Späth/Werner, CCZ 2021, 241; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 96; Thomale/Hübner, JZ 2007, 385, 393; Wagner in MünchKomm/ BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 Rz. 115; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 772; Weller/Kaller/ Schulz, AcP 216 (2016), 387, 407. BGH, Urt. v. 25.4.2021 – Az.: I ZR 105/10, BeckRS 2012, 22158 Rz. 45; OLG Düsseldorf, Beschl v. 23.1.2013 – Az.: 2 W 33/12, BeckRS 2013, 6828; OLG Köln, Urt. v. 25.10.2007 – Az.: 18 U 164/06, BeckRS 2008, 589; ablehnend Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 831 Rz. 17, der eine Anwendung von § 831 BGB auf Konzernsachverhalte als verfehlt erachtet. BGH, Urt. v. 25.4.2021 – I ZR 105/10, BeckRS 2012, 22158 Rz. 45. Fleischer, DB 2022, 920, 923; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 271 f.; Rehbinder, Konzernaußenrecht und allgemeines Privatrecht, 1969, S. 532 f. Schall, ZGR 2018, 479, 493 ff., der dabei vor allem auf die Abhängigkeitsverhältnisse i.R.d. § 17 AktG verweist.

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a) Menschenrechte keine „sonstigen Rechte“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB Im Schrifttum wird vereinzelt vertreten, dass Grund- und Menschenrechte auf- 61 grund ihrer Allgemeinverbindlichkeit ohne weiteres als „sonstige Rechte“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB, d.h. als Rechte, die eigentumsgleich gegenüber jedermann wirken,123 zu qualifizieren seien.124 Die herrschende Meinung lehnt diese Ansicht ab, da Menschenrechte nicht unmittelbar gegenüber Privatrechtssubjekten gelten, sondern vorrangig Abwehrrechte gegen hoheitliche Eingriffe darstellen.125 Darüber hinaus fehle es bei vielen Menschenrechten, die nicht bereits vom Schutzgutkatalog des § 823 Abs. 1 BGB erfasst werden, an einem hinreichend präzisen Schutzbereich sowie an der das „sonstige Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB kennzeichnenden Zuordnungs- und Ausschließlichkeitsfunktion. Der deliktische Menschenrechtsschutz nach deutschem Recht bleibt daher auf die elementaren Rechtsgüter Leib, Leben, Freiheit und Eigentum beschränkt. b) Haftung aufgrund deliktsrechtlicher Verkehrspflichten aa) Verletzung von Organisationspflichten gegenüber unabhängigen Zulieferern Soweit sich die durch die Sorgfaltspflichten des LkSG geschützten Menschen- 62 rechte und der deliktische Schutzbereich des § 823 Abs. 1 BGB decken, stellt sich die Frage, inwiefern die menschenrechtlichen Sorgfaltsanforderungen des LkSG im Sinne einer human rights due diligence den rechtlichen Maßstab für die deliktische Sorgfaltspflichtverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB beeinflussen können. So ist grundsätzlich denkbar, dass die im LkSG normierten Sorgfaltspflichten die deliktsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen für die inländischen Unternehmen, die an der Spitze der Lieferketten stehen, konkretisieren. Umstritten ist jedoch, inwiefern die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten des LkSG die deliktischen Verkehrspflichten des Unternehmens über den eigenen Organisationsbereich hinaus tatsächlich erweitern können. Während eine Haftung inländischer Unternehmen für lieferkettenbezogene Organisationspflichtverletzungen von einem Teil der Literatur für möglich erachtet wird,126 lehnen andere Stimmen dies ab.127 Die öffentlich-rechtliche Rechtsnatur der Sorgfaltspflichten des LkSG steht der 63 Begründung neuer deliktischer Verkehrspflichten durch das LkSG im Grundsatz 123 Förster in BeckOK-BGB, 62. Ed. Stand: 1.5.2022, § 823 Rz. 143; Staudinger in Schulze, BGB, 11. Aufl. 2021, § 823 Rz. 28; Teichmann in Jauernig, 18. Aufl. 2021, § 823 Rz. 12. 124 Schall, ZGR 2018, 479, 481; Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 520 f. 125 Bälz, BB 2021, 648, 650; Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 195; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 755 f.; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 400. 126 Paefgen, ZIP 2021, 2006, 2011 f.; Ehmann/Berg, GWR 2021, 287, 291; Schmidt-Räntsch, ZUR 2021, 387, 394; in diesem Sinne wohl auch Wagner, ZIP 2021, 1095, 1103. 127 Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 196 ff.; Schneider, NZG 2019, 1369, 1372 ff.; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 98 ff.; Keilmann/Schmidt, WM 2021, 717, 721; so wohl auch Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 779.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen nicht entgegen.128 Allerdings darf die Wertung des § 3 Abs. 3 LkSG, dass die Verletzung der Sorgfaltspflichten der §§ 3 ff. LkSG keine neuen Haftungstatbeständen begründet, nicht dadurch unterlaufen werden, dass der abgestufte Pflichtenkatalog der §§ 3 ff. LkSG nunmehr kurzerhand in entsprechende deliktische Verkehrspflichten i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB überführt wird. Im Schrifttum wird eine entsprechende Erweiterung der deliktischen Verkehrspflichten i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB daher von der wohl herrschenden Meinung abgelehnt.129 Zur Begründung wird angeführt, dass inländische Importeure durch die Zusammenarbeit mit lediglich vertraglich verbundenen Zulieferern weder eine Gefahrenquelle schaffen, für deren Sicherung sie verantwortlich wären, noch dadurch Fürsorgepflichten in Bezug auf die Menschenrechte Dritter übernehmen, was nach herkömmlicher deliktsrechtlicher Dogmatik die Voraussetzung für eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Verkehrspflichtigen ist.130 Es bestünden auch keine Verkehrserwartungen bei den Arbeitnehmern oder Anwohnern am Ort des Zuliefererbetriebs gegenüber dem inländischen Importeur, dass dieser die erforderlichen Schutzmaßnahmen zur Beseitigung bestimmter Gefahren ergreift.131 64 Mit der anerkannten Verkehrspflichtenlehre wäre ein lieferkettenbezogener de-

liktischer Rechtsgüterschutz jenseits der eigenen Unternehmenssphäre in der Tat nicht vereinbar. Denn deliktsrechtliche Sicherungspflichten erfordern stets eine normativ begründete Zuständigkeit für die konkrete Gefahrenquelle bzw. das zu schützende Rechtsgut. Nach dem deliktsrechtlichen Vertrauensgrundsatz sind diese Sicherungspflichten aber – wie dargelegt – grundsätzlich auf die eigene Organisationssphäre und damit auf das eigene Verhalten und die eigenen Sachen beschränkt. Bei den problematischen Rechtsgutsverletzungen durch Zulieferer werden die konkreten Gefahrenlagen, die zu Menschenrechtsverletzungen führen können (z.B. baufällige Produktionsstätten, unzureichende Brandschutzvorkehrungen und sonstige mangelhafte Arbeitsschutzmaßnahmen), aber regelmäßig nicht durch die inländischen Unternehmen an der Spitze der Lieferkette, sondern durch die Lieferantenbetriebe im Ausland geschaffen. Die hieraus resultierenden Verkehrssicherungspflichten treffen damit die Zulieferer und nicht die inländischen Importeure.132 Die inländischen Unternehmen sind regelmäßig auch gar nicht in der Lage, direkt auf bestehende Sachgefahren einzuwirken und die erforderlichen Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, da ihnen die Bestimmungsgewalt im Sinne der tatsächlichen Sachherrschaft über 128 Vgl. Paefgen, ZIP 2021, 2006, 2011; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 97. 129 Vgl. insbesondere Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 95 ff. mit einer ausführlichen Darstellung des Meinungsstands; ebenso Wagner, Festschrift für Reinhard Singer, 2021, S. 693, 708 unter Verweis auf die fehlende Individualschutzrichtung des LkSG; vgl. auch Schneider, ZIP 2022, 407, 412 ff. 130 Vgl. zu den Entstehungsgründen für deliktsrechtliche Verkehrspflichten etwa Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 Rz. 450 ff. 131 Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 99 f. 132 Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 201; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 97 ff.

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den Gefahrenbereich fehlt.133 Bei menschenrechtlichen Gefahrenlagen, die auf bestimmten Verhaltensweisen der ausländischen Zulieferer beruhen, ist ebenfalls allein das Zuliefererunternehmen zur Gefahrenabwehr berufen, da dieses Unternehmen sein Verhalten eigenverantwortlich steuern kann. Diese Verantwortungsverteilung entlang der Grenzen der jeweiligen unternehme- 65 rischen Einfluss- und Zuständigkeitsbereiche in der Lieferkette spiegelt sich auch in den Sorgfaltspflichten des LkSG wider (vgl. §§ 6, 9 LkSG). Danach sind inländische Unternehmen von vornherein nicht verpflichtet, selbst konkrete Schutzmaßnahmen in Bezug auf bestimmte Gefahrenlagen in ausländischen Zuliefererbetrieben zu ergreifen. Vielmehr verlangt § 6 Abs. 4 LkSG selbst gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer nur, dass das inländische Unternehmen sich von diesem die vertragliche Zusicherung geben lässt, „dass dieser die von der Geschäftsleitung des Unternehmens verlangten menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Erwartungen einhält und entlang der Lieferkette angemessen adressiert“ (§ 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG). Darüber hinaus wird das inländische Unternehmen lediglich zur „Durchführung von Schulungen und Weiterbildungen zur Durchsetzung der vertraglichen Zusicherungen des unmittelbaren Zulieferers“ (§ 6 Abs. 4 Nr. 3 LkSG) sowie zur „Vereinbarung angemessener vertraglicher Kontrollmechanismen sowie deren risikobasierte Durchführung, um die Einhaltung der Menschenrechtsstrategie bei dem unmittelbaren Zulieferer zu überprüfen“, verpflichtet (§ 6 Abs. 4 Nr. 4 LkSG). Die unmittelbare Verantwortung dafür, Menschenrechtsverletzungen im Zuliefererbetrieb zu verhindern, liegt allein bei dem Zuliefererunternehmen. Eine Haftung inländischer Unternehmen lässt sich nach der herkömmlichen 66 Dogmatik der Verkehrspflichten auch nicht unter Verweis auf die im LkSG normierten Auswahl- und Kontrollpflichten der Warenabnehmer begründen.134 Selbst wenn das inländische Unternehmen seine Auswahl- und Kontrollpflichten nicht erfüllt, verletzt es damit keine Verkehrssicherungspflichten gegenüber dem Opfer einer eingetretenen Rechtsgutsverletzung. Die bloße Existenz einer vertraglichen Zuliefererbeziehung sowie bestehende Einflussmöglichkeiten auf das Zuliefererunternehmen reichen selbst bei einem eigenen Verursachungsbeitrag des Warenabnehmers in Form einer unzureichenden Auswahl oder Kontrolle des Zulieferers gerade nicht aus, um die deliktsrechtlichen Verantwortungszuweisungen entlang den jeweiligen Unternehmenssphären zu durchbrechen. Ob eine Verkehrssicherungspflicht des Importeurs allein dadurch entstehen kann, 67 dass dieser positive Kenntnis von (deliktisch relevanten) Menschenrechtsverletzungen bei seinem Zulieferer hat oder es sich ihm zumindest aufdrängen muss, dass solche Rechtsgutsverletzungen begangen werden, erscheint ebenfalls fraglich.135 Auch in diesem Fall werden regelmäßig schon faktisch keine Verkehrs133 Vgl. Förster, BeckOK-BGB, 61. Ed., Stand: 1.2.2022, § 823 Rz. 305; Rudkowski, RdA 2020, 232, 239; Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1285, 1286; Schneider, NZG 2019, 1369, 1373. 134 In diese Richtung aber wohl Edel/Frank/Heine/Heine, BB 2021, 2890, 2893. 135 So aber wohl Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 201 f.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen erwartungen bei den Opfern der Menschenrechtsverletzungen dahingehend bestehen, dass der Importeur am Ende der Lieferkette dafür verantwortlich ist, die Rechtsgutsverletzungen zu verhindern bzw. abzustellen. Auch normativ lässt sich eine deliktsrechtliche Fürsorgepflicht des inländischen Unternehmens in Bezug auf den Menschenrechtsschutz am Sitz des Zulieferers auf der Grundlage der Verkehrssicherungspflichtenlehre nicht überzeugend begründen. Die bloße Kenntnis von Gefahren, die aus der Sphäre Dritter stammen, reicht eben grundsätzlich nicht aus, um eine Fürsorgepflicht zum Schutz fremder Rechtsgüter zu begründen. Auch in diesem Fall trifft die Verkehrssicherungspflicht den Dritten, der die Sachherrschaft über die gefahrenbegründende Sache innehat oder dessen Verhalten die Rechtsgutsverletzungen verursacht. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn das inländische Unternehmen einen erheblichen Einfluss auf die operativen Produktionsbedingungen im Zuliefererunternehmen ausübt und damit den Gefahrenbereich tatsächlich (mit)beherrscht.136 68 Im Schrifttum wird weiterhin vorgeschlagen, eine deliktische Haftung für Men-

schenrechtsverletzungen nach § 823 Abs. 1 BGB aus der rechtlichen Gefahrenlage aufgrund einer sog. „Menschenrechtsarbitrage“ abzuleiten.137 Die rechtliche Gefahr soll hierbei bei internationalen Lieferkettenrechtsverhältnissen aus „grenzüberschreitenden Kombinationsdefiziten aus defizitärem Auslandssachrecht und defizitärem Inlandskollisionsrecht“ resultieren, sofern dadurch absolute Rechtsgüter gefährdet werden. Die normative Grundlage dieser neuen Fallgruppe der Verkehrspflichten in Form der „Menschenrechtsarbitrage als Gefahrenquelle“ wird hierbei in der bewussten Ausnutzung des Menschenrechtsschutzgefälles in grenzüberschreitenden Lieferbeziehungen gesehen: Das inländische Unternehmen profitiere bei der Einschaltung ausländischer Lieferanten in die eigene Produktionskette von den niedrigeren Regelungsstandards des ausländischen Sachrechts bzw. von den entsprechenden Rechtsdurchsetzungsdefiziten, ohne jedoch – korrespondierend zu den damit erlangten Vorteilen – für deliktische Rechtsgutsverletzungen durch den ausländischen Lieferanten verantwortlich zu sein.138 Kollisionsrechtlich könne das defizitäre ausländische Sachrecht nicht korrigiert werden, weil den einschlägigen Sachverhalten der erforderliche Inlandsbezug fehle.

69 Bereits dieser kollisionsrechtliche Begründungsansatz überzeugt nicht, da das

deutsche Deliktsrecht de lege lata – wie oben unter in Rz. 36 dargelegt – gar keinen Geltungsanspruch in Bezug auf im Ausland begangene Menschenrechtsverletzungen erhebt. Dieses vermeintliche kollisionsrechtliche Regelungsdefizit beruht hierbei nur teilweise auf den fehlenden Inlandsbezügen der einschlägigen Fallgestaltungen. Maßgeblich für die Geltung des ausländischen Deliktsrechts ist vor allem die grundlegende Wertung des § 3 Abs. 3 S. 1 LkSG, dass inländische Unternehmen trotz der neuen Sorgfaltspflichten des LkSG entlang ihrer grenzüberschreitenden Lieferketten keiner neuen Haftung ausgesetzt werden sollen.

136 Vgl. dazu Fleischer/Korch, ZIP 2019, 2181, 2191; in diesem Sinne auch Beckers, ZfPW 2021, 220, 241. 137 Weller/Nasse, FS für Werner F. Ebke, 2021, S. 1071, 1079 ff. 138 Weller/Nasse, FS für Werner F. Ebke, 2021, S. 1071, 1078.

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Es besteht also gar kein kollisionsrechtliches Regelungsdefizit aufgrund der Etablierung grenzüberschreitender Kettenrechtsverhältnisse. Vielmehr entspricht der fehlende Geltungsanspruch des deutschen Deliktsrechts dem klaren Willen des deutschen Gesetzgebers. Die Einschaltung ausländischer Zulieferer aus Staaten, deren Sachrecht als defizitär wahrgenommen wird, kann daher aus der Sicht des deutschen Deliktsrechts nicht rechtsmissbräuchlich sein. Gegen den Ansatz, eine neue Verkehrspflicht aufgrund einer „Menschenrechtsarbitrage“ zu begründen, spricht damit insbesondere die Regelung in § 3 Abs. 3 S. 1 LkSG, die neue Haftungstatbestände aufgrund der Verletzung der Sorgfaltspflichten der §§ 3 ff. LkSG gerade ausschließt. Außerdem wäre das inländische Unternehmen für die von ihm vorgefundene „Rechtsgefahr“ nicht im herkömmlichen Sinne verantwortlich, weil es diese Gefahrenquelle nicht selbst geschaffen hat. Zudem beruhen die potentiell haftungsbegründenden Rechtsgutsverletzungen im Ausland gar nicht unmittelbar auf einem als defizitär empfundenen Rechtssystem, sondern auf mangelhaften Schutzvorkehrungen im Betrieb des ausländischen Zulieferers im Hinblick auf die dort bestehenden tatsächlichen Gefahrenlagen. Auch bestehende Rechtsdefizite im Ausland können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deliktische Verantwortung für die Verhinderung von Schädigungen Dritter, also insbesondere Arbeitnehmer und Anwohner, bei dem ausländischen Zuliefererbetrieb liegt. Diese Verantwortungszuweisung an den Zuliefererbetrieb entspricht sowohl dem deliktsrechtlichen Vertrauensgrundsatz als auch dem gesellschaftsrechtlichen Rechtsträgerprinzip. Eine Durchbrechung dieser Rechtsgrundsätze ist nach geltender Rechtslage nicht möglich. Sie erfordert vielmehr die Statuierung entsprechender Haftungsnormen, die als kollisionsrechtliche Eingriffsnormen sicherstellen, dass deutsches Deliktsrecht in den einschlägigen Auslandsfällen anwendbar ist.139 bb) Verletzung konzernweiter Organisationspflichten Eine deliktische Haftung ist auch in Konzernsachverhalten denkbar, wenn die 70 Konzernobergesellschaft Kenntnis von rechtsgutsgefährdenden Regelverstößen ihrer Tochtergesellschaft hat. In diesen Fällen geht es ebenfalls um die Frage, wie weit die Organisationspflichten der Konzernobergesellschaft reichen.140 Eine Haftung der Obergesellschaft kommt insbesondere dann in Betracht, wenn sie eine Organisationspflicht dahingehend hätte, die Einhaltung und Achtung der Menschenrechte durch ihre Tochtergesellschaften sicherzustellen. Bestünde eine solche Pflicht und würde sie verletzt werden, ließe sich eine Haftung der Konzernobergesellschaft für eigenes Fehlverhalten aus § 823 Abs. 1 BGB begründen. Die h.M. lehnt eine solche Organisationspflicht aber grundsätzlich unter Verweis auf das gesellschaftsrechtliche Trennungs- und Rechtsträgerprinzip ab.141 139 Weller/Nasse, FS für Werner F. Ebke, 2021, S. 1071, 1080 ff. 140 Unterabschnitt 2 Risikobasierte Kontrolle (§§ 14–18). 141 Wagner, RabelsZ 216 (2016), 717, 757 ff.; zu den Hindernissen der Haftung im Konzern aufgrund des Trennungsprinzips auch Schall, ZGR 2018, 479, 488 f.; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 98 ff.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen Thomale/Hübner sehen in der Annahme einer die Konzernobergesellschaft treffende Organisationspflicht demgegenüber keinen Verstoß gegen das Trennungsund Rechtsträgerprinzip, da die Konzernobergesellschaft ihrer Meinung nach eine eigene Organisationspflicht treffe und nicht eine Pflicht der Konzerntochter auf die Konzernobergesellschaft übertragen werde.142 71 Auch andere Stimmen im Schrifttum sprechen sich für haftungsbegründende

Organisationspflichten der Obergesellschaft in bestimmten Konstellationen aus. So wird insbesondere eine Organisationspflicht der Konzernobergesellschaft für die Fälle angenommen, in denen diese in die Aktivitäten der Tochtergesellschaft unmittelbar involviert sei und dabei die tatsächliche Kontrolle über das Tochterunternehmen ausübe.143 Die Kontrolle über das Tochterunternehmen begründe im Schadensfall eine Mitverantwortung der Konzernobergesellschaft, die ihre Haftung rechtfertige.144 Eine haftungsbegründende Organisationspflicht der Konzernobergesellschaft soll auch dann bestehen, wenn diese von Menschenrechtsverletzungen durch ein Tochterunternehmen Kenntnis hat.145 Zur Begründung wird angeführt, dass eine Gesellschaft ebenfalls eine Mitverantwortung treffe, wenn sie in Kenntnis der menschenrechtswidrigen Praktiken einer verbundenen Gesellschaft untätig bleibe, obwohl sie auf die handelnde Gesellschaft Einfluss habe.146 In derartigen Fallkonstellationen wird der Erfolg einer Haftungsklage gegen eine deutsche Konzernobergesellschaft mithin davon abhängen, dass sowohl eine hinreichende tatsächliche Kontrollmacht der Obergesellschaft über die Aktivitäten der Tochtergesellschaft als auch eine Kenntnis der maßgeblichen Repräsentanten der Obergesellschaft i.S.d. § 31 BGB nachgewiesen werden kann. Eine Wissenszurechnung bzw. Wissenszusammenrechnung von mosaikartig im Unternehmen verstreuten Erkenntnissen scheidet im Deliktsrecht aus.147 cc) Verkehrspflichten aufgrund Codes of Conduct

72 In den vergangenen Jahren bekennen sich immer mehr (nationale wie interna-

tionale) Unternehmen mittels Werbeaussagen oder sog. Codes of Conduct zu einer menschen- und umweltrechtskonformen Wirtschaft. Mitunter wird dies als eine Art Selbstverpflichtung der jeweiligen Unternehmen qualifiziert und vor diesem Hintergrund das Vertrauen des Rechtsverkehrs darauf, dass die Unter-

142 Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 395. 143 Fleischer, DB 2022, 920, 924; Fleischer/Korch, DB 2019, 1944, 1946; Habersack/Zickgraf, ZHR 182 (2018), 252, 288 ff.; König, AcP 217 (2017), 611, 671; Thomale/Murko, EuZA 2021, 40, 52; Wagner in MünchKomm-BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 Rz. 113. 144 König, AcP 217 (2017), 611, 671. 145 Habersack/Ehrl, AcP 218 (2018), 155, 202; Thomale/Murko, EuZA 2021, 40, 53; für den Common Law van Dam, JETL 2 (2011), 21, 244 ff. 146 Habersack/Ehrl, AcP 218 (2018), 155, 202. 147 BGH, Urt. v. 8.3.2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669, 1671 Rz. 23; BGH, Urt. v. 28.6. 2016 – Az.: VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, 252 f. Rz. 23; BGH, Urt. v. 28.6.2016 – VI ZR 541/15, BeckRS 2016, 17389 Rz. 24; BGH, Urt. v. 28.2.2012 – VI ZR 9/11, NJW 2012, 1789, 1790 Rz. 14; vgl. auch Spindler in BeckOGK-BGB, Stand: 1.3.2022, § 826 Rz. 22.

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nehmen – gerade auch bezüglich der Produktionsstandorte ihrer ausländischen Zulieferer – menschenrechtliche und umweltbezogene Standards einhalten, als Anknüpfungspunkt für deliktsrechtliche Verkehrspflichten angesehen.148 Hierbei wird auf aktuelle Gesetzgebungsentwicklungen wie die europäische CSRRichtlinie und die durch den UN-Menschenrechtsrat verabschiedeten „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ („Ruggie-Principles“), die OECDLeitsätze und die allgemeine, verdichtete, auch horizontale Anerkennung von Menschenrechten verwiesen. Auch im LkSG werden die betroffenen Unternehmen zu entsprechenden Erklärungen verpflichtet. Nach § 6 Abs. 2 LkSG muss eine Grundsatzerklärung über die Menschenrechtsstrategie abgegeben werden. Gegen eine deliktische Haftung auf der Grundlage von Selbstverpflichtungen 73 wird demgegenüber eingewandt, dass die betreffenden Pflichten keine drittschützende Wirkung hätten.149 Zudem würde eine solche Haftung dem Vertrauensgrundsatz zuwiderlaufen.150 Weiter lasse sich durch die Einführung von CSR-Vorgaben seitens Unternehmen kein Rechtsbindungswille im Sinne einer Haftung konstruieren.151 Zudem sei zu beachten, dass deutsche Unternehmen gerade auf (ausländische) Zulieferbetriebe regelmäßig keinen so starken Einfluss hätten, dass jederzeit und effektiv die Einhaltung von Mindeststandards sicher kontrolliert werden könne; ein haftungsbegründendes pflichtwidriges Unterlassen könne nur in den Fällen vorliegen, in denen eine Schadensabwendung dem Schädiger überhaupt praktisch möglich sei.152 Entscheidend gegen die Annahme einer haftungsbegründenden Verkehrspflicht aufgrund einschlägiger Code of Conducts und/oder der Abgabe einer Grundsatzerklärung nach § 6 Abs. 2 LkSG spricht schließlich wiederum die Regelung in § 3 Abs. 3 LkSG, wonach das LkSG keine „neuen“ Haftungstatbestände begründen soll. Ein solcher neuer Haftungstatbestand würde aber eingeführt, wenn die inländischen Unternehmen aufgrund ihrer Grundsatzerklärung nach § 6 Abs. 2 LkSG für Menschenrechtsverletzungen, die durch ihre ausländischen Lieferanten begangen werden, haften würden.153 4. Haftung für sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB Eine Haftung nach § 826 BGB für Menschenrechtsverletzungen durch Konzern- 74 unternehmen oder unabhängige Zulieferer ist theoretisch denkbar. Im Schrifttum wird eine solche Haftung in den Fällen anerkannt, in denen die Konzernobergesellschaft das konzernrechtliche Trennungsprinzip zur Umgehung des Menschenrechtsschutzes bewusst ausnutzt und dadurch Menschenrechtsverlet148 Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 394; Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 521 f. 149 Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 103. 150 So Schneider, NZG 2019, 1369, 1374 unter Verweis auf Wagner in MünchKomm-BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 Rz. 482. 151 Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42, 44. 152 Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42, 44. 153 Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 103 ff.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen zungen durch Tochterunternehmen zumindest billigend in Kauf nimmt.154 Aufgrund der hohen tatbestandlichen Anforderungen, insbesondere in subjektiver Hinsicht, werden entsprechende Ansprüche in der Praxis nur selten bestehen und im Übrigen aufgrund der typischen Beweisschwierigkeiten auf Klägerseite kaum durchsetzbar sein.155 5. Deliktsdurchgriffshaftung 75 Bei lieferkettenbezogenen Menschenrechtsverletzungen durch konzernverbun-

dene Tochtergesellschaften im Ausland stellt sich zudem die Frage, ob eine Durchgriffshaftung der Muttergesellschaft begründet werden kann. Im Schrifttum wird hierzu teilweise die Ansicht vertreten, dass Deliktsgläubiger ausländischer Gesellschaften subsidiär gegen die Muttergesellschaft vorgehen können, wenn die ausländische Gesellschaft in der Haftung ausfällt. Ungeachtet des Trennungsprinzips soll die deutsche Muttergesellschaft in diesen Fällen für das Verschulden des Tochterunternehmens einstehen.156 Vereinzelt wird ein solcher Durchgriffshaftungsanspruch auf die Fälle beschränkt, in denen der Haftungsanspruch gegen die Tochtergesellschaft deutschem Deliktsrecht unterliegt, was jedoch in den einschlägigen Fallkonstellationen regelmäßig nicht der Fall sein wird.157 Die herrschende Meinung lehnt eine Durchgriffshaftung der Konzernobergesellschaft für Deliktshandlungen einer ausländischen Tochtergesellschaft unter Berufung auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip ohnehin grundsätzlich ab.158

VI. Weitere zivilrechtliche Haftungsgrundlagen 1. Vertragliche Haftung 76 Eine vertragliche Haftung des deutschen Unternehmens kommt bei eigenen Ver-

stößen gegen Menschenrechte gegenüber seinen eigenen Beschäftigten in Betracht. Nach den §§ 280 ff. BGB können den Beschäftigten aufgrund der jeweiligen Arbeitsverträge Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche zustehen.159 Denkbar sind auch kaufrechtliche Mängelgewährleistungsansprüche, wenn mit der Einhaltung menschenrechtsfreundlicher, umweltfreundlicher und artgerechter Produktionsstandards in der Lieferkette in Form von Werbung und Produktkennzeichnungen geworben wird.160 Derartige Hinweise sind als Beschaf154 155 156 157 158

Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 406 f. Ebenso Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 406 f. Weller/Thomale, ZGR 2017, 509, 520 f. Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 394 f. Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42, 44 f.; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 409; Schall, ZGR 2018, 479, 486; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 765 f.; anders wohl Thomale/Murko, EuZA 2021, 40, 54. 159 Edel/Frank/Heine/Heine, BB 2021, 2890, 2893. 160 Vgl. Edel/Frank/Heine/Heine, BB 2021, 2890, 2893; Paefgen, ZIP 2021, 2006, 2012; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 398 f.

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fenheitsangaben i.S.d. § 434 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu verstehen. Praktische Relevanz werden solche vertraglichen Ansprüchen regelmäßig nicht erlangen. Demgegenüber stehen Dritten, also insbesondere den Beschäftigten eines aus- 77 ländischen Zulieferers, mangels vertraglicher Beziehungen keine vertraglichen Ansprüche gegen inländische Unternehmen an der Spitze der Lieferkette zu. Im Zusammenhang mit Lieferverträgen sowie Verhaltenskodizes für Lieferanten (Supplier Code of Conduct) wird im Schrifttum allerdings diskutiert, ob in diesen Fällen eine Haftung aufgrund eines Vertrags zugunsten Dritter nach § 328 BGB begründet sein kann.161 Nach § 328 Abs. 1 BGB kann durch Vertrag eine Leistung an einen Dritten mit der Wirkung bedungen werden, dass der Dritte unmittelbar das Recht erwirbt, die Leistung zu fordern. Diese Voraussetzungen werden regelmäßig nicht erfüllt sein, da sich Verhaltenskodizes für Lieferanten in der Praxis allein an das Lieferantenunternehmen richten und keine unmittelbaren Ansprüche Dritter (z.B. der Beschäftigten des Lieferanten) begründen. Um entsprechende Haftungsrisiken zu begrenzen, würden inländische Unternehmen zudem entsprechende Klarstellungen in ihre Codes of Conducts aufnehmen, falls Ansprüche Dritte aus solchen Verhaltenskodizes für Lieferanten abgeleitet werden würden.162 Diskutiert wird zudem eine Haftung inländischer Unternehmen nach den 78 Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.163 Eine solche Haftung wird indes ebenfalls ganz überwiegend abgelehnt, da es bereits an der nötigen Leistungsnähe des geschädigten Dritten fehlt. Menschenrechtliche Schutzpflichten obliegen in erster Linie dem Zulieferer aufgrund des Anstellungsverhältnisses mit dem Beschäftigten. Zudem werden Schutzpflichten gegenüber vertragsnahen Dritten nach herkömmlichem Verständnis an die Erbringung der (gefahrträchtigen) Hauptleistung geknüpft, die in den Zuliefererkonstellationen in der Lieferpflicht des Zulieferers und nicht in der Warenabnahmepflicht des inländischen Importeurs besteht. Darüber hinaus wird die tatsächliche Schutzbedürftigkeit in der Regel fehlen, da der ausländische Arbeitnehmer bei Rechtsgutsverletzungen des Zulieferers direkte Haftungsansprüche gegen seinen Arbeitgeber hat.164 161 Heinlein, NZA 2018, 276, 279 ff.; Schneider, NZG 2019, 1369, 1376. 162 Johnson, CCZ 2020, 103, 105 weist insofern zudem darauf hin, dass die zivilrechtliche Einordnung eines Supplier Code of Conduct als Vertrag zugunsten Dritter für die Einhaltung von Menschenrechten entlang globaler Liefer- und Wertschöpfungsketten zudem nur einen Pyrrhussieg darstelle, da dies letztlich dazu führe, dass flächendeckend kaum mehr Verhaltenskodizes verwendet würden und insoweit eine generelle Verschlechterung bei der Einhaltung von Menschenrechten und allgemeinen Mindeststandards entlang globaler Liefer- und Wertschöpfungsketten zu befürchten bliebe. 163 Fleischer, DB 2022, 920, 926; Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 191; Schneider, NZG 2019, 1369, 1375 f.; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385, 390; Thomale/Murko, EuZA 2021, 40, 51. 164 Fleischer, DB 2022, 920, 926; Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 191 f.; Schneider, NZG 2019, 1369, 1374; Thomale/Hübner, JZ 2007, 385, 390; Thomale/Murko, EuZA 2021, 40, 51.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen 2. Haftung von Geschäftsleitungsorganen bei Organisationspflichtverletzungen 79 Steht die zivilrechtliche Haftung eines Unternehmens für Menschenrechtsverlet-

zungen in der Lieferkette im Raum, so stellt sich auch für die Geschäftsleitungsorgane des betroffenen Unternehmens die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sie persönlich in Anspruch genommen werden können. Hierbei ist zwischen der Binnenhaftung der Geschäftsleitungsorgane gegenüber der eigenen Gesellschaft und der Außenhaftung der Geschäftsleitungsorgane gegenüber Dritten zu unterscheiden.

80 Eine Binnenhaftung der Geschäftsleitungsorgane gegenüber der eigenen Ge-

sellschaft ergibt sich für die AG aus § 93 Abs. 2 S. 1 AktG (entsprechend für die GmbH: § 43 GmbHG, für die Personenhandelsgesellschaften: § 280 Abs. 1 BGB). Dabei ist umstritten, ob eine Binnenhaftung der Geschäftsleitungsorgane bei Verletzung der Sorgfaltspflichten nach dem LkSG nicht von vornherein ausgeschlossen ist, weil § 3 Abs. 3 LkSG eine zivilrechtliche Haftung ausschließt.165 Wie unter Rz. 11 dargelegt, schließt § 3 Abs. 3 LkSG jedoch lediglich eine (neue) Haftung wegen Verletzung der Vorschriften des LkSG aus. Einen Haftungsausschluss zugunsten der Geschäftsleitungsorgane in deren gesellschaftsrechtlichem Verhältnis zur eigenen Gesellschaft enthält das LkSG nicht.166 Dies wäre sachlich auch nicht gerechtfertigt, da die Beachtung der Sorgfaltspflichten nach dem LkSG durch die betroffenen inländischen Gesellschaften bereits aus der Legalitätspflicht der Geschäftsleitungsorgane folgt. Danach schließt pflichtgemäßes Handeln die eigene Regeltreue und die Sorge für regelkonformes Verhalten der Gesellschaft mit ein.167 Zu den von der Gesellschaft zu beachtenden Pflichten gehören auch die neuen Sorgfaltsanforderungen der §§ 3 ff. LkSG.168

81 Werden Menschenrechtsverletzungen durch Tochtergesellschaften oder un-

abhängige Zulieferer im Ausland festgestellt, die zu einer (öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen) Sanktionierung der Gesellschaft führen, stellt sich damit die Frage, unter welchen Voraussetzungen Gesellschaftsleitungsorgane in Regress genommen werden können. Da die Geschäftsleitungsorgane nach dem Legalitätsprinzip dafür Sorge tragen müssen, dass die Gesellschaft sich den Vor165 Siehe hierzu Fleischer, DB 2022, 920, 927; Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 239; Leuering/Rubner, NJW Spezial 2021, 399, 400; Leuering, NZG 2021, 753, 754; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 106. 166 Vgl. Fleischer, DB 2022, 920, 927; Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 239; a.A. Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2021, 399, 400; Leuering, NZG 2021, 753, 754 meint, dass der Ausschluss der zivilrechtlichen Haftung dazu führe, dass auch eine persönliche Organhaftung der Geschäftsleiter für Schäden des Unternehmens ausgeschlossen sei, die auf einem Verstoß gegen das LkSG beruhen (z.B. für Bußgelder), es sei denn, die Haftung folgt aus einem anderen Rechtsgrund. 167 Vgl. nur Koch in Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl. 2022, § 93 Rz. 9. 168 Fleischer, DB 2022, 920, 927; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 106.

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gaben des LkSG entsprechend verhält, d.h. insbesondere die im LkSG statuierten Sorgfaltspflichten beachtet, liegt eine Pflichtverletzung (auch) der Geschäftsleitungsorgane vor, wenn die Anforderungen an eine gesetzeskonforme human rights due diligence entlang der Lieferkette nicht beachtet und dadurch Menschenrechtsverstöße im Ausland ermöglicht werden. Die Geschäftsleitungsorgane können etwaige Sorgfaltspflichtverstöße hierbei nicht unter Berufung auf die Business Judgement Rule rechtfertigen. Denn die Beachtung des gesetzlichen Sorgfaltsmaßstabs des LkSG durch die Gesellschaft ist keine unternehmerische Entscheidung, auf die die Business Judgement Rule anzuwenden wäre. Vielmehr ist das Leitungsorgan verpflichtet, die gesetzlich festgelegten Sorgfaltsmaßstäbe zu beachten.169 Allerdings räumen auch die Regelungen des LkSG den Geschäftsleitern hinsichtlich der Ausgestaltung ihres lieferkettenbezogenen ComplianceSystems grundsätzlich Ermessensspielräume ein, wie sie in ähnlicher Weise auch die Business Judgement Rule gewährt.170 Haftungsrechtliche Probleme ergeben sich in diesem Zusammenhang daraus, 82 dass bislang noch nicht rechtssicher geklärt ist, welche konkreten Handlungsgebote aus den Sorgfaltspflichten des LkSG für die Geschäftsleitungen der betroffenen Unternehmen folgen. Im Schrifttum wird insoweit vorgeschlagen, auf die Judikatur des BGH zu der Umsetzung deliktsrechtlicher Legalitätspflichten nach der sog. Ision-Rechtsprechung zurückzugreifen.171 Bei unsicherer Rechtslage trifft das Leitungsorgan danach eine Erkundigungspflicht hinsichtlich des einzuhaltenden Sorgfaltsmaßstabs.172 Grundsätzlich haften die Geschäftsleitungsorgane bei pflichtwidrigem Verhalten 83 nur im Rahmen der Binnenhaftung gegenüber der Gesellschaft, für die sie handeln. Lediglich die Gesellschaft haftet ihrerseits gegenüber Dritten. Nach der Rechtsprechung des BGH kann dieser Grundsatz jedoch in Ausnahmefällen durchbrochen werden. So hat der BGH in der Baustoff-Entscheidung einen Anspruch Dritter gegen die Geschäftsleitungsorgane bei Organisationspflichtverletzungen anerkannt.173 Eine solche Organisationspflichtverletzung liegt vor, wenn das betroffene Geschäftsleitungsorgan keine Vorkehrungen getroffen hat, die Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht innerhalb des Unternehmens verhindern. Die Haftung im Außenverhältnis knüpft hierbei an ein pflichtwidriges Unterlassen des Geschäftsleitungsorgans an, dem insoweit eine Garantenstellung für die Vermeidung entsprechender Rechtsgutsverletzungen zugeschrieben wird. Die Garantenstellung der Geschäftsleitungsorgane wird hierbei aus deren Stellung 169 Paefgen, ZIP 2021, 2006, 2013; zum objektiven Beurteilungsmaßstab bei der Einhaltung von Verkehrspflichten allgemein Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 Rz. 477. 170 Vgl. dazu auch Spindler, ZHR 186, (2022), 67, 106. 171 BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097, 2098 ff. 172 Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2255 f.; Paefgen, ZIP 2021, 2006, 2013. 173 BGH, Urt. v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297; hierzu ausführlich Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 Rz. 130 ff.

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Anh. § 11 | LkSG: Haftungsrechtliche Implikationen an der Spitze des Unternehmens hergeleitet. Nach diesen Grundsätzen erscheint eine Außenhaftung der Geschäftsleitungsorgane in den Fällen denkbar, in denen das Geschäftsleitungsorgan keinerlei Vorkehrungen getroffen hat, die die Einhaltung der Menschenrechte durch das Unternehmen sicherstellen.174

174 Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ 2021, 230, 239; Paefgen, ZIP 2021, 2006, 2013; Spindler, ZHR 186, (2022), 67, 106; a.A. Fleischer, DB 2022, 920, 928.

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Abschnitt 4 Behördliche Kontrolle und Durchsetzung (§§ 12–18) Unterabschnitt 1 Berichtsprüfung (§§ 12, 13) § 12 Einreichung des Berichts (1) Der Bericht nach § 10 Absatz 2 Satz 1 ist in deutscher Sprache und elektronisch über einen von der zuständigen Behörde bereitgestellten Zugang einzureichen. (2) Der Bericht ist spätestens vier Monate nach dem Schluss des Geschäftsjahres, auf das er sich bezieht, einzureichen. I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . II. Sprache, Form und elektronischer Zugang (Satz 1) . . . . . . .

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III. Vorlagefrist (Abs. 2) . . . . . . . . .

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I. Regelungsgegenstand §§ 12 und 13 knüpfen an die Berichtspflicht nach § 10 Abs. 2, 3 an und schreiben 1 als Unterfall der in Abschnitt 4 des Gesetzes geregelten Kontrolle und Durchsetzung und als „erste Säule“1 die behördliche Berichtsprüfung vor. Mit dieser wird nach der Begründung des Regierungsentwurfs „eine möglichst breit angelegte, gleichzeitig formalisierte und eingriffsarme Kontrolle der Unternehmen bezweckt.“2 § 12 regelt die Anforderungen an die Einreichung des Berichts, nämlich dessen Sprache, sowie die Form und Nutzung des elektronischen Zugangs und den Vorlagezeitpunkt.

II. Sprache, Form und elektronischer Zugang (Satz 1) § 10 trifft in seinen Abs. 2 und 3 keine Aussage zur Sprache des Berichts oder zu 2 dessen Schriftlichkeit. Lediglich die Bereitstellung auf der Internetseite des Unternehmens, also elektronisch lesbar, ist vorgeschrieben. Daran knüpft § 12 Satz 1 an, wenn festgelegt wird, dass der Bericht in deutscher Sprache an die zuständige Behörde und elektronisch über den bereitgestellten Zugang einzureichen ist. Wenn allein in § 12 Abs. 1 die deutsche Sprache für den zu übermittelnden Be- 3 richt vorgesehen ist, so stellt sich die Frage, ob dies auch zwingend für den Bericht nach § 10 gilt oder nur die übermittelte Version des Berichts in deutscher Sprache vorgelegt werden muss. Die Vorgaben des § 23 Abs. 1 VwVfG („Die Amtssprache ist deutsch.“) gilt nur für das Verwaltungsverfahren, nicht aber für vorgelagerte 1 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 19/28649, 53. 2 BT-Drucks. 19/28649, 53.

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§ 12 | Einreichung des Berichts Handlungen des Unternehmens, mit denen eine Rechtspflicht erfüllt wird. Das Gesetz gilt auch für Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung nicht im Inland haben (§ 1 Abs. 1 S. 2). Und der Bericht ist nach § 10 Abs. 2 auf der Internetseite des Unternehmens zugänglich zu machen, was es nahelegt, den Bericht in der Sprache des Hauptsitzes zu verfassen. Offensichtlich geht auch die Begründung3 mit ihren Aussagen zur Eingabemaske und einer ggf. abzugebenden „kurzen Erklärung“ davon aus, dass die Angaben zum Bericht nicht identisch sind mit dem unternehmensintern vorliegenden und im Internet zu veröffentlichenden Bericht. 4 Die elektronische Kommunikation im Verwaltungsverfahren ist in § 3a VwVfG

geregelt. Dort wird zwischen der Übermittlung elektronischer Dokumente (§ 3a Abs. 1 VwVfG) und der elektronischen Form (§ 3a Abs. 2 S. 2 VwVfG) unterschieden. Für die elektronische Form ist die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur vorgeschrieben.4). Bei der Eingabe über öffentliche Netze ist weiter ein sicherer Identitätsnachweis nach § 18 des Personalausweisgesetzes oder nach § 78 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes erforderlich (§ 3a Abs. 2 S. 5 VwVfG). § 12 schreibt keine elektronische Form vor, sondern nur die elektronische Übermittlung. Auch die Begründung des RegE5 spricht nicht von einer elektronischen Form, sondern erwähnt ein „elektronisches Berichtsverfahren“ und sieht die einfache Gestaltung von Eingabemasken vor. Aber auch bei einer elektronischen Form lässt § 3a Abs. 2 S. 4 VwVfG u.a. die Ausnahmen zur „unmittelbaren Abgabe der Erklärung in einem elektronischen Formular“ zu, das „von der Behörde in einem Eingabegerät oder über öffentlich zugängliche Netze zur Verfügung gestellt wird“ (§ 3a Abs. 2 S. 4 Nr. 1 VwVfG) oder sonstige sichere Verfahren, die allgemein in einer Rechtsverordnung mit besonderem Verfahren festgelegt werden können (§ 3a Abs. 2 S. 4 VwVfG).

5 Die zuständige Behörde hat nach Abs. 1 einen elektronischen Zugang im Sinne

einer technischen Kommunikationseinrichtung6 bereitzustellen. Dies ist Voraussetzung für eine zulässige elektronische Kommunikation.7 Ist durch Rechtsvorschrift elektronische Kommunikation vorgeschrieben, muss ein sicherer Kommunikationsweg mit Möglichkeit zur Verschlüsselung eröffnet sein.8

6 In der Begründung des Regierungsentwurfs9 heißt es: „Das Verfahren und die

Eingabemasken sind so auszugestalten, dass sich der Aufwand für Unternehmen

3 BT-Drucks. 19/28649, 53. 4 Eine qualifizierte elektronische Signatur i.S.v. Art. 3 Nr. 12 eIDAS-VO. Vgl. Schulz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 3a Rz. 117; Hornung in Schoch/ Schneider, VwVfG, Grundwerk Juli 2020, § 3a Rz. 74. 5 BT-Drucks. 19/28649, 53. 6 Vgl. Schulz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 3a Rz. 67; Schliesky in Knack/Henneke, VwVfG, 11. Aufl. 2020, § 3a Rz. 49. 7 Schulz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 3a Rz. 50; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 3a Rz. 44 jeweils m.w.N. 8 Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 3a Rz. 14 unter Verweis auf BGH ZD 2013, 273. 9 BT-Drucks. 19/28649, 53.

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Einreichung des Berichts | § 12

beim Ausfüllen der Eingabemasken entsprechend verringert, wenn sie keine Risiken festgestellt haben und deshalb nur eine kurze Erklärung abgeben müssen.“ Dafür fehlen im Wortlaut des § 12 jegliche Anhaltspunkte, sie enthalten eher Anregungen für die Gestaltung der Zugangsbestimmungen durch die zuständige Behörde und für den Verordnungsgeber nach § 13 Abs. 3 Nr. 1. Jedenfalls betreffen sie nicht den Bericht selbst, der in der Regel als elektronischer Anhang beizufügen ist, sondern nur die zusätzlichen Modalitäten, die es der Behörde ermöglichen, den Vorgang zu bearbeiten. Ergänzend gilt § 3a Abs. 3 S. 1 VwVfG: „Ist ein übermitteltes elektronisches Do- 7 kument für sie zur Bearbeitung nicht geeignet, teilt sie dies dem Absender unter Angabe der für sie geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mit.“ Das verpflichtete Unternehmen muss den elektronischen Zugang für die Be- 8 richtsübermittlung nutzen und ebenso für die Übermittlung von Korrekturen, z.B. nach Beanstandung gem. § 13 Abs. 2. Die elektronische Kommunikation ist nicht vorgeschrieben für das weitere behördliche Tätigwerden nach §§ 14 ff. bzw. die Antwort hierauf seitens des verpflichteten Unternehmens, sie kann aber von der zuständigen Behörde nach allgemeinen Grundsätzen gem. § 3a VwVfG eröffnet sein. Die nähere Ausgestaltung der elektronischen Übermittlung kann in einer 9 Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 erfolgen. Diese kann Vorgaben alleine für das „Verfahren der Einreichung“ enthalten, aber keine weiteren Inhaltsund Formvorschriften für den Bericht nach § 10 Abs. 2, 3. Die Prüfung, ob ein Bericht zugegangen ist, erfolgt nach § 13 Abs. 1 (vgl. § 13 10 Rz. 3 f.). Die Nichteinreichung eines Berichts stellt eine Ordnungswidrigkeit gem. § 24 11 Abs. 1 Nr. 12 dar.

III. Vorlagefrist (Abs. 2) Abs. 2 bestimmt, dass der Bericht spätestens vier Monate nach dem Schluss des 12 Geschäftsjahres, auf das er sich bezieht, einzureichen ist. Die Fristberechnung richtet sich nach § 31 VwVfG und folgt im Wesentlichen den §§ 187 bis 193 BGB. Für den Zugang gelten die allgemeinen Grundsätze über den Zugang einer Willenserklärung, nach denen dies anzunehmen ist, wenn sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von ihr Kenntnis erlangen kann.10 Eine gewisse Friktion ergibt sich angesichts der oben angesprochenen Unterschiede daraus, dass die 4-Monatfrist sowohl nach § 10 Abs. 2 S. 1 für die unternehmensinterne Erstellung und Internetpräsentation wie auch für die Einreichung bei der zuständigen Behörde gilt. 10 Schliesky in Knack/Henneke, VwVfG, 11. Aufl. 2020, § 3a Rz. 56; Schulz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 3a Rz. 91 ff.

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§ 12 | Einreichung des Berichts 13 Die Prüfung der Rechtzeitigkeit einer Berichtseinreichung erfolgt nach § 13

Abs. 1 analog. Die Beweislast für den fristgemäßen Zugang liegt beim jeweiligen Absender.11

14 Die Nichteinhaltung der Frist stellt eine Ordnungswidrigkeit gem. § 24 Abs. 1

Nr. 12 dar.

11 Vgl. Schulz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 3a Rz. 100; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 3a Rz. 44 jeweils m.w.N.

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§ 13 Behördliche Berichtsprüfung; Verordnungsermächtigung (1) Die zuständige Behörde prüft, ob 1. der Bericht nach § 10 Absatz 2 Satz 1 vorliegt und 2. die Anforderungen nach § 10 Absatz 2 und 3 eingehalten wurden. (2) Werden die Anforderungen nach § 10 Absatz 2 und 3 nicht erfüllt, kann die zuständige Behörde verlangen, dass das Unternehmen den Bericht innerhalb einer angemessenen Frist nachbessert. (3) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ohne Zustimmung des Bundesrates folgende Verfahren näher zu regeln: 1. das Verfahren der Einreichung des Berichts nach § 12 sowie 2. das Verfahren der behördlichen Berichtsprüfung nach den Absätzen 1 und 2. I. Regelungsgegenstand . . . . . II. Berichtsprüfung (Abs. 1) 1. Bericht nach § 10 Abs. 2 S. 1 (Abs. 1 Nr. 1) a) Fristgemäße elektronische Einreichung eines Berichts nach § 12 . . . . . . . . . . . . b) Fristgemäß veröffentlichter Bericht . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltliche Anforderungen an den Bericht nach § 10 Abs. 2 und 3 (Abs. 1 Nr. 2) . . . . . . .

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III. Nachbesserungsverlangen (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsverordnungsermächtigung (Abs. 3) . . . . . . . . . . . 1. Verfahren der Berichtseinreichung nach § 12 (Satz 1) . . . . . 2. Verfahren der Berichtsprüfung (Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Regelungsgegenstand §§ 12 und 13 knüpfen an die Berichtspflicht nach § 10 Abs. 2, 3 an und § 13 1 schreibt als Unterfall der in Abschnitt 4 des Gesetzes geregelten Kontrolle und Durchsetzung als „erste Säule“1 die behördliche Prüfung vor, ob ein Bericht nach § 10 Abs. 2 Satz 1 vorliegt und dieser die Anforderungen nach § 10 Abs. 2 und 3 einhält (Abs. 1). Ist letzteres nicht erfüllt, kann die Behörde eine Nachbesserung einfordern (Abs. 2). Abs. 3 enthält eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtverordnung, durch die §§ 12 und 13 konkretisiert bzw. ergänzt werden können. Das Berichtsprüfungsverfahren ist ein selbständiges Verwaltungsverfahren i.S.v. 2 § 9 VwVfG und beschränkt sich auf eine eher formale Prüfung. Ob die Erkennt1 Vgl. die Darstellung bei § 12 Rz. 1.

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§ 13 | Behördliche Berichtsprüfung; Verordnungsermächtigung nis hieraus Anlass geben für eine Fortsetzung bzw. Erweiterung des Verwaltungsverfahrens im Hinblick auf eine risikobasierte Kontrolle, bestimmt sich dann nach den §§ 14 ff. LkSG.

II. Berichtsprüfung (Abs. 1) 1. Bericht nach § 10 Abs. 2 S. 1 (Abs. 1 Nr. 1) a) Fristgemäße elektronische Einreichung eines Berichts nach § 12 3 Auch wenn die Einhaltung der Anforderungen des § 12 nicht ausdrücklich Prü-

fungsgegenstand nach § Abs. 1 Nr. 1 sind, so prüft die Behörde doch zunächst von Amts wegen, ob von einem Berichtspflichtigen ein Bericht in deutscher Sprache2 oder jedenfalls eine diesbezügliche elektronische Datei eingegangen ist, die den Anforderungen an den elektronischen Zugang nach § 12 entspricht.

4 Die Prüfung, ob ein Bericht vorliegt, schließt die Frage ein, ob ein evtl. einge-

reichtes elektronisches Dokument bzw. eine Datei überhaupt lesbar und damit zur Prüfung durch die Behörde geeignet ist. Hier gilt § 3a Abs. 3 S. 1 VwVfG: „Ist ein übermitteltes elektronisches Dokument für sie zur Bearbeitung nicht geeignet, teilt sie dies dem Absender unter Angabe der für sie geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mit.“ Wurden die evtl. technischen Zugangsbedingungen nach den von der zuständigen Behörde nach § 12 Abs. 1 gestellten Vorgaben oder nach einer Verordnung nach § 13 Abs. 3 Nr. 1 nicht eingehalten und ist deshalb das Dokument nicht bearbeitbar, fehlt es am fristgemäßen Zugang; gleiches gilt bei mangelhafter Lesbarkeit, der sich nicht als bloßer Schönheitsfehler darstellt (z.B. falsche Umlaute).3 Wird dieser die Lesbarkeit beeinträchtigende Fehler nicht abgestellt, kann die zuständige Behörde eine Anordnung analog § 13 Abs. 2 erlassen.

5 Die Einhaltung der Frist nach § 12 Abs. 2 ist ebenfalls nicht ausdrücklich Ge-

genstand der behördlichen Berichtsprüfung. Man wird dies analog § 13 Abs. 1 Nr. 1 jedoch annehmen können. Die Beweislast für den fristgemäßen Zugang liegt beim jeweiligen Absender.4 Die zuständige Behörde kann einen (bloßen) Verstoß hiergegen zudem zum Anlass nehmen, ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gem. § 24 Abs. 1 Nr. 12 einzuleiten.

2 Vgl. § 12 Rz. 8. zur Frage, ob die Anforderung, dass der Bericht in deutscher Sprache einzureichen ist, auch für den Originalbericht des Unternehmens gilt oder nur für den der zuständigen Behörde vorgelegten Bericht. 3 Ziekow, VwVfG, 4. Aufl. 2019, § 3a Rz. 8; Schulz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 3a Rz. 153 m.w.N. Zugang und Zugangszeitpunkt richten sich nach allgemeinen Grundsätzen und sind in § 3a VwVfG nicht geregelt; dazu Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 3a Rz. 44; Schulz in Mann/Sennekamp/ Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 3a Rz. 91 ff. 4 Schulz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 3a Rz. 100.

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Behördliche Berichtsprüfung; Verordnungsermächtigung | § 13

b) Fristgemäß veröffentlichter Bericht Die Behörde hat weiter zu prüfen, ob die Anforderungen nach § 10 Abs. 2 S. 1 6 eingehalten werden. Dazu gehören die Berichtsexistenz, der Geschäftsjahresbezug und die Veröffentlichung auf der Internetseite des Unternehmens. Es muss also ein Bericht vorliegen, der sich auf das vergangene Geschäftsjahr bezieht und spätestens 4 Monate danach auf der Internetseite des verpflichteten Unternehmens bereitgestellt worden ist. Letzteres kann hinsichtlich des gleichen Zeitpunkts der spätesten Berichtsübermittlung nach § 12 Abs. 1 Friktionen bereiten. Der Sieben-Jahreszeitraum für die Internet-Zugänglichkeit in § 10 Abs. 2 S. 1 lässt sich behördlich nach §§ 12, 13 nur indirekt überprüfen, indem das verpflichtete Unternehmen diese Absicht mitteilt bzw. bei späterer behördlicher Prüfung innerhalb der 7 Jahre, ob der Bericht noch immer im Internet zugänglich ist. Verstöße gegen die Beachtung dieser Anforderung werden über §§ 14 ff. ermittelt. 2. Inhaltliche Anforderungen an den Bericht nach § 10 Abs. 2 und 3 (Abs. 1 Nr. 2) Weiter sind die inhaltlichen Anforderungen in § 10 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 Ge- 7 genstand der behördlichen Berichtsprüfung (vgl. dazu die Kommentierung des § 10). Die zusätzliche Einbeziehung des § 10 Abs. 2 S. 1, der bereits in § 13 Abs. 1 Nr. 1 erwähnt ist, ergibt eigentlich keinen rechten Sinn, da dort keine inhaltlichen Anforderungen enthalten sind. Auch die Einhaltung der Anforderungen des § 12 sind nicht Gegenstand der inhaltlichen Berichtsprüfung, sondern nur Formvorgaben. Die inhaltliche Prüfung erstreckt sich ggf. auch auf die plausible Darlegung, dass 8 die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 erfüllt und deshalb keine weiteren Ausführungen im Bericht erforderlich sind.

III. Nachbesserungsverlangen (Abs. 2) Abs. 2 ermächtigt die zuständige Behörde, das Unternehmen zur Nachbesserung 9 seines Berichtes aufzufordern. Die Aufforderung stellt einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG dar, der ergänzend auf § 15 S. 1 zu stützen ist. Die Art und Weise der Nachbesserung, kann im Einzelnen vorgeschrieben werden, insbesondere durch Benennung der unzureichend dargestellten Punkte. Die Beanstandung durch elektronischen Verwaltungsakt dürfte unter den Voraus- 10 setzungen des § 3a Abs. 1 VwVfG zulässig sein, da bei Unternehmen in der Regel davon auszugehen ist, dass sie mit der Angabe einer E-Mail-Adresse konkludent die erforderliche Annahmebereitschaft erklärt haben. Jedenfalls bei elektronischer Einreichung des Berichts dürfte darin auch das Einvernehmen zur Fortführung des konkreten Verwaltungsverfahrens auf elektronischem Wege liegen.5 5 Schulz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 3a Rz. 77 ff.

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§ 13 | Behördliche Berichtsprüfung; Verordnungsermächtigung 11 Ausdrücklich darf sich das Nachbesserungsverlangen nur beziehen auf den Fall,

dass Anforderungen nach § 10 Abs. 2 und 3 nicht erfüllt wurden, also kein Bericht oder nur ein unzureichender Bericht erstellt wurde. Der Fall mangelnder Einreichung des Berichts nach § 12 ist nicht ausdrücklich erfasst. Hier dürfte eine ausfüllungsbedürftige Lücke vorliegen, die eine analoge Anwendung des § 13 Abs. 2 rechtfertigt. Auch bei bloßer Nichteinreichung, dürfte durch Verwaltungsakt die Nachbesserung durch Einreichung des Berichts angeordnet werden.

12 Die von der zuständigen Behörde gesetzte Nachbesserungsfrist muss angemes-

sen sein.6 Da die Einreichungsfrist bzw. auch die Frist zur Berichterstellung spätestens 4 Monate nach dem Geschäftsjahr endet, dürfte dies auch die maximal einzuräumende Frist sein bzw. sie müsste deutlich kürzer sein. Dies gilt jedenfalls, soweit lediglich Ergänzungen oder Korrekturen erforderlich sind.

13 Gegen den Nachbesserungs-VA sind Widerspruch und Anfechtungsklage des

Unternehmens zulässig. Die Anordnungen können gem. § 80 Abs. 1 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse für sofort vollziehbar erklärt werden.

14 Die Nichtbefolgung einer „vollziehbaren Anordnung“ stellt eine Ordnungswid-

rigkeit i.S.v. § 24 Abs. 1 Nr. 13 dar. Diese kann neben den Tatbestand nach § 24 Abs. 1 Nr. 12 treten, falls der Bericht nicht oder nicht rechtzeitig eingereicht worden war.

IV. Rechtsverordnungsermächtigung (Abs. 3) 15 Abs. 3 enthält eine Rechtsverordnungsermächtigung zur Regelung der Verfah-

ren der Berichtseinreichung (S. 1) und der Berichtsprüfung (S. 2), deren Adressat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist. Dieses muss im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie tätig werden, d.h. ohne dessen Zustimmung kann keine Verordnung erlassen werden. Die Verordnung bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates, was gem. Art. 80 Abs. 2 GG im Einklang mit der mangelnden Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes steht, das insoweit auf die konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 (Bürgerliches Recht) und 11 (Recht der Wirtschaft) gestützt ist.7

16 Die Rechtsverordnung kann zugleich Regelungen nach § 14 Abs. 2 enthalten.

1. Verfahren der Berichtseinreichung nach § 12 (Satz 1) 17 Die Rechtsverordnungsermächtigung nach Abs. 3 bezieht sich zunächst auf das

Verfahren der elektronischen Einreichung des Berichts nach § 12. Nicht Gegenstand sind die Anforderungen nach § 10, insbesondere an den Inhalt des Berichts. Die Begründung des Regierungsentwurfes zu § 12 nennt beispielhaft als

6 So die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 19/28649, 53. 7 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 24.

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Behördliche Berichtsprüfung; Verordnungsermächtigung | § 13

„Regelungsgegenstand … ein standardisiertes, aufwandsarmes, benutzerfreundliches und effizientes Berichtssystem“.8 Das kann sich also nur beziehen auf dem Bericht beigefügten Informationen, die der Behörde eine Prüfung erleichtern, z.B. indem Angaben gemacht werden zu § 10 Abs. 3 und deshalb ausführliche Angaben im Bericht zu § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 1-4 unterblieben sind. Auch in der Begründung der Regierungsentwurfes zu § 10 heißt es: „Für das Berichtsformat wird ein elektronischer Zugang von der Behörde bereitgestellt.“,9 was sich aber weder im Wortlaut des § 10 findet noch in der Rechtsverordnungsermächtigung. Für das Format des Unternehmensberichtes können durch Rechtsverordnung keine Vorgaben gemacht werden, sondern lediglich für die Form der Einreichung. 2. Verfahren der Berichtsprüfung (Satz 2) In der Rechtsverordnung kann weiter das Verfahren der behördlichen Berichts- 18 prüfung, wie es in Abs. 1 und 2 beschrieben ist, näher geregelt werden. Für das Verwaltungsverfahren können also besondere Regelungen getroffen werden, welche die allgemeinen Bestimmungen des VwVfG ergänzen oder abändern. Dazu kann z.B. auch die Festlegung des Beanstandungsverfahren durch elektro- 19 nischen Verwaltungsakt gehören.

8 BT-Drucks. 19/28649, 53. 9 BT-Drucks. 19/28649, 52.

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Unterabschnitt 2 Risikobasierte Kontrolle (§§ 14–18) § 14 Behördliches Tätigwerden; Verordnungsermächtigung (1) Die zuständige Behörde wird tätig: 1. von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen, a) um die Einhaltung der Pflichten nach den §§ 3 bis 10 Absatz 1 im Hinblick auf mögliche menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken sowie Verletzungen einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht zu kontrollieren und b) Verstöße gegen Pflichten nach Buchstabe a festzustellen, zu beseitigen und zu verhindern; 2. auf Antrag, wenn die antragstellende Person substantiiert gehend macht, a) infolge der Nichterfüllung einer in den §§ 3 bis 9 enthaltenen Pflicht in einer geschützten Rechtsposition verletzt zu sein oder b) dass eine in Buchstabe a genannte Verletzung unmittelbar bevorsteht. (2) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ohne Zustimmung des Bundesrates das Verfahren der risikobasierten Kontrolle nach Absatz 1 und den §§ 15 bis 17 näher zu regeln. I. Regelungsgegenstand . . . . . . II. Behördliches Tätigwerden (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tätigwerden nach pflichtgemäßem Ermessen (Nr. 1) . . . a) Einhaltungskontrolle (Nr. 1 Buchst. a) . . . . . . . . b) Abschließende Kontrollentscheidung (Nr. 1 Buchst. b) .

. . . . .

_ _ _ _ _ 1 6

10 16 23

2. Tätigwerden auf Antrag (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verletzung durch Pflichtverstoß (Nr. 2 Buchst. a) . . . b) Unmittelbar bevorstehende Verletzung (Nr. 2 Buchst. b) III. Verordnungsermächtigung (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

_ _ _ _ 24 27 40

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I. Regelungsgegenstand 1 § 14 steht im Abschnitt 4 des Gesetztes, der die „Behördliche Kontrolle und

Durchsetzung“ betrifft. Im Rahmen der in Unterabschnitt II geregelten „Risikobasierten Kontrolle“ schreibt die Bestimmung in Abs. 1 fest, unter welchen Voraussetzungen die zuständige Behörde tätig wird und worauf sich die Tätigkeit bezieht. Abs. 2 enthält eine Verordnungsermächtigung zu Konkretisierung des Verfahrens der risikobasierten Kontrolle.

2 In der Begründung des Regierungsentwurfes) wird zutreffend betont, dass § 14

„präventive aufsichtsrechtliche Zwecke“ verfolgt und „nicht lediglich die Vorberei688

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Behördliches Tätigwerden; Verordnungsermächtigung | § 14

tung von Bußgeldverfahren“. Denn in Abschnitt 4 wird das Bußgeldverfahren nicht geregelt. Diese richtet sich nach dem OWiG, sofern § 24 keine besonderen Bestimmungen enthält.1 In der Begründung des Regierungsentwurfs wird an gleicher Stelle hervorgeho- 3 ben, dass die Bestimmung „zum Schutz der in § 2 Absatz 1 und 3 in Bezug genommenen Gemeinwohlbelange und Rechtspositionen“ dient.2 Eine Definition der „risikobasierten Kontrolle“ fehlt im Gesetz. Dazu wird man 4 alles zählen können, was die zuständige Behörde zur „Kontrolle und Durchsetzung“3 der Pflichten aus §§ 3–10 Abs. 1 nach den §§ 14–184 tun darf oder zu tun hat, also die Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen oder aufgrund eines Antrages nach § 14 Abs. 1 LkSG über ein Tätigwerden bzw. die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens nach § 9 ff. VwVfG und Durchführung eines solchen Verwaltungsverfahrens unter Einschluss zusätzlicher Aufklärungsbefugnisse nach §§ 16–18 LkSG, die gestützt auf die Verwaltungsaktsbefugnis des § 15 LkSG durchgesetzt werden können, sowie die Zwischen- und Abschlussentscheidungen, die ebenfalls auf § 15 gestützt werden können. Es ist also zu eng, wenn der Unterabschnitt 2 nur von risikobasierter Kontrolle spricht und nicht auch von Durchsetzung wie die Überschrift des Abschnittes 4. Aus Unterabschnitt 1 und 3 ergibt sich nicht, dass nur dort die Durchsetzung geregelt ist. Vielmehr bezieht sich der Unterabschnitt 1 mit den §§ 12 und 13 lediglich auf die Prüfung von Berichten nach § 10 einschließlich einer Fristsetzung zur Nachbesserung nach § 13 Abs. 2, worin ebenfalls Kontroll- und Durchsetzungselemente liegen, weshalb eigentlich auch diese Bestimmungen zur risikobasierten Kontrolle (und Durchsetzung) zu zählen wären; sie sind nur gesondert geregelt. Die Bezeichnung „risikobasierte Kontrolle“ kommt allenfalls insofern eine wich- 5 tige Hinweisfunktion zu, als sie deutlich macht, dass die behördliche Kontrolle, anknüpfend an die risikobasierten Unternehmenspflichten, sehr früh ansetzt, um eine Risikovermeidung sicherzustellen.

II. Behördliches Tätigwerden (Abs. 1) Abs. 1 unterscheidet 2 Fälle „behördlichen Tätigwerdens“. Unterschieden wer- 6 den die Tätigkeit von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen (Nr. 1) und die Tätigkeit auf Antrag einer verletzten oder unmittelbar bedrohten Person (Nr. 2). 1 Vgl. auch die Begründung des Regierungsentwurfes BT-Drucks. 19/28649, 57, sowie zum „Verbot der Rollenvertauschung“ § 15 Rz. 19. 2 BT-Drucks. 19/28649, 54. 3 So die Überschrift des Abschnittes 4 des LkSG. 4 § 14 Abs. 2 versteht unter risikobasierter Kontrolle nur das Verfahren nach § 14 Abs. 1 und den §§ 15 bis 17. Duldungspflichten, wie in § 18 vorgesehen, kann man allerdings auch als Bestimmung über das Verwaltungsverfahren ansehen (vgl. § 26 Abs. 2 VwVfG).

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§ 14 | Behördliches Tätigwerden; Verordnungsermächtigung 7 Der Beginn des behördlichen Tätigwerdens bestimmt sich nach § 22 VwVfG.

Dieser lautet:

§ 22 Beginn des Verfahrens Die Behörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt. Dies gilt nicht, wenn die Behörde auf Grund von Rechtsvorschriften 1. von Amts wegen oder auf Antrag tätig werden muss; 2. nur auf Antrag tätig werden darf und ein Antrag nicht vorliegt.

8 Nr. 2 enthält eine Spezialvorschrift i.S.v. § 22 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG: die zustän-

dige Behörde wird unter den genannten Voraussetzungen auf Antrag tätig. Fraglich ist, wie S. 2 zu verstehen ist, soweit zudem auf das pflichtgemäße Ermessen abgestellt wird. § 22 S. 2 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG sieht das Verfahren „von Amts wegen“ als Alternative zu dem Verfahren „nach pflichtgemäßem Ermessen“, d.h. bei Verfahren von Amts wegen muss die Behörde tätig werden, sie hat kein Ermessen. Allerdings wird die Behörde auch bei Ausübung des Ermessens („Dispositionsmaxime“) von Amts wegen tätig. Es gilt also daneben die sog. Offizialmaxime.5 Dies wollte wohl die Beschlussempfehlung des federführenden Bundestags-Ausschusses klarstellen, auf den die Einfügung der Worte „von Amts wegen“ zurückgehen.6

9 Diese beiden Maximen unterscheiden sich vom Untersuchungsgrundsatz nach

§ 24 VwVfG, der während des Verlaufs des Verwaltungsverfahrens die Behörde zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen zwingt, unabhängig davon wie das Verwaltungsverfahren eröffnet worden ist, und sie unterscheiden sich von der materiellrechtlichen Ermächtigungsnorm, welche die Behörde nach dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts benötigt, und die in § 15 i.V.m. §§ 3 bis 10 Abs. 1 bzw. mit 16-18 liegt. 1. Tätigwerden nach pflichtgemäßem Ermessen (Nr. 1)

10 Soweit durch Nr. 2 oder eine Verordnung nach Abs. 2 nichts anderes bestimmt

ist, entscheidet die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen, ob sie tätig wird, also ein Verwaltungsverfahren durchführt oder nicht.7 Der überkommene Begriff des pflichtgemäßen Ermessens8 versteht sich nur in Abgrenzung zu dem nur noch historisch zu verstehenden „freien Ermessen“ der Verwaltung. Jedes

5 Vgl. zum VwVfG, Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018 § 22 Rz. 2 f.; Ziekow, VwVfG, 4. Aufl. 2019 § 22 Rz. 1; Engel/Pfau in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 22 Rz. 2. 6 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drucks. 19/30505, 42. 7 Vgl. zum VwVfG, Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 22 Rz. 6. 8 Der Begriff wir in § 22 VwVfG, benutzt aber nicht definiert. Eine ausdrückliche Definition pflichtgemäßen Ermessens enthält § 73 LVwG SH: (1) Die Behörde entscheidet, soweit Rechtsvorschriften nicht bestimmen, dass oder in welcher Weise sie tätig zu werden hat, im Rahmen der ihr erteilten Ermächtigung nach sachlichen Gesichtspunkten unter Abwägung der öffentlichen Belange und der Interessen der einzelnen Person über die von der Behörde zu treffenden Maßnahmen (pflichtgemäßes Ermessen).

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Behördliches Tätigwerden; Verordnungsermächtigung | § 14

Ermessen der Behörde ist unter Geltung des Grundgesetzes „pflichtgemäßes“ Ermessen.9 Es besteht nur in den gesetzlichen und rechtsstaatlichen Grenzen (wie dem Gleichheitssatz) und hat den in § 40 VwVfG kodifizierten Grundsatz zu beachten, dass von jeder Ermächtigung zum Verwaltungshandeln nur im Sinne des Gesetzeszwecks Gebrauch gemacht werden darf.10 Die behördliche Ermessensbetätigung ist nur rechtmäßig, wenn sie geeignet ist, den Zweck der Ermessensnorm zu erfüllen (sog. innere Ermessensgrenze).11 Wird von einer Ermächtigung nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung ent- 11 sprechenden Weise Gebrauch gemacht handelt es sich um einen Ermessensfehlgebrauch.12 Ein Ermessensnichtgebrauch liegt vor, wenn es die Behörde unterlässt, von ihrem Ermessen Gebrauch zu machen, also keine Ermessenserwägungen anstellt.13 Eine Ermessensüberschreitung liegt hingegen vor, wenn die von der Verwaltung gewählte Rechtsfolge nicht von der gesetzlichen Ermächtigung vorgesehen ist.14 Im Rahmen des materiellen Entscheidungsermessens können unterschieden 12 werden ein Entschließungsermessen zur Frage, ob eine Entscheidung getroffen wird, und ein Auswahlermessen dazu, welche von mehreren Maßnahmen in welcher Ausgestaltung und für oder gegen wen sie ergriffen wird.15 Der Zweck der Ermessensnorm wird in den Buchstaben a und b bestimmt:

13

a) um die Einhaltung der Pflichten nach den §§ 3 bis 10 Abs. 1 im Hinblick auf mögliche menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken sowie Verletzungen einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht zu kontrollieren und b) Verstöße gegen Pflichten nach Buchstabe a festzustellen, zu beseitigen und zu verhindern;

In beiden Fällen geht es um die Einhaltung der Pflichten nach §§ 3 bis 10 Abs. 1, 14 bei a) um die Kontrolle, also das Verwaltungsverfahren zur Aufklärung und Vorbereitung einer Entscheidung, und bei b) um den Abschluss des Verfahrens durch Entscheidung, mit der auf festgestellte Verstöße durch eine Maßnahme oder Anordnung nach § 15 reagiert wird, um Verstöße festzustellen und/oder zu beseitigen. 9 BVerfG v. 22.5.1962 – 1 BvR 301/59, 1 BvR 302/59 E 14, 105, 114. 10 BVerfG v. 3.2.1959 – 2 BvL 10/56, E 9, 137, 147; BVerfG v. 16.2.1965 – 1 BvL 15/62 E 18, 353, 363; Maurer/Waldhoff, AllgVwR 20. Aufl. 2020 § 7 Rz. 17; Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021 § 40 Rz. 1; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018 S 40 Rz. 1; Geis in Schoch/Schneider, VwVfG, Grundwerk Juli 2020 § 40 Rz. 49. 11 BVerwG v. 14.12.1978 – 5 C 16.76, E 57, 192, 197 = DÖV 1979, 836; Geis in Schoch/ Schneider, VwVfG, Grundwerk Juli 2020 § 40 Rz. 53. 12 BVerwG v. 13.3.1997 – 3 C 2/97, E 104, 154, DÖV 1997, 1051. 13 Geis in Schoch/Schneider, VwVfG, Grundwerk Juli 2020, § 40 Rz. 94; Ramsauer in Kopp/Ramsauer, 22. Aufl. 2021, Rz. 75; Ruffert in Knack/Henneke, VwVfG, 11. Aufl. 2019, § 40 Rz. 48; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, Rz. 77; Ziekow, VwVfG, Rz. 40. 14 Geis in Schoch/Schneider, VwVfG, Grundwerk Juli 2020, § 40 Rz. 98; Maurer/Waldhoff, AllgVwR, 20. Aufl. 2020, § 7 Rz. 20; Ruffert in Knack/Henneke, VwVfG, 11. Aufl. 2019, § 40 Rz. 59; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 Rz. 75. 15 Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 Rz. 46 m.w.N.

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§ 14 | Behördliches Tätigwerden; Verordnungsermächtigung 15 Für die Frage der Einleitung eines Kotrollverfahrens aufgrund eines Anspruchs

auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bleibt wohl angesichts der Antragsverfahren kein Raum. a) Einhaltungskontrolle (Nr. 1 Buchst. a)

16 Die Kontrolle erstreckt sich auf die Einhaltung der Pflichten nach §§ 3 bis 10

Abs. 1. Der weitere Wortlaut (im Hinblick …) hat hier keinen eigenen Erkenntniswert, weil die in den zitierten Normen begründeten Pflichten sich ohnehin auf die (unternehmerische Feststellung der) menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken (und ihrer Prävention) bzw. die (Abhilfe bei) Verletzung derartiger Pflichten bezieht. Der weitere Wortlaut ist deshalb eigentlich überflüssig. Hervorgehoben wird wohl damit vornehmlich, dass die Einhaltungskontrolle risikobasiert ist, als sie bereits Risikomanagement und -analyse der verpflichteten Unternehmen kontrollieren kann und damit auch die behördliche vorbeugende Kontrolle sehr weit nach „vorne“ verlagert ist.

17 In der Begründung des Regierungsentwurfs16 heißt es dazu: „Die Behörde kann

sowohl vorbeugende Kontrollen vornehmen als auch auf konkrete Anhaltspunkte für mögliche Verstöße reagieren.“

18 Das Kontroll(verwaltungs)verfahren kann also eröffnet werden ohne Anlass

oder konkrete Anhaltspunkte aufgrund einer behördlichen Risikoanalyse des betreffenden Unternehmens (anlasslose Kontrolle). Kriterien können z.B. solche der potentiellen Schwere einer Verletzung nach § 3 Abs. 2 Nr. 3, wie „die Zugehörigkeit eines Unternehmens zu einem Hochrisikosektor sein, die tatsächlichen und ordnungspolitischen Rahmenbedingungen des Produktionsortes, der Umgang mit giftigen Stoffen in der Produktion oder die mangelhafte Nachhaltigkeitsperformance (potentieller) Lieferanten“.17

19 In der Regel wird das anlasslose Kontroll(verwaltungs)verfahren wohl eröffnet

werden durch Prüfung nach § 13, ob ein Bericht überhaupt eingereicht wurde und dann des gem. § 12 eingereichten Berichts. Auch wenn die Berichtsprüfung in einem gesonderten Unterabschnitt geregelt wird, erscheint es doch sinnvoll, diese in das „Gesamtverfahren“ der risikobasierten Kontrolle einzubeziehen. Es dürfte müßig sein, darüber zu diskutieren, ob es sich hier um ein Verwaltungs (prüf)verfahren von Amts wegen, also ohne Ermessen, handelt, dem ein ermessensgeleitetes Verwaltungsverfahren folgt.

20 Neben der behördlichen Berichtsprüfung können Informationen, die der Be-

hörde auf anderem Wege zugehen, Anlass für den Start eines Kontrollverfahrens sein (anlassbedingte Kontrolle). Dazu gehören Presseinformationen, sonstige Berichte des Unternehmens oder von Dritten über die Unternehmenstätigkeit, sonstig Informationen von Dritten (z.B. NGOs, Gewerkschaften) oder von anderen Behörden (auch anderer Staaten). 16 BT-Drucks. 19/28649, 54. 17 Begründung der Bundesregierung zu § 3 Abs. 2, BT-Drucks. 19/28649, 43.

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Behördliches Tätigwerden; Verordnungsermächtigung | § 14

Die zuständige Behörde kann aufgrund eigener Risikoabschätzung oder auf- 21 grund sonstiger Informationen nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ein Verwaltungsverfahren einzuleiten, in dem der Sachverhalt weiter untersucht wird (§ 24 VwVfG) unter Nutzung von allgemeinen Beweismitteln (§ 26 VwVfG) oder speziellen Beweismitteln, indem vom Unternehmen Auskunft oder Herausgabe von Unterlagen nach § 17 verlangt wird (s. insbesondere den Katalog in § 17 Abs. 2) oder Personen geladen werden (§ 15 S. 2 Nr. 1), Betriebsgrundstücke, Geschäftsräume und Wirtschaftsgebäude der Unternehmen betreten und besichtigt sowie Unterlagen eingesehen werden (§ 16). Der Sachverhalt kann etwa auch aufgeklärt werden im Wege der Amtshilfe (§§ 4–8 VwVfG) oder der Europäischen Verwaltungszusammenarbeit (§§ 8a-8e VwVfG). Soweit es um die Klärung von Sachverhalten außerhalb Deutschlands geht, hält die Begründung des Regierungsentwurfs fest: „Soweit die behördliche Kontrolle und Durchsetzung sich auf Auslandssachverhalte beziehen, erfolgen diese im Rahmen des geltenden Völkerrechts.“18 Ggf. erlässt die zuständige Behörde Anordnungen und Maßnahmen zur Durch- 22 setzung der Kontrollbefugnisse bzw. zum Abschluss des Kontrollverfahrens nach Nr. 1 Buchst. b) i.V.m. § 15. Gibt die Untersuchung keinen Anlass zu einer Anordnung, wird das Verfahren ohne Erlass eines VA eingestellt (interne Abschlussverfügung). Aber auch eine feststellende Regelung kann angebracht sein, insbesondere wenn das Kontrollverfahren unter intensiver öffentlicher Wahrnehmung stand und das betroffene Unternehmen ein gewichtiges Interesse an einer solchen Regelung hat. b) Abschließende Kontrollentscheidung (Nr. 1 Buchst. b) Die Behörde kann im Rahmen des Kontrollverfahrens nach pflichtgemäßem Er- 23 messen entscheiden, durch welche „Anordnung und Maßnahme“ nach § 15 die gem. Nr. 1 Buchst. a) ermittelten Pflichtverstöße festgestellt, beseitigt oder verhindert werden sollen. Es handelt sich dabei um den Erlass eines Verwaltungsaktes (§ 35 VwVfG), durch den das Kontrollverfahren für den betreffenden Fall/ den Prüfungszeitraum abgeschlossen wird.19 Hier wird ebenso wie in § 15 S. 1 zwischen den Reglungen zur Feststellung, Beseitigung und Verhinderung von Pflichtverstößen unterschieden. 2. Tätigwerden auf Antrag (Nr. 2) Die Behörde wird auf Antrag tätig, wenn die Voraussetzungen Nach Nr. 2 24 Buchst. a oder Buchst. b vorliegen. Das Opportunitätsprinzip nach Nr. 1 wird also durch die rechtliche Verpflichtung zur Aufnahme der Kontrolltätigkeit auf Antrag verdrängt. 18 BT-Drucks. 19/28649, 53. 19 Vgl. dazu und zu den Inhalten die Kommentierung zu § 15 Rz. 2 ff.

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§ 14 | Behördliches Tätigwerden; Verordnungsermächtigung 25 Nach dem Wortlaut wird unter diesen Voraussetzungen ein Kontrollverfahren

eröffnet. Im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht ist streitig, ob es erst noch eine ausdrücklichen Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens bedarf, wobei die wohl h.M. jedoch von einer unmittelbaren Verfahrenseröffnung ausgeht.20 Die das Verfahren abschließende Kontrollentscheidung folgt letztlich nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) (und § 15 S. 1), wenn auch die Voraussetzungen der Bestimmung den Inhalt der Entscheidung bei Pflichtverstoß oder unmittelbar bevorstehender Verletzung implizieren. Wird das behördliche Tätigwerden, die Eröffnung des Kontrollverfahrens, abgelehnt, so handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der durch Widerspruch und Verpflichtungsklage angegriffen werden kann. Gleiches gilt, wenn zwar ein Verfahren eingeleitet wird, dieses aber nicht zu den vom Antragsteller gewünschten Abhilfemaßnahmen führt. Widerspruchs- und Klagebefugnis dürften zu bejahen sein, wenn auch die Antragsvoraussetzungen nach Nr. 2 erfüllt sind. Die Durchsetzung der Eröffnung oder Durchführung eines Kontrollverfahrens als Verfahrenshandlung ist nach § 44aVwGO ausgeschlossen.

26 Der Antragsteller kann einen Anspruch auf den Erlass eines Verwaltungsaktes

nach § 15 haben, wenn ein solcher erforderlich ist, um die Beseitigung oder Verhinderung eines Pflichtverstoßes zu erreichen und der Antragsteller durch eine Unterlassen eines entsprechenden Verwaltungsaktes in seinen Rechten verletzt ist (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO).21 Fraglich ist, ob er einen Anspruch auf Erlass einer bloß feststellenden Regelung hat. Dies ist wohl zu bejahen, wenn die Voraussetzungen einer Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO) vorliegen,22 also das Unternehmen während des Kontrollverfahrens den entstandenen Pflichtverstoß beseitigt hat und evtl. Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden können. Prozessual ist allerdings dann das Verhältnis von Verpflichtungsklage zur Feststellungsklage problematisch.23 a) Verletzung durch Pflichtverstoß (Nr. 2 Buchst. a)

27 Nach Buchst. a) muss die antragstellende Person „substantiiert geltend“ machen

„in einer geschützten Rechtsposition verletzt zu sein“ und dies „infolge der Nichterfüllung einer in den §§ 3 bis 9 enthaltenen Pflicht“.

28 Die geschützte Rechtsposition ergibt sich zwar nach § 2 Abs. 1 nur aus den in

Nr. 1 bis 11 der Anlage aufgelisteten Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte. Die „Verletzung einer menschenrechtsbezogenen Pflicht im Sinne

20 Für die h.M. vgl. Engel/Pfau in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 22 VwVfG Rz. 5; Ramsauer in Kopp/Ramsauer, § 22 Rz. 1; anders Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, § 22 Rz. 55 ff. jeweils m.w.N. 21 Vgl. auch unten Rz. 33 ff. 22 Vgl. dazu z.B. Glaser in Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 43 Rz. 74 ff.; Knauff in Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 113 VwGO Rz. 34 ff.; Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rz. 140 ff. 23 Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rz. 132 ff.

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Behördliches Tätigwerden; Verordnungsermächtigung | § 14

dieses Gesetzes“ wird jedoch in § 2 Abs. 4 (konkretisierend) als ein „Verstoß gegen ein in Absatz 2 Nummer 1 bis 12 genannten Verbot“ definiert. Die „Verletzung einer umweltbezogenen Pflicht“ wird als ein „Verstoß gegen ein in Absatz 3 Nummer 1-8 genanntes Verbot“ bestimmt. Da ein Drittes vom Gesetz nicht erfasst wird, sind auch dies beiden Definitionen hier zugrunde zu legen, denn die Pflichten aus §§ 3 bis 9 beziehen sich nicht nur auf Menschenrechte, sondern auch auf einen gebotenen Umweltschutz. Zum Personenkreis der befugten Antragsteller gehören zum einen Unterneh- 29 mens- und Lieferkettenbeschäftigte und zum andern von der Tätigkeit dieser Unternehmen und Lieferketten negativ Betroffene. Zu ersteren wird man zunächst die Personen zählen können, die als Beschäftigte von Lieferkettenunternehmen tätig sind bzw. waren bzw. die irgendwie als Subunternehmer oder Dienstleister Arbeitsbeiträge zur Tätigkeit oder Leistung eines Lieferkettenunternehmens erbracht haben. Die Begründung zum Regierungsentwurf24 nennt „Beschäftigte … des zu überprüfenden Unternehmens oder dessen unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferers“, bezieht Personen ein, die „nach den jeweils geltenden Gesetzen in Schwarzarbeit tätig sind, die Arbeitsverboten unterliegen oder Scheinselbstständige sind“, und zudem „auf eigene Rechnung tätige, schutzwürdige Personen, etwa Kleinbauern oder als Soloselbstständige oder im Familienverband Tätige“. Damit sind also „im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes und zur Vermeidung von dessen Umgehung“25 auch antragsberechtigt „faktische und mittelbar Beschäftigte“, die nicht Beschäftige eines selbständigen Zulieferunternehmens sind. Weiter gehören zum Personenkreis solche Personen, die von dem „wirtschaft- 30 lichen Handeln“ (§ 9 Abs. 1) von Lieferkettenunternehmen betroffen sein können. Dies kann beruhen auf negativen Umwelteinwirkungen, die auf einem Verstoß gegen umweltbezogene Pflichten beruhen. Die Begründung zum Regierungsentwurf26 nennt hier insbesondere Anwohnende, die etwa durch Umweltverschmutzungen in ihren durch dieses Gesetz geschützten Rechtspositionen verletzt werden. Ein alleiniger Verstoß gegen umweltschützende Vorschriften generell oder auch im örtlichen Lebensbereich der Person genügt nicht. Zum Personenkreis können auch Gewerkschaften gehören, soweit sie konkret in 31 sie schützende Menschenrechten verletzt werden oder werden können (inbes. Koalitionsfreiheit, § 2 Abs. 2 Nr. 6). Sie müssen dabei die Verletzung eigener Rechte geltend machen. Ihnen steht jedoch nur im Zivilprozess die besondere Prozessstandschaft zu Geltendmachung der Rechte eines Verletzten nach § 11 zu. Die Begründung des Regierungsentwurfs27 bezieht darüber hinaus auch ein „ju- 32 ristische Personen, Personenvereinigungen oder Gremien, sofern sie vom persönlichen Schutzbereich der Menschenrechte gemäß § 2 Absatz 1 erfasst sind“, und 24 25 26 27

BT-Drucks. 19/28649, 54. BT-Drucks. 19/28649, 54. BT-Drucks. 19/28649, 54. BT-Drucks. 19/28649, 54.

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§ 14 | Behördliches Tätigwerden; Verordnungsermächtigung nennt Gewerkschaften nur beispielhaft. Juristische Personen, Personenvereinigungen oder Gremien können insbesondere von Verstößen gegen Verbote nach § 2 Abs. 2 Nr. 10 betroffen sein, z.B. wenn einer Genossenschaft widerrechtlich Land oder Wald entzogen wird. 33 Hinsichtlich der substantiierten Geltendmachung heißt es in der Begründung

des Regierungsentwurfs:28

Eine Antragsbefugnis ist gegeben, wenn zumindest möglich oder nicht von vornherein auszuschließen ist, dass die Verletzung einer Rechtsposition infolge einer Sorgfaltspflichtverletzung gegeben ist oder eine solche Verletzung unmittelbar bevorsteht. Die antragstellende Person trägt hierfür die Darlegungslast. Der Zusatz „substantiiert“ stellt klar, dass die Möglichkeit der Rechtsverletzung oder ihres unmittelbaren Bevorstehens in dem nach etablierten Grundsätzen erforderlichen Maß geltend zu machen ist.

34 „Etablierte Grundsätze“ werden hier wohl abgeleitet aus den für das Verwal-

tungsgerichtsverfahren geltenden Anforderungen an die Klagebefugnis nach § 42 VwGO, die auch überwiegend für die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens nach § 22 VwVfG verlangt werden.29 Danach ist erforderlich, dass eine Rechtsverletzung nach dem Sachvortrag der antragstellenden Person möglich sein muss.30 An der Klagebefugnis soll es hingegen fehlen, wenn offensichtlich und eindeutig nach keine Betrachtungsweise subjektive Rechte des Klägers verletzt sein können.31 Richtigerweise wird allerdings danach differenziert, ob der tatsächliche Sachvortrag zutreffend ist und ob der Kläger sich auf eine Norm mit Schutznormcharakter stützen kann, wobei letzteres positiv festgestellt werden muss. Entsprechend ist deshalb auch hier zu fordern, dass der vorgetragene Sachverhalt nur möglich sein muss, sich die antragstellende Person aber auf eine positiv feststellbare geschützte Rechtsposition beruft.

35 Gestützt wird diese Interpretation durch Heranziehung der Kriterien der „sub-

stantiierten Kenntnis“ nach § 9 Abs. 3. Danach sind „tatsächliche Anhaltspunkte“ vorzutragen, „die eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht … möglich erscheinen lassen“.

36 Die geltende gemachte Rechtsgutverletzung muss also in einem Verstoß gegen

die §§ 3–9 liegen. Die antragstellende Person muss zum geschützten Personenkreis der menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Pflichten gehören. Das ist z.B. nicht der Fall, wenn die Tätigkeit der antragstellenden Person keinen (auch nur mittelbaren) Beitrag zur Tätigkeit des verpflichteten Unternehmens oder seiner Lieferkette erbringt, etwa wenn sie in einem Unternehmen 28 BT-Drucks. 19/28649, 54 f. 29 Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 22 Rz. 63 m.w.N. 30 Für die Klagebefugnis nach § 42 VwGO allgemeine Meinung BVerwG, Urt. v. 13.7.1973 – VII C 6/72, E 44, 1,3 weitere Nachweise bei Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rz. 107 mit Fn. 501. 31 BVerwG, Urt. v. 22.12.1980 – 7 C 84/78 E 61, 256, 262; Urt. v. 15.11.1985 – 8 C 43/83 E 72, 226, 229 weitere Nachweise bei Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rz. 107 mit Fn. 501.

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Behördliches Tätigwerden; Verordnungsermächtigung | § 14

tätig ist, das nicht zur Lieferkette gehört. Gleiches gilt, wenn der Antragsteller selbst nicht durch den Umweltverstoß verletzt wird oder werden kann. Zwischen der Rechtsgutverletzung und dem Handeln bzw. Unterlassen des Un- 37 ternehmens sowie seiner Lieferkette muss eine kausale Verknüpfung möglich sein (oder jedenfalls nicht ausgeschlossen sein). Nicht ausreichend ist es deshalb nach der Begründung des Regierungsentwurfs, „wenn die Betroffenheit in einer menschenrechtlich geschützten Rechtsposition offensichtlich nur zufällig mit einem Bezugspunkt zum Unternehmen oder seiner Lieferkette koinzidiert“.32 Dies ist z.B. zu verneinen bei einer Menschenrechtsverletzung, die nicht auf die Lieferkette des beschuldigten Unternehmens zurückzuführen ist, sondern auf die eines nicht in Deutschland ansässigen Unternehmens; weiter, wenn behauptete Umweltverstöße offensichtlich nicht auf das verantwortliche Unternehmen und seiner Lieferkette zurückzuführen sind. Das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung muss nach dem Sachvortrag der 38 antragstellenden Person möglich sein, darf also nicht offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen sein. Die Begründung des Regierungsentwurfs33 führt hierzu aus: Hinsichtlich Abs. 1 Nr. 2 ist im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes zu beachten, dass es den Betroffenen oft nicht oder nur sehr schwer möglich sein wird, die Sorgfaltspflichtverletzung anhand unternehmensinterner Vorgänge und Informationen, zu denen sie keinen Zugang haben, darzulegen. Daher muss es in aller Regel ausreichen, wenn ein gewisser Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens und der geltend gemachten Rechtsverletzung besteht oder zumindest möglich erscheint. Für ein Antragsrecht reicht demnach nicht aus, wenn die Betroffenheit in einer menschenrechtlich geschützten Rechtsposition offensichtlich nur zufällig mit einem Bezugspunkt zum Unternehmen oder seiner Lieferkette koinzidiert. Dem gegenübergestellt kann die Darlegung der Sorgfaltspflichtverletzung als solche nicht Voraussetzung für ein Antragsrecht sein. Das Antragsrecht bezweckt gerade, das Vorliegen der Sorgfaltspflichtverletzung durch die Behörde im Wege der Amtsermittlung untersuchen zu lassen.

Fraglich ist, ob es genügt, wenn das verpflichtete Unternehmen nicht benannt 39 werden kann, aber es möglich oder wahrscheinlich erscheint, dass überhaupt ein dem LkSG unterliegendes Unternehmen als Endabnehmer verantwortlich ist. Anders gesagt: genügt es, Verletzung plus Verletzten zu bezeichnen, aber die Aufklärung des Verletzers der Behörde zu überlassen? Man wird dies als nicht ausreichend substantiiert ansehen müssen. Hier bleibt es bei der Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen nach Nr. 1. Es genügt jedoch für eine Substantiierung, wenn Anhaltspunkte genannt werden, dass bestimmte Unternehmen oder Beteiligte in deren Lieferkette Verletzungen verursacht haben und es möglich ist, dass dies auch aufgrund von Sorgfaltspflichtverstößen geschehen ist. Ob tatsächlich Sorgfaltspflichtverstöße bestanden und kausal waren, ist eine Frage der Ermittlung im eingeleiteten Kontrollverfahren. 32 BT-Drucks. 19/28649, 54. 33 BT-Drucks. 19/28649, 54.

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§ 14 | Behördliches Tätigwerden; Verordnungsermächtigung b) Unmittelbar bevorstehende Verletzung (Nr. 2 Buchst. b) 40 Ein Anspruch auf Durchführung eines Kontrollverfahrens mit abschließender

Anordnung oder Maßnahme besteht nicht erst, wenn eine Verletzung eingetreten ist, sondern auch wenn sie unmittelbar bevorsteht. Hier gebietet die Unmittelbarkeit auch ein kurzfristiges Tätigwerden der Behörde. Unmittelbar bevorstehend ist ein Pflichtverstoß, der zeitlich kurzfristig zu einer Verletzung der antragstellenden Person führen kann. Z.B. ein Verstoß gegen umweltschützende Pflichten (z.B. nach § 2 Abs. 3 Nr. 4), der sich über die Umwelt auf die Gesundheit der antragstellenden Person auswirken kann oder gegen menschenrechtliche Pflichten zum Arbeitsschutz (§ 2 Abs. 2 Nr. 5) oder zum menschenrechtlichen Umweltschutz (§ 2 Abs. 2 Nr. 9), der kurzfristig zu Gesundheitsschäden führen kann. Die bereits zeitlich festgesetzte Zwangsräumung (§ 2 Abs. 2 Nr. 10) ist ein weiteres Beispiel.

41 Erlassen werden können Anordnungen zur „Verhinderung“ einer Verletzung.

Auch dies sind gerichtet auf Handlungen oder Unterlassungen durch das verpflichtete Unternehmen oder dessen Lieferkette. Sie werden in der Regel verbunden mit der Anordnung des Sofortvollzuges und evtl. bereit mit der Androhung einer Vollstreckungsmaßnahme. Vorläufige Regelungen können angebracht sein (vgl. die Kommentierung zu § 15 Rz. 9). Soweit es um das Verhalten der Lieferkette geht, beziehen sich die angeordneten Verhinderungen auf Abhilfemaßnahmen des verpflichteten Unternehmens gegenüber unmittelbaren Zulieferern (§ 7) bzw. Maßnahmen nach § 9 gegenüber mittelbaren Zulieferern, wobei die Möglichkeiten der erfolgreichen Verhinderung unmittelbar bevorstehender Verletzungen umso geringer sind, je mittelbarer die Lieferkette ist. Nach Nr. 2 Buchst. b eingeleitete Verfahren werden dann nach Buchst. a oder Nr. 1 weitergeführt.

III. Verordnungsermächtigung (Abs. 2) 42 Adressat der Verordnungsermächtigung ist das Bundesministerium für Arbeit

und Soziales. Dieses muss im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie tätig werden, d.h. ohne dessen Zustimmung kann keine Verordnung erlassen werden. Die Verordnung bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates, was gem. Art. 80 Abs. 2 GG im Einklang mit der mangelnden Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes steht, das insoweit auf die konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 (Bürgerliches Recht) und Nr. 11 (Recht der Wirtschaft) gestützt ist.34

43 Reglungsinhalt einer Verordnung ist das „Verfahren der risikobasierten Kon-

trolle nach Absatz 1 und den §§ 15 bis 17“. Zunächst kann das Verwaltungsverfahren, das in § 14 Abs. 1 (behördliches Tätigwerden von Amt wegen nach pflichtgemäßem Ermessen oder auf Antrag) teilweise geregelt ist, konkretisiert werden, was nur dann sinnvoll ist, wenn die ansonsten geltenden Bestimmun34 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 24.

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gen des VwVfG unzureichend sind und anderer Regelungen oder der Ergänzung bedürfen. Hierzu gehören evtl. besondere Vorschriften über Beweismittel, die § 26 VwVfG ergänzen, eine öffentliche Anhörung, die über die Anhörung Beteiligter nach § 28 VwVfG hinausgeht, oder ein ergänzendes „Beschwerdeverfahren bei der zuständigen Behörde“, um frühzeitig über Risiken informiert zu werden. Auch das pflichtgemäße Ermessen kann für bestimmte Fälle eingeschränkt bzw. konkretisiert werden, in welchen Fällen und wie einzuschreiten ist. Zudem können die Kontrollziele und Eingriffsermächtigungen, die neben der 44 Verwaltungsaktsbefugnis nach § 15 S. 1 in den genannten Bestimmungen genannt sind, konkretisiert und ergänzt werden. Ob durch Verordnung auch der Informationsaustauch mit anderen deutschen 45 sowie europäischen und außereuropäischen Behörden geregelt werden kann, die über die Regelungen der Amtshilfe (§§ 4–8 VwVfG) und der Europäischen Verwaltungszusammenarbeit (§§ 8a–8e VwVfG) hinausgehen, ist fraglich. Möglicherweise bedarf es einer Regelung im Gesetz selbst wie z.B. in §§ 50a–50f GWB. Die Verordnung kann einheitlich auch Vorgaben nach der Rechtsverordnungs- 46 ermächtigung in § 13 Abs. 3 enthalten.

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§ 15 Anordnungen und Maßnahmen Die zuständige Behörde trifft die geeigneten und erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen, um Verstöße gegen die Pflichten nach den §§ 3 bis 10 Absatz 1 festzustellen, zu beseitigen und zu verhindern. Sie kann insbesondere 1. Personen laden, 2. dem Unternehmen aufgeben, innerhalb von drei Monaten ab Bekanntgabe der Anordnung einen Plan zur Behebung der Missstände einschließlich klarer Zeitangaben zu dessen Umsetzung vorzulegen und 3. dem Unternehmen konkrete Handlungen zur Erfüllung seiner Pflichten aufgeben. I. Regelungsgegenstand . . . . . II. Anordnung oder Maßnahme (Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . III. Befugnisbeispiele (Satz 2) . . 1. Ladung von Personen (Nr. 1)

.. .. .. ..

_ ___ 1

2 13 14

2. Vorlage eines Abhilfeplanes (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufgabe konkreter Handlungen (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

_ _ 20 23

I. Regelungsgegenstand 1 § 15 steht im Abschnitt 4 des Gesetzes, der die „Behördliche Kontrolle und

Durchsetzung“ betrifft. Im Rahmen der in Unterabschnitt II geregelten „Risikiobasierten Kontrolle“ legt § 15 Einzelbefugnisse der zuständigen Behörde zur Durchsetzung (Feststellung Beseitigung Verhinderung) der „Pflichten nach den §§ 3 bis 10 Abs. 1“ durch „Anordnungen und Maßnahmen“ fest, durch welche die Befugnisse nach § 14 Abs. 2 und § 16 und die Pflichten der Unternehmen nach § 17 und § 18 im Einzelfall konkretisiert werden können. Durch Verordnung nach § 14 Abs. 3 können das „Verfahren der risikobasierten Kontrolle“ und damit auch diese Befugnisse näher geregelt werden.

II. Anordnung oder Maßnahme (Satz 1) 2 § 15 enthält, vereinfacht gesagt, die Verwaltungsaktsbefugnis1 zur Durchsetzung

der anderweitig im LkSG geregelten Unternehmenspflichten. „Anordnungen“ und „Maßnahmen“ sind Synonyme für Verwaltungsakte nach § 35 VwVfG.2 1 Aus der Rspr. des BVerwG vgl. z.B. BVerwGE 21, 270, 272; 18, 283, 285; 139, 125 = NJW 2013, 405. Vgl. weiter Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 35 Rz. 23; U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rz. 25; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 44 Rz. 55 ff.; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 10 Rz. 29. 2 U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rz. 69; Knauff in Schoch/ Schneider, VwVfG, Werkstand Juli 2020, § 35 Rz. 47.

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Anordnungen und Maßnahmen | § 15

Generell nur von „Maßnahmen“ sprechen die Polizeigesetze der Länder in den allgemeinen Befugnisnormen3 und etwa § 52 Abs. 1 BImSchG bei der Überwachung durch die zuständigen Behörden. Der Begriff „Anordnungen“ allein wird demgegenüber noch in einigen Umweltgesetzen verwendet (§ 23 ChemG, § 62 KrWG) oder im VwVG, gilt aber eher als veraltet.4 In § 35 VwVfG wird die hoheitliche Maßnahme als Oberbegriff verwendet („Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme“). Die Anordnung oder Maßnahme ist also ein Verwaltungsakt der zuständigen Behörde. Nachfolgend wird deshalb der Vereinfachung halber meist von „Maßnahme“ gesprochen. Der Erlass einer Maßnahme erfolgt in einem Verwaltungsverfahren nach § 9 3 VwVfG5. Die Bestimmungen des VwVfG finden Anwendung, soweit das LkSG keine Spezialvorschriften enthält, wie z.B. § 14 Abs. 1. Das nach § 14 LkSG eingeleitete Kontrollverfahren ist also ein solches Verwaltungsverfahren, das (ganz oder teilweise, vorläufig oder endgültig) durch Anordnungen oder Maßnahmen nach § 15 LkSG abgeschlossen wird. Die zu treffenden Maßnahmen müssen nach Satz 1 geeignet und erforderlich 4 sein, um das Ziel der Maßnahme zu erreichen. Eine Maßnahme ist geeignet, wenn sie den erstrebten Erfolg überhaupt zu erreichen vermag Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn nicht andere gleich geeignete Mittel zur Verfügung stehen, die den Betroffenen weniger beeinträchtigen. Die Maßnahme muss auch angemessen oder verhältnismäßig im engeren Sinne sein, d.h. sie darf nicht außer Verhältnis zum erstrebten Erfolg sein. Die Beachtlichkeit der Angemessenheit folgt aus dem stets anzuwendenden rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgebot.6 Zuständige Behörde zum Erlass von Verwaltungsakten nach dem LkSG ist gem. 5 § 19 Abs. 1 S. 1 das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Als Regelungsinhalt oder -ziel einer Maßnahme nennt die Vorschrift die Fest- 6 stellung, Beseitigung oder Verhinderung von Pflichtverstößen nach §§ 3 bis 9. Damit sind wohl alle denkbaren Regelungsziele einer Maßnahme nach § 15 erfasst. Sie beziehen sich auf Feststellung vergangener oder bestehender Verstöße, die Beseitigung erfolgter und noch andauernder Verstöße sowie auf die Verhinderung noch nicht erfolgter aber drohender Verstöße. Die möglichen Regelungsinhalte werden beispielhaft („insbesondere“) durch Satz 2 ergänzt (s. unten Rz. 13 f.), wobei S. 2 Nr. 3 den umfangreichsten Anwendungsbereich hat, indem dort Handlungen zur Erfüllung der Pflichten genannt werden. Zu nennen sind zudem Maßnahmen zur Durchsetzung der in § 16 geregelten Befugnisse der zu3 § 8 PolG NRW; Art. 11 PAG Bay; § 3 PolG BW; § 9 POG RP. 4 U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rz. 69 mit Hinweis auf die Definition in einer Vorläuferregelung zu § 35 VwVfG. 5 Für das ordnungswidrigkeitsrechliche Verfahren durch das BAFA gilt gem. § 46 OWiG die StPO. 6 Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Voraussetzung der materiellen Rechtmäßigkeit eines VA Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht 19. Aufl. 2017 § 10 Rz. 50 f.

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§ 15 | Anordnungen und Maßnahmen ständigen Behörde sowie der Auskunfts- und Herausgabepflichten nach § 17 sowie der Duldungs- und Mitwirkungspflichten nach § 18 und die Durchsetzung der Berichtspflicht in § 13 Abs. 2 geregelt. Diese Maßnahmen sind, wenn sie verbindlich und damit durch Verwaltungsakt geregelt werden sollen, zusätzlich auf § 15 S. 1 zu stützen. 7 Die Feststellung hat zum einen Relevanz als verbindliche Feststellung für ein

nachfolgendes Bußgeldverfahren nach § 24 wie auch in Fällen, in denen erwartet werden kann, dass die festgestellten Verstöße vom verpflichteten Unternehmen unmittelbar abgestellt werden.7 Sie ist nicht vollstreckbar, insbesondere nicht mit Zwangsgeld nach § 23, da sie nicht gem. § 6 Abs. 1 VwVG auf die „Herausgabe einer Sache oder auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist“.

8 Bzgl. der Form der Maßnahmen ist mangels Regelung im LskG auf § 37 Abs. 2–

4 VwVfG zu verweisen. Der VA kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise ergehen.

9 Zulässig sind vorläufige Anordnungen, also Regelungen, die ausdrücklich als

vorläufig bezeichnet werden, wenn die Sachlage noch nicht vollständig geklärt ist und die Regelungen deshalb kurzfristig überprüft, (zu einer endgültigen Regelung) angepasst oder wieder aufgehoben werden.

10 Die Anordnung des Sofortvollzugs ist unter den Voraussetzungen des § 80

Abs. 2 Nr. 4 VwGO zulässig „in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird“.

11 Soweit dies im Rahmen des § 14 Abs. 1 zulässig ist, kann die Behörde auch

durch öffentlich-rechtlichen Vertrag (§ 54 ff. VwVfG) tätig werden, weil es dafür keiner normativen Eingriffsbefugnis bedarf. Dies gilt insbesondere bei Einigkeit zwischen zuständiger Behörde und verpflichtetem Unternehmen über die ermittelten Tatsachen und Abhilfemaßnahmen.

12 Rechtsschutz des verpflichteten Unternehmens gegenüber Maßnahmen sind

Widerspruch und Anfechtungsklage, bzw. bei angeordnetem Sofortvollzug der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Behörde (§ 80 Abs. 4 VwGO) oder auf gerichtliche Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 VwGO). Als Rechtsschutz antragstellender Personen kommt weiter in Betracht ein Antrag auf einstweilige Anordnung zum Erlass von Maßnahmen nach § 123 VwGO oder Widerspruch und Verpflichtungsklage zur Durchsetzung der Rechte nach § 14 Abs. 1 Nr. 2.8

7 Für die Feststellung wird hier also eine gesetzliche Grundlage gegeben. Zum Erfordernis vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 35 Rz. 24. 8 Vgl. auch § 14 Rz. 26.

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Anordnungen und Maßnahmen | § 15

III. Befugnisbeispiele (Satz 2) Satz 2 gibt Beispiele für Maßnahmen nach Satz 1, wie das Wort „insbesondere“ 13 zeigt. Andere und von den Beispielen abweichende Regelungsinhalte sind danach grundsätzlich zulässig (vgl. oben Rz. 6). Die Anordnung dieser Pflichten kann mit einer Androhung nach § 13 VwVG verbunden und vollstreckt werden. 1. Ladung von Personen (Nr. 1) Die zuständige Behörde kann nach Nr. 1 Personen laden. Gemeint sind hier na- 14 türliche Personen und nicht juristische Personen. Anders als in den Nr. 2 und 3 können diese Anordnungen also nicht nur gegenüber dem Unternehmen ergehen. Die Personen müssen auch nicht Mitarbeiter oder Vertreter des Unternehmens sein. Zweck einer Ladung kann nur die in Satz 1 genannte Feststellung, Beseitigung 15 oder Verhinderung von Verstößen sein. Die Ladung oder das Erscheinen der Person selbst führt noch nicht zur Zielerreichung, sondern dazu muss die unmittelbare Kommunikation mit der geladenen Person selbst erforderlich sein, die der Sachverhaltsaufklärung dient. Es handelt sich also um eine Vorschrift, die das Verwaltungsverfahren betrifft. Die Vorschriften über das Verwaltungsverfahren finden deshalb Anwendung (insb. §§ 24, 26 VwVfG). Die Vorschrift ist wohl im Zusammenhang mit § 26 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 3, 16 Abs. 3 S. 1 VwVfG zu sehen, wonach Beteiligte angehört werden können und Zeugen und Sachverständige vernommen werden können. Eine Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen bzw. zur Aussage dieser Personengruppen besteht nach diesen Bestimmungen nur, wenn dies durch Rechtsvorschrift vorgesehen ist. Allerdings bleibt S. 1 dahinter zurück, da es nur die Ladung betrifft. Eine solche Maßnahme kann allerdings vollstreckt werden, wenn der Adressat der 17 Ladung nicht Folge leistet.9 Bei der Ladung kann die Vollstreckung bereits nach § 13 VwVG angedroht werden.10 Auch insofern gilt die Zwangsgeldvorschrift des § 23 neben dem allgemeinen Verwaltungsvollstreckungsrecht des Bundes. Ob die erschienene geladene Person aussagepflichtig ist, richtet sich nach den 18 Auskunftspflichten einschließlich der Auskunftsverweigerungsrechte gem. § 17 Abs. 3. In der Ladung kann die geladene Person bereits auf ihre Auskunftspflichten hingewiesen werden und ein Zwangsgeld auch für den Fall unberechtigter Aussageverweigerung angedroht werden. Möglicherweise gehen die verwaltungsrechtlichen Befugnisse weiter als die der Verwertung im nachfolgenden 9 Vgl. für das Bußgeldverfahren § 46 Abs. 5 S. 1 OWiG: „Die Anordnung der Vorführung des Betroffenen und der Zeugen, die einer Ladung nicht nachkommen, bleibt dem Richter vorbehalten.“ 10 Hier gelten dann auch die Besonderheiten nach § 13 Abs. 7 VwVG: „Die Androhung ist zuzustellen. Dies gilt auch dann, wenn sie mit dem zugrundeliegenden Verwaltungsakt verbunden ist und für ihn keine Zustellung vorgeschrieben ist.“

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§ 15 | Anordnungen und Maßnahmen oder parallelen Ordnungswidrigkeitsrecht. Der Verwertung von Informationen kann im Ordnungswidrigkeitsrecht das „Verbot der Rollenvertauschung“11 entgegenstehen, d.h. im Verwaltungsverfahren zwangsweise gewonnene Informationen dürfen im Ordnungswidrigkeitsrecht nicht verwertet werden.12 19 Die Ladung muss angeben, wann die geladene Person wo zu erscheinen hat. In

der Regel wird letzteres der Sitz der zuständigen Behörde sein.

2. Vorlage eines Abhilfeplanes (Nr. 2) 20 Die zuständige Behörde kann die Vorlage eines Abhilfeplanes verlangen. Damit

wird an die Pflichten der Unternehmen nach § 7 angeknüpft, in dem die notwendigen Abhilfemaßnahmen bei der Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht einschließlich eines Zeitplanes vorgegeben werden. Der Plan wird hier als „Plan zur Behebung der Missstände“ bezeichnet, was aber inhaltlich nichts Anderes darstellen dürfte. Konkrete Inhalte des Planes können festgesetzt werden. Wenn man dies nicht bereits aus Nr. 2 folgert, da danach Missstände benannt werden können, ergibt sich dies ergänzend aus Nr. 3.

21 Die Vorlage eines Abhilfeplanes soll innerhalb eines Zeitraumes von „drei Mo-

naten ab Bekanntgabe der Anordnung“ verlangt werden. Damit dürfte lediglich ein Regelzeitrahmen festgelegt werden. Kürzere oder längere Fristen sind zulässig, je nach Dringlichkeit oder Verhältnismäßigkeitsgründen.

22 Zwar deutet der Wortlaut darauf, dass das verpflichtete Unternehmen „klare

Zeitangaben“ zur Umsetzung des Planes zu machen hat. Solche Zeitvorgaben für die Umsetzung des vorzulegenden Planes können jedoch schon behördlicherseits in der Plananordnung gemacht werden, was bereits daraus folgt, dass auch dieser Anordnungsinhalt nur beispielhaft genannt wird.

3. Aufgabe konkreter Handlungen (Nr. 3) 23 Nr. 3 hat den breitesten Anwendungsbereich. Während die Behörde nach S. 2

einen Plan des Unternehmens zur Konkretisierung bestimmter Abhilfemaßnahmen binnen einer Zeitfrist verlangen kann, erlaubt Nr. 3 der zuständigen Behörde dem verpflichteten Unternehmen – allein oder zusätzlich zur Planvorlage – konkrete Handlungen zur Erfüllung aller Pflichten nach den §§ 3 bis 10 Abs. 1 aufzugeben, aber auch zur Durchsetzung der weiteren Pflichten nach §§ 16–18, da auch diese der Durchsetzung der §§ 3 bis 10 Abs. 1 dienen.

11 Zurückgehend auf Peters, Strafprozess, 4. Aufl. 1985 S. 344 ff. 12 Seibt/Vesper-Gräske, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erweitert Compliance-Pflichten CB 2021, 357, 362. Vgl. dazu die Diskussion bzgl. der BaFin bei Gehrmann in Wabnitz/ Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts-und Steuerstrafrecht, 5. Aufl. 2020, 11. Kap. Rz. 212, 224; Böse/Jansen in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 5. Aufl. 2020, § 121 WpHG Rz. 2; Eggers in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 5. Aufl. 2019, Kap. 3 Rz. 16; Hessischer VGH v. 7.8.2013 – 6 B 583/13, BeckRS 2015, 49367, Rz. 22 ff.

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Anordnungen und Maßnahmen | § 15

Konkretheit bedeutet ausreichende Bestimmtheit des Verwaltungsaktes nach 24 allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsverfahrensrechts (§ 37 VwVfG) im Hinblick auf den Adressaten (natürliche Person, Unternehmen) oder die getroffen Regelung, die hier in einer Feststellung der Rechtslage oder des Bestehens bestimmter Pflichten oder einer Verpflichtung zum Handeln, Dulden oder Unterlassen, nämlich zur Beseitigung oder Verhinderung von Verstößen bestehen kann.13 Anordnungsbeispiele nach Nr. 3 25 Feststellende oder verpflichtende Regelungen können sich beziehen auf: – Risikomanagement (§ 4) – Risikoanalyse (§ 5) – Prävention (§ 6) – Abhilfemaßnahmen (§ 7), z.B. temporäre Aussetzung der Geschäftsbeziehung (§ 7 Abs. 2); – Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens (§ 8) – Ergänzung des Beschwerdeverfahrens (§ 9 Abs. 1) – Anpassung des Risikomanagements (§ 9 Abs. 2, 3) – Erstellung, Aufbewahrung und Veröffentlichung des Berichts (§ 10) – konkrete Verpflichtung, Betriebsräume usw. durch bestimmte Personen, vorrangig Mitarbeiter der zuständigen Behörde nach § 16 betreten zu lassen bzw. eine Betretung zu dulden; – Verpflichtung, bestimmte Auskünfte nach § 17 zu erteilen bzw. bestimmte Unterlagen herauszugeben; bestimmte Maßnahmen der zuständigen Behörde und ihrer Beauftragten gem. § 18 zu dulden und daran mitzuwirken.

13 Vgl. dazu U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018 § 37 Rz. 31 ff.

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§ 16 Betretensrechte Soweit dies zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 14 erforderlich ist, sind die zuständige Behörde und ihre Beauftragten befugt, 1. Betriebsgrundstücke, Geschäftsräume und Wirtschaftsgebäude der Unternehmen während der üblichen Geschäfts- oder Betriebszeiten zu betreten und zu besichtigen sowie 2. bei Unternehmen während der üblichen Geschäfts- oder Betriebszeiten geschäftliche Unterlagen und Aufzeichnungen, aus denen sich ableiten lässt, ob die Sorgfaltspflichten nach den §§ 3 bis 10 Absatz 1 eingehalten wurden, einzusehen und zu prüfen. I. Regelungsgegenstand, Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Berechtigte . . . . . . . . . . . . . . . III. Verpflichtete . . . . . . . . . . . . . . IV. Konkretisierung, Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Betreten und Besichtigen von Betriebsgrundstücken, Geschäftsräumen und Wirtschaftsgebäuden der Unternehmen (Nr. 1) . . . . .

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VI. Einsehen und Prüfen von Unterlagen und Aufzeichnungen (Nr. 2)

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I. Regelungsgegenstand, Allgemeines 1 § 16 enthält für die zuständige Behörde und ihre Beauftragten die Ermächtigungs-

grundlage zum Betreten und Besichtigen von Betriebsgrundstücken, Geschäftsräumen und Wirtschaftsgebäuden der Unternehmen und (über die Überschrift hinaus) zum Einsehen und Prüfen von geschäftlichen Unterlagen und Aufzeichnungen der Unternehmen im Hinblick auf die Sorgfaltspflichten nach den §§ 3 bis 10 Abs. 1 LkSG. Die Befugnis besteht nur, sofern dies zur Wahrnehmung der behördlichen Aufgaben (und Befugnisse) nach § 14 erforderlich ist. Modell für die Vorschrift war wohl insbesondere § 29 Abs. 2 GewO.1

2 Grundrechtliche Freiheitsrechte der Unternehmen (Berufsfreiheit Art. 12 GG,

Eigentum Art. 14 GG, informationelle Selbstbestimmung Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 GG) werden durch die hier festgelegten behördlichen Befugnisse eingeschränkt bzw. bestimmt. Zwar unterliegen auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume dem Begriff „Wohnung“ in Art. 13 Abs. 1 GG,2 bei Kontrollen innerhalb der üblichen Geschäftszeiten liegt aber kein Eingriff in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung vor; die Ausübung des Betretungsrechts ist vielmehr an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen und unterliegt daher vor allem 1 Vgl. weitere ähnliche Vorschriften § 25 HwO, § 21 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, 2 ChemG, § 25 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 3, S. 4 GenTG; § 69 EnWG; § 59 GWB a.F. 2 BVerfG Beschl. v. 13.10.1971 – 1 BvR 280/66, BVerfGE 32, 54, 69 ff.; Hermes in Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 13 Rz. 24 f.; Papier in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 95. EL Juli 2021, Art 13 Rz. 10, 13.

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Betretensrechte | § 16

den verfahrensmäßigen und materiellen Bindungen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.3 Die gesetzliche Betretens-, Einsicht- und Prüfungsbefugnis wird ergänzt durch 3 die Auskunfts- und Herausgabepflichten in § 17 und gesetzliche Duldungs- und Mitwirkungspflicht des Unternehmens in § 18 wobei in anderen Bereichen, wie z.B. in § 29 Abs. 2 GewO, § 52 Abs. 2 S. 1 BImSchG, § 59 GWB a.F. oder § 69 EnWG, diese Regelungen zusammen in einer Vorschrift getroffen werden. Die Mitwirkungspflicht des § 18 ist besonders relevant für die Anwendung des § 16, die über das bloße passive Dulden des Betretens, Besichtigen und Prüfen auch z.B. das Öffnen und Bereitstellen von Objekten umfasst (s. § 18 Rz. 4 ff.). Grundsätzlich sind die Maßnahmen nach § 16 und § 17 zwar gleichrangig.4 Aus 4 Verhältnismäßigkeitsgründen kann ein Auskunfts- und Herausgabeverlangen gegenüber den stärker belastenden Betretensrechten jedoch vorrangig auszuüben sein.5 Die Auswahl des jeweiligen Maßnahme ist gegenüber dem Adressaten zu begründen, um ihm die Möglichkeit zu geben, weniger belastende Alternativen anzubieten.6 (vgl. weiter § 17 Rz. 6) Während sich Einsichtnahme und Prüfung nach § 16 sowie die Herausgabe 5 nach § 17 auf vorhandene Unterlagen und Aufzeichnungen bezieht, können sich Auskünfte nach § 17 auch auf nicht schriftlich fixierte Informationen beziehen.

3 BVerfG Beschl. v. 13.10.1971 – 1 BvR 280/66, BVerfGE 32, 54 (75 ff.); Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 143 ff.; Hermes in Dreier GG, 3. Aufl. 2018, Art. 13 Rz. 114; Papier in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 95. EL Juli 2021, Art. 13 Rz. 15 und die Darstellung zur Modellvorschrift des § 29 Abs. 2 GewO bei Winkler in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 29 Rz. 28–30. Es liegt deshalb auch kein Verstoß gegen das Zitiergebot nach Art. 13 GG vor. Vgl. dazu aber z.B. die Gesetzesfassung des § 25 Abs. 2 HwO: Die Beauftragten der Handwerkskammer sind nach Maßgabe des § 29 Abs. 2 der Gewerbeordnung befugt, zu dem in Abs. 1 bezeichneten Zweck Grundstücke und Geschäftsräume des Auskunftspflichtigen zu betreten und dort Prüfungen und Besichtigungen vorzunehmen. Der Auskunftspflichtige hat diese Maßnahmen zu dulden. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. § 29 Abs. 2 GewO: Die Beauftragten sind befugt, zum Zwecke der Überwachung Grundstücke und Geschäftsräume des Betroffenen während der üblichen Geschäftszeit zu betreten, dort Prüfungen und Besichtigungen vorzunehmen, sich die geschäftlichen Unterlagen vorlegen zu lassen und in diese Einsicht zu nehmen. Zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung können die Grundstücke und Geschäftsräume tagsüber auch außerhalb der in Satz 1 genannten Zeit sowie tagsüber auch dann betreten werden, wenn sie zugleich Wohnzwecken des Betroffenen dienen; das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. 4 Vgl. für das Kartellrecht Bechtold/Bosch, 10. Aufl. 2021, GWB § 59 Rz. 2. 5 Vgl. für das Kartellrecht Bechtold/Bosch, 10. Aufl. 2021, GWB § 59 Rz. 2. 6 Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 186.

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§ 16 | Betretensrechte 6 Die Norm enthält keine Verwaltungsaktsbefugnis. Die zuständige Behörde muss

die Durchsetzung der eingeräumten Rechte durch Verwaltungsakt zusätzlich auf § 15 S. 1 stützen. § 16 ergänzt gewissermaßen § 15 S. 2.

7 Die Norm ist nicht anwendbar im Ordnungswidrigkeitsverfahren.7

II. Berechtigte 8 Berechtigt aus § 16 sind die zuständige Behörde nach § 19 und „ihre Beauftragten“. 9 Die zuständige Behörde handelt durch ihre Mitarbeiter oder Angehörigen.8 Das

sind solche, die dauernd und vollständig in der Behörde beschäftigt sind,9 gleich ob sie Beamte oder Angestellte sind. Fraglich ist, ob es auf die organisatorische Zuordnung der Personen innerhalb der Behörde auf die für das LkSG zuständige Einheit ankommt, da dies in der Regel für die erforderliche Sachkunde entscheidend ist. Dies bei einer großen Behörde mit vielfach unterschiedliche Aufgaben anzunehmen. Entscheidend ist also, ob die Beamten und Angestellten generell oder im Einzelfall mit Aufgaben nach dem LkSG oder den darauf gestützten Rechtsverordnungen betraut sind.10

10 Beauftrage sind solche (natürliche) Personen, die nicht Mitarbeiter/Angehörige

der zuständigen Behörde sind, aber von dieser zur Wahrnehmung der in § 16 beschriebenen Handlungen öffentlich-rechtlich beauftragt wurden. Das können Bedienstete anderer Behörden sein, die im Wege der Amtshilfe nach § 4 VwVfG tätig werden oder Privatpersonen, die aufgrund eines zivilrechtlichen Vertrages die öffentlich-rechtliche Beauftragung übernehmen.11 Privaten wird diese Rechtsmacht durch Verwaltungsakt übertragen. Sie handeln als Beliehene12 (wobei es 7 Vgl. auch Turiaux in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, § 69 EnWG Rz. 2. Vgl. z.B. für § 59 GWB Bechtold/Bosch, 10. Aufl. 2021, GWB § 59 Rz. 2 unter Hinweis auf altes Recht, da mittlerweile § 59 GWB gem. § 82b GWB ausdrücklich auch im Bußgeldverfahren gilt und damit auch die Frage von Verwertungsverboten für die im Verwaltungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse erledigt ist. 8 So ausdrücklich § 52 Abs. 2, 3 BImSchG. 9 Dederer in Kotulla, BImSchG, Stand Dezember 2009, § 52 Rz. 61; Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 29; enger Spindler in Feldhaus Bundesimmissionsschutzrecht, Band 1, Teil II, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 22. 10 So die überwiegende Meinung im Immissionsschutzrecht: Jarass, BimSchG, 13. Aufl. 2020, § 52 Rz. 33; Schwerdtner in Giesberts/Reinhardt BImSchG 60. Edition, Stand: 1.10.2020, § 52 Rz. 9a; Scheidler, WiVerw, 2010, 177, 235; Spindler in Feldhaus Bundesimmissionsschutzrecht § 52 Rz. 22; Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. III, Stand Juli 2017 § 52 BImSchG Rz. 64; a.A. Dederer in Kotulla, BImSchG, Stand Dezember 2009, § 52 Rz. 61. 11 Vgl. Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 30; Scherzberg, NVwZ 2006, 377, 381. 12 Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. III, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 47; Spindler in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Band 1, Teil II, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 23; Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 75; VGH München, Urt. v. 29.1.2018 – 22 BV 16.2046 – juris Rz. 75.

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sich allerdings nicht um eine Dauerbeleihung handeln darf),13 da ihnen eigene öffentlich-rechtliche Befugnisse gegenüber Dritten eingeräumt werden.14 Diese Beleihungsermächtigung ist implizit in § 16 enthalten.15 Eine Anfechtung der Beauftragung durch ein kontrolliertes Unternehmen ist mangels drittschützender Normen nicht möglich.16

III. Verpflichtete Verpflichtet zur Duldung der behördlichen Maßnahmen nach § 16 sind Unter- 11 nehmen i.S.v. § 1. Zum Begriff des Unternehmens gehören auch inländische Zweigniederlassun- 12 gen i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 2 und damit auch deren Grundstücke, Geschäftsräume und Wirtschaftsgebäude. Fraglich ist, ob zum Begriff des Unternehmens auch verbundene Unternehmen 13 i.S.v. § 2 Abs. 6 S. 2 gehören und auch deren Betriebsgrundstücken, Geschäftsräumen und Wirtschaftsgebäuden betreten und besichtigt werden dürfen. Man könnte das unter Berücksichtigung des insofern erweiterten „eigenen Geschäftsbereichs“ des Unternehmens als noch vom Wortlaut gedeckt ansehen. Allerdings spricht dagegen, dass der Gesetzgeber anders als in § 17 und in anderen Gesetzen, wie z.B. § 69 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EnWG, die Befugnisse nach § 16 nicht auf verbundene Unternehmen erstreckt hat, was auch vor dem Hintergrund der grundrechtsrelevanten Wirkung gegen eine Einbeziehung spricht. Entsprechendes gilt für Zulieferer.

IV. Konkretisierung, Erforderlichkeit Die Verpflichtungen nach § 16 werden durch ein Zutritts- und Einsichtsver- 14 langen ausgelöst, mit dem auch die betreffenden Objekte näher spezifiziert wer13 Vgl. für das Immissionsschutzrecht zur Unstatthaftigkeit einer generellen und dauerhaften Übertragung der Anlagenüberwachung als solcher auf Dritte Bay. VGH, Urt. v. 12.3.2010 – 22 BV 09.1600, NVwZ-RR 2010, 746, 747; Spindler in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Band 1, Teil II, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 35; Dederer in Kotulla, BImSchG, Stand 23. Aktualisierung 2019, § 52 Rz. 64. 14 Spindler in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Band 1, Teil II, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 23; Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. III, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 47. 15 Klarer z.B. § 52 Abs. 1 S. 2 BImSchG zu den Überwachungsbefugnissen der zuständigen Behörden: „Sie können die dafür erforderlichen Maßnahmen treffen und bei der Durchführung dieser Maßnahmen Beauftragte einsetzen.“ 16 Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 139; Dederer in Kotulla, BImSchG, Stand 23. Aktualisierung 2019, § 52 Rz. 170; Spindler in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Band 1, Teil II, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 23; Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 52 Rz. 34.

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§ 16 | Betretensrechte den. Darin liegt noch kein Verwaltungsakt.17 Dieser kann allerdings, ergänzend gestützt auf § 15 S. 1, im Weigerungsfall nachgeschoben werden, auch mündlich ergehen und schriftlich bestätigt werden. Meist wird er in schriftlicher Form von der Behörde vorbereitet, von den behördlichen Vertretern mitgeführt und bei Bedarf dem Unternehmen bekannt gegeben. 15 Ein Verwaltungsakt kann hinzutreten, sofern z.B. die verbindliche konkrete Fest-

stellung nötig ist, dass das Unternehmen dem LkSG unterfällt oder bei Verweigerung des Zutritts zum Grundstück usw., dass eine konkrete Pflicht des Unternehmens besteht und um eine Grundlage zur Vollstreckung nach dem VwVG zu schaffen.

16 Die der zuständigen Behörde und den Beauftragten eingeräumten Befugnisse

sind begrenzt durch den Zweck der Aufgabenwahrnehmung nach § 14.18 Denn die Befugnisse nach § 16 gehören zum Instrumentarium, das der zuständigen Behörde im Rahmen eines eingeleiteten Kontrollverfahrens zur Verfügung steht (vgl. § 14 Rz. 21) und nicht umgekehrt. Die Befugnisse dürfen also nur ausgeübt werden, um i.S.v. § 14 Abs. 1 Nr. 1 „a) die Einhaltung der Pflichten nach den §§ 3 bis 10 Absatz 1 im Hinblick auf mögliche menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken sowie Verletzungen einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht zu kontrollieren und b) Verstöße gegen Pflichten nach Buchstabe a festzustellen, zu beseitigen und zu verhindern“ und nachdem die Entscheidung nach § 14 zur Einleitung eines Kontrollverfahrens bereits getroffen wurde.19 Generell gilt, dass die Ermittlungsbefugnisse nach den §§ 26 -27 durch die zuständige Behörde grds. nur innerhalb eines laufenden Verwaltungsverfahrens zulässig sind. Dies bedeutet, dass ein Verwaltungsverfahren gem. § 14 LkSG eingeleitet worden sein muss und noch nicht

17 Anders z.B. zur Vorlage von Unterlagen nach § 52 Abs. 2 BImSchG: Verlangen ist VA Lechelt in Führ, BimSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 67; Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 52 Rz. 54; Spindler in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Band 1, Teil II, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 111. 18 Während der RegE noch Bezug nahm auf § 15, geht die Gesetzesfassung auf den federführenden BT-Ausschuss zurück mit der Begründung, die Aufgaben im Sinne der Vorschrift würden in § 14 beschrieben, vgl. BT-Drucks. 19/30505, 16. 19 Weitergehend § 29 Abs. 2 GewO. Zu dieser Vorschrift wird die Auffassung vertreten, dass wegen des dauernden Überwachungsverhältnisses Auskunft und Nachschau in der Regel keinen begründeten Verdacht von Rechtsverstößen des Gewerbetreibenden voraussetzen; die Behörde dürfe auch ohne unmittelbare Anhaltspunkte bzw. ohne konkrete Verdachtsmomente Prüfungsmaßnahmen einleiten vgl. Thiel, GewArch 2001, 403, 404 und Winkler in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 29 Rz. 24; zurückhaltender Meßerschmidt in Pielow, BeckOK, GewO, 55. Edition Stand: 1.6.2021, § 29 Rz. 12. Gleiches gilt wohl für andere Rechtsbereiche wie z.B. im Umweltrecht, etwa dem BImSchG, wo ebenfalls eine ständige Überwachung der Anlagen vorgeschrieben ist.

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durch eine verfahrensabschließende Entscheidung gem. § 15 LkSG (oder ggf. auch informell) beendet worden sein darf.20 Das Merkmal der Erforderlichkeit zur Aufgabenwahrnehmung nach § 14 ist wohl 17 weit zu verstehen.21 Es ist bereits dann erfüllt, wenn die abgefragten Daten – aus der maßgeblichen Ex-ante-Sicht – zur Aufgabenerfüllung beitragen können und die Auskunft für den Betroffenen keinen unverhältnismäßigen Aufwand bedeutet. Eine Datenabfrage ist dagegen dann unzulässig, wenn bereits zum Zeitpunkt des Auskunftsverlangens feststeht, dass die Daten unter keinem Gesichtspunkt für den der Datenabfrage zugrunde liegenden Zweck Bedeutung haben könnten. Soweit ein Verwaltungsverfahren nach § 14 eingeleitet wurde, um Pflichtver- 18 stöße festzustellen, zu beseitigen oder zu verhindern (§ 14 S. 1 Abs. 1 Buchst. b) oder den Beschwerden antragstellender Personen nachzugehen (§ 14 Abs. 1 Nr. 2) haben sich die weiteren Maßnahmen primär an der Aufklärung dieser Punkte zu orientieren und sind auch ausreichend legitimiert durch dieses Aufklärungsbedürfnis. Im Rahmen der Ermessensauübung ist diesen Zielen Rechnung zu tragen und sind ggf. die gegenläufigen Interessen der Verpflichteten angemessen zu würdigen (§ 40 VwVfG). Soweit ein allgemeines Kontrollverfahren nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 a) durchgeführt 19 wird, sind die Anforderungen an die besonderen Maßnahmen nach § 16-18 höher. Hier wird man einen „Anfangsverdacht“22 dergestalt verlangen müssen, dass ein Verstoß gegen die Pflichten aus den §§ 3–10 Abs. 1 vorliegen könnte.23 Die Informationsbefugnisse können nur zur Erlangung bestimmter Informatio- 20 nen eingesetzt werden, dürfen nicht einer allgemeinen Ausforschung dienen.24 Ihr Einsatz muss auf im Vorhinein auf bestimmte Fragen oder Fragenkomplexe zielen. Unzulässig ist die allgemeine und ungezielte Ausforschung des Betriebs ebenso wie eine Verpflichtung zu laufender Unterrichtung.25 20 Vgl. weiter Quellmalz in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 59 GWB Rz. 1. Vgl. für § 69 EnWG Theobald/Werk in Theobald/Kühling, Energierecht, Werkstand: 112. EL Juni 2021, § 69 EnWG Rz. 5, wobei in § 73 EnWG eine Abschlussentscheidung vorgesehen bzw. in § 73 Abs. 2 bestimmt ist: „Soweit ein Verfahren nicht mit einer Entscheidung abgeschlossen wird, die den Beteiligten nach Absatz 1 zugestellt wird, ist seine Beendigung den Beteiligten mitzuteilen.“ 21 Zum Folgenden BGH, Beschl. v. 19.6.2007 – KVR 17/06, NVwZ-RR 2008, 315 (Auskunftsverlangen nach dem Energiewirtschaftsgesetz) unter Verweis auf kartellrechtliche Entscheidungen und Literatur. Vgl. etwa für das Kartellrecht Bechtold/Bosch, GWB, 10. Aufl. 2021, § 59 Rz. 24 m.w.N.; Quellmalz in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 59 GWB Rz. 5. 22 Vgl. für das Kartellrecht Bechtold/Bosch, GWB, 10. Aufl. 2021, § 59 Rz. 6 m.w.N. 23 Gegen diesen Ansatz, der insb. im Kartellrecht benutzt wird, Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 57 f. 24 OVG Berlin, Urt. v. 18.3.1982 2 B 24/79 UPR 1982, 277 f.; Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 87; Spindler in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Band 1, Teil II, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 33; Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 5236). 25 OVG Berlin, Urt. v. 18.3.1982 2 B 24/79 UPR 1982, 277; OVG NW v. 18.10.1978 VII A 257/78, DVBl. 1979, 320; Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 61.

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§ 16 | Betretensrechte 21 Die Ausübung der Befugnisse nach § 16 hängt zwar nicht von einer vorgeschal-

teten Ankündigung ab, kann also für das Unternehmen überraschend sein.26 Soweit allerdings der Zweck des Zutritts- und Prüfungsrechts dadurch nicht vereitelt wird, muss die Ausübung im Hinblick auf die Erforderlichkeit (als Element des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit) angekündigt werden.27

22 Die Anwesenheit des Unternehmers selbst bzw. des gesetzlichen Vertreters ei-

nes Unternehmens bei der Betretung ist nicht erforderlich,28 sofern andere Zeugen – namentlich Angestellte des Gewerbetreibenden – zugegen sind.

23 Die Ausübung der Befugnisse nach § 16 muss im Übrigen dem Grundsatz der

Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. Behinderungen des Geschäftsbetriebes sind nach Möglichkeit zu vermeiden.29

24 Besichtigungen und Prüfungen zur Durchführung von Kontrollaufgaben der zu-

ständigen Behörde nach anderen Gesetzen können nicht auf § 16 gestützt werden (und müssen auch nicht nach § 18 geduldet werden). Die Informationsbefugnisse lassen sich daher nicht zur Strafverfolgung, im Bußgeldverfahren oder für steuerrechtliche Zwecke nutzen.30

V. Betreten und Besichtigen von Betriebsgrundstücken, Geschäftsräumen und Wirtschaftsgebäuden der Unternehmen (Nr. 1) 25 Nr. 1 erlaubt den Berechtigten das Betreten und Besichtigen von Betriebsgrund-

stücken, Geschäftsräumen und Wirtschaftsgebäuden der Unternehmen. Die Berechtigten müssen sich vor Zutritt zu Unternehmensgrundstücken bzw. den betreffenden Räumen und Gebäuden als Vertreter der zuständigen Behörde ausweisen und ihr Begehren konkret mitteilen. Das Unternehmen kann aus Gründen der Verhältnismäßigkeit verlangen, dass vor Zutritt (nicht zwingend gesetzliche) Vertreter des Unternehmens anwesend sind, um die Behördenvertreter zu begleiten, was allerdings nicht zu erheblichen Verzögerungen führen darf.

26 Betriebsgrundstücke sind alle dem Betrieb des Unternehmens dienende Grund-

stücke, gleich ob sie im Eigentum des Unternehmens stehen oder gemietet oder gepachtet wurden oder sonst zu betrieblichen Zwecken genutzt werden. 26 OLG Düsseldorf v. 16.7.1982 – 5 Ss [OWiG] 294/82 – 232/82 I GewArch 1982, 388, 389 (zum GastG); Meßerschmidt in Pielow, BeckOK GewO, 55. Ed. 1.6.2021, § 29 Rz. 22; Winkler in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 29 Rz. 33. 27 Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 52 Rz. 46; Dederer in Kotulla, BImSchG, Stand 23. Aktualisierung 2019, § 52 Rz. 128; Spindler in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Band 1, Teil II, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 34. 28 OLG Düsseldorf v. 16.7.1982 – 5 Ss [OWiG] 294/82 – 232/82 I GewArch 1982, 388; Winkler in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 29 Rz. 33. 29 Vgl. Winkler in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 29 Rz. 37. 30 Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. III, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 49; Spindler in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Band 1, Teil II, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 33; Jarass, BImSchG 13. Aufl. 2020 § 52 Rz. 35.

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„Grundstück“ ist i.S.v. § 90 ff. BGB zu verstehen und umfasst auch wesentliche Bestandteile,31 worunter u.a. Wohn- Betriebs- und Geschäftsräume, Lagerhallen und sonstige Einrichtungen verstanden werden.32 Geschäftsräume sind Räume in eigenen, gepachteten oder gemieteten oder 27 sonst auf andere Weise genutzten Gebäuden, die dem Unternehmensbetrieb, also dem Geschäft des Unternehmens dienen. Wirtschaftsgebäude sind eigene, gepachtete oder gemietete oder anderweitig 28 genutzte Gebäude, die Geschäftsräume haben. Einfacher formuliert handelt es sich um Grundstücke, Gebäude und Räume, die 29 dem Betrieb des Unternehmens dienen mit Ausnahme von Wohnräumen. Nicht darunter fallen solche Objekte, die lediglich im Eigentum oder Besitz des Unternehmens stehen, evtl. anderen gegen Entgelt überlassen wurden, aber keine Betriebsmittel sind. Die genannten Objekte müssen unmittelbar dem Unternehmen als Betriebsmit- 30 tel dienen. Entsprechende Objekte von Zulieferern in der Lieferkette fallen nicht darunter, auch wenn sie sich auf dem Unternehmensgrundstück befinden, was oft in großen Werksgeländen der Industrie der Fall ist. In Industrieparks haben die zuständigen Behörden kein Zutrittsrecht zum Indus- 31 trieparkgelände als solchem. Vielmehr müssen auf dem Industriepark angesiedelten Unternehmen durch Information des Industrieparkbetreibers den Zutritt zu den von ihnen genutzten Grundstücken, Gebäuden und Räumen ermöglichen. Betriebsangehörige sind ebenfalls nicht Pflichtadressaten,33 auch wenn Auf- 32 gaben nach dem LkSG auf sie delegiert wurden. Für das Unternehmen handeln deren Vertreter (vgl. § 18 S. 2), die wiederum ggf. die Unternehmensangehörigen entsprechend anweisen müssen (Mitwirkung nach § 18 Abs. 1). Wer Eigentümer eines Grundstückes ist, bestimmt sich nach dem Zivilrecht;34 33 andere dinglich Berechtigte stehen ihm gleich.35 Besitzer ist, wer die tatsächliche Gewalt ausübt (§ 854 BGB). 31 Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. III, Stand Juli 2017 § 52 BImSchG BImSchG § 52 Rz. 65; Dederer in Kotulla, BImSchG, Stand 23. Aktualisierung 2019, § 52 Rz. 79; Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020 § 52 Rz. 41; Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019 § 52 Rz. 40. 32 Für das Immissionsschutzrecht Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019 § 52 Rz. 40. 33 Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 34; Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. III, Stand Juli 2017 § 52 BImSchG BImSchG § 52 Rz. 41. 34 Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 32, Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 52 Rz. 39. 35 Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. III, Stand Juli 2017 § 52 BImSchG BImSchG Rz. 38; Spindler in Feldhaus, Immissionsschutzrecht, § 52 BImSchG Rz. 41; Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 52 Rz. 39; Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 35.

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§ 16 | Betretensrechte 34 Betreten umfasst den körperlichen Zutritt zum Betriebsgelände und zu den ge-

nannten Räumen und den Aufenthalt von Personen auf bzw. in diesen dinglichen Objekten.

35 Besichtigen umfasst die Inaugenscheinnahme dieser Objekte. 36 Der Anwendungsbereich von Nr. 1 beschränkt sich auf das Betreten dieser ding-

lichen Objekte und das Besichtigen von innen und außen und das, was sich auf ihnen und in ihnen zu betrieblichen Zwecken abspielt. Aus diesen Befugnissen folgt bereits als Kehrseite eine Duldungspflicht seitens des Unternehmens. Darüber hinaus folgen aus der Duldungs- und Mitwirkungspflicht des § 18 weitergehende Pflichten wie z.B. das Öffnen von Gebäuden und das Bereitstellen von Gegenständen zur Besichtigung (s. § 18 Rz. 4 ff.).36

37 Das Betreten und Besichtigen darf nur erfolgen während der üblichen Ge-

schäfts- oder Betriebszeiten. Weil dieses Tatbestandselement das jeweils betroffene Unternehmen vor Belastungen schützen soll, kommt es auf dessen normalen Geschäftszeiten an.37 Das sind die regelmäßigen Zeiten eines Kontaktes mit Kunden und anderen Nicht-Unternehmensangehörigen, die das Unternehmen an Werktagen praktiziert (z.B. von 8–17 Uhr ggf. auch Abends oder an Wochenenden, wenn der Unternehmen zu diesen Zeiten seine Geschäftsräume dem allgemeinen Publikumsverkehr öffnet).38 Zeiten einer 24-Std.-Schicht in der Produktion sind nicht maßstabsbildend,39 während in der Literatur auch diese Zeiten als Betriebszeiten im Sinne des Gesetze gesehen werden und lediglich auf den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verwiesen wird. Prüfungen, die auch am Tage gemacht werden können, müssen nicht in der Nacht erfolgen.40

38 Das Betreten der Geschäftsräume soll z.B. im Energiewirtschaftsrecht auch gegen

den Willen des Unternehmens erfolgen können, was dort aus einem Umkehrschluss aus § 69 Abs. 3 S. 2 EnWG entnommen wird, wonach das Betreten von Wohnräumen ohne Einverständnis des Inhabers nur im Gefahrenfall zulässig ist.41 36 Zu § 52 Abs. BImSchG wird die Mitwirkungspflicht, die nicht gesondert erwähnt ist, aus der Pflicht des Betreibers abgeleitet, Zutritt und Prüfungen „gestatten“ zu müssen, vgl. z.B. Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 52 Rz. 47. 37 Hanebeck in Britz/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, 3. Aufl. 2015, § 69 EnWG Rz. 9; a.A. Scholz/Jansen in Hempel/Franke, Recht der Energie- und Wasserversorgung, Stand. 25.10.2021, § 69 EnWG, Rz. 14: kein unternehmensindividueller Maßstab; ebenso die wohl herrschende Meinung im Kartellrecht Wirtz in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 59 Rz. 52 mwN: es sei nicht auf die unternehmensindividuellen Zeiten abzuheben, sondern auf die nach Ort und Art des Unternehmens üblichen. 38 Winkler in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 29 Rz. 34; Meßerschmidt in Pielow, BeckOK GewO, 55. Ed. 1.6.2021, § 29 Rz. 2. 39 Vgl. auch zu § 29 Abs. 2 GewO Winkler in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 29 Rz. 34. 40 Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 96 ff. 41 Turiaux in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, Rz. 14.

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Abgesehen davon, dass hier eine wohnraumbezogene Regelung fehlt, ist generell der Zutritt zu umfriedeten Grundstücken, Gebäuden und Räumen in der Regel nicht ohne Mitwirkung des Besitzers möglich. Euch die Einsichtnahme in Unterlagen und deren Prüfung setzen (im Unterschied zur Durchsuchung) voraus, dass das verpflichtete Unternehmen tatsächlich entsprechend der Pflicht aus § 18 S. 1 mitwirkt, also die Unterlagen zur Verfügung stellt. Die Behördenvertreter dürfen nicht aktiv nach Unterlagen suchen.42 Eine (im Regelfall gerichtliche) Durchsuchungsanordnung, wie z.B. nach § 69 Abs. 4 EnWG, ist hier nicht vorgesehen. Erst aufgrund einer Anordnung nach § 15 zur entsprechenden Duldung und Mitwirkung nach § 18 S. 1 kann dies durch Verwaltungszwang nach dem VwVG durchgesetzt werden.

VI. Einsehen und Prüfen von Unterlagen und Aufzeichnungen (Nr. 2) Die Angehörigen der zuständigen Behörde und Beauftragte sind nach Nr. 2 be- 39 fugt, Unterlagen und Aufzeichnungen einzusehen und zu prüfen. Nach dem Regelungszusammenhang bezieht sich Nr. 2 auf Nr. 1, d.h. Einsichtnahme und Prüfung nach Nr. 2 dürfen nur in den Räumen und auf dem Gelände erfolgen, die in Nr. 1 genannt sind. Unterlagen sind Gegenstände, wie z.B. Fotos, Microfiches, die keine Aufzeich- 40 nungen, insbesondere keine Urkunden sein müssen und besichtigt und geprüft werden können. Sie werden z.T. auch als Augenscheinsobjekte bezeichnet. Unterlagen können Träger von Aufzeichnungen sein, weshalb dies der umfassendere Begriff ist, Aufzeichnungen also mitumfasst sein können. Dies ist insbesondere relevant für § 17, wonach die Herausgabe von Unterlagen verlangt werden kann. Aufzeichnungen sind insbesondere verkörperte schriftliche, elektronische oder 41 elektromagnetische Zeichen, die gelesen oder sonst wiedergegeben werden können und zur Besichtigung oder (wahrgenommen werden können und) zumindest zur Prüfung geeignet sind, wie z.B. Urkunden, schriftliche Berichte, Geschäftsbücher, elektronische Dateien auf Speichermedien. Einsicht und Prüfung sind ein qualitativ einheitlicher Vorgang, die Einsicht- 42 nahme stellt lediglich die zeitliche Vorstufe der Prüfung dar.43 Einsehen erfasst über die bloße äußere Besichtigung hinaus eine Öffnung von 43 Unterlagen und derer Sichtung, Durchsicht. 42 Für § 69 EnWG Turiaux in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, Rz. 14; Bachert/Elspaß in Rosin/Pohlmann/Gentzsch|/Metzenthin/Böwing, Praxiskommentar zum EnWG, Stand Dez. 2018, § 69 Rz. 16. 43 Wirtz in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 46 GWB Rz. 48; Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 136.

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§ 16 | Betretensrechte 44 Prüfen oder Prüfung umfasst eine inhaltliche Analyse des in Unterlagen Enthal-

tenen und des Aufgezeichneten zur Tatsachenfeststellung im Hinblick auf die rechtliche Bewertung, ob die Pflichten nach §§ 3–10 Abs. 1 LkSG erfüllt wurden. Der Begriff ist in einem weiten Sinne zu verstehen.44

45 Nur solche Unterlagen und Aufzeichnung dürfen geprüft werden, aus denen

sich ableiten lässt, ob die Sorgfaltspflichten nach den §§ 3 bis 10 Abs. 1 eingehalten wurden. Unterlagen und Aufzeichnungen, die keinen Bezug zu eigenen Lieferketten des Unternehmens haben, unterliegen nicht dem Recht zur Einsichtnahme und Prüfung. Soweit das Unternehmen Zulieferer eines anderen Unternehmens ist, unterliegen diesbezügliche Unterlagen und Aufzeichnung nicht dem Recht der behördlichen Besichtigung oder Prüfung.

46 Der Prüfer darf die Sachen in die Hand nehmen und sich Notizen und Abschrif-

ten anfertigen. Ablichtungen sollen zu gestatten sein, auch wenn kein Kopiergerät zur Verfügung gestellt werden muss.45 Allerdings greift hier ggf. die Herausgabepflicht aufgrund einer entsprechender Anordnung nach § 17.

47 Die Befugnis zur Einsicht und Prüfung von Unterlagen und Aufzeichnungen ist

nur dann sinnvoll, wenn die Berechtigten verlangen können, dass geschäftliche Unterlagen (einschließlich Aufzeichnungen) auch vorgelegt werden, um an Ort und Stelle in diese Einsicht nehmen zu können.46 Die Herausgabe von Unterlagen und Aufzeichnungen kann jedoch nur nach § 17 Abs. 1 S. 1 verlangt werden. Dies kann gesondert angeordnet werden, z.B. mündlich beim Einsichtstermin im Unternehmen (vgl. § 17 Rz. 14). Beauftragten steht diese Befugnis allerdings nicht zu. Sollten sie nicht von Behördenvertretern begleitet werden, hilft lediglich der telefonische Kontakt zu Behörde, die dann die entsprechende Anordnung erlassen kann, was z.B. telefonisch (mündlich) oder per Fax möglich ist.

48 Nicht umfasst vom Einsichts- und Prüfungsrecht, aber auch nicht vom Heraus-

gaberecht nach § 17 ist das Recht zur Durchsuchung als ziel- und zweckgerichtetes Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts.47

49 Einsicht und Prüfung nach § 16 haben am Ort der Einsichtnahme, also i.d.R. in

den Geschäftsräumen des Unternehmens nach Nr. 1, zu erfolgen sie dürfen also nicht ohne Zustimmung des Unternehmens mitgenommen oder beschlagnahmt

44 Für das Immissionsschutzrecht Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 52 Rz. 44; Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. III, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 78; Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 50 m.w.N. 45 Anders Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 136. 46 Für § 29 GewO Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, § 29 Rz. 15; Winkler in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 29 Rz. 36. Auch § 52 Abs. 2 BImSchG spricht nur von der Vorlage von Unterlagen. 47 Winkler in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 29 Rz. 36. Zur Durchsuchung Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 13 Rz. 14.

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werden48 und dies auch wenn zugleich ein Herausgabeverlangen geäußert bzw. ein entsprechender Verwaltungsakt erlassen wurde. Eine Erstreckung auf Orte, wo sich weitere geschäftliche Unterlagen des Betroffenen befinden, z.B. externe Lagerräume Dritter, ist nicht möglich.49 In Absprache mit der zuständigen Behörde können Unterlagen und Aufzeichnungen auch zur Behörde verbracht werden, damit deren Vertreter dort Einsicht nehmen können. Dazu besteht aber keine Pflicht. Die Herausgabe von Unterlagen, die den Unternehmen gehören, durch einen Dritten erfordert die Zustimmung des betroffenen Gewerbetreibenden.50 Zum Begriff der üblichen Geschäfts- oder Betriebszeiten s. oben bei Abs. 1 50 Rz. 37. Das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 17 Abs. 3 steht einer Einsicht und 51 Prüfung nach § 16 grundsätzlich nach verbreiteter Ansicht nicht im Wege,51 allerdings können diese Maßnahmen oft nicht ohne Mitwirkung der gesetzlichen Vertreter des Unternehmens wirksam umgesetzt werden. Die Behörde muss dann zunächst per Auskunft nach § 17 Abs. 2 Nr. 3 die Namen von Personen einfordern, denen selbst ein Aussageverweigerungsrecht nicht zusteht. Ob es auch ein Vorlageverweigerungsrecht entsprechend dem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 17 Abs. 3 gibt, ist etwa im Kartellrecht umstritten.52

48 BVerwG, Urt. v. 25.8.1999 – 8 C 12/98 NVwZ 2000, 73, 77; für § 29 GewO Winkler in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 29 Rz. 36; VG Stuttgart Urt. v. 13.10. 2011 – 4 K 2413/11 GewArch 2012, 33; VG Stuttgart, Urt. v. 13.10.2011 – 4 K 2414/11, GewArch 2012, 34 [1. Ls.]; Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 67. 49 VG Stuttgart, Urt. v. 13.10.2011 – 4 K 2414/11, GewArch 2012, 34. 50 VG Stuttgart, Urt. v. 13.10.2011 – 4 K 2414/11, GewArch 2012, 34, 2. Ls.; Winkler in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 29 Rz. 36. 51 Vgl. z.B. Hanebeck in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 3. Aufl. 2015, § 69 Rz. 16. 52 Vgl. für das Kartellrecht dagegen Wirtz in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 59 GWB Rz. 55 m.w.N. Dafür mit guten Gründen Gabriel, NVwZ 2020, 19, 21.

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§ 17 Auskunfts- und Herausgabepflichten (1) Unternehmen und nach § 15 Satz 2 Nummer 1 geladene Personen sind verpflichtet, der zuständigen Behörde auf Verlangen die Auskünfte zu erteilen und die Unterlagen herauszugeben, die die Behörde zur Durchführung der ihr durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes übertragenen Aufgaben benötigt. Die Verpflichtung erstreckt sich auch auf Auskünfte über verbundene Unternehmen (§ 15 des Aktiengesetzes), unmittelbare und mittelbare Zulieferer und die Herausgabe von Unterlagen dieser Unternehmen, soweit das auskunfts- und herausgabepflichtige Unternehmen oder die auskunfts- oder herausgabepflichtige Person die Informationen zur Verfügung hat oder aufgrund bestehender vertraglicher Beziehungen zur Beschaffung der verlangten Informationen in der Lage ist. (2) Die zu erteilenden Auskünfte und herauszugebenden Unterlagen nach Absatz 1 umfassen insbesondere 1. die Angaben und Nachweise zur Feststellung, ob ein Unternehmen in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fällt, 2. die Angaben und Nachweise über die Erfüllung der Pflichten nach den §§ 3 bis 10 Absatz 1 und 3. die Namen der zur Überwachung der internen Prozesse des Unternehmens zur Erfüllung der Pflichten nach den §§ 3 bis 10 Absatz 1 zuständigen Personen. (3) Wer zur Auskunft nach Absatz 1 verpflichtet ist, kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 52 Absatz 1 der Strafprozessordnung bezeichneten Angehörigen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. Die auskunftspflichtige Person ist über ihr Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren. Sonstige gesetzliche Auskunfts- oder Aussageverweigerungsrechte sowie gesetzliche Verschwiegenheitspflichten bleiben unberührt. I. Regelungsgegenstand . . . . . . . II. Auskunfts- und Herausgabepflichtige und Auskunfts- und Herausgabegegenstände (Abs. 1) 1. Auskunfts- und Herausgabepflichtige, Gegenstände (Abs. 1 Satz 1) a) Auskunfts- und Herausgabeverlangen . . . . . . . . . . . . . . b) Verpflichtete . . . . . . . . . . . . c) Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . d) Herausgabe von Unterlagen . 2. Auskünfte über Dritte und Herausgabe von Unterlagen Dritter (Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . .

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III. Gesetzliche Beispiele zu erteilender Auskünfte und herauszugebender Unterlagen (Abs. 2) 1. Angaben und Nachweise zur Feststellung, ob ein Unternehmen in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fällt (Abs. 2 Nr. 1) 2. Angaben und Nachweise über die Erfüllung der Pflichten nach den §§ 3 bis 10 Abs. 1 (Abs. 2 Nr. 2) . 3. Namen der zur Überwachung der internen Prozesse des Unternehmens zur Erfüllung der Pflichten nach den §§ 3 bis 10 Abs. 1 zuständigen Personen (Abs. 2 Nr. 3)

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Auskunfts- und Herausgabepflichten | § 17 IV. Auskunftsverweigerungsrecht (Abs. 3) 1. Auskunftsverweigerungsrecht (Abs. 3 S. 1) . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Belehrung über Auskunftsverweigerungsrecht (Abs. 3 Satz 2) . 3. Sonstige gesetzliche Auskunftsoder Aussageverweigerungsrechte (Abs. 3 Satz 3) . . . . . . . .

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I. Regelungsgegenstand § 17 regelt Auskunfts- und Herausgabepflichten der Unternehmen und nach 1 § 15 Satz 2 Nr. 1 geladener Personen auf Verlangen der Behörde. Abs. 1 bestimmt die Verpflichteten sowie den Gegenstand der Auskünfte und 2 die herauszugebenden Gegenstände. Abs. 2 nennt beispielhaft („insbesondere“) Gegenstände auf die sich zu erteilende Auskünfte beziehen können bzw. worauf sich herauszugebende Unterlagen beziehen können. Abs. 3 regelt ein Auskunftsverweigerungsrecht. Die Vorschrift ist als Handlungspflicht auf Verlangen formuliert. Klarer wäre die 3 Formulierung als Befugnis der Behörde, Auskunft und Unterlagen zu verlangen. Denn ohne ein konkretisierendes behördliches Verlangen besteht die Pflicht nicht (vgl. unten Rz. 9). Ähnliche Bestimmungen sind in anderen Vorschriften des Wirtschaftsverwal- 4 tungs- und Umweltrecht enthalten.1 Auch die behördliche Befugnis, Auskünfte und Herausgabe zu verlangen, be- 5 steht wie die Rechte aus § 16 nur im Rahmen eines Verfahrens nach § 14 LkSG (zur Erforderlichkeit unten Rz. 10). Grundsätzlich sind die Maßnahmen nach § 16 und § 17 zwar gleichrangig.2 Aus 6 Verhältnismäßigkeitsgründen kann ein Auskunfts- und Herausgabeverlangen gegenüber dem stärker belastenden Betretensrechten jedoch vorrangig auszuüben sein.3 Ihre Zweckmäßigkeit kann auch von der Art der benötigten Information bestimmt sein. Wissenserklärungen wird man nur durch Auskunft erhalten.4 Die Auswahl des jeweiligen Maßnahme ist gegenüber dem Adressaten zu begründen, um ihm die Möglichkeit zu geben, weniger belastende Alternativen anzubieten.5 1 Z.B. § 29 Abs. 2, 3 GewO; § 69 EnWG; § 127 TKG; § 52 Abs. 2, 3, 5 BImSchG, § 19 Abs. 1 S. 2 KrWG, 101 Abs. 1 Nr. 3, 4 WHG, § 21 Abs. 4 S. 3, Abs. 5 ChemG; § 25 Abs. 2 GenTG; § 59 GWB a.F. novelliert 2021. 2 Vgl. für das Kartellrecht Bechtold/Bosch, 10. Aufl. 2021, GWB, § 59 Rz. 2; Wirtz in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht 6. Aufl. 2020, § 59 GWB Rz. 26. 3 Vgl. für das Kartellrecht Bechtold/Bosch, 10. Aufl. 2021, GWB, § 59 Rz. 2; Wirtz in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 59 GWB Rz. 26. 4 Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 185. 5 Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 186.

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§ 17 | Auskunfts- und Herausgabepflichten 7 Die Norm enthält keine Verwaltungsaktsbefugnis. Die zuständige Behörde

muss die Durchsetzung der eingeräumten Rechte durch Verwaltungsakt zusätzlich auf § 15 S. 1 stützen. § 17 ergänzt gewissermaßen § 15 S. 2.6 Dies folgt hier aus der Gesetzessystematik und der getrennten Regelung der verschiedenen Befugnisse in den §§ 15 bis 17, die sich so in anderen Regelungen des Wirtschaftsverwaltungsrecht nicht findet.

8 Die Norm ist nicht anwendbar im Ordnungswidrigkeitsverfahren.7

II. Auskunfts- und Herausgabepflichtige und Auskunfts- und Herausgabegegenstände (Abs. 1) 1. Auskunfts- und Herausgabepflichtige, Gegenstände (Abs. 1 Satz 1) a) Auskunfts- und Herausgabeverlangen 9 Die Verpflichtung zur Herausgabe von Unterlagen bzw. zur Auskunft besteht

nur aufgrund eines behördlichen Verlangens, das den Verpflichteten mitgeteilt werden muss (konkretes Auskunftsbegehren).8 Das Unternehmen muss demnach nicht von sich aus Informationen offenbaren, wie dies bei in anderen Gesetzen (namentlich im Umweltrecht) vorgesehenen Anzeige-, Berichts- und Mitteilungspflichten der Fall ist bzw. insofern greift nur die Berichtspflicht nach § 12.

10 Auch ein Verlangen zur Auskunft oder Herausgabe steht wie die Rechte aus § 16

unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit, hier so formuliert, dass die Behörde die Auskunft „zur Durchführung der ihr durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes übertragenen Aufgaben benötigt“. Das Auskunftsverlangen kann nur im Rahmen eines Verfahrens nach § 14 LkSG geltend gemacht werden und wird begrenzt durch den in § 14 Abs. 1 gesetzten Rahmen der Kontrolle der Einhaltung der Pflichten aus §§ 3–10 Abs. 1 bzw. um Verstöße gegen diese Pflichten festzustellen, zu beseitigen und zu verhindern (vgl. näher § 16 Rz. 16), was ja auch in Abs. 2 Nr. 2 und 3 deutlich betont wird. Eine zusätzliche Begrenzung folgt aus dem in Abs. 3 geregelten Auskunftsverweigerungsrecht bei drohender Selbstbelastung.

6 Theobald/Werk in Theobald/Kühling, Energierecht, 112. EL Juni 2021, § 69 EnWG Rz. 4: „Die Regelung selbst beinhaltet keine Rechtsgrundlage für Ermittlungsbefugnisse der Regulierungsbehörde“. A.A. allgemein Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 81 ff. am Bespiel des § 52 BImSchG. Ebenso zu § 69 EnWG Turiaux in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, § 69 EnWG Rz. 2; Hanebeck in Britz/Hellermann/Hermes, 3. Aufl. 2015, EnWG, § 69 Rz. 1. 7 Vgl. auch Turiaux in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, § 69 EnWG Rz. 2. Vgl. z.B. für § 59 GWB Bechtold/Bosch, 10. Aufl. 2021, GWB, § 59 Rz. 2 unter Hinweis auf altes Recht, da mittlerweile § 59 GWB gem. § 82b GWB ausdrücklich auch im Bußgeldverfahren gilt und damit auch die Frage von Verwertungsverboten für die im Verwaltungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse erledigt ist. 8 Vgl. zum erforderlichen Verlangen und zur Regelungsstruktur ähnlicher Vorschriften Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung 1989, S. 78 f.

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Auskunfts- und Herausgabepflichten | § 17

Das Auskunftsverlangen darf nicht über das hinausgehen, was angesichts des 11 Zwecks der Untersuchung als konkret erforderlich im Sinne allgemeiner Verhältnismäßigkeit angesehen werden durfte.9 Das Merkmal der Erforderlichkeit ist bereits dann erfüllt, wenn die abgefragten Daten – aus der maßgeblichen Exante-Sicht – zur Aufgabenerfüllung beitragen können und die Auskunft für den Betroffenen keinen unverhältnismäßigen Aufwand bedeutet.10 Eine Datenabfrage ist dagegen dann unzulässig, wenn bereits zum Zeitpunkt des Auskunftsverlangens feststeht, dass die Daten unter keinem Gesichtspunkt für den der Datenabfrage zugrunde liegenden Zweck Bedeutung haben könnten.11 Grundsätzlich kann die zuständige Behörde auch von einer formalen Verlangen 12 absehen und sich etwa an das Unternehmen mittels formlosen Auskunftsverlangens mit dem Hinweis wenden, dass erwartet wird, dass die angefragten Auskünfte und Unterlagen freiwillig übergeben werden.12 Bei Verweigerung der Erteilung von freiwilligen Auskünften kann die zuständige Behörde ein förmliches Auskunftsersuchen nachschieben. Kommen die um Auskunft bzw. Herausgabe von Unterlagen ersuchten Unternehmen einem formlosen Auskunftsersuchen (freiwillig) nach, so kommt ein zusätzliches Auskunftsverlangen nur in Betracht, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass die formlose Auskunft nicht richtig oder nicht vollständig erteilt wurde, wofür die zuständige Behörde die Darlegungspflicht trägt.13 Das Herausgabeverlangen und das Auskunftsverlangen sind jedenfalls dann 13 Verwaltungsakte,14 wenn sie erkennbar mit Regelungswillen der Behördenvertreter erklärt werden. Sie können mit Widerspruch und Anfechtungsklage angegriffen werden und dann dem Suspensiveffekt unterliegen (§§ 68 ff. VwGO). Die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO kann angeordnet werden. Der das Auskunftsverlangen festsetzende Verwaltungsakt kann mit Verwaltungszwang durchgesetzt werden. Die Nichterfüllung des Verlangens stellt keine Ordnungswidrigkeit dar. 9 BGH, Beschl. v. 19.6.2007 – KVR 17/06, NVwZ-RR 2008, 315, 318 m.w.N. (Auskunftsverlangen nach dem Energiewirtschaftsgesetz). 10 BGH, Beschl. v. 19.6.2007 – KVR 17/06, NVwZ-RR 2008, 315, 318 m.w.N. 11 BGH, Beschl. v. 19.6.2007 – KVR 17/06, NVwZ-RR 2008, 315, 318 m.w.N. 12 So die Vorgehensweise im Kartellrecht, vgl. Wirtz in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 59 GWB Rz. 3. Vgl. weiter Theobald/Werk in Theobald/Kühling, Energierecht, 112. EL Juni 2021, § 69 EnWG Rz. 2. Und allgemein Scholl, Behördlichen Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 70, der darauf hinweist, dass informelle Auskunfts- und Prüfungsersuchen, also nicht rechtsförmliche durch Verwaltungsakt, gängige Praxis sind. 13 Wirtz in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 59 GWB Rz. 4. 14 Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S 84 ff.; Marcks in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Werkstand: 86. EL Febr. 2021, § 29 Rz. 13; so auch Ennuschat in Tettinger/Wank/Ennuschat, § 29 Rz. 12; Thiel, GewA 2001, 403, 404; Meßerschmidt in Pielow, BeckOK GewO 55. Edition Stand: 1.6.2021, § 29 Rz. 10; BVerwG, Urt. v. 7.12.2011 – 6 C 39/10 NVwZ 2012, 1123 Rz. 18 ff. zu § 5a V 1 Nr. 1 AEG; VGH München, Urt. v. 10.12.1991, GewA 1992, 183 = NVwZ 1993, 495.

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§ 17 | Auskunfts- und Herausgabepflichten 14 In anderen Gesetzen, wie z.B. § 69 Abs. 7 EnWG, § 59 Abs. 5 GWB a.F., ist die

Schriftform des Auskunftsverlangen vorgeschrieben. Dies ist hier nicht der Fall, eine schriftliches Verlangen wird aber die Regel sein. Es kann also auch mündlich erfolgen, z.B. bei einem Prüfungstermin, obwohl es nicht sachgerecht ist, in jeder einfachen Nachfrage während eines solchen Termins einen Verwaltungsakt zu sehen. Sofern sich ein solches Herausgabe- oder Auskunftsbegehren auf Gegenstände bezieht, die nicht sofort verfügbar sind, ist dies ein Problem der Angemessenheit und evtl. der Durchsetzbarkeit mit Verwaltungszwang.

15 Andere Gesetz schreiben weiter vor, dass in einem Auskunftsverlangen die

Rechtsgrundlage, der Gegenstand und der Zweck des Auskunftsverlangens anzugeben und eine angemessene Frist zur Erteilung der Auskunft zu bestimmen sei (z.B. § 69 Abs. 7 EnWG). Dies ergibt sich hier aus der allgemeinen Begründungspflicht für Verwaltungsakte nach § 39 VwVfG. Die Angemessenheit der Frist folgt aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Die Dauer der angemessenen Frist bestimmt sich hierbei einerseits nach dem öffentlichen Interesse an der effektiven und zügigen Durchführung des Verwaltungsverfahrens und andererseits nach der für die Auskunftserteilung voraussichtlich aufzuwendenden Arbeitsbelastung des Adressaten.15 Dabei sind auf Seiten des Adressaten sowohl objektive Kriterien wie Umfang der Nachforschungen und Menge des zu sichtenden und auszuwertenden Materials als auch subjektive Umstände wie Arbeitsanfall in Spitzenzeiten, Urlaubszeit und Krankheitsausfall zu berücksichtigen. Regelmäßig wird bei einer Frist zwischen zwei bis vier Wochen von der Angemessenheit der Fristsetzung auszugehen sein.16 Bei mündlichen Auskunftsverlangen, die keiner weiteren internen Recherche bedürfen, sind die Auskünfte unverzüglich zu erteilen, d.h. ohne schuldhaftes Zögern.17

16 Fehlt die Begründung oder entspricht sie nicht den Anforderungen des § 39

VwVfG, macht dies den VA formell rechtswidrig und verletzt den Betroffenen in seinen Rechten.18

15 Vgl. Theobald/Werk in Theobald/Kühling, Energierecht, 112. EL Juni 2021, § 69 EnWGRz. 20; Wirtz in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 59 GWB Rz. 34. 16 Wirtz in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 59 GWB Rz. 34 m.w.N. vgl. weiter Theobald/Werk in Theobald/Kühling, Energierecht, 112. EL Juni 2021, § 69 EnWG Rz. 20; Meyer-Sebastian in Beck’scherTKG-Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 127 Rz. 36; vgl. KG, Beschl. v. 7.10.1969 – Kart 15/69 BB 1970, 318 – Kopierautomaten: drei Wochen für Auskunftsbegehren des BKartA; OLG Brandenburg v. 11.3.2014 – Kart. W 1/13, WuW/E DE-R 4255, 4258 „Auskunftsverfügung Trinkwasser“; v. 11.9.2012 – Kart. W 2/12, WuW/E DE-R 3717, 3719 „Wasser- und Abwasserzweckverband“ 3 bis 4 Wochen. 17 So generell für alle Auskünfte im BImSchG Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 63. 18 Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 39 VwVfG Rz. 28.

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Auskunfts- und Herausgabepflichten | § 17

Erforderlich ist zudem eine Rechtsbehelfsbelehrung (§ 37 Abs. 6 VwVfG). Eine 17 fehlende/falsche Rechtsbehelfsbelehrung macht den VA nicht rechtswidrig.19 Dagegen führt eine fehlende Rechtsmittelbelehrung lediglich dazu, dass die einmonatige Widerspruchsfrist nicht in Gang gesetzt wird, sondern eine Jahresfrist gilt (§ 58 VwGO). b) Verpflichtete Abs. 1 nennt als Verpflichtete Unternehmen und nach § 15 Satz 2 Nr. 1 geladene 18 Personen. Unternehmen sind nur solche i.S.d. § 1. Anders als etwa im Kartellund Energiewirtschaftsrecht20 ist hiermit kein vergleichbar weiter Adressatenkreis gemeint. Verpflichtet ist also der Unternehmensinhaber selbst oder deren Vertreter bzw. bei juristischen Personen, Gesellschaften und nicht rechtsfähigen Vereinen deren Organe bzw. gesetzliche oder satzungsmäßige berufene Vertreter.21 Eine Delegation von Pflichten auf andere Personen ist unerheblich.22 Allerdings kann die zuständige Behörde Personen nach § 15 Satz 2 Nr. 1 laden, 19 auf die Pflichten des Unternehmens delegiert worden sind, und diese sind dann auskunftspflichtig. Das geht auch gestuft: zunächst Auskunft von einem Vertreter über die für die Überwachung zuständigen Personen (§ 17 Abs. 2 Nr. 3), dann Ladung dieser Personen und Auskunftsverlangen diesen gegenüber. Nicht selbst verpflichtet zur Auskunft oder Herausgabe sind die in Abs. S. 2 ge- 20 nannten verbundenen Unternehmen (§ 15 des Aktiengesetzes) und unmittelbare und mittelbare Zulieferer (vgl. unten Rz. 16). c) Auskunft Die Auskunft ist in deutscher Sprache zu geben (§ 23 Abs. 1 VwVfG). Die Aus- 21 kunftsverpflichtung bezieht sich allein auf Mitteilungen von Tatsachen.23 Die Auskunftspflicht bezieht sich nicht nur auf das aktuelle Wissen des Aus- 22 kunftspflichtigen, sondern es kann auch verlangt werden, dass er sich die nötigen Kenntnisse beschafft,24 z.B. indem der gesetzliche Vertreter des Unternehmens bei seinen Mitarbeitern nachfragt. Fraglich ist, ob die Behörde verlangen 19 Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 37 VwVfG Rz. 163. 20 BGH, Beschl. v. 18.10.2011 – KVR 9/11 NJW 2012, 1150; vgl. aus der Lit. Hanebeck in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 3. Aufl. 2015, § 69 Rz. 4; Faber, RdE 2006, 334, 337. 21 § 18 S. 2 ist deshalb überflüssig. 22 Vgl. auch Theobald/Werk in Theobald/Kühling, Energierecht, 112. EL Juni 2021, § 69 EnWG Rz. 32. 23 Vgl. Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 60; Schwerdtner in Giesberts/ Reinhardt, Rz. 15. 24 Vgl. für § 52 Abs. 2 BImSchG nur Jarass, BImSchG, § 52 Rz. 55; Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 61; Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, 118.

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§ 17 | Auskunfts- und Herausgabepflichten kann, dass Einzelinformationen vom Auskunftspflichtigen in Listen zusammengestellt und der Behörde übergeben werden.25 Das wird man nur soweit bejahen müssen, wie eine solche Zusammenstellung unverzichtbar für das Verständnis und die Ausübung der behördlichen Kontrolle ist, und der Aufwand für den Verpflichteten nicht übermäßig belastend ist. 23 Soweit mangels näherer Bezeichnung der Unterlagen diese nicht hinreichend

identifiziert oder zugeordnet werden können und die Verpflichteten insoweit eine Mitwirkung versagen, muss die zuständige Behörde mithilfe des Auskunftsrechtes eine Klärung herbeiführen.

24 Ein weitergehende Mitwirkungspflicht des Unternehmens folgt aus § 18

Satz 1und gilt z.B. hinsichtlich des Ausdrucks von EDV-Datenträgern oder der Zurverfügungstellung von Hilfsmittel zum Lesen von Datenträgern wie z.B. PCs mit entsprechender Software.26

25 Das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 17 Abs. 3 steht einer Einsicht und

Prüfung nach § 16 grundsätzlich nicht im Wege,27 allerdings können diese Maßnahmen oft nicht ohne Mitwirkung der gesetzlichen Vertreter des Unternehmens wirksam umgesetzt werden. Die Behörde muss dann zunächst per Auskunft nach § 17 Abs. 2 Nr. 3 die Namen von Personen einfordern, denen selbst ein Aussageverweigerungsrecht nicht zusteht.

26 Die Auskunftspflicht besteht auch dann, wenn es sich bei den erfragten Sachver-

halten um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handelt,28 weil die Behördenvertreter ihrerseits der Geheimhaltungspflicht unterliegen (§ 30 VwVfG).

d) Herausgabe von Unterlagen 27 Die Behörde kann „Unterlagen“ herausverlangen. Der Begriff umfasst nicht nur

körperliche Unterlagen im herkömmlichen Sinn, sondern auch elektronisch gespeicherte Daten-(träger)29 und Aufzeichnungen bzw. Aufzeichnungsträger wie z.B. CDs, Speicherchips, Tonbänder (vgl. zum Begriff der Unterlagen § 16 25 So Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. III, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG, Rz. 44; Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 61. 26 Vgl. Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 139. 27 Vgl. Hanebeck in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 3. Aufl. 2015, § 69 Rz. 16. 28 BGH, Beschl. v. 19.6.2007 – KVR 17/06, NVwZ-RR 2008, 315, 318 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.3.2006 – 3 Kart 150/06 RdE 2006, 162, 165; Faber, RdE 2006, 334, 339 Vgl. zum BImSchG Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 61; Dederer in Kotulla BImSchG, Stand. 23. Aktualisierung 2019, § 52 Rz. 96; Vorster in Bacher/ Hempel/Wagner-von Papp, BeckOK Kartellrecht, 2. Edition Stand: 15.7.2021, § 59 Rz. 68 m.w.N. 29 Turiaux in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, Rz. 10; Bachert/Elspaß in Rosin/Pohlmann/Gentzsch/Metzenthin/Böwing, Praxiskommentar zum EnWG, Stand Dez. 2018, § 69 Rz. 13; Faber, RdE 2006, 334, 339.

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Auskunfts- und Herausgabepflichten | § 17

Rz. 40). Er geht also über den handelsrechtlichen Begriff der „Handelsbücher und Geschäftspapiere“ hinaus.30 Es muss sich um Unterlagen des Unternehmens handeln. Private Unterlagen 28 von Mitarbeitern des Unternehmens fallen nicht darunter, wobei eine Vermutung dafür spricht, dass Unterlagen, die sich in Betriebs- und Geschäftsräumen (und nicht im privaten Spind) befinden, geschäftlicher Natur sind. Soweit die Behörde Herausgabe der Originalunterlagen verlangt, muss sie dem 29 Herausgabepflichtigen nach Möglichkeit die Gelegenheit geben, Kopien anzufertigen.31 Ist dies wegen des Umfanges der Unterlagen oder der Eilbedürftigkeit nicht vor der Herausgabe möglich, kann dies auch später in den Räumen der Behörde erfolgen. Das herausgabepflichtige Unternehmen hat in aller Regel ein schützenswertes Interesse daran, über die in den Unterlagen enthaltenen Informationen auch weiterhin zu verfügen, etwa zur Bearbeitung laufender Geschäftsvorfälle, aber auch um dieselben Informationen zu haben wie die ermittelnde Behörde und insoweit informationelle „Waffengleichheit“ herzustellen. Ab Übersendung des Herausgabeverlangens soll die Vernichtung entsprechen- 30 der Unterlagen untersagt sein.32 Die Vernichtung führt ggf. zur Unmöglichkeit der Herausgabe, wobei gegen die durch Verwaltungsakt konkretisierte Pflicht verstoßen wird. Dieser Verstoß ist demnach rechtswidrig, hat aber keine ordnungswidrigkeitsrechtrechtlichen Folgen. Soweit Unterlagen Urkunden sind, könnte dem § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB entgegenstehen, wonach eine Urkundenunterdrückung begeht, wer „eine Urkunde oder eine technische Aufzeichnung, welche ihm entweder überhaupt nicht oder nicht ausschließlich gehört, in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, vernichtet, beschädigt oder unterdrückt“. Der zuständigen Behörde könnte ein Beweisführungsrecht an Urkunden zustehen mit Aufnahme einer konkreten Überwachungstätigkeit oder jedenfalls eines konkreten Prüfverlangens gegenüber dem Unternehmen.33 Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen, weil eine öffentl.-rechtl. Vorlegungspflicht, die bloßen Überwachungsaufgaben dient, nicht notwendig das alleinige Verfügungsrecht des Urkundeninhabers ausschließt.34 Weder die Aufnahme einer Überwachungs30 Vgl. Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, 134. 31 Vgl. dazu und zum Folgenden Turiaux in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, Rz. 11. 32 Vgl. für § 59 GWB: Wirtz in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 59 GWB Rz. 54; Theobald/Werk in Theobald/Kühling, Energierecht, 112. EL Juni 2021, § 69 EnWG Rz. 32. 33 Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 138 für ersteres, während Reuter, Kartellbehördliche Recherche als Eingriff in Freiheit und Eigentum, 1983, S. 32 f. m.w.N. auf das konkret Prüfverlangen abstellt. 34 Heine/Schuster in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 274 Rz. 5. Ähnlich Freund in MünchKomm/StGB, 3. Aufl. 2019, § 274 Rz. 2: Ein für § 274 StGB ausreichendes staatliches Beweisführungsrecht entsteht regelmäßig erst mit einem effektiv erfolgten staatlichen Zugriff (z.B. einer Beschlagnahme). Solange es nur um die Erleich-

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§ 17 | Auskunfts- und Herausgabepflichten tätigkeit noch ein konkretes Prüfverlangen führen dazu, das davon erfasste Urkunden der Behörde mitgehören. 31 Andere Personen, die geladen würden, haben kein eigenständiges Zurückbehal-

tungsrecht, wenn sie im Besitz von Unterlagen des Unternehmens sind. Soweit das Unternehmen im Besitz der Unterlagen ist und der Geladene nur Besitzdiener, hat sich das Herausgabeverlangen stets gegen das Unternehmen zu richten.

32 Die Unterlagen müssen nicht im Eigentum, jedoch zumindest im Mitgewahrsam

des Unternehmens stehen. Er muss diesen Gewahrsam nicht aufgeben oder übertragen. Die zuständige Behörde hat nicht die Befugnis, dass ihr dieses Gewahrsam übertragen wird. Sie hat keine Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefugnisse.35 2. Auskünfte über Dritte und Herausgabe von Unterlagen Dritter (Abs. 1 Satz 2)

33 Auskünfte über Dritte sind nicht von der Auskunftspflicht des Abs. 1 S. 1 um-

fasst. Abs. 1 Satz 2 erstreckt die Auskunftspflicht nach dem Vorbild in § 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB alte Fassung, § 69 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EnWG36 auf Dritte: Zu erteilen sind auch „Auskünfte über verbundene Unternehmen (§ 15 des Aktiengesetzes)“ und über „unmittelbare und mittelbare Zulieferer“ und „Unterlagen dieser Unternehmen“ sind herauszugeben. Diese Verpflichtung besteht nur „soweit das auskunfts- und herausgabepflichtige Unternehmen oder die auskunfts- oder herausgabepflichtige Person die Informationen zur Verfügung hat oder aufgrund bestehender vertraglicher Beziehungen zur Beschaffung der verlangten Informationen in der Lage ist“.

34 Zu unterscheiden sind deshalb die Auskunftspflicht bzgl. bereits beim Unter-

nehmen vorhandener Informationen und eine Beschaffungspflicht von Informationen von verbundenen Unternehmen oder Zulieferern sowie eine Herausgabepflicht bzgl. Informationen dieser Unternehmen.

35 Gegenstand der Auskunftspflicht des verpflichteten Unternehmens oder nach

§ 15 Satz 2 Nr. 1 geladene Personen sind Auskünfte „über verbundene Unternehmen (§ 15 des Aktiengesetzes)“, „unmittelbare und mittelbare Zulieferer“ sowie „die Herausgabe von Unterlagen dieser Unternehmen“

36 Verbundene Unternehmen werden in § 15 AktG wie folgt definiert: „Verbun-

dene Unternehmen sind rechtlich selbständige Unternehmen, die im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit betei-

terung staatlicher Verwaltungs- und Überwachungsaufgaben geht, ist das spezifische Unrecht des § 274 StGB noch nicht berührt. 35 Vgl. zum Vorstehenden Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, 135 f. 36 § 59 GWB a.F. und § 69 EnWG stellen hinsichtlich der Beschaffungspflicht allerdings nicht auf vertragliche, sondern rechtliche Beziehungen ab.

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Auskunfts- und Herausgabepflichten | § 17

ligte Unternehmen (§ 16), abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17), Konzernunternehmen (§ 18), wechselseitig beteiligte Unternehmen (§ 19) oder Vertragsteile eines Unternehmensvertrags (§§ 291, 292) sind.“ Zum Begriff vgl. die Kommentierung zu § 1 Abs. 3. Unmittelbare und mittelbare Zulieferer sind definiert in § 2 Abs. 7 und 8.

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Die Herausgabepflicht bezieht sich auf Unterlagen dieser Unternehmen, nicht 38 aber auf Unterlagen über diese Unternehmen, da diese bereits von Abs. 1 S. 1 erfasst sind. Die Unterlagen müssen also vom Dritt-Unternehmen stammen, von diesem erzeugt, abgefasst, übersandt worden sein. Gemeint sind z.B. schriftliche oder elektronische Angebote, Beschreibungen der gelieferten Waren, ihre Qualität, Herkunft der Produkte, Produktionsbedingungen, Lieferketten usw., die in Original-Mitteilungen von diesen Dritt-Unternehmen an die Verpflichteten geliefert wurden. Voraussetzung für eine Auskunfts- oder Herausgabepflicht ist, dass das „das 39 auskunfts- und herausgabepflichtige Unternehmen oder die auskunfts- oder herausgabepflichtige Person die Informationen zur Verfügung hat oder aufgrund bestehender vertraglicher Beziehungen zur Beschaffung der verlangten Informationen in der Lage ist“. Die Information steht zur Verfügung der genannten Verpflichteten, wenn sie 40 diese Informationen tatsächlich besitzen, was bei bloßen Informationen auch den geistigen Besitz in Form von Erinnerungen betrifft wie auch den Besitz von entsprechenden Aufzeichnungen. Diese Alternative betrifft Unternehmen wie geladene Personen. Fraglich ist, ob diese Informationen oder Unterlagen auch dann zur Verfügung stehen, wenn ein vertragliches Verbot, eine vertragliche Geheimhaltungspflicht die Weitergabe verbietet. Denn hier geht es nicht um die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Verpflichteten selbst, sondern um solche Dritter, zu deren Geheimhaltung er selbst verpflichtet ist. Dies dürfte die Herausgabepflicht ausschließen. Eine Beschaffungsmöglichkeit aufgrund bestehender vertraglicher Beziehun- 41 gen ist zu bejahen, wenn der Verpflichtete entsprechende vertragliche Informationsansprüche hat und sie sie dem Verpflichteten die Beschaffung der Informationen unter verhältnismäßigen Bedingungen ermöglichen. Dies ist dann einfach, wenn es entsprechende vertragliche Informationsansprüche gibt und schwieriger, wenn solche Ansprüche nicht ausdrücklich geregelt sind und sich allenfalls aus vertraglichen Nebenansprüchen ergeben. Die Beschaffung von Unterlagen Dritter auf diesem Weg wird eher seltener möglich sein. Eine Beschaffungsmöglichkeit im Rahmen des Unternehmensverbundes nach 42 Art. 15 AktG (soweit vertraglich strukturiert) besteht, wenn es eine vertragliche Verpflichtung dazu gibt. Die Bewertungen in § 69 EnWG greift hier nicht, wonach der Verpflichtete rechtlich oder tatsächlich mittelbar oder unmittelbar einen bestimmenden Einfluss ausüben können muss und etwa Tochtergesellschaften in aller Regel keinen ausreichenden Einfluss auf die Muttergesellschaft haben Fluck

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§ 17 | Auskunfts- und Herausgabepflichten und daher nicht verpflichtet werden können, bei der Mutter Informationen zu beschaffen.37 43 Diese Beschaffungsalternative dürfte lediglich Unternehmen betreffen, da nur

sie Vertragspartner zu den genannten Dritten sind.

44 Die zuständige Behörde kann auf diese Weise auch Auskunft über die Verhält-

nisse ausländischer verbundener Unternehmen erhalten.

III. Gesetzliche Beispiele zu erteilender Auskünfte und herauszugebender Unterlagen (Abs. 2) 45 Nach dem Wortlaut des Abs. 2 „umfassen“ die „zu erteilenden Auskünfte und

herauszugebenden Unterlagen nach Absatz 1 … insbesondere“ die Angaben und Nachweise der Nr. 1-3. Das ist nicht so zu verstehen, dass diese Angaben stets von einem Auskunfts- und Herausgabeverlangen umfasst sein müssen, sondern hier sind nur Beispiele aufgeführt, die in der Praxis oft vorkommen. Die Befugnis der Behörde steht generell unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit (vgl. ob Rz. 10) und im Übrigen steht es im Ermessen der zuständigen Behörde, ob sie diese Informationen und Unterlagen benötigt und deshalb anfordert. Oft wird sie einen Teil der Informationen bereits haben, z.B. aufgrund des nach § 12 vorgelegten Berichts, so dass eine Anforderung bereits nicht erforderlich und deshalb unzulässig ist.

1. Angaben und Nachweise zur Feststellung, ob ein Unternehmen in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fällt (Abs. 2 Nr. 1) 46 Abs. 2 Nr. 1 erlaubt die Nachfrage nach Angaben und Nachweisen, ob ein Unter-

nehmen in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fällt, es die Voraussetzungen des § 1 also erfüllt. Die Vorschrift dürfte insbesondere anwendbar sein, sofern ein Unternehmen bestreitet, überhaupt dem LkSG zu unterfallen, so z.B. wenn er keinen Bericht nach § 10 erstellt hat unter Berufung auf mangelnde Anwendbarkeit des Gesetzes und die Behörde diese Grundfrage zunächst prüfen will. 2. Angaben und Nachweise über die Erfüllung der Pflichten nach den §§ 3 bis 10 Abs. 1 (Abs. 2 Nr. 2)

47 Hier wird die zuständige Behörde in die Lage versetzt insbesondere ergänzend

zu einem Bericht nach § 12, dessen Ergänzung nach § 13 verlangt wurde, nähere Angaben zu erhalten und darüber hinaus auch Nachweise darüber, dass und wie

37 Turiaux in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, Rz. 4, der zutreffend darauf hinweist, dass die Begründung einer solchen Beschaffungspflicht der Tochtergesellschaft aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht durch das OLG Düsseldorf 28.6. 2006 – VI-3 Kart 153/06 (V), stellt keine solche vertragliche Pflicht dar.

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Auskunfts- und Herausgabepflichten | § 17

die Pflichten des Unternehmens erfüllt wurden. Zudem kann damit auch einzeln Vorwürfen nachgegangen werden, die z.B. ein Dritter nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 vorgetragen hat. 3. Namen der zur Überwachung der internen Prozesse des Unternehmens zur Erfüllung der Pflichten nach den §§ 3 bis 10 Abs. 1 zuständigen Personen (Abs. 2 Nr. 3) Das Unternehmen hat nach § 4 Abs. 3 „dafür zu sorgen, dass festgelegt ist, wer in- 48 nerhalb des Unternehmens dafür zuständig ist, das Risikomanagement zu überwachen, etwa durch die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten“. Die Bestimmung der Personen, auf die Überwachungsaufgaben nach dem LkSG übertragen werden, ist eine Organisationsentscheidung. Die Sachgerechtigkeit dieser Organisationsentscheidungen kann u.a. durch Nachfrage nach den Namen der unternehmensinternen Aufgabenträger überprüft werden. Zudem kann von diesen dann benannten Personen gesondert Auskunft nach Abs. 1 Nr. 1 verlangt werden. Das eigentlich Wissen über Mängel liegt innerhalb der Organisation bei den beauftragten Mitarbeitern. Üblicherweise sind die Überwachungsaufgaben nicht nur auf einen Beauftragten übertragen, sondern obliegen den für die Lieferkettensteuerung zuständigen Vorgesetzten auf den verschiedenen hierarchischen Ebenen. Durch Delegation dieser Pflichten erfolgt eine „Beauftragung“ im Sinne des 49 OWiG, wodurch die betreffenden Unternehmensmitarbeiter auch verantwortlich im ordnungswidrigkeitsrechtlichen Sinne sind. Auskunft nach Abs. 2 Nr. 3 darf allerdings nicht primär zur Durchführung eines Bußgeldverfahrens verlangt werden, da diese Vorschrift nur im Kontrollverfahren anwendbar ist.

IV. Auskunftsverweigerungsrecht (Abs. 3) 1. Auskunftsverweigerungsrecht (Abs. 3 S. 1) Abs. 3 ordnet in seinen Sätzen 1 und 2 gewissermaßen die analoge Anwendung 50 des strafprozessualen für Zeugen geltende Auskunftsverweigerungsrechtes nach § 55 StPO38 auch für sonstige Auskunftsverpflichtete an, indem der Wortlaut dieser Vorschrift weitgehend wiederholt wird.39 Die Gründe, die eine Auskunftsverweigerung erlauben, sind begrenzt auf den 51 Fall, dass deren Beantwortung dem Auskunftspflichtigen selbst oder einem der 38 § 55 StPO Auskunftsverweigerungsrecht (1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. (2) Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren. Die analoge Anwendung des § 55 StPO wird z.B. in § 59 GWB a.F. und in § 101 Abs. 3WHG ausdrücklich angeordnet. 39 Allgemein zur Problematik Gabriel, Das Auskunftsverweigerungsrecht im Wirtschaftsverwaltungsrecht, NVwZ 2020, 19 ff.

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§ 17 | Auskunfts- und Herausgabepflichten in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Dabei reicht jede Erhöhung der Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung aus.40 52 Von diesem Auskunftsverweigerungsrecht umfasst ist nicht nur das Recht, zu

den einzelnen Vorwürfen zu schweigen, sondern insgesamt das Recht, jegliche aktive Mitwirkung an seiner eigenen Verurteilung zu unterlassen.41

53 Die Auskunft kann nicht mit der Begründung verweigert werden, es lägen Be-

triebs- oder Geschäftsgeheimnisse vor.42 Gleiches gilt für sonstige Nachteile für das Unternehmen wie z.B. Verschwiegenheitspflichten im Verhältnis zu diesem.43 Das Aussageverweigerungsrecht entbindet nicht von der Herausgabepflicht. So kann etwa die Herausgabe von Unterlagen auch bei bestehendem Aussageverweigerungsrecht nicht verweigert werden.

54 Das Aussageverweigerungsrecht ist personenbezogen, so dass es bei verschiede-

nen Personen hinsichtlich der identischen Informationen zu einer unterschiedlichen Bewertung der Aussageverpflichtung kommen kann.44

55 Da nach § 30 Abs. 1 OWiG eine Geldbuße gegen Unternehmen und nicht nur

gegen deren Inhaber oder Vertreter festgesetzt werden kann, steht auch dem Unternehmen selbst ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, das von den handelnden Organmitgliedern ausgeübt wird, ohne dass ihnen selbst eine Verfolgung drohen muss.45

56 Wurde bereits eine Aussage gemacht, so kann diese nicht unter Berufung auf

das Aussageverweigerungsrecht wieder zurückgenommen werden.46

57 Das Aussageverweigerungsrecht gibt nur das Recht zu schweigen, nicht dazu,

die Unwahrheit oder nur Unvollständiges zu sagen.47 Zudem bezieht es sich nur auf „solche Fragen“, deren Beantwortung dem Berechtigten selbst oder einem Angehörigen einer Verfolgungsgefahr aussetzen. Es wird kein generelles Schweigerecht begründet.48

58 Fraglich ist, ob das Auskunftsverweigerungsrecht auch auf das Bußgeldverfahren

zu erstrecken ist, weil im Bußgeldverfahren nach § 24 kein Verwertungsverbot

40 Turiaux in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, Rz. 24. 41 Gabriel, NVwZ 2020, 19; Kasiske, JuS 2014, 15. 42 BGH, Beschl. v. 19.6.2007 – KVR 17/06, RdE 2007, 349, 354 zu § 69 EnWG; Faber, RdE 2006, 334, 339. 43 Turiaux in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, Rz. 25. 44 Turiaux in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, Rz. 25. 45 Vgl. Wirtz in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 59 Rz. 40; Bergmann in Scheurle/Mayen, Telekommunikationsgesetz, 3. Aufl. 2018, Rz. 42. 46 Lechelt in Führ, BimSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 65; Spindler in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Band 1 Teil II, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 78. 47 Lechelt in Führ, BimSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 66; Dederer in Kotulla, BImSchG, Stand 23. Aktualisierung 2019 § 52 Rz. 100. 48 Lechelt in Führ, BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 52 Rz. 66; Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. III, Stand Juli 2017, § 52 BImSchG Rz. 57.

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Auskunfts- und Herausgabepflichten | § 17

für Erkenntnisse besteht, die bei Ausübung der Befugnisse nach § 17 gewonnen werden.49 2. Belehrung über Auskunftsverweigerungsrecht (Abs. 3 Satz 2) Abs. 3 S. 2 begründet eine Belehrungspflicht für die zuständige Behörde. Danach 59 ist die auskunftspflichtige Person über ihr Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren. Hat die zuständige Behörde es versäumt, die auskunftspflichtige Person über etwaige Auskunftsverweigerungsrechte zu belehren, so kann dies u.U. Auswirkungen auf die Verwertbarkeit solcher Angaben haben, die von dem Auskunftsverweigerungsrecht umfasst wären.50 3. Sonstige gesetzliche Auskunfts- oder Aussageverweigerungsrechte (Abs. 3 Satz 3) Sonstige gesetzliche Auskunfts- oder Aussageverweigerungsrechte bleiben unbe- 60 rührt. Unberührt heißt, sie können vom Auskunftspflichtigen dem Auskunftsverlangen entgegengehalten werden und lassen die Rechtpflicht entfallen. Neben dem Auskunftsverweigerungsrecht nach S. 1 besteht das Auskunftsver- 61 weigerungsrecht der wirtschaftsberatenden Berufe, insb. der Anwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Dies ergibt sich aus § 54 Abs. 2 i.V.m. § 385 Abs. 2 ZPO für das Verwaltungsverfahren. Eine Vernehmung als Zeuge kommt nur in Betracht, wenn Aussagegenehmigung erteilt wird. Fraglich ist, ob die Korrespondenz des Unternehmens mit seinem Anwalt von 62 der Auskunfts- und Herausgabepflicht umfasst ist.

49 A.A. für das GWB Wirtz in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 59 GWB Rz. 10; Bechtold/Bosch, GWB, 10. Aufl. 2021, Rz. 2; für das TKG Bergmann in Scheurle/Mayen, TKG, 3. Aufl. 2018, § 127 Rz. 61 Umkehrschluss wegen des ausdrücklich beschränkten Verwendungsverbotes auf Steuer- und Devisenordnungswidrigkeiten und -straftaten in § 127 Abs. 8 S. 2 TGK. 50 Theobald/Werk in Kühling/Theobald, Energierecht, 112. EL Juni 2021, Rz. 24. Dagegen Wirtz in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 59 GWB Rz. 35, der lediglich eine Verwertbarkeit in einem anderen Verfahren bezweifelt.

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§ 18 Duldungs- und Mitwirkungspflicht Die Unternehmen haben die Maßnahmen der zuständigen Behörde und ihrer Beauftragten zu dulden und bei der Durchführung der Maßnahmen mitzuwirken. Satz 1 gilt auch für die Inhaber der Unternehmen und ihre Vertretung, bei juristischen Personen für die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung berufenen Personen. I. Regelungsgegenstand . . . . . . . . II. Duldungs- und Mitwirkungspflicht der Unternehmen (Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Duldungs- und Mitwirkungspflichten der für das Unternehmen handelnden natürlichen Personen (Satz 2) . . . . . . . . . . .

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I. Regelungsgegenstand 1 Die in § 18 S. 1 geregelte Duldungs- und Mitwirkungspflicht ergänzt insbeson-

dere die Betretens-, Einsichts- und Prüfungsbefugnisse aus § 16, aber auch den Vollzug der behördlich erlassenen Maßnahmen nach § 15.1 § 18 S. 2 enthält eine Klarstellung im Hinblick auf die persönlichen Verpflichtungen der für das Unternehmen handelnden natürlichen Personen.

2 Die Duldungs- und Mitwirkungspflichten nach § 18 stehen ebenso wie nach

§ 16 unter der Begrenzung, dass sie „zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 14 erforderlich“ sein müssen, auch wenn dies hier nicht ausdrücklich erwähnt wird.

II. Duldungs- und Mitwirkungspflicht der Unternehmen (Satz 1) 3 Eine Regelung der bloßen Duldungspflicht der Ausübung von behördlichen Be-

fugnissen ist eigentlich überflüssig, weil sie nur die Kehrseite der Befugnisausübung und somit bei jeder Eingriffsermächtigung mitgedacht ist. So wurden denn auch solche Duldungsregelungen in den Vorgängerversionen der Mustervorschrift des § 29 Abs. 2 GewO mittlerweile vom Gesetzgeber aufgegeben.2

4 Eine Mitwirkungspflicht ist dann relevant, wenn eine angeordnete Maßnahme

nicht ohnehin eine Handlungspflicht begründet, z.B. das Liefern von Informationen oder Unterlagen, sondern wie typischerweise beim Besichtigen und Prüfen die Behördenvertreter oder Beauftragten vor Ort der Mitwirkung bedürfen, um ihre Tätigkeit ausüben zu können, z.B. durch Hinführen zu bestimmten Gebäude, Öffnen von Türen, Aktenschränken, Vorlage von Akten und Gegenständen usw.

5 Ein weitergehende Mitwirkungspflicht des Unternehmens gilt z.B. hinsichtlich

des Ausdrucks von EDV-Datenträgern oder der Zurverfügungstellung von 1 § 17 enthält bereits eine konkrete Mitwirkungspflicht. 2 Siehe die Darstellung bei Marcks in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Werkstand: 86. EL Februar 2021, § 29 Rz. 18.

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Duldungs- und Mitwirkungspflicht | § 18

Hilfsmittel zum Lesen von Datenträgern wie z.B. PCs mit entsprechender Software.3 Der Verpflichtete muss alles tun, um einen ordnungsgemäßen Ablauf der Prü- 6 fung zu ermöglichen und gleichzeitig alles unterlassen, was dies verhindern würde.4 Er darf z.B. keine Räumlichkeiten unzugänglich machen oder Aufzeichnungen verstecken, oder die Behördenvertreter und Beauftragte sonst behindern oder beleidigen. Zur Mitwirkungspflicht wird teils auch die Pflicht der Aufbewahrung über- 7 wachungsrelevanter Unterlagen gezählt, die jedenfalls ab Beginn konkreter Überwachungstätigkeiten der zuständigen Behörde auch durch das Verbot der Urkundenunterdrückung gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterstützt werden soll, was aber abzulehnen ist (vgl. § 17 Rz. 32). Auch eine Duldungspflicht bedarf der Konkretisierung durch ein entsprechen- 8 des Begehren der zuständigen Behörden und der Beauftragten und wird eigentlich miterfasst, wenn Handlungen nach §§ 16 und 17 begehrt werden, ohne dass eine entsprechende Duldungspflicht mitausgesprochen wird oder werden müsste. Wird eine gesonderte Duldungspflicht ausdrücklich und nicht nur informell angesprochen, handelt es sich um einen selbständigen Verwaltungsakt, der ergänzend auf § 15 S. 1 gestützt werden muss (vgl. § 17 Rz. 7).

III. Duldungs- und Mitwirkungspflichten der für das Unternehmen handelnden natürlichen Personen (Satz 2) Nach S. 2 sollen die in Satz 1 festgelegten Duldungs- und Mitwirkungspflichten 9 auch gelten für die „Inhaber der Unternehmen und ihre Vertretung, bei juristischen Personen für die nach Gesetz oder Satzung zur Vertretung berufenen Personen“. Die im LkSG geregelten Pflichten gelten nach § 1 Abs. 1 für „Unternehmen un- 10 geachtet ihrer Rechtsform“, in denen nach § 1 Abs. 1 S. 2 „in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer im Inland“ beschäftigt sein müssen. Unternehmen solcher Größe sind in der Praxis in aller Regel Gesellschaften, für die Vertreter handeln, letztlich natürliche Personen. In der Begründung des Regierungsentwurfes zu Satz 25 heißt es im ersten Satz: „Satz 2 wird auch gesellschaftsrechtlich vermittelt.“ Gemeint ist wohl das oben Festgestellte. Insoweit ist § 18 S. 2 überflüssig. Denn eine Mitwirkung von Unternehmen ist nur denkbar durch die Mitwirkung der für das Unternehmen handelnden Vertreter. 3 Vgl. Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 139. 4 Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S. 171. 5 BT-Drucks. 19/28649, 56.

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§ 18 | Duldungs- und Mitwirkungspflicht 11 In der Begründung heißt es weiter: „Der Satz dient jedoch der Bußgeldbewehrung der Nichtbefolgung behördlicher Anordnungen durch natürliche Personen, die für ein Unternehmen handeln.“

12 Dieser Teil der Begründung ist nicht nachvollziehbar. Denn es gibt keine Buß-

geldbewehrung des § 18. In Betracht kommt nur die Bußgeldvorschrift in § 24 Abs. 1 Nr. 13: Zuwiderhandeln gegen eine vollziehbare Anordnung nach § 13 Abs. 2 oder § 15 Satz 2 Nr. 2. Ordnungswidrigkeitsrechtlich sind aber Vertreter über § 9 OWiG erfasst. Für deren Anwendung bedarf es weder der Regelung in § 18 S. 2, noch ist die Regelung dabei irgendwie hilfreich.

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Unterabschnitt 3 Zuständige Behörde, Handreichungen, Rechenschaftsbericht (§§ 19–21) § 19 Zuständige Behörde (1) Für die behördliche Kontrolle und Durchsetzung nach diesem Abschnitt ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zuständig. Für die Aufgaben nach diesem Gesetz obliegt die Rechts- und Fachaufsicht über das Bundesamt dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie übt die Rechts- und Fachaufsicht im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus. (2) Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben verfolgt die zuständige Behörde einen risikobasierten Ansatz. I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als zuständige Behörde, § 19 Abs. 1 LkSG . . . .

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III. Risikobasierter Ansatz, § 19 Abs. 2 LkSG . . . . . . . . . . .

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Literatur: Kamann/Irmscher, Das Sorgfaltspflichtengesetz – Ein neues Sanktionsrecht für Menschenrechts- und Umweltverstöße in Lieferketten, NZWiSt 2021, 249; Nietsch/Wiedmann, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, CCZ 2021, 101; Scheffler, Sorgfaltspflichten in Lieferketten, AG 2021, R120; Seibt/Vesper-Gräske, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erweitert Compliance-Pflichten, CB 2021, 357; Spindler, Verantwortlichkeit und Haftung in Lieferantenketten – das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus nationaler und europäischer Perspektive, ZHR 186 (2022), 67.

I. Überblick Der Bund hat seine Gesetzgebungskompetenz zum Erlass des LkSG ausweislich 1 der Regierungsbegründung zum LkSG auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Bürgerliches Recht) und Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft) gestützt.1 Ausgeführt wird das LkSG im Wege der bundeseigenen Verwaltung i.S.d. Art. 86 S. 1 Alt. 1 GG. Zu diesem Zweck legt § 19 LkSG die Zuständigkeit für die behördliche Kontrolle und Durchsetzung der Pflichten nach §§ 12 bis 21 LkSG fest und weist diese dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zu. Anders als die materiellen Regelungen des LkSG tritt § 19 LkSG (ebenso wie 2 §§ 20, 21 LkSG sowie § 13 Abs. 3, 14 Abs. 2 LkSG) nicht erst künftig (am 1.1. 2023) in Kraft, sondern ist bereits am Tag nach der Verkündung des LkSG, d.h. 1 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 24.

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§ 19 | Zuständige Behörde mit Wirkung zum 23.7.2021 in Kraft getreten.2 Der Grund für dieses vorzeitige Inkrafttreten liegt darin, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in die Lage zu versetzen, den erstmals für das Jahr 2022 zu erstellenden Rechenschaftsbericht (vgl. § 21 Abs. 1 S. 2 LkSG) vorbereiten zu können.3

II. Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als zuständige Behörde, § 19 Abs. 1 LkSG 3 § 19 Abs. 1 LkSG weist die Zuständigkeit für die behördliche Kontrolle und

Durchsetzung der in Abschnitt 4 des LkSG statuierten Pflichten (§§ 12 bis 21 LkSG) dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zu. Eine Zuständigkeit des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle war dabei schon im Referentenentwurf und im Regierungsentwurf zum LkSG vorgesehen. Dennoch war die Wahl des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als zuständige Aufsichtsbehörde nach dem LkSG politisch nicht unumstritten. So hielt etwa die Fraktion DIE LINKE das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle noch bis zuletzt für die „falsche Behörde“ für die Durchsetzung des LkSG und plädierte für eine Zuständigkeit des Bundesjustizministeriums, das dafür „besser geeignet“ sei.4

4 Beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle handelt es sich um eine

selbstständige Bundesoberbehörde mit Sitz in Eschborn, die sich im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie befindet. Für das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle gelten die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätze, die sich für selbstständige Bundesoberbehörden etabliert haben: Charakteristisch für eine Bundesoberbehörde ist, dass diese nur eine Instanz hat, für das gesamte Bundesgebiet zuständig ist und der obersten Behörde, d.h. dem entsprechenden Bundesministerium, untersteht. Ihr Zweck liegt im Wesentlichen darin, die Bundesministerien namentlich von Aufgaben zu entlasten, die speziellen Sachverstand erfordern, worin eine behördliche Spezialisierung auf bestimmte Aufgaben zum Ausdruck kommt.5 Das Attribut der Selbstständigkeit der Bundesoberbehörde gilt dabei dem organisatorischen Erscheinungsbild: Eine selbständige Bundesoberbehörde ist aus einem Bundesministerium ausgegliedert und sie besitzt keinen eigenen Verwaltungsunterbau. Darüber hinaus muss sie eigene Aufgaben wahrnehmen – nicht bloß Auftragsangelegenheiten für das Ministerium, dem sie nachgeordnet ist.6 „Selbstständig“ 2 Vgl. Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vom 16.7.2021, BGBl. I Nr. 46, S. 2959. 3 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 59. 4 Vgl. Beschlussempfehlung und des Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BTDrucks. 19/30505, 33. 5 Siehe zu diesen Grundsätzen Ibler in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Werkstand: 95. Ergänzungslieferung Juli 2021, Art. 87 Rz. 250 ff. 6 Vgl. Ibler in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Werkstand: 95. Ergänzungslieferung Juli 2021, Art. 87 Rz. 253.

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Zuständige Behörde | § 19

bedeutet allerdings nicht, dass eine Bundesoberbehörde einen selbstständigen Rechtsträger bilden würde. Es handelt sich vielmehr um eine (bloße) Stelle der unmittelbaren Bundesverwaltung.7 Auch folgt aus der Selbstständigkeit nicht, dass die Bundesoberbehörde weisungsfrei handeln dürfte. Sie ist vielmehr den Weisungen des Bundesministeriums unterworfen, dem sie nachgeordnet ist.8 Dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle obliegen bislang – neben der nunmehr statuierten Zuständigkeit im Rahmen des LkSG – vornehmlich Aufgaben im Zusammenhang mit dem Außenwirtschaftsgesetz, dem Kriegswaffenkontrollgesetz und dem Atomgesetz sowie Aufgaben im Zusammenhang mit der Wirtschaftsförderung, Energiethemen und der Wirtschaftsprüferaufsicht. Die Einzelheiten der Errichtung und der Aufgaben des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle sind im Gesetz über die Errichtung eines Bundesausfuhramtes geregelt.9 Im Rahmen seiner Aufgabenwahrnehmung nach dem LkSG unterliegt das Bun- 5 desamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, in dessen Geschäftsbereich es liegt (§ 19 Abs. 1 S. 2 LkSG). Während die Rechtsaufsicht die Aufsicht über die Gesetzmäßigkeit des Handelns des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle betrifft, betrifft die Fachaufsicht die Zweckmäßigkeit des Handelns. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie überwacht dementsprechend, ob der konkrete Vollzug des LkSG durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle rechtmäßig ist und im Rahmen der Zweckmäßigkeit dem Verwaltungswillen des Bundesministeriums entspricht.10 Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie übt die Rechts- und Fachaufsicht dabei gem. § 19 Abs. 1 S. 3 LkSG im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus, d.h. zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales muss in aufsichtsrechtlichen Fragen Einvernehmen erzielt werden. Einvernehmen bedeutet nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen, dass im Rahmen der Aufsichtsmaßnahmen das Einverständnis der anderen Behörde – hier also des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – herbeigeführt werden muss.11 Die durch das Einvernehmenserfordernis bewirkte enge Kooperation zwischen den beiden Bundesministerien schlägt sich auch in zahlreichen weiteren Vorschriften des LkSG wieder, so in den Verordnungsermächtigungen nach §§ 9 Abs. 4, 13 Abs. 3, 14 Abs. 2 LkSG, die jeweils dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Kompetenz zum Erlass von Rechtsverordnungen im Einvernehmen 7 Vgl. Ibler in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Werkstand: 95. Ergänzungslieferung Juli 2021, Art. 87 Rz. 254. 8 Vgl. Ibler in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Werkstand: 95. Ergänzungslieferung Juli 2021, Art. 87 Rz. 254. 9 Gesetz über die Errichtung eines Bundesausfuhramtes vom 28.2.1992, BGBl. I, 376. 10 Vgl. F. Kirchhof in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Werkstand: 95. Ergänzungslieferung Juli 2021, Art. 85 Rz. 90. 11 Vgl. Creifelds/Weber, Rechtswörterbuch, 19. Aufl. 2007, zum Begriff „Einvernehmen“.

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§ 19 | Zuständige Behörde mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie einräumen. Die Pflicht zur Herstellung eines Einvernehmens zwischen verschiedenen Behörden bei der Ausübung der Aufsicht ist im Übrigen kein Spezifikum des LkSG, sondern begegnet auch in anderen Rechtsbereichen, so etwa im Sozialrecht.12

III. Risikobasierter Ansatz, § 19 Abs. 2 LkSG 6 Nach § 19 Abs. 2 LkSG verfolgt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon-

trolle bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben nach dem LkSG einen risikobasierten Ansatz. Dieser kommt auch im Konzept der risikobasierten Kontrolle zum Ausdruck, das dem behördlichen Eingriffsinstrumentarium nach §§ 14 bis 18 LkSG zugrunde liegt.13 Durch § 19 Abs. 2 LkSG soll ausweislich der Regierungsbegründung klargestellt werden, dass das Bundesamt – insbesondere, wenn es von Amts wegen tätig wird (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 1 LkSG) – nicht lediglich zufällige Stichproben vornimmt, sondern sich zunächst auf Fälle mit den schwersten Risiken konzentriert.14 Wie eine solche Konzentration auf die schwersten Risiken erreicht werden kann, hängt von dem konkreten behördeninternen Prüfkonzept ab.15 Welches Prüfkonzept das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle im Einzelnen verfolgt, stellt der Gesetzgeber in Ermangelung spezifischer Vorgaben augenscheinlich ins Ermessen der Behörde. Die Regierungsbegründung führt insofern aus, es sei „beispielsweise denkbar“, dass das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle einen Teil ihrer Ressourcen darauf verwende, den substantiierten Hinweisen Dritter (vgl. § 8 LkSG) nachzugehen. Die übrigen Verfahren könnten dann dazu dienen, turnusmäßig eine bestimmte Branche mit besonderen Risiken in den Blick zu nehmen.16

12 Vgl. etwa § 47 Abs. 3 SGB II, wonach das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Aufgabenbereich der Trägerversammlung die Rechtsaufsicht über die gemeinsamen Einrichtungen im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Landesbehörde führt. 13 Siehe insofern nur die Überschrift „Risikobasierte Kontrolle“ in Unterabschnitt 2 von Abschnitt 4 des LkSG. 14 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 56. 15 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 56. 16 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 56.

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§ 20 Handreichungen Die zuständige Behörde veröffentlicht branchenübergreifende oder branchenspezifische Informationen, Hilfestellungen und Empfehlungen zur Einhaltung dieses Gesetzes und stimmt sich dabei mit den fachlich betroffenen Behörden ab. Die Informationen, Hilfestellungen oder Empfehlungen bedürfen vor Veröffentlichung der Zustimmung des Auswärtigen Amtes, insofern außenpolitische Belange davon berührt sind. I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt der Handreichungen . . . .

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III. Rechtscharakter und Bindungswirkung der Handreichungen . .

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I. Grundlagen § 20 LkSG weist dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Auf- 1 sichtsbehörde die Aufgabe und Befugnis zu, branchenübergreifende oder branchenspezifische Informationen, Hilfestellungen und Empfehlungen zur Einhaltung der Pflichten nach dem LkSG zu veröffentlichen.1 Die Vorschrift ist insbesondere vor dem Hintergrund der zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe zu sehen, von denen das LkSG – insbesondere die dort normierten Sorgfaltspflichten – durchsät ist und die die zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten verpflichteten Unternehmen vor große Herausforderungen stellen. § 20 LkSG ist dementsprechend zumindest im Ansatz als Eingeständnis des Gesetzgebers zu verstehen, dass die Sorgfaltspflichten des LkSG nur wenig bestimmt sind und sich der konkrete Inhalt und Umfang der Pflichten auf Basis des Gesetzeswortlauts kaum rechtssicher bestimmen lässt. Anders als die materiellen Regelungen des LkSG tritt § 20 LkSG (ebenso wie 2 §§ 19, 21 LkSG sowie §§ 13 Abs. 3, 14 Abs. 2 LkSG) nicht erst künftig (am 1.1. 2023) in Kraft, sondern ist bereits am Tag nach der Verkündung des LkSG, d.h. mit Wirkung zum 23.7.2021 in Kraft getreten.2 Das versetzt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in die Lage, Handreichungen schon vor Geltung der konkreten (Sorgfalts-)Pflichten des LkSG zu erlassen, um dadurch schon von Beginn an die Einhaltung der Pflichten zu erleichtern. Es wäre mehr als wünschenswert und im Interesse sämtlicher verpflichteter Unternehmen, dass das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle von dieser Möglichkeit regen Gebrauch macht. 1 Vergleichbar dazu sieht Art. 13 des Kommissionsvorschlags für eine Lieferkettensorgfaltspflichtenrichtlinie, 2022/0051 (COD), S. 72 vor, dass die Kommission „Leitlinien“ im Hinblick auf die Erfüllung der Sorgfaltspflichten nach dem Kommissionsvorschlag herausgibt (s. auch Art. 14 Abs. 4 S. 3 sowie Erwägungsgrund 46 des Kommissionsvorschlags). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Art. 14 der EU-Konfliktmineralienverordnung (VO (EU) 2017/821), wonach die Kommission (freilich unverbindliche) Leitlinien in Form eines Handbuchs für Wirtschaftsbeteiligte ausarbeitet. 2 Vgl. Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vom 16.7.2021, BGBl. I Nr. 46, S. 2959.

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§ 20 | Handreichungen 3 Einen spezifischen Veröffentlichungsort für die Handreichungen benennt § 20

LkSG nicht und überlässt die Wahl des Veröffentlichungsorts bzw. -mediums damit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. In der Praxis wird es sich anbieten, die Handreichungen (zumindest) auf der Homepage des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zu veröffentlichen.3 Dafür spricht etwa, dass auch der Rechenschaftsbericht nach § 21 LkSG auf der Homepage des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle veröffentlicht wird (bzw. werden muss).

4 Aus der spezifisch in § 20 LkSG normierten Informationsveröffentlichungsauf-

gabe lässt sich auf eine weitergehende Unterstützungsaufgabe des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Aufsichtsbehörde schließen. Die Regierungsbegründung benennt es im Zusammenhang mit § 20 LkSG ausdrücklich als Aufgabe der Aufsichtsbehörde, die verpflichteten Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Sorgfaltspflichten zu unterstützen und entsprechende Hilfestellungen anzubieten.4 Daraus ergibt sich zugleich, dass wesentlicher inhaltlicher Bezugspunkt der zu veröffentlichenden Handreichungen die im LkSG normierten Sorgfaltspflichten sind, auch wenn der Gesetzeswortlaut des § 20 S. 1 LkSG allgemein von Informationen zur Einhaltung „dieses Gesetzes“ spricht.

5 Bei der Erstellung und Veröffentlichung von Handreichungen trifft das Bundes-

amt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle eine Pflicht zur Kooperation mit anderen Behörden (§ 20 S. 1 LkSG). Das beinhaltet zunächst eine Pflicht zur (einfachen) Abstimmung mit solchen Behörden, die fachlich betroffen sind. Unter welchen Voraussetzungen eine Behörde in diesem Sinne fachlich betroffen ist, lässt § 20 LkSG unbeantwortet. Vor dem Hintergrund der namentlich auf arbeitsrechtliche und umweltbezogene Belange gerichteten Schutzgüter des LkSG dürften als insofern betroffene Behörden jedenfalls Behörden im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz und darüber hinaus auch des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie anzusehen sein.5 Daneben sieht das LkSG in § 20 S. 2 LkSG eine weitergehende Kooperationspflicht vor, soweit die in den Handreichungen niedergelegten Informationen, Hilfestellungen und Empfehlungen außenpolitische Belange berühren. Ist das der Fall, bedürfen die Handreichungen der Zustimmung des Auswärtigen Amtes. Eine derartige Zustimmungsbedürftigkeit wird in der Praxis häufig sein, denn der Gesetzeswortlaut („berühren“, „Belange“) macht deutlich, dass an die Annahme einer Zustimmungsbedürftigkeit keine großen 3 Auch die Richtlinien nach § 53 Abs. 1 S. 3 GWB (zu diesen und ihrer Vergleichbarkeit mit den Handreichungen ausführlich unter III.) werden auf der Homepage des BKartA veröffentlicht, was für ohne weiteres zulässig erachtet wird, vgl. nur Schneider in Bunte, Kartellrecht, 14. Aufl. 2022, § 53 Rz. 2. 4 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 56. 5 Die Regierungsbegründung verweist insbesondere auf eine Abstimmung mit dem Umweltbundesamt, sofern umweltbezogene Pflichten in Rede stehen, vgl. RegE LkSG, BTDrucks. 19/28649, 56.

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Handreichungen | § 20

Anforderungen gestellt werden. Es genügt insofern bereits, dass die Informationen sich in einem weiteren Sinne auf außenpolitische Belange auswirken können.

II. Inhalt der Handreichungen Welche Art von Informationen das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon- 6 trolle im Rahmen der Handreichungen genau zu veröffentlichen hat, kommt im Wortlaut des § 20 S. 1 LkSG nur unvollkommen zum Ausdruck, erhellt sich aber anhand der Regierungsbegründung zum LkSG. Danach veröffentlicht die Behörde „branchenübergreifende oder branchenspezifische Informationen wie etwa zu existierenden Branchenstandards und Initiativen und erarbeitet Empfehlungen zur Einhaltung dieses Gesetzes.“6 Die Aufgabe der Behörde ist damit zwiegespalten: Zum einen hat sie existierende Branchenstandards und Initiativen im Rahmen der Handreichungen wiederzugeben bzw. auf deren Existenz und den Ort hinzuweisen, an dem diese abgerufen werden können. Das setzt eine vorherige behördliche Recherche nach entsprechenden Werken voraus. In Betracht kommen werden insofern insbesondere die in der Regierungsbegründung zu § 3 des LkSG hervorgehobenen entsprechenden Verlautbarungen der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD)7 und des Office of the High Commissioner for Human Rights der Vereinten Nationen (OHCHR).8 Diese branchenübergreifen und branchenspezifischen Leitfäden konkretisieren ausweislich der Regierungsbegründung zum LkSG, was verpflichtete Unternehmen tun können, um ihre Sorgfaltspflichten nach dem LkSG zu erfüllen.9 Zum anderen hat die Behörde selbst Empfehlungen dahingehend zu erarbeiten und abzugeben, wie die Sorgfaltspflichten des LkSG erfüllt werden können. Die vom Gesetz darüber hinaus genannte Kategorie der „Hilfestellungen“ dürfte bei Lichte besehen in den Empfehlungen aufgehen und keine eigenständige Bedeutung besitzen. Die in § 20 LkSG normierte Informationsveröffentlichungsaufgabe unterteilt 6 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 56. 7 OECD (2011): OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen; OECD (2012): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct; OECD (2012): OECD-Guidance for Responsible Supply Chains of Minerals from Conflict-Affected and High-Risk Areas; OECD/FAO (2016), OECD-FAO Guidance for Responsible Agricultural Supply Chains; OECD (2017): OECD-Due Diligence Guidance for Meaningful Stakeholder Engagement in the Extractive Sector; OECD (2018): OECD Due Diligence Guidance for Responsible Supply Chains in the Garment and Footwear Sector; OECD (2018): Responsible business conduct for institutional investors: Key considerations for due diligence; OECD (2019): Due Diligence for Responsible Corporate Lending and Securities Underwriting: Key considerations for banks implementing the OECD Guidelines for Multinational Enterprises. 8 UN OHCHR (2012): The Corporate Responsibility to Respect Human Rights. An Interpretive Guide; UN OHCHR (2018): Corporate human rights due diligence – Getting started, emerging practices, tools and resources. Siehe zur Berücksichtigung dieser Leitfäden im Rahmen der Erstellung von Handreichungen etwa Grabosch in Grabosch, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, § 2 Rz. 18. 9 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 41.

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§ 20 | Handreichungen sich damit in einen nachvollziehenden Teil, in dem andere Werke – ohne eigene Stellungnahme – lediglich (deklaratorisch) wiedergegeben werden bzw. ein Hinweis auf deren Existenz und Abrufungsort gegeben wird und einen weiteren, stellungnehmenden Teil, in dem die Behörde sich mit den konkreten Sorgfaltspflichten des LkSG auseinandersetzen und eigene Empfehlungen zu deren Einhaltung erarbeiten und abgeben muss.

III. Rechtscharakter und Bindungswirkung der Handreichungen 7 Für die verpflichteten Unternehmen von besonderer Bedeutung ist die Frage der

Bindungswirkung der Handreichungen, die eng mit der Frage der rechtlichen Einordung der Handreichungen zusammenhängt. Dass es sich bei den Handreichungen nicht um (für die Gerichte und die verpflichteten Unternehmen verbindliche) Rechtsverordnungen handeln kann, folgt bereits daraus, dass der Erlass von Rechtsverordnungen einer spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf,10 § 20 LkSG aber den Erlass von Rechtsverordnungen nicht vorsieht. Allerdings könnte eine Parallele zum Emittentenleitfaden der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gezogen werden, der ausweislich seiner Einleitung „praktische Hilfestellungen für den Umgang mit den Vorschriften des Wertpapierhandelsrechts bieten [soll]“ und die Verwaltungspraxis der BaFin erläutert.11 Die h.M. ordnet den Emittentenleitfaden als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift ein,12 mit der Folge, dass er gegenüber den von den Vorschriften des WpHG betroffenen Personen angesichts des Art. 3 Abs. 1 GG Außenwirkung im Sinne einer (Selbst-)Bindung der BaFin entfaltet.13 Der Emittentenleitfaden der BaFin unterscheidet sich von den Handreichungen des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zum einen jedoch dadurch, dass letztere auf einer spezifisch ausformulierten gesetzlichen Grundlage – § 20 LkSG – beruhen, während es für ersteren an einer derartigen, niedergelegten Rechtsgrundlage fehlt.14 Zum anderen gibt der Emittentenleitfaden wie erwähnt bereits in seiner Einleitung einen Hinweis auf seinen Rechtscharakter, indem er die Feststellung trifft, der Leitfaden erläutere die Verwaltungspraxis der BaFin.15 10 Siehe näher dazu Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 24 Rz. 50. 11 Vgl. BaFin, Emittentenleitfaden, 5. Aufl., Stand: 25.3.2020, Einleitung S. 3. 12 Vgl. BGH v. 25.2.2008 – II ZB 9/07, ZIP 2008, 639 = DB 2008, 977 = BB 2008, 855 Rz. 24; Fleischer, NZG 2007, 401, 404; Merkner/Sustmann, NZG 2005, 729 f.; Bedkowski, BB 2009, 394, 399 f.; Claussen/Florian, AG 2005, 745, 747; Seibt/Kraack, BKR 2020, 313. 13 Vgl. Merkner/Sustmann, NZG 2005, 729, 730. Siehe allgemein zur mittelbaren Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften und der entsprechenden Selbstbindung der Verwaltung Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 24 Rz. 26 ff. 14 Für den Erlass von Verwaltungsvorschriften ist grundsätzlich keine spezifisch ausformulierte Ermächtigungsgrundlage erforderlich; Verwaltungsvorschriften beruhen vielmehr auf der verfassungsrechtlichen Vollzugsbefugnis der Exekutive, s. näher dazu Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 24 Rz. 50. 15 Vgl. BaFin, Emittentenleitfaden, 5. Aufl., Stand: 25.3.2020, Einleitung S. 3.

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Handreichungen | § 20

Demgegenüber fehlt es in § 20 LkSG an einer Bezugnahme auf die Verwaltungspraxis des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Angesichts der fehlenden Bezugnahme auf die Verwaltungspraxis könnte daran 8 gezweifelt werden, ob es sich bei den Handreichungen nach § 20 LkSG überhaupt um Verwaltungsvorschriften handelt. Nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen sind Verwaltungsvorschriften abstrakt-generelle Regelungen des verwaltungsinternen Bereichs, die von einer vorgesetzten Behörde an nachgeordnete Behörden oder vom Behördenleiter an die ihm unterstellten Verwaltungsbediensteten gerichtet sind, um die Einheitlichkeit der Verwaltung sicherzustellen. Inhaltlich können sie sich insbesondere auf die sachliche Erledigung von Verwaltungsaufgaben beziehen.16 Zwar richten sich die Handreichungen nicht an nachgeordnete Behörden – zuständige Aufsichtsbehörde nach dem LkSG ist gem. § 19 Abs. 1 LkSG allein das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle –, allerdings schließt dieser Umstand das Vorliegen von Verwaltungsvorschriften bereits nach der allgemeinen Definition nicht per se aus. Auch der Emittentenleitfaden der BaFin richtet sich im Übrigen nicht an nachgeordnete Behörden, weil die BaFin die Aufsicht im Hinblick auf die Pflichten nach dem WpHG ohne nachgeordnete Behörden ausübt (vgl. § 6 WpHG). Allerdings sind die Handreichungen primär nicht als Informationsquelle für die Mitarbeiter des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, sondern vielmehr für die verpflichteten Unternehmen konzipiert. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Annahme, es handele sich bei ihnen um Verwaltungsvorschriften, kaum mit der hergebrachten Dogmatik des Allgemeinen Verwaltungsrechts in Einklang bringen. Zwar ließe sich dem entgegenhalten, dass auch der Emittentenleitfaden nie als internes Handbuch für die BaFin-Mitarbeiter gedacht war, sondern eigens für die Kapitalmarktteilnehmer konzipiert wurde.17 Dieser Umstand spricht aber nicht gegen die hier vertretene Meinung, sondern gibt vielmehr Anlass, die These zu überdenken, beim Emittentenleitfaden handele es sich um Verwaltungsvorschriften. Näher liegt im vorliegenden Zusammenhang eine Parallele zum Kartellrecht: 9 Nach § 53 Abs. 1 S. 3 GWB hat das BKartA fortlaufend seine Verwaltungsgrundsätze zu veröffentlichen.18 Bei den Verwaltungsgrundsätzen handelt es sich nach nahezu einheitlicher kartellrechtlicher Meinung um selbstauferlegte Richtlinien abstrakt-genereller Natur, nach denen das Amt – vergleichbar mit den Ermessensrichtlinien des Allgemeinen Verwaltungsrechts (einer Unterkategorie von Verwaltungsvorschriften19) – eine unbestimmte Zahl von Fällen mate16 Siehe näher dazu Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 24 Rz. 1. 17 Vgl. Bedkowski, BB 2009, 394, 400. 18 Abgedruckt sind die Verwaltungsgrundsätze etwa bei Bechtold/Bosch, GWB, 10. Aufl. 2021, Anhang C. 19 Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften beziehen sich – anders als norminterpretierende Verwaltungsvorschriften – nicht auf die Tatbestands-, sondern auf die Rechtsfolgenseite eines Gesetzes, indem sie bestimmen, in welcher Weise von dem Ermessen,

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§ 20 | Handreichungen riell und formell zu entscheiden beabsichtigt.20 Das trifft auch auf den stellungnehmenden Teil der Handreichungen zu, in dem die Behörde in Auseinandersetzung mit den konkreten Sorgfaltspflichten des LkSG eigene Empfehlungen zu deren Einhaltung abgibt (s. dazu Rz. 6). Dieser Teil der Handreichungen verkörpert dementsprechend abstrakt-generelle Richtlinien – vergleichbar denen nach § 53 Abs. 1 S. 3 GWB –, die für eine unbestimmte Zahl von Fällen materiell und formell maßgeblich sein sollen. Denn in dem stellungnehmenden Teil gibt die Behörde Erkenntnisse wieder, die sie aufgrund ihrer Analyse des LkSG sowie – zu einem späteren Zeitpunkt – anhand des ihr vorliegenden Fallmaterials gewonnen hat und einer (künftigen) Lösung zuführen wird bzw. bereits zugeführt hat.21 Der stellungnehmende Teil fixiert dementsprechend mit seinen Empfehlungen die (künftigen) Verwaltungsgrundsätze des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Der nachvollziehende Teil der Handreichungen, in dem andere Werke (Brancheninitiativen und Branchenstandards) lediglich (deklaratorisch) wiedergegeben werden bzw. ein Hinweis auf deren Existenz und Abrufungsort gegeben wird (s. dazu Rz 6), verkörpert demgegenüber keine Richtlinien bzw. Verwaltungsgrundsätze, wenn und weil es die Behörde an einer eigenen Stellungnahme zu den Werken missen lässt. Die im nachvollziehenden Teil der Handreichungen wiedergegebenen Informationen sind damit ohne jeglichen Rechts- und Regelungsgehalt und ihre Veröffentlichung führt insbesondere nicht zu einer Bindungswirkung der Behörde. 10 Was die Bindungswirkung des stellungnehmenden Teils der Handreichungen

anbelangt, folgt aus der Einordnung als selbstauferlegte Richtlinien vergleichbar denjenigen nach § 53 Abs. 1 S. 3 GWB, dass auch insofern auf die dortigen Erkenntnisse und Grundsätze rekurriert werden kann: Der stellungnehmende Teil der Handreichungen führt mit dessen Erlass – ebenso wie der Erlass von Richtlinien nach § 53 Abs. 1 S. 3 GWB – zu einer Selbstbindung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, mit der Folge, dass eine Abweichung nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen, d.h. bei Vorliegen eines sachlichen Grundes, möglich ist.22 Über den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG das der Verwaltung eingeräumt ist, Gebrauch gemacht werden soll, s. dazu näher Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 24 Rz. 13. 20 Vgl. Jungermann in Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: 97. Lieferung 08.2020, § 53 GWB Rz. 19; Quellmalz in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 53 GWB Rz. 3; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 53 GWB Rz. 6; Krauser in MünchKomm zum Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2020, § 53 GWB Rz. 9; Schneider in Bunte, Kartellrecht, 14. Aufl. 2022, § 53 Rz. 3; Klose in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 4. Aufl. 2020, § 53 Rz. 150. 21 Siehe zur parallelen Argumentation im Hinblick auf den Emittentenleitfaden der BaFin Bedkowski, BB 2009, 394, 400. 22 Siehe für die Richtlinien nach § 53 Abs. 1 S. 3 GWB Krauser in MünchKomm zum Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2020, § 53 GWB Rz. 9; Quellmalz in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 53 GWB Rz. 3; Bechtold/Bosch, GWB, 10. Aufl. 2021, § 53 Rz. 3; Stockmann in Immenga/Mest-

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entfaltet der stellungnehmende Teil der Handreichungen damit mittelbar Außenwirkung.23 Dafür spricht im vorliegenden Zusammenhang gerade auch der Umstand, dass die Handreichungen für die verpflichteten Unternehmen konzipiert sind und daher von gezielter Außenwirkung geprägt sind.24 Soweit das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle im Einzelfall ohne tragfähige Begründung bzw. willkürlich von dem stellungnehmenden Teil der Handreichungen abweicht, kann hierin eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes liegen, die zur Anfechtung des Verwaltungsakts berechtigt.25 Die Gerichte selbst werden von dem stellungnehmenden Teil der Handreichungen dagegen keinesfalls (unmittelbar) gebunden. Das folgt aus Art. 20 Abs. 3 GG, der eine Bindung der Rechtsprechung (nur) an Gesetz und Recht statuiert.26 Nichtsdestotrotz wird ein Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsvorwurf gegenüber dem verpflichteten Unternehmen regelmäßig ausscheiden, wenn sich das verpflichtete Unternehmen entsprechend dem stellungnehmenden Teil der Handreichungen verhält (d.h. Handlungen vornimmt, die im stellungnehmenden Teil der Handreichungen als zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten genügend beurteilt werden), ein Gericht das jeweilige Verhalten aber dennoch als Verstoß gegen die Pflichten des LkSG wertet.27

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mäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 53 GWB Rz. 6; Jungermann in Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: 97. Lieferung 08.2020, § 53 GWB Rz. 19; Schneider in Bunte, Kartellrecht, 14. Aufl. 2022, § 53 Rz. 4; Klose in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 4. Aufl. 2020, § 53 Rz. 150. Siehe für die Richtlinien nach § 53 Abs. 1 S. 3 GWB Krauser in MünchKomm zum Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2020, § 53 GWB Rz. 9; Schneider in Bunte, Kartellrecht, 14. Aufl. 2022, § 53 Rz. 3. Siehe zur parallelen Argumentation im Hinblick auf den Emittentenleitfaden der BaFin Bedkowski, BB 2009, 394, 400. Siehe für die Richtlinien nach § 53 Abs. 1 S. 3 GWB Krauser in MünchKomm zum Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2020, § 53 GWB Rz. 9; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 53 GWB Rz. 6. Siehe für die Richtlinien nach § 53 Abs. 1 S. 3 GWB Krauser in MünchKomm zum Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2020, § 53 GWB Rz. 9; Quellmalz in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 53 GWB Rz. 3; Bechtold/Bosch, GWB, 10. Aufl. 2021, § 53 Rz. 3; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 53 GWB Rz. 6; Jungermann in Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: 97. Lieferung 08.2020, § 53 GWB Rz. 19; Schneider in Bunte, Kartellrecht, 14. Aufl. 2022, § 53 Rz. 4; Klose in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 4. Aufl. 2020, § 53 Rz. 150. Siehe für die Richtlinien nach § 53 Abs. 1 S. 3 GWB Bechtold/Bosch, GWB, 10. Aufl. 2021, § 53 Rz. 3; Jungermann in Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: 97. Lieferung 08.2020, § 53 GWB Rz. 19.

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§ 21 Rechenschaftsbericht (1) Die nach § 19 Absatz 1 Satz 1 zuständige Behörde berichtet einmal jährlich über ihre im vorausgegangenen Kalenderjahr erfolgten Kontroll- und Durchsetzungstätigkeiten nach Abschnitt 4. Der Bericht ist erstmals für das Jahr 2022 zu erstellen und auf der Webseite der zuständigen Behörde zu veröffentlichen. (2) Die Berichte sollen auf festgestellte Verstöße und angeordnete Abhilfemaßnahmen hinweisen und diese erläutern sowie eine Auswertung der eingereichten Unternehmensberichte nach § 12 enthalten, ohne die jeweils betroffenen Unternehmen zu benennen. I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt des Rechenschaftsberichts

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III. Erstmaliger Rechenschaftsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Überblick 1 § 21 Abs. 1 LkSG verpflichtet das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon-

trolle als zuständige Aufsichtsbehörde (vgl. § 19 Abs. 1 LkSG), einmal jährlich über ihre im vorausgegangenen Kalenderjahr ausgeführten Kontroll- und Durchsetzungstätigkeiten zu berichten und den Bericht zu veröffentlichen. Zweck der Vorschrift ist – wie die Überschrift zeigt – die Rechenschaftslegung gegenüber der Öffentlichkeit und damit letztlich die Schaffung von Transparenz. Anders als die materiellen Regelungen des LkSG tritt § 21 LkSG (ebenso wie §§ 19, 20 LkSG sowie §§ 13 Abs. 3, 14 Abs. 2 LkSG) nicht erst künftig (am 1.1.2023) in Kraft, sondern ist bereits am Tag nach der Verkündung des LkSG, d.h. mit Wirkung zum 23.7.2021 in Kraft getreten.1 Der Grund für dieses vorzeitige Inkrafttreten liegt in dem Umstand, dass der erstmalige Rechenschaftsbericht nach § 21 Abs. 1 S. 2 LkSG bereits für das Kalenderjahr 2022 zu erstellen ist (s. dazu noch Rz. 5).

II. Inhalt des Rechenschaftsberichts 2 Bezugspunkt des Rechenschaftsberichts sind die im vorausgegangenen Kalen-

derjahr ausgeführten Kontroll- und Durchsetzungstätigkeiten. Die Vorschrift verweist insofern auf die behördlichen Maßnahmen nach Abschnitt 4 des LkSG, mithin die Berichtsprüfung (§§ 12 und 13 LkSG) und die risikobasierte Kontrolle, ob und inwieweit die Sorgfaltspflichten des LkSG eingehalten wurden (§§ 14 bis 18 LkSG). Im Rechenschaftsbericht ist dementsprechend zum einen zu erläutern, welche Maßnahmen das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle

1 Vgl. Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vom 16.7.2021, BGBl. I Nr. 46, S. 2959.

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Rechenschaftsbericht | § 21

im Hinblick auf die Berichtsprüfung unternommen hat. § 21 Abs. 2 LkSG erweitert und konkretisiert dies um eine Auswertung der eingereichten Unternehmensberichte. Auswertung meint insofern die Analyse und Darstellung, in welchen Bereichen die verpflichteten Unternehmen regelmäßig menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken oder Verletzungen entsprechender Pflichten identifiziert haben und welche Art von Abhilfe- und Präventionsmaßnahmen regelmäßig ergriffen wurden, um diesen Risiken bzw. Verletzungen zu begegnen. Zudem ist darzustellen, wie die Wirksamkeit und die Auswirkungen bestimmter ergriffener Maßnahmen von den verpflichteten Unternehmen regelmäßig bewertet werden und welche Schlussfolgerungen daraus in der Regel gezogen werden. Auch ist im Rechenschaftsbericht darzulegen, wie hoch die Befolgungsquote der Vorgaben des § 13 Abs. 1 LkSG im Hinblick auf die Einreichung und den Mindestinhalt der externen Berichte nach § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG ist, d.h. ob und inwieweit die verpflichteten Unternehmen ihren Berichtspflichten in der Regel nachgekommen sind. Zum anderen ist im Rechenschaftsbericht zu erläutern, welche Maßnahmen das 3 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle im Hinblick auf die durchgeführte risikobasierte Kontrolle unternommen hat. § 21 Abs. 2 LkSG konkretisiert dies dahingehend, dass im Rechenschaftsbericht auf festgestellte Verstöße und die von der Behörde angeordneten Abhilfemaßnahmen hingewiesen und diese erläutert werden müssen. Der nicht näher definierte Begriff der „Verstöße“ bezieht sich dabei zum einen auf Verstöße gegen die in den §§ 3 bis 10 Abs. 1 LkSG normierten Sorgfaltspflichten. Das lässt sich aus § 15 S. 1 LkSG – der zentralen Ermächtigungsgrundlage für behördliche Eingriffe im Rahmen der Kontrolle und Durchsetzung der Pflichten nach dem LkSG – schließen, die die Aufsichtsbehörde ermächtigt, Anordnungen und Maßnahmen zur Feststellung, Beseitigung und Verhinderung von „Verstößen gegen die Pflichten nach den §§ 3 bis 10 Absatz 1“ zu treffen. Zum anderen bezieht sich der Verstoßbegriff auch auf Verstöße im Zusammenhang mit der Pflicht zur externen Berichterstattung nach § 10 Abs. 2 bis 4 LkSG, d.h. Verstöße gegen die Erstellungs- und Veröffentlichungspflicht (§ 10 Abs. 2 LkSG) sowie die Einreichungspflicht (§§ 12 und 13 LkSG). Das lässt sich aus § 13 Abs. 1 LkSG schließen, wonach dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle die Prüfung obliegt, ob der externe Bericht erstellt und eingereicht wurde und er den weiteren Anforderungen des § 10 Abs. 2 und 3 LkSG (insbesondere im Hinblick auf seinen Inhalt und die Veröffentlichung) genügt. Bei den „angeordneten Abhilfemaßnahmen“, auf die nach § 21 Abs. 2 LkSG im Rechenschaftsbericht hinzuweisen ist und die dort zu erläutern sind, handelt es sich nicht etwa um – vom verpflichteten Unternehmen ergriffene – Abhilfemaßnahmen nach § 7 LkSG, sondern weitergehend um diejenigen Beseitigungsmaßnahmen, die das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle auf Grundlage des § 15 LkSG gegenüber dem verpflichteten Unternehmen angeordnet hat. § 21 Abs. 2 a.E. LkSG ordnet an, dass die jeweils betroffenen verpflichteten Un- 4 ternehmen – also insbesondere die verpflichteten Unternehmen, bei denen VerMader

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§ 21 | Rechenschaftsbericht stöße festgestellt und denen gegenüber Beseitigungsmaßnahmen angeordnet wurden – im Rechenschaftsbericht nicht benannt werden. Das ist als ausdrückliche Absage an das Konzept eines Naming and Shaming zu verstehen, wie es etwa im Kapitalmarktrecht im Bereich der Transparenzpflichten verfolgt wird.2 Die Vorschrift verbietet allerdings nur eine „Benennung“ des konkreten verpflichteten Unternehmens. Solange die Nennung der Firma des verpflichteten Unternehmens im Rechenschaftsbericht unterbleibt, liegt daher eine Verletzung des § 21 Abs. 2 a.E. LkSG auch dann nicht vor, wenn sich aus der Erläuterung des Verstoßes oder der angeordneten Abhilfemaßnahmen schließen lässt, um welches verpflichtete Unternehmen es sich handelt – etwa, weil bereits zuvor in der Presse über den Verstoß berichtet wurde.

III. Erstmaliger Rechenschaftsbericht 5 Erstaunlich mutet an, dass der erstmalige Rechenschaftsbericht nach § 21 Abs. 1

S. 2 LkSG schon für das Jahr 2022 zu erstellen und veröffentlichen ist, d.h. er ist im Jahr 2023 zu erstellen und zu veröffentlichen, hat sich aber bereits auf das Jahr 2022 zu beziehen. Insofern gilt es zu beachten, dass das LkSG – mit Ausnahme der §§ 19, 20, 21 LkSG sowie §§ 13 Abs. 3, 14 Abs. 2 LkSG – erst am 1.1. 2023 in Kraft tritt3 und damit namentlich die Sorgfaltspflichten nach dem LkSG im Jahr 2022 noch nicht erfüllt werden müssen. Spiegelbildlich verfügt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle im Jahr 2022 auch noch nicht über das Eingriffsinstrumentarium nach §§ 12 ff., 14 ff. LkSG, weil die Regelungen, die die entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen für Eingriffe vorsehen, ebenfalls erst am 1.1.2023 in Kraft treten. Die Regierungsbegründung zum LkSG weist insofern explizit darauf hin, dass das vorzeitige Inkrafttreten der §§ 19, 20, 21 LkSG sowie der §§ 13 Abs. 3, 14 Abs. 2 LkSG sich allein mit der gegebenenfalls nötigen Vorbereitung des ersten Rechenschaftsberichts der Behörde begründet und keine Auswirkungen auf das Inkrafttreten der behördlichen Kontrollbefugnisse (erst) am 1.1.2023 hat.4 Dementsprechend kann in dem erstmaligen Rechenschaftsbericht jedenfalls nicht über die Umstände berichtet werden, die grundsätzlich zum Kerninhalt des Rechenschaftsberichts zählen, nämlich die festgestellten Verstöße und angeordneten Abhilfemaßnahmen sowie die Auswertung der eingereichten externen Berichte (vgl. § 21 Abs. 2 LkSG). § 21 Abs. 1 S. 2 LkSG kann daher nur dahingehend verstanden werden, dass im erstmaligen Rechenschaftsbericht lediglich auf die Veröffentlichung etwaiger Handreichun2 Nach § 124 WpHG werden Verstöße gegen die kapitalmarktrechtlichen Transparenzpflichten unter Benennung der für den Verstoß verantwortlichen natürlichen oder juristischen Person oder Personenvereinigung auf der Internetseite der BaFin veröffentlicht. Siehe zum in diesem Zusammenhang verfolgten Konzept des Naming and Shaming etwa Dieckmann in BeckOK/WpHR, Stand: 1.7.2021, § 33 Rz. 34. 3 Vgl. Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vom 16.7.2021, BGBl. I Nr. 46, S. 2959. 4 Vgl. RegE LkSG, BT-Drucks. 19/28649, 59.

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Rechenschaftsbericht | § 21

gen durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (vgl. § 20 LkSG) sowie den Erlass von Rechtsverordnung zur Regelung des Verfahrens der Berichtseinreichung und -prüfung (vgl. § 13 Abs. 3 LkSG) sowie des Verfahrens der risikobasierten Kontrolle (vgl. § 14 Abs. 2 LkSG) durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hinzuweisen ist. Denn im Jahr 2022 – dem Bezugszeitraum des erstmaligen Rechenschaftsberichts – werden lediglich die genannten Vorschriften – §§ 19, 20, 21 LkSG sowie §§ 13 Abs. 3, 14 Abs. 2 LkSG – in Kraft getreten sein.

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Abschnitt 5 Öffentliche Beschaffung (§ 22) § 22 Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge (1) Von der Teilnahme an einem Verfahren über die Vergabe eines Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsauftrags der in den §§ 99 und 100 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen genannten Auftraggeber sollen Unternehmen bis zur nachgewiesenen Selbstreinigung nach § 125 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgeschlossen werden, die wegen eines rechtskräftig festgestellten Verstoßes nach § 24 Absatz 1 mit einer Geldbuße nach Maßgabe von Absatz 2 belegt worden sind. Der Ausschluss nach Satz 1 darf nur innerhalb eines angemessenen Zeitraums von bis zu drei Jahren erfolgen. (2) Ein Ausschluss nach Absatz 1 setzt einen rechtskräftig festgestellten Verstoß mit einer Geldbuße von wenigstens einhundertfünfundsiebzigtausend Euro voraus. Abweichend von Satz 1 wird 1. in den Fällen des § 24 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit § 24 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 ein rechtskräftig festgestellter Verstoß mit einer Geldbuße von wenigstens eine Million fünfhunderttausend Euro, 2. in den Fällen des § 24 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit § 24 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 ein rechtskräftig festgestellter Verstoß mit einer Geldbuße von wenigstens zwei Millionen Euro und 3. in den Fällen des § 24 Absatz 3 ein rechtskräftig festgestellter Verstoß mit einer Geldbuße von wenigstens 0,35 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes vorausgesetzt. (3) Vor der Entscheidung über den Ausschluss ist der Bewerber zu hören. I. Gegenstand und Hintergrund der Regelung . . . . . . . . . . . . . II. Verfahren über die Vergabe eines Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsauftrags . . . . . . . . . . . III. In den §§ 99 und 100 GWB genannte Auftraggeber . . . . . . IV. Unternehmen . . . . . . . . . . . . . V. Rechtskräftig festgestellter Verstoß nach § 24 Abs. 1 . . . . .

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VI. Belegung mit einer Geldbuße nach Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . VII. Selbstreinigung . . . . . . . . . . . VIII. Ausschluss von der Teilnahme n einem Vergabeverfahren . . . IX. Ausschlussfrist (Abs. 1 Satz 2) X. Wettbewerbsregister . . . . . . . XI. Anhörung des Bewerbers (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

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Literatur Freund/Krüger, Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Was haben öffentliche Auftraggeber im Vergabeverfahren zu beachten? – Ein erster Überblick, NVwZ 2022, 665; Fritz/Klaedtke, Lieferketten im Vergabeverfahren: Sofortige und zukünftige Änderungen durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NZBau 2022, 131; Jungkind/Raspé/ Terbrack, Unternehmensverantwortung in der Lieferkette – Das Lieferkettensorgfalts-

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§ 22 | Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge pflichtengesetz und seine Folgen für die Unternehmensorganisation, DK 2021, 445; Siegel, Neue Ziele im Vergaberecht, VergabeR 2022, 14.

I. Gegenstand und Hintergrund der Regelung 1 § 22 verzahnt das LkSG mit dem Vergaberecht. Damit greift der Gesetzgeber des

LkSG auf eine bereits in anderen Normbereichen eingesetzte Regelungstechnik zurück, dass Rechtsverstöße für Unternehmen Nachteile nach sich ziehen können, wenn diese sich als Bieter um öffentliche Aufträge bewerben. Dann sollen – im Falle der Vergabe eines Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsauftrags (dazu Rz. 8 f.) – der in den §§ 99 und 100 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen genannten Auftraggeber (dazu Rz. 10) – Unternehmen (dazu Rz. 11 ff.) – die wegen eines rechtskräftig festgestellten Verstoßes nach § 24 Abs. 1 (dazu Rz. 15 f.) – mit einer Geldbuße nach Maßgabe von Abs. 2 belegt worden sind (dazu Rz. 17 ff.) – bis zur nachgewiesenen Selbstreinigung nach § 125 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (dazu Rz. 20 ff.) – von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden (dazu Rz. 27 ff.), – wobei eine maximale Ausschlussfrist von 3 Jahren gilt (dazu Rz. 30 ff.) und – die Eintragungen im Wettbewerbsregister zu beachten sind (dazu Rz. 34 ff.), – der Bewerber vor einem Ausschluss aber zu hören ist (dazu Rz. 39 ff.) und – er sich gegen einen Ausschluss mit rechtlichen Mitteln zur Wehr setzen kann (dazu Rz. 43 ff.).

2 In den Gesetzgebungsmaterialien1 wird auf vergleichbare Vorschriften in § 19

des Mindestlohngesetzes2 und § 21 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes3 verwiesen. Weitere Parallelvorschriften finden sich in § 21 des ArbeitnehmerEntsendegesetzes4 und § 98c des Aufenthaltsgesetzes.5 Wie bei den vorgenannten Tatbeständen ist der Gesetzgeber auch bei § 22 den Weg gegangen, dass ein vergaberechtlicher Tatbestand außerhalb des GWB-Vergaberechts geregelt wird. Für Rechtsverstöße in anderen Fallkonstellationen sind die Ausschlussgründe in 1 BT-Drucks. 19/28649, 57. 2 Vgl. hierzu Pötters/Krause, NZA 2015, 398, 401 f.; Greiner in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, Stand: 1.12.2021, § 19 MiLoG. 3 Siehe etwa Gercke in Gercke/Kraft/Richter, Arbeitsstrafrecht, 3. Aufl. 2021, D.V. Rz. 255 f. 4 Vgl. Gussen in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, Stand: 1.12.2021, § 21 AEntG. 5 Hierzu und zu Anwendungs- und Umgehungsproblemen Hörich/Bergmann, ZAR 2012, 327, 329 ff.

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Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge | § 22

§§ 123, 124 GWB geregelt, was insbesondere Verstöße gegen bestimmte Tatbestände des StGB betrifft (vgl. im Einzelnen § 123 Abs. 1 GWB).6 Zwischen den Ausschlusstatbeständen des § 22 einerseits und denen des GWB-Vergaberechts sowie den weiteren vorgenannten Ausschlusstatbeständen andererseits finden sich deutliche Parallelen, so dass ein „Rechtsvergleich“ zwischen den Normen, einschließlich der insbesondere zum GWB-Vergaberecht ergangenen Rechtsprechung, auch Eingang in die Auslegung von § 22 finden kann. Die Verzahnung mit der Regelung des Ausschlusses von Vergabeverfahren gem. 3 §§ 123 ff. GWB ist in dem als Artikelgesetz verabschiedeten Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vom 16.7.2021 (BGBl. I vom 22.7.2021, S. 2959) erfolgt, in dem nach dessen Art. 2 auch § 124 Abs. 2 GWB modifiziert wurde. Der neu gefasste § 124 Abs. 2 GWB bestimmt, dass § 22 unberührt bleibt und mithin neben den Ausschlusstatbeständen in §§ 123, 124 GWB zur Anwendung kommt. § 22 steht als „Soll“-Vorschrift zwischen den zwingenden Ausschlusstatbeständen des § 123 GWB (hier „muss“ ein Ausschluss erfolgen) und den fakultativen Ausschlusstatbeständen des § 124 GWB (hier „kann“ ein Ausschluss erfolgen). Ein Verstoß gegen die Pflichten des LkSK könnte insofern ggf. auch als schwere 4 Verfehlung i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird, eingestuft werden;7 wobei sich dann freilich die Frage stellt, inwiefern § 22 als abschließende Regelung zu vergaberechtlichen Sanktionen anzusehen ist. Wenn z.B. bei einem Verstoß gegen das LkSG geringere Bußgelder als die in § 22 Abs. 2 genannten festgelegt werden sollten, dann wäre es nicht mit der Wertung des § 22 konsistent, wenn gleichwohl – ohne weitere Sachverhaltsumstände – ein Ausschluss aus einem Vergabeverfahren erfolgen dürfte. Insofern bedürfte es bei der Anwendung von § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB und der hiernach zu treffenden Ermessensentscheidung einer genauen Prüfung, ob von einer schweren Verfehlung ausgegangen werden kann. Mit § 22 hat der Gesetzgeber einen zusätzlichen Sanktionsmechanismus inner- 5 halb des LkSG geschaffen: Verstöße gegen das LkSG können nicht nur mittels Zwangsgeld durchgesetzt (§ 23) und mittels Bußgeld (§ 24) geahndet. Daneben tritt das Instrument, ein Unternehmen auch damit präventiv zur Normbeachtung zu veranlassen, dass Normverstöße repressiv zu einem berechtigten Ausschluss von öffentlichen Aufträgen führen können. Sofern das Unternehmen in erheblichem Umfang auf öffentliche Aufträge angewiesen ist, was auf bestimmte Branchen zutrifft, ist der Ausschluss vom Vergabeverfahren ein „scharfes Schwert“.8 Der BDI und angeschlossene Verbände sprechen davon, dass ein Ausschluss von öffentlichen Auftragsvergaben für Branchen, die allein durch Vergabeverfahren 6 Vgl. hierzu etwa Stolz in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 123 GWB Rz. 5 ff. 7 Siehe Jungkind/Raspé/Terbrack, DK 2021, 445, 452. 8 Siehe auch Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 913 und Freund/Krüger, NVwZ 2022, 665, 667. Engel/Schönfelder in Grabosch, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 6 Rz. 48 sprechen von einer erheblichen Anreizwirkung.

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§ 22 | Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge der öffentlichen Hand geprägt sind, einer existenziellen Bedrohung ihrer unternehmerischen Tätigkeit gleichkommen würde.9 6 Die regulatorische Verknüpfung der Einhaltung von Sorgfaltspflichten in der

Lieferkette mit dem Vergaberecht findet sich hingegen nicht (mehr) in dem Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937.10 Vorgesehen ist in Art. 20 Abs. 1 des Vorschlags nur, dass die Mitgliedstaaten Vorschriften über Sanktionen erlassen, die bei Verstößen gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften zu verhängen sind, und treffen alle für die Anwendung der Sanktionen erforderlichen Maßnahmen; wobei die vorgesehenen Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. Ursprünglich war als Sanktion aufgeführt, dass die zuständigen nationalen Behörden Unternehmen von öffentlichen Aufträgen ausschließen können.11

7 Eine Verzahnung von Sorgfaltspflichten in der Lieferkette mit dem Vergaberecht

kommt nicht nur im Rahmen des § 22 in Betracht. Denkbar ist zudem auch, dass rechtliche Anforderungen an die Lieferkette mit dem Vergabeverfahren verknüpft werden.12 Insofern kommt dem Grunde nach in Betracht, dass soziale und umweltbezogene Parameter in verschiedenen Phasen des Vergabeverfahrens zur Anwendung kommen: im Rahmen der Leistungsbeschreibung, indem diesbezügliche Anforderungen an die Lieferkette (z.B. Nachhaltigkeitskriterien) in der Ausschreibung definiert werden; mittels Eignungskriterien, indem die Eignung des Bieters von der Einhaltung bestimmter Sorgfaltspflichten in der Lieferkette abhängig gemacht wird; bei dem Zuschlag, wenn dort soziale oder umweltbezogene Lieferkettenkriterien Eingang finden; oder in den Ausführungsbedingungen, soweit für die Ausführung des öffentlichen Auftrags die Einhaltung solcher Kriterien gefordert wird. Die rechtliche Zulässigkeit bemisst sich nach den jeweils einschlägigen Bestimmungen des Vergaberechts (vgl. insbes. § 97 Abs. 3, § 122 Abs. 4, § 127 Abs. 1, 3, 4 und § 128 Abs. 1, 2 GWB sowie § 31 Abs. 3, § 46 Abs. 3 Nr. 4 und § 58 Abs. 2 VgV).13 9 BDI-Verbändebrief zum Sorgfaltspflichtengesetz vom 25.3.2021, S. 3. Die Verhältnismäßigkeit der Sanktion des Vergabeausschlusses in Frage stellend: DAV-Ausschüsse, NZG 2021, 546, 554 in deren Stellungnahme zum Regierungsentwurf des LkSG. 10 Entwurf vom 23.2.2022, KOM(2022) 71 endgültig 2022/0051 (COD). 11 Insofern fand sich in Art. 18 Abs. 2 des ursprünglichen Entwurfs (P9_TA(2021)0073, Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10.3.2021 mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen (2020/2129(INL))) noch der Sanktionsmechanismus, dass die zuständigen nationalen Behörden Unternehmen „vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit von öffentlichen Aufträgen“ ausschließen können. 12 Ausführlich dazu Fritz/Klaedtke, NZBau 2022, 131, 134 f. und Lausen/Pustal, NZBau 2022, 3. Ferner Engel/Schönfelder in Grabosch, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 6 Rz. 54. 13 Siehe den Beschluss des VK Bund vom 1.12.2020 (VK 1-90/20, NZBau 2020, 128 Ls.), im Wesentlichen bestätigt durch die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 1.12.2021 (VII-Verg 54/20, IBR 2022, 2560), bei dem das Zuschlagskriterium einer „geschlosse-

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Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge | § 22

II. Verfahren über die Vergabe eines Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsauftrags In sachlicher Hinsicht erfasst § 22 Verfahren über die Vergabe eines Liefer-, 8 Bau- oder Dienstleistungsauftrags. Damit lehnt sich § 22 an die auch im GWBVergaberecht normierten drei Kategorien von öffentlichen Aufträgen an, die in § 103 Abs. 2 bis 4 GWB definiert werden. Zugleich ist auch Voraussetzung, dass es sich überhaupt um einen öffentlichen Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 GWB handelt. Insofern ist auf § 103 Abs. 1 GWB und dessen nähere Bestimmung in Rechtsprechung und juristischem Schrifttum – wie etwa zum Erfordernis eines Beschaffungszwecks – abzustellen.14 Nicht erfasst sind damit Konzessionen i.S.v. § 105 GWB, da diese – nach den Begrifflichkeiten des Vergaberechts – keinen öffentlichen Auftrag darstellen.15 Nicht eindeutig ist, ob öffentliche Aufträge unterhalb der Schwellenwerte er- 9 fasst werden. Hierfür spricht, dass § 22 keine ausdrückliche Regelung und damit auch keine explizite Beschränkung auf die jedenfalls umfassten Aufträge oberhalb der Schwellenwerte enthält.16 Andererseits ist zu beachten: § 22 enthält eine spezifische Bezugnahme auf die in den §§ 99 und 100 GWB genannten Auftraggeber. Diese unterliegen dem GWB-Vergaberecht, welches allein für öffentliche Aufträge oberhalb der Schwellenwerte gilt (§ 106 GWB). Für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte kommt aber nicht das GWB Vergaberecht (§§ 97 ff. GWB), sondern das Haushaltsvergaberecht zur Anwendung. Hier gilt im Gegensatz zu der im Rahmen von § 99 GWB zugrunde zu legenden funktionalen Betrachtungsweise ein eigenständiger und zwar der institutionelle Auftraggeberbegriff. Adressaten der Regelungen des Haushaltsvergaberechts sind mithin öffentliche Auftraggeber im institutionellen Sinne, somit diejenigen Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Kommunen.17 Dies spricht dafür, dass sichder Mechanismus des § 22 allein auf Oberschwellenvergaben bezieht.

III. In den §§ 99 und 100 GWB genannte Auftraggeber § 22 nimmt spezifisch auf die in den §§ 99 und 100 GWB genannten Auftrag- 10 geber Bezug. Erfasst werden damit öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 99 GWB

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nen EU-Lieferkette“ als Verstoß gegen § 97 Abs. 2, § 127 Abs. 3 und § 127 Abs. 4 GWB gewertet wurde. Vgl. hierzu etwa Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 103 GWB Rz. 6 ff. Ebenso Freund/Krüger, NVwZ 2022, 665, 668. Daher eine Geltung des § 22 im Unterschwellenvergabebereich befürwortend: Freund/ Krüger, NVwZ 2022, 665, 668; Engel/Schönfelder in Grabosch, Das neue LieferkettensorgfaltspflichtenG, 2021, § 6 Rz. 49. Vgl. Pache in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 55 BHO Rz. 87 f.; Reichling in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, 2. Aufl. 2017, Kap. 1 § 2 Rz. 113.

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§ 22 | Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 GWB, nicht aber Konzessionsgeber i.S.d. § 101 GWB.18 Angesichts der klaren Benennung der erfassten Auftraggeber ist eindeutig geregelt, für welche Auftraggeber § 22 gelten und für welche Personenkreise die Norm nicht gelten soll.

IV. Unternehmen 11 § 22 erfasst „Unternehmen“, ohne den Begriff zu definieren. Auf „Unternehmen“

stellen auch § 1 und die vergaberechtlichen Ausschlusstatbestände in §§ 123, 124 GWB ab. Gemeint und erfasst werden hier Unternehmen, welche sich als Bieter in einem Vergabeverfahren um einen öffentlichen Auftrag bewerben wollen.

12 Gerade im Kontext mit Konzernstrukturen stellt sich die Frage, wie der Unter-

nehmensbegriff bei § 22 zu bestimmen ist. Aus vergaberechtlicher Sicht gilt, dass im Ansatz auf die jeweilige Konzerngesellschaft abzustellen ist, nicht hingegen auf den Konzern. Dies folgt aus der rechtlichen Selbständigkeit der Konzerngesellschaften (konzernrechtliches Trennungsprinzip). Dementsprechend ist es auch die jeweilige Konzerngesellschaft (und nicht der Konzern), welche sich um einen öffentlichen Auftrag bewirbt. Die Frage stellt sich gleichermaßen im Rahmen von § 1, bei dem für den Unternehmensbegriff im Ausgangspunkt an die Rechtsträgerschaft anzuknüpfen ist (näher hierzu Kommentierung von Schmelzeisen, § 1 Rz. 4 ff.); und sich die Einbeziehung verbundener Unternehmen nach § 1 Abs. 3 bestimmt, wobei der Unternehmensverbund als solcher nicht als Normadressat angesehen werden sollte (näher hierzu Kommentierung von Schmelzeisen, § 1 Rz. 28 ff.).

13 Damit schlagen für die vergaberechtliche Beurteilung bei einer auf den Rechts-

träger bezogenen Betrachtungsweise von § 22 erfasste, festgestellte Verstöße in Bezug auf eine Konzerngesellschaft nicht auf eine andere Konzerngesellschaft durch. Insofern findet keine Zurechnung statt, insbesondere keine bei Verhaltenszurechnung von Organen (z.B. bei doppelter Geschäftsführerstellung in zwei Konzerngesellschaften), da alleiniger Bezugspunkt der Pflichten und der Sanktionierung das Unternehmen als solches ist. Dementsprechend kann es auch keine gegenseitige „Infizierung“ zwischen Konzerngesellschaften geben; etwa, wenn Konzernmutter nicht gegen LkSG-widrige Praktiken der Konzerntochter einschreitet; es sei denn, die Konzernmutter verwirklicht selbst den Pflichtenverstoß und wird mit einer Geldbuße nach § 24 Abs. 1 und 2 belegt.

14 Gleiches gilt für die Selbstreinigung (dazu Rz. 20 ff.). Die nach § 22 Abs. 1 S. 1

i.V.m. § 125 GWB gebotenen Anforderungen an eine Selbstreinigung sind von der jeweils betroffenen Konzerngesellschaft selbst zu erbringen. Allerdings kann es konzernweit überspannende Selbstreinigungsmaßnahmen (wie etwa konzernweite Compliance-Programme der Konzernmutter) geben, welche dann geeignet sein können, die Selbstreinigung auch der Konzerntochter nachzuweisen. 18 So auch Freund/Krüger, NVwZ 2022, 665, 668.

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V. Rechtskräftig festgestellter Verstoß nach § 24 Abs. 1 Mit einem rechtskräftig19 festgestellten Verstoß nach § 24 Abs. 1 sind allein 15 förmliche Entscheidungen in Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 24 Abs. 1 gemeint (vgl. auch Rz. 17). In diesen von dem BAFA durchgeführten Verfahren muss also eine konkrete Feststellung getroffen worden sein, dass gegen eine dort in den Nr. 1–13 genannte Pflicht des LkSG verstoßen wurde. Indem § 22 Abs. 1 S. 1 einen rechtskräftig festgestellten Verstoß nach § 24 16 Abs. 1 fordert, ist klargestellt, dass nur solche Verstöße einen Ausschluss aus einem Vergabeverfahren erlauben, die sich auf § 24 Abs. 1 und die dort genannten Pflichten des LkSG beziehen. Sollte es also etwa vergleichbare Rechtsvorschriften in einer ausländischen Rechtsordnung geben, auf deren Grundlage eine Geldbuße festgesetzt wurde, kann dies unter dem Regime des LkSG nicht zu einem Ausschluss nach § 22 führen. Hierfür hätte es einer ausdrücklichen Regelung bedurft, wie sie sich etwa in § 123 Abs. 2 GWB für die zwingenden Ausschlussgründe des § 123 Abs. 1 GWB findet.

VI. Belegung mit einer Geldbuße nach Abs. 2 Eine weitere Voraussetzung für einen Ausschluss von der Teilnahme an einem 17 Vergabeverfahren ist, dass das betreffende Unternehmen auch mit einer Geldbuße nach Maßgabe von Abs. 2 belegt worden ist. Rechtskräftig festgestellte Verstöße, etwa in einem Verwaltungs- und/oder Gerichtsverfahren, welche nicht zu einer Belegung mit einer Geldbuße geführt haben, werden damit nicht erfasst. Ebenfalls nicht erfasst werden anderweitige, hoheitlich angeordnete Zahlungspflichten, welche nicht als Geldbuße in einem förmlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren festgesetzt wurden. Sollte also z.B. das Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt werden und ein Einziehungsbescheid mit einer Zahlungspflicht gegenüber dem betroffenen Unternehmen ergehen, wäre dies nicht als Geldbuße i.S.v. § 22 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 zu qualifizieren. Die Geldbuße muss zudem, damit sie einen Auftragsausschluss auslösen kann, 18 die in Abs. 2 genannten Mindestbeträge bzw. Mindestprozentsätze erreichen. Insofern schreibt Abs. 2 Satz 1 als Grundtatbestand einen Mindestbetrag von 175.000 € vor. Hiervon abweichend wird in Abs. 2 Satz 2 für bestimmte Tatbestandsvarianten ein anderweitiger Mindestwert festgelegt. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien sollen die Bußgeldschwellen in Abs. 2 sicherstellen, dass nur schwerwiegende Verstöße zu einem Ausschluss führen.20 Für eine ordnungsgemäße Anwendung von § 22 Abs. 2 muss der öffentliche Auftraggeber nicht nur die Höhe des Bußgeldes kennen, sondern auch den Tatbestand des § 24, auf welchen das Bußgeld gestützt wurde.21 19 Nach Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 150: „bestandskräftig“. 20 BT-Drucks. 19/28649, 57; s. auch Wagner/Rutloff, NJW 2021, 2145, 2151. 21 Freund/Krüger, NVwZ 2022, 665, 669.

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§ 22 | Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge 19 Angesichts der eindeutig festgelegten Mindestwerte und dem Tenor des Buß-

geldbescheids wird im Regelfall kein Zweifel daran bestehen, ob der jeweilige Mindestwert i.S.v. § 24 Abs. 2 erreicht wurde oder nicht. Schwierigkeiten kann die Anwendung der Schwellen indes dann bereiten, wenn der Bußgeldbescheid eine Kumulierung von Verstößen gegen die Pflichten des LkSG und anderen Bußgeldtatbeständen enthält, wie z.B. der Aufsichtspflichtverletzung des § 130 OWiG. Hier kann es nicht genügen, dass auch gegen die einschlägigen Pflichten des LkSG verstoßen wurde. Vielmehr bedarf es dann einer angemessenen Separierung der einzelnen Bußgelder.

VII. Selbstreinigung 20 Ein Ausschluss von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren setzt voraus,

dass seitens des Unternehmens keine Selbstreinigung nachgewiesen ist. Mit einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Selbstreinigung kann ein Unternehmen bereits vor Ablauf der Frist nach § 22 Abs. 1 Satz 2 (s. Rz. 30 ff.) einen Ausschluss aus einem Vergabeverfahren abwenden. Hat ein von § 22 erfasstes und daher in das Wettbewerbsregister eingetragenes Unternehmen die aus seiner Sicht erforderlichen Selbstreinigungsmaßnahmen vorgenommen, kann es beim BKartA als Registerbehörde gem. § 8 WRegG die Löschung des Eintrags in dem Register beantragen. Nach § 125 GWB liegt eine ausreichende Selbstreinigung vor, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dem BKartA gem. § 8 WRegG nachgewiesen sind (s. auch Rz. 36 f.).

21 Welche Anforderungen von dem betroffenen Unternehmen für eine erfolgreiche

Selbstreinigung zu erfüllen sind, folgt aus § 125 GWB, auf den § 22 Abs. 2 S. 1 verweist. Der Verweis in § 22 Abs. 1 S. 1 auf § 125 GWB bezieht sich auf dessen Abs. 1 und 2. Im Rahmen von § 22 kommen daher nicht nur die materiellen Selbstreinigungskriterien des § 125 Abs. 1 GWB zu Anwendung, sondern ebenso die Verfahrensbestimmung des § 125 Abs. 2 GWB. Zu den Anforderungen an eine erfolgreiche Selbstreinigung gibt es eine detaillierte Aufarbeitung in der vergaberechtlichen Judikatur und dem vergaberechtlichen Schrifttum, die auch für die Bewertung der Selbstreinigung nach § 22 i.V.m. § 125 GWB herangezogen werden kann.22 Aus § 22 i.V.m. § 125 Abs. 1 folgt, dass eine erfolgreiche Selbstreinigung drei materielle Voraussetzungen hat.

22 Erstens ist erforderlich, dass das Unternehmen für jeden durch das Fehlverhal-

ten verursachten Schaden einen Ausgleich gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat (§ 125 Abs. 1 Nr. 1 GWB). Da sich das Fehlverhalten im Zusammenhang mit § 22 auf etwaige Verstöße gegen das LkSG bezieht, ist mithin Voraussetzung, dass gerade diese Verstöße einen Schaden beim öf22 Vgl. EuGH, NZBau 2018, 768 ff. – Vossloh Laeis; dazu u.a. Palatzke/Jürschik, NZKart 2019, 83 ff.; Götz/Horn, EuZW 2019, 298 ff.; Baumann/Gerhardt, NZBau 2019, 565 ff. Ferner: VK Westfalen, NZBau 2019, 610 ff.

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fentlichen Auftraggeber (bzw. ggf. auch bei einem Dritten)23 verursacht haben. Dabei reicht es aus, wenn sich das Unternehmen im Rahmen des Vergabenachprüfungsverfahrens generell zum Ersatz des entstandenen Schadens bereit erklärt, jedoch parallel die Schadensentstehung im Rahmen eines zivilrechtlichen Rechtsstreits bestreitet; denn einem Unternehmen darf durch die Regelungen zur Selbstreinigung nicht das Recht genommen werden, einen der Höhe nach streitigen Schadensersatzanspruch vor einem Zivilgericht nach den für dieses Verfahren geltenden prozessualen Regeln zu klären.24 Zweitens ist es notwendig, dass das Unternehmen die Tatsachen und Umstände, 23 die mit dem Fehlverhalten – hier also dem Verstoß gegen das LkSG – und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend geklärt hat (§ 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB). Zu der über die europäischen Vorgaben (Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU) hinausgehenden deutschen Tatbestandsfassung hat der EuGH zu dem Maß der Kooperation festgehalten: Ein Unternehmen, welches seine Zuverlässigkeit trotz des Vorliegens eines einschlägigen Ausschlussgrundes nachweisen möchte, muss die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem begangenen Fehlverhalten in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit nicht nur mit der Ermittlungsbehörde, sondern auch mit dem öffentlichen Auftraggeber im Rahmen der diesem eigenen Rolle umfassend klären, um Letzterem den Nachweis der Wiederherstellung seiner Zuverlässigkeit zu erbringen, sofern diese Zusammenarbeit auf die Maßnahmen beschränkt ist, die für die betreffende Prüfung unbedingt erforderlich sind.25 Drittens hat das Unternehmen konkrete technische, organisatorische und per- 24 sonelle Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten zu vermeiden (§ 125 Abs. 1 Nr. 3 GWB). Welche Maßnahmen dies sein können, lässt sich u.a. dem Erwägungsgrund 102 der Vergabe-RL 2014/24/EU entnehmen, welcher u.a. nennt: den Abbruch aller Verbindungen zu an dem Fehlverhalten beteiligten Personen oder Organisationen, geeignete Personalreorganisationsmaßnahmen, die Einführung von Berichts- und Kontrollsystemen oder die Schaffung einer internen Audit-Struktur zur Überwachung der Compliance. Als organisatorische Maßnahmen kommen etwa in Betracht:26 die Vorgabe 25 von verbindlichen Unternehmensleitlinien bzw. Ethik- und Verhaltenskodizes bzgl. der Lieferkette; diesbezügliche Schulungen und Instruktionen der Mitarbeiter; die Einrichtung einer Compliance-Abteilung (z.B. mit einem Compliance-Officer oder Ombudsmann als Ansprechpartner), der Tätigkeitsfeld sich 23 Zu der umstrittenen Frage, ob sich das Erfordernis des § 125 Abs. 1 Nr. 1 GWB auf alle Geschädigte bezieht, vgl. Friton in BeckOK Vergaberecht, Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, Stand: 31.1.2022, § 125 GWB Rz. 10.1 mit Nachweisen zum Streitstand. 24 VK Südbayern, NZBau 2017, 509, insbesondere 2. Leitsatz. 25 Vgl. EuGH, NZBau 2018, 768 (1. Leitsatz) – Vossloh Laeis. 26 Vgl. hierzu bereits OLG Brandenburg, NZBau 2007, 277, 280.

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§ 22 | Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge auf das Lieferkettenmanagement erstreckt; Etablierung eines Vier-Augenprinzips; Schutz von „Whistleblowern“; externe Kontrollmechanismen. Personelle Maßnahmen sind, dass sich ein Unternehmen vollständig und unverzüglich von den für die Verfehlung verantwortlichen Personen trennt. Bei einer weniger gravierenden Beteiligung kommen ggf. auch weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht, z.B. Abmahnung oder Versetzung. 26 Aus § 22 i.V.m. § 125 Abs. 2 GWB folgt, dass öffentliche Auftraggeber die von

dem Unternehmen ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen zu bewerten und dabei die Schwere und die besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens zu berücksichtigen haben. Für den Fall, dass die öffentlichen Auftraggeber die Selbstreinigungsmaßnahmen des Unternehmens als unzureichend erachten, haben sie diese Entscheidung gegenüber dem Unternehmen zu begründen.

VIII. Ausschluss von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren 27 Als Rechtsfolge sieht § 22 Abs. 1 Satz 1 den Ausschluss des betreffenden Unterneh-

mens von der dort genannten Vergabe eines Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsauftrags vor. Der Wortlaut „Teilnahme an einem Verfahren über die Vergabe“ spricht dafür, dass es sich um ein laufendes Vergabeverfahren handeln muss und dass sich der Ausschluss nur auf die dieses Verfahren bezieht, für welches der Ausschluss angeordnet wird.27 Im Vergaberecht wurde – insbesondere früher – eine intensive juristische Diskussion über Geltung und Grenzen einer allgemeinen Auftrags- bzw. Vergabesperre geführt.28 Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Rechtsgrundlage in § 22 sollte man die Zulässigkeit einer allgemeinen, über das konkrete Vergabeverfahren hinausgehenden Auftrags- und Vergabesperre verneinen.29

28 § 22 Abs. 1 Satz 1 sieht weiter vor, dass die betreffenden Unternehmen aus-

geschlossen werden „sollen“. Die Bestimmung ist damit als Soll-Vorschrift konzipiert. Dies beinhaltet, dass einerseits – im Unterschied zu einer Muss-Vorschrift – kein zwingender Eintritt der Rechtsfolge vorgesehen ist, dass andererseits – im Unterschied zu einer Kann-Vorschrift – kein behördliches Ermessen normiert wird. Eine Soll-Vorschrift bedingt, dass die mit der Durchführung befasste Behörde im Regelfall die vorgesehene Rechtsfolge (bei § 22 also den Ausschluss aus dem Vergabeverfahren) anzuordnen hat:30 Bei Vorliegen der im Ge27 Dagegen gehen Freund/Krüger, NVwZ 2022, 665, 669 f. wohl davon aus, dass § 22 eine Rechtsgrundlage für eine Vergabesperre darstellt, welche einen Ausschluss von den genannten Verfahrensarten für einen von dem öffentlichen Auftraggeber zu bestimmenden Zeitraum erlaubt. 28 Siehe LG Frankfurt/M., NZBau 2004, 630; LG Berlin, NVwZ 2006, 397. 29 Ebenso für das allgemeine Vergaberecht Kaufmann in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 126 GWB Rz. 31 ff. A.A. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 3. Aufl. 2017, § 126 GWB Rz. 7. 30 Vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2021, § 40 Rz. 34: „im Regelfall zwingendes Recht“.

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setz genannten Voraussetzungen hat die Behörde daher grundsätzlich so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist.31 Abweichungen sind nur bei Vorliegen von Umständen gestattet, die den Fall als atypisch erscheinen lassen;32 was darin begründet sein kann, dass ein wichtiger Grund der vorgeschriebenen Handhabung entgegensteht.33 Den atypischen Fall hat die Behörde dann nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.34 Ob ein atypischer Fall vorliegt, der ausnahmsweise eine Ermessensentscheidung der Behörde erfordert, ist als Rechtsvoraussetzung von den Gerichten zu überprüfen.35 Dementsprechend müssen auch bei § 22 besondere Gründe dafür gegeben sein, dass trotz Vorliegen des Tatbestandes von einem Ausschluss abgesehen wird.36 § 22 benennt – bis auf den Verweis auf die Selbstreinigung – keine materiell-recht- 29 lichen Grenzen, unter welchen Voraussetzungen von einem Ausschluss abgesehen werden kann oder muss. Solche bestehen stets nach dem Verfassungsrecht, womit insbesondere die die wirtschaftliche Betätigung schützenden Grundrechte (also insbesondere die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG) und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesprochen sind. Auf die offensichtliche Unverhältnismäßigkeit als Schranke weist auch der zwingende Ausschlussgrund des § 123 Abs. 5 GWB hin, der zudem auf die Gebotenheit aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses verweist. Dies kann auch im Rahmen von § 22 zum Ansatz kommen und insofern mit der Anwendung der Soll-Vorschrift zusammenspielen.

IX. Ausschlussfrist (Abs. 1 Satz 2) § 22 Abs. 1 Satz 2 bestimmt, dass der Ausschluss von einem in Satz 1 genannten 30 Vergabeverfahren nur innerhalb eines angemessenen Zeitraums von bis zu drei Jahren erfolgen kann. Die Bestimmung hat damit zwei Elemente: Es gilt eine maximale Ausschlussfrist von drei Jahren. Dies ist die Höchstfrist, die auf keinen Fall überschritten werden darf. Diese Höchstfrist muss aber nicht ausgeschöpft werden, und sie darf auch nicht ausgeschöpft werden, wenn dies unangemessen wäre. Insofern unterliegt die Bestimmung einer Ausschlussfrist stets einer Verhältnismäßigkeitsprüfung durch den öffentlichen Auftraggeber. Ob der öffentliche Auftraggeber für das von ihm initiierte Vergabeverfahren in 31 den Vergabeunterlagen bekannt zu geben hat, welche Ausschlussfrist er in dem 31 VGH Mannheim, NVwZ-RR 2011, 605, 607. 32 VGH Mannheim, NVwZ-RR 2011, 605, 607; Aschke in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK/ VwVfG, Stand: 1.1.2022, § 40 Rz. 39. 33 BVerwG, NJW 1973, 1206, 1207; Stuhlfauth in Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 5. Aufl. 2018, § 40 Rz. 14. 34 BVerwG, NVwZ 2006, 711, 712. 35 BVerwG, NVwZ 2006, 711, 712; Ruffert in Knack/Henneke, VwVfG, 11. Aufl. 2020, § 40 Rz. 36. 36 So Stolz in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 124 Rz. 55 und Conrad in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, 2016, § 124 Rz. 217, jeweils für die Parallelnorm des § 21 AEntG.

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§ 22 | Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge betreffenden Vergabeverfahren anwendet, ist in § 22 Abs. 1 Satz 2 nicht geregelt.37 Hiergegen spricht, dass die Angemessenheitsprüfung stets eine Einzelfallprüfung in Bezug auf den festgestellten Verstoß und in Bezug auf das Unternehmen ist, welches gem. § 24 i.V.m. § 22 Abs. 2 mit einer Geldbuße belegt wurde. Bei der Prüfung der Einzelumstände kann auch eine Rolle spielen, in welcher Weise sich das Unternehmen im Nachgang zu dem festgestellten Verstoß verhalten hat, selbst wenn nicht von einer erfolgreichen Selbstreinigung auszugehen sein sollte. 32 Soweit § 22 Abs. 1 Satz 2 eine Höchstfrist von drei Jahren festlegt, fehlt es indes

an einer Festlegung, ab welchem Zeitpunkt die Frist zu laufen beginnt. Eindeutig ist zunächst nur, dass sich die Ausschlussfrist und der Fristlauf auf den Verstoß bezieht, für den nach § 24 i.V.m. § 22 Abs. 2 eine Geldbuße festgesetzt wurde. Blickt man auf die Parallelnorm des § 126 GWB, so zeigt sich: In den Fällen des § 123 GWB beginnt der Fristlauf am „Tag der rechtskräftigen Verurteilung“ (§ 126 Nr. 1 GWB); in den Fällen des § 124 GWB läuft die Frist „ab dem betreffenden Ereignis“ (§ 126 Nr. 2 GWB). In Bezug auf die Frist des § 126 Nr. 2 GWB hat der EuGH im Fall einer von einer Kartellbehörde geahndeten Kartellbeteiligung festgestellt, dass „der höchstzulässige Zeitraum des Ausschlusses ab dem Datum der Entscheidung dieser Behörde berechnet wird“,38 da erst nach dem Erlass einer solchen Entscheidung, die den Sachverhalt rechtlich entsprechend einordnet, ein Verstoß als erwiesen erachtet werden kann. Daher sei der Ausschlusszeitraum nicht ab der Kartellbeteiligung zu berechnen, sondern ab dem Datum, an dem die zuständige Behörde einen Verstoß durch das Verhalten festgestellt hat.

33 Damit wird man auch bei § 22 Abs. 1 Satz 2 nicht auf den Zeitpunkt des Versto-

ßes abstellen können, sondern darauf abstellen müssen, zu welchem Zeitpunkt die Verwaltungsbehörde die Zahlung der Geldbuße nach § 24 mittels Bescheid angeordnet hat. Hieraus folgt, dass es nicht darauf ankommt, ab wann der öffentliche Auftraggeber gesicherte und belastbare Kenntnis von dem Vorliegen eines Verstoßes erlangt hat. Dies wäre auch mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren; und es wäre zudem von reinen Zufälligkeiten abhängig, wann ein öffentlicher Auftraggeber von einem bestimmten Vorgang Kenntnis erlangt hat. Nicht eindeutig ist indes, ob der Zeitpunkt des Erlasses des Bußgeldbescheides durch die Verwaltungsbehörde maßgeblich ist oder aber die Rechtskraft. Beide Zeitpunkte sind hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar und können durchaus in erheblicher Weise voneinander abweichen, wenn ein betroffenes Unternehmen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt hatte. Gerade dann, wenn sich weitere Instanzen anschließen, kann das Verfahren mehrere Jahre dauern. Die Sanktion des § 22 könnte das betroffene Unternehmen von der Einlegung von Rechtsbehelfen abhalten, so dass gute Gründe – 37 Zu der entsprechenden Diskussion bei der Parallelnorm des § 126 GWB vgl. Friton in BeckOK Vergaberecht, Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, Stand: 31.1.2022, § 126 GWB Rz. 7 ff. 38 EuGH, NZBau 2018, 768 (2. Leitsatz) – Vossloh Laeis.

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und auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – dafür sprechen, auf den Zeitpunkt des Erlasses des Bußgeldbescheides abzustellen.39

X. Wettbewerbsregister Eine weitere vergaberelevante Modifikation findet sich im Artikelgesetz über die 34 unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vom 16.7.2021 insofern, als dessen Art. 3 zu einer Änderung des Wettbewerbsregistergesetzes (WRegG) geführt hat.40 In § 2 Abs. 1 Nr. 4 WRegG wurde aufgenommen, dass auch rechtskräftige Bußgeldentscheidungen nach § 24 Abs. 1 LkSG in das Wettbewerbsregister einzutragen sind, sofern ein Bußgeld von wenigstens 175.000 € festgesetzt worden ist. Das beim BKartA als Registerbehörde eingerichtete Wettbewerbsregister ist eine 35 Datenbank für öffentliche Auftraggeber, damit diese einen Ausschluss eines Unternehmens von einem Vergabeverfahren prüfen können. Der Inhalt der Eintragung ergibt sich aus § 3 Abs. 1 WRegG und umfasst u.a. Name und Anschrift des Unternehmens, die zur Registereintragung führende Straftat oder Ordnungswidrigkeit einschließlich der verhängten Sanktion, wie auch das Datum der Entscheidung und ihrer Rechtskraft.41 Die in dem Wettbewerbsregister gespeicherten Daten und die Verfahrensakten der Registerbehörde sind vertraulich (§ 3 Abs. 3 WRegG) und eröffnen nur den öffentlichen Auftraggebern eine Zugangsmöglichkeit zu dem Register bzw. verpflichten diesen nach Maßgabe von § 6 WRegG zur Abfrage.42 Allein aus einer Eintragung im Wettbewerbsregister folgt nicht zwingend, dass ein Unternehmen aus dem Vergabefahren auszuschließen ist. Dies bemisst sich allein nach den einschlägigen materiellen Vorschriften, also etwa § 22 LkSG. Eine von Amts wegen vorzunehmende Löschung der Eintragung in das Wett- 36 bewerbsregister erfolgt nach § 7 WRegG, wobei für die Eintragung von LkSGVerstößen die Frist des § 7 Abs. 1 Satz 3 WRegG (drei Jahre nach Unanfechtbarkeit der Bußgeldentscheidung) zur Anwendung kommt. Je nach Bestimmung des Fristlaufs bei § 22 Abs. 1 Satz 2 LkSG (dazu Rz. 30 ff.) können sich Diskrepanzen zwischen den Fristen des § 7 Abs. 1 Satz 3 WRegG einerseits und des § 22 Abs. 1 Satz 2 LkSG andererseits ergeben. 39 Dagegen auf die Unanfechtbarkeit abstellend, um einen Gleichlauf mit dem WRegG zu erreichen: Freund/Krüger, NVwZ 2022, 665, 669. 40 Zum Wettbewerbsregister s. Fülling/Freiberg, NZBau 2018, 259 ff.; Wirth, CCZ 2018, 181 ff.; Valdini/Herrlinger, WuW 2018, 195 ff.; Pfannkuch, ZfBR 2018, 342 ff. 41 Vor einer Eintragung hat die Registerbehörde das betroffene Unternehmen über den Inhalt der geplanten Eintragung zu informieren. Dem Unternehmen wird Gelegenheit gegeben, innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Information Stellung zu nehmen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 WRegG). 42 Daneben kann auch ein Unternehmen gem. § 5 Abs. 2 Satz 1 WRegG Auskunft über den sie betreffenden Inhalt des Wettbewerbsregisters verlangen. Gleiches gilt für einen bevollmächtigten Rechtsanwalt, der zudem bei einer angedrohten Eintragung Akteneinsicht begehren kann.

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§ 22 | Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge 37 Nach § 8 WRegG hat ein Unternehmen indes das Recht, bereits vor Ablauf der

Dreijahresfrist des § 7 Abs. 1 Satz 3 WRegG (und unabhängig von einem konkreten Vergabeverfahren) eine Löschung aus dem Wettbewerbsregister wegen einer erfolgten Selbstreinigung zu beantragen.43 Eine Löschung des Eintrags aus dem Wettbewerbsregister hat dann zur Folge, dass die Umstände des Eintrags im Vergabeverfahren nicht mehr zum Nachteil des betroffenen Unternehmens verwendet werden dürfen (§ 7 Abs. 2 Satz 1 WRegG). Eine Ablehnung des Löschungsantrags durch die Registerbehörde ist für den öffentlichen Auftraggeber dagegen nicht bindend (§ 7 Abs. 2 Satz 2 WRegG), so dass ein Unternehmen auch im Fall einer Ablehnung in einem Vergabeverfahren gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber darlegen kann, dass aus seiner Sicht eine ausreichende Selbstreinigung erfolgt ist. Mithin besteht die Möglichkeit zu einer zentralen Nachweisführung der Selbstreinigung bei der Registerbehörde oder einer dezentralen Nachweisführung bei dem jeweiligen öffentlichen Auftraggeber in einem konkreten Vergabeverfahren.44

38 Einzelheiten zur Beantragung der Löschung eines Eintrags wegen erfolgter

Selbstreinigung und zur Entscheidungsfindung seitens der Registerbehörde sind in § 8 WRegG und in §§ 10, 11 der Wettbewerbsregisterverordnung (WRegV) normiert. Für eine Löschung hat ein Unternehmen ein berechtigtes Interesse glaubhaft zu machen und die Selbstreinigung für die Zwecke des Vergabeverfahrens nachzuweisen. Nach der Antragstellung ermittelt die Registerbehörde den Sachverhalt von Amts wegen. Neben der Beantragung einer Löschung hat ein Unternehmen zudem die Möglichkeit, zu einer vorhandenen Eintragung im Wettbewerbsregister eine Mitteilung zu hinterlegen, mit welchem das Unternehmen erklärt, dass die Voraussetzungen einer erfolgreichen Selbstreinigung nach § 125 GWB vorliegen (§ 3 Abs. 2 WRegG). So kann ein Unternehmen sicherstellen, dass öffentliche Auftraggeber, wenn sie eine Abfrage beim Wettbewerbsregister vornehmen, von den zur Selbstreinigung ergriffenen Maßnahmen des Unternehmens Kenntnis erlangen. Die Registerbehörde nimmt aber keine inhaltliche Prüfung der Mitteilung vor.

XI. Anhörung des Bewerbers (Abs. 3) 39 Es entspricht rechtsstaatlichen Erfordernissen, dass Betroffene einer drohenden

belastenden Verwaltungsentscheidung anzuhören sind, bevor diese Entscheidung abschließend getroffen wird. Im allgemeinen Verwaltungsrecht findet sich dieser Grundsatz in § 28 VwVfG für Verwaltungsverfahren vor dessen Abschluss durch Erlass eines Verwaltungsaktes; für Verfahren vor Gericht wird über Art. 103 Abs. 1 GG der Anspruch auf rechtliches Gehör verfassungsrechtlich abgesichert. Insofern dient das Anhörungsrecht nach § 22 Abs. 3 zuvörderst

43 Vgl. zum Zusammenhang von vergaberechtlicher Selbstreinigung und dem WRegG: Lübbig, NZKart 2022, 1 ff.; Brüggemann/Vogel, NZBau 2018, 263 ff. 44 Siehe auch Jungkind/Raspé/Terbrack, DK 2021, 445, 452.

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dem subjektiv-rechtlichen Schutz des Bewerbers. Objektiv-rechtlich ist die Funktion der Anhörung darin zu sehen, dass diese zu einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung beiträgt. Es ist damit der hauptsächliche Sinn der Anhörung des Bewerbers, ihm vor ei- 40 nem Ausschluss die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dies beinhaltet, dass der öffentliche Auftraggeber dem Bewerber mitteilt, dass er dessen Ausschluss aus dem Vergabeverfahren beabsichtigt. Weiter ist dem Bewerber mitzuteilen, worauf – insbesondere auf welchen Sachverhalt – der geplante Ausschluss gestützt werden soll. Der Bewerber wiederum hat dann das Recht, hierzu Stellung zu nehmen. Dabei dürfte sich die Stellungnahme des Bewerbers hinsichtlich der Berechti- 41 gung zum Ausschluss zumeist darauf beziehen, ob er eine erfolgreiche Selbstreinigung nach § 125 GWB (also z.B. durch ausreichende Compliance-Maßnahmen) vorgenommen hat. Daneben kann sich eine Stellungnahme mit der Anwendung der Soll-Vorschrift und dem etwaigen Vorliegen von besonderen Gründen bzw. einer Atypik befassen. Weiter kann das Unternehmen auch zu der Angemessenheit des Ausschlusszeitraums Stellung nehmen. Über den Umstand, ob ein rechtskräftig festgestellter Verstoß mit Festsetzung einer Geldbuße gegeben ist, dürfte regelmäßig kein Streit bestehen. Die Modalitäten der Anhörung sind in § 22 Abs. 3 nicht näher geregelt. Zustän- 42 dig für die Anhörung ist der öffentliche Auftraggeber, der auch über den Ausschluss aus dem Vergabeverfahren zu entscheiden hätte. § 22 Abs. 3 benennt keine Form für die Anhörung. Dem Grunde nach wäre es also denkbar, dass die Gelegenheit zur Stellungnahme und sodann die Stellungnahme mündlich oder telefonisch erfolgt. Allein zu Beweiszwecken für ein etwaiges, sich an einen Ausschluss anschließendes Verfahren zur Nachprüfung bietet sich ein schriftliches Anhörungsverfahren an. Auch zu der Frist, innerhalb derer das Unternehmen seine Stellungnahme abzugeben hat, findet sich in § 22 Abs. 2 keine Regelung. Die Frist muss seitens des öffentlichen Auftraggebers so gesetzt sein, dass das Unternehmen hinreichend Zeit für eine angemessene Stellungnahme hat.

XII. Rechtsschutz Fragen des Rechtsschutzes stellen sich insbesondere für das Unternehmen, wel- 43 ches nach § 22 von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden soll. Es stehen dem Unternehmen insofern die allgemeinen vergaberechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. Das Unternehmen kann also Primärrechtsschutz45 erlangen, indem es den Rechtsweg zu den Nachprüfungs45 Zum Sekundärrechtsschutz vgl. § 181 GWB und Horn/Hofmann in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 3. Aufl. 2017, Vorbemerkung von § 155 GWB, Rz. 27 ff., dort auch zu weiten zivilrechtlichen Anspruchsnormen auf Schadensersatz.

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§ 22 | Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge instanzen beschreitet (vgl. §§ 155 ff. GWB), d.h. zunächst ein Nachprüfungsverfahren vor der zuständigen Vergabekammer einleitet (§§ 160 ff. GWB). Sollte ein Unternehmen außerhalb von konkreten Vergabeverfahren mit einer Vergabesperre belegt werden, kann dem ausgeschlossenen Unternehmen gegen die Umsetzung der Vergabesperre ein zivilrechtlich begründeter Unterlassungsanspruch zustehen.46 44 Für das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer ist zu beachten: Sollte

der öffentliche Auftraggeber, gestützt auf § 22 einen Ausschluss aus dem Vergabeverfahren aussprechen bzw. dies vorab mitteilen, hätte das betroffene Unternehmen zunächst einen Verstoß innerhalb einer Frist von 10 Kalendertagen zu rügen; ansonsten wäre ein Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer unzulässig (Rügeobliegenheit gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB). Der Nachprüfungsantrag vor der zuständigen Vergabekammer ist dann innerhalb einer Frist von 15 Kalendertagen nach Eingang der Mitteilung des öffentlichen Auftraggebers, der Rüge nicht abhelfen zu wollen, zu stellen (Frist gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB). Der Antrag wäre unverzüglich zu begründen und müsste alle verfügbaren Beweismittel enthalten. Die Vergabekammer würde sodann prüfen, ob der Ausschluss nach § 22 zu Recht oder Unrecht erfolgt ist. In der Zwischenzeit wäre das Unternehmen dadurch geschützt, dass der Nachprüfungsantrag nach § 169 GWB einen Suspensiveffekt entfaltet und mithin in der Zwischenzeit keine Zuschlagserteilung erfolgen darf. Gegen eine Entscheidung der Vergabekammer kann eine sofortige Beschwerde eingelegt werden, über welche das zuständige OLG (dort der Vergabesenat) entscheidet.

45 § 22 ist ein bieterschützender Charakter beizumessen. Wird ein Unternehmen

wegen eines (von dem öffentlichen Auftraggeber angenommenen) Verstoßes gegen § 22 von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen, kann sich das Unternehmen daher hiergegen zur Wehr setzen. § 22 wird man aber auch einen drittschützenden Charakter beizumessen haben.47 Soweit also ein konkurrierender Bieter dagegen vorgehen will, dass ein Unternehmen von dem öffentlichen Auftraggeber nicht nach § 22 ausgeschlossen wurde, kann der konkurrierende Bieter dies mit dem vergaberechtlichen Rechtsschutz überprüfen lassen; und damit, wenn der Ausschluss gem. § 22 geboten ist, diesen durchsetzen.

46 Siehe BGH, NZBau 2020, 609 zu einem Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB. 47 Vgl. zum GWB-Vergaberecht in Bezug auf die Ausschlussgründe des § 123 GWB Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 3. Aufl. 2017, § 123 Rz. 18, und in Bezug auf § 124 GWB Pauka/Krüger in MünchKomm zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 124 GWB Rz. 48. A.A. indes Siegel, VergabeR 2022, 14, 22, demzufolge § 22 LkSG lediglich eine Sanktionsmöglichkeit mit objektiv-rechtlicher Wirkung darstellt.

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Abschnitt 6 Zwangsgeld und Bußgeld (§§ 23, 24) § 23 Zwangsgeld Die Höhe des Zwangsgeldes im Verwaltungszwangsverfahren der nach § 19 Absatz 1 Satz 1 zuständigen Behörde beträgt abweichend von § 11 Absatz 3 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes bis zu 50 000 Euro. I. Regelungsgegenstand . . . . . . . .

_ 1

II. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Regelungsgegenstand Die Vorschrift des § 23 LkSG modifiziert punktuell das für die zwangsweise 1 Durchsetzung der Anordnungen und Maßnahmen der zuständigen Behörde geltende allgemeine Verwaltungsvollstreckungsrecht (vgl. § 15 Rz. 17).

II. Einzelheiten § 23 LkSG sieht eine Verdoppelung des im allgemeinen Verwaltungsvollstre- 2 ckungsrecht geltenden Zwangsgeldrahmens vor: Nach § 11 Abs. 3 VwVG beträgt die Höhe eines Zwangsgeldes maximal 25.000 €. Davon abweichend kann die nach § 19 Abs. 1 LkSG zuständige Behörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, im Verwaltungszwangsverfahren bezüglich Verwaltungsakten, die der Kontrolle und Durchsetzung der Vorgaben des LkSG dienen, ein Zwangsgeld von bis zu 50.000 € androhen und festsetzen. Für das Verwaltungszwangsverfahren gelten im Rahmen des LkSG abgesehen 3 von der Modifikation der maximalen Zwangsgeldhöhe die allgemeinen Regeln. Die Festsetzung eines Zwangsgeldes ist nur unter den Voraussetzungen des § 11 4 Abs. 1 u. 2 VwVG zulässig. Danach kann es zur Anwendung kommen, wenn eine unvertretbare Handlung nur von dem Willen des Verpflichteten abhängt. Bei vertretbaren Handlungen kann es verhängt werden, wenn eine Ersatzvornahme untunlich ist. Schließlich ist es zulässig, wenn der Pflichtige der Verpflichtung zuwiderhandelt, eine Handlung zu dulden oder zu unterlassen. Das Zwangsgeld ist nach § 13 VwVG in bestimmter Höhe (§ 13 Abs. 5 VwVG) 5 anzudrohen und nach § 14 VwVG festzusetzen. Das Zwangsgeld dient nicht der Ahndung eines begangenen Verstoßes, sondern 6 der Durchsetzung einer auferlegten Verhaltenspflicht.1 Es ist damit ein Beuge1 Vgl. grundlegend zur Rechtsnatur der polizeilichen Zwangsgeldfestsetzung BVerwG v. 14.1.1965 – I C 26/62, DVBl. 1965, 768.

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§ 23 | Zwangsgeld mittel, dessen Androhung und Festsetzung verschuldensunabhängig erfolgt.2 Die Sanktionierung begangenen Unrechts erfolgt im Rahmen des LkSG dagegen über das Ordnungswidrigkeitenrecht (§ 24 LkSG). Ein Zwangsgeld kann daher parallel zu einer Geldbuße nach § 24 LkSG festgesetzt werden3 und darf nicht nachträglich zur Sanktionierung eines in der Vergangenheit begangenen Verstoßes festgesetzt werden.4 Aus diesem Grund ist auch eine Veränderung der Sach- und Rechtslage nach Festsetzung des Zwangsgeldes zu berücksichtigen. Kommt es, z.B. infolge einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung, zu einer Aufhebung der der Zwangsgeldfestsetzung zugrunde liegenden behördlichen Anordnung oder der Zwangsgeldandrohung, lässt dies die Rechtfertigung der Zwangsgeldfestsetzung nachträglich entfallen. 7 Die zuständige Behörde muss einen konkreten Betrag in Euro als Zwangsgeld

festsetzen.5 Dieser muss sich innerhalb des von § 23 LkSG vorgegebenen Rahmens befinden.

8 Die Festsetzung der Höhe des Zwangsgeldes unterliegt der Ausübung pflicht-

gemäßen Ermessens gem. § 40 VwVfG, bei der die zuständige Behörde den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen hat.6

9 Bei der Bemessung der Höhe des Zwangsgeldes hat die zuständige Behörde die

Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Von maßgeblicher Bedeutung sind die Wichtigkeit des mit der Anordnung oder Maßnahme verfolgten Zwecks und die Intensität des von dem verpflichteten Unternehmen geleisteten Widerstands.7 Darüber hinaus sind zu berücksichtigen:8

2 Deusch/Burr in BeckOK/VwVfG, Stand: 01/2022, § 9 VwVG Rz. 3; Troidl in Engelhardt/ App/Schlatmann, VwVG VwZG, 12. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 1a; Baumeister in Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 11 VwVG Rz. 2; vgl. auch Dörig, NVwZ 2006, 1337, 1339; Lemke in HK-VerwR, 5. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 1. 3 Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG VwZG, 12. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 1a; Lemke in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 9; Baumeister in Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 11 VwVG Rz. 2; Lemke in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 1. 4 Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG VwZG, 12. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 1a. 5 OVG Bremen v. 28.1.2004 – 1 S 21/04, NVwZ-RR 2004, 658, 659; Deusch/Burr in BeckOK/VwVfG, Stand: 01/2022, § 11 VwVG Rz. 12; Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 12. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 8c. 6 Deusch/Burr in BeckOK/VwVfG, Stand: 01/2022, § 11 VwVG Rz. 12; Lemke in Fehling/ Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 9. 7 OVG Koblenz v. 1.12.1988 – 2 B 28/88, NVwZ 1989, 480; VG Koblenz v. 29.12.2004 – 7 L 3443/04, NVwZ-RR 2005, 762, 763; VGH Mannheim v. 4.12.2003 – 5 S 2781/02, NJOZ 2007, 1554, 1557; OVG Berlin-Bdb. v. 10.3.2015 – OVG 11 N 140.14; VG Düsseldorf v. 27.9.2019 – 15 L 1749/19, BeckRS 2019, 23383; Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 12. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 8a; Lemke in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 9; Baumeister in Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 11 VwVG Rz. 16. 8 Vgl. Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 12. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 8a m.w.N.

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Zwangsgeld | § 23

– Die wirtschaftliche Lage des verpflichteten Unternehmens9 – Das wirtschaftliche Interesse des verpflichteten Unternehmens an dem rechtswidrigen Zustand10 – Die Verfügbarkeit anderer Zwangsmittel11 – Das Gleichbehandlungsgebot12 Der zulässige Höchstbetrag von 50.000 € darf nur bei Vorliegen besonderer Vo- 10 raussetzungen ausgeschöpft werden.13 In der Regel kommt dies nur nach Wiederholung des Zwangsmittels (s. Rz. 12) und bei außerordentlich hartnäckiger Widerspenstigkeit des Pflichtigen in Betracht. Steht dagegen von vornherein fest, dass der Pflichtige sich lediglich massivem Druck beugen wird oder erfolgt der Verstoß infolge eines wirtschaftlichen Anreizes erheblichen Ausmaßes, kann die Ausschöpfung des zulässigen Höchstbetrags bereits bei der erstmaligen Androhung und Festsetzung des Zwangsgeldes verhältnismäßig sein.14 Ist der Pflichtige gewillt, seiner Verpflichtung dauerhaft nachzukommen, und 11 hat alles ihm Zumutbare unternommen, sind Androhung und Festsetzung eines Zwangsgeldes unverhältnismäßig.15 Die zulässige Höhe des Zwangsgeldes ist nicht durch die zu erwartenden Kosten einer Ersatzvornahme gedeckelt.16 Das Zwangsmittel kann gem. § 13 Abs. 6 VwVG bis zur Pflichterfüllung wieder- 12 holt und dabei jeweils erhöht und gewechselt werden, wenn das zunächst angedrohte Zwangsmittel erfolglos gewesen ist. Insbesondere bei einer beharrlichen 9 OVG Koblenz v. 1.12.1988 – 2 B 28/88, NVwZ 1989, 480; OVG Berlin-Bdb. v. 10.3.2015 – OVG 11 N 140.14; Lemke in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 9. 10 VG München, v. 19.2.2004 – M – 22 S 04.542, NVwZ 2004, 1517, 1519; VG Düsseldorf v. 27.9.2019 – 15 L 1749/19, BeckRS 2019, 23383; Lemke in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 9; Baumeister in Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 11 VwVG Rz. 15. 11 Sächs. OVG v. 4.11.2003 – 4 BS 315/03, BeckRS 2003, 14463. 12 Henneke, JURA 1989, 64, 70; Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG VwZG, 12. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 8a; Lemke in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 9. 13 OVG Lüneburg v. 23.5.1966 – VI A 33/66, DÖV 1967, 279; OVG Koblenz v. 1.12.1988 – 2 B 28/88, NVwZ 1989, 480; VG Koblenz v. 29.12.2004 – 7 L 3443/04, NVwZ-RR 2005, 762, 763; OVG Lüneburg v. 12.9.2006 – 5 OB 194/06, NVwZ-RR 2007, 139, 140; Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 12. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 8d; Lemke in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 9; Baumeister in Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 11 VwVG Rz. 15. 14 Sächs. OVG v. 4.11.2003 – 4 BS 315/03, BeckRS 2003, 14463; Lemke in Fehling/Kastner/ Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 9. 15 OVG NW v. 5.7.2017 – 14 B 397/17, BeckRS 2017, 121264; VG Düsseldorf v. 27.9.2019 – 15 L 1749/19, BeckRS 2019, 23383. 16 VGH Mannheim v. 4.12.2003 – 5 S 2781/02, NJOZ 2007, 1554, 1557; VGH München v. 16.9.2010 – 1 CS 10.1803, BeckRS 2010, 31731; Lemke in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 9.

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§ 23 | Zwangsgeld Weigerung des Pflichtigen ist die wiederholte Festsetzung eines Zwangsgeldes unter angemessener Erhöhung des Betrags angezeigt.17 13 Der Höchstbetrag des § 23 LkSG gilt für die Festsetzung des einzelnen Zwangs-

geldes. Der Gesamtbetrag mehrerer Zwangsgelder kann den Höchstbetrag übersteigen.18 Setzt die zuständige Behörde mehrere Ge- oder Verbote in einem Bescheid durch oder wiederholt die Behörde die Zwangsgeldanwendung, kann die Summe der Zwangsgelder mithin den Betrag von 50.000 € überschreiten.

14 Übersteigt der Betrag des festgesetzten Zwangsgeldes den nach § 23 LkSG zulässi-

gen Höchstbetrag von 50.000 €, ist das Zwangsgeld auch dann nicht vollstreckungsfähig, wenn die zugrunde liegende Androhung bestandskräftig oder rechtskräftig geworden ist.19 Androhung und Festsetzung sind bei Überschreitung des zulässigen Höchstbetrags nach zutreffender Ansicht rechtswidrig, eine Aufspaltung in einen rechtmäßigen Teil und einen rechtswidrigen Teil, soweit die Androhung oder die Festsetzung den Höchstbetrag überschreitet, ist nicht möglich.20

15 Die Beitreibung des Zwangsgeldes erfolgt nach den Vorgaben der §§ 1–5 VwVG.21

17 VGH Kassel v. 30.4.2008 – 8 UZ 3006/06, NVwZ 2008, 782, 784; Troidl in Engelhardt/ App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 12. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 8b. 18 VGH Kassel v. 28.1.2014 – 6 A 1875/13, NVwZ-RR 2014, 505, 506, s. auch OVG NW v. 30.9.1992 – 4 A 3840/91, NVwZ-RR 1993, 671 zum Landesrecht; Deusch/Burr in BeckOK/VwVfG, Stand: 01/2022, § 11 VwVG Rz. 12; Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 12. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 8d; Lemke in Fehling/Kastner/ Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 10. 19 Vgl. VGH Mannheim v. 19.7.1996 – 5 S 1883/96, NVwZ 1997, 765; Troidl in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 12. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 8a. 20 So aber VGH Mannheim v. 19.7.1996 – 5 S 1883/96, NVwZ 1997, 765, dagegen zurecht Baumeister in Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 11 VwVG Rz. 16 f. 21 Lemke in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 11 VwVG Rz. 11.

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§ 24 Bußgeldvorschriften (1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig 1. entgegen § 4 Absatz 3 Satz 1 nicht dafür sorgt, dass eine dort genannte Festlegung getroffen ist, 2. entgegen § 5 Absatz 1 Satz 1 oder § 9 Absatz 3 Nummer 1 eine Risikoanalyse nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig durchführt, 3. entgegen § 6 Absatz 1 eine Präventionsmaßnahme nicht oder nicht rechtzeitig ergreift, 4. entgegen § 6 Absatz 5 Satz 1, § 7 Absatz 4 Satz 1 oder § 8 Absatz 5 Satz 1 eine Überprüfung nicht oder nicht rechtzeitig vornimmt, 5. entgegen § 6 Absatz 5 Satz 3, § 7 Absatz 4 Satz 3 oder § 8 Absatz 5 Satz 2 eine Maßnahme nicht oder nicht rechtzeitig aktualisiert, 6. entgegen § 7 Absatz 1 Satz 1 eine Abhilfemaßnahme nicht oder nicht rechtzeitig ergreift, 7. entgegen a) § 7 Absatz 2 Satz 1 oder b) § 9 Absatz 3 Nummer 3 ein Konzept nicht oder nicht rechtzeitig erstellt oder nicht oder nicht rechtzeitig umsetzt, 8. entgegen § 8 Absatz 1 Satz 1, auch in Verbindung mit § 9 Absatz 1, nicht dafür sorgt, dass ein Beschwerdeverfahren eingerichtet ist, 9. entgegen § 10 Absatz 1 Satz 2 eine Dokumentation nicht oder nicht mindestens sieben Jahre aufbewahrt, 10. entgegen § 10 Absatz 2 Satz 1 einen Bericht nicht richtig erstellt, 11. entgegen § 10 Absatz 2 Satz 1 einen dort genannten Bericht nicht oder nicht rechtzeitig öffentlich zugänglich macht, 12. entgegen § 12 einen Bericht nicht oder nicht rechtzeitig einreicht oder 13. einer vollziehbaren Anordnung nach § 13 Absatz 2 oder § 15 Satz 2 Nummer 2 zuwiderhandelt. (2) Die Ordnungswidrigkeit kann geahndet werden 1. in den Fällen des Absatzes 1 a) Nummer 3, 7 Buchstabe b und Nummer 8 b) Nummer 6 und 7 Buchstabe a mit einer Geldbuße bis zu achthunderttausend Euro, 2. in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1, 2, 4, 5 und 13 mit einer Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro und 3. in den übrigen Fällen des Absatzes 1 mit einer Geldbuße bis zu hunderttausend Euro. Schmelzeisen

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§ 24 | Bußgeldvorschriften In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 und 2 ist § 30 Absatz 2 Satz 3 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten anzuwenden. (3) Bei einer juristischen Person oder Personenvereinigung mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 400 Millionen Euro kann abweichend von Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b eine Ordnungswidrigkeit nach Absatz 1 Nummer 6 oder 7 Buchstabe a mit einer Geldbuße bis zu 2 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes geahndet werden. Bei der Ermittlung des durchschnittlichen Jahresumsatzes der juristischen Person oder Personenvereinigung ist der weltweite Umsatz aller natürlichen und juristischen Personen sowie aller Personenvereinigungen der letzten drei Geschäftsjahre, die der Behördenentscheidung vorausgehen, zugrunde zu legen, soweit diese Personen und Personenvereinigungen als wirtschaftliche Einheit operieren. Der durchschnittliche Jahresumsatz kann geschätzt werden. (4) Grundlage für die Bemessung der Geldbuße bei juristischen Personen und Personenvereinigungen ist die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit. Bei der Bemessung sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der juristischen Person oder Personenvereinigung zu berücksichtigen. Bei der Bemessung sind die Umstände, insoweit sie für und gegen die juristische Person oder Personenvereinigung sprechen, gegeneinander abzuwägen. Dabei kommen insbesondere in Betracht: 1. der Vorwurf, der den Täter der Ordnungswidrigkeit trifft, 2. die Beweggründe und Ziele des Täters der Ordnungswidrigkeit, 3. Gewicht, Ausmaß und Dauer der Ordnungswidrigkeit, 4. Art der Ausführung der Ordnungswidrigkeit, insbesondere die Anzahl der Täter und deren Position in der juristischen Person oder Personenvereinigung, 5. die Auswirkungen der Ordnungswidrigkeit, 6. vorausgegangene Ordnungswidrigkeiten, für die die juristische Person oder Personenvereinigung nach § 30 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, auch in Verbindung mit § 130 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, verantwortlich ist, sowie vor der Ordnungswidrigkeit getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Ordnungswidrigkeiten, 7. das Bemühen der juristischen Person oder Personenvereinigung, die Ordnungswidrigkeit aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen, sowie nach der Ordnungswidrigkeit getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Ordnungswidrigkeiten, 8. die Folgen der Ordnungswidrigkeit, die die juristische Person oder Personenvereinigung getroffen haben. (5) Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Für die Rechts-und Fachaufsicht über das Bundesamt gilt § 19 Absatz 1 Satz 2 und 3. 772

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I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bußgeldtatbestände (Abs. 1) und -adressaten 1. Vorsatz oder Fahrlässigkeit . . . 2. Bußgeldadressaten, Regress und Freistellung . . . . . . . . . . . 3. Bußgeldbewährte Pflichten a) Unterlassene Festlegung einer für das Risikomanagement zuständigen Person (Abs. 1 Nr. 1) b) Unterlassen der Durchführung einer ordnungsgemäßen Risikoanalyse (Abs. 1 Nr. 2) . c) Unterlassen des (rechtzeitigen) Ergreifens einer Präventionsmaßnahme (Abs. 1 Nr. 3) . . . d) Unterlassen der (rechtzeitigen) Überprüfung der Wirksamkeit der Präventionsund der Abhilfemaßnahmen sowie des Beschwerdeverfahrens (Abs. 1 Nr. 4) . . . . e) Unterlassen der (rechtzeitigen) Aktualisierung der Präventions- und der Abhilfemaßnahmen sowie des Beschwerdeverfahrens (Abs. 1 Nr. 5) . . . . f) Unterlassen des (rechtzeitigen) Ergreifens einer Abhilfemaßnahme (Abs. 1 Nr. 6) . . . . . . g) Unterlassen des (rechtzeitigen) Erstellens oder Umsetzens eines Konzepts (Abs. 1 Nr. 7) h) Unterlassen der Einrichtung eines Beschwerdeverfahren (Abs. 1 Nr. 8) . . . . . . . . . . . i) Verstoß gegen die Dokumentationsaufbewahrungspflicht (Abs. 1 Nr. 9) . . . . . . . . . . . j) Verstoß gegen die Berichtspflichten (Abs. 1 Nr. 10-12) . k) Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung (Abs. 1 Nr. 13) . . . . . . . . . . . 4. Verfassungsrechtliche Bedenken III. Allgemeiner Bußgeldrahmen (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sonderbußgeldrahmen (Abs. 3) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .

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Bußgeldvorschriften | § 24 2. Sachlicher Anwendungsbereich 3. Persönlicher Anwendungsbereich a) Wirtschaftliche Größe des Unternehmens . . . . . . . . . . . b) Berücksichtigung aller juristischer Personen und Personenvereinigungen, die als wirtschaftliche Einheit operieren (Abs. 3 Satz 2) aa) Bedeutung des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kartellrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . cc) Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit . dd) Operieren als wirtschaftliche Einheit . . . . . . . . . ee) Anforderungen an den Nachweis des Operierens als wirtschaftliche Einheit c) Maßgeblicher Zeitpunkt und wirtschaftliche Nachfolge . . . d) Schätzbefugnis (Abs. 3 Satz 3) 4. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verfassungsrechtliche Bedenken V. Bemessungskriterien 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils . . . . . . . . . . . . . 3. Bemessungsgrundsätze der Bußgeldhöhe (Abs. 4) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Grundlage der Bemessung: Bedeutung der Ordnungswidrigkeit (Abs. 4 Satz 1) . . . c) Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse (Abs. 4 Satz 2) . . . . . . . . . . . d) Insbesondere zu berücksichtigende Umstände (Abs. 4 Satz 4) aa) Überblick . . . . . . . . . . . bb) Vorwurf, der den Täter der Ordnungswidrigkeit trifft (Nr. 1) . . . . . . . . . cc) Beweggründe und Ziele des Täters der Ordnungswidrigkeit (Nr. 2) . . . . .

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§ 24 | Bußgeldvorschriften dd) Gewicht, Ausmaß und Dauer der Ordnungswidrigkeit (Nr. 3) . . . . . ee) Art der Ausführung der Ordnungswidrigkeit (Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . ff) Auswirkungen der Ordnungswidrigkeit (Nr. 5) . gg) Vorausgegangene Ordnungswidrigkeiten und präventiv getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung (Nr. 6) . . . . . . . . . . . . .

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hh) Aufdeckungs- und Wiedergutmachungsbemühen sowie nachträgliche Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung (Nr. 7) . ii) Folgen der Ordnungswidrigkeit für die juristische Person oder Personenvereinigung (Nr. 8) . . . . . . e) Weitere zumessungsrelevante Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zuständige Behörde (Abs. 5), behördliches Verfahren und Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . .

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Literatur: v. Brevern/Scheidtmann, Der Zeitpunkt für die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit im Sinne des § 81 Abs. 4 Satz 3 GWB, WuW 2014, 668; Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, 2. Aufl. 2015; Fischer/Zickgraf, Zur Reichweite der wirtschaftlichen Einheit im Kartellrecht, ZHR 186 (2022), 125; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012; Harings/Jürgens/Thalhammer, Die Rolle des Menschenrechtsbeauftragten im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, CB 2022, 93; Kamann/Irmscher, Das Sorgfaltspflichtengesetz – Ein neues Sanktionsrecht für Menschenrechts- und Umweltverstöße in Lieferketten, NZWiSt 2021, 249; Kubiciel, Sonderunternehmensstrafrecht für fehlende Sorgfalt in Lieferketten, jurisPR-StrafR 7/2021 Anm. 1; Lutz-Bachmann/Vorbeck/ Wengenroth, Menschenrechte und Umweltschutz in Lieferketten – der Regierungsentwurf eines Sorgfaltspflichtengesetzes, BB 2021, 906; Scherp/Friedrich, Das „Rechtzeitigkeitsmerkmal“ in Ordnungswidrigkeitentatbeständen, CB 2022, 51; Seibt/Vesper-Gräske, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erweitert Compliance-Pflichten, CB 2021, 357; Thieme, Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit, 2018; Thomas, Die Gesamtschuld im EU-Kartellbußgeldrecht – die Kommission als „juristischer Pascha“?, FS Möschel, 2011, S. 673; Thomas, Die sogenannte wirtschaftliche Einheit: Auslegungsfragen zur neu eingeführten akzessorischen Konzernhaftung im deutschen Kartellbußgeldrecht, AG 2017, 637.

I. Überblick 1 § 24 LkSG regelt die Bebußung von Verstößen gegen das LkSG. Die einzelnen

Bußgeldtatbestände werden in § 24 Abs. 1 LkSG enumerativ aufgezählt. § 24 Abs. 2 LkSG regelt den allgemeinen Bußgeldrahmen, für bestimmte juristische Personen und Personenvereinigungen sieht § 24 Abs. 3 LkSG einen Sonderbußgeldrahmen vor. § 24 Abs. 4 LkSG legt die Grundsätze für die Bemessung der Höhe eines Bußgeldes gegen juristische Personen und Personenvereinigungen fest. In § 24 Abs. 5 LkSG wird die für das Bußgeldverfahren zuständige Behörde bestimmt.

2 Bei den in § 24 Abs. 1 LkSG normierten Bußgeldtatbestände handelt sich aus-

schließlich um echte Unterlassungsordnungswidrigkeiten. Der Gesetzgeber bedient sich dabei der Technik der Blankettnorm, bei der sich erst aus der Norm, 774

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auf die verwiesen wird, ergibt, welches Verhalten eine Ordnungswidrigkeit darstellt.1 Ergänzend sind bei der Anwendung des § 24 LkSG die Vorschriften des OWiG 3 heranzuziehen. Die Höhe einer Geldbuße ist gem. § 22 LkSG auch für den Ausschluss des Unter- 4 nehmens von der Vergabe öffentlicher Aufträge relevant (s. dazu § 22 Rz. 17 ff.).

II. Bußgeldtatbestände (Abs. 1) und -adressaten 1. Vorsatz oder Fahrlässigkeit Die Bußgeldtatbestände des § 24 Abs. 1 LkSG können durch vorsätzliches oder 5 fahrlässiges Handeln verwirklicht werden.2 Vorsätzlich handelt, wer in Kenntnis aller seiner objektiven Tatbestandsmerk- 6 male einen Ordnungswidrigkeitstatbestand verwirklichen will, Vorsatz ist damit kurz das Wissen und Wollen der Tat.3 Fahrlässig handelt, wer diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den 7 Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, und daher entweder die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung nicht erkennt bzw. nicht voraussieht (unbewusste Fahrlässigkeit) oder sie zwar erkennt, aber ernsthaft darauf vertraut, diese werde nicht eintreten (bewusste Fahrlässigkeit).4 Fahrlässigkeit setzt sich danach aus einer Pflichtwidrigkeit und der Vorhersehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung zusammen.5 Die Ordnungswidrigkeitstatbestände des § 24 Abs. 1 LkSG können bereits durch einfache Fahrlässigkeit verwirklicht werden.6 2. Bußgeldadressaten, Regress und Freistellung Ordnungswidrigkeitstatbestände sind nur auf natürliche Personen unmittelbar 8 anwendbar.7 Die Pflichten des LkSG richten sich an Unternehmen. Dementspre1 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit s. BVerfG, v. 8.5.1974 – 2 BvR 636/72, NJW 1974, 1860, 1862; BVerfG v. 6.5.1987 – 2 BvL 11/85, NJW 1987, 3175. 2 Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2151; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 93. 3 Vgl. BGH v. 5.5.1964 – 1 StR 26/64, LMRR 1964, 6; Valerius in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 10 Rz. 4; Rengier in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 10 Rz. 3; Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 10 Rz. 2. 4 OLG Bremen v. 17.2.2006 – Ss (B) 51/05, NZV 2006, 276; OLG Celle v. 9.12.2008 – 322 SsBs 247/08, NStZ 2009, 710; OLG Frankfurt, v. 20.8.2010 – 2 Ss-OWi 166/10; NJW 2010, 3526; Valerius in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 10 Rz. 24. 5 Valerius in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 10 Rz. 24. 6 BT-Drucks. 19/28649, 57. 7 Das LG Bonn sieht für Art. 83 DSGVO eine unmittelbare Verbandshaftung, unabhängig von einem Handeln natürlicher Personen, vor, LG Bonn v. 11.11.2020 – 29 OWi 1/20,

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§ 24 | Bußgeldvorschriften chend stellen die Bußgeldtatbestände des § 24 Abs. 1 LkSG Sondertatbestände dar, da sie nur von Unternehmen i.S.d. § 1 LkSG verwirklicht werden können. Dies können grundsätzlich zwar auch natürliche Personen sein (§ 1 Rz. 6), weit überwiegend handelt es sich bei den verpflichteten Unternehmen jedoch um juristische Personen. Handelt ein Vertreter oder Beauftragter für ein Unternehmen, genügt es nach § 9 OWiG, wenn das besondere persönliche Merkmal von dem Vertretenen oder Auftraggeber erfüllt wird. Dem Vertreter und Beauftragten wird mit anderen Worten die Unternehmenseigenschaft gem. § 9 OWiG zugerechnet. Die Zurechnung beschränkt sich dabei auf den handelnden Vertreter und Beauftragten, sie erfolgt nicht bei sämtlichen Mitarbeitern des Vertretenen.8 9 Begeht eine der in § 30 Abs. 1 OWiG aufgelisteten Leitungspersonen die Ord-

nungswidrigkeit, kann sie im nächsten Schritt der juristischen Person oder Personenvereinigung zugerechnet werden.9

10 Darüber hinaus kann dem Betriebsinhaber nach § 130 OWiG bei einer Auf-

sichtspflichtverletzung das Handeln und Unterlassen untergeordneter Mitarbeiter zugerechnet werden. Ist der Inhaber des Betriebs oder Unternehmens eine juristische Person oder Personenvereinigung, ist dieses besondere persönliche Merkmal den Vertretern und Beauftragten nach § 9 OWiG zuzurechnen. Die Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG kann wiederum eine Verbandsgeldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG begründen.10

11 Infolge der Zurechnung nach § 9 OWiG können damit Organe, Organmitglie-

der, vertretungsberechtigte Gesellschafter und gesetzliche Vertreter eines Unternehmens sowie Personen, die beauftragt sind, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten oder ausdrücklich beauftragt sind, dem Betriebsinhaber obliegende Aufgaben in eigener Verantwortung wahrzunehmen, Täter und Bußgeldadressaten sein. Diesen Personen kann zudem im Rahmen des § 130 OWiG eine Aufsichtspflichtverletzung vorgeworfen werden. Nach § 30 Abs. 1 OWiG können darüber hinaus juristische Personen und Personenvereinigungen Bußgeldadressaten sein, wenn eine solche Ordnungswidrigkeit von einer Leitungsperson begangen worden ist. MMR 2021, 173, 174 f. Dies widerspricht nach Ansicht des LG Berlin der gesetzlichen Vorgabe des § 41 BDSG, nach der die §§ 30, 130 OWiG grundsätzlich anzuwenden seien, LG Berlin v. 18.2.2021 – 526 OWi LG 212 Js-OWi 1/20 (1/20), ZD 2021, 270, 271 ff. Das KG Berlin hat nunmehr ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gestellt, KG Berlin, EuGH-Vorlage v. 6.12.2021 – 3 Ws 250/21, CB 2022, 132, vgl. zum Ganzen etwa Pentzien/Haak, CB 2022, 105; Nietsch/Osmanovic, BB 2021, 1858; Wybitul/Venn, ZD 2021, 343. Aufgrund seines europarechtlichen Hintergrundes ist dieser Streit im Rahmen des § 24 LkSG unerheblich, eine unmittelbare Verbandhaftung ist insoweit ausgeschlossen. 8 Valerius in BeckOK/OWiG, Stand: 01/2022, § 11 Rz. 3. 9 Többens, NStZ 1999, 1, 8. 10 S. ausführlich zum Zusammenspiel der §§ 9, 30, 130 OWiG etwa Többens, NStZ 1999, 1, 7 f.; Theile/Petermann, JuS 2011, 496 ff.; Hombrecher, JA 2012, 535, 541 ff.; Rogall in KK/ OWiG, 5. Aufl. 2018, § 9 Rz. 101.

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Zu Wertungswidersprüchen hinsichtlich der Bußgeldobergrenze, die sich aus 12 der fehlenden Abstimmung des Bußgeldrahmens des § 24 LkSG mit der Regelung des § 30 OWiG ergeben, s. Rz. 121. Umstritten ist, ob auch der Menschenrechtsbeauftragte als Bußgeldadressat in 13 Betracht kommt. Die Frage stellt sich indes nicht nur für den Menschenrechtsbeauftragten, sondern auch für eine sonstige Person, die innerhalb des Unternehmens für die Überwachung des Risikomanagements nach § 4 Abs. 3 Satz 1 LkSG zuständig ist. Verbreitet wird eine Stellung des Menschenrechtsbeauftragten als Beauftragter 14 i.S.d. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG, teilweise unter Bezug auf eine BGH-Entscheidung zur Garantenpflicht eines Compliance-Officer,11 für möglich gehalten.12 Maßgeblich seien die Festlegung der Zuständigkeit und die Ausgestaltung des Arbeitsvertrags.13 Dagegen wird vorgebracht, dem Menschenrechtsbeauftragten dürften aufgrund drohender Interessenkonflikte keine operativen Aufgaben zur Durchsetzung der Sorgfaltspflichten des LkSG übertragen werden, weshalb es ihm an der für einen Beauftragten im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts konstitutiven14 Verantwortlichkeit fehle.15 Werde der Menschen11 BGH v. 17.7.2009 – 5 StR 394/08, ZIP 2009, 1867 = DB 2009, 2143, „Berliner Stadtreinigung“, NJW 2009, 3173; diese Parallele zieht Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 194. Auch wenn die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Compliance-Officer auf den ersten Blick einer ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verantwortlichkeit des Menschenrechtsbeauftragten vergleichbar erscheint, kann diese BGH-Entscheidung im Kontext des § 24 LkSG nicht fruchtbar gemacht werden. Der BGH stellte die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Leiters der Rechtsabteilung und Innenrevision fest, da dieser es pflichtwidrig unterlassen habe, überhöhte Rechnungen zu beanstanden und sich so der Beihilfe zum Betrug durch Unterlassen schuldig gemacht habe. Die Erfüllung dieses unechten Unterlassungsdelikts setzt gem. § 13 StGB eine Garantenstellung voraus. Eine solche kann nach der Entscheidung des BGH auch ein Compliance-Officer innehaben. In der Sache handelt es sich um eine sekundäre, von der Unternehmensleitung abgeleitete Garantenpflicht. Bei der Frage, ob der Menschenrechtsbeauftragte als Bußgeldadressat im Rahmen des § 24 LkSG in Betracht kommt, ist seine mögliche Garantenstellung jedoch irrelevant. Bei den Bußgeldtatbeständen des § 24 Abs. 1 LkSG handelt es sich ausschließlich um echte Unterlassungsordnungswidrigkeiten (s. Rz. 2), die schon keine Garantenstellung nach § 8 OWiG voraussetzen. Maßgeblich ist vielmehr, ob dem Menschenrechtsbeauftragten das besondere persönliche Merkmal „Unternehmen“, das die Tatbestände des § 24 Abs. 1 LkSG jeweils voraussetzen, nach § 9 OWiG zuzurechnen ist, so dass er als Bußgeldadressat in Betracht kommen kann. 12 So wohl Häfeli, ARP 2021, 299, 301; vgl. auch Engel/Schönfelder in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 6 Rz. 38; Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 194; offengelassen von Herrmann/Rünz, DB 2021, 3078, 3080. 13 Vgl. Häfeli, ARP 2021, 299, 301; Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 194. 14 Valerius in BeckOK/OWiG, Stand: 01/2022, § 9 Rz. 50; Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 9 Rz. 23. 15 So Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 96.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften rechtsbeauftragte beispielsweise an der Entscheidung über Präventions- oder Abhilfemaßnahmen beteiligt oder könne er anlassbezogen Risikoanalysen durchführen und werde mit entsprechenden Weisungsbefugnissen gegenüber Arbeitnehmern des Unternehmens ausgestattet, sei dies mit seiner Rolle als unabhängiger Überwacher unvereinbar, da er zugleich für die Ausführung der Maßnahme und deren Überwachung zuständig wäre.16 15 In der Tat setzt § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG die Übertragung von Inhaberauf-

gaben zur selbstständigen Wahrnehmung mit Entscheidungshoheit voraus.17 Beschränkt man die Aufgaben des Menschenrechtsbeauftragten strikt auf eine Überwachungstätigkeit (die inhaltlichen Vorgaben des § 4 Abs. 3 Satz 1 LkSG an das Amt des Menschenrechtsbeauftragten sind äußerst spärlich, vgl. dazu § 4 Rz. 40),18 dürfte eine solche Entscheidungshoheit in der Regel nicht vorliegen. In Betracht kommt dann aber eine Haftung der mit der Umsetzung der Gesetzesvorgaben betrauten Person, wenn diese über die erforderliche selbstständige Entscheidungshoheit verfügt. Maßgeblich ist in jedem Fall, welche Aufgaben der Menschenrechtsbeauftragte konkret wahrnimmt. Seine Haftung kann daher nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

16 Adressat der Verbandsgeldbuße im Rahmen der Regelung des § 30 OWiG ist

auch in Konzernstrukturen entsprechend dem Trennungsprinzip die einzelne Konzerngesellschaft, deren Leitungsperson die Begehung einer Ordnungswidrigkeit vorzuwerfen ist. Das LkSG sieht jedoch gewisse Durchbrechungen des Trennungsprinzips vor. Operiert ein Unternehmen mit anderen Unternehmen in einer sog. wirtschaftlichen Einheit, kann ihm der Umsatz aller der wirtschaftlichen Einheit angehörigen Unternehmen zugerechnet werden. Dies ist für die Anwendbarkeit und die Höhe des Sonderbußgeldrahmens nach § 24 Abs. 3 LkSG von Relevanz. Zum anderen bewirkt die Zurechnung konzernangehöriger Gesellschaften in verbundenen Unternehmen zum Geschäftsbereich der Obergesellschaft bei Ausübung bestimmenden Einflusses eine Erweiterung des Pflichtenkreises und schafft damit auch inhaltlich weitere Anknüpfungspunkte für die Bebußung von Pflichtverletzungen.19

17 Zur Frage, ob eine juristische Person oder Personenvereinigung, gegen die ein

Bußgeld nach § 30 OWiG verhängt worden ist, von ihrer Leitungsperson Binnenregress fordern kann, besteht ein inzwischen breit gefächertes Meinungsspektrum. Die Ansichten reichen – mit im Einzelnen unterschiedlichen Schattierungen und dogmatischen Begründungen – von einem völligen Ausschluss des 16 Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 95. 17 Rogall in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 9 Rz. 88 ff. m.w.N. 18 So Harings/Jürgens/Thalhammer, CB 2022, 93, 94 f., die vorschlagen, daneben zur operativen Umsetzung der Gesetzesvorgaben einen „Chief Human Rights Officer“ zu bestimmen. 19 Vgl. Hettich/Charnitzky in Kubis/Tödtmann, Arbeitshandbuch für Vorstandsmitglieder, 3. Aufl. 2022, § 14 Rz. 292 ff.

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Bußgeldvorschriften | § 24

Regresses20 über eine in ihrer Höhe (auf die für natürliche Personen geltenden Bußgeldobergrenzen) oder nach Verschuldensgrad beschränkte Regressmöglichkeit21 bis zu einer grundsätzlich uneingeschränkten Regressmöglichkeit.22 Einigkeit besteht darin, dass der Abschöpfungsanteil der Geldbuße (s. Rz. 125 f.) nach der Differenzhypothese keinen Schaden darstellt und damit nicht regressfähig ist.23 Es handelt sich hierbei um eine allgemeine gesellschaftsrechtliche Problematik, der an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden kann. Für Bußgelder nach § 24 LkSG gelten insoweit keine Besonderheiten. Ähnliches gilt für die umgekehrte Konstellation, die Übernahme einer an das 18 Organmitglied adressierten Geldbuße durch das Unternehmen. Auch für diese allgemeine gesellschaftsrechtliche Fragestellung gebietet das LkSG keine spezifische Lösung. Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre ist eine solche Übernahme grundsätzlich zulässig.24 3. Bußgeldbewährte Pflichten a) Unterlassene Festlegung einer für das Risikomanagement zuständigen Person (Abs. 1 Nr. 1) Ein Unternehmen, das keinen Menschenrechtsbeauftragten bestellt oder es un- 19 terlässt, eine andere für das Risikomanagement zuständige Person zu benennen, handelt ordnungswidrig. Keine Ordnungswidrigkeit stellt es dagegen dar, wenn sich die Geschäftsleitung 20 des Unternehmens entgegen § 4 Abs. 3 Satz 2 LkSG nicht regelmäßig über die Arbeit der zuständigen Person bzw. der zuständigen Personen informiert.

20 So LAG Düsseldorf v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, CCZ 2015, 185 zur Geldbuße nach § 81 GWB (in der Revision allerdings aus Verfahrensgründen zurückverwiesen, BAG v. 29.6. 2017 – 8 AZR 189/15, NJW 2018, 184); Thomas, NZG 2015, 1409, 140 ff.; Labusga, VersR 2017, 394, 398 ff.; Horn, ZIP 1997, 1129, 1136; Lotze/Smolinski, NZKart 2015, 254, 258. 21 Thole, ZHR 173 (2009), 504, 528 ff.; Koch, AG 2012, 429, 435; Spindler, AG 2013, 889, 894 ff.; Seibt/Cziupka, AG 2015, 93, 106; Koch in Koch, 16. Aufl. 2022, § 93 Rz. 97 ff. 22 Zimmermann, WM 2008, 433, 438; Werner, CCZ 2010, 143, 145; Schöne/Petersen, AG 2012, 700, 704; Fleischer, DB 2014, 345, 347 ff.; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, AktG, 2. Aufl.2020, § 93 Rz. 96. 23 Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 194 m.w.N.; David in David/Dinter, Praxis des Bußgeldverfahrens im Kapitalmarktrecht, 2021, Rz. 1284. 24 BGH v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, ZIP 2014, 1728 = DB 2014, 2099 = NZG 2014, 1058; s. näher zu den Voraussetzungen Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 285; Fleischer in BeckOGK/AktG, Stand: 02/2022 § 93 Rz. 350; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, AktG, 2. Aufl.2020, § 93 Rz. 144; Koch in Koch, 16. Aufl. 2022, § 93 Rz. 164, jeweils m.w.N.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften b) Unterlassen der Durchführung einer ordnungsgemäßen Risikoanalyse (Abs. 1 Nr. 2) 21 Führt ein verpflichtetes Unternehmen keine oder keine ordnungsgemäße Risi-

koanalyse durch, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar. Erfasst sind dabei sowohl die reguläre Risikoanalyse, zu der ein Unternehmen im eigenen Geschäftsbereich nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 LkSG verpflichtet ist, als auch die anlassbezogene Risikoanalyse, die nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 LkSG bei einer wesentlich veränderten oder erweiterten Risikolage in der Lieferkette und nach § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG aufgrund der substantiierten Kenntnis möglicher menschenrechts- oder umweltbezogener Pflichtverletzungen bei mittelbaren Zulieferern durchzuführen ist. Bußgeldbewährt ist es, die Risikoanalyse nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig durchzuführen.

22 Führt ein Unternehmen eine Risikoanalyse nicht durch, stellt dies den offen-

sichtlichsten und schwerwiegendsten Verstoß gegen die Pflichten aus § 5 Abs. 1 Satz 1 LkSG und § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG dar. Dem Nachweis der Durchführung dient die Dokumentationspflicht des § 10 Abs. 1 Satz 1 LkSG.

23 Aus der Existenz der Tatbestandsvarianten der nicht vollständigen oder nicht

rechtzeitigen Durchführung lässt sich schließen, dass die Variante der nicht richtigen Durchführung in erster Linie auf eine inhaltlich ordnungsgemäße Risikoanalyse abzielt, insbesondere auf eine angemessene Gewichtung und Priorisierung nach § 5 Abs. 2 LkSG (ggf. i.V.m. § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG). Hinsichtlich einer nicht vollständigen oder nicht rechtzeitigen Durchführung der Risikoanalyse, die nach allgemeinem Sprachgebrauch jeweils ebenfalls eine nicht richtige Durchführung darstellen könnte, sind § 24 Abs. 1 Nr. 2 Var. 3 bzw. 4 LkSG die spezielleren Tatbestände.

24 Dem verpflichteten Unternehmen wird bei der Wahl geeigneter Methoden zur

Informationsbeschaffung und Bewertung durch das Gesetz Ermessen eingeräumt (s. § 5 Rz. 12).25Eine Ordnungswidrigkeit kommt daher nur in Betracht, wenn das Unternehmen die für den Einzelfall zu bestimmenden Grenzen des Ermessens überschreitet.

25 Nicht vollständig ist eine Risikoanalyse durchgeführt, wenn sie nicht alle rele-

vanten Geschäftsfelder oder nicht alle relevanten Zulieferer abdeckt.

26 Bei der Bewertung, ob eine Risikoanalyse nicht rechtzeitig durchgeführt ist, ist

nach dem Rechtsgrund, der zu ihrer Durchführung verpflichtet, zu differenzieren. Nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 LkSG ist die reguläre Risikoanalyse „einmal im Jahr“ durchzuführen, so dass eine Durchführung nach Ablauf des Jahres, in dem sie durchzuführen gewesen wäre, nicht mehr rechtzeitig erfolgt. Das Gesetz spezifiziert nicht, ob die Pflicht zur jährlichen Durchführung der regulären Risikoanalyse auf das Kalenderjahr oder das Geschäftsjahr zu beziehen ist. Der Ordnungswidrigkeitstatbestand wird daher nur als erfüllt anzusehen sein, wenn das 25 BT-Drucks. 19/28649, 45.

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verpflichtete Unternehmen weder im Kalenderjahr noch im Geschäftsjahr eine Risikoanalyse durchführt. Die anlassbezogene Risikoanalyse nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Var. 2 LkSG ist durch- 27 zuführen, wenn das Unternehmen mit einer wesentlich veränderten oder erweiterten Risikolage zu rechnen hat. Sie ist damit in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit Bekanntwerden ihres Anlasses durchzuführen. Anders als bei § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG muss sie nicht „unverzüglich“ erfolgen. Sie wird allerdings auch nicht erst nach Eintritt des Anlasses, sondern schon dann, wenn das Unternehmen mit der veränderten Risikolage rechnen muss, verpflichtend. Die Gesetzesbegründung betont die präventive Wirkung der Risikoanalyse nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Var. 2 LkSG, wenn sie beispielhaft darauf hinweist, dass sie schon vor Aufnahme neuer Tätigkeiten oder Beziehungen, vor strategischen Entscheidungen oder vor Veränderungen in der Geschäftstätigkeit verpflichtend sein kann.26 Dementsprechend stellt sich die Durchführung einer Risikoanalyse, die erst nach dem Eintritt einer wesentlich veränderten Risikolage durchgeführt wird, als nicht rechtzeitig dar, wenn das Unternehmen schon im Voraus hiermit rechnen musste, also z.B. ein neues Produkt einführt, ein neues Projekt beginnt oder ein neues Geschäftsfeld erschließt, bevor eine entsprechende Risikoanalyse durchgeführt worden ist. Lediglich bei unvorhersehbaren, auf äußeren Umständen beruhenden Änderungen der Risikolage kann auch eine nachträglich durchgeführte anlassbezogene Risikoanalyse nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Var. 2 LkSG noch rechtzeitig sein. Die Risikoanalyse nach § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG ist dagegen „unverzüglich“ nach 28 Erlangung der substantiierten Kenntnis des möglichen menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflichtverstoßes bei dem mittelbaren Zulieferer durchzuführen. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (vgl. die auch insoweit heranzuziehende Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB, s. § 9 Rz. 42). Eine starre zeitliche Grenze, ab der eine Risikoanalyse nicht mehr unverzüglich und damit nicht rechtzeitig durchgeführt ist, kann nicht bestimmt werden. Maßgeblich sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (s. § 9 Rz. 42). Die Bußgeldvorschrift wird im Schrifttum teilweise für verfassungswidrig erach- 29 tet, da der unbestimmte Rechtsbegriff der Rechtzeitigkeit den Bestimmtheitsgrundsatz verletze, sofern er aufgrund eines gesetzlichen Verweises mit Unverzüglichkeit gleichzusetzen ist und daher nicht allgemein, sondern nur einzelfallabhängig bestimmt werden kann.27 Dem Normadressaten sei nicht zu erkennen, wann eine Handlung rechtzeitig im Sinne des Bußgeldtatbestands sei.28 Dem ist zuzugestehen, dass die gebotene Anknüpfung an die Umstände des Einzelfalls bei der Auslegung des Begriffs der Unverzüglichkeit in § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG 26 BT-Drucks. 19/28649, 45, lediglich hinsichtlich Veränderungen im Geschäftsumfeld weist die Gesetzesbegründung darauf hin, dass eine Analyse nicht nur in Vorausschau, sondern auch als Reaktion hierauf erfolgen könne. 27 Scherp/Friedrich, CB 2022, 51, 54. 28 Scherp/Friedrich, CB 2022, 51, 52.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften und damit auch der Rechtzeitigkeit in § 24 Abs. 1 Nr. 2 LkSG gewisse Rechtsunsicherheiten bedingt. Dennoch ist die Verwendung des Tatbestandsmerkmals „unverzüglich“ keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Die Verwendung normativer, auslegungsbedürftiger Begriffsmerkmale verstößt nicht ohne weiteres gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot. Zur Vermeidung eines allzu starren und kasuistisch geprägten Normtextes ist sie vielmehr ein unabweisliches Bedürfnis der Rechtsordnung.29 Normative Tatbestandsmerkmale, die auf Einzelfallumstände abstellen, sind daher nicht schon grundsätzlich unzulässig. Dass in Einzelfällen zweifelhaft ist, ob ein Verhalten dem gesetzlichen Tatbestand unterfällt, ist unbeachtlich und durch die erforderliche Allgemeinheit und Abstraktheit der Ordnungswidrigkeitsnorm geboten.30 Das Merkmal der Unverzüglichkeit leidet dabei nicht an einer Unbestimmtheit eines solchen Ausmaßes, die nicht mehr mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist. Auch Normen des Kern- und Nebenstrafrechts verwenden diesen Begriff.31 Dem Defizit an Bestimmtheit ist im Rahmen der Auslegung durch Verwendung nicht allzu strenger Anforderungen sowie ggf. durch die großzügige Einräumung der Möglichkeit eines unvermeidbaren Verbotsirrtums über den Zeitraum der Rechtzeitigkeit zu begegnen,32 zumindest bis eine hinreichende Konkretisierung durch die Rechtsprechung stattgefunden haben wird. Schwerwiegender stellen sich dagegen die verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Kombination sonstiger unbestimmter Rechtsbegriffe und des Angemessenheitsvorbehalts dar (s. Rz. 63 ff.). 30 Vor dem Hintergrund der bestehenden Unsicherheiten aufgrund des Erforder-

nisses der Einzelfallbetrachtung ist Unternehmen zur Vermeidung eines Bußgeldes bei Erlangen substantiierter Kenntnis i.S.d. § 9 Abs. 3 LkSG zu raten, die Risikoanalyse nach Möglichkeit unmittelbar einzuleiten und durchzuführen.

29 Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 1 Rz. 19; vgl. auch Engel/Schönfelder in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 6 Rz. 47. 30 BVerfG v. 23.10.1985 – 1 BvR 1053/82, NJW 1986, 1671, 1672, BVerfGE 71, 108, 114 f.; BVerfG v. 22.6.1988 – 2 BvR 234/87, 2 BvR 1154/86, NJW 1989, 1663, 1665, BVerfGE 78, 374, 381 f.; BVerfG, v. 10.1.1995 – 1 BvR 718/89, 1 BvR 719/89, 1 BvR 722/89, 1 BvR 723/89, NJW 1995, 1141, BVerfGE 92, 1, 12. 31 S. z.B. § 98 Abs. 2 Satz 2, § 138 Abs. 2 Satz 1, § 142 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, § 266a Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 Satz 1, § 328 Abs. 2 Nr. 1, § 331 Abs. 3, § 333 Abs. 3 StGB. 32 Vgl. entsprechend zu § 142 StGB Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 142 Rz. 65; s. auch die Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten der DAV Ausschüsse, NZG 2021, 546, 555, in der empfohlen wird, bis zu einer hinreichenden Konkretisierung der Sorgfaltspflichten durch die Rechtsprechung bußgeldbewährte Ordnungswidrigkeiten nur bei vorsätzlichem oder leichtfertigem/grob fahrlässigem Verhalten anzunehmen. Eine solche Beschränkung hilft jedoch über eine fehlende Bestimmtheit nicht hinweg, denn auch bei vorsätzlichem oder leichtfertigem/grob fahrlässigen Verhalten muss zunächst hinreichend bestimmt feststehen, welche Verhaltensweise den Ordnungswidrigkeitstatbestand erfüllt, da die objektiven Tatbestandsmerkmale den Bezugspunkt des Vorsatzes und der Leichtfertigkeit/groben Fahrlässigkeit darstellen.

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Bußgeldvorschriften | § 24

c) Unterlassen des (rechtzeitigen) Ergreifens einer Präventionsmaßnahme (Abs. 1 Nr. 3) Stellt ein Unternehmen im Rahmen einer Risikoanalyse nach § 5 LkSG ein Ri- 31 siko fest, hat es angemessene Präventionsmaßnahmen nach § 6 Abs. 2-4 LkSG zu treffen. Ein Unternehmen, das nicht oder nicht rechtzeitig mit dem Ergreifen einer angemessenen Präventionsmaßnahme auf ein Risiko reagiert, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Die Präventionsmaßnahme muss nach § 6 Abs. 1 LkSG unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, ergriffen werden (s. in diesem Zusammenhang zum Tatbestandsmerkmal der Rechtzeitigkeit Rz. 28 ff.). Eine Risikoanalyse nach § 5 LkSG ist gem. § 5 Abs. 4 LkSG jährlich sowie anlass- 32 bezogen bei einer wesentlichen Änderung oder Erweiterung der Risikolage in der Lieferkette durchzuführen. Darüber hinaus hat sie anlassbezogen bei substantiierter Kenntnis einer möglichen menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflichtverletzung bei einem mittelbaren Zulieferer nach § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG stattzufinden. Für die bußgeldbewährte Pflicht zum rechtzeitigen Ergreifen von Präventionsmaßnahmen nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 LkSG ist es unbeachtlich, ob das Risiko im Rahmen einer regulären Risikoanalyse nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 LkSG oder einer anlassbezogenen Risikoanalyse nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 oder nach § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG festgestellt worden ist. In allen Fällen handelt es sich um eine Risikoanalyse nach § 5 LkSG. Bußgeldbewährt ist lediglich das Nichtergreifen und nicht rechtzeitige Ergreifen 33 einer angemessenen Präventionsmaßnahme. Anders als bei der Durchführung einer Risikoanalyse nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 LkSG erwähnt § 24 Abs. 1 Nr. 3 LkSG nicht die Tatbestandsvariante des „nicht richtigen“ Ergreifens einer angemessenen Präventionsmaßnahme. Soweit sich eine rechtzeitig ergriffene Maßnahme noch als angemessene Präventionsmaßnahme darstellt, begründen daher insbesondere geringfügige Verfahrensfehler keine Ordnungswidrigkeit. Eine Präventionsmaßnahme ist entgegen § 6 Abs. 1 LkSG nicht ergriffen, wenn 34 das verpflichtete Unternehmen eine der in § 6 Abs. 2-4 LkSG zwingend vorgesehenen Maßnahmen nicht durchführt. Danach muss ein verpflichtetes Unternehmen eine Grundsatzerklärung über seine 35 Menschenrechtsstrategie abgeben, die über den Mindestinhalt des § 6 Abs. 2 Satz 3 LkSG verfügt, und die in § 6 Abs. 3 u. 4 LkSG geregelten Maßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und gegenüber unmittelbaren Zulieferern verankern. Bei der Auflistung der Präventionsmaßnahmen in § 6 Abs. 3 u. 4 LkSG handelt 36 es sich nach dem Wortlaut der Vorschrift um nicht abschließende Regelbeispiele. Ein verpflichtetes Unternehmen ist unter Berücksichtigung des Angemessenheitsvorbehalts verpflichtet, mindestens diese Maßnahmen zu ergreifen. Der Bestimmtheitsgrundsatz gebietet es, den Ordnungswidrigkeitstatbestand des § 24 Abs. 1 Nr. 3 LkSG auf die in § 6 Abs. 2-4 LkSG ausdrücklich genannten Präventionsmaßnahmen zu beschränken. Dem Normadressaten des § 24 Abs. 1 Nr. 3 LkSG ist nicht im Voraus hinreichend deutlich, zu welchen weiteren, unSchmelzeisen

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§ 24 | Bußgeldvorschriften geschriebenen Präventionsmaßnahmen er darüber hinaus nach § 6 Abs. 3–4 LkSG konkret verpflichtet sein soll. d) Unterlassen der (rechtzeitigen) Überprüfung der Wirksamkeit der Präventions- und der Abhilfemaßnahmen sowie des Beschwerdeverfahrens (Abs. 1 Nr. 4) 37 Die Wirksamkeit der Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie des Be-

schwerdeverfahrens ist regelmäßig sowie anlassbezogen zu überprüfen. Wer eine solche Überprüfung nicht oder nicht rechtzeitig vornimmt, begeht eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 Abs. 1 Nr. 4 LkSG.

38 Die reguläre Überprüfung der Wirksamkeit der Präventionsmaßnahmen nach

§ 6 Abs. 5 Satz 1 LkSG und der Abhilfemaßnahmen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 LkSG hat jeweils „einmal im Jahr“ zu erfolgen, die Wirksamkeit des Beschwerdeverfahrens nach § 8 Abs. 5 Satz 1 LkSG „mindestens einmal im Jahr“. Darüber hinaus hat die Überprüfung der Wirksamkeit jeweils anlassbezogen bei einer wesentlichen Veränderung oder Erweiterung der Risikolage im eigenen Geschäftsbereich oder beim unmittelbaren Zulieferer stattzufinden.

39 Die unterschiedlichen Formulierungen bzgl. der regulären Wirksamkeitsüber-

prüfung sind im Rahmen des § 24 Abs. 1 Nr. 4 LkSG unbeachtlich. Erfolgt weder im Kalenderjahr noch im Geschäftsjahr (s. Rz. 26) eine Überprüfung der Wirksamkeit der Präventionsmaßnahmen, der Abhilfemaßnahmen oder des Beschwerdeverfahrens, erfüllt dies den Tatbestand des § 24 Abs. 1 Nr. 4 LkSG.

e) Unterlassen der (rechtzeitigen) Aktualisierung der Präventions- und der Abhilfemaßnahmen sowie des Beschwerdeverfahrens (Abs. 1 Nr. 5) 40 Ergibt sich bei der periodischen oder anlassbezogenen Überprüfung der Wirksam-

keit der Präventions- und der Abhilfemaßnahmen ein Handlungsbedarf, sind die Maßnahmen nach § 6 Abs. 4 Satz 3 LkSG, § 7 Abs. 4 Satz 3 LkSG unverzüglich zu aktualisieren. Unterbleibt dies oder erfolgt die Aktualisierung nicht unverzüglich, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 Abs. 1 Nr. 5 Var. 1 u. 2 LkSG dar.

41 Nach § 24 Abs. 1 Nr. 5 Var. 3 LkSG stellt es darüber hinaus auch eine Ord-

nungswidrigkeit dar, wenn bzgl. des Beschwerdeverfahrens entgegen § 8 Abs. 5 Satz 2 LkSG eine Maßnahme nicht oder nicht rechtzeitig aktualisiert wird. § 8 Abs. 5 Satz 2 LkSG verpflichtet jedoch nicht dazu, die Maßnahme bei Bedarf zu „aktualisieren“, sondern dazu, sie zu „wiederholen“. Der Regierungsentwurf sah in § 8 Abs. 5 Satz 2 LkSG noch den Begriff des „Aktualisierens“ vor. Dessen Ersetzung durch den Begriff des „Wiederholens“ infolge einer entsprechenden Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales diente der „sprachlichen Präzisierung“.33 Gemeint ist eine Wiederholung der Maßnahmen, die zur

33 BT-Drucks. 19/30505, 42. Ironischerweise hat die „sprachliche Präzisierung“ des § 8 Abs. 5 Satz 2 LkSG eine sprachliche Ungenauigkeit des Ordnungswidrigkeitstatbestands des § 24 Abs. 1 Nr. 5 Var. 3 LkSG zur Folge.

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Bußgeldvorschriften | § 24

Durchführung des Beschwerdeverfahrens ergriffen worden sind. Dass in diesem Zuge auch eine entsprechende sprachliche Anpassung des § 24 Abs. 1 Nr. 5 LkSG erforderlich gewesen wäre, wurde offensichtlich übersehen. Dennoch dürfte § 24 Abs. 1 Nr. 5 Var. 3 LkSG ohne Verstoß gegen das Analo- 42 gieverbot oder das Bestimmtheitsgebot einen wirksamen Bußgeldtatbestand darstellen. Die Verwendung der Blanketttechnik ist auch für Normen des Strafund Ordnungswidrigkeitenrechts zulässig, wenn die Verweisungsnorm hinreichend klar erkennen lässt, welche Vorschrift im Einzelnen gelten soll und worauf sich die Verweisung bezieht.34 Dafür muss die Blankettvorschrift die Regelung sowie ihren Inhalt und Gegenstand hinreichend deutlich bezeichnen. Stellt sich bei der Überprüfung des Beschwerdeverfahrens dessen Unwirksam- 43 keit heraus und wiederholt das Unternehmen daraufhin die ergriffenen Maßnahmen, kann dies ohne Überschreiten der Wortlautgrenze noch als Aktualisierung des Beschwerdeverfahrens verstanden werden. Der Begriff des Aktualisierens kann auch die Wiederholung unwirksamer Verfahrensvorgänge durch wirksame Maßnahmen bezeichnen. Er ist dann als Oberbegriff zum Wiederholen zu verstehen. Dem Gesetzgeber ist dennoch, um etwaige Unklarheiten zu beseitigen, de lege ferenda zu raten, § 24 Abs. 1 Nr. 5 LkSG um den Begriff des Wiederholens zu ergänzen. Zum Begriff der Rechtzeitigkeit s. Rz. 28 ff.

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f) Unterlassen des (rechtzeitigen) Ergreifens einer Abhilfemaßnahme (Abs. 1 Nr. 6) Eine Ordnungswidrigkeit begeht, wer eine angemessene Abhilfemaßnahme nach 45 § 7 Abs. 1 LkSG nicht oder nicht rechtzeitig, d.h. unverzüglich (s. Rz. 28 ff.), ergreift, obwohl das Unternehmen festgestellt hat, dass eine menschenrechts- oder umweltbezogene Pflichtverletzung im eigenen Geschäftsbereich oder bei einem unmittelbaren Zulieferer eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht. Zu beachten ist, dass die Abhilfemaßnahme im eigenen Geschäftsbereich im Inland zu einer Beendigung der Verletzung und im eigenen Geschäftsbereich im Ausland und im eigenen Geschäftsbereich gem. § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG in der Regel zur Beendigung der Verletzung führen muss. Nach dem Wortlaut der Vorschrift stellt bereits das Nichtergreifen der erfor- 46 derlichen Abhilfemaßnahme als solches eine Ordnungswidrigkeit dar. Steht die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht unmittelbar bevor, bleibt sie letztlich aber ohne Zutun des verpflichteten Unternehmens aus anderen Gründen aus, z.B. durch Eingreifen Dritter, entlastet dies das verpflichtete Unternehmen daher grundsätzlich nicht. Gleiches gilt, wenn eine bereits eingetretene Verletzung beendet wird oder in ihrem Ausmaß mini34 Vgl. BVerfG v 7.5.1968 – 2 BvR 702/65, NJW 1968, 1515; BVerfG v. 21.9.2016 – 2 BvL 1/ 15 Rz. 44, NJW 2016, 3648, 3650; BVerfG. v. 11.3.2020 – 2 BvL 5/17 Rz. 78, 80, NVwZRR 2020, 569, 572 m.w.N.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften miert wird, ohne dass das Unternehmen eine angemessene Abhilfemaßnahme ergriffen hat. Das Ausbleiben, die Beendigung oder die Minimierung der Verletzung können in diesen Fällen allenfalls bußgeldmindernd berücksichtigt werden. 47 Die bei einer Pflichtverletzung bei einem unmittelbaren Zulieferer, die das Un-

ternehmen nicht in absehbarer Zeit beenden kann, bestehende Pflicht zur Erstellung und Umsetzung eines Konzepts zur Beendigung oder Minimierung der Pflichtverletzung gem. § 7 Abs. 2 Satz 1 LkSG, stellt keine nach § 24 Abs. 1 Nr. 6 LkSG bußgeldbewährte Abhilfemaßnahme dar. Das Unterlassen der Erstellung und Umsetzung eines solchen Konzepts kann jedoch nach § 24 Abs. 1 Nr. 7 LkSG eine Ordnungswidrigkeit begründen. g) Unterlassen des (rechtzeitigen) Erstellens oder Umsetzens eines Konzepts (Abs. 1 Nr. 7)

48 Erstellt ein Unternehmen ein Konzept in den Fällen des § 7 Abs. 2 Satz 1 LkSG

und des § 9 Abs. 3 Nr. 3 LkSG nicht oder nicht rechtzeitig, d.h. unverzüglich (s. dazu Rz. 28 ff.), oder setzt dieses nicht oder nicht rechtzeitig um, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar.

49 Dies bezieht sich zum einen auf die Pflicht zum unverzüglichen Erstellen und

Umsetzen eines Konzepts zur Beendigung oder Minimierung der Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht bei einem unmittelbaren Zulieferer, die so beschaffen ist, dass das Unternehmen sie nicht in absehbarer Zeit beenden kann. Zum anderen stellt der Ordnungswidrigkeitstatbestand auf die anlassbezogene Pflicht des Unternehmens ab, bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, die eine Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht bei mittelbaren Zulieferern möglich erscheinen lassen (substantiierte Kenntnis), ein Konzept zur Verhinderung, Beendigung oder Minimierung zu erstellen und umzusetzen. h) Unterlassen der Einrichtung eines Beschwerdeverfahren (Abs. 1 Nr. 8)

50 Unterlässt ein verpflichtetes Unternehmen es, ein unternehmensinternes Be-

schwerdeverfahren nach § 8 Abs. 1 Satz 1 LkSG einzurichten, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar. § 8 Abs. 1 Satz 6 LkSG lässt alternativ die Beteiligung an einem externen Beschwerdesystem, das die Voraussetzungen von § 8 Abs. 2–5 LkSG erfüllt, ausreichen. Auch wenn der Wortlaut des § 24 Abs. 1 Nr. 8 LkSG diesbezüglich missverständlich ist, da er lediglich auf § 8 Abs. 1 Satz 1 LkSG und die Pflicht zur Einrichtung eines unternehmensinternen Beschwerdeverfahrens Bezug nimmt, stellt die Beteiligung an einem ordnungsgemäß betriebenen externen Beschwerdeverfahren keine Ordnungswidrigkeit dar, da § 8 Abs. 1 Satz 6 LkSG ein solches Verhalten ausdrücklich als rechtmäßig erklärt.

51 Der Verweis in § 24 Abs. 1 Nr. 8 LkSG auf § 9 Abs. 1 LkSG stellt klar, dass ein

Beschwerdeverfahren, das es nicht ermöglicht, auf menschenrechts- und umweltbezogene Pflichtverletzungen hinzuweisen, die durch das wirtschaftliche 786

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Bußgeldvorschriften | § 24

Handeln mittelbarer Zulieferer entstanden sind, nicht den Vorgaben genügt und auch die Einrichtung eines solchen mangelhaften Beschwerdeverfahrens bußgeldbewährt ist. i) Verstoß gegen die Dokumentationsaufbewahrungspflicht (Abs. 1 Nr. 9) Eine Ordnungswidrigkeit begeht, wer entgegen § 10 Abs. 1 Satz 2 LkSG eine Do- 52 kumentation nicht oder nicht mindestens sieben Jahre aufbewahrt. Die Nichterstellung der internen Dokumentation nach § 10 Abs. 1 Satz 1 LkSG 53 ist ausweislich des Wortlauts von § 24 Abs. 1 Nr. 9 LkSG nicht bußgeldbewährt. Unterlässt es das verpflichtete Unternehmen, überhaupt eine Dokumentation zu erstellen, könnte dies daher eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 Abs. 1 Nr. 9 LkSG ausschließen, da in diesem Fall schon keine Dokumentation zur Aufbewahrung existiert. Um gegen die Dokumentationsaufbewahrungspflicht zu verstoßen, muss jedoch eine Dokumentation nicht notwendigerweise erst erstellt worden sein. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Dokumentationserstellung zieht vielmehr zwingend auch einen Verstoß gegen die Pflicht zur Dokumentationsaufbewahrung nach sich. Wer keine Dokumentation erstellt, bewahrt auch keine Dokumentation auf. Die Nichterstellung der Dokumentation führt damit zu einer Ordnungswidrigkeit wegen Nichtaufbewahrung der Dokumentation und ist damit ohne Verstoß gegen das Analogieverbot mittelbar ebenfalls bußgeldbewährt. Darüber hinaus besteht bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur internen Doku- 54 mentation gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 LkSG das Risiko, dass einem Unternehmen der Nachweis, die Sorgfaltspflichten nach § 3 LkSG erfüllt zu haben, nicht gelingen wird. Zwar ist es bei der Verhängung eines Bußgeldes grundsätzlich Aufgabe der zuständigen Behörde bzw. des Gerichts, nachzuweisen, dass der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt worden ist. Insbesondere aufgrund der Ausgestaltung der Tatbestände des § 24 Abs. 1 LkSG als echte Unterlassungsordnungswidrigkeiten ist in der Praxis jedoch damit zu rechnen, dass von verpflichteten Unternehmen bei entsprechenden Verdachtsmomenten der Nachweis ordnungsgemäßen Verhaltens verlangt werden wird. j) Verstoß gegen die Berichtspflichten (Abs. 1 Nr. 10-12) Der Verstoß gegen bestimmte Berichtspflichten stellt nach § 24 Abs. 1 Nr. 10-12 55 LkSG eine Ordnungswidrigkeit dar. So begeht eine Ordnungswidrigkeit, wer einen Bericht entgegen § 10 Abs. 2 Satz 1 LkSG nicht richtig erstellt oder nicht oder nicht rechtzeitig öffentlich zugänglich macht oder entgegen § 12 LkSG nicht oder nicht rechtzeitig einreicht. Wie auch bei § 24 Abs. 1 Nr. 9 LkSG hinsichtlich der Dokumentation ist die Nicht- 56 erstellung eines Berichts selbst nicht ausdrücklich bußgeldbewährt. § 24 Abs. 1 Nr. 2 LkSG differenziert dagegen zwischen dem gänzlichen Unterlassen der Durchführung einer Risikoanalyse und einer nicht richtig durchgeführten Risikoanalyse. Das Nichterstellen eines Berichts kann daher unter systematischen GeSchmelzeisen

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§ 24 | Bußgeldvorschriften sichtspunkten nicht als nicht richtiges Erstellen eines Berichts verstanden werden. Erstellt ein verpflichtetes Unternehmen keinen Bericht, ist dies daher, vergleichbar zu der Regelung des § 24 Abs. 1 Nr. 9 LkSG, nur mittelbar wegen Nichtzugänglichmachens des Berichts nach § 24 Abs. 1 Nr. 11 Alt. 1 LkSG sowie wegen Nichteinreichung des Berichts nach § 24 Abs. 1 Nr. 12 Alt. 1 LkSG bußgeldbewährt. 57 Nicht richtig erstellt ist ein Bericht, wenn er nicht den Anforderungen des § 10

Abs. 2 Satz 2 LkSG genügt. Der Bericht ist nach § 10 Abs. 2 Satz 1 LkSG für einen Zeitraum von sieben Jahren kostenfrei öffentlich zugänglich zu machen. Nicht rechtzeitig öffentlich zugänglich gemacht ist ein Bericht, wenn er nach Ablauf der Viermonatsfrist des § 10 Abs. 2 Satz 1 LkSG nicht auf der Internetseite des Unternehmens kostenfrei verfügbar ist.

58 Darüber hinaus besteht die bußgeldbewährte Pflicht, den Bericht rechtzeitig bei

dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle über einen bereitgestellten Zugang spätestens vier Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres, auf das er sich bezieht, einzureichen. Ebenfalls bußgeldbewährt ist in diesem Zusammenhang auch die Pflicht, einer vollziehbaren Anordnung der zuständigen Behörde zur Nachbesserung eines Berichts innerhalb einer angemessenen Frist nachzukommen (s. Rz. 59 ff.). k) Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung (Abs. 1 Nr. 13)

59 Nicht jede Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung der zuständigen

Behörde stellt eine Ordnungswidrigkeit dar. In § 24 Abs. 1 Nr. 13 LkSG werden lediglich Anordnungen nach § 13 Abs. 2 LkSG und § 15 Satz 2 Nr. 2 LkSG erfasst.

60 Nach § 13 Abs. 2 LkSG kann die zuständige Behörde dem verpflichteten Unter-

nehmen die Nachbesserung des Berichts in einer angemessenen Frist aufgeben, wenn dieser nicht den Anforderungen des § 10 Abs. 2 und 3 LkSG entspricht. Unterlässt es ein Unternehmen, überhaupt einen Bericht einzureichen, kann die zuständige Behörde die Einreichung des Berichts zwar in einer analogen Anwendung des § 13 Abs. 2 LkSG von dem verpflichteten Unternehmen verlangen (§ 13 Rz. 11). Aufgrund des strafrechtlichen Analogieverbots (Art. 103 Abs. 2 GG) scheidet eine entsprechende Erweiterung der Bußgeldvorschrift des § 24 Abs. 1 Nr. 13 LkSG hingegen aus. Bußgeldbewährt ist allein die initiale Nichteinreichung des Berichts (s. Rz. 55), nicht aber auch darüber hinaus der Verstoß gegen eine vollziehbare behördliche Anordnung zur Einreichung des Berichts. Möglich ist daneben aber die ggf. wiederholte Androhung und Festsetzung eines Zwangsgeldes zur Durchsetzung der behördlichen Anordnung (s. § 23 Rz. 6, 12).

61 Trifft die Behörde eine Anordnung, um einen Verstoß eines verpflichteten Un-

ternehmens gegen eine der Pflichten nach §§ 3 bis 10 Abs. 1 LkSG zu beseitigen, kann sie nach § 15 Satz 2 Nr. 2 LkSG zusätzlich anordnen, dass das verpflichtete Unternehmen innerhalb von drei Monaten einen Plan zur Behebung der Missstände einschließlich klarer Zeitangaben zu dessen Umsetzung vorlegt. Auch ein Verstoß gegen diese Pflicht ist bußgeldbewährt. 788

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Bußgeldvorschriften | § 24

Nicht bußgeldbewährt sind dagegen Zuwiderhandlungen gegen andere behörd- 62 liche Anordnungen. Darunter fallen die Ladung einer Person nach § 15 Satz 2 Nr. 1 LkSG und das Aufgeben konkreter Handlungen nach § 15 Satz 2 Nr. 3 LkSG sowie alle weiteren Anordnungen nach § 15 Satz 1 LkSG.35 4. Verfassungsrechtliche Bedenken Die Verfassungsmäßigkeit der Ordnungswidrigkeitstatbestände ist hinsichtlich 63 des Bestimmtheitsgrundsatzes Bedenken ausgesetzt.36 Während der vielfach verwendete Begriff der Rechtzeitigkeit, soweit er mit dem der Unverzüglichkeit gleichzusetzen ist, die Bestimmtheitsanforderungen noch erfüllen dürfte (s. Rz. 29), stellen sich der Angemessenheitsvorbehalt, unter dem die menschenrechts- und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten nach § 3 Abs. 1 Satz 1 LkSG stehen, sowie die Kombination einer Vielzahl weiterer unbestimmter Rechtsbegriffe bei der Festlegung der einzelnen Pflichten aus ordnungswidrigkeitsrechtlicher Perspektive als weitaus problematischer dar. Der Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG37 (s. auch die einfachge- 64 setzliche Ausgestaltung in § 3 OWiG) gebietet es, dass dem Normadressaten hinreichend deutlich vorhersehbar ist, welches Verhalten nach der Vorschrift untersagt ist und sanktioniert wird.38 Die Verwendung unbestimmter, auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe und Generalklauseln ist nicht per se unzulässig. Die Abstraktheit einer Rechtsnorm und die Vielgestaltigkeit des Lebens gebieten vielmehr auch die Nutzung solcher Begriffe (s. Rz. 29). Das BVerfG verweist bei tatbestandlicher Weite und daraus resultierender relativen Unschärfe einer Strafnorm zudem auf die Möglichkeit restriktiver und präzisierender Auslegung (sog. Präzisierungsgebot) zur Wahrung des Bestimmtheitsgebots.39 In 35 Der BaFin wird in dieser Hinsicht ein größerer Spielraum eingeräumt, vgl. § 120 Abs. 12 Nr. 1 WpHG, Seibt/Vesper-Gräske, CB 2021, 357, 361 Fn. 33. 36 Keilmann/Schmidt, WM 2021, 717, 721; Thalhammer, DÖV 2021, 825, 832; Kamann/ Irmscher, NZWiSt 2021, 249, 253 f.; zweifelnd auch Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 192; Engel/Schönfelder in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 6 Rz. 47 weisen zurecht darauf hin, dass es sich materiell um keine spezifische Frage der Bußgeldtatbestände, sondern der Bestimmtheit der diesen zugrunde liegenden einzelnen Pflichten handelt. 37 Die Bestimmtheitsanforderung des Art. 103 Abs. 2 GG erstreckt sich nach st. Rspr. auch auf die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten, BVerfG v. 4.2.1975 – 2 BvL 5/74, NJW 1975, 727, 730; BVerfG v. 29.11.1989 – 2 BvR 1491/87, 2 BvR 1492/87, NJW 1990, 1103; BVerfG v. 8.12.2015 – 1 BvR 1864/14, NJW 2016, 1229, jeweils m.w.N. 38 St. Rspr., vgl. jeweils m.w.N. BVerfG v. 17.1.1978 – 1 BvL 13/76, NJW 1978, 933; BVerfG v. 23.10.1985 – 1 BvR 1053/82, NJW 1986, 1671; BVerfG v. 10.1.1995 – 1 BvR 718/89, 1 BvR 719/89, 1 BvR 722/89, 1 BvR 723/89, NJW 1995, 1141: „[Art. 103 II GG] verpflichtet den Gesetzgeber […] die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen.“ 39 BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, NJW 2010, 3209, 3212 ff.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften strafrechtlichen Spezialgebieten gelten außerdem weniger strenge Bestimmtheitsanforderungen, unternehmerisch Tätigen wird regelmäßig eine Informationsobliegenheit auferlegt.40 65 Relativ unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe sind allerdings nur

dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Norm eine zulässige Grundlage für ihre Auslegung und Anwendung bietet oder wenn sie eine gefestigte Rechtsprechung übernimmt und damit aus dieser Rechtsprechung hinreichende Bestimmtheit gewinnt.41 Trotz der grundsätzlich großzügigen Maßstäbe der Rechtsprechung42 sind hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 24 Abs. 1 LkSG erhebliche Zweifel angebracht.

66 Insbesondere die Bußgeldtatbestände nach § 24 Abs. 1 Nr. 2, 3, 7 LkSG stehen

bisher im Zentrum der Kritik und sind durch den Verweis auf relativ unbestimmte Vorschriften gekennzeichnet.43

67 Hinzu kommt, dass durch den Angemessenheitsgrundsatz nach § 3 Abs. 1

Satz 1 LkSG die Bestimmung der Verhaltenspflicht nur einzelfallabhängig möglich ist. Obwohl dem Angemessenheitsvorbehalt eine haftungsbeschränkende Funktion zukommen soll und er dem Zweck dient, das Pflichtenprogramm der Unternehmen auf einen verhältnismäßigen Umfang zu reduzieren, trägt er nicht unerheblich zur Unbestimmtheit der einzelnen Verhaltensnormen und damit auch der korrespondierenden Bußgeldtatbestände bei (vgl. § 3 Rz. 50). Denn eine Fehleinschätzung der Angemessenheit einer Maßnahme kann eine Pflichtverletzung bedingen und damit eine bußgeldrechtliche Haftung nach sich ziehen.

68 Bisweilen bieten die die Sorgfaltspflichten statuierenden Vorschriften der §§ 3 ff.

LkSG, auf die die Ordnungswidrigkeitstatbestände des § 24 Abs. 1 LkSG verweisen, durch die Angabe von Mindestvorgaben gewisse Anhaltspunkte für die Frage, welche Maßnahmen wenigstens zu ergreifen sind oder welche Folgen die Maßnahmen mindestens zeitigen müssen. Bei Zugrundelegung einer zur Wahrung des Bestimmtheitsgebots gebotenen restriktiven Auslegung dieser Normen dürfte hinsichtlich Maßnahmen, die diese Mindestanforderungen erfüllen, eine Ordnungswidrigkeit regelmäßig ausgeschlossen sein.

69 So sieht die Pflicht nach § 6 Abs. 1 LkSG, angemessene Präventionsmaßnahmen

zu treffen, u.a. nach § 6 Abs. 2 Satz 1 LkSG die Abgabe einer Grundsatzerklärung über die Menschenrechtsstrategie des Unternehmens vor. Enthält diese 40 BVerfG v. 11.3.2020 – 2 BvL 5/17, NVwZ-RR 2020, 569, 575 legt das „normative Leitbild eines sach- und fachkundigen Normadressaten“ zugrunde, s. auch Heger/Widmann, EuR 2021, 356, 366 f. 41 St. Rspr., vgl. jeweils m.w.N. BVerfG v. 21.6.1977 – 2 BvR 308/77, NJW 1977, 1815; BVerfG v. 15.3.1978 – 2 BvR 927/76, NJW 1978, 1423; BVerfG v. 21.11.2002 – 2 BvR 2202/01, NJW 2003, 1030. 42 Vgl. auch Kamann/Irmscher, NZWiSt 2021, 249, 253. 43 Vgl. Kamann/Irmscher, NZWiSt 2021, 249, 253; Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 912.

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den in § 6 Abs. 1 Satz 3 LkSG dargestellten Mindestinhalt, ist zumindest diese Präventionsmaßnahme i.S.d. § 24 Abs. 1 Nr. 3 LkSG ordnungsgemäß ergriffen. Auch zur Erfüllung der nach § 24 Abs. 1 Nr. 8 LkSG bußgeldbewährten Pflicht zur Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens nach § 8 Abs. 1 Satz 1 LkSG enthält das Gesetz in § 8 LkSG vergleichsweise detaillierte Vorgaben. Ist das Beschwerdeverfahren entsprechend ausgestaltet, scheidet eine Ordnungswidrigkeit aus. Entsprechendes gilt im Rahmen des § 24 Abs. 1 Nr. 10 LkSG für einen Bericht, der über den Mindestinhalt des § 10 Abs. 2 Satz 2 LkSG verfügt. Andere Vorschriften lassen hingegen eine entsprechende Konkretisierung der 70 sehr abstrakt formulierten Pflichten vermissen. So ist z.B. nicht explizit geregelt, welche Maßnahmen zur Überprüfung der Präventions- und Abhilfemaßnahmen und des Beschwerdeverfahrens nach § 6 Abs. 5 Satz 1 LkSG, § 7 Abs. 4 Satz 1 LkSG und § 8 Abs. 5 Satz 1 LkSG angemessen sind (vgl. § 8 Rz. 100). Diesbezüglich dürfen keine hohen Anforderungen an die Angemessenheit der Maßnahmen gestellt werden. Das Bestimmtheitsgebot gebietet es nicht, dass sich Tatbestand und Rechtsfolge 71 aus der Vorschrift selbst ergeben müssen. Eine Blankettgesetzgebungstechnik wie in § 24 Abs. 1 LkSG ist grundsätzlich zulässig und auch nicht unüblich (s. Rz. 2, 42). Der Normadressat muss jedoch die in Bezug genommene Vorschrift klar und eindeutig identifizieren und das Verhaltensgebot auffinden können.44 Dies ist im Rahmen des § 24 Abs. 1 LkSG hinsichtlich bestimmter geschützter Rechtspositionen nicht ohne weiteres der Fall. Geschützte Rechtspositionen sind nach § 2 Abs. 1 LkSG „solche, die sich aus den in den Nummern 1 bis 11 der Anlage aufgelisteten Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte ergeben“. Dem Normadressaten wird damit auferlegt, selbstständig die aufgelisteten internationalen menschenrechtlichen Abkommen nach geschützten Rechtspositionen abzusuchen. Dies wird zwar abgemildert durch die explizite Benennung der menschenrechtlichen Risiken in § 2 Abs. 2 Nr. 1-11 LkSG. Darüber hinaus ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG aber auch der drohende Verstoß gegen das Verbot eines über die § 2 Abs. 2 Nr. 1–11 LkSG „hinausgehenden Tuns oder pflichtwidrigen Unterlassens, das unmittelbar geeignet ist, in besonders schwerwiegender Weise eine geschützte Rechtsposition zu beeinträchtigen und dessen Rechtswidrigkeit bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist“ ein menschenrechtliches Risiko. Es ist schon unklar, welche menschenrechtlichen Verbote der in Bezug genommenen menschenrechtlichen Abkommen überhaupt erfasst werden (dazu § 2 Rz. 4 f.). Die unbestimmten Rechtsbegriffe „in besonders schwerwiegender Weise“ und „bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich“ tragen jedenfalls erheblich zur Unsicherheit darüber bei, wann ein menschenrechtliches Risiko hinsichtlich einer solchen geschützten Rechtsposition besteht. Da sich die bußgeldbewährten Sorgfaltspflichten auch auf solche menschen44 Vgl. nur BVerfG v. 15.9.2011 – 1 BvR 519/10, NVwZ 2012, 504; Öttinger/Reidick, StoffR 2022, 2, 5 m.w.N.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften rechtlichen Risiken beziehen, spricht insoweit viel zumindest für eine äußerst restriktive Auslegung der Vorschrift.45 72 Die Bußgeldvorschrift des französischen Sorgfaltspflichtengesetzes wurde wegen

mangelnder Bestimmtheit infolge des Verweises auf unbestimmte Rechtsbegriffe teilweise für verfassungswidrig erklärt.46 Es bleibt abzuwarten, ob auch das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des § 24 Abs. 1 LkSG zu entscheiden haben wird.

III. Allgemeiner Bußgeldrahmen (Abs. 2) 73 In den Fällen des § 24 Abs. 1 Nr. 3, 7 lit. b und 8 LkSG beträgt gem. § 24 Abs. 2

Satz 1 Nr. 1 lit. a LkSG die Geldbuße für natürliche Personen bis zu 800.000 €. Gleiches gilt nach § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. b LkSG für Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Abs. 1 Nr. 6 und 7 lit. a LkSG. Erfasst von diesem Bußgeldrahmen sind damit Verstöße gegen die Pflicht zum (rechtzeitigen) Ergreifen einer Präventionsmaßnahme oder Abhilfemaßnahme, der (rechtzeitigen) Erstellung und Umsetzung eines Konzepts bei einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflichtverletzung bei einem unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferer und die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens.

74 In den Fällen des § 24 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 5 und 13 LkSG beträgt die Geldbuße

nach § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LkSG für natürliche Personen bis zu 500.000 €. Dies erfasst Verstöße gegen die Pflichten zur Festlegung einer zur Überwachung des Risikomanagements beauftragten Person, zur ordnungsgemäßen Durchführung einer Risikoanalyse, zur Überprüfung der Wirksamkeit der Präventionsund Abhilfemaßnahmen sowie des Beschwerdeverfahrens und zur Aktualisierung der Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie des Beschwerdeverfahrens und Zuwiderhandlungen gegen vollziehbare Anordnungen nach § 13 Abs. 2 LkSG und § 15 Satz 2 Nr. 2 LkSG.

75 Für diese Fälle des § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 LkSG sieht § 24 Abs. 2 Satz 2

LkSG die Anwendung des § 30 Abs. 2 Satz 3 OWiG vor. Danach erhöht sich der Bußgeldrahmen bei der Festsetzung eines Bußgeldes gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung nach § 30 Abs. 1 OWiG um das Zehnfache, d.h. auf 8 Mio. Euro bzw. 5 Mio. Euro. Damit soll nach der Gesetzesbegründung der Hochrangigkeit der Schutzgüter in general- und spezialpräventiver Sicht Rechnung getragen werden. Bei den Pflichtadressaten handele es sich in der Regel um große Unternehmen, die wirksam vor der Tatbestandserfüllung abzuschrecken seien.47 Darüber hinaus ist für bestimmte juristische Personen und 45 Auch Kamann/Irmscher, NZWiSt 2021, 249, 254 haben hinsichtlich der Verweisungstechnik bei der Festlegung der geschützten Rechtsgüter erhebliche Bedenken bzgl. der Bestimmtheit der Vorschrift. 46 Conseil constitutionnel, Decision no. 2017-750 DC 23.3.2017, dazu Keilmann/Schmidt, WM 2021, 717, 721; Zimmermann/Weiss, AVR 2020, 424, 447; Kamann/Irmscher, NZWiSt 2021, 249, 253. 47 BT-Drucks. 19/28649, 58.

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Personenvereinigungen in den Fällen des § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. b LkSG der Sonderbußgeldrahmen nach § 24 Abs. 3 LkSG (s. Rz. 78 ff.) einschlägig. Für die sonstigen Ordnungswidrigkeiten sieht § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LkSG für 76 natürliche und juristische Personen sowie Personenvereinigungen gleichermaßen eine Geldbuße i.H.v. bis zu 100.000 € vor. Dieser Bußgeldrahmen betrifft § 24 Abs. 1 Nr. 9-12 LkSG, also Verstößen gegen die formalen Pflichten des Gesetzes, die im Zusammenhang mit der Dokumentation und Berichterstattung stehen. Nach § 17 Abs. 2 OWiG verringern sich die aufgeführten Bußgeldobergrenzen 77 bei fahrlässigem Verhalten auf die Hälfte des jeweils angedrohten Höchstbetrages.

IV. Sonderbußgeldrahmen (Abs. 3) 1. Allgemeines § 24 Abs. 3 LkSG sieht die Möglichkeit der Anwendung eines Sonderbußgeld- 78 rahmens vor, dessen Obergrenze nicht zahlenmäßig gesetzlich festgelegt ist, sondern anteilsmäßig nach dem durchschnittlichen Jahresumsatz des Bußgeldadressaten zu bestimmen ist. Es handelt sich hierbei – infolge des vorläufigen Scheiterns des Entwurfs eines Verbandssanktionengesetzes48 – um die erste nicht europarechtlich determinierte Kodifizierung eines umsatzbezogenen Bußgeldrahmens.49 Der Sonderbußgeldrahmen hat einen sachlich wie persönlich beschränkten 79 Anwendungsbereich. Auch diesbezüglich gilt § 17 Abs. 2 OWiG, bei fahrlässigem Verhalten ist der Bußgeldrahmen mithin auf die Hälfte des angedrohten Höchstbetrages zu kürzen. Das Abstellen auf den Umsatz wird teilweise kritisiert, da dieser für die Bestim- 80 mung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht aussagekräftig sei.50 2. Sachlicher Anwendungsbereich Der Sonderbußgeldrahmen nach § 24 Abs. 3 LkSG gilt lediglich bei Ordnungs- 81 widrigkeiten nach § 24 Abs. 1 Nr. 6 u. 7 lit. b LkSG. Sachlich anwendbar ist er damit bei Verstößen gegen § 7 Abs. 1 Satz 1 LkSG und § 9 Abs. 3 Nr. 3 LkSG. Er droht somit zum einen Unternehmen, die nicht oder nicht rechtzeitig an- 82 gemessene Abhilfemaßnahmen ergreifen, wenn eine menschenrechts- oder umweltbezogene Pflichtverletzung im eigenen Geschäftsbereich oder bei einem unmittelbaren Zulieferer eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht. 48 Vgl. § 9 Abs. 2 VerSanG-E. 49 Kamann/Irmscher, NZWiSt 2021, 249, 255. 50 Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 913; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 94; Kamann/Irmscher, NZWiSt 2021, 249, 255.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften 83 Zum anderen ist er auf Unternehmen anwendbar, die bei substantiierter Kennt-

nis einer möglichen Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht bei einem mittelbaren Zulieferer ein Konzept zur Verhinderung, Beendigung oder Minimierung nicht oder nicht rechtzeitig erstellen oder umsetzen.

3. Persönlicher Anwendungsbereich a) Wirtschaftliche Größe des Unternehmens 84 Der Sonderbußgeldrahmen findet nur auf bestimmte Unternehmen Anwen-

dung. In den persönlichen Anwendungsbereich des Sonderbußgeldrahmens fallen juristische Personen und Personenvereinigungen, die einen durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 400 Mio. Euro erzielen. Geldbußen gegen natürliche Personen sind ausgenommen.

85 Bei der Berechnung des durchschnittlichen Jahresumsatzes ist auf die letzten

drei der Behördenentscheidung vorausgehenden Geschäftsjahre abzustellen. Dies ergibt sich indirekt aus der Regelung des unpräzise formulierten § 24 Abs. 3 Satz 2 LkSG. Der Wortlaut des Satzes 2 beschränkt sich zwar auf natürliche und juristische Personen und Personenvereinigungen, die als wirtschaftliche Einheit operieren. Ein unterschiedlicher Bemessungszeitraum für den durchschnittlichen Jahresumsatz von Unternehmen, die keine wirtschaftliche Einheit mit anderen Rechtssubjekten bilden, ist jedoch nicht gerechtfertigt, zumal der Gesetzestext keinen Anhaltspunkt für eine unterschiedliche Behandlung bietet.

86 Anhaltspunkte für die Berechnung des Jahresumsatzes bietet das Gesetz nicht.

Es liegt daher nahe, auf die allgemeinen Grundsätze des § 277 Abs. 1 HGB abzustellen.51 Maßgeblich sind danach die Umsatzerlöse, also die Summe der Erlöse aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit eines Unternehmens (Verkauf, Vermietung oder Verpachtung von Produkten sowie Erbringung von Dienstleistungen), abzgl. Erlösschmälerungen und Umsatzsteuer sowie sonstiger direkt mit dem Umsatz verbundener Steuern. Unklar bleibt allerdings, wie mit Unternehmen wie Banken und Versicherungen zu verfahren ist, die keine Umsatzerlöse nach den für sie maßgeblichen Vorschriften ausweisen. Diesbezüglich kommt eine Analogie zu § 38 Abs. 4 GWB, § 172 Abs. 4 Satz 1 SAG, § 340n Abs. 3b Satz 1 HGB in Betracht.52 Für Kreditinstitute, Finanzinstituten, Bausparkassen sowie externe Kapitalverwaltungsgesellschaften i.S.d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 KAGB ist danach der Gesamtbetrag der in § 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. a bis e RechKredV genannten Erträge abzgl. der Umsatzsteuer und sonstiger direkt auf diese Erträge erhobener Steuern maßgebend. Bei Versicherungsunternehmen sind die Prämieneinnahmen des letzten abgeschlossenen Geschäftsjahres maßgebend, 51 So auch die allgemeine Ansicht zu § 81c GWB, vgl. Heinichen in BeckOK/KartellR, Stand: 07/2021, § 81c Rz. 16; Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 81 GWB Rz. 484; Vollmer in MünchKomm/WettbewerbsR, 3. Aufl. 2020, § 81 Rz. 156; Buntscheck, EuZW 2007, 423, 424. 52 Vgl. auch Gaber in BeckOGK/HGB, Stand: 09/2021, § 340 Rz. 27 f.

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worunter die Einnahmen aus dem Erst- und Rückversicherungsgeschäft einschließlich der in Rückdeckung gegebenen Anteile zu verstehen sind. Für ein Geschäftsjahr, das aufgrund einer Umstellung des Geschäftsjahres kür- 87 zer als 12 Monate ist, ist der für das verkürzte Geschäftsjahr ermittelte Umsatz durch die Anzahl der Monate zu teilen und mit 12 zu multiplizieren.53 b) Berücksichtigung aller juristischer Personen und Personenvereinigungen, die als wirtschaftliche Einheit operieren (Abs. 3 Satz 2) aa) Bedeutung des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit Bei der Berechnung des durchschnittlichen Jahresumsatzes einer juristischen 88 Person oder Personenvereinigung ist nach § 24 Abs. 3 Satz 2 LkSG der weltweite Umsatz aller natürlichen und juristischen Personen sowie aller Personenvereinigungen der letzten drei der Behördenentscheidung vorausgehenden Geschäftsjahre zugrunde zu legen, soweit diese Personen und Personenvereinigungen als wirtschaftliche Einheit operieren. Die konsolidierte Betrachtung der als wirtschaftliche Einheit operierenden juristischen Personen und Personenvereinigungen ist in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Zum einen für die Frage nach der Anwendbarkeit des Sonderbußgeldrahmens bei Überschreiten der Schwelle eines durchschnittlichen Jahresumsatzes von über 400 Mio. Euro, zum anderen bei der Bemessung der konkreten Obergrenze des Sonderbußgeldrahmens, die sich auf 2 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes beläuft. Darin erschöpft sich allerdings zugleich auch die Bedeutung der Norm und des 89 Begriffs der wirtschaftlichen Einheit im Rahmen des LkSG. Die Vorschrift begründet keine akzessorische Haftung anderer Konzerngesellschaften; sie bewirkt lediglich eine Umsatzzurechnung und keine Verantwortungserstreckung. Als Bußgeldadressat kommt damit – ggf. neben dem Täter, für den als natürliche Person der Sonderbußgeldrahmen und damit auch die wirtschaftliche Einheit aber ohne Bedeutung sind (s. Rz. 84) – gem. § 30 Abs. 1 OWiG allein das verpflichtete Unternehmen in Betracht, auch wenn es Teil einer wirtschaftlichen Einheit ist.54 Die Bußgeldbehörde kann dagegen nicht auch schuldunabhängig55 eine der wirtschaftlichen Einheit angehörige Konzernmutter, die an dem Verstoß nicht beteiligt gewesen ist, mit einer Geldbuße belegen. Darin unterscheidet sich 53 Vgl. Bechtold/Bosch in Bechtold/Bosch, GWB, 10. Aufl. 2021, § 81c Rz. 8. 54 Der Wortlaut des § 30 Abs. 1 OWiG („[…] so kann gegen diese [juristische Person oder Personenvereinigung] eine Geldbuße festgesetzt werden“, Hervorhebung nicht im Original) schließt eine Erstreckung der Verantwortlichkeit auf weitere Rechtspersonen aus, vgl. BGH v. 10.8.2011 – KRB 2/10, BeckRS 2011, 26167; BGH v. 10.8.2011 – KRB 55/10, ZIP 2011, 2463 = NJW 2012, 164; Timmerbeil/Blome, BB 2017, 1544, 1546; kritisch und tendenziell eine akzessorische Haftung befürchtend dagegen Hettich/Charnitzky in Kubis/Tödtmann, Arbeitshandbuch für Vorstandsmitglieder, 3. Aufl. 2022, § 14 Rz. 295. 55 Zur Anwendbarkeit des Schuldprinzips bei der Bebußung von Unternehmen s. Timmerbeil/Blome, BB 2017, 1544, 1548 m.w.N.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften die Bedeutung der wirtschaftlichen Einheit nach § 24 Abs. 3 Satz 2 LkSG von der, die ihr im europäischen und nationalen Kartellrecht zukommt (dazu Rz. 92 f.). 90 Die Umsatzzurechnung bewirkt die Auflösung der Verbindung zwischen dem

Bußgeldadressaten und der Grundlage der Bemessungskriterien. Grundsätzlich ist damit eine Haftung der bebußten Gesellschaft möglich, die deren Vermögen deutlich überfordert, auch wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse der juristischen Person oder Personenvereinigung bei der Bemessung nach § 24 Abs. 4 Satz 2 LkSG zu berücksichtigen sind.56 Denn die Höhe eines Bußgeldes bemisst sich in maßgeblicher Weise anhand der Höhe des Bußgeldrahmens. Fragwürdig ist darüber hinaus der Umstand, dass bei einer Berücksichtigung des Jahresumsatzes der wirtschaftlichen Einheit die Höhe der Geldbuße ihre Verbindung zum Grad des von dem Täter verwirklichten Unrechts verlieren kann. Dies ist insbesondere auch deshalb problematisch, weil der Gesellschaft in aller Regel kein Ausgleichsanspruch gegenüber den der wirtschaftlichen Einheit angehörenden juristischen Personen und Personenvereinigungen zusteht, sofern keine konzernrechtliche Verlustübernahmepflicht besteht, die nach § 302 AktG einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag oder eine Abhängigkeit verbunden mit einem Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsvertrag voraussetzt.57 Der EuGH sieht im EU-Kartellrecht aus diesem Grunde das Erfordernis einer Belastungskongruenz durch die deckungsgleiche Ausgestaltung des Adressatenkreises und des Umsatzzurechnungskreises vor. Dem ist der deutsche Gesetzgeber indes bei der Gestaltung des § 24 LkSG nicht gefolgt, so dass sich der gesetzlich angelegten Gefahr eines schuldunangemessenen Bußgeldes allein auf Ebene der Gesetzesanwendung im Einzelfall, nämlich bei der Bestimmung der konkreten Bußgeldhöhe begegnen lässt. Von entscheidender Bedeutung wird dabei insbesondere die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der zu bebußenden juristischen Person oder Personenvereinigung nach § 24 Abs. 4 Satz 2 LkSG sein (s. Rz. 137, zu hieraus resultierenden verfassungsrechtlichen Bedenken s. Rz. 120). bb) Kartellrechtlicher Hintergrund

91 Das Gesetz definiert den Begriff der wirtschaftlichen Einheit nicht. Auch die Ge-

setzesbegründung bietet keine Anhaltspunkte für seine Auslegung. Der Begriff hat im Zusammenhang mit der Bestimmung eines Bußgeldadressaten und der Bemessung der Bußgeldhöhe seinen Ursprung im europäischen Kartellrecht und findet inzwischen auch im nationalen Kartellrecht (§ 81c Abs. 5 Satz 1 GWB, vgl. auch § 81a Abs. 1 GWB) Verwendung. Nach der Gesetzesbegründung zu dem ähnlich formulierten, letztlich aber nicht erlassenen § 9 Abs. 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft (Verbandssanktionengesetz, VerSanG-E) sollte unter Bezugnahme auf das GWB und die 56 Vgl. auch Thomas, AG 2017, 637, 646; Klusmann in Wiedemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020 § 81 GWB Rz. 56 zur vergleichbaren Problematik im Kartellrecht. 57 Vgl. auch Thomas, AG 2017, 637, 646; Thomas in FS Möschel, 2011, S. 673, 688 f.

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kartellrechtliche Rechtsprechung des BGH der Begriff der wirtschaftlichen Einheit für die Zwecke des VerSanG „die Zusammenfassung derjenigen Rechtsträger […], die mit dem betroffenen Verband in einem Konzernverbund unter einheitlicher Leitung stehen“ bezeichnen.58 Im EU-Kartellrecht ist der Begriff der wirtschaftlichen Einheit nicht kodifiziert, 92 lässt sich aber der Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission und der europäischen Gerichten entnehmen.59 Begeht eine Tochtergesellschaft eine Ordnungswidrigkeit, kann auch die mit dieser eine wirtschaftliche Einheit bildende Muttergesellschaft Bußgeldadressat sein, auch wenn ihr selbst weder ein eigener Verstoß noch ein Überwachungsverstoß vorzuwerfen ist, ihr also kein Schuldvorwurf zu machen ist.60 Im nationalen Kartellrecht findet sich der Begriff der wirtschaftlichen Einheit 93 in § 81c Abs. 5 Satz 1 GWB. Er dient dort, wie auch in § 24 Abs. 3 Satz 2 LkSG, der Ermittlung des Umsatzes eines Bußgeldadressaten. Außerdem erfolgt bei Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit im nationalen Kartellrecht eine Erstreckung der bußgeldrechtlichen Verantwortlichkeit auf die die an sich verantwortliche Gesellschaft lenkende Konzernobergesellschaft.61 So sieht § 81a Abs. 1 GWB vor, dass über die Vorgaben des § 30 OWiG hinaus bei einer durch eine Leitungsperson begangenen unternehmensbezogenen Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße auch gegen weitere juristische Personen und Personenvereinigungen, die unmittelbar oder mittelbar bestimmenden Einfluss auf die verpflichtete juristische Person oder Personenvereinigung ausgeübt haben, verhängt werden kann. Diese Vorschrift soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers einen Gleichlauf zum europäischen Kartellrecht bewirken. Der Begriff des Unternehmens in § 81a Abs. 1 GWB sei mit dem Unternehmensbegriff in Art. 101 AEUV und dem der wirtschaftlichen Einheit in § 81c Abs. 5 Satz 2 GWB deckungsgleich.62 Zu seiner Auslegung könne auf Art. 101 f. AEUV und die entsprechende EuGH-Rechtsprechung zurückgegriffen werden.63 Maßgebliche Voraussetzung des Bestehens einer wirtschaftlichen Einheit ist damit nach den Vorstel58 RegE VerSanG-E, S. 86. 59 Vgl. Heinichen in BeckOK/KartellR, Stand: 07/2021, § 81c Rz. 26. 60 Dadurch deckt sich der Kreis der Bußgeldadressaten mit dem Haftungsverbund. Dies begründet im Ergebnis allerdings eine schuldunabhängige, akzessorische Haftung der Muttergesellschaft, da auch im EU-Kartellrecht der wirtschaftlichen Einheit keine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt, nicht also diese selbst Bußgeldadressat ist. Die Rechtsfigur dient allein der Begründung einer Haftung anderer der wirtschaftlichen Einheit angehörenden Unternehmen, vgl. Thomas, AG 2017, 637, 638 Fn. 8. 61 Heinichen in BeckOK/KartellR, Stand: 07/2021, § 81a Rz. 29. Der 9. GWB-Novelle ging eine Entscheidung des BGH voraus, in der das Gericht erkannt hatte, dass die Verhängung einer Geldbuße gegen weitere konzernangehörige Gesellschaften dem begrenzenden Wortlaut des § 30 OWiG widerspreche, BGH v. 10.8.2011 – KRB 55/10 – Versicherungsfusion, ZIP 2011, 2463, NStZ-RR 2012, 87, 88. 62 BT-Drucks. 18/10207, 89; s. auch BGH v. 10.12.2008 – KZR 54/08 Rz. 17 – Subunternehmertrag II; BGH v. 6.11.2013 – KZR 61/11 Rz. 54 – VBL Gegenwert. 63 BT-Drucks. 18/10207, 89.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften lungen des Gesetzgebers die Ausübung bestimmenden Einflusses.64 Der Umsatzzurechnung liegt im Rahmen des § 81c Abs. 5 Satz 1 GWB der Gedanke zugrunde, dass die teilweise mehr oder weniger zufällige Aufteilung von Verantwortlichkeiten zwischen einzelnen Rechtssubjekten in einer wirtschaftlichen Einheit nicht maßgeblich für die Höhe des Bußgeldrahmens sein dürfe, sondern eine wirtschaftliche Betrachtung zu erfolgen habe. Zudem könne so rechtsmissbräuchlichen Vermögensverschiebungen vorgebeugt werden, um eine wirksame Durchsetzung der Rechtsvorgaben zu gewährleisten.65 Der Gesetzgeber des LkSG hat sich zwar nicht ausdrücklich zu seinen Beweggründen und dem Zweck des § 24 Abs. 3 Satz 2 LkSG geäußert, dennoch dürfte auch dieser Vorschrift eine vergleichbare Wertung zugrunde liegen. cc) Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit 94 In Ermangelung anderweitiger Anhaltspunkte in Gesetzestext und -begründung

ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber der Kodifikation des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit in § 24 Abs. 3 Satz 2 LkSG grundsätzlich ein dem nationalen und europäischen Kartellrecht entsprechendes Begriffsverständnis zugrunde gelegt hat, so dass sich die Auslegung an die dort entwickelten Erkenntnisse anlehnen kann.66 Zu beachten ist zwar, dass die wirtschaftliche Einheit

64 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Parallele zu § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG. Als maßgebliches Kriterium der dort geregelten Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs des Gesetzes für eine Obergesellschaft ist auf das Ausüben bestimmenden Einflusses auf eine konzernangehörige Gesellschaft abzustellen. Der Gesetzgeber hat sich insoweit gegen eine Verwendung des aktienrechtlichen Begriffs des beherrschenden Einflusses entschieden (s. § 2 Rz. 349). Ob das Tatbestandsmerkmal des bestimmenden Einflusses in § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG mit seiner Verwendung in § 81a Abs. 1 GWB, wo es der Umschreibung der wirtschaftlichen Einheit dient, inhaltlich übereinstimmt, kann hier nicht im Einzelnen untersucht werden. Die in der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 6 Satz 3 LkSG genutzte Formel, nach der „alle wirtschaftlichen, personellen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen Tochter- und Muttergesellschaft im Zusammenhang zu betrachten und zu gewichten“ sind (BT-Drucks. 19/30505, 38), gilt auch im europäischen und nationalen Kartellrecht (s. Rz. 95 ff.). Auch die dort aufgeführten möglichen Anhaltspunkte für das Ausüben bestimmenden Einflusses weisen durchaus Überschneidungen zu Fallgruppen des § 81a Abs. 1 GWB auf. 65 BT-Drucks. 16/7156, 11. Auch die Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 2 VerSanG-E bringt diese Argumentation vor, RegE VerSanG-E, S. 85 f. Zudem gewährleiste die umsatzbezogene Bußgeldberechnung die Belastungsgleichheit großer, mittlerer und kleiner Unternehmen: Eine Anhebung der Bußgeldobergrenze sei erforderlich, um eine wirksame Abschreckung großer Unternehmen zu bewirken, bei einer erhöhten starren Grenze drohe aber eine unverhältnismäßige Belastung mittlerer und kleinerer Unternehmen, da in diesem Falle die Obergrenze in keinem Verhältnis mehr zu ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit stehe. 66 Im Grundsatz ähnlich Passarge, CB 2021, 332, 334; unklar Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 197, nach dem der Begriff „genauso zu verstehen wie in § 3 LkSG“ sei. Der Begriff wird allerdings lediglich in § 24 Abs. 3 LkSG verwendet.

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nach § 24 Abs. 3 Satz 2 LkSG keine Haftungserstreckung, sondern ausschließlich eine Umsatzzurechnung begründet (s. Rz. 88 f.) und dem LkSG auch ein anderer Unternehmensbegriff zugrunde liegt, der sich im Gegensatz zum Unternehmensbegriff in Art. 101 AEUV und § 81a GWB inhaltlich von dem der wirtschaftlichen Einheit unterscheidet (§ 1 Rz. 4 ff., 43 ff.). Dennoch dürften im Wesentlichen dieselben Grundsätze Anwendung finden. Im europäischen67 und dem folgend auch im nationalen68 Kartellrecht bilden 95 eine Muttergesellschaft und ihre unmittelbare oder mittelbare Tochtergesellschaft eine wirtschaftliche Einheit, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen den Weisungen ihrer Obergesellschaft folgt. Dies ist anhand einer Gesamtschau der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen, die zwischen den Rechtssubjekten bestehen, zu ermitteln. Die Muttergesellschaft muss damit bestimmenden Einfluss auf die Tochterge- 96 sellschaft ausüben können und auch tatsächlich ausgeübt haben.69 Dieser kann beispielsweise durch die Beteiligungshöhe der kontrollierenden Gesellschaft, personelle Verflechtungen zwischen den Gesellschaften oder Weisungsrechte begründet sein, eine abschließende Aufzählung der Indizien ist nicht möglich.70 Wichtigstes Indiz für den bestimmenden Einfluss ist die Beteiligungshöhe einer Muttergesellschaft. Je größer diese ausfällt, umso wahrscheinlicher stellt sich das Vorliegen eines bestimmenden Einflusses dar. Bei einer 100-prozentigen oder nahezu 100-prozentigen Beteiligung vermuten die europäischen Gerichte und die

67 Grundlegend EuGH v. 14.7.1976 – Rs. 48/69 Rz. 132/135 – Imperial Chemical Industries; EuGH, v. 2.10.2003 – C-196/99 Rz. 96 – Siderúrgica Aristrain Madrid SL; EuGH v. 14.12.2006 – C-217/05 – Confederación/CEPSA Rz. 40; EuGH v. 1.7.2010 – C-407/08 Rz. 64 – Knauf Gips; EuGH v. 10.9.2009 – C-97/08 P Rz. 48, ZIP 2010, 392 – Akzo Nobel, WM 2009, 2048, 2053; EuGH v. 20.1.2011 – C-90/09 P Rz. 35 – General Química, BeckRS 2011, 80061; EuGH v. 29.3.2011 – C-201/09 P und C-216/09 P Rz. 95 – ArcelorMittal Luxembourg SA; EuGH v. 29.9.2011 – C-521/09, P Rz. 53 – Elf Aquitaine; EuGH v. 19.7.2012 – C-628/10 P und C-14/11 P Rz. 42 – AllianceOne International; EuGH v. 6.10.2021 – C-882/19 Rz. 41, ZIP 2021, 2194 – Mercedes Benz Trucks España SL, CB 2022, 30, 33 f.; Harsdorf-Borsch in BeckOK/KartellR, Stand: 07/2021, Art. 101 AEUV Rz. 10; Thomas, AG 2017, 637; Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, 2017, S.494; s. ausführlich zu den Voraussetzungen etwa Heinichen, Unternehmensbegriff und Haftungsnachfolge im Europäischen Kartellrecht, 2011, S. 83 ff. 68 BT-Drucks. 18/10207, 89; OLG Düsseldorf v. 30.3.2015 – 4 Kart 7/10 OWI juris Rz. 949; Heinichen in BeckOK/KartellR, Stand: 07/2021, § 81c GWB Rz. 26; s. ausführlich zur Reichweite der wirtschaftlichen Einheit im Kartellrecht Fischer/Zickgraf, ZHR 186 (2022), 125, 132 ff. 69 BT-Drucks. 18/10207, 89; vgl. auch EuG v. 27.9.2006 – T-314/01 Rz. 136 – Avebe und EuG v. 12.10.2011 – T-38/05 Rz. 102 ff. – Agroexpansion SA (dort jeweils teilweise terminologisch, nicht aber inhaltlich abweichend auch „entscheidender Einfluss“); OLG Düsseldorf v. 30.3.2015 – 4 Kart 7/10 OWI juris Rz. 950. 70 Thieme, Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit, 2018, S. 43.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften Kommission widerleglich einen bestimmenden Einfluss.71 Liegt die Beteiligung darunter, müssen grundsätzlich weitere „Plusfaktoren“ hinzutreten, um einen bestimmenden Einfluss zu begründen.72 Nach deutschem Kartellrecht ist diese Beweiserleichterung durch eine solche Vermutungswirkung allerdings ausgeschlossen (s. Rz. 106), es besteht bei einer derartigen Beteiligung jedoch ein entsprechender Erfahrungssatz.73 Zwingendes Erfordernis einer wirtschaftlichen Einheit ist eine kapitalmäßige Verbundenheit entgegen einer in der Literatur verbreiteten Ansicht74 allerdings nicht.75 Sowohl nach europäischem als auch nach deutschem Kartellrecht kann auch schon die Einflussnahme der Muttergesellschaft auf Unternehmensstrategie, Betriebspolitik, Betriebspläne, Investitionen, Kapazitäten, Finanzausstattung, Personalwesen und Rechtsangelegenheiten der Unternehmensgruppe deren Marktverhalten unmittelbar oder mittelbar beeinflussen.76 Ausreichend kann daher schon die Ausübung einer Leitungs- und Koordinierungsfunktion sein.77 97 Eine wirtschaftliche Einheit besteht danach in einer wirtschaftlichen Organisa-

tion persönlicher, materieller und immaterieller Mittel, die dauerhaft einen bestimmten wirtschaftlichen Zweck verfolgen.78

71 EuGH v. 10.9.2009 – C-97/08 P Rz. 61, ZIP 2010, 392 – Akzo Nobel, WM 2009, 2048, 2053. 72 Bei einer Kapitalbeteiligung i.H.v. 77,44 % ergab sich der bestimmende Einfluss z.B. aus dem Zusammenspiel mit folgenden Plusfaktoren: Die Muttergesellschaft konnte (i) die Bestellung von Organmitglieder der Tochtergesellschaft beeinflussen, wurde (ii) stetig über die Marktsituation der Tochtergesellschaft informiert und die Veräußerung der Tochtergesellschaft wurde (iii) von der Genehmigung der Muttergesellschaft abhängig gemacht, KOME v. 22.7.2009 – C(2009) 5791 final Rz. 264 f. – Calciumcarbide. Andererseits kann auch eine 25-prozentige Beteiligung ausreichen, wenn für Entscheidungen des Verwaltungsrats der Tochtergesellschaft eine 80-prozentige Mehrheit und damit die Zustimmung der Minderheitsgesellschafterin erforderlich ist, EuGH v. 15.6.2012 – C-494/11 P – Otis Luxembourg. 73 Vgl. OLG Düsseldorf v. 26.1.2017 – V-4 Kart 6/15 (OWi) Rz. 1191; Vollmer in MünchKomm/WettbewerbsR, 3. Aufl. 2020, § 81 Rz. 104 zu § 81 Abs. 4 Satz 3 a.F. 74 Vgl. die Nachweise in Heinichen, Unternehmensbegriff und Haftungsnachfolge im Europäischen Kartellrecht, S. 83 Fn. 210. 75 Vgl. das Vorbringen der EU-Kommission in EuG v. 27.9.2006 – T-43/02 – „Jungbunzlauer“: „Entscheidend sei also nicht der Anteilsbesitz als solcher, sondern die der Muttergesellschaft dadurch verschaffte Möglichkeit, auf die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft entscheidenden Einfluss zu nehmen“, zustimmend Heinichen, Unternehmensbegriff und Haftungsnachfolge im Europäischen Kartellrecht, 2011, S. 84 f.; Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, 2017, S.493. 76 BT-Drucks. 18/10207, 89 f.; KOME 30.6.2010 – C(2010) 4387 final Rz. 694 ff. – Prestressing Steel; EuGH, v. 18.7.2013 – C-501-11 P Rz. 112 ff. – Schindler Holding; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 30.3.2015 – 4 Kart 7/10 OWI juris Rz. 954; Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, 2017, S.495. 77 BT-Drucks. 18/10207, 89 f.; OLG Düsseldorf v. 30.3.2015 – 4 Kart 7/10 OWI juris Rz. 951. 78 EuGH v. 6.10.2021 – C-882/19 Rz. 41, ZIP 2021, 2194 – Mercedes Benz Trucks España SL, CB 2022, 30, 33 f.; EuGH v. 1.7.2010 – C-407/08 Rz. 84 – Knauf Gips.

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Da die Ausübung bestimmenden Einflusses eine (Mehrheits-)Beteiligung nicht 98 zwingend voraussetzt, sondern sich auch aus den erwähnten sonstigen Kriterien ergeben kann, ist eine wirtschaftliche Einheit nicht auf vertikale Konzernstrukturen beschränkt, sondern kann (ausnahmsweise) auch zwischen Schwestergesellschaften79 und Gemeinschaftsunternehmen80 bestehen, sofern eines der Unternehmen einen bestimmenden Einfluss auf das andere ausübt. Mit einem Gemeinschaftsunternehmen können außerdem auch beide Mutterunternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden, wenn sie die Geschäftsführung des Gemeinschaftsunternehmens gemeinsam und in ständiger Absprache ausüben.81 Außerdem kann nach der Rechtsprechung des EuG auch ein Handelsvertreter oder Absatzmittler Bestandteil einer wirtschaftlichen Einheit sein, wenn dieser ein eingegliedertes Hilfsorgan ist und seine Geschäftsstrategie nicht frei bestimmen kann, wobei die ausschließliche Tätigkeit für den Geschäftsherrn nach neuerer Rechtsprechung nicht mehr erforderlich ist.82 Der wirtschaftlichen Einheit können mehrere Gesellschaften angehören, wenn diese sich in einer Kette der Ausübung bestimmenden Einflusses zu der handelnden Gesellschaft befinden, die beispielsweise durch mehrstufige 100-prozentige Beteiligungen entstehen kann.83 Hinzukommen muss, dass der bestimmende Einfluss auch tatsächlich ausgeübt 99 wird (zum Merkmal des „Operierens“ s. Rz. 104 f.). Anders als noch in früheren Entscheidungen muss die Ausübung des Einflusses sich nach der aktuellen EuGH-Rechtsprechung nicht auf das ordnungswidrige Verhalten der Tochtergesellschaft beziehen.84 Eine Ermutigung oder Anstiftung zu dem rechtswidrigen Verhalten ist danach ebenso wenig erforderlich wie die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Verstoßes.85 Dies muss für die wirtschaftliche Einheit nach dem LkSG erst recht gelten, da es insoweit zu keiner akzessorischen Haftung kommt. Ob ein bestimmender Einfluss ausgeübt worden ist, ist allgemein zu bestimmen, 79 BT-Drucks. 18/10207, 90; EuGH, v. 2.10.2003 – C-196/99 Rz. 96 – Siderúrgica Aristrain Madrid SL; EuGH v. 1.7.2010 – C-407/08 Rz. 109 – Knauf Gips; Thieme, Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit, 2018, S. 46 f.; Vollmer in MünchKomm/WettbewerbsR, 3. Aufl. 2020, § 81 Rz. 102. 80 OLG Düsseldorf v. 30.3.2015 – 4 Kart 7/10 OWI juris Rz. 952 f.; Thieme, Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit, 2018, S. 48 f. 81 EuG v. 27.9.2006 – T-314/01 Rz. 138 – Avebe; EuGH v. 26.9.2013 – C-179/12 Rz. 58 – Dow Chemical; OLG Düsseldorf v. 26.1.2017 – V-4 Kart 6/15 (OWi) Rz. 1246 ff. Übt dagegen nur eines der Mutterunternehmen den bestimmenden Einfluss aus, z.B. aufgrund entsprechender vertraglicher Abreden oder bei besonderer Abhängigkeit des Gemeinschaftsunternehmens von dieser Muttergesellschaft, bildet auch nur dieses die wirtschaftliche Einheit mit dem Gemeinschaftsunternehmen, vgl. dazu Vollmer in MünchKomm/WettbewerbsR, 3. Aufl. 2020, § 81 Rz. 103 m.w.N. 82 EuG v. 11.12.2003 – T-66/99 Rz. 125 – Minoan Lines SA; EuG v. 15.7.2015 – T-418/10 Rz. 149 – voestalpine. 83 EuGH v. 20.1.2011 – C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 Rz. 88 ff. – General Química, BeckRS 2011, 80061; Thieme, Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit, 2018, S. 52. 84 Thieme, Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit, 2018, S. 45. 85 Vgl. auch BT-Drucks. 18/10207, 90.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften er muss sich insbesondere nicht auf das Gebiet beziehen, auf dem der Verstoß begangen worden ist.86 100 Die Zurechnung des Umsatzes erfolgt nach dem Wortlaut der Vorschrift inner-

halb einer wirtschaftlichen Einheit aus allen Richtungen an die zu bebußende Gesellschaft. Im nationalen Kartellrecht wird teilweise eine Beschränkung der Umsatzzurechnung auf die Berücksichtigung allein des Umsatzes der Tochtergesellschaft(en) der zu bebußenden Gesellschaft vorgeschlagen, da nur diese die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Gesellschaft ausdrückten, nicht dagegen die Umsätze einer übergeordneten Muttergesellschaft.87 Dies widerspricht jedoch dem Zweck der Vorschrift, durch abschreckende Sanktionsandrohungen eine wirksame Durchsetzung der gesetzlichen Vorgaben zu gewährleisten und einer zufälligen Verantwortungsverteilung in Konzernstrukturen zu begegnen und findet in dem Wortlaut der Norm keinen Anhaltspunkt.

101 Wird die Ordnungswidrigkeit in einem Tochterunternehmen begangen, bildet

grundsätzlich nur die leitende Konzernobergesellschaft, ggf. gemeinsam mit weiteren Gesellschaften, die sich in einer Kette der Weisungsgebundenheit befinden und ggf. gemeinsam mit Konzernunternehmen, auf die das Tochterunternehmen seinerseits bestimmenden Einfluss ausübt, eine wirtschaftliche Einheit mit der handelnden Gesellschaft, nicht aber sonstige Konzerngesellschaften.88 Insbesondere Schwestergesellschaften sind in der Regel nicht Teil der wirtschaftlichen Einheit, wenn sie nicht ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls als de-facto-Konzernmutter bestimmenden Einfluss auf die handelnde Gesellschaft ausüben (Rz. 98).89 Es ist jedoch für jede Gesellschaft einzeln zu prüfen, ob diese einen bestimmenden Einfluss auf die handelnde Gesellschaft ausübt oder ob ein solcher auf sie durch die handelnde Gesellschaft ausgeübt wird. Auch in vertikalen Beteiligungsstrukturen ist daher nicht jede Zwischengesellschaft ohne weiteres Teil einer wirtschaftlichen Einheit.90

102 Wird die Ordnungswidrigkeit dagegen in der den tatsächlichen Einfluss aus-

übenden Konzernobergesellschaft begangen, sind alle konzernangehörigen Unternehmen, auf die sie bestimmenden Einfluss ausübt, der wirtschaftlichen Einheit zuzurechnen.

103 Zu einer wirtschaftlichen Einheit können auch natürliche Personen gehören.

Im Rahmen des § 24 Abs. 3 Satz 2 LkSG ist dies allein für die Zurechnung des Umsatzes einer natürlichen Person an eine juristische Person oder Personenver-

86 Vgl. EuGH v. 10.9.2009 – C-97/08 P Rz. 47, ZIP 2010, 392 – Akzo Nobel, WM 2009, 2048, 2053; ablehnend Meyer-Lindemann in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 81 GWB Rz. 162. 87 Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 301 ff. 88 Vgl. auch Thieme, Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit, 2018, S. 258 zum Kartellrecht. 89 BT-Drucks. 18/10207, 90; Thieme, Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit, 2018, S. 259. 90 Vgl. EuGH v. 20.1.2011 – C-90/09 P Rz. 88 ff. – General Química, BeckRS 2011, 80061.

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einigung von Bedeutung, da auf eine natürliche Person als Bußgeldadressat der Sonderbußgeldrahmen keine Anwendung findet (Rz. 84). dd) Operieren als wirtschaftliche Einheit Allein das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit ist für die Zurechnung nach 104 dem Wortlaut des § 24 Abs. 3 Satz 2 LkSG nicht ausreichend, die Personen oder Personenvereinigungen müssen mit dem Unternehmen als wirtschaftliche Einheit operieren. Die Auslegung dieses Begriffs, der ebenso in § 81c Abs. 5 Satz 1 GWB Verwendung findet, ist bisher noch nicht geklärt.91 Es ist schon unklar, ob ihm neben dem Merkmal der wirtschaftlichen Einheit, das bereits die tatsächliche Ausübung bestimmenden Einflusses voraussetzt, eigenständige Bedeutung zukommt. Im Rahmen des § 81c GWB wird teilweise vorgeschlagen, aus dem Merkmal des Operierens eine Beschränkung der Zurechnung abzuleiten, um so eine engere Verbindung zwischen Bußgeldadressaten und Bußgeldobergrenze zu bewirken.92 Beschränkt sich in einem Spartenkonzern die Leitungsfunktion auf einen Teilkonzern, solle demnach allein der Umsatz dieses Teilkonzerns, nicht der des Gesamtkonzerns zur Bemessung des Bußgeldes herangezogen werden. Da das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit jedoch schon die Ausübung bestimmenden Einflusses voraussetzt und sich diese daher bereits auf einen Teilkonzern beschränken kann, ist die Wirkung einer solchen Auslegung begrenzt, zumal sich auch so letztlich der bezweckte Gleichlauf zwischen Sanktionsadressat und Bemessungsgrundlage nicht erreichen lässt. Es ist daher davon auszugehen, dass dem Begriff des Operierens neben dem der wirtschaftlichen Einheit keine eigenständige Bedeutung zukommt. Er dürfte vielmehr lediglich dazu dienen, das Erfordernis tatsächlicher Ausübung bestimmenden Einflusses zur Begründung einer wirtschaftlichen Einheit zu betonen. Auch die Subjunktion „soweit“ in § 24 Abs. 3 Satz 2 LkSG93 beschränkt den An- 105 wendungsbereich und Umfang der wirtschaftlichen Einheit nicht. Denn aufgrund des dem Begriff der wirtschaftlichen Einheit immanenten Erfordernisses der tatsächlichen Ausübung bestimmenden Einflusses (s. Rz. 99) ist kein Fall denkbar, in dem Rechtssubjekte zwar eine wirtschaftliche Einheit bilden, aber nicht oder nur teilweise auch als solche operieren. 91 S. zur entsprechenden Problematik im Rahmen des § 81c Abs. 5 Satz 1 GWB Heinichen in BeckOK/KartellR, Stand: 07/2021, § 81c GWB Rz. 25.3 u. 26.2; Klusmann in Wiedemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020 § 81 GWB Rz. 56. 92 Heinichen in BeckOK/KartellR, Stand: 07/2021, § 81c GWB Rz. 26.2. 93 Anders als § 81c Abs. 5 Satz 1 GWB, nach dem „[b]ei der Ermittlung des Gesamtumsatzes […] der weltweite Umsatz aller natürlichen und juristischen Personen sowie Personenvereinigungen zugrunde zu legen [ist], die als wirtschaftliche Einheit operieren“, sieht § 24 Abs. 3 Satz 2 LkSG die Berücksichtigung des weltweiten Umsatzes aller natürlichen und juristischen Personen sowie aller Personenvereinigungen vor, „soweit diese Personen und Personenvereinigungen als wirtschaftliche Einheit operieren“ [Hervorhebungen jeweils nicht im Original].

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§ 24 | Bußgeldvorschriften ee) Anforderungen an den Nachweis des Operierens als wirtschaftliche Einheit 106 Nicht ausreichend für eine Zurechnung des Jahresumsatzes nach § 24 Abs. 3

Satz 2 LkSG ist die reine Vermutung des Operierens als wirtschaftliche Einheit. Die Einflussnahme ist aufgrund der Unschuldsvermutung zur vollen tatrichterlichen Überzeugung nachzuweisen.94 Insbesondere der im EU-Kartellrecht95 zulässige Schluss von einer vollständigen oder nahezu vollständigen kapitalmäßigen Beteiligung auf eine Einflussnahme (s. Rz. 96) ist daher unzulässig.96 c) Maßgeblicher Zeitpunkt und wirtschaftliche Nachfolge

107 Maßgeblich für die Anwendbarkeit und die Höhe des Sonderbußgeldrahmens

ist der Zeitpunkt, zu dem die behördliche Bußgeldentscheidung wirksam wird. Es ist auf die drei Geschäftsjahre abzustellen, die der Zustellung des Bußgeldbescheids vorangegangen sind. Kommt es zu einem gerichtlichen Verfahren, bleibt weiterhin dieser Zeitraum maßgeblich. Wird der Bescheid auf einen Einspruch hin im Zwischenverfahren nach § 69 Abs. 2 Satz 1 OWiG aufgehoben und erlässt die zuständige Behörde daraufhin wegen derselben Tat einen neuen Bußgeldbescheid, ist auf den dieser neuen Entscheidung vorangegangenen Zeitraum abzustellen.97

108 In den zwischen der Tatbegehung und der behördlichen Entscheidung liegenden

Geschäftsjahren erfolgende Schwankungen des Jahresumsatzes sind damit zu berücksichtigen. Dies gilt auch für die Bestimmung der natürlichen und juristischen Personen und Personenvereinigungen, mit denen das zu bebußende Unternehmen als wirtschaftliche Einheit operiert.98 Aufgrund des vergleichsweise lang bemessenen Betrachtungszeitraum von drei Geschäftsjahren zur Ermittlung 94 Vgl. BGH v. 13.7.2020 – KRB 99/19, NJW 2021, 395, 401 zu § 81 GWB. 95 Vgl. EuGH v. 10.9.2009 – C-97/08 P – Akzo Nobel, WM 2009, 2048, 2053. 96 Thieme, Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit, 2018, S. 257 zum Kartellrecht. 97 Vgl. OLG Düsseldorf v. 26.1.2017 – V-4 Kart 6/15 (OWi) Rz. 1203 – Süßwarenkartell. 98 Vgl. entsprechend zum nationalen Kartellrecht Vollmer in MünchKomm/WettbewerbsR, 3. Aufl. 2020, § 81 Rz. 161; Heinichen in BeckOK/KartellR, Stand: 07/2021, § 81c GWB Rz. 17 ff.; Bischke/Röhrig in Beck’sches M&A HdB, 2. Aufl. 2022, § 35 Rz. 40; wohl auch Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 81 GWB Rz. 495 (Umsatzmanipulationen seien nach der geltenden Rechtslage hinzunehmen); in der Sache ebenso OLG Düsseldorf v. 26.1.2017 – V-4 Kart 6/15 (OWi) – Süßwarenkartell; OLG Düsseldorf v. 30.3.2015 – 4 Kart 7/10 OWI juris Rz. 946; a.A. v. Brevern/Scheidtmann, WuW 2014, 668, 679 f., die aus §§ 4 Abs. 3, 30 Abs. 2a OWiG und verfassungsrechtlichen Erwägungen schließen, dass bei einer Veräußerung des den Kartellverstoß begehenden Unternehmens sowohl der Umsatz der ehemaligen Muttergesellschaft als auch der Unternehmen, mit denen dieses eine neue wirtschaftliche Einheit bildet, unberücksichtigt bleiben müsse; Thomas, AG 2017, 637, 649 f.; Bechtold/Bosch in Bechtold/Bosch, GWB, 10. Aufl. 2021, § 81c Rz. 8.

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des durchschnittlichen Jahresumsatzes haben während des Bußgeldverfahrens erfolgende Veräußerungen oder der Erwerb von Unternehmensteilen durch das verpflichtete Unternehmen in der Regel zwar nur eine begrenzte Auswirkung auf den durchschnittlichen Jahresumsatz. Wird in diesem Zeitraum jedoch ein besonders umsatzstarker Unternehmensteil veräußert oder erworben oder der Unternehmensbetrieb vollständig oder teilweise eingestellt, kann dies eine erhebliche Verschiebung der Bußgeldobergrenze bewirken und ggf. auch überhaupt erst zur Anwendbarkeit bzw. Unanwendbarkeit des Sonderbußgeldrahmens führen. Entsprechendes gilt bzgl. natürlicher und juristischer Personen und Personenvereinigungen, die innerhalb des maßgeblichen Zeitraums der wirtschaftlichen Einheit beitreten oder aus ihr wegfallen. Wird zwischen der Tatbegehung und der Behördenentscheidung das zu bebu- 109 ßende Unternehmen selbst veräußert und wechselt die Konzernzugehörigkeit oder bildet eine wirtschaftliche Einheit mit anderen juristischen Personen und Personenvereinigungen, bemessen sich der Bußgeldrahmen und die konkrete Bußgeldfestlegung ebenfalls nach den Gegebenheiten zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung, unabhängig davon, ob die neue Struktur zu einer Erhöhung oder Verringerung des durchschnittlichen Jahresumsatzes führt. Eine Regelung, nach der bei der konkreten Bestimmung des Bußgeldes oder der Bestimmung der Bußgeldobergrenze Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse während oder nach der Tat infolge des Erwerbs durch einen Dritten zu berücksichtigen wären, sieht das Gesetz, anders als in § 81d Abs. 2 Satz 2 GWB, nicht vor. Entsprechendes gilt für die wirtschaftliche Nachfolge, bei der ein zu bebußen- 110 des Unternehmen in wirtschaftlicher Kontinuität von einer anderen juristischen Person oder Personenvereinigung fortgeführt wird und die für das Kartellrecht in § 81a Abs. 3 GWB geregelt ist. Es bewendet daher bei der Bestimmung des § 30 Abs. 2a OWiG und der Festsetzung eines Bußgeldes gegen den Rechtsnachfolger in Fällen der Gesamtrechtsnachfolge und der partiellen Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung. Dies entspricht der gesetzlichen Konzeption, nach der die Anwendbarkeit des 111 Sonderbußgeldrahmens wie auch die konkrete Bestimmung der Bußgeldobergrenze weitgehend losgelöst von der Verwirklichung des Unrechts sind (zu sich daraus ergebenden verfassungsrechtlichen Bedenken s. Rz. 118 ff.). Der Wortlaut der Vorschrift sieht keine Besonderheiten bei Änderungen der Unternehmensoder Konzernstrukturen zwischen der Tat und der Behördenentscheidung vor. Dabei dürfte dem Gesetzgeber die Diskussion über die vergleichbaren Rechtsfragen im Kartellrecht bekannt gewesen sein, so dass kaum eine planwidrige Regelungslücke angenommen werden kann. d) Schätzbefugnis (Abs. 3 Satz 3) Der durchschnittliche Jahresumsatz kann gem. § 24 Abs. 3 Satz 3 LkSG ge- 112 schätzt werden. Dies ist jedoch nur zulässig, wenn nach Ausschöpfung der vorhandenen Erkenntnismöglichkeiten eine Berechnung des durchschnittlichen Schmelzeisen

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§ 24 | Bußgeldvorschriften Jahresumsatzes nicht möglich ist.99 Relevant dürfte die Schätzbefugnis daher vor allem bei Unternehmen und Verbänden sein, die keiner Publizitätspflicht unterliegen.100 113 Um den strafprozessualen Vorgaben zu entsprechen, muss die Schätzung

schlüssig sein. Dies ist der Fall, wenn ihre Ergebnisse hinsichtlich aller Bemessungsgrundlagen wirtschaftlich vernünftig und möglich sind.101 Die Schätzungsgrundlagen sind aufgrund einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung zu ermitteln, wobei der Zweifelsgrundsatz nicht uneingeschränkt gilt. Es ist daher nicht hinsichtlich jeder Schätzungsgrundlage die für den Betroffenen günstigste Variante zu unterstellen. Jedoch ist verbliebenen Berechnungsunsicherheiten durch einen Sicherheitsabschlag Rechnung zu tragen, der umso höher auszufallen hat, je größer die einzelnen Berechnungsgrundlagen in einer Gesamtschau mit Unsicherheiten behaftet sind.102 4. Rechtsfolge

114 Nach dem Sonderbußgeldrahmen ist eine Geldbuße i.H.v. bis zu 2 % des durch-

schnittlichen Jahresumsatzes zulässig. Danach beträgt die Bußgeldobergrenze des Sonderbußgeldrahmens rechnerisch zwingend mindestens 8 Mio. Euro bei Vorsatz und mindestens 4 Mio. Euro bei Fahrlässigkeit und übersteigt damit stets den allgemeinen Bußgeldrahmen nach § 24 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. b LkSG.

115 Es stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die beiden Bußgeldrahmen zu-

einander stehen. Liegen die Voraussetzungen vor, „kann“ nach dem Wortlaut der Vorschrift der Sonderbußgeldrahmen nach § 24 Abs. 3 LkSG angewandt werden. Dies könnte dafür sprechen, dass in diesem Fall der zuständigen Behörde ein Ermessen zusteht, ob sie den allgemeinen Bußgeldrahmen oder den Sonderbußgeldrahmen anwendet. Aus dem Gebrauch des Wortes „kann“ allein lässt sich jedoch nicht zweifelsfrei auf die Einräumung eines Ermessens schließen.103 Anders als Art. 83 Abs. 4 DSGVO ordnet § 24 Abs. 3 LkSG zwar nicht ausdrücklich den Vorrang eines der beiden Bußgeldrahmen an, jedoch könnte ein Vorrang des Sonderbußgeldrahmens der Wendung „abweichend von Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b“ entnommen werden.

99 Vgl. Heinichen in BeckOK/KartellR, Stand: 07/2021, § 81c GWB Rz. 28 zur Schätzbefugnis nach § 81c Abs. 5 Satz 2 GWB. 100 Vgl. entsprechend RegE VerSanG-E, S. 86. 101 Vgl. BGH v. 4.2.1992 – 5 StR 655/91, BeckRS 1992, 6446; BGH v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, NStZ 2010, 635, 636. 102 Vgl. BGH v. 19.6.2007 – KRB 12/07, NStZ 2008, 106, 108. 103 Mit dem Wort „kann“ kann der Verwaltung auch lediglich eine Ermächtigung, Befugnis oder Kompetenz zugesprochen werden, ohne dass ihr damit auch ein Ermessen eingeräumt werden muss, vgl. BVerwG v. 8.12.1965 – V C 21/64, VerwRspr. 1967, 142, 145; BVerwG v. 7.2.1974 – III C 115.71, BVerwGE 44, 339, 342; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 7 Rz. 9.

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Dieser Ausdruck kann so verstanden werden, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 3 von den Vorgaben des allgemeinen Bußgeldrahmens abzuweichen ist. In diesem Sinne wird der Begriff „abweichend“ auch in § 1 Abs. 1 Satz 2 LkSG, § 22 Abs. 2 Satz 2 LkSG und § 23 LkSG verwendet. Eine parallele Geltung zweier Bußgeldrahmen, deren Auswahl im Einzelfall ohne nähere ermessensleitende gesetzliche Vorgaben allein dem Ermessen der Behörde anheimgestellt ist, wäre zudem hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot tiefgreifenden Bedenken ausgesetzt.104 Das grundgesetzliche Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 Abs. 2 GG gilt auch für die Rechtsfolgenseite einer Norm, insbesondere muss die für eine Zuwiderhandlung drohende Sanktion dem Normadressaten vorhersehbar sein.105 Es ist daher davon auszugehen, dass die Anwendung des Sonderbußgeldrahmens, sofern die Voraussetzungen vorliegen, zwingend geboten ist und der zuständigen Behörde kein Ermessen zusteht, sondern es sich um eine gebundene Entscheidung handelt. Die Berechnung des durchschnittlichen Jahresumsatzes erfolgt bei der Fest- 116 legung der konkreten Bußgeldobergrenze auf dieselbe Weise wie im Rahmen der Anwendbarkeit des Sonderbußgeldrahmens. Auf die dortigen Ausführungen kann verwiesen werden. Als wirtschaftliche Einheit operierende juristische Personen und Personenvereinigungen sind zu berücksichtigen (s. Rz. 88 ff.), maßgeblich sind die letzten drei der Behördenentscheidung vorangegangenen Geschäftsjahre (s. Rz. 107 ff.) und der durchschnittliche Jahresumsatz kann geschätzt werden (s. Rz. 112 f.). 5. Verfassungsrechtliche Bedenken Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nicht nur hinsichtlich der Ausgestal- 117 tung der Ordnungswidrigkeitstatbestände in § 24 Abs. 1 LkSG (s. Rz. 63 ff.), sondern auch auf der Rechtsfolgenseite in Bezug auf den umsatzbezogenen Sonderbußgeldrahmen des § 24 Abs. 3 LkSG. Diesbezüglich lässt sich die Kritik an der entsprechenden kartellrechtlichen Regelung weitgehend übertragen.106 Die Umsatzzurechnung ist hinsichtlich des Bestimmtheitsgebots, des Schuldprinzips und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als problematisch einzustufen. 104 Vgl. Breuer/Friedrich in Bien/Käseberg/Klumpe/Körber/Ost, Die 10. GWB-Novelle, 2021, Kap. 3 Rz. 137; Vollmer in MünchKomm/WettbewerbsR, 3. Aufl. 2020, § 81 Rz. 152; Thiele, WRP 2006, 999, 1003 f.; a.A.: Heinichen in BeckOK/KartellR, Stand: 07/2021, § 81c GWB Rz. 23. 105 BVerfG v. 26.2.1969 – 2 BvL 15, 23/68, NJW 1969, 1059, 1060; BVerfG v. 14.5.1969 – 2 BvR 238/68, NJW 1969, 1759; BVerfG v. 23.2.1972 – 2 BvL 36/71, NJW 1972, 860, 862; BVerfG v. 21.6.1977 – 2 BvR 308/77, NJW 1977, 1815; BVerfG v. 3.6.1992 – BVerfG v. 2.12.1993 – 2 BvR 1041/88, 2 BvR 78/89, NJW 1992, 2947, 2948; BVerfG v. 20.3.2002 – 2 BvR 794/95, NJW 2002, 1779; Radtke in BeckOK/GG, Art. 103 Rz. 36. 106 Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 913. Zu berücksichtigen ist aber, dass § 24 Abs. 3 Satz 3 LkSG anders als § 81a Abs. 1 GWB nicht auch die Verhängung eines Bußgeldes an der wirtschaftlichen Einheit zugehörige Rechtssubjekte ermöglicht, die nicht selbst an dem Verstoß beteiligt gewesen sind (s. Rz. 89).

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§ 24 | Bußgeldvorschriften 118 Der Sonderbußgeldrahmen bestimmt eine individuelle, „wandernde“ Bußgeld-

obergrenze, die anhand der konkreten finanziellen Verhältnisse des Bußgeldadressaten (und ggf. der seiner wirtschaftlichen Einheit angehörenden Rechtssubjekte) zu bestimmen ist. Für diesen stellt sich die ihm drohende Bußgeldobergrenze damit als flexibel und im Voraus allenfalls grob überschlagbar dar. Mit der individuellen Bestimmung des konkreten Bußgeldrahmens entfällt zudem dessen Orientierungsfunktion, da er nicht geeignet ist, einen objektiven Eindruck des Unwertgehalts zu vermitteln, den der Gesetzgeber mit dem bußgeldbewährten Verhalten verbunden hat.107 Die individuelle Bestimmung des Bußgeldrahmens dient zwar der Einzelfallgerechtigkeit,108 indem bei vergleichbarer Unrechtsverwirklichung durch wirtschaftlich unterschiedlich potente Verbände auch eine jeweils vergleichbare Belastung der Sanktion gewährleistet werden kann, schadet dabei aber der Bestimmtheit der Vorschrift.109 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Bemessungszeitraum ausgehend von der behördlichen Entscheidung bestimmt wird. Die Behörde kann so durch die Wahl des Entscheidungszeitpunkts unmittelbar Einfluss auf die Höhe des Bußgeldrahmens nehmen. Dem Bußgeldadressaten ist die Bußgeldobergrenze zum Tatzeitpunkt nicht vorhersehbar, da der Bemessungszeitraum somit zumindest teilweise in der Zukunft liegt und ggf. bedeutsame Änderungen zu berücksichtigen sind (s. Rz. 107 ff.).

119 Verstärkt wird die Unsicherheit über den Bußgeldrahmen zudem durch die

Schätzbefugnis nach § 24 Abs. 3 Satz 3 LkSG.110 Das Gesetz enthält keine näheren Vorgaben über das Schätzverfahren, so dass lediglich auf die von der Rechtsprechung entwickelten, noch frugalen Grundsätze (s. Rz. 112 f.) zurückgegriffen werden kann.

120 Darüber hinaus ist der Schuldgrundsatz betroffen, da die Grundlage der Buße

nicht allein die verbandsbezogene Schuld des Täters bildet, der als Leitungsperson für den Adressaten des Bußgeldbescheids nach § 30 Abs. 1 OWiG handelt, sondern auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Dritter zur Bestimmung des Bußgeldrahmens und der Bußgeldobergrenze herangezogen wird.111 Die Trennung zwischen Bußgeldadressaten und Bemessungsgrundlage ist geeignet, eine schuldunangemessene und ggf. auch die finanzielle Leistungsfähigkeit des Buß-

107 Vgl. BVerfG v. 26.2.1969 – 2 BvL 15, 23/68, NJW 1969, 1059, 1061; BVerfG v. 20.3. 2002 – 2 BvR 794/95, NJW 2002, 1779, 1783 zu § 43a StGB a.F; kritisch auch Achenbach in Baums/Thoma/Verse, WpÜG, Stand: 12/2020, § 60 WpÜG Rz. 130g zu der vergleichbaren Situation iRd § 60 WpÜG. 108 Dagegen Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 81 GWB Rz. 420. 109 Vgl. BVerfG, v. 20.3.2002 – 2 BvR 794/95, NJW 2002, 1779, 1782 f. zu § 43a StGB a.F.; Heinichen in BeckOK/KartellR, Stand: 07/2021, § 81c GWB Rz. 46 zu den vergleichbaren Regelungen in § 81c Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 GWB. 110 Vgl. Heinichen in BeckOK/KartellR, Stand: 07/2021, § 81c GWB Rz. 46 zur Schätzbefugnis nach § 81c Abs. 5 Satz 2 GWB. 111 Meyer-Lindemann in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 81 GWB Rz. 160.

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geldadressaten überschreitende Bußgeldhöhe zu bewirken. Eine Geldbuße, die eine Gesellschaft in ihrem Bestand bedroht, kann gegen das Übermaßverbot verstoßen.112 Zwar sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der handelnden Gesellschaft bei der Bemessung des Bußgeldes zu berücksichtigen (§ 24 Abs. 4 Satz 2 LkSG, s. Rz. 90, 135 ff.),113 jedoch ist von maßgeblicher Bedeutung für die Höhe einer Geldbuße die Höhe des Bußgeldrahmens, der für ihre Berechnung anzuwenden ist.114 Zudem stellt sich der Zeitpunkt, auf den zur Ermittlung des durchschnittlichen Jahresumsatzes bei der Bestimmung der Bußgeldhöhe abgestellt wird, als losgelöst von Unrecht und Schuld der begangenen Ordnungswidrigkeit dar (s. Rz. 90).115 Schließlich werden Einwände gegen die Verhältnismäßigkeit der umsatzbezo- 121 genen Geldbuße vorgebracht. Die Bußgeldobergrenze erscheine insbesondere bei einfach fahrlässiger Begehung unverhältnismäßig hoch.116 Hinzu kommt, dass eine umsatzbezogene Bußgeldobergrenze des LkSG innerhalb des Systems der Unternehmenssanktionierung zu Wertungswidersprüchen führt.117 Begeht der Geschäftsleiter eines Unternehmens selbst unmittelbar eine Straftat, beträgt das Höchstmaß der Unternehmenssanktion nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 OWiG 10 Mio. Euro. Unterlässt er es, Abhilfemaßnahmen bei menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflichtverletzungen eines Zulieferers zu treffen, droht dem Unternehmen ggf. die Verhängung eines um ein Vielfaches erhöhten Bußgeldes. Das Nichteinschreiten gegen von einem anderen Rechtsträger herrührende Verstöße, zu dem das Unternehmen ggf. auch nur eine mittelbare Verbindung unterhält, kann damit strenger sanktioniert werden als dem Unternehmen zuzurechnende vergleichbare Straftaten der eigenen Geschäftsleitung. Dies ist zum einen in Hinblick auf den Schuldgrundsatz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip bedenklich. Zum anderen schafft das Gesetz so einen Anreiz, die Compliancebemühungen auf das regelkonforme Verhalten der ggf. ausländischen Zulieferer zu konzentrieren und die Kontrolle der eigenen Geschäftsleitung zu vernachlässigen. Da die Rechtsprechung vergleichbaren Bedenken im Rahmen des – darüber hi- 122 naus noch unter weiteren Gesichtspunkten problematischen – § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB a.F. keine Rechnung getragen hat118 und ein Abweichen von dieser Linie 112 Vgl. Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 81 GWB Rz. 430. 113 Darauf weist auch Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 197 hin. 114 Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 298 f. 115 Vgl. auch Heinichen in BeckOK/KartellR, Stand: 07/2021, § 81c GWB Rz. 47; MeyerLindemann in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 81 GWB Rz. 163. 116 Kamann/Irmscher, NZWiSt 2021, 249, 255. 117 Kubiciel, jurisPR-StrafR 7/2021 Anm. 1; Kamann/Irmscher, NZWiSt 2021, 249, 255; Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 197. 118 BGH v. 26.2.2013 – KRB 20/12 Rz. 50 ff. – Grauzementkartell, NJW 2013, 1972, 1973. Das BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde mangels ausreichender Darlegung der

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§ 24 | Bußgeldvorschriften auch im Rahmen des § 24 Abs. 3 LkSG wohl nicht zu erwarten ist, empfiehlt es sich für die Unternehmenspraxis gleichwohl, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift zugrunde zu legen.

V. Bemessungskriterien 1. Überblick 123 § 24 Abs. 4 LkSG sieht besondere Regelungen für die Bemessungsgrundsätze bei

Bußgeldern gegen juristische Personen und Personenvereinigungen vor. Daneben sind die Vorgaben des § 17 OWiG ergänzend anwendbar.119 Für natürliche Personen bewendet es für die Bestimmung der Höhe der Geldbuße bei den allgemeinen Vorgaben des § 17 OWiG. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich daher auf die Bemessungsgrundlagen, die für Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen gelten.

124 Die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG setzt sich aus einem Abschöpfungs-

und einem Ahndungsanteil zusammen.120 Aus den Entscheidungsgründen muss sich grundsätzlich ergeben, zu welchen Anteilen sich die Geldbuße aus Abschöpfung und Ahndung zusammensetzt.121 2. Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils

125 Ausgangspunkt der Bemessung des Bußgeldes ist § 30 Abs. 3 OWiG, § 17 Abs. 4

OWiG. Danach soll die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, den die juristische Person oder Personenvereinigung aus der Tat gezogen hat, übersteigen. Ist der wirtschaftliche Vorteil höher als die Obergrenze des Bußgeldrahmens, kann diese gem. § 17 Abs. 4 Satz 2 OWiG überschritten werden. Nur in AusnahmefälVerletzung des Art. 103 Abs. 2 GG durch den Beschwerdeführer ohne materielle Stellungnahme nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG v. 20.8.2015 – 1 BvR 980/15 Rz. 18 – Kaffeekartell, NZKart 2015, 447, 448. Zuvor hatte das BVerfG die Vermögensstrafe (§ 43a StGB a.F.) u.a. aufgrund des „wandernden“ Strafrahmens für verfassungswidrig erklärt. Die dortigen Ausführungen werden teilweise für auf § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB a.F. bzw. § 81c Abs. 5 Satz 1 GWB übertragbar erachtet, vgl. Bechtold/ Buntscheck NJW 2005, 2966, 2970; dagegen BGH v. 26.2.2013 – KRB 20/12 Rz. 51 – Grauzementkartell, NJW 2013, 1972, 1973; OLG Düsseldorf v. 26.6.2009 – 2a Kart 2 – 6/08, BeckRS 2010, 4805; Vollmer in MünchKomm/WettbewerbsR, 3. Aufl. 2020, § 81 Rz. 144. Im Schrifttum wird die Verfassungsmäßigkeit eines umsatzbezogenen Bußgeldrahmens u.a. bejaht von Vollmer in MünchKomm/WettbewerbsR, 3. Aufl. 2020, § 81 Rz. 144 ff.; Cramer/Pananis in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/ Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, § 81 GWB Rz. 60 jeweils m.w.N. 119 BT-Drucks. 19/28649, 57. 120 Meyberg in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 30 Rz. 98; vgl. auch Engel/Schönfelder in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 6 Rz. 46. 121 BGH v. 25.4.2005 – KRB 22/04, NStZ 2006, 231, 233; BGH v. 18.5.2017 – 3 StR 103/17, ZIP 2017, 1521, BeckRS 2017, 11505.

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len darf von der (teilweisen) Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils abgesehen werden.122 Der wirtschaftliche Vorteil stellt damit regelmäßig die Mindesthöhe des Bußgeldes dar.123 Der wirtschaftliche Vorteil ist nach herrschender Ansicht netto zu berücksichti- 126 gen.124 Zu seiner Ermittlung ist die tatsächliche Vermögenslage des Verbands zu vergleichen mit der hypothetischen Vermögenslage, die ohne die Begehung der Ordnungswidrigkeit bestände. Einen wirtschaftlichen Vorteil können danach insbesondere der erzielte Gewinn und ersparte Aufwendungen darstellen.125 Darüber hinaus werden auch die Verbesserung der Marktposition und die teilweise oder vollständige Verdrängung der Konkurrenz vom Markt erfasst.126 Im Rahmen des § 24 LkSG können so insbesondere die ersparten Aufwendungen hinsichtlich der pflichtwidrig unterlassenen Maßnahmen abgeschöpft werden. Verschafft die Ordnungswidrigkeit dem verpflichteten Unternehmen einen Marktvorteil oder erzielt es beispielsweise Gewinn aus Geschäften mit einem Zulieferer, obwohl es zum Abbruch oder der temporären Aussetzung der Geschäftsbeziehung verpflichtet gewesen wäre, kann dieser Gewinn abgeschöpft werden. 3. Bemessungsgrundsätze der Bußgeldhöhe (Abs. 4) a) Allgemeines Der Abschöpfungsanteil der Geldbuße ist in einem zweiten Schritt um den Ahn- 127 dungsanteil zu erhöhen.127 Hierfür sieht § 24 Abs. 4 LkSG die Grundsätze der Bemessung der Geldbuße vor. Die Vorgaben gelten lediglich für Geldbußen, die gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen verhängt werden (s. Rz. 123). § 24 Abs. 4 LkSG entspricht inhaltlich nahezu vollständig den Vorgaben des vorerst gescheiterten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft (Verbandssanktionengesetz, VerSanG-E). Aus § 24 Abs. 4 LkSG ergeben sich nur geringfügige Abweichungen gegenüber 128 den Vorgaben des auch auf die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG analog an122 OLG Karlsruhe, v. 30.12.1974 – 3 Ss (B) 117/74, NJW 1975, 793; Krumm, NJW 2011, 196, 197; Meyberg in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 30 Rz. 98. Eine dem § 81d Abs. 3 Satz 1 GWB, nach dem die Sollvorschrift des § 17 Abs. 4 OWiG im Kartellrecht als Kannvorschrift anzuwenden ist, entsprechende Vorschrift sieht § 24 LkSG nicht vor. 123 BGH v. 19.9.1974 – KRB 2/74, NJW 1975, 269, 270; OLG Karlsruhe v. 30.12.1974 – 3 Ss (B) 117/74, NJW 1975, 793, 794; OLG Düsseldorf v. 3.8.1994 – 2 Ss (OWi) 223-94/ 78/94 II; BeckRS 2010, 29868; Rogall in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 30 Rz. 140. 124 BGH v. 8.12.2016 – 5 StR 424/15, wistra 2017, 242; BGH v. 18.5.2017 – 3 StR 103/17, ZIP 2017, 1521, BeckRS 2017, 11505; Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 30 Rz. 42; Rogall in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 30 Rz. 141 m.w.N. auch zur Gegenansicht. 125 Krumm, NJW 2011, 196; Rogall in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 30 Rz. 141. 126 OLG Karlsruhe v. 30.12.1974 – 3 Ss (B) 117/74, NJW 1975, 793; Brenner, NStZ 1998, 557. 127 Rogall in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 30 Rz. 140.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften wendbaren128 § 17 Abs. 3 OWiG. Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG sind die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft, Grundlage für die Bemessung der Geldbuße. Die nach § 24 Abs. 4 Satz 4 LkSG insbesondere zu berücksichtigenden Umstände werden im Rahmen des § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG größtenteils von diesen beiden Begriffen erfasst. Anders als nach § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG ist der dem Täter zu machende Vorwurf jedoch nicht Grundlage der Bemessung nach § 24 Abs. 4 Satz 1 LkSG, sondern im Verhältnis zu der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit nur nachrangig heranzuziehen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind nach § 24 Abs. 4 Satz 2 LkSG zu berücksichtigen und können auch nach § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG berücksichtigt werden. Die Bedeutung des § 24 Abs. 4 LkSG erschöpft sich daher vor allem in dem Perspektivwechsel auf die zu bebußende juristische Person oder Personenvereinigung und der expliziten Benennung der insbesondere zu berücksichtigenden Umstände. b) Grundlage der Bemessung: Bedeutung der Ordnungswidrigkeit (Abs. 4 Satz 1) 129 Nach § 24 Abs. 4 Satz 1 ist Grundlage der Bemessung der Geldbuße bei juristi-

schen Personen und Personenvereinigungen die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit. Dies ergibt sich auch bereits aus § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG.

130 Unter der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit sind der sachliche Gehalt und der

Umfang der Handlung, mithin die objektiven Merkmale der Tat, zu verstehen.129 Daneben können auch außertatbestandliche Tatmodalitäten relevant sein.130 Aufgrund des Doppelverwertungsverbots bleiben jedoch solche Merkmale außer Betracht, die bereits den Tatbestand der Ordnungswidrigkeit formen.131

131 Die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit bestimmt sich maßgeblich nach den

konkreten Auswirkungen der Tat, also Grad und Ausmaß der Beeinträchtigung oder Gefährdung der geschützten Rechtsgüter oder Interessen. Eine Vielzahl der die Bedeutung einer Ordnungswidrigkeit prägenden Umstände wird von dem Katalog abzuwägender Umstände in § 24 Abs. 4 Satz 4 LkSG bereits ausdrücklich erfasst, so dass Satz 1 als Auffangregel für dort nicht explizit aufgeführte objektive Merkmale der Ordnungswidrigkeit fungiert. So ist die Berücksichtigung der objektiven Merkmale Gewicht, Ausmaß und Dauer der Ordnungswidrigkeit (Satz 4 Nr. 3), Art der Ausführung der Ordnungswidrigkeit (Satz 4 Nr. 4), Aus-

128 Vgl. BGH v. 18.5.2017 – 3 StR 103/17, ZIP 2017, 1521, BeckRS 2017, 11505; OLG Frankfurt v. 28.1.2010 – WpÜG 10/09, NZG 2010, 583, 584; Meyberg in BeckOK/ OWiG, Stand: 10/2021, § 30 Rz. 103; Rogall in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 30 Rz. 134 m.w.N. 129 OLG Hamm v. 4.2.1998 – 2 Ss OWi 1533/97, BeckRS 1998, 1926; BayObLG v. 21.7. 1980 – 1 ObOWi 289/80, VRS 59, 356. 130 Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 17 Rz. 8 f.; Sackreuther in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 40, 46. 131 Sackreuther in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 41; Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 17 Rz. 9.

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wirkungen der Ordnungswidrigkeit (Satz 4 Nr. 5), vorausgegangene Ordnungswidrigkeiten (Satz 4 Nr. 6) und Folgen der Ordnungswidrigkeit (Satz 4 Nr. 8) bereits in Satz 4 ausdrücklich angeordnet. Die Bedeutung der Tat ist verringert, wenn die zuständige Behörde zur Be- 132 gehung der Ordnungswidrigkeit beigetragen hat.132 Dies kann auch durch Untätigkeit der Behörde geschehen, wobei diesbezüglich hohe Anforderungen an eine Mitverursachung der Behörde zu stellen sind. In engen Grenzen können auch generalpräventive Erwägungen bei der Bemes- 133 sung des Bußgeldes Berücksichtigung finden. Ist eine signifikante Zunahme vergleichbarer Taten festzustellen, kann es zur Wahrung der Ordnung geboten sein, die Geldbuße entsprechend zu erhöhen.133 Berücksichtigungsfähig ist grundsätzlich auch die Stellung der gefährdeten oder 134 beeinträchtigten Rechtsposition. Das Doppelverwertungsverbot untersagt zwar die Berücksichtigung der Bedeutung eines Rechtsgutes, soweit sie Veranlassung für den Gesetzgeber zur Normierung der Ordnungswidrigkeit und des entsprechenden Bußgeldrahmens gewesen ist.134 Soweit die Ordnungswidrigkeitstatbestände des § 24 Abs. 1 LkSG jedoch Unterlassungen in Bezug auf konkrete menschenrechts- oder umweltbezogene Risiken oder Pflichtverletzungen sanktionieren, sind die Stellung und die Bedeutung der gefährdeten oder beeinträchtigten Rechtsposition kennzeichnend für das Gewicht der Ordnungswidrigkeit. So kann bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt werden, auf welche Rechtsposition sich die Gefährdung oder Verletzung konkret bezieht. Unterlässt es das verpflichtete Unternehmen z.B. entgegen § 7 Abs. 1 Satz 1 LkSG, eine Abhilfemaßnahme bezüglich der Verletzung einer menschenrechtsbezogenen Pflicht zu treffen, wiegt ein Verstoß gegen das Verbot der Sklaverei ggf. schwerer als ein Verstoß gegen das Verbot der Einfuhr gefährlicher Abfälle. Eine generelle Höherwertigkeit der menschenrechtsbezogenen Rechtspositionen gegenüber den umweltbezogenen Rechtspositionen wird sich allerdings wohl nicht begründen lassen, da auch die umweltbezogenen Sorgfaltspflichten teilweise dem Schutz des Lebens und der Gesundheit dienen und somit ebenfalls über eine menschenrechtliche Dimension verfügen können.

132 OLG Karlsruhe v. 30.12.1974 – 3 Ss (B) 117/74, NJW 1975, 793, 794; Sackreuther in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 54; Krenberger/Krumm in Krenberger/ Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 17 Rz. 9; Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 45. 133 OLG Düsseldorf v. 3.8.1994 – 2 Ss (OWi) 223-94/78/94 II, BeckRS 2010, 29868; Sackreuther in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 56 m.w.N. aus der Rspr.; Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 17 Rz. 12; Mitsch in KK/ OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 42. 134 Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 48.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften c) Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse (Abs. 4 Satz 2) 135 Nach § 24 Abs. 4 Satz 2 LkSG sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der juristi-

schen Person oder Personenvereinigung zu berücksichtigen.135 Abzustellen ist auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, wie sie sich zum Zeitpunkt der behördlichen Bußgeldentscheidung, nicht zum Zeitpunkt der Tatbegehung darstellen.136 Die wirtschaftlichen Verhältnisse der juristischen Person oder Personenvereinigung zum Zeitpunkt der Tat können allerdings ggf. daneben im Rahmen der Beweggründe und Ziele des Täters nach § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 2 LkSG Berücksichtigung finden, falls sie Einfluss auf die Tatmotivation gehabt haben.137

136 Die wirtschaftlichen Verhältnisse bemessen sich auf der Aktivseite anhand aller

Umstände, die die Fähigkeit der juristischen Person oder Personenvereinigung zur Aufbringung des Bußgeldes beeinflussen.138 Darunter fallen Einnahmen jeder Art sowie Vermögen. Nicht erfasst ist Anlagevermögen i.S.d. § 247 Abs. 2 HGB, also Gegenstände, die bestimmt sind, dauernd dem Geschäftsbetrieb zu dienen. Auf der Passivseite sind die Verbindlichkeiten zu berücksichtigen.139 Davon erfasst werden vermögensrechtliche Verpflichtungen jeder Art, die die Leistungsfähigkeit der juristischen Person oder Personenvereinigung auf lange Sicht beeinträchtigen, wie beispielsweise Schulden und betriebliche Ausgaben.140 Der Ertragslage des Unternehmens kommt damit die zentrale Bedeutung zu. Diese kann ggf. geschätzt werden. Die Auswirkungen der Geldbuße auf das Unternehmen sind ebenfalls zu berücksichtigen. Droht durch sie eine Existenzgefährdung oder der Abbau von Arbeitsplätzen, kann die Geldbuße zu mindern sein. Geringfügigeren Auswirkungen kann dagegen mittels Einräumung von Zahlungserleichterungen nach § 18 OWiG begegnet werden, so dass in diesen Fällen keine Minderung des Bußgeldes geboten ist.

137 Maßgeblich sind nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift die wirt-

schaftlichen Verhältnisse der juristischen Person oder Personenvereinigung, die Adressat des Bußgeldes ist. Operiert diese in einer wirtschaftlichen Einheit mit anderen juristischen Personen oder Personenvereinigungen, bleiben deren wirtschaftliche Verhältnisse daher bei der Bemessung der konkreten Bußgeldhöhe in der Regel unberücksichtigt. Der durchschnittliche Jahresumsatz der wirtschaftli135 Dies ist für die Verbandsgeldbuße bereits anerkannt, vgl. OLG Frankfurt v. 25.1.2012 – 1 Ss 63/11, wistra 2012, 203, 204; OLG Hamm v. 28.6.2000 – 2 Ss OWi 604/99, wistra 2000, 393. 136 Vgl. Sackreuther in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 84; Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 85; so auch bei § 46 StGB, vgl. Maier in MünchKomm/StGB, 4. Aufl. 2020, § 46 Rz. 299; dafür spricht auch der Umkehrschluss zu § 81d Abs. 2 Satz 2 GWB. 137 Vgl. Sackreuther in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 85. 138 Vgl. BGH v. 25.10.1951 – 3 StR 549/51, NJW 1952, 34, 35; KG v. 13.12.2019 – 3 Ws (B) 365/19, BeckRS 2019, 40839; OLG Koblenz v. 21.7.2011 – 1 SsBs 61/11, BeckRS 2011, 2650; Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 86. 139 Sackreuther in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 87. 140 Vgl. Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 87.

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chen Einheit ist nach § 24 Abs. 3 Satz 2 LkSG nur hinsichtlich des Bußgeldrahmens von Bedeutung. Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der juristischen Person oder Personenvereinigung nach § 24 Abs. 4 Satz 2 LkSG kann daher als Korrektiv fungieren, wenn die Anwendung des Sonderbußgeldrahmens nach § 24 Abs. 3 LkSG die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens überschreitet (s. Rz. 90, 120). Es ist allerdings davon auszugehen, dass den wirtschaftlichen Verhältnissen eine entsprechende Bedeutung nicht in jedem Fall der Anwendung des Sonderbußgeldrahmens zugemessen werden wird, sondern nur dann, wenn dies erforderlich ist. Denn dem Konzept der wirtschaftlichen Einheit liegt auch die Erwägung zugrunde, dass missbräuchliche Umgehungskonstruktionen verhindert werden sollen (s. Rz. 93). Dieser Zweck würde verfehlt, wenn der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Bemessung des Bußgeldes in jedem Fall eine mildernde Wirkung zukäme. Das Erfordernis der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse gebietet 138 es aus spezialpräventiven Gesichtspunkten, die Höhe der Geldbuße so zu bestimmen, dass sie für die juristische Person oder Personenvereinigung ein „spürbarer Ordnungsruf“ ist.141 So soll sichergestellt werden, dass die Ahndung vergleichbarer Ordnungswidrigkeiten unterschiedlich bemittelte Unternehmen in gleicher Weise trifft.142 Andererseits darf das Bußgeld angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse keine unverhältnismäßige Belastung darstellen.143 Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind nur als ein Zumessungsaspekt unter anderen zu berücksichtigen. Außergewöhnlich gute wirtschaftliche Verhältnisse können daher nicht allein zur Begründung einer Geldbuße im oberen Bereich des Bußgeldrahmens herangezogen werden.144 d) Insbesondere zu berücksichtigende Umstände (Abs. 4 Satz 4) aa) Überblick Dem Vorbild des § 46 Abs. 2 StGB folgend nennt § 24 Abs. 4 Satz 4 LkSG Umstän- 139 de, die zur Bemessung des Bußgeldes heranzuziehen sind. Es handelt sich um keine abschließende Aufzählung. Die Umstände können sich überschneiden, eine trennscharfe Abgrenzung ist teilweise weder möglich noch erforderlich. Die aufgelisteten Umstände sind nicht in jedem Einzelfall in ihrer Gesamtheit einschlägig. Sie sind sowohl zugunsten als auch zu Lasten der juristischen Person oder Per- 140 sonenvereinigung zu beachten. Nach § 24 Abs. 4 Satz 3 LkSG sind bei der Bemessung die Umstände miteinander abzuwägen, „insoweit sie für und gegen die juristische Person oder Personenvereinigung sprechen“. Daraus ist abzuleiten, 141 Vgl. OLG Koblenz v. 10.3.2010 – 2 SsBs 20/10, VD 2010, 140; OLG Bamberg v. 10.2. 2010 – 2 Ss OWi 1575/09, BeckRS 2010, 11966; Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/ 2021, § 17 Rz. 83. 142 Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 84. 143 Vgl. KG v. 2.8.2018 – 3 Ws (B) 202/18-122 Ss 94/18, BeckRS 2018, 31294. 144 BayObLG v. 21.10.1998 – 1 ObOWi 542/98, DAR 1999, 36; Sackreuther in BeckOK/ OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 83.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften dass die aufgelisteten Umstände allein in ihrem Bezug zu der juristischen Person oder Personenvereinigung von Relevanz sind. Dies gilt insbesondere für die täterbezogenen Umstände. Mindern solche Umstände das vom Täter verwirklichte Unrecht, belasten zugleich aber die juristische Person oder Personenvereinigung, sind sie erschwerend zu berücksichtigen. Duldet der Verband beispielsweise bewusst einen Verstoß, ermutigt oder fordert er den Täter gar zu dessen Begehung auf, verringert dies u.U. den dem Täter zu machenden individuellen Vorwurf, spricht aber aufgrund der darin zum Ausdruck kommenden „kriminellen Verbandsattitude“ gegen die juristische Person oder Personenvereinigung.145 Im Gegenzug haben ausschließlich den Täter betreffende Umstände außer Acht zu bleiben, wenn diese ohne jeglichen Bezug zur juristischen Person oder Personenvereinigung sind. Setzt sich der Täter beispielsweise besonders hartnäckig oder rücksichtslos über bestehende unternehmensinterne Compliancevorgaben hinweg und lässt sich dieses Vorgehen nicht in das gelebte Geschäftsgebaren des Unternehmens einfügen, erhöht dies den dem Täter zu machenden individuellen Vorwurf, belastet allerdings nicht die juristische Person oder Personenvereinigung, sofern ihr Compliancesystem grundsätzlich wirksam ist (zur bußgeldmindernden Wirkung entsprechender Vorkehrungen s. Rz. 161 ff.). In diesem Fall ist der dem Täter zu machende Vorwurf verhältnismäßig schwerwiegender als die Verantwortlichkeit der juristischen Person oder Personenvereinigung. bb) Vorwurf, der den Täter der Ordnungswidrigkeit trifft (Nr. 1) 141 An der Spitze der Zumessungskriterien steht der Vorwurf, der den Täter der

Ordnungswidrigkeit trifft. Hierunter fallen alle spezifisch individuellen Umstände, die der Tat innewohnen, ihr vorausgehen oder ihr nachfolgen.146 Abzustellen ist damit nicht nur auf das Tatgeschehen allein.147 Die Schuld der Leitungsperson bestimmt auch im Rahmen der Verbandsgeldbuße grundsätzlich den Umfang der Vorwerfbarkeit,148 es kann jedoch zwischen dem dem Täter und dem der juristischen Person oder Personenvereinigung zu machenden Vorwurf zu unterscheiden sein (s. Rz. 140). Betrifft ein Umstand ausschließlich den Täter und kann nicht zugleich auch dem Verband vorgehalten werden, wirkt er diesem gegenüber nicht bußgelderhöhend. Umgekehrt kann eine negative Unternehmenskultur erschwerend wirken. Sind an der Tat mehrere Leitungspersonen i.S.d. § 30 Abs. 1 OWiG beteiligt, ist bei der Bemessung des Verbandsbußgeldes auf die Schuld aller an der Tat beteiligten Leitungspersonen abzustellen.149 Die 145 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, 2. Aufl. 2015, S. 434 f.; Rogall in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 30 Rz. 137; Bittmann in Rotsch [Hrsg.], Criminal Compliance, 2015, § 35D Rz. 19 („Gesinnung, verstanden als Einstellung des Unternehmens (dessen „Philosophie“)“); ähnlich Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 198. 146 Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 58. 147 Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 58. 148 BGH v. 14.2.2007 – 5 StR 323/06, NStZ, 2008, 13, 15. 149 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, ZIP 2017, 2205 = BeckRS 2017, 114578 Rz. 112.

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üblicherweise zu dem dem Täter zu machenden Vorwurf gezählten Motive und Ziele des Täters sind nach § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 2 LkSG ausdrücklich zu berücksichtigen. Ein wesentliches Element des dem Täter zu machenden Vorwurfs ist der Grad 142 des verwirklichten Unrechts. Bei der Bemessung der konkreten Bußgeldhöhe ist vorsätzliches Verhalten gegenüber fahrlässigem Verhalten nicht schwerer zu gewichten. Denn diese Unterscheidung ist gem. § 17 Abs. 2 OWiG bereits für die Bestimmung des Bußgeldrahmens von Bedeutung, so dass eine weitere Berücksichtigung gegen das Doppelverwertungsverbot verstieße.150 Berücksichtigungsfähig ist dagegen, mit welchem Vorsatzgrad bzw. Fahrlässigkeitsgrad der Täter handelte.151 Absicht wiegt schwerer als dolus directus 2. Grades, welcher seinerseits schwerer wiegt als dolus eventualis. Entsprechend kann bei fahrlässigem Verhalten zwischen Leichtfertigkeit/grober Fahrlässigkeit, bewusster Fahrlässigkeit und leichter Fahrlässigkeit abgestuft werden. Erschwerend kann besondere Rücksichtslosigkeit oder Gleichgültigkeit des Tä- 143 ters gegenüber den geschützten Rechtspositionen zu berücksichtigen sein.152 Auch die ordnungswidrigkeitsrechtliche oder strafrechtliche Vorbelastung des Täters kann den ihm zu machenden Vorwurf erschweren, sofern ein innerer sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zu der begangenen Ordnungswidrigkeit besteht und sich der Täter über die sanktionsmäßige Warnung hinweggesetzt hat.153 Wurde gegen die juristische Person oder Personenvereinigung bereits ein Bußgeld verhängt, ist dies dagegen nach § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 6 LkSG zu berücksichtigen. Den dem Täter zu machenden Vorwurf kann es mildern, wenn dieser die Ord- 144 nungswidrigkeit aufgrund einer Täuschung, auf Druck oder infolge einer Drohung eines Dritte begangen hat;154 ist diese Situation allerdings auf eine entsprechende Verbandsattitude zurückzuführen, kann sie im Rahmen des § 30 OWiG nicht bußgeldmindernd berücksichtigt werden (s. Rz. 140). Gleiches gilt für einen Irrtum des Täters, wenn dieser nicht schon nach § 11 OWiG die Ahndbarkeit der Tat ausschließt.155 Setzt sich der Täter jedoch leichtfertig über seine Erkundigungsund Nachforschungspflicht hinweg, bleibt ein darauf beruhender Irrtum regel150 BayObLG v. 8.12.2003 – 3 Ob OWi 93/03, wistra 2004, 158, 159; Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 59; Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 82. 151 BGH v. 13.5.1981 – 3 StR 126/81, NJW 1981, 2204; BayObLG v. 8.12.2003 – 3 Ob OWi 93/03, wistra 2004, 158, 159; Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 59; Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 60; 82; Rengier in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 10 Rz. 5. 152 Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 64. 153 Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 71 ff.; Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 65, 75 ff. 154 Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 65; Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 74. 155 Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 66; Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 59, 72 f.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften mäßig unbeachtlich.156 Ist der Irrtum in der Unkenntnis der rechtlichen Bestimmungen begründet und lässt sich daraus eine leichtfertige Einstellung zur Rechtsordnung schließen, kann dies dagegen erschwerend berücksichtigt werden.157 145 Auch die freiwillige Aufgabe der Ordnungswidrigkeit nach Eintritt des tat-

bestandlichen Erfolgs kann den Vorwurf mildern.158 Dies kann insbesondere bei den Ordnungswidrigkeitstatbeständen des § 24 Abs. 1 LkSG, die die nicht rechtzeitige Pflichterfüllung erfassen, relevant sein, wenn dem Täter lediglich eine verspätete Pflichterfüllung zur Last gelegt wird, er aber von sich aus zur Rechtstreue zurückgekehrt ist und dadurch Einsicht in das verwirklichte Unrecht und Reue bewiesen hat.

146 Während das Nachtatverhalten der juristischen Person oder Personenvereini-

gung nach § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 7 LkSG (Aufdeckung- und Wiedergutmachungsbemühungen sowie nach der Tat getroffene Vermeidungs- und Aufdeckungsvorkehrungen) zu berücksichtigen ist, kann darüber hinaus das Nachtatverhalten des Täters selbst im Rahmen der individuellen Vorwerfbarkeit nach § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 1 LkSG Beachtung finden. Bußgeldmindernd können insoweit ein Geständnis, die Mitwirkung an der Aufklärung der Tat über den eigenen Tatbeitrag hinaus und Wiedergutmachungsbemühungen, bußgelderhöhend die fehlende Unrechtseinsicht berücksichtigt werden.159 Das Beharren auf einer unzutreffenden Rechtsansicht ist jedoch kein Schärfungsgrund.160 cc) Beweggründe und Ziele des Täters der Ordnungswidrigkeit (Nr. 2)

147 Die Beweggründe und Ziele des Täters der Ordnungswidrigkeit sind nach § 24

Abs. 4 Satz 4 Nr. 2 LkSG zu berücksichtigen. Erweist sich die Tatmotivation als zumindest nachvollziehbar oder rechtlich anerkennenswert, mindert dies den individuellen Vorwurf, stellt sie sich dagegen als besonders verwerflich dar, ist sie zu Lasten des Bußgeldadressaten zu berücksichtigen.161 Soweit die Motivation des Täters bereits das tatbestandliche Unrecht charakterisiert, hat sie jedoch unberücksichtigt zu bleiben.162 Auch insoweit sind im Rahmen der Verbandsgeldbuße nur solche Umstände zu berücksichtigen, die Ausdruck der Verbandsattitude sind (s. Rz. 140). Es ist dabei stets zu prüfen, ob die Beweggründe und

156 BayObLG, v. 25.4.1995 – 3 ObOWi 11/95, DB 1995, 1084 = BayObLGSt 1995, 76, 80; Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 66. 157 Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 72. 158 Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 65; Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 62. 159 Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 77 f.; 80 f.; Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 55, 64 f.; 69 ff. 160 BayObLG v. 8.12.2003 – 3 Ob OWi 93/03, wistra 2004, 158, 159; Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 64. 161 Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 60; Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 57. 162 Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 60.

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Ziele des Täters auf die juristische Person oder Personenvereinigung zurückgehen und wie sie im Verhältnis zu dieser zu bewerten sind. Erschwerend zu berücksichtigende Motivationslagen können z.B. eine über- 148 schießende Innentendenz, also die Absicht, im Zusammenhang mit der Ordnungswidrigkeit weitere Delikte zu begehen, Gewinnsucht, oder eine rechtsfeindliche Gesinnung sein.163 Ist das Täterverhalten auf besonderen Leistungsdruck innerhalb der Organisation zurückzuführen, weil dieser beispielsweise negative Konsequenzen infolge des Verfehlens von Unternehmenszielen befürchtet oder sich die im Unternehmen herrschende Einstellung, wirtschaftlichen Erfolg um jeden Preis zu erzielen, zu eigen macht, kann dies der juristischen Person oder Personenvereinigung entgegengehalten werden.164 Ist die Tat dagegen Ausdruck eines rein individuellen, egoistischen Gewinnstrebens oder übertriebenen privaten Ehrgeizes, kann dies in der Regel nicht bußgeldschärfend gegenüber dem Verband ins Gewicht fallen. dd) Gewicht, Ausmaß und Dauer der Ordnungswidrigkeit (Nr. 3) Gewicht, Ausmaß und Dauer der Ordnungswidrigkeit sind objektive Merkmale 149 der Tat. Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen dem Gewicht und dem Ausmaß der Ordnungswidrigkeit ist weder möglich noch erforderlich. Für Gewicht und Ausmaß der Ordnungswidrigkeit ist vor allem der Umfang 150 der Gefährdung oder Beeinträchtigung maßgeblich. Bei den im LkSG normierten Pflichten handelt es sich überwiegend um Bemühenspflichten, die von den verpflichteten Unternehmen nicht das Erreichen eines konkreten Erfolges verpflichten.165 Dementsprechend stellen die Tatbestände, die nach § 24 Abs. 1 LkSG die Vernachlässigung bestimmter Sorgfaltspflichten betreffen, Gefährdungsordnungswidrigkeiten dar.166 Im Rahmen der Gefährdungsdelikte und 163 Sackreuther in BeckOK, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 62 f.; Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 57, 63 f. 164 Vgl. auch RefE VerSanG, S. 94. 165 BT-Drucks. 19/28649, 2, 41; Wagner/Ruttloff, NJW 2021, 2145, 2145 f. 166 Eine Ausnahme könnte § 24 Abs. 1 Nr. 6 LkSG darstellen, da der Eintritt oder das unmittelbare Bevorstehen einer Verletzung für eine menschenrechtliche oder umweltbezogene Rechtsposition erforderlich ist, um die Pflicht zum Ergreifen einer Abhilfemaßnahme nach § 7 Abs. 1 Satz 1 LkSG zu begründen. Bleibt das verpflichtete Unternehmen untätig, kommt es regelmäßig zum Eintritt bzw. zur zeitlichen oder materiellen Ausdehnung der Verletzung. Allerdings setzt der Ordnungswidrigkeitstatbestand den Eintritt oder die Ausdehnung der Verletzung nicht zwingend voraus (s. Rz. 46). Bußgeldbewährt ist auch das Nichtergreifen einer Abhilfemaßnahme, wenn aus anderen Gründen eine Verletzung oder deren Intensivierung letztlich ausbleibt. Grundlage des § 24 Abs. 1 Nr. 6 LkSG ist damit ebenfalls die abstrakte Gefährlichkeit des Nichtergreifens einer Abhilfemaßnahme. Da es im Anwendungsbereich der Vorschrift jedoch typischerweise zum Eintritt oder der Intensivierung einer Verletzung kommt, kann dieser Umstand nicht bußgelderhöhend berücksichtigt werden. Bleibt eine solche Folge jedoch ausnahmsweise aus, kann dies bußgeldmindernd berücksichtigt werden.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften -ordnungswidrigkeiten kann ohne Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot der Eintritt eines Schadens an einer geschützten Rechtsposition straf- bzw. bußgeldschärfend berücksichtigt werden.167 Bei den abstrakten Gefährdungsordnungswidrigkeiten gilt dasselbe für den Eintritt einer konkreten Gefährdung einer geschützten Rechtsposition.168 Ist dagegen aufgrund der Umstände des Einzelfalls eine konkrete Gefährdung ausgeschlossen, kann dies umgekehrt zugunsten der juristischen Person oder Personenvereinigung gewertet werden. 151 Maßgeblich für das Ausmaß der Ordnungswidrigkeit ist die Bedeutung der ge-

schützten Rechtsposition. Darüber hinaus sind die Art und Intensität der Ausführung und das Maß der objektiven Pflichtwidrigkeit zu berücksichtigen.169 Auch die räumliche Ausbreitung der Tat kann von Bedeutung sein.

152 Die Dauer der Ordnungswidrigkeit stellt schließlich auf die zeitliche Dimension

der Tat ab. Im Kartellrecht wird zwischen Verstößen kurzer Dauer (i.d.R. unter 1 Jahr), mittlerer Dauer (i.d.R. 1–5 Jahre) und langer Dauer (i.d.R. über 5 Jahre) unterschieden.170 Dies lässt sich jedoch nicht ohne weiteres auf das LkSG übertragen. Es ist vielmehr zwischen den einzelnen Ordnungswidrigkeitstatbeständen zu differenzieren und auf den Einzelfall abzustellen. Bei Verstößen gegen die bedeutendsten Pflichten ist ein strengerer Maßstab anzulegen als bei Verstößen gegen weniger schwerwiegende Pflichten, da eine längere Dauer der Ordnungswidrigkeit die Verletzung oder Gefährdung der geschützten Rechtsposition potentiell in höherem Maße intensiviert. ee) Art der Ausführung der Ordnungswidrigkeit (Nr. 4)

153 Hinsichtlich der Art der Ausführung sind nach § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 4 LkSG ins-

besondere die Anzahl der Täter und deren Position in der juristischen Person oder Personenvereinigung zu berücksichtigen. Je größer die Anzahl der Täter ist und je höher die Täter in der Hierarchie der juristischen Person oder Personenvereinigung stehen, umso schwerer wiegt der Verstoß. Zu beachten ist insoweit das im Ordnungswidrigkeitenrecht gem. § 14 Abs. 1 OWiG geltende Einheitstäterprinzip. Danach ist nicht zwischen Täter, Anstifter und Gehilfe zu differenzieren, vielmehr gilt jeder an der Tat Beteiligte als Täter.171 An einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit ist eine (vorsätzliche) Beteiligung nicht möglich.172 167 Vgl. Sackreuther in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 41. 168 Vgl. Sackreuther in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 41. 169 Vgl. Sackreuther in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 42; Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 17 Rz. 9. 170 Meyer-Lindemann in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 81 GWB Rz. 166 m.w.N. 171 Coen in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 14 Rz. 1; Rengier in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 14 Rz. 4; Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 14 Rz. 1. 172 BGH v. 6.4.1983 – 2 StR 547/82, DB 1983, 2359 = NStZ 1983, 416, 417; Coen in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 14 Rz. 16, 19.

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Eine fahrlässige Beteiligung ist ebenfalls nach g.h.M. ausgeschlossen,173 in Betracht kommt in diesen Fällen lediglich die fahrlässige Nebentäterschaft.174 In diesem Fall liegen unterschiedliche Taten vor. Für die Art der Ausführung ist auch von Bedeutung, ob ein Verstoß lediglich ge- 154 gen einen oder gegen zugleich mehrere Ordnungswidrigkeitstatbestände vorliegt.175 In letzterem Fall hat in der Regel eine Erhöhung des Bußgeldes zu erfolgen, da die mehrfache Gefährdung oder Beeinträchtigung eines Rechtsgutes bzw. die Gefährdung oder Beeinträchtigung mehrerer Rechtsgüter die Art der Ausführung der Ordnungswidrigkeit als schwerwiegenderen Verstoß erscheinen lässt.176 Für die Behandlung von Tateinheit und Tatmehrheit s. §§ 19 f. OWiG. ff) Auswirkungen der Ordnungswidrigkeit (Nr. 5) Zu berücksichtigen sind nach § 24 Abs. 4 Satz 4 LkSG die Auswirkungen der 155 Ordnungswidrigkeit. Abzustellen ist in erster Linie auf die Auswirkungen auf den oder die Geschädigten der Tat. Die Auswirkungen auf die juristische Person oder Personenvereinigung finden dagegen nach Abs. 4 Nr. 8 Berücksichtigung. Berücksichtigungsfähig sind nur solche Auswirkungen, hinsichtlich derer dem 156 Täter ein Vorwurf zu machen ist.177 gg) Vorausgegangene Ordnungswidrigkeiten und präventiv getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung (Nr. 6) Wiederholungstaten sind grundsätzlich verschärft zu ahnden. Diese Erschwe- 157 rung nach § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 6 LkSG bezieht sich allein auf vorausgegangene Ordnungswidrigkeiten, für die die juristische Person oder Personenvereinigung nach § 30 OWiG (ggf. auch i.V.m. § 130 OWiG) verantwortlich ist. Ist dem Täter dagegen bereits eine begangene Ordnungswidrigkeit vorzuwerfen, für die das Unternehmen nicht verantwortlich ist, da sie der Täter beispielsweise im Rahmen einer vorangegangenen Tätigkeit für ein anderes Unternehmen begangen hat, kann dieser Umstand über § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 1 LkSG unter Umständen auch zu Lasten der juristischen Person oder Personenvereinigung beachtet werden (s. Rz. 143). 173 Statt vieler Rengier in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 14 Rz. 6 ff. m.w.N.; a.A.: Kienapfel, NJW 1983, 2236, 2237. 174 Rengier in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 14 Rz. 104 ff.; Coen in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 14 Rz. 18, 69 ff.; Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 14 Rz. 9. 175 Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 38; Sackreuther in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 47 ff. 176 Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 49; Sackreuther in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 48. 177 BVerfG v. 30.6.1976 – 2 BvR 435/76, NJW 1976, 1883; Schall, NStZ 1986, 1, 4 Fn. 15; Mitsch in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 39.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften 158 Die Vortat darf allerdings zeitlich nicht zu lange zurückliegen, sonst verliert sie

ihre Signifikanz.178 Eine starre zeitliche Grenze der Berücksichtigungsfähigkeit lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen, vielmehr sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Je schwerwiegender eine vorausgegangene Ordnungswidrigkeit und je höher die Anzahl vorausgegangener Ordnungswidrigkeiten ist, umso länger und umso erschwerender wird der Charakter einer Tat als Wiederholungstat bei der Bußgeldbemessung ins Gewicht fallen.

159 In der Literatur wird eine Vortat teilweise nur dann für berücksichtigungsfähig

erachtet, wenn sie zu einer rechtskräftigen Ahndung geführt hat, da anderenfalls die Unschuldsvermutung verletzt werde.179 Die Rechtsprechung lässt dagegen auch die Berücksichtigung ungeahnter Vortaten zu.180

160 Auch wenn vom Wortlaut nicht unmittelbar erfasst, sind umgekehrt auch das

Fehlen von Vortaten und eine bisherige Sanktionsfreiheit des Verbandes zu seinen Gunsten bußgeldmindernd zu berücksichtigen.181

161 Darüber hinaus sind in diesem Zusammenhang vor der Ordnungswidrigkeit ge-

troffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung zu berücksichtigen. Aus dem Begriff der Vorkehrungen lässt sich ableiten, dass auch Maßnahmen, die über die reine „Aufsicht“ i.S.d. § 130 OWiG hinausgehen, erfasst werden.182 Dies beruht auf der Einschätzung, dass sich die Reichweite wirksamer Compliance nicht in der Bedeutung der §§ 30, 130 OWiG erschöpft.183 Nach dem Wortlaut der Vorschrift sind allein entsprechend getroffene Vorkehrungen (positiv) zu berücksichtigen, nicht dagegen das Unterlassen solcher Vorkehrungen dem Verband anzulasten. Unterlässt es der Verband jedoch, geeignete Überwachungsmaßnahmen zu ergreifen, kann dies außerhalb des § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 6 LkSG erschwerend berücksichtigt werden.184 Die Vorschrift erfasst lediglich präventive Compliancesysteme. Die Anpassung eines Compliancesystems infolge einer begangenen Ordnungswidrigkeit kann sich dagegen nach § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 7 LkSG bußgeldmindernd auswirken (s. Rz. 165).

162 Der Gesetzgeber kodifiziert damit die im Schrifttum seit langem befürwortete

und inzwischen prinzipiell auch von der Rechtsprechung anerkannte bußgeldmindernde Wirkung effektiver Compliancesysteme.185 Der BGH hat 2017 zu einem Steuer- und Korruptionssachverhalt entschieden, dass für die Bemessung der Geldbuße von Bedeutung ist, inwieweit ein Verband seiner „Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein

178 Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 17 Rz. 9. 179 Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 17 Rz. 9. 180 BVerfG v. 14.8.1987 – 2 BvR 235/87, NStZ 1988, 21; BGH v. 30.10.1986 – 4 StR 499/86, NStZ 1987, 127. 181 Vgl. auch RefE VerSanG, S. 94. 182 Vgl. auch RefE VerSanG, S. 94. 183 S. dazu nur Rotsch in Rotsch [Hrsg.], Criminal Compliance, 2015, § 2 Rz. 10. 184 So schon KG v. 30.4.1997 – Kart 10/96, BeckRS 1997, 11944 Rz. 45. 185 So auch Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 199.

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effizientes Compliance-Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss“.186 Dabei könne auch eine Rolle spielen, ob das Unternehmen in der Folge des Verfahrens „entsprechende Regelungen optimiert und [seine] betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden“. Zwar hat sich das Gericht nicht ausdrücklich zur Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf andere Konstellationen geäußert, aufgrund der allgemeinen Formulierung ist jedoch davon auszugehen, dass diese generell auf Sachverhalte der Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG Anwendung finden werden.187 Danach sind einerseits die Einrichtung und der Betrieb eines präventiven Compliancesystems und andererseits die adaptiven Bemühungen in Reaktion auf eine erfolgte Ordnungswidrigkeit bußgeldmindernd zu berücksichtigen. Nicht geäußert hat sich der BGH zu der Frage, ob dies auch für repressive Compliancebemühungen, also das Aufklären und Abstellen des Verstoßes sowie die Entscheidung über die Verhängung einer Sanktion,188 gleichermaßen gilt.189 Auch in der Behördenpraxis des BKartA ist die bußgeldmindernde Berücksichtigung ernsthafter Compliancebemühungen nach ursprünglichen Vorbehalten190 mittlerweile zumindest dem Grunde nach verankert.191 Die Bußgeldminderung setzt nicht zwingend optimale Complianceprogramme 163 voraus. Auch ein teilweise mängelbehaftetes Compliancesystem kann Ausdruck der Unternehmensbemühung um ein ordnungsgemäßes Verhalten seiner Mitarbeiter sein und zu dessen Gunsten gewertet werden.192 Wäre die Tat jedoch durch optimale Vorkehrungen wesentlich erschwert worden, in ihrem Umfang oder ihren Auswirkungen begrenzt worden oder komplett verhindert worden, können die getroffenen Vorkehrungen nur eine geringe Bußgeldminderung bewirken.193 Eine substantielle Herabsetzung des Bußgeldes setzt dagegen wirksame Vorkehrungen voraus. Die Begehung einer Ordnungswidrigkeit spricht jedenfalls nicht ohne weiteres gegen die Wirksamkeit der Vorkehrungen, denn das Fehlverhalten von Einzelpersonen lässt sich nicht komplett ausschließen. Es 186 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, ZIP 2017, 2205, BeckRS 2017, 114578 Rz. 118; zustimmend Eufinger, NZG 2018, 327. 187 So auch Baur/Holle, NZG 2018, 14, 16; Behr, BB 2017, 1931, 1932; Lorenz, ZStV 2019, 154, 155. 188 Vgl. dazu nur Fleischer, NZG 2014, 321, 326; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173. 189 Baur/Holle, NZG 2018, 14, 16; a.A.: Lorenz, ZStV 2019, 154, 155. 190 Vgl. BKartA, Tätigkeitsbericht 2011-2012, S. 31 f. 191 Vgl. Ziff. 14 Anm. 3 der Leitlinien für die Bußgeldzumessung in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren (2021) des BKartA. Präventive Compliancebemühungen sind danach jedoch weiterhin nur äußerst eingeschränkt zu honorieren. So ist die Wirksamkeit der Vortatcompliance in der Regel dann anzunehmen, wenn sie zu einer Aufdeckung und der umgehenden Anzeige der Zuwiderhandlung führt. Ist eine Leitungsperson an der Zuwiderhandlung beteiligt, soll die Berücksichtigung der Vortatcompliance ausgeschlossen sein, vgl. dazu Heinichen, DB 2021, 2685. 192 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, 2. Aufl. 2015, S. 441. 193 Vgl. auch RefE VerSanG, S. 95.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften ist deshalb danach zu differenzieren, ob die Tat ein individueller Ausreißer oder Ausdruck strukturell defizitärer Rechtstreue innerhalb der juristischen Person oder Personenvereinigung ist.194 Dienen die Vorkehrungen lediglich der Kaschierung von Rechtsverstößen, können sie selbstverständlich nicht zugunsten des Unternehmens berücksichtigt werden. Im Gegenteil droht vielmehr eine strafschärfende Wirkung unter dem Gesichtspunkt einer besonders verschlagenen Art der Tatausführung (§ 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 4 LkSG).195 hh) Aufdeckungs- und Wiedergutmachungsbemühen sowie nachträgliche Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung (Nr. 7) 164 § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 7 LkSG behandelt das Nachtatverhalten der juristischen

Person oder Personenvereinigung. Zugunsten des Unternehmens können sich danach Aufdeckungs- und Wiedergutmachungsbemühungen als Reaktion auf die Ordnungswidrigkeit auswirken. So ist es bußgeldmindernd zu berücksichtigen, wenn das Unternehmen die Tat freiwillig offenlegt oder sich an ihrer Aufklärung beteiligt.

165 Bußgeldmindernd können auch nach der Ordnungswidrigkeit ergriffene

Compliancemaßnahmen berücksichtigt werden. Dies beschreibt die adaptive Modifikation des Compliancesystems hinsichtlich anlässlich der Ordnungswidrigkeit aufgedeckter Defizite (s. Rz. 162).

166 Ist ein Rechtsnachfolger Bußgeldadressat, ist in erster Linie auf dessen Nachtat-

verhalten abzustellen.196

ii) Folgen der Ordnungswidrigkeit für die juristische Person oder Personenvereinigung (Nr. 8) 167 Nach § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 8 LkSG sind schließlich die Folgen der Ordnungs-

widrigkeit, die die juristische Person oder Personenvereinigung getroffen haben, zu berücksichtigen. Danach kann insbesondere ein Schaden, den die juristische Person oder Personenvereinigung durch die Ordnungswidrigkeit selbst erlitten hat, zu ihren Gunsten gewertet werden. In Betracht kommen grundsätzlich beispielsweise Reputationsschäden, zivilrechtliche Ansprüche gegen das Unternehmen197 oder ein drohender Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge nach § 22 Abs. 1 LkSG. Allerdings scheidet eine sanktionsmildernde Berücksichtigung solcher Nachteile, die der Täter bewusst, wenn auch nicht gewollt, auf sich genommen hat, in der Regel aus.198 Die Vorschrift ist an § 60 StGB ange194 195 196 197 198

Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, 2. Aufl. 2015, S. 440. Vgl. auch RefE VerSanG, S. 95. Vgl. auch RefE VerSanG, S. 95. Hembach, Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2022, S. 199. So die Formel der Rechtsprechung und der Literatur. Zweifelhaft aber BGH v. 20.7. 2005 – 2 StR 168/05, BeckRS 2005, 9691 zum Ausschluss einer strafmildernden Berücksichtigung der zivilrechtlichen und privaten Folgen einer von einer Bankangestellten

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lehnt. Diese Norm sieht zwar abweichend obligatorisch einen vollständigen Sanktionsverzicht vor, der ihr zugrundeliegende Rechtsgedanke wird aber – vergleichbar der Vorgabe des § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 8 LkSG – auch zur Begründung der strafmildernden Berücksichtigung nachteiliger Folgen der Tat im Rahmen des § 46 StGB herangezogen.199 Berücksichtigt werden können im Ausnahmefall auch die Auswirkungen eines 168 Bußgeldes auf unbeteiligte Organe des Verbands, dessen Arbeitnehmer und Gesellschafter, wenn es diese unangemessen hart betreffen würde.200 An das Erreichen einer unangemessenen Härte sind, auch aufgrund der präventiven Funktion der Geldbuße auch diesen Personen gegenüber, jedoch hohe Anforderungen zu stellen.201 Bei einer Tatbeteiligung von Mitgliedern bzw. Gesellschaftern der juristischen Person oder Personenvereinigung ist zudem zu berücksichtigen, dass diese neben der individuellen Sanktionierung als Täter auch aufgrund des Bußgeldes gegen die juristische Person oder Personenvereinigung Vermögenseinbußen erleiden können.202

199

200 201 202

begangenen Untreue im besonders schweren Fall. Der BGH führte insoweit aus, dass die Angeklagte „damit rechnen [musste], dass die Tat eines Tages entdeckt und sie zur Rückzahlung des sehr hohen Schadensbetrages nicht in der Lage sein würde“. Es handele sich dabei um eine typische und vorhersehbare Folge der Straftat, so dass die Angeklagte sie bewusst auf sich genommen habe. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und Zurechnung der Inkaufnahme der nachteiligen Folgen durch den Täter an das Unternehmen dürften die genannten Folgen im Rahmen des § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 8 LkSG in der Regel nicht sanktionsmildernd berücksichtigt werden, da jeder Ordnungswidrigkeit ein Entdeckungsrisiko innewohnt. Zurückhaltender dagegen BGH v. 15.7.2020 – 2 StR 288/19, BeckRS 2020, 21348 Rz. 21: In diesem Urteil monierte das Gericht das Fehlen von Feststellungen zu der Frage, ob der Angeklagte die nachteilige Folge (den Tod eines nahestehenden Menschen, der als Mittäter eines räuberischen Diebstahls von einem Polizeibeamten erschossen worden ist) bewusst auf sich genommen habe. Es läge „nicht ohne Weiteres auf der Hand“, dass der Täter eine Todesgefahr gesehen „und diese, ohne auf das Ausbleiben vertraut zu haben, „bewusst auf sich genommen“ habe“. Diese Maßstäbe erinnern an die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit. S. ausführlich zu der Thematik Streng, FS Jung (2007), 959, nach dem eine Anrechnung nachteiliger Folgen nur ausgeschlossen sein soll, wenn der Täter seine Eigenschädigung gleichermaßen einkalkuliert hat, insoweit seien die Kriterien des bedingten Vorsatzes heranzuziehen. Bei Fahrlässigkeitsdelikten sei die Anrechnung mangels Einkalkulierbarkeit einer Selbstschädigung möglich, wenn die Belastungen so gravierend sind, dass ihnen Strafersatzcharakter zukommt. S. auch BGH v. 14.12. 2016 – 2 StR 177/16, juris Rn. 26; Maier in MünchKomm/StGB, 4. Aufl. 2020, § 46 Rz. 266; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 46 Rz. 55. BGH v. 15.7.2020 – 2 StR 288/19, BeckRS 2020, 21348 Rz. 21; s. auch Kühl in Lackner/ Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 46 Rz. 36a; Maier in MünchKomm/StGB, 4. Aufl. 2020, § 46 Rz. 266; von Heintschel-Heinegg in BeckOK/StGB, Stand: 02/2022, § 46 Rz. 72; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 46 Rz. 55; Streng, FS Jung (2007), S 959, 961 f. Rogall in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 30 Rz. 139. Rogall in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 30 Rz. 139. Rogall in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 30 Rz. 139.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften 169 In Extremfällen kann unter Heranziehung des Rechtsgedankens der poena na-

turalis auch eine Einstellung nach § 47 OWiG gerechtfertigt sein.203

170 Teilweise wird auch der durch den Verstoß erwirtschaftete höhere Gewinn unter

§ 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 8 LkSG subsumiert.204 Bei solchen für den Verband positiven Auswirkungen handelt es sich jedoch um keine Folgen der Ordnungswidrigkeit, die die juristische Person oder Personenvereinigung getroffen haben, sondern um wirtschaftliche Vorteile, die der Verband aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat. Diese sind gem. § 17 Abs. 4 OWiG abzuschöpfen (s. Rz. 125 f.). Aus dem Wortlaut von § 24 Abs. 4 Satz 4 Nr. 8 LkSG („getroffen haben“) und einem Vergleich zu der Formulierung des § 17 Abs. 4 OWiG lässt sich ableiten, dass die Vorschrift ausschließlich negative Folgen erfasst. e) Weitere zumessungsrelevante Aspekte

171 Neben § 24 Abs. 4 LkSG bleibt § 17 OWiG ergänzend anwendbar (s. Rz. 123).

Darüber hinaus können auch die Zumessungsgesichtspunkte des § 46 Abs. 2 StGB herangezogen werden.205 Die Vorgaben des § 24 Abs. 4 LkSG sind damit wie auch die des § 17 OWiG206 nicht abschließend. Es können bei der Strafzumessung auch andere Umstände des Einzelfalls erschwerend oder mildernd berücksichtigt werden, wenn dies mit den repressiven und präventiven Zwecken des Bußgeldes im Einklang steht.

172 In Betracht kommt beispielsweise ein außergewöhnlich großer zeitlicher Ab-

stand zwischen Tat und Urteil und damit eine überlange, die Rechtsgewährung verhindernde und damit unangemessene Verfahrensdauer.207 Nach der Rechtsprechung des BGH sind in diesem Fall drei unterschiedliche Milderungsgründe in Betracht zu ziehen.208 Zunächst ist der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil als solcher zu berücksichtigen, da das Ahndungsbedürfnis mit Ablauf der Zeit schwindet. Darüber hinaus sind die Belastungen durch die Verfahrensdauer zu beachten. Schließlich kann eine Verletzung des Beschleunigungsgebot nach Art. 6 Abs. 1 EMRK einen Milderungsgrund darstellen. Unabhängig davon kann auch schon einer überlangen behördlichen Verfahrensdauer als solcher eine eigenständige Bedeutung als Milderungsgrund zukommen.209 Ob die Ver203 204 205 206 207

Vgl. dazu Pielow, wistra 2020, 10. Engel/Schönfelder in Grabosch, LkSG, 1. Aufl. 2021, § 6 Rz. 46. Vgl. Eufinger, NZG 2018, 327, 328 f.; Krebs/Eufinger/Jung, CCZ 2011, 213, 214. Sackreuther in BeckOK/OWiG, Stand: 10/2021, § 17 Rz. 94; Baur/Holle, NZG 2018, 14, 15. BGH v. 25.10.1988 – KRB 3/88, EWiR 1989, 295, 296; OLG Frankfurt v. 25.1.2012 – 1 Ss 63/11, wistra 2012, 203, 204; OLG Düsseldorf v. 30.3.2015 – 4 Kart 7/10 OWI juris Rz. 1078. 208 BGH v. 3.6.2014 – KRB 46/13 Rz. 9 – Silostellgebühren III, NJW 2014, 2806; zustimmend OLG Düsseldorf v. 26.1.2017 – V-4 Kart 6/15 (OWi) Rz. 511, BeckRS 2017, 141749; vgl. auch BGH v. 21.10.1986 – KRB 7/86 – U-Bahn-Bau Frankfurt; BGH v. 4.11.2003 – KRB 20/03 – Frankfurter Kabelkartell, NJW 2004, 1539, 1541. 209 Meyer-Lindemann in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 81 GWB Rz. 179.

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fahrensdauer überlang und unangemessen ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Insoweit sind insbesondere die Natur des Verfahrens, die Bedeutung der Sache und die Auswirkungen der Verfahrensdauer auf die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie sowie das Verhalten der Beteiligten und der zuständigen Behörde zu berücksichtigen.210

VI. Zuständige Behörde (Abs. 5), behördliches Verfahren und Rechtsbehelfe Sachlich zuständig für die Verfolgung und Ahndung der Ordnungswidrigkeiten 173 ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG i.V.m. § 24 Abs. 5 Satz 1 LkSG das auch gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 LkSG für die behördliche Kontrolle und Durchsetzung zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Für die Recht- und Fachaufsicht verweist § 24 Abs. 5 Satz 2 LkSG auf § 19 Abs. 1 Satz 2 u. 3 LkSG (s. dazu § 19 Rz. 5). Das Offizialprinzip gilt für das LkSG nicht. Stattdessen findet gem. § 47 Abs. 1 174 Satz 1 OWiG das Opportunitätsprinzip Anwendung. Der zuständigen Behörde kommt damit hinsichtlich der Einleitung eines Bußgeldverfahrens ein Ermessen (Einleitungsermessen) zu,211 das sie pflichtgemäß auszuüben hat. Zulässig sind infolge des Opportunitätsprinzips grundsätzlich auch Absprachen 175 und Verständigungen i.S.d. §§ 202a, 212, 257c StPO.212 Gegenstand der Verständigung kann im behördlichen Verfahren anders als im Strafverfahren auch eine Punktsanktion, eine der Höhe nach exakt bestimmte Geldbuße, sein.213 Bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten wird die zuständige Behörde re- 176 pressiv tätig, so dass sich ihre Befugnisse nicht nach § 15 ff. LkSG richten, ihr stehen vielmehr nach § 46 Abs. 2 OWiG die Ermittlungsbefugnisse der Staatsanwaltschaft zu.214 Sie kann insbesondere die richterliche Anordnung von Durchsuchungen und Beschlagnahmungen beantragen und diese Maßnahmen durchführen. Nach § 1 Abs. 1 u. 2 IRG ist die internationale Rechtshilfe eröffnet.215 Die zuständige Behörde kann ein ordnungswidrigkeitsrechtliches und ein aufsichtsrechtliches Verfahren parallel betreiben.216 Die Verwertung von Er210 BVerfG v. 8.12.2015 – 1 BvR 99/11, NJW 2016, 2021, 2021 f.; OLG Düsseldorf v. 26.1. 2017 – V-4 Kart 6/15 (OWi) Rz. 511, BeckRS 2017, 141749. 211 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 57. 212 Vgl. Fromm, NZV 2010, 550; Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 46 Rz. 119; Canzler in David/Dinter, Praxis des Bußgeldverfahrens im Kapitalmarktrecht, 2021, Rz. 235. 213 Krumm, NZV 2011, 376, 377; Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 46 Rz. 119; Canzler in David/Dinter, Praxis des Bußgeldverfahrens im Kapitalmarktrecht, 2021, Rz. 237. 214 Vgl. BT-Drucks. 19/28649, 57. 215 Lutz-Bachmann/Vorbeck/Wengenroth, BB 2021, 906, 913. 216 Vgl. Spoerr in Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, § 121 WpHG Rz. 17; Böse/Jansen in Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl. 2020, § 121

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§ 24 | Bußgeldvorschriften kenntnissen, die das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle im Verwaltungsverfahren als zuständige Behörde gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 LkSG erlangt hat, im Bußgeldverfahren ist grundsätzlich zulässig (s. § 17 Rz. 58).217 Ihr kann aber ggf. das Verbot der Rollenvertauschung entgegenstehen (s. § 15 Rz. 18).218 Danach darf die zuständige Behörde nicht gezielt über das Aufsichtsverfahren die ordnungswidrigkeitsrechtlichen und damit strafprozessualen Beschuldigtenrechte unterlaufen. Aus diesem Grund muss sie auch bei jeder Maßnahme deutlich machen, ob sie im ordnungswidrigkeitsrechtlichen oder im aufsichtsrechtlichen Verfahren erfolgt.219 Das Verhältnis zwischen Maßnahmen im aufsichtsrechtlichen und solchen im ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfahren ist hinsichtlich vieler Einzelheiten noch nicht abschließend geklärt.220 177 Ergeben sich im Verfahren Anhaltspunkte dafür, dass die Tat eine Straftat dar-

stellt, gibt die Behörde die Sache an die Staatsanwaltschaft ab, § 41 OWiG. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ist nicht für die Verfolgung von Straftaten zuständig. Die Abgabepflicht besteht nur im Rahmen eines Bußgeldverfahrens, nicht dagegen, wenn der Behörde aufgrund sonstiger Verwaltungstätigkeit entsprechende Anhaltspunkte vorliegen.221

178 Statthafter Rechtsbehelf gegen einen Bußgeldbescheid ist gem. § 67 OWiG der

Einspruch durch den Betroffenen. Er ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustel-

221

WpHG Rz. 2; Kämpfer/Travers in BeckOK/WpHR, Stand: 02/2022, § 121 WpHG Rz. 8; Altenhain in Kölner Kommentar zum WpHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rz. 10; Gehrmann in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl. 2020, 11. Kap. Rz. 224. Anders für das Kapitalmarktrecht Kämpfer/Travers in BeckOK/WpHR, Stand: 02/2022, § 121 WpHG Rz. 8; Böse/Jansen in Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl. 2020, § 121 WpHG Rz. 3; teilweise wird diesbezüglich auch der Gedanke des hypothetischen Ersatzeingriffes bemüht, Waßmer in Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 31 f.; Spoerr in Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, § 121 WpHG Rz. 19. Seibt/Vesper-Gräske, CB 2021, 357, 361 m.w.N. zur Anwendung dieses Grundsatzes im Kapitalmarktrecht. Vgl. zum Kapitalmarktrecht Eggers in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 5. Aufl. 2019, Teil 2 Kap. 3 Rz. 16; Spoerr in Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, § 121 WpHG Rz. 17; Böse/Jansen in Schwark/Zimmer, KMRK, 5. Aufl. 2020, § 121 WpHG Rz. 2; Kämpfer/Travers in BeckOK/WpHR, Stand: 02/2022, § 121 WpHG Rz. 8; Altenhain in Kölner Kommentar zum WpHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rz. 10. Vgl. zur entsprechenden Problematik im Kapitalmarktrecht Spoerr in Assmann/ Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, § 121 WpHG Rz. 16 ff. Hervorzuheben ist auch die Schutzlücke, die infolge des Ausschlusses der Selbstbelastungsfreiheit für juristische Personen nach der Rechtsprechung des BVerfG entsteht, vgl. BVerfG v. 26.2.1997 – 1 BvR 2172/96, NJW 1997, 1841 (ablehnend Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung (2005), S. 166 ff.; 196 f.). Ob diese durch Aussageverweigerungsrechte der Organvertreter ausreichend kompensiert wird, wird unterschiedlich bewertet, s. dazu Altenhain in Kölner Kommentar zum WpHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rz. 11; Spoerr in Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, § 121 WpHG Rz. 20. Inhofer in BeckOK/OWiG, Stand: 01/2022, § 41 Rz. 1.

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lung des Bescheids schriftlich oder zur Niederschrift beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle einzulegen. An die Einspruchseinlegung schließt sich nach § 69 OWiG das Zwischenverfahren an, in dem die Behörde einen unzulässigen Einspruch verwirft und bei einem zulässigen Einspruch prüft, ob sie den Bußgeldbescheid aufrechterhält oder zurücknimmt. Zu diesem Zweck kann sie auch weitere Ermittlungen anstellen. Gegen die Verwerfung ist ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 62 zulässig.222 Hält die Behörde den Bußgeldbescheid aufrecht, übersendet sie die Akten an die Staatsanwaltschaft, auf die damit die Aufgaben der Verfolgungsbehörde übergehen.223 Die Staatsanwaltschaft kann daraufhin eigene Ermittlungen durchführen, das Verfahren einstellen,224 ein Strafverfahren einleiten oder die Sache dem AG vorlegen. Zuständiges Gericht ist gem. § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat. Es entscheidet unabhängig von der Höhe der Geldbuße nach § 68 Abs. 1 Satz 2 OWiG der Richter beim Amtsgericht allein. Insoweit ist bemerkenswert, dass der Gesetzgeber, anders als für bestimmte sonstige ordnungswidrigkeitsrechtliche Spezialmaterien,225 keine Sonderzuständigkeit vorgesehen hat.226 222 Gertler in BeckOK/OWiG, Stand: 01/2022, § 69 Rz. 31; Ellbogen in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 69 Rz. 65. 223 Gertler in BeckOK/OWiG, Stand: 01/2022, § 69 Rz. 79; Ellbogen in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 69 Rz. 84. 224 Die Einstellung des Verfahrens ist anders als in datenschutzrechtlichen Verfahren (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 3 BDSG) auch ohne Zustimmung der zuständigen Behörde möglich. 225 Vgl. z.B. § 41 Abs. 1 Satz 3 BDSG (Zuständigkeit des Landgerichts, wenn die im datenschutzrechtlichen Verfahren festgesetzte Geldbuße den Betrag von 100.000 Euro überschreitet); § 83 Abs. 1 Satz 1 GWB, § 91 GWB (Zuständigkeit des Kartellsenats beim Oberlandesgericht im gerichtlichen Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 81 GWB); § 62 WpÜG (Zuständigkeit des Oberlandesgericht Frankfurt am Main im gerichtlichen Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 60 WpÜG); s. auch die im Zuge des vorerst gescheiterten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft (VerSanG-E) vorgesehene Änderung des GVG, nach der eine Zuständigkeit des Landgerichts für die Entscheidung über eine Verbandsgeldsanktion in Höhe von mehr als einer Million Euro begründet und eine Zuständigkeit des Strafrichters ausgeschlossen gewesen wäre (§ 25 Satz 2 GVG-E; § 74 Abs. 1 Satz 3 GVG-E); s. aber auch § 334 HGB; § 130 Abs. 3 OWiG; § 23 AEntG;§ 14 DüngG: Auch nach diesen Vorschriften können Bußgelder in einer erheblichen Größenordnung, teilweise in Millionenhöhe, verhängt werden. Für sie betreffende gerichtliche Verfahren besteht dessen ungeachtet ebenfalls eine erstinstanzliche Zuständigkeit des Amtsgerichts. 226 Zwar werden solche Sonderzuständigkeiten, zumindest, wenn sie an eine bestimmte Bußgeldhöhe anknüpfen, bisweilen als systemfremd kritisiert, s. jeweils zu § 41 BDSG BR-Drs. 107/20, S. 12, 33 ff.; Lamsfuß, NZWiSt 2021, 98, 103; Frenzel in Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2021 § 41 BDSG Rz. 8. Da für den umsatzbezogenen Bußgeldrahmen nach § 24 Abs. 3 LkSG aber keine absolute Obergrenze besteht, ließe sich diese Kritik nur bedingt auf die Einrichtung einer Spezialzuständigkeit für Ordnungswidrigkeiten nach § 24 LkSG übertragen. Freilich wäre die Bestimmung einer Sonderzuständigkeit, beispielsweise des Landgerichts, mit der Festlegung notwendiger Verfahrens- und Besetzungsvorgaben zu flankieren, s. zur entsprechenden Kritik an der Regelung des § 41 BDSG nur BR-Drs. 107/20, 33 ff.; Lamsfuß, NZWiSt 2021, 98.

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§ 24 | Bußgeldvorschriften Aus der Höhe eines Bußgeldes kann zwar nicht ohne weiteres auf die rechtliche Herausforderung eines gerichtlichen Verfahrens geschlossen werden.227 Bei dem Gegenstand des LkSG handelt es sich allerdings in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht um eine durchaus komplexe Materie, die eine Spezialisierung des mit der Sanktionierung normwidrigen Verhaltens befassten Gerichtes zweckmäßig erscheinen lässt.228 Auch die Sanktionswirkung eines umsatzbezogenen Sonderbußgeldrahmens, dessen Höhe keiner absoluten Begrenzung unterliegt und der daher auch die Verhängung von Bußgeldern in Milliardenhöhe ermöglicht, könnte gegen eine erstinstanzliche Befassung des Einzelrichters am Amtsgericht sprechen.229 Eine Anpassung der Zuständigkeitsregelung scheint de lege ferenda daher nicht ausgeschlossen.230 Das gerichtliche Verfahren richtet sich gem. § 71 OWiG nach den Vorschriften der StPO, die nach zulässigem Einspruch gegen einen Strafbefehl gelten. Rechtsmittel gegen eine Verurteilung und einen Beschluss außerhalb der Hauptverhandlung gem. § 72 OWiG ist, vorbehaltlich der Regelung des § 83 Abs. 2 OWiG, die Rechtsbeschwerde nach den Maßgaben der §§ 79, 80 OWiG an den Bußgeldsenat des Oberlandesgerichtes. 179 Die Vollstreckung des Bußgeldbescheids richtet sich nach §§ 89 ff. OWiG. Wird

der Bußgeldbescheid rechtskräftig, ist gem. § 92 OWiG das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zuständige Vollstreckungsbehörde. Für die Vollstreckungsverjährung gilt § 34 OWiG.

180 Nach § 153a Abs. 1 GewO kommt bei Rechtskraft des Bußgeldbescheids eine

Mitteilung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle an das Gewerbezentralregister in Betracht. Einzutragen sind danach sowohl Bußgelder gegen natürliche Personen als auch Verbandsbußgelder nach § 30 OWiG.231

181 Die Verhängung eines Bußgeldes ist unabhängig vom Verwaltungszwangsver-

fahren und kann daher parallel zur Androhung und Festsetzung eines Zwangsgeldes erfolgen, vgl. § 13 Abs. 6 VwVG (s. § 23 Rz. 6).

227 So zutreffend Lamsfuß, NZWiSt 2021, 98, 103; Piltz, BDSG: Praxiskommentar für die Wirtschaft, 1. Aufl. 2017, § 41 Rz. 11; Brodowski/Nowak in BeckOK/Datenschutzrecht, Stand: 11/2021, § 41 BDSG Rz. 36; Ehmann in Gola/Heckmann, BDSG, 13. Aufl. 2019, § 41 Rz. 24. 228 Diese Folge der Normierung einer Sonderzuständigkeit wird auch bzgl. der Regelung des § 41 BDSG positiv beurteilt, s. Bergt in Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2020 § 41 BDSG Rz. 18; Ehmann in Gola/Heckmann, BDSG, 13. Aufl. 2019, § 41 Rz. 24; Becker in Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, § 41 BDSG Rz. 2. 229 Vgl. auch Brodowski/Nowak in BeckOK/Datenschutzrecht, Stand: 11/2021, § 41 BDSG Rz. 36. 230 Dies gilt vor allem auch vor dem Hintergrund, dass insbesondere jüngere Gesetze bzw. Gesetzgebungsvorhaben wie das BDSG und der VerSanG-E solche Spezialzuständigkeitsregelungen enthalten. 231 Dinter in David/Dinter, Praxis des Bußgeldverfahrens im Kapitalmarktrecht, 2021, Rz. 249.

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Stichwortverzeichnis Fette Zahlen bezeichnen die Paragrafen, magere Zahlen die Randziffern.

Abbruchgrund, Geschäftsbeziehun-

gen – kein milderes Mittel 7 110 – keine Abhilfe durch Minimierungskonzept 7 106 – sehr schwerwiegende Verletzung 7 103 Abfall – Basler-Übereinkommen 2 304 – Definition 2 303 – Entsorgung 2 294 – EU-Verbringungsverordnung 2 309 – gefährlicher 2 305 – Lagerungsverbot 2 294 – Verbotsausnahmen 2 299 Abfallverbringung – Verbote 2 312 Abführung – Teilgewinn 1 84 Abhilfe – Wiedergutmachverfahren 8 14 Abhilfemaßnahmen – Aktualisierung 24 40 – angemessene 7 2 – Einleitung 7 25 – Grundsatz der Angemessenheit 7 26 – Intensität 7 25 – Restitutionspflicht 7 33 – Überprüfung 7 114 ff. – Unterlassen 24 45 – unverzüglich 7 35 – Zuständigkeit 7 36 – Zweck 7 29 ff. Abhilfemaßnahmen, angemessene – Anfrage beim Zulieferer 9 69 – Aufklärung 6 74

– Bitte um genaue Informationen 9 69 – externe Fachleute 9 69 – Konsequenzen ziehen 6 74 – Kreis der mittelbaren Zulieferer 9 68 – Recherche in öffentlichen Quellen 9 69 – Untersuchung 6 74 Abhilfeplan – Vorlage 15 20 Abhilfeverpflichtung – allgemeine 7 63 ff. Abstufung – Ergreifen von Maßnahmen 9 74 – Untersuchung der Vorwürfe 9 74 Abwendung – negativer Auswirkungen Einl. 84 Achtung der Menschenrechte – Leitprinzip 11 Einl. 51 Adressat – Zurechnung 1 88 ff. AGB – Battle oft the Forms 6 138 – Eineziehungskontrolle 6 136 – überraschender Inhalt 6 137 – unangemessene Benachteiligung 6 135 – widersprechende 6 138 Aktualisierung – unverzügliche 6 160; 7 117 Allgemeine Standards – 10 Prinzipien des Global Compact der VN 6 41 – ILO Dreigliedrige Grundsatzerklärung 6 41 831

Stichwortverzeichnis

– ILO-Kernarbeitsnormen 6 41 – ISO 26000 6 41 – OECD-Konvention 6 41 – OECD-Leitsätze 6 41 – SDGs 6 41 – UNGP 6 41 – UN-UDHR 6 41 Angemessenheitsprinzip Einl. 9 – behördliche Kontrolldichte 3 38 – geeignete Maßnahmen 3 37 – Priorisierungsrecht 3 47 – Sorgfaltspflichten 3 46 – und Unmöglichkeit 3 39 – Verankerung im GG 3 33 – Vorbehalt 6 128 – wesentlich übergeordnete Faktoren 3 53 Anhörung – Form 22 42 Anonymität – Vorteile 8 27 Anordnung – Beispiel 15 25 Anspruch – auf Verwaltungsakt 14 26 Anspruchinhaber – Aktivlegitimation 11 5 Antrag – auf Tätigwerden 14 24 Antragssteller – befugter Personenkreis 14 29 ff. Anwendungsbereich – persönlicher 24 84 – verbundenes Unternehmen 1 42 Anwendungsfälle – deliktische Haftung 9 31 – vertragliche Haftung 9 31 Arbeit – Pflicht 2 117 – Strafandrohung 2 130 – Zwang 2 117 832

Arbeitgeber – Schutzpflichten 5 21 Arbeitnehmer – Arbeiterähnliche Personen 1 27 – auf Leihbasis 1 37 ff. – Auszubildende 1 21 – befristete 1 26 – Beschäftigung 1 30 – Definition 1 18 – entsandte 1 20 – leitende Angestellte 1 23 – Mitglieder 1 24 – öffentlicher Dienst 1 19 – Praktikanten/ Volontäre 1 22 – Schwellenwert 1 32 – Teilzeitbeschäftigte 1 25 – Verleihunternehmen 1 41 – Vertretung 1 36 Arbeitnehmerzahl – Leiharbeiter 1 37 – Unternehmensverbindung 1 51 – Zurechnung 1 49 Arbeitnehmerzurechnung – Muttergesellschaften 1 60 Arbeitsverhältnisse – Ruhen 1 30 Arbeitsvertrag – Schadensersatz Anh. 11 76 Aufgabe – konkreter Handlungen 15 23 Aufklärungsmaßnahmen – weitere 8 79 ff. Aufsicht – Effektivität 10 4 Aufsichtsbehörde – Assoziationshintergrund 10 35 Auftraggeber – öffentliche 22 9 – Sektoren 22 9 Auftragsausschluss – Mindestbeträge 22 18

Stichwortverzeichnis

Aufzeichnungen – Definition 16 41 Ausforschung – Allgemeine 16 20 Ausfuhrverbot – gefährliche Abfälle 2 318 – in bestimmte Staaten 2 318 Auskunft – Durchsetzung 17 13 – Grundlagen 17 21 ff. – über Dritte 17 33 – Verpflichtung 17 21 – Verweigerungsrecht 17 50 ff., 60 Auskunftspflicht – Unternehmen 17 1 Auskunftsverweigerungsrecht – Belehrung 17 59 – Bußgeldverfahren 17 58 Auslandssachverhalte – Grundlagen 1 86 – Überblick 1 86 – Zurechnungsadressat 1 88 – Zurechnungsobjekt 1 87 Ausnahmekonstellation – Vermutensregel 1 75 Ausnahmen – Kinderarbeitsverbot 2 109 Aussage – Verweigerungsrecht 17 60 Ausschluss – existenzielle Bedrohung 22 5 – laufendes Vergabeverfahren 22 27 – öffentlicher Verträge 22 5 Ausschlusstatbestände – vergaberechtliche 22 11 Auswahlkriterien – Anforderung an den unmittelbaren Zulieferer 6 103 – Informationsbeschaffung 6 103 – risikobasierte Bewertung 6 103 – Zulieferwahl 6 103

Auswärtiges Amt – Monitoring Einl. 88 Ausweichklausel – Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO Anh. 11 37 Außenhaftung – Geschäftsleitungsorgane Anh. 11 79 Außenwirtschaftsverkehr – Einschränkung 7 113 Außergerichtliche Beschwerde – Leitprinzip 27–30 Einl. 72

Barrierefreiheit – informatorische 8 38 – sprachliche 8 34 – technische 8 34 – zeitliche 8 37 Beeinträchtigung – schwerwiegende 2 88 Beherrschung – Gewinngemeinschaft 1 82 Beherrschungsvertrag – Bestehen 3 90 Behörde – Antrag auf Tätigwerden 14 24 – zuständige 15 5; 19 3 Behördenentscheidung – Informationsaustausch 14 45 – vorausgehende Geschäftsjahre 24 85 Bemühenspflicht – Erfolgspflicht Einl. 12 Bemühungen – Aufdeckung 24 164 – Wiedergutmachung 24 164 Bericht – Einreichung 13 17 – elektronischer Zugang 12 2 – fristgemäß 13 6 – Nachbesserungsfrist 13 12 833

Stichwortverzeichnis

– Pflicht 10 48 – Verschlüsselung 12 5 – Vorlagepflicht 12 12 Berichterstattung – öffentliche Einl. 168 Berichtspflicht – externe 10 14 – Verstoß 10 48 Berichtsprüfung – Behörden 10 46 – Verfahrensordnung 13 18 Beschaffungsmöglichkeit – Unternehmensverbund 17 42 – vertraglicher Beziehungen 17 41 Beschaffungsstrategien – Adressat der Regelung 6 84 – Einkaufspraktiken 6 78 ff. – Null-Toleranz-Bereich 6 82 – risikoreich eingestufte Länder 6 82 Beschäftigte – Definition 4 60 – geringfügige 1 25 Beschäftigungsverbot – Personen in Zwangsarbeit 2 127 Beschwerde – individuelle Wiedergutmachung 8 1 Beschwerdekanal – Missbrauch 8 66 – Schutz vor Missbrauch 8 86 Beschwerdemanagement – interne Richtlinie 8 50 Beschwerdemechanismus – Einbindung Beschäftigte 8 5 – Einbindung des Betroffenen 8 5 – Einbindung sonstiger Zielgruppen 86 – genderbasierte Bedenken 8 57 – Leitprinzip 31 Einl. 73 – separater 8 9 Beschwerdeverfahren – Anwendungsbereich 9 12 834

– Compliance-Dokumentation 8 39 – Überprüfung 8 99 ff. – unterlassen der Einrichtung 24 50 – unternehmensinterne 3 29 – Verankerung 8 49 – Verantwortlicher 8 54 – Verfahrensordnung 8 39 Besichtigen – Definition 16 35 – Räumlichkeiten 16 25 Bestimmtheitsgebot – Definition 24 71 Bestimmung – Angemessenheit 3 58 Beteiligung – Mehrheit 1 84 – wechselseitige 1 77 Betreten – Definition 16 34 – Räumlichkeiten 16 25 Betretensrechte – Beauftragte 16 10 – Berechtigte 16 8 – Ermächtigungsgrundlage 16 1 Betriebsabteilung – eigene 2 353 Betriebsangehörige – Definition 16 32 Betroffene Gebiete und Unternehmen – Leitprinzip 7 Einl. 46 Bevorstehende Verletzung – besondere zeitliche Nähe 7 19 – Feststellungen 7 21 – Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit 7 19 – sofort und fast mit Gewissheit 7 19 Beweispflichten – Verstoß 24 55 Bewerber – Anhörung 22 39 – Schutz 22 39

Stichwortverzeichnis

– Stellungnahme 22 41 Bewertung – Maßnahmen 10 31 – Nachhaltigkeitsrisiken 5 47 – Schriftliche Dokumentierung 5 54 Bezugspunkt – Zulieferer 8 30 Bieter – Schutz 22 45 Binnenhaftung – Geschäftsleitungsorgane Anh. 11 79 Brancheninitiativen – Standards 7 93 Branchenlösung – Nachhaltigkeit 9 50 Branchenverfahren – Beteiligung 8 11, 13 – Unwägbarkeiten 8 14 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle – Aufgabe 20 1 – Befugnis 20 1 – Handreichung 20 6 – Kooperation mit anderen Behörden 20 5 – Rechts- und Fachaufsicht 19 5 – selbstständige Bundesoberbehörde 19 4 – Sitz Eschborn 19 4 Bundeskartellamt – Verwaltungsgrundsätze 20 9 Bußgeld – Bemessung 24 139 – Berücksichtigung wirtschaftlicher Verhältnisse 24 135 – Binnenregress 24 17 – Schuldgrundsatz 24 120 Bußgeldadressat – Menschenrechtsbeauftragte 24 13

Bußgeldbescheid – Vollstreckung 24 179 Bußgeldentscheidung – behördliche 24 107 Bußgeldhöhe – Allgemeines 24 127 – Bemessung 24 129 – Bemessungsgrundsätze 24 127 Bußgeldrahmen – Allgemeines 24 73 – natürliche Person 24 73, 74 Bußgeldtatbestände – Kritik 24 66 – subjektive Seite 24 5 Bußgeldvorschrift – Verfassungsmäßigkeit 24 29

Chemikalien – EU-POPs-Verordnung 2 287 ff. – Verbot der Produktion 2 287 Code oft Conductus – Lieferanten und Geschäftspartnerkodex 6 130 Compliance – eigenes Unternehmen 9 5 – Leitprinzip 23 Einl. 67 – mittelbare Zulieferer 9 5 Compliance-Dokumentation – Anpassung 8 52 CSR-Vorgaben – Rechtsbindungswille Anh. 11 73 Darstellungstiefe – Anforderungen 10 37 – Nachvollziehbarkeit als Maßstab 10 35 Datenschutz – Erklärung 8 63 – Folgeabschätzung 8 63 – Löschkonzept 8 63 835

Stichwortverzeichnis

Deliktsdurchgriffshaftung – Konzernrechtliche Anh. 11 49 – § 826 BGB Anh. 11 75 Deliktsrecht – Deutsches 11 10 Deutschland – G7-Gipfel 2015 Einl. 75 – Umsetzung VN-Leitprinzipien Einl. 77 Dienstleistung – Erbringung 2 326, 327 ff. Diskriminierungsverbot – Bezugsrahmen 2 204 Dispositionsmaxime – Ausübung 14 8 Dokumentation – Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle 10 6 Dokumentationsaufbewahrungspflicht – Verstoß 24 52 Dokumentationspflicht – Erfüllung Sorgfaltspflicht 10 9 – interne 10 2 – Meldung 8 68 Doppelverwertungsverbot – Rechtsgut 24 134 Dreijahresfrist – Löschung 22 37 Dritthaftung – deliktsrechtliche Anh. 11 54

Effektivitätskriterien

– – – – – – – –

Ausgewogenheit 8 1 Berechenbarkeit 8 1 Dialogaustausch 8 1 kontinuierliches Lernen 8 1 Legitimität 8 1 Rechtekompatibilität 8 1 Transparenz 8 1 Zugänglichkeit 8 1

836

Eigeninteresse – schutzwürdiges 11 7 Eigentümer – Definition 16 33 Einfluss – Gesamtschau 2 350 Einflussmöglichkeiten – auf unmittelbare Verursacher 3 76 ff., 83 Einflussvermögen – Höhe 3 84 Einfuhrverbot – gefährliche Abfälle 2 321 Eingangsbestätigung – Zeitpunkt 8 67 Eingliederung – Obergesellschaftsansprüche 3 90 Eingriffsnorm – Art. 16 Rom II-VO Anh. 11 13, 41 ff. Einheit, wirtschaftliche – Nachweis 24 106 – Operieren 24 104, 106 Einrichtung – interne 8 11 Einsatzdauer – Arbeitsplatzbezogene 1 38 Einschreiten – Leitprinzip 22 Einl. 66 Einsehen – Definition 16 43 Einsichtnahme – Ort 16 49 Einsichtsverlangen – Konkretisierung 16 14 Einwirkungsmöglichkeiten – verminderte 3 31 Einzelkaufmann – Rechtslage 9 36

Stichwortverzeichnis

Entwicklung – internationale Einl. 113 Entzug – widerrechtliche 2 232 Erfüllung Sorgfaltspflichten – Erfüllung – Anlage 2 10 51 ff. Erkenntnisquellen – Heranziehung 11 11 Ermächtigung – Rechtsverordnung 13 15 Ermessen – Handlungsspielraum 4 12 Ermittlung – Status Quo 5 15 Europäisches Parlament – Entschließung Einl. 142 ff. Existenznachweis – in Deutschland 11 26 Externe Berichtspflicht – Adressat 10 18 – Schuldner 10 16 – Zweck 10 15 Externer Bericht – Darstellungstiefe 10 35 – Ermessen und Darstellungsspielraum 10 26 – Form 10 23 – Inhalt 10 25 – Inhalt und Darstellung 10 25 – Jahrespflicht 10 19 – Muster – Anlage 2 10 51 ff. – Öffentlichkeit 10 18 – Sprache 10 24 – Stichtag 10 19 – Veröffentlichung 10 19, 44

Fahrlässigkeit

– Definition 24 7

Familie – Kernzelle Gesellschaft 2 71 – Lebensstandard 2 75 Fehlgebrauch – Ermessen 14 11 Fehlverhalten – fremdes Anh. 11 54 Finanzdienstleistungen – Sonderfall 2 333 Fokussierung – ökozentrische 2 253 Folgen – juristische Person 24 167 – Personenvereinigung 24 167 Freiheitsrechte – grundrechtliche 16 2 Fristlauf – Beginn 22 32 Führungspositionen – Zurechnung 24 11

Geburtenregister

– Eintragung 2 54 Gefährdung – Umfang 24 150 Gefährliche Abfälle – Basler-Übereinkommen 2 264 Gegenstände – Auskunft 17 9 – Herausgabe 17 9 Gegnerfreiheit – Grundsatz 2 193 Geldbuße – Belegung 22 17 Geltendmachung – Rechtsverletzung 11 2 – substantiierte 14 33 Gemeinschaft – Gewinn 1 84 837

Stichwortverzeichnis

Geschäftätigkeit – verpflichtetes Unternehmen 3 61 Geschäftsabläufe – Risikomanagement 4 9 ff. Geschäftsbedingungen – allgemeine 6 133 Geschäftsbereich – eigener 2 340; 7 39, 40 – Erweiterung 1 93 – Verletzung 7 39 Geschäftsbetrieb – im Ausland 7 52 Geschäftsbeziehungen – Abbruch 7 99 – Abbruchgrund 7 102 – Aussetzen 7 95 Geschäftsleitung – Anbindung 8 58 – Ermessen und Darstellungsspielraum 10 10 – Information 8 84 – Unterrichtung 4 57 Geschäftsräume – Definition 16 27 Geschäftstätigkeit – Art 3 62 – Umfang 3 67 – Unternehmen 2 12 – wirschaftliche Sektor 3 65 Geschützte Rechtsposition 2 2, 87; 11 14 ff. – aus ILO-Übereinkommen 2 14 – Bedeutung 2 3 – Bestimmung 2 6 – Sorgfaltspflichten 2 87 – Sphäre Vertragsstaaten 2 11 – UN-Sozialpakt 2 62 – UN-Zivilpakt 2 33 Gesellschaften – ausländischer Rechtsform 3 92 – Konzernangehörige 1 55, 85 838

Gesetzentwicklung – Deutschland Einl. 75 ff. Gesetzesbegründung – fehlende Details 8 43 – strikte Orientierung 9 23 – Unvereinbarkeit mit Gesetzeswortlaut 9 21 Gesetzeswortlaut – Gesetzauslegung 9 22 Gesetzgeberische Maßnahmen – Leitprinzip 3 Einl. 42 Gesetzgebung – International Labour Organisation Einl. 19 Gesetzgebungsmaterial – Mindestlohngesetz 22 2 – Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz 22 2 Gesundheit – Schädigung 2 226 Gewährung – Prozesskostenhilfe 11 33 Gewährung von Rechtsschutz – Leitprinzip 25 Einl. 70 Gewerkschaften – ausländische 11 25 – Betätigungsfreiheit 2 194 – Menschenrechtsklagen 11 7 – Parteifähigkeit 11 28 – Prozessführung 11 27 – Unterstützung 11 1 Gleichstellung – Anwendung 2 373 – mittelbarer Zulieferer – unmittelbarer Zulieferer 2 372 Grundrechtsgarantie – Art. 9 Abs.3 GG 11 21 Grundsatzerklärung – Abgabe Unternehmensleitung 6 22 – Abhilfe 6 27

Stichwortverzeichnis

– – – – –

Aktualisierung 9 92 Angemessenheitsgebot 6 31 Aufbau 6 45 Beschwerdeverfahren 6 27 Dokumentations- und Berichtspflicht 6 27 – Herzstück 6 38 – konzernweite 6 20 – Menschenrechtsstrategie 6 11 – Mindestanforderungen 6 26 – Prävention 6 27 – Risikoanalyse 6 27 – Sorgfaltspflichten 6 27 – Zuleitung an Betriebsrat 6 17 Grundsatzverpflichtung – Leitprinzip 16 Einl. 59

Haftung

– vertragliche Anh. 11 76 ff. – zivilrechtlich 3 118 Haftungsansprüche – deliktsrechtliche 11 16 Handel – mit Kindern 2 100 Handlungsortsrecht – Anknüpfung Anh. 11 38 Handlungspflicht – abgestufte 7 4 – generelle 7 2 Handreichung – Inhalt 20 6 – rechtliche Einordnung 20 7 – Stellungnahme 20 10 – Verwaltungsvorschrift 20 8 Hauptniederlassung – Inland 1 10 – Ort 1 12 Hauptverwaltung – Verwaltungssitz 1 11 Herausgabepflicht – Originale 17 29 – Unterlagen Dritter 17 33

– Unternehmen 17 1 Herrschaftsausübung – Unterdrückung im Umfeld der Arbeitsstätte 2 175 ff. Hinweisarbeiter – Auskunftspflichten 8 61 Hinweisbearbeiter – regionale 8 37 – Verschwiegenheitspflicht 8 60 Hinweise – Berücksichtigung 7 116 Hinweisgeber – Anonymität 8 26, 74 – Jedermann 8 24 – nicht gesprächsbereit 8 74 – Sachverhaltserörterung 8 69 – Schutz 8 85 – taugliche Meldeinhalte 8 24 Hinweisgeberschutz – Durchsetzungsmöglichkeiten 8 95 Hinweisgebersystem – Abhilfemechanismus 8 22 – Schlichtungsmechanismus 8 22 Hinweismanagement – Eingangsbestätigung 8 66 Höchstbetrag – angedrohte 24 75 Holzhandel – Verordnung Einl. 188 Holzhandel-Verordnung – Historie Einl. 189 – Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz Einl. 194 – Regelungskonzept Einl. 193 – Überblick Einl. 191

Identifizierter Risiken – Angabe 10 27 ILO-Indikatioren für Zwangsarbeit – abgelegener Arbeitsort 2 156 839

Stichwortverzeichnis

– Beschränkung Bewegungsfreiheit 2 155 – debt bondage 2 161 – Einbehalten von Ausweispapieren 2 159 – Einschüchterung und Drohung 2 158 – exzessive Arbeitszeiten 2 163 – Gefährdungslagen Fallgruppen 2 152 – Hilflosigkeit einer Person 2 153 – physische und sexuelle Gewalt 2 157 – Täuschung 2 154 – unangemessene Arbeits und Lebensbedingungen 2 162 – Verletzlichkeit einer Person 2 153 – Vorenthaltung von Löhnen 2 160 ILO-Übereinkommen – Abschaffung Zwangsarbeit 2 17 – Beseitigung von Kinderarbeit 2 23 – Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf 2 25 – Gleichheit des Einkommens der Geschlechter 2 27 – Grundsätze des Vereinigungsrecht 2 31 – Recht zur Kollektivverhandlung 2 31 – Schutz des Vereinigungsrecht 2 29 – Vereinigungsfreiheit 2 29 – Zwang und Pflichtarbeit 2 14 Industrieparks – Zutrittsrechte 16 31 Informationen – Bewertung Einl. 4; 5 10 – Durchführung 8 46 – Erreichbarkeit 8 46 – Gewichtung und Priorisierung 5 46 – Sammlung Einl. 4 – Tiefe 5 31, 35 – Zuständigkeit 8 46 840

Informationsbeschaffung – Analysen von Spezialisten 6 109 – Audits durch Dritte 6 109 – Besuche vor Ort 6 109 – Eigenaudits durch das verpflichtete Unternehmen 6 109 – Eigenrecherche 6 109 – externe 5 24 – interne 5 16 – Methoden 5 13 – Pflicht 5 8 – Risikoanalyse 5 8 Informationsmittel – Analysen oder Zertifizierung 5 32 – Audits 5 32 – Besuche vor Ort 5 32 – Eigenaudits 5 32 – Eigenrecherche 5 32 – Supplier Self-Assement 5 32 Informationspflicht – Berichte von Ngos 9 18 – Hinweise 9 18 – Informationsaustausch 9 18 – Medienberichte 9 18 Informationsquellen – anerkannte 9 29 Inland – Verletzung 7 40 Inpflichtnahme von Unternehmen – Leitprinzip 2 Einl. 41 Interessenvertretung – Berechtigte 4 64 Internationale Abkommen – Menschenrechte Einl. 151 Internationale Entwicklung – Frankreich Einl. 120 – Großbritannien Einl. 116 – Kalifornien Einl. 114 – Niederlande Einl. 125 – Norwegen Einl. 129 – Österreich Einl. 137 – Schweiz Einl. 135

Stichwortverzeichnis

Internationale Menschenrechte – Leitprinzip 12 Einl. 53 Interne Dokumentation – Adressat 10 6 – Aufbewahrung 10 12 – Form 10 8 – Inhalt und Darstellung 10 9 – Muster – Anlage 1 10 50 ff. – sensible Information 10 11 – Zeitpunkt der Erstellung 10 7 Interne Dokumentationspflicht – Schuldner 10 5 – Unternehmen 10 5 – Verstöße 10 13 – Zweck 10 4 Interne Richtlinie – Plausibilitätsprüfung 8 78 Internetplattformen – Rohstoffbörsen 2 375 Investitionsabkommen – Leitprinzip 9 Einl. 48

Jahresumsatz – Berechnung 24 86 Justizgewährungsrechte 2 45 Kartellrecht

– Anwendung 2 352 – Europarecht 24 92 – Nationale 24 93 Kenntnisnahme – Einzelkaufmann 9 32 – vertretungsberechtigtes Organ 9 32 – Zurechnung 9 34 Kenntnisträger – Maßgeblicher 9 30 Kernelement – Menschenrechts-Compliance 6 13 Kinderarbeit – Bedeutung 2 112

– Beschäftigungsverbot 2 106 – Sklaverei und Sklavenhandel 2 116 – Verbot der schlimmsten Formen 2 114 – verbotene Formen 2 126 Kinderarbeitsverbot – Geltung in nicht ILO-Ländern 2 111 Kindersoldaten – Anwerbung 2 100 Klassifizierung – Gering 8 78 – Hoch 8 78 – Mittel 8 78 – Sehr Hoch 8 78 Klausel – Muster 6 141 Kleinunternehmen – Definition 3 74 – Eigenschaft 3 75 – Lieferkettensonderrecht 3 72 Klimaschutz Einl. 173 Koalitionsfreiheit – Behinderung durch Staaten 2 191 – Bestandfester Kern 2 190 – Grundlagen 2 187 Koalitionsverbot – staatliches 2 195 Kodex – Lieferanten und Geschäftspartner 6 62 Konfliktdiamanten – Verordnung Einl. 183 Konfliktdiamanten-Verordnung – Historie Einl. 184 – Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz Einl. 187 – Regelungskonzept Einl. 185 Konfliktmineralien-Verordnung – Anwendung Einl. 195, 199 ff. – Historie Einl. 196 841

Stichwortverzeichnis

Kontrolle – anlassbedingte 14 20 – anlasslose 14 18 – behördliche 14 1; 15 1 – Einhaltung 14 16 – Entscheidung 14 23 – risikobasierte 14 4 – Unternehmen 2 247 Kontrollmaßnahmen – Angemessenheitsprinzip 6 94 – Durchführung 9 80 – eigener Geschäftsbetrieb 6 93 – risikobasierte 6 92 Kontrollmechanismus – Besuche vor Ort 6 150 – externe Audits 6 150 – Inanspruchnahme von Spezialisten 6 150 – interne Audits 6 150 – Selbstauskunft 6 150 Kontrollmöglichkeiten – neue Technologien 6 155 – vertragliche Vereinbarung 6 152 Kontrollverfahren – Allgemeines 16 19 Konzept – Ausgestaltung 7 75 – Unterlassen des Umsetzens 24 48 Konzern – Gleichordnung 1 70, 84 – Holdinggesellschaft 1 65 – Lieferbeziehung 2 344 – Mehrheitsbeteiligung 1 76 – Risikomanagement 6 50 – Unterordnung 1 58, 84 – Zuständigkeiten 7 59 Konzernbeziehung – faktische Abhängigkeit 3 91 Konzerngesellschaften – akzessorische Haftung 24 89 – inländische 7 56 842

Konzernmutter – ultimative 1 67 Konzernobergesellschaft – Beschränkung der Zurechnung 1 62 Konzernstrukturen – Definition 22 12 – Schutzlücke 1 63 Konzernunternehmen – Verbindung 1 66 Konzernverbindung – qualifizierte 2 349 Korrekturmaßnahmenplan – Beauftragte für Menschenrechte 7 88 – Inhalt 7 83 – Rechtsnatur 7 90

Land

– Erwerb 2 231 – Nutzung 2 230 Leben – angeborenes Recht 2 37 Legalitätspflicht – Geschäftsleitungsorgane Anh. 11 80 – Ision-Rechtsprechung Anh. 11 82 Leitende Angestellte – Definition 1 23 Leitsätze – Achtung der Koalitionsfreiheit 6 42 – angemessene Arbeitsbedingungen 6 42 – diskriminierungsfreie Behandlung 6 42 – Einhaltung des Verbots von Kinderarbeit 6 42 – Einhaltung des Verbots von Menschenhandel 6 42 – Gewährleistung Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz 6 42

Stichwortverzeichnis

– Grundsätze und Anforderungen 6 42 – OECD Einl. 74 – Schutz indigener Völker 6 42 – Vermeidung des unlauteren Einsatz von Sicherheitskräften 6 42 Leitung – einheitliche 1 71 Leitungsebene – Unternehmen 4 21 – Verankerung 4 21 Lieferanten – Bewertung 6 107, 112 – Selbstauskunft 6 108 Lieferketten – Anfangspunkt/-Endpunkt 2 330 ff. – Gegenleistung 2 336 – Grundlagen 2 323; 4 4 – internationale 11 15 – Kenntnis 9 44 – Kenntnisse 6 87 – kurze 9 47 – Regelungszweck 2 371 – Risikomanagement 4 1, 8 – Sorgfaltspflichten Einl. 204; 5 28 – Transparenz 9 46, 48 – Transparenzeinordnung durch Staat 9 52 Lieferketten-CMS – angemessene Kommunikation 6 72 Lieferketten-Compliance – unionsrechtliche Vorgaben Anh. 11 21 Lieferketten-Risikomanagement – Abgrenzung 4 45 Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Abfallbegriffe 2 311 – Abhilfemechanismus 7 8 – Allgemeines 1 1 ff. – Angemessenheit 3 3, 33 – Anwendung 1 47 – Anwendungsbereich 1 4; 17 46

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Arbeitnehmer 1 18 ausländische Rechtsform 22 16 BAFA 8 21 Beauftragung externer Dritter 6 154 Beschwerdeverfahren 8 1 Blankettechnik 24 42 Bußgeldtatbestände 24 5 Europäischer Ausblick 1 98 Gesetzgebung 3 1 Gesetzgebungsgeschichte 10 1 Gesetzgebungskompetenz 19 1 ff. Gesetzgebungsverfahren 9 1 Grundlagen 20 1 Historie 3 1, 5 ff. in Kraft treten 19 2; 20 2 Konzept zur Beendigung 7 69 Konzept zur Minimierung 7 69 konzernangehörige Gesellschaften 1 47 Kritik Einl. 97 ff. Maßnahmenkatalog 7 79 Mindestvorgaben 4 7 mittelbare Anwendbarkeit 1 97 Ordnungswidrigkeitstatbestände 24 1 parlamentarisches Verfahren Einl. 93 ff. Personen des öffentlichen Rechts 17 Pflichten 24 8 Referentenentwurf Einl. 90 ff. Regelungstechnik 9 10 Regelungszweck 2 1 Regierungsbegründung 10 36 Regierungsentwurf Einl. 92 Risikobegriff 2 97; 5 5 Safe Harbour Regel Anh. 11 3 Schutzgesetzqualität Anh. 11 11 sonstige Betroffene Interessen 4 61 trickle-down-Effekt 1 97 umweltbezogene Verbote – Historie 2 251 ff. 843

Stichwortverzeichnis

– Unternehmen 1 4 – Unternehmensverbund 1 43 – Vergaberecht 22 1 – Verschwiegenheitspflichten 10 41 – Verstoß 22 4, 15 – wirtschaftliche Einheit 24 103 – zentrale Verpflichtung 3 2 Lieferkettenteil – Abfallentsorgung – Produktbezogen 2 337 – allgemeine Ärztliche Versorgung 2 337 – Arbeitssicherheit – produktbezogen 2 337 – Auditierung-Zertifizierungsleistung – nicht Compliance-Zertifizierung 2 337 – Betriebsgelände, Überwachung 2 337 – Bürobedarf, Lieferung 2 337 – Eigenhändler – ähnlich einem Handelsvertreter 2 337 – Einkauf – unmittelbar oder mittelbar (Werkzeuge) produktbezogen sind 2 337 – Entsorgung – Kerndienstleistung 2 337 – Finanzierungen – Finanzierung dem Herstellungsprozess dient 2 337 – Forschung und Entwicklung 2 337 – Franchisenehmer – Vertriebssystem des Franchisegebers 2 337 – Handelsplattformen – Plattform zur Verfügung stellt 2 337 – Handelsvertreter – Vertriebs des verpflichteten Unternehmens 2 337 – Kantinenbetrieb 2 337 844

– Lagerdienstleistungen – Auslieferung an den Kunden 2 337 – Pflege des Betriebsgeländes 2 337 – Rechnungslegung und Unternehmensplanung – ausgenommen Planungen 2 337 – Rechtsrat – unmittelbar produktbezogen 2 337 – Recycling – recycelte Produkte 2 337 – Reinigungs- und Pflegeleistungen 2 337 – Risikomanagement und IKS 2 337 – Sachanlagevermögen; Anschaffung von Gegenständen 2 337 – Stellung von Unterkünften für Arbeitnehmer 2 337 – Transportdienstleistungen – Anschaffungs- oder Herstellungsprozesses 2 337 – Vertrieb – keine realistische Alternative 2 337 – Warenannahme, -prüfung und -lagerung – produktbezogen 2 337 – Wiederverwertung – Produkts Recyclingmaterial 2 337

Maßnahmen

– Auswirkungen – Anlage 2 10 51 ff. – Befugnisbeispiel 15 13 – behördliche 16 11 – Bewertung – Anlage 2 10 51 ff. – Datenschutz 8 62 – Erlass 15 3 – erniedrigende Behandlung 2 244 – Folter 2 241

Stichwortverzeichnis

– – – –

grausame Behandlung 2 242 Identitätsschutz 8 62 unmenschliche Behandlung 2 243 Verletzung von Leib und Leben 2 245 – Wirksamkeit 10 31 – zukünftige 10 33 – Anlage 2 10 51 ff. Maßnahmenkatalog – Allgemeines 7 80 ff. Meinungsfreiheit – unbehinderte Ausübung 2 49 Meldeinhalte – Kinder/-Zwangsarbeit 8 29 – taugliche 8 29 Meldekanäle – Barrierefreiheit 8 32 ff. – intern 8 15, 88 – Webbasierte 8 36 – Zugang 8 32 Meldesystem – Einrichtung 8 20 Meldung – Eingang 8 41 Menschenrechte – Horizontalwirkung Anh. 11 18 – Katalog der Verbote 2 103 – Risiko 2 92 – Verbote 2 101 Menschenrechtliche Pflicht – identifzierte Verletzung – Anlage 2 10 51 ff. Menschenrechtsarbitrage – Gefahrenquelle Anh. 11 68 Menschenrechtsbeauftragte – Aufgaben 4 53 – Ernennung 4 39 – Ernennungspflicht 4 41 – externe Dienstleister 4 56 – Funktion 4 44 – Organisatorische Einordnung 4 47

– Pflichtendelegation 4 52 – Stellung 24 14 – Unabhängigkeit 4 49 – Weisungsfreiheit 4 49 Menschenrechtsbezogene Pflicht – Verletzung 2 322 Menschenrechtsklagen – allgemeiner Gerichtsstand Anh. 11 26 – Deliktsgerichtsstand Anh. 11 27 – Gerichtsstand der Streitgenossenschaft Anh. 11 30 – internationale Anh. 11 25 – Konzerngerichtsstand Anh. 11 29 – Notzuständigkeit Anh. 11 34 – Vermögensgerichtsstand Anh. 11 32 – Zuständigkeit deutscher Gerichte Anh. 11 25 Menschenrechtsschutz – Human Rights Due Diligence Anh. 11 1 – Human Rights Litigation Anh. 11 1 – private enforcement Anh. 11 2 – public enforcement Anh. 11 2 Menschenrechtsstrategie – Festlegung Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten 6 66 – Geschäftsabläufe 6 53 – Implementierung von Prozessen 6 70 Menschenrechtsverletzungen – § 823 BGB Anh. 11 58 – deliktsrechtliche Haftung Anh. 11 51 – Deliktstatut Anh. 11 36 – Erfolgsortanknüpfung Anh. 11 36 – Haftung § 823 BGB Anh. 11 60 – keine sonstigen Rechte Anh. 11 61 – Kenntnis Anh. 11 67 – Kollisionsrechtliche Bestimmung Anh. 11 35 845

Stichwortverzeichnis

Milderungsgründe – BGH 24 172 Mindestlohn – Gesetzlicher 2 209 Missachtung Arbeitsschutz – erhöhte Gefahr von Unfällen 2 179 – Grundlagen 2 178 Missbrauch – Gestaltung0 9 14 – unmittelbare Zulieferbeziehung 9 14 Mittelbarer Zulieferer – Begriff 9 11 – Pflichten 9 3 – Vertragspartner 9 6 Mitwirkung des Mittelbaren Zulieferer – Durchführung Zertifizierung 9 65 – Einholung Nachweisen 9 65 – Einholung von Lieferantselbstauskünfte 9 65 – professionalisierte Vor-Ort-Audits 9 65 – Unterlagenprüfung 9 65 Multilaterale Institutionen – Leitprinzip 10 Einl. 49 Muttergesellschaft – bestimmender Einfluss 24 96

Nachbesserungsverlangen

– Verwaltungsakt 13 9 Nachfolge – wirtschaftliche 24 107, 110 Nachhaltigkeitsrichtlinie – EU 9 2 – Wertschöpfungskette 9 2 Name Shaming – Konzept 21 4 Nichtgebrauch – Ermessen 14 11 846

Nichtregierungsorganisation – ausländische 11 25

Obergesellschaft

– Definition 1 84 – Zusammenfassung 1 84 Objekt – Zurechnung 1 87 Objektive Pflichtwidrigkeit – Höhe der Geldbuße 24 151 Offenlegungspflichten – Unionseinführung Einl. 217 Offizialmaxime – Geltung 14 8 Öffnungsklauseln – vertragliche 6 126 Opportunitätserwägungen – Absprachen 24 175 – Lieferkette 9 54 Orde Public Vorbehalt – Art. 26 Rom II-VO Anh. 11 45 Ordnungswidrigkeit – Aufdeckung 24 157 – Aufgabe des Tas Erfolges 24 145 – Ausführung 24 153 – Auswirkungen 24 155 – Bedeutung 24 129 – Folgen 24 167 – Schwere und Ausmaß 24 149 – Sonderbußgeldrahmen 24 81 – Tätervorwurf 24 141 – Verfassungsmäßigkeit 24 63 – Verfolgung 24 173 – Vermeidung 24 157 – Vortaten 24 157 – zuständige Behörde 24 59, 173 Ordnungswidrigkeitstatbestand – Verfassungsmäßigkeit 24 117 Organisation – wirtschaftliche 24 97

Stichwortverzeichnis

Organisationspflichten – Geschäftsleitungsorgane Anh. 11 79 – Konzernobergesellschaft Anh. 11 71 – konzernweite Anh. 11 70 – unabhängige Zulieferer Anh. 11 62 Organisationssphäre – eigene Anh. 11 53 Organische Schadstoffe – Stockholmer-Übereinkommen 2 263 Outsourcing – Ombudsperson 8 12

Pacht

– Betrieb 1 84 – Betriebsüberlassung 1 83 Personenkatalog – Zurechnung 9 34 Personenkreis – geschützter 14 36 Personenvereinigungen – Berücksichtigung wirtschaftlicher Verhältnisse 24 135 Pflichten – Allokation 1 44 – Bericht 12 1 – bußgeldbewehrte 24 19 – Duldung 18 1 ff. – Mitwirkung 18 1 ff. – natürliche Personen 18 9 – unmittelbarer Zulieferer 7 60 – Unternehmen 18 3 Pflichterfüllung – Nachweis 17 47 Pflichtverletzung – Folgemaßnahmen 8 81 – Menschenrechtlich 7 12 – Umweltbezogene 7 12 – Verhinderung 15 6

Politikkohärenz – Leitprinzip 8 Einl. 47 Politische Kritik – Anwendungsbereich Einl. 98 – Aufsicht Einl. 107 – Europäische Gesetzgebung Einl. 112 – Fokus Sorgfaltspflichten Einl. 103 – Prozessstandschaft Einl. 111 – Unbestimmtheit der Rechtsbegriffe Einl. 110 – Verlagerung staatlicher Aufgaben Einl. 108 – Wettbewerbsgleichheit Einl. 100 – Zivilrechtliche Haftung Einl. 106 POP’s-Übereinkommen – Verbotsausnahmen 2 291 Präsenz – in Deutschland 11 23 Präventionsmaßnahmen – Abhilfe 10 30 – Aktualisierung 24 40 – Anbietung von Schulungen 9 89 – Anknüpfung 6 3 ff. – Ausgestaltung 6 10 – Ermessensspielraum 9 75 – Erweiterung von Vertragsverhältnissen 9 89 – gegenüber unmittelbaren Zuliefern 6 96 – Gespräche mit Geschäftsleitung 9 89 – Grundsatzerklärung 24 69 – im eigenen Geschäftsbereich 6 46 – Kontrollmechanismus 6 148 – Kriterium der Angemessenheit 6 8 – Leitprinzip 19 Einl. 62 – nicht abschließend 9 87 ff. – OECD-Leitfäden 6 2 – Optimierung von Prozessen 9 89 – Regelbeispiele 6 96 – regelmäßige Überprüfung 6 157 847

Stichwortverzeichnis

– – – –

Risiken 9 83 risikobasierter Ansatz 6 8 Unterlassen 24 31 unverzügliche Implementierung 65 – Verankerung 9 70 – VN-Leitfäden 6 2 – Vorbehalt der Angemessenheit 6 51 – Wirksamkeitsüberprüfung 24 37 – Zeitpunkt 6 3 ff. Präventionsplan – Code oft Conduct Einl. 162 Produktherstellung – Erbringung von Dienstleistungen 2 326 Produktionsland – Sachrecht Anh. 11 49 Protokoll – Kinderarbeitsverbot 2 20 – Übereinkommen über Zwangsarbeit 2 19 Prozessführungsermächtigung – Erteilung 11 13, 32 Prozessstandschaft – besondere 11 1, 4 – Ende 11 35 – gesetzliche 11 6 – Gewerkschaft 11 18 – gewillkürte 11 7 – Herrin des Verfahrens 11 33 – Klageerhebung 11 8 – Nichtregierungsorganisationen 11 18 – Voraussetzung 11 13 Prüfung – Aufzeichnung 16 39 – Befugnis 16 47 – behördliche 13 1, 3 – Bericht 13 1, 3 848

– Geschäftspartner 9 6 – Unterlagen 16 39

Quecksilber

– Herstellung von Produkten 2 267 – Minamanta-Übereinkommen 2 262, 279 – Richtlinien 2 281 – unsachgemäße Behandlung 2 277 – Verbotausnahmen 2 269 – Verwendung zu Herstellungsprozessen 2 274

Ratifizierung

– fehlende 7 112 Rechenschafft – Leitprinzip 21 Einl. 65 Rechenschaftsbericht – erstmaliger 21 5 – Inhalt 21 2 – risikobasierte Kontrolle 21 3 – Überblick 21 1 Recht – auf Arbeit 2 65 – auf Beitritt und Bildung von Gewerkschaften 2 68 – auf Bildung 2 79 – auf Familiengründung 2 52 – auf Gedanken, Gewissens und Religionsfreiheit 2 47 – auf geistige Gesundheit 2 77 – auf Gleichheit 2 57 – auf Grundschulpflicht 2 79 – auf günstige und gerechte Arbeitsbedingungen 2 67 – auf körperliche Gesundheit 2 77 – auf kulturelle Teilhabe 2 81 – auf Lebensstandard 2 75 – auf Persönliche Sicherheit und Freiheit 2 40 – auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen 2 67 – auf soziale Sicherheit 2 69

Stichwortverzeichnis

– – – – – – – –

auf Teilnahme an Wahlen 2 56 der Freizügigkeit 2 42 der Vereinigungsfreiheit 2 51 der Versammlungsfreiheit 2 51 von Gefangenen 2 41 von Kindern 2 53 von Minderheiten 2 58 zur Bildung von Gewerkschaften 2 189 Rechtsgutverletzung – Bevorstehende 7 14 – eintretende 7 14 Rechtshängigkeitssperre – Geltendmachung des Anspruches 11 34 Rechtsschutz – Fragen 22 43 Rechtsträgerprinzip – gesellschaftsrechtliches Anh. 11 53 ff. Rechtsvergleich – England Anh. 11 9 – Frankreich Anh. 11 7 – Okpabi v. Royal Dutch Shell Anh. 11 10 – Schweiz Anh. 11 8 – USA Anh. 11 5 Rechtsverletzung – belegbare Anhaltspunkte 9 25 – drohende 9 25 – konkreter Bezug 9 25 – tatsächliche Anhaltspunkte 9 25 – Verhinderung 22 24 – Vorliegen 9 25 Rechtsverstöße – angemessene Reaktion 6 77 Rechtswahl – Art. 14 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO Anh. 11 46 Rechtswidrigkeit – offensichtliche 2 89

Regelbeispiele – Indikatorfunktion 2 199 Regelungskonzept – Konzernrechtlich 2 344 – Marktbezogen Einl. 15 – Unternehmensbezogen Einl. 15 Regelungsrahmen – Völkerrechtlicher Anh. 11 17 Regelungsziel – Menschenrechtsbezogener Mangel Einl. 6 – Umweltbezogener Mangel Einl. 6 Register – Bundeskartellamt 22 35 – Löschung 22 36 – Wettbewerb 22 34 Ressourcen – personelle 8 54 – wirtschaftliche/-personelle 9 8 Reycling – Produktzyklus 2 334 Richtlinie – Erlass 1 102 – Europäische Einl. 138 – Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen Einl. 138 Richtlinienvorschlag – geschützte Rechte Einl. 150 Risiken – Definition 2 94 – Matrizenbewertung 5 50 – Präventionsmaßnahmen 6 1 – prioritäre 6 33 ff. – Stellschrauben zur Minimierung 4 10 Risikoanalyse Einl. 4 – Abstufung 9 74 – angemessene 5 1 – Angemessenheitsvorbehalt 5 11 – anlassbezogene 5 64; 24 27 – Auswirkungen Einl. 159 849

Stichwortverzeichnis

– – – – – – – – – – –

Bezugspunkt 9 62 Durchführung 9 60, 64, 71; 24 21 eigener Geschäftsbereich 5 3, 14 erstmalige 5 67 externe Überprüfung 5 56 Fragebogen 5 18 Führungsebene 5 57 Leitprinzip 18 Einl. 61 Menschenrechtlich 3 26 mittelbarer Zulieferer 5 45 Mitwirkung des mittelbaren Zulieferer 9 65 – nicht rechtzeitige 24 26 – ohne konkreten Hinweis 9 68 – ohne Mitwirkungsbereitschaft 9 65 – Ordnungsgemäße 24 21 – Rahmen 6 52 – Regelmäßigkeit 5 61 – Überwachung 4 54 – Umgehungskonstellation 5 41 – umweltbezogen 3 26 – unmittelbarer Zulieferer 5 25 – Unterlassung 24 21 – Unternehmen 2 247 – Unvollständige 24 25 – Zeitpunkt 5 60 – Zielsetzung 5 2 – Zulieferer 9 61 – Zweck 9 61 Risikobasierter Ansatz – Ausfuhrkontrolle 19 6 Risikobegriff – Zweiteilig 5 6 Risikobeitrag – qualifizierter 4 36 – qualifziert 3 117 Risikobewertung – Ermessen des Unternehmens 5 53 Risikofaktoren – Länderbezogene 2 165 – Migration und fehlende Arbeitspapiere 2 166 850

– Verbindung mit Kreditvereinbarung 2 167 Risikokategorien – Klassifizierung 8 78 Risikolagen – branchentypische 4 16 – individuelle 4 13 Risikomanagement – Angemessenheit 4 12 – Angemessenheit und Wirksamkeit 4 3 ff. – Anpassung 9 41 – Aufbau 4 20 – Berichterstattung 4 25 – Beschwerdemechanismus 4 25 – Checkliste 4 18 – Einkaufsprozesse 4 25 – Einrichtung Einl. 5; 4 3 ff. – Konfliktmetalle Einl. 214 – Konfliktminerale Einl. 212 – Lieferkette Einl. 210; 4 4 – Ordnungsgemäßes 9 40 – Prävention und Abhilfemaßnahmen 4 25 – Problempunkte 9 43 – Regelungstechnik 9 41 – Risikoanalyse 4 25 – Überwachung 4 25 – Wirksamkeit 4 12 – Zeitpunkt 9 42 – zuständige Person 24 19 – Zuständigkeiten 4 22 Risikomanagementsystem – die Aufklärung, Abhilfe und Sanktionierung von Verstößen 6 56 – die Kommunikation und Schulung 6 56 – Elemente 6 56 – Entwicklung Einl. 206 – Erstellung Regelwerk und Dokumentation 6 56 – Festlegung Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten 6 56

Stichwortverzeichnis

– Früherkennung 4 28 – Grund-Rahmenrichtlinien 6 60 – Implementierung von Prozessen 6 56 – regelmäßige Überprüfung der getroffenen Maßnahmen 6 56 – Zielrichtung 4 29 Risikomapping – Einzelanalyse 5 27 – Geschäftsfelder 5 4 Risikopotential – erhöhtes 5 39 – Informationseinholung 6 109 Rohstoffe – Börse 2 335 – sekundär 2 334

Sachverhaltserörterung

– Durchführung 8 71 ff. – Zuständigkeit 8 70 Sachvortrag – Sorgfaltspflichtverletzung 14 38 Satzung – nicht gewerbsmäßig 11 26 Schädigung – Haftung § 826 BGB Anh. 11 74 Schlussfolgerung – Maßnahmen 10 33 Schlussfolgerungen – Maßnahmen – Anlage 2 10 51 ff. Schuldhaftes Zögern – externe Umstände 6 6 – zeitliches Verzögern 6 7 Schulungen – Ausgestaltung 6 91 – Art 6 146 – geeignet und bedarfsgerecht 6 89 – Geschäftsbereichen 6 88 – Mitarbeiter 22 25 – Präventionsmaßnahmen 6 143

Schutz – der werdenden Mutter 2 71 – des Privatleben 2 46 – Lebensgrundlage Dritter 2 103 – von Kindern 2 71 – vor Abschiebung 2 44 – vor sexueller Belästigung 2 67 – Zwangsehe 2 71 Schutz Menschenrechte – Leitprinzip 1 Einl. 40 Schutzumfang – persönlicher 8 89 – sachlicher 8 91 Schwellenwert – öffentliche Aufträge 22 8 – Überschreitung 1 35, 47 – Unternehmen 1 32 Selbstauskünfte – Lieferant 5 37 ff. Selbstbestimmungsfreiheit – gesetzliche Befugnis zur Einwirkung 2 141 – unzulässiger Eingriff 2 139 Selbstbestimmungsrecht der Völker 2 34, 63 – Funktion 2 35 – tangiert durch Unternehmen 2 35 Selbstreinigung – aktive Zusammenarbeit 22 23 – Ausgleichszahlung 22 22 – betroffene Konzerngesellschaft 22 14 – Maßnahmen zu Verhinderung 22 24 – Voraussetzung 22 21 Separierung – angemessene 22 19 Sicherheitskräfte – Einsatz 2 239 – menschenrechtswidrige Maßnahmen 2 235 851

Stichwortverzeichnis

– menschenwürdige Behandlung 2 103 Sitz – satzungsmäßiger 1 13 Sklaverei und Leibeigenschaft – Grundsätze 2 171 ff. Sofortvollzug – Anordnung 15 10 Sonderbußgeldrahmen – 2% des Jahresumsatzes 24 114 – Allgemeines 24 78 – Anwendbarkeit 24 88 Sonderrecht – Eigenschaften 3 73 – verpflichtetes Unternehmen 3 73 Sorgfaltsgebot – deliktsrechtliches Anh. 11 56 Sorgfaltskonzept – Achtung der Menschenrechte Einl. 81 – Kernelemente Einl. 80 – Verfahren zur Ermittlung Einl. 82 Sorgfaltspflichten – Adressat 3 13 – Anerkennung Einl. 218 – Angemessenheitsprinzip 3 34 – Angemessenheitsvorbehalt 8 3 – Beachtung 3 70 – Bemühenspflicht 3 17 – Beschränkung – unmittelbarer Zulieferer 2 367 ff. – Brancheninitiativen 4 16 – Branchenstandards 4 16 – Durchsetzungsmöglichkeiten 9 56 – Erfolgspflicht 3 15 ff. – Erfüllung 2 357; 4 16 ff.; 10 29 – europäische Rechtsvorschriften Einl. 182 – Geltung 3 43 – Geschäftsaktivitäten 2 368 – Gesetzessystematik 2 370 – Historie 2 369; 3 12 852

– Human Rights Due Diligence Anh. 11 20 – im eigenen Geschäftsbereich 3 24 – im Konzern Einl. 146 – Integration Einl. 157 – iterativer Charakter 3 20 – konkrete Einl. 156 – Kriterienkatalog 3 36 – Leitprinzip 17 Einl. 60 – Lieferketten 3 22 – OECD-Leitfäden 9 53 – persönlicher Anwendungsbereich Einl. 144 – praktische Konkordanz 3 56 – Regelungsinhalt 3 9 – Reichweite 9 1 – repressive 7 1 – Risikoanalyse 3 25 – Unionseinführer Einl. 215 – Verfahrenspflichten 3 15 – verpflichtete Unternehmen 3 13 – white Spots 2 343 – Zweck 9 4 Staaten – und Menschenrechte Einl. 39 Staatliche Aufsicht – Leitprinzip 5 Einl. 44 Staatliche Maßnahmen – Leitprinzip 4 Einl. 43 Streikrecht – Recht auf Kollektivverhandlung 2 194 Streitbeilegungsverfahren – Durchführung 6 159 Substantiierte Kenntnis – Bezugspunkt 9 17 – eigene Erkenntnisse 9 17 – erweiterter Begriff 9 20 – kein Verschließen 9 28 – Lieferkette 9 27 – Meldung über Beschwerdemechanismus 9 17

Stichwortverzeichnis

– – – – – – –

objektive 9 26 Pflichtauslösendes Moment 9 14 Restriktive Auslegung 9 25 Schrifttum 9 19 Sorgfaltspflichten 9 16 Verpflichtete Unternehmen 9 26 zuständige Behörde 9 17

Täter – Beweggründe 24 147 – Verhalten ggü. Rechtspositionen 24 143 Tätigkeit – wirtschaftliche 4 63 Tätigwerden – behördliche 14 6 – pflichtgemäßes Ermessen 14 10 Todesstrafe – Vollstreckung 2 37 Transparenz – Zugunsten der Öffentlichkeit 10 15 Transparenzgebot – Klauseln 6 140 Trennungsprinzip – gesellschaftsrechtliche 1 9 – gesellschaftsrechtliches Anh. 11 53 ff. Übereinkommen – Verweisung 2 257 Übergriffe – Menschenrechtswidrige 2 236 Überprüfung – Verträge Einl. 5 Überwachung – Berichtslinien 4 24 – Geschäftsleitung 9 35 – Zuständige 17 48 Umgehungsgeschäft – missbräuchliche Gestaltung 2 374 – Strohmanngestaltung 5 42 ff.

Umkehrbarkeit – als Kriterium 3 99 Umsetzungsvorschriften – technische 2 7 Umweltbezogene Erwartungen – verantwortungsvoller Emissionsausstoß 6 43 – verantwortungsvoller Ressourcenverbrauch 6 43 – verantwortungsvoller Umgang mit Abfällen 6 43 – Vermeidung von Beeinträchtigungen 6 43 Umweltbezogene Verbote – Katalog 2 256 – Vergleiche Einl. 152 Umweltmanagement – Abfallmanagement 5 23 Umweltschäden – Abwendung 7 17 UN Guiding Principles on Business and Human Rights – Grundlagen Einl. 35 – Leitprinzip 1 Einl. 40 – Leitprinzip 2 Einl. 41 – Leitprinzip 3 Einl. 42 – Leitprinzip 4 Einl. 43 – Leitprinzip 5 Einl. 44 – Leitprinzip 6 Einl. 45 – Leitprinzip 7 Einl. 46 – Leitprinzip 8 Einl. 47 – Leitprinzip 9 Einl. 48 – Leitprinzip 10 Einl. 49 – Leitprinzip 11 Einl. 51 – Leitprinzip 12 Einl. 53 – Leitprinzip 13 Einl. 55 – Leitprinzip 14 Einl. 56 – Leitprinzip 15 Einl. 58 – Leitprinzip 16 Einl. 59 – Leitprinzip 17 Einl. 60 – Leitprinzip 18 Einl. 61 – Leitprinzip 19 Einl. 62 853

Stichwortverzeichnis

– Leitprinzip 20 Einl. 64 – Leitprinzip 21 Einl. 65 – Leitprinzip 22 Einl. 66 – Leitprinzip 23 Einl. 67 – Leitprinzip 24 Einl. 68 – Leitprinzip 25 Einl. 70 – Leitprinzip 26 Einl. 71 – Leitprinzip 27–30 Einl. 72 – Leitprinzip 31 Einl. 73 – Rechtsqualität Einl. 37 Unabhängigkeit – rechtliche 8 56 Unfall und Gesundheitsgefahr – Arbeitszeiten und Ruhepausen 2 185 – Fallgruppen 2 180 – Schutzmaßnahmen gegen Einwirkung von Stoffen 2 184 – ungenügende Ausbildung 2 186 – ungenügende Sicherheitsstandards 2 183 – ungenügende Unterweisung 2 186 UNGP – Effektivitätskriterien 8 1 Unionsrecht – CSR-Richtlinie Anh. 11 21 – Konfliktmineralien-VO Anh. 11 22 Unmittelbare Zulieferer – Auswahl 6 101 Unmittelbarer Verursacher – Bestimmung 3 80 Unparteilichkeit – Unabhängigkeit 8 58 ff. Unrecht – Grad des verwirklichten 24 142 UN-Sozialpakt – allgemeine Vorschriften 2 83 Unterlagen – Definition 16 40 – Herausgabe 17 27 854

– Vernichtung 17 30 Unternehmen – Abhilfeprognose 7 74 – Ausland 2 359 – Beendigung der Pflichtverletzung 7 72 – Begriff 22 12 – Beherrschungsvertrag 1 80 – Beschaffenheit des Unternehmens 3 64 – Beschäftigte 1 30 – Bieter 22 11 – Bußgeldbelastung 24 109 – Definition 1 5 – Eskalationsprozess 8 76 – Geldbuße 17 55 – Gewinnabführung 1 81 – Grundsatzerklärung 24 35 – Hauptniederlassung 1 10 ff. – Kooperation mit Behörden 22 23 – Monitoring Einl. 167 – organisatorische Maßnahmen 22 25 – Pflichtenkatalog 2 4 – Risikoexposition 4 13 – Sanktionen Einl. 180 – Schätzungsbefugnis 24 112 – Schwellenwert 1 32 – Selbstreinigung 22 20 – und Zwangsehe 2 72 – Unterlagen 17 38 – verbundenes 1 42, 51 – verpflichtete 8 7 ff.; 17 18 – Verpflichtung 1 32 – wechselseitig beteiligt 1 84 – wirtschaftliche Größe 24 84 – Zusammenschluss 7 91 Unternehmensverbindung – Abhängigkeitsverhältnis 1 84 – Beherrschungsvertrag 1 84 – Betriebspacht/-Betriebsüberlassungsvertrag 1 84 – Formen 1 51, 84

Stichwortverzeichnis

– – – – – – –

Gewinngesellschaft 1 84 Gleichordnungskonzern 1 84 Mehrheitsbeteiligung 1 84 Normadressat 1 43 Teilgewinnabführungsvertrag 1 84 Unterordnungskonzern 1 84 wechselseitig beteiligte Unternehmen 1 84 Unternehmer – Schutz 10 4 Unterordnungskonzern – Mehrheitsbeteiligung 1 76 Unterweisung – mangelnde 2 247 UN-Zivilpakt – organisationsrechtliche Vorgaben 2 59

Verbote – – – – – – – – –

Diskrimierung 2 192 Einsetzen von Kindern 2 121 Folter 2 38 Historie 2 169 Kinderprostitution 2 119 Kriegspropaganda 2 50 menschenrechtliche 2 13, 74 Missachtung Arbeitsschutz 2 177 Missachuntg Koalitionsfreiheit 2 187 – Pornographie 2 119 – schädliche Bodenveränderung 2 214 – Sklaverei und Leibeigenschaft 2 168 – Sklaverei und Sklavenhandel 2 39 – Umweltbezogene 2 250 – Ungleichbehandlung 2 196 – von Hetze 2 50 Vereinte Nationen – Vereinte Nationen Einl. 24 Verfahrensordnung – Beschwerdemechanismus 8 43

– Einbindung Hinweisgeber 8 43 – einvernehmliche Beendigung 8 43 – geschützte Hinweisgeber 8 43 – Inhalt 8 41 – Mindestinhalt 8 40 – Vertraulichkeitsgrundsatz 8 43 – Weisungsfreiheit 8 43 – Zugänglichkeit 8 44 – Zulässige Meldeinhalte 8 43 Vergabekammer – Nachprüfungsverfahren 22 44 Vergabeverfahren – Ausschluss 22 27 – Ausschlussfrist 22 30 – Bekanntgabe 22 31 Verhaltenskodizes – Regelmäßige Aktualisierung 6 95 Verhinderung – Auswirkungen Einl. 160 Verhinderungspflicht – bevorstehende 7 48 Verkehrspflichten – Abhängigkeitsverhältnis 1 73 – Code of Conduct Anh. 11 72 – deliktische Anh. 11 62 Verlangen – als Verwaltungsakt 17 13 – Auskunft 17 12 Verleihunternehmen – Gesetz 1 41 Verletzung – angemessene Abhilfemaßnahmen 6 74 – Angabe 10 27 – Art 3 96 – Aufklärungspflicht 9 63 – Beeinträchtigung 3 101 – Beendigungen 7 45 – betroffene Personen 3 102 – bevorstehende 7 48 ff. – Eintrittswahrscheinlichkeit 3 105 ff. 855

Stichwortverzeichnis

– mit hinreichender Wahrscheinlichkeit 2 101 – Schwere 3 94, 98 – Sorgfaltspflichten 3 4 – Standort der Niederlassungen 7 43 – Umkehrbarkeit 3 99 – unmittelbar bevorstehende 14 40 – unmittelbarer Zulieferer 7 60 – (Un-)Umkehrbarkeit 3 100 – Wahrscheinlichkeit 3 94 Vermutensregel – Ausnahmekonstellation 1 75 Verordnung – Ermächtigung 14 42 – Konfliktdiamanten-Verordnung Einl. 183 Verordnungsermächtigung – BMAS 9 94 Verschmutzungen – Umwelt 2 218 Verschwiegenheitspflicht – Reichweite 8 60 Vertrag – Abführung 1 84 – Beherrschung 1 80, 84 – Betriebsüberlassung 1 84 – Unternehmen 1 79 – Zwangsarbeit 2 140 Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter – Leistungsnähe Anh. 11 78 – Liefervertrag Anh. 11 47 Vertragsbeziehungen – Einflussvermögen – außerhalb 3 88 – innerhalb 3 86 Vertragsstaaten – Pflichtenkatalog 2 36, 64 – Umsetzungspflichten 2 8 Vertragsstatut – Unternehmen 1 79 856

Vertrauensgrundsatz – deliktsrechtlicher Anh. 11 53 Verursachungsbeitrag – nach Bundesministerium für Arbeit und Soziales 3 115 – Notwendigkeit 4 31 Verwaltungsgrundsätze – Veröffentlichung durch Bundeskartellamt 20 9 Verweigerungsrecht – Adressat 17 54 – Auskunft 16 51 – Vorlage 16 51 Verzahnung – Vergabeverfahren 22 3 Völkerrecht – Soft Law-Leitprinzipien Anh. 11 20 Vollziehbare Anordnung – zuständige Behörde 24 59 Vorbereitung auf die Anwendung des Gesetzes Einl. 1 – Verantwortliche im Unternehmen Einl. 2 – Vorprüfphase Einl. 2 Vorenthaltung – angemessener Lohn 2 207 Vorkehrung – Vermeidung 24 161 Vorsatz – Definition 24 6 Vortat – Aufdeckung 24 158 Vorteil – Abschöpfung 24 125 – wirtschaftlicher 24 125

Warenabnehmer – Auswahlpflichten Anh. 11 66 – Kontrollpflichten Anh. 11 66

Stichwortverzeichnis

Wasserverbrauch – übermäßiger 2 222 Weitergabeklauseln – vertragliche 9 57 Wertschöpfungskette – Grundlagen Einl. 153 Wirksamkeitskontrolle – Leitprinzip 20 Einl. 64 – veränderte Risikolage 6 160 Wirkung – verbotene 2 223 Wirtschaftliche Einheit – Bedeutung 24 88 – Voraussetzung 24 94 Wirtschaftsgebäude – Definition 16 28

Zeitliche Priorisierung

– Leitprinzip 24 Einl. 68 Zeitpunkt – Geldbuße 22 33 – Maßgebliche 24 107 Zugang zu Gerichten – Leitprinzip 26 Einl. 71 Zugängliche Informationen – Durchführung 8 47 – Erreichbarkeit 8 47 – Öffentliche 8 48 – Zuständigkeit 8 47 Zulieferer – Anforderungen 6 104 ff. – Bewertung und Auswahl 6 111 – Definition 6 104 ff. – Geschäftsbereich 3 27, 30 – Leistungserbringung 2 366 – Mittelbarer 2 372, 376; 3 30 – Null-Toleranz-Bereich 6 105 – Rahmenvertrag 2 364 – Rechtsverletzung 9 25 – unmittelbar und mittelbar 17 37 – unmittelbarer 2 363; 3 27

– verbindliche Verpflichtung 6 124 – vertragliche Zusicherung 6 118 – Vertragsverhältnis 2 364 Zuliefererbetrieb – Verantwortungszuweisung Anh. 11 69 Zumessungsrelevante Aspekte – zeitlicher Abstand 24 172 Zurechnung – Adressat 1 58 – Bedeutung 1 95 – Kenntnis 9 35 – mangels Organisation 9 38 – Obergesellschaft 2 348 – Verhalten 22 13 – weiterreichende 9 39 Zurechnungsadressat – Unterordnungskonzern 1 58 Zurückhalten – von offiziellen Dokumenten 2 142 Zurückhaltung – BMAS 9 95 Zusammenschluss – Brancheninitiativen 7 92 Zusicherung – Definition 6 124 – Inhalt 6 120, 125 – Vereinbarung 6 130 – vertragliche 9 7 Zuständigkeit – Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle 19 3 Zuständigkeiten – betriebsinterne 4 39 – Einkauf 4 22 – Leitung 4 22 – Personal 4 22 Zuständigkeitsstruktur – Three Lines oft Defence Modell 6 69 857

Stichwortverzeichnis

Zuständigkeitszuordnung – lückenlose 4 27 Zutrittsverlangen – Konkretisierung 16 14 Zuwiderhandlung – behördlicher Anordnung 24 62 Zwangsarbeit – Arbeit oder Dienstleistung 2 129 – Ausnahmen 2 143 – bei Notlagen und Katastrophen 2 148 – Bürgerpflichten 2 149 – Definition 2 128 – gerichtliche Verurteilung 2 145 – kleinere Gemeinschaftsarbeiten 2 150 – Leitlinien Europäisches Auswärtiges Amt 2 164 – Militärdienst 2 143 – tatsächliche Bedeutung 2 151 Zwangsgeld – Beitreibung 23 15 – Bemessung 23 9

858

– Beugemittel 23 6 – bisheriger Regelungsstand 23 1 – Details 23 2 – Ermessen 23 8 – Festsetzung 23 4, 8 – Grundlagen 23 2 – Höchstbetrag 23 10, 13 – Höhe 23 5 – Regelungen 23 1 – Verdoppelung 23 2 – Verhältnismäßigkeit 23 8 Zwangsmittel – Gewalt 2 133 – Täuschung 2 136 Zwangsräumung – widerrechtliche 2 232 Zweck – Ermessen 14 13 Zweigniederlassung – Deutschland 2 359 – Inland 1 15 ff. – inländische 16 12